Die Begegnung deutscher Aufklärer mit der Revolution [Reprint 2021 ed.] 9783112584002, 9783112583999


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German Pages 28 [29] Year 1974

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Die Begegnung deutscher Aufklärer mit der Revolution [Reprint 2021 ed.]
 9783112584002, 9783112583999

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Sitzungsberichte des Plenums und der Klassen der Akademie der Wissenschaften der DDR

Heinrich Scheel

Die Begegnung deutscher Aufklärer mit der Revolution

AKADEMIE-VERLAG • BERLIN

Sitzungsberichte des Plenums und der Klassen der Akademie der Wissenschaften der DDR

Jahrgang 1972 • Nr. 7

Heinrich Scheel

Die Begegnung deutscher Aufklärer mit der Revolution

AKADEMIE-VERLAG 1973

BERLIN

Vortrag von Prof. Dr. H E I N R I C H S C H E E L , Vizepräsident der Akademie der Wissenschaften der DDR in der Sitzung der Klasse „Erbe und Gegenwart" am 18. Mai 1972

Herausgegeben im Auftrage des Präsidenten der Akademie der. Wissenschaften der DDR

Redaktionsschluß: 30. Okt. 1972 Erschienen im Akademie-Verlag GmbH, 108 Berlin, Leipziger Straße 3—4 Copyright 1973 by Akademie-Verlag GmbH Lizenznummer: 202 • 100/250/73 Herstellung: V E B Druckhaus Kothen Bestellnummer: 2010/72/7 ES 14 E EDV-Nr.: 7 5 2 4 4 9 3 2,-M

HEINRICH

SCHEEL

Die Begegnung deutscher Aufklärer mit der Revolution

Erstes Anliegen bei der Behandlung einer solchen Thematik im Rahmen eines kurzen Vortrages muß ihre Ab- und Eingrenzung sein, die den notwendigen Tiefgang ermöglicht. Es geht also weder um das recht platonische Verhältnis der deutschen Aufklärer zur Französischen Revolution schlechthin, noch geht es um die stattliche Reihe aufgeklärter Deutscher, die 1789 voller Begeisterung nach Paris eilten und in ihrer großen Mehrheit dann doch nicht den Atem hatten, um der Revolution bei ihrem Aufstieg zu folgen. Im Mittelpunkt steht hier vielmehr die sehr konkrete, wenn auch exzeptionelle Situation, da deutsche Aufklärer auf deutschem Boden dem Phänomen der Revolution nicht mehr nur theoretisch gegenübertraten, sondern im wahrsten Sinne des Wortes mit ihm handgemein wurden: Gemeint ist die Mainzer Republik 1792/93, wo sich auf engstem Räume und auf einer sehr kurzen Zeitstrecke die deutsche Aufklärung in ihrem letzten Stadium mit der Revolution unmittelbar auseinanderzusetzen hatte. Auf den ersten Blick mag diese außergewöhnliche Situation wegen ihrer räumlichen und zeitlichen Geringfügigkeit nicht allzu aussagefähig erscheinen; wenn man ihre Vorgeschichte mit einbezieht, existierte die erste bürgerliche Republik auf deutschem Boden ganze neun Monate, und im letzten Vierteljahr beschränkte sich ihr Territorium nur noch auf das Weichbild der Stadt Mainz, in der der Belagerungszustand herrschte und ausschließlich militärische Gesichtspunkte bestimmend wurden. Dennoch erweist sich bei näherer Betrachtung, daß die Mainzer Republik als ein echter Prüfstein zu gelten hat, der den Stellenwert der voraufgegangenen deutschen Aufklärung präziser ermitteln läßt. Daß ihr darüber hinaus als Wegbereiter kommender politisch-ideologischer Entwicklungen ein bedeutsamer Platz zukommt, gehört schon zu den Folgeerscheinungen, die jedoch auch wieder auf solchen Erfahrungen basierten, wie sie sich aus der Begegnung aufklärerischer Ideen mit der revolutionären Praxis ergaben. Ausgangspunkt für die Betrachtung der gekennzeichneten exzeptionellen Sil*

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tuation ist die allgemeine Konstellation der deutschen Aufklärung, wie sie von Werner Krauss vor einem knappen Jahrzehnt meisterhaft umrissen wurde. 1 Auch wenn Krauss heute angesichts des immer noch völlig unbefriedigenden Forschungsstandes von seiner Theorie der deutschen Aufklärung sagt, daß sie „vielleicht nur eine Halbwahrheit enthält" 2 , gibt es bisher nichts, was sie ersetzen könnte. Krauss bezeichnet als den besonderen Charakter der geistigen Sammlung und Bewußtseinsbildung des deutschen Bürgertums im 18. Jahrhundert den vergleichsweise größeren sozialen Purismus. Im Gegensatz zur gleichzeitigen Aufklärung in Westeuropa, an der die intellektuelle Vorhut der privilegierten Stände aktiven Anteil nahm — in Frankreich ging der erste Anstoß zur Aufklärung sogar von dem altadligen oppositionellen Kreis um Fenelon aus —, exzellierte die deutsche Aufklärung durch ihr spezifisch bürgerliches Gepräge. Von einigen Ausnahmen abgesehen, die die Regel bestätigten, hatten die verschiedenen Schichten der herrschenden Feudalklasse keinen eigenen Anteil daran. Darum taugt auch die Theorie des fürstlichen Ursprungs der deutschen Aufklärung ganz und gar nichts. Krauss formuliert sehr prägnant: „Ein Knotenpunkt der deutschen Aufklärung liegt in Leipzig und nicht in Dresden, in Berlin und nicht in Potsdam, in Stuttgart und Tübingen und nicht in Ludwigsburg, in Hamburg und nicht in Kopenhagen, in Göttingen, nicht aber in Kassel oder in Hannover. Die Aufklärung ist unter den Augen, doch außerhalb des Gesichtsfeldes und der Interessensphäre der deutschen Despoten emporgewachsen." 3 Der soziale Purismus der deutschen Aufklärung korrespondierte folgerichtig mit einer Adels- und Fürstenfeindschaft, die sich im Sturm und Drang, der als ein neues dynamisches Stadium der Aufklärung zu begreifen ist, zu einem wütenden Tyrannenhaß steigerte. Dieser Ablehnung der feudalen Adels- und Fürstenherrschaft stand positiv, gleichsam als die erhabene Kehrseite der Medaille, die Volksverbundenheit der deutschen Aufklärung gegenüber. Sie äußerte sich in einem Patriotismus, der nicht das geringste mit staatspolitischem Zugehörigkeitsgefühl oder der Treue zum angestammten Herrscherhaus gemein hatte. Selbst wo er, wie zum Teil im Sturm und Drang, teutomanische vund frankophobe Züge annahm, richtete er sich zuallererst gegen die deutsche Adelsgesellschaft, deren Frankophilie sich in der kostspieligen Imitation des Ver1 W E R N E R K R A U S S : Uber die Konstellation der deutschen Aufklärung. In: Studien zur deutschen und französischen Aufklärung, Berlin 1963, S. 309 ff. 2 W E R N E R K R A U S S : Der komparatistische Aspekt der Aufklärungsliteratur. In: Werk und Wort, Aufsätze zur Literaturwissenschaft und Wortgeschichte, Berlin und Weimar 1972, S. 70. 3 W E R N E R K R A U S S : Uber die Konstellation, a. a. 0 . , S . 3 6 0 f.

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sailler Vorbildes betätigte und als ein Damm gegen die Rezeption der deutschen Aufklärung wirkte. Der Patriotismus der deutschen Aufklärung wurde durch seinen Inhalt bestimmt, der entschieden und eindeutig antifeudal, darum volksverbunden und völkerverbindend war; denn der Demokratismus, der nicht in gleicher Weise nach innen und außen gelten will, löscht sich selbst aus. Auf der Basis dieses antifeudalen und volksverbundenen Wesens der deutschen Aufklärung griff nach Krauss seit Mitte der siebziger Jahre eine Stimmung um sich, die er — wenn auch zunächst in Anführungsstrichen — als Revolutionsbereitschaft bezeichnet hat. 4 Ohne Anführungsstriche nannte er sie den Grundton der achtziger Jahre. 5 Schillers „Räuber"-Wort von der deutschen Republik, gegen die Rom und Sparta Nonnenklöster sein sollten6, wies die Richtung, wenn auch die „Räuber" selbst den Weg dahin nicht wußten. Diese einschränkende Feststellung kennzeichnet nicht nur das prinzipielle bürgerliche Unvermögen zur Entwicklung einer Révolutions theorie; sie steht vielmehr mit dem sozialen Purismus, dieser spezifischen Eigenheit der deutschen Aufklärung, in unmittelbarem Zusammenhang. Im Raum der Spekulation hat ihr einheitlich bürgerlicher Charakter zweifellos maßgeblich zur Herausbildung dieser adelsfeindlichen und volksverbundenen Grundgesinnung beigetragen. Im Felde der konkreten politischen Auseinandersetzungen aber hat er sich ganz und gar nicht bewährt. In Frankreich beispielsweise wurde die herrschende Feudalklasse durch die französische Aufklärung von innen her so zersetzt, daß schließlich eine revolutionäre Situation entstand, in der nicht nur — wie es bei Lenin heißt — „die unteren Schichten nicht mehr wie früher leben wollen", sondern auch „die oberen Schichten nicht wie früher wirtschaften und regieren können". 7 Der soziale Purismus versperrte der deutschen Aufklärung den Weg in die vom Feudaladel eingenommenen Stellungen; ihr spezifisch bürgerliches Gepräge hatte eine Isolierung im Gefolge, bei der sich der fragwürdige Vorzug der Gesinnungsreinheit mit dem fraglosen Nachteil der politischen Abstinenz verband. Die deutsche Aufklärung erwartete, daß das Ancien régime an seinen eigenen Widersprüchen zerbreche und sich selbst aufhöbe; darum stellte sie nicht die Frage des praktischen politischen Engagements. Dieser Verzicht der einen Seite begünstigte natürlich die Widerstandsfähigkeit der anderen Seite, die die politischen Machtmittel zu handhaben verstand. Das Ancien régime schlug sofort zu, wo die Aufklärung den ihr eigentümlichen, allgemein pädagogischen 4 5

Ebenda, S. 331. Ebenda, S. 344.

Die Räuber, 1 . Akt, 2 . Szene. I. L E N I N : Die Maikundgebungen des revolutionären Proletariats. In: Werke, Bd. 19, Berlin 1962, S. 212. 6

FRIEDRICH SCHILLER:

7

W.

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Bereich verließ und sich auch nur im Ansatz in ein Mittel zu politischen Zwecken verwandelte. Die Zerschlagung der Illuminatenloge in den achtziger Jahren durch die kurfürstliche Regierung Pfalz-Bayerns und die wütende Verfolgung ihrer leitenden Mitglieder über die Landesgrenzen hinaus liefern hierfür den Beleg. Der Ausbruch der Französischen Revolution bestärkte natürlich das deutsche Ancien régime ganz beträchtlich in seinem Widerstand, der dann auch nicht unwesentlich dazu beitrug, daß die anfängliche Begeisterung der übergroßen Mehrheit der deutschen Intelligenz für die politische Nutzanwendung der Aufklärung — notabene nicht im eigenen, sondern im Nachbarlande — einer zunehmenden Entmutigung wich. Nur eine geringe Minorität stieß unter der Erkenntnis vor, daß der Lebenswille politischen Kampf zu brechen war. Das schen Landau und Bingen 1792/93 mit Minorität geht es uns hier.

exzeptionellen Bedingungen bis zu des Ancien régime nur . durch den geschah im Linksrheinischen zwiMainz als Zentrum, und um diese

Die Mainzer Intelligenz entwickelte sich weder vor noch unmittelbar nach dem Ausbruch der Revolution unter Bedingungen, die sich wesentlich von denen in anderen deutschen Territorien unterschieden hätten. Werner Krauss rechnet zwar die drei Mainzer Kurfürsten, die im 18.. Jahrhundert gewählt wurden, zu den Ausnahmen, die „von dem Gedanken der Aufklärung durchdrungen" waren, stellt aber gleichzeitig fest, daß ihre aufklärerische Wirkung „auf den protestantischen Außenstand, den das kurmainzische Erfurt bildete", eingeschränkt blieb, wo seit 1772 ein Dalberg als Statthalter fungierte. 8 Im Hinblick auf den letzten der drei Kurfürsten ist diese Einschätzung jedoch noch zu generös. Friedrich Karl von Erthal, dessen Regierungszeit das ganze letzte Viertel des 18. Jahrhunderts abdeckt, begann mit eindeutig aufklärungsfeindlichen Maßnahmen. Er warf den aufgeldärten Bentzel, der sich um das Volksund Mittelschulwesen ebenso wie um die Aufhebung des Jesuitenordens verdient gemacht hatte, aus allen Ämtern; dagegen konnte der Mainzer Exjesuit Goldhagen mit seinem 1776 gegründeten „Religionsjournal" den publizistischen Kampf gegen die Aufklärung eröffnen. Wenn Erthal sich dann nach Jahren auch Bentzel als Universitätskurator zurückholte, um die Hochschule für die Heranbildung künftiger Staatsdiener effektiver und für Auswärtige attraktiver zu machen, blieb es doch nur eine sehr partielle Zurücknahme der Aufklärungsfeindlichkeit. Der Tribut, der in den Jahren vor 1789 hier von Staats wegen der Aufklärung gezollt wurde, war in allererster Linie eine Sache des Dekors. Mainz als Sitz des Kurerzkanzlers hatte den Ruf der glänzendsten Residenz nächst Wien 8

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WERNER KRAUSS:

Uber die Konstellation, a. a.

0.,

S. 361.

zu verteidigen. Eine' katholische Universität, die sich mit dem Nimbus der Toleranz umgab, erregte Aufsehen und paßte in den Rahmen wie der Verfasser des „Ardinghello", Wilhelm Heinse, als Vorleser in die Abendgesellschaften der kurfürstlichen Favoritin, wo Seine Eminenz durch Freigeisterei und Frivolität weltmännische Vorurteilslosigkeit demonstrierte. Es war ein Glücksfall, daß Forster nach Mainz gelangte, aber nicht mehr. Die Toleranz, die ihm die Annahme der Bibliothekarstelle ermöglichte, erstreckte sich schon nicht mehr auf die Kinder, und die von Erthal auf dem spektakulären Restaurationsfest der Mainzer Universität 1784 verkündete Maxime, wonach „die Wissenschaften der Religion jedesmal unterzuordnen" seien 9 , setzte unmißverständliche Grenzen. Aufklärung und Absolutismus trennte ein Abgrund, und keiner der vielen deutschen absoluten Fürsten ist in diesen Abgrund gestürzt, weil bei erkennbarer Gefahr die Aufklärung immer als erstes preisgegeben wurde. In den aufklärungsfeindlichen Maßnahmen nach 1789 bestätigte sich diese Feststellung wie anderswo ebenfalls in Mainz. Die Bedingungen, unter denen die aufgeklärte Mainzer Intelligenz die Anfänge der Revolution in Frankreich erlebte, waren also im wesentlichen keine anderen als die im übrigen Deutschland. Nicht anders war auch ihr Verhältnis zu dieser Revolution selbst. Die aufgeklärte Intelligenz in Mainz fühlte sich 1789 mit der Revolution solidarisch und in ihrem aufgeklärten Streben durch die Revolution bestätigt. Am 30. Juli 1789 schrieb Forster seinem Schwiegervater: „Schön ist es zu sehen, was die Philosophie in den Köpfen gereift und dann im Staate zustande gebracht hat, ohne daß man ein Beispiel hätte, daß je eine so gänzliche Veränderung so wenig Blut und Verwüstungen gekostet hätte. Also ist es doch der sicherste Weg, die Menschen über ihren wahren Vorteil und über ihre Rechte aufzuklären; dann gibt sich das übrige wie von selbst." 1 0 Der Schweizer Historiker und Mainzer Staatsrat Johannes von Müller nannte in einem Brief vom 14. August 1789 an seinen Bruder den 14. Juli den schönsten Tag seit dem Untergang der römischen Weltherrschaft. 11 Natürlich stand bei weitem nicht jeder, der so den Pariser Ereignissen zujubelte, später in den Listen des Mainzer Jakobinerklubs, im Gegenteil. Der eben erwähnte Müller beispielsweise brachte keinerlei Talent zu einem späteren Jakobiner mit. Selbst wenn er der konterrevolutionären Intervention in Frank9 L E O J U S T / H E L M U T M A T H Y : Die Universität Mainz, Grundzüge ihrer Geschichte, Trautheim 1965, S. 33. 10 Georg Forsters Sämtliche Schriften, hrsg. von dessen Tochter und begleitet mit einer Charakteristik Forsters von G. G. Gervinus, Bd. 8, Leipzig 1843, S. 85. 11 J O H A N N E S VON M Ü L L E R : Biographische Denkwürdigkeiten, hrsg. durch Johann Georg Müller. In : Sämtliche Werke, Bd. 30, Stuttgart und Tübingen 1834, S. 22.

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reich ablehnend gegenüberstand, so hielt er es im Hinblick auf die deutschen Zustände schon immer „nicht nur für die beste Politik, sondern selbst für ein Werk der Barmherzigkeit gegen betörte Untertanen, aufrührerischen Geist nicht zu Kräften kommen zu lassen, sondern durch überraschend schnelle Maßregeln zu schrecken".12 In diesem Zusammenhang brüstete er sich mit dem Erfolg seines Rates, die bäuerlichen Unruhen von 1790 um Aschaffenburg durch entschlossenen militärischen Einsatz zu ersticken. Geradezu hymnische Töne fand er für die zur Unterwerfung des rebellierenden Lüttich ausrückenden Mainzer Truppen. Müllers politisches Credo war konstitutionalistisch, aber dabei extrem antidemokratisch und tatkräftig ganz allein nur in diesem Sinne: „Mutatis mutandis halte ich die britische (Verfassung) für die beste, werde aber gewiß nie einen Finger rühren zur Umkehrung irgendeiner." 13 Eine ganz andere Grundhaltung nahm Georg Forster ein. Im Gegensatz zu Müller gehörte seine Sympathie den „rüstigen Lüttichern", die sich „des zu weit getriebenen Druckes" mit Gewalt erwehrten. 14 Sein hartes Wort vom „bloßen Possenspiel", womit er die Mainzer Handwerkerunruhen vom September 1790 bedachte, war nicht zuletzt in der Bußfertigkeit der Handwerksgesellen nach dem Aufruhr gegenüber der wortbrüchigen Regierung begründet: „Und nun werden die schärfsten Strafen gegen sie beschlossen, und sie unterwerfen sich ihnen wie zahme Schafsköpfe und Esel, die sie sind." 15 Forsters Grundhaltung war demokratisch, und dieser Demokratismus ließ ihn nicht von der Französischen Revolution abfallen, sondern sich mit jeder ihrer Etappen weiterentwickeln. So bekannte er Mitte 1792 seinem Schwiegervater gern, „allemal lieber für als wider die Jakobiner" zu sein, „man mag gegen sie toben, wie man will" 16 . Dabei bezog sich dieser revolutionäre Enthusiasmus selbstverständlich auf die französischen Vorgänge und nicht auf die deutschen Verhältnisse, die ihm zu einer Revolution noch nicht reif erschienen — ein Urteil übrigens, das er auch noch als aktiver Mainzer Revolutionär mit dem Blick auf das rechte Rheinufer mehrfach wiederholte. 17 12

Johannes von Müller an seinen Bruder am 6. 5. 1790. Ebenda, S. 272. Derselbe an denselben am 2. 4. 1792. Ebenda, Bd. 31, Stuttgart und Tübingen 1835, S. 37. 14 GEORG FORSTEH: Ansichten vom Niederrhein, von Brabant, Flandern, Holland, England und Frankreich im April, Mai und Junius 1790. In: Werke in vier Bänden, hrsg. von Gerhard Steiner, Bd. 2, Leipzig 1972, S. 501,' 510. 15 Georg Forster an seinen Vater am 18. 9.1790. In: Sämtliche Schriften, a. a. O., Bd. 8, S. 132 f. 16 Derselbe an Heyne am 5. 6.1792. Ebenda, S. 194. 17 Derselbe an Christian Friedrich Voß am 27.10., 21.11., 21.12.1792. Ebenda, S. 238, 246, 248. 13

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Die Mainzer Intelligenz, die der Französischen Revolution zu irgendeiner Zeit mit Sympathie begegnete, bewegte sich innerhalb der durch Forster und Müller als ungefähre Eckpunkte gekennzeichneten Skala. Was in Müllers Nähe stand, wich dem Gluthauch der sich nähernden Revolution ängstlich aus wie beispielsweise der Historiker Niklas Vogt, der ebenso wie Müller große Hoffnungen in den Fürstenbund gesetzt hatte. Vogts spätere Klubmitgliedschaft war kaum partiell, geschweige denn notwendig in seinem unsystematischen, eklektischen Denken angelegt, und es dauerte auch nur Wochen, bis er sich total verstört seitwärts in die Büsche schlug. Forster kommentierte treffend: „Es wundert mich dieses weniger, als daß er sich einschreiben ließ." 18 Von der persönlichen Anlage her brachte — um ein anderes Beispiel zu nennen — der Theologe Felix Anton Blau so wenig wie Vogt das Zeug zu einem kraftvollen Politiker mit. Ihn zwang seine intellektuelle Redlichkeit in die Bahn der praktischen politischen Auseinandersetzungen, denn wer wie er die Tradition als Glaubensquelle und die Unfehlbarkeit der Kirche bestritt, stand im Begriff, Kirche und Glauben voneinander zu trennen und einen Grundpfeiler des geistlichen Mainzer Staates zu unterminieren. Ganz anders wieder zeigte sich der Naturrechtler Andreas Joseph Hofmann, der dicht bei Forster und verschiedentlich sogar an seiner linken Seite anzusiedeln ist. Er trat nicht als Gelehrter hervor und war in seinen Vorlesungen durchaus abhängig von den Lehrbüchern der anerkannten Autoritäten; doch verkörperte er eine derart unmittelbare Volksverbundenheit, daß er gleichsam als ein geborener Demokrat gelten konnte. Sie bewahrte ihn dann auch vor dem intellektuellen Katzenjammer, als die Verwirklichung und Verteidigung der Demokratie nach energischen Maßnahmen gegen ihre Feinde verlangten. Die genannten Vertreter der aufgeklärten bürgerlichen Intelligenz in Mainz illustrierten die Unterschiedlichkeit möglicher Verhaltensweisen gegenüber dem bestimmenden Ereignis der Zeit. Selbstverständlich handelte es sich bloß um Beispiele, die ungleich zahlreicher angeboten werden müßten, wenn man die verschiedenen Reaktionen auch nur ungefähr abdecken wollte. In der gegebenen Situation, da sich auf deutschem Boden die Bourgeoisie noch nicht als Klasse konstituiert hatte, gab es für die Mainzer Intelligenz keine zwangsläufigen, sondern immer nur individuelle Entscheidungen zugunsten jener bürgerlichen Revolution, die in unmittelbarer Nachbarschaft auf exemplarische Art und Weise durchgekämpft wurde. Mit gutem Grund konnte sich darum der Göttinger Staatsrechtler Pütter gegen den reaktionären Vorwurf verwahren, daß die Georgia Augusta die intellektuellen Kader für die Mainzer Republik

18

Derselbe an seine Frau am 22. 12. 1792. Ebenda, S. 297.

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hervorgebracht habe. 19 Zu Unrecht dagegen beschuldigte im nachhinein der revolutionsfreundliche Johann Nikolaus Becker die führenden Klubisten, „vor der französischen Invasion fast alle dem Despotismus Blumen gestreut" zu haben. 20 Die schwülstigen Dedikationen so mancher aufgeklärter Schrift an den sich aufgeklärt gebenden absoluten Fürsten bedeuteten keinen Kotau vor den bestehenden Zuständen, sondern eine an den Fürsten gerichtete Aufforderung, die bestehenden Zustände zu verändern. Selbst ein linker Aufklärer wie Forster konnte in seinen 1792 erschienenen „Erinnerungen aus dem J a h r 1790" nach dem treffenden Urteil von Geerdts eben nur für die französischen Vorgänge revolutionären Enthusiasmus aufbringen, während er die deutschen ironisch behandelte und hier nach wie vor Reformen von oben erwartete. 21 Ausnahmebedingungen, die andere Entwicklungen möglich machten, begannen für die aufgeklärte Mainzer Intelligenz erst mit dem Tage der Kapitulation der Festung vor Custine und mit dem Einzug der französischen Revolutionstruppen in die Stadt. Und doch sah selbst dann die Wirklichkeit noch ganz anders aus, als sie die übermütige Caroline Böhmer als Gast des Forsterschen Hauses im April 1792 in einem Brief an ihre Freundin Luise Gotter voraussagte: „Ich ginge ums Leben nicht von hier — denk nur, wenn ich meinen Enkeln erzählte, wie ich eine Belagerung erlebt habe, wie man einem alten geistlichen Herrn die lange Nase abgeschnitten und die Demokraten sie auf öffentlichem Markt gebraten haben." 2 2 Denkgewohnheiten lassen sich nicht wie Hemden wechseln, und es wäre unsinnig, gleichsam über Nacht außergewöhnliche Denkweisen im Gefolge der durch äußere Einwirkung so plötzlich veränderten politischen Verhältnisse zu erwarten. Dennoch hält sich hartnäckig eine Legende, die der Obskurantismus auf der Suche nach Brutstätten des Umsturzes damals in die Welt gesetzt hatte. Von der bürgerlichen Historiographie eifrig kolportiert, spukt sie verschiedentlich selbst noch in der marxistischen Geschichtsschreibung unserer Tage. Diese Legende machte und macht die gelehrte Lesegesellschaft, die mit kurfürstlicher Genehmigung 1782 ihre Selbstbiographie, Göttingen 1 7 9 8 , S. 8 5 8 f. Beschreibung meiner Reise in den Departementen v o m Donnersberge, vom Rhein und von der Mosel im sechsten J a h r der französischen Republik, in Briefen an einen Freund in Paris, Berlin 1799, S. 23. 2 1 H A N S J Ü R G E N G E E R D T S : Ironie und revolutionärer Enthusiasmus. Zu Georg Försters „Erinnerungen aus dem J a h r 1790". In: Weimarer Beiträge, J g . 1, 1955, Ii. 3, S. 296 ff. 2 2 Caroline an Luise Gotter a m 20. 4. 1790. In: Caroline, Briefe an ihre Geschwister, ihre Tochter Auguste, die Familie Götter, F. L. W. Meyer, A. W. und Fr. Schlegel, J . Schelling u. a., hrsg. von Georg Waitz, Bd. 1, Leipzig 1871, S. 92. 19

JOHANN

STEPHAN PÜTTER:

20

JOHANN

NIKOLAUS

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BECKER:

Pforten geöffnet hatte, „zum geistigen Kern der revolutionsfreundlichen Gesinnung"^ 3 und sogar zum „politischen Klub" 24 , so daß sich diese Gesellschaft am 23. Oktober 1792 nur noch in den Jakobinerklub zu verwandeln brauchte. Dagegen ist nüchtern festzustellen, daß die kurfürstliche Regierung zu keiner Zeit nach 1789 ein Verbot der Lesegesellschaft auch nur ins Auge gefaßt hat. Sogar unter dem Eindruck der Custineschen Vorstöße nach Speyer und Worms, als der Mainzer Kurfürst schon längst das Weite gesucht hatte, hielt der zurückgelassene Statthalter eine Ermahnung für ausreichend, „keinen anderen als nötigen Gebrauch" von den aus französischen Journalen entnommenen Neuigkeiten zu machen. „Applaudierende Anmerkungen und Diskurse" bei Lesung solcher Schriften sollten allerdings — falls dergleichen von dem einen oder dem anderen Mitglied überhaupt zu gewärtigen wäre — exemplarisch bestraft werden. 23 Nicht die Furcht vor möglichen Widersetzlichkeiten, sondern ganz offensichtlich das Vertrauen in die Loyalität der Masse der Mitglieder bestimmte ein solches Verhalten. Die Mainzer Lesegesellschaft war tatsächlich vor allem ein Feigenblatt des Absolutismus, und progressiv an dieser Erscheinung war im wesentlichen, daß der Absolutismus bereits eines solchen Feigenblattes bedurfte. Daß die hier gebotenen Informationsmöglichkeiten auch die gesellschaftskritische Haltung einzelner Mitglieder vertiefen mochten, muß als eine nicht unbedeutende Nebenwirkung gewertet werden. Der Ende 1792 in einer konterrevolutionären Streitschrift aufgestellten Behauptung, „daß die Professoren Hofmann und Metternich demokratische Gesinnungen und Anarchie öffentlich auf der Lesegesellschaft predigten"2®, begegnete der Mathematikprofessor und Klubist Metternich zu Recht mit der Feststellung, daß umgekehrt „fast täglich auf der Lesegesellschaft die Fürsten- und Pfaffenknechte auf die Franzosen" losgezogen wären. „Wahrlich, bei der Menge gekannter Spionen müßte es eine unverzeihliche Dummheit gewesen sein, so was zu tun, und 23

Mainz zwischen Rot und Schwarz. Die Mainzer Revolution 1792—1793 in Schriften, Reden und Briefen, hrsg. von Claus Träger, Berlin 1963, S. 10. 24 J U . J A . MOSKOVSKAJA: Georg Forster, nemeckij procvetüel' i revoljucioner XVIII veka, Moskau 1961, S. 202. 2O [ANTON H O F F M A N N ] : Darstellung der Mainzer Revolution oder umständliche und freimütige Erzählung aller Vorfallenheiten, so sich seit dem entstandenen französischen Revolutionskrieg - zugetragen und die einen Bezug auf den Krieg, auf die Ubergabe der Festung oder auf den Klub und dessen grausames Verfahren gegen