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German Pages 207 Year 1991
RAINER LOGES
Die Begründung neuer Erklärungspflichten und der Gedanke des Vertrauensschutzes
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 136
Die Begründung neuer Erklärungspflichten und der Gedanke des Vertrauensschutzes
Von
Rainer Loges
DUßcker & Humblot . Berliß
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Loges, Rainer:
Die Begründung neuer Erklärungspflichten und der Gedanke des Vertrauensschutzes / von Rainer Loges. - Beflin: Duncker und Humblot, 1991 (Schriften zum Bürgerlichen Recht; Bd. 136) Zugl.: Göttingen, Univ., Diss., 1990 ISBN 3-428-07058-5 NE:GT
Alle Rechte vorbehalten © 1991 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fremddatenübernahme: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Druck: Druckerei Gerike GmbH, Berlin 36 Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 3-428-07058-5
Vorwort Die vorliegende Untersuchung nimmt sich die Frage zum Ausgangspunkt, ob eine zivilrechtliche Haftung für die Richtigkeit von Erklärungen mit Hilfe des Vertrauensschutzgedankens begründet werden kann. Dabei gelangt man zu dem generellen Problem, ob überhaupt Schadensersatzansprüche aus dem Vertrauensschutzprinzip herleitbar sind. Zunächst werden die in Rechtsprechung und Literatur hierzu vorgetragenen Argumentationsmuster auf ihre Schlüssigkeit überprüft. Danach werden andere Versuche, das Phänomen der Erklärungshaftung zu begründen, betrachtet. Abschließend wird versucht, ein eigenes Modell einer solchen Haftung, welches den Vertrauensgedanken in sich aufzunehmen vermag, in seinen groben Umrissen zu entwickeln. Nicht geleistet werden kann und soll eine umfassende Darstellung der jeweils tangierten Rechtsbereiche. Die Arbeit hat im Sommersemester 1990 der juristischen Fakultät der Universität Göttingen als Dissertation vorgelegen. Mein Dank gilt Herrn Prof. Dr. Wolfgang Mincke für die Anregung zu diesem Thema und für die Unterstützung bei der Bearbeitung sowie Herrn Prof. Dr. Uwe Diederichsen für die Anfertigung des Zweitgutachtens. Hamburg, im September 1990
Rainer Loges
Inhaltsverzeichnis Erster Teil
Die Entstehung neuer Erklärungspflichten § 1 Problemstellung.................................................................. I. Einführung in die Thematik .................................................... 1. "Vertrauensschutz" als Argument in der neueren Rechtsentwicklung .... 2. ,,Positive" und ,,negative" Vertrauenshaftung .............................. 3. Erklärungspflichten außerhalb von Vertrag und culpa in contrahendo ...
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11. Die Begründung von Schadensersatzpflichten mit Hilfe des Vertrauensschutzgedankens in der Rechtsprechung .............................................. 1. Culpa in contrahendo und der Gedanke des Vertrauensschutzes ......... 2. Die Rechtsprechung zur Auskunftshaftung ...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Erweiterung des verantwortlichen Personenkreises ................... a) Der "Sachwalter" ........................................................ b) Prospekthaftung .......................................................... III. Das Institut der Vertrauenshaftung in der Literatur ........................... 1. Auskunftshaftung ............................................................ 2. Produzentenhaftung .......................................................... 3. Haftung für Werbeaussagen ..... ............................................ 4. Die Vertrauenshaftung als eigenständiges Rechtsinstitut.................. IV. Der Gegenstand dieser Untersuchung. ......................................... 1. Die Reichweite der Fragestellung .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundlage und Ausgestaltung der Vertrauenshaftung ..................... 3. Wertungsgrundlagen und tatbestandliche Konturierung ...................
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§ 2 Verhaltenspflichten und das System subjektiver Rechte ....................... I. Zum Begriff des subjektiven Rechts ........................................... 11. Die beiden Wege zum Schutz von Vermögensinteressen .................... 1. Die rechtstechnischen Möglichkeiten ....................................... 2. Rechtsschutz und Institutionenschutz ....................................... 3. Folgerungen für die vertrauenstheoretische Pflichtbegründung ...........
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Zweiter Teil
Die "Vertrauenshaftung" § 3 Der Gegenstand des Vertrauens ................................................ I. Begriff des Vertrauens..........................................................
11. Der Gegenstand des Vertrauens in den Fällen der "Vertrauenshaftung" .... 1. Vertrauen in Erklärungen ...................................................
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8
Inhaltsverzeichnis 2. Der Gegenstand des Vertrauens bei der culpa in contrahendo ............ a) Aufklärungspflichten ..................................................... b) Abbruch von Vertragsverhandlungen .............................. ..... c) Schutzpflichten ........................................................... 3. Zusammenschau ......................................................... ....
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111. Der Gegenstand des Vertrauens in den Vertrauensschutzbestimmungen des BGB ......................................................................... I. Vertrauensschützende Bestimmungen im BGB ............................ 2. Charakteristika ............................................................... a) Einstandspflicht für den Schein einer bestimmten Rechtslage ........ b) Mehrere erlaubte Möglichkeiten .................................... .... c) Die Funktion der Bestimmungen: Integritäts- oder Dispositionsschutz
43 43 44 44 44 45
IV. Analoge Anwendung des § 122 BGB? ........................................ V. Der fehlende Vertrauenstatbestand .............................................
46 47
§ 4 Die Vertrauensbeziehung ............. ...........................................
48 48
I. Vertrauensbeziehung statt Vertrauenstatbestand ............................... I. Die Entwicklung der Vertrauensbeziehung im Gefolge der culpa in contrahendo ...................................................................... 2. Vertrauensverhältnis und Interessenwiderstreit ............................
48 51
11. Vertrauensverhältnisse und Gesetz.............................................
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§ 5 Die Schutzwürdigkeit von Vertrauen ..... .................... ..................
11. Vertrauen als Rechtswert ....................................................... 1. Das ,,rechtsethische Prinzip" des Vertrauensschutzes ..................... 2. Schutz nur des "berechtigten" Vertrauens ................................. 3. Kritik der Lehren vom "berechtigten Vertrauen" .... ................ ...... a) Allgemeines .. .................... ................... ................ ..... b) Die Lehre v. Craushaars ......... ......... ...............................
54 54 56 56 57 60 60 61
III. Die Konzepte der sozialen Rolle ............................................... 1. Vorschläge in der rechtssoziologischen Literatur.......................... 2. Die Legitimation der Rollenerwartungen ................................... 3. Theorien der Selbstbindung durch Versprechen...... ................ .....
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IV. Folgerungen ......... ..................... ........ ......... ................... ...
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§ 6 Zum Tatbestand einer negativen Vertrauenshaftung ...... .................... I. "Subjektive" und "objektive" Tatbestandsformulierung ...................... 1. Vertrauensprinzip und Vertrauensgrundsatz ............................... 2. Tatbestandsformulierungen bei der culpa in contrahendo ................. 11. Die Eignung des Vertrauens als Tatbestandsmerkmal ................ ........ 1. Der Zeitpunkt des Vorliegens von Vertrauen..... ............... ..... ..... 2. Die Stellung des Vertrauens im System der Vertrauenshaftung sowie der Delikts- und Vertragshaftung ............................................... 3. Vertrauen als in Verbindung mit anderen Faktoren haftungsbegründendes Moment ...................................................................... III. Tatsächlich vorliegendes und ,,normatives" Vertrauen .......................
70 70 70 71 74 74
I. Der Vertrauensbegriff in der Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .
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Inhaltsverzeichnis
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IV. Der Zirkelschluß in der Argumentation .... ........ .... ..... .... ........ ... ...
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l. Die Sonderbehandlung der Vertrauenshaftung ............................. 2. Vertrauen als Schutzziel .................................................... 3. Vertrauensschutz und Rechtsschutz ........................................
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V. Die "Vertrauenshaftung" und der Aspekt der Rechtssicherheit .............. VI. Zusammenfassung zur negativen Vertrauenshaftung ..........................
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Dritter Teil
Andere Geltungsgründe für eine Erklärungshaftung außerhalb von Vertrag und culpa in contrahendo § 7 Gründe für eine Erklärungshaftung als Gründe für Vertrauensschutz
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§ 8 Argumente aus der Sonderverbindung ............. ................ ............
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I. Vertrauenshaftung als Korrelat zur Privatautonomie .......................... l. Die Verantwortung als Ausgleich zur rechtsgeschäftlichen Freiheit...... 2. Die Verantwortung als Ausgleich für die Schaffung besonderer Risiken .... a) Risiken des Rechtsgeschäftes ........................................... b) Der soziale Kontakt ...................................................... c) Die Lehre J. Schmidts ... ........ ......... ........ ....... ........... ..... 3. Kritik ................................................ r ... ....... ........... .. a) Die besondere Einwirkungsmöglichkeit ................................ b) Ein Korrelat zur Freiheit? ............................................... c) Die Funktion des Korrelatsgedankens ..................................
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11. Vertrauenshaftung zur Sicherung der Selbstbestimmung. ....... ... ....... ... l. Die Gewährleistung der inhaltlichen Richtigkeit von Verträgen.......... a) Literaturstimmen ......................................................... b) ,,Richtigkeitsgewähr" des Vertrages? ................................... c) Vertrauenshaftung zur Sicherung der materiellen Selbstbestimmung. . . . 2. Kein Ausgleich individueller Vertragsdisparität ...........................
100 100 100 101 103 104
III. Die generelle Problematik der Anlehnung einer Erklärungshaftung an die einzelne Sonderbeziehung ...................................................... l. Die Ansicht Pickers ......................................................... 2. Die Lösung jeder Erklärungshaftung vom einzelnen Rechtsgeschäft ..... IV. Das Modell Pickers: ,,neminem laedere" in Sonderverbindungen ........... l. Darstellung................................................................... 2. Kritik ......................................................................... V. Folgerungen .....................................................................
105 105 106 110 110 112 114
§ 9 Vertrauensschutz als Instrument zum Schutze des sozial Schwächeren ......
I. Argumente aus dem Sozialstaatsprinzip ....................................... 1. Rechtsprechung und Literatur zum Einfluß des Sozialstaatsprinzips auf das Privatrecht ............................................................... a) Sozialstaatsgemäße Privatrechtsordnung ................................ b) Der Inhalt des Sozialstaatsprinzips im Privatrecht ..................... c) Die Eignung zur Begründung der Erklärungshaftung ..................
115 115 116 116 117 118
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Inhaltsverzeichnis 2. Privatrechtssetzung und Sozialstaatsprinzip ................................ a) Privatrecht als staatliches Recht......................................... b) Das Eingriffssubjekt ..................................................... c) Schutzpflichten des Staates? ............................................
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11. Fonnulierung von Pflichten zum Schutze des Schwächeren ................. 1. Haftung aus "organisiertem sozialen Kontakt" ............................ a) Die "organisierte Verantwortungslosigkeit" ............................ b) Kritik ..................................................................... 2. Allgemeiner: Machtausgleich durch Vertrauensschutz? ...................
125 125 125 127 128
§ 10 Vertrauensschutz, Rechtsverkehr und Markt ..................................
130
I. Vertrauensschutz als Instrument zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Rechtsverkehrs .................................................................. 1. Die Entbehrlichkeit von Vorsichtsmaßnahmen ............................ 2. Vertrauenshaftung zwecks Minimierung von Transaktionskosten im Sinne der "economic analysis of law" ............................................ a) Vorschläge in der Literatur .............................................. b) Zur Methode der ökonomischen Analyse des Rechts.................. 3. Die Herstellung von Waffengleichheit am Markt ......................... 4. Verbraucherschutz ...........................................................
133 133 135 139 140
11. Gegeneffekte: Die Behinderung des Rechtsverkehrs durch die Venneidung einer Vertrauenserregung ....................................................... 1. Aufklärung bei bestehender Aufklärungspflicht ........................... 2. Überwiegend im Fremdinteresse abgegebene Erklärungen ............... 3. ZufaIlig und geplant erlangte Infonnationen ...............................
142 143 144 145
131 131
m. Folgerungen ..................................................................... 146 § 11 Das Konzept einer Berufshaftung ........................ .....................
146
I. Vorschläge in der Literatur .....................................................
146
11. Die Legitimation der Berufshaftung ........................................... 1. Legitimation durch die berufsregelnden Gesetze .......................... 2. Die "Optimierung am Markt" ............................................... 3. Die Förderung des Berufsstandes.... ................ ................ .......
149 149 150 151
m. Der Nutzen des Kriteriums "Beruf' .................................. ......... 151 Vierter Teil
Erklärungspflichten als Verkehrspflichten zum Schutze des Rechtsverkehrs § 12 Grundelemente der Rechtfertigung neuer Erklärungspflichten I. Der Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit im Rechtsverkehr .............. .
154 154
n. Der Gesichtspunkt der Sozialisierbarkeit des Risikos ....................... . 157 111. Die Begründung für neue Erklärungspflichten: Der Schutz von Rechtsverkehr und Markt ...................................................................... . 1. Die Behinderung des Rechtsverkehrs durch Angst und Vorsicht ........ . 2. Die Sicherung des Gleichgewichtes am Markt ........................... .
160 160 162
Inhaltsverzeichnis
11
IV. Die einzelnen Bestimmungsgrößen für die Erklärungspflichten ............. 1. Kollektive Machtungleichgewichte ......................................... 2. Handeln im Bezug zu Rechtsverkehr und Markt...... .................... 3. Der Aspekt der Entgeltlichkeit .............................................. 4. Die Problematik der primär im Fremdinteresse und ohne Rechtspflicht erteilten Auskünfte .......................................................... 5. Aufklärungspflichten und Wahrheitspflichten ..............................
162 163 163 164
V. Die Funktion des Vertrauens bei der Begründung neuer Erklärungspflichten
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§ 13 Die Ausgestaltung der Haftung ................................................
171
I. Vertragshaftung, Deliktshaftung oder "Dritter Weg"? ........................ 1. Allgemeines .................................................................. 2. Die Abkehr von der rechtlichen Sonderverbindung ....................... 3. Sicherung des Rechtsverkehrs als Aufgabe des Deliktsrechts ............
171 171 172 172
11. Erklärungspflichten als Verkehrspflichten zum Schutze fremden Vermögens 1. Möglichkeiten der Fortbildung des § 823 11 BGB ......................... 2. Die Einordnung in das bestehende System der Verkehrspflichten .. . . . . .
176 176 178
111. Rechtsfortbildung ohne Grenzen? .............................................. 1. Die Offenheit des § 823 11 BGB .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Formulierung abstrakt-genereller Tatbestände durch den Richter.... 3. Legitimationszwang durch offene Rechtsfortbildung ......................
181 181 183 184
IV. Neue Verkehrspflichten und culpa in contrahendo ...........................
185
V. Das Problem der "Haftungslücken" ............. ...............................
187
166 167
§ 14 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse..............................
190
I. Die Begründung neuer Erklärungspflichten ...................................
190
11. Die Anwendung dieses Konzeptes auf die AusgangsfaIle .................... 1. Außervertragliche Auskünfte ........... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sachwalter ................................................................... 3. Prospekthaftung .............................................................. 4. Weitere Fälle............ .................. ............ ........ ...............
191 191 192 192 193
Literaturverzeichnis ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
194
Erster Teil
Die Entstehung neuer Erklärungsspflichten § 1 Problemstellung I. Einführung in die Thematik 1. "Vertrauensschutz" als Argument in der neueren Rechtsentwicklung
Der Gedanke des Vertrauensschutzes hat in den letzten Jahren im deutschen Privatrecht eine erstaunliche Ausweitung erfahren. Immer neue Fallkonstellationen werden unter dem Gesichtspunkt des Vertrauens schutzes entdeckt und gleichzeitig gelöst. Dabei ist sich die Rechtsprechung in weitem Umfang der Zustimmung der Wissenschaft sicher; diese hat spätestens seit Canaris 1 das Vertrauensprinzip ins Zentrum der Diskussion geruckt. Dieses Prinzip schickt sich gegenwärtig an, als selbständiger Haftungsgrund Anerkennung zu finden. 2 Auf der anderen Seite erhebt sich gegen diese Entwicklung auch vielfältige Kritik. Mit einem gewissen Unbehagen wird die "Sogwirkung", welche die Vertrauenshaftung entfaltet, zur Kenntnis genommen und vor deren Fehlgebrauch als "theoretisch-dogmatische Allzweckwaffe"3 gewarnt. Auch im öffentlichen Recht - dem der Vertrauens schutz durch das Rechtsstaatsprinzip geradezu vorgegeben ist - werden bereits Bedenken gegenüber der "magischen Kraft" dieses Gedankens, der "zum Teil ohne konstruktive Notwendigkeit zahlreiche Rechtsinstitute und Probleme in seinen Bann gezogen hat"4, geäußert. Ausgehend von einer derartigen Skepsis will diese Arbeit die neuesten Erscheinungen dieser Entwicklung daraufhin untersuchen, ob sie sich tatsächlich auf das Argument des Vertrauensschutzes stützen oder sich doch zumindest andere tragende Wertungen aufzeigen lassen.
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3 4
Canaris, Die Vertrauenshaftung im Deutschen Privatrecht, 1971. v. Bar, RabelsZ 44(1980). 455, 466. Hopt, AcP 183(1983),608,640 f. Ossenbühl, DöV 1972,25,27.
§ 1 Problemstellung
14
2. "Positive" und "negative" Vertrauenshaftung
An erster Stelle ist jedoch auf die ,,zweispurigkeit" 5 des Begriffes"Vertrauenshaftung" hinzuweisen. Vertrauenshaftung kann zum einen den Anspruch auf "Vertrauensentsprechung" zum Inhalt haben: also darauf, daß diejenige Lage besteht oder eintritt, auf deren Bestand oder Eintritt man eben vertraut hat. Zum anderen kann es um den Anspruch auf Ersatz des "Vertrauensschadens" gehen: darum, daß dem enttäuschten Vertrauenden der Schaden ersetzt wird, der aus dieser Enttäuschung resultiert. Der erste Fall soll im folgenden als positive, der zweite als negative Vertrauenshaftung 6 bezeichnet werden. Zur positiven Vertrauenshaftung zählen insbesondere die Fälle der Rechtsscheinhaftung. Gegenstand dieser Untersuchung sollen demgegenüber nur die auf enttäuschtem Vertrauen beruhenden Schadensersatzansprüche sein, mithin also die negative Vertrauenshaftung. Grund für diese Beschränkung ist zum einen die Beobachtung, daß gerade hier die Entwicklung sehr im Fluß ist, ohne daß Konturen oder auch nur Grenzen deutlich würden. Vor allem aber ist die Berufung auf den Vertrauensgedanken als tragendes Argument bei Schadensersatzansprüchen weit weniger leicht einsehbar als bei Ansprüchen auf Vertrauensentsprechung. Denn wenn aus der Enttäuschung von Vertrauen Schadensersatzansprüche abgeleitet werden, dann wird damit mittelbar dem Pflichtigen eine Verhaltenspflicht auferlegt, während bei der positiven Vertrauenshaftung lediglich eine scheinbar bestehende Rechtslage als wirklich bestehend behandelt wird. 7 Zwar wirkt auch letztere verhaltenssteuernd insofern, als der durch Rechtsschein Verpflichtete bemüht sein wird, zur Vermeidung von Nachteilen den Vertrauenstatbestand zu zerstören. Doch obliegt ihm, anders als bei der negativen Vertrauenshaftung, keine Pflicht einem anderen gegenüber. 8 Denn die ihm zugerechnete, scheinbar bestehende Rechtslage, an der er sich festhalten lassen muß, ist ja durchaus eine rechtmäßige. Bei der positiven Vertrauenshaftung könnte man daher eher nur von einer Art Obliegenheit zur Vermeidung eines falschen Anscheins sprechen. Werden hingegen an die Enttäuschung von Vertrauen Schadensersatzpflichten geknüpft, dann ist damit ein Vorwurf an den Verpflichteten verbunden: Er hat sich rechtswidrig verhalten, hat gegen eine Sollensnorm verstoßen. Verhaltenspflichten im eigentlichen Sinne ergeben sich daher nur aus der in dieser Arbeit zu besprechenden negativen Vertrauenshaftung. Der Begriff der Verhaltenspflicht (und ebenso der der Erklärungspflicht) ist allerdings nicht unproblematisch. Ernst Wolf wendet ein, von "Pflicht" könne nur gesprochen werden, wenn ein bestimmter geschuldeter Gegenstand bezeichnet werden könne. 9 Eine Pflicht habe ein Tun oder Unterlassen zum Gegenstand, 5
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Canaris, Vertrauenshaftung, 5. Wiederum in Anschluß an Canaris, Vertrauenshaftung, 5. Dazu noch unten § 3, IV. Dazu noch unten § 3, III. 3. E. Wolf, Schuldrecht AT, 56 f., 513.
I. Einführung in die Thematik
15
das bestimmt sei und genau bezeichnet werden könne. 1O Der Annahme einer "Pflicht", andere nicht zu schädigen, liege die Verwechslung von Schuld und Haftung zugrunde. Die Kritik ist nicht ganz unberechtigt. Bei der "Vertrauenshaftung" geht es in der Tat nicht um Verpflichtungen, die isoliert durchgesetzt werden können, sondern um Einstandspflichten, die an ein zuvor nicht genau definiertes (Fehl-) Verhalten geknüpft werden. So spricht dann etwa Raiser auch von "Verhaltensnormen". 11 Allerdings geht es E. Wolf primär darum, daß Haftungstatbestände häufig vertraglich vereinbarten Pflichten gleichgestellt werden; darauf wird noch zurückzukommen sein. 12 Haftungstatbestände, die an einem bestimmten Verhalten ansetzen, beinhalten zugleich ein Gebot, dieses Verhalten zu vermeiden. Insofern ist es doch berechtigt, von "Pflichten" zu sprechen, zumal dieses, wie der Terminus "Verkehrspflichten" zeigt, allgemein üblich geworden ist. 13
3. Erklärungspflichten außerhalb von Vertrag und culpa in contrahendo Nach einem Vorschlag von Canaris läßt sich die negative Vertrauenshaftung - so man von ihrer Existenz zunächst einmal ausgeht - in die Erklärungshajtung und die Anvertrauenshaftung unterteilen. 14 Letztere meint den Eingriffsschutz, soweit er der culpa in contrahendo unterfallt, also etwa Fälle wie den, in dem jemand beim Betreten eines Kautbauses auf einer Bananenschale ausgleitet und sich durch den Sturz verletzt. 15 Bei der Erklärungshaftung 16 hingegen soll jemand für die Folgen einer von ihm abgegebenen fehlerhaften Erklärung aufkommen. Dieses ist das Feld, auf dem die eingangs skizzierten und nachfolgend beschriebenen neueren Entwicklungen, die sich auf das Vertrauensschutzprinzip berufen, zu verzeichnen sind. Es werden Einstandspflichten begründet, für die keine vertragliche Grundlage gegeben ist, die aber auch die anerkannten Grenzen des Institutes der culpa in contrahendo sprengen. Man könnte, statt von Erklärungspflichten, ebensogut von Informationspflichten oder von Aufklärungs- und Wahrheitspflichten 17 sprechen. Im folgenden wird zumeist der Terminus "Erklärungspflichten" verwendet oder kurz von "Erklärungshaftung" gesprochen. Ob es eine solche, allgemeine Erklärungshaftung oder Demzufolge gibt es nach dieser Ansicht auch keine nicht klagbaren Pflichten. Raiser, JZ 1961, 465, 471. 12 Unten § 8, III. 2. 13 Siehe etwa BGHZ 60, 221, 223 f.; Leser, AcP 183(1983),568,580 f. (auch 582) zieht sogar ausdrücklich Parallelen zwischen dem System der Vertrags- und dem der Verkehrspflichten. 14 Canaris, Vertrauenshaftung, 532 ff., 539 ff. 15 BGH LM Nr. 13 zu § 276 (Fa) BGB; dazu auch noch unten § 13, IV. 16 Vgl. auch Hildebrandt, Erklärungshaftung (1931). 17 Zum Unterschied dazwischen unten § 12, III. 3. c. 10 11
16
§ 1 Problemstellung
gar Vertrauenshaftung als eigenständiges Rechtsinstitut wirklich gibt, gilt es allerdings zu klären.
11. Die Begründung von Schadensersatzpflichten mit Hilfe des Vertrauensschutzgedankens in der Rechtsprechung Die Absicht der folgenden Ausführungen ist es nicht, lückenlos diejenigen Fälle zu dokumentieren, in denen eine Schadensersatzverpflichtung mit dem Argument des Vertrauensschutzes vollständig oder teilweise begründet wurde; auch über die neueren Tendenzen der Rechtsentwicklung in diesem Bereich 18 (unten 2.,3.) wird nur insoweit informiert, als es für die weitere Analyse notwendig ist. Die angeführten Fallgruppen wollen Anschauungsmaterial für die aufgeworfene, prinzipiellere Frage nach den Grundlagen und den Grenzen einer "negativen Vertrauenshaftung" sein. In den nachfolgend dargesteIlen Fällen ging es in erster Linie um fahrlässig verursachte "primäre" Vermögensbeschädigungen, so daß weder mit § 823 I noch mit § 826 BGB ein Ersatzanspruch gewährt werden konnte. Hier stützt sich die Rechtsprechung auf das Vertrauensschutzprinzip in sehr unterschiedlichem Maße. Soweit möglich, hält sie sich an das überkommene Rechtsinstitut der culpa in contrahendo oder bemüht sich, eine unmittelbar vertragliche Bindung zu entdekken. 1. Culpa in contrahendo und der Gedanke des Vertrauensschutzes
Doch wird auch schon die culpa in contrahendo mit dem Vertrauensschutzgedanken in Verbindung gebracht. Das Institut knüpft an die besondere Beziehung an, die zwischen den zukünftigen Vertragsparteien durch den Eintritt in Verhandlungen entsteht. Schon das Reichsgericht sprach von einem "vertragsähnlichen Vertrauensverhältnis".19 Ähnlich argumentiert der Bundesgerichtshof: "Ein Anspruch wegen Verschuldens bei Vertragsschluß ist gerechtfertigt durch das besondere Vertrauen desjenigen, der sich zum Zwecke von Vertragsverhandlungen in den Einflußbereich eines anderen begibt, und in den Verhaltenspflichten, die dem anderen Teil daraus und aus dem Gebot von Treu und Glauben erwachsen. Der Anspruch beruht also auf dem Erfordernis des Vertrauensschutzes. "20 Dieses Verständnis der culpa in contrahendo als Ausprägung eines universalen Grundsatzes des Vertrauensschutzes ermöglicht es dem BGH, das Institut als Ausgangs18 Dazu sehr instruktiv Soergel / Wiedemann, vor § 275, Rn. 183 ff. 19 RGZ 120,249,251.
20 BGHZ 60,221,223 f.; wortgleich BGHZ 71,386,393; ebenso BGH NJW 1960, 720,721; NJW 1970, 1840; NJW 1976,712; NJW 1977,376; NJW 1981, 1035, 1036; BGH LM Nr. 24 zu § 313.
11. Der Vertrauensschutzgedanke in der Rechtsprechung
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punkt für Entwicklungen zu nehmen, die ebenfalls mit dem Vertrauensschutzgedanken begründet werden, die Grenzen der culpa in contrahendo jedoch weit hinter sich lassen. 21 Auch die Literatur hält die culpa in contrahendo, soweit deren Grundlagen überhaupt noch für erklärungs bedürftig erachtet werden, ganz überwiegend für ein Institut des Vertrauens schutzes. 22 Unterschiedliche Aussagen finden sich jedoch dazu, ob bereits ein bestimmtes (objektives) Verhalten, das geeignet ist, Vertrauen zu erwecken, Verhaltenspflichten begründet, so daß das (dann nur noch potentiell vorliegende) Vertrauen nur mehr den "inneren Grund" der culpa in contrahendo darstellt, oder ob statt dessen unmittelbar an das (subjektive) Vertrauen anzuknüpfen ist, so daß die aktuelle, zwischen Vertrauensveranlasser und Vertrauendem entstandene Beziehung als solche der Haftungsgrund ist. Hierauf ist noch genauer einzugehen. 23 2. Die Rechtsprechung zur Auskunftshaftung Auskünfte oder, allgemeiner, Informationen sind das Hauptanwendungsfeld der Vertrauenshaftung und bilden auch den Gegenstand der Fälle, die im Mittelpunkt dieser Untersuchung stehen sollen. Sind Auskünfte falsch, führt dies häufig zu sogenannten primären Vermögensschäden, gegen die das Deliktsrecht bekannt1ich nur in beschränktem Umfange schützt. Gerade hier ist die Rechtsprechung allerdings noch eher zurückhaltend bei der Heranziehung des Vertrauensschutzes. Der Gesetzgeber hielt die Klarstellung in § 676 BGB für nötig, daß die Erteilung von Auskunft, Rat oder Empfehlung außerhalb von Vertrag oder Delikt keine Haftung erzeugt. Die Rechtsprechung ist dann auch stets von dem Bemühen geprägt gewesen, eine Vertragsbeziehung als Haftungsgrundlage festzustellen. Unproblematisch sind dabei die Fälle, in denen die Erteilung von Auskunft vertragliche Pflicht ist, sei es als Hauptleistungspflicht oder als Nebenleistungspflicht; letzteres etwa in den Fällen solcher vertraglicher Bindungen, die ihren Vertragsgegenstand zwar nicht auf Auskunftfragen beziehen, bei denen es das Vertragsobjekt aber mit sich bringen kann, daß Auskünfte gegeben werden müssen, um den Vertragszweck zu erreichen. 24
Dazu sogleich 2. und 3. Ballerstedt, AcP 151 (1950/51),501,506 ff.; Canaris, JZ 1965,475,479; Eichler, Rechtslehre vom Vertrauen, 13; Errnan / Battes, § 276, Rn. 110; Kruse, Culpa in contrahendo, 13; MünchKomm-Kramer, Ein!. v. §§ 241 ff., Rn. 80; Müller, NJW 1969,2169; Heinr. Stoll, Leistungsstörungen, 26; Ulmer, NJW 1983, 1577; Wittmann, DB 1980, 1579, 1580; vorsichtig Schulte, JA 1979, 97; zu abweichenden Ansichten siehe unten § 8, 11. 1. a. 23 Unten § 6, 1. 24 Lammel, AcP 179(1979), 337, 338. 21
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2 Loges
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§ 1 Problemstellung
Aber auch der bloße, einmalige Kontakt zwischen Auskunftgeber und -empfänger genügt nach ständiger Rechtsprechung, um einen Vertrag zustandezubringen. "Eine Haftung aus einem stillschweigend abgeschlossenen Beratungsvertrag ist zu bejahen, wenn die Auskunft für den Empfänger erkennbar von wesentlicher Bedeutung war und dieser sie zur Grundlage wesentlicher Entschlüsse macht ... Das Fehlen sonstiger vertraglicher Bindungen schließt ebenso wie eine etwaige Unentgeltlichkeit das Zustandekommen eines solchen haftungsbegründenden Auskunftvertrages nicht aus; denn dieser kommt gerade durch die Erteilung der Auskunft zustande."25 Der BGH geht jedoch noch wesentlich weiter. Vertragliche Beziehungen in Form des Vertrages mit Schutzwirkung für Dritte - sollen auch zwischen Auskunftgeber und dritten Personen vorliegen, denen die Auskunft vom Empfänger mitgeteilt wurde und die im Vertrauen auf die Richtigkeit einen Vermögensschaden erlitten haben. 26 In diesen Fällen geht es häufig um Kreditauskünfte, die Banken über ihre Kunden erteilen und die an dritte, häufig der Bank unbekannte Personen weitergereicht werden;27 ein anderes Beispiel bildet ein Jahresabschluß, den ein Wirtschaftsprüfer erstellt und testiert hat und der nun den Kreditgebern des Mandanten, für den er erstellt worden war, als Entscheidungsgrundlage dient. 28 Die Gebrauchsanweisung, die ein Hersteller für ein Produkt herausgibt, soll hingegen "ohne das Hinzukommen besonderer Umstände" nicht als Ausdruck des Willens des Herstellers gedeutet werden, mit dem ihm unbekannten Endabnehmer einen Auskunftsvertrag zu schließen. 29 Diese Rechtsprechung ruft in der Literatur heftige Kritik hervor: Die Verträge, die der BGH sieht, seien nichts als Fiktionen. 3o "Der Befragte haftet nicht, wo er will, sondern wo er SOIl."31 Dieser Kritik ist hier im einzelnen nicht nachzugehen. Die Darstellung der Problematik dient nur dazu, einen Anwendungsfall der neueren "Vertrauenshaftung" zu umreißen. Denn es findet sich in der Rechtsprechung des BGH auch eine Entscheidung mit dem Hinweis auf den "anerkannten Grundsatz, daß derjenige, der - insbesondere mit Sachkunde - schuldhaft eine falsche Auskunft erteilt, dem Empfänger auch bei fehlenden sonstigen Vertragsbeziehungen schon nach Vertragsgrundsätzen auf Schadensersatz haftet, wenn sie erkennbar für diesen von erheblicher Bedeutung war und er sie zur Grundlage 25 BGH WM 1969, 36; ständige Rechtsprechung: BGH WM 1955,230; 57, 1432; 64, 117; 74, 272, 685. 26 Siehe aus jüngerer Zeit etwa BGH NJW 1984, 355; BGH WM 1985,450; BGH NJW-RR 1986,484 und 1307; BGH NJW 1987, 1758, vgl. auch Fußnote 32. 27 So im Fall BGH NJW 1979, 1595. 28 BGH NJW 1973,321. 29 BGH NJW 1989, 1029. 30 Ebke, Dritthaftung, 69; K. Huber, FS v. Caemmerer, 359, 368 ff.; Grunewald, AcP 187(1987), 285, 296; Lammei, AcP 179(1979), 337, 340 f.; Lorenz, FS Larenz 1973, 575,584 ff.; Honsell, JuS 1976,621,625 f. 31 Medicus, Bürgerliches Recht, Rn. 371 (Hervorhebung im Original).
11. Der Vertrauensschutzgedanke in der Rechtsprechung
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wesentlicher Entschlüsse oder Maßnahmen gemacht hat." 32 Dies soll sogar dann gelten, wenn die Auskunft nicht dem Vertrauenden, sondern einem Dritten erteilt wird. 33 Die Formulierung kann man so verstehen (Haftung nur "nach Vertragsgrundsätzen"), daß hier jedenfalls kein Vertragsschluß mehr angenommen wurde und auf der anderen Seite das Vertrauen des Empfängers der wesentliche Bestimmungsgrund der Haftung ist. Trotz dieser sich offenbar von der reinen Vertragslösung distanzierenden Formulierung will der BGH damit keine Stellungnahme zugunsten einer eigenständigen Vertrauenshaftung verbunden wissen. In einigen Entscheidungen (die allerdings zur Produzentenhaftung ergingen) ist eine solche "vertragsähnliche Vertrauenshaftung" 34 erwogen worden. Doch könnten, so der BGH, derartige Bindungen allenfalls in besonders gelagerten Ausnahmefällen bejaht werden; andernfalls würde die im geltenden Haftungssystem bewußt gezogene Grenze zwischen vertraglichem und deliktischem Bereich weitgehend aufgehoben. 35 Eine solche Systemänderung müsse der Entscheidung des Gesetzgebers vorbehalten bleiben. 36 Eine abschließende Stellungnahme zu dieser Frage hat das Gericht jedoch bisher stets vermieden. 37 Insgesamt dürfte die Rechtsprechung bei den reinen Auskunftsfällen, also den Erklärungen, die aufgrund ihrer Unrichtigkeit beim Empfänger lediglich einen Vermögensschaden verursachen, am ehesten zu einer Vertrauenshaftung neigen. Als Anzeichen für ein Vertrauensverhältnis, auf das die Ansprüche des Auskunftempfängers dann gestützt werden können, gilt in erster Linie eine laufende Geschäftsverbindung. 38 Aufschlußreich ist aber auch der Fall, bei dem der BGH einem Dienstzeugnis, welches dem ausscheidenden Arbeitnehmer ausgehändigt worden war, "vertrauensheischenden Bescheinigungscharakter" beimißt und darin eine ,,rechtsgeschäftliche Komponente" erblickt, welche die Haftung des Ausstellers gegenüber einem auf die Richtigkeit des Zeugnisses vertrauenden, dritten Arbeitgeber rechtfertigt39 - allerdings nur im Rahmen einer "Mindestgewähr". Hier ist der Schritt zur reinen Vertrauenshaftung getan.
32 BGH MDR 1976,748 unter Hinweis auf BGH WM 1965,287. 33 BGH MDR 1976, 748. 34
BGH NJW 1989, 1029, 1030.
35 BGH NJW 1974, 1503, 1504. 36 BGH NJW 1974, 1503, 1505; ebenso BGH NJW 1989, 1029, 1030. 37 BGHZ 40, 91, 108; BGHZ 51, 91, 101 (eine der grundlegenden Entscheidungen
zur Produzentenhaftung); BGH NJW 1983, 812, 813f.; BGH NJW 1989, 1029, 1030. 38 So schon RGZ 27, 118, 121 und 126, 50, 52; ebenso BGHZ 13, 198,200; 21, 102, 107; 49, 167, 168 f. 39 BGHZ 74,281, 289f.; dazu zust. Canaris, FS Larenz 1983,27,95 f.; krit. v. Bar, JZ 1979,728 ff.; Loewenheim, JZ 1980,469 ff. 2*
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§ 1 Problemstellung
3. Die Erweiterung des verantwortlichen Personenkreises Im zweiten großen Problemkreis der Vertrauenshaftung liegt die Besonderheit darin, daß die Haftung solcher Personen zu begründen versucht wird, die nicht selbst Vertragspartner werden, aber in ähnlicher Stellung wirtschaftlich am Geschehen beteiligt sind. 4O Ging es bei der Weitergabe von Auskünften an Dritte darum, den Kreis der Geschützten zu erweitern, werden hier weitere Schädiger ausgemacht, um zum Ausgleich primärer Vermögens schäden zu gelangen. Schon eingangs wurde erwähnt, daß die Rechtsprechung zum Instrument der Vertrauenshaftung nur greift, wenn sich keine bewährten Haftungsfiguren mehr finden lassen. Führte dies bei den Auskunftsfällen zur Gefahr von Vertragsfiktionen, wird hier möglichst versucht, die Entscheidungen an das Institut der culpa in contrahendo anzulehnen.
a) Der "Sachwalter" Ausgangspunkt ist die Figur des sogenannten Sachwalters, die schon lange in Gestalt der Verantwortlichkeit des rechtsgeschäftlichen Vertreters für Pflichtverletzungen bei den Vertragsverhandlungen existiert. 41 Insbesondere die Agenturverträge im Gebrauchtwagenhandel hatten diese Entwicklung initiiert 42 und praktisch auf dem Wege über die culpa in contrahendo zu einer Gewährleistungshaftung 43 des zwischengeschalteten, nur als Vertreter erscheinenden Händlers geführt. Das Institut hat diese Grenzen jedoch längst gesprengt und wird auch auf Personen angewandt, die nicht Vertreter sind, aber einen "besonderen Vertrauenstatbestand selbst oder in ... zurechenbarer Weise überhaupt geschaffen" und "das Verhalten des anderen Verhandlungspartners maßgeblich beeinflußt" haben. 44 Sie haften nicht nur für Pflichtverletzungen im vorvertraglichen Stadium, sondern auch für solche bei der Durchführung des Vertrages,45 was die Lösung vom Institut der culpa in contrahendo zusätzlich verdeutlicht.
b) Prospekthaftung Die letzte hier vorzustellende Fallgruppe baut auf der Sachwalterhaftung auf, stellt dann aber den sowohl dogmatisch 46 als auch von den gefundenen ErgebnisÜbersicht über die Rechtsprechung bei Schulze, JuS 1983,81 ff. 41 Dazu grundlegend Ballerstedt, AcP 151 (1950),501. 42 BGHZ 63,382, 384; 79, 281, 286; 87,27, 33. 43 Hopt, AcP 183(1983), 608, 627. 44 BGHZ 56, 81, 85. 45 BGHZ 70, 337, 343 ff. 46 Übersicht über die Kritik der Literatur an der Begründung des BGH bei P1eyer / Hege1, ZIP 1986, 681 ff; siehe zur zur Prospekthaftung ergangenen Literatur auch Soergel / Wiedemann, Vor § 275, vor Rn. 183. 40
11. Der Vertrauensschutzgedanke in der Rechtsprechung
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sen her gesehen spektakulärsten Schritt dar: die im Laufe der siebziger Jahre vom BGH entwickelte sogenannte bürgerlich-rechtliche (im Gegensatz zur im Börsengesetz 47 verankerten börsenrechtlichen) Prospekthaftung. Sie dient dem Schutz der Anleger vor allem in den sogenannten Publikumskommanditgesellschaften. Ansprüche gegen die Gesellschaft selbst sind nach dem Scheitern des Projektes in der Regel wertlos, nicht unbedingt jedoch solche gegen dessen Initiatoren oder "Hintermänner". Vertragliche oder deliktische Ansprüche gegen diese sind allerdings durchweg nicht gegeben. Dennoch haften sie nach der Rechtsprechung dem Anleger für Schäden, die durch unwahre oder unvollständige Angaben im Zeichnungsprospekt entstanden sind, wenn sie für ihre Person Vertrauen in Anspruch genommen und dadurch die Vertragsverhandlungen beeinflußt haben. 48 Denn die Anleger schenken nach Ansicht des BGH ihr Vertrauen typischerweise nicht nur den eigentlichen Vertretern; sondern auch und gerade denjenigen, die als Initiatoren oder Gründer hinter der Gesellschaft stehen. 49 Diese "Typisierung" des Vertrauens geht so weit, daß die Haftenden nicht nur gar nicht in Erscheinung getreten sein müssen, sondern es auch nicht mehr erforderlich ist, daß der "Vertrauende" überhaupt um ihre Existenz weiß. 50 Den Initiatoren erwächst eine Art "GarantensteIlung" , 51 die kraft Amtes oder Berufes entsteht oder auf einer besonderen Fachkunde oder einer allgemein anerkannten und hervorgehobenen beruflichen Stellung beruht. Trotz dieser Entwicklung betont der BGH ausdrücklich, daß es bei der Anknüpfung an das Institut der culpa in contrahendo bleibt 52 und nicht, wie in der Literatur vorgeschlagen, 53 ein eigenes Rechtsinstitut der "Vertrauenshaftung" entwickelt werden soll. Als Resümee läßt sich festhalten, daß die Rechtsprechung, wenn auch meist noch unter Berufung auf das Institut der culpa in contrahendo, die Schadensersatzansprüche aus enttäuschtem Vertrauen in den letzten Jahren erheblich ausgeweitet hat. Gemein ist den Fällen, daß nicht mehr notwendig ein (vorvertragliches) Verhandlungsstadium, sondern lediglich noch eine gewisse Sonderverbindung zwischen Gläubiger und Schuldner vorliegen muß. Als zusammenfassende Bezeichnung erscheint daher der Begriff der "Haftung aus außervertraglichen Sonderverbindungen",54 verkürzt der der "Sonderhaftung" 55 als zweckmäßig. Da 47 §§ 45, 46 BörsO; vgl. auch die Strafvorschrift des § 88 BörsO. 48 BOHZ 71, 284, 287. 49 BOHZ 71, 284, 287; 72, 382, 384. 50 BOHZ 72, 382, 387; 79, 337, 341; BOH WM 1984, 889, 889 f. Weitere Fälle: BOHZ 70,356; 77, 172; BOH NJW 1981, 1449. 51 So ausdrücklich BOHZ 77, 172, Leitsatz und 176; BOH JZ 1981,447,448. 52 BOHZ 79, 337, 341. 53 Etwa von Canaris, Bankvertragsrecht, Rn. 2292; vgl. zu dieser Frage im einzelnen unten III. 4. 54 Nach Soergel/Wiedemann, Vor § 275, Rn. 183 ff. 55 Nach Picker, AcP 183(1983), 369, 387.
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§ 1 Problemstellung
diese Arbeit jedoch nicht in erster Linie eine Analyse dieser neueren Tendenzen leisten, sondern die Tauglichkeit des Vertrauensschutzargumentes in diesem Zusammenhang untersuchen will, wird im folgenden vorerst weiter auch von (negativer) "Vertrauenshaftung" gesprochen. Ob dieser Begriff letztlich wirklich zutreffend ist, soll sich im Verlaufe der Untersuchung zeigen.
111. Das Institut der Vertrauenshaftung in der Literatur Die Literatur geht auf dem Gebiet der Vertrauenshaftung vielfach noch sehr viel weiter. Zunächst ist ein Blick auf einige Fallgruppen zu werfen, deren Lösung mit Hilfe der Vertrauenshaftung vorgeschlagen wurde und wird.
1. Auskunftshaftung
Angesichts der oben beschriebenen, unbefriedigenden Rechtsprechung zur Haftung für erteilte Auskünfte fehlt es nicht an Versuchen, eine solche in Gestalt der Vertrauenshaftung anzunehmen. 56 Haftungsgrund wäre danach die Enttäuschung des Vertrauens auf die Richtigkeit der AuskunftY In dieser Gestalt wäre eine "Informations-Vertrauenshaftung" die Oberkategorie für andere Fallgruppen, in denen das Vertrauen auf die Richtigkeit von Auskünften und sonstigen Informationen geschützt wird. Diesem Ansatz entspricht es, wenn ein Teil der Lehre hieraus eine allgemeine Berufshaftung entwickeln will, die das Vertrauen in die Berufsrolle von Fachleuten zum Anknüpfungspunkt nimmt. Hierauf wird noch ausführlich einzugehen sein. 58
2. Produzentenhaftung
In der Frage der Produzenten- (oder Produkt-)haftung wird der deliktsrechtliche Weg heute wohl nahezu einhellig anerkannt. In unserem Zusammenhang verdienen dennoch die insbesondere in den sechziger Jahren vorgenommenen Versuche Erwähnung, über den Vertrauensgrundsatz zu einer quasivertraglichen Lösung zu gelangen. Ausgehend davon, daß der Kunde auf die Ware in der Form, in der sie vom Hersteller kommt, angewiesen ist, wurde angeführt, daß im mehrstufigen Warenverkehr generell der Produzent das Vertrauen des Konsumenten in Anspruch nehme. 59 56 Canaris, Vertrauenshaftung, 532 ff.; ders., PS Larenz 1983,27,93 ff.; Lorenz, PS Larenz 1973,575,618 ff.; Hohloch, NJW 1979,2369,2371 f.; Borgmann / Haug, Anwaltspflichten, 145; Lammei, NJW 1973,700; ders., in: Gitter u. a., 263, 295 f. 57 Hierzu werden die verschiedensten Lösungen vertreten; siehe näher § 5. 58 Unten § 11. 59 Diederichsen, Warenhersteller, 297 ff.(299, 302); ders., NJW 1969, 269 f.
III. Das Institut der Vertrauenshaftung in der Literatur
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Dieser zunächst von Lorenz 60 angeregte Ansatz fand eine Reihe von Anhängern, wobei aber umstritten blieb, ob wirklich eine verschuldensunabhängige Haftung gewollt 61 und, vor allem, ob § 122 BGB zur Analogie geeignete Grundlage sei. 62 Als Haftungsgrund galt jedoch stets das Vertrauen des Konsumenten in die Ungefährlichkeit der Ware. 63 Der BGH hat sich mehrfach damit befaßt, die Entscheidung jedoch stets offengelassen. 64 3. Haftung für Werbeaussagen
Ausgehend von einer "ökonomischen Analyse des Rechts" 65 vertritt Lehmann 66 die Auffassung, daß ,Jeder ernsthaften kommunikativen Werbebotschaft eine entsprechende Verantwortung an die Seite gestellt werden" müsse. Doch fand diese Ansicht, wonach in einer Werbebotschaft an ein breites Publikum die Inanspruchnahme von Vertrauen des Konsumenten liegt, bisher keine Zustimmung. 67 4. Die Vertrauenshaftung als eigenständiges Rechtsinstitut
Die Rechtsprechung lehnt sich bei ihrer Lösung der Fälle "außervertraglicher Sonderbeziehungen" dort, wo sie nicht Verträge fingiert, ausdrücklich an die culpa in contrahendo an 68 und findet dafür teilweise auch Zustimmung in der Literatur. 69 Doch wird diese Vorgehensweise, die nunmehr wiederum das Institut der culpa in contrahendo über alle bisher gekannten Grenzen hinaus ausweitet, vielfach als methodisch wie dogmatisch unbefriedigend empfunden. Statt dessen soll das eigenständige Rechtsinstitut einer "allgemeinen Vertrauenshaftung" überall dort Platz greifen, wo durch Versprechen einer Leistung oder Kundgabe einer Äußerung persönliches Vertrauen veranlaßt wurde. 70 Karlsruher Forum 1963, 8. Dagegen trotz Anknüpfung an die Vertrauenshaftung Teichmann, BB 1966, 173, 174 ff.; Canaris, JZ 1968,494,501. 62 So neben Lorenz, Karlsruher Forum 1963,8, 15 auch Markert, BB 1964,319,322 und E. Rehbinder, BB 1965,439,440 ff.; zur analogen Anwendung des § 122 BGB vgl. noch ausführlich unten § 3, 11. 1. 63 Für eine aus dem Vertrauensschutzgedanken begründete Produzentenhaftung in jüngster Zeit noch Canaris, FS Larenz 1983,27, 100 f. 64 Zusammenfassend BGH NJW 1989, 1029, 1030 sowie oben Fn. 34-38. 65 Dazu näher unten § 10, I. 2. 66 Vertragsanbahnung, 347 ff.; NJW 1981, 1233, 1239 f. 67 Dagegen etwa Sto11, NJW 1982, 152, 153; Schulze, JuS 1983, 81, 87. 68 Oben 3. b). 69 Lorenz, FS Larenz 1973,575,618. 70 So die Formulierung bei Hohloch, NJW 1979,2369,2374. 60 61
§ I Problemstellung
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Im einzelnen gibt es Unterschiede. Teilweise wird die Rechtsprechung des BGH zusammenfassend betrachtet und im Sinne einer allgemeinen Vertrauenshaftung interpretiert, ohne daß ein solches Institut deswegen begrüßt würde. 71 Andere wollen die Institute der Positiven Vertragsverletzung und der culpa in contrahendo zu einem einheitlichen, auf dem Vertrauensgedanken basierenden Schutzverhältnis zusammenfassen 72 - was die eingangs beschriebenen Fälle außervertraglicher Sonderverbindungen noch nicht alle mit erfaßte. Hans Stoll befürwortet eine Vertrauenshaftung nur bei "einseitigen Leistungsversprechen" , 73 und Canaris unterteilt seine Vertrauenshaftung, soweit es um daraus resultierende Schadensersatzpflichten geht, in die Sub-Institute der "Erklärungs-" und der "Anvertrauenshaftung".74 In der Regel geht in der Literatur mit der Bejahung des Vertrauensgedankens als Haftungsgrundlage generell auch die Befürwortung eines eigenständigen Rechtsinstitutes der Vertrauenshaftung einher. 75 Allerdings gibt es auch Gegenstimmen. 76 Doch geht es denen meist zugleich um die Tauglichkeit der "vertrauenstheoretischen Pflichtbegründungskonzeption"77 überhaupt und weniger um die dogmatische Klassifizierung. Allerdings ist zu beachten, daß aus einem allgemeinen "Rechtsinstitut der Vertrauenshaftung" eher eine Ausdehnung dieser Haftung folgen dürfte. Ob es ein solches Rechtsinstitut nun aber gibt, hängt in erster Linie davon ab, ob man den Vertrauensgedanken für tauglich hält, Haftpflichten zu begründen. Wenn man an dieser Stelle einmal - mit der Rechtsprechung und vielen Stimmen in der Literatur - davon ausgeht, daß er dazu tauglich ist, wird man konsequenterweise auch nicht leugnen können, daß ein eigenständiges Rechtsinstitut "allgemeine Vertrauenshaftung" neben dem der culpa in contrahendo zumindest im Entstehen begriffen ist. Zwar sind weder die dogmatischen Grundlagen noch die tatbestandlichen Grenzen der culpa in contrahendo völlig gesichert. Ursprünglich sollte es nur um "Schadensersatz bei nichtigen Verträgen"78 gehen; heute ist anerkannt, daß unabhängig vom nachfolgenden oder aber ausbleibenden Vertragsschluß das Rechtsverhältnis der Vertragsverhandlungen Bezugsrahmen der Ansprüche aus Verschulden bei Vertragsschluß ist. 79 Wenn aber neuerdings mehr und mehr 71 Nirk, FS Hauß, 267, 280, 285. 72 Canaris, JZ 1965,475,479 und VersR 1965, 114, 117; Müller, NJW 1969,2169,
2173.
73 FS Flurne, 741, 750 ff. 74 Canaris, Vertrauenshaftung, 532 ff., 539 ff. 75 So insbesondere Canaris, etwa FS Larenz 1983, 106; Erman / Hauß, § 676, Rn. 4; Hohloch, NJW 1979, 2369, 2372 ff.; Soergel / Wiedemann, Vor § 275, Rn. 235; mit Einschränkungen Stoll, FS Flurne, 741, 753. 76 Flurne, Rechtsgeschäft, 132 f.: ,,Es gibt kein 'eigenständiges Rechtsinstitut' der Vertrauenshaftung"; zweifelnd auch Ebke, Dritthaftung, 72; Schwark, JZ 1980,741,746. 77 Ausdruck von Frotz, GS Gschnitzer, 163, 168. 78 v. Jhering, Jher. Jb. 4, 1.
IV. Der Gegenstand dieser Untersuchung
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Personen aufgrund eines Vertrauenstatbestandes zur Haftung herangezogen werden, die bei den Vertragsverhandlungen gar nicht mitwirken, teilweise mit irgendeinem in Aussicht genommenen Vertrag überhaupt nur noch indirekt zu tun haben, dann ist auch ein so elastisches Rechtsinstitut wie das der culpa in contrahendo überfordert. Nicht nur aus Gründen der Begriffsklarheit sollte davon Abstand genommen werden, die soeben beschriebenen Entwicklungen an die culpa in contrahendo anzulehnen. Auch der Rechtsfmdung vermag eine weitere Differenzierung zu dienen. Auch dem Bundesgerichtshof, der auf die Anknüpfung an die culpa in contrahendo Wert legt, geht es nur um die "Weiterführung des Grundgedankens einer Vertrauenshaftung, wie sie für GrundfaIle eines Verschuldens bei Vertragsverhandlungen entwickelt worden ist, in einem vom Gesetzgeber nicht gesehenen, regelungsbedürftigen Bereich", 80 also offenbar darum, innerhalb der Voraussetzungen einer Analogie zur culpa in contrahendo zu bleiben. Das schließt aber nicht aus, dogmatisch die neueren Fallgruppen als eigenständiges Rechtsinstitut zu fassen.
IV. Der Gegenstand dieser Untersuchung 1. Die Reichweite der Fragestellung
Vertrauen spielt im Recht eine mannigfaltige Rolle. Doch ist diese Tatsache zum einen schon vielfältig untersucht worden; 81 zum anderen ist sie auch völlig evident und daher wenig interessant. Deswegen bilden den Gegenstand dieser Untersuchung auch all jene Fälle nicht, in denen das Vertrauen zwar als ,,rechtsbildender Faktor" 82 mitwirkt, aber nicht die "tragende Rolle", spielt, besser zunächst: spielen soll. Gefragt wird hier statt dessen, ob das Vertrauen den Haftungsgrund abzugeben in der Lage ist. Damit entfällt als unmittelbar für unsere Fragestellung relevant zunächst einmal der weite Bereich dessen, was als gesicherter Bestand des Rechtsinstituts der culpa in contrahendo gelten kann. Zwar sind deren Grundlagen 83 und Grenzen 84 in weiten Bereichen noch - angesichts der Tatsache, daß sich ihre Entwicklung bis ins Jahr 1861 zurückverfolgen läßt - erstaunlich unklar. 85 Dennoch braucht, 79 Gegen jede Anlehnung an den Vertrag allerdings Flurne, Rechtsgeschäft, 129, 132 f. Dazu ausführlich unten § 6. 80 BGHZ 79,337,341. 81 Als Beispiel sei genannt die Arbeit von v. Craushaar, Der Einfluß des Vertrauens auf die Privatrechtsbildung. 82 Ausdruck bei Müller-Erzbach, Rechtswissenschaft im Umbau, 64 f. 83 Dazu etwa Bohrer, Dispositionsgarant, 145 ff. 84 Dazu etwa Medicus, JuS 1965, 209 ff. 85 Lieb, AcP 183(1983),327,333 spricht von der c.i.c. als einem "vagabundierenden Irrwisch".
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§ 1 Problemstellung
wer in Wissenschaft oder Praxis einen Fall mit Hilfe der culpa in contrahendo löst, nicht auf das Vertrauensschutzprinzip (und auch nicht mehr auf andere Stützen) zu rekurrieren, sei die culpa in contrahendo nun Gewohnheitsrecht oder nicht. Sieht man allerdings in diesem Institut nicht mehr als eine Ausprägung des Vertrauensschutzgrundsatzes, läßt sich nicht vermeiden, daß hier auch an vermeintlich längst Gesichertem gerüttelt wird. Der hier fallige Hinweis auf die Rechtsqualität von Gewohnheitsrecht wäre zwar in der Lage, den Rechtsanwender jeglicher Begründungsarbeit zu entheben, vermag der Rechtswissenschaft jedoch kein "Denkverbot" 86 aufzuerlegen. Was zu untersuchen bleibt, sind die von der Rechtsprechung als Fortentwicklungen der culpa in contrahendo begriffenen, oben vorgestellten Haftungsfiguren. 2. Grundlage und Ausgestaltung der Vertrauenshaftung
Bei der Diskussion um die Vertrauenshaftung sind verschiedene Ebenen auseinanderzuhalten. Am konkretesten, und wohl daher am meisten diskutiert ist das Problem der Ausgestaltung der Haftung. Dabei geht es zunächst darum, ob nach Vertragsgrundsätzen oder deliktisch gehaftet wird; im einzelnen zu klären sind darüber hinaus Fragen der Verjährung, der Anknüpfung im internationalen Privatrecht und der Beweislast. 87 Dieser Komplex wird hier erst am Ende 88 angesprochen und versucht, aus den vorher gelegten Grundlagen zu lösen. Dieses Vorgehen bietet sich schon deswegen an, weil in der Rechtsprechung ungeachtet der dogmatisch-konstruktiven Unterschiede zwischen vertraglichen, quasi-vertraglichen und deliktischen Ansprüchen einige Haftungskriterien immer wieder auftauchen. 89 Für diese "Grundlagen" bieten sich verschiedene Begriffe an: Man kann von der "Rechtfertigung",90 der "Wertungsgrundlage",91 dem "materialen Geltungsgrund" , 92 der "sachlichen Motivation rechtlicher Entscheidungspraxis" , 93 dem Schutzziel oder einfach nur von der Begründung sprechen. Bei der Suche hiernach ist zu beachten, daß es sich bei der Vertrauenshaftung um Rechtsfortbildung handelt; die Widersprüche zum ursprünglichen Plan des Bürgerlichen Gesetzbuches sind relativ leicht aufzuzeigen. 94 Durch diese Rechts86 Köndgen, Selbstbindung, 98. 87 Auf die Probleme, die sich gerade hier aus dem Spannungsverhältnis von Vertrags-
und Deliktsrechtsordnung für die Vertrauenshaftung ergeben, macht Ebke, Dritthaftung, 71, aufmerksam. 88 Unten Vierter Teil, § 13. 89 Aring u. a., JuS 1973, 39, 44; Joerges, in: AK-BGB, § 676, Rn. 11; siehe auch unten § 11 zur "Berufshaftung" . 90 Staud. / J. Schmidt, § 242, Rn. 1222. 91 Hopt, AcP 183(1983),634. 92 Picker, AcP 183(1983), 398 und passim. 93 Kübler, Praktische Aufgaben, 21. 94 Unten §§ 3, 4.
IV. Der Gegenstand dieser Untersuchung
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fortbildung werden (eine banale Feststellung, die dennoch im Zivilrecht gerne vernachlässigt wird) nicht nur Ansprüche geschaffen, sondern dem jeweiligen Gegenüber Lasten, konkret solche finanzieller Art, aufgebürdet. 95 Aus dieser Belastung resultiert eine Einschränkung der allgemeinen Handlungs- und Wirtschaftsfreiheit des Verpflichteten. 96 Umso wichtiger ist es, die Rechsfortbildung rational zu begründen. 97 Eine rationale Begründung ist nur eine solche, die Gründe begrifflich klar anzugeben vermag 98 - was nichts mit "schlechter Begriffsjurisprudenz" zu tun hat. Auch zu dieser begrifflichen Klarheit gehört, daß, sollte es sich bei einem Merkmal um den eigentlich tragenden Haftungsgrund handeln, das Merkmal in der Lage ist, die haftungsrelevanten Fälle von denen zu scheiden, in denen es bei der Anwendung der allgemeinen Deliktstatbestände bleiben soll. Denn der Haftungsgrund kann nur ein solches Merkmal sein, das nur, aber auch immer da auftritt, wo es die entsprechenden Folgen zeitigen soll. 99 Daß dies so sein muß, ist evident offenbar nur für Merkmale, die den Tatbestand beschreiben sollen. Tatbestandsmerkmale haben ja gerade die Funktion, die Fälle, in denen die in der Rechtsnorm angeordnete Folge eintreten soll, von den übrigen zu scheiden. Nichts anderes kann aber für den "Haftungsgrund" im Sinne des Merkmals gelten, das die Funktion der Rechtsnorm erklären soll. Die Erklärung kann nur dort Gültigkeit beanspruchen, wo sie spezifisch auf die zu erklärenden Fälle zutrifft. Diese Anforderung an die Erklärung der außervertraglichen Sonderhaftung wird sehr häufig nicht beachtet. Hier liegt offenbar ein Kernproblem bei der Suche nach dem materialen Grund der Vertrauenshaftung. Es leuchtet ja auch ohne weiteres ein, daß es leichter ist, lediglich nach der "ratio", dem "inneren Grund", zu suchen und damit nur eine erläuternde Beschreibung abzugeben, entbehrt dieser Weg doch der Schwierigkeit, einen wirklich für alle Fälle gemeinsamen Haftungsgrund zu finden. Hinzu kommt, daß unklar ist, ob der Vertrauensschutzgedanke nun Tatbestandsmerkmal oder nur Haftungsgrund bei der Vertrauenshaftung sein soll. 100 Ersterenfalls ist es selbstverständlich, daß eine Vertrauensenttäuschung zumindest immer dann vorliegen muß, wenn die Haftungsfolgen eingreifen. Wie zu zeigen sein wird, ist dies nach Ansicht vieler Stimmen zur Vertrauenshaftung aber keineswegs der Fall. 101 Nichts anderes gilt aber, wenn man den Haftungstatbestand objektiv fassen will, aber dennoch den VertrauensDarauf weist E. Schmidt, JA 1978, 597, 602 hin. Canaris, FS Larenz 1983,27,35 f.; ausführlich unten § 12, I. 97 Esser, Vorverständnis, 114; Kübler, Praktische Aufgaben, 55; dazu noch einmal in anderem Zusammenhang unten § 9, I. 2. b). 98 E. Wolf, Schuldrecht I, Vorwort S. VI. 99 So sehr treffend Picker, AcP 183(1983),369,414; näher unten § 5, 11. 1. 100 Unten § 6, I. 101 Unten § 6, III. 95
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§ 1 Problemstellung
schutzgedanken als "inneren Grund" bemüht. Und sucht man (dazu im dritten Teil) nach anderen, hinter dem Vertrauensschutz liegenden Werten, ist dieser Punkt gleichfalls zu beachten.
3. Wertungsgrundlagen und tatbestandliehe Konturierung
Die "Vertrauenshaftung" befindet sich auf dem Vormarsch. Auf aufkeimende Bedenken gegen diese Tendenzen ist bereits einleitend hingewiesen worden. Der "Vertrauenshaftung", und insbesondere der hier zu behandelnden negativen, fehlt es an tatbestandlicher Konturierung, um nicht zu sagen: an einem Tatbestand überhaupt. Dementsprechend setzt die Kritik der Lehre auch meist gleich konkret bei den einzelnen Fallgruppen an und versucht, diese aus der Vertrauenshaftung bzw. der culpa in contrahendo auszugliedern oder wenigstens enger zu fassen. 102 Überhaupt gibt es inzwischen einige Werke über Vertrauenshaftung - insbesondere über die positive. 103 Doch gehen sie überwiegend induktiv, also anhand der Einzeltatbestände, vor, ohne die diesen (vielfach nicht dem Gesetz entspringenden) Tatbeständen zugrunde gelegten Wertungen in ausreichendem Maße aufzuzeigen,I04 oder sie bemühen sich, Lösungen aus dem Vertrauen als solchem zu gewinnen, 105 was zu allgemein ist, um praktische Ergebnisse finden zu helfen. Und gerade hinter der sich von Fall zu Fall entwickelnden Rechtsprechung fehlen oft konsequent durchgeführte Grundgedanken. 106 "Das Kernproblem der materialen Begründung einer Haftung zwischen Vertrag und Delikt ist nicht gelöst." 107 Demgegenüber soll hier gefragt werden, ob die Grundlage der Argumentation, der Vertrauensschutz, überhaupt tragfahig ist. Das Defizit an tatbestandlicher Präzision kann durch diese Arbeit natürlich auch nicht beseitigt werden. Sie geht nur davon aus, daß eine Antwort auf die Frage nach dem Wieweit nicht gefunden werden kann, ohne daß vorher die Frage nach dem Ob bzw. die nach dem Warum wenigstens gestellt wurde. 108 Bei der" Vertrauenshaftung" ist insofern allerdings eine Besonderheit zu beachten. Eine Unterscheidung zwischen dem Tatbestand im Sinne einer Anspruchsgrundlage und den dahinterstehenden Wertungen ist nämlich dann schwer vorzunehmen, wenn es sich um richterliche Rechtsfortbildung handelt. Sie entbehrt 102 Hopt, AcP 183(1983),608,630. 103 Hier ist an erster Stelle natürlich Canaris, Die Vertrauenshaftung im Deutschen Privatrecht, zu nennen. 104 So Canaris (vorstehende Fußnote). 105 So v. Craushaar, Der Einfluß des Vertrauens auf die Privatrechtsbildung, 1 ff. 106 Allgemein Diederichsen, AcP 182(1982), 101, 110. 107 Picker, AcP 183(1983),369,429. 108 Ausdrücklich zwischen "telos", ,,ratio legis" der Haftung einerseits und der Formulierung von Tatbestandsmerkmalen andererseits unterscheidet etwa J. Schmidt, GS Schultz, 341, 367.
IV. Der Gegenstand dieser Untersuchung
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in der Regel einer präzise fonnulierbaren Anspruchsnonn, wird vielmehr meist direkt aus den Wertungsprinzipien abgeleitet. Begründung, Wertung, Legitimation auf der einen und der Tatbestand auf der anderen Seite lassen sich daher nicht so trennen wie bei geschriebenen Nonnen (bei denen man ja unter Umständen sogar Friktionen zwischen Schutzziel und tatbestandlicher Ausgestaltung feststellen kann). Der Tatbestand der neu geschaffenen Rechtssätze ist unmittelbar der Begründung für diese Rechtsfortbildung zu entnehmen. In diesem Sinne will diese Arbeit versuchen, bei der unablässigen tatbestandlichen Konturierung der auswuchernden "Vertrauenshaftung" zu helfen, indem sie zur notwendigen Vorarbeit beiträgt. 109 Für das nachfolgende Vorgehen gibt es noch eine zweite Begründung. Immer wieder wird die Vertrauenshaftung unter Hinweis auf ein angeblich bestehendes Bedüifnis gerechtfertigt. 110 Da erscheint es als notwendig, diese Behauptung zu überprüfen, zumindest jedoch die ihr zugrunde liegenden Wertungen aufzuzeigen. Daß als eine solche Wertung der stereotype Hinweis auf das Zauberwort "Vertrauen" nicht ausreicht, wird in den nachfolgenden Abschnitten gezeigt werden. Dem folgt die Suche nach anderen Begründungen für die oben skizzierte Entwicklung.
§ 2 Verhaltenspflichten und das System subjektiver Rechte Die einleitend dargestellte Entwicklung bringt die Aufstellung neuer Verhaltenspflichten mit sich. Diese treten dabei nicht unmittelbar zutage. Vielmehr geht es in den zitierten Entscheidungen konkret immer nur um die Pflicht des Schädigers, Schadensersatz zu leisten. Dies muß er aber nicht deshalb tun. weil er ein Recht des Geschädigten verletzt hat. Er hat - zumindest in vielen der angesprochenen Fälle 1 - auch keinen Vertrag verletzt. Der Schädiger hat, so der vielbenutzte Tenninus. in Anspruch genommenes Vertrauen enttäuscht und sich damit anders verhalten, als er es nach Ansicht des Bundesgerichtshofes von Rechts wegen tun durfte. Gegenstand dieser Arbeit ist die Suche nach einer Begründung für diese neuen Verhaltenspflichten. Zuvor ist jedoch zu überlegen. wie sich der Interessenschutz durch Verhaltenspflichten in das Rechtssystem des Bürgerlichen Gesetzbuches 109 Ebenso begründet Staud. / J. Schmidt. § 242. Rn. 1223 ff. seine Suche nach einer Rechtfertigung der außervertraglichen Sonderhaftung. 110 BGHZ 71, 284. 290 f.; Stoll. FS Aume. 741. 753; Hohloch. NJW 1979. 2369. 2371; schon die Entwicklung der c.i.c. war von diesem Motiv geprägt (Erman / Battes. § 276. Rn. 110 und unten § 13, V.). 1 Auszunehmen sind dabei natürlich die Auskunftsfalle. soweit man mit der Rechtsprechung den konkludenten Abschluß eines Auskunftsvertrages annehmen will (oben § 1. rr. 2.). Manchmal kann man auch von ausdrücklich oder konkludent vereinbarten vertraglichen Neben(leistungs)pflichten ausgehen (dazu unten § 8. III. 2.); dann beruhte die Schadensersatzpflicht auf einer schlichten ("positiven") Vertragsverletzung. Insoweit gelten die nachfolgenden Ausführungen im Text nicht.
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§ 2 Verhaltenspflichten und das System subjektiver Rechte
einfügt. Dem liegt nach überkommener, auch noch heute gängiger Ansicht als zentrale Rechtsfigur das subjektive Recht zugrunde. Wenn "Vertrauen" auch das entscheidende Kriterium für die Begründung neuer Verhaltenspflichten sein sollte, dann schafft der psychische Vorgang des Vertrauenfassens aber ganz offensichtlich alleine noch kein subjektives Recht, wäre doch anderenfalls die "Vertrauenshaftung" ein Fall des § 823 I BGB. Die Untersuchung derartiger Strukturfragen läßt nun erste Schlüsse auf die Richtung zu, in welche die skizzierte neuere Rechtsentwicklung treibt.
I. Zum Begriff des subjektiven Rechts Die Diskussion um die Struktur des subjektiven Rechts geht bis weit ins 19. Jahrhundert zurück. Sie soll hier nicht im einzelnen nachgezeichnet werden. Zu erinnern ist nur an die beiden Grundströmungen in der Zeit vor der Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuches: Für Savigny war Rechtsmacht Willensmacht, das subjektive Recht ein "dem individuellen Willen angewiesenes Gebiet, in welchem er unabhängig von jedem fremden Willen zu herrschen hat." 2 Das Wollen war danach der Grundbegriff, auf den das Recht zurückgeführt wurde. 3 Dem folgte die "Interessentheorie" Jherings , der bemängelte, daß nach der Lehre Savignys willenlose Personen keine Rechte haben könnten und der daher definierte, Rechte seien ,,rechtlich geschützte Interessen". 4 Später setzte sich eine Kombination beider Gesichtspunkte durch: "Das subjektive Recht ist begrifflich eine Rechtsmacht, die dem einzelnen durch die Rechtsordnung verliehen ist, seinem Zwecke nach ein Mittel zur Befriedigung menschlicher Interessen."5 Hier wird die unterschiedliche Bedeutung der Fragen nach Struktur 6 und Funktion des subjektiven Rechts deutlich. Die erwähnten Definitionen sind heute in erster Linie nur noch rechtshistorisch relevant, da sie aus verschiedenen Blickwinkeln jeweils nur ein Moment am subjektiven Recht herausheben, dem keine Unterscheidungskraft zukommt. 7 Sucht man dagegen nach der Funktion des subjektiven Rechts im heutigen Privatrechtssystem, stellt sich die Frage, ob hinter jedem Anspruch ein subjektives Recht steht (ist der Anspruch erst entstanden, stellt er natürlich selbst ein subjektives Recht dar). Dies ließe sich damit begründen, daß auch bei jeder Schutzgesetz2
v. Savigny, System I, § 52 (S.333); ähnlich Windscheid, Pandektenrecht I, § 37
(S. 92 f.).
Schuppe, Subjektives Recht, 48. v. Jhering, Geist des röm. Rechts Bd. 3, § 60 (S. 339), ebenso § 61, (S. 351). 5 Enneccerus / Nipperdey, AT I, 428 f. 6 Dazu Bucher, Subjektives Recht; J. Schmidt, Aktionsberechtigung; zusammenfassend Larenz, FS Sontis, 129, 130 ff., 138 ff. 7 Raiser, JZ 1961,465,467; kritisch gegenüber der Überfrachtung des Begriffs des subjektiven Rechts auch Kasper, Subjektives Recht, 178. 3
4
I. Zum Begriff des subjektiven Rechts
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verletzung oder bei jedem sittenwidrigen Eingriff etwa bereits beim erstmaligen ernstlichen Drohen des Eingriffs und bei entsprechendem Rechtsschutzinteresse die Unterlassungsklage zugelassen wird. Dem entspräche dann ein "Recht", zu verlangen, daß der Eingriff unterbleibt. 8 Gleiches wie für Schutzgesetze würde für die von der Rechtsprechung geschaffenen Verhaltenspflichten gelten, so daß man hier von "subjektiven Rechten auf Unterlassung" sprechen könnte. 9 Wäre dies richtig, würde also etwa bereits jedes in Betracht kommende Schutzgesetz ein subjektives Recht gewähren, wäre die Unterteilung des § 823 BGB in zwei Absätze überflüssig. 10 Rechtspflichten bestehen nicht nur in Entsprechung des subjektiven Rechtes eines anderen. II Sie können auch bloße Reflexwirkungen darstellen 12 und lediglich Interessen des anderen schützen. Die Entwicklung der Abwehrklage für alle deliktsrechtlich geschützten Positionen nötigt insofern nicht zu einer "unnötigen Hypertrophie der subjektiven Rechte." 13 Auf der anderen Seite läßt auch eine bloße Verhaltenspflicht nach ihrer Verletzung sehr wohl einen Anspruch und damit ein subjektives Recht entstehen. Hilfreich ist daher die von Raiser vorgeschlagene Unterscheidung der subjektiven Rechte in primäre und sekundäre. Die primären Rechte sind die eigentlichen 14, die Rechtsordnung strukturierenden Rechte, die sekundären demgegenüber bloß instrumentale Rechte, nämlich die Ansprüche und Gestaltungsrechte, welche dem Schutz und der Verwirklichung jener primären Rechte dienen. 15 Diesen gemeinsam ist nach Raiser nun, daß sie eine "herrschaftliche Beziehung einer Person zu einem außerhalb ihrer gegebenen, werthaften Objekt, einem sogenannten Rechtsgut, zum Ausdruck bringen, das dieser Person von der Rechtsordnung zugewiesen und in einem, vieler rechtlichen Abstufungen fähigen Sinne zum Haben und Nutzen in ihre Verfügungsgewalt gegeben ist." 16 Diese begriffliche Klärung ist sehr sinnvoll, da sie hilft, das Phänomen von Ansprüchen, die ,,nur" Interessen schützen, zu erhellen. Im folgenden wird unter dem "subjektiven Recht" in erster Linie das primäre Recht im Sinne Raisers verstanden. Ein primäres subjektives Recht ohne irgendeinen in die Hand des Berechtigten gegebenen Schutz durch sekundäre Rechte, also durch Schutzansprüche, gibt es nun offenbar nicht. Wie zuvor gesehen, gibt es demgegenüber Enneccerus / Nipperdey, AT I, 432. Enneccerus / Nipperdey, aaO.; von anderen Prämissen ausgehend sieht Schapp, Subjektives Recht, 120 ff., 130 ff. ebenfalls das Privatrecht allein als System geschützter subjektiver Rechte. 10 Diederichsen, AT, Rn. 80. 11 Larenz, AT, 192; v. Tuhr, AT I, 150; Coing, Geschichte des Privatrechtssystems, 53. 12 Diederichsen, AT, Rn. 81. 13 v. Caemmerer, FS DJT 1960 11, 49, 55. 14 Mincke, Akzessorietät, 90. 15 Raiser, JZ 1961,465,466. 16 aaO.,467 (Hervorhebungen im Original). 8
9
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§ 2 Verhaltenspflichten und das System subjektiver Rechte
aber sehr wohl Anspruche und Gestaltungsrechte, die nicht der Verwirklichung eines absoluten, primären Rechts dienen. Dazu gehören auch solche Schadensersatzanspruche, die aus der Verletzung richterlicher Verhaltenspflichten, wie sie im Gefolge der negativen "Vertrauenshaftung" entstanden sind, resultieren.
11. Die beiden Wege zum Schutz von Vermögensinteressen 1. Die rechtstechnischen Möglichkeiten
Aus dem soeben Ausgeführten folgt bereits, daß dem Rechtssystem zwei Möglichkeiten zur Wahl stehen, Interessen rechtlich zu schützen. Die Interessen können zum einen als (primäre) subjektive Rechte ausgestaltet werden, woran sich (sekundäre) Schutzrechte dergestalt klammern, daß jede Verletzung des primären Rechts sanktioniert wird. Diesen Weg ist das Bürgerliche Gesetzbuch in § 823 I gegangen. Dort wird die Rechtswidrigkeit der schädigenden Handlung durch die Rechtsgutsverletzung "indiziert". Zum zweiten kann man Interessen auch schützen, ohne sie zu subjektiven Rechten zu erheben. Dann fehlt mit dem subjektiven Recht aber auch das Instrument, um die schädigenden Handlungen auszuwählen, deren Vornahme mit einer Schadensersatzpflicht belegt werden soll. Statt über die Beschreibung des geschützten Objektes, des Rechtsgutes, erfolgt diese Auswahl nunmehr über die Erfassung der schädigenden Handlung: Es sind Verhaltenspflichten aufzustellen, deren Mißachtung mit der Verpflichtung zum Schadensersatz beantwortet wird. Dieses ist die Methode des Bürgerlichen Gesetzbuches in den §§ 823 11 und 826, aber auch die der Rechtsprechung zur Vertrauenshaftung. 2. Rechtsschutz und Institutionenschutz
Vereinzelt finden sich in der Literatur Stimmen, die die beiden dargestellten Haftungstypen lediglich als unterschiedliche technische Mittel begreifen, um die Rechtskreise der Individuen zu konkretisieren. Während § 823 11 BGB auf Verhaltensnormen verweise, nehme der Absatz I Bezug auf solche Rechtssätze, die dem einzelnen Güter und Befugnisse ausschließlich zuweisen. Der Unterschied sei nur ein formaler. 17 In der Tat besteht die einheitliche Aufgabe des Deliktsrechts in der selektiven Ermittlung von subjektiv durchsetzbaren Ge- und Verbotsnormen. 18 Auch aus § 823 I BGB ergeben sich Verhaltenspflichten insofern, als er die Pflicht statuiert, jeden unmittelbaren 19 Eingriff in das Rechtsgut zu unterlas17 Fraenkel, Tatbestand und Zurechnung, 42; Kötz, Deliktsrecht, Rn. 173; Picker, AcP 178(1978),499,502. 18 K. Schmidt, Kartellverfahrensrecht, 353 f.
11. Die beiden Wege zum Schutz von Vennögensinteressen
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sen, der nicht durch einen besonderen Rechtfertigungsgrund gedeckt ist. 20 Beide Absätze des § 823 BGB erfüllen diese Aufgabe auf jeweils ihre Weise. Die Ansiedlung eines zu schützenden Rechts oder Interesses bei einem dieser Absätze ist eine Wertungs- oder Systemfrage, die davon abhängt, wie gefestigt der zu schützende Rechtskreis ist. 21 Diese Einsicht darf jedoch nicht den Blick auf die Tatsache verstellen, daß es einen grundlegenden Unterschied mit sich bringt, ob man jedem einzelnen Freiräume zuweist oder aber ihm in Form eines Netzes von Verhaltensnormen 22 Bindungen gegenüber dem jeweils anderen auferlegt. So wird dann auch in der Literatur vielfach auf die freiheitssichernde Funktion der Gewährung subjektiver Rechte hingewiesen. 23 Die Normen, welche subjektive Rechte begründen, grenzen Schutzbereiche für den einzelnen aus, in denen ihm - im Sinne Savignys - Raum für die Ausübung eigener Willensherrschaft gegeben wird, in denen - im Sinne Jherings - seine Interessen geschützt werden. Pawlowski sieht im subjektiven Recht obendrein keine Gewährung, sondern, anders als beim "objektiven Recht", einen von vornherein "staatsfreien Raum", da der einzelne Rechtsgenosse bei der Ausübung seiner Rechte nicht etwa die Vorstellungen des Gesetzgebers zu berücksichtigen habe. 24 In dieses Bild paßt, daß im Bürgerlichen Gesetzbuch, das ja vielfach als zumindest in seinem Urzustand "bürgerlich-liberalistisch" verschrieen wird, der Rechtsschutz (mit § 823 I) im Vordergrund steht und nach ganz herrschender Meinung 25 Verhaltenspflichten in erster Linie anderen Gesetzen oder außerjuristischen Wertungen wie den "guten Sitten" stammen können (und dann über die §§ 823 11 und 826 BGB inkorporiert werden). Diese wertungsmäßige Indifferenz des subjektiven Rechts wird jedoch auch kritisiert. Das System der Abgrenzung durch subjektive Rechte beruhe auf der Prämisse der Gleichheit freier Individuen; in praxi jedoch könne das Recht des Mächtigen nicht von dem des Machtlosen in seiner Ausübung begrenzt werden. 26 Das subjektive Recht sei das "ungerechte Recht, das Recht, das in sich selbst keinen Ausgleich hat",27 es fördere die Tätigkeit der ohnehin schon Mächtigen 28 19 Dazu unten § 13, 11. 2. 20 Henckel, AcP 174(1974),97, 136. 21 K. Schmidt, Kartellverfahrensrecht, 353.
Ausdruck bei Leser, AcP 183(1983), 568, 581. Kasper, Subjektives Recht, 176 f.; Pawlowski, AT, Rn. 35, 107,285; J. Schmidt, Aktionsberechtigung, 17; Bucher, Nonnsetzungsbefugnis, 70; Coing, Geschichte des Privatrechtssystems, 47; ders., Systemgedanke, 38; Raiser, JZ 1961,465,467; zur Einschränkung der durch das subjektive Recht gewährten Freiheit im Nationalsozialismus Thoss, Subjektives Recht, 142 und passim. 24 Pawlowski, AT, Rn. 34 f. 25 Zur Frage, ob die durch die "Vertrauenshaftung" entstandenen Verhaltenspflichten als Schutzgesetze im Sinne von § 823 11 BGB zu verstehen sind, siehe unten § 13. 26 Biedenkopf, FS Böhm, 113, 117 f. 27 Luhmann, Jb. f. Rechtssoziologie 1(1970),321,324. 28 Biedenkopf, FS Böhm, 113, 116 ff. 22 23
3 Loges
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§ 2 Verhaltenspflichten und das System subjektiver Rechte
und leiste individualistischer Isolierung der Rechtsgenossen Vorschub. 29 Staat und Gesellschaft hätten sich jedoch gewandelt, wofür etwa das Sozialstaatsprinzip30 des Grundgesetzes ebenso Ursache wie Ausdruck ist. Mit fortschreitender Technisierung und zunehmender sozialer Komplexität seien die Privatrechte durch ihre soziale Funktion relativiert worden 31 und generell ein neues Modell zwischenmenschlicher Beziehungen entstanden. 32 Das ist zumindest in der Tendenz nicht zu bestreiten. Der Mensch ist heute weniger "autark" als früher. 33 Das Privatrecht hat daher nicht nur Handlungsspielräume zu sichern, sondern auch Beziehungsformen auszugestalten. 34 Für den "Wiedereinbau der Pflichten in das Recht" 35 steht nun das Haftungsmodell des Interessenschutzes durch Verhaltenspflichten bereit. Mit ihnen wird dem Individuum eine Bindung gegenüber seinem Nächsten auferlegt. Coing spricht in diesem Zusammenhang von "Kooperation". 36 Raiser hat das in einem vielbeachteten Aufsatz in einen größeren Zusammenhang gestellt. Die Ausübung subjektiver Rechte müsse sich den objektiven, mit der Ordnung des Rechtsinstituts gesetzten Zwecken einordnen. 37 Diese Zwecke, die er institutionell anerkannte Interessen oder Institutionen nennt, seien ebenso schutzwürdig wie die Rechte des einzelnen. "Institutionenschutz" trete neben ,,Rechtsschutz". 38 § 823 11 BGB etwa diene beidem, nicht nur dem ersteren. Dieser Instutionenschutz wird durch die rechtliche Sanktionierung der Verletzung von Verhaltenserwartungen geleistet. Der Rechtsträger muß dabei zwar dadurch mitwirken, daß er den Anspruch zu erheben hat. Dieser wird ihm aber nicht um seiner Person willen, sondern als Mittel zum Zweck des Institutsschutzes gewährt. 39
3. Folgerungen für die vertrauenstheoretische Pflichtbegründung
Für die dieser Arbeit zugrunde liegende Frage nach der Begründung für die unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes von der Rechtssprechung in zunehmendem Maße neu geschaffenen Pflichten lassen sich aus den vorangegangenen Überlegungen keine unmittelbar verwertbaren Erkenntnisse ableiten. Es 29 Raiser, JZ 1961,465,472. 30 Dazu ausführlich unten § 9, I. 31 Wieacker, Privatrechtsgeschichte, 539. 32 Wieacker, Industriegesellschaft, 44; Coing, Systemgedanke, 39 f. 33 Rehbinder, FS E. E. Hirsch, 141, 155. 34 Raiser, in: summum ius ... , 145, 147. 35 Luhmann, Ib. f. Rechtssoziologie 1(1970),321,330. 36 Coing, Geschichte des Privatrechtssystems, 53; ders., FS Dölle I, 25, 34. 37 Raiser, in: summum ius ... , 145, 152. 38 Vgl. den Titel der Arbeit aaO., "Rechtsschutz und Institutionenschutz". Den Begriff des Institutsschutzes nimmt auch Biedenkopf, FS Böhm, 113, 115, 133 f. auf. 39 aaO., 159.
H. Die heiden Wege zum Schutz von Vennögensinteressen
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läßt sich nicht sagen, ob Interessenschutz durch Installation von Verhaltenspflichten nun "besser" oder "schlechter" ist als ein solcher, der nur die durch die subjektiven Rechte gewährten Freiräume bewahren will. Hier gibt es keine eindeutigen Lösungen, wie dann ja auch die Mehrzahl der Autoren, die sich zu diesem grundsätzlichen Thema geäußert haben, ein Nebeneinander beider Wege befürworten. 40 Man kann aber anband des soeben Dargestellten ersehen, in welche Richtung eine Ausdehnung von Verhaltenspflichten die Rechtsentwicklung treibt. Zum einen bedeutet die rechtliche Sanktionierung von Verhaltenserwartungen den Abbau individueller Freiheit zugunsten von Kooperation, Bindung, Kollektivierung (oder welchen Begriff auch immer man hier wählen will). Wird Vertrauen geschützt, wird also derjenige, der Vertrauen veranlaßt hat, verpflichtet, sich den Erwartungen seines Gegenübers entsprechend zu verhalten, wird seine eigene Handlungsfreiheit eingeschränkt. Auf der anderen Seite wird das Vermögen 41 des Vertrauenden in einem Maße geschützt, welches dem ,,klassischen" Deliktsrecht des BGB unbekannt ist. Zur freien Entfaltung der Persönlichkeit und insbesondere zum Wettbewerb in einer Marktwirtschaft gehört nun aber auch, daß der eine Bürger Vermögensinteressen des anderen beeinträchtigen darf - und zwar häufig sogar vorsätzlich. Vorher stehen sich Handlungsfreiheit und Vermögensinteressen auf seiten des Schädigers und Handlungsfreiheit und Vermögensinteressen auf seiten des Geschädigten prinzipiell gleichrangig gegenüber. 42 Andererseits ist ebenso klar, daß völlig uneingeschränkte Freiheit nicht erträglich sein kann und auch das Vermögen gegen gewisse Arten der Beeinträchtigung Schutz verdient. Die Abwägung zwischen den Polen "Handlungsfreiheit" einerseits und "Vermögensschutz durch Erwartungsschutz" andererseits kann nicht an dieser Stelle und nicht abstrakt vorgenommen werden. Dazu bedarf es vielmehr der Ausformulierung einzelner Wertungsgesichtspunkte. Das Spannungsverhältnis muß einem jedoch bewußt sein, will man dem Phänomen des rechtlich sanktionierten Vertrauensschutzes gerecht werden. Hier findet sich ein neuer Aspekt dafür, warum die Begründung des Vertrauensschutzes eine solch zentrale Bedeutung einnimmt: Wenn mit diesem eine Einschränkung von Freiheit verbunden ist und allein schon aus Art. 2 I des Grundgesetzes 43 von einer Vermutung für die Freiheit ausgegangen werden darf, bedarf jede solche Einschränkung der Legitimierung. Gleichfalls zurückzukommen sein wird auf den Gedanken Raisers, die Verhaltenspflichten auf ein übergeordnetes Interesse, eine "Institution", auszurichten. 40 Etwa v. Tuhr, AT 1,54 f.; Diederichsen, AT, Rn. 81; Raiser, in: summum ius ... , 147, 158; ders., JZ 1961, 465, 472; Coing, Geschichte des Privatrechtssystems, 53. 41 Die (negative) "Vertrauenshaftung" greift in erster Linie dort ein, wo es um die fahrlässige Herbeiführung "primärer" Vennögensschäden geht, so daß weder § 823 I noch § 826 BGB weiterhelfen. 42 Canaris, FS Larenz 1983,27,37; Schwitanski, Deliktsrecht, 94. 43 Dies sei unter dem Vorbehalt der Drittwirkungsproblematik gesagt.
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§ 2 Verhaltenspflichten und das System subjektiver Rechte
In der Tat werden einige Ansätze im Laufe der folgenden Abschnitte diskutiert werden, die genau diesem Konzept entsprechen. Denn der Schutz einer anerkannten Institution kann gerade ein solcher Grund sein, der die Einschränkung der Handlungsfreiheit des Vertrauensveranlassers legitimiert. Als erstes ist zu untersuchen, ob wirklich das Prinzip des Vertrauensschutzes für sich allein, wie vielfach behauptet, diese Funktion übernehmen kann.
Zweiter Teil
Die "Vertrauens haftung" Daß sich die Vertrauenshaftung in der im ersten Abschnitt vorgestellten Form unmittelbar aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch ableiten oder auch nur auf eine Analogie stützen ließe, wird nirgends behauptet. Andererseits lehnen sich viele, die den Vertrauensschutz als selbständigen Haftungsgrund ansehen, an "zahlreiche gesetzliche und gewohnheitsrechtlich entwickelte Normen" 1 an. Deshalb erscheint es angängig, die Grundstrukturen der Vertrauenshaftung denen des im Bürgerlichen Gesetzbuch niedergelegten Vertrauensschutzes gegenüberzustellen. Das geschieht in den beiden folgenden Abschnitten.
§ 3 Der Gegenstand des Vertrauens I. Begriff des Vertrauens Vertrauen ist eine Gefühlslage, ein realer psychologischer Tatbestand. Von der bloßen Vorstellung und Erwartung unterscheidet es sich durch "inneres SichEinstellen und häufig äußeres Sich-Einrichten."2 Vertrauen beinhaltet einen höheren Grad der Erwartung als Hoffnung, hingegen einen geringeren als Zuversicht. 3 Als Gegenstand des Vertrauens wird hier der bestimmte Zustand oder das bestimmte Geschehen bezeichnet, worauf es gerichtet ist. Durch die Richtung erhält der psychologische Tatbestand "Vertrauen" seinen Inhalt. 4 Dieser Inhalt kann sehr unterschiedlich weit konkretisiert sein; das Vertrauen auf den Bestand einer Vollmacht etwa ist ein ganz anderes als die ebenfalls "Vertrauen" genannte dauernde und gleichmäßige Gefühlslage, die dem Partner eines "Vertrauensgeschäftes"5 entgegengebracht wird. Vertrauen tritt ferner in unterschiedlicher Intensität oder Störempfindlichkeit 6 zutage und kann als berechtigt oder unberechtigt empfunden werden; auf letzteres ist noch im einzelnen einzugehen. Vertrauen steht zum Wissen in einem Verhältnis der Komplementarität. Wo das Wissen 1 Willoweit, JuS 1984,909,915. 2 v. Craushaar, Der Einfluß des Vertrauens, 11. 3 Eichler, Rechtslehre vom Vertrauen, 3. 4 v. Craushaar, Einfluß des Vertrauens, 13. 5 Dazu Rumpf, AcP 119(1921), I, 21. 6 v. Craushaar, aaO., 11.
§ 3 Der Gegenstand des Vertrauens
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abnimmt, kann das Vertrauen wachsen und an dessen Stelle treten;? es muß dieses dann tun, wenn der Unwissende in der Lage bleiben will, der Komplexität des sozialen Systems gerecht zu werden. 8 Ein solches "Vertrauen-müssen" dürfte aber kein echtes Vertrauen sein, schließt es doch ein dahinterstehendes Mißtrauen nicht aus. Richtiger würde man an dieser Stelle von einem "Sich-verlassenmüssen" sprechen. 9 Diese, hier nur ganz kurz angerissene Funktion des Vertrauens dient als eine der Hauptstützen für die materiale Begründung des Vertrauensschutzes.
11. Der Gegenstand des Vertrauens in den Fällen der "Vertrauenshaftung" "Vertrauen" bleibt ohne seinen Gegenstand ein nichtssagender Begriff. Will man es mit den Mitteln des Rechts schützen, liegt es nahe, zunächst zu klären, welchen Inhalt es hat, worauf also vertraut wird. Gerade auf diese zentrale Frage läßt sich nicht für alle Fallgruppen, die unter "Vertrauenshaftung" finnieren, eine einheitliche Antwort geben. Doch läßt sich eine einheitliche Antwort für die von der culpa in contrahendo abgelösten Fälle, die den Mittelpunkt dieser Untersuchung bilden, finden.
1. Vertrauen in Erklärungen
In den Fällen der Erklärungshaftung 10 geht es um das Vertrauen des Geschädigten darauf, daß eine Infonnation, eine Mitteilung, eine Auskunft richtig ist. So ist die Lage auch in den drei Fallgruppen, die als Beispiele für die neuere, die Grenzen der culpa in contrahendo sprengende Rechtsentwicklung an den Anfang dieser Arbeit gestellt worden waren. 11 Offensichtlich ist dieses bei der Auskunftshaftung und auch bei der Prospekthaftung, die ja keine Garantiehaftung für die wirtschaftlichen Risiken der Kapitalanlagegesellschaft, sondern eine Haftung nur für Wahrheit (und allerdings auch Vollständigkeit) des Zeichnungsprospektes konstituiert. Auch bei der Sachwalterhaftung geht es um Infonnationspflichten, ohne daß die Rechtsprechung allerdings ausdrücklich eine solche Beschränkung vorgenom? v. Craushaar, aaO., 12; Müller-Erzbach, AcP 154 (1955), 309; Luhmann, Vertrauen, 33 (allerdings differenzierend S. 17). 8 Luhmann, Vertrauen, 7 und passim. 9 Zum Problem des "Vertrauenszwanges" noch ausführlicher unten § 5, II. 2. und 3. b).
10 Diese umfaßt nach dem Verständnis Canaris' (Vertrauenshaftung, 532 ff.) auch den größten Teil der culpa in contrahendo. II
Oben § 1, 11.
11. Der Gegenstand des Vertrauens bei der "Vertrauenshaftung"
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men hätte. Nicht mehr nur auf Wahrheit oder Richtigkeit gerichtet war allerdings das Vertrauen desjenigen, der vom Bundesgerichtshof Schadensersatz dafür zugesprochen bekam,12 daß der "Sachwalter" es nach dem Vertrags schluß unterließ, ihm wesentliche Informationen über die voraussichtliche Undurchführbarkeit des Vertrages zu erteilen. Hier muß man, will man beim vertrauenstheoretischen Ansatz bleiben, umfassender von einem Vertrauen darauf sprechen, daß die Gegenseite mithilft, zumindest die elementarsten eigenen Interessen zu wahren. Es liegt nahe, an ein Vertrauen auf die Redlichkeit des Geschäftspartners, die hier von der Rechtsprechung gefordert wird, zu denken. 2. Der Gegenstand des Vertrauens bei der culpa in contrahendo
Zur Verdeutlichung seien auch noch die Fallgruppen der culpa in contrahendo mit untersucht. Das Bild wird noch wesentlich unschärfer, wenn auch sie - mit der herrschenden Meinung 13 - als Ausprägung der Vertrauenshaftung verstanden werden soll. Worauf der Geschützte hier vertraut (oder zumindest vertrauen darf I4 ), ist für die unterschiedlichen Fallgruppen jeweils gesondert zu ermitteln. a) Aufklärungspflichten Bei Vertragsverhandlungen trifft grundsätzlich jeden Beteiligten die Pflicht, den Gegner über sämtliche Umstände aufzuklären, die für dessen Vertragsentschluß erkennbar von Bedeutung sind, wie besondere Eigenschaften des Vertragsgegenstandes oder Umstände, die der Gültigkeit des Vertrages entgegenstehen. 15 Insoweit kann auf die Ausführungen zum "Sachwalter" verwiesen werden. Doch wird angesichts der Formel: "Umstände, die für den Entschluß des Gegners erkennbar von Bedeutung sind" in besonderer Weise die Problematik des Verständnisses der culpa in contrahendo als Vertrauenshaftung 16 deutlich. Worauf der Geschädigte vertrauen darf, läßt sich präziser als mit dem Begriff der Redlichkeit des anderen nicht fassen, da ja auch dessen Pflichten trotz der mittlerweile Jahrzehnte umfassenden Entwicklung der culpa in contrahendo nicht genauer konkretisiert werden können. Die vorvertraglichen Pflichten sollen auf der anderen Seite ja auch nicht so weit gehen, daß die Parteien einander das Risiko des Vertrages abnehmen. I? Das Vertrauen auf einen bestimmten Tatbestand (wie 12 BGHZ 70, 337, 343. 13 Siehe oben § 1, 11. 1. 14
Zu diesem Unterschied siehe unten § 5, 11.
15 Siehe nur RGZ 95, 58, 60 und MünchKomm-Emmerich, Vor § 275, Rn. 43 f. 16 Ausdrücklich die Aufklärungspflichten auf Vertrauensgesichtspunkte stützen
BGHZ 60, 221, 223; 71, 386, 393; BGH NJW 1977, 1446; NJW 1981, 1035, 1036; OLG Düsseldorf, NJW 1977, 1064, 1065. I? Bydlinski, JBl. 1980,393,396; MünchKomm-Emmerich, Vor § 275, Rn. 43.
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§ 3 Der Gegenstand des Vertrauens
etwa die Richtigkeit einer Auskunft, die Vollständigkeit einer Produktinfonnation) geht nahtlos über in das Vertrauen in die Person des Vertragspartners; statt, wie der Begriff "Vertrauensschutz" nahelegt, eine konkrete Erwartung zu schützen oder zumindest zu ennöglichen, wird das Verhältnis zwischen den Parteien nonniert. Wenn man dafür noch den Begriff des Vertrauens verwenden will, dann nur noch im Sinne eines Vertrauensverhältnisses. 18
b) Abbruch von Vertragsverhandlungen An sich steht es jedennann frei, bis zum Vertragsschluß vom Geschäft letztlich doch noch Abstand zu nehmen. Hat er jedoch durch sein Verhalten im anderen Teil das "berechtigte Vertrauen" 19 erweckt, daß es mit Sicherheit zum Abschluß eines 20 Vertrages kommen werde, so hat er nach der Rechtsprechung für aufgrund dessen nutzlos gewordene Dispositionen des anderen einzustehen. 21 Der solcherart Vertrauen Erweckende geht eine Bindung ein, die zwar schwächer ist als der Vertrag selbst, die es aber doch rechtfertigen soll, ihn wegen culpa in contrahendo haften zu lassen, wenn er dann doch ohne triftigen Grund Abstand nimmt. 22 Bei dieser Fallgruppe bereitet, so problematisch sie sonst auch sein mag, die Bestimmung des Vertrauensgegenstandes weniger Schwierigkeiten. Das Vertrauen ist gerichtet auf die Bereitschaft und Fähigkeit des Vertragspartners, den in Aussicht genommenen Vertrag auch tatsächlich zu schließen, also auf eine in der Tenninologie der Lehren zum Betrugstatbestand - innere Tatsache. Auch hier wird zur Begründung in der Rechtsprechung jedoch auf die Figur des Vertrauensverhältnisses zurückgegriffen. 23 c) SchutzpJlichten
Die fast allgemein empfundenen Schwächen des deutschen Deliktsrechts, insbesondere im Bereich der Gehilfenhaftung, 24 haben die Praxis schon früh 25 dazu 18 So auch BGH NJW 1970,1840 mit dem zusätzlichen Hinweis, daß dieses Vertrauensverhältnis die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die "berechtigten Belange" des anderen erzeuge. Konkret ging es dann aber wieder um das Vertrauen darauf, daß der Vetrag zustandekommen werde. Siehe zum Vertrauensverhältnis nachfolgend § 4. 19 Staud. / Löwisch, Vorbem. §§ 275 - 283, Rn. 54. 20 Welches? Wenn die Parteien das schon genau wüßten und den Vertragsschluß auch schon fest beabsichtigten, würden sie den Vertrag bereits geschlossen haben. Es geht also um das Vertrauen darauf, daß ein Vertrag geschlossen wird, bezüglich dessen noch Punkte offen sind. Ob dieses Vertrauen schutzwürdig sein kann, ist sehr zweifelhaft. - Auf eine ausführlichere Auseinandersetzung mit der Fallgruppe ,,Abbruch von Vertragsverhandlungen" muß hier verzichtet werden. 21 BGH NJW 1967,2199; NJW 1970, 1840; NJW 1975, 1774; BAG NJW 1963,1843. 22 Staud./Löwisch, Vorbem. §§ 275-283, Rn. 54. 23 Siehe oben Fußnote 18. 24 dazu unten § 13, V. 25 RGZ 78, 239 (Linoleurnrolle).
11. Der Gegenstand des Vertrauens bei der .. Vertrauenshaftung"
41
veraniaßt, parallel zu den deliktischen Verkehrssicherungspflichten auch vertragsähnliche, auf das Institut der culpa in contrahendo gestützte Pflichten zu entwikkeIn. Jeder Geschäftsteilnehmer ist seinen Verhandlungspartnern bei schuldhafter Obhutsverletzung zum Ersatz von Körper-, Eigentums- und Vermögensschäden verantwortlich. 26 Aufgrund solch enger Verwandschaft zum Deliktsrecht kommen bei den Schutzpflichten dieser Art noch eher als bei den anderen Fallgruppen des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen Zweifel auf, ob wirklich von einer Vertrauenshaftung gesprochen werden kann. 27 Dennoch gehen die Rechtsprechung 28 und ein großer Teil der Literatur 29 davon aus, daß auch der Integritätsschutz im Rechtsverhältnis der Vertragsverhandlungen auf dem Vertrauensgedanken beruht. Das Vertrauen wäre danach darauf gerichtet, daß vom Vertragspartner keine Rechtsgutsverletzung ausgeht: Man könnte von "Vertrauen auf das Unterbleiben einer Integritätsverletzung" sprechen. 30 Der Gedanke an den Schutz einer Vertrauensbeziehung liegt hier umso näher, als das Verhältnis zwischen zwei im rechtsgeschäftlichen Raum kommunizierenden Subjekten als Schutzgut fungiert. In diese Richtung zielt es, wenn Canaris für die Fälle der Integritätsverletzungen sein Institut der Vertrauenshaftung zur "Anvertrauenshaftung" konkretisiert,3l für die aber der Vertrauensgedanke tragend bleiben soll. 3. Zusammenschau
Nach allem ist das Vertrauen, das die (negative) Vertrauenshaftung tragen soll, auf sehr unterschiedliche Umstände gerichtet. Eine wichtige Rolle, vor allem in den Fällen außerhalb der culpa in contrahendo, spielt das Vertrauen in die Richtigkeit von Informationen, gleichfalls das in deren Vollständigkeit. Hier läßt sich, ebenso wie beim Vertrauen darauf, daß der Partner seine Absicht, den Vertrag zu schließen, nicht aufgibt, von einem bestimmten Inhalt der psychischen Befindlichkeit"Vertrauen" sprechen. Hier ist dann auch Raum für die Sammelbezeichung ,,Erklärungshaftung" . 26
Soergel/Wiedemann, Vor § 275, Rn. 8; MünchKomm-Emmerich, Vor § 275, Rn.
27
Teubner, in: AK-BGB, § 242, Anm. 56; Zweifel auch bei Canaris, FS Larenz 1983,
39.
107.
BGH NJW 1976,712; NJW 1977,376. Frost, Schutzpflichten, 87; Erman I Battes, § 276, Rn. 110; Kruse, Culpa in contrahendo, 13; Müller, NJW 1969, 2169, 2173; Sticht, Haftung des Vertretenen, 35 ff.; Heinrich StolI, Leistungsstörungen, 26. 30 So auch sinngemäß Sticht, Haftung des Vertretenen, 35 f. 3l Canaris, FS Larenz, 107; dagegen Frost, Schutzpflichten, 87; der Aspekt des Anvertrauens erscheint auch andernorts häufig im Zuge der Begründung der Schutzbedürftigkeit des Opfers, welches seine Rechtsgüter der Einwirkungsmöglichkeit des anderen geöffnet habe (vg!. etwa MünchKomm-Kramer, Ein!. vor §§ 241 ff., Rn. 80). Dazu im einzelnen unten § 8, I. 2. a. 28 29
42
§ 3 Der Gegenstand des Vertrauens
Geht es aber nicht mehr nur um die Vollständigkeit einer konkreten Information (etwa eines Zeichnungsprospektes), sondern darum, daß alle wichtigen Umstände aufgedeckt werden, die dem Erfolg des Vertrages im Wege stehen könnten, verliert das Vertrauen seinen Bezug zu einem konkreten Tatbestand und bekommt statt dessen, so es überhaupt noch als Vertrauen existent bleibt, den Charakter von Vertrauen, welches dem Verhandlungspartner, genauer: seiner Redlichkeit, gilt. Ebenso verhält es sich mit dem Vertrauen darauf, daß der andere eigene Rechtsgüter nicht verletze. Ein "Vertrauen" darauf, daß die Linoleumrolle nicht umfallt, ist keine besonders lebensnahe Annahme; eher mag man sprechen von Vertrauen, daß "schon alles in Ordnung geht". An diesem Befund vermag es auch nichts zu ändern, wenn die Rechtsprechung gelegentlich im einzelnen prüft, "worauf das Vertrauen konkret abzielt."32 Da sich das nach dem Inhalt des beabsichtigten Vertrages richten soll, hat das Vertrauen im Zweifel doch immer gerade auf den Punkt "gezielt", bei dem sich nachher Schwierigkeiten ergeben. Diesem Befund wird zwar in der Literatur teilweise durchaus Rechnung getragen. So scheidet Bohrer, der den Versuch unternimmt, das gesamte Institut der culpa in contrahendo und ihr Umfeld - also auch die hier im Mittelpunkt stehenden Fälle - als Ausprägungen einer konkreten Vertrauenshaftung zu begreifen,33 die Schutz- (oder Erhaltungs-)pflichten aus seinem System konsequent aus 34 und spricht statt von Vertrauen von "Verhaltenserwartungen". Deren Inhalt, der "ohnehin nur im Einzelfall einer Vertrauensstörung interessiert", will er über die "strukturelle Einsicht" hinaus, daß sich das Vertrauen auf ein Verhalten bezieht, aber nicht konkretisieren. 35 Damit ist zwar im Einzelfall unter Umständen eine widerspruchsfreie Terminologie gefunden. Gleichwohl wachsen angesichts einer derartigen Vielgestaltigkeit dessen, was als "Vertrauensschutz" von Rechtsprechung und Wissenschaft auf den juristischen Markt getragen wird, die Zweifel, ob hier mit dem einen magischen Begriff wirklich eine tragfahige materiale Grundlage für neue (und alte, will man sich nicht mit dem Hinweis darauf, daß ohnehin schon alles Gewohnheitsrecht sei, abspeisen lassen) Haftungstatbestände gefunden wurde. Dies wäre aber jedenfalls dann der Fall, wenn Vertrauen, gleich welchen Inhaltes, per se schutzwürdig ist - eine Frage, der im folgenden nachzugehen sein wird. Zunächst ist jedoch zum Vergleich noch ein Blick auf die "echte" Vertrauenshaftung zu werfen.
32 BGHZ 87, 27, 33.
Bohrer, Dispositionsgarant, 325 ff.; näher dazu unten § 6, I. aaO., 258 ff., 263, 265. 35 aaü., 92 f. 33
34
III. Der Gegenstand des Vertrauens im BGB
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111. Der Gegenstand des Vertrauens in den Vertrauensschutzbestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches Der Schutz von Vertrauen ist keineswegs der Rechtsfortbildung allein vorbehalten, sondern auch dem BGB nicht fremd. Denkbar wäre es, die "Vertrauenshaftung" an gesetzlich geregelte Fälle des Vertrauensschutzes anzulehnen, gegebenenfalls eine Gesetzesanalogie zu begründen. An dieser Stelle geht es zunächst um den "eigentlichen" Vertrauensschutz, also nicht um die vom Gesetz geregelten Vertrauensverhältnisse ,36 sondern um jene Institute, die speziell den Schutz einer Erwartung bezwecken. Dies sind solche des positiven Vertrauensschutzes, von daher mit dem hier untersuchten Rechtsinstitut also nicht vergleichbar. Eine kurze Analyse des Gegenstandes dieser Fälle erscheint trotzdem unabdingbar, läßt sie doch deutlich werden, wie weit sich die Vertrauenshaftung von ihren Ursprüngen - die notwendig im Gesetz zu suchen sind - entfernt hat und welche Spannweite dogmatisch völlig unterschiedlich konstruierter Fallgruppen der Vertrauensgedanke heute abdecken soll. 1. Vertrauensschützende Bestimmungen im Bürgerlichen Gesetzbuch
An erster Stelle zu erwähnen ist § 122 BGB, der das Vertrauen des Empfängers einer Willenserklärung in deren Bestand schützt. Nicht die Anfechtungserklärung ist der zum Ersatz verpflichtende Umstand - dann müßte das positive Interesse ersetzt werden - , sondern das vor der Anfechtung liegende Erwecken des Vertrauens auf die Gültigkeit der Erklärung.37 Für die nachteiligen Folgen der Enttäuscheng dieser Erwartung soll der Anfechtungsgegner entschädigt werden. Teilweise wird vorgeschlagen, die Vorschrift zum Ausgangspunkt für Weiterentwicklungen der Vertrauenshaftung zu wählen. 38 Auch in den §§ 170ff. BGB sieht die ganz herrschende Meinung Normen, die im Wege einer Rechtsscheinhaftung dem Vertrauensschutz dienen. 39 § 179 BGB schützt das Vertrauen des Verhandlungspartners des Vertreters darauf, daß das Geschäft mit dem Vertretenen zustandekommt. 40 "Klassisch" als Fälle des Vertrauensschutzes - schon, weil sie den Begriff "vertrauen" enthalten - sind auch die §§ 307, 309 BGB. Insgesamt geht es bei all diesen Normen um den Schutz des Vertrauens darauf, daß eine zugegangene Willenserklärung auch Bestand behält oder bekommt. Dazu unten § 4, 11. Meincke, AcP 179(1979), 170, 171. 38 Unten IV. 39 Soergel / Leptien, § 170, Rn. 1; MünchKomm-Thiele, § 170, Rn. 1 und schon die Motive (I, 236); anders Flume;Rechtsgeschäft, 825, der die Kundgabe der Vollmacht nach den §§ 171 f. der Erklärung nach § 167 gleichstellt. 40 BGHZ 39, 45, 51; 73, 266, 269; Palandt/Heinrichs, § 179, Anm. 1) a). 36
37
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§ 3 Der Gegenstand des Vertrauens
Vielfach wird auch § 818 III BGB als Ausprägung von Vertrauens schutz verstanden: Alle, aber auch nur solche Aufwendungen sollen zur Entreicherung führen, die im Vertrauen auf den Bestand des Vermögenszuganges gemacht wurden (danach also vor allem nicht Schäden, die durch das Erlangte im Vermögen des Bereicherten herbeigeführt wurden). 41 Auch die Gutglaubensvorschriften der §§ 932ff. BGB dienen dem Schutz von Vertrauen: darauf, daß der Besitzer auch, seiner Behauptung entsprechend, das Eigentum an der Sache innehat. Als vierten Komplex sei schließlich an den Grundsatz des venire contra factum proprium erinnert. Das früherem Tun oder Erklären widersprechende Verhalten wird in erster Linie dann als mißbräuchlich und gegen Treu und Glauben verstoßend angesehen, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist. 42 2. Charakteristika
a) Einstandspflicht für den Schein einer bestimmten Rechtslage Der Unterschied zwischen den richterrechtlich entstandenen Ausprägungen der negativen Vertrauenshaftung und den gesetzlich geregelten Fällen der "echten" Vertrauenshaftung 43 ist, was den Gegenstand des Vertrauens angeht, leicht auszumachen: Dort bezog es sich auf ein Bündel ganz verschiedengestaltiger tatsächlicher Umstände, hier geht es stets um den Schein einer Rechtslage. Dies kommt auch in dem der positiven Vertrauenshaftung häufig synonym verwendeten Begriff "Rechtsscheinhaftung" zum Ausdruck. b) Mehrere erlaubte Möglichkeiten Schmitz 44 weist auf einen weiteren Unterschied hin, der es nach seiner Ansicht nahelegt, Schadensersatzansprüche nicht mit dem Vertrauens gedanken zu begründen: Sinnvollerweise könne man nur dann von einem Vertrauenstatbestand sprechen, wenn nach der Rechtsordnung mehrere Verhaltensmöglichkeiten erlaubterweise bestehen können. Auf Grund des Vertrauenstatbestandes erscheine alsdann die eine Möglichkeit wahrscheinlicher als die andere. Im Stadium der Vertragsverhandlungen (und auch in den anderen Sonderverbindungen, innerhalb derer die "Vertrauenshaftung" einschlägig sein soll) ist es 41 So etwa Lenz, Das Vertrauensschutz-Prinzip, 20; Soergel I Mühl, § 818, Rn. 57 gegen BGHZ 1,75,81 und BGH NJW 1981,277,278; differenzierend MünchKommLieb, § 818, Rn. 59. 42 BGH MDR 1970,210; grundlegend hierzu Dette, Venire contra factum proprium, 45 ff. 43 Ausdruck bei Schmitz, Dritthaftung, 29. 44 aaO., 30.
III. Der Gegenstand des Vertrauens im BGB
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aber keineswegs so, daß die Rechtsordnung sowohl ein redliches, die Interessen des Vertragspartners achtendes, als auch ein unredliches, dessen Rechtsgüter schädigendes Verhalten billigt; vielmehr setzt sie als allein erwünscht und als Regelfall ein redliches Verhalten voraus. 45 Dann bedürfe es aber keiner besonderen Anhaltspunkte, also keines Vertrauenstatbestandes, damit der am Rechtsverkehr Beteiligte ein redliches Verhalten seines Geschäftspartners erwarten könne. 46 In der Tat ist es ein grundlegender Unterschied, ob im Verkehrsinteresse ein Tatbestand durch einen Scheintatbestand ersetzt wird - wie in den Fällen der Rechtsscheinhaftung, die wir als "echten" Vertrauensschutz apostrophiert haben -, oder ob an die Verkehrsbeteiligten im Interesse der jeweils anderen Gebote gerichtet werden. 47 c) Die Funktion der Bestimmungen:
lntegritäts- oder Dispositionsschutz
Aus dem Dargestellten ergibt sich ein weiteres Kriterium zur Unterscheidung zwischen der positiven Vertrauenshaftung der aufgeführten Institute des Bürgerlichen Gesetzbuches und der negativen Haftung, die darauf noch zu untersuchen bleibt, ob sie wirklich Vertrauenshaftung ist. Die Rechtsscheinfälle verstehen sich als Dispositionsschutz: Der Vertrauende muß eine Vertrauensbetätigung vorgenommen haben,48 die für ihn deshalb keine nachteiligen Folgen zeitigt, weil der Zustand, auf den er vertraut hat, gerade als bestehend fingiert wird. Solche Vertrauenshaftung gibt den Beteiligten am Rechtsverkehr Sicherheit dadurch, daß sich der Anschein eines Tatbestandes eben häufig nicht als "falscher Schein" entpuppt. Daraus erklärt sich auch, daß der Schein einer bestimmten Rechtslage, nicht der Schein bestimmter tatsächlicher Umstände zum Vertrauenstatbestand werden kann: Gerade die Rechtslage als Abstraktum kann nicht ohne weiteres "gesehen", überprüft werden. Mehr als bei tatsächlichen Umständen ist der einzelne bei der Einschätzung rechtlicher Zusammenhänge auf die Richtigkeit des äußeren Scheines angewiesen. 49 Demgegenüber geht es bei einer Haftung, die sich auf der Sekundärebene vermittels Schadensersatzes - verwirklicht, primär um Integritätsschutz, also darum, daß der Bestand an Rechtsgütern unangetastet bleibt. Dies gilt im Falle der culpa in contrahendo aber nur für die Fallgruppen der Erhaltungspflichten, 50 45 Schmitz, aaO., weist in diesem Zusammenhang auf § 242 BGB hin, der als Grundsatz das ganze Rechtsleben beherrscht. 46 aaO., S. 30. 47 Mielke, Haftung des Stellvertreters, 43 f. und oben § 2. 48 Siehe auch Hopt / Mössle, Handelsrecht, Rn. 212. 49 Ähnlich Wellspacher, Vertrauen auf äußere Tatbestände, 114 f. 50 Frost, Schutzpflichten, 88, sieht demgegenüber auch in derartigen Fällen eine Vertrauensdisposition vorliegen - in der "Offnung des Rechtskreises" durch den Geschädigten. Selbst wenn man das so sähe (richtigerweise wird man aber zwischen der
46
§ 3 Der Gegenstand des Vertrauens
deren Zugehörigkeit zur culpa in contrahendo im übrigen in der Literatur stark angezweifelt wird. 51 Fehlerhafte Auskünfte ziehen stets Fehldispositionen nach sich: In den culpa-in-contrahendo-Fällen wäre der Vertrag häufig nicht oder nicht so geschlossen worden, liegt die Fehldisposition also in Investitionen auf den Vertrag, oder es geht um Aufwendungen (= Fehldispositionen), die im später enttäuschten Vertrauen auf den Fortgang der Vertragsverhandlungen gemacht worden waren; bei der Prospekthaftung ist es die Entscheidung für die Kapitalanlage, im Fall des unrichtigen Arbeitszeugnisses ist es die Einstellung des unzuverlässigen Arbeitnehmers, die andernfalls unterblieben wäre, und auch in den Bankauskunftsfällen liegen Vermögensdispositionen vor. 52 Sie alle wären ohne die Pflichtverletzung nicht oder nicht so vorgenommen worden. Die Unterscheidung zwischen Erhaltungspflichten und den sonstigen Fällen der negativen "Vertrauenshaftung" spiegelt sich übrigens sehr deutlich in Larenz' Vorschlag für die Bezeichnung des jeweils verletzten Interesses wieder: Im ersten Fall soll das Erhaltungsinteresse, in den übrigen Fällen das negative Interesse, der Vertrauensschaden, maßgebend sein. 53 Was den Charakter des Dispositionsschutzes anbetrifft, bewegen sich die Neuerungen im Umkreis der culpa in contrahendo also durchaus noch im Rahmen der Systematik des auch im Gesetz enthaltenen Vertrauensschutzes.
IV. Analoge Anwendung des § 122 BGB? Den wohl sinnfältigsten Ausdruck einer gesetzlich angeordneten Vertrauenshaftung 54 stellt der schon angesprochene § 122 BGB dar, der dem Empfänger einer angefochtenen Willenserklärung den Ersatz desjenigen Schadens zubilligt, den dieser dadurch erleidet, daß er auf die Gültigkeit der Erklärung vertraut. Vor allem im Zuge der Diskussion um die Frage, ob eine Produzentenhaftung auf das Vertrauensschutzprinzip gestützt werden kann,55 wurde eine Analogie zu § 122 BGB vorgeschlagen. 56 Wollte man dem folgen, käme Gleiches auch bei den sonstigen Fällen der Sonderhaftung in Betracht. Doch hatten die Befürworter einer Heranziehung des § 122 BGB in jenem Zusammenhang sich nicht die Mühe Rechtskreisöffnung als der Disposition un den durch diese nur ermöglichten Schäden zu unterscheiden haben), würden dann nicht die spezifischen "Dispositionskosten" (das sind Aufwendungen!) ersetzt. 51 Siehe nur v. Bar, Verkehrspflichten, 312 ff. und unten § 13, IV. 52 Ebenso Bohrer, Dispositions(!)garant, 325 und passim. 53 Larenz, Schuldrecht AT, 112 f. Eine Besonderheit gilt allerdings für die (im einzelnen umstrittenen) Fälle, in denen die Pflichtverletzung gerade die Wirksamkeit verhindert hat; hier kommt gegebenenfalls sogar das positive Interesse in Betracht (so Larenz aaO., 113 f. mit Einschränkungen). 54 Meincke, AcP 179(1979), 170, 171; näher oben § 2, III. 1. 55 Siehe oben § I, IV. 1. 56 Lorenz, Karlsruher Forum 1963,8,15; E. Rehbinder, BB 1965,439,441; Markert, BB 1964,319,322.
V. Der fehlende Vertrauenstatbestand
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gemacht, auf die Voraussetzungen einer Analogie im einzelnen einzugehen; es sollte nur an den "Rechtsgedanken"57 der Vorschrift angeknüpft werden. Auf die Unterschiede zwischen der Vertrauenshaftung des BGB und den auf Vertrauensschutz angeblich basierenden Pflichten ist bereits soeben bei der Darstellung des Gegenstandes des Vertrauens hingewiesen worden. So sind die Regelung der außervertraglichen Schutz- und Sorgfaltspflichten und die des § 122 BGB dann auch nicht annähernd wesensgleich: Hier geht es um den Bestand einer Erklärung, dort um deren Richtigkeit und Vollständigkeit; hier um Dispositions-, dort um Integritätsschutz; hier um eine Rechtslage, dort um Tatsachenbehauptungen. 58 So einfach ist es mit der Übernahme von Rechtsgedanken aus dem Gesetz nicht. Im übrigen vertritt für die Sonderhaftung auch niemand die Idee, sie wie § 122 BGB - verschuldensunabhängig zu gestalten. Auch eine "Gesamtanalogie" zu den §§ 122, 170ff., 179 BGB scheidet aus den soeben beim Vergleich der Vertrauensinhalte genannten Gründen folgerichtig aus. 59 Für die der culpa in contrahendo unterfallende Gruppe des Abbruchs von Vertragsverhandlungen befürwortet allerdings auch Larenz eine Anlehnung an § 122 BGB. 60 Doch geht es dort, anders als in den hier interessierenden Fällen, immerhin noch um einen bestimmten Vertrauenstatbestand. 61 V. Der fehlende Vertrauenstatbestand Ansprüche auf Schadensersatz aus culpa in contrahendo oder aus sonstigen außervertraglichen Sonderverbindungen lassen sich nach allem also nicht aus einer "echten" Vertrauenshaftung der Art erklären, daß der Schädiger für die schuldhafte Schaffung eines Vertrauenstatbestandes einzustehen hat. 62 Für eine derartige Rechtsscheinhaftung fehlt es am Schein des Bestehens eines Rechtes und damit an einem Tatbestand, der Vertrauen auf Bestand (auf den Bestand dieses Tatbestandes, nicht auf den Bestand der möglicherweise gefährdeten Rechtsgüter des Vertrauenden) zu erwecken geeignet ist (mit der möglichen 57 Lorenz, Rehbinder, aaO.
58 Canaris, JZ 1968, 494, 500; Diederichsen, Warenhersteller, 173 ff.; Teichmann, BB 1966, 173, 174. Flume, Rechtsgeschäft, 129, stellt dararuf ab, daß bei § 122 BGB - anders als bei der c.i.c. - die Haftung rechts geschäftlicher Art sei; gegen Analogie zu § 122 BGB auch Durchlaub, DB 1974,905,908. 59 Canaris (Vertrauenshaftung, 538) will allerdings aus den bisher anerkannten Tatbeständen, soweit sie Verschulden voraussetzen, das das Schuldverhältnis begleitende "einheitliche Schutzverhältnis" (grundlegend ders., JZ 1965, 475) ableiten. Doch sind diese Tatbestände in erster Linie solche der culpa in contrahendo; die hier zitierten §§ 122, 170ff., 179 setzen gerade kein Verschulden voraus. 60 Larenz, FS Ballerstedt, 397, 415 f. 61 MünchKomm-Roth, § 242, Rn. 123 und oben 11. 2. b) und 3. 62 Schmitz, Dritthaftung, 31 und 105 ff.; bzgl. der Erklärungen von Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern ebenso Gräfe, in: Gräfe / Lenzen / Rainer, Steuerberaterhaftung, Rn. 466.
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§ 4 Die Vertrauensbeziehung
Ausnahme der Fälle des Abbruchs von Vertragsverhandlungen, 63 die hier außer Betracht bleiben können). Ohne daß auf methodische Aspekte näher eingegangen werden müßte, läßt sich insofern die Möglichkeit einer Analogie ausschließen. Will man dennoch am Vertrauensgedanken als Grundlage solcher Ansprüche festhalten, muß "Vertrauenshaftung" anders verstanden werden: als Haftung aus einem besonderen Vertrauensverhältnis. Darauf ist nachfolgend einzugehen.
§ 4 Die Vertrauensbeziehung I. Vertrauensbeziehung statt Vertrauenstatbestand 1. Die Entwicklung der Vertrauensbeziehung im Gefolge der culpa in contrahendo Schon frühzeitig nach Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches wurde erkannt, daß sich das Schuldverhältnis nicht in den - meist gegenseitigen primären Leistungspflichten erschöpft. Siber 1 prägte als erster den Begriff des Schuldverhältnisses als "Organismus", 2 meinte damit aber noch nicht ein Geflecht von Nebenpflichten, sondern etwa die Tatsache, daß für den Verschuldensgrad des Schuldners nicht der Einzelanspruch, sondern das Schuldverhältnis als Ganzes entscheidend ist. Dieser offenere Begriff des Schuldverhältnisses ließ Raum für den Einbau des Vertrauensverhältnisses in das Gefüge des Schuldverhältnisses. Er ließ aber auch Raum für dessen Mißbrauch durch die Heranziehung fragwürdiger Wertungen. So ließ man im Nationalsozialismus den "Gemeinschaftsgedanken", einen der "Grundgedanken der nationalsozialistischen Rechtsanschauung", an die Stelle der "individualistisch-materialistischen Ethik" des Bürgerlichen Gesetzbuches treten. 3 War nunmehr Raum für Nebenpflichten im Vertragsbegriff geschaffen, konnte auch ein neues Verständnis des Vertrages Platz greifen: Die Parteien sollen vertrauensvoll zusammenarbeiten, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen;4 das "soziale Prinzip"5 des Vertrauens schutzes hält die Parteien an, MünchKomm-Roth, § 242, Rn. 123. Planck / Siber, Vor § 241, Anm. I 1 b. 2 Siehe auch Heinrich StolI, LZ 1923, Sp. 532, 544 und Larenz, Vertrag und Unrecht I, 102. Später (JZ 1962, 105, 108) bringt er gegen den Begriff allerdings terminologische Einwände vor: Rechtsverhältnisse gehörten einer anderen Seinsschicht als Organismen an - der des objektiven Geltens. 3 Heinrich StolI, Leistungsstörungen, 23, 25; ebenso Larenz, Vertrag und Unrecht I, 109. 4 Heinrich StolI, Leistungsstörungen, 26; ähnlich Dölle, ZgesStW 103 (1943), 67, 89. 5 Manigk, Neubau des Privatrechts, 129 (allerdings zu den Verkehrspflichten beim Vertragsabschluß); an der selben Stelle wird dem (abzulehnenden) Individualismus ein "Sozialismus" gegenübergestellt. 63
1
I. Vertrauensbeziehung statt Vertrauenstatbestand
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auf die Verwirklichung der Leistung hinzuwirken und schützt jede Seite vor Beeinträchtigung ihrer Interessen. 6 Das kann unter der Herrschaft des Grundgesetzes natürlich mit dem "Vertrauensverhältnis" nicht gemeint sein und, das sei betont, es wird auch nicht gemeint. Die Erinnerung an gewesene Mißbräuche dient daher auch nicht dazu, den Gedanken der Vertrauensbeziehung zu diskreditieren; sie soll vielmehr an die Gefahren erinnern, die gleichzeitig in unbestimmten wie politisch befrachtbaren Rechtsbegriffen schlummern. Zeichnet man die weitere Entwicklung der Vertrauensbeziehung nach, wird die Abstammung des hier untersuchten Institutes einer Haftung aus außervertraglichen Sonderverbindungen von der culpa in contrahendo besonders deutlich. Denn die Entwicklung dieser haftungsbegTÜndenden Vertrauensverhältnisse begann mit der Annahme einer Sonderbeziehung der Vertragsverhandlungen, dem "Verhandlungsschuldverhältnis" . 7 Dieses hat in Entstehungsvoraussetzungen und Inhalt keine von Anbeginn scharfen Konturen. Mit Fortschreiten der Verhandlungen gewinnt es aber an Gestalt 8 und mündet schließlich gegebenenfalls in den Vertragsschluß. Anerkannt ist weiter, daß seine Entstehung von diesem nachfolgenden Vertragsschluß völlig unabhängig ist,9 wenn nur ein Verhalten des Geschädigten vorliegt, das auf Abschluß eines Vertrages oder Anbahnung geschäftlicher Kontakte abzielte. 10 Daß das Rechtsinstitut des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen und somit auch das ihm zugrunde liegende besondere Rechtsverhältnis von der Rechtsprechung und der Mehrzahl der Autoren in der Literatur auf den Vertrauensgedanken gestützt wird, wurde bereits ausgeführt. 11 Im einzelnen lauten die Begründungen jedoch unterschiedlich. Ballerstedt prägte in seiner grundlegenden Abhandlung die vielfach übernommene Formel von der "Verpflichtung durch Gewährung in Anspruch genommenen Vertrauens". 12 Die Rechtsprechung bewegt sich auf der gleichen Linie. \3 Canaris, der das Rechtsverhältnis der Vertragsverhandlungen Heinrich StolI, Leistungsstörungen, 26 f. Ballerstedt, AcP 151 (1950/51),501,504. 8 Ballerstedt, aaO. 9 Siehe nur Erman / Battes, § 276, Rn. 110. 10 BGHZ 66, 51, 54; Palandt / Heinrichs, § 276, Anm. 6 A a. 11 Oben § 1, 11. l. 12 Ballerstedt, AcP 151 (1950/51), 501, 507. Die Terminologie hat zu zahlreichen Mißverständnissen geführt (etwa bei Bohrer, Dispositionsgarant, 88, wo er anders als sonst in seiner Schrift den Vertrauenden für denjenigen hält, der das Vertrauen in Anspruch nimmt). Es soll und muß wohl der Vertrauende der Vertrauen Gewährende sein (gewährt doch derjenige etwas, von dem es ausgeht), sein Gegenüber derjenige, der dieses Vertrauen in Anspruch nimmt und aufgrund dessen verpflichtet ist. Verpflichtet ist, anders als es Ballerstedts Formel nahelegt, also nicht der Vertrauen Gewährende, sondern sein Gegenüber. Deutlicher ist es, letzteren als Vertrauensveranlasser zu bezeichnen. \3 BGHZ 60,221,223 f.; wortgleich BGHZ 71,386,393; ebenso BGH NJW 1970, 1840;NJW 1976, 712;NJW 1977, 376; NJW 1981, 1035, 1036; BGHLMNr. 24 zu § 313. 6 7
4 Loges
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§ 4 Die Vertrauensbeziehung
zusammen mit der positiven Vertragsverletzung einem "einheitlichen Schutzverhältnis" einverleiben möchte,14 differenziert zwischen "Erklärungs-" und "Anvertrauenshaftung" ,15 je nachdem, ob - im Sinne der im vorstehenden Paragraphen vorgenommenen Untersuchung - ein Vertrauenstatbestand auffindbar ist oder nicht. Andere bezeichnen sogar die Einladung zu Vertragsverhandlungen als "Vertrauenstatbestand" . 16 Sieht man im vorvertraglichen Stadium generell ein solches Vertrauensverhältnis zwischen den Beteiligten vorliegen, fallt es in der Tat nicht schwer, den Gedanken auszuweiten und auch auf andere Beziehungen anzuwenden, die besonders schutzwürdig erscheinen, wie etwa laufende Geschäftsverbindungen oder das Verhältnis des Ratsuchenden zum Gutachter oder sonstigen Fachmann. Andere schlagen vor, konkretes, im Einzelfall nachzuweisendes Vertrauen dann zur Vertrauensbeziehung zu erheben, wenn es dem Vertrauensveranlasser zuzurechnen ist. 17 Hier spiegeln sich die im Folgenden noch näher zu behandelnden 18 unterschiedlichen Ansichten zur dogmatischen Funktion des Vertrauens wider. Ein weiteres Problem steht hiermit im Zusammenhang. Dürfte man auch heute noch einem "jahrhundertealten sprachlichen Zeugnis folgen",19 müßte sich das Vertrauen stets auf eine konkrete, dem Vertrauenden bekannte Person richten. Doch hat die Rechtsprechung hierauf in der wichtigen Fallgruppe der Prospekthaftung offen und nahezu vollständig verzichtet 20 und wird auch dogmatisch einem "typisierten" Vertrauenstatbestand - und damit einer "entpersonalisierten" Vertrauensbeziehung - das Wort geredet,21 was den Rahmen des umgangssprachlich Üblichen in der Tat sprengt. Doch wäre mit diesem Einwand zu leben, wenn spezifisch juristische Aspekte die Annahme einer so gestalteten Vertrauenshaftung angeraten erscheinen ließen. Die Frage, ob und unter welchen Bedingungen eine Vertrauensbeziehung vorliegt und ob und unter welchen Bedingungen daraus eine Sonderhaftung nach Vertragsgrundsätzen herzuleiten ist, stellt sich für die zuletzt genannte Ansicht zwar nicht (wird aber auch von den Befürwortem der Vertrauensbeziehung kraft Eintrittes in die Vertragsverhandlungen üblicherweise gar nicht erörtert). Soll es wirklich das Vertrauen sein, welches die Haftung begründet, wäre jedenfalls zweierlei erforderlich: Zum einen müßte Vertrauen überhaupt schutzwürdig sein. Auf diese scheinbar banale Problematik ist ausführlich einzugehen. 22 Zum zwei14 15 16 17 18 19 20 21 22
Canaris, JZ 1965,476,479; VersR 1965, 114, 117. Canaris, FS Larenz 1983, 107. Frost, Schutzpflichten, 87; siehe auch oben § 3, III. 4. Bohrer, Dispositionsgarant, 89 f. Unten § 6, I. Giesen, NJW 1968, 1401, 1402. Oben § 1, 11. 3. b. Unten § 6, III. Unten § 5.
I. Vertrauensbeziehung statt Vertrauenstatbestand
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ten müßte ein Merkmal gefunden werden können, welches das Vertrauen in den Fällen, in denen es haftungsbegründend wirken soll, von dem Vertrauen zu scheiden in der Lage ist, das nicht zum Geltungsgrund eines ganzen Rechtsinstituts erhoben wird, etwa weil beide in Art oder Intensität verschieden sind. Das vermag aber, wie im einzelnen noch gezeigt werden wird,23 nicht zu gelingen. Gegen die Anlehnung der eingangs beschriebenen Haftungsfiguren an eine Vertrauensbeziehung bestehen aber schon grundsätzliche Bedenken. 2. Vertrauensverhältnis und Interessenwiderstreit Der Begriff des "Vertrauensverhältnisses" ist nicht nur wegen der ihm immanenten Gefahr des Mißbrauchs problematisch; andere unbestimmte Rechtsbegriffe (es sei nur an die "guten Sitten" und an "Treu und Glauben" erinnert) unterliegen dem gleichen Schicksal, ohne daß auf sie verzichtet werden könnte oder sollte. Die nebulöse Verknüpfung von "Vertrauen" und "Schuldverhältnis" jedoch suggeriert ein gewisses Maß an Gemeinsamkeit zwischen den Vertragsparteien über den bloßen Kontakt hinaus und deutet wie selbstverständlich gegenseitige Verantwortlichkeit an. In dieser Frage nach dem Grad an Gemeinsamkeit zwischen kommunizierenden Rechtssubjekten ist letztlich eine Grundfrage der Rechtsethik enthalten. 24 Richtig ist, daß es allenthalben im Recht Prinzipien für die beiderseitige Verantwortung für Unkenntnis und Irrtümer gibt. 25 Mit Köhler 26 läßt sich sagen, daß insofern das "Gebot der Rücksichtnahme verrechtlicht" wurde. Es soll auch nicht in Abrede gestellt werden, daß es einzelne Felder gibt, auf denen aus der gesellschaftlichen Pflicht zur Rücksichtnahme eine Rechtspflicht werden muß. Doch darf hier das Verhältnis von Regel und Ausnahme nicht umgekehrt werden. Im Zweifel gibt es eine Rechtspflicht zur Rücksichtnahme gerade nicht. Denn Gläubiger und Schuldner im allgemeinen stehen ebenso wie Vertragsparteien im besonderen und erst recht wie Parteien, zwischen denen keine vertragliche Beziehung besteht, im gewissermaßen natürlichen Interessenwiderstreit. Für das zwischen Bestohlenem und Dieb bestehende Schuldverhältnis wollte das auch niemand bestreiten. 27 Doch trifft es die Sache auch nicht besser, wenn man etwa zwischen Käufer und Verkäufer von einem "Vertrauensverhältnis" spräche. 28 23 Unten § 6, II. 2.; IV. 24 Als solche sieht die Frage nach dem Vertrauensprinzip auch Larenz, Richtiges
Recht, 80 ff., an. 25 Esser, Grundsatz und Norm, 373 f. 26 Staud. / Köhler, § 433, Rn. 48. 27 Beispiel von A. Hueck, Treuegedanke, 5. 28 So aber - für den Einzelfall - Hildebrandt, Erklärungshaftung, 164 f: Auch die Verhandlung über "eigennützige Zielgeschäfte" könne ein Vertrauensverhältnis begründen. 4*
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§ 4 Die Vertrauensbeziehung
Schon bei unvoreingenommener Betrachtung fallt es schwer, zwischen Kaufmann und Lebensmittelkäufer ein Vertrauensverhältnis zu erkennen. 29 Denn es leisten beide ihren Dienst an der Gemeinschaft und damit auch am jeweils anderen ganz im Gegensatz zu den soeben referierten Auffassungen - zunächst einmal dadurch, daß sie ihre eigenen Interessen vertreten. Zur Begründung braucht man nicht einmal auf die Klassiker der freien Marktwirtschaft oder die neueren wohlfahrtsökonomischen Konzepte zurückzugreifen. Es genügt, sich vorzustellen, daß ein Interessenausgleich auch im einzelnen Vertrag nur möglich ist, wenn jede Seite als Anwalt ihrer Interessen auftritt. Dies wird so allgemein auch keineswegs von Rechtsprechung oder Literatur in Abrede gestellt. 30 Trotzdem muß immer wieder das Vertrauensverhältnis herhalten, um Pflichten - zumeist vorvertragliche 31 ; aber auch außerhalb der culpa in contrahendo liegende, sofern nur irgendeine Art von Beziehung zwischen den Beteiligten gegeben ist 32 - zu begründen. Ein solches, den Pflichten vorausgehendes Vertrauensverhältnis besteht in Austauschverträgen 33 nicht. Von einem Vertrauensverhältnis mag man insofern sprechen, als damit das Bündel bestehender, einzelner (Neben-)Pflichten gemeint ist. Der entscheidende Unterschied ist, daß letzterenfalls die Einzelpflichten jeweils einer eigenen Begründung bedürfen. Nach dieser wird in der vorliegenden Arbeit gesucht. Aus einem gewissermaßen präjuristischen "Vertrauensverhältnis" ergibt sie sich nicht.
11. Vertrauensverhältnisse und Gesetz Eher erscheint es da schon angängig, die Haftung in Vertrauensbeziehungen auf eine Gesetzesanalogie zu einer Reihe von Einzelbestimmungen, etwa den §§ 307, 309, 463, 523 1,524 1,600,663,694 BGB, zu stützen. Daraus läßt sich immerhin ableiten, daß schon zum Zeitpunkt der Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuches die Überzeugung bestand, daß es im Anbahnungsverhältnis zum Vertrag besondere Schutzpflichten geben kann. 34 Soll es wirklich eine Analogie sein, worauf man sich stützt, hätte man zunächst eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes nachzuweisen. Doch war den Gesetzesverfassern das Phänomen "culpa in contrahendo" durchaus bekannt 35 A. Hueck, aaO.; v. Bar, Verkehrspflichten, 314. RGZ 111, 233, 234; BGH WM 1970, 132, 133; 1976, 50, 51; Bydlinski, JBl. 1980, 393, 396; A. Hueck, Treuegedanke, 5. 31 Etwa BGH NJW 1976,712; NJW 1977,376. 32 vor allem bei laufender Geschäftsverbindung: RGZ 27, 118, 121; 126, 50, 52; BGHZ 13, 198,200; 21, 102, 107; 49, 167, 168 f. 33 Anderes gilt natürlich bei den Dauerschuldverhältnissen vor allem des Arbeitsund Gesellschaftsrechts, die ein langfristiges Zusammenwirken der Parteien zum Inhalt haben. 34 Soergel/Wiedemann, Vor § 275, Rn. 1. 29
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11. Vertrauensverhältnisse und Gesetz
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- Jherings berühmter Aufsatz 36 stammt aus dem Jahre 1861. Daraus folgt, daß keine "allgemeine" Verschuldenshaftung bei Vertragsverhandlungen gewollt war, und erst recht keine noch weitergehende "Sonderhaftung" . Eine solche paßte auch überhaupt nicht in das Bild des Gesetzgebers von einem Rechtssystem, dessen Leitprinzipien Privatautonomie, Vertragsfreiheit und der Schutz in erster Linie der subjektiven Rechte des einzelnen waren. 37 Es eignen sich die zitierten Vorschriften aber auch schon aus anderen Gründen nicht dazu, als Modell einer Vertrauenshaftung in Sonderbeziehungen zu dienen. Neben der Gesetzeslücke wäre ja als nächstes nach (zumindest) der Ähnlichkeit der wesentlichen Anknüpfungspunkte für die vorhandenen wie für die neu zu bildenden Regeln zu suchen. Zwar spielt im Bürgerlichen Gesetzbuch der Vertrauensschutz als Motiv durchaus eine Rolle. 38 Doch geht es zum einen stets zumindest um Vertragsverhandlungen, was eine gesetzes analoge Begründung bestenfalls der (engeren) culpa in contrahendo, keinesfalls aber noch viel weitergehender Entwicklungen zuließe. Zum anderen sind die Normen entweder auf den Gegenstand des anvisierten Vertrages gerichtet (§§ 463, 523 f., 600, 694), oder es geht gerade um das Zustandekommen oder Nichtzustandekommen von Verträgen (§§ 307, 309, 663) - den Gegenstand von Jherings Aufsatz, aber nicht im Entferntesten von Rechtsinstituten wie der Sachwalterhaftung. Auch für die Haftung von Personen, die nicht selbst am Vertragsschluß beteiligt sind, gibt das Gesetz keinen Fingerzeig. Rechtspflichten in zweiseitigen Verhältnissen, deren Verletzung zur Haftung führt, sind für das Zivilrecht gewissermaßen der Normalfall, so wie auch zwischen zwei Rechtsgenossen entstehendes Vertrauen der Normalfall ist. Das Recht normiert aber nur einige solcher Pflichten und sanktioniert ihre Verletzung. Daraus nun - womöglich noch im Wege der Gesetzesanalogie - zu schließen, das Recht wolle jede als unbillig erscheinende Verhaltensweise sanktionieren, ist wenig einleuchtend, denn eher könnte ein Umkehrschluß angebracht sein. Wählt man die Verallgemeinerung, bedarf es materialer Kriterien zur Begründung. Solche sind bislang noch nicht angeführt worden. Anderes liefe im Ergebnis auf die Abschaffung eines differenzierten Privatrechtssystems zugunsten nur noch scheinrational (und damit gar nicht) begründeter Billigkeitsentscheidungen hinaus. Ebensowenig hilft ein früher von Heinrich Stoll unterbreiteter Vorschlag weiter, der die Vorschriften, welche sich auf Urkunden beziehen (§§ 172, 370,405, 409, 576, 793, 796, 807 f., 1154 f., 1160 BGB; 364, 11, 365 HGB; Art. 18 11 ScheckG, 36, 82 WO - die letzteren i. d. F. von 1908), für eine allgemeine Motive I, 195; 11, 745. Jher. Jb. 4, 1. 37 Hönn, Vertragsparität, 5. Siehe zu Sozialmodell und Haftungssystem des BGB im einzelnen oben § 2. 38 Larenz, Schuldrecht II/l, 414 zu § 663. 35
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§ 5 Die Schutzwürdigkeit von Vertrauen
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"Haftung aus veranlaßtem Rechtsschein" fruchtbar machen wollte. 39 Zum einen würden nur schriftliche Erklärungen erlaßt - bei Auskünften keineswegs der Regelfall. Und der Rechtsschein der aufgeführten Bestimmungen bezieht sich entweder auf den Inhalt der Urkunde, oder es geht um Urkunden, deren Gültigkeit im wesentlichen VOn Formalien abhängt, deren Einhaltung eine Gewähr für inhaltliche Richtigkeit bieten soll. 40 Auch dies hat mit den Ausgangsfällen nichts gemein. Der Versuch, die negative Vertrauenshaftung aus dem - methodisch wie auch immer begründeten - Weiterdenken gesetzlicher Bestimmungen zu gewinnen, ist zum Scheitern verurteilt. Stattdessen wird dann auch vielfach mit der Figur des allgemeinen Rechtsprinzips gearbeitet. Ein solches ließe sich methodisch als Ergebnis induktiver Ableitung 41 aus den zahlreichen, zuvor angesprochenen Normen des Gesetzes, die mit dem Vertrauensgedanken zu tun haben, betrachten. Man wäre dann der Last enthoben, die strukturelle Vergleichbarkeit der geregelten und der zu regelnden Sachverhalte nachzuweisen, da das gewonnene Rechtsprinzip Geltung für eine grundsätzlich unbestimmte Zahl VOn Fällen beansprucht. 42 Auf diese Argumentation ist nachfolgend einzugehen.
§ 5 Die Schutzwürdigkeit von Vertrauen Ist Vertrauen per se schutzwürdig? Wenn sich Ansprüche auf Schadensersatz wegen enttäuschten Vertrauens schon weder unmittelbar noch unmittelbar auf eine gesetzliche Wertung stützen lassen, dann ist eine positive Antwort auf diese Frage der einzige Weg, um dem Rechtsinstitut der Vertrauenshaftung seine materiale Begründung zu verschaffen. Das gilt zwar nur dann, wenn man seine "Vertrauenshaftung" wirklich auf tatsächlich beim Geschädigten vorliegendes Vertrauen stützt - was vielfach nicht getan wird. 1 Als Argumentationsfigur ist die Schutzwürdigkeit des Vertrauens aber für alle Spielarten der Vertrauenshaftung von zentraler Bedeutung. Daß Vertrauen per se durch das Recht geschützt werden müsse, wird dann auch vielfach vertreten und noch häufiger stillschweigend vorausgesetzt.
I. Der Vertrauens begriff in der Ethik Auf ethische beziehungsweise rechtsethische Grundlagen wird in der Diskussion um das Vertrauen im Recht oft Bezug genommen. Dennoch kann die Ethik Heinrich Stoll, AcP 135 (1932), 89, 104. Lammel, AcP 179 (1979), 337, 344 f. 41 Dazu Canaris, Feststellung von Lücken, 98 f. 42 Canaris, Feststellung von Lücken, 98. 1 Dazu ausführlich unten § 6, I.
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I. Der Vertrauensbegriff in der Ethik
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selbst dem Juristen bei der Suche nach der Schutzwürdigkeit des Vertrauens nur bedingt weiterhelfen. Letztere verhält sich vielmehr zum sittlichen Wert des Vertrauens geradezu komplementär. 2 "Alles Vertrauen und aller Glaube ist ein Wagnis, es gehört immer ein Bruchteil sittlichen Mutes und seelischer Kraft dazu. Es geschieht immer mit einem gewissen Einsatz der Person. Und wo das Vertrauen weit geht, der Glaube felsenstark ist, da kann der Einsatz unbegrenzt hoch steigen - und mit ihm der sittliche Wert des Vertrauens ... Der Vertrauende begibt sich in die Hand dessen, dem er traut, er setzt sich selbst aufs Spiel."3 Der sittliche Wert, der danach dem Verhalten eines Vertrauenden beigemessen wird, ist also desto höher, je weniger Anlaß bestand, zu vertrauen. Die Ethik würdigt das begründete, "sehende" Vertrauen nicht als echt. 4 "Blinder Glaube (bzw. blindes Vertrauen) ist die in ihrer Art höchste Belastungsprobe moralischer Kraft, das wahre Kriterium der Echtheit in allen tieferen Gesinnungsbeziehungen von Mensch zu Mensch."s Einer solchen Bewertung kann das Recht aber nicht folgen. Soll nicht nur der Anspruch des Vertrauenden, sondern auch die Verpflichtung seines Schuldners als gerechtfertigt erscheinen, soll auch auf das Verhalten der Beteiligten in einer gemeinverträglichen Weise eingewirkt werden, können nicht von Rechts wegen Prämien für unbegründete Leichtgläubigkeit ausgesetzt werden. Das widerspräche auch unseren sozialen Anschauungen: Nicht jedes "gut gemeinte" Vertrauen erscheint gerechtfertigt. 6 Hinzu kommt, daß im heutigen Wirtschafts- und auch Gesellschaftsleben das "sehende" Vertrauen in zunehmendem Maße an die Stelle des "blinden" tritt, auch wenn es letzteres noch gibt? (und hoffentlich immer geben wird). In der Literatur wird zur Klärung vereinzelt vorgeschlagen, das berechnende, vernunftgemäße Vertrauen im Gegensatz zum sittlichen "Vertrauenschenken" als Verlaß zu bezeichnen. g Diese begriffliche Differenzierung erscheint durchaus als sinnvoll; da es aber nach wie vor allgemein üblich ist, auch im juristisch relevanten Bereich von "Vertrauen" zu sprechen, soll im Rahmen dieser Arbeit an dem gebräuchlicheren und auch sprachlich schöneren Terminus festgehalten werden. 9 Dem berechtigtem Vertrauen - so man es noch dafür hält und nicht der Ebene des Wissens zuordnet IO - liegt nun aber ein sittlicher Wert gar nicht bei. Aus dem sittlichen Wert des Vertrauens als solchem lassen sich danach Argumente v. Craushaar, Einfluß des Vertrauens, 19. Nicolai Hartrnann, Ethik, 469 f. 4 Eichler, Rechtslehre vom Vertrauen, 111. 5 Hartmann, Ethik, 471. 6 v. Craushaar, Einfluß des Vertrauens, 19. 7 v. Craushaar, aaO. g Eichler, Rechtslehre vom Vertrauen, ll8; v. Craushaar, Einfluß des Vertrauens, 19. 9 Ebenso Canaris, Vertrauenshaftung, 504 (Fn. 2), der im Begriff des "Verlasses" die "effekthascherische Dunkelheit" beklagt. 10 So Hartmann, aaO., S. 470. 2
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§ 5 Die Schutzwürdigkeit von Vertrauen
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zugunsten eines Schutzes von Vertrauen nicht herleiten. Doch schließt dies keineswegs aus, dennoch ein - rechtsethisch fundiertes - generelles Gebot des Vertrauensschutzes zu postulieren.
11. Vertrauen als Rechtswert Stimmen, die dem Vertrauen einen für das Recht relevanten Eigenwert beimessen, gibt es viele. Vor allem aber wird in Rechtsprechung und Literatur sehr oft mit dem Argument des Vertrauensschutzes gearbeitet, ohne daß dies weiterer Erläuterungen für bedürftig gehalten wird. Der Gedanke, daß Vertrauensschutz etwas Gutes sei, ist offenbar im Begriff, juristisches Allgemeingut des deutschen Zivilrechts zu werden. Hat man erst einmal die Stelle entdeckt, an dem ein Beteiligter "Vertrauen in Anspruch genommen hat",l1 braucht man nicht mehr lange nach Argumenten zu suchen. Vor allem der Bundesgerichtshof begnügt sich bei Fallgestaltungen aus dem Umfeld der culpa in contrahendo fast ständig mit diesem "Argument", bekräftigt durch einen Hinweis auf die angebliche Schutzbedürftigkeit des Geschädigten. 12 Der Verdacht drängt sich auf, daß beides nicht viel mehr ist als ein Ausdruck dumpfen Rechtsempfindens. Doch kann auch ein solches durchaus richtig sein. 1. Das "rechtsethische Prinzip" des Vertrauensschutzes
In der Literatur wird die These, daß Vertrauen ein schutzwürdiges Gut sei, auf verschiedenste Weise begründet. Trotz (und im Bewußtsein) der vorstehend erwähnten Problematik des ethischen Vertrauensbegriffes wird vor allem von früheren Autoren auf die Sittlichkeit rekurriert und nicht ohne "spontane Überzeugungskraft" I3 erinnert: "Es ist unsittlich, das berechtigte, von uns selbst absichtlich hervorgerufene Vertrauen eines anderen zu täuschen" 14; ein anderer Autor sieht mit der Pflicht, Vertrauen nicht ohne Grund zu enttäuschen, sogar das ,,kosmische Interesse" gewahrt. 15 Ausgehend von seiner kausalen Rechtsbetrachtung erblickt Müller-Erzbach im Vertrauen neben "Bedürfnis", "Macht" und "Verantwortungsbewußtsein" eines der vier Elemente der Rechtsbildung, 16 das da aushelfen soll, wo die eigene Macht versagt. 17 II
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I3 14 15
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64f.
Nach der berühmten Formulierung von BaIierstedt, AcP 151 (1950/51),501,507. Vgl. die Nachweise der Rechtsprechung bei § 1, 11. Ausdruck bei Canaris, FS Larenz 1983,27, 106. Hofmann, Entstehungsgründe der Obligationen, 66. Bassenge, Das Versprechen, 43. Müller-Erzbach, AcP 154 (1955), 299, 307 ff.; ders., Rechtswissenschaft im Umbau,
II. Vertrauen als Rechtswert
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Verbreiteter ist die Qualifizierung des Vertrauensschutzes als rechtsethisches 18 oder doch zumindest als ethisch fundiertes 19 Prinzip. Dieses wird teilweise auf die ganze Rechtsordnung bezogen, 20 während andere es für der Vertragsordnung immanent halten 21 oder, deutlich enger (und in unserem Zusammenhang weniger relevant) in erster Linie beim Zustandekommen von Rechtsgeschäften wirken sehen. 22 2. Schutz nur des "berechtigten" Vertrauens
Daß jedes Vertrauen, welches eine Person einer anderen entgegenbringt, nur um den Preis einer Belastung mit Schadensersatzpflichten enttäuscht werden darf, kann kaum einen vernünftigen Rechtssatz darstellen 23 und wird in dieser Konsequenz auch nirgends behauptet. Es gibt offensichtlich Fälle, in denen Vertrauen, und andere Fälle, in denen Mißtrauen angebracht ist. Ein moralisches Prinzip, das, wie das Vertrauen, sein Gegenteil miterlaubt, ist auf einhellige und eindeutige Anwendungssituationen angewiesen. Fehlt es daran, kann das Prinzip jede Entscheidung begründen. 24 Deswegen findet sich auch vielerorts die Formulierung, schutzwürdig sei nur das "berechtigte" oder "gerechtfertigte" Vertrauen. 25 Will man diese These - so einleuchtend sie auch zu sein scheint - auf ihre Stimmigkeit überprüfen, gilt es zuerst zu klären, wann Vertrauen berechtigt ist. Hofmann 26 und Bassenge, 27 die die Schutzwürdigkeit von Vertrauen von einer metajuristischen, beinahe metaphysischen Ebene herleiten, sehen dann auch einen prinzipiellen Vorrang des Vertrauensschutzes: Im Zweifel sei Vertrauen gerechtfertigt, wenn es nicht aus einem ganz besonderen Grund unberechtigt sei. Andere verzichten auf jegliche Spezifizierung der Kriteriums der "Berechtigung" 28 oder Rechtswissenschaft im Umbau, 64 f. Ausdrücklich Dette, Venire contra factum proprium, 45; Diederichsen, Warenhersteller, 355; Larenz, Methodenlehre, 325; Coing, Rechtsphilosophie, 194; Thiele, JZ 1967,649,652; ähnlich Canaris, Vertrauenshaftung, 3. 19 Hopt / Mössle, Handelsrecht, Rn. 212. 20 Coing, Canaris aaO. 21 Simonius, Festgabe Schw. JT 1942,239,244,281 f. 22 Meier-Hayoz, Vertrauensprinzip, 86; Bydlinski, Privatautonomie, 137 ff. 23 Diederichsen, Warenhersteller, 174; Durchlaub, DB 1974, 905, 908; Grunewald, AcP 187 (1987), 285, 299. 24 Luhmann, Vertrauen, 95. 25 v. Craushaar, Einfluß des Vertrauens, 19 ff.; Meier-Hayoz, Vertrauensprinzip, 89; Bohrer, Dispositionsgarant, 305; Müller-Erzbach, Rechtswissenschaft im Umbau, 65; Hofmann, Entstehungsgründe der Obligationen, 66 f.; Larenz, Methodenlehre, 408; Diederichsen, Warenhersteller, 300. 26 Entstehungsgründe der Obigationen, 67. 27 Das Versprechen, 43. 28 Larenz,. Methodenlehre, 408 (der aber, wie oben ausgeführt, dem Vertrauensprinzip unmittelbar keine Rechtsfolgen entnehmen will); Meier-Hayoz, Vertrauensprinzip, 89. 17 18
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§ 5 Die Schutzwürdigkeit von Vertrauen
verweisen die Klärung an den Einzelfall. 29 Häufig wird die Entscheidung dadurch umgangen, daß der unbestimmte Begriff des Vertrauens durch andere, ebenso vage Termini ausgefüllt wird. Die Rechtsprechung macht die Lösung gelegentlich von Zumutbarkeitsgesichtspunkten abhängig. 30 An anderer Stelle wird der "rechtliche Sinn des Vertrauens aus den Grundwerten von Treu und Glauben geschöpft" .31 Methodisch einen Sonderweg geht Canaris in seiner - allerdings die positive Vertrauenshaftung betreffenden - Monographie. Er entwickelt seine Lehre induktiv 32 aus den vorhandenen, insbesondere gesetzlichen Einzeltatbeständen. Eine theoretische Fundierung der Schutzwürdigkeit von Vertrauen ist insofern anscheinend nicht erforderlich - auch wenn Fallgruppen wie die in seiner Theorie bedeutsame "Vertrauenshaftung kraft rechtsethischer Notwendigkeit"33 das Bedürfnis nach Bezeichnung der zugrunde liegenden Erwägungen auch in allgemeiner Form durchaus aufkommen lassen. Unter das Dach der "Vertrauenshaftung'.' passen bei ihm denn auch die verschiedensten Institute: 34 das Verlöbnis 35 und die culpa in contrahendo,36 die Produzentenhaftung 37 und die außervertragliche Auskunftshaftung. 38 Daß in dieser Vielgestaltigkeit eine Schwäche liegt, sieht Canaris selbst. 39 Doch stellt er in dogmatischer Schärfe klar, daß das Vertrauen bei ihm der Haftungsgrund ist, welchem die Zurechnung gegenübersteht. 40 Der Haftungsgrund gebe an, warum und unter welchen Voraussetzungen die Rechtsordnung die eine Partei schützt, und das Zurechnungsprinzip entscheide, warum und unter welchen Voraussetzungen die Rechtsordnung die andere Partei mit einer entspre29 Meyer-Hayoz, Vertrauensprinzip, 112; Sticht, Haftung des Vertretenen, 41 f.; Bohrer, 305. Die Argumentation Bohrers ist kennzeichnend für den Stand der Lehre von der Vertrauenshaftung. Mit großem theoretischem Aufwand entwirft er ein Modell der "Haftung des Dispositionsgaranten" (so der Titel), welches beansprucht, die culpa in contrahendo und ihr Umfeld auf die richtigen dogmatischen Grundlagen zu stellen, um dann an der entscheidenden Stelle auf den Nachweis im Einzelfall (für den aber immerhin auf gesetzliche Wertungen zurückgegriffen werden soll, S. 309) zu vertrauen. Damit hat er gegenüber dem von ihm beklagten, unklaren heutigen Rechtszustand nichts gewonnen. 30 BGHZ 23, 122, 129; 47, 224, 230. 31 Eichler, Rechtslehre vom Vertrauen, 36 (11, 15); Sticht, Haftung des Vertretenen, 39; ähnlich Canaris, Vertrauenshaftung, 526 (siehe sogleich). 32 Canaris, Vertrauenshaftung, 4; zur Methode der Induktion näher ders., Feststellung von Lücken, 98 f. 33 Vertrauenshaftung, 266 ff., 528 ff. 34 Kritik an dieser Vielgestaltigkeit bei Köndgen, Selbstbindung, 101 f. 35 AcP 165 (1965), 1 ff. 36 JZ 1965,475,479. 37 JZ 1968,494,501; dazu oben § 1, III. 2. 38 Vertrauenshaftung, 539. 39 Vertrauenshaftung, 3 f. 40 aaO., 470 f. (mit nachvollziehbaren Vorbehalten in Fn. 12); ebenso ders., JZ 1968, 494,501.
11. Vertrauen als Rechtswert
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chenden Pflicht belastet. Zurechnungskriterien, wie etwa das Verschuldens- oder das Risikoprinzip, sind danach keine Kriterien für die Schutzwürdigkeit des Vertrauens. 41 Dem Vertrauen wohnten aber zwei "unterschiedliche Tendenzen wesensgemäß inne": das Prinzip des Verkehrs schutzes und der Gedanke der bona fides. 42 Beide sollen in den vier von Canaris herausdestillierten Grundtatbeständen der Vertrauenshaftung - der Rechtsscheinhaftung, der Vertrauenshaftung kraft rechtsethischer Notwendigkeit, der Erklärungshaftung und der Anvertrauenshaftung (die beiden letzteren als Fälle des negativen Vertrauensschutzes) in unterschiedlicher Weise zum Tragen kommen. Die zum Schadensersatz führende Erklärungshaftung sieht Canaris in erster Linie den Gedanken der bona fides verwirklichen, aber auch den Verkehrsschutz. 43 Als einziger um eine zugleich allgemeine und differenziertere Lösung dieser - ja eigentlich entscheidenden - Frage bemüht ist v. Craushaar. 44 Er, der keine neuen Haftungstatbestände begründen will, sondern den ,,Einfluß des Vertrauens auf die Privatrechtsbildung" (so der Titel seiner Arbeit) analysiert, geht (entsprechend den oben gemachten Ausführungen zum Vertrauensbegriff der Ethik 45) davon aus, daß nicht der sittliche Wert des Vertrauens den Maßstab abgibt, sondern es darauf ankommt, ob das Vertrauen im Verkehr als angebracht erscheint, ob es "als zur Verfügung stehendes Mittel, mit dieser Welt zurechtzukommen, richtig oder falsch eingesetzt wurde."46 Dafür werden vier "Rechtfertigungsgründe" entwickelt. Zunächst wird gefragt, ob eine ausreichend gesicherte Vertrauensgrundlage gegeben ist. Indiz dafür ist eine ausreichend hohe "Bedeutungswahrscheinlichkeit", also die Wahrscheinlichkeit, daß der auf den Vertrauenstatbestand gestützte Schluß auch korrekt ist. Maßgeblich dafür, daß die Vertrauensgrundlage ausreichend gesichert ist, ist aber letztlich nicht diese Wahrscheinlichkeit, sondern der Gesichtspunkt möglichen und zumutbaren Selbstschutzes. 47 v. Craushaar läßt Vertrauen aber auch unabhängig von einer ausreichend gesicherten Vertrauensgrundlage zumindest teilweise dann schutzwürdig sein, wenn einem Tatbestand, auf den der Geschädigte vertraut hat, "im Verkehr eine bestimmte Regelbedeutung zukommt."48 Selbstschutz setze Wissen um die Notwendigkeit, sich zu schützen, voraus. Diese werde als geringer empfunden, wenn der Vertrauende meint, sich auf einen allgemeinen Regeltatbestand verlassen zu dürfen. Mit dieser Gruppe der "normalen Vertrauensgrundlage" will v. Craushaar durchaus nicht nur die Fälle der Das mißversteht Köndgen (Selbstbindung, 103). Canaris, Vertrauenshaftung, 526. 43 aaO., 526 ff., 534. 44 Einfluß des Vertrauens, 18 ff.; vgl. auch JuS 1971, 127 ff. 45 Oben I. 46 aaO., S. 19. 47 Ähnlicher Gedanke bei Diederichsen, Warenhersteller, 300. 48 aaO., S. 23. 41
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§ 5 Die Schutz würdigkeit von Vertrauen
Rechtsscheinhaftung erfassen, sondern bezieht sich auch auf jenes Vertrauen etwa darauf, daß sich Teilnehmer am Straßenverkehr regelgerecht verhalten. Die beiden weiteren Rechtfertigungsgründe des Vertrauens sind die des "Vertrauenszwanges"49 und der "Vertrauensgestattung". Ersterer soll gegeben sein, wenn dem Teilnehmer am Rechtsverkehr keine andere Wahl bleibt, als zu vertrauen, letzterer, wenn jemand ausdrücklich oder stillschweigend Vertrauen zuläßt oder dazu auffordert. 50 Sei nach einem dieser Kriterien Vertrauen berechtigt, erzeuge es "die Vorstellungstendenz auf Verlaßentsprechung" , also die Erwartung, daß es schutzwürdig sei. 5\ Dieser Erwartung soll aber schließlich - auch bei berechtigtem Vertrauen - nur dann entsprochen werden, wenn das Vertrauen im konkreten Fall auch schutzbedür!tig sei. Damit nimmt v. Craushaar einen auch bei den Lehren von der Rechtsscheinhaftung mitwirkenden Aspekt auf. 52 3. Kritik der Lehren vom "berechtigten Vertrauen"
a) Allgemeines Die dargestellten Vorschläge, wie dem "berechtigten" Vertrauen beizukommen sei, machen ohne weiteres die Schwierigkeiten eines solchen Unterfangens deutlich. Dabei ist, will man Vertrauen schützen, die Suche nach der Berechtigung von Vertrauen notwendig: Schon der kurze Rekurs auf die Problematik des sittlichen Wertes des Vertrauens hat offenbar werden lassen, daß nicht jeder psychischen Befindlichkeit, die "weniger als Zuversicht, aber mehr als Erwartung"53 darstellt, ein rechtlich fundierter Anspruch auf Entsprechung korrespondieren kann. Vielmehr ist es in der Tat die Aufgabe des Rechts, schutzwürdiges von nicht schutzwürdigem Vertrauen zu scheiden. Die Frage stellt sich nur, ob der Vertrauensbegriff dafür der richtige Ansatzpunkt ist. Denn wichtig wird die Abgrenzung vor allem dann, wenn man, wie es die herrschende Meinung wenn auch zumeist unausgesprochen - tut, Vertrauensschutz zum (im Sinne von Larenz)54 Grundsatz erhebt, also das Vertrauen zum Tatbestandsmerkmal neugeschaffener Rechtsnormen macht. Der Terminus "berechtigtes Vertrauen" an sich ist wertlos; er impliziert nur eine Problemverlagerung hin zu der Frage, wann denn nun Vertrauen "berechtigt" 49 Siehe auch Stürner, VersR 1984,297,303. 50 Eine weitere Gruppe, die im vorliegenden Zusammenhang weniger interessant ist, ist der ,,Meinverlaß": Das Vertrauen des Besitzers einer Sache darauf, daß eine als eigene besessene Sache ihm auch gehört (aaO., S. 28). 5\ aaO., S. 29. 52 Vgl. Hopt / Mössle, Handelsrecht, Rn. 170, 212; Canaris, Vertrauenshaftung, 503 ff., setzt fünf "Voraussetzungen auf seiten des Vertrauenden" an diese Stelle. 53 Dazu oben § 3, I. 54 Unten § 6, I. 1.
11. Vertrauen als Rechtswert
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sei. Die Lösung demgegenüber dem Einzelfall (und damit dem Richter) zu überlassen, scheidet zumindest solange aus, wie sich Wege eröffnen, die den Anforderungen an Systematik und Rechtssicherheit besser entsprechen. 55 Wenn die "Vertrauenshaftung" zu einem akzeptablen System ausgebaut werden soll, muß man allgemeine Kriterien finden. Wenig befriedigen kann es auch, wenn Treu und Glauben oder die "bona fides" als derartige Kriterien vorgeschlagen werden. Zwar mag man die Wurzeln des Vertrauensschutzgedankens im rechtsethischen Bereich auf derartige Prinzipien zurückführen können. Und man wird es dabei auch belassen können, wenn man dann auch darauf verzichtet, dem Vertrauen originär haftungsbegründende Funktion beizumessen. Gerade dieses wird aber getan - auch von Canaris, der den Verzicht auf eine tragfähige theoretische Fundierung des Vertrauensschutzprinzips ja mit seiner engen Anlehnung an das geltende Recht gerechtfertigt hat. 56 Daß auch das nicht trägt, wurde in den vorangegangenen Abschnitten erörtert. b) Die Lehre v. Craushaars Einer näheren Betrachtung bedarf deshalb vor allem noch der Ansatz v. Craushaars. Wichtigster der vier ;,Rechtfertigungsgründe des Vertrauens" und zentrale Figur seiner Argumentation ist die ausreichend gesicherte Vertrauensgrundlage. Ob von einer solchen gesprochen werden kann, hängt, wie beschrieben, letztlich davon ab, ob der Vertrauende den ihm möglichen und zumutbaren Selbstschutz erbracht hat. Dies führt jedoch nicht sehr viel weiter. Zwar deckt v. Craushaar den entscheidenden Punkt treffend auf: Die Frage, ob der Vertrauende auch vertrauen darf, ob sein Vertrauen mithin berechtigt ist, hängt in der Tat mit der anderen Frage nach dem möglichen und zumutbaren Selbstschutz zusammen. Doch ist damit zunächst noch nicht mehr gewonnen, als das Problem neu zu definieren. Denn natürlich geht es beim Vertrauensschutz wie allgemein im Recht immer darum, zumutbaren Selbstschutz und erforderlichen Fremdschutz voneinander abzugrenzen. Wo man nicht - von Rechts wegen - vertrauen darf, wo das Vertrauen nicht geschützt wird, da muß man seine Rechtsgüter selbst schützen, seine Rechte selbst wahren. Soll das Vertrauen hingegen berechtigt sein und im Falle der Enttäuschung zu Ansprüchen - auf Schadensersatz oder Vertrauensentsprechung - führen, da ordnet die Rechtsordnung die Verantwortlichkeit gerade des anderen an und tritt dessen Pflicht aus dem Vertrauenstatbestand an die Stelle des Selbstschutzes. Die Frage nach der Eigenverantwortlichkeit des einzelnen ist in der Tat die rechtsethische und rechtspolitische Frage, die hinter der Diskussion um den Vertrauensschutz steht und die im Fortgang dieser Arbeit immer wieder zum 55
Zu den Problemen um Systematik und Rechtssicherheit siehe unten im einzelnen
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Vertrauenshaftung, 4.
§ 6, V. sowie § 13, III.
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§ 5 Die Schutzwürdigkeit von Vertrauen
Vorschein kommen wird. Eine präzise Antwort wird sich, soviel kann jetzt schon festgehalten werden, darauf ebensowenig finden lassen wie eine rein dogmatisch herzuleitende. Doch kann das andererseits nicht dazu führen, mit v. Craushaar die Schutzwürdigkeit des Vertrauens von vornherein nur noch dem Rechtsempfinden zu entnehmen. "Ob und welche selbstsichernden Maßnahmen in der jeweiligen Situation möglich, üblich und zumutbar sind",57 wissen wir nicht. Aber der Autor konkretisiert diese Kriterien dann doch noch selbst. Das Kriterium der Üblichkeit des Selbstschutzes findet sich wieder im zweiten Rechtfertigungsgrund des Vertrauens, der normalen Vertrauensgrundlage. Selbst wenn die Vertrauensgrundlage nicht ausreichend gesichert erscheint, könne das Vertrauen als immerhin teils berechtigt, teils unberechtigt angesehen werden, wenn der Vertrauende meint, sich auf einen allgemeinen Regeltatbestand verlassen zu dürfen. 58 Daran ist richtig, daß die Üblichkeit eines Tatbestandes wirklich manchmal eine Rolle dabei spielt, ob das Vertrauen auf diesen Tatbestand schutzwürdig ist. So liegt es beispielsweise bei den anerkannten Fällen der Rechtsscheinhaftung ("Scheinkaufmann", "Scheingesellschaft" und dergleichen mehr 59 ), bei denen ein Verhalten, das üblicherweise nur bei einer bestimmten zugehörigen Rechtslage vorkommt (z.B. der Gebrauch einer Firma), dem Teilnehmer am Rechtsverkehr den Schluß erlaubt, die Rechtslage bestehe tatsächlich so wie vorgestellt (im Beispiel sei derjenige, der die Firma gebraucht, also Kaufmann). 60 v. Craushaar will den Gedanken jedoch gerade auch auf die negative Vertrauenshaftung anwenden: Auch wer den erforderlichen Selbstschutz außer acht gelassen habe, werde - teil weise - in seinem Vertrauen geschützt, wenn solch unsorgfältiges Verhalten normal sei. Mit der Normalität des Tatbestandes korrespondiert danach also die Normalität des Vertrauens: Vertrauen in Regelsituationen ist üblich. Dies kann jedoch aus verschiedenen Gründen nicht einleuchten. Zum einen ist es keineswegs ein Spezifikum nur bestimmter Lebenssituationen, daß man sich nicht auf Rechtsgutsverletzungen durch andere einstellt und den erforderlichen Selbstschutz daher vernachlässigt. Zwar ist v. Craushaars Analyse (die ja auch den ,,Einfluß des Vertrauens auf die Privatrechtsbildung" zum Gegenstand hat) durchaus richtig; denn auch wer mit dem Auto eine Ampel bei "Grün" überquert, darf darauf vertrauen, daß kein anderer das ihm geltende "Rot" mißachtet. 61 Und dieses Vertrauen auf normkonformes Verhalten anderer 62 wird von der Rechtsordnung auch geschützt - in diesem Beispiel durch die entsprechenden 57 v. Craushaar, Einfluß des Vertrauens, 23. 58 aaO., S. 24. 59 Vgl. dazu ausführlich Canaris, Vertrauenshaftung, 28 ff., 150 ff. 60 Wellspacher, Vertrauen auf äußere Tatbestände, 114 f. 61 Zu diesem Beispiel Larenz, MDR 1954,515,517; Erdsiek, Jur. Jahrb. 67/68,36, 50; Daum, NJW 1968,372,376; Picker, AcP 183 (1983), 367,422. 62 Dazu ausführlich unten § 6, 11. 2., IV.
11. Vertrauen als Rechtswert
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Nonnen des Deliktsrechts. Der Befund hilft jedoch nicht weiter bei der Suche nach dem spezifischen Eigenwert des Vertrauens. Für eine Fortführung des Vertrauensgedankens in Richtung auf die Ausbildung neuer Haftungsfiguren gibt dieser Gedanke mithin nichts her. 63 Davon abgesehen vertraut man sicherlich darauf, daß ein ,,Donnai" aussehender Tatbestand auch wirklich "nonnal" ist. Die Frage ist aber, wer das Risiko trägt, wenn es sich anders verhält. In der Regel ist das in der Tat nicht der Vertrauende. Das Recht kennt aber auch Ausnahmen - die deliktische Generalklausel gibt es schließlich nicht. Eine Verallgemeinerung dieses Gedankens ist schon deswegen problematisch. Und: Warum es nicht auch einmal der Vertrauende sein soll, der das Risiko der ,,Nonnalfallabweichung" trägt, sagt v. Craushaar nicht. Die Üblichkeit eines bestimmten Tatbestandes, auf den ein Geschädigter vertraut hat, kann nach allem nicht mehr als ein nicht allzu starkes Indiz für die Berechtigung seines Vertrauens sein. Hinzu kommt, daß mit den Prüfsteinen der ausreichend gesicherten und der nonnalen Vertrauensgrundlage v. Craushaar letztlich das Kriterium des Mitverschuldens des Vertrauenden für ausschlaggebend erklärt. 64 Schon ein Blick auf § 276 BGB aber macht deutlich, daß es im Verkehr auf die erforderliche und nicht auf die übliche Sorgfalt ankommt, und auf dem Wege über § 254 BGB gilt für das Mitverschulden das gleiche. Und da überzeugt es eben nicht, Unvernunft zu prämieren, nur weil sie "nonnal" ist, wo Vernunft erforderlich gewesen wäre. Noch wichtiger aber ist schließlich, daß auch wertungsmäßig das Mitverschulden nicht mehr als eine "pauschale Differenzierungsrichtlinie" 65 darstellt. Denn ein Vertrauen kann auch da schutzwürdig sein, wo ,jeder andere" nicht vertraut hätte - sei es nur im vielbemühten Beispiel des obskuren Gebrauchtwagenhändlers. Das Recht kann auch zum Ziel haben, Vertrauen in derartigen Situationen zu ennutigen. 66 Die Interessenabwägung, die gegenseitige Abschichtung der Rechtskreise läuft nicht notwendig konfonn mit dem Schadensrisiko und den dagegen ergriffenen Maßnahmen. Vertrauen soll nach v. Craushaar ferner dann berechtigt sein, wenn ohne Rücksicht auf eine Vertrauensgrundlage vertraut werden muß, Selbstschutz also unmöglich oder unzumutbar ist. Letzteres betrifft etwa die Fälle, in denen ein "allgemeiner sozialer Zwang zur Vertrauensbekundung" besteht, weil ein Verzicht auf die Vertrauensbekundung zu einer unerträglichen Einschränkung der Bewegungs- und Handlungsfreiheit führen würde und daher allgemein nicht erwartet wird. 67 63 64 65 66 67
Köndgen, Selbstbindung, 100. Köndgen, Selbstbindung, 99. Köndgen, aaO. Köndgen, aaO. v. Craushaar, aaO., S. 25 f.
64
§ 5 Die Schutzwürdigkeit von Vertrauen
Es leuchtet unmittelbar ein, daß die Position eines Menschen, der vertrauen muß, weil er sich nicht selbst absichern kann, schutzwürdig ist. Zweifel bestehen nur, ob dann wirklich noch Vertrauen geschützt wird. Denn spätestens in dem Moment, in dem dem Vertrauenden der "Vertrauenszwang"68, unter dem er steht, bewußt geworden ist, liegt die psychische Befindlichkeit "Vertrauen" gar nicht mehr vor. Hat man die Einstellung: "Was sein muß, muß sein; es bleibt mir keine andere Wahl, als zu vertrauen"69, vertraut man keineswegs mehr dem anderen, handelt man vielmehr deshalb in vollem Bewußtsein der Risiken, weil man auf den Gegenstand des "Vertrauens" keinerlei Einfluß hat. Daß in solchen Lagen das Recht helfen muß, steht nicht zur Diskussion; um Vertrauensschutz allerdings geht es dabei nicht mehr. Eine eigenartige Sonderstellung nimmt der letzte von v. Craushaars Rechtferti gungsgründen des Vertrauens, die "Vertrauensgestattung", ein. Er wäre insbesondere für die Begründung einer Erklärungshaftung geeignet. Das Vertrauen soll auch in solchen Fällen berechtigt sein, in denen jemand ausdrücklich oder stillschweigend Vertrauen zuläßt oder zum Vertrauen auffordert. 70 Ein solcher Fall liege vor allem dann vor, wenn sich der Vertrauende dem Schutz und der Fürsorge des Vertrauensveranlassers anvertraue, indem er sich in dessen Gefahren- und Einflußbereich begibt. v. Craushaar sieht die Vertrauensgestattung vor allem bei rechtsgestaltenden Willensäußerungen als von Bedeutung an. Hier liege sie darin, daß in der Erklärung die stillschweigende Aufforderung des Erklärenden enthalten ist, auf die Erklärung zu vertrauen. An diesem Punkt wird deutlich, daß auch dieses letzte Kriterium für die Berechtigung von Vertrauen nicht befriedigen kann; es ist wiederum nicht falsch, aber nicht zur Begründung eines eigenständigen Vertrauensschutzes geeignet. Denn ganz offenbar wird dabei auf eine konkrete Beziehung zwischen Vertrauensveranlassendem und Vertrauendem abgestellt, wenn nicht sogar eine Art Abrede über die Vertrauenswürdigkeit angenommen. Das kann man durchaus so sehen, und die Sonderbeziehung im Umfeld von Vertragsverhandlungen spielt ja auch als Grundlage des ganzen Rechtsinstituts der culpa in contrahendo eine bedeutende Rolle. Nur handelt es sich dann auch hier nicht mehr um originären Vertrauensschutz, sondern um den Schutz vor-, quasi- oder sonstwie vertraglicher Beziehungen. 71 Daß aber in solchen Beziehungen das Vertrauen auf die Redlichkeit des anderen geschützt wird, ist leicht erklärlich; den Schadensersatz wegen Nichterfüllung kann man schließlich auch als Ersatz des Schadens begreifen, der durch die Enttäuschung des Vertrauens auf korrekte Vertragserfüllung entstanden ist.
"Vertrauensgestattung" soll nun allerdings auch dort vorliegen, wo der Geschädigte trotz erkannter Gefahrenlage ein Risiko einging im Vertrauen darauf, der 68 v. Craushaar, aaO., S. 25. 69 aaO., S. 27. 70 aao., S. 27 f. 71 Siehe dazu noch unten § 8.
III. Die Konzepte der sozialen Rolle
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spätere Schädiger werde dem Risiko vorbeugen. Dies leuchtet - abgesehen davon, daß im Dunkeln bleibt, worin hier eigentlich eine "Gestattung" zu sehen sein soll - jedoch noch weniger ein. Denn wenn "Vertrauen gestattet" wird, muß auf der anderen Seite auf die Gestattung vertraut werden. Warum soll man dieses tun können?
111. Die Konzepte der sozialen Rolle 1. Vorschläge in der rechtssoziologischen Literatur
Mit dem Vertrauensgedanken im Zusammenhang stehen die von der Rechtssoziologie vorgeschlagenen Konzepte, die vom Modell der sozialen Rolle ausgehen. 72 Der Begriff der "Rolle" will besagen, daß die Person in der Gesellschaft nicht als Individuum, sondern als "in die Gesellschaft eingebundener und von dieser in die Pflicht genommener Funktionsträger" 73 begriffen wird. Dieser sozialen Rolle entsprechen nun Rollenerwartungen der anderen Individuen; werden die enttäuscht, sollen Sanktionen erfolgen. 74 Das Rollenmodell ist auch im vorliegenden Kontext von Bedeutung. Denn das "Vertrauen", das der Bundesgerichtshof in den eingangs vorgestellten Fällen zum Anknüpfungspunkt für SchadensersatzanspTÜche wählen zu können glaubte, ist ja - wenn es denn vorliegt; jedenfalls aber in Gestalt des typisierten Vertrauens - in den "Fachmann", den "Sachverständigen", vielleicht auch die "Berufsrolle" mehr gerichtet als in die einzelne Person, und dies auch in den Fällen, bei denen es verbal beim individuell ausgerichteten Vertrauen bleibt. 75 Mit diesem Ansatz wird der Blick vom Individuum hin zum Kollektiv gerichtet. Das hat, konsequent weiterverfolgt, Folgen auch für die herkömmlichen juristischen Kategorien, die dem liberalen, individualistisch ausgerichteten Geist der Entstehungszeit des Bürgerlichen Gesetzbuches entspringen. Vor allem der Vertrag steht danach zur Disposition. 76 Am weitesten in dieser Richtung geht Köndgen. Er sieht das Willens prinzip im Niedergang und will statt des Konsenses das Versprechen als Verpflichtungsgrund einführen. 77 Ob man sich so weit von gesetzlichen Wertungen entfernen kann, ist zweifelhaft. Das Bürgerliche Gesetzbuch geht ebensowenig wie das Grundgesetz 78 von einem kollektivistischen "Funktionieren" des einzelnen aus. In der Rollentheorie Grundlegend M. Rehbinder, FS E. E. Hirsch, 141 ff. Lammei, AcP 179 (1979), 337, 359 f. 74 Hirsch, Recht im sozialen Ordnungsgefüge, 32; Wüstmann, Rolle, 54; Köndgen, Selbstbindung, 198 ff.; Teubner, in: AK-BGB, § 242, Rn. 75. 75 Coing, WM 1980, 206, 211. 76 Lammei, AcP 179 (1979), 337, 360. 77 Köndgen, Selbstbindung, 132, 156; näher unten 3. 78 Zum Menschenbild des Grundgesetzes BVerfGE 4,7, 15; 8,274, 329. 72
73
5 Loges
§ 5 Die Schutzwürdigkeit von Vertrauen
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ist der einzelne hingegen leicht nicht mehr das, was er sein will, sondern das, was er sein soll. Doch kann eine Auseinandersetzung mit diesem rechtssoziologischen Menschenbild hier dahingestellt bleiben. 2. Die Legitimation der Rollenerwartungen
Der rollentheoretische Ansatz ist allerdings in der Tat geeignet, die neueren Phänomene der "Vertrauenshaftung" in mancher Hinsicht besser zu erklären als die Unterstellung 79 von Vertrauen in die konkret gegenüberstehende Person. Doch leistet er andererseits auch nicht mehr, als das individuelle durch ein generelles Vertrauen zu ersetzen. Für das dadurch entstehende Vertrauensaggregat kann aber material nichts anderes gelten als für das "eigentliche" Vertrauen. Warum also ist Rollenerwartungen zu entsprechen, warum die Enttäuschung solcher Erwartungen zu sanktionieren? Die Bedeutung dieser Frage wird teilweise auch in der Literatur gesehen. 80 Denn ebenso, wie nicht jedes Vertrauen schutzwürdig sein kann, ist klarzustellen, daß in der Rolle generalisierten Verhaltenserwartungen, seien sie faktisch oder normativ, nicht unbedingt rechtlich Rechnung getragen werden muß.81 Insofern droht die Berufung auf eine ,,Rolle" Entscheidungsbegründungen auf einer früheren Stufe zu blockieren, als Verweise auf eine Wertungsbasis dies tun müssen. Die "Rolle" vermag lediglich, die entscheidenden Konflikte differenziert abzubilden. 82 Andere halten dennoch - analog der Diskussion um den Vertrauens schutz - den Schutz der Rollenerwartungen für keiner näheren Begründung bedürftig: "Soll das soziale Leben sich nach den Vorstellungen abspielen, die in einem konkreten Gesellschaftsintegral für maßgeblich gehalten werden, so müssen Verletzungen der 'Rollenerwartung' soziale Folgen haben, die bald als Strafen oder sonstige Nachteile des Täters, bald als Genugtuung oder Schadloshaltung des in seinen Erwartungen Enttäuschten, bald als soziale Prämien für besonders anerkennenswertes Verhalten in Erscheinung treten."83 Immerhin wird erkennbar, daß an die Stelle eines nicht näher definierten Individualschutzes ein ebensowenig konkretisierter Schutz des Gemeinschaftslebens treten soll. Darum geht es auch Wüstmann, der aber die Werte, in deren Interesse er die Entsprechung von Rollenerwartungen anordnen will, aufzeigt: In erster Linie Rechtssicherheit und die Förderung des Güterumschlages im Interesse der Arbeitsteilung seien anzustreben. 84 Beides ist diskussionswürdig und darauf auch 79
80 81 82 83 84
So auch Coing, WM 1980, 206, 211. Lammei, AcP 179 (1979), 337, 360; Teubner, In: AK-BGB, § 242, Rn. 76 ff. Hopt, AcP 183 (1983), 608, 648. Aring u. a., JuS 1973, 39,45. Hirsch, Recht im sozialen Ordnungsgefüge, 32 f. Wüstmann, Rolle, 57.
III. Die Konzepte der sozialen Rolle
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noch näher einzugehen. 85 Doch sind es wiederum eigene Werte; ihr Schutz stellt weder Schutz von Vertrauen in Einzelpersonen noch von solchem in Rollen per se dar. Die Sanktionierung der Nichtentsprechung von Rollenerwartungen, um bestimmte Ziele zu erreichen, verläßt den Gegenstand dieses Abschnittes: den Schutz von Vertrauen. Es wird offenbar, daß die Abstrahierung des Vertrauens zum Vertrauen in soziale Rollen an der Sachlage nichts ändern kann. Vertrauen hat keinen Eigenwert, an den das Recht unmittelbar Schadensersatzansprüche knüpfen könnte. Die vorgestellten rechtssoziologischen Lösungsversuche werden der Tatsache gerecht, daß persönliches Vertrauen in den von der Rechtsprechung entschiedenen Fällen zumeist gar nicht vorgelegen hat und stellen insofern gegenüber der von der herrschenden Meinung vertretenen Lehre einen Gewinn dar. Sie entwickeln in rechtssoziologischer Terminologie eine Figur - die der ,,Rollenerwartung" - , die von der herrschenden Meinung als "normiertes" oder "typisiertes" Vertrauen 86 im Grunde nur als Fiktion zu halten ist. Mehr leisten sie in diesem Zusammenhang nicht. 3. Theorien der Selbstbindung durch Versprechen
Sieht man mit Canaris im Haftungsgrund die Angabe, warum und unter welchen Voraussetzungen die Rechtsordnung die eine Partei schützt,87 dann muß ein Haftungsgrund "Vertrauensschutz" notwendig beim Vertrauenden ansetzen; nur dann handelt es sich schließlich auch um Vertrauensschutz im eigentlichen Sinne. Wegen der engen sachlichen Verknüpfung hiermit sei jedoch im Rahmen der Analyse des Eigenwertes von Vertrauen noch auf Ansätze hingewiesen, welche die Haftung aus einer Selbstbindung durch Versprechen oder sonstiges Verhalten herleiten wollen. Vor allem die rechtsvergleichend und rechtssoziologisch vorgehende Arbeit von Köndgen ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert. 88 Ähnliche Tendenzen finden sich bei Hans StolI, der die Pflichtenbegründung im "einseitigen Leistungsversprechen" verwirklicht sieht,89 und bei Hohloch, der vorn "Haftungsversprechen" spricht. 90 Köndgen löst die Dichotomie Vertrag - Delikt auf und will den Zwischenraum mit einern System "quasi-vertragsrechtlicher" Selbstbindung füllen. 91 Zum 85 86 87 88
Unten § 6, V. und §§ 10, 12. Siehe im einzelnen unten § 6, III. Oben H., 2. Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag; auch: ders., Zur Theorie der Prospekthaftung, 18 ff. Ebenso vom Verpflichteten ausgehend Bassenge, Das Versprechen, der dieses jedoch nicht konsequent durchhält und auch Vertrauensschutzgesichtspunkte verarbeitet (siehe oben Ir. 1.). 89 Hans Sto11, PS Flurne, 741, 750 ff. 90 Hohloch, NJW 1979,2369,2373. 91 Köndgen, Selbstbindung, 185 ff. 5*
§ 5 Die Schutz würdigkeit von Vertrauen
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"Schutz legitimer Erwartungen"92 soll im Grundsatz jede Selbstdarstellung binden, da sich personale Identität nur im Rahmen sozialer Interaktion darstelle; 93 mit dem "Niedergang des Willensprinzips"94 ersetze das Versprechen den Konsens als Verpflichtungsgrund. 95 Dies rechtfertige sich durch das Reziprozitätsprinzip - das Prinzip, nach dem empfangene Leistungen (im weitesten Sinne) zu erwidern sind (was etwa auch in immaterieller Form geschehen kann). Es gelte auch im Quasi-Vertragsrecht und setze die Gegenseitigkeit sozialer Beziehungen an die Stelle der im Bürgerlichen Gesetzbuch allein verwirklichten Gegenseitigkeit vertraglicher Primärleistungen (dem Synallagrna). 96 Daß es "Selbstbindung ohne Vertrag" geben kann, hatte auch schon der BGBGesetzgeber gesehen (in § 657).97 Doch ist dieses im eigentlichen Sinne keine Selbstbindung mehr, sondern Bindung kraft Gesetzes. So legt dann auch Canaris 98 dar, daß das Modell Köndgens in sich widersprüchlich sei. Entweder binde die Rechtsordnung ihrerseits - dann liege nicht Selbstbindung vor, sondern Bindung kraft Gesetzes. Oder die Rechtsordnung stelle den Parteien ein Instrument der Selbstbindung zur Verfügung - dann sei die Bindung rechtsgeschäftlicher, gegebenenfalls vertraglicher Natur. 99 Dem ist insoweit nicht zu entgegnen; Köndgens Konzept reduziert sich dann auf den Versuch, rechtsgeschäftliche Bindung unter erleichterten Voraussetzungen zu schaffen (er selbst spricht vom "favor contractus" 100). Dieser Versuch, jenseits der Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches über das Zustandekommen von Verträgen neue Verpflichtungsgründe zu schaffen, entbehrt insoweit mancher der Schwächen, die den Theorien vom Vertrauensschutz als Verpflichtungsgrund anhaften, als er damit auch die Begründungsschiene "Vertrauen" verläßt und sich auf andere Wertungen - Bedürfnisbefriedigung, Machtausgleich - stützt. Auf sie wird im dritten Teil zurückzukommen sein. Vielfach finden sich daneben aber auch noch Argumente, die auf den Lehren vom rollenkonformen Verhalten basieren. 101 Die Bedenken hiergegen sind soeben vorgetragen worden. Insofern bringt Köndgen nichts Neues. Bleibt man bei der Betrachtung des Selbstbindungskonzeptes, handelt es sich, folgt man wiederum der von Canaris 102 vorgeschlagenen Qualifizierung, um Zurechnungsgesichts-
92
93 94 95 96 97 98
aaO., 149. aaO., 164. aaO., 132.
aaO., 156. aaO., 233 ff. Kramer, AcP 182 (1982), 469, 472. Canaris, FS Larenz 1983,27,93 f. 99 Ähnlich Schulze, JuS 1983, 81, 86. 100 Köndgen, Selbstbindung, 129. 101 Köndgen, aaO., 167 f.; 198 ff. 102 Vertrauenshaftung, 470 f.; näher oben 11., 2.
IV. Folgerungen
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punkte, die letztlich dem "Veranlassungsprinzip" entsprechen. 103 Als solche haben sie durchaus eine Funktion. Sie sagen aber nicht, warum aus solchem "selbstbindenden" Verhalten weitere Verhaltenspflichten sich ergeben sollen. Zur Begründung einer "Vertrauenshaftung" vermögen sie und damit auch die Arbeit Köndgens daher nichts beizutragen. 104 IV. Folgerungen Wenn nicht jedes Vertrauen um seiner selbst geschützt werden kann, dann steht und fällt die Bedeutung des Vertrauens als selbständiges Schutzgut - und nicht nur generelles Schutzziel - des Privatrechts mit dem Gelingen der Bemühungen, die schutzwürdigen Vertrauensfälle zu definieren. Der einzige bisher unternommene ernsthafte Versuch, so verdienstvoll er als solcher auch sein mag, hat zu keinen befriedigenden Lösungen geführt. Die von v. Craushaar herausgearbeiteten Kriterien definieren entweder nur das Problem der Abgrenzung der Sphären verschiedener Rechtssubjekte, das dem Recht schlechthin eigen ist, 105 neu, oder sie greifen auf hinter dem Vertrauen stehende Wertungen zurück. Zumindest letzteres ist an sich nicht verfehlt; es wird auch im weiteren Verlauf dieser Arbeit geschehen. Denn gerade die vorangegangenen Überlegungen haben gezeigt, daß das Vertrauen nicht aus sich selbst heraus seine Schutzwürdigkeit zu begründen vermag. 106 Greift man jedoch auf die hinter dem Vertrauen stehenden Werte zurück, schützt man diese und nicht mehr das Vertrauen. Anders herum zielt das Recht immer auf die Entstehung von Vertrauen: das Vertrauen darauf, daß Rechte und Rechtsgüter oder auch nur rechtlich geschützte Positionen nicht beeinträchtigt werden - eben darauf, daß sich der andere rechtstreu verhält. 107 Diese Rechte, Rechtsgüter und Rechtspositionen gilt es festzulegen, um das Vertrauen aufnormkonformes Verhalten anderer zu ermöglichen. Das Vertrauen auf normkonformes Verhalten anderer setzt den Bestand von Normen voraus. Aus dem ihrem Erlaß nachfolgenden Vertrauen kann man keine weiteren Normen ableiten.
Assmann, Prospekthaftung, 239. In diesem Sinne auch Assmann, Prospekthaftung, 238 f. Er bezeichnet es zwar als "denkbar", daß sich aus der Übernahme sozialer Rollen Pflichten bereits konstitutiv ergeben, hält eine solche Pflichtenbegründung nach dem Veranlassungsprinzip für die Strukturierung vorvertraglicher Verantwortlichkeiten letztlich aber doch für "zu begrenzt". 105 Schapp, Subjektives Recht, 129. 106 So auch Fikentscher, Schuldrecht 7, 298 f.; Assmann, NJW 1982, 1083, 1085; ders., Prospekthaftung, 231; Battes, JZ 1969,683,688; Bohrer, Dispositionsgarant, 305; Joerges, in: AK-BGB, vor §§ 662 ff., Rn. 23. 107 Dieses sagt offenbar ungewollt - v. Craushaar auch mit seinem Rechtfertigungsgrund der ,,normalen Vertrauensgrundlage" . 103
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§ 6 Zum Tatbestand einer negativen Vertrauenshaftung
Das Recht ist also dem Vertrauensschutz vorgelagert. Bestehen keine rechtlich geschützten Positionen, ist ein Vertrauen auf ihren Schutz nicht "berechtigt". Sehr pointiert bemerkt dazu Wieling: "Man kann noch so sehr darauf vertrauen, daß der Besitzer Eigentümer ist, ist die Sache abhanden gekommen, hilft das nichts ... Ein allgemeines Prinzip, wonach ein begründetes Vertrauen geschützt wird, gibt es nicht." 108 Nach allem ist "Vertrauen", auch in der Form des "berechtigten Vertrauens", nicht per se schutzwürdig, ist also kein Rechtswert, der zu seinem Schutz keiner weiteren Begründung bedarf. Die eingangs vorgestellten und im Blickfeld dieser Arbeit liegenden Fallgruppen, die weder innerhalb eines Vertrages noch innerhalb von Vertragsverhandlungen anzusiedeln sind, müssen, wollen sie contra oder doch wenigstens extra legern Bestand behalten, eine andere materiale Begründung erhalten. Die Suche nach einer solchen wird Gegenstand des dritten Teiles sein. Zuvor ist jedoch noch auf die tatbestandliche Ausgestaltung der "Vertrauenshaftung" einzugehen.
§ 6 Zum Tatbestand einer negativen Vertrauenshaftung I. "Subjektive" und "objektive" Tatbestandsformulierung Auf den ersten Blick erscheint es als selbstverständlich, daß "Vertrauenshaftung" eine solche ist, die an ein tatsächlich vorliegendes Vertrauen des Geschädigten anknüpft und zum Ersatz desjenigen Schadens führt, der durch die Enttäuschung eben dieses Vertrauens verursacht wurde. Das Vertrauen des Geschädigten als psychische Tatsache wäre dann Tatbestandsmerkmal für den Anspruch (und unter Umständen vom Gläubiger zu beweisen). Daran bestehen jedoch eine Reihe von Zweifeln.
1. Vertrauensprinzip und Vertrauensgrundsatz
Die Diskussion um das Vertrauen im Recht wird dadurch erheblich erschwert, daß vielfach nicht sauber unterschieden wird zwischen Vertrauen, welches den geltenden Rechtssätzen zugrundeliegt und solchem, welches daneben neue Rechtssätze zu schaffen geeignet ist oder doch sein soll. Larenz gebührt das Verdienst, diesen Unterschied aufgezeigt zu haben. Er schlägt vor, zwischen Grundsätzen und Prinzipien zu trennen. 1 Grundsätze sollen für ein bestimmtes Rechtsgebiet grundlegende Normen sein, die zwar manchen Einschränkungen und Modifikationen unterworfen sein können, aber dort, wo solche nicht bestehen, Wieling, AcP 187 (1987), 95, 100 u. Fn. 21. Larenz, FS Nikisch, 275, 300.
108
1
I. "Subjektive" und "objektive" Tatbestandsfonnulierung
71
auch unmittelbar auf den einzelnen Fall anzuwenden sind. Ein Prinzip hingegen ist nicht "lex", sondern nur "ratio legis": ein konstitutiver Rechtsgedanke, der einer Reihe von Einzelbestimmungen oder einem in sich geschlossenen Kreis von Rechtsregeln als die "sinngebende Mitte" zugrunde liegt. Ein solches Prinzip sei selbst keine Norm, die auf einen einzelnen Fall unmittelbar angewandt werden könnte. Nach Larenz bildet der Gedanke des Vertrauens schutzes nur ein Rechtsprinzip. 2 Dem wird man schon nach dem bisher Gesagten folgen können; fraglich ist dann nur, ob er wirklich nicht mehr - nämlich ein Grundsatz im obigen Sinne - ist. Esser sieht im Vertrauensprinzip einen Sammelnamen für alle im Rahmen gesetzlicher Institute richterlich gebildeten Regeln zum Schutze des auf den Rechtsschein 3 Vertrauenden, welche aus den legislativen Ansätzen eines solchen Schutzes hervorgegangen sind und sie auf neue Bedürfnisse übertragen, ohne "gesetzliche Institutionen von außen her anzugreifen". 4 Das Vertrauensprinzip ist danach ein instruktives Prinzip zur Bildung weiterer judizieller Normen auf dem Gebiet des rechtsgeschäftlichen Verkehrs,5 aber offenbar wie bei Larenz kein selbständiger Verpflichtungsgrund. Eine Reihe von Normen, die das Vertrauen in bestimmte Tatbestände oder das Vertrauen innerhalb bestimmter Beziehungen zum Gegenstand haben, wurde schon betrachtet. 6 Auch liegt - ungeachtet aller Diskussion um Willens- und Erklärungstheorie - der Vertrauensgedanke den §§ 116 ff. BGB mit zugrunde und spielt erst recht innerhalb von Vertragsbeziehungen eine Rolle. Hier liegt das Problem nicht; niemand wollte bestreiten, daß Vertrauen an zahllosen Stellen im Recht von Bedeutung ist. Doch läßt sich der im Gesetz insoweit enthaltene Vertrauensgrundsatz auf die Fälle, in denen weder Vertragsbeziehungen noch wenigstens Vertragsverhandlungen gegeben sind, nach der hier vertretenen Auffassung gerade nicht erstrecken. Wollte man diese Fälle mit der herrschenden Meinung als Anwendungsfelder einer Vertrauenshaftung begreifen, müßte das Vertrauen also lex und nicht nur ratio legis sein, müßte Vertrauensschutz (in der Terminologie von Larenz) mithin einen Grundsatz darstellen. Darauf ist im Nachfolgenden einzugehen. 2. Tatbestandsformulierungen bei der culpa in contrahendo
Die Frage nach dem Vertrauen als - im Sinne Larenz' - "Grundsatz" oder "Prinzip" kehrt wieder beim wohl prominentesten Anwendungsfall negativer 2 3 4
5
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aaO., S. 300.
sie!
Esser, Grundsatz und Nonn, 247 f. aaO., 89. Oben § 3, III.; § 4, 11.
§ 6 Zum Tatbestand einer negativen Vertrauenshaftung
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Vertrauenshaftung, 7 der culpa in contrahendo. So ist es sehr aufschlußreich, sich die verschiedenen, für dieses Rechtsinstitut vorgeschlagenen Tatbestandsformulierungen anzusehen. Hier werden sehr unterschiedliche Lösungen vertreten. In seiner gründlichen Analyse der Tatbestandsformulierungen der culpa in contrahendo unterscheidet Bohrer 8 zwischen "subjektiven" und "objektiven" Theorien. Erstere sind jene, die der Vertrauensbeziehung als solcher haftungsbegründende Kraft zumessen wollen, dabei aber im Einzelfall ,,rechtlich relevantes (schutzwürdiges)" Vertrauen ermitteln müssen,9 wohingegen letzere den Haftungsgrund in einem von außen objektiv wahrnehmbaren, nicht erst aus der Qualifikation subjektiver Vorstellungen der Beteiligten feststellbaren Tatbestand sehen. 10 Zumeist wird bei den objektiven Theorien auf den ,,Eintritt in die Vertragsverhandlungen" abgestellt. 11 Andere gehen etwas weiter und grenzen schon bei der "Aufnahme des geschäftlichen Kontakts" ab. 12 Zu den "objektiven" Ansätzen zählen - von ihrem Ausgangspunkt aus konsequent - auch die meisten Vertreter der Lehre vom "sozialen Kontakt". 13 Weiter finden sich Formulierungen in den verschiedensten Schattierungen, wie etwa der, daß die Eröffnung der Möglichkeit zu einem Vertragsschluß für maßgeblich erklärt wird. 14 Flume spricht ausdrücklich von einer "Rechtsfolge kraft rechtlicher Wertung eines Verhaltens". 15 "Subjektiv", also an das Vertrauen selbst knüpfen vor allem Dölle 16 und Ballerstedt die Haftung für Verschulden bei Vertrags schluß an, obwohl es bei der Vertrauenshaftung gemäß dem letzteren nicht nur "entscheidend auf tatsächlich gewährtes Vertrauen", sondern auch auf das "Vertrauendürfen" ankommt, 17 womit aber anscheinend die Berechtigung des Vertrauens gemeint sein soll. Neben anderen Stimmen ist aus neuerer Zeit auch die Arbeit Bohrers zu nennen. 18 Siehe oben § 1, II. 1. Dispositionsgarant, 145 ff., 162 ff.; umfangreiche Darstellung des Problemkreises auch bei Staud. / J. Schmidt, § 242, Rn. 1203 ff. 7
8
9 10
aaO., 170. aaO., 162 ff.
11 Enneccerus / Lehmann, Schuldrecht, 192; Flume, Rechtsgeschäft, 129; Mielke, Haftung des Stellvertreters, 63; Palandt / Heinrichs, § 276, Anm. 6 A a. 12 Larenz, MDR 1954,515,518; ders., Schuldrecht AT, 109. 13 Unten § 8, I. 2. b); nicht jedoch Dölle (siehe sogleich im Text) als Begründer dieser Lehre. 14 Fikentscher, Schuldrecht6 , 65 (weniger deutlich in der 7. Auflage). 15 Rechtsgeschäft, 129. 16 ZgesStW 103 (1943), 67, 84, 88. 17 Ballerstedt, AcP 151 (1950/51),501,506 ff., 508 (Hervorhebung hinzugefügt). 18 Weitere Befürworter der "subjektiven" Richtung: Soergel 10 / R. Schmidt, vor § 275, Rn. 5; RGRK-Alff, § 276, Rn. 96 mit der eindeutigen Formulierung: "Fehlt der Vertrauenstatbestand, dann kein Schadensersatz"; Nirk, FS Möhring 1975, 71, 76; v. Craushaar, JuS 1971, 127, 129 ff.; Giesen, NJW 1968, 1401, 1402; Lorenz, FS Larenz
1973,575,618 f.
I. "Subjektive" und "objektive" Tatbestandsfonnulierung
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Ihm geht es darum, die culpa in contrahendo und alle ihr verwandten Tatbestände - also gerade auch die hier diskutierten, sich nicht mehr im Rahmen von Vertragsverhandlungen bewegenden Gestaltungen - einheitlich als Fälle konkreter Vertrauenshaftung zu erfassen. 19 Ausgegrenzt werden dabei jedoch die sogenannten Erhaltungspflichten, also der reine Integritätsschutz, und diese einem eigenständigen Institut der gesetzlichen, gleichwohl nicht deliktischen "Haftung aus Leistungskontakt" zugeordnet. 20 Das konkrete, zu schützende Vertrauen nennt Bohrer in richtiger Erkennung dessen Inhaltes die "Verhaltenserwartungen",21 deren Schutzwürdigkeit jeweils im Einzelfall nachzuweisen sei. 22 Einzustehen für ein Verhalten, das solchen Erwartungen nicht entspricht, hat dann der "Dispositionsgarant".23 Die Einstellung der Rechtsprechung 24 zur Frage, ob es auf die im Einzelfall festzustellende subjektive Vertrauenslage des Geschädigten ankommt oder aber lediglich auf darauf hindeutende objektive Indizien, ist unklar. 25 Soweit es um Erhaltungspflichten geht, genügt dem BGH offenbar das objektive Kriterium des Eintritts in die Vertragsverhandlungen, wenngleich der Hinweis auf die Vertrauensbeziehung nicht fehlt. 26 Offen bleibt der Standpunkt bei den Fällen des Abbruchs von Vertragsverhandlungen. 27 Das konkret dem Schädiger im Einzelfall entgegengebrachte Vertrauen ist hingegen haftungsbegründend, soweit es um die Eigenhaftung eines Vertreters aus culpa in contrahendo kraft Inanspruchnahme besonderen Vertrauens geht 28 und in Einzelfällen der Auskunftshaftung,29 während es bei Auskünften im Rahmen einer laufenden Geschäftsverbindung anscheinend nur auf das objektive Vorliegen dieser Verbindung ankommt. 30 Gleiches gilt für die ohnehin am stärksten ,,normativierte"31 Prospekthaftung,32 bei der 19 Bohrer, Dispositionsgarant, 267 ff., 325 ff. 20 aaO., 258 ff., 263, 265; ähnlich für einen Teilbereich Müller-Graff, Geschäftsverbin-
dung, 249. 21 aaO., 92 f.; siehe näher oben § 2, III. 2. 22 aaO., 306, 309; näher zur SchutzwÜfdigkeit des Vertrauens oben § 5, II. 2. und 3. a).
23 Vgl. den Titel der Arbeit und S. 89 ff. Bohrer läßt das Vertrauen in den Fällen zur Vertrauensbeziehung als einer subjektiv von beiden Beteiligten getragenen Erwartungshaltung (S. 91) werden, in denen die erwartungsbegründenden Faktoren dem Gegner zugerechnet werden. 24 Ausführliche Analyse bei Bohrer, Dispositionsgarant, 151 ff. 25 A. A. Nirk, FS Möhring 1975, 71, 84 f., der den BGH so interpretiert, daß stets ein "gewährtes und in Anspruch genommenes besonderes (gesteigertes) Vertrauen" verlangt wird. Wie hier Daum, NJW 1968,372,375. 26 BGH NJW 1976,712; NJW 1977,376. 27 BGH NJW 1970, 1840; ähnlich HAG NJW 1963, 1843. 28 BGHZ 63, 382, 384; auch oben § 1, 11. 3. a). 29 BGH MDR 1976,448; auch oben § 1, 11. 2. 30 BGHZ 13, 198, 200; 21, 102, 107; 49, 167, 168 f.; ebenfalls ohne Ennittlung konkreten Vertrauens BGHZ 33, 302, 311; 47, 224, 228. 31 Dazu unten 111.
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§ 6 Zum Tatbestand einer negativen Vertrauenshaftung
nur noch danach gefragt ist, wem der Anleger denn "typischerweise"33 in derartigen Situationen vertraut. Insgesamt geht die Tendenz in jüngerer Zeit wohl dahin, daß objektiv feststellbaren Eigenschaften von Personen oder auch nur Personenkreisen Rechnung getragen wird. 34 Eine derartige Objektivierung ist mit der Ausweitung des Institutes der culpa in contrahendo über die seit langem anerkannten Grenzen hinaus auch notwendig verbunden. Bei der Betrachtung dieses Problems ist jedoch zu bedenken, daß auch diejenigen, die das Vertrauen selbst zum Haftungsgrund wählen, die subjektive Tatsache "Vertrauen" stets nur anhand objektiver Indizien erschließen können. Dem Recht ist es nur möglich, Vertrauen zu beachten, wo überhaupt ein äußeres Verhalten den Schluß auf das Vorhandensein einer Vertrauens lage zuläßt. 35 Aus diesem Grunde ist der Schritt dahin, von vornherein - und auch schon bei der Formulierung des Tatbestandes - nur noch an objektive Kriterien anzuknüpfen, weniger groß. 36 Dies gilt umso mehr, als sich ja beide Lösungen auf den Vertrauensgedanken berufen. Für die Vertreter der einen Lösung hat er unmittelbar haftungsbegründende Kraft. Hier stellt sich in besonderer Schärfe die Frage, warum Vertrauen in einzelnen Fällen zur Haftung führt, in anderen, viel zahlreicheren, in denen es ebenso oder gar in noch intensiverer Form vorliegt, aber nicht (unten 11. 2.). Die Vertreter der anderen Lösung betrachten das Vertrauen offenbar mehr als "inneren Grund" der Haftung. Sie haben - wollen sie dennoch bei einer echten "Vertrauenshaftung" bleiben und nicht bloß auf das allgemeine Vertrauen auf normkonformes Verhalten anderer rekurrieren - erklärlich zu machen, wie die Schadensersatzansprüche in den Fällen zu begründen sind, in denen ersichtlich kein Vertrauen vorliegt (unten 111.). Zuvor ist ein gegen jeden Ansatz von "Vertrauenshaftung" gerichteter Einwand zu behandeln.
11. Die Eignung des Vertrauens als Tatbestandsmerkmal 1. Der Zeitpunkt des Vorliegens von Vertrauen
Frotz wendet sich gegen die "vertrauenstheoretische Pflichtbegründungskonzeption" der herrschenden Meinung mit dem Argument, das nachfolgende Vertrauen, etwa in die Richtigkeit einer Auskunft, könne nicht schon vor Abgabe 32 BGHZ 71, 284, 287; 72, 382, 384; 79, 337, 341; WM 1984, 889 f.; auch schon oben § 1, II. 3. b). 33 BGHZ 71, 284, 287. 34 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 632. 35 Sticht, Haftung des Vertretenen, 42; Eichler, Rechtslehre vom Vertrauen, 5. 36 Bohrer, Dispositionsgarant, 145 ff., 162 ff., sieht demgegenüber hier fundamentale Unterschiede. Sein Credo für den subjektiven Weg untermauert er auch mit dem Hinweis darauf, daß Jhering (Jher. Jb. 4, 1), allseits als Begründer der c.i.c. betrachtet, ebenfalls ein konkretes Vertrauen (nämlich auf das Zustandekommen des Vertrages) zum Ausgangspunkt nahm (Bohrer, aaO., Vorwort, XVI).
11. Die Eignung des Vertrauens als Tatbestandsmerkmal
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der Erklärung eine Schutzpflicht des Erklärenden entstehen lassen. 37 Das Vertrauen des Geschädigten sei vielmehr nur Kausalglied zwischen der Handlung des Schädigers (im Beispiel der unrichtigen Auskunft) und dem Schaden, der durch die im Vertrauen auf die Richtigkeit vorgenommen Vermögensdispositionen entsteht. Auch Ballerstedt, einer der Protagonisten der Lehre vom Vertrauensschutz, der die berühmt gewordene Formel von der "Verpflichtung durch Gewährung in Anspruch genommenen Vertrauens"38 geprägt hat, verneint diese Funktion des Vertrauens nicht. 39 Frotz hält es jedoch für "rechtsdogmatisch ausgeschlossen", mit der Ursächlichkeit eines Verhaltens für einen Schaden eine durch das Verhalten verletzte, diesem also vorgelagerte Schutzpflicht zu begründen. 40 Die Aufdeckung der Funktion des Vertrauens als Mittler zwischen Verletzungshandlung und Schaden ist verdienstvoll und in anderem Zusammenhang noch von Interesse. 41 Nur bedingt zu überzeugen vermag es jedoch, wenn Frotz den zeitlichen Aspekt betont. Denn man kann durchaus annehmen, daß das Vertrauen des Geschädigten, das nach der "Verletzungshandlung" (hier: der falschen Auskunft) den Schaden bewirkte, schon in dem Moment vorlag, in dem der Geschädigte den anderen um Auskunft ersuchte. 42 Auch in allen anderen angeschnittenen Fällen läßt sich ein Vertrauen, so man es überhaupt heranziehen will, schon im Zeitpunkt des Eintritts in die Sonderverbindung finden. Dieser Ausweg ist jedoch nur gangbar, wenn man "Vertrauen" im Sinne einer Vertrauensbeziehung zu der Person des Vertrauensveranlassers begreift;43 eine solche kann auch schon vor der Erteilung der schädigenden Information bestehen. Sieht man den Gegenstand des Vertrauens dagegen in der Richtigkeit der Information,44 ist der Einwand von Frotz zutreffend.
2. Die Stellung des Vertrauens im System der Vertrauenshaftung sowie der Delikts- und Vertragshaftung
Picker 45 hat den Gedanken von Frotz weiterverfolgt und die Funktion des Vertrauens bei der "Vertrauenshaftung" mit der bei der Vertrags- und Deliktshaftung verglichen. 37 Frotz, GS Gschnitzer, 163, 169 f.; ders., Verkehrsschutz im Vertretungsrecht, 65 ff.; ebenso Schmitz, Dritthaftung, 107. 38 Ballerstedt, AcP 151 (1950/51), 501, 507. 39 aaO., S. 510; ebenso Erman, AcP 139 (1934), 273, 312; Flume, Rechtsgeschäft, 129, Fn. 36a. 40 Frotz, GS Gschnitzer, 163, 170. 41 Siehe sogleich unten 2. 42 Larenz, FS Ballerstedt, 397, 399. 43 Vgl. oben § 4. 44 Davon wurde zunächst oben § 3, II. 1. und 2. a) ausgegangen; siehe aber jeweils am Ende. 45 PickeT, AcP 183 (1983), 369,418 ff.; ders., JZ 1987, 1041, 1046.
§ 6 Zum Tatbestand einer negativen Vertrauenshaftung
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Er stimmt den oben genannten Autoren darin zu, daß das Vertrauen des Geschädigten als Bindeglied zwischen Verletzungshandlung und Schaden fungiert. Doch sei dies keineswegs nur bei der Vertrauenshaftung der Fall, so daß mit Hilfe des Vertrauensgedankens der Nachweis eines eigenständigen Haftungsgrundes 4fJ für die zwischen Vertrag und Delikt angesiedelten Fälle nicht geführt werden könne. Denn auch in eindeutig deliktsrechtlich zu lösenden Fällen spiele das Vertrauen des Geschädigten eine Rolle: Wer im Straßenverkehr eine Kreuzung bei "Grün" überquere, tue dies durchaus, zumal bei unübersichtlicher Verkehrslage, im Vertrauen darauf, daß andere Verkehrsteilnehmer das ihnen geltende "Rot" beachten. 47 Dennoch sei noch niemand auf die Idee gekommen, solchem "Vertrauen" haftungsrechtliche Relevanz beizumessen. Noch deutlicher sei dies bei der Abgrenzung der Vertrauenshaftung zu vertraglichen Einstandspflichten. Auch dort habe der Geschädigte, der mit dem Schädiger einen Vertrag geschlossen habe, den denkbar besten Grund, seinem Partner zu vertrauen, und doch werde "Vertrauen" als Haftungsgrund hier durchgängig nicht einmal erwogen. 48 Nach allem bilde - nach der herrschenden Ansicht - das Vertrauen den "tragenden Grund" der Haftung dort, wo es durchweg nur in gemilderter Form existiert, während man ihm in den Fällen, "in denen es sozialwie individualpsychologisch als Tatsache manifest ist", 49 diese Funktion verwehre. Picker sieht jedoch noch eine zweite Stelle, an der Vertrauen im haftungsrechtlichen Gefüge eine Rolle spielt, und findet auch dort keine Unterschiede zwischen der "Vertrauenshaftung" einerseits und Vertrags- und Deliktshaftung andererseits. Denn in allen hier angesprochenen Fällen ist Vertrauen auch das ordnungspolitische Ziel, um dessentwillen die Haftung besteht: Schadensersatzpflichten sollen auch präventiv dahin wirken, daß die zum Ersatz verpflichtenden Verhaltensweisen nicht mehr vorgenommen werden und somit es ermöglichen, auf die Nichtvornahme solcher Verhaltensweisen zu vertrauen. 50 Picker sieht in dieser doppelten Funktion des Vertrauens gedankens die generelle Interdependenz zwischen Erwartungshaltung und Rechtsnorm erfaßt, ohne daß jener mehr leisten könne als die Aufgabe zu umschreiben, die das Recht bei der Formulierung von Einstandspflichten zu erfüllen habe. 51 Denn ein Prinzip, das notwendigerweise jeden Haftungstatbestand in beschriebener Form durchzieht, könne nicht gleichzeitig für nur einen Tatbestand konstituierend sein und für ihn aaO., S. 421; zu dessen Bedeutung schon einleitend § 1, IV. 2. aaO., S. 422; zu diesem Beispiel auch Larenz, MDR 1954, 515, 517 (dazu im einzenen unten 3.); Erdsiek, Jur. Jahrb. 67/68, 36, 50; Daum, NJW 1968, 372, 376; Schulte, JA 1979,97. 48 Picker, AcP 183 (1983), 369, 422 f. 49 aaO., S. 424. 50 aaO., S. 427. 51 aaO., S. 429. 4fJ 47
II. Die Eignung des Vertrauens als Tatbestandsmerkmal
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auch nicht die notwendige - und in der vorliegenden Arbeit gerade gesuchte - materiale Begründung abgeben. 3. Vertrauen als in Verbindung mit anderen Faktoren haftungsbegründendes Moment
Der Umstand, daß Vertrauen auch in den ,,klassischen" Haftungsfällen durchaus vorliegt, wird auch von anderer Seite 52 und selbst von Canaris als besonders engagiertem Verfechter der Vertrauenshaftung 53 zugestanden. Dennoch - wenn auch nicht in unmittelbarer Auseinandersetzung mit der soeben referierten Argumentation - wird ganz überwiegend an der haftungsbegründenden Funktion des Vertrauensgedankens festgehalten. Denn Vertrauen vermag danach zwar nicht allein, aber doch in Verbindung mit anderen Umständen das Rechtsinstitut zu tragen. Als solche Umstände werden, wie schon durch die beschriebene enge Anlehnung der Vertrauenshaftung an die culpa in contrahendo nahe liegt, in erster Linie die durch die Vertragsverhandlungen begründete Sonderverbindung 54 oder, weitergehend, jede Sonderverbindung, sofern sie ausreichend eng ist,55 beziehungsweise "das Handeln innerhalb des rechts geschäftlichen Verkehrs" 56 genannt. Leicht erkennbar wird, daß hier die Formulierungen wiederkehren, die zuvor 57 als von Bohrer 58 sogenannte "objektive" Theorien in Erscheinung getreten sind. Insofern liegt darin nichts anderes als der Versuch, die Vertrauenshaftung tatbestandlieh zu erfassen und einzugrenzen. Zu einer materialen Begründung der Vertrauenshaftung, wie sie hier zu finden ist, tragen solche Vorschläge nichts bei. Es handelt sich dann auch nicht im eigentlichen Sinne um Pflichtverstärkungsfaktoren, sondern um Pflichtbeschreibungsfaktoren. Im übrigen impliziert der Ausdruck "Verstärkung", daß das, was verstärkt wird, dem Grunde nach bereits existiert. Ob aus dem Vertrauensschutzgedanken Pflichten entspringen, ist aber gerade die Frage! Würde aber, andererseits, den Pflichtverstärkungsfaktoren ein materialer Grund entnommen, dann handelte es sich nicht mehr um eine Vertrauenshaftung. Dann - und in diese Richtung scheinen in der Tat einige der objektiven Theorien zu tendieren - wird das Vertrauenselement auf das allgemeine, überall vorfindbare 52 BGH NJW 1974, 1503, 1504; Larenz, MDR 1954, 515, 517 und FS Ballerstedt, 397,399; Mielke, Haftung des Stellvertreters, 36; Schmitz, Dritthaftung, 41. 53 Canaris, Vertrauenshaftung, 2 und 442, Fn. 16; ders., FS Larenz 1983, 27, 105. 54 Mielke, Haftung des Stellvertreters, 36. 55 BGH NJW 1974, 1503, 1504. S6 Canaris, Vertrauenshaftung, 442. 57 Oben I. 2. 58 Dispositionsgarant, 163.
§ 6 Zum Tatbestand einer negativen Vertrauenshaftung
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Vertrauen in normkonformes Verhalten anderer reduziert. 59 Aufschlußreich ist die Bemerkung von Canaris, das Vertrauen besage, warum der Geschädigte überhaupt schutzbedürftig sei, die "Pflichtverstärkungsfaktoren" hingegen dienten der Begründung, warum der Vertrauensschutzgedanke "gerade hier" zur Haftung führe. 60 Im eingangs (oben 1.) beschriebenen Sinne sind Haftungsgrund dann nur diese zusätzlichen Faktoren. So leicht ist dem Dilemma einer "Vertrauenshaftung" eben nicht zu entgehen.
IH. Tatsächlich vorliegendes und "normatives" Vertrauen Vertrauen im einfachsten Sinne des Wortes ist eine beim einzelnen gegebene psychische Realität, ein seelischer Zustand. 61 Soll ein Anspruch auf Schadensersatz auf Enttäuschung von Vertrauen beruhen, das Vertrauen also Tatbestandsmerkmal des Anspruches sein, müßte Vertrauen beim Gläubiger als aktueller psychischer Zustand tatsächlich vorgelegen haben und dieses im Prozeß bewiesen worden sein. Hält man Vertrauen wirklich für das Tatbestandsmerkmal - und daraus folgend auch den Haftungsgrund 62 - , kommt man nicht umhin, diesen Beweis zu führen. Angesichts der offenbaren Schwierigkeiten eines derartigen Unterfangens wird klar, warum die Rechtsprechung zumindest teilweise sich mit objektiven Indizien für die Vertrauensbeziehung begnügt. Doch auch dann, wenn man die Vertrauensbeziehung nur anhand objektiver Kriterien - wie dem Eintritt in Vertragsverhandlungen, der Stellung als "Sachwalter", "Fachmann" oder Emittent von Anlageprospekten - ermittelt, muß geklärt werden, wie Vertrauen der innere Grund eines Anspruches auch in Fällen sein kann, in denen es ersichtlich gar nicht vorliegt. Schon bei der Analyse der Stellung des Vertrauens im Haftungssystem 63 war darauf hingewiesen worden, daß außerhalb der Vertrauenshaftung unter Umständen das tatsächlich vorliegende Vertrauen des Geschädigten viel größer ist als bei den hier relevanten Fallgruppen. Und etwaiges besonderes Mißtrauen, wie es etwa gegenüber den Initiatoren einer Kapitalanlage-Kommanditgesellschaft in der Regel nicht nur angebracht ist, sondern bei zumindest einigen der Geschädigten, denen der BGH Ersatz zusprach, auch konkret vorgelegen haben dürfte (ganz zu schweigen von den "Sachwalter"-Fällen im Gebrauchtwagenhandel), 64 führt als solches auch niemals zum Ausschluß des Anspruches - wäre es doch geradezu absurd, Leichtgläubigkeit nicht nur zu prämieren, sondern gleich zur Näher unten IV. 3. Vertrauenshaftung, 442, Fn. 16. 61 Zu Begriff und Wesensart des Vertrauens siehe im einzelnen oben § 3, I. 62 Zur Gleichsetzung dieser beiden Gesichtspunkte bei Erzeugnissen der Rechtsfortbildung siehe einleitend § 1, IV. 3. 63 Oben 11. 2. 64 Medicus, Probleme, 21. 59
60
III. Tatsächlich vorliegendes und "nonnatives" Vertrauen
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Anspruchsvoraussetzung zu machen (anders ist es natürlich dann, wenn aufgrund des Mißtrauens die Kausalkette zwischen Pflichtverletzung und Schaden unterbrochen wurde 65). "Subjektiv verstanden" werden darf das Vertrauensprinzip also nicht 66 , will man so weit gehen wie die Rechtsprechung und die herrschende Meinung. Das läßt vermuten, daß es in Wahrheit nicht auf das reale Vertrauen des Anspruchstellers ankommt, sondern auf das Verhalten dessen, der Vertrauen erweckt (oder nicht erweckt). 67 Will man dennoch an ein Vertrauen des Geschädigten anknüpfen, muß man zu einem "typisierten"68, "normativen"69 Vertrauensbegriff übergehen. So tut es auch besonders eindrucksvoll das Bundesarbeitsgericht: "Es kommt also darauf an, welche Pflicht der redliche Verkehr dem Beklagten ... gegenüber der Klägerin auferlegt, insbesondere aber nicht darauf, was die Klägerin etwa subjektiv erwartet hat."70 Das ist in der Sache schon einer glatte Abkehr vom Vertrauensgedanken. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes stellt den vorläufigen Höhepunkt an Mediatisierung des Vertrauens gedankens die "Garantenstellung" dar, die den Verfassern von Kapitalanlageprospekten und ihren Hintermännern kraft Amtes, Berufes oder besonderer Fachkunde erwachse. 71 Wurde insoweit dem tatsächlich vorliegenden Vertrauen das "typisierte" entgegengesetzt, so ist es in anderen Fällen das "besondere", welches über das normale Vertrauen hinausgehen muß, um Verhaltenspflicht und darauf beruhende Haftung zu konstituieren. 72 Die Eigenhaftung des rechts geschäftlichen Vertreters 73 oder des Geschäftsführers einer GmbH74 bedarf zu ihrer Begründung im krassen Gegensatz zu den Fällen der Prospekthaftung solchen "besonderen Vertrauens".75 Dennoch zögerte der BGH nicht, die Prospekthaftung an die Sachwalterhaftung anzulehnen. 76 Das Vertrauen ist damit als Tatbestandsmerkmal ebenso endgültig diskreditiert wie als bloßer "innerer Grund". Eine letzte Merkwürdigkeit sei angefügt. 77 Die "typische Vertrauensgewährung" , die fähig sein soll, die Prospekthaftung zu tragen, wird an anderer Stelle, wo mit ihrer Hilfe ein Durchgriff durch die GmbH auf ihre Gesellschafter zu 65 Schmitz, Dritthaftung, 108.
Thiele, JZ 1967,649,651 f.; a. A. Bohrer, Dispositionsgarant, 92 f. Frotz, GS Gschnitzer, 163, 169. Thiele, JZ 1967,649,652; Canaris, Vertrauenshaftung, 504. Wiedemann/Schmitz, ZGR 1980, 129, 135. BAG BB 1957, 785, 786. BGHZ 77,172,176; BGH JZ 1981,447,448; dazu schon oben § 1,11.3. b). 72 Darauf weist Hopt, AcP 183 (1983), 608, 644 hin; krit. zum "besonderen Vertrauen" auch Medicus, Probleme, 21. 73 BGHZ 56, 81, 84. 74 BGHZ 87, 27, 39. 75 Ebenso Larenz, FS Ballerstedt, 397, 414 f. 76 Oben § I, 11. 3. b). 77 Darauf weist Assmann, Prospekthaftung, 242, hin. 66
67 68 69 70 71
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§ 6 Zum Tatbestand einer negativen Vertrauenshaftung
erreichen wäre, vom gleichen Senat, der auch für die Entwicklung der Grundsätze zur Prospekthaftung verantwortlich zeichnete, nunmehr als unbeachtlich abgetan. Der BGH will in seinem Konzept kein Rechtsinstitut, sondern eine Rechtsfortbildung zur Schließung einer Gesetzeslücke sehen. 78 Dem entspricht das an anderer Stelle stets gezeigte Bemühen um die Anlehnung neuer Haftungsfiguren an die culpa in contrahendo. 79 Eine solche Argumentation ermangelt in all ihrer Inkonsequenz der Qualität, die von der Begründung für eine Rechtsfortbildung contra legern unabdingbar zu fordern ist. Denn das absolute Minimum für einen derartigen Schritt wäre eine in sich schlüssige Begründung. Die hier aufgezeigten Widersprüche deuten bereits in eine neue Richtung: Dahin, daß nicht das Vertrauen dem Anspruch vorausgeht, sondern daß vielmehr der Anspruch bestehen soll, damit man vertrauen können darf.
IV. Der Zirkelschluß in der Argumentation 1. Die Sonderbehandlung der Vertrauenshaftung
Mit seiner Analyse der systematischen Stellung des Vertrauens in den drei 80 verschiedenen Haftungssystemen des geltenden Rechts hat Picker auf einen Punkt gedeutet, der eine "Vertrauenshaftung", die diesen Namen verdient hätte, nun auch noch dogmatisch als unhaltbar erscheinen läßt. Dies zeigt sich an prominenter Stelle schon beim Versuch, den Begriff "Vertrauenshaftung" zu umgrenzen. 81 Canaris erkennt an, daß auch im deliktischen Bereich der Vertrauensgedanke eine Rolle spielt, hält es aber für "unzweckmäßig", auch dort von Vertrauenshaftung zu sprechen, liege doch "das Schwergewicht ... auf dem deliktischen Unrecht, für das der Mißbrauch des Vertrauens lediglich eines unter mehreren Elementen" sei, und deshalb gehe es "um ,Deliktshaftung' und nicht um ,Vertrauenshaftung"'. 82 Hier wird, quasi wider besseres Wissen, der Vertrauensgedanke schon terminologisch isoliert und nur noch auf die Fälle bezogen, zu deren Begründung er dienen soll. Vertrauen ist jedoch ein BGH WM 1981, 1021, 1022. Oben § 1, 111. 4. 80 Ob die außervertragliche Haftung nach Vertragsgrundsätzen (die in dieser Arbeit - oben § 1, 111. 4. - bisher nur von der c.i.c. dogmatisch unterschieden wurde) nun wirklich ein eigenes, drittes Haftungssystem darstellt oder aber an Delikts- oder Vertragsrecht angelehnt werden kann oder muß, ist eine vieldiskutierte Frage, der hier noch nicht weiter nachgegangen werden soll. Für die Suche nach dem materialen Geltungsgrund dieser Fälle mag es aber zunächst erlaubt sein, von einem eigenständigen Komplex zu sprechen. Siehe im übrigen unten § 13. 81 In diesem Sinne auch Picker, AcP 183 (1983), 369, 424. 82 Canaris, Vertrauenshaftung, 2 f. 78 79
IV. Der Zirkelschluß in der Argumentation
81
Faktor, der in gewisser Weise der gesamten Rechtsordnung und insbesondere der Rechtsgeschäftslehre zugrunde liegt. 83 Nun ließe sich vielleicht diese unterschiedliche Behandlung von Vertrauensund Deliktshaftung noch damit begründen, daß man das Vertrauen des Geschädigten in einer Sonderbeziehung für intensiver hält, weil auf eine bestimmte oder bestimmbare Person gerichtet, als das nur generelle Vertrauen darauf, daß von irgendeinem Dritten keine Rechtsgutsverletzung ausgeht. Doch trägt schon dieser Ausgangspunkt nicht: Der deliktisch haftende Schädiger ist keineswegs völlig anonym; das Vertrauen darauf, daß ein bestimmter, erkennbarer Kraftfahrer die Vorfahrt der anderen beachtet, kann im Gegenteil ein sehr konkretes sein, während der nach Vertrauensgrundsätzen entschädigte Anleger, wie mehrfach erwähnt, nicht einmal von der Existenz seiner späteren Gläubiger gewußt zu haben braucht. 84 Zum anderen wird bei der Abgrenzung zur Vertragshaftung ebenso verfahren; auch sie, vereinzelt sogar das Institut des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen, 85 wird von der Vertrauenshaftung schon begrifflich geschieden. 86 Dabei steht das Vertrauen in die Redlichkeit des Vertragspartners an Intensität und Spezifizierung dem in die Redlichkeit einer anderen Person, zu der man in (nichtvertraglicher) Sonderverbindung steht, in nichts nach. Nach allem leuchtet es nicht ein, wie ein Element, das in allen Haftungstatbeständen die gleiche Rolle spielt, in manchen sogar eine noch gewichtigere als bei der Vertrauenshaftung, nur bei dieser nun gerade zur Begründung der Haftung soll dienen können. Die Verlegenheit, in welche die vertrauens theoretische Pflichtenbegründung gerät, verdeutlicht unfreiwillig Bohrer, wenn er gezwungen ist, den Tatbestand seiner subjektiv verstandenen Vertrauenshaftung, das Vorliegen einer Stellung als "Dispositionsgarant" , aus der Rechtsfolge heraus zu definieren: Als Dispositionsgarant wird eine solche Person bezeichnet, "die mit einer anderen Person in einer (nach dem Risikogedanken zugerechneten) Vertrauensbeziehung steht, aus der Sicht des Vertrauenden die Gewähr für den Sinn einer Disposition trägt und, insofern ist der Begriff einzugrenzen, bei einer eventuellen Enttäuschung des Vertrauens auf das negative Vertrauensinteresse haftet."87 Allzusehr merkt man einer solchen "Vertrauenshaftung" an, daß sie ihre dogmatische Struktur lediglich der Verlegenheit verdankt, für gewünschte Ergebnisse eine brauchbare Form zu finden. Der gleiche Einwand trifft auch die Lehren, die das Vertrauen in Verbindung mit ,,Pflichtverstärkungsfaktoren" als Haftungs83 Schmitz, Dritthaftung, 41. Selbst die Diskussion um die Frage, ob Heizungsanlagen wesentliche Bestandteile des Gebäudes sind, in welches sie eingefügt werden, wird mit Hilfe von Vertrauensschutzüberlegungen geführt (H. Costede, NJW 1977, 2340, 2341). 84 Siehe oben § I, H. 3. b). 85 Hans Sto11, FS Flume I, 741, 765. 86 Canaris, Vertrauenshaftung, 411 ff., 430. 87 Bohrer, Dispositionsgarant, 299 (Hervorhebungen hinzugefügt).
6 Loges
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§ 6 Zum Tatbestand einer negativen Vertrauenshaftung
grundlage ansehen - jedenfalls solange, wie diese Faktoren, wie auch immer man sie im einzelnen einordnet, das Vertrauen nur verstärken, nicht ersetzen sollen. Canaris begegnet solcher Kritik mit dem Einwand, es sei "geradezu das Wesen allgemeiner Rechtsprinzipien, daß sie an den unterschiedlichsten Stellen der Rechtsordnung von Bedeutung sind." 88 Das ist zwar richtig; doch ist man bis hierher nur dahin gekommen, den Vertrauensschutz als - im Larenzschen 89 Sinne - Prinzip, und nicht als Grundsatz, welcher selber Rechtsfolgen in sich zu tragen geeignet ist, anzusehen. Und Canaris widerlegt sich auch gleich selber, wenn er zur Unterstützung seiner These das Beispiel des Risikoprinzips anführt, welches in vielen Gebieten des Rechts von Einfluß, doch nur bei der Gefahrdungshaftung tragender und systemprägender Gesichtspunkt sei. 90 Der Unterschied zur "Vertrauenshaftung" ist ja gerade der, daß die Gefährdungshaftung sich aus dem Gesetz ergibt und es eine "ungeschriebene Gefahrdungshaftung kraft Risikoprinzips" eben nicht gibt. Doch geht die Kritik wohl zu weit, die aus beschriebenen Gründen es bereits "logisch" für ein "Unding" hält, den Vertrauensgedanken als konstitutiv für die Haftung anzusehen: 91 Denkbar ist es natürlich schon, einen Umstand mal so, in gleichgelagerten Konstellationen aber auch anders einzuordnen - sofern man dafür Gründe hat (die dann in der Tat in den "Pflichtverstärkungsfaktoren" zu finden wären). Es entbehrt nur jener Überzeugungskraft, die man sich von der Begründung für ein contra legern entwickeltes Rechtsinstitut erhofft. Und es macht es unmöglich, den Tatbestand des Institutes zu formulieren. 2. Vertrauen als Schutzziel
Es läßt sich aber die "vertrauenstheoretische Pflichtbegründungskonzeption"92 spätestens dann nicht mehr halten, wenn man daran erinnert, daß Vertrauen beim Anspruchsteller häufig gar nicht vorliegt, aber nach dieser Konzeption auch nicht vorzuliegen braucht. 93 Die beschriebenen Versuche, dem Dilemma mit einem generalisierenden Vertrauensbegriff zu entkommen, 94 machen deutlich, daß diese Argumentation sich in Wahrheit auf eine Fiktion stützt 95 und einen Zirkelschluß darstellt: 96 Das Vertrauen, das angeblich geschützt wird, wird durch die Recht88 Canaris, FS Larenz 1983, 105. 89 Siehe oben I. 1. 90
91 92 93 94 95
aaO., 105. Picker, AcP 183 (1983), 369, 427. Ausdruck bei Frotz, GS Gschnitzer, 163, 168. Ebenso Assmann, Prospekthaftung, 230; Hopt, AcP 183 (1983), 608, 642 ff. oben III. Scholz, Jura 1983, 1, 4.
IV. Der Zirkelschluß in der Argumentation
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sprechung zum "Vertrauensschutz" erst geschaffen. Es ist Ergebnis der eingangs dieser Arbeit beschriebenen Entwicklung, liegt ihr aber nicht voraus, ist Schutzziel, nicht Schutzgut. Assmann formuliert, gehe es um "Vertrauendürfen", so normativiere sich der Vertrauenstatbestand und lege Verhaltenspflichten fest, die durch tatsächlich gewährtes Vertrauen bestenfalls aktualisiert, aber kaum konstituiert würden. 97 In dieser Funktion liegt es aber jeder juristischen Arbeit zugrunde. Das Vertrauen der Rechtsgenossen darauf, daß der andere seine Pflichten erfüllt, wird durch die präventive Wirkung jeder Sanktion, wie sie die Schadensersatzpflicht bei Verletzung dieser Pflichten darstellt, erfüllt. "Der Vertrauens gedanke . . . liefert eine anschauliche Beschreibung der Aufgabe, die das Recht durch die Formierung von Einstandspflichten zu lösen hat." 98 Mehr vermag er nicht zu leisten. 3. Vertrauensschutz und Rechtsschutz
Die bisherigen Erkenntnisse lassen noch einige Bemerkungen zum Verhältnis von Vertrauen und Rechtsordnung im allgemeinen angebracht erscheinen. Wenn Vertrauen allein nicht imstande ist, Pflichten zu konstituieren, diese vielmehr schon vor der "Gewährung und Inanspruchnahme von Vertrauen" Bestand gehabt haben müssen, bleibt zu fragen, welche Rolle Vertrauen in diesem Zusammenhang noch spielen kann. Darauf ist die Antwort bei der Darstellung der Ansicht von Picker 99 im Grunde schon gegeben worden. "Der gesamte Gedanke des Vertrauensschutzes verlagert sich auf das Vertrauen in die rechtliche Sanktionierung." 100 In dieser Gestalt aber verliert" Vertrauen" seine Funktion als unmittelbar das Recht gestaltende Kategorie, wird konturlos und als "sozialer Mechanismus der Anleitung und Koordinierung von Verhalten" ungeeignet. Anders gesagt: Dort, wo das Recht die Aufgabe der Sicherung von Verhaltenserwartungen übernommen hat, macht es das Vertrauen weitgehend funktionslos. Des Vertrauens bedarf es vielmehr dort, wo rechtlicher Schutz (noch) nicht gewährleistet ist. 101 Der Gedanke eines rechtlich einklagbaren Vertrauens schutzes führt zur Verwischung der Kategorien ,,Recht" und "Vertrauen", die, nach einem Wort Luhmanns, in komplexeren Gesellschaften nicht mehr rational ist. 102 Recht und Vertrauen trennen sich schon in den Motivationsgrundlagen: Letzteres beruht auf persönlicher Risikobereitschaft, dem Einbringen seiner selbst seitens des 96
v. Bar, ZGR 1983,476,500; Coing, WM 1980,206,211; Teubner, in: AK-BGB,
§ 242, Anm. 56.
Assmann, Prospekthaftung, 231. Picker, AcP 183 (1983), 369, 429. 99 Oben 11. 2. 100 Assmann, Prospekthaftung, 232. 101 Assmann, aaO., 232. 102 Luhmann, Vertrauen, 35. 97 98
6"
84
§ 6 Zum Tatbestand einer negativen Vertrauenshaftung
Vertrauenden, ersteres wird hingegen nur noch "unpersönlich", durch die Gesellschaft und notfalls von ihr ausgeübten und legitimierten Zwang gesichert. 103. "Vertrauen" ist ein diffuses Phänomen, das Recht hingegen eine in immer höherem Maße ausdifferenzierte Materie. Die Überlagerung dieser Materie durch einen allgemeinen "Grundsatz des Vertrauensschutzes" droht, solche Differenzierungen einzuebnen, besser ausformulierte konstruktive Errungenschaften zu gefahrden. Die Grenzen zwischen "Vertrauenshaftung" und anderen, anerkannten und bewährten Rechtsinstituten drohen verloren zu gehen. 104 Mit dem Verlust seiner Differenziertheit wird das Recht in zunehmendem Maße seiner Fähigkeit beraubt, Sachverhalte nach ihm immanenten Kriterien zu entscheiden. Die entscheidungsrelevante Instanz verlagert sich vom Gesetz zum Richter: "government of men but not of law"; 105 eine Tendenz, die der im Grundgesetz zum Fundamentalprinzip der Rechtsstaatlichkeit erhobenen Gewaltenteilung zuwiderläuft. 106 Aus der mangelnden Differenziertheit des Vertrauensschutzprinzips erwächst ein letzter Einwand gegen die "Vertrauenshaftung", der gerade die praktische Rechtsanwendung gemäß den Grundsätzen der Rechtsprechung erheblich erschwert.
V. Die "Vertrauenshaftung" und der Aspekt der Rechtssicherheit Ein großer Teil jener Autoren, die sich zur Entwicklung der Pflichtenbegründung aus dem Vertrauensgedanken heraus äußern, beklagt das Problem mangelnder Bestimmtheit des Prinzips und daraus folgender Rechtsunsicherheit. 107 In der Tat kann ein Aspekt, der dem gesamten Recht immanent ist, aber nur manchmal eine Haftung begründen soll, kaum die Grundlage für vorhersehbare Entscheidungen abgeben. Das entbehrt insofern nicht der Ironie, als der Gedanke der Rechtssicherheit mit dem des Vertrauensschutzes in enger Verbindung steht. In der Ordnungsaufgabe des Rechts wurzelnd, will Rechtssicherheit es den Rechtsgenossen ermöglichen, verbindliche, sichere Erwartungen aneinander zu richten. 108 Luhmann, aaO., 36. Erdsieck, Jur. Jahrb. 1967/68,36,50; v. Bar, ZGR 1983,476,499; Schwitanski, Deliktsrecht, 286. 105 Doehring, in: 30 Jahre GG, 125, 138. 106 Luhmann, aaO., 37. Zuzugeben ist allerdings, daß andere, anerkannte Rechtsprinzipien - etwa der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit - in dieser Hinsicht ähnliche Probleme aufwerfen. 107 Schmitz, Dritthaftung, 42; Medicus, JuS 1965,209; v. Bar, ZGR 1983,476,499; Teubner, in: AK-BGB, § 242, Rn. 56; Luhmann, Vertrauen, 35 ff.; Fikentscher, Schuldrecht6 , 647; SchuldrechC, 298 f.; Hübner, NJW 1988,441,444; Gräfe, in: Gräfe/Lenzen/Rainer, Steuerberaterhaftung, Rn. 462; Schulte, JA 1979,97. \08 Bydlinski, Privatautonomie, BI f. 103
104
V. Die "Vertrauenshaftung" und der Aspekt der Rechtssicherheit
85
Vor allem Canaris 109 begegnet solchen Einwänden mit dem Hinweis, das auf individualisierende Einzelfallgerechtigkeit abzielende System der Vertrauenshaftung müsse ein "bewegliches Zusammenspiel" verschiedener Elemente, ein "bewegliches System" im Sinne Wilburgs 110 sein. Wilburg hatte die Gedanken der Interessenjurisprudenz aufgreifen, sie aber dahingehend verändern wollen, daß die bewegenden Kräfte nicht mehr als präjuristische Ursachen behandelt, sondern in die Normen selbst und in ihre Tatbestände verlegt werden. lll In diesem Sinne schuf er etwa, ähnlich den ,,rechtsbildenden Faktoren" Müller-Erzbachs, 112 einen Katalog von Gesichtspunkten, die im Schadensrecht zusammenspielen sollten. 113 Damit sollte ein "elastisches" System entstehen, das nicht gleich "zerbricht wie ein Werk aus Glas", wenn sich das Werturteil über die Kraft der einzelnen Elemente im Laufe der Zeiten ändert, 114 das aber auch anders als eine Generalklausel eigene, zur Konkretisierung erforderliche Kriterien kennt und angibt, nur deren "Mischungsverhältnis" offenläßt. Insofern nimmt es eine Zwischenstellung zwischen festem Tatbestand und Generalklausel ein. 115 Wilburg wollte auf diese Weise gerade vermeiden, was oben 116 als Fehlentwicklung der "Vertrauenshaftung" gekennzeichnet worden war: "daß das Gericht auf Billigkeit, auf jeweiliges Rechtsempfinden, auf gute Sitten oder ähnliche inhaltsleere Begriffe verwiesen wird." Statt dessen sollte der Richter in die Lage versetzt werden, nach "gelenktem Ermessen" zu entscheiden. 117 Es kann an dieser Stelle das Konzept Wilburgs nicht in seiner ganzen Bedeutung gewürdigt werden. Das ist aber auch nicht nötig. Denn die "Vertrauenshaftung" lehnt sich in Wirklichkeit nur zum Teil daran an: insoweit, als es um die "Beweglichkeit" des Systems geht. Die zweite, viel wichtigere Aufgabe, nämlich die Faktoren aufzuzeigen, anhand derer das "gelenkte Ermessen" der Rechtsanwender vorgehen könnte, leistet sie nicht. Der Vertrauensgesichtspunkt als ein solcher, der zum einen überall im Recht auftaucht, zum anderen keine Entscheidung aus sich selbst heraus zu begründen vermag, ist in einem solchen System denkbar ungeeignet. Damit ist nicht gesagt, daß die außervertragliche Sonderhaftung nicht tatsächlich auf ein variables System von rechtsbildenden Faktoren gestützt werden könnte oder müßte, sondern nur, daß "Vertrauen" ein solcher Faktor nicht sein kann, wenn ein Mindestmaß an Rechtssicherheit gewährleistet werden soll. 109
Vertrauenshaftung, 530; generell zum "beweglichen System" ders., Systemdenken,
110
Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht, 1950.
74ff. 111 112 113 114 115 116 117
aaO., 5.
Müller-Erzbach, Die Rechtswissenschaft im Umbau; ders., AcP 154 (1955), 299 ff. Wilburg, aaO., 12 f. aaO., 14, 24. Canaris, Systemdenken, 82. IV. 3. aaO., 22.
86
§ 6 Zum Tatbestand einer negativen Vertrauenshaftung
Eike Schmidt bestreitet nun überhaupt schon die Notwendigkeit, diese Rechtssicherheit zu schaffen. Die geringere Präzision des Rechts sei Ausdruck für den "Zuwachs an Problemverarbeitung", der infolge der steigenden ökonomischen und sozialen Komplexität unserer Gesellschaft zu leisten sei. Nur ein erhöhtes Maß an Unbestimmtheit könne daher heute noch die gesellschaftliche Wirklichkeit einfangen. 118 Das mag richtig sein und damit als Erklärung für die atomisierenden Tendenzen der jüngeren Rechtsentwicklung dienen können. Eine solche Erklärung entbindet jedoch nicht davon, den Versuch zu unternehmen, die gesellschaftliche Wirklichkeit "einzufangen", ohne rechtsstaatliche Eindeutigkeit zum Zwecke kalkulationsfähiger Vorhersehbarkeit 119 von vornherein aufzugeben. Vor allem aber beruft sich Eike Schmidt darauf, daß angesichts überwiegender Rechtsunkundigkeit der Bevölkerung das Recht für den Normalbürger ohnehin nicht mehr handlungsanleitend sei. 120 Vielmehr nütze die Rechtssicherheit "primär just jenem planungsfähigen und planenden Individuum, das hier nicht mehr als alleiniger Repräsentant des für uns heute maßgeblichen Sozialmodells akzeptabel ist". 121 Nimmt man dies ernst, muß man es so verstehen, daß Rechtsunsicherheit und die daraus resultierende, auch von Schmidt eingestandene Stärkung der richterlichen Gewalt als Instrument zur Entmachtung der "planungsfähigen und planenden Individuen", gemeint ist wohl: zur sozialen Umverteilung, dienen sollen. Die Frage drängt sich auf, ob es dafür nicht geeignetere Wege gibt. Es ist aber auch der Befund falsch. Denn gerade angesichts der wachsenden Komplexität des Rechts gibt es wohl kaum noch einen "Normalbürger", der seine Interessen vor Gericht ohne juristisch geschulten Beistand zu vertreten sucht. Wie die Klagen gerade der Praxis über die diffuse Entwicklung auf manchen Rechtsgebieten zeigen, richtet sich "Rechtssicherheit" in erster Linie an die Juristen, und vermittelt durch diese dann auch an den "Normalbürger". Der Wert vorhersehbarer gerichtlicher Entscheidungen für die Gesellschaft ist ebensowenig abzuleugnen, wie man daran vorbeigehen kann, daß die Pflichtenbegründung nach dem Vertrauensschutzprinzip diesem Ziel zuwiderläuft.
VI. Zusammenfassung zur negativen Vertrauenshaftung Die "Vertrauenshaftung", wie sie von der Rechtsprechung und weiten Teilen der Literautur zur Begründung von Ansprüchen in unseren Ausgangsfällen kreiert wurde, läßt sich nicht aus dem Gesetz ableiten oder daran auch nur anlehnen. Dieses kennt Vertrauensschutz in erster Linie als Schutz des Vertrauens in den Bestand einer Rechtslage. 118
4 f.
119 120 121
Esser /E. Schmidt, Schuldrecht AT, 11; ebenso Teubner, in: AK-BGB, § 242, Rn. Ausdruck von Esser / E. Schmidt, Schuldrecht AT, 11. E. Schmidt, JZ 1980, 153, 157. Esser / E. Schmidt, Schuldrecht AT, 11.
VI. Zusammenfassung zur negativen Vertrauenshaftung
87
Vertrauen per se ist nicht schutzwürdig. Generelle Kriterien dafür, wann Vertrauen berechtigt und daher unter Umständen schutzwürdig ist, lassen sich nicht aufstellen. Wählt man den Ausgangspunkt beim Begriff der sozialen Rolle, ist in dieser Hinsicht nichts gewonnen. Dogmatisch werden die Lehren von der Vertrauenshaftung, die sich auf tatsächlich vorliegendes Vertrauen berufen, dem Phänomen nicht gerecht, daß das Vertrauen funktionell überall im Recht die gleiche Rolle spielt, und sie können nicht begründen, warum Ansprüche auch bei im Einzelfall fehlendem Vertrauen des Geschädigten gegeben sein sollen. "Objektivierte" Lehren scheitern zwar an diesen beiden Punkten nicht, stellen aber auch keine Vertrauenshaftung im eigentlichen Sinne mehr dar. Gleiches gilt für Versuche, mit "Pflichtverstärkungsfaktoren" neben dem Vertrauen zu arbeiten. Ein allgemeiner Rechtsgrundsatz des Vertrauens schutzes verträgt sich nicht mit dem Privatrechtssystem, da er vorhandene Differenzierungen einebnen und sich unkontrolliert ausbreiten würde. Schließlich wäre ein ausreichendes Maß an Rechtssicherheit nicht gewährleistet. Außervertragliche Verhaltenspflichten lassen sich allein aus einem Prinzip des Vertrauensschutzes nicht begründen. Eine (negative) 122 Vertrauenshaftung gibt es dementsprechend nicht.
122 Völlig anderes gilt für die "positive" Vertrauenshaftung, die den Anspruch auf "Vertrauensentsprechung" zum Inhalt hat und die ja auch im Gesetz ihren Niederschlag gefunden hat (vgl. § 3, III.).
Dritter Teil
Andere Geltungsgründe für eine Erklärungshaftung außerhalb von Vertrag und culpa in contrahendo § 7 Gründe für eine Erklärungshaftung
als Gründe für Vertrauensschutz
Die Überlegungen im vorangegangenen Abschnitt haben gezeigt, daß das Vertrauen allein nicht zu begründen vermag, warum "zwischen" Vertrag und Delikt von der Rechtsprechung immer neue Haftungstatbestände geschaffen werden, die mittlerweile nicht einmal mehr innerhalb der Grenzen eines so unbestimmten und weiten Rechtsinstituts wie dem der culpa in contrahendo eingeordnet werden können. Es ist daher weiter nach dem materialen Grund der ,,negativen Vertrauenshaftung", die jedenfalls keine solche ist, sondern zweckmäßigerweise zumindest vorerst mit dem Ausdruck "Erklärungshaftung" umschrieben wird, zu suchen. Doch heißt das nicht, daß der Vertrauensgedanke nunmehr ausgedient hätte. Vertrauen kann, da kein "Rechtswert an sich", nicht der eigentliche Haftungsgrund sein. Es ist vielmehr, auf seinen funktionellen Aspekt reduziert, zum Schutzziel geworden. Dies rechtfertigt deswegen nicht mehr, von "Vertrauenshaftung" zu sprechen, weil das Vertrauen eben diese Rolle überall im Recht spielt. Das Recht will, das ist soeben ausgeführt worden,l erreichen, daß der einzelne vertrauen darf- auf die Normkonformität fremden Verhaltens. Der Vertrauensgedanke ist aber ungeeignet zu beschreiben, worauf er vertrauen darf - weil sich die vom anderen zu beachtenden Normen aus dem Vertrauen selbst nicht ergeben. Für die nun folgenden Überlegungen bedeutet dies, daß die Frage nach dem wirklichen Geltungsgrund der außervertraglichen Sonderhaftung auf zweierlei Weise formuliert und verstanden werden kann. Man kann fragen: Warum soll in bestimmten Situationen der Erklärende haften, und welche Situationen sind dies? Bezieht man hingegen den Vertrauensaspekt mit ein, ist zu formulieren: Warum soll man in gewissen Fällen auf redliches Verhalten des anderen, genauer: auf die Richtigkeit und Vollständigkeit seiner Erklärungen - weitergehend, als es das Deliktsrecht selbstverständlich ohnehin zuläßt - vertrauen dürfen? Insofern ist Vertrauen "vorzüglich geeignet als ein Übergangsbegriff, unter dessen Schutz die Entwicklung neuer Haftungsfiguren mit positiven Assoziationen an lOben § 6, 11. 2., IV. 2.
§ 7 Erklärungshaftung und Vertrauensschutz
89
Treu und Glauben und an individuelle Vertrauensbeziehungen vorangetrieben werden kann." 2 Die zweite Fragestellung lehnt sich im Grunde an die Lehre von den "Pflichtverstärkungsfaktoren"3 an mit dem entscheidenden Unterschied, daß sie angesichts des Zieles Vertrauens schutz nunmehr nach Pflichtbegründungsfaktoren sucht. In welche Richtung die Haftungsfiguren voranzutreiben sind, bleibt zu klären. Schon einmal 4 ist erläutert worden, daß diese Aufgabenstellung ihre Berechtigung aus dem anscheinend unkontrollierten Auswuchern der Haftungstatbestände "zwischen" Vertrag und Delikt bezieht. Im günstigsten Fall soll sie dazu beitragen, Grenzpfähle einzuschlagen. Die Diskussion auf diesem Gebiet wurde bisher nur in spärlichem Umfange geführt. War schon gegenüber den BefÜTWortern der "Vertrauenshaftung" zu beklagen, daß die Mehrzahl auch der namhaften Autoren es bei dem formelhaften Hinweis auf die suggestive Vokabel "Vertraüensschutz" beließ und allenfalls noch etwas Koloratur beifügte,5 so ist die Situation im Lager jener, die - der zweiten Formulierung des Themas dieses Abschnittes gemäß - nach dem Grund des Vertrauens schutzes, nach den hinter dem Vertrauen stehenden Wertungen fragen, eher noch schlechter. Doch lassen sich in der Literatur einige Vorschläge, wenn auch häufig nur knapp begründet, immerhin aufspüren. Es dürfte nicht überraschen, daß sie fast ausschließlich zur materialen Begründung der culpa in contrahendo ergingen, die ja auch schon als Hauptanwendungsfall der "Vertrauenshaftung" begriffen worden war. 6 Auch waren sie offenbar nicht immer als Erklärungsmodell für die gesamte Vertrauenshaftung gemeint, sondern dienten vielfach nur zur Begründung der vom jeweiligen Autor gerade behandelten Fallgruppe. Zu untersuchen sind daher nicht nur die Begründungsansätze selbst, sondern jeweils zuvor die Frage, wozu ihre Anwendung auf die hier im Mittelpunkt stehenden Fallgruppen führen würde. Dabei wird allerdings auch auf die Vorschläge, die unsere Ausgangsfälle offenbar überhaupt nicht erklären können, kurz eingegangen werden. Wenn diese nämlich eine überzeugende Erklärung für die "eigentliche" culpa in contrahendo oder sonst einen Großteil der Fälle zu liefern vermögen, aber keinen Raum für Erweiterungen lassen, könnte sich daraus auch der Umkehrschluß darauf ergeben, daß die neuere Entwicklung der Sonderhaftung abzulehnen ist. Der häufig in der Rechtswissenschaft vorzufindende Standpunkt, wonach die von der Rechtsprechung gefunden Ergebnisse akzeptiert werden und die wissen2
3 4 5 6
Teubner, in: AK-BGB, § 242, Anm. 56. Oben Oben Oben Oben
§ 6, § 1, § 5, § 1,
11. 3. IV. 3. ll. vor 1. ll. 1.
90
§ 7 Erklärungshaftung und Vertrauensschutz
schaftliehe Aufgabe allein darin gesehen wird, eine "dogmatisch saubere" Begründung zu entwickeln, wird sonach hier keinesfalls geteilt. 7 Denn zum einen will diese Arbeit, wie schon mehrfach erwähnt, dazu beizutragen versuchen, eine anscheinend dynamische Rechtsentwicklung in Bahnen zu lenken. Zum anderen kann eine wissenschaftlich verstandene Jurisprudenz nicht generell darauf verzichten, eigene Antworten auf die Frage nach der richtigen Entscheidung (neben der nach der richtigen Begründung) zu geben. Schon jetzt kann allerdings festgehalten werden, daß Modelle, die ganz spezifisch auf das Verhandlungsverhältnis abstellen, für eine einheitliche Grundlegung der Erklärungshaftung in ihrer ganzen Weite nicht taugen können. Vorausgesetzt wird also zunächst, daß der Erklärungshaftung, wenn schon nicht ein per se wirkender Grundsatz des Vertrauensschutzes, dann doch ein einheitliches Haftungsmotiv zugrunde liegt. Das ist eigentlich alles andere als selbstverständlich. Denn es erschiene ja auch einleuchtend, das Vertrauen im einem Fall aus diesem, im anderen aus jenem Grunde für schutzwürdig zu halten. Ein solches Vorgehen ist auch durchaus verbreitet. 8 Soll aber ein Merkmal gefunden werden, das den materialen Grund der Vertrauenshaftung bildet, dann muß es auch in allen Anwendungsfallen dieses Institutes einschlägig sein. Anderenfalls hätte man unterschiedliche Begründungen und daraus folgend mehrere unterschiedliche Rechtsinstitute. Das wäre denkbar, ist jedoch ersichtlich von keiner der Stellungnahmen zur Haftung "zwischen" Vertrag und Delikt gewollt. Denn die Erklärungshaftung in den eingangs dieser Arbeit vorgestellten Ausprägungen wird in ihren Grundlagen als ein Phänomen der Haftung "zwischen" Vertrag und Delikt verstanden. Ein Vertrauens schutz (oder eine Erklärungshaftung), der mal aus dem einen, mal aus dem anderen Gesichtspunkt folgt, würde nichts anderes sein als der soeben zitierte Übergangsbegriff, der als Deckmantel für dann nahezu beliebige Billigkeitsentscheidungen, in denen "Haftungsfiguren vagabundieren", 9 fungiert. Soll eine Rechtsfolge - Haftung nach Vertragsgrundsätzen - unter Heranziehung eines Kriteriums - wie es nach der herrschenden Meinung der Vertrauensschutz darstellt - zur Geltung kommen, muß ihr notwendigerweise auch ein Haftungsgrund zuzuordnen sein. Die in der Literatur vorgeschlagenen Lösungen lassen sich in drei Kategorien einteilen. Am dichtesten bei der culpa in contrahendo angesiedelt sind diejenigen, die in der Beziehung zwischen Schädiger und Geschädigtem die Besonderheit erblicken, an die die Haftung - hier paßt am besten der Name "Sonderhaftung" - anknüpfen soll; IO auch die Vertrauenshaftung ist hierher zu rechnen. Ein 7 Anders aber ausdrücklich Reich, NJW 1978,513,519; auch Hopt, AcP 183 (1983), 608, 662; Medicus, Probleme, 18. 8 Canaris etwa unterscheidet seine Vertrauenshaftung unter anderem in "Erklärungs-" und "Anvertrauenshaftung" (Vertrauenshaftung, 532 ff., 539 ff.) und stützt sich dabei je nach Fallkonstellation auf unterschiedliche Begriindungsschwerpunkte. 9 Picker, AcP 183 (1983), 369, 386. IO Unten § 8.
1. Vertrauenshaftung als Korrelat zur Privatautonomie
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zweiter Ansatz erblickt in den vertragsähnlichen Haftungsinstituten ein Instrument, um Machtungleichgewichte zwischen den Rechtssubjekten abzubauen oder auch nur schlicht dem "Schutzbedürfnis" des Geschädigten Rechnung zu tragen. 11 Die dritte Richtung bewegt sich zusätzlich auf der überindividuellen Ebene und hat neben dem Schutz des einzelnen den des Rechtsverkehrs oder gar - unter mikroökonomischen Aspekten - den volkswirtschaftlichen Gesamtnutzen im Auge. 12 In diesem Schema eine Sonderstellung nimmt schließlich die sogenannte Berufshaftung ein. 13
§ 8 Argumente aus der Sonderverbindung Vielfach wird auch die Begründung des Vertrauensschutzes durch Zuerkennung von Schadensersatzpflichten wieder der individuellen Sonderbeziehung zwischen den Beteiligten entlehnt. Hierbei ist besonders zu beachten, daß sich die Argumentation in erster Linie auf die Situation bei Vertragsverhandlungen bezieht. Dennoch ergeben sich Aufschlüsse auch für unsere Fälle.
I. Vertrauenshaftung als Korrelat zur Privatautonomie Die auf dem Grundsatz des Vertrauensschutzes beruhenden Begründungen richteten ihren Blick auf die Schutzbedürftigkeit des Geschädigten. Ungeachtet der von Canaris vorgenommenen Unterscheidung zwischen Haftungsgrund der angeben soll, warum und unter welchen Umständen die eine Partei geschützt wird - und Zurechnung - die die Belastung der anderen Seite mit einer Pflicht rechtfertige _ 1 setzt eine Reihe von anderen Vorschlägen demgegenüber am Verhalten oder der Stellung des Schädigers an. 1. Die Verantwortung als Ausgleich zur rechtsgeschäftlichen Freiheit
Insbesondere die Idee der Gegenseitigkeit liegt zugrunde, wenn vertreten wird, daß die vorvertraglichen Pflichten den Ausgleich für die Möglichkeiten bilden sollen, welche die Privatautonomie dem einzelnen gewährt. Das Vertrauensprinzip im Grundsatz von Treu und Glauben verankernd, formuliert Meier-Hayoz: "Treu und Glauben will dem aus der Idee des Solidarismus entspringenden Gedanken der Gegenseitigkeit in den Rechtsverhältnissen zum Durchbruch verhelfen, betont darum die mit jedem Recht verbundenen Pflichten." 2 Der zitierte Unten § 9. Unten § 10. 13 Unten § 1l. lOben § 5, 11. 2. 2 Meier-Hayoz, Vertrauensprinzip, 84. 11
12
92
§ 8 Argumente aus der Sonderverbindung
Gedanke der Gegenseitigkeit taucht - im Gewand des Reziprozitätsprinzips auch in dem bereits besprochenen, rechtssoziologisch orientierten Versuch Köndgens auf, ein Prinzip der "Selbstbindung ohne Vertrag" zu etablieren. 3 Etwas anders spricht Canaris davon, daß der Vertrauenshaftung die Funktion einer Ergänzung der rechtsgeschäftlichen Bindung zukomme. 4 Andere sehen den Haftungsgrund in der Tatsache, daß jemand in seinem eigenen Interesse andere zu einem bestimmten Verhalten (wie etwa dem Besuch des Warenhauses) veraniaßt, um daraus geschäftlichen Nutzen zu ziehen,5 oder allgemein in einem "Korrelat zu Herrschaftsbeziehungen". 6 All dem liegt offenbar die Vorstellung zugrunde, daß Rechte generell eines Korrelats bedürfen. 7 Hier äußert sich das dergestalt, daß dem Grundsatz der Selbstverantwortung, welcher der Privatautonomie zugrunde liegt, der Grundsatz der Verantwortung für den Partner einer Sonderverbindung korrespondiert 8 (in der Terminologie Flumes 9 würde man - deutlicher - von "Selbstbestimmung" und korrespondierender Selbstverantwortung sprechen 10). Konkreter formuliert II führte danach ganz generell die Möglichkeit, wirtschaftliche Vorteile aus einer Konstellation zu ziehen, zur Einstandspflicht. Es ließe sich sogar allgemein das "geschäftliche Interesse" als haftungsbegründendes Merkmal betrachten. 12 Dieses, so wird argumentiert, sei auch deswegen angemessen, weil der Stärkere faktisch mehr von seinen Rechten habe als der Schwächere, für den manches Recht, das ihm zusteht, ein nudum ius sei. 13 Nicht Macht an sich,14 sondern Macht, die beim Abschluß von Rechtsgeschäften zum eigenen Vorteil eingesetzt wird, wäre hier der Anknüpfungspunkt. Eine Fundierung der Vertrauenshaftung als Gegengewicht zurrechtsgeschäftlichen Freiheit entspricht offenbar verbreitetem Rechtsempfinden und erscheint auf den ersten Blick auch rechtssystematisch möglich. Wollte man mit Hilfe dieses Gedankens auch die Fallgruppen begründen, welche die Grenzen der culpa Köndgen, Selbstbindung, 233 ff.; siehe aber unten 3. c). Canaris, FS Larenz 1983, 106; Vertrauenshaftung, 442 (auch unten 2.). 5 Daum, NJW 1968, 372, 376. Dieses soll der ,,rechtslogische Grund" für die Haftung aus c.i.c. sein. 6 Teubner, in: AK-BGB, § 242, Rn. 53. 7 Lutter, JZ 1976,225 (zum Aktienrecht); Meier-Hayoz, Vertrauensprinzip, 84; deutlich auch MÜßchKomm-Säcker, Ein!. vor § 1, Rn. 149: "Daß der Privatautonomie als rechtlichem Ausdruck der Selbstbestimmung notwendig äußere Schranken erwachsen aus der Berücksichtigung der Vertrauensschutzinteressen Dritter ... ". 8 Thiele, JZ 1967,649,652. 9 Flume, Rechtsgeschäft, 10 ff., 59 ff. 10 So auch Bydlinski in der Diskussion zum Referat von Leser (AcP 183[1983],568), berichtet von Klippei, AcP 183 (1983), 602, 603. II Im Sinne Daums, NJW 1968, 372, 376. 12 Medicus, Probleme, 22 (allerdings selbst kritisch zu diesem Ansatz). 13 Laufke, FS Lehmarm I, 145, 185. 14 Dazu unten § 9, H. 2. 3
4
I. Vertrauenshaftung als Korrelat zur Privatautonomie
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in contrahendo sprengen, bliebe in jedem Fall zunächst zu prüfen, ob der Verpflichtete mit seiner schadenstiftenden Handlung auch hier "Privatautonomie verwirklicht" hat. Es geht in unseren Fällen ja stets um Auskünfte oder, allgemeiner, Informationen. Wollte man wirklich die Vertrauenshaftung mit ihrer Funktion als ,,Korrelat zur Privatautonomie" abschließend begreifen, müßte man überlegen, inwieweit eine Auskunft etwa Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts des Auskunftgebenden ist, was kein besonders vielversprechender Lösungsansatz zu sein scheint. Immerhin ließe sich untersuchen, inwieweit eigenes Interesse des Auskunftgebenden mit im Spiel ist - ein Kriterium, das aus der Rechtsprechung zur persönlichen Haftung des Stellvertreters nach den Grundsätzen des Verschuldens bei Vertragsschluß wohlbekannt ist. 15 Die Sachwalter- und vor allem die Fälle der Prospekthaftung ließen sich auf diese Weise stützen, während bei schlichten Bankauskünften an Dritte jedenfalls außerhalb einer laufenden Geschäftsverbindung doch erhebliche Zweifel bestehen, ob dort der Privatautonomie der Bank ein Korrelat entgegenzusetzen ist. Doch kann diese Begründung der Vertrauenshaftung ohnehin nicht überzeugen. Bevor das näher zu erläutern ist, 16 sei noch ein sachlich ähnlicher, aber etwas weniger abstrahierender Vorschlag referiert. 2. Die Verantwortung als Ausgleich für die Schaffung besonderer Risiken
a) Risiken des Rechtsgeschäftes Mit der Anbahnung rechtsgeschäftlicher Beziehungen begibt sich der Teilnehmer am Rechtsverkehr in den Einflußbereich des anvisierten Vertragspartners. Damit ist eine Öffnung des eigenen Rechtskreises verbunden, die diesen besonderen Gefahren aussetzt. Diese auszugleichen, dient die culpa in contrahendo. Eine derartige Argumentation wurde vor allem von Heinrich Stoll geführt 17 und ist seither im Schrifttum zur culpa in contrahendo weit verbreitet. 18 Frotz präzisiert sie dahin, daß es um den Ausgleich des Verhandlungsrisikos 19 gehe, des Risikos, das dem Geschädigten gerade aus dem "Aktionsbereich" des anderen erwächst. 20 Spätestens hier wird deutlich, daß der Gedanke in erster Linie zur BGHZ 56, 81, 84; 87,27,33. Unten 3. b). 17 Leistungsstörungen, 26 ff. 18 Frotz, GS Gschnitzer, 163, 173 f.; ders., Verkehrsschutz im Vertretungsrecht, 65 ff.; Canaris, Vertrauenshaftung, 442, 539 ff.; ders., FS Larenz 1983,27,106; MÜßchKommKramer, Ein!. vor §§ 241 ff., Rn. 80; Seetzen, VersR 1970, 1, 11; Frost, Schutzpflichten, 70, 85; Medicus, Bürgerliches Recht, Rn. 199; Reich, NJW 1978,513,519. 19 Im Sinne Ballerstedts, AcP 151 (1950/51),501,522. 20 Frotz, GS Gschnitzer, 163, 174. 15
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§ 8 Argumente aus der Sonderverbindung
Rechtfertigung der umstrittenen 21 Einbeziehung der Erhaltungs- bzw. Schutzpflichten in die culpa in contrahendo oder allgemeiner die Vertrauens haftung entwickelt wurde. Zu diesem Zweck auch schuf Canaris als eine der vier Fallgruppen seines Konzeptes der Vertrauenshaftung die "Anvertrauenshaftung".22 Auch E. Schmidt betont, daß die Vertrauen beanspruchende Offenlegung der "Besitzsphären" in den meisten Fällen eine Einflußnahme auf die Vermögens sphäre der Beteiligten überhaupt erst ermöglicht. 23
b) Der soziale Kontakt Eine Spielart dieser Theorien, die aber auf die Anbindung an das Rechtsgeschäft verzichtet,24 ist die vorrangig von Dölle 25 vertretene Lehre vom sozialen Kontakt. 26 Die Abgrenzung zu den Anhängern des zuvor beschriebenen Weges ist ebenso unklar wie die Tatbestandsformulierung 27 im einzelnen. Aber auch hier geht es primär oder ausschließlich 28 um die Erhaltungspflichten und ist der entscheidende Punkt, daß "insoweit die Beteiligten einander oder wenigstens der eine Beteiligte dem anderen ein besonderes Vertrauen entgegengebracht haben, indem sie die eigenen Rechtsgüter bewußt - zur Erreichung des mit dem sozialen Kontakt verfolgten Zwecks - dem Einfluß und damit der Obhut und Sorgfalt des anderen anvertrauten und in diesem Vertrauen (gerade im Hinblick auf den Zweck der Berührung ihrer Rechtssphären) nicht enttäuscht werden dürfen."29 c) Die Lehre ]ürgen Schmidts
Zu - nach eigenem Bekunden - sehr ähnlichen Ergebnissen wie die Lehre vom sozialen Kontakt kommt im übrigen Jürgen Schmidt mit seinem Vorschlag, 21 Siehe für die Gegner nur v. Bar, Verkehrspflichten, 312 ff.; bei Kritik i. E. zustimmend Hohloch, JuS 1977,302,305 f.; auch noch unten § 13, IV. 22 Vertrauenshaftung, 539 ff. Die anderen Gruppen sind die Rechtsscheinhaftung (526 ff.), die Vertrauenshaftung kraft rechtsethischer Notwendigkeit (528 ff.) und die Erklärungshaftung (532 ff.). 23 Esser / Schmidt, Schuldrecht AT, 43l. 24 Die Fälle gehören daher eigentlich nicht in diesen Abschnitt, der die auf der bestehenden Sonderverbindung basierenden Argumentationen zum Inhalt hat. Wegen des engen Sachzusammenhanges mit der voranstehenden Gruppe seien sie aber hier schon erwähnt. Siehe dazu unten III. 2. sowie zum ähnlichen Ansatz der "Haftung aus organisiertem sozialem Kontakt" unten § 9, II. l. 25 Dölle, ZgesStW 103,67. 26 Weitere Vertreter: Haupt, FS Siber 194011, 1,9 (der darin einen Fall des "faktischen Vertrages sieht); Blomeyer, Allgemeines Schuldrecht, 72 f.; Soergell0 / Siebert / Knopp, § 242, Rn. 105 (anders aber Soergel1O / R. Schmidt, vor § 275, Rn. 5); Thiele, JZ 1967, 649,652 f.; E. Schmidt, JA 1978,597,604 und Esser / Schmidt, Schuldrecht AT, 430 ff.; Loewenheim, JZ 1980,469,472; allgemeiner Mertens, AcP 178 (1978), 227, 249. 27 Dazu Frotz, GS Gschnitzer, 163, 165 f. 28 So bei Dölle, ZgesStW 103 (1943),67,73 ff. 29 Dölle, aaO., 74.
I. Vertrauenshaftung als Korrelat zur Privatautonomie
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die (nach seinem Verständnis) Sonderhaftung als einen "Institutionenschutz für sinnvolle Institutionen unterhalb der gesamtgesellschaftlichen Ebene"30 anzusehen. Die Rechtfertigung leite sich aus der Sinnhaftigkeit des Erhaltes der Funktion derartiger Institutionen ab; die Schutznormen seien Normen, die Minimalstandards für das Funktionieren dieser Institutionen enthielten. Der Autor ist der Ansicht, daß gesellschaftliche Institutionen in dem Zwischenbereich zwischen Individuum und Gesellschaft im Grundsatz vom Bürgerlichen Gesetzbuch vernachlässigt worden seien. Das Deliktsrecht regele die gesamtgesellschaftlichen Rahmenbedingungen für ein Minimum an gesicherten Lebensverhältnissen der Bürger zueinander, das Vertragsrecht die Bedingungen der Güterverteilung; die einzelnen Rechtssubjekte träten aber jeweils nur als "Subjekte des Warentausches" auf, nicht aber - bezogen auf das Gläubiger-Schuldner-Verhältnis auch als Organisation. 31 Das also gesetzliche Schuldverhältnis sei in seiner Geltung unabhängig von jedem vertraglichen Schuldverhältnis. Die Art der Institution - eine der Institutionen in diesem Sinne ist für Jürgen Schmidt der Vertrag - soll aber entscheidend dafür sein, welche Schutzvorkehrungen geboten sind, damit die entsprechende Institution sinnvoll existieren kann; für den Inhalt der Pflichten ist also die einzelne Institution nach wie vor entscheidend. 32 Schützenswerte Institutionen sind nach diesem Modell nicht nur im "geschäftlichen", sondern auch im sozialen Bereich belegene, was durch einen Hinweis auf die strukturgleichen Pflichten auch unter Ehegatten und im Eltern-Kind-Verhältnis untermauert wird; hier trifft sich J. Schmidt deutlich mit der Lehre vom "sozialen Kontakt". 33 Die dagegen vorgebrachte Kritik lautet, daß diese Lehre "zu individualistisch formuliert" sei. 34 Auf der anderen Seite akzeptiert J. Schmidt die beiden Gesichtspunkte, die auch hier schon vorgestellt wurden: Es sei zutreffend, daß die Haftung etwas mit der stärkeren Einwirkungsmöglichkeit auf die Rechtsgüter des Opfers zu tun habe, ebenso wie die Vertrauensgewährung eine Rolle spiele. Es gehe aber nicht darum, einen Ausgleich für subjektive Akte der Vertrauensgewährung zu schaffen und auch nicht, die privautonome Willensbildung abzusichern. 35 Hier wird deutlich, daß dieser Ansatz dazu dient, den subjektiven Ausgangspunkt einer "Vertrauenshaftung"36 zu vermeiden und an dessen Stelle objektive Kriterien zu setzen. Dies hat die Lehre vom "sozialen Kontakt" aber auch schon getan. Auf der anderen Seite findet trotz der soziologisch orientierten Terminologie eine Lösung von der individuellen Ebene überhaupt nicht statt, wird doch 30 31 32 33 34 35 36
Staud. / J. Schmidt, § 242, Rn. 1223 ff.; ebenso ders., GS Schultz, 341 ff., 363 ff. aaO., Rn. 1223. aaO., Rn. 1225 f. aaO., Rn. 1227 ff. aaO., Rn. 1228. Dazu sogleich unten 11. Dazu oben § 5, 11. 2.
§ 8 Argumente aus der Sonderverbindung
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die jeweils zu schützende "Institution" mit der vorhandenen Individualbeziehung gleichgesetzt. Das liegt daran, daß nur die Geltung der Pflichten der "institutionellen" Ebene entlehnt wird, deren Inhalt jedoch der individuellen. 37 Auf diese Weise wird letztlich eben doch die einzelne Institution 38 geschützt, und nicht eine bestimmte Art der Institution. In einem so verstandenen "Institutionenschutz" liegt nur eine terminologische Abweichung von der Lehre vom "sozialen Kontakt", zumal J. Schmidt deren zentrales Kriterium, die "besondere Einwirkungsmöglichkeit", ja ausdrücklich übernimmt. Material hat er damit die Gruppe der an die konkrete Sonderbeziehung angelehnten Konzeptionen gar nicht verlassen. Hinzu kommt, daß J. Schmidt nicht zureichend definieren kann, was eine "sinnvolle Institution" ist. Auch in diesem Punkt hat er keine Fortschritte gegenüber dem ob seiner Unklarheit umstrittenen Terminus vom "sozialen Kontakt" vorzuweisen. 3. Kritik
a) Die besondere Einwirkungsmöglichkeit Die Begründung von Haftungsfiguren durch den Hinweis auf besondere Gefahrenlagen stellt eine zentrale Argumentationsfigur nicht nur bei der Vertrauenshaftung dar 39 und taucht in der Diskussion in den unterschiedlichsten Formen auf. 40 Mit dem Gedanken der besonderen Gefährdung durch die Anbahnung des rechtsgeschäftlichen Kontaktes ließe sich, obwohl ursprünglich auf den Integritätsschutz ausgerichtet, unter Umständen auch in den Auskunftsfällen arbeiten. Denn wer Informationen von anderen einholt, setzt sich naturgemäß der Gefahr aus, durch diese Informationen, sofern sie unrichtig sind, Schaden zu erleiden. Dazu ist allerdings wieder erforderlich, daß er auf ihre Richtigkeit vertraut. Insofern ist keine gegenüber dem Vertrauensgedanken selbständige Begründung gefunden. Doch es bestehen weitere Bedenken. Zunächst sei darauf hingewiesen, daß die Formel, im Einflußbereich des Partners einer Sonderverbindung dürfe damit gerechnet werden, daß der andere einem mit "gesteigerter Sorgfalt" gegenübertrete,41 äußerst mißverständlich ist. 42 Den Grad an anzuwendender Sorgfalt bestimmt allein § 276 BGB. Nicht darum geht es also, sondern um gesteigerte Pflichten. Die bezeichnete Argumentation ist jedoch auch darüber hinaus sehr problematisch:. 37
38
GS Schultz, 341, 365. aaO., Rn. 1226.
Zum Deliktsrecht siehe etwa Mertens, AcP 178 (1978), 227, 242 ff. 40 Siehe auch unten § 9. 41 BGHZ 66,51,54; Thiele, JZ 1967,649,652; Hohloch, JuS 1977,302,305 f. 42 Picker, AcP 183 (1983), 369, 416. 39
I. Vertrauenshaftung als Korrelat zur Privatautonomie
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So sagt die Tatsache, daß ein Verhalten zum Schaden führen kann, für sich allein noch nichts darüber aus, ob der Geschädigte auch schutzwürdig ist und ob eine Inpflichtnahme des Schädigers sachgerecht erscheint. 43 Alles andere würde dazu führen, implizit die deliktische Generalklausei zu installieren 44 gefahrerzeugend ist nämlich schlechthin jedes Verhalten. Wollte man in diese Richtung gehen, wäre es eher angezeigt, an den Tatbeständen des Deliktsrechts anzusetzen. Die tatsächlich bestehende besondere Gefahrenlage allein ist kein Kriterium dafür, welche Partei das Risiko der Verwirklichung der Gefahr trägt. Vor allem aber trägt das Anvertrauensargument seine Widerlegung gleich in sich. Wer "seinen Rechtskreis öffnet", tut das in aller Regel nicht unfreiwillig. Vielmehr verspricht er sich von dem rechtsgeschäftlichen Kontakt, den er anbahnt, (zumeist wirtschaftliche) Vorteile. Es ist nun nicht einzusehen, warum die Haftung des Schädigers ihren Grund darin finden soll, daß ihm ein anderer seine Rechtsgüter bewußt und gewollt aussetzt. Ebenso könnte man dies zum Anlaß nehmen, die Haftung einzuschränken. 45 Hier würde höchstens die Formel vom "Anvertrauen" helfen - aber nur dann, wenn das darin enthaltene Vertrauenselement die Schutzwürdigkeit des Geschädigten zu begründen geeignet wäre. Das ist es nicht. 46 Erst recht unhaltbar wird diese Konzeption dann, wenn man sich verdeutlicht, daß den Risiken der "Rechtskreisöffnung" auch die wirtschaftlichen Chancen und sonstigen Vorteile eines Rechtsgeschäfts oder auch nur ,,rechtsgeschäftlichen Kontaktes" korrespondieren. 47 Wer die Möglichkeiten, welche wirtschaftliches Handeln am Markt bietet, nutzen will- oder nutzen muß - , wird zwangsläufig in Kontakt mit anderen Rechts- (und Wirtschafts-)subjekten treten. "Kontakt" gehört ebenso denknotwendig zum Rechtsgeschäft wie "Rechtskreisöffnung" zum Kontakt. Die sich daraus ergebenden Risiken sind keine "besonderen". Sie sind die natürliche und zwangsläufige Folge der Tatsache, daß man sich an den Markt wendet - um wirtschaftlicher, vielleicht auch ideeller Vorteile willen. Hierin, in dem wirtschaftlichen Ausgleich, liegt das Korrelat zum Risiko, nicht in einer besonderen Haftungsfigur. Will man trotz all dem den Grund der Vertrauenshaftung (und sei es nur für die Fälle des Integritätsschutzes) im Ausgleich für die besonderen Gefahren der Staud. / J. Schmidt, § 242, Rn. 1222. Als eine solche, auf dem Umweg über das Vertragsrecht entstandene, wird z. B. die c.i.c. in der Literatur gesehen (etwa Hopt, AcP 183[1983],608,631). 45 So in der Tat E. Schmidt, JA 1978,597,604; Picker, AcP 183 (1983),369,415. 46 Siehe oben § 5.-Canaris, FS Larenz 1983,27,107, gibt auch zu, daß die "spontane Überzeugungskraft", die er dem Gedanken des Vertrauensschutzes zumißt (aaO., 106), bei seiner ,,Anvertrauenshaftung" abnimmt. Diese soll auch nur eine "Verbindung zum Vertrauensgedanken" (aaO., 107) herstellen, der wahre Haftungsgrund das im Text beschriebene Aussetzen der Rechtsgüter gegenüber der Einwirkungsmöglichkeit des anderen Teils sein. 47 Picker, AcP 183 (1983), 369, 415. 43
44
7 Loges
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§ 8 Argumente aus der Sonderverbindung
Öffnung des eigenen Rechtskreises sehen, hat man mit dem selben Problem zu kämpfen wie alle Vertreter der oben 48 schon allgemein vorgestellten "objektiven Theorien" zur Vertrauenshaftung: Das Merkmal ist nicht geeignet, die haftungsrelevanten Sonderbeziehungen von denen zu scheiden, die lediglich nach Deliktsrecht zu behandeln sind; dann kann es aber, wie einleitend 49 erläutert, die besondere Einstandspflicht auch nicht begründen, sondern nur erläuternd beschreiben. Dasselbe Dilemma war schon bei der Analyse des Merkmals "Vertrauen"50 aufgetreten. Dort war es so, daß Vertrauen keineswegs immer und nur dort vorlag, wo ein Wirken der Vertrauenshaftung von ihren Verfechtern befürwortet wurde. Gleiches gilt hier: "Besondere Gefahren" für den Rechtskreis bestehen nicht nur beim ,,rechtsgeschäftlichen" Kontakt, sondern auch bei vielen anderen Gelegenheiten, so im vielbemühten Beispiel des Straßenverkehrs. Will man wissen, warum man Vertrauen manchmal schützt und manchmal nicht, dann muß wenigstens diese Antwort geeignet sein, die relevanten Fälle auszusondern. Mit den "Gefahren des Rechtsgeschäfts" ist nach allem einer Lösung nicht näherzukommen. Gleiches muß man allerdings auch für die Lehre vom "sozialen Kontakt" sagen. Diese verzichtet zwar auf die nicht einleuchtende Beschränkung auf den rechtsgeschäftlichen Bereich. Aber es ist ihren Vertretern dennoch nicht einmal annähernd gelungen, die haftungsrelevanten von den bloßen Zufallskontakten zu scheiden. 51 Denn die Möglichkeit, auf die Rechtsgüter des anderen einzuwirken und sie zu schädigen, ist die zwangsläufige Folge des Kontaktes. Sie vergrößert sich mit der Intensivierung des Kontaktes, ohne daß "mit Anspruch auf Einsichtigkeit" 52 eine Grenze bestimmt werden könnte, von der ab der Kontakt die für eine Haftungsbegründung ausreichende Intensität hat. Dieser entscheidende Einwand ist allen Lehren entgegenzuhalten, die im besonderen Risiko eines wie auch immer gearteten Verhaltens einen eigenständigen Haftungsgrund sehen. Es wächst mit der Gefahr, andere zu schädigen, stets automatisch auch das Risiko, aufgrund der schon bestehenden Haftungsvorschriften zur Verantwortung gezogen zu werden. 53 Auf diese Weise korrespondiert einem besonders gefahrträchtigen Verhalten ganz von selbst auch eine besonders intensive rechtliche Verpflichtung und ergibt sich für den riskant Handelnden, in "sozialen Kontakt" Tretenden, daß er die ihm obliegenden Verhaltenspflichten in besonderer Weise zu beachten hat, nicht jedoch etwa besondere Verhaltenspflichten. Diese bedürfen einer eigenen Begründung.
48
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50 51 52 53
§ 6, I. 2. Oben § 1, IV. 2. und § 7. Oben § 6, 11. Larenz, MDR 1954, 15, 17; Teubner, in: AK-BGB, § 242, Rn. 57. Picker, AcP 183 (1983), 369, 413. Picker, aaO., 417.
I. Vertrauenshaftung als Korrelat zur Privatautonomie
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b) Ein Korrelat zur Freiheit? Einleuchtend scheint es demgegenüber zu sein, in der Vertrauenshaftung ein Gegengewicht zu der theoretisch ja fast unbegrenzten Freiheit zu sehen, die die im BGB nicht einmal manifestierte, aber ihm zugrundeliegende Privatautonomie in Gestalt der Abschluß- und der Inhaltsfreiheit dem handelnden Individuum gewährt. Damit wäre, soviel ist schnell festzuhalten, zwar eine tatbestandliche Konturierungauch nicht zu leisten. Man hätte dann Einzelfälle - es ist soeben bei der Vorstellung dieses Vorschlages schon versucht worden 54 - daraufhin zu überprüfen, ob der Schädiger "Freiheit ausgenutzt", "privatautonom gehandelt" oder ähnliches getan hat. Das ist kaum möglich; in Wirklichkeit liegt die einzige Abgrenzungsfunktion dieser Formulierungen (wie mancher anderer) darin, die Haftung auf den rechtsgeschäftlichen Bereich zu beschränken. Darauf ist noch näher einzugehen. 55 Aber es wäre ja immerhin denkbar, hierin eine vernünftige Beschreibung der ratio legis (wenn denn die "Vertrauenshaftung" ein "lex" ist) zu sehen. Das Unbehagen an der Privatautonomie in der bürgerlich-liberalistischen Reinform, die der Gesetzgeber des BGB im Auge hatte, ist schließlich verbreitet,56 der Gedanke, daß mit Rechten Pflichten verbunden sind, ist ebenso alt wie evident. Genau besehen ist allerdings wirklich evident nur die Tatsache, daß mit den Rechten des einen Pflichten des anderen verbunden sind. Der Fehler des referierten Modells liegt nämlich darin, die Pflichten unmittelbar aus den Rechten derselben Person zu folgern. Wenn es auch in der Regel richtig sein mag, dem Inhaber eines Rechtes die ,,korrespondierende" Pflicht aufzuerlegen, so folgt diese doch nicht aus dem Recht selbst, sondern bedarf einer eigenen, originären Begründung. Ein Recht trägt sein Gegenteil nicht in sich. Es kann beschränkt werden - durch Rechte anderer oder Interessen der Allgemeinheit. Solche müssen aber gesondert dargetan werden. Dieses gilt umso mehr, wenn man, wie es auch unserer geistesgeschichtlichen Tradition entspricht, Freiheit für vorgegeben, ihre Einschränkung für begründungspflichtig hält. Dieselbe Überlegung läßt sich auch positivrechtlich festmachen. Folgt man einmal der herrschenden Ansicht in der Staatsrechtslehre, welche die Vertragsfreiheit als Teil wirtschaftlicher Entfaltungsfreiheit der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 I unterwirft,57 dann stellt verfassungsrechtlich die Ausübung der Privatautonomie ein Grundrecht dar und bedarf deren Einschränkung der positiven Legitimierung im Rahmen der Schranken (also der "verfassungsmäßigen Ordnung" und der ,,Rechte anderer") des Grundrechts. Keinesfalls folgt aus dem Grundrecht gleich dessen Begrenzung. 54 55 56 57 7*
Oben 1. Unten Irr. Siehe nur etwa Hönn, Vertragsparität, 6 ff.; Wieacker, Industriegesellschaft, 24, 44. Siehe etwa Dürig, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 2 I, Rn. 53 ff.
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§ 8 Argumente aus der Sonderverbindung
c) Die Funktion des Korrelatsgedankens
Oben 58 war im Anschluß an Canaris 59 zwischen Haftungsgrund und Zurechnung vorläufig dergestalt unterschieden worden, daß ersterer angibt, warum die Rechtsordnung die eine Partei schützt, letzterer hingegen die Belastung der verpflichteten Partei rechtfertigt. Dies läßt zusätzlich deutlich werden, warum sich aus dem Korrelat zu einer Rechtsposition kein materialer Haftungsgrund ableiten läßt. Es handelt sich, wollte man den Gedanken überhaupt heranziehen - was hier zunächst einmal dahinstehen kann - , bestenfalls um einen Zurechnungsgesichtspunkt. Mit dem Hinweis auf die Vorteile der Privatautonomie für den rechtsgeschäftlich Agierenden läßt sich begründen, warum es überhaupt zumutbar erscheint, ihn mit ("korrespondierenden") Pflichten zu belasten. Ein eigener Grund für diese Belastung ergibt sich daraus nicht. Im Ergebnis genauso findet sich diese Argumentation auch bei Köndgen, wenn er die Haftung unmittelbar aus der Selbstbindung entstehen läßt und erst für das Bestehen dieser Selbstbindung auf das Reziprozitätsprinzip zurückgreift. 60
11. Vertrauenshaftung zur Sicherung der Selbstbestimmung Ein anderer Weg, die culpa in contrahendo zu erklären, führt dahin, in ihr ein Instrument zur Sicherung der Privatautonomie zu erblicken. Dabei kann man auf die inhaltliche Richtigkeit der abzuschließenden Verträge im Sinne materieller Vertragsgerechtigkeit abstellen oder aber die Selbstbestimmung des einzelnen im Sinne eines Verbraucherschutzes sichern wollen. Beides paßt in erster Linie für das Stadium der Vertragsverhandlungen selbst. Es ließen sich jedoch auch Motive für die Haftung in anderen Situationen ableiten. Daher sei kurz darauf eingegangen. 1. Die Gewährleistung der inhaltlichen Richtigkeit von Verträgen
a) Literaturstimmen In der Literatur taucht der Vorschlag auf, die Funktion der culpa in contrahendo darin zu sehen, die Richtigkeitsgewähr des Vertrages zu sichern, ihm einen gerechten Inhalt zu geben. 61 Die anzustrebende Gerechtigkeit des abzuschließen§ 5, 11. 2. Vertrauenshaftung, 470 f. 60 Köndgen, Selbstbindung, 233 ff.; siehe auch oben § 5, III. 3. 61 Vor allem Mielke, Haftung des Stellvertreters, 58; auch Erman, AcP 139 (1934), 273,321 und Lehmann, Vertragsanbahnung, 239, die beide noch andere Aspekte in den Vordergrund stellen. 58 59
11. Vertrauenshaftung zur Sicherung der Selbstbestimmung
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den Vertrages erfordere, daß niemand "falsch verhandelt". 62 Sollen vorvertragliche Pflichten auf die inhaltliche Gestaltung des Vertrages einwirken, geht es ersichtlich um Aufklärungs- und Informationspflichten, 63 wie sie auch Gegenstand unserer Ausgangsfälle sind. Würde der Ansatz überzeugen, könnte man erwägen, ihn dergestalt zu erweitern,64 daß außervertragliche Aufklärungspflichten überall dort zu rechtfertigen wären, wo der Inhalt eines Vertrages zumindest mittelbar von der fraglichen Information abhängt. Das ist in den Ausgangsfällen in der Regel der Fall: Die Bankauskunft mag zum Kreditvertrag (eines Dritten), die Auskunft des Sachwalters zum Gebrauchtwagenkauf sogar unmittelbar des Auskunftempfängers, die des Anlageberaters zur Zeichnung von Anteilen führen. Schnell wird deutlich, daß die Abgrenzungs/unktion - auf die es uns ja ankommt - wiederum nur darin besteht, die Fälle auszuscheiden, die nicht dem rechtsgeschäftlichen Bereich entspringen. Vor allem in ,,Fachmannsfallen" dürfte sich hieraus aber tatsächlich eine Begrenzung der (Berufs-)Haftung ergeben.
b) "Richtigkeitsgewähr" des Vertrages? Aufklärungspflichten können nur dann ihre Begründung in der Sicherung der inhaltlichen Richtigkeit oder Gerechtigkeit von Verträgen finden, wenn es die Kategorie des gerechten Vertrages überhaupt gibt. Ob aber Verträge automatisch "gerecht" sind, sein müssen oder überhaupt sein können, ist, wiewohl anscheinend Fundamentalfrage des Vertragsrechts, äußerst umstritten. Dabei sind die Abweichungen zwischen den in der Literatur gewählten Formulierungen allerdings in der Regel größer als die zwischen den sich ergebenden Folgerungen. Dieser Komplex des Vertragsrechts war vor allem vor Inkrafttreten des AGB-Gesetzes von praktischer Bedeutung, als es darum ging, die von der Rechtsprechung unter dem Dach des § 242 BGB vorgenommenen Inhaltskontrollen dogmatisch zu erfassen. 65 Die Verfasser des Bürgerlichen Gesetzbuches gingen davon aus, daß sich ein vom Parteiwillen losgelöster Maßstab für das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung nicht finden lasse; es erschien ausreichend, wenn die Beteiligten dem Vertragsinhalt in Selbstbestimmung zugestimmt hatten. 66 Dem folgt, soweit ersichtlich, derzeit nur Flume in aller Deutlichkeit: "Der Vertrag ist ,richtig' , weil und soweit er von der beiderseitigen Selbstbestimmung der VertragMielke, aaO., 60. So in der Tat bei Lehmann, aaO., 239, der versucht, mit Hilfe der c.i.c. eine Haftung für Werbeaussagen zu installieren. Mielke, aaO., 60, hingegen bezieht ausdrücklich "unerlaubte Handlungen" in den Kreis der "Verhandlungsgefahren", die im Interesse der Vertragsgerechtigkeit abzuwehren sind, mit ein. 64 In diese Richtung gehen die Ausführungen von Joerges, in: AK-BGB, vor §§ 662 ff., Rn. 17. 65 In erster Linie unter diesem Blickwinkel argumentiert M. Wolf, Entscheidungsfreiheit; siehe auch Bydlinski, Privatautonomie, 62 ff. sowie 106. 66 Kramer, Krise, 20 ff., 32; Larenz, Richtiges Recht, 67; Luhmann, Rechtssoziologie, 327. 62 63
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§ 8 Argumente aus der Sonderverbindung
schließenden getragen ist. Nur in Hinsicht auf die Art des Zustandekommens des Vertrages, daß nämlich die vertragliche Regelung in der Selbstbestimmung beider Partner geschieht, kann man von der Regelung des Vertrages sagen, daß sie ,richtig' ist. Darüber hinaus wäre das Urteil des ,richtig' oder ,unrichtig' als rechtliches Urteil über den Inhalt der privatautonomen Gestaltung ein Widerspruch in sich. Denn, soweit die Privatautonomie wirkt, gibt es gerade keine rechtliche Norm, an welcher die privatautonome Gestaltung der Rechtsverhältnisse gemessen werden könnte." 67 Eine "laesio enormis" fehlt dem Bürgerlichen Gesetzbuch in der Tat. § 138 11 BGB, der in der Praxis teilweise deren Rolle übernommen hat, setzt gerade nicht beim Inhalt, sondern beim Zustandekommen des Geschäfts an. Hiernach bleibt dem Haftungsrecht zwar Raum für die Sicherung der Selbstbestimmung, dies jedoch nicht im Hinblick auf eine an übergeordneten Maßstäben zu messende Gerechtigkeit. Die Gegenposition wurde von Schmidt-Rimpler begründet. Wie jede andere rechtliche Regelung unterliege auch der Vertrag der Anforderung der Richtigkeit, worunter er eine "ethisch bestimmte Gerechtigkeit im engeren Sinne" versteht. 68 Es könne allerdings deswegen, weil beide Partner sich einigen müssen, mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, daß der Vertrag gerecht sei. 69 Dies sei aber nur dann der Fall, wenn jede Partei ihr wahres Interesse zutreffend einschätzt 70 und ein gewisses Machtgleichgewicht gegeben ist, damit sie für ihre Interessen erkannte Positionen auch durchsetzen kann. 71 Raiser modifiziert das dahingehend, daß der Vertragsmechanismus allein die Richtigkeit noch nicht gewährleiste; Abweichungen von der Gerechtigkeit seien jedoch in Kauf zu nehmen, soweit nicht "Grundforderungen der Gerechtigkeit verletzt sind." Es wird wiederum darauf verwiesen, daß der vertragliche Interessen- und Machtausgleich nur gelinge, wenn ein gewisses Gleichgewicht der Kräfte gewährleistet sei. 72 Auch andere Stimmen halten die Frage nach der inhaltlichen Gerechtigkeit des Vertrages für zulässig. 73 Keine von ihnen jedoch hat dem Argument Flumes etwas entgegenzusetzen, daß Freiheit zu etwas gerade bedeutet, daß für dasjenige, was in Ausübung dieser Freiheit geschieht, keine 67 Flume, Rechtsgeschäft, 7; ebenso (jetzt und im folgenden) in FS Deutscher Juristentag 1960 I, 135 ff.). 68 Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 132. 69 FS Raiser, 3, 5; statt von "Richtigkeitsgewähr" müsse man - wie zuvor M. Wolf, Entscheidungsfreiheit, 70 - eigentlich von "Richtigkeitswahrscheinlichkeit" sprechen (aaO., 12). 70 AcP 147 (1947), 130, 158 (Fußnote, Nr. 6 a). 71 FS Raiser, 3, 13; AcP 147 (1941), 130, 152; Schmidt-Rimpler weitgehend folgend Bydlinski, Privatautonomie, 62 ff. 72 Raiser, FS Deutscher Juristentag 1960 I, 101, 118 f. 73 Bydlinski, Privatautonomie, 62 ff., 106; M. Wolf, Entscheidungsfreiheit, 69 f.; Larenz, Richtiges Recht, 79; Kramer, Krise, 34; Luhmann, Rechtssoziologie, 327.
11. Vertrauenshaftung zur Sicherung der Selbstbestimmung
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Kriterien existieren können (was nicht heißt, daß der Freiheit nicht - von außen - Grenzen gesetzt werden könnten, wie es etwa durch § 138 BGB geschieht). Solche werden dann auch von den Fortentwicklern der Vertragslehre in Richtung auf die Installation inhaltlicher Vertragsgerechtigkeit gar nicht behauptet. Auch ihnen geht es nicht darum, inhaltliche Richtigkeitskriterien zu suchen; gesucht werden in jedem Fall nur materielle Funktionsvoraussetzungen. 74 Diese sind gemeint, wenn die genannten Stimmen von der Selbstbestimmung als Voraussetzung für inhaltliche Richtigkeit sprechen oder - wie Flume - als Voraussetzung dafür, die Frage nach der Richtigkeit nicht zu stellen. Insofern liegt das Problem, um das gestritten wird, mehr in der - hier nicht interessierenden - anderen Frage, ob die privatautonome Gestaltung von Rechtsverhältnissen Rechtssetzung sein kann oder nicht. 75 Oberbegriff für die erwähnten materiellen Voraussetzungen für das Funktionieren der privatautonomen Rechtsordnung ist nun, wie angedeutet, die Selbstbestimmung der Beteiligten. c) VertrauenshaJtung zur Sicherung
der materiellen Selbstbestimmung
Die unter der Bezeichnung "Vertrauenshaftung" zusammengefaßten Figuren könnten nun dazu dienen, wenn schon nicht allein bei Vertragsverhandlungen, dann doch im Umfeld des Vertragsschlusses die Selbstbestimmung der Beteiligten abzusichern. So wird der Grund für die Haftung aus culpa in contrahendo darin gesehen, ganz generell die Voraussetzungen zu schaffen für eine eigenverantwortliche Entscheidung des Partners und ihn vor nicht vorhersehbaren Entscheidungen zu bewahren. 76 Ähnlich dürfte auch das (zumeist unausgesprochene) Motiv für die Ausdehnung der vorvertraglichen Aufklärungspflichten durch die Rechtsprechung zu formulieren sein. Der Begriff der Selbstbestimmung wird häufig beschränkt auf das Verhältnis zwischen Erklärung und dem als Erklärung Gewollten (und hätte dann Bedeutung für Inhalts- und Erklärungsirrtum sowie Drohung und Zwang). Darum kann es hier nicht gehen. Geht es um die Motivation für die Erklärung, darum, was der einzelne "wollen kann", inwieweit es für ihn sinnvoll ist, Erklärungen abzugeben, läßt sich treffend 77 von materieller Selbstbestimmung sprechen. Sie ließe sich auch definieren als Voraussetzung für eine von Irrtümern freie Entscheidungsgrundlage. Wollte man dieser, materiell verstandenen Selbstbestimmung mit Hilfe der Sonderhaftung nach Vertragsgrundsätzen zum Durchbruch verhelfen 74 75 76
77
Kramer, Krise, 33. Ablehnend mit überzeugender Begründung Flurne, Rechtsgeschäft, 5 f. Hans StolI, FS v. Caemmerer, 435, 468. Entsprechend einem Vorschlag von Hönn, Vertragsparität, 96.
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§ 8 Argumente aus der Sonderverbindung
oder sie zumindest sicherstellen, ist vorher zu klären, welche Anforderungen an sie unter dem Aspekt der Funktionsfähigkeit der Privatrechtsordnung zu stellen sind. Am weitesten geht hier Schmidt-Rimpler. Er unterscheidet sachgerecht zwischen Konstellationen, in denen der Vertrag typischerweise kein geeignetes Ordnungsmittel darstellt, und solchen, die im Einzelfall von Bedeutung sind. 78 Vor allem der Motivirrtum - der nach den §§ 119 ff. BGB bekanntlich nur in Ausnahmefällen (§ 119 II) zur Anfechtung der Willenserklärung berechtigt lasse die Richtigkeitsgewähr entfallen, 79 soweit nicht das "technische Richtigkeitsprinzip" der Verkehrssicherheit 80 nach Abwägung im Einzelfall 81 zu anderen Ergebnissen führe. Hier wird schnell deutlich, daß eine solche Wertung des Motivirrtums entweder sofort wieder zurückgenommen werden muß (wie es Schmidt-Rimpler mit der Konstruktion eines "technischen Richtigkeitsprinzips Verkehrssicherheit" tut) oder zu unlösbaren Widersprüchen mit dem Gesetz führt. Denn dieses hat nun einmal angeordnet, daß der richtig erklärte, aber auf fehlerhafter Motivation beruhende Wille grundsätzlich bindet. Später 82 hat der Autor den Vorschlag dann auch nicht ausdrücklich wieder aufgegriffen. 2. Kein Ausgleich individueller Vertragsdisparität
Es ist jedoch der Ansatz am Einzelfall ohnehin verfehlt. Denn es gehört zum Wesen der Privatautonomie, daß im Einzelfall immer wieder ungleiche Machtlagen auftreten. So wie jedermann primär seinen eigenen Vorteil verfolgen darf, ja soll, so kann es auch nicht ausbleiben, daß es einer von (zumeist) beiden Beteiligten ist, der aus einem Geschäft den größeren Nutzen zieht als der andere. "Dadurch allein wird aber die Macht der Selbstbestimmung nicht beeinträchtigt, wenn nur kraft der auf dem Prinzip der Privatautonomie beruhenden Wirtschaftsordnung die wirtschaftliche Macht des an sich Stärkeren durch den Markt aufgehoben wird." 83 Die Ordnung der Privatautonomie ist - wie die des auf ökonomischer Seite korrespondierenden Begriffes der Marktwirtschaft - nur als Aggregat 84 zu verstehen. 85 Daher können auch die Parameter, anband derer eine Gefährdung der Selbstbestimmung gefolgert werden kann, stets nur typisierende sein. In erster Linie sind dann typischerweise ungleiche Machtlagen aufzuspüren. Eine AcP 147 (1941), 130, 158 (Fußnote). aaO., 188 ff. 80 aaO., 132; ebenso Bydlinski, Privatautonomie, 66. 81 aaO., 192. 82 In FS Raiser, 3 ff. 83 Flume, Rechtsgeschäft, 10. 84 Als Aggregation wird in der Volkswirtschaftslehre die Zusammenfassung einzeIwirtschaftlicher Parameter zu gesamtwirtschaftlichen verstanden. 85 i. E. ebenso Raiser, FS DJT 1960 I, 101, 131. 78
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III. Die Anlehnung an die Sonderbeziehung
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einzelne ungleiche Machtlage kann für sich genommen niemals Anzeichen von drohender Gefährdung der Selbstbestimmung sein. Das Gebiet, auf dem solchen Gefährdungen durch Aufstellung von Schutznormen zu begegnen ist, ist vorrangig das des Wirtschaftsrechts. 86 Schutz von Vertrauen hingegen ist notwendig auf einzelne Vertrauenslagen hin zugeschnitten. Wenn wir überlegen, warum wir bestehendes Vertrauen schützen, kann uns der Aspekt der Sicherung der Selbstbestimmung nicht weiterhelfen - jedenfalls nicht solange, wie an ein tatsächlich vorliegendes Vertrauen angeknüpft werden soll. 87 Die Kernfrage dieser Arbeit, warum (und wann) Vertrauensschutz gewollt wird, läßt sich auf diesem Wege nicht beantworten.
111. Die generelle Problematik der Anlehnung einer Erklärungshaftung an die einzelne Sonderbeziehung 1. Die Ansicht Pickers In seiner hier schon mehrfach herangezogenen, bemerkenswerten Analyse der Haftung "zwischen" Vertrag und Delikt erhebt Picker einen prinzipiellen Einwand gegen all jene Begründungsversuche, die die Sonderbeziehung zwischen Schädiger und Geschädigtem zum Ausgangspunkt wählen. 88 Es geht ihm dabei zunächst 89 noch nicht um die Frage der Ausgestaltung der Haftung, also darum, ob schließlich vertraglich, 90 lediglich ,,nach Vertragsgrundsätzen" oder gar deliktisch einzustehen ist, sondern um den - auch hier gesuchten - materialen Haftungsgrund. Geltungsgrund jedes Vertrages sei die in Selbstbestimmung getroffene Bindung. Als causa einer Leistung reiche der Vertrag demnach nur so weit, wie die Partei dies bestimmt hat: Nur die versprochene Leistung sei vom Vertrag gedeckt. Jede Schadensersatzpflicht könne also ihren Grund nicht mehr im Vertrag und damit in einer Selbstbindung, sondern nur in einer Fremdbindung finden. 91 Konsequent spricht Picker dann auch davon, daß es sich bei allen Schadensersatzverpflichtungen nicht um vertragliche, sondern um gesetzliche 86 Steindorff, FS Raiser, 621, 626; Aume,aaO., 10 f.; Raiser, aaO., 131; auch Biedenkopf, FS Böhm, 113 ff.; Raiser, Rechtsschutz, 145 ff. 87 Im Sinne der "subjektiven" Theorien von oben § 6, I. 2.; zu den sich aus den "objektiven" Ansätzen ergebenden Folgerungen sogleich III. 2. a. E. 88 Picker, AcP 183 (1983), 369, 385 ff., 393 ff. 89 Anders aber 460 ff. 90 Am weitesten geht insoweit Evans-v. Krbek, AcP 179 (1979), 85, 96 f., die nicht nur die Rechtsfolgen, sondern auch schon die Haftungsgrundlage durch analoge Anwendung der Rechtsgeschäftsvorschriften - §§ 4331, 104 ff., 145 ff., 440 I, 325 I 1, 326, 276, 278 BGB - gewinnen will. Auf diesen Ansatz passen die im Folgenden zu den "vertragsähnlichen" Modellen vorgebrachte Anmerkungen in besonderer Weise. Im übrigen dürfte das Arbeiten mit einer ,,Analogie" hier methodisch mehr als zweifelhaft sein. 91 aaO., 394 f.
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§ 8 Argumente aus der Sonderverbindung
handelt. 92 "Der Vertrag etwa als der anschaulichste Fall einer Sonderverbindung ändert nichts daran, daß eine Schadenshaftung, die im Rahmen seiner Durchführung ausgelöst wird, ihren Geltungsgrund in der zurechenbaren Verletzung einer fremden Rechts- oder Vermögensposition findet. Auf den materialen Rechtsgrund der Haftung als solchen bezogen, gilt für sie daher nichts anderes als für jede andere Wiedergutmachungspflicht, ... wie namentlich für die deliktische Haftung."93 Übergänge zwischen Selbst- und Fremdbindung und damit zwischen vertraglicher und gesetzlicher Verpflichtung gebe es nicht. 94
2. Die Lösung jeder Erklärungshaftung vom einzelnen Rechtsgeschäft Solche Rückbesinnung auf die Funktion des Vertrages als causa für Gewolltes erscheint wohltuend. Wenn Privatautonomie die Macht verleiht, Rechtsfolgen kraft Willensbefehls zu setzen, dann bewegen sich Schadensersatzpflichten notwendig außerhalb dieses Rahmens. "Vertragliche" - im eigentlichen Sinne des Wortes - Nebenpflichten, deren Verletzung eine "Vertragsverletzung"95 darstellt, gibt es nicht. Ihre Annahme grenzt an Fiktion; 96 daran können auch anderenfalls auftretende Probleme mit der Abstimmung zwischen Positiver Vertragsverletzung und dem Vertrag 97 selbst nichts ändern. Anderes gilt selbstverständlich aber für Nebenleistungspflichten, die ausdrücklich oder konkludent vereinbart wurden und damit zum Vertragsinhalt gehören. Auf diesem Wege muß ein Rechtsinstitut der "Vertrauenshaftung", welches vertragsähnlich ausgestaltet ist, aber zwangsläufig in unauflösliche Widersprüche zu Fundamentalprinzipien der Rechtsgeschäftslehre geraten. 98 So ist denn ja auch vielfach von gesetzlichen 99 Pflichten 100 die Rede. Zu beachten ist allerdings aaO., 397. 93 aaO., 399. 94 aaO., 410; ebenso Canaris, FS Larenz 1983,27,93 f. in Auseinandersetzung mit dem Selbstbindungskonzept Köndgens. 95 Larenz, Schuldrecht AT, 365 (siehe aber sogleich). Für vertragliche Haftung etwa auch SoergellO / R. Schmidt, vor § 275, Rn. 37; Huber, AcP 177,281,296 ff. (zur pVV beim Kauf); Staud. / Löwisch, vor §§ 275 - 283, Rn. 22; Palandt / Heinrichs, § 276, Anm. 7 A b; unklar Medicus, Bürgerliches Recht, Rn. 203. 96 Picker, aaO., 401 f. 97 Staud./Löwisch, vor §§ 275-283, Rn. 22; Medicus, Bürgerliches Recht, Rn. 203. 98 v. Bar, RabelsZ 44 (1980), 455, 472; Ebke, Dritthaftung, 72. 99 Kruse, culpa, (vgl. den Titel der Arbeit); besonders deutlich beim "einheitlichen Schutzverhältnis" von Canaris, JZ 1965,476,479; VersR 1965, 114, 117; Vertrauenshaftung, 432 f.; deutlich zuletzt FS Larenz 1983,27,93 f.; ebenso die Vertreter der Lehre vom "sozialen Kontakt" (oben I. 2. b) und ihrer Spielarten; vorsichtig Schwark, JZ 1980, 741,745 f. 100 An dieser Stelle sei noch einmal an die schon einleitend erwähnte Kritik von Ernst Wolf (Schuldrecht AT, 53 ff.) erinnert. Er lehnt die Bezeichnung "Pflicht" für die Fälle ab, in denen Schuldgegenstand nicht ein nach Merkmalen bestimmtes Handeln oder 92
II,~
Die Anlehnung an die Sonderbeziehung
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zunächst der Unterschied zwischen Verhaltens- und Sanktionsnorm. Erstere legt die eigentlichen Pflichten fest, letztere enthält die Sanktion bei deren Verletzung. Diese letzteren, also die zu Schadensersatz verpflichtenden Normen, beruhen als solche nicht auf dem Partei willen und sind daher als gesetzliche einzustufen. 101 Auch die Einstandspflichten aus den §§ 280,325 BGB zählen konsequent hierher. Gleiches muß aber für auch diejenigen Verhaltensnormen gelten, die nicht auf dem in ihren Erklärungen geäußerten Willen der Parteien beruhen. Larenz erkennt deren im Gesetz liegenden Ursprung an, sieht diese Pflichten jedoch im Gefüge des Schuldverhältnisses als vertragliche an: "Vertragsgerechtes Verhalten" meine ein Verhalten, das den Anforderungen entspricht, die sich aus dem Vertragsverhältnis insgesamt ergeben. 102 Eine solche Einstufung kann nicht falsch sein; sie erscheint aber nicht sinnvoll, da sie die Frage des Ursprunges der Pflicht mit der des bei deren Verletzung zur Anwendung kommenden Sanktionssystems (das ist hier nach ganz überwiegender Ansicht in der Tat das Vertragsrecht 103) vermengt. Canaris 104 legt überzeugend dar, daß die Leistungspflichten und die Schutzpflichten ihrer Struktur nach verschiedenartig sind und daher nicht ohne weiteres denselben Regeln unterworfen werden dürfen (wobei Canaris sie dennoch denselben Regeln - Haftung nach Vertragsgrundsätzen - unterwirft, ihnen aber einen unterschiedlichen Charakter - hier vertraglich, dort gesetzlich - beimißt). Leistungspflichten einschließlich aller Nebenleistungspflichten seien solche Pflichten, die ihren Inhalt durch den Parteiwillen und den Vertragszweck erhielten, während die Schutzpflichten davon völlig unabhängig seien und inhaltlich nur durch die tatsächli~hen Beziehungen der Parteien zueinander bestimmt würden. 105 Nun bereitet Schwierigkeiten, die Aufklärungspflichten in diesem Dualismus unterzubringen. Larenz nennt sie Loyalitätspflichten, 106 stellt aber klar, daß sie zu den "weiteren Verhaltenspflichten" gehören, welche nicht klagbar sind. 107 Hier wird deutlich, daß sie im Sinne von Canaris eher zu den "Schutzpflichten", also zu den von ihm als gesetzlich eingestuften Pflichten zählen. "Gesetzlich" ist dabei im übrigen im weitesten Sinne zu verstehen: Auch die im Wege der Rechtsfortbildung entwickelten ungeschriebenen Normen des objektiven Rechts Unterlassen sein kann (57); nicht klagbare "Pflichten" seien nicht denkbar (55), vielmehr handele es sich in derartigen Fällen um Haftungstatbestände (54). Die Analyse ist richtig. Dennoch erscheint es - auch angesichts so gängiger Begriffe wie dem der "Verkehrspflichten" - nicht angebracht, den diesbezüglich fast allgemeinen Sprachgebrauch noch verändern zu wollen. 101 J. Schmidt, GS Schultz, 359, 341. 102 Larenz, Schuldrecht AT, 365 f. 103 Dazu unten § 13. 104 JZ 1965, 475, 478 f. 105 aaO., Fn. 34. 106 Schuldrecht AT, 110. 107 aaO., 10, 12.
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§ 8 Argumente aus der Sonderverbindung
zählen dazu. 108 "Gesetzlich" ist also alles, was nicht auf dem Partei willen beruht. 109 Hiergegen wird eingewandt, die strenge Entgegensetzung von rechtsgeschäftlichen Leistungspflichten einerseits und gesetzlichen Sanktionsbefehlen andererseits beruhe auf einem spezifischen Verständnis der Willenserklärung ausschließlich als eines Instrumentes der Selbstgestaltung, frei von Elementen auferlegter Verantwortung; ein Verständnis, das nur eines von vielen möglichen sei. 110 Das ist nicht zutreffend. Es geht nicht um die Befreiung des Erklärenden von Verantwortung. Es geht an dieser Stelle überhaupt nicht um materielle Kriterien, sondern um eine präzise Analyse und Unterscheidung der im "Gefüge des Schuldverhältnisses" 111 auftretenden Pflichten. Hier muß es dabei bleiben, daß den Parteien auferlegte Pflichten gesetzliche sind. Sind solche Pflichten aber noch als gesetzlich einzustufen, obwohl sie - etwa innerhalb des Institutes der Positiven Vertragsverletzung - unmittelbar mit einem konkreten Vertrag zusammenhängen, so muß dies erst recht gelten, wenn vom konkreten Vertrag abstrahiert wird. Das bestätigt auch ein Blick auf unsere Ausgangsfalle. Die Auskunft war in keinem Fall Vertragsgegenstand dergestalt, daß ein Anspruch auf ihre Erteilung bestanden hätte: Ein Kapitalanlagewilliger etwa kann nicht auf die Emittenten zutreten mit dem Verlangen, die Daten über das Anlageprojekt herauszurücken. Zwar ist deren Pflicht zur wahrheitsgemäßen und vollständigen Aufklärung durchaus am Vertragszweck zu messen, sie ist aber unabhängig vom Parteiwillen. Sie kann in ihm dann auch nicht ihren Ursprung finden. Sie bedarf vielmehr einer besonderen Begründung. Denn für die wirtschaftliche Belastung durch die Aufklärungspflicht kommen mangels entsprechender Vertragsabrede von vornherein theoretisch ja beide Parteien in Betracht. 112 Diese Erkenntnis ist für uns an dieser Stelle aber nur deswegen von Interesse, weil Picker mit seinem Verdikt nicht nur die Befürworter der "vertraglichen Nebenpflichten" belegt, sondern all jene Lehren, die überhaupt eine, wenn auch nur assoziative, Anlehnung an das Rechtsgeschäft suchen. 113 Dazu zählt er sogar die Lehren vom "sozialen Kontakt" (die eben diese Anlehnung gerade zu vermeiden trachteten), da diese aufgrund der Unmöglichkeit, die haftungsrelevanten Kontakte von den übrigen zu scheiden, in einem gedanklichen Zirkel letztlich die Haftung seiner Meinung nach doch nur dort bejahten, wo bereits eine rechtliche Sonderbeziehung vorliegt. 114 Auch die "Vertrauenshaftung" im Sinne der lOS
Canaris, Vertrauenshaftung, 432, Fn. 42; ebenso Teubner, in: AK-BGB, § 242,
Rn. 26.
109 Gegen eine solche Differenzierung Jakobs, Gesetzgebung, 28 (Fn. 62), da auch vertragliche Verbindlichkeiten erst dadurch rechtsverbindlich würden, daß sie das Gesetz anerkenne. 110 Möschel, AcP 186 (1986), 187, 224 f. 111 Ausdruck von Larenz, Schuldrecht AT, 365. 112 E. Schmidt, JA 1978,597,605. 113 Picker, AcP 183 (1983), 369, 391,410.
III. Die Anlehnung an die Sonderbeziehung
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Rechtsprechung, also die auf typisiertem Vertrauen beruhende, aus der culpa in contrahendo entwickelte Haftung, ist, wie die Anlehnung an die culpa in contrahendo gerade zeigt, noch ,,rechtsgeschäftsnah" , und zwar nicht nur in Abgrenzung zur rein "gesellschaftlichen" Sphäre (worum es bei der Kritik an der Lehre vom "sozialen Kontakt" vielfach ging), sondern in dem Sinne, daß sie an ein vom Vertrauenden oder neuerdings einem Dritten 115 abzuschließendes konkretes Rechtsgeschäft angelehnt wird. Dies zeigt sich etwa deutlich, wenn der BGH erwähnt, daß die Sachkunde eines sog. Sachwalters "für den Willensentschluß des anderen Teils bedeutsam war", 116 oder wenn es bei Hohloch heißt, von Vertrauenshaftung könne man nur dort sprechen, wo der Vertragspartner hinsicht1ich des Vertragsinteresses Vertrauen entgegenbringt. 117 Hier schwingt, und insoweit ist Picker beizupflichten, unausgesprochen die Vorstellung von sich aus dem Vertrag ergebenden Pflichten zumindest mit. 118 Diese Ablehnung "vertragsnaher" Begründungen für die Sonderhaftung ist konsequent. Das zeigt sich anband einer einfachen Überlegung: Wenn die Fiktion vertraglicher Bindung - wie durch die Rechtsprechung insbesondere zur Auskunftshaftung praktiziert 119 - nicht angängig ist, kann es nämlich auch nicht damit getan sein, diese Fiktion durch eine irgendwie geartete Zurechnung zu ersetzen, damit letztendlich aber das Gleiche zu bezwecken. 120 Der Vertrag trägt nur zur Begründung vertraglicher Pflichten bei. Das bedeutet nicht, daß nicht weitergehende - dann gesetzliche - Pflichten mit dem Vertrag einhergehen können. Sie bedürfen aber einer eigenständigen Begründung. Die Tatsache allein, daß eine vertragliche Sonderbeziehung besteht, besagt noch nichts darüber aus, wie das Verhältnis der Beteiligten zueinander gesetzlich auszugestalten ist. Gesetzliche Pflichten resultieren eben nicht aus Verträgen und können auch nicht aus solchen hergeleitet werden. All dieses vermag den schon zuvor erhobenen Befund zu bestätigen, daß keiner der bisher diskutierten Aspekte einen zureichenden Grund dafür abgibt, daß Vertrauen in gewissen Situationen geschützt wird. Und sie deckt sich mit der gleichfalls oben 121 gemachten Beobachtung, daß alle vorgestellten vermeintlichen aaO., 414 f. Siehe die Auskunftsfälle von oben § 1, III. 1. 116 BGHZ 56, 81, 85. 117 Hohloch, JuS 1977, 302, 306 (Hervorhebung im Original). 118 Dieser Vorwurf behält aber nur soweit Berechtigung, wie man die Geltung der Vertrauenshaftung aus dem konkreten Vertrag herleitet. J. Schmidt (in: Staud., § 242, Rn. 1226) hingegen, dem es bei der Vertrauenshaftung um den Schutz "sinnvoller Institutionen unterhalb der gesamtgesellschaftlichen Ebene" geht, will dies nur bezüglich des Inhaltes tun, da er nur anhand des Vertragsinhaltes die Funktionsbedingungen der Institution, die es zu schützen gilt, definieren kann. Zur Kritik daran siehe oben I. 2. c. 119 Oben § 1, III. 1. 120 Ebke, Dritthaftung, 72. 121 Oben I. 3. b, 1I. 1. a. 114 115
§ 8 Argumente aus der Sonderverbindung
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Geltungsgründe der außervertraglichen Sonderhaftung in ihrer Selektionsfunktion nicht mehr zu leisten in der Lage sind, als die rechtsgeschäftlichen von den nicht rechtsgeschäftlichen Fällen zu trennen. Dagegen ist allein für sich nichts zu sagen. Daß nun aber gerade das einzelne Rechtsgeschäft nicht geeignet ist, ganz oder teilweise ein Institut der Schadensersatzhaftung zu tragen, hat Picker bereits verdeutlicht. Unabhängig hiervon könnten allerdings die "objektiven" 122 Lehren, die sich mit "typisiertem" Vertrauen zufriedengeben, doch noch eine Begründung für die Erklärungshaftung liefern, indem sie den Gedanken des Machtausgleiches in den Dienst des Vertrages stellen. Dann wären die neuen außervertraglichen Haftungsfiguren einzusetzen, um Störungen der Privatautonomie durch typischerweise auftretende Machtungleichgewichte zu begegnen. Das wird an späterer Stelle 123 noch ausführlich behandelt werden. Schon hier kann allerdings festgehalten werden, daß eine solche Lösung mit "Vertrauen" dann vollends nichts mehr zu tun hat.
IV. Das Modell Pickers: "neminem laedere" in Sonderverbindungen 1. Darstellung
Picker bleibt bei seiner oben vorgestellten und begrüßten Kritik an den vertragsorientierten Lehren aber nicht stehen. Er entwickelt ein Konzept, das zur unbeschränkten Ersatzpflicht für alle innerhalb einer Sonderverbindung verursachten Schäden führt. 124 Statt der bloßen Anlehnung an die bestehende, vertragliche Sonderverbindung ist es bei ihm die Sonderverbindung als solche, die haftungsauslösend wirkt. Picker geht davon aus, daß umfassender Integritätsschutz, prägnant formuliert im Gebot des "neminem laedere" 125, einen "Elementarsatz unserer Rechtsanschauung" und zugleich ein "Postulat der Vernunft" bildet. 126 Jede rechtswidrige Verletzung von Interessen anderer führe zur Einstandspflicht; nach dem "elementaren Gerechtigkeitsurteil wie nach der ersten Reaktion der Vernunft" soll dies auch und gerade für die Verletzung reiner Vermögensinteressen gelten. 127 Die nunmehr zentrale Frage, welche Verletzung rechtswidrig ist, wird so entschieden, daß all jenes Verhalten als rechtswidrig zu qualifizieren sei, das entweder wegen Im Sinne von oben § 6, I. Unten § 9. 124 Picker, AcP 183 (1983), 369, 460 ff., 485 ff.; ebenso (und mit Berücksichtigung zwischenzeitlich ergangener Kritik) ders., JZ 1987, 1041 ff., 1047 ff. 125 dazu allgemein Schiemann, JuS 1989, 345 ff. 126 Picker, AcP 183 (1983), 369, 462. 127 aaO., 466. 122 123
IV. Das Modell Pickers: "neminem laedere" in Sonderverbindungen
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seiner abstrakten Gefährlichkeit für das Schutzgut oder wegen dessen unmittelbarer konkreter Bedrohung als nicht mehr "erlaubbar" erscheine. 128 Picker kehrt auch die "Beweislast" für die Haftungsbegründung um: Angesichts des nach seiner Meinung bestehenden elementaren Gerechtigkeits- und Vernunftpostulats, daß grundsätzlich jede rechtswidrig-schuldhafte Schadenszufügung die Pflicht zur Widergutmachung auslöst, sei nicht diese Pflicht, sondern im Gegenteil ihre eventuelle Durchbrechung und also der fallweise Nichteintritt der "an sich gebotenen Haftung" plausibel zu machen. 129 Nun kann auch Picker nicht daran vorbeigehen, daß sich die §§ 823 ff. BGB beim besten Willen nicht als deliktische Generalklausel interpretieren lassen. Das versucht er auch nicht. Er gibt der tatbestandlichen Ausformung des Deliktsrechts vielmehr eine besondere Funktion. Diese Funktion ist, die Haftung gemäß "rechtspraktischer Notwendigkeit" zu beschränken, da - wie hier auch schon an anderer Stelle festgestellt worden ist 130 - mit jeder neuen oder erweiterten Schadenshaftung der Bewegungs- und Handlungsspielraum der übrigen Rechtsgenossen beschränkt wird. 131 Diese Beschränkung der Haftung im Deliktsrecht bedarf nun also nach Pickers Ansatz der Legitimierung. Grund der (gegenüber dem "neminem laedere"-Gebot) restriktiven Gestaltung des Deliktsrechts sei allein die diesem zugedachte Aufgabe, die Zahl der potentiellen Gläubiger zu beschränken. 132 Sobald eine Einstandspflicht zum Inhalt hat, jeden und den ganzen Schaden zu ersetzen, führe dies notwendig dazu, daß auch eine beinahe unübersehbare Zahl nur mittelbar Geschädigter Ansprüche geltend machte. Daher dienten die §§ 823 ff. BGB grundsätzlich dazu, den nur "mittelbar Beschädigten" aus dem Kreis der Gläubiger eines deliktischen Anspruches auszuscheiden. Das absolute Recht in § 823 Absatz 1 und die schutzgesetzlich gesicherte Rechtsposition im Absatz 2 dienten, so Picker, nur dazu, den Kreis der Gläubiger zu beschränken. Nachdem diese Auswahl vorgenommen worden sei, könne dann wieder der ganze Schaden ersetzt werden. 133 In dieses System fügt sich nun die unbeschränkte Haftung für rechtswidrige Beschädigungen in Sonderverbindungen ein. Denn die Funktion der Auswahl der potentiellen Gläubiger, zu deren Zwecke die Tatbestände des Deliktsrechts dienen sollen, übernimmt hier die Sonderverbindung selbst: 134 Der Partner in einer solchen Verbindung ist nicht mehr nur mittelbar geschädigt, sondern unmittelbar, und die Zahl der möglichen Anspruchsberechtigten ist nicht größer als die der Rechtsgenossen, mit denen man in Sonderverbindung steht. Das Gebot 128 129 130 131 132 133 134
aaO., 464. aaO., 465, 474. Oben § 1, IV. 2. aaO., 470 f. aaO., 476 ff. aaO., 479 f., 484. so auch Stürner, VersR 1984,297,304.
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§ 8 Argumente aus der Sonderverbindung
des "neminem laedere" kann, so Picker, wieder uneingeschränkt Platz greifen. "Es ist m. a. W. also grundsätzlich immer das Vermögen als solches in den Integritätsschutz einzubeziehen, wenn der mögliche Gläubiger ein für alle Mal feststeht. " 135 Deliktshaftung und Sonderhaftung entspringen danach einem einzigen, homogenen System. Statt zwischen Delikts- und Vertragshaftung sieht Picker die Dichotomie nunmehr nur noch, wie bereits oben III. angesprochen, zwischen Leistungs- und Ersatzpflicht. Auf der Ebene der letzteren dient dann das Deliktsrecht der Haftung auf der normalen, das Verhältnis zwischen jedermann regelnden Rechtsebene der Zufallskontakte, die Sonderhaftung hingegen soll auf der "speziell gestalteten Ebene der rechtlichen Sonderverbindung" Anwendung finden. 136 Darin schlage sich das allgemeine Prinzip nieder, daß inter partes, also im Verhältnis der Parteien einer Schuldrechtsbeziehung untereinander, die Unterscheidung zwischen "absoluten" und ,,relativen" Rechtspositionen keine Bedeutung besitze. 2. Kritik
Pickers Überlegungen ergeben ein eindrucksvolles Gebäude des Haftungsrechts, das den für die Rechtsanwendung ungeheuer bedeutsamen Vorzug besitzt, der in Rechtsprechung und Lehre derzeit vorherrschenden Ansicht zu einer dogmatisch konsistenten theoretischen Grundlage zu verhelfen. Zwar äußert Picker vehemente Kritik an der "vertrauenstheoretischen Pflichtenbegründungskonzeption".137 Auch läßt er (im Rahmen seines Beitrages zu Fragen der Schuldrechtsreform) offen, ob die Haftung innerhalb der Sonderverbindung richtig ausgestaltet ist, wenn man sie, wie derzeit üblich, den Regeln der Vertragshaftung folgen läßt. 138 Den neueren Tendenzen, jeder Sonderverbindung auch eine Sonderverantwortung korrespondieren zu lassen, kommt Pickers Modell aber in vorzüglicher Weise entgegen. Der materiale Geltungsgrund der Haftung in unseren Ausgangsfallen wäre mit seinem Konzept gefunden. Es bleiben aber Zweifel; und dies nicht nur an der Begründung, sondern auch an der Praktikabilität des Vorschlages. Vor allem ist sehr fraglich, ob man einfach ein ethisches Gebot wie das des ,,neminem laedere" zur Rechtspflicht erheben kann. 139 Zwar ist es richtig, daß im Gesetzgebungsverfahren zum Bürgerlichen Gesetzbuch zunächst von einer deliktischen Generalklausel ausgegangen worden 135 Picker, AcP 183 (1983), 369, 478 (Hervorhebung im Original); auch 506. 136 aaO., 510. 137 Siehe oben § 6, insbes. 11. 2. 138 Siehe dazu ausführlich unten § 13. 139 Kritisch Möschel, AcP 186 (1986), 187,225; StoH, Richterliche Fortbildung, 43 f. (Fn. 75); Schwitanski, Deliktsrecht, 289 ff., 295.
IV. Das Modell Pickers: ,,neminem laedere" in Sonderverbindungen
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war. 140 In den Begründungen für die dem heutigen § 823 entsprechende Lösung finden sich auch Formulierungen, die auf eine Eingrenzung des geschützten Personenkreises abzielen: ,,Der Entwurf und die Anträge gehen davon aus, daß die Vorschriften über die Schadensersatzpflicht aus unerlaubten Handlungen zu denjenigen Vorschriften gehören, welche dazu bestimmt sind, die Rechtskreise der einzelnen, innerhalb deren sie ihre individuelle Freiheit entfalten und ihre Interessen verfolgen dürfen, voneinander abzugrenzen. Der Rechtskreis des einzelnen umfasse zunächst, ... (Rechtsgüter und Rechte), welche durch das an jedermann gerichtete Verbot eines Eingriffes ebenso geschützt seien, wie Rechte an Sachen. Die Rechtskreise seien aber auch noch in der Weise voneinander abgegrenzt, daß das Gesetz dem einen im Interesse eines anderen gewisse Pflichten auferlege, ihm ein bestimmtes Verhalten gebiete oder verbiete. Dabei könnten jedoch nur solche Gebote oder Verbote in Betracht kommen, welche darauf abzielten, die Interessen des einen vor der Beeinträchtigung durch den anderen zu bewahren, nicht dagegen die im Interesse der Gesamtheit auferlegten gesetzlichen Pflichten, welche, weil sie den Interessen aller förderlich seien, auch jedem irgendwie Beteiligten zugute kämen." 141 In der Anordnung, daß ein den Schutz (auch) des Geschädigten bezweckendes Gesetz verletzt worden sein muß, liegt jedoch nicht nur die Verwirklichung der Absicht, den bloß mittelbar Beschädigten aus dem Kreis der potentiellen Gläubiger herauszuhalten. In mindestens gleicher Weise dient sie dazu, festzustellen, wann eine widerrechtliche Handlung vorliegt. Nicht jede Übertretung einer im bloßen Allgemeininteresse aufgestellten Norm ist zugleich jedem Verletzten gegenüber widerrechtlich. Hierin bloß eine "Haftungsbeschränkung aus rechtspraktischer Notwendigkeit" zu sehen, 142 verkürzt das Deliktsrecht und damit zu weiten Teilen das Recht insgesamt um seine ureigenste Aufgabe, zu sagen, was verboten ist und was nicht. Noch deutlicher wird dies, wenn man an den Absatz 1 des § 823 BGB denkt. 143 Die Zuweisung von Rechtssphären soll gerade "Tabuzonen" schaffen, Bereiche, in denen der einzelne tun und lassen kann, was er will, und in die nur unter besonderen Umständen - etwa bei Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes - eingegriffen werden darf. l44 Das ist weit mehr als nur die Ausgrenzung der bloß mittelbar Geschädigten. Pointiert läßt sich sagen: 145 Die von Picker vorgenommene Trennung von Anerkennung der Haftung (Gebot des "neminem laedere") und deren Ausgestaltung (Einzeltatbestände der §§ 823 ff. BGB) ist nicht durchführbar, da die Schadenshaftung nur so anerkannt wurde, wie sie konkret von den Gesetzesverfassern ausgestaltet worden ist. Picker, aaO., 467; dazu auch Brüggemeier, AcP 182 (1982), 385, 425 ff. Protokolle 11, 567 f.; zum Schutzzweck des Verbotsgesetzes auch aaO., 571. 142 Picker, aaO., 470. 143 Ebenso Jakobs in der Diskussion über das Referat Pickers; berichtet von Schilken, AcP 183 (1983), 521.· 144 Zur Funktion des Schutzes subjektiver Rechte, der in § 823 I BGB seinen hauptsächlichen Niederschlag gefunden hat, siehe schon einleitend § 2, 11. 2.. 145 Mit Schwitanski, Deliktsrecht, 295. 140 141
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Hat man damit festgehalten, daß das Deliktsrecht die Einstandspflicht nicht nur nach personalen, sondern auch und gerade nach sachlichen Kriterien limitiert, dann ist die Behauptung, daneben sei noch Platz für eine ungeschriebene deliktische Generalklausel, nicht mehr haltbar. Pickers System der grundsätzlich unbeschränkten Haftung innerhalb von Sonderverbindungen wäre aber auch überhaupt nicht praktikabel. Zum einen bietet er keine praktikablen Kriterien dafür an, wie die rechtlich relevanten Sonderverbindungen herauszufiltern sind. 146 Und er gibt auch keinen Anhalt für die praktisch überaus wichtige Feststellung des Inhaltes der Pflichten aus einer Sonderverbindung. Dieses ist aber unabdingbar. Denn wirtschaftliche Betätigung geht, zumeist und insbesondere in einer Sonderbeziehung, zwangsläufig mit der Beschädigung des Vermögens anderer einher; häufig wird diese sogar vorsätzlich vorgenommen werden, ohne daß man auf die Idee käme, darin ein vorwerfbares Verhalten zu erblicken. 147 Jedes gute Geschäft kann eine "Beschädigung der Integrität des Vermögens" eines anderen darstellen. Will man solche Fälle aus der Haftung ausgrenzen, muß man dann eben doch tun, was Picker mit seinem "Elementarsatz unserer Rechtsanschauung" umgehen wollte: Man muß Verhaltenspflichten aufstellen 148 (und, um im Beispiel des Geschäftemachens zu bleiben, unwahre Angaben oder gar den Betrug verbieten). Nur darauf abzustellen, was als "nicht mehr erlaubbar erscheint" 149, ist angesichts dieser Aufgabe wohl kein diskussionswürdiger Vorschlag. 150 Nach allem hilft ein vermeintliches ,,neminem laedere"-Gebot ebensowenig weiter, wie es sich mit dem geltenden Recht in Einklang bringen läßt.
V. Folgerungen Festzuhalten ist bisher: Die zuletzt vorgestellte Ansicht vermag eine "Sonderhaftung" nicht zu begründen. Der Gedanke des Vertrauensschutzes allein ist nicht geeignet, die Vertrauenshaftung zu tragen. Von den verschiedenen Versuchen, die hinter dem Vertrauensschutz stehenden Wertungen aufzuzeigen, haben all jene bisher nicht zu überzeugen vermocht, die aus der Beziehung zwischen Vertrauensveranlasser und Vertrauendem zu argumentieren versuchten. Das lag zum einen daran, daß sich keine äußeren Merkmale einer solchen Vertrauensbeziehung finden ließen, die nicht an anderer, nicht für haftungbegründend erachteten Stelle gleichfalls auftreten; andere Argumente erwecken eher den Eindruck, als seien sie - in der sich breit machenden Erkenntnis, daß das Vertrauen allein zur Begründung nicht tauge - nur schnell an die Stelle des Vertrauens gesetzt worden. Und überall schwingt die Assoziation von aus dem Vertrag abgeleiteten Nebenpflichten mit. 146 147
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Schwitanski, Deliktsrecht, 292. Canaris, PS Larenz 1983,27,37. Medicus, Probleme, 24. So Picker, aaO., 464. Kritisch hierzu auch Möschel, AcP 186 (1986), 187,225.
I. Argumente aus dem Sozialstaatsprinzip
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Selbst wenn man den dazu hier vertretenen dogmatischen Standpunkt nicht teilt, wird man sehen müssen, daß die Entwicklung der Vertrauenshaftung in den letzten Jahren ja gerade vom Vertrag weggeführt hat. Insofern ist aber dieses Zwischenergebnis für die in dieser Untersuchung im Mittelpunkt stehenden Fälle weniger destruktiv, als es den Anschein haben mag. Wenn diese sich alle gerade dadurch auszeichnen, daß sie den Bereich des Rechtsgeschäftes noch weiter verlassen, als es schon diejenigen Fallgruppen tun, die zur "klassischen" culpa in contrahendo zählen, ist nach einer wirklich auch außervertraglichen Begründung gefragt. Wäre im Umfeld der rechtsgeschäftlichen Sonderverbindung ein Geltungsgrund der Sonderhaftung gefunden worden, hätte er für unsere Fälle bestenfalls im Wege einer methodisch kaum sauber zu rechtfertigenden "Analogie" fruchtbar gemacht werden können. 151 Da das Vertrauen kein Haftungsgrund sein kann und der Vertrag es nicht sein soll, wird eine Tendenz der Argumentation zum Deliktsrecht schon jetzt offensichtlich. Getreu der Fragestellung dieser Arbeit sollen aber nicht dogmatische Fragen im Mittelpunkt stehen, sondern soll geklärt werden, ob und - wenn ja warum überhaupt eine derartige Haftung gewünscht werden kann. Dem ist weiter nachzugehen. Weiterhin eine Rolle spielt dabei der Vertrauensschutzgedanke. Der entspringt zwar der Vorstellung eines besonderen Vertrauensverhältnisses, welches wiederum durch den rechtsgeschäftlichen Kontakt begründet sein soll; das trägt, wie gesehen, nicht. Aus diesem Grunde sollte man daher nur noch von Erklärungspflichten oder einem Institut der Erklärungshaftung sprechen, weil dieser Begriff nicht an einen nicht tragenden Grund, sondern neutraler an das äußere Verhalten des Haftenden anknüpft. In der Literatur werden als Gründe für Vertrauensschutz jedoch auch Merkmale angeführt, die selbst nichts mit einer Sonderbeziehung zwischen Schädiger und Geschädigtem zu tun haben. Das rechtfertigt es hier, bei der zweispurigen, das Vertrauen im Blick behaltenden Fragestellung von oben § 7 zu bleiben.
§ 9 Vertrauensschutz als Instrument zum Schutze des sozial Schwächeren I. Argumente aus dem Sozialstaatsprinzip Nach Art. 20 I des Grundgesetzes ist die Bundesrepublik Deutschland ein demokratischer und sozialer Bundesstaat; Art. 28 I greift das Wort "sozial" erneut auf. Das aus diesem Adjektiv abgeleitete Sozialstaatsprinzip soll nach vorherrschender Auffassung auch auf das Privatrecht einwirken. Zu erwägen ist, das 151 Es sei in diesem Zusammenhang daran erinnert, wie die Rechtsprechung die neuen Fallgruppen an die culpa in contrahendo anlehnt (oben § 1, III. 4.).
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Sozialstaatsprinzip zum Ausgangspunkt der Begründung der Erklärungsshaftung zu wählen. In Rechtsprechung 1 und Literatur 2 gibt es dahin gehende Andeutungen, jedoch keine gründlichere Untersuchung. 1. Rechtsprechung und Literatur zum Einfluß des Sozialstaatsprinzips auf das Privarecht
a) Sozialstaatsgemäße Privatrechtsordnung
Nach einer Formulierung des Bundesverfassungsgerichts hat das Grundgesetz die Spannung Individuum - Gemeinschaft im Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und -gebundenheit der Person entschieden, ohne dabei deren Eigenwert in Frage zu stellen. 3 Auf den sozialen Aspekt hin konkretisiert bedeutet das, daß die staatliche Ordnung systematisch auf die Aufgabe der Anpassung und Verbesserung des sozialen Kompromisses angelegt sein muß.4 Zum Verhältnis der Bürger untereinander äußert das Bundesverfassungsgericht, daß die freiheitlichdemokratische Grundordnung dem Gedanken der Würde und Freiheit des Menschen die Aufgabe entnehme, auch hier für Gerechtigkeit und Menschlichkeit zu sorgen. Dazu gehöre, daß eine Ausnutzung des einen durch den anderen verhindert werde. 5 Das Bundesverfassungsgericht hält danach eine Einwirkung des Sozialstaatsprinzips auf das Zivilrecht zwar für gegeben, sieht darin aber nur einen an den Staat gerichteten Auftrag. Die Ausgestaltung des Sozialstaatsprinzips obliege "im wesentlichen dem Gesetzgeber". 6 Dies entspricht der Vorstellung vom Sozialstaatsprinzip als Staats ziel. 7 Andererseits könnte man auch unmittelbar Rechte und Pflichten der Privaten mit Hilfe des Sozialstaatsprinzips begründen wollen. Das entspräche der "unmittelbaren Drittwirkung" , wie sie bei den Grundrechten diskutiert und vor allem vom Bundesarbeitsgericht vertreten wird. 8 So findet sich in der frühen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes dann auch eine Entscheidung, die das Sozialstaatsprinzip im Privatrecht scheinbar unmittelbar heranzieht: Das daraus abgeleitete Gebot, einem jeden ein der menschlichen Persönlichkeit entsprechendes Dasein zu ermöglichen, dient zur Begründung der BGH NJW 1974, 849, 851. Reich, NJW 1978,513,519; Köndgen, Selbstbindung, 135; Brüggemeier, AcP 182 (1982),385,425; siehe auch Wieacker, Privatrechtsgeschichte, 540 und MünchKommMertens, Vor §§ 823-853, Rn. 71. 3 BVerfGE 4, 7, 15; 8,274, 329. 4 BVerfGE 5, 85, 198; zum Sozialstaatsprinzip ferner BVerfGE 9, 124; 21, 87, 91. 5 BVerfGE 5, 85, 206. 6 BVerfGE 8, 274, 329. 7 Aus der zivilrechtlichen Literatur Ballerstedt, ZHR 135 (1971),479,488. 8 Ständige Rechtsprechung seit BAGE 1, 185, 192 f. 1
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Unzulässigkeit von Kettenarbeitsverträgen. Doch deutet demgegenüber der ausdrückliche Hinweis auf eine der Sozialstaatlichkeit gemäße Rechtsfortbildung darauf hin, daß auch das Bundesarbeitsgericht das Sozialstaatsprinzip - anders als die Grundrechte - im Privatrecht wohl eher vermittelt über die Setzung staatlichen Rechts sich auswirken läßt. 9 Auch die Literatur nimmt überwiegend an, daß das grundgesetzliche Sozialstaatsprinzip Einfluß auf das Privatrecht ausübt. Am weitesten geht Huber, der die Sozialpflichtigkeit der einzelnen untereinander als ,,Rechts satz" ansieht, dann aber auch wieder auf eine sich daraus ergebende Pflicht des Gesetzgebers zurückgreift. 10 Ganz überwiegend wird davon gesprochen, daß die Privatrechtssetzung den Anforderungen des sozialen Staates zu genügen habe. 11 Larenz weist allerdings darauf hin, daß der Gesetzgeber die bestehende Privatrechtsordnung nicht durch einige wenige, der näheren Ausführung bedürftige Grundsätze ersetzen, sondern sie als Ganzes anerkennen und bestätigen, zugleich aber auch an seinen eigenen Wertmaßstäben ausrichten wollte. 12
b) Der Inhalt des Sozialstaatsprinzips im Privatrecht Die "Väter des Grundgesetzes" hatten eine inhaltliche Bestimmung des für das deutsche Recht neuen Begriffes nicht vorgenommen. 13 Auch im Grundgesetz selbst finden sich kaum Anhaltspunkte. 14 Ist schon der ,,klassische Bereich" des Sozialstaatsgedankens kaum zu erfassen, liegt es bei der Frage, wie sozialstaatsgemäßes Privatrecht auszusehen habe, nicht besser. Vielfach findet sich der Hinweis, daß das Sozialstaatsprinzip die Vertragsfreiheit einschränke. 15 Überhaupt soll das Sozialstaatsprinzip - wie die Verfassung insgesamt 16 - insbesondere über die Generalklauseln 17 auf die gesamte Privatrechtsordnung einwirken. Das entspricht der herrschenden Ansicht von der "mittelbaren Drittwirkung" bei den Grundrechten. 18 Damit ließe sich zunächst einmal eine Rechtsfortbildung begründen, die dahin geht, daß der Schwächere gegenüber dem Mächtigeren zu schützen BAG NJW 1955,78,79 f. Huber, Nationalstaat und Verfassungsstaat, 262 f. 11 Laufke, FS Lehmann I, 145, 184 f. sowie alle unter b) Genannten. 12 Larenz, AT, 83; Ramm, Einführung I, 134. 13 Dazu ausführlich Stern, Staatsrecht I, 877 ff. 14 R. Schumacher, Vertragsaufhebung, 81. 15 Dürig, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 2 I, Rn. 60; Raiser, JZ 1958, 1,5 f.; Enneccerus / Nipperdey, AT 1,82 f.; Krüger, BB 1953,565,566; Krause, BB 1955,265 ( ebenso in: Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, 291, 306); Zacher, Sozialpolitik und Verfassung, 826. 16 Larenz, AT, 79 ff., 83. 17 Das wird deutlich etwa bei Soergel ll / Teichmann, § 242, Rn. 55 ff. 18 Ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seit BVerfGE 7, 198 (Lüth); neuestens etwa Schnapp, JuS 1989, 1, 8. 9
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sei. 19 Das Sozialstaatsprinzip wird jedoch nicht darauf beschränkt, die Abwehr von Not zu gebieten. Es ist "funktionell ohne Grenzen"20 und wird daher gerade auch von der Zivilrechtslehre in einem sehr viel umfassenderen Zugriff als Ausdruck der Forderung nach sozialer Gerechtigkeit in der Gesamtordnung begriffen. 21 Mit der Forderung nach sozialer Gerechtigkeit, die sich unmittelbar auf das Grundgesetz berufen kann, ist ein mit großer Überzeugungskraft ausgestattetes Kriterium gefunden worden, das, machte man mit dem Vorrang der Verfassung wirklich ernst, gleichsam auf einer Meta-Ebene (nämlich der verfassungsrechtlichen) das (uns hier interessierende) gesamte Vertragsrecht dominieren könnte. Die Frage, was soziale Gerechtigkeit für das Verhältnis unter Privaten konkret bedeutet, ist damit zwar von größter Bedeutung, aber noch nicht beantwortet. So kann man unter sozialer Gerechtigkeit eine "material verstandene Gleichheit" verstehen, aber ebensogut auch das Gegenteil. 22 Anderen geht es darum, die Rechtsprinzipien der "Sozialverträglichkeit" und des "Sozialbeistandes" zu installieren,23 die unsoziale Ausnutzung wirtschaftlicher Machtpositionen zu verhindern 24 oder, allgemeiner, um die Überordnung des Staates über die sozialen Mächte. 25 c) Die Eignung zur Begründung der Erklärungshaftung
Wie genau die Folgen einer so verstandenen Auswirkung des Sozialstaatsprinzips auf das Privatrecht aussähen, fallt also sehr schwer zu erkennen. Generell haben alle beschriebenen Versuche aber gemein, eine materiale Sozialethik in dem als individualistisch betrachteten Vertragsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches, das davon ausgeht, daß jeder seine Interessen selbst wahren kann und soll und dabei im wesentlichen auch nicht kontrolliert wird, zu verankern. Auf die Frage des Verhältnisses von Freiheit und Zwang reduziert, 26 läßt sich sagen: Das Sozialstaatsprinzip soll den Maßstab geben für die Einordnung des einzelnen in die Gemeinschaft.27 Damit ist über die Art dieses Maßstabes zwar noch nichts 19 Zacher, Sozialpolitik und Verfassung, 826; R. Schumacher, Vertragsautbebung, 81; Soergel 11 / Teichmann, § 242, Rn. 56; Stern, Staatrecht I, 893; Krause, BB 1955, 265. 20 Stern, Staatsrecht I, 909; zur Weite des Sozialstaatsprinzips in diesem Zusammenhang kritisch Hamann, Rechtsstaat und Wirtschaftslenkung, 27 f. 21 M. Wolf, Entscheidungsfreiheit, 97; Steindorff, FS Raiser 1974, 621, 625 f. 22 M. Wolf, Entscheidungsfreiheit; er sieht dann auch die Notwendigkeit, eine Synthese mit dem Freiheitsprinzip zu finden. 23 Huber, Nationalstaat, 262 f. 24 Zacher, Sozialpolitik, 827. 25 Krause, BB 1955,265. 26 So etwa Enneccerus / Nipperdey, AT I, 83. 27 Hübner, AT, Rn. 13; Enneccerus/Nipperdey, AT 1,83; ähnlich (,,Regelung des Zusammenspiels von Berechtigung und Sozialbindung") R. Schumacher, Vertragsautbebung, 81.
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gesagt, aber doch immerhin die Richtung bezeichnet. Aus dem Grundgesetz wird ein Modell zwischenmenschlicher Beziehungen abgeleitet,28 in dem nicht nur die Gesellschaft, sondern auch das Individuum selbst für die soziale Existenz und Wohlfahrt der anderen in die Pflicht genommen wird. 29 Solches geschieht unter anderem dadurch, daß die Rechte der Gläubigers zunehmende Beschränkungen erfahren. In diesem Zusammenhang ist die ständige Erweiterung der Schutzpflichten in der Vertragsbeziehung 30 und darüber hinaus auch aller unter"Vertrauenshaftung" firmierenden Erscheinungen zu sehen. In dem Maße, wie das Recht mit einer Vertragsbeziehung, Sonderbeziehung, mit sozialem Kontakt oder auch nur mit der Erregung von Vertrauen Verpflichtungen entstehen läßt, wird an die Stelle von Freiheit eine Bindung gesetzt, die man als SozialpJlichtigkeit verstehen und dann auch sprachlich an das Sozialstaatsprinzip anlehnen kann. Coing nennt dies den Grundsatz der Kooperation. 31 Die Erklärungshaftung ließe sich, folgt man den referierten Tendenzen von Rechtsprechung (insbesondere des Bundesverfassungsgerichts) und Lehre, durchaus als Ausprägung des Sozialstaatsprinzips begreifen. Dieses würde nicht unmittelbar zwischen den beteiligten Privaten Geltung beanspruchen können. Es würde aber als Auftrag an die staatliche Rechtssetzung wirken. Zu dieser Rechtssetzung gehört in erster Linie die Gesetzgebung. 32 Soweit diese dafür Raum gelassen hat, läßt sich im Rahmen der Bindung der Richter an das Gesetz (Art. 20 m, 97 I GG)33 auch die Rechtsfortbildung durch die Rechtsprechung (und mit Hilfe der Rechtswissenschaft) dazu zählen. Die Erklärungshaftung ließe sich danach als konform mit dem so verstandenen, auf das Privatrecht einwirkenden Sozialstaatsprinzip betrachten. Dennoch bestehen Bedenken, Rechte und Pflichten unmittelbar auf ein Verfassungsprinzip zu gründen. Esser führt überzeugend aus, daß die näheren Kriterien dafür, was als mit einem Verfassungsprinzip vereinbar anzusehen ist und was nicht, nicht allein aus der juristischen, sondern aus der gesamten Kulturverfassung, aus einem "Fundus von ethischen und common-sense-Gesichtspunkten", hervorgehen. 34 Das Prinzip hat dann nur selektive Funktion: Was ihm nicht entspricht, ist auszuscheiden. 35 Wie der Ausgleich zwischen "sozial Starken" und "sozial Schwachen" im einzelnen zu erfolgen hat, vermag das Sozialstaatsprinzip nicht anzugeben. Dies deckt sich auch mit den oben zutage getretenen Schwierigkeiten, den Inhalt des Prinzips zu beschreiben. 28 Wieacker, Industriegesellschaft, 44. 29 Wieacker , Privatrechtsgeschichte, 540. 30 Wieacker, aaO. 31 FS Dölle I, 25, 39; ders., Geschichte des Privatrechtssystems, 53. 32 Larenz, AT, 83. 33 Auf eine Vertiefung dieser rechtstheoretischen und methodischen Frage muß hier verzichtet werden; i. E. ebenso aber z. B. Canaris, Vertrauenshaftung, 432, Fn. 42. 34 Esser, Grundsatz und Norm, 78, 80. 35 aaO., 78; dem folgend R. Schumacher, Vertragsauthebung, 82.
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Vielmehr gilt es, auf der Ebene des einfachen Rechts "Unterprinzipien" zu installieren. Ein solches "Unterprinzip" könnte sowohl in Gesetzen als auch in richterrechtlichen Konstruktionen zum Ausdruck kommen. 36 Hier also wäre der genaue Standort des neuen Rechtsinstitutes: Es wäre eine dem Sozialstaatsgedanken konforme richterliche Rechtsfortbildung. Es würde sich aus diesem Gedanken aber nicht zwingend ergeben. Immerhin aber ließe sich sagen, daß ein Zustand mit Erklärungshaftung dem Sozialstaatsprinzip ,,mehr entspricht" als ein Rechtszustand ohne Erklärungshaftung. 37 Die Unsicherheit darüber, was sozialstaatsgemäßes Privatrecht denn eigentlich bedeutet, bliebe jedoch beträchtlich. Eine darauf gestützte Begründung wäre wie leider alle zuvor untersuchten anderen Begründungen auch - nicht in der Lage, die Grenzen der hier zum Ausgangspunkt gewählten Entwicklung aufzuzeigen. Sie bildete ja auch keinen im Privatrecht fundierten Geltungsgrund, sondern fußte auf einer bloßen Wertentscheidung des Verfassunggebers. Gerade die Konturierung der auswuchernden Vertrauenshaftung ist aber vordringlich. Gelingt dieses nicht, gäbe das Sozialstaatsprinzip zwar immerhin die Richtung an, in welche die Entwicklung zu gehen hat. Über das Niveau einer bloßen Billigkeitsrechtsprechung käme man auf diese Weise aber niemals hinaus. 2. Privatrechtssetzung und Sozialstaatsprinzip
a) Privatrecht als staatliches Recht Diese Bedenken treten jedoch in den Hintergrund gegenüber einem systematischen Einwand. Bereits einleitend war darauf hingewiesen worden, daß sich nach unbestrittener Ansicht das Gebot, den sozialen Staat zu schaffen, an den Staat, in erster Linie den Gesetzgeber, richtet. Doehring besteht, soweit ersichtlich, als einziger mit Vehemenz darauf, daß es mit der Bindung des Staates auch sein Bewenden haben muß. Würde das Sozialstaatsgebot - das Argument ist aus der Diskussion um die Drittwirkung der Grundrechte bekannt - die Mitglieder der Gesellschaft untereinander verpflichten, dann würde es sie auch untereinander berechtigen. 38 Das ist aus verschiedenen Gründen problematisch. Zum einen sind "Geiz und Sparsamkeit ebenso wie Caritas und Großzügigkeit gleichermaßen Ausdruck individueller Freiheit."39 Zum anderen müßte man etwa konsequenterweise dahin kommen, daß ein Verkäufer die gleiche Ware einem unbemittelten Käufer billiger zu verkaufen hätte als einem reichen. 40 36 37 38 39
Esser, aaO., 174 f. So argumentiert R. Schumacher, Vertragsaufhebung, 82. Doehring, in: 30 Jahre GG, 125, 135. aaO. 40 Beispiel von Doehring, aaO.; ausdrücklich für die Abwägung personenbezogener Konflikte im Einzelfall tatsächlich Soergel l l / Teichmann, § 242, Rn. 55.
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Es soll sich aber, wie gesagt, das Sozialstaatsgebot nach Ansicht aller ja gar nicht an die Privaten richten. Mittelbar tut es das aber dennoch. Denn das Verhältnis der Privaten untereinander richtet sich nach Privatrecht. Oblegt man dem Staat aufgrund des Art. 20 I GG die Pflicht, die gesamte Rechtsordnung sozialstaatsgemäß auszurichten, mithin auch das Zivilrecht, so findet auf diesem Wege - wie ja bei der Anwendung auf die Vertrauenshaftung oben auch schon deutlich zu erkennen war - eben doch eine verfassungsrechtlich begründete Pflicht zu "sozialem" Verhalten in das Verhältnis zwischen den Staatsbürgern Eingang. Der Fehler liegt in der Verkennung des Umstandes, daß Zivilrecht zwar staatliches Recht ist, es hier aber nicht darauf ankommt, sondern auf die Tatsache, daß es zwischen Privaten wirkt. Dasselbe Problem läßt sich bei der Frage der Drittwirkung der Grundrechte beobachten. Zwar soll nicht verkannt werden, daß das Sozialstaatsprinzip keine grundrechtlichen oder grundrechtsgleichen Ansprüche gegen den Staat gewährt; es vermag aber ähnliche Effekte zu erzeugen,41 und das Adressatenproblem stellt sich in gleicher Weise. Zu den Grundrechten war vorgeschlagen worden, eine unmittelbare Geltung der Grundrechte zwischen Privaten deshalb anzunehmen, weil es sich auch bei Privatrecht um staatliches Recht handelt, welches von staatlichen Stellen angewendet und vollstreckt wird. 42 Das ist zu Recht auf breite Ablehnung gestoßen. 43 Es muß bei der Rechtsprechung die Entscheidung in der Sache unterschieden werden von den Anforderungen an die Entscheidung, welche etwa die Prozeßordnungen stellen. 44 Und "staatlich" ist das Recht im Verfassungsstaat notgedrungen - "privates" Recht im eigentlichen Sinne gibt es nicht. 45 "Das Gericht hat die Grundrechte zu beachten, soweit sie gelten; nicht etwa gelten sie, weil ein Gericht entscheidet."46 Ebenso in sich fehlerhaft ist die Argumentation, auch die Setzung von Privatrecht habe sich am Erfordernis des sozialen Staates auszurichten. Auch sie verwischt unzulässig die unterschiedlichen Funktionen des Staates als Adressat des Verfassungsauftrages einerseits und als (Privat-)Rechtssetzer andererseits. Frei nach Doehring ließe sich sagen: Das Privatrecht steht unter dem Einfluß des Sozialstaatsprinzips, soweit es zwischen Privaten gilt; nicht etwa gilt es, weil Privatrecht staatliches Recht ist. Der Standpunkt der herrschenden Meinung 41 Doehring, aaO., 134. 42 Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung (etwa 154 f.); unmittelbar zum Sozialstaat-
sprinzip im Zivilrecht fmden sich ähnliche Anklänge bei Laufke, FS Lehmann I, 145, 186: "Schließlich ergibt sich aus dem Sozialstaatsprinzip, daß jeder Betätigung, die sich als Verletzung dieses Prinzips darstellt, staatlicher Schutz zu versagen ist.". 43 Neuerdings allerdings sehr ähnlich wie Schwabe Canaris, AcP 184 (1984), 201, 212 f. und JuS 1989, 161, 162. 44 Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 208. 45 Anderes läßt sich unter Umständen über die Rechtsqualität von Verträgen sagen; dazu schon oben § 8, 11. 1. b. 46 Doehring, Staatsrecht, 209; dem folgend v. Münch, in: v. Münch, GG, Bd. I, Vorbem., Rn. 33; Schnapp, JuS 1989, 1, 7 f.
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hingegen führt zur (nie ausdrücklich befürworteten !) Geltung des Sozialstaatsprinzips zwischen Privaten, sei sie auch nur mittelbar. Das wäre aber verfehlt.
b) Das Eingrijfssubjekt Damit soll nicht gesagt sein, daß Privatrecht nicht mit dem Sozialstaatsprinzip in Konflikt geraten kann. Es darf bei der Begründung lediglich nicht darauf abgestellt werden, daß es sich beim Privatrechtsgeber um den Staat handelt. Auch hier ist ein Vergleich mit der Lage bei den Grundrechten aufschlußreich. Das Bundesverfassungsgericht geht wie selbstverständlich davon aus, daß zivilrechtliche Normen gegen Grundrechte verstoßen können, ohne über das Verhältnis von Grundrechten und Privatrecht im Allgemeinen auch nur ein Wort zu verlieren. 47 Wie verträgt sich das mit der Lehre von der "mittelbaren Drittwirkung", die ja seit der Lüth-Entscheidung 48 der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zugrunde liegt? Entscheidend in diesem Zusammenhang ist, daß auch bei der Betrachtung des Verhältnisses zwischen Zivilrecht und Grundrechten Eingriffe des Staates von solchen durch Private zu unterscheiden sind. Erstere sind gegeben, wenn eine zivilrechtliche Norm den durch sie Berührten unabhängig vom Willen eines anderen Privatrechtssubjektes trifft. Ein Beispiel bildet der § 564 b BGB: 49 Soweit diese Norm es dem Eigentümer - dadurch, daß sie die Kündigung von Mietverhältnissen verwehrt - verbietet, über sein Eigentum frei zu verfügen, greift das Privatrecht selbst in Grundrechte (im Beispiel Art. 14 I GG) ein. Demzufolge müssen solche Normen selbstverständlich auch unmittelbar anband der Grundrechte überprüft werden können. 50 Anders liegt es hingegen dort, wo das Privatrecht es lediglich Privaten gestattet, durch Willenserklärungen, Meinungsäußerungen oder sonstige Handlungen auf andere und damit gegebenenfalls deren Grundrechte einzuwirken. Hier ist der Private, nicht mehr der rechtssetzende Staat das Eingriffssubjekt und tritt damit das Problem der Drittwirkung zutage. 51 Dieser Gedanke ist auch für das Sozialstaatsprinzip fruchtbar zu machen. Wird der Staat selbst unmittelbar gestaltend aktiv, greift er selbst in Rechte oder 47 Vgl. die jüngsten Entscheidungen BVerfG NJW 1989, 969 sowie BVerfG NJW 1989,970. 48 BVerfGE 7, 198 ff. 49 § 564 b 11 Nr. 2 BGB war Gegenstand der Entscheidung BVerfG NJW 1989,970. 50 Gleiche Begründung bei Canaris, AcP 184 (1984)201, 212 f. und JuS 1989, 161, 162, der aber noch darüber hinausgeht (dazu sogleich im Text). 51 Ebenso im Grundsatz Canaris, der zwischen Akten des Staates und solchen Privater unterscheiden will (JuS 1989, 161) und eine unmittelbare Drittwirkung der Grundrechte ablehnt (AcP 184[ 1984], 201, 208 ff.). Dennoch soll etwa die Kündigung eines Arbeitnehmers wegen einer Meinungsäußerung unmittelbar anband von Art. 5 I GG überprüft werden können (aaO., 213), während nach der hier vertretenen Ansicht ein Eingriff eines Privaten (des Arbeitgebers) vorliegt, der bestenfalls mittelbar anband der Grundrechte überprüft werden kann.
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Interessen der Privaten ein, ist er durch das Sozialstaatsgebot gebunden. Er hat dann, wenn er die Gesellschaft ordnet, dieses gemäß dessen Anforderungen zu tun. Anders ist es, wenn den Bürgern die Gestaltung ihrer Verhältnisse freigegeben wird. Denn diese, die Privaten, sollen und können nicht verpflichtet sein, sich "sozialstaatsgemäß" zu verhalten; sie sollen in den gesteckten Grenzen ja gerade frei sein. Ein solcher "sozialstaatsimmuner" Freiraum ist aber nun auch und gerade der Bereich der rechtsgeschäftlichen Gestaltung. Hier würden die Erklärungspflichten, auch wenn sie dogmatisch vom einzelnen Vertrag gelöst worden sind, 52 ja ansetzen. Wollte man sie mit dem Sozialstaatsgebot begründen, müßte man hinter Auskünften und Erklärungen die Hand des Staates erblicken können. Das kann man nicht: Sie werden von Privaten als Private erteilt. Und jeder vertraut der Richtigkeit von Informationen aufgrund eigener Entscheidung (wenn auch nicht immer freiwillig). Auch die Tatsache, daß es sich um eine gesetzliche Haftung handelt, bedeutet nicht, daß die Begründung oder Versagung daraus gegebenenfalls resultierender Ansprüche staatliche Gestaltung wäre. c) Schutzpjlichten des Staates?
Auch der dritte Weg, die Geltung des Sozialstaatsgebotes zu begründen, ist der Grundrechtstheorie entlehnt. Das Bundesverfassungsgericht hat aus dem "objektiv-rechtlichen Gehalt der grundrechtlichen Normen" eine Schutzpflicht des Staates für die durch die Grundrechte erfaßten Positionen abgeleitet. 53 Sie wird teilweise als die entscheidende Grundlage für die Einwirkung der Grundrechte auf die Privatrechtssubjekte angesehen. 54 Denn aufgrund solcher Auffassung vom Wesen der Grundrechte werden diese auch gegen die Bedrohung durch gesellschaftlich übermächtige Kräfte, also in Privatrechtsverhältnissen, wirksam. 55 So könnte man annehmen, der Staat sei aufgrund des Sozialstaatsprinzips verpflichtet, sich schützend und fördernd vor den Schwächeren zu stellen, so, wie er sich vor das ungeborene Leben stellen muß. 56 Es geht in beiden Fällen also um die Problematik des gesetzgeberischen Unterlassens. 57 Allerdings liegt ein wesentlicher Unterschied darin, daß die Schutzfunktion der Grundrechte gegen Rechtsverletzung gerichtet ist, die der Sozialstaatsklausel gegen wirtschaftliche Lebensrisiken. 58 52
Oben § 8, III.
BVerfGE 39, 1, 42 ff. (Abtreibung); seither ständige Rechtsprechung: BVerfGE 46, 160, 164; 49, 89, 142; 53, 30, 57; 56, 54, 73. 54 Canaris, AcP 184 (1984), 201, 225; Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, 35, Fn. 79. 55 Denninger, JZ 1975,545,547. 56 BVerfGE 39, 1,42. 57 Canaris, JuS 1989, 161, 163. 58 Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, 32 f. 53
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So bedarf es besonderer Umstände, um eine Pflicht zum Tätigwerden aus einem Grundrecht zu begründen. Ein solcher Umstand kann der besondere Wert des zu schützenden Rechtsgutes sein. 59 An anderer Stelle präzisiert das Bundesverfassungsgericht, daß es wegen Verletzung einer Schutz- oder Handlungspflicht erst dann eingreifen könne, wenn die staatlichen Organe gänzlich untätig oder wenn die bisher getroffenen Maßnahmen "evident" unzureichend gewesen wären. 60 Nicht viel anders kann es aber mit dem Sozialstaatsprinzip stehen. Auch hier müssen zwingende Gründe vorhanden sein, um eine Tätigkeitspflicht des Gesetzgebers im Privatrechts anzunehmen. Die Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz ist ein solcher Grund. 61 Bloße Gerechtigkeitserwägungen genügen dafür nicht - nicht, weil der Gerechtigkeit kein hoher Wert beizumessen wäre, sondern weil ,,normative Leitbilder gesamtgesellschaftlicher Zustände ... nur noch durch Institutionalisierung von (kollektiven) Lernprozessen gewonnen werden können" - also durch Verfahren und nicht durch "rein affirmative materielle Gemeinwohlbestimmungen". 62 Damit soll jedoch nicht in Abrede gestellt werden, daß sich aus dem Sozialstaatsprinzip überhaupt Tätigkeitspflichten für den Staat ergeben. Sie ergeben sich nur nicht im Bereich des Privatrechts. Nach allem wirkt das Sozialstaatsprinzip auf das Privatrecht bestenfalls dort ein, wo der Gesetzgeber unmittelbar gestaltend und eingreifend tätig wird sowie dort, wo die wirtschaftliche Existenz des einzelnen bedroht ist. Es kann den Gesetzgeber hingegen nicht zur Aufstellung von Haftungstatbeständen zugunsten fremden Vermögens verpflichten. Denn es gibt kein Verjassungsprinzip, das die Brüderlichkeit der Staatsbürger untereinander fordert. 63 Staat und Gesellschaft sind im Rechtsstaat getrennt. Ein Staatsauftrag wie das Sozialstaatsprinzip beinhaltet nicht zugleich den Auftrag, demgemäß auch die Gesellschaft zu formen. Ebenso wie bei der Drittwirkung der Grundrechte würde die Schutzrichtung des Instituts verkehrt, wenn aus Rechten (des Bürgers gegenüber dem Staat, etwa auf Sozialhilfe) Pflichten (gegenüber anderen Bürgern) abgeleitet werden könnten. Ein ins Privatrecht hineinwirkendes Sozialstaatsprinzip geriete in ständige Kollision mit den Freiheitsrechten und ließe die Abwägung zwischen beiden Polen erforderlich werden 64 - eine Folge, die sich mit der freiheitssichernden Funktion der Grundrechte schlecht verträgt,65 allerdings in der Tendenz des Grundrechtsverständnisses des Bundesverfassungsgerichts 66 läge. BVerfGE 39, 1,42; Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, 27; Canaris, aaO. BVerfG NJW 1987,2287,2288; auch BVerfGE 56, 54, 80 f. 61 MünchKomm-Mertens, Vor §§ 823-853, Rn. 71 (der an dieser Stelle das Problem allerdings aus der Sicht des Verpflichteten betrachtet). 62 Denninger, JZ 1975, 545, 550. 63 So aber sinngemäß Huber, Nationalstaat, 262 f. 64 Dafür etwa Hübner, AT, Rn. 13; Krause, BB 1955,265. 65 Ebenso Hamann, Rechtsstaat, 27; siehe zur Kritik an der Rechtsprechung des BVerfG das Minderheitsvotum von Böckenförde / Mahrenholz zur Ersatzdienstverlängerungs-Entscheidung BVerfGE 69, 1 (BVerfGE 69, 57, insbes. 63). 59
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11. Formulierung von Pflichten zum Schutze des Schwächeren Die Vorstellung, daß der Anspruchsteller und in seinem Vertrauen Geschädigte der Schwächere sei, dem die Übermacht des Vertrauensveranlassers gegenüberstehe, schwingt in allen Entscheidungen zumindest latent mit und findet in den entschiedenen Sachverhalten in aller Regel auch eine Stütze. Auf der anderen Seite wird eine Machtposition beim einen und Unterlegenheit beim anderen Partner verbreitet als Argument für die Anordnung einer Haftpflicht angesehen 67 oder dies wenigstens stillschweigend vorausgesetzt. Die "Macht", um die es hier geht, ist - im Sinne Max Webers 68 - keine Herrschaft kraft Autorität, keine Befehlsgewalt, sondern die Herrschaft ,,kraft Interessenkonstellation" , was Weber beschreibt als die Fähigkeit, aufgrund irgendwie gesicherten Besitzes (oder auch ,,marktgängiger Fertigkeit") Einfluß auf das lediglich dem eigenen Interesse folgende, formal "freie" Handeln der Beherrschten zu nehmen. Dies legt die Überlegung nahe, ob nicht der innere Grund des Vertrauensschutzes auch ohne die verfassungsrechtliche Rückendeckung durch das Sozialstaatsprinzip ganz einfach darin zu sehen sein könnte, bestehende Machtungleichgewichte abzubauen. Dies erscheint umso einleuchtender, als - greift man wieder auf den Vertrauensgedanken zurück - Vertrauen ja gerade dort eingesetzt werden muß, wo die Macht nicht ausreicht. 69 Hier ist zunächst ein rechtssoziologisch orientierter Vorschlag vorzustellen. l. Haftung aus "organisiertem sozialen Kontakt"
a) Die "organisierte Verantwortungslosigkeit" Teubner 70 teilt die im zweiten Teil vorgetragenen Bedenken gegen eine alleinige Anknüpfung der Haftung an das Vertrauen. Ausgehend von der Frage, welche Problemsituationen es denn seien, die vom klassischen Delikts- und Vertragsrecht nicht abgedeckt werden, sieht er zunächst die Lehre vom "sozialen Kontakt", die bereits oben erwähnt worden war 71 und bemängelt zutreffend deren mangelnde Spezifizität. 72 Statt dessen soll den besonderen Gefahren begegnet werden, die von der Tätigkeit arbeitsteiliger Organisationen drohen. Vgl. die "Wertordnungsrechtsprechung" seit BVerfGE 7, 198 (Lüth). Coing, FS Dölle I, 25, 35 ff.; Mertens, AcP, 178 (1978), 227, 242 ff.; MüllerErzbach, AcP 154 (1955), 299, 307; ders., Rechtswissenschaft im Umbau, 64 f.; v. Craushaar, Einfluß des Vertrauens, 16. 68 Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 542. 69 Luhmann, Vertrauen, 33 (allerdings differenzierend S. 17); Müller-Erzbach, v. Craushaar, aaO.; dazu schon oben § 3, I. 70 In: AK-BGB, § 242, Rn. 56 ff. 71 Oben § 8, I. 2. b. 72 aaO., Rn. 57. 66 67
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Dies geht offenbar 73 zurück auf die Figur des "corporate actor" des Amerikaners Coleman. 74 Der hatte dargelegt, daß die Macht solcher korporativer Akteure letziich größer sei als die Summe der jeweiligen Macht der in ihnen zusammengeschlossenen Einzelpersonen. Dies liegt daran, daß die Führung großer Unternehmen in der Regel vom Eigentum daran getrennt ist, 75 die Personen in der Organisation austauschbar sind; zum anderen verweist Coleman auf das Phänomen, daß eine Organisation als solche gegenüber der Macht der einzelnen Mitglieder zusätzliche Macht dadurch gewinnen kann, daß sie andere Organisationen kraft des Mehrheitsprinzips beherrscht. Verfahren diese Organisationen dann ebenso, kann in der Hand nur weniger, einzeln nicht "mächtiger" Personen ein ungeheuer einflußreiches Sozialgebilde entstehen. 76 Schon Coleman schlägt vor, durch Informationsrechte - denen die hier in Rede stehenden Aufklärungspflichten ja entsprechen würden - ein Gegengewicht gegen die Macht korporativer Akteure, soweit sie sich als Marktrnacht äußert (das wird der Regelfall sein und steht auch im Mittelpunkt von Colemans Konzepten der Machtrestitution), zu installieren. 77 Dieser Weg der Herstellung eines "Machtgleichgewichts bei Transaktionen"78 ähnelt sehr dem oben 79 Diskutierten mit dem allerdings bedeutsamen Unterschied, daß jetzt die quasi makroökonomische Sichtweise an die Stelle der Gestaltung des einzelnen Vertrages getreten ist. Der Gedanke ist im folgenden § 10 ausführlich weiterzuverfolgen. Teubner hingegen geht es weniger um die Marktrnacht. Ihn stört am ,,klassischen Deliktsrecht" wie am ,,klassischen Vertragsrecht", daß ersteres als individueller Rechtsgüterschutz gegen individuelle Eingriffe konzipiert ist und letzteres am Individualvertrag festhält. 80 Der "individualistischen" Konzeption setzt er sein Modell einer "Haftung aus organisiertem sozialen Kontakt" entgegen, welches neben den quasi-vertraglichen Haftungsformen, also: der Vertrauenshaftung, auch die von ihm für "quasi-deliktisch" gehaltenen Verkehrspflichten zu "einer Art Gefahrdungshaftung für Organisation" vereint. 81 Dieses neue Institut tritt allerdings in erster Linie in Gestalt der Schutzpflichten zutage. Für Aufklärungspflichten wird der Ansatz an der Organisation zwar beibehalten, aber modifiziert. Sie werden ,,kompensatorisch definiert", sollen Risikosteigerungen begegnen, 73 Teubner beruft sich darauf nicht ausdrücklich. 74 Coleman, Macht und Gesellschaftsstruktur (deutsch). Die Figur des "corporate actor" spielt auch eine Rolle bei der vertrauenstheoretischen Pflichtenbegründung, da solchen Gebilden gegenüber kaum noch von Vertrauen in Personen gesprochen werden
kann.
75 Coing, FS Dölle I, 25, 35. 76 Coleman, aaü., 22 ff. 77 aaü., 63. 78 aaü., 52. 79 § 8, 11. 1. 80 Teubner, in: AK-BGB, § 242, Rn. 58. 81 aaü., Rn. 59.
II. Fonnulierung von Pflichten zum Schutze des Schwächeren
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die sich aus arbeitsteiligen Spezialisierungen ergeben und einen übergreifenden wirtschaftlichen Funktionszusammenhang herstellen. 82 Gemeint sind damit die Fälle isolierter Verträge, die wirtschaftlich miteinander verbunden sind, wegen ihrer rechtlichen Isolierung es aber erschweren, Vermögensschädigungen durch nicht unmittelbar am Vertrag beteiligte Dritte zu erfassen ("organisierte Verantwortungslosigkeit"83). Paradebeispiel solcher rechtlicher Aufspaltung eines wirtschaftlich einheitlichen Vorgehens ist der finanzierte Abzahlungskauf, bei dem die Rechtsprechung unter anderem durch die Statuierung von Aufklärungspflichten der finanzierenden Bank eingegriffen hat. 84 Aber auch die hier eingangs genannten Fälle der Sachwalter- und der Prospekthaftung zeichnen sich dadurch aus, daß an einern einheitlichen Geschäft mehrere Personen beteiligt sind, die offenbar unter dem Dach der Haftung nach Vertragsgrundsätzen auch rechtlich wieder einheitlich behandelt werden sollen. b) Kritik
Die Beobachtung, daß Unstimmigkeiten bei den Haftungsfolgen dann auftreten, wenn ein wirtschaftlich einheitliches Geschehen rechtlich in mehrere Segmente, also: getrennte Verträge, aufgespalten wird, ist richtig. Gerade die Lösung der Rechtsprechung, die ihre Erweiterungen der Vertrauenshaftung ja an die culpa in contrahendo anlehnt, zeigt, daß die Vermeidung von WertungswiderspTÜehen auch gerade das Motiv der Ausdehnung des für die Haftung in Frage kommenden Personenkreises war. Denn es ist in der Tat nicht einzusehen, daß der Gebrauchtwagenkäufer nur deshalb schlechter stehen soll, weil er den Wagen nicht vorn Händler als Eigentümer, sondern von derselben Person in ihrer Eigenschaft als Vertreter 85 des Voreigentümers (zwecks Umgehung der Mehrwertsteuerpflicht) gekauft hat. Damit ist allerdings noch nicht mehr gesagt, als daß die rechtliche Behandlung solch arbeitsteilig spezialisierten Auftretens bezüglich der Intensität der zu beachtenden Pflichten von der des ,,klassischen" Vertrages nicht abweichen darf. Dieses reichte zur Erklärung der neuen Haftungsformen dann aus, wenn für die Vertrauenshafiung innerhalb von Vertragsbeziehungen der Geltungsgrund schon gefunden, sprich: im Vertrag selbst zu sehen wäre. Das ist er nicht. Vielmehr beruhen die Pflichten (mit Ausnahme der Leistungspflichten), deren Verletzung zu SchadensersatzanspTÜchen führt, stets auf dem Gesetz - im weitesten Sinne, so daß auch die Rechtsfortbildung eingeschlossen bleibt. 86 Die soeben vorgestellte An82 AcP 83 84 85 86
aaO., Rn. 73, 49; Joerges, in: AK-BGB, vor §§ 662 ff., Rn. 13 f.; ebenso Hopt, 183 (1983), 608, 648 f. aaO., Rn. 58. Übersicht bei Palandt / Heinrichs, § 276, Anm. 6 B c dd. Zu der Fallgruppe der "Sachwalterhaftung" siehe im einzelnen oben § 1, II. 3. a. Dazu eingehend oben § 8, ill.
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§ 9 Vertrauensschutz zum Schutze des sozial Schwächeren
sicht vermag aber nicht zu erklären, warum überhaupt solche Pflichten bestehen, worauf diese beruhen und wo deren Grenzen liegen. Im Hinweis auf die Tatsache, daß arbeitsteilige Spezialisierungen besondere Gefahren bergen, liegt die Begründung noch nicht. Vielmehr erklärt er nur einen Teilaspekt. 2. Allgemeiner: Machtausgleich durch Vertrauensschutz? Larenz 87 betrachtet den Schutz von Vertrauen generell als notwendig, um der "Herrschaft des Stärkeren" zu begegnen. Er sieht dies aber dadurch bewirkt, daß "Vertrauen" einen Zustand des friedlichen Zusammenlebens der Menschen ermöglicht, ohne "allseitige totale Abschließung" oder die erwähnte Übermacht des Stärkeren. Dieser Ansatz enthält, wie noch zu zeigen sein wird, Richtiges; er stellt aber nicht in erster Linie auf Machtausgleich ab, sondern sieht einen funktionierenden Rechtsverkehr als Voraussetzung für diesen an. Darauf wird im Anschluß eingegangen. Man könnte aber dennoch erwägen, die Vertrauenshaftung als ein Instrument zu begreifen, welches dazu dient, dem Schwächeren zu ermöglichen, sich gegen die Übermacht eines anderen zu behaupten. Diese Lösung hätte nicht nur den Vorteil der Einfachheit; sie wäre auch für die Rechtspraxis höchst flexibel und leuchtet obendrein auf Anhieb ein. So wird dann auch "Macht" häufig als Bestimmungsfaktor für die Anordnung von Haftungsfolgen betrachtet. 88 Daß sie dies ist, soll nicht in Zweifel gezogen werden. Rechtspolitisch ist eines der wichtigsten Kriterien dasjenige, den Schwächeren vor den Gefahren zu schützen, die aus der Übermacht des Stärkeren drohen. Explizit deutlich wird das vor allem in den (vielfach neueren) zivilrechtlichen Nebengesetzen 89 wie dem AGBGesetz, dem Gesetz über den Widerruf von Haustürgeschäften, aber auch schon dem Abzahlungsgesetz. Auch bei der Auslegung geltenden Rechts spielt der Gedanke eine Rolle. 90 Sehr viel weiter ginge man allerdings, wenn man das Machtgefälle allein den Geltungsgrund für eine Haftung sein ließe. In diese Richtung weisende Stimmen finden sich nun insbesondere 91 für die Erklärungshaftung. Die Rechtsprechung spricht dies allerdings selten deutlich aus. Immerhin aber begründete der Bundesgerichtshof die Hinweispflicht einer Wohnungsbaugesellschaft gegenüber einem Schneider in abhängiger Stellung und mit geringem Eigenkapital über die monatliche Dauerbelastung damit, daß "die Redlichkeit vor allem gegenüber unerfahrenen Angehörigen der sozial schwächeren BevölkeLarenz, Methodenlehre, 459. Siehe die Nachweise oben vor 1. 89 Allgemein zu diesem Problemkreis Weitnauer, Der Schutz des Schwächeren im Zivilrecht; E. v. Hippel, Der Schutz des Schwächeren. 90 Coing, FS Dölle I, 25, 36. 91 Zu § 823 II BOB Mertens, AcP 178 (1978), 227, 242 ff. 87 88
11. Fonnulierung von Pflichten zum Schutze des Schwächeren
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rungsschicht" diese gebiete, "um der Gefahr ihrer finanziellen Überforderung vorzubeugen". 92 In der Sache ähnlich liegt es, wenn man ,,Angewiesenheitssituationen als Verpflichtungs grund" 93 installiert. 94 R. Schumacher hat versucht, aus einer ganzen Reihe bestehender - gesetzlich normierter oder durch Rechtsfortbildung entstandener - Einzelnormen, die dem Schutze des Unerfahrenen dienen, ein dahin gehendes allgemeines zivilrechtliches Prinzip abzuleiten. 95 Er begreift diese Normen jedoch als Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips. 96 Dieses ist, wie soeben dargelegt, nicht geeignet, als Grundlage für einzelne zivilrechtliche Pflichten zu dienen. Das hielte nicht davon ab, dennoch von der Existenz eines solchen Prinzips auszugehen. Gelöst vom positivrechtlich fundierten Sozialstaatsprinzip wären aus dem "Schutz des Unerfahrenen" aber nur dann neue eigenständige Normen zu gewinnen, wenn er - im Sinne von Larenz 97 - ein "Grundsatz" wäre, der unmittelbare Geltung beanspruchen könnte. Dies ginge bei einem so vagen Topos eindeutig zu weit. Es bestehen auch sachliche Bedenken.
Soweit der Machtausgleich deshalb vorgenommen werden soll, weil aus der Übermacht des einen besondere Gefahren für den anderen erwachsen, ist zunächst auf das bereits oben 98 verwendete Argument zurückzugreifen, daß mit den Gefahren auch das Risiko des Schädigers wächst, nach den schon bestehenden Haftungsvorschriften zur Rechenschaft gezogen zu werden. Hinzu kommt der Einwand, daß eine solche Begründung, soll sie wirklich die allein tragende und nicht nur eine erklärend beschreibende (und damit keine Begründung) sein, konsequenterweise das Haftungsrisiko nur einer Seite - der jeweils mächtigeren - zuweisen dürfte. 99 Das ist zwar in manchen Konstellationen (etwa bei der Prospekthaftung) in der Praxis der Fall, wurde aber in Form eines Rechtssatzes noch von niemandem befürwortet. Und schließlich lassen sich mit einer solchen Lösung auch sehr viele in der Praxis anerkannte Fallgruppen der Vertrauenshaftung nicht vereinbaren. Auch auf "Käufermärkten" etwa, auf denen also der Käufer der "Mächtigere" ist, derjenige, der auf informellem Wege seine Interessen durchsetzen kann, 100 werden dem Verkäufer Pflichten auferlegt, die ihre Begründung im Vertrauensgedanken finden sollen. 92 BGH NJW 1974, 849, 851; zu diesen Tendenzen in der Rechtsprechung Hans Stoll, FS v. Caemrnerer, 435, 468; Hopt, AcP 183 (1983),608,650 f. 93 Köndgen, Selbstbindung, 135. 94 Ein deutliches Beispiel für eine solche Argumentation bietet Hopt, Kapitalanlegerschutz, 70 ff., 375 ff., insbes. 385. 95 R. Schumacher, Vertragsaufhebung, 79 ff., 93 ff. 96 aaO.,96. 97 Siehe oben § 6, I. 1. 98
§ 8, I. 3. a.
Inkonsequent W. Schuhmacher, Verbraucherschutz, 207. 100 Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 542.
99
9 Loges
§ 10 Vertrauens schutz, Rechtsverkehr und Markt
130
Zu klären wäre in jedem Falle vorrangig, ob es auf die Machtbalance im Einzelfall oder aber auf eine typisierende Betrachtung ankommen soll; bei manchen der zitierten Stimmen besteht diesbezüglich wenig Klarheit. Gegen den ersten Weg spricht außer all dem soeben Angeführten auch noch, daß sich kaum Kriterien finden lassen werden, anhand deren der Richter im konkreten Fall feststellen kann, welche der beiden vor ihm stehenden Parteien die schwächere ist. "Wo es einen ,Schwächeren' gibt, wird als Widerpart ein ,Stärkerer' vorausgesetzt. Wer dies sein soll, bleibt weitgehend unklar. Es dürfte niemanden auf der Welt geben, der nicht in irgendeine ... ,Schwächekategorie ' gehört." 101 Und vor allem: Schon zum Thema der Sicherung der Selbstbestimmung durch Vertrauenshaftung war zutage getreten, daß es auf das Gleichgewicht im Einzelfall nicht ankommen kann. 102 Der Machtausgleich allein ist viel zu undifferenziert, um für ein derart komplexes Institut, wie es die Vertrauenshaftung ist, die Grundlage abzugeben. Anders sieht es aus, wenn man eine typisierende Betrachtung anstellt. Was beim Vertrauen unsinnig war, ermöglicht hier, die Erklärungshaftung in den größeren Zusammenhang des Marktes einzubetten. Darauf ist im folgenden Abschnitt einzugehen.
§ 10 Vertrauensschutz, Rechtsverkehr und Markt Rechtsgeschäftliches Handeln vollzieht sich nicht isoliert. Das einzelne Geschäft ist nicht nur (zumeist) ein Leistungsaustausch zwischen unabhängigen Individuen. Rechtsgeschäftliches Handeln ist ein Vorgang des Wirtschaftens und hat daher, von den Beteiligten unbeabsichtigt, aber unvermeidlich auch konstitutive Bedeutung für den jeweils übergeordneten Bezugsrahmen des HandeIns: für den Rechtsverkehr im juristischen, den Markt im ökonomischen Sinne. Flume faßt dieses Zusammenwirken von Einzel- und Gesamttatbestand treffend in Worte: "Die Eigenart der Rechtsordnung der Privatautonomie besteht darin, daß durch jedes privatautonome Verkehrsgeschäft die Ordnung der Privatautonomie erneut integriert wird." 1 In rechtssoziologischen Termini läßt sich vom "Markt als Systemreferenz rechtsgeschäftlichen Handelns"2 sprechen. Bisher wurde versucht, die Frage, warum und unter welchen Umständen Vertrauen schutzwürdig ist, zuerst aus der rechtsgeschäftlichen oder rechtsgeschäftsähnlichen Sonderverbindung, 3 dann aus einem etwaigen zwischen Schädiger und Geschädigtem bestehenden, wiederum individuell verstandenen Machtgefalle 4 101 Grunsky, AcP 183 (1983), 326 in Auseinandersetzung mit v. Hippel, Der Schutz des Schwächeren. 102
Oben § 8, 11. 2.
Flurne, Rechtsgeschäft, 10; in die gleiche Richtung geht Schmitz, Dritthaftung, 53. 2 Köndgen, Selbstbindung, 271. 1
3
Oben §§ 1-6, 8.
I. Vertrauensschutz zur Sicherung des Rechtsverkehrs
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zu begründen. Im folgenden soll der Blick auf die übergeordnete Ebene gerichtet werden. Es wird gezeigt werden, daß sich hier Aspekte finden lassen, die geeignet sind, den Grund für einen Vertrauens schutz mit Hilfe von Schadensersatzansprüchen aufzuzeigen und die die Chance - von mehr kann im Rahmen dieser Arbeit nicht die Rede sein - enthalten, das Wirkungsfeld der Erklärungshaftung zu beschreiben.
I. Vertrauensschutz als Instrument zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Rechtsverkehrs 1. Die Entbehrlichkeit von Vorsichtsmaßnahmen
Das am häufigsten überhaupt, wenngleich in der Regel nur in wenigen Worten vorgetragene Argument zugunsten eines Vertrauensschutzes ist jenes, daß ohne den Schutz von Vertrauen der Rechtsverkehr nicht funktionieren könnte, da er durch Angst und Vorsicht übermäßig behindert würde. Das wäre - entgegen der Ansicht von Canaris, der darin nur eine "negativ gefaßte Formulierung für die Notwendigkeit eines Vertrauensschutzes" sieht 5 - keineswegs nur eine Heranziehung des Vertrauensschutzgedankens in anderer Form. Richtig ist zwar, daß das Vertrauen in einer so begründeten Konzeption durchaus eine Rolle spielt. 6 Die entscheidende Abweichung liegt aber darin, daß sich diese Ansicht bemüht, die Notwendigkeit eines Vertrauensschutzes zu begründen, indem sie auf dessen funktionellen Aspekt eingeht. Aus diesem Gesichtspunkt werden sich im übrigen auch Einschränkungen des Vertrauensschutzes herleiten lassen. Zum anderen wäre so endlich einleuchtend zu erklären, warum man in der Praxis darauf verzichten kann, im Einzelfall die Psyche des Geschädigten im Zeitpunkt des Schadensfalles zu durchleuchten. 7 Die These, daß Vertrauensschutz dazu diene, einer Behinderung des Rechtsverkehrs durch Angst und Vorsicht zu begegnen, leuchtet zunächst einmal unmittelbar ein für den ,,klassischen", positiven Vertrauensschutz, der das Vertrauen darauf zum Gegenstand hat, daß eine Rechtslage, auf die ein Tatbestand hindeutet, auch in dieser scheinbaren Form besteht. Gerade hier ist der einzelne auf Schutz angewiesen, da die Rechtslage als Abstraktum nicht ohne weiteres "gesehen", überprüft werden kann. 8 Ein Beispiel ist der Erwerb einer Rechtsstellung: Der Erwerber soll sicher sein, daß er Inhaber des Rechts geworden ist, wenn er die allgemeinen Voraussetzungen dafür erfüllt hat (das ist noch nicht mehr als der Oben § 9. Vertrauenshaftung, 442, Fn. 16; bei genauer Beachtung des Wortlautes (,,Notwendigkeit des Vertrauensschutzes") liegt im übrigen gar keine Uneinigkeit in der Sache vor. 6 Dazu unten § 12, V. 7 Schmitz, Dritthaftung, 55. 8 Wellspacher, Vertrauen auf äußere Tatbestände, 114 f.; siehe dazu schon oben § 3. 4
5
9*
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§ 10 Vertrauens schutz, Rechtsverkehr und Markt
allgemeine "Grundsatz des Vertrauensschutzes"), weil anderenfalls ein zügiger Güterumschlag unter intensivsten Vorsichtsmaßnahmen des jeweiligen Erwerbers litte, der befürchtete, daß sein Veräußerer selbst nicht Berechtigter sei. 9 Diese Fälle des positiven Vertrauensschutzes, die sich auch treffend als Rechtsscheinhaftung qualifizieren lassen, sind in ihrer Grundlage nicht weiter problematisch, 10 bilden hier aber auch nicht den Untersuchungsgegenstand. Das gleiche Argument wird jedoch auch für die uns interessierenden Fälle des Vertrauensschutzes ins Feld geführt, bei denen eine Enttäuschung von Vertrauen zu Schadensersatzpflichten führt. 11 Schon das Reichsgericht sprach von den "Bedürfnissen des redlichen Verkehrs", die es zu schützen gelte. 12 Larenz formuliert für das Vertrauen allgemein, es habe eine rechtsethische Komponente, sei aber auch Voraussetzung für die Verkehrssicherheit und für friedliches Zusammenleben. 13 Vor allem Schmitz bemüht sich, das ganze Rechtsinstitut der culpa in contrahendo aus dem Gedanken des Schutzes des allgemeinen Rechtsgüterverkehrs als eines überindividuellen Tatbestandes abzuleiten. 14 Das Rechtsgeschäft könne seine Funktion als das Mittel der Rechtsordnung, menschliches Zusammenleben sachlich richtig zu ordnen und die menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen, nur wahrnehmen, wenn den am Rechtsgeschäft Beteiligten bestimmte Wohlverhaltenspflichen auferlegt würden, die über die allgemeinen deliktischen Pflichten hinausgingen und deren Verletzung nach obligationsmäßigen Grundsätzen sanktioniert werde. 15 Die herausragende Bedeutung eines funktionierenden Rechtsverkehrs rechtfertige die Differenzierung zwischen rechtsgeschäftlichem und gesellschaftlichem Kontakt. 16 Die Verhandlungspartner hätten sich so zu verhalten, wie es unter redlichen und loyalen Partnern üblich sei 17 und ohne Behinderung des Rechtsverkehrs gefordert werden könne. 18 9 Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 134 ff. Allerdings sei an dieser Stelle noch einmal an Wielings (AcP 187 [1987], 95, 100, Fn. 21) pointierte Bemerkung erinnert: "Man kann noch so sehr darauf vertrauen, daß der Besitzer Eigentümer ist, ist die Sache abhanden gekommen, hilft das nichts.". 10 Canaris beschränkt sich in seiner "Vertrauenshaftung", die sich ja in erster Linie mit dem positiven Vertrauensschutz befaßt, dann auch weitgehend auf die Analyse der Einzelausprägungen des Institutes. 11 Battes, JZ 1969, 683, 688; Bydlinski, Privatautonomie, 137 ff.; Dnistrjanskyi, JherJb. 80 (44),1930,140,180 f.; Erman, AcP 139 (1934), 273, 321; Frotz, GS Gschnitzer, 163, 173 (unter Ablehnung der von ihm so genannten "vertrauenstheoretischen Pflichtenbegründungskonzeption"); Kruse, Culpa in contrahendo, 11; Schmitz, Dritthaftung, 52 ff. (ebenfalls unter Ablehnung des Vertrauensschutzprinzips); WeIser, ÖJZ 1973,281. 12 RGZ 95, 58, 60. 13 Larenz, Richtiges Recht, 80, 85; ders., Methodenlehre, 459. 14 Schmitz, Dritthaftung, 52 ff., 109 ff. lS aaO., 53. 16 aaO., 54. 17 Hier greift Schmitz auf Larenz, FS Ballerstedt, 397, 414 f., zurück. 18 AaO., 109f; der letzte Aspekt, der bei Schmitz nur in diesem Halbsatz zum Ausdruck kommt, ist äußerst wichtig und wird unten 11. noch eingehend behandelt.
1. Vertrauens schutz zur Sicherung des Rechtsverkehrs
133
Hopt betont hingegen das Wechselspiel von Individual- und Verkehrs schutz: Ersterer bewirke letzteres; aber auch umgekehrt nütze ein funktionierender Markt dem einzelnen. Hopt spricht von einem "System kommunizierender Röhren". 19 Allerdings ändert diese Metapher nichts daran, daß auch bei einer solchen Betrachtung Schutzobjekt das überindividuelle Rechtsgut ist. Daß man das Ganze stets deshalb schützt, um auch dem einzelnen zu nützen, versteht sich von selbst. Ebenso darf nicht übersehen werden, daß auch das Vermögen des einzelnen Schutzgut ist; dieser muß den Anspruch ja auch geltend machen. Das überindividuelle Schutzgut, auch wenn es das "eigentliche" ist, steht gewissermaßen "dahinter".20 2. Vertrauenshaftung zwecks Minimierung von Transaktionskosten im Sinne der "economic analysis of law"
a) Vorschläge in der Literatur Zu ähnlichen Folgerungen gelangt man, wenn man den Schutz von Vertrauen damit begründet, daß auf diese Weise bei Verkehrsgeschäften die Transaktionskosten verringert werden und der gesamtgesellschaftliche ökonomische Nutzen wächst. 21 Das Ganze geht zurück auf die vor allem von Posner begründete Denkrichtung der "economic analysis of law". Sie stellt den Versuch einer Untersuchung und kritischen Würdigung des geltenden Rechts durch Anwendung wirtschaftswissenschaftlicher Methoden dar. 22 Das Rechtssystem wird im Rahmen einer funktionalen Betrachtungsweise daraufhin untersucht, welchen positiven oder negativen Beitrag es zur Erreichung eines Wohlfahrtsoptimums leistet. 23 Diese Gesamter19 Hopt, Kapitalanlegerschutz, 52. 20 Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang ein Vergleich mit der Diskussion um
das Schutzgut des 1986 in das Strafgesetzbuch eingefügten § 264a (Kapitalanlagebetrug), der als "strafrechtliche Prospekthaftung" ja einen Teil unserer Fälle ebenfalls betrifft. Diese Vorschrift soll nach überwiegender Ansicht natürlich das Vermögen des betrogenen Anlegers schützen, aber auch das Vertrauen in den Kapitalmarkt und damit dessen für die Volkswirtschaft unentbehrliche Funktionsfähigkeit (so die Begründung des Regierungsentwurfes, Bundestagsdrucksache 10/318,22; Möhrenschlager, wistra 1982,201, 204 f.; allgemeiner Ono, ZStW 96 [1984], 339, 348) . Dieses überindividuelle Schutzgut liegt zwar gewissermaßen auf einer entfernteren Ebene als das individuelle, stellt aber das den Charakter des § 264a StGB (der nach h. M. ein abstraktes Gefährdungsdelikt ist) prägende Schutzgut dar. 21 Schäfer / On, Ökonomische Analyse, 299; Schuhmacher, Verbraucherschutz, 207; Trimarchi, ZHR 136 (1972),118,120; Weiser, ÖJZ 1973,281,284; Assmann, Prospekthaftung, 273 ff., 276 ff.; für Lehmann, Vertragsanbahnung, 229 ff., 307 (auch NJW 1981, 1233, 1239 und WM 1985, 181) liegt in diesem Ansatz der Rechtsgrund für die gesamte Haftung aus culpa in contrahendo. 22 Posner, Economic Analysis, 1 ff., hier insbes. 79 ff.; siehe auch Kronman / Posner, The Economics of Contract Law; Samuels / Schmid, Law and Economics. 23 Lehmann, Vertragsanbahnung, 230.
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§ 10 Vertrauens schutz, Rechtsverkehr und Markt
klärung geschieht unter der Grundannahme, daß alle wichtigen Rechtsgebiete von ökonomischer Rationalität geprägt seien. 24 Theoretische Grundlage ist der Markt als ideales Regelungsmodell, so daß eine ökonomische Analyse des Rechts von vornherein nur für marktwirtschaftlich orientierte Wirtschaftssysteme mit einer funktionierenden Wettbewerbsordnung Aussagekraft besitzen kann; 25 das Wohlfahrtsoptimum wird im Sinne der Pareto-Optimalität verstanden. 26 Behauptet wird dabei, daß der Markt jede Fehlallokation von Ressourcen ausmerze, wenn drei Voraussetzungen erfüllt seien: rationales Handeln der Wirtschafts subjekte, Fehlen von rechtlichen Behinderungen des Tausches und Fehlen von Transportations- bzw. Transaktionskosten.27 Das sind ganz offenbar Idealbedingungen. 28 Sie vermögen für die Befürworter einer ökonomischen Analyse des Rechts aber immerhin ein Ziel anzugeben, welches das Recht beachten soll. Ein solches Ziel ist nun die Verringerung und weitgehende Vermeidung, ökonomisch: Minimierung der erwähnten sogenannten Transaktionskosten. Das sind die Kosten, die bei der Verschiebung von Ressourcen von der individuell weniger nützlichen zur nützlicheren Verwendung, also beim Güteraustausch, entstehen. Solche Kosten schaffen keine Werte, behindern andererseits aber den Güteraustausch, welcher möglichst ungestört vor sich gehen muß, damit eine möglichst marktkonforme Bedürfnisbefriedigung erreicht wird. Das Vertragsrecht - mit seinem uns hier interessierenden Institut der Vertrauenshaftung - kann zur Minimierung der Transaktionskosten vor allem mittelbar beitragen. Es gilt, unvermeidbare Lasten der Seite zuzuordnen, die sie am kostengünstigsten erfüllen kann: dem "cheapest cost avoider". 29 Dieses wird vor allem deutlich am Beispiel der Aufklärungspflichten. 30 Derjenige soll aufklären, der die Information leichter beschaffen kann. Daß diese Aufgabenverteilung auch eingehalten wird, wird dann mittelbar durch Schadensersatzpflichten durchgesetzt. 31 Informationen werden bei dieser Betrachtung zum Wirtschafts gut. 32 In den hier in den Mittelpunkt gestellten Fallgruppen der Auskunftshaftung ging es stets um die Inanspruchnahme solcher Personen, die den Geschädigten Horn, AcP 176 (1976), 307. Lehmann, Vertragsanbahnung, 231. 26 Als "pareto-optimal" wird in der Ökonomie derjenige Zustand bezeichnet, in dem der Nutzen keines Wirtschaftssubjektes mehr gesteigert werden kann, ohne daß der Nutzen mindestens eines anderen Wirtschaftssubjektes sich verringert; siehe nur Schuhmann, Mikroökonomische Theorie, 206. 27 Das sogenannte Coase-Theorem; Köhler, ZHR 144 (1980), 589, 591. 28 Das zu verkennen wirft etwa Köhler, aaO., 609, Posner vor. 29 Lehmann, Vertragsanbahnung, 231. 30 Umfassend zur Informationsökonomie Assmann, Prospekthaftung, 279 ff. 31 Posner, Economic Analysis, 81: "Thus the fundamental function of contract law ... is to deter people from behaving opportunically toward their contracting parties, in order to encourage the optimal timing of economic activity und make costly selfprotective measures unneccessary.". 32 Lehmann, WM 1985, 181. 24
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I. Vertrauens schutz zur Sicherung des Rechtsverkehrs
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vor allem aufgrund ihrer Stellung im Wirtschaftsleben wissensmäßig überlegen waren. 33 Dementsprechend war es auch insgesamt - also volkswirtschaftlich betrachtet - kostengünstiger, wenn sie die nötigen Infonnationen beibrachten, als wenn ihr jeweiliger Geschäftspartner als Laie sich um Aufklärung zu bemühen gehabt hätte. Folgte man dem beschriebenen Erklärungsmodell, wäre für die Statuierung von Aufklärungspflichten in unseren Fällen leicht eine Begründung gefunden. Allerdings fällt schon jetzt auf, daß diese Begründung beinahe immer dazu geeignet ist, dem Verkäufer die Pflicht zur Aufklärung des Käufers aufzubürden, kann jener sich doch sehr viel leichter über Art und Zustand der Sache vergewissern. Eine solche Risikoverteilung ist problematisch. 34 Zunächst ist die ökonomische Analyse des Rechts einer grundsätzlichen Betrachtung zu unterziehen.
b) Zur Methode der ökonomischen Analyse des Rechts Gegen die ökonomische Analyse des Rechts, die die methodische Grundlage für den Aspekt der Transaktionskostenminimierung darstellt, werden in der rechtswissenschaftlichen Literatur vielfache Einwände vorgebracht. Gewissennaßen noch innerhalb des Systems bleibt die Kritik, es werde mit verkürzenden Modellannahmen gearbeitet, die noch dazu unzureichend empirisch abgesichert seien. 35 Vor allem aber die zentralen Prämissen der Befürworter der ökonomischen Analyse, die letziich auf die Annahme des vollkommenen Wettbewerbes hinauslaufen, werden als unrealistisch kritisiert. Köhler spricht von einem "Paläoliberalismus", der selbst im 18. und 19. Jahrhundert nicht existiert habe. 36 Dem ließe sich immerhin noch entgegenhalten, daß die ökonomische Analyse dann zwar nicht als Beschreibung des geltenden Rechts tauge, aber doch geeignet sei, Ziele für die Rechtsentwicklung anzugeben. 37 Gewichtiger sind die grundsätzlichen Bedenken, die dagegen bestehen, die Rechtsordnung, die eine Sollensordnung ist, ausschließlich unter Effizienzgesichtspunkten zu betrachten. Die Rechtsordnung, so wird vorgebracht, sei gegenüber den Gesetzen der Ökonomie autonom. 38 Das Privatrecht schütze die Privatautonomie in den ihr zugewiesenen Grenzen auch insoweit, als der einzelne Rechtsinhaber von ihr entgegen Marktbewertungen Gebrauch macht. 39 In der Tat ist unschwer zu erkennen, daß dem Recht auch noch andere Bewertungskategorien als die der Allokationseffizienz immanent sind, auch wenn die Wohlstandsoptimierung Hauptziel jeden Wirtschaftens ist und damit im Privatrecht als der 33 34
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An dieser Tatsache setzen die Befürworter der "Berufshaftung" (unten § 11) an. Unten § 12, I. Assmann, in: Assmann/Kirchner/Schanze, 21, 53. Köhler, ZHR 144 (1980), 589, 605. So denn auch Köhler, aaO., 606. Assmann, in: Assmann / Kirchner / Schanze, 21, 53. Horn, AcP 176 (1976), 307, 333.
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§ 10Vertrauensschutz, Rechtsverkehr und Markt
Materie, welche die Grundregeln dieses Wirtschaftens formuliert und durchsetzt, eine gewichtige Rolle spielt. Dennoch wird man sagen müssen: Es steht dem Recht frei, ökonomisch Unvernünftiges für gerecht zu halten. Allerdings gilt dies wohl nur so lange, wie den von solchen Entscheidungen betroffenen Individuen vom Gesetzgeber dafür einleuchtende Gerechtigkeitskriterien offengelegt werden können. Für die Vertrauenshaftung ist dies, soweit diese Untersuchung bisher reicht, noch nicht gelungen. Die ökonomische Analyse des Rechts ist schon von ihrem Ansatzpunkt her zwangsläufig völlig resistent gegen die "genuin juristische Frage nach der richtigen Einzelfallentscheidung" 40 zugunsten von Überlegungen, die auf Optimierung einer Vielzahl von Fällen ausgerichtet sind. Das wird auch von ihren Befürwortern eingestanden, ist aber auch beabsichtigt, soll doch mit ihr eine Abkehr von der "rein individuellen Schuldrechtskonzeption" einhergehen. Stattdessen bekommt das Privatrecht den Charakter eines Instrumentes des "social and political engineering". 41 Eine solche Konzeption allein wird dem Wesen gerade des Schuldrechts nicht gerecht. Einzelfallgerechtigkeit herzustellen, muß primär das Ziel jeder Rechtsanwendung bleiben, auch wenn die Kriterien dafür im deutschen Rechtskreis typischerweise aus generell-abstrakt formulierten Sätzen zu entnehmen sind. Der Vertrag bietet Privaten die Möglichkeit, in ihrem Bereich rechtlich gestaltend tätig zu werden. Dann kann ein Versuch, ein Normgefüge zu beschreiben und Kriterien für die Weiterentwicklung aufzudecken, aber nicht gelingen, wenn er den Vertrag ausschließlich unter funktionellen Aspekten begreift. Auf der anderen Seite läuft man vom gegenteiligen, für das Zivilrecht traditionellen Standpunkt aus Gefahr, sich in der Betrachtung hochdifferenzierter Detailprobleme zu verlieren und die Aufgabe des Zivilrechts zu übersehen, mitzuwirken an der Umsetzung der Verfassungswerte von Freiheit, Gleichheit und Sozialstaatlichkeit (letzteres in den oben 42 gesteckten Grenzen). Großfeld legt in seiner Schrift mit dem programmatischen Titel ,,zivilrecht als Gestaltungsaufgabe" dar, daß diese Funktion des Rechts in der jüngeren Rechtsentwicklung zunehmend vom öffentlichen Recht übernommen wurde. 43 Es müsse aber auch das Zivilrecht "mit dem politischen System verklammert"44 und aufgezeigt werden, wie es zur Erhaltung der Balance zwischen Freiheit und Gleichheit beiträgt. 45 Statt "dem Kult des Raffinierten zu verfallen", müsse der einzelne Fall in einem weiteren Rahmen gesehen, die Konfliktlage im Großen statt nur im Kleinen erkannt Horn, aaO., 312. Lehmann, Vertragsanbahnung, 237 f. 42 § 9, I. 43 Großfeld, Gestaltungsaufgabe, 82 und passim. 44 Ausdruck bei Kübler, Praktische Aufgaben, 43. 45 Großfeld, aaO., 83. 40
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I. Vertrauensschutz zur Sicherung des Rechtsverkehrs
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werden. 46 Man kann diese Gedanken etwa mit dem Ausdruck der ,,MakroJurisprudenz"47 oder dem der "Makro-Perspektive"411 fassen. Kübler weist aber zugleich auf die Gefahren hin, die in einem solchen Weg liegen: die der Instrumentalisierung des Rechts. 49 Im Versuch, sich von den heute immer mehr um sich greifenden Argumentationen abzusetzen, die "an die Legitimationsmuster vorsäkularer Rechts- und Gerechtigkeitsvorstellungen anknüpfen",50 würden vielfach bestimmte Einrichtungen oder Auffassungen als der Rechtsordnung ein für allemal vorgegeben postuliert und diese im Ganzen als ein Instrument angesehen, das den Vollzug jener Programme zu gewährleisten hat. Diese Denkrichtung finde sich in erster Linie in der sozialistischen Rechtstheorie leninistischer Prägung, sei aber auch jenen zueigen, die die Rechtsordnung in den Dienst des Wettbewerbs stellen wollten. 51 Zu Recht kritisiert Kübler, daß ein solches Verständnis das Problem der Legitimität der Rechtsanwendung nicht löse, sondern auf eine vorgelagerte Instanz verschiebe, welche ihr mitteile, wie sie zu entscheiden hat. 52 Mit der schlichten Setzung des Zieles "Wettbewerb" durch die ökonomische Analyse des Rechts ist es also nicht getan. Das Ziel selbst braucht seine Legitimation. Diese läßt sich indes sogar aus dem BGB ableiten. Das darin niedergelegte, besser: vorausgesetzte Prinzip der Privatautonomie zieht Wettbewerb nach sich, wie es ohne diesen nicht denkbar ist. Die Legitimation liegt aber auch in der erwähnten Verklammerung des Rechts mit dem politischen System. So sieht Kübler in der Förderung ökonomischen Gleichgewichts 53 ein auch dem Demokratieprinzip entspringendes Ziel der Rechsanwendung, 54 ist Chancengleichheit letzterem doch wesensgemäß. Zum zweiten weist er darauf hin, daß systembedingte Funktionsdefizite und Kapazitätsgrenzen der Legislative häufig eine Regelung verhindern, die "geboten ist oder von der Rechtsgemeinschaft unmittelbar erwartet wird". Die richterliche Rechtsfortbildung, die dann einzuspringen hat, bedarf aber zugleich der Orientierung an generellen und begründbaren Kriterien. 55 ,,Es geht um die Frage, wie sich Vorverständnisse rationalisieren lassen." 56 In diesem
46 aaO., 84; ähnlich Joerges, in: AK-BGB, vor §§ 662 ff., Rn. 19. J. Schmidt, GS Schultz, 341, 370 (Fn. 83) spricht von "auf das Systemziel bezogenen Binnenverhaltensnormen" (vgl. zu seinem Erklärungsmodell oben § 8, I. 2. c). 47 Großfeld, Gestaltungsaufgabe, 84. 48 Kübler, Praktische Aufgaben, 11. 49 Esser, Vorverständnis, 114. 50 Kübler, aaO., 33. 51 aaO., 37 f. 52 aaO., 39. 53 Dazu sogleich unten 3. 54 aaO.,46. 55 aaO., 49 f. 56 aaO., 55 f.; Esser, Vorverständnis, 114.
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Rahmen will auch Kübler auf Erklärungsmuster etwa der Soziologie, aber eben auch der hier angesprochenen Ökonomie nicht verzichten. 57 Das verdeutlicht, daß die Legitimierung VOn Privatrechtsinstituten auf den Rückgriff auf "außerjuristische" Kriterien nicht verzichten kann, wenn sie rational bleiben will. 58 Um die Legitimierung eines Privatrechtsinstitutes - der Erklärungshaftung - , dessen Rationalität bisher erheblich zu wünschen übrig läßt, geht es hier auch. Kübler hat recht mit seiner Warnung davor, die gesamte Rechtsordnung gleichsam ideologisch an einem Ziel auszurichten, davon Abweichendes willkürlich zu verurteilen. Markteffizienz ist in der Tat nicht das einzige Ziel des Rechs. Aber Aufgabe der Rechtsanwendung und Verpflichtung der Rechtsfortbildung ist es, rationale Kriterien aufzuzeigen, an denen sie sich orientieren. Das allein gewährt die Chance, "für eine Vielzahl VOn Fällen die Konsistenz und Vertrauenswürdigkeit des Rechtssystems zu gewährleisten". 59 Zur Erfüllung dieser Aufgabe vermag nun die vorgestellte Denkrichtung der ökonomischen Analyse des Rechts beizutragen. Sie ist zwar entgegen den Intentionen ihrer Urheber nicht geeignet, das Recht in seiner Gesamtheit zu erklären. Sie kann auch nicht alleiniger Maßstab für die Rechtsfortbildung sein. Aber sie bietet ein geeignetes Instrumentarium, um die wirtschaftlichen und daraus folgend gesellschaftlichen Auswirkungen rechtlicher Institute genauer zu ermitteln. Sie ist also ein Aspekt bei der Rechtsfindung. Mit dieser Beobachtung in Einklang steht es, wenn in der Literatur zur Begründung der Vertrauenshaftung mehrfach auf die "economic analysis" zurückgegriffen wird, ohne daß dies jeweils der einzige Gesichtspunkt wäre. 60 Und ohnehin gehört der Blick auf die ökonomischen oder gesellschaftlichen Auswirkungen des Rechts zu den Selbstverständlichkeiten der juristischen Argumentation; es müssen nicht immer wirtschafts wissenschaftliche Termini sein, in deren Gewand solche Überlegungen auftreten. Dies zeigt sich auch, wenn man die oben unter 1. und 2. a vorgestellten Ansichten daraufhin vergleicht, welche Folgerungen sich aus ihnen für die hier im Mittelpunkt stehenden Aufklärungspflichten ergeben. Die "Erschwerung des Rechtsverkehrs", welche die scheinbar rein "juristisch" vorgehende Ansicht für den Fall befürchtet, daß der Beteiligte, der den Wissensvorsprung auf seiner Seite hat, nicht zur Aufklärung des Partners angehalten wird, entsteht gerade dadurch, daß die Transaktionskosten so hoch werden, daß sie für den "unwissenden" Teil zum realen Problem werden und im Extremfall sogar den Nutzen aus dem Geschäft übersteigen, so daß dieses gar nicht mehr zustande kommt. 61 aaO.,57. Esser, Vorverständnis, 114, betont, dem Juristen seien die "Blicke hinter die Kulissen" nicht verboten, sondern "geradezu aufgegeben". 59 noch einmal Kübler, aaO., 55. 60 So bei Kötz, Deliktsrecht, Rn. 41; Hopt, AcP 183 (1983), 654; Schuhmacher, Verbraucherschutz, 207; Weiser, ÖJZ 1973, 281, 284. 61 Schmid, in: Samuels / Schmid, Law and Economics, 76, 85. 57
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Bevor nun versucht wird, aus den dargestellten "makro-juristischen" Betrachtungen eine Begründung für die außervertraglichen Erklärungspflichten herauszuarbeiten, sind einige weitere Aspekte zu überprüfen, die hiennit im Zusammenhang stehen. 3. Die Herstellung von Waffengleichheit am Markt
Der Markt als Bezugsrahmen für die Vertrauenshaftung ist noch unter einem weiteren Gesichtspunkt für deren Begründung nutzbar zu machen. Bereits bei der Behandlung der Problemkreise der Selbstbestimmung der Vertragspartner 62 sowie des Machtungleichgewichtes im allgemeinen 63 war angedeutet worden, daß man die Vertrauenshaftung - wiederum in erster Linie in Gestalt der Aufklärungspflichten - auch als ein Instrument ansehen kann, über die Sicherung individueller Vertragsparität hinaus den Ausgleich kollektiver Informationsungleichgewichte zu bewirken, um damit zumindest potentiell eine "Waffengleichheit" der Parteien am Markt zu erreichen. 64 Darin liegt kein Eingriff in den Markt, sondern wird im Gegenteil eine für sein Funktionieren notwendige Bedingung gewährleistet. Denn Voraussetzung dafür, daß die über den Preis vennittelten Steuerungsmechanismen von Angebot und Nachfrage wirken können, ist die möglichst vollständige Kenntnis der Marktbedingungen durch die Wirtschaftssubjekte. Anderenfalls scheitern marktrationale Entscheidungen an Infonnationsdefiziten. Prägnant faßt dies Joerges 65 zusammen: "Auf Machtungleichheiten oder Ungleichheiten, die sich aus dem Kompetenzvorsprung eines Beteiligten ergeben, kann durch die Anerkennung eines gesetzlichen Schuldverhältnisses reagiert werden, das kompensatorische Aufklärungs- oder Beratungs- und Obhutspflichten begründet; es handelt sich insoweit um Verhaltensnonnen, die letztlich ausbleibende Ordnungsleistungen des Marktes zu ersetzen haben." Die angesprochenen kollektiven Infonnationsungleichgewichte, konkret meistens: die unvollkommene Nachfragerinfonnation, führen, wie Assmann 66 dargelegt hat, in mehrfacher Hinsicht zu Marktversagen. Zum einen haben sie die schon erwähnten Fehlallokationen von Ressourcen zur Folge. Die Möglichkeiten für die besser Infonnierten, ihren Infonnationsvorsprung auszunutzen, bewirken ferner, daß auf der anderen Seite teils berechtigtes, teils unberechtigtes Mißtrauen entsteht, das als Selbstschutzmaßnahme Abwanderungen von Märkten mit sich bringen kann. Es entsteht infonnationsbedingt Marktrnacht und insgesamt ein ineffizienter Infonnationsmarkt. All dies macht es nach der dargestellten Lehre erforderlich, marktbezogene Infonnationsverhaltenspflichten zur Abwendung derartigen "infonnationsbedingten Marktversagens"67 zu installieren. 62 Oben § 8, 11. 63 Oben § 9, 11. 64 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 650 ff.; Assmann, Prospekthaftung, 273 ff. 65 Joerges, in: AK-BGB, vor §§ 662 ff., Rn. 25. 66 Prospekthaftung, 289 ff.
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Solche Herstellung potentieller Chancengleichheit am Markt stellt, was oft übersehen wird, kein anderes Ziel dar als das oben behandelte, die Transaktionskosten zu senken. Denn die Vertreter der ökonomischen Analyse des Rechts erwarten, daß nicht nur die Äquivalenz der Leistungsgegenstände ("Preisgerechtigkeit"), sondern auch die richtige Verteilung der rechtlichen Pflichten und Lasten sich langfristig nach marktrationalen Kriterien einpendelt. 68 Das ist zumindest insoweit richtig, als die Herstellung von Marktgleichgewicht und die Minimierung der Transaktionskosten miteinander verknüpft werden. Partner, die kraft ihrer Marktrnacht in der Lage sind, ihre Interessen in bezug auf das Äquivalenzverhältnis von Leistung und Gegenleistung durchzusetzen, werden auch Verträge gestalten, die eine sinnvolle, also: kostengünstige Verteilung der Nebenpflichten enthalten. Dieser Zusammenhang von Macht und Nebenpflichten trat deutlich vor Inkrafttreten des ABG-Gesetzes zutage, als die Rechtsprechung Nebenpflichten schuf, um unbillig erscheinende Haftungsregelungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen auszuschalten. 69 Und er läßt sich dadurch zumindest vorläufig bestätigen, daß man beide Überlegungen einmal konkret für die uns interessierenden Aufklärungspflichten anstellt: Die Seite, die den Informationsvorsprung hat, ist diejenige, die aufzuklären hat, weil sie dieses "billiger" tun kann als die andere; und sie ist aufklärungspflichtig, weil die andere Seite die Informationen braucht, um ihre Interessen durchzusetzen. Zuzugestehen ist allerdings, daß "bereits die Hälfte des Problems" darin liegt, festzustellen, wann eine solche Situation ungleicher Verhandlungsmacht gegeben ist. 70 Posner vertraut, wie stets ausgehend von einer klassisch-liberalen Position, dem Markt auch bei der Lösung des Problems ungleicher Verhandlungsmacht der Vertragspartner und einseitig aufgestellter Vertragsbedingungen; das Problem stellt sich ihm danach gar nicht. Daß beispielsweise der Gesetzgeber anderer Ansicht ist, wird schon bei einem oberflächlichen Blick auf die zahlreichen Verbraucherschutzgesetze, insbesondere das AGB-Gesetz, deutlich.
4. Verbraucherschutz
Auf der gleichen Linie liegt es, wenn man vom Vertrauensschutz als einem Instrument des Verbraucherschutzes spricht. In diesem Zusammenhang wird daran erinnert, daß die Vorstellung, wonach jeder seine Interessen durch ausreichende Information selbst wahren könne, im 19. Jahrhundert erträglich gewesen sei, heute aber nicht mehr gelten könne. 71 Der Terminus, es gehe um die ,,AbsicheAssmann, aaO., 276. Horn, AcP 176 (1976), 307, 320. 69 Darauf weisen Esser / Weyers, Schuldrecht BT, 17, hin; ebenso Staud. / Köhler, § 433, Rn. 48. 70 Horn, AcP 176 (1976), 307, 320. 67
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rung der Privatautonomie des Verbrauchers",72 verdeutlicht, daß "Verbraucherschutz" auch ein Aspekt der soeben behandelten Konzeption ist, auf der anderen Seite aber auch in den Dienst der Sicherung der individuellen Selbsbestimmung im Einzelfall 73 gestellt werden kann. Letzterem entspricht es, wenn vorgeschlagen wird, die Aufklärungspflicht an der Aufklärungsbedürftigkeit des konkreten Vertragspartners zu bemessen, soweit diese erkennbar sei. 74 Unter dem Gesichtspunkt der Absicherung der Privatautonomie ist das nicht haltbar, da wir von der individuellen Perspektive bei der Betrachtung der Privatautonomie oben 75 Abstand genommen hatten. Allerdings spricht ohnehin wenig dafür, den Terminus "Verbraucherschutz" für ein Modell zu verwenden, welches konkrete, dem Geschäftsungewandten im Einzelfall entgegenkommende Maßnahmen vorsieht. Dem typisierenden Begriff "Verbraucher" - das ist ja keine abgegrenzte Gruppe von Bürgern, sondern die Beschreibung einer Rolle, in der jeder einmal auftritt - entspricht eher ein ebenfalls genereller Lösungsansatz. Sieht man den Verbraucherschutz so, beinhaltet er das gleiche Instrumentarium wie das zuvor dagelegte Konzept der "Optimierung am Markt". 76 Ebenso wie diesem Konzept liegt dem Verbraucherschutzgedanken die Vorstellung zugrunde, daß Ungleichgewichtslagen auszugleichen seien. Problematisch erscheint jedoch die Anknüpfung am "Verbraucher". Das ist grundsätzlich jeder, der als einzelner Waren oder Dienstleistungen am Markt nachfragt. Verbraucherschutz wird somit zum Kürzel für die These, daß derjenige, der solches tue, der Marktgegenseite typischerweise unterlegen sei. Die Vertragsparität, verstanden als Chance, eine ausgewogene Vertragsgestaltung erreichen zu können, sei grundsätzlich gestört und dementsprechend seien paritätswahrende bzw. -wiederherstellende Maßnahmen nötig. 77 Diese Vorstellung ist ebenso politisch inspiriert wie pauschal und undifferenziert. In ihrer durchgängigen Trennung von "Unternehmern", die einerseits die stärkeren sind, andererseits von Beschränkungen ihres Wirkungskreises durch Schutzmaßnahmen befreit bleiben, und schutzbedürftigen "Verbrauchern" liegt die Tendenz zu einem ZweiKlassen-Zivilrecht und zugleich ein Einfallstor für fast unbegrenzt fortzuschreibende Verbraucherschutzmaßnahmen, die nicht mehr sachlich legitimiert werden müssen: Die personelle Schutzbedürftigkeit als solche rechtfertigt fast jeden Schutz. 78 71 W. Schuhmacher, Verbraucherschutz, 203 (zum österreichischen Recht; die Argumentation ist aber ohne weiteres auf das deutsche Recht übertragbar). 72 aaO., 20l. 73 Dazu oben § 8, 11. 74 W. Schuhmacher, Verbraucherschutz, 20l.
75 76 77 78
§ 8, 11. 2., ill.
Ausdruck von Hopt, AcP 183 (1983), 608, 652. Lieb, AcP 183 (1983), 327, 362. Lieb, AcP 183 (1983), 327, 353 ff., 36l.
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§ 10 Vertrauensschutz, Rechtsverkehr und Markt
Auf der anderen Seite führt die Fonnel vom Verbraucherschutz im Bereich der Erklärungshaftung auch zu Verengungen, für die sie keinen sachlichen Grund anzugeben vennag. 79 Denn "Verbraucher" ist zwar potentiell jeder, aber zumindest assoziativ steht dabei stets die Rolle des unwissenden Käufers von Konsumgütern im Raum. Infonnationsbedürftig - wenn es denn darauf ankommt - ist jedoch auch der in Finanzfragen unbedarfte Zahnarzt, der für ein geschickt entworfenes "Steuersparmodell" gewonnen werden soll. "Verbraucher" ist er wahrscheinlich in dieser Lage nicht, und wenn er es dennoch sein soll, bereitet das zumindest sprachlich Unbehagen. Hinzu kommt, daß der Begriff des Verbraucherschutzes durch inflationären Gebrauch abgegriffen und ideologisch befrachtet ist. Er ist, nach allem, nicht falsch. Er ist aber ungeeignet, als Rechtsbegriff den Anknüpfungspunkt für neue Entwicklungen zu bilden. "Der politische Zugpferdcharakter überwiegt die Aussagekraft für ganz konkrete rechtspolitische Einzelfragen bei weitem."80
11. GegenetTekte: Die Behinderung des Rechtsverkehrs durch die Vermeidung einer Vertrauenserregung "Negative Vertrauenshaftung" bedeutet, daß die Verletzung einer Pflicht (was vielfach mit der Enttäuschung von Vertrauen umschrieben wird) dazu führt, daß der dadurch entstandene Schaden beim Verletzten zu ersetzen ist. Nicht diese Einstandspflicht ist jedoch der primäre Sinn des Institutes. Alle bisher vorgestellten Versuche, den hinter dem Vertrauen stehenden Rechtswerten auf die Spur zu kommen, argumentierten nicht mit der Schadensersatzleistung, sondern mit der durch die Vertrauenshaftung aufgestellten Verhaltenspflicht. Mit anderen Worten: Sinn der Vertrauenshaftung ist nicht in erster Linie die Vennögensrestitution, sondern die Prävention. Die Androhung der Inanspruchnahme soll die Beteiligten am Rechtsverkehr zum gewünschten Verhalten veranlassen. Dies ist an sich eine Selbstverständlichkeit. Alle Schadensersatzpflichten, auch die deliktischen, versuchen zunächst einmal, auf dem Wege der Motivation des Nonnadressaten schon die Verletzungshandlung selbst zu verhindern. Dennoch ist dies hier noch einmal vor Augen zu führen. Denn die motivierende Wirkung einer Vertrauenshaftung kann auch eine destruktive sein: Sie kann dazu führen, daß derjenige, der verpflichtet werden soll, der Haftung dadurch zu entgehen versucht, daß er es venneidet, irgendwo Vertrauen zu erregen. Die Folge wäre eine Erschwerung des Rechtsverkehrs durch Ausbleiben von Infonnationen.
Stümer, VersR 1984,297,303. 80 Lieb, AcP 183 (1983),327, 361.
79
11. Gegeneffekte: Die Behinderung des Rechtsverkehrs
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1. Aufklärung bei bestehender Aufklärungspflicht
Das gilt nicht für alle Fälle. Die oben I. ausführlich vorgetragenen Versuche, eine Rechtfertigung des Vertrauensschutzes vorzunehmen, zielen alle auf die gesamtgesellschaftliche Ebene und stellen daher den einzigen 81 Weg dar, die hier abgelehnte 82 Anbindung an die rechtsgeschäftliche Sonderbeziehung zu umgehen. Gemein ist ihnen dennoch, daß sie auf den Markt ausgerichtet sind; das juristische Instrument, mit dem auf dem Markt agiert wird, ist das Rechtsgeschäft. Daher ging es oben ja auch stets darum, ein zwar nur generell, als Aggregat auszumachendes Gleichgewicht zu schaffen, aber eben ein Gleichgewicht, das der für schwächer gehaltenen Gruppe dienen soll, ihren Interessen beim Abschluß von Rechtsgeschäften Geltung zu verschaffen. Innerhalb von Rechtsgeschäften läßt sich die "Vertrauenshaftung" aber leicht so ausgestalten, daß man von einem "Vertrauen" nicht nur auf die Richtigkeit, sondern auch auf die Vollständigkeit der Auskunft ausgeht. Einer so geschaffenen Auskunftspflicht kann sich der Verpflichtete nicht entziehen. Von unseren Ausgangsfällen ist hierher beispielsweise die Prospekthaftung zu rechnen: Die Initiatoren des Projektes, für welches sie Kapitalgeber suchen, müssen nicht nur wahre, sondern auch vollständige Angaben machen. Auch mit vagen Umschreibungen des Sachverhaltes gibt sich der BGH nicht zufrieden. 83 Die Anforderungen der Rechtsprechung werden bei der Auskunfts- und Prospekthaftung eine Entwicklung dahin begünstigen, daß die potentiell haftenden Informanten eine Vielzahl von Einzelheiten vermitteln in der Befürchtung, anderenfalls unvollständige Mitteilungen zu machen. Um im Beispiel zu bleiben, wird etwa der Prospekt mit allen nur erdenklichen Daten über das Anlageprojekt überfrachtet. 84 Die Steigerung des Informationsgehaltes hat zwangsläufig zur Folge, daß sich die zur Entscheidung über die Vermögensdisposition notwendige Selektion vom Informanten auf den dazu regelmäßig weniger kompetenten Kunden verlagert. Zum zweiten werden Unsicherheiten, welche die Auskünfte oder Informationen nach Meinung des sie Erteilenden enthalten, herausgestrichen. Das Prognoserisiko wird dem Empfänger aufgelastet, um nicht beim Auskunftgeber in ein Haftungsrisiko umzuschlagen. Auch hier kann es im Einzelfall für den Empfänger von Nachteil sein, wenn der Wert einer Information stets aus Vorsicht herabgemindert wird. Insgesamt ist es aber dennoch wiederum legitim, die Verantwortung für die Einschätzung der Qualität einer Auskunft dem Empfänger anzulasten. 81 Eine Ausnahme ist für Staud. / J. Schmidt, § 242, Rn. 1224 ff. zu machen; dazu oben § 8, I. 2. c). 82 Oben § 8, III. 83 Siehe zu den Einzelheiten der Prospekthaftung oben § 1, 11. 3. a. 84 Ähnliche Probleme, vermutlich in noch verschärfter Form, bereitet die strafrechtliche Seite der Prospekthaftung, der seit dem 1. 8. 1986 gültige § 264a StGB (Kapitalanlagebetrug). Auch hier wurden negative Effekte in der im Text beschriebenen Richtung befürchtet (Joecks, wistra 1986, 142, 146).
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§ 10Vertrauensschutz, Rechtsverkehr und Markt
Ebenso wie in den Fällen der Pflicht zur Erklärung verhält es sich dann, wenn der Erklärende aus wirtschaftlichen Erwägungen nicht darauf verzichten kann, eine Erklärung abzugeben - also etwa dann, wenn ohne jede Äußerung durch ihn kein Geschäft jemals zustandekommen würde. 2. Überwiegend im Fremdinteresse abgegebene Erklärungen
Sehr viel ernster zu nehmen sind die unerwünschten präventiven Wirkungen einer sich weiter ausdehnenden Vertrauenshaftung aber in den Fällen, in denen eine Auskunft nicht gegeben werden mußte, ihre Unrichtigkeit aber dennoch zur Schadensersatzhaftung führen soll. Hierzu zählen die Auskünfte 85 insbesondere der Banken in den Fallgruppen einer laufenden Geschäftsbeziehung und gegenüber Dritten, nicht selbst auf die Richtigkeit vertrauenden und angewiesenen Personen, sowie viele denkbare Konstellationen der Auskünfte von Fachleuten: Die Gutachterfälle sind zu nennen; aber auch Rechtsanwälte, Notare, Wirtschaftsprüfer und Architekten dürften sich gehalten sehen, einer sich verschärfenden Haftpflicht außerhalb von Vertragsbeziehungen durch geringere Kooperationsbereitschaft zu begegnen. 86 Daß solche Befürchtungen nicht aus der Luft gegriffen sind, zeigt der nachdrücklich erteilte Rat in einem Handbuch zur Anwaltshaftung, angesichts der Rechtsprechung des BGH ,,mit der Abgabe von Erklärungen und Ausgabe von Bescheinigungen grundsätzlich sehr reserviert umzugehen". 87 Diese Entwicklungen sind nicht einmal nur für die Auskunftsfälle zu erwarten. Ganz generell tendiert die Erklärungshaftung dazu, die potentiellen Vertrauensveranlasser dazu zu animieren, die Erregung von Vertrauen zu vermeiden. Dieser Aspekt wirkt aber dem Schutze des Rechtsverkehrs entgegen. Wenn die Auskunftgebenden deshalb für Wahrheit und Vollständigkeit der erteilten Informationen einstehen sollen, weil dadurch zeit- und kostenintensive Nachforschungen vermieden werden können, dann wird vorausgesetzt, daß die Auskünfte nicht aus Vorsicht generell verweigert werden. Und selbst wo keine Verweigerung droht, ist zu befürchten, daß die Aussagekraft der erteilten Auskünfte mit einer weiteren Verschärfung der "Vertrauenshaftung" tendenziell abnimmt. Zwar gibt es in der Rechtsprechung nirgends ausdrückliche Anhaltspunkte dafür, daß diese Befürchtungen geteilt werden. Der stetig wiederkehrende Hinweis auf die "besonderen Umstände", 88 die eine Vertrauenshaftung für Auskünfte gerade dann konstituieren sollen, wenn der Auskunftgeber dem Vertrauenden gegenüber auch hätte schweigen können, läßt aber vermuten, daß die für den Rechtsverkehr kontraproduktiven Wirkungen einer Überdehnung der Auskunftspflichten erkannt werden. 85 86 87
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Zur Auskunftshaftung siehe oben § 1, 11. 2. Großfeld, GestaItungsaufgabe, 24. Borgmann / Haug, Anwaltspflichten, 146. zuletzt BGH NJW 1989, 293 f. zur ..Sachwalter"-Haftung eines Rechtsanwaltes.
H. Gegeneffekte: Die Behinderung des Rechtsverkehrs
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Will man den "Schutz des Rechtsverkehrs" - untermauert durch die ökonomische Analyse des Rechts oder nicht - zur Begründung der Vertrauenshaftung heranziehen, sind diese Wirkungen zu berücksichtigen. Der Ansatz trägt also, sofern überhaupt, nur in den Fällen, in denen der Auskunftgebende sich der Auskunft nicht entziehen kann. Diese Fälle lassen sich in zwei große Gruppen unterscheiden: Zum einen in die Fälle einer schon gesetzlich oder vertraglich bestehenden Auskunftspflicht (bei denen das Vertrauensargument nur dazu dienen soll, den geschützten Personenkreis zu erweitern, wie etwa beim Dienstzeugnis 89 ); zum anderen in all jene Situationen, in denen der Auskunftgebende schon im eigenen Interesse nicht schweigen kann, da er dann seine wirtschaftlichen Ziele nicht erreichen kann. Hier ist vor allem die Prospekthaftung zu nennen. 90 3. Zufallig und geplant erlangte Informationen In der amerikanischen Literatur zur economic analysis of law findet sich ein weiterer Hinweis auf gesamtwirtschaftlich gesehen kontraproduktive Wirkungen von Informationspflichten. Dabei geht es, anders als hier, um Pflichten innerhalb von Vertragsverhältnissen. Der Gedanke ist jedoch für die außervertraglichen Fälle in gleicher Weise zu verwerten.
Kronman geht in Übereinstimmung mit der Schule der economic analysis davon aus, daß die Allokationseffizienz des Marktes sich erhöht, wenn die Marktteilnehmer Informationen über veränderte Marktumstände so schnell wie möglich erhalten. 91 Als Beispiel dient ihm eine plötzliche Preisänderung für ein Gut, welche die Marktteilnehmer nur dann zu ökonomisch sinnvoller Umorientierung ihrer Verhaltensweisen veranlassen kann, wenn sie die Preisänderung kennen. Informiert die eine Partei, die allein von der Preisveränderung Kenntnis hat, den Partner eines bevorstehenden Kaufvertrages über eben dieses Gut über den neuen Preis, ist dies danach ökonomisch sinnvoll; und es ist ebenso sinnvoll, sie mittels sanktionierter Informationspflichten zur Preisgabe ihres Wissensvorsprunges zu zwingen. Kronman fragt nun jedoch, welche Folgen ein solcher Zwang nach sich zieht. Geht es um eine zufällig erlangte Information, erwartet er keine negativen Einflüsse auf das Verhalten des Aufklärungspflichtigen. Da dieser keine Mittel in die Erlangung der Information investiert hat, werde die Pflicht zur Preisgabe wahrOben § I, 11. 2. Allerdings ist auch hier ein Zusammenhang zwischen der Einführung einer Haftung und dem Verhalten der Initiatoren zu beobachten: Zum einen im oben 1. beschriebenen Sinne (Ausdehnung des Prospektumfanges); zum anderen hat die Neigung insbesondere von Professoren und sonstigen gut beleumundeten Personen, als "Gewährspersonen" mit ihrem Namen auf den Prospekten der Anbieter von Kapitalanlagen zu erscheinen, seit Beginn der BGH-Rechtsprechung zur Prospekthaftung erheblich abgenommen. 91 Kronman, in: Kronman / Posner, 114, 116 f. 89
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10 Loges
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§ 11 Das Konzept einer Berufshaftung
scheinlich nicht dazu führen, daß der Marktteilnehmer von nun an weniger sozial nützliche Informationen für den Markt hervorbringt. 92 Anders liege es, wenn der Wissensvorsprung Gegenstand einer planmäßigen und daher vor allem kostenträchtigen Suche sei. Die Pflicht zur Preisgabe werde ihn der Vorteile daraus berauben 93 und ihn in Zukunft davon abhalten, ähnliche Investitionen zu tätigen. 94 In diesen Fällen käme eine Informationspflicht nicht in Betracht. Kronman gesteht ein, daß es praktisch äußerst schwierig ist, zufallig erlangte Informationen - bezüglich derer eine Aufklärungspflicht ökonomisch sinnvoll sei - von durch Einsatz von Mitteln erlangten - bei denen eine Aufklärungspflicht überwiegend negative Effekte nach sich ziehe - zu scheiden. Er schlägt vor, mit Wahrscheinlichkeiten zu arbeiten: Je größer die Wahrscheinlichkeit sei, daß eine Information gezielt erworben sei, desto plausibler sei die Annahme, daß eine Regel, die es erlaubt, die Information für sich zu behalten, mehr Nutzen als Kosten erzeuge. 95
III. Folgerungen Die dargestellten positiven und negativen Effekte, welche die Schaffung neuer Erklärungspflichten auf den Rechtsverkehr hat, sind nach allem ein brauchbarer Ausgangspunkt für eine überzeugende materiale Begründung (oben 1.) und zugleich Begrenzung (oben 11.) derartiger Pflichten. Bevor versucht wird, dieses im Zusammenhang darzustellen (unten § 12), ist noch auf einen eigenartigen Vorschlag zur Legitimation der außervertraglichen Erklärungshaftung einzugehen.
§ 11 Das Konzept einer Berufshaftung I. Vorschläge in der Literatur In der Literatur wird verschiedentlich vorgeschlagen, die Haftungsfolgen an die Berufstätigkeit des Schädigers anzuknüpfen und dafür eine eigene, zwischen Vertrags- und Deliktshaftung angesiedelte Figur der Berufshaftung zu schaffen.' Kronman, aaO., 119. "deprive", aaO., 120. 94 Auch Assmann, Prospekthaftung, 288, mißt dem Kriterium des Leistungseinsatzes bei der Infonnationsbeschaffung Bedeutung zu. 95 aaO., 121. , In neuerer Zeit vor allem Lammei, AcP 179 (1979), 337 ff.; ders., NJW 1973,700; ders., in: Gitter u. a., 295 f.; Hopt, AcP 183 (1983), 608 ff. sowie Hopt / Mössle, Handelsrecht, Rn. 213; Mertens, VersR 1974, 509; ähnliche Tendenzen bei K. Huber, FS v. Caemmerer, 359 ff.; auch Lorenz, FS Larenz 1973, 575, 591 (der aber aaO., 618 f., wieder auf das Vertrauenselement abstellt). 92 93
I. Vorschläge in der Literatur
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Ein solches Rechtsinstitut "Berufshaftung" ist scharf zu unterscheiden von dem gleichlautenden Sammelbegriff für alle Haftungsfolgen, die den Berufstätigen schon nach den verschiedenen Haftungssystemen des bisher geltenden Rechts treffen. 2 Mit der eigenständigen Berufshaftung soll vorrangig die Verletzung von Auskunftspflichten sanktioniert werden; das Institut wird vielfach als Neuformierung der Auskunftshaftung verstanden. 3 Die Befürworter der Berufshaftung nehmen für sich in Anspruch, mit dem Tatbestandsmerkmal "Berufstätigkeit" nur das zu erfassen, was die Rechtsprechung ohnehin voraussetze, ohne es so deutlich auszusprechen; 4 die Ergebnisse werden nicht weiter angezweifelt. 5 Bei der überwiegenden Zahl der Fälle, in denen die Rechtsprechung zu einer Haftung für die Richtigkeit der Auskunft mit Hilfe der - meist fIktiv wirkenden - Annahme eines Auskunftsvertrages oder aber auf dem Wege über die Vertrauenshaftung gelangt war, habe die Auskunft im Rahmen des beruflichen Tätigkeitsbereiches der Schädiger gelegen; dieses Kriterium tauche in der Rechtsprechung als das schutzwürdige Vertrauen in die Richtigkeit der von einem Fachmann erteilten Auskunft auf. 6 So spricht der Bundesgerichtshof in der Tat von einer "Garantenstellung", die ,,kraft Amtes oder Berufes entsteht oder auf einer besonderen Fachkunde oder einer allgemein anerkannten und hervorgehobenen beruflichen und wirtschaftlichen Stellung beruht."7 Die Rechtsprechung will dennoch eine solche Übereinstimmung keineswegs sehen. Neuestens formulierte der BOH in unmißverständlicher Deutlichkeit: "Die Annahme, ein Rechtsanwalt sei allein aufgrund des von ihm ausgeübten Berufes eine Vertrauensperson, die für die Erklärungen der von ihr beratenen Partei unter allen Umständen geradestehen wolle, findet im geltenden Recht keine Stütze."8 Und in der Tat taucht trotz dieser Nähe zur berufsbezogenen Argumentation stets die Inanspruchnahme von Vertrauen als Haftungsgrund 9 auf. 10 Dazu Odersky, NJW 1989, 1 ff.; Hübner, NJW 1989,5 ff. So insbesondere von Lammel und Lorenz, aaO. 4 Lorenz, FS Larenz 1973, 575, 591; Hopt, AcP 183 (1983), 608, 634 f.; Mertens, VersR 1974, 509, 512; Loewenheim, JZ 1980. 469, 471; Joerges, in: AK-BGB, § 676, Rn. 11; auch K. Huber, FS v. Caemmerer, 359, 366 teilt von einem anderen Ausgangspunkt aus den Befund. 5 Deutlich bei Lammei, aaO., 364 f. 6 Lammei, aaO., 358 f. hat eine Reihe von Entscheidungen zur Auskunftshaftung überprüft und berichtet, es habe sich bei den Verpflichteten 73mal um Banken, 19mal um Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, 19mal um Rechtsanwälte und/oder Notare sowie 14mal um öffentlich bestellte Sachverständige gehandelt; 37 sonstige Fälle hat er vernachlässigt, weil eine Haftung mangels vertrauensbildender Faktoren entfallen oder eindeutig eine vertragliche Haftung gegeben gewesen sei. 7 BGH JZ 1981,447,448; sehr ähnlich BGHZ 77, 172, Leitsatz und 176 f. 8 BGH NJW 1989,294. 9 So ausdrücklich BGHZ 70,337, 344. 10 BGHZ 77, 172, 176. 2
3
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§ 11 Das Konzept einer Berufshaftung
Ein ähnliches Konzept hat bereits vor Jahrzehnten Michaelis vorgeschlagen. Seine "Haftung kraft besonderer Rechtsstellung" sollte gleichfalls ,,zwischenglied von Vertrag und Delikt" sein. 11 Auch er wollte in erster Linie Berufsgefahren erfassen, aber noch wesentlich darüber hinausgehen und etwa den familienrechtlichen Status oder die Inhaberschaft eines Betriebes als eine solche "besondere Rechtsstellung" ansehen. Die bloße Stellung als Partner eines Vertrages sollte dagegen nicht ausreichen. 12 Den neueren Ansätzen geht es hingegen darum, speziell das Auftreten als Angehöriger eines bestimmten Berufes zu erfassen. Das Phänomen der beruflichen Spezialisierung sei so evident und ein so entscheidendes Datum im Wirtschaftsleben, daß die Rechtsordnung es nicht ignorieren könne. 13 Allerdings sollen es nicht die "alten Professionen" 14 als solche sein, welche die Verpflichtung aus dem neuen Rechtsinstitut begründen, sondern der Anschein der Qualifikation, der aus der Berufstätigkeit resultiert. Entscheidend ist danach also die Berufsrolle. 15 Dieses Abstellen auf die Rolle impliziert, daß die Berufshaftung den Berufstätigen nicht als Person schlechthin und damit immer trifft, sondern nur dort, wo eine Rollenbeziehung vorliegt, in der bestimmte Erwartungen zwischen Rollenträger und Gegenüber aufgebaut werden können: am Markt. 16 Die Eingrenzung der - zunächst unbeschränkt erscheinenden - Haftung soll danach erfolgen, ob das Vertrauen in die Tätigkeit des Fachmannes bei der vorliegenden tatsächlichen Lage berechtigt war, mit anderen Worten: ob er seine Interessen dort mit gewahrt sehen konnte. 17 Die Parallelen zur "Vertrauenshaftung" sind evident; "Berufshaftung" und "Vertrauenshaftung" sind austauschbar. Lammel spricht von "berufsspezifischer Vertrauenshaftung" . 18 Mit dieser Betonung der Rollenhaftigkeit beruflichen Handeins steckt die Lehre von der Berufshaftung in dem gleichen Dilemma wie der bereits oben vorgestellte, allgemeiner formulierte rechtssoziologische Ansatz der Rollentheorien: Die Verpflichtung, den Verhaltenserwartungen zu entsprechen, besteht nicht aus sich heraus, sie bedarf ferner selber einer Begründung. 19 Dies wird auch von Hopt 20 und Lammel 21 erkannt. Ihre Vorstellungen davon, wie diese Begründung auszusehen hat, weichen allerdings erheblich voneinander ab. Michaelis, FS Siber n (1940), 185, 225 ff. aaü., 226. 13 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 647. 14 So aber noch im Untertitel der Arbeit von Mertens, VersR 1974,509. 15 Hopt, aaü., 645; zu den von ihm im einzelnen aufgestellten Erfordernissen an das Tatbestandsmerkmal "Beruf' siehe aaü., 669 ff. 16 aaü., 646. 17 Lammei, NJW 1973,700. 18 Lammel, in: Gitter u. a., 263, 295. 19 Dazu im einzelnen bereits oben § 5, In. 2. 20 AcP 183 (1983), 608, 648. 21 AcP 179 (1979), 337, 360. 11
12
11. Die Legitimation der Berufshaftung
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11. Die Legitimation der Berufshaftung 1. Legitimation durch die berufsregelnden Gesetze
Lammel findet diese Legitimation in den Gesetzen, die den Zugang zu den Berufen und ihren Inhalt regeln. Die gesetzliche Anerkennung von Verbänden - gemeint sind die Berufsverbände - sei nach dem Selbstverständnis der Berufsangehörigen zwar nur die Anerkennung ihres besonderen Status'. Im pluralistischen Staat bedeute Verbandsanerkennung jedoch immer auch Verpflichtung auf den Staat und auf die ihn repräsentierenden Bürger. Die staatliche Anerkennung der beruflichen Selbstorganisation zeige darin ihren Doppelcharakter: Die interne Verbandsorganisation werde staatlich sanktioniert, extern hingegen der Zugriff auf die Verbandsangehörigen eröffnet. Dieser Zugriff stehe Nichtvertragspartnern aber nur offen, deren Erwartungen seien also nur dann von der fixierten Rolle gedeckt, wenn es sich um ein "offenes Berufsbild" handele, worunter Lammel versteht, daß es entweder "gesellschaftsbezogen ist im Sinne einer nicht ausschließlichen Bindung an den Vertragspartner oder ein offenes Angebot gemacht wird." 22 Dieses Erklärungsmodell einer "Berufshaftung" vermag nun allerdings wenig einzuleuchten. Erlegt man Angehörigen eines Berufsstandes die Verpflichtung auf, ihre Vertragspartner und Dritte aufzuklären, bürdet man ihnen eine Kostenlast auf. 23 Geht man andererseits davon aus, daß prinzipiell jeder gehalten ist, seine Interessen selbst zu wahren,24 bedarf es nicht nur überhaupt irgendeiner Begründung für die Auskunftspflicht und die sich daraus ergebende Haftung, sondern einer solchen Begründung, die anzugeben vermag, warum die eine und nicht die andere Seite für zuständig erachtet wird. Hier hilft es aber nicht weiter, die Rechte, die den Berufsangehörigen aus ihrer öffentlich-rechtlichen Organisation erwachsen, mit privatrechtlichen Pflichten gleichsam aufzurechnen. Die "Verbandsanerkennung" , auf die Lammel abstellt, dient zwar in der Tat einerseits dem Schutz der Berufsangehörigen, andererseits dem der Bürger. Letzteres tut sie aber schon durch ihren Inhalt, durch die Anforderungen, die das Standesund sonstige schon bestehende Berufsrecht an Ausbildung, Zulassung und Berufsausübung stellt. Sie enthält keine darüber hinausgehende, zusätzliche "Verpflichtungsermächtigung" - es wäre auch kaum vorstellbar, wie Verbandsrecht Dritte begünstigen sollte. Darüber vermag auch der ebenso wohlklingende wie richtige Satz nicht hinwegzutäuschen, daß "Verbandsanerkennung im pluralistischen Staat immer auch Verpflichtung auf den Staat und auf die ihn repräsentierenden Bürger" 25 bedeutet. In der Argumentation Lammeis taucht letztlich wieder der Gedan22 23
24
25
Lamme!, AcP 179 (1979),337, 361 f.; ders., NJW 1973,700. Siehe dazu schon einleitend § I, IV. 2. Näher unten § 12, I. Lammei, AcP 179 (1979), 337, 361.
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§ 11 Das Konzept einer Berufshaftung
ke von der Vertrauenshaftung als Korrelat,26 diesmal zu öffentlich-rechtlich gewährten Positionen, auf. Er vermag auch hier nicht zu tragen.
2. Die "Optimierung am Markt"
Einen anderen Weg geht Hopt.27 Er versucht, die Berufshaftung autonom aus den Anforderungen heraus zu erklären, die der Markt als "Systemreferenz"28 beruflichen Handeins stellt. Dabei ergibt sich weitgehende Übereinstimmung mit den im vorangegangenen Abschnitt vorgestellten Lösungen. Einer der Zwecke der Berufshaftung ist danach der Schutz des Nichtfachmanns im Umgang mit Berufsangehörigen dort, wo dieser seinen Schutz selbst rechtsgeschäftlich nicht bewerkstelligen kann. Hopt sieht darin auch einen Sozial schutz verwirklicht, doch meint er damit weder eine bloße individuelle Billigkeitskorrektur - wie sie der" Vertrauenshaftung" in der Ausprägung der neueren Rechtsprechung teilweise zueigen ist 29 - , noch geht es ihm um ein sozialökonomischklassentheoretisches Verständnis: Vielmehr soll die zumindest potentielle Waffengleichheit am Markt durch die Berufshaftung gesichert werden. 30 Das entspricht mit dem, was oben 31 ausführlich vorgestellt worden ist. Das Modell Hopts unterscheidet sich davon nur insofern, als es mit dem Kriterium der Berufstätigkeit das (vor allem bei der reinen "Vertrauenshaftung" schmerzlich vermißte) Tatbestandsmerkmal liefert. Aber Hopt führt noch weitere Aspekte an. So übernimmt er aus der ökonomischen Analyse des Rechts das Ziel der "Optimierung am Markt". 32 Hier taucht wieder der "cheapest cost avoider" auf, dessen Inanspruchnahme die Transaktionskosten senkt. Die Fehleinschätzung beruflicher Leistungen verursache sowohl für den einzelnen als auch summiert für die Allgemeinheit Kosten, weil das eingesetzte Kapital infolge der Fehleinschätzung nicht optimal alloziert werde und die nachträgliche Korrektur der Ressourcenverteilung über Anfechtung, Gewährleistung und Schadensersatz unproduktiv sei. Auch dies entspricht dem, was bereits oben - ohne den Aspekt des Berufes - diskutiert worden ist. Hopt fügt jedoch dem Gedanken der Schadensprävention noch den der Schadensverteilung hinzu. 33 Einerseits durch Berufshaftpflichtversicherung, anderer26 Dazu schon oben § 8, I.
27 mit seinen drei Kriterien sehr ähnlich, aber nur knapp angedeutet Joerges, in: AKBGB, vor §§ 662 ff., Rn. 25 a. E. 28 Ausdruck bei Köndgen, Selbstbindung, 271. 29 Vgl. etwa BGR NJW 1974,849,851; zu dieser Entscheidung schon oben § 9,11. 2. 30 Hopt, AcP 183 (1983),608,648,650 ff. 31 § 10, 1., insbes. 3. 32 aaO., 652 ff. 33 aaO., 654; zweifelnd v. Bar, RabelsZ 44 (1980), 455, 479 ff.
III. Der Nutzen des Kriteriums "Beruf'
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seits durch Kostenüberwälzung mittels Preisgestaltung sollen die Lasten aus der Berufshaftung relativiert werden. Hierauf wird noch einzugehen sein. 34 Auch diese Argumente sind jedoch nicht berufsspezifisch, sondern allgemeine Topoi des Haftungsrechts, denen mit dem Aspekt der Berufstätigkeit ein die Anwendbarkeit begrenzendes Merkmal beigeordnet wird. Insofern tragen die Konzepte einer "Berufshaftung" zur hier gegebenen Fragestellung nach der Legitimation des Vertrauensschutzes bei Erklärungen originär nichts bei. 3. Die Förderung des Berufsstandes Es wird jedoch auch von Hopt noch ein berufsspezifischer Gesichtspunkt ins Feld geführt. Die Rechtsordnung wolle mit der Berufshaftung den Berufsstand selbst fördern. Dadurch, daß aufgrund von Rechtsnormen die Berufsrolle verfestigt, schwarze Schafe ausgeschieden und Berufsstandards berechenbar würden, gewinne auch die Profession selbst, was sich unter anderem darin zeige, daß bestimmte rechtliche Maßnahmen von Berufsverbänden zum Teil nicht nur begrüßt, sondern sogar gefördert würden. 35 Mit der "Berufshaftung" würde in der Tat erreicht, daß die Qualität der Berufsangehörigen und ihrer Arbeit langfristig gesichert wird oder gar ansteigt. Wenn man auch hier wieder den Sinn auch im Schutz des Verkehrs mit Berufsangehörigen sehen könnte, so liegt darin wohl dennoch ein eigenständiges Schutzgut. Denn die Durchsetzung eines Berufsstandes mit den von Hopt zitierten "schwarzen Schafen" behindert dessen Leistungsfähigkeit in seiner Gesamtheit und verursacht auch den übrigen Berufsangehörigen Kosten und Mühen. Damit hat die Lehre von der Berufshaftung das Arsenal an Ansätzen zur Begründung der Erklärungshaftung doch noch um einen durchaus brauchbaren ergänzt. IH. Der Nutzen des Kriteriums "Beruf" Sieht man einmal von dem hier für nicht überzeugend erachteten Versuch ab, die Berufshaftung mit Hilfe der Berufszugang und -inhalt regelnden Normen zu legitimieren, ist festzustellen, daß sie sich überwiegend 36 auf Wertungen stützt, die auch schon in allgemeiner, nicht an den Typusbegriff "Beruf' gekoppelter Form tauglich sind und so auch in der Diskussion erscheinen. Insofern ist "Berufshaftung" im eigentlichen Sinne kein Ansatz, der die Vertrauenshaftung legitimieren will, sondern einer, der ihren Anwendungsbereich zu beschreiben versucht. 37 Unten § 12, 11. Hopt, AcP 183 (1983), 608, 649. 36 Ausnahme: die Förderung des Berufsstandes (soeben II. 3.). 37 Ähnlich Canaris, FS Larenz 1983,27, 83: Die Wahmehmung beruflicher Funktionen könne zwar den Inhalt von Rechtspflichten beeinflussen, stelle aber de lege lata keinen eigenständigen Grund für eine Haftung dar. 34 35
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§ 11 Das Konzept einer Berufshaftung
Dies ist ein sinnvolles Unterfangen, das sich mit dem dieser Arbeit zugrunde liegenden Ausgangspunkt jedenfalls dann deckt, wenn man das Konzept der Berufshaftung nicht auf eine kritiklose Übernahme der Ergebnisse der Rechtsprechung stützt, sondern auf rational begründbare Wertungen - wie es beispielsweise Hopt tut. 38 Dann stellt sich die Frage, ob mit dem "Beruf' eine sinnvolle Beschreibung der Fälle, auf welche diese Wertungen zutreffen, gelungen ist. Daran bestehen Zweifel. Zum einen ist der Begriff unter Umständen zu eng. Ein relevanter Informationsvorsprung, der im Dienste der Funktionsfähigkeit des Rechtsverkehrs preiszugeben ist, kann auch der eines nicht eindeutig "Berufstätigen" sein. 39 Selbst wenn solche Fälle in der Praxis nicht häufig auftreten mögen, erscheint es wenig einleuchtend, ein Kriterium zum tatbestandlichen Anknüpfungspunkt zu erheben, welches mit dem "inneren Grund" der Haftung nur mittelbar zu tun hat. Dieser "innere Grund" nach dem in § 10 vorgestellten und ja auch von Hopt 40 akzeptiertem Konzept ist aber nicht der Beruf, sondern der unter bestimmten (noch im einzelnen zu klärenden) Umständen bestehende Informationsvorsprung des Schädigers. 41 Zum anderen erscheint "Beruf' wenig geeignet, um als systematisch klassifizierbarer Rechtsbegriff zu fungieren. Eher dürfte es sich um eine Art Gegenbegriff zum "Verbraucher" handeln. 42 Ebenso wie dort 43 lassen die Erfahrungen mit dem Kaufmannsbegriff des Handelsrechts ein derartiges, subjektives, nach alter Sitte an den "Stand" anknüpfendes System wenig sympathisch erscheinen. 44 Einleuchtender ist es, die haftungsrechtlich relevante Besonderheit der Beziehung zwischen Schädiger und Geschädigtem zu entnehmen. Aufgezeigt zu haben, daß der Beruf der einen Partei für die Definition einer solchen haftungsbegründenden Beziehung eine ganz wesentliche Rolle spielt, ist allerdings das Verdienst der Lehre von der Berufshaftung. Von Bar fügt der Diskussion um die Berufshaftung noch einen anderen Gedanken hinzu. Er qualifiziert die Entwicklung der Haftung von Berufsangehörigen im Tatsächlichen - also unabhängig von der Annahme einer berufsbezogenen Sonderhaftung - gewissermaßen als "Demokratisierung der Berufshaftung" . 45 Die Beschränkung der Haftung von Berufsangehörigen für fahrlässige Vermögensbeschädigungen, wie sie im Bürgerlichen Gesetzbuch angelegt ist und am Anfang des Jahrhunderts auch akzeptiert war, bedeutete seiner Ansicht nach Oben 11. 2. Canaris, FS Larenz 1983,27, 84 mit Beispielen. 40 AcP 183 (1983),608 ff. 41 So auch Bydlinski in der Diskussion über das zitierte Referat von Hopt (berichtet von Schiemann, AcP 183 [1983], 721). 42 Joerges, ebenda (siehe vors\ehende Fußnote). 43 Oben § 10, I. 4. 44 Lieb, AcP 183 (1983),327,353 ff., 357, 361. 45 v. Bar, RabelsZ 44 (1980), 455, 477 ff. 38
39
III. Der Nutzen des Kriteriums "Beruf'
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einen besonderen Schutz für solche Berufe, deren Aufgabe es war, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen. Dieser Schutz wurde abgebaut, als der ,,Nimbus des Höheren, der sie umgab, in einer demokratischen Gesellschaftsform seinen Glanz verlor."46 Folgt man einer solchen Beurteilung der Entwicklung als in Richtung auf einen Abbau der Sonderstellung qualifizierter Berufe gehend einmal, spricht dieser Gedanke nun zusätzlich gegen eine Sonderung der Berufshaftung. Das Ziel der Gleichbehandlung mit anderen Schädigem fremder Vermögensrechte läßt eine eigene "Berufshaftung" wenig einleuchtend erscheinen. 47
46 aaO., 479.
47 So auch v. Bar, aaO., 479 (der aber an anderer Stelle [Verkehrspflichten, 233 ff.] die Kategorie "deliktsrechtlicher Berufspflichten zum Schutze fremden Vermögens" kennt, der Haftung Berufstätiger als solcher also durchaus zustimmt).
Vierter Teil
Erklärungspflichten als Verkehrspflichten zum Schutze des Rechtsverkehrs § 12 Grundelemente der Rechtfertigung neuer Erklärungspflichten Aus den in den voranstehenden Abschnitten aufgezeigten Aspekten kann nun das zumindest grob skizzierte Konzept einer Begründung der "Vertrauenshaftung" abgeleitet werden. Drei Eckpfeiler dieses Konzeptes sind zu nennen: Der Grundsatz, daß jeder seine Interessen selbst wahrzunehmen hat, sofern nicht ein anderes ausdrücklich und schlüssig begründbar ist; die Tatsache, daß die Kostenverteilung im konkreten Fall (also etwa die Frage, ob das zur Einstandspflicht führende Verhalten entgeltlich erfolgte oder nicht) für die Pflichtenbegründung grundsätzlich unerheblich ist; und zum Dritten der Umstand, daß sich die Begründung außervertraglicher Verhaltenspflichten allein aus dem Schutzbedürfnis des allgemeinen Rechtsverkehrs ableiten läßt. An jener Stelle hat dann auch das Vertrauen seinen Platz.
I. Der Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit im Rechtsverkehr Bereits einleitend war zum Charakter des Vermögensschutzes durch die Aufstellung von Verhaltensgeboten ausgeführt worden, daß dieser zur Intensivierung der Bindung zwischen den Individuen auf Kosten des Entfaltungsspielraumes des einzelnen führt. 1 Diese Tendenzen verdeutlichen sich noch weiter, wenn man den Aspekt des Vertrauens - gleich, ob als pflichtenbegründendes Merkmal oder nur als Schutzziel - mit in die Betrachtung einbezieht. Wird dem einen Teil einer wie auch immer gearteten rechtlich relevanten Beziehung auferlegt, für die Richtigkeit der Vorstellung des anderen von Rechts wegen einzustehen, dann wird dem anderen Teil damit zugleich ein Teil des generellen Risikos, einer Fehleinschätzung zu unterliegen, abgenommen. Dieses entspricht der Zeitströmung. Das Denken in Vertrauensschutzgesichtspunkten ist, wie v. Bar bemerkt hat, Ausfluß eines die Wohlfahrtsgesellschaft lOben § 2, 11. 3.
I. Der Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit im Rechtsverkehr
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kennzeichnenden Statusdenkens. 2 Der Stand dessen, was man erreicht zu haben glaubt, soll um beinahe jeden Preis gehalten werden. Dazu gehört mittlerweile auch und gerade das Vermögen. Daß sich dieses vermindern kann, weil man im Rechtsverkehr "Pech gehabt" hat, weil man sich auf die Richtigkeit einer Information verlassen hat, die sich dann schließlich als falsch herausstellt, ist dem Gedankengut der heutigen Zeit weitestgehend entwichen. Der Sozialstaat schützt den einzelnen vor Gefahren; so mag er auch zumindest die finanziellen Gefahren abwenden, die daraus entstehen, daß man dann und wann anderen Glauben schenken muß.3 Die allgemeine Bereitschaft zum Risiko ist abgelöst worden durch die Suche nach einem Verantwortlichen oder noch mehr durch Überwälzung auf ein privates oder öffentliches Kollektiv. 4 Es entwickelt sich die Mentalität der "Vollkaskogesellschaft"5: Eigene Interessen werden auf Kosten des Ganzen abgesichert und durchgesetzt. Denn auf der anderen Seite ist es nach wie vor selbstverständlich, daß gegebenenfalls entstandene Gewinne uneingeschränkt mitgenommen werden dürfen. Bringt das Objekt der Geldanlage hohe, sich in zweistelligen Prozentzahlen ausdrückende Renditen, ist das Ziel erreicht. Verbargen sich dahinter aber Risiken, deren Höhe mit der Höhe der Rentabilität korrelierte (das stellt im übrigen den Normalfall auf dem Kapitalmarkt dar), geht es denen an den Kragen, die über die Risiken nicht aufgeklärt hatten. "Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren" (auf dem Wege über die Haftpflichtversicherungen 6) heißt es in anderem Zusammenhang. All dieses ist ganz bewußt etwas überzeichnet worden. Weder wird hier dem schrankenlosen Individualismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts das Wort geredet noch dafür plädiert, in allen eingangs beschriebenen Fällen 7 auf eine Haftung des Schädigers geradewegs zu verzichten. Es geht vielmehr darum aufzuzeigen, daß eine Vermutung dafür besteht, daß jedermann das Risiko für zu Unrecht gefaßtes Vertrauen grundsätzlich selbst zu tragen hat. Das Recht kann keine Garantie der Person oder des Vermögens schlechthin geben. 8 Dem hat so allgemein in der einschlägigen Literatur noch niemand widersprochen. Der Grundsatz entspricht letztlich dem alten casum sentit dominus. 9 Es soll nicht 2 v. Bar, RabelsZ 44 (1980), 455, 481. 3 Zur verfehlten Einbeziehung des Sozialstaatsprinzips in diesen Zusammenhang siehe oben § 9, I. 4 Leser, AcP 183 (1983), 568, 569. 5 Bundespräsident Richard von Weizsäcker in seiner Rede zum 40. Jahrestag der Gründung der Bundesrepublik Deutschland, zitiert nach: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26. 5. 1989, S. 13. 6 Dazu noch unten II. 7 Oben § 1, 11. 8 Deutsch, Haftungsrecht I, 3 f.; Schwitanski, Deliktsrecht, 93. 9 Ähnlich für den Bereich der Produzentenhaftung nach Vertrauensgrundsätzen (oben § 1, III. 2.) Dunz, JZ 1968, 54, 56, der daran erinnert, daß selbst bei der Arzthaftung der Umstand zu berücksichtigen ist, daß das mit der Therapie verbundene Risiko seine
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§ 12 Grundelemente der Rechtfertigung neuer Erklärungspflichten
behauptet werden, daß dieser Grundsatz - als Gegensatz zum ,,neminem-Iaedere"-Gebot - der Regeltatbestand des Deliktsrechts sei 10 (zumal mit "casus" nur der zufällige Untergang gemeint ist). Der Gedanke muß aber zum Tragen kommen, wenn es um die Wahrheit von Erklärungen anderer geht. Dieses jedoch ist sehr oft nicht der Fall; etwa dann, wenn ein diffuses Vertrauens-, Gemeinschaftsoder Rücksichtnahrneverhältnis zwischen den Rechtsgenossen allgemein oder auch nur zwischen Gläubiger und Schuldner angenommen wird. 11 Das läuft im Ergebnis darauf hinaus, eine Vermutung für jedermanns Pflicht zu begründen, die Interessen des anderen zu schützen. Larenz verlangt wörtlich, die "berechtigten Belange des anderen" zu beachten. 12 In welchem Verhältnis dazu die eigenen Belange stehen, sagt er nicht. Es gibt keine allgemeine Verpflichtung, fremde Vermögensinteressen zu wahren. 13 Eine Vermutung gegen eine Pflicht, dem anderen ein Risiko abzunehmen, widerspricht auch nicht der Wertordnung des Grundgesetzes, die, wenn man sie einmal in das Privatrecht transformieren will, das Bundesverfassungsgericht so versteht, daß sie "die Spannung Individuum - Gesellschaft im Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und -gebundenheit der Person entschieden hat, ohne dabei deren Eigenwert in Frage zu stellen." 14 Denn daß damit kein prinzipieller Vorrang der Gemeinschaftsgebundenheit gemeint sein kann, folgt schon aus der überragenden Bedeutung der Grundrechte, die als Individualrechte ausgestaltet sind. Freiheit ist die Regel. Bindung die Ausnahme im Grundgesetz wie ganz allgemein im Gedankengut des liberalen Rechtsstaates. Die undifferenzierte Verlagerung von Risiken auf den vermeintlich Stärkeren oder auch nur den, der "näher dran" ist, führt auch zu immer weiterer Abschwächung marktwirtschaftlicher Strukturen im Recht. 15 Marktwirtschaft bedeutet nicht nur, daß jeder Marktteilnehmer seine individuellen Interessen wahrnehmen darf. Sie beinhaltet auch, daß er es in gewissem Umfange tun muß, will sie als Steuerungselement für die Güterströme tauglich bleiben. Marktwirtschaft verlangt insofern ein Quantum an individualistischem Geist. Dem hat auch das Recht Rechnung zu tragen, zumindest dort, wo es um Erfolg oder Mißerfolg im Geschäftsleben geht. Der ökonomische Blickwinkel vermag also nicht nur bei der Begründung von Verhaltenspflichten zu helfen. 16 Er hilft auch sich klarzumachen, daß in diesem Zusammenhang Freiheit die Regel und Verantwortung die Ausnahme ist. Auch wenn Formulierungen wie der Hinweis auf den "untrennbaren Wurzel nicht primär im Tun des Arztes, sondern in der besondere Maßnahmen erfordernden Gesundheitsstörung des Patienten hat. 10 Dagegen überzeugend Schwitanski, Deliktsrecht, 94 f. 11 Oben § 4, I. 12 Larenz, Schuldrecht AT, 9. 13 K. Huber, FS v. Caemmerer, 359, 385. 14 BVerfGE 4, 7, 15; 8,274,329; siehe schon oben § 9, I. 1. a). 15 v. Bar, RabelsZ 44 (1980), 455, 481 f. 16 Vgl. zu den allgemeinen Aspekten dieses Vorgehens oben § 10, I. 2. b).
II. Der Gesichtspunkt der Sozialisierbarkeit des Risikos
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Zusammenhang von Freiheit und Verantwortung" schöner klingen, weil von vornherein auf "sozialen Ausgleich" angelegt, sind sie doch nicht überall angebracht. Insofern ist an die oben zu den "Korrelats-Theorien" gemachten Ausführungen zu erinnern. 17 Ein letzter Grund, warum ohne einen Vorrang der Eigenverantwortlichkeit nicht auszukommen ist, liegt darin, daß anderenfalls das mögliche Anwendungsgebiet des "Vertrauensschutzes" und daraus resultierender Verhaltenspflichten nicht eingegrenzt werden kann. Zum Abschluß der Kritik an der vertrauenstheoretischen Pflichtbegründung war auf die Probleme hingewiesen worden, die daraus für die Rechtssicherheit entstanden sind. 18 Solche Rechtssicherheit ist nur (wieder) herzustellen, wenn jede Verantwortlichkeit für die Interessen anderer präzise begründet wird. Damit die Rechtsfortbildung zu einer solchen Begründung verpflichtet wird, hat die Pflicht als Ausnahme zu gelten und die Eigenverantwortung als Regel. Verschiedene Vorschläge, wie eine solche Begründung aussehen könnte, sind im Zuge dieser Arbeit diskutiert worden. Überzeugen können, das hat sich aus der oben vorgenommenen Kritik an den einzelnen Konzepten schon ergeben, von allen nur die, die ein überindividuelles Rechtsgut schützen wollen. Zuvor ist noch auf ein generelles Problem des Haftungsrechts einzugehen.
11. Der Gesichtspunkt der Sozialisierbarkeit des Risikos Sehr oft wird als ein Grund, um von dem soeben dargestellten Prinzip abzuweichen, die für den Schädiger bestehende Möglichkeit genannt, sich gegen Haftungsverpflichtungen zu versichern. Gerade zur Produzentenhaftung 19 und zur hier relevanten Berufshaftung 20 aber auch im Zusammenhang mit Haftpflichtversicherungen im Allgemeinen 21 ergehen Stimmen, die darin einen selbständigen Motor zur Schaffung von Schadensersatzansprüchen sehen wollen. Es soll derjenige belastet werden, der mit dem geringeren Aufwand Vorsorge treiben kann, der die Belastung am leichtesten auf viele Schultern verteilen kann, sei es über den Preis am Markt auf eine Vielzahl von Kunden 22 oder über die Haftpflichtversicherung,23 sei es erst über letztere, um dann noch die Belastung durch die Prämien an die Kunden weiterzugeben. 24 Oben § 8, I. 1. und 3. b). Oben § 6, V. 19 Diederichsen, Warenhersteller, 281 ff. 20 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 654. 21 Schiemann, JuS 1989,345, 350; Baumann, FS R. Schmidt, 717, 735 f.; Mertens, VersR 1980, 397, 402 und in MÜDchKomm, Vor §§ 823-853, Rn. 49; generell zur ,,horizontalen Verteilung von Schadenszuständigkeiten" Steffen, VersR 1980,409,412. 22 Dazu noch unten IV. 3. 23 Großfeld, VersWirtsch 1974,693,696. 24 Diederichsen, Warenhersteller, 282. 17 18
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§ 12 Grundelemente der Rechtfertigung neuer Erklärungspflichten
Gerade die Rechtsprechung geht so allerdings mehr unterschwellig vor, ohne die Berücksichtigung der Haftpflichtversicherung bei der Urteilsfindung deutlich auszusprechen. 25 Grund dafür ist, daß in abstracto das sogenannte Trennungsprinzip noch immer als gültig anerkannt wird: Die Entstehung eines Schadensersatzanspruches gegen den Versicherten geht dem Eintreten der Versicherung logisch voraus; eine direkte Beziehung zwischen Geschädigtem und Versicherer fehlt. 26 Dem wird entgegengehalten, daß im Sinne einer "Makro-Jurisprudenz"27 der Blick vom individuellen Versicherungs- und Schädigungsverhältnis gelöst und auf die Institution der Haftpflichtversicherung gerichtet werden soll. 28 Was dann bleibt, "sind Fragen der Wertung."29 Die überindividuelle Betrachtung ist in der Tat sinnvoll, geschieht allerdings zwangsläufig, wenn die komplizierten Strukturen des Haftungsrechts nur noch dazu dienen, den Ausgleich zwischen Sozialoder Privatversicherungsträgern enormer Größe vorzunehmen. 30 Zwar ist es richtig, daß diese teilweise so strukturiert sind, daß letztlich die Mitglieder der streitenden Risikogemeinschaften teilweise identisch sind; etwa dann, wenn es sich einerseits um Sozialversicherungsträger handelt, deren Beiträge auf die Allgemeinheit insgesamt umgelegt werden, andererseits um Privathaftpflichtversicherer, die untereinander Prämienausgleichungen vornehmen. 31 So liegt es aber nicht immer. In unseren Fällen der "Vertrauenshaftung" ist das Risiko durch den Vertrauenden in der Regel gerade nicht versicherbar. Der Zuweisung des Haftungsrisikos auf die eine oder die andere Seite kommt daher unmittelbar praktische Bedeutung zu. Welche der heiden Seiten für ein Risiko einzustehen hat, muß aber unabhängig von der Frage der Versicherbarkeit des Risikos geklärt werden. 32 Die Abgrenzung der Rechtssphären und die Zuweisung von Einstandspflichten ist das eine, die nachfolgende Schadensverteilung das andere. Nun geschieht die Autbürdung von Risiken auf die versicherte Seite gerade deswegen, damit Risiken verteilt, sozialisiert werden können. Der Gesichtspunkt der Schadensstreuung ist zu einem der wesentlichen Zwecke des Haftungsrechts auch auf dem Gebiet reiner Vermögens schäden geworden. 33 Darüber gerät in Vergessenheit, daß "Schadensverhütung wichtiger ist als Schadensvergütung" . 34 Denn Schadensersatzpflichten haben auch und teilweise in erster Linie die Funk25 26 27 28 29 30 31 32 33 34
Baumann, FS R. Schmidt, 717, 736; Großfeld, VersWirtsch 1974,793,796. Sieg, Ausstrahlungen, 85. Großfeld, Gestaitungsaufgabe, 84. Baumann, aaO., 735. aaO., 736. Kötz, Sozialer Wandel, 29 f. Kötz, aaO., 31 ff. (Nachweise 46 f.). Tendenziell ebenso E. Schmidt, JA 1978,597,602. v. Bar, RabelsZ 44 (1980), 455, 481. Großfeld, Gesta!tungsaufgabe, 23.
11. Der Gesichtspunkt der Sozialisierbarkeit des Risikos
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tion der Prävention : Sie sollen zu Schadensverhütung animieren. Die Aufgabe der Schadensverhütung obliegt nun jedoch in erster Linie jedem einzelnen selbst und nicht dem jeweils anderen. 35 Soll der einzelne durch das Schadensrecht zur Schadensverhütung angehalten werden, setzt das voraus, daß Haftungsfolgen zumindest in gewissem Umfange überhaupt noch von ihm selbst zu tragen sind. Werden die Belastungen aus jeder Rechts- oder Pflichtverletzung immer gleich auf die Allgemeinheit abgewälzt, geht hingegen jeder Anreiz verloren, sich pflichtgemäß zu verhalten. Gerade die "Vertrauenshaftung" will ja nicht in erster Linie Vermögensausgleich bewirken, sondern Verhaltenssteuerung. Das kann sie desto weniger, je mehr sie selbst sich in kollektive Risikoentlastungssysteme einfügt. Zieht man die Haftpflichtversicherung zur Begründung von Haftpflichten heran, führt das auch mittelbar, aber auf Dauer unvermeidlich zur Verschärfung der Haftung. Das widerspricht nicht nur der oben I. befürworteten Tendenz. Es kann auch im Einzelfall oder in ganzen Bereichen unerträgliche Ergebnisse bewirken, nämlich dort, wo ausnahmsweise keine Haftpflichtversicherung besteht. 36 Nach allem hat die Möglichkeit für den Schädiger, sich für den Fall einer Einstandspflicht zu versichern, keinen Einfluß auf die Begründung dieser Einstandspflicht und die ihr vorausgehende Verteilung der Risiken. Das bedeutet nun jedoch nicht, daß sie überhaupt nicht zu berücksichtigen wäre. Es kann ein Argument für die Begrenzung der Haftung sein, wenn ein potentieller Schädiger sich zu zumutbaren Bedingungen nicht versichern kann. 37 Daß diese Möglichkeit durchaus real ist, zeigen neuere Auswüchse des US-amerikanischen Haftungsrechts. Als Voraussetzung wird man aber wohl stets fordern müssen, daß bei einem potentiell Verpflichteten möglicherweise erhebliche Haftungsrisiken kumuliert eintreten und zu einer Existenzbedrohung 38 führen. Der Unterschied zu den soeben kritisierten Ansichten liegt darin, daß hier nicht in der Versicherbarkeit ein materiales Kriterium für die Schadenszuweisung gesehen wird, sondern daß das Fehlen der Möglichkeit, sich zu versichern, in eng begrenzten Ausnahmefällen im Wege einer Negativkontrolle zur Korrektur des material angemessenen Ergebnisses führen kann. Daß man sich (vielleicht) gegen den durch unrichtige Auskünfte, Anlageprospekte oder Dienstzeugnisse entstehenden Schaden nicht versichern kann oder dies unüblich ist, bedeutet - abgesehen davon, daß es sich nicht um Haftungsrisiken, sondern um das normale Risiko handelt, Verluste am eigenen Vermögen Großfeld, aaO., 23. Großfeld, aaO., 26. Die Befürchtung bestätigt sich etwa bei Baumann (FS R. Schmidt, 717, 736), der die Versicherbarkeit als Institution für die Haftungsbegründung berücksichtigen will, so daß er dann "ausnahmsweise fehlenden Versicherungsschutz als Ausnahme behandeln" muß. 37 In diese Richtung gehend MünchKomm-Mertens, Vor §§ 823-853, Rn. 71, der den Gedanken aus dem Sozialstaatsprinzip ableitet. 38 Dazu Mertens, aaO. 35
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§ 12 Grundelemente der Rechtfertigung neuer Erklärungspflichten
hinnehmen zu müssen - sicherlich keine unzumutbare und existenzgefährdende Kumulation von Risiken.
IH. Die Begründung für neue Erklärungsspflichten: Der Schutz von Rechtsverkehr und Markt Die an eine vertragliche Sonderbeziehung angelehnten Lösungsmodelle konnten sowohl nach ihren jeweiligen Inhalten als auch wegen der Tatsache nicht befriedigen, daß sie den Vertrag in unzulässiger Weise als Vehikel zur Stützung von Verhaltenspflichten überdehnten. 39 Der Ausgleich eines Machtgefälles wiederum ist zwar in der Tat Bestandteil der Begründung neuer Verhaltenspflichten. Weder das Sozialstaatsprinzip noch ein ganz allgemein gehaltenes Modell des Machtausgleiches sind jedoch für sich genommen in der Lage, Verhaltenspflichten zu begründen. 40 Solche Pflichten sind zu schaffen, um - neben dem Vermögen des konkret Geschädigten - überindividuelle Rechtsgüter zu schützen. Bei diesen Rechtsgütern handelt es sich im Kern um den Schutz des Rechtsverkehrs. Der Schutz des Rechtsverkehrs ist die Institution, wie sie Raiser meint, wenn er dem Schutz subjektiver Rechte den Schutz objektiver Elemente der Rechtsordnung zur Seite stellen will. 41 Das Modell des Verkehrsschutzes mit seinen verschiedenen Ausprägungen ist in § 10 ausführlich beschrieben worden. Auf ähnlichen Grundlagen beruhen die Konzepte einer "Berufshaftung". 42 Es ist dargestellt worden, daß, vom Nebenzweck der Verbesserung der Qualität der Leistung des Berufsstandes abgesehen, das Merkmal der "Berufstätigkeit" ein tatbestandsumschreibendes Merkmal ist, das die relevanten Fälle in der Regel, aber nicht notwendig immer erfaßt und deswegen nicht als alleiniger Anknüpfungspunkt für das gesamte System der außervertraglichen Sonderhaftung geeignet erscheint. 43 1. Die Behinderung des Rechtsverkehrs durch Angst und Vorsicht
Zahlreiche Stimmen in der Literatur sehen den Zweck des Vertrauensschutzes darin, den Rechtsverkehr vor einer Behinderung durch Mißtrauen und ängstliche Vorsicht zu schützen. 44 Das leuchtet auf den ersten Blick ein; würde jeder alles selbst überprüfen müssen, worauf er sich verlassen möchte, wäre ein zügiger und leistungsfähiger Rechtsverkehr kaum mehr möglich. Diese Formulierung 39 40
41 42 43 44
Oben § 8. Oben § 9. Siehe oben § 2, H. 2. Jedenfalls in der Variante von Hopt, AcP 183 (1983),608 ff. Oben § 11, III. Oben § 10, I. 1.
III. Die Begründung für neue Erklärungspflichten
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lenkt somit zwar den Blick von der bloßen Beschwörung des Vertrauens ab und auf einen möglicherweise dahinter stehenden Wert. Jedoch ist andererseits Canaris 45 zuzugeben, daß "ängstliche Vorsicht und Mißtrauen" 46 in der Tat nur Gegenbegriffe zu "Vertrauen" sind. Insofern kommt es darauf an, festzustellen, ob und wo der Rechtsverkehr die Aufstellung von Verhaltenspflichten zu diesem Zwecke wirklich erfordert. Anderenfalls läge nur eine Scheinbegründung vor, die vom wenig einleuchtenden Vertrauensschutzargument auf die wohlfeile Ebene des "Verkehrsschutzes" übergewechselt ist, ohne in der Sache etwas zu ändern. Wenn das tatsächlich vorliegende oder auch nur erwünschte Vertrauen auf Richtigkeit und Vollständigkeit rechtlich nicht geschützt wird, kann daraus zweierlei, völlig Verschiedenes folgen. Zum einen mag sich der auf die Information Angewiesene bemüßigt fühlen, diese durch eigene Tätigkeit - und mit womöglich sehr viel höherem Aufwand - zu überprüfen; gelingt das nicht, wird er vom ins Auge gefaßten Geschäft wahrscheinlich vorsichtshalber Abstand nehmen. Das würde unserem Schutzgut "Rechtsverkehr" in der Tat wenig dienlich sein und ist genau das, was von den erwähnten Stimmen für den Fall befürchtet wird, daß es keine "Vertrauenshaftung" gibt. Es ist aber auch eine andere Folge denkbar, und sie ist erwünscht: Nämlich die, daß der Ausfall des "Vertrauensschutzes" nichts anderes bewirkt als eine Verlagerung des Risikos auf den Empfänger der Information, dabei dessen Verhalten aber überhaupt nicht beeinflußt und damit auch nicht den Rechtsverkehr. In diesen Fällen trägt die am Verkehrsschutz orientierte Begründung nämlich nicht. Es ist daher zu überlegen, welches die Fälle sind, in denen zusätzliche Verhaltenspflichten erforderlich sind, um die Funktionsfähigkeit des Rechtsverkehrs zu gewährleisten. Es sind dies die Fälle, in denen sich der "Vertrauende", der Geschützte, in der - was Informationen betrifft - generell schwächeren Situation befindet. Nur dann ist der Markt nicht in der Lage, die Transaktionskosten dem "cheapest cost avoider" zuzuweisen; 47 nur dann würde der "Mißtrauende" anderenfalls den Markt verlassen, keine Rechtsgeschäfte mehr tätigen oder unwirtschaftliche, den Verkehr behindernde Vorsichtsmaßnahmen zu treffen suchen. Vertraut jemand hingegen in einer Situation, in der seine Unwissenheit ein individuelles Problem ist, oder gar dann, wenn es eigentlich genauso gut seine Sache wäre, sich um die fragliche Tatsache zu kümmern, dann wird er eine fehlende rechtliche Sanktionierung als "gerecht" empfinden und einsehen, daß sich hier sein eigenes Risiko verwirklicht hat. Anders formuliert: Der generell ausreichend Informierte hat auch dann keinen Anlaß zu "Mißtrauen und ängstlicher Vorsicht", wenn er im Einzelfall die Richtigkeit einer Erklärung nicht überprüfen kann. 45 46 47
Vertrauenshaftung, 442, Fn. 16. So die Formulierung von Frotz, GS Gschnitzer, 163, 174. Posner, Economic Analysis, 81.
II Loges
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§ 12 Grundelemente der Rechtfertigung neuer Erklärungspflichten
Mit einem Satz läßt sich festhalten: Liegt ein kollektives Informationsungleichgewicht vor, wirkt der Erwartungsschutz durch Verhaltenspflichten zugleich auch für den Rechtsverkehr fördernd. Liegt ein solches Ungleichgewicht nicht vor, bewirken derartige Pflichten nur eine Risikoabwälzung. Für diese ist kein einleuchtender Grund ersichtlich. 2. Die Sicherung des Gleichgewichtes am Markt
Damit ist vollständige Übereinstimmung hergestellt mit dem zweiten überindividuell orientierten Vorschlag, den zumeist mit Hilfe der ökonomischen Analyse des Rechts begründeten Bestrebungen, informationsbezogene Verhaltenspflichten mit ihrer wettbewerbsschützenden Funktion zu begründen. 48 Diese Übereinstimmung verwundert nicht: Was in der "rein juristischen" Terminologie der Rechtsverkehr ist, ist bei Einbeziehung auch ökonomischer Bestimmungsgrößen der Markt. Es ist dargelegt worden, daß die Gefahren einer Ausrichtung des Privatrechts an einem bestimmten, der Rechtsordnung nicht immanenten Ziel durchaus gesehen werden; daß aber andererseits dem Zivilrecht auch eine Gestaltungsaufgabe 49 obliegt. Hierzu gehört die Mitgestaltung einer freiheitlichen, den Bedingungen des Wettbewerbs unterliegenden Wirtschaftsordnung. Da sich die Vorgänge am Markt mit Hilfe der Instrumente des Privatrechts vollziehen, kann dieses seinen Einfluß auf jene Vorgänge nicht einfach ignorieren. Sehr wichtig ist noch festzuhalten, daß mit dem Begriff des "Gleichgewichtes" zum einen, wie schon mehrfach dargelegt, kein Gleichgewicht im einzelnen Geschäft gemeint ist, zum anderen aber auch bei typisierender Betrachtung keineswegs immer die beiden gegenüberliegenden Seiten eines Geschäftes den Verpflichteten und den Geschützten abgeben. Genauso können einem "Dritten" in diesem System Erklärungspflichten erwachsen. 50 IV. Die einzelnen Bestimmungsgrößen für die Erklärungspflichten Nachfolgend werden die Parameter aufgeführt, die im einzelnen vorliegen müssen, damit sich Verhaltenspflichten in das rechtsverkehrs- bzw. marktorientierte Modell einfügen. Die meisten davon sind an anderer Stelle und in anderem Argumentationszusammenhang schon zuvor aufgetaucht.
48
49 50
Oben § 10, 1. 2. im Sinne Großfelds. Dazu noch unten IV. 3.
IV. Die einzelnen Bestimmungsgrößen für die Erklärungspflichten
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1. Kollektive Machtungleichgewichte
Schon im Zusammenhang mit dem Fragenkreis der Vertrags parität 51 war darauf hingewiesen worden, daß Machtungleichgewichte immer kollektive sein, also eine Gruppe von Individuen in einer typischefWeise schwächeren Lage betreffen müssen. Ein unterschiedlicher Grad an Informiertheit im Einzelfall ist nicht nur zu dulden, sondern geradezu der Normalfall in der marktwirtschaftlichen Ordnung. Deren Integrationsfähigkeit wird erst dann berührt, wenn bei der Betrachtung von Aggregaten ungleiche Machtlagen auftreten. 52 Tatsächlich führt das dazu, daß das Haftungsrisiko in der Regel ein einseitiges ist; nur derjenige, dem ein wettbewerbsrelevanter Wissensvorsprung zusteht, wird zur Aufklärung verpflichtet. Darin liegt jedoch keine Inkonsequenz vergleichbar der des Versuches, die Vertrauenshaftung in den Dienst des Schwächeren zu stellen. 53 Denn anders als dort sind hier von vornherein schon Tatbestände zu formulieren, die nur eine Seite verpflichten. 2. Handeln im Bezug zu Rechtsverkehr und Markt
Wenn Verhaltenspflichten die Funktionsfähigkeit des Rechtsverkehrs bei informationellen Machtungleichgewichten am Markt sichern sollen, dann dürfen sie auch nur solche Verhaltensweisen erfassen, die rechtsverkehrs- und marktbezogen sind. Damit ist auch dieses Merkmal, das in praktisch allen Vorschlägen enthalten ist, stimmig unter seinem funktionalen Aspekt eingeordnet worden. Insbesondere die rechtsgeschäftsorientierten Begründungsversuche der "Vertrauenshaftung" sind ja - sei es über die Idee eines "Korrelats zur Privatautonomie"54, sei es über das Ziel, die individuelle Selbstbestimmung beim Vertragsschluß zu sichern 55 - alle 56 bestrebt, nur das Handeln im rechtsgeschäftlichen Bereich zu erfassen (dies geschieht allerdings auch, um die Anwendung des Vertragsrechts bei der inhaltlichen Ausgestaltung der Haftungsfolgen noch plausibel erscheinen zu lassen 57). Nichts anderes meinen aber auch die Anhänger der "Berufshaftung" , wenn sie nur für Auskünfte innerhalb des Berufsbildes die Haftung eintreten lassen wollen, also nicht für solche von branchenfremden Personen und erst recht Oben § 8, 11. 2. Flume, Rechtsgeschäft, 10; Raiser, FS DJT 1960 I, 101, 131. 53 Oben § 9, 11. 2. 54 Oben § 8, I. 55 Oben § 8, 11. 56 Ausdrücklich einen anderen Weg an dieser Stelle geht allerdings die Lehre vom "sozialen Kontakt"; dazu oben § 8, I. 2. b). 57 Ausdrücklich Canaris, FS Larenz 1983,27, 107; der Gesichtspunkt des rechtsgeschäftlichen Kontaktes hat dabei haftungsbegrenzende, der des Vertrauensschutzes haftungsbegründende Funktion. 51
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nicht für solche, die im privaten Bereich, etwa nach Dienstschluß, erteilt werden. 58 "Notwendig ist also, daß die berufliche Spezialisierung am Markt aktualisiert wird; andere Bezugsebenen wie Familie oder Unternehmen (nach innen) bleiben außer Betracht." 59 Seinen Grund findet dieses richtigerweise nicht primär im Versuch, die ausufernde Vertrauenshaftung doch noch irgend wie zu begrenzen,60 sondern in einer konsequenten Ausrichtung des Tatbestandes der neuen, durch Rechtsfortbildung gewonnenen Normen an deren Wertungsgrundlagen. Nur marktbezogenes Fehlverhalten kann zu Abwendung der Marktteilnehmer vom Markt führen, und nur marktbezogene Verhaltenspflichten sind geeignet, wettbewerbsgeflihrdenden Ungleichgewichten entgegenzuwirken. 3. Der Aspekt der Entgeltlichkeit
Die Rechtsprechung des BGH zur Auskunftshaftung ist von besonderer Brisanz dort, wo Auskünfte unentgeltlich erteilt und diese dann womöglich auch noch an einen Dritten weitergeleitet werden. Dagegen wird eingewandt, Haftung und Entgelt bildeten ein Korrelat. 61 Am weitesten geht in diese Richtung Lehmann. 62 Er baut sein Konzept 63 einer Haftung für Werbeaussagen aufgrund in Anspruch genommenen Vertrauens und innerhalb des Institutes der culpa in contrahendo auf der Annahme einer "ökonomischen Sonderbeziehung"64 auf. Jeder Käufer zum Beispiel vergüte mit der Entrichtung seines Kaufpreises dem Verkäufer nicht nur dessen Hauptleistung, etwa die Übereignung einer Ware, sondern auch sämtliche Nebenleistungen, zu denen auch die Informationen zählten. Lehmann nennt diese Vergütung den "Deckungsbeitrag". 65 Auch andere Autoren greifen den Gedanken auf, daß der mit Verhaltenspflichten Belastete die dadurch entstehenden Kosten auf seine Vertragspartner abwälzen könne und diese somit gleichmäßig verteilt würden. 66 Gäbe man diesem Gesichtspunkt Gewicht, ließen sich Verhaltenspflichten bezüglich unentgeltlich erbrachter Leistungen kaum rechtfertigen. Siehe nur Hopt, AcP 183 (1983), 608, 642 f. Hopt, aaO., 646. 60 So aber Canaris, aaO. 61 Borgmann / Haug, Anwaltspflichten, 145; in diesem Punkt an der Rechtsprechung zweifelnd auch v. Bar, RabelsZ 44 (1980), 455, 482 f. 62 Lehmann, Vertragsanbahnung, 317 ff. 63 Siehe schon oben § 1, III. 3. 64 Die Figur dient Lehmann in erster Linie dazu, die Anwendbarkeit des Vertragsrechts - statt des Deliktsrechts - zu begründen; siehe dazu noch unten § 13. 65 aaO.,317. 66 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 654; zur Produzentenhaftung Diederichsen, Warenhersteller, 282. S8
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IV. Die einzelnen Bestimmungsgrößen für die Erklärungspflichten
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Es spricht jedoch einiges gegen· eine solche Sicht der Dinge. Nicht jeder mit Pflichten Belastete kann die dadurch entstehenden Kosten weitergeben; dazu ist nur der in der Lage, der eine Vielzahl von Leistungen an einen größeren Kreis von Nachfragern abzusetzen pflegt67 und dem die jeweiligen Marktbedingungen das auch erlauben. Vor allem Lehmanns Konzept des "Deckungsbeitrages" wird inkonsistent dort, wo er - es geht ihm um die culpa in contrahendo - die rechtliche Sonderbeziehung (die für ihn der ökonomischen folgt) auch auf den erst potentiellen Kunden erstreckt, der gerade noch keinen Deckungsbeitrag geleistet hat. Dies gelingt Lehmann nur mit einem ,,kühnen Sprung von der mikro- auf die makroökonomische Begründungsebene". 68 Vor allem liegt der Verbindung von Entgelt und Pflichten unübersehbar wieder die Vorstellung einer aus dem Vertrag entspringenden Haftung zugrunde; fast ist man bei so etwas wie konkludent vereinbarten Nebenpflichten angelangt. Der Gedanke des do ut des trägt Verhaltensnormen aber jedenfalls dann nicht, wenn man sie, wie hier geschehen, aus dem Erfordernis eines Schutzes überindividueller Rechtsgüter herleitet. Dies bedeutet ja gerade die Lösung von den etwa bei Köndgen 69 hervorgehobenen Reziprozitätsvorstellungen. 70 Die neuen Pflichten stellen auch nicht die angesichts der prinzipiellen Unbeschränktheit subjektiver Rechte vielfach geforderte statische Balance von Recht und Pflicht her. 71 Ein "Wiedereinbau der Pflichten in das Recht"72 ist nicht erst dann gerechtfertigt, wenn sie in einer Zweierbeziehung unmittelbar einen Ausgleich finden oder als Korrelat zu einem bestehenden subjektiven Recht angesehen werden können; 73 er ist aber andererseits auch noch nicht dann gerechtfertigt, wenn die Möglichkeit besteht, dem Verpflichteten über einen "Deckungsbeitrag" einen Ausgleich zu verschaffen. Ebenso wie oben zu der Möglichkeit, sich Versicherungsschutz geben zu lassen, ist auch hier zu sagen: Die Möglichkeit, Kosten abzuwälzen, trägt zur Begründung der Pflichtigkeit nichts bei; sie ist auch nicht Voraussetzung dafür. Aus der am Institutionenschutz ausgerichteten Begründung der Erklärungspflichten folgt somit notwendig eine Ablösung vom Synallagrna. Dies gilt, wie bereits angedeutet, nicht nur für den einzelnen Vertrag, sondern auch für die Aggregate. Es sind nicht nur gegenüberliegende Marktseiten, die einander verpflichtet werden, also insbesondere nicht nur die Verkäufer- der Käuferseite, sondern es kann potentiell jeder am Markt auftretende jedem anderen zur Abgabe wahrer und vollständiger Erklärungen verpflichtet sein. 67 E. Schmidt, JA 1978,597,602.
68 So die Kritik von W. Schuhmacher, Verbraucherschutz, 194; kritisch auch Brüggemeier, AG 1982,268,271. 69 Selbstbindung, 233 ff. 70 Assmann, Prospekthaftung, 275. 71 Dazu allgemein oben § 2, 11. 2. 72 Luhmann, Jb. f. Rechtssoziologie 1 (1979), 321, 330. 73 Assmann, Prospekthaftung, 275.
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Analog zu dem zur Haftpflichtversicherung Gesagten wird man aber auch hier für eng begrenzte Ausnahmefälle ein negatives Kriterium hinzufügen und die Zumutbarkeit einer Belastung mit Verhaltenspflichten auch daran ermessen müssen, ob der Belastung ein Entgelt und damit die Möglichkeit ihrer zumindest teil weisen Abwälzung auf Dritte gegenüberstand. Insofern trifft sich die hier vertretene Ansicht mit der soeben kritisierten Auffassung im Ergebnis doch wieder zum Teil.
4. Die Problematik der primär im Fremdinteresse und ohne Rechtspflicht erteilten Auskünfte Der Befund, daß unentgeltlich erteilte Auskünfte, also insbesondere Bankauskünfte und die Ratschläge von Anwälten, Steuerberatern und sonstigen Fachleuten, in der Regel anders zu behandeln sind als gegen Entgelt gegebene, ist dennoch nicht falsch. Er findet jedoch in einem anderen Gesichtspunkt seine Begründung. Wiederum ist es dazu lediglich erforderlich, die schutzgutorientierte Betrachtung konsequent durchzuführen. Es ist bereits dargelegt worden,74 daß die "Vertrauenshaftung" gerade bei Auskünften Gefahr läuft, sich kontraproduktiv auszuwirken. Der mit der Pflicht zu Wahrheit und Vollständigkeit Belastete wird auf diese Belastung unter Umständen dadurch reagieren, daß er weniger oder gar keine Auskünfte mehr erteilt. Dieses Verlassen des "Marktes" (der hier keiner ist) durch den Belasteten ist ebensowenig wünschenswert, wie es das des potentiell Geschützten wäre; beides ist um des Schutzgutes "Rechtsverkehr" willen zu vermeiden. Derartige unerwünschte Effekte sind nun gerade bei solchen Auskünften zu erwarten, die mehr oder weniger uneigennützig 75 jedenfalls aber nicht aufgrund einer Rechtspflicht gegeben wurden. Zwar ist davon auszugehen, daß beispielsweise gerade Banken Kreditauskünfte nicht aus rein altruistischen Motiven zu erteilen pflegen; 76 vielmehr sind sie bestrebt, sich als zuverlässige und für das Funktionieren der Wirtschaft unersetzliche Instanz zu profilieren. Ihr Interesse daran, die Kreditgeschäfte Dritter dadurch zu erleichtern, daß sie deren Risiken verringern helfen, ist aber dennoch eher gering. Erst recht dürfte das für unentgeltliche Auskünfte von Anwälten oder Notaren gelten. Gerade hier kommt das Zumutbarkeitsargument hinzu: Ist die Entgeltlichkeit der mit einem Haftungsrisi74 Oben § 10, H. und soeben 1. 75 Das sei mit allen Vorbehalten gesagt. Wahrhaft altruistisches Handeln gibt es vielleicht sogar überhaupt nicht; irgendein Eigeninteresse des Handelnden läßt sich immer erblicken. "Uneigennützig" oder "altruistisch" in diesem Zusammenhang möge nur so verstanden werden, daß damit die Fälle gemeint sind, in denen der Auskunftserteilung nicht unmittelbar ein konkretes Eigeninteresse zugrunde liegt. 76 v. Bar, RabelsZ 44 (1980), 455, 482 f.
IV. Die einzelnen Bestimmungsgrößen für die Erklärungspflichten
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ko belegten Tätigkeit auch nicht notwendige Voraussetzung für eine Verpflichtung, so fällt doch ins Gewicht, daß die Belastung einer - sei es auch der am Markt stärkeren - Partei mit Verhaltenspflichten im Interesse der Allgemeinheit (darauf läuft die Anerkennung eines überindividuellen Rechtsgutes schließlich hinaus) leicht die Grenzen des Zumutbaren übersteigt, wenn sie auch noch dort vorliegt, wo aus dem betreffenden Tun kein unmittelbarer wirtschaftlicher Nutzen zu ziehen ist. In dieser Form, als negatives Korrektiv, taucht also der zu Beginn des Dritten Teiles 77 diskutierte Gedanke der Haftung als Korrelat für die sich aus dem Rechtsgeschäft ergebenden Möglichkeiten wieder auf. Bei der Formulierung 78 der rechtsverkehrsbezogenen Informationspflichten sind danach also all die Fälle auszuscheiden, bei denen zu befürchten ist, daß eine Pflicht letztlich die Informationslage der zu Schützenden zumindest nicht verbessert. Darunter fallen Informationen, die der Informant aus anderen als aus Gründen des eigenen wirtschaftlichen Interesses erteilt hat, also insbesondere solche, die nicht entgeltlich und nicht zur Anbahnung eines Geschäftes - sei es auch mit Dritten! - erteilt werden,79 der Erklärende mithin "genausogut hätte schweigen können". Zu beachten ist dabei, daß hier häufig schon das Kriterium des an den Markt gerichteten Handeins gar nicht mehr erfüllt ist.
5. Aufklärungspflichten und Wahrheitspflichten
Der oben angestellte Befund läßt deutlich werden, daß Erklärungspflichten in zwei verschiedenen Formen auftreten. Haftungsfolgen können nach dem Gesagten dann an Erklärungen geknüpft werden, wenn der Erklärende schon im Eigeninteresse auf die neue Verantwortlichkeit nicht mit Schweigen reagiert. Der gleiche Effekt wäre zu erzielen, wenn man gleich auch noch die Erklärung als solche zur Pflicht erhebt, also auch das Unterlassen einer Auskunft etwa Haftungsfolgen nach sich zöge. Kontraproduktive Wirkungen der Erklärungshaftung sind hingegen nur dann zu erwarten, wenn der Erklärende ohne Nachteil hätte Schweigen können. Diese Fälle könnte man als Wahrheitspflichten bezeichnen, im Gegensatz zu ansonsten bestehenden Aufklärungspflichten. Bei einer Wahrheitspflicht muß der Verpflichtete nichts sagen; tut er es dennoch, muß das, was er sagt, richtig sein. Dieses Ergebnis ist ähnlich dem, das die Rechtsprechung zur Haftung aus Gefälligkeitsverhältnissen entwickelt hat. Auch dann, wenn kein Rechtsbindungswille der Beteiligten festgestellt werden kann, will der BGH in Einzelflillen die Haftung nicht nur aus dem Recht der unerlaubten Handlungen herleiten, sondern 77
§ 8, I. 1.
78 Dazu unten § 13, III. 2. 79 Gegen eine Haftung für fahrlässig falsche unentgeltlich erteilte Auskünfte i. E. auch v. Caemmerer, FS DJT 1960 1,49, 114.
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daneben eine Schadensersatzpflicht analog den Grundsätzen der culpa in contrahendo treten lassen. 8o Die Ähnlichkeiten zur Wahrheitspflicht bei bestimmten Auskünften sind nun allerdings alles andere als zufallig, soll es doch beim Gefalligkeitsverhältnis darauf ankommen, ob dieses zu einem "vertrags ähnlichen Vertrauensverhältnis" erwuchs. 81 Die Problematik von Geflilligkeitsverhältnissen ist hier nicht das Thema. Die " Wahrheitspflicht" sollte es jedoch, wie soeben 82 ausgeführt, angesichts des Zieles des Verkehrs schutzes nicht geben. Zwar enthält auch die Aufklärungspflicht eine Wahrheitspflicht: Die Aufklärung muß nicht nur überhaupt erfolgen, sondern (natürlich) richtig sein. Aber während bei Statuierung der Aufklärungspflicht immer der Haftungszweck erreicht werden kann und sie gerade darauf gerichtet ist, daß notwendige Informationen vermittelt werden, führt die Statuierung bloßer Wahrheitspflichten langfristig zum (nicht sanktionierten) Schweigen des Informanten und damit zum Gegenteil des Bezweckten. Kurz sei noch auf die oben dargestellten Ausführungen Kronmans eingegegangen, der befürchtet, daß im Gefolge von Informationspflichten unter bestimmten Umständen das - volkswirtschaftlich erwünschte - Interesse der Wirtschaftssubjekte nachlasse, Informationen zu beschaffen, da sie diese dann ja nicht mehr für sich allein gewinnbringend verwerten dürfen. 83 Das Problem stellt sich nicht für die hier sogenannten Wahrheits-, sondern nur für die eigentlichen Aufklärungspflichten, die eine Preisgabepflicht beinhalten. Hier würde seiner Meinung nach dann eine Pflicht zu verneinen sein, wenn die Information unter Einsatz eigener Mittel erworben wurde. Dem steht nun allerdings die Erkenntnis der ökonomischen Analyse des Rechts entgegen, daß die Aufklärungspflicht gerade dem zuzuweisen ist, der die Information unter Einsatz geringerer Mittel beschaffen kann als der andere. Eine Offenbarung nur der zufallig erlangten Informationen genügt dafür nicht. Im übrigen geht es hier ja gerade um Erklärungspj1ichten. Hier ist - anders als bei den (hier sog.) bloßen Wahrheitspflichten - gerade wegen dieser Belastung gar nicht möglich, daß der Verpflichtete keine "Vertrauenstatbestände" mehr setzt.
V. Die Funktion des Vertrauens bei der Begründung neuer Erklärungspflichten Die Begründung der Aufstellung neuer Verhaltenspflichten mit dem Grundsatz des Vertrauensschutzes bildete den Anlaß und den Ausgangspunkt dieser Untersuchung. Das Vertrauen ist auch dann noch im Blickpunkt geblieben, nachdem 80 BGHZ 21, 102, 107; OLG Karlsruhe, NJW 1961, 1866, 1877 (das von einem Fall der "Erklärungshaftung" spricht); dazu Seetzen, VersR 1970, 1, 11; krit. Willoweit, JuS 1984,909,915. 81 BGHZ 21, 102, 107. 82 Oben 4. 83 Oben § 10, 11. 3.
V. Die Funktion des Vertrauens
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deutlich geworden war, daß mit ihm allein eine befriedigende Rechtfertigung der eingangs dargestellten Rechtsentwicklung nicht zu leisten ist: Denn die Begründung für eine Infonnationspflicht kann auch so verstanden werden, daß sie die Begründung für die Schutzwürdigkeit des Vertrauens in die Richtigkeit der Infonnation abgibt. 84 Im Rahmen des am Institutionenschutz ausgerichteten Modells der Sonderhaftung, wie es in diesem Abschnitt skizziert worden ist, sind abschließend Standort und Funktion des Vertrauens zu bestimmen. Fragt man in der bezeichneten Weise danach, warum in einer bestimmten Konstellation das Vertrauen schutzwürdig ist, dann hat man· nichts anderes im Auge als das Vertrauen auf normkonformes Verhalten anderer. Dieses ist kein SpezifIkum der hier vorliegenden Fälle, sondern liegt der gesamten Rechtsordnung in gleicher Weise zugrunde. 85 Dabei ist es zum einen das ordnungspolitische Ziel jeder Rechtssetzung und -durchsetzung: Die Rechtsgenossen sollen sich darauf verlassen dürfen, daß die anderen ihre Pflichten einhalten. Im Straßenverkehrsrecht trägt dieser Sachverhalt den beziehungsreichen Namen "Vertrauensgrundsatz" . 86 Zum zweiten dient das Vertrauen auf normkonfonnes Verhalten als Bindeglied zwischen Verletzungshandlung und Schaden. Letzterer ist nur dann auf die Pflichtverletzung zurückzuführen, wenn der Geschädigte - in unseren Fällen - auf die Richtigkeit der Infonnation vertraut hat. 87 Dies gilt allerdings nur in sehr abgeschwächter Fonn. Denn die Rechtsprechung verzichtet, wie dargestellt, auf die Feststellung konkret beim Geschädigten vorliegenden Vertrauens. Mißtrauen gegenüber den Geschäftspartnern führt dann auch als solches nicht zum Ausschluß des Anspruches. 88 Denn auch bei bestehendem Mißtrauen kann der nachmalig Geschädigte gehofft haben, daß dennoch alles in Ordnung sei. Für den Kausalzusammenhang zwischen Verletzungshandlung und Schaden genügt dies; ausschließen kann man ihn nur, wenn der Geschädigte von der Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der betreffenden Infonnation positive Kenntnis hatte. 89 In dieser, zweiten Grundfunktion ist das Vertrauen damit nur noch von untergeordneter Bedeutung. Aber darin liegt, wie gesagt, ohnehin keine Besonderheit der "Vertrauenshaftung" . Dennoch ist in dieser Arbeit immer wieder von "Vertrauenshaftung" gesprochen worden, um das zu diskutierende Rechtsphänomen zu bezeichnen. Darin liegt nicht nur eine tenninologische Anlehnung an die herrschende Meinung. Vertrauen spielt in der Tat in unseren Fällen eine besondere Rolle. Zwar bleibt es dabei, daß nicht das Vertrauen die Rechtspflicht begründet, sondern die Rechts84 85 86 87
88 89
Oben § 7. Oben § 6, ll. 2., IV. 1. Siehe etwa Medicus, Bürgerliches Recht, Rn. 652. Schmitz, Dritthaftung, 108; siehe auch oben § 6, 11. 2. Oben § 6, In. Enger Schmitz, Dritthaftung, 108.
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§ 12 Grundelemente der Rechtfertigung neuer Erklärungspflichten
pflicht zuvor aus anderen Motiven zu konstituieren ist. Dieses Motiv ist, verkürzt und auf einen Begriff gebracht, der Schutz des Rechtsverkehrs. Einmal geschieht das dadurch, daß der Wettbewerb gesichert wird, indem Informationsungleichgewichte zugunsten der typischerweise schwächeren Marktseite verschoben werden. Die andere Formulierung stellt darauf ab, daß es die Behinderung des Rechtsverkehrs durch Mißtrauen und ängstliche Vorsicht zu vermeiden gilt. Hier nun hat einfunktionell verstandenes Vertrauen seinen Platz im System der Erklärungshaftung. Als Gegenteil von "ängstlicher Vorsicht" und "Mißtrauen" stellt es, systematisch betrachtet, ein notwendiges Durchgangsstadium auf dem Wege zur Erreichung des Zieles, den Rechtsverkehr zu schützen, dar. Das Vertrauen auf normkonformes Verhalten anderer erhält im Institutionenschutz eine eigene Aufgabe. Anders formuliert: Es gilt nicht, Vertrauen zu schützen. Es gilt, das Funktionieren des Rechtsverkehrs zu gewährleisten. Das geschieht durch Aufklärung der schwächeren Marktseite, womit verhindert werden soll, daß aus Vorsicht unwirtschaftliche Sicherungsmaßnahmen vorgenommen werden oder der Markt gar verlassen wird. Sollen sich die Rechtsgenossen (oder Wirtschaftssubjekte) aber im Verkehrsinteresse derart verhalten, setzt das voraus, daß sie auf die Vollständigkeit und Richtigkeit der Aufklärung tatsächlich vertrauen. Tatsächliches Vertrauen ist damit nicht Tatbestandsmerkmal, sondern Ziel außervertraglicher Erklärungshaftung. Es wird angestrebt; wird es nicht erreicht, berührt das etwaige Ansprüche aber nicht. Insofern kann man von einem "normativen" Vertrauensbegriff ausgehen. So verstanden, könnte man dann tatsächlich sogar mit einer gewissen Berechtigung von" Vertrauenshaftung" sprechen. Es ist auch zu vermuten, daß zumindest bei denjenigen Apologeten des "Vertrauensschutzes", die noch den Hinweis auf die Vermeidung von ängstlicher Vorsicht und Mißtrauen anbringen, 90 Vorstellungen mitschwingen, die dem hier vertretenen Konzept ähneln. Der Begriff "Vertrauenshaftung" erscheint dennoch als ungeeignete Bezeichnung. Er nimmt in undifferenzierter Weise auf ein positiv belegtes, konturenloses juristisches MetaKriterium in Bezug; er erweckt Assoziationen an Ansprüche, die tatsächlich an die Verletzung von Vertrauen angeknüpft sind; und er verdeckt den institutionellen, überindividuellen Bezug der Sonderhaftung. Letzteres tut der Begriff "Sonderhaftung" im übrigen auch; er ist ersichtlich an die Sonderbeziehung angelehnt,91 der die Haftung nach hier vertretener Ansicht gerade nicht entspringt. Zweckmäßigerweise ist - nunmehr endgültig - beim Begriff "Erklärungshaftung" zu bleiben.
Oben § 10, 1. 1. 91 Deutlich bei Soergel / Wiedemann, Vor § 275, Rn. 183 ff.; Picker, AcP 183 (1983), 90
369,387.
1. Vertragshaftung, Deliktshaftung oder "Dritter Weg"?
171
§ 13 Die Ausgestaltung der Haftung In einem letzten Abschnitt ist auf den Aspekt einzugehen, der vielfach im Vordergrund der Diskussion steht: den der Ausgestaltung der Erklärungshaftung.
I. Vertragshaftung, Deliktshaftung oder "Dritter Weg"? 1. Allgemeines
Die neuen Verhaltenspflichten, die im Mittelpunkt dieser Untersuchung stehen, sind, soviel kann bisher festgehalten werden, solche gesetzlicher Art. 1 Wie sich ihre Schaffung rechtfertigen läßt, ist in den voranstehenden Abschnitten diskutiert und mit dem im § 12 gemachten Vorschlag zum Abschluß gebracht worden. Zu klären bleibt jedoch, welchem Rechtsregime die Sanktionen unterliegen sollen, die aus der Verletzung dieser Pflichten folgen. Um die zutreffende dogmatische Qualifizierung der Haftung "zwischen" Vertrag und Delikt ist viel gestritten worden. Es kann und soll an dieser Stelle die Diskussion nicht erschöpfend aufgearbeitet werden. Es sollen nur die möglichen Wege aufgezeigt und sodann versucht werden, aus der zuvor geleisteten materialen Begründung der neuen Verhaltenspflichten Argumente für die eine oder andere Möglichkeit zu gewinnen. Zwei solche Möglichkeiten stehen auf den ersten Blick zur Verfügung. Die Pflichtverletzung kann als Delikt aufgefaßt werden; oder sie kann entsprechend den Regeln über Vertragsverletzungen zu lösen sein. Zwar steht theoretisch nichts im Wege, die hier in Rede stehende Haftung als "dritten Weg" oder "dritte Spur"2 neben Delikts- und Vertragshaftung anzusiedeln. Doch ist damit wieder nur der materiale Geltungsgrund gemeint, der ein eigener sein soll. 3 Soweit ersichtlich, reichte noch bei keinem Autor die Phantasie oder der Mut zur freien Rechtsschöpfung aus, um auch bezüglich der Rechtsfolgen eigene Wege zu gehen. 4 Die Befürworter von Sonderwegen bei der Begründung lehnen sich offenbar immer an die Vertragshaftung an; 5 Anhänger der deliktsrechtlichen Lösungen gehen hingegen nicht den Weg einer entsprechenden Übernahme der Deliktshaftung, sondern den der Einordnung neuer Tatbestände in diese. Dazu näher oben § 8, III. Canaris, FS Larenz 1983,27, 84. 3 Bei Canaris, aaO., 85 beispielsweise führt Verletzung der - aus der als eigenständiges Rechtsinstitut betrachteten Lehre von der Vertrauenshaftung entspringenden Pflichten zur Haftung nach Vertragsgrundsätzen. 4 Offen bleibt die Frage allerdings bei Picker, AcP 183 (1983), 369, 517 ff.; ähnliche Tendenzen bei Hopt, AcP 183 (1983), 608, 662. 5 So generell die Anhänger eigenständiger Rechtsinstitute der Vertrauenshaftung (oben § 1, III. 4.) und der Berufshaftung (oben § 11, 1.). 1
2
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§ 13 Die Ausgestaltung der Haftung
2. Die Abkehr von der rechtlichen Sonderverbindung
Die Auffassung als Haftung nach Vertragsgrundsätzen ist so lange konsequent, wie man von einer wirklichen Vertrauenshaftung oder auch allgemeiner von einer Sonderhaftung ausgeht. Nach beiden Auffassungen liegt das Spezifikum der Aufklärungs- und Wahrheitspflichten darin, daß sie Gefahren zu steuern versuchen, die aus der besonderen Verbindung zwischen Schädiger und Geschädigtem resultieren, wobei entweder auf das zwischen diesen bestehende Vertrauensverhältnis abgestellt wird, 6 auf die besonderen Gefahren, die aus dem rechtsgeschäftlichen Kontakt erwachsen oder auf den Zweck, Einfluß auf den Inhalt nachfolgend abzuschließender Verträge zu nehmen. 7 Diese Lehren in ihren verschiedenen Spielarten bemühen sich, gerade solche Situationen zu erfassen, die vertragsähnlich sind; genauer und weniger wohlwollend gesagt wird versucht, für Konstellationen, in denen die Haftung für angemessen erachtet wird, Merkmale zu finden, die auch in vertraglichen Beziehungen vorliegen. Geht man von einer Vertrauenshaftung aus, kommt hinzu, daß man die Sonderhaftung ebenso wie die eigentliche Vertragshaftung als Sanktionierung für den "Bruch des gegebenen Wortes" 8 verstehen kann. Aus diesen Begründungsansätzen ergibt sich deshalb nicht nur geradezu zwangsläufig die Übernahme der Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches über Vertragsverletzungen in die Sonderhaftung;9 die Ausweitung der Vertragshaftung war umgekehrt sogar Motiv für die Schaffung neuer Tatbestände und Rechtsinstitute. Im Zuge dieser Arbeit ist ausführlich dargetan worden, daß die an der Sonderverbindung orientierten Ansätze keine überzeugende Begründung für die Schaffung neuer Verhaltenspflichten abzugeben vermögen. Der Rückgriff auf das Vertragsrecht stellt daher nicht mehr die folgerichtige, beinahe schon denknotwendige Lösung dar.
3. Sicherung des Rechtsverkehrs als Aufgabe des Deliktsrechts
Die Qualifizierung neuer, nichtvertraglicher Aufklärungs- und Wahrheitspflichen steht primär unter dem Postulat, weitestmögliche Konsistenz mit dem übrigen Privatrechtssystem beizubehalten. Darin liegt weder dogmatische Konstruktionssucht noch ein Wiederaufleben der seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert in Verruf geratenen Begriffsjurisprudenz. In einer Rechtsordnung, die sich als ein Gefüge abstrakt-generell formulierter Rechtssätze darstellt, hat eine systemOben §§ 3-6. Oben § 8, I., 11. 8 Briiggemeier, AcP 182 (1982), 385, 423 (der diesem Gedanken aber selbst nicht folgt). 9 Zweifelnd allerdings Pleyer, JZ 1964, 778. 6 7
I. Vertragshaftung, Deliktshaftung oder "Dritter Weg"?
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konsistente Lösung die Vermutung für sich, daß sie Wertungswidersprüche vermeidet und sich somit letzthin als gerecht darstellt. 10 Unter diesem Gesichtspunkt kann es nicht genügen, wenn der vertragsrechtlichen Lösung deswegen der Vorzug gegeben wird, weil sie nicht die "Mängel" des Deliktsrechts aufweise. 11 Vielmehr haben sich die neuen Elemente insbesondere unter funktionalen Aspekten in das geltende Recht einzufügen. Funktion und Zweck als Fundamentalkriterien für die Auslegung von Rechtsnormen geben auch Hinweise darauf, in welchen rechtstechnischen Zusammenhang Erzeugnisse der Rechtsfortbildung zu stellen sein mögen. Die von der Rechtsprechung in der letzten Zeit aufgestellten Informationsverhaltenspflichten finden, soweit überhaupt, ihre Begründung darin, daß sie nicht allein dem Schutze des einzelnen, sondern auch dem von Rechtsverkehr und Markt als überindividuellen Rechtsgütern dienen. Daraus folgt, daß der Kreis der Verpflichteten grundsätzlich offen ist. Er bleibt nicht auf den Partner der Sonderverbindung, den Verhandlungs- oder gar Vertragspartner beschränkt. Die Verhaltenspflichten sind eben nicht mehr - wie etwa bei der "Vertrauenshaftung" - Ausdruck von "Reziprozitätsvorstellungen", dienen nicht mehr der Ausbalancierung der Lastenverteilung im ZweiPersonen-Verhältnis, sondern sind in dieser Hinsicht "objektiviert".12 Dieses Konzept führt nun einmal dazu, daß das Problem der Erweiterung des verantwortlichen Personenkreises 13 als solches nicht mehr existiert. Es bedarf keiner besonderen Bemühungen mehr, um die Haftung anderer Personen als die der angehenden Vertragspartner zu begründen. 14 Erklärungspflichten können jeden treffen, sofern in seiner Person die in § 12 genannten Voraussetzungen vorliegen. Das Konzept führt zum zweiten dazu, daß die Anwendung des Vertragsrechts nicht mehr, wie bei den an die Sonderbeziehung angelehnten Lehren, 15 die nahezu zwangsläufige oder auch nur einleuchtende Folge ist. Das Gegenteil ist der Fall. "Der Haftungsgrund ist nicht ,Bruch des gegebenen Wortes', sondern ,die pflichtwidrige Tat', der Verstoß gegen bestimmte Sorgfaltspflichten, die an das Verhalten bestimmter Personen in bestimmten Situationen gerade unabhängig von dem Bestehen individueller (Vertrags-)Schuldverhältnisse gestellt werden."16 Es beWieacker, FS Nipperdey I, 783, 806; Larenz, Kennzeichen, 13. Dazu unten V. 12 Assmann, Prospekthaftung, 275; der Gedanke tauchte schon bei der Frage nach der Bedeutung der Entgeltlichkeit der Tätigkeit für die Einstandspflicht (oben § 12, IV. 3. auf. 13 Dazu einleitend § 1, 11. 3. 14 Exemplarisch für die nahezu unübersehbare Literatur zur Dritthaftung aus culpa in contrahendo seien die Arbeiten Ballerstedts (AcP 151 (1950/51),501) und Bohrers (Dispositionsgarant) genannt. 15 Oben 2. 16 Brüggemeier, AcP 182 (1982), 385, 423. 10 11
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§ 13 Die Ausgestaltung der Haftung
steht in diesen Fällen ja auch kein rechtsgeschäftlicher Anspruch auf Tätigwerden des (zur Sorgfalt) Verpflichteten. Die Pflichten, die von der herrschenden Meinung als vertragsähnliche ausgestaltet werden, sind keine besonderen Pflichten im Sinne von "Schutzpflichten", sondern allgemeine Pflichten, also eher "Verkehrspflichten" 17 (wenn man nicht den mißverständlichen Begriff der Pflichten aufgeben und von Haftungstatbeständen 18 sprechen will). Kreuzer prägte für diese Fehlentwicklung den Begriff von der "Hypertrophie des Vertragsrechts". 19 Läßt sich vor dem Hintergrund der in dieser Arbeit entwickelten Rechtfertigung neuer Verhaltenspflichten die vertragsrechtliche Lösung nicht mehr halten, bliebe, außer der Einordnung in das Deliktsrecht, noch die Annahme eines gesetzlichen 20 Schuldverhältnisses mit eigenständiger Einordnung "zwischen" Vertrag und Delikt. Dafür setzt sich mit Nachdruck Canaris ein. 21 Doch basiert diese Ansicht - natürlich - auf seiner Konzeption einer negativen Vertrauenshaftung, die er als selbständiges Rechtsinstitut begreift. 22 So verweist er darauf, 23 daß das Bürgerliche Gesetzbuch in § 618 I, wonach der Dienstberechtigte den Dienstverpflichteten "gegen Gefahr für Leben und Gesundheit" zu schützen hat, gesetzliche Pflichten kenne, deren Verletzung nach Vertragsrecht sanktioniert werde. 24 Aber es soll hier ja auch nicht behauptet werden, daß gleich das ganze Institut der positiven Vertragsverletzung, als dessen gesetzliche Ausprägung sich § 618 I BGB darstellt,25 ins Deliktsrecht zu transferieren sei. Das Gleiche ist zu erwidern, wenn Canaris - nicht ohne Überzeugungskraft - erneut 26 daran erinnert, daß ein Umschlagen der gesetzlichen Pflichten aus culpa in contrahendo in vertragliche aus positiver Vertragsverletzung mit dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses wenig einleuchtend ist. 27 Der Gedanke spräche dann auch gegen ein Umschlagen von Delikts- zu Vertragshaftung (in Form der positiven Vertragsverletzung). All dies steht in der Konsequenz der aus einer besonderen, rechtsgeschäftsnahen Beziehung zwischen den Beteiligten abgeleiteten Vertrauenshaftung. Eine solche Vertrauensbeziehung vermag aber Pflichten nicht zu schaffen. 17 U. Huber, AcP 177 (1977), 281, 319 f. Huber rechtfertigt trotz dieses Befundes die Anwendung des Vertragsrechts: Die Rechtsfolge der schuldrechtlichen Sonderverbindung solle darin liegen, daß bestehende allgemeine Verkehrspflichten besondere Haftungsfo1gen auslösen, die außerhalb der Sonderverbindung nicht eintreten würden. Damit wird der entscheidende Gesichtspunkt somit auch wieder in der Sonderverbindung gesehen. 18 E. Wolf, Schuldrecht AT, 54. 19 Kreuzer, JZ 1976, 778. 20 Daß die Pflichten keine "vertraglichen" sind, wird weitgehend anerkannt (ausführlich oben § 8, 111.). 21 FS Larenz 1983,27, 84 ff. 22 Oben § 1, III. 4. 23 aaO., 85 f.; ebenso Medicus, Probleme, 19. 24 So in der Tat etwa Pa1andt/Putzo, § 618, Anm. 3) c. 25 Siehe vorstehende Fußnote. 26 schon JZ 1965,475,479 und VersR 1965, 114, 117. 27 FS Larenz 1983,27, 89.
1. Vertragshaftung, Deliktshaftung oder "Dritter Weg"?
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Besteht schon von dieser Seite kein Grund, vor der Anwendung des Deliktsrechtes zurückzuschrecken, kommt hinzu, daß die Installation einer "dritten Spur" zwischen Vertrag und Delikt sich mit der Konzeption des BGB noch weniger vereinbaren läßt als die (manchem bedenklich erscheinende) Fortbildung des Deliktsrechts. 28 Das Bürgerliche Gesetzbuch kennt "zwischen" der rechtsgeschäftlichen Selbstbindung und der deliktischen Fremdbindung nichts,29 und schon gar nicht ist die Vertrauenshaftung "im System des geltenden Rechts selbst angelegt". 30 Funktionell betrachtet, handelt es sich bei Verhaltenspflichten zum Schutze des Rechtsverkehrs um Deliktsrecht. 31 Sie schützen, ganz allgemein betrachtet, fremde Rechtsgüter vor Schädigung. Dies ist die ureigenste Aufgabe des Deliktsrechts. 32 Es sind Pflichten, die unabhängig von einem abgeschlossenen oder angestrebten konkreten Rechtsgeschäft grundsätzlich jedermann gegenüber jedem anderen obliegen. Kein Einwand dagegen liegt darin, daß in der jeweiligen Schädigungssituation nicht mehr "jedermann" möglicher Verletzer ist; es kommt ja nur noch derjenige als Schädiger in Frage, der einen "marktrelevanten" Informationsvorsprung besitzt. Das Deliktsrecht erfaßt aber nicht nur die Fälle des "zufälligen",33 gleichsam anonymen Schädigers, an dessen Stelle auch jeder andere hätte stehen können. Dagegen spricht schon § 823 11 BGB in seinem unstreitigen Anwendungsfall der Inkorporierung von Strafgesetzen: Jeder Betrug im Sinne von § 263 StGB, der über § 823 11 BGB zur deliktischen Ersatzpflicht führt, setzt eine vorher bestehende, besondere Beziehung zwischen Täter und Opfer voraus, ohne die die Täuschungshandlung gar nicht hätte vorgenommen werden können. Auf die Idee, hier das Deliktsrecht auszuschließen, ist, soweit ersichtlich, noch niemand gekommen. Wenn auch Maßstab für die Installation dieser Pflichten ihre Notwendigkeit für den Schutz der Institution 34 "Rechtsverkehr"35 ist, so bedeutet dieses nicht, daß die Pflichten nicht dennoch primär individualschützend wären. Denn der Institutionenschutz setzt wirkungsvollen Individualschutz voraus. Damit liegt eine 28 v. Bar, Verkehrspflichten, 226. 29 Es kennt damit wohl auch nicht das, was heute unter der culpa in contrahendo
verstanden wird. Es dürfte allerdings nicht sehr fruchtbar sein, diese heute noch in Zweifel zu ziehen. Geht es um neue Entwicklungen in der Rechtsfortbildung, ist es aber angebracht, die Konsistenz mit dem Gesetz zu suchen, und nicht die mit zwar anerkannten, aber dogmatisch schwer verdaulichen Instituten wie der c.i.c. Vgl. zu diesem Punkt schon oben § 1, IV. und insbesondere unten IV. 30 So aber Canaris, FS Larenz 1983, 27, 93. 31 Mertens, AcP 178 (1978), 227, 237; v. Bar, JZ 1979,727,729 sprich von "genuinem" Deliktsrecht. 32 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 661 (der dieses Argument aber nur als rechtspolitisches betrachten will; dazu unten V.). 33 So aber Picker, AcP 183 (1983), 367, 510. 34 Im Sinne Raisers (oben § 2, II. 2.). 35 Aus ökonomischer Sicht: "Markt".
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§ 13 Die Ausgestaltung der Haftung
der erforderlichen Voraussetzungen vor, um die im Laufe dieser Arbeit begründeten Aufklärungs- und Wahrheitspflichten als Schutzgesetze in den § 823 11 BGB einzufügen. Darauf ist im Folgenden im einzelnen einzugehen.
11. Erklärungspflichten als Verkehrspflichten zum Schutze fremden Vermögens 1. Möglichkeiten der Fortbildung des § 823 11 BGB
Rechtsfortbildung des Deliktsrechts durch Einfügung neuer Verhaltenspftichten kann nur im Rahmen des § 823 11 BGB geschehen. Die Vorschrift verpflichtet denjenigen zum Schadensersatz, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Voraussetzung für eine Weiterentwicklung des Rechts an dieser Stelle ist, daß Erzeugnisse der Rechtsfortbildung ein "Gesetz" im Sinne von § 823 11 BGB darstellen können. Dies wird bislang ganz überwiegend abgelehnt. Gemäß Art. 2 EGBGB ist "Gesetz" im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches jede Rechtsnorm. Diese Definition gilt, soviel ist unstreitig, auch für das "Gesetz" des § 823 11 BGß. 36 ,,Rechtsnorm" bedeutet nicht, daß es sich um ein formelles Gesetz handeln müßte; 37 auch die einer Ausweitung des Schutzgesetzbegriffes ablehnend gegenüberstehenden Autoren lassen Gewohnheitsrecht hier grundsätzlich noch zu. 38 Insofern bestehen deutliche Unterschiede zum öffentlichen Recht, dem es beim "Gesetz" ja vielfach gerade auf ein formelles Parlamentsgesetz ankommt. 39 Problematisch wird es jedoch dann, wenn richterrechtlich heraus gebildete Schutznormen in Frage stehen. Teilweise wird vertreten, daß dies schon am Begriff des "Gesetzes" scheitere. 4O Canaris hält Richterrecht als Schutzgesetz "rechtsquellen-theoretisch" zwar für möglich. 41 Er will jedoch im Interesse der Bestimmtheit des Deliktsrechtssystems und um einer systemzerstörenden Ausuferung der deliktischen Tatbestände vorzubeugen bei der Ermittlung der Schutzgesetze vom Leitbild des Strafgesetzes ausgehen; im Zweifel soll die Schutzgesetz36 Schmiedei, Deliktsobligationen, 34; Esser / Weyers, Schuldrecht BT, 487; Bistritzki, Schutzgesetz, 18; Knöpfte, NJW 1967,697,699. 37 Fikentscher, SchuldrechC, 755. 38 Bistritzki, Schutzgesetz, 19; Canaris, FS Larenz 1983, 27, 69. 39 K. Huber, FS v. Caemmerer, 359, 382. 40 Bistritzki, Schutzgesetz, 19. Keine Unterstützung erhält Bistritzki entgegen seinen Ausführungen von K. Schmidt, Kartellverfahrensrecht, 360. Dessen Wort von der "Frage de lege lata geÜbter Rechtspolitik" bezieht sich unmißverständlich nicht auf das Problem der Rechtsnonnqualität eines Schutzgesetzes, sondern auf die Problematik, ob die betreffende Nonn auch drittschützend ist. 41 Canaris, FS Larenz 1983,27,79.
11. Erklärungspflichten als Verkehrspflichten
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eigenschaft vom Vorhandensein einer Strafbewehrung abhängig gemacht werden. 42 Noch enger meint Knöpfte, daß dem Verletzten keineswegs in allen Fällen, in denen gegen ein Gesetz verstoßen wird, welches einen Individualschutz bezweckt, ein Schadensersatzanspruch zuzubilligen sei. 43 Davon abgesehen, daß letzteres sich angesichts des Wortlautes von § 823 11 BGB wohl nicht halten läßt, geht es beiden nicht mehr um die Frage der Schutznormqualität, sondern um die dogmatischer Zweckmäßigkeit. 44 Diese ist für uns oben schon zugunsten des Deliktsrechts entschieden worden. Die Diskussion um die Schutzgesetzqualität hat sich vor allem am Wettbewerbs- und am Arbeitsrecht entzündet. Für ersteres hat zuerst Gieseke ein weiteres Verständnis des Begriffes des Schutzgesetzes vorgeschlagen. Er wollte auch "allgemeine Grundsätze, die unser soziales Leben beherrschen", als Schutzgesetze ansehen. 45 Doch ist dem zum einen eine außerordentliche, generalklauselartige Unbestimmtheit vorzuwerfen, die mit ihrem Rekurs auf außerjuristische, letzlich nur empirisch zu ermittelnde Wertungen auch bezüglich der Legitimation der Rechtsanwendung Probleme aufwirft. Vor allem läßt sich selbst bei äußerster Weitung des Begriffs der "Rechtsnorm" aus Art. 2 EGBGB ein solcher "allgemeiner Grundsatz" nicht mehr unter ihn subsumieren. 46 Anders liegt es jedoch, wenn nicht "allgemeine Grundsätze" inkorporiert, sondern konkrete Normen eigens für § 823 11 BGB richterlich formuliert werden. Die Vorschrift nähme dann einen ganz neuen deliktischen Einzeltatbestand in sich auf. 47 Einem solchen Einzeltatbestand wäre die QualifIkation als "Rechtsnorm" zuzuerkennen. 48 Für dieses erweiterte Verständnis des Art. 2 EGBGB spricht zugleich, daß auch an anderer Stelle richterrechtlich aufgestellte, verfestigte Normen selbst dann, wenn sie noch nicht zweifelsfrei als Gewohnheitsrecht zu fIrmieren vermögen, geschriebenen Gesetzen gleichgestellt werden. 49 Auch die culpa in contrahendo wird in der Rechtsprechung durchweg als ein "in Ergänzung des geschriebenen Rechts geschaffenes gesetzliches Schuldverhältnis" bezeichnet. 50 Selbst Verwaltungsakte sollen Schutzgesetze gemäß § 82311 BGB sein können. 51 Und nach Stimmen in der arbeitsrechtlichen Literatur nimmt aaü., 45 ff., 50, 58. Knöpfte, NJW 1967,697,699. 44 So ausdrücklich Canaris, aaü., 79. 45 Gieseke, GRUR 1950,298,310; zustimmend Rödig, Erfüllung des Tatbestandes, 64 Fn. 163. 46 Schmiedei, Deliktsobligationen, 36. 47 Schmiedei, Deliktsobligationen, 37. 48 Mertens, AcP 178 (1978), 227, 230; K. Huber, FS v. Caemmerer, 359, 379 ff.; v. Bar, Verkehrspflichten, 163 ff.; ders., JZ 1979, 728, 729 f. 49 Canaris, Vertrauenshaftung, 432, Fn. 42; Teubner, in: AK-BGB, § 242, Rn. 26; wie hier v. Bar, Verkehrspflichten, 164. 50 BGHZ 6, 330, 333 (Hervorhebung hinzugefügt). 51 BGHZ 62,265,266; K. Huber, FS v. Caemmerer, 359, 383 Fn. 103. 42 43
12 Loges
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§ 13 Die Ausgestaltung der Haftung
§ 823 11 BGB etwa die Grenzen des Streikrechts, welche die Rechtsprechung zu Art. 9 III GG weitgehend frei gesetzt hat, in sich auf. 52
Steht damit grundsätzlich der Formulierung von Informationsverhaltenspflichten als Schutzgesetze im Rahmen des § 823 11 BGB nichts im Wege, so ist noch ein zweiter Aspekt zu beachten. Es ist schon zuvor 53 darauf hingewiesen worden, daß der Charakter dieser Pflichten nicht dem individualbezogener Schutzpflichten, sondern dem allgemeiner Verkehrspflichten entspricht. Die neuen Tatbestände sind also mit dem bestehenden System von Verkehrspflichten in Einklang zu bringen.
2. Die Einordnung in das bestehende System der Verkehrspflichten
Wenn immer mehr Autoren befürworten, im Rahmen des § 823 11 BGB die Enge des formellen oder gar nur Strafgesetzes zu verlassen, dient das nicht nur dazu, die Voraussetzungen für eine Fortbildung des Deliktsrechts herzustellen. 54 Es geht auf der anderen Seite auch darum, die de1iktischen Verkehrs sicherungsoder Verkehrspflichten vom Absatz 1 des § 823 in dessen Absatz 2 zu verlagern. Herkömmlich werden die Verkehrspflichten dem § 823 I BGB zugeordnet. Sie erfüllen dort zwei Funktionen: Zum einen dienen sie beim Unterlassungsdelikt dazu, die Handlungspflicht zu begründen; zum anderen sollen sie bei nur mittelbarer Verursachung der Rechtsverletzung, bei der nicht ohne weiteres jede nach den Grundsätzen der Adäquanz zum Erfolg führende Handlung als rechtswidrig verstanden werden kann, den "Pflichtwidrigkeitszusammenhang" herstellen. 55 Schulbeispiel 56 für den zweiten Anwendungsfall ist die Produktion von Automobilen: Es läßt sich die Wahrscheinlichkeit bestimmen, mit der dieses Verhalten zu Verletzungen und Todesfällen führt, was auch sowohl adäquat kausal als auch für den Produzenten vorhersehbar ist; dennoch ist die Produktion von Automobilen nicht rechtswidrig. Es fehlt dafür an der Verletzung einer Verkehrspflicht, welche derartiges verbietet. Unklar ist dabei noch die Einordnung der Verkehrspflichten in den Aufbau der unerlaubten Handlung. Sie können als zum Tatbestand oder zur Rechtswidrigkeit zugehörig betrachtet werden. 57 Ein anderer Vorschlag Brox, Grundbegriffe des Arbeitsrechts, Rn. 332; Steindorff, JZ 1960, 582, 583. Oben I. 3. 54 So bei Mertens, in: MÜllchKomm, § 823, Rn. 475 ff. und AcP 178 (1978), 227, 242 ff.; knapp auch Assmann, Prospekthaftung, 337. 55 Siehe nur Canaris, FS Larenz 1983, 27, 77. 56 Nach Medicus, Bürgerliches Recht, Rn. 645. 57 So zählt Larenz Verkehrspflichten, die eine Handlungspflicht begründen, zum Tatbestand (Schuldrecht AT, 457 f.; Schuldrecht BT, 590 f.), diejenigen hingegen, die der Zurechnung mittelbarer Verletzungshand1ungen dienen, zur Rechtswidrigkeit (Schuldrecht BT, 610). 52 53
H. Erklärungspflichten als Verkehrspflichten
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geht dahin, Verkehrspflichten einheitlich bei der haftungsbegründenden Kausalität als Instrumente der Zurechnung des tatbestandsmäßigen unvorsätzlichen Verletzungserfolges zu einer bestimmten Person als dem Verletzer anzusiedeln. 58 Zu diesen herkömmlichen Zuordnungen der Verkehrspflichten zu § 823 I muß man zwangsläufig gelangen, wenn man jede Erweiterung des Schutzgesetzbegriffs in § 82311 BGB ablehnt,59 sind die Verkehrspflichten doch gerade ein Musterbeispiel für im Wege der Rechtsfortbildung entstandene Normen. Sieht man hingegen Raum für die Neubildung von Schutzgesetzen, läßt sich das Phänomen der Verkehrspflichten auch im § 823 11 verorten. In diese Richtung weist vor allem eine strukturelle Betrachtung der beiden Absätze des § 823 BGB. In diesen lassen sich zwei verschiedene Begriffe der Rechtswidrigkeit erkennen. Absatz 1 benennt als rechtswidrig die Herbeiführung eines bestimmten Erfolges (nämlich der Verletzung eines absoluten Rechts). Absatz 2 hingegen sanktioniert das gebotswidrige Verhalten. 6IJ Rechtswidrig nach Absatz 2 ist die Verletzung einer Verhaltenspflicht. Verkehrspflichten stellen solche Verhaltenspflichten dar. Zwar lassen sie sich durchaus mit der herrschenden Ansicht auch vom Standpunkt des Gefährdungsunrechts qualifizieren, also als Pflichten zur Abwehr der Gefahrdung eines absoluten Rechts im Sinne von § 823 I BGB verstehen. 61 Dann läge die Betonung darauf, in ihnen Werkzeuge zur Vermeidung von Rechtsgutsverletzungen zu sehen. Dieses Ziel wird jedoch gerade dadurch erreicht, daß die Verkehrspflichten ein bestimmtes, im Fall der Rechtsgutsverletzung haftungsauslösendes Verhalten beschreiben. Sie begründen auf diese Weise - im Fall des Unterlassungsdeliktes - Handlungspflichten, ansonsten Sorgfaltspflichten oder Unterlassungspflichten. Das wiederum spricht dafür, sie entsprechend den Schutzgesetzverletzungen zu behandeln. 62 Allerdings läßt sich auch § 823 I BGB selbst als Quelle von Verhaltenspflichten betrachten. Er statuierte dann die Pflicht, die in ihm bezeichneten Rechte nicht zu verletzen. 63 Weiter soll gegen eine neue Systematik der Verkehrspflichten sprechen, daß dann der Absatz 1 nur noch bei unmittelbaren Eingriffen anzuwenden wäre. 64 Der sei jedoch nach systematischer Stellung und Rang der dort 58 Medicus, Bürgerliches Recht, Rn. 647. 59 Dazu soeben 1.
6IJ Larenz, FS Dölle I, 169, 193; K. Huber, FS v. Caemmerer, 359, 381; Leser, AcP 183 (1983), 569, 583, 585. 61 v. Bar, Verkehrspflichten, 158; ders., JZ 1979, 728, 729. 62 Deutsch, JuS 1967, 152, 157; ders., Haftungsrecht 1,130; K. Huber, FS v. Caemmerer, 359, 381; v. Bar, Verkehrspflichten, 159; U. Huber, FS E. R. Huber, 253, 269; vorsichtig Medicus, Bürgerliches Recht, Rn. 655. 63 Henckel, AcP 174 (1974), 97, 136; K. Schmidt, Kartellverfahrensrecht, 348; dazu schon oben § 2, Ir. 2. 64 Dafür ausdrücklich Fraenkel, Tatbestand und Zurechnung, 43. Mertens (VersR 1980,397 f.) spricht von dieser Konzeption des § 823 BGB als der "legislativen", der die "judizielle" - mit Einordnung der Verkehrspflichten in den Absatz 1 - gegenüberstehe.
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§ 13 Die Ausgestaltung der Haftung
geschützten Rechtsgüter die deliktsrechtliche Zentralnonn, dürfe daher nicht nur "die - unsinnigerweise an die Spitze gestellte - Regelung eines höchst begrenzten Problemausschnitts" darstellen. 65 Der Bestandsschutz durch den Absatz 1 müsse weiterreichen als nur bis zur Bedrohung durch die unmittelbare Handlung. Es sei ein "merkwürdiges Vertändnis" vom Wert der in § 823 I geschützten Rechtsgüter, wenn bloß mittelbare Angriffe nicht mehr als Angriffe auf diese Güter qualifiziert werden dürften. 66 Dieser letzte Einwand ist aber offenbar vorwiegend vom Rechtsgefühl geleitet; schließlich führt die Verlagerung der Verkehrspflichten zu keiner SchlechtersteIlung des in seinen absoluten Rechten Verletzten. Und genausogut wie Absatz 1 kann man - beim oben angesprochenen "verhaltensorientierten" Verständnis der Rechtsverletzung - auch den Absatz 2 des § 823 als deliktischen Grundtatbestand begreifen. 67 Zuzugeben ist aber, daß Verkehrspflichten so lange ein schwer faßbares Zwischengebilde zwischen den beiden Absätzen des § 823 BGB darstellen, wie sie dem Schutz absoluter Rechte dienen. "Die Verkehrspflichtverletzung folgt - bezogen auf die Rechtsgüter des Abs. 1 - dem Schema des Abs. 2."68 Zwei Argumente sprechen letztlich doch entscheidend dafür, die Verkehrspflichten als durch Fortbildung des Rechts entstandene Schutzgesetze zu begreifen. Zum einen müßte, wollte man bei der Einordnung im Absatz 1 bleiben, nicht nur der Nonnverstoß als solcher, sondern auch noch der Verletzungserfolg (nicht der Schaden) vom Täter verschuldet sein. 69 Unter den Verkehrspflichten befinden sich jedoch nicht nur konkrete Gefahrdungsnonnen, bei denen diese Einbeziehung möglich wäre, sondern auch abstrakte, die gerade den Bezug zur konkreten Rechtsgutsverletzung verloren haben sollen. 70 Entscheidend dürfte jedoch sein, daß ein Bedürfnis besteht, Verkehrspflichten zum Schutze fremden Vermögens 71 zuzulassen. Dies ergibt sich aus den Ausführungen dieser Arbeit. Wenn der Schutz überindividueller Rechtsgüter es erfordert, Verhaltenspflichten aufzustellen und ihre Verletzung mit Schadensersatzpflichten zu sanktionieren 72 und wenn diese Pflichten dann, wie gezeigt, deliktischen Charakters sind, 73 erscheint es als geradezu zwangsläufige Folge, das Instrument der Verkehrssicherungspflicht an dieser Stelle nutzbar zu machen. 74 Dies gilt Canaris, FS Larenz 1983, 27, 78. Steffen, VersR 1980,409. 67 So etwa K. Schmidt, Kartellverfahrensrecht, 349; Rödig, Schutzgesetzverstoß, 56 f.; Mertens, AcP 178 (1978), 227, 252. 68 Mertens, VersR 1980,397,399. 69 Stoll, Kausalzusammenhang, 21. Ihm geht es weitergehend (21 ff.) sogar darum, im Rahmen des Absatzes 2 die Schuld auch den Erfolg mit erfassen zu lassen. Dagegen zutreffend v. Bar, Verkehrspflichten, 162 f. 70 v. Bar, Verkehrspflichten, 160. 71 So der programmatische Titel der Arbeit von K. Huber, FS v. Caemmerer, 359. 72 Oben § 12. 73 Oben I. 2., 3. 65
66
III. Rechtsfortbildung ohne Grenzen?
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umso mehr, wenn man in ihm eine Ausprägung des allgemeinen Gebotes sieht, andere nicht mehr als unvermeidbar zu gefährden. 75 Läßt sich aus solchem Gedanken auch keine deliktische Generalklausel ableiten,76 dann liegt es doch nahe, das Gebot auf Vermögensgefährdungen zu erstrecken, wenn dafür eine zwingende Legitimation gegeben ist. Eine solche liegt mit dem Schutz des Rechtsverkehrs unter den im vorangegangenen Abschnitt beschriebenen Umständen vor.
III. Rechtsfortbildung ohne Grenzen? 1. Die Offenheit des § 82311 BGB
Zum Abschluß der Darstellung der "Vertrauenshaftung" war als einer der wesentlichen Kritikpunkte an jenem Institut genannt worden, daß der zentrale Begriff des "Vertrauens" nur ein vages und unbestimmtes Kriterium abgibt. Das gefährdet zum einen die Sicherheit der Rechtsanwendung und eröffnet zum anderen geradezu unbegrenzte und unkontrollierbare Möglichkeiten der Rechtsfortbildung. Der wohl gewichtigste Einwand gegen das hier vertretene Konzept ist der, daß es in dieser Hinsicht auch nicht mehr oder gar nur weniger zu leisten vermag. Er ist ernstzunehmen, aber unbegründet. Insbesondere der Lösung der bisher engen Fesseln, in denen das "Schutzgesetz" des § 823 11 BGB gebunden war, wird entgegengehalten, sie bürde der rechtsprechenden Gewalt eine unangemessen hohe rechtspolitische Verantwortung auf. Angesichts solcher Einflußmöglichkeiten sei nicht mehr zu erwarten, daß sich die Richter noch zusammenfinden werden, um die weitere Konkretisierung etwa der Verkehrspflichten vorzunehmen. 77 In ähnliche Richtung geht es, wenn eine Entwicklung hin zur deliktischen Generalklausel befürchtet wird. Nähme § 823 11 BGB die Verkehrspflichten in sich auf, so werde er zu der zentralen Norm des Deliktsrechts, welche der vom Gesetz verworfenen "großen" Generalklausel ähnlich sei. 78 Andere wollen bestenfalls bei Anlehnung an bestehende gesetzliche Vorschriften außerhalb des Deliktsrechts der Schaffung neuer Schutzgesetze zustimmen. 79 In der Tat gibt es Stimmen, die mit der Neusystematisierung des Deliktsrechts eben dieses bezwecken. Brüggemeier etwa will die Einordnung der bisher als vertragsähnlich angesehenen Pflichten in das Deliktsrecht dazu benutzen, um ein 74 Diesen Weg geht auch Assmann, Prospekthaftung, 337; ähnlich Leser, AcP 183 (1983), 568, 586. 75 Larenz, Schuldrecht BT, 611. 76 Zu einem solchen Ansatz bei Picker siehe oben § 8, IV. 77 Steffen, VersR 1980,409. 78 Canaris, FS Larenz 1983,27, 80; Picker, AcP 183 (1983), 369, 495 ff. 79 StolI, Richterliche Fortbildung, 43; Bydlinski in der Diskussion zum Referat von Leser (AcP 183 [1983],568), berichtet von Klippei, AcP 183 (1983), 602, 604.
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§ 13 Die Ausgestaltung der Haftung
"Sonder-Deliktsrecht" an deren Stelle zu setzen, welches "durch die Formulierung ... sozialbereichsspezifischer Verkehrspflichten die ökonomische Handlungsfreiheit von vornherein mit einem außerkontraktlichen Haftungsrisiko belastet, um präventiv einen bestimmten, über das allgemeine Deliktsrecht der §§ 823 ff. hinausgehenden Integritätsschutz im geschäftlichen Verkehr durchzusetzen."80 Dabei will er das System von Einzeltatbeständen, wie es sich in den §§ 823 ff. BGB darstellt, durch eine Generalklausel ersetzen. 81 Eine deliktische Generalklausel kennt das gegenwärtige Recht nicht, und sie läßt sich auch nicht als allgemeiner Grundsatz des "neminem laedere" dort hineininterpretieren. 82 Die tatbestandliche Ausformung des Deliktsrechts ist nicht nur ein Mittel der Rechtstechnik, sondern ein Instrument der Freiheitssicherung. Das Deliktsrecht darf nicht nur die Interessen des potentiell Geschädigten, sondern muß auch die des Schädigers berücksichtigen. Haftpflicht schützt nicht nur, sondern sie bindet auch. Die Bindung muß vorhersehbar und grundsätzlich begrenzt sein. Einer Generalklausel hingegen wohnt die Tendenz zu einer einseitigen Bevorzugung des Geschädigten inne. 83 Die Zulassung von Verkehrspflichten zum Schutze auch fremden Vermögens bedeutet jedoch nicht notwendig eine Auflösung der Konturen des Deliktsrechts. Sie kann zu einer solchen führen, wenn man der Rechtsanwendung nicht mehr vorgibt als allgemeine Vokabeln wie "Sozialbindung",84 "Schutz sinnvoller Institutionen",85 "Verantwortung als Ausgleich zur rechtsgeschäftlichen Freiheit"86 oder auch "Vertrauens schutz". Verkehrspflichten zum Schutze fremden Vermögens führen hingegen dann nicht zu einer generalklauselartigen Weite der Deliktshaftung, wenn man konkrete Kriterien vorgibt, anhand derer die Entwicklung zu erfolgen hat. Dies ist hier geschehen: Nur solche Erklärungspflichten sind zu formulieren und im Falle der Verletzung mit einer Schadensersatzpflicht gemäß § 82311 BGB zu sanktionieren, die die Richtigkeit von Informationen bei Vorliegen kollektiver Informationsungleichgewichte im Rechtsverkehr und dann, wenn nicht überwiegend im Fremdinteresse gehandelt wird, verlangen.
80 Brüggemeier, AcP 182 (1982),385,423,425 (Hervorhebung hinzugefügt). Brüggemeiers "Sonder-Deliktsrecht" nicht unähnlich plädiert Mertens, AcP 178 (1978), 227, 231 ff. dafür, die Fortbildung des Deliktsrechts im Rahmen eines "ungeschriebenen § 823 III" vorzunehmen; ähnlich Leser, AcP 183 (9183), 568, 585. 81 aaO., 425 ff. 82 Vgl. oben § 8, IV. 83 Canaris, FS Larenz 1983,27,35 ff. 84 Brüggemeier, AcP 182 (1982), 385, 425. 85 Staud. / J. Schmidt, § 242, Rn. 1223 ff. (dazu ausführlich oben § 8, I. 2. c). 86 Oben § 8, I. 1.
III. Rechtsfortbildung ohne Grenzen?
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2. Die Formulierung abstrakt-genereller Tatbestände durch den Richter
Die Fortbildung des Deliktsrechts hat mil der Aufstellung abstrakt-generell formulierter Tatbestände einherzugehen. Dies dient sowohl der Rechtssicherheit als auch der Begrenzung der Haftung. Die Aufklärungspflichten müssen sich, banal formuliert, in "Wenn-dann-Sätzen" formulieren lassen, die mit hinreichender Präzision Sachverhalt, verhafteten Personenkreis sowie Art und Umfang der Pflicht erkennen lassen. 87 Ein Verweis auf wirklich oder vermeintlich geltende ,,rechtsethische Prinzipien" wie "Vertrauen", "gute Sitten", "Redlichkeit" oder ,,Anstand" hat zu unterbleiben, die abstrakt-generell formulierte Norm ist mit konkreten Tatbestandsmerkmalen auszufüllen. Als Adressat für diese Aufgabe der Tatbestandsformulierung kommt nur die Rechtsprechung in Betracht. Die Ermächtigung der Rechtsprechung zu einer Rechtsfortbildung nicht nur für den Ausnahmefall erweckt vielfach Bedenken; und das zu Recht. Picker erwähnt eine praktische Konsequenz der Normbildung durch die Justiz, welche deren Problematik vor Augen führen soll: 88 Stelle die vom Gericht erstmals anerkannte Schutzposition oder Verkehrspflicht wirklich eine originäre Neuschöpfung dar, komme sie für die primäre Aufgabe des Gerichts, die Entscheidung im Einzelfall, immer zu spät. Denn der Schädiger, über dessen Tun zu befinden sei, habe sie dann gar nicht beachten können oder müssen. Infolgedessen dürften die Ausführungen des Gerichts daher nicht den zu entscheidenden Fall betreffen, sondern, ,,kompetenz- und funktionswidrig" , ausschließlich mögliche künftige Fälle. Hiermit ist in der Tat der Finger in die Wunde gelegt, denn auch die rechtsstaatliehe Gewaltenteilung (Art. 2011 GG) kennt keine Rechtssetzung durch Gerichte, sondern erlegt ihnen die Aufgabe der Rechtsfindung auf. Der Rechtsprechung fehlt zur Rechtssetzung die parlamentarische Legitimation. Bleibt sie hingegen im Rahmen der Rechtsfindung, so kann sie ungerührt eine neue Spruchpraxis, die dann keine Erfindung, sondern lediglich eine neue Erkenntnis ist, auch schon im ersten auftretenden Fall anwenden. Hier liegt wahrscheinlich der Hauptgrund dafür, daß sich so viele Stimmen in der Diskussion bei der Statuierung neuer Verhaltenspflichten zunächst unter Hintanstellung jeglicher Methodik auf eine ,,Analogie" zum anerkannten Institut der culpa in contrahendo stützen 89 und danach, wenn das nicht mehr hilft, ein "allgemeines rechtsethisches Prinzip" 90 bemühen. Da es sich dabei stets um schon bestehendes Recht handelt, kann es der Richter, der es "entdeckt", auch gleich anwenden.
87 Dieses entspricht dem ersten der drei Kriterien, die Larenz als "Kennzeichen geglückter richterlicher Rechtsfortbildung" (S. 13) erkannt hat. 88 Picker, AcP 183 (1983), 369, 501. 89 Oben § 1,11. 3. b; III. 4. 90 Oben § 5, 11. 1.
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§ 13 Die Ausgestaltung der Haftung
Derartiges Vorgehen ist nun aber nichts anderes als Etikettenschwindel. Wenn Picker - zutreffend - feststellt, der Schädiger, über dessen Tun das Gericht im konkreten Fall befindet, habe die vom entscheidenden Gericht erstmals aufgestellte Verkehrspflicht ja gar nicht kennen und beachten können,91 dann vergißt er zu überlegen, ob das bei einer sich methodisch als Konkretisierung bereits im Recht angelegter Prinzipien 92 ausgebenden Rechtsfortbildung denn wirklich anders ist. Das ist es wohl kaum. 93 Denn wann die Rechtsprechung die Verletzung "besonders in Anspruch genommenen Vertrauens" sanktioniert, wann die "typisierten", in Wirklichkeit gar nicht vorliegenden Vertrauens, und wann man (im Ergebnis ist es häufig) ungestraft Vertrauen enttäuschen darf, läßt sich von keinem Rechtsgenossen voraussagen, streitet sich doch auch die Wissenschaft eifrig darüber. Den ersten Schädiger, dessen Fall die höchstrichterliche Rechtsprechung beschäftigt, trifft immer eine ihm unbekannte Pflicht. Das ist ein Manko und ein Defizit an Einzelfallgerechtigkeit. Es haftet aber jeder Rechtsfortbildung an. 94 Das verdeutlicht auch noch ein Blick auf die Verkehrspflichten, so wie sie die herrschende Meinung versteht. Selbst wenn man diese als Konkretisierung des allgemeinen Gebotes versteht, niemandes Rechsgüter zu gefährden, bleibt im Einzelfall doch immer unklar, welche Art mittelbarer Verletzung absoluter Rechte als nächstes zur Ersatzverpflichtung führt. 95 3. Legitimationszwang durch offene Rechtsfortbildung
Der offene Konflikt der Befugnis des Richters zur Schutznonnfonnulierung mit seiner Legitimation dazu ist also einerseits erträglich deswegen, weil jeder andere Weg als der hier vertretene die gleichen Mängel aufweist. Eine gleichzeitig rechts staatlich unbedenkliche und dem Rechtsempfinden nicht widersprechende Lösung ist nicht ersichtlich. Der Konflikt ist aber auch beabsichtigt, weil er sich selbst entschärft. Er entschärft sich dadurch, daß er die Rechtsfortbildung zügelt. Die Befugnis des Richters zur Offenheit bei der Rechtsfortbildung beinhaltet nämlich zugleich die Verpflichtung zu solcher Offenheit. Es ist nicht mehr möglich, sich hinter unklaren Prinzipien zu verstecken, positiv belegte Leervokabeln vorzuschützen oder allgemeinen Grundsätzen zu huldigen und dabei letztlich doch nur das eigene Gerechtigkeitsempfinden walten zu lassen. Wenn die Rechtsprechung neue Erklärungspflichten begründen will, steht sie ersichtlich jenseits der schützenden Grenzen des Gesetzes und bedarf sie in besonderer Weise einer 91 Picker, AcP 183 (1983), 369, 501.
92 Bei ihm ist es das Prinzip des ,,neminem laedere in Sonderverbindungen"; siehe dazu schon oben § 8, IV. 93 So auch Lieb, AcP 183 (1983), 327, 333 f. 94 Lieb, AcP 183 (1983), 327, 337. 95 Delius, DJZ 1914,206 spricht im Zusammenhang der Verkehrspflichten von ,,kühner Rechtsauslegung" des Reichsgerichts.
IV. Neue Verkehrspflichten und culpa in contrahendo
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wirklichen Legitimation für ihr Handeln. Dies gilt umso mehr, als eine abstraktgenerell formulierte, aber mit konkreten Tatbestandsmerlanalen ausgefüllte, vollständige Rechtsnorm zu bilden ist. Die Rechtsfortbildung in einem solchen System ist auch deswegen durchschaubarer und leichter zu kontrollieren, weil sie systemkonform ist. Durch Fehlentwicklungen - die sich nie ausschließen lassen - auftretende zukünftige Systembrüche fallen auf und regen zur Überprüfung der Entwicklung an. Nur ein systemkonsistentes Modell ist auch in der Lage, die Hauptaufgabe jeder Dogmatik zu leisten: eine Kontrolle der Ergebnisse, die im zu entscheidenden Einzelfall für "gerecht" gehalten werden, anhand zuvor im Allgemeinen als richtig erkannter Wertungen. Der Vertrauensschutzgedanke ist auch dafür ungeeignet.
IV. Neue Verkehrspflichten und culpa in contrahendo Die Argumentation, die hier vorgetragen wurde, paßt zu weiten Teilen auch auf das Rechtsinstitut der culpa in contrahendo in der Form, in der es bis zur Ausweitung auf andere Personen als die angehenden Vertragspartner selbst anerkannt war. Soweit die culpa in contrahendo auf den Vertrauensschutzgedanken gestützt wird,96 gelten die hiergegen im zweiten Teil vorgebrachten Bedenken ebenso wie die, die gegen jede Anlehnung von Haftungsfiguren an die vertragliche Sonderbeziehung sprechen. Auch manche andere Argumentationsfigur, die zur Begründung einer außervertraglichen Sonderhaftung auftaucht und hier für nicht zutreffend erachtet wurde, wird in gleicher Weise zur Begründung von Entwicklungen innerhalb der herkömmlichen culpa in contrahendo herangezogen. Es erscheint jedoch, wie schon eingangs erwähnt, nicht sinnvoll, heute noch das Institut der culpa in contrahendo neu gestalten zu wollen. Man muß diesbezüglich von einer gewohnheitsrechtlichen Verfestigung ausgehen. Selbst wenn aber die Rechtsqualität der culpa in contrahendo einer Neueinordnung nicht entgegenstünde, wäre in ihrem klassischen Kernbereich an ihr festzuhalten. Daß eine Schädigung durch den potentiellen Vertragspartner selbst zur Ersatzpflicht nach Vertragsgrundsätzen führt, läßt sich mit dem ebenso einfachen wie einleuchtenden Argument begründen, daß für den Zeitpunkt vor Vertragsschluß nichts anderes gelten kann als für den danach. 97 Dieser Gedanke greift aber nur dann, wenn die sanktionierte Pflicht auch eine solche innerhalb von Vertragsverhandlungen und zwischen Parteien ist, die nachfolgend der Vertragshaftung unterliegen werden oder zumindest würden. Damit 96 Das tun die Rechtsprechung und die überwiegende Ansicht in der Literatur; siehe oben § 1, 11. 1. 97 Canaris, JZ 1965,476,479; VersR 1965, 114, 117 leitet aus diesem Gedanken zugleich her, daß der culpa in contrahendo und der positiven Vertragsverletzung ein einheitlicher Haftungsgrund gegeben sein müsse.
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§ 13 Die Ausgestaltung der Haftung
sind diejenigen Fälle aus der culpa in contrahendo auszuscheiden, die als deren Erweiterungen den Anlaß dieser Untersuchung gebildet haben: zum einen die Fälle der Auskunftshaftung, die sowohl außerhalb von Vertragsbeziehungen als auch außerhalb von Vertragsverhandlungen spielen; und zum anderen alle Erweiterungen der culpa in contrahendo auf außerhalb der angehenden Vertragsbeziehung stehende Personen. Im ersten Fall wird es ohnehin in aller Regel an dem Erfordernis fehlen, daß die Auskunft oder Information nicht überwiegend im Fremdinteresse erteilt wird. 98 Der zweite Fall betrifft insbesondere die Fälle der "Sachwalter" und die Prospekthaftung. Diese nur noch deliktisch haften zu lassen, könnte Erstaunen erwecken. Dabei darf man jedoch nicht vergessen, daß der angehende Geschäftsherr weiterhin nach Vertragsgrundsätzen zur Rechenschaft zu ziehen ist. Das Verschulden seiner Erfüllungsgehilfen, auch der selbständigen, ist ihm daher ohne weiteres nach § 278 BGB zuzurechnen. Mit dieser Lösung wird gewährleistet, daß sich das Vertragsrecht nicht allzu hypertroph entwickelt. Wer weder Vertragspartner ist noch werden wird, haftet auch nicht nach Vertragsrecht - eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Entkleidet man das Institut der culpa in contrahendo so seiner ihm zugewachsenen Funktion eines Ersatzhaftungssystems zur Ergänzung des Deliktsrechts und führt es dahin zurück, daß es Pflichtverletzungen sanktionieren soll, die Vertragsverletzungen auch wirklich vergleichbar sind, dann wird man noch einen weiteren Schritt gehen müssen und diejenigen sogenannten Schutz- oder Erhaltungspflichten aus der culpa in contrahendo herausnehmen, die dem Schutz nicht nur des Vermögens, sondern von Gesundheit und Eigentum des angehenden Vertragspartners dienen (die "Bananenschalenfälle" 99). Auch hierbei handelt es sich um Deliktsrecht. 100 Mit Hopt läßt sich sogar sagen, daß die Pflichten hinsichtlich "vertragsfremder Rechtsgüter" aus der culpa in contrahendo herausgenommen gehören. 101 Übrig bleibt für das Verschulden bei Vertragsverhandlungen mithin, vertragsspezifische Pflichtverletzungen durch die angehenden Vertragsparteien 102 im vorvertraglichen Stadium zu sanktionieren. Insoweit bestehen auch weder Bedenken gegen einen aus der Sonderverbindung entspringenden Begründungsansatz noch gegen die Ausgestaltung der Haftung nach Vertragsrecht.
Oben § 10, 11. 2.; § 12, IV. 4. So bezeichnet in Anlehnung an BGH, LM Nr. 13 zu § 276 (Fa) BGB. 100 Kreuzer, JZ 1976,778,779; v. Bar, Verkehrspflichten, 314; differenzierend Bohrer, Dispositionsgarant, 258 ff., 263, 265, der diese Fälle zwar aus der c.i.c. herausnimmt, sie dann aber einer eigenständigen, nicht deliktischen "Haftung aus Leistungskontakt" zuordnet. 101 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 631, 661 f.; allerdings will Hopt dieses wegen der seiner Meinung nach bestehenden Schwächen des Deliktsrechts (dazu unten V.) nur ,,rechtspolitisch gesehen" gelten lassen. 102 Oder durch deren Hilfspersonen; was aber nur zur Haftung der Parteien selbst über § 27,8 BGB führt, nicht zur Eigenhaftung des Vertreters oder sonstiger Dritter. 98
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V. Das Problem der "Haftungslücken"
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V. Das Problem der "Haftungslücken" Das vorgelegte Konzept hat sich noch mit einern letzten Einwand auseinanderzusetzen. Eines der Hauptanliegen bei der Entwicklung der culpa in contrahendo und jeder weiteren Ausdehnung der vertragsähnlichen Haftungsfiguren war das Bemühen, den als verunglückt empfundenen § 831 I BGB zu umgehen und durch die Haftung für den Erfüllungsgehilfen gemäß § 278 BGB zu ersetzen. Hierbei ging es in erster Linie um die Ausschaltung des Entlastungsbeweises des § 831 I 2 BGB; 103 teilweise wird jedoch auch der (weitere) Begriff des ,,Erfüllungsgehilfen" in § 278 dem des "Verrichtungsgehilfen" in § 831 I vorgezogen. 104 Auch die für vertragliche Ansprüche geltende dreißigjährige Verjährungsfrist des § 195 BGB soll ein Vorteil gegenüber der nur dreijährigen im § 852 BGB sein. 105 So sieht etwa Hopt sein dem hier vertretenen vergleichbares Konzept einer Berufshaftung grundsätzlich dem Deliktsrecht zugehörig, da es allgemein um den Schutz fremder Rechtsgüter vor Schädigung gehe. Das könne jedoch nur "rechtspolitisch" gelten. 106 De lege lata komme es darauf an, den bisher von der Rechtsprechung gewährten Rechtsgüter- und Vermögensschutz zu erhalten. Eine volle Einordnung in das allgemeine Delkiktsrecht leiste dies noch nicht; im übrigen soll offenbleiben, ob vertragsähnliche oder deliktische Haftung vorliegt. 107 Dem ist grundsätzlich entgegenzuhalten, daß es "Haftungslücken" nicht gibt. Denn die Haftung ist keine Selbstverständlichkeit, die keiner weiteren Begründung mehr bedürfte. Ein uneingeschränktes Gebot des ,.neminem laedere" im Recht existiert nicht. 108 Das System des Einstehenmüssens für Schädigungen anderer ist außerhalb vertraglicher Beziehungen ein fragmentarisches. 109 Führt eine Schädigung nicht oder nicht in erwarteter Weise zur Einstandspflicht, so ist damit noch nicht dargetan, daß das Recht einen Mangel aufweist. Ebensogut kann ein Fall vorliegen, in dem die Interessen des Schädigers denen des Geschädigten vorgehen sollen. Dies gilt in noch verstärktem Maße für die Modalitäten der Haftung. Sind Beweislast, Verjährung und Gehilfenhaftung im Deliktsrecht für den Geschädigten weniger günstig ausgestaltet als im Vertragsrecht, ist zu Larenz, Schuldrecht BT, 651; Soergel/Zeuner, § 831, Rn. 9. Canaris, FS Larenz 1983, 27, 87 ff. bringt das Beispiel des sog. selbständigen Erfüllungsgehilfen, der zwar von § 278, nicht jedoch von § 831 BGB mit umfaßt werde. 105 Erman / Battes, § 276, Rn. 110. 106 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 661. 107 aaO., 662. 108 Siehe dazu schon oben § 8, IV. 109 Der gleiche Gedanke paßt in noch viel eklatanterer Weise auf das Strafrecht. In der strafrechtlichen Diskussion ist sehr häufig von "Strafbarkeitslücken" die Rede. Hier ist es hingegen ganz evident, daß angesichts des Grundsatzes ,,nulla poena sine lege" (Art. 103 II GG) Strafbarkeit die Ausnahme, Straffreiheit die Regel ist. "Lücken" kann es in einem solchen System nicht geben. 103
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§ 13 Die Ausgestaltung der Haftung
betonen, daß daraus allein noch kein Argument für die Heranziehung des Vertragsrechts erwächst. Daß die Beweislast auf Seiten des Geschädigten liegt, ist ein Fundamentalprinzip des Privatrechts; daß Ansprüche nach unangemessen langer Zeit den Verpflichteten nicht mehr überraschen sollen ist ebenso eine sinnvolle Anordnung wie man nicht verkennen kann, daß die Haftung für eingeschaltete Dritte Grenzen kennen muß. 110 Damit soll die Möglichkeit des Entlastungsbeweises in § 831 I 2 BGB allerdings nicht verteidigt werden. 111 Das ist aber auch nicht nötig. Denn zum einen hat die Rechtsprechung dieser Norm in einer langen Entwicklung konsequent "die Zähne gezogen". Das gilt in besonderer Weise für die Verkehrspflichten, um die es hier geht. Vor allem aber ist es, unabhängig von der Frage, inwieweit dieses den Geschäftsherrn entlastet, nicht ohne weiteres möglich, Verkehrspflichten zum Schutze des Rechtsverkehrs zu delegieren. Denn derjenige, der die Aufgabe der Information übernommen hat, wird häufig die Anforderungen erfüllen, die für die Begründung einer Pflicht in seiner eigenen Person bestehen. Es kann hier nicht im einzelnen die Entwicklung der Rechtsprechung nachgezeichnet werden. 112 Nur kurz seien einige Stichworte genannt, die auf die vollzogene Einschränkung der Tragweite des § 831 I 2 BGB hindeuten. Mit dem Instrument des Organisationsverschuldens 113 wird es juristischen Personen verwehrt, wichtige Aufgaben durch Personen wahrnehmen zu lassen, die nicht verfassungsmäßige Vertreter im Sinne den § 31 BGB sind. 114 Überhaupt wird der Kreis der Personen, für die sich die Haftung nach § 31 bestimmt, außerordentlich weit gezogen. 115 Ferner wird nicht anerkannt ein Entlastungsvorbringen, das darauf hinausläuft, die gesamte Betriebsführung sei einem zuverlässigen Geschäftsführer überlassen worden; 116 diesbezüglich bleibt der Geschäftsherr selbst in der Pflicht. Am signifikantesten ist diese Entwicklung bei den Verkehrspflichten. 1I7 Derjenige, dem die Verkehrssicherung 118 obliegt, kann sich nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen seiner Verantwortlichkeit nicht dadurch entledigen, daß er mit der Wahrnehmung der Aufgabe (in unseren Fällen also mit der Erteilung der notwendigen Informationen) geeignete Hilfspersonen betraut. Die
Gegen undifferenzierte Kritik an § 831 BGB Larenz, Schuldrecht BT, 652. Ein Beitrag zur Diskussion um diese Vorschrift kann und soll an dieser Stelle nicht geleistet werden. 112 sehr ausführlich v. Bar, Verkehrspflichten, 239 ff. 113 Dazu Hassold, JuS 1982, 583 ff. 114 BGHZ 24, 200, 213; 39, 124, 129 f.; BGH NJW 1965, 685. 115 Soergel / Zeuner, § 831, Rn. 5. 116 BGH VersR 1964,297; RG JW 1938, 1651, 1652. 117 Dazu Vollmer, JZ 1977, 371 ff. 118 Dieses gilt unabhängig davon, ob man die Verkehrspflichten dem Absatz 1 oder dem Absatz 2 des § 823 BGB zuordnet (Soegel/Zeuner, § 823, Rn. 181). 110 111
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Verkehrspflicht geht über in eine Aufsichtspflicht. 119 Deren Verletzung führt zur Haftung des "Hintennannes" nach § 823 BGß. 120 Das Problem des § 831 I BGB spielt allerdings in erster Linie eine Rolle für die Fälle der Integritätsverletzungen ("Bananenschalenfalle"). Bei den Erklärungspflichten wird derjenige, der sich in der Lage befindet, durch falsche Informationen Schaden anzurichten, in aller Regel auch zugleich nach den allgemeinen Regeln der Verkehrspflichten zum Schutze des Rechtsverkehrs, wie sie in § 12 dargelegt worden sind, verpflichtet sein. Ein Problem der "Dritthaftung" kennt dieses Konzept insofern nicht. Leicht zu veranschaulichen ist dies für die Prospekthaftung. 121 Hier ist jeder originär verpflichtet, der mit einem generellen Wissensvorsprung an der Emission von Kapitalanlageprospekten mitwirkt, welche Stellung im angestrebten Vertragswerk auch immer er einnimmt. Weitere "Schwächen" des Deliktsrechts sollen die nur dreijährige Verjährung nach § 852 BGB sein sowie die Tatsache, daß die Beweislastregel des § 282 BGB keine Anwendung fmden kann. 122 Ersteres kann vor allem bei der Prospekthaftung relevant werden, wo der Schaden - das Scheitern des Anlageprojektes - manchmal erst nach Jahren zutage treten wird. § 282 BGB könnte sogar überall helfen, wo streitig ist, ob dem Infonnierenden die Unrichtigkeit der Infonnation bekannt war (auch hier ist wieder an die Prospekthaftung zu erinnern) oder hätte sein müssen. Es ist jedoch zu bedenken, daß wir es ohnehin schon mit einer Rechtsfortbildung contra legern zugunsten des Geschädigten zu tun haben. Es erscheint da nicht mehr angemessen, die mühevoll hergestellte und als bedeutsam erkannte Systemehrlichkeit der deliktsrechtlichen Lösung zugunsten von BilIigkeitserwägungen aufzugeben. 123 Im Extremfall bleibt allerdings Raum, die von der Rechtsprechung entwickelte Umkehr der Beweislast bei der Produzentenhaftung, 124 welche ja auch einen Fall der Verkehrspflichtverletzung darstellt, vorsichtig auszuweiten. Der an seinem Vennögen Geschädigte hätte dann den Schaden und die Pflichtverletzung darzutun, der Schädiger sein fehlendes Verschulden zu beweisen. Des Rückgriffs auf das Vertragsrecht bedarf es also nicht. Überhaupt stellt die Produzentenhaftung ein eindrucksvolles Beispiel dafür da, daß das Deliktsrecht durchaus entwicklungsfähig ist und auf neue Fragestellungen zu reagieren vennag. 119 BGH VersR 1962, lOB, 1014; NJW 1985,484 f.; schon RGZ 53, 53, 57; 113, 293,295. 120 Wobei es dann wieder auf die dogmatische Einordnung der Verkehrspflichten ankommt. 121 Zur Anwendung des hier vertretenen Konzeptes auf die Ausgangsfalle siehe sogleich unten § 14. 122 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 660. 123 Für Systemkonsistenz als eines der drei Hauptkennzeichen gegelückter richterlicher Rechtsfortbildung Larenz, Kennzeichen, 13. 124 Grundlegend BGH NJW 1969,269 ff.
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§ 14 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
Ganz generell ist abschließend festzustellen, daß Kritik am Deliktsrecht, also insbesondere an den §§ 831 12 und 852 BGB sowie an der Beweislast für das Verschulden, nicht zur "Hypertrophie des Vertragsrechts" 125, sondern zur Fortbildung und notfalls Reform des Deliktsrechts zu führen hat. 126 Gerade die hier untersuchten Auskunftspflichten sind der Beleg dafür, daß sich auch mit Hilfe des Deliktsrechts angemessene Antworten des Rechts auf neu auftretende Formen der Vermögensbeschädigung formulieren lassen.
§ 14 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse I. Die Begründung neuer Erklärungsptlichten 1. Erklärungspflichten lassen sich nicht aus dem Vertrauensschutzgedanken
ableiten. Dieser findet insoweit keine Stütze im Gesetz. Vertrauen als solches ist nicht ohne weiteres schutzwürdig; allgemeine Kriterien für die Schutzwürdigkeit lassen sich nicht angeben. Dem Vertrauen als einem in vielfacher Gestalt im Recht auftretenden Grundsatz fehlt die Kraft, die haftungsrelevanten Fälle von allen übrigen zu scheiden. 1
2. Die vertragliche Beziehung als "Sonderverbindung" ist nicht geeignet, ein Modell der Erklärungshaftung zu stützen. Sie läßt sich nicht aus etwa bestehenden besonderen Risiken rechtsgeschäftlicher Tätigkeit herleiten. Ebensowenig kann es darum gehen, durch den Schutz der Selbstbestimmung der Vertragspartner auf die materiale Gerechtigkeit einzelner Rechtsgeschäfte Einfluß zu nehmen. Generell ist der Vertrag als Instrument des Austausches von den Parteien gewollter Leistungen ungeeignet, um ausdrücklich oder assoziativ ein gesetzliches Haftungsinstitut zu stützen. 2 3. Aus den gleichen Gründen ist es nicht angebracht, mit Hilfe von Erklärungspflichten individuelle Machtungleichgewichte ausgleichen zu wollen. Auch das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes führt zu keinem anderen Ergebnis. 3 4. Die Konzepte einer Berufshaftung haben wesentliche Kriterien für die Haftungsbegründung aufgezeigt; diese haben aber nichts mit dem Beruf zu tun. Die Vorschläge vermögen auch nicht darzutun, woraus sich die Beschränkung auf berufsbezogenes Handeln herleiten soll. 4 Ausdruck von Kreuzer, JZ 1976,778,779. E. Wolf, Schuldrecht AT, 514. lOben §§ 3-6; Zusammenfassung zur Vertrauenshaftung bereits § 6, VI. 2 Oben § 8. 3 Oben § 9. 4 Oben § 11. 125 126
11. Die Anwendung dieses Konzeptes auf die Ausgangsfalle
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5. Neue außervertragliche Erklärungspflichten lassen sich herleiten aus dem Gedanken eines Individualschutzes, der zugleich dem Funktionieren des Rechtsverkehrs und des Wettbewerbes dienen soll. Sie finden eine Rechtfertigimg, wenn -
ein kollektives Machtungleichgewicht vorliegt, das durch Information der schwächeren durch die stärkere Seite abgebaut werden kann;
-
das Handeln des Verpflichteten mit Bezug zu Rechtsverkehr und Markt erfolgt;
-
eine Erklärung ohnehin abgegeben werden muß, also nicht im alleinigen oder überwiegenden Interesse des Empfangers liegt.
-
Die Haftung ist unabhängig von einer bestehenden oder in Aussicht genommenen Vertragsbeziehung zwischen Schädiger und Geschädigtem; insbesondere ist grundsätzlich unerheblich, ob der Schädiger entgeltlich gehandelt hat. Ist letzteres zu verneinen, kann seine Einstandspflicht aber unter Umständen unzumutbar sein. 5
6. Eine solcherart begründete Erklärungshaftung ist keine Haftung vertraglicher oder quasivertraglicher Art, sondern unterfällt dem Deliktsrecht. Die ihr zugehörigen Auskunfts- und Informationspflichten sind als Verkehrspflichten, welche Schutzgesetze im Sinne des § 823 11 BGB bilden, im Wege offener Rechtsfortbildung zu formulieren.
11. Die Anwendung dieses Konzeptes auf die Ausgangsfälle 6 1. Außervertragliche Auskünfte
Die Haftung für unrichtige Einzelauskünfte ist unproblematisch dort, wo diese im Rahmen vertraglicher Beziehungen erteilt werden .. Eine laufende Geschäftsverbindung stellt keine solche Beziehung dar und ist daher nach den oben entwikkelten allgemeinen Grundsätzen zu behandeln. Die vielfach vorgenommene Fiktion von Verträgen ist abzulehnen. Auskünfte und Ratschläge von Rechtsanwälten sowie Kreditauskünfte von Banken außerhalb vertraglicher Beziehungen führen auch im Falle schuldhafter Unrichtigkeit nicht zur Haftung. Gleiches gilt für etwa von Ärzten mit Einverständnis des Patienten erteilte Auskünfte über den Gesundheitszustand gegenüber Versicherungen. In diesen Fällen würde eine Haftpflicht langfristig die Neigung Oben §§ 10, 12. Gemeint sind die Fälle, die im § 1, 11. als neuere Entwicklungen vorgestellt worden sind. Auf einen Nachweis im Einzelfall wird im Folgenden verzichtet; diesbezüglich darf auf die angegebenen Passagen des ersten Teiles verwiesen werden. 5
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§ 14 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
zur Infonnationserteilung schwächen und damit kontraproduktive Wirkungen erzeugen. Anders ist es im Fall des Arbeitgeberzeugnisses, zu dessen Ausstellung eine Pflicht besteht. Ein funktionierender Arbeitsmarkt ist darauf angewiesen, auf die Richtigkeit derartiger Zeugnisse vertrauen zu dürfen. Der ausstellende Arbeitgeber ist auch generell zu einer besseren Einsicht in die Fähigkeiten des ausscheidenden Mitarbeiters in der Lage als der neu einstellende. Eine Besonderheit besteht insofern, als der Geschützte hier nicht die "gegenüberliegende" Marktseite darstellt. Gerade dies macht aber die Überlegenheit der ,jedennannbezogenen" deliktsrechtlichen Lösung deutlich. Eine Verkehrspflicht zur korrekten Zeugniserteilung wird man daher annehmen dürfen.
2. Sachwalter
Eigenes Verschulden des "Sachwalters" eines anderen im Geschäftsverkehr, insbesondere des rechtsgeschäftlichen Vertreters, führt zur Haftung des Geschäftsherm aus culpa in contrahendo gemäß § 278 BGß. Der Sachwalter selbst haftet niemals aus culpa in contrahendo. Eine mögliche Eigenhaftung aus Verkehrspflichtverletzung ist unabhängig von bestehenden Vertragsverhandlungen. Sie tritt ein insbesondere in den Fällen, in denen auch bisher die Haftung schon aufgrund der Sachkunde des Vertreters angenommen wurde. Typischerweise liegt in den Fällen des Gebrauchtwagenverkaufs auf Agenturbasis ein Infonnationsvorsprung des "Vertreters" (= Gebrauchtwagenhändlers) vor, der im Interesse des Schutzes des Rechtsverkehrs eine deliktische Eigenhaftung für schuldhaft falsche Auskünfte über den Vertragsgegenstand rechtfertigt. 3. Prospekthaftung
Den Hauptanwendungsfall für das hier vertretene Konzept bildet die schon seit längerem intensiv diskutierte Prospekthaftung. Auf die Initiatoren von Kapitalanlageprojekten treffen die erarbeiteten Kriterien für die Begründung von Verkehrspflichten in besonderer Weise zu. Sie infonnieren nicht im Fremdinteresse, sondern im eigenen: Ohne Prospekt ließen sich keine Zeichner finden. Sie wenden sich an den Markt; und sie haben allein die Möglichkeit, die erforderlichen Infonnationen zu erlangen. Hinzu kommt, daß der Kapitalmarkt ein besonders sensibles überindividuelles Schutzgut abgibt. Die Haftung aus § 823 11 BGB tritt völlig unabhängig vom nachfolgenden Anlagevertrag ein; wer diesen abschließt, ist unerheblich (meist ist es ja ohnehin eine juristische Person, die im Streitfall nicht mehr existiert). Die deliktische
11. Die Anwendung dieses Konzeptes auf die Ausgangsfälle
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Haftung kann im Einzelfall auch neben solcher aus culpa in contrahendo bestehen. Die Pflichten treffen jeden der Beteiligten, der sich "an den Markt wendet": Also die Personen, die den Prospekt erstellen; diejenigen, die seine Erstellung zu verantworten und zu überwachen haben; auch diejenigen, die ihren Namen (oder akademischen Titel) nur als "Gewährsperson" auf dem Prospekt auftauchen lassen. Wer nur "Hintermann" ist, ohne Einfluß auf die Informationspolitik des Projektes zu haben (ein wohl seltener Fall), kann selbstverständlich keine Erklärungspflichten haben. 4. Weitere Fälle
Für eine Produzentenhaftung ist in diesem informationsorientierten Modell im Normalfall kein Raum. Das Spezifikum der Produzentenhaftung ist in der Regel nicht die ausgebliebene Information; wo das dennoch der Fall ist, fehlt es am Bezug zum Schutze des Rechtsverkehrs. Aus dem gleichen Grunde ist auch für normale Werbung nicht zu haften. Die Grenzen zu Konstellationen, welche denen der Prospekthaftung ähneln, sind allerdings fließend. Insofern sind weitere Anwendungsbereiche der deliktischen Erklärungshaftung ohne weiteres vorstellbar. Insgesamt weichen die hier gefundenen Ergebnisse nur dort wesentlich von der Linie der Rechtsprechung ab, wo es um "Gefalligkeitshaftung" im weitesten Sinne geht, also um Auskünfte, die nicht zwingend erteilt zu werden brauchten. Hier offenbart sich nicht nur ein grundlegend anderer dogmatischer Ansatz, sondern auch ein unterschiedliches Verständnis davon, inwieweit Risiken abgewälzt werden können und inwieweit sie vom Betroffenen selbst getragen werden müssen.
13 Loges
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