Die Allied Mobile Force 1961 bis 2002 9783110411041, 9783110410877

Eine Publikation des ZMSBw The Allied Mobile Force (AMF) was created by NATO to fortify its border regions. Designed a

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German Pages 384 Year 2015

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Die Allied Mobile Force 1961 bis 2002
 9783110411041, 9783110410877

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Lemke • Die Allied Mobile Force

Entstehung und Probleme des Atlantischen Bündnisses Begründet vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt Herausgegeben vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr Band 10

Die Allied Mobile Force 1961 bis 2002

Von Bernd Lemke

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb. dnb.de abrufbar. Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. © 2015 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston www.degruyter.com Redaktion: ZMSBw, Potsdam, Schriftleitung Projektkoordination, Lektorat, Bildrechte: Michael Thomae Texterfassung: Carola Klinke, Christine Mauersberger Satz: Carola Klinke Bildbearbeitung: Maurice Woynoski Grafiken: Daniela Heinicke, Yvonn Mechtel Printed in Germany ∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN 978-3-11-041087-7 e-ISBN (PDF) 978-3-11-041104-1 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-041113-3 ISSN 2190-1414

Inhalt

Vorwort ............................................................................................................... Danksagung ........................................................................................................ I.

Einleitung.................................................................................................

II.

Zwischen Zweifel und Zuversicht: Die Bündnissolidarität und ihre Unwägbarkeiten 1960‑1989...................................................... 1. Krisenbehaftete Kohärenz: Die NATO und die politische Entwicklung seit den sechziger Jahren ................................................. 2. Die Bedeutung des Zusammenhalts der Allianz für die NATO-Militärstrategie ............................................................

III.

IV.

NATO-Strategie und Bündniskohärenz im Spannungsfeld zwischen globaler Perspektive (»out-of-area«), Flanken und Central Front ............... 1. Die Entwicklung der Bündnisstrategie ............................................... a) Von der Massive Retaliation zur Flexible Response 1961‑1968 ..... b) Zwischen Nordkap und Vietnam: Die unterschiedlichen nationalen Interessen und die Diskussion um das Kriegsbild.......... c) Die Krise in der ČSSR als Wegemarke für den strategischen Perspektivenwandel........................................................................ d) Konsolidierte Bündnisstrategie: Die Flexible Response 1969‑1989.................................................................................... 2. Virtuelle Kriegführung: Die AMF als historiografischer Lackmustest für die Flexible Response in den WINTEX- und HILEX-Übungen 1971‑1985......................................................................................... 3. Die strategische Lage an den Flanken als essenzielles Element für den Einsatz der AMF ......................................................................... a) Die Bedeutung der beiden Flanken im Gesamtkontext .................. b) Die Nordflanke .............................................................................. c) Die Südflanke ................................................................................ Das militärische Instrument ..................................................................... 1. Aufbau und Finanzierung der Truppe.................................................. 2. Organisation und Koordination .......................................................... 3. Planung, Durchführung und Probleme der Übungen..........................

VII IX 1 13 13 27 49 49 50 66 89 102 114 135 135 141 158 197 197 203 218

VI

Inhalt

a) Beginn und Etablierung des Übungsbetriebs.................................. b) »Hightime of deterrence«: Die Übungen der AMF von den sechziger bis zu den achtziger Jahren ....................................... c) Die letzten Jahre des Kalten Krieges ...............................................

230 276

4. Epilog oder Neuanfang? Die Allied Mobile Force nach 1990 .............. a) Der Einsatz der AMF im Rahmen des Golfkrieges 1991 ................ b) Das Ende der AMF 1991‑2002 ....................................................

284 284 300

Fazit .........................................................................................................

303

Bildteil ................................................................................................................ Abkürzungen....................................................................................................... Literatur .............................................................................................................. Personenregister...................................................................................................

311 334 339 373

V.

218

Verzeichnis der Karten, Tabellen, Organigramme Einsatzgebiete der Allied Mobile Force .......................................................... Einsatzgebiet der AMF in strategischer Perspektive, Stand: 1968 ................... Kräfte und Bedrohungspotenzial im Süden der Türkei, AMF-Einsatzgebiet S-3: Syrien und Irak .................................................. Die Struktur der AMF 1973.......................................................................... Einsatzregeln (MC 193), Stand: 1978 ........................................................... Heereskontingent AMF (L) ........................................................................... Transportaufwand für ein italienisches Bataillon mit Artillerie für Einsatz in N-1 und N-2 ....................................................................................... AMF-Einsatzgebiet N-1 (Nordnorwegen) ..................................................... AMF-Einsatzgebiet N-2 (Dänemark) ............................................................ AMF-Einsatzgebiet S-1 (Türkisches Thrazien) ............................................... AMF-Einsatzgebiet S-2 (Griechisches Thrazien) ............................................ AMF-Einsatzgebiet S-3 (Türkisch-Syrische Grenze) ...................................... AMF-Einsatzgebiet S-4 (Nordostitalien)........................................................ AMF-Einsatzgebiet S-5 (Osttürkei) ............................................................... Field Hospital AMF, Kranken- und Verwundetenstatistik.............................. Angriffsszenarien für das AMF-Einsatzgebiet N-1 ......................................... »Strong Express«. Idee der Handlungen der Seiten ........................................ »Deep Furrow 72«. Idee der Handlungen der Seiten...................................... Operationsgebiet Nordirak und Türkei, Stand: 14. Februar 1991 .................. Organisation AMF, Stand: März 1990 ........................................................... Allied Command Europe Mobile Force (Land), AMF (L) Force Pool (1. Januar 1997) ......................................................

116 117 139 207 210 222 223 224 225 226 227 227 228 228 232 235 256 262 288 298 299

Vorwort

Die Militärgeschichte der NATO muss stets das Bündnis als Ganzes im Blick haben. »Sicherheit ist unteilbar«: Gemäß diesem Leitsatz sind vor allem die Flanken innerhalb des historischen Gesamtzusammenhanges, gleichzeitig aber auch in ihren Besonderheiten in den Fokus zu stellen. Dieser Forderung wird das Buch von Bernd Lemke gerecht. Das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr erweitert und ergänzt damit die bereits bestehenden Forschungarbeiten zur Geschichte der NATO. Die Aktualität der Studie ergibt sich unter anderem durch die fortgesetzte Relevanz gerade der exponierten Regionen der Allianz. Bernd Lemke untersucht auf breiter Quellenbasis die Geschichte der Allied Mobile Force (AMF) und nutzt hierbei auf weiten Strecken bisher unbekannte Bestände. Der Spezialverband AMF diente der NATO als mobile Eingreiftruppe zur Verstärkung der Flanken gegen Provokationen und Aggressionen. Bewusst zusammengesetzt aus Eliteverbänden von Partnern, die nicht zu den Flanken gehörten (unter anderem Deutschland), sollte die AMF in Krisen Solidarität und Bündniszusammenhalt demonstrieren und Gegner abschrecken. Sie gehörte damit zu den sinnfälligsten Instrumenten des westlichen Krisenmanagements und stand an der Schnittstelle von Militär und Politik. Eine ihrer wichtigsten Aufgabe bestand darin, der Gegenseite Signale zu senden: über die Entschlossenheit der NATO, Übergriffe nicht zu dulden und im Ernstfall das Bündnisgebiet zu verteidigen. Sie hatte damit auch den Charakter eines »Kommunikationsmittels«. Der Autor analysiert die AMF im strategisch-politisch-kommunikativen Beziehungsgeflecht und beleuchtet die innere Funktionsweise der NATO anhand der Geschichte dieses Verbandes und der zahlreichen Übungen der AMF an allen neuralgischen Punkten der NATO-Flanken. Da die Allied Mobile Force bewusst als »Kommunikationsmittel« zur Abschreckung konzipiert wurde, geht die Studie weit über eine Truppengeschichte im engeren Sinne hinaus. Unter anderem werden Substanz und Probleme der Strategie der »Flexible Response« analysiert. Schließlich wird ein Blick über die Epochenzäsur von 1990 hinweg geworfen. Die Verlegung der AMF-Luftkomponente in die Südtürkei während des Zweiten Golfkrieges im Jahr 1991 bildete den ersten »scharfen« Einsatz deutscher Truppen seit 1945 überhaupt. Die AMF wurde 2002 aufgelöst. Sie dient indes als historische Folie für alle entsprechenden heutigen Verbände, etwa für die NATO Response Force (NRF) oder die »Spearhead Force«.

VIII

Vorwort

Dieses Buch ermöglicht einen tiefgehenden Blick auf die Kontinuitäten und Diskontinuitäten der NATO-Geschichte, und gleichzeitig leistet es einen wichtigen Beitrag zur Geschichte des Kalten Krieges. Ich danke Dr. Bernd Lemke für diese innovative Studie, die auf jahrelanger Forschungstätigkeit basiert und einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis der NATO und ihrer Probleme gerade auch aus heutiger Sicht liefert. Dr. Hans-Hubertus Mack Oberst und Kommandeur des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr

Danksagung

Diese Arbeit hätte ohne die Beratung und Mithilfe zahlreicher Fachleute nicht entstehen können. Ich möchte im Folgenden daher wenigstens einige Worte des Dankes entbieten. Dank gebührt zunächst der damaligen Arbeitsgruppe Militärgeschichte der NATO im Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA), heute Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw), hier insbesondere Dieter Krüger. Die Arbeit wurde noch im MGFA konzipiert. Die Forschungen führten mich in zahlreiche Archive im In- und Ausland, deren Mitarbeiter mich konstruktiv und gewinnbringend unterstützt haben. An dieser Stelle ist es nicht möglich, diese vielen Ansprechpartner namentlich zu nennen. Ich beschränke mich daher im Wesentlichen auf die Auflistung der Archive. Zu erwähnen sind zunächst die Historiker und Archivare des Bundesarchivs, Abteilung Militärarchiv, in Freiburg im Breisgau (BArch), die gewissermaßen das Rückgrat meiner Forschungen zur Verfügung stellten. Besonderer Dank gebührt der Arbeitsgruppe des ZMSBw am BArch in Freiburg, vor allem Cynthia Flohr. Nicht weniger Verdienst kommt den Mitarbeitern der National Archives in London (TNA) und in Washington (NARA) zu, die die Analyse der internationalen Perspektive möglich machten. Entscheidend in vielerlei Hinsicht gerade bei der Erschließung zentraler NATO-Akten waren das NATO-Archiv in Brüssel und das SHAPE-Archiv in Mons, hier allen voran Gregory Pedlow, ohne dessen fachkundige Unterstützung die Studie nicht hätte zufriedenstellend abgeschlossen werden können. Abgerundet wurden die Forschungen im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes, dessen Mitarbeiter mir noch wertvolle Hinweise für Quellen der siebziger Jahre haben geben können. Besonderer Dank gebührt dort Tim Geiger. Ich möchte es nicht versäumen, den Zeitzeugen zu danken: General a.D. Peter Heinrich Carstens, General a.D. Wilhelm Romatzeck, Oberstabsfeldwebel a.D. Rolf Wambach und Dr. Peter Eibeck. Peter Heinrich Carstens und Rolf Wambach haben sich in besonderer Weise verdient gemacht, da sie aussagekräftiges Bildmaterial zur Verfügung gestellt haben. Aus technischen Gründen wurde darauf verzichtet, die Zeitzeugenberichte wörtlich abzudrucken. Es ist geplant, eine kleine Dokumentation in Zusammenarbeit mit den Zeitzeugen zu publizieren. Der Bildteil der Arbeit gestaltet sich gemäß dem Einsatzprofil der beiden Bildgeber, d.h. es sind vor allem Abbildungen aus den achtziger und neunziger Jahren enthalten. Da die Beschaffung und Veröffentlichung von Bildern stets mit einem erheblichen Aufwand auch an Kosten verbunden sind, wurde darauf verzichtet, einen ausführlichen Korpus für die Zeit davor zu beschaffen, auch deshalb, weil es veröffentlichte Bilder nur in sehr geringem Umfang gibt. Der Bildteil ist in gewisser Weise als

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Danksagung

Ausgleich für die relative Quellenarmut für die Zeit nach 1980 infolge der Geheimhaltungsbestimmungen zu verstehen, ferner soll damit eines meiner besonderen Ziele, der Brückenschlag über die Epochenwende von 1990 hinweg, verfolgt werden. Besonderer Dank gilt des Weiteren den zahlreichen in- und ausländischen Fachkollegen, denen ich meine Arbeit zur Diskussion präsentieren durfte. Hier sind insbesondere aufzuführen: das Hamburger Institut für Sozialforschung, vor allem Dierk Walter, die Commission Internationale d’Histoire Militaire (Tagung 2013 in Turin »Joint and Combined«), dem Zentrum Innere Führung in Koblenz und dem Allied Rapid Reaction Corps. Zu ebenso großem Dank verpflichtet bin ich Jan Hoffenaar und Jordan Baev. Dank gebührt auch etlichen Kollegen im ZMSBw für die Diskussionen und die kritischen Bemerkungen. Für etwaige Fehler oder Probleme trage indes ich allein die Verantwortung. Ich hoffe, ich habe hier niemanden vergessen. Wenn dem so sein sollte, danke ich allen Ungenannten im Voraus. Cui honorem, honorem. Bernd Lemke

I. Einleitung

Am Abend des 11.  September 2001 trat der Nordatlantikrat zusammen. Das wichtigste Entscheidungsgremium der NATO beschloss ein Kommuniqué, das zu den Ereignissen des Tages eindeutig Stellung nahm: »At this critical moment, the United States can rely on its 18 Allies in North America and Europe for assistance and support. NATO solidarity remains the essence of our Alliance1.« Das in der Verlautbarung angesprochene Prinzip: der Zusammenhalt aller Bündnismitglieder zur Abschreckung und zur Abwehr von Gefahren und Bedrohungen, hat für die Allianz bis heute essenzielle Bedeutung. Gemeint war damit aber nicht nur der gemeinsame Einsatz der jeweiligen Streitkräfte, sondern ebenso das gemeinsame Handeln und die Demonstration von Stärke im politischen, militärpolitischen, planerischen und organisatorischen Umfeld. Die Bündnissolidarität trug in wesentlichem Maße dazu bei, den Kalten Krieg zu beenden, und bildete einen entscheidenden Grund dafür, dass die NATO im Gegensatz zur Konkurrenzorganisation, dem Warschauer Pakt, überlebte. Sie garantiert auch weiterhin die Existenz der Allianz. Die Stellungnahme des Nordatlantikrates vom 11. September 2001 vor dem Hintergrund der erstmaligen Ausrufung des Bündnisfalles als Antwort auf einen direkten Angriff gegen ein Mitglied der Allianz2 führte nun nicht dazu, dass die Mobilmachung erfolgte und die NATO in den Krieg zog. Washington, das den Bündnisfall beantragt hatte, erwartete vor allem ein politisches Signal als Ausdruck der Wertegemeinschaft und der Bereitschaft zum Handeln. Die militärische Antwort auf den Angriff bewerkstelligte man unmittelbar mit eigenen Kräften (»War on Terror«), allerdings recht rasch ergänzt durch das Engagement der Bündnispartner im Rahmen der Operation »Enduring Freedom«, an der sich die Bundesrepublik im Anschluss an die Briten und Amerikaner beteiligte3. Die bis heute wohl deutlichste Manifestation des Engagements bildet die 1 2 3

Nordatlantikrat, Press Release PR/CP (2001) 122, 11.9.2001 . Vgl. Kaplan, NATO Divided, S. IX und Kap. 1. Inwieweit die Thesen des Hamburger Nachrichtenmagazins »Der Spiegel« korrekt sind, wonach die Amerikaner gar kein Interesse an einer militärischen Beteiligung der NATO-Bündnispartner hatten (Der Spiegel 36/2011, 5.9.2011 ), kann hier nicht näher diskutiert werden. Es widerspräche allerdings der historischen Erfahrung, wenn Washington grundsätzlich nicht wenigstens einen begrenzten Beitrag erwartete. Vgl. dazu die berühmte, immer wieder angeführte Forderung, zumindest eine symbolische Geste für eine Unterstützung des Indochinakrieges – »Bagpipers in Vietnam« (Lundestad, The United States and Western Europe, S. 156‑161) – zu leisten; eine Thematik, die ganz allgemein auch den Sinn der AMF ausmachte.

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I. Einleitung

International Security Assistance Force (ISAF), die zum Jahreswechsel 2001/2002 aus der Taufe gehoben wurde. Ab Anfang 2002 beteiligte sich auch Deutschland offiziell. Die wechselseitige, multilaterale Solidarität gehört zu den Merkmalen der NATO, an denen sich – trotz der erheblichen Veränderungen seit 1990 – bis heute nichts geändert hat. Letztlich funktioniert die NATO immer noch nach denselben strukturellen Kernprinzipien und mit entsprechend ähnlichen Problemen wie in der Zeit des Kalten Krieges4. Die praktischen Ausprägungen gestalteten und gestalten sich je nach Lage unterschiedlich. Auch vor 1989 ließ sich die Solidarität keineswegs in ein einheitliches Schema einordnen. Und das gemeinsame Handeln war nicht immer harmonisch, sondern es erfolgte unter vielen Diskussionen und in unterschiedlichen Formen. Die NATO war von Anbeginn an ein im Inneren streitbares Bündnis, was sich auch bei der Reaktion auf Bedrohungen und Krisen offenbarte. Eine Gesamtgeschichte der Bündnissolidarität in aller Breite wäre ein an sich reizvolles Projekt, das interessante geistesgeschichtliche Aspekte zutage fördern würde. Indes würde derlei den Rahmen einer einbändigen militärgeschichtlichen Studie sprengen. Hier müsste ein Großprojekt unter Einbeziehung internationaler Forscher aufgelegt werden. Einstweilen können jedoch wesentliche Merkmale herausgearbeitet werden, indem man sich auf einen oder mehrere Teilaspekte konzentriert, in denen sich die Bündnissolidarität exemplarisch manifestierte. Aus militärgeschichtlicher Sicht bietet sich hier die Allied Mobile Force (AMF)5 an, die in vielerlei Hinsicht Schnittmengen unterschiedlicher Kernbereiche der NATO-Geschichte in sich vereinigt. Im Jahre 1961 aufgestellt6, sollte die Truppe, mehrheitlich aus Eliteverbänden (z.B. Fallschirmjägern und Gebirgsjägern) bestehend, als Element der politischen Abschreckung an den Flanken eingesetzt werden und bei direkten Bedrohungen als Teil des NATO-Krisenmanagements zur Entschärfung der Situation durch Demonstration von Bündnissolidarität beitragen7. Die AMF wurde daher bewusst multilateral konzipiert, d.h. sie sollte Einheiten aller Bündnismitglieder beinhalten. Entscheidend war dabei, dass die Truppe nicht aus Verbänden der besonders gefährdeten Flankenstaaten (vor allem Norwegen, Dänemark, Griechenland, Türkei) bestand, sondern aus Bataillonen

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Auch die Schaffung einer »coalition of the willing« im Dritten Golfkrieg ab 2003 und der in diesem Zuge auch gegenüber Berlin aufgebaute Druck sprechen eigentlich eine andere Sprache. Vgl. dagegen Varwick, Die NATO, der etwa S. 164 f. eher vom Wandel des Bündnisses ausgeht und in Kap. II offensichtlich drei verschiedene NATO-Bündnisse seit 1949 erkennt. Selbstverständlich existiert heute kein identisches Problemrelief zur Zeit vor 1990. Wie im Folgenden noch mehrfach zu erläutern sein wird, hat sich an den strukturellen Grundproblemen aber nichts wirklich Entscheidendes geändert. Die formale Bezeichnung lautet »Allied Command Europe Mobile Forces«. Diesen Ausdruck verwendete außerhalb bürokratischer Vorgänge praktisch niemand. Die gängige Bezeichnung war »AMF«, seltener »Allied Mobile Force«. SACEUR meldete am 2.5.1961, dass er von allen beteiligten Partnern, außer Frankreich, die Genehmigung zur Aufstellung der Truppe erhalten habe. Public Disclosure Program (PDP), CD 015 Exs (98) 48, Standing Group, SGM-448-61, Memo für SecGen, 17.8.1961. Eine erste Übung der AMF fand noch 1961 statt. Siehe dazu auch unten Kap. IV.3, auch zum Folgenden, wo nicht anders belegt. An Fachliteratur gibt es zur AMF bislang nur einige Aufsätze: Maloney, Fire Brigade or Tocsin?; Steinle, Allied Mobile Force; Lemke, Globale Probleme einer regionalen Allianz; Lemke, Abschreckung oder Provokation? Vgl. auch Lemke, Abschreckung, Provokation oder Nonvaleur?

I. Einleitung

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aller anderen Partner. Damit wurde im Krisenfall einerseits die Bedeutung der exponierten Gebiete herausgehoben, andererseits der Wille des Bündnisses zur gemeinsamen Verteidigung demonstriert. Im Ernstfall wäre dann das gemeinsame Handeln durch den Einsatz der Truppe an vorderster Front garantiert worden. Wie ein wichtiger Zeitzeuge deutlich machte, wäre es etwa für die Vereinigten Staaten kaum hinnehmbar gewesen, wenn eine größere Anzahl von GI’s verwundet oder getötet worden wäre, ohne dass Washington eine massive militärische Antwort bis hin zu einer Eskalation gegeben hätte8. Die AMF bedeutete in diesem Rahmen für die Europäer ein zusätzliches Versprechen, dass die USA ihre Beistandsverpflichtungen im Ernstfall tatsächlich wahrnahmen; ein Aspekt, der in der langjährigen Geschichte alles andere als garantiert galt, im Gegenteil9. Im Folgenden soll die Geschichte der Allied Mobile Force als Verkörperung der funktionalen Kernprinzipien der NATO und deren praktischen Ausprägungen bis 1989 analysiert werden. Hierzu gehört auch die entsprechende Einordnung in die Entwicklung der NATO-Strategie als eines der markantesten, weil im Ernstfall sehr früh an vorderster Front einzusetzenden militärischen Elemente. Die Truppe entstand beim Übergang von der »Massive Retaliation« zur »Flexible Response«, sollte zu Beginn sogar als Vorbild und Werbung für die neue Strategie vor allem auch innerhalb der Allianz dienen. Ferner war die AMF einer der wenigen Verbände, der per se nicht einem Territorialbefehlshaber, sondern dem SACEUR direkt unterstellt war10. Damit ragte sie nicht nur politisch und strategisch, sondern auch organisatorisch und geografisch aus der Masse der NATOTruppen heraus. Auch nach 1990 blieb die AMF, die einer der langlebigsten NATOVerbände war, mit der Entwicklung der Bündnisstrategie untrennbar verbunden. Sie wurde nach einer Übung, die bezeichnenderweise in der Ukraine stattfand (Exercise Cooperative Adventure Exchange)11, im Jahre 2002 aufgelöst und durch die NATO Response Force (NRF) ersetzt, die bei allen Unterschieden im Detail (z.B. globale Einsatzgebiete, Zusammensetzung, innere Organisation) im Grunde bis heute dieselbe politisch-strategische Funktion erfüllt wie die AMF. Letztere ist damit nicht nur ein historischer Vorläufer, sondern auch ein Brückenphänomen für den Übergang vom Kalten Krieg zur heutigen Zeit. Das vorrangige Erkenntnisinteresse zielt auf die Analyse der inneren Funktionsweise der NATO, der Darstellung der wesentlichen Elemente und ihres Zusammenwirkens anhand der mitunter erheblichen politischen und militärischen Schwierigkeiten. In der AMF kam die Funktionsweise der NATO sehr deutlich zum Ausdruck. Sie bietet gerade für die heutige Zeit eine ausgezeichnete Folie zur historisch-politischen Orientierung. An den Kernelementen und den strukturellen Grundproblemen hat sich nichts geändert: also etwa an den Konflikten zwischen Regional- und Globalprinzip, der Gefahr und der Angst vor amerikanischen Alleingängen, der Uneinigkeit über die einzusetzenden Mittel und die Lastenverteilung, dem Streit über die Frage der wechselseitigen Stabilisierung 8 9 10

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Zeitzeugeninterview General Wilhelm Romatzeck, 15.8.2012, S.  4 (Dokument im ZMSBw, Archiv B.L.). Siehe dazu unten Kap. II. Erst beim Eintreffen in der jeweiligen Krisenregion sollte die AMF unter das Kommando des Befehlshabers vor Ort kommen. Dies hatte seinen Grund in der Gewährleistung einheitlicher Verteidigung nicht zuletzt in taktischer Hinsicht. http://www.nato.int/ims/2002/p021007e.htm.

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I. Einleitung

bzw. Destabilisierung zwischen Europa und dem Mittleren Osten, individuellen Abweichungen einzelner Nationen bei gemeinsamem Handeln und der Möglichkeit des stillschweigenden Abseitsstehens bei heiklen Fragen als essentielle Voraussetzung für die Lebensfähigkeit der Allianz (»Silence Procedure«). Die AMF dient im Folgenden also als Manifestation der Kernprinzipien des Bündnisses und gewissermaßen als eine Art historiografisch-methodischer ›Lackmustest‹ etwa in Bezug auf die Realisierung der Flexible Response12. Nur in diesem Bezugsfeld können aussagekräftige Ergebnisse erzielt werden, die die Standards moderner Geschichtswissenschaft erfüllen. Eine ausschließliche Truppen- oder Operationsgeschichte oder die Darstellung technisch-organisatorischer Aspekte genügt demgegenüber keineswegs. Die entsprechenden Aspekte wie organisatorischer Aufbau oder Gliederung der Truppe werden durchaus gewürdigt und mit grafischem Material unterlegt, sind indes niemals Selbstzweck. Aus dieser Grundsituation ergeben sich vier Ziele für diese Studie: 1. Durch die Analyse der Allied Mobile Force als aussagekräftiger Indikator für die Entwicklung der NATO soll, auf der Basis erstrangiger Quellen, ein Beitrag zur Geschichte des Kalten Krieges geleistet werden. 2. Die Studie soll, gerade auch aus deutscher Sicht, historiografisches Neuland betreten. Es gibt bislang praktisch keine militärgeschichtlichen Studien zu den NATO-Flanken aus deutscher Feder oder in deutscher Sprache13, dies nicht zuletzt auch deshalb, weil sich die Forschung aus naheliegenden Gründen auf den NATO-Mittelabschnitt und 12

13

Vgl. dazu auch Lemke, Abschreckung, Provokation oder Nonvaleur? Dazu sei angemerkt, dass die Analyse der AMF in diesem Zusammenhang der geschichtswissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung und weniger der strategischen Gewichtung dient. Die AMF stellt nicht die entscheidende militärische Komponente der Flexible Response dar, verkörperte diese Strategie indes wie kaum ein anderer Verband. Zu nennen sind die Beiträge aus dem Sammelband Nationale Außen- und Bündnispolitik: Pharo/ Eriksen, Norwegen in der NATO; Petersen, Dänemark; Varsori, Italiens Außen- und Bündnispolitik; Manousakis, Griechenland und die NATO; und Bagci, Die türkische Außenpolitik. Diese Beiträge gehen in der Regel allerdings nicht über das Jahr 1956 hinaus. Vgl. ferner Axt/Kramer, Entspannung im Ägäiskonflikt?, hier v.a. Abschnitt A zu den Konfliktpunkten zwischen Griechenland und der Türkei, allerdings nur in Bezug auf den Streit um die Ägäis (ohne Zypern). Der kürzlich erschienene Sammelband Die Alpen im Kalten Krieg enthält einige sehr interessante Informationen zur Südflanke (insbes. Cremasco, Der Alpenraum im Kalten Krieg), konzentriert sich ansonsten indes eher auf die Alpen selbst, hier v.a. auf Jugoslawien, Österreich und die Schweiz. Vgl. dazu Krüger, Die Alpen im Kalten Krieg, v.a. S. 350. Unter den generell nur in begrenzter Anzahl vorliegenden deutschen Monografien zu den Staaten dieser Regionen bietet Weick, Die schwierige Balance, v.a. Kap. II bis V, wohl die ausführlichste Darstellung, die allerdings zu überdeutlichen Werturteilen neigt. Aber auch bei Weick stehen Sicherheitspolitik und Strategie nicht unmittelbar im Fokus. Eine für den hier interessierenden Rahmen begrenzt infrage kommende Ausnahme bildet auch Kesselring, Die Nordatlantische Allianz und Finnland. Einige Aspekte zu den Flanken aus britischer Sicht bietet Walter, Zwischen Dschungelkrieg und Atombombe, S. 289 f. und S. 347‑365. Für die Südflanke gibt es eine Anzahl von Studien und Aufsätzen vornehmlich zum Zypernkonflikt, die jedoch meist kaum militärgeschichtlichen Charakter haben. Eine neuere Arbeit ist Ercan, Der Zypernkonflikt. Die politische Seite des griechisch-türkischen Konflikts wird im Folgenden nur im Rahmen der allgemeinen Einordnung der AMF kurz beleuchtet und nicht näher diskutiert. Dazu bereitet Stefan M. Brenner am ZMSBW eine Studie vor: Die NATO und der griechisch-türkische Konflikt 1952 bis 1989 (Arbeitstitel). Dort auch die neueste internationale Literatur zu den politischen Dimensionen des Problems.

I. Einleitung

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hier insbesondere auf Deutschland als potenzielles Gefechtsfeld konzentriert hat14. Diese Lücke soll auf der Basis internationaler Fachliteratur zu den NATO-Flanken, die hier schon sehr gute Ergebnisse geliefert hat15, vor allem für die militärische bzw. militärstrategische Perspektive zumindest teilweise geschlossen werden. Eine deutsche Studie zu diesem Thema ist insofern geboten, da die aktuellen Stabilitätsprobleme vor allem an der Südostflanke auch für die Bundesrepublik von Bedeutung sind. Die methodische Perspektive wird hingegen immer international bleiben, d.h. es wird nicht nur die deutsche Sicht analysiert, sondern multiperspektivisch vorgegangen. Bei Themenkomplexen wie NATO-Geschichte, Militärgeschichte des Kalten Krieges und Globalgeschichte muss die Historiografie zwingend den nationalen Rahmen überschreiten, wenn sie brauchbare Ergebnisse erzielen will. Eine Verengung auf eine nationale Perspektive fällt bei derlei Themen in den meisten Fällen weit hinter die Standards internationaler Geschichtsschreibung zurück16. Dies gilt auch für die Verknüpfung von Innen- und Außenpolitik, hier insbesondere hinsichtlich der ›Einsatzgeschichte‹ der AMF (Übungen und erster ›scharfer‹ Einsatz im Jahre 1991). Die historische Bedeutung der AMF ist nicht zu verstehen, wenn die teils erheblichen Probleme infolge der innenpolitischen Machtaspekte der NATO-Partner an der Südostflanke nicht in die Analyse miteinbezogen werden. 3. Eng damit zusammen hängt die geografisch-strategische Einordnung der Arbeit in diachrone Entwicklungslinien. Betrachtet man die Einsatzgebiete (Contingency Areas) der Allied Mobile Force, dann lässt sich von einem Grenzphänomen sprechen. Die AMF, und damit auch diese Arbeit, gehen im wahrsten Sinn des Wortes an die Grenzen der NATO. Wurden im Kalten Krieg diese Grenzen auch nicht überschritten, so gab es hierüber doch Diskussionen. Die Ergebnisse dieser Debatten werden im Folgenden analysiert, um eine geostrategische Verortung der Allianz zu ermöglichen. Dies führt fast automatisch zu den Fragen, die die Gemüter auch heute bewegen. An einem der ehemaligen Haupteinsatzräume der AMF, der türkisch-syrischen Grenze, toben seit März 2011 brutale und vielschichtige Bürger- bzw. Kleinkriege, 14

15 16

Die wichtigsten Werke hierzu sind: Thoß, NATO-Strategie, etwa S.  513‑601; Thoß, Bündnisintegration; Krüger, Schlachtfeld Bundesrepublik?; Sander-Nagashima, Die Bundesmarine 1950 bis 1972; Lemke [u.a.], Die Luftwaffe 1950 bis 1970; Hammerich [u.a.], Das Heer 1950 bis 1970; Tuschhoff, Deutschland. Die siebziger und achtziger Jahre sind deutscherseits bislang kaum erforscht. Vgl. einstweilen Hammerich, Die Operationsplanungen der NATO. Vgl. ferner immerhin die Arbeiten zum NATO-Doppelbeschluss, die jetzt infolge des Auslaufens der Aktensperrfristen erscheinen, hier v.a.: Zweiter Kalter Krieg und Friedensbewegung. Die Einordnung eines möglichen Krieges in Mitteleuropa in die Gesamtsicht britischer Kommentatoren und Kriegsplaner bei Walter, Zwischen Dschungelkrieg und Atombombe. Zur Sicherheitspolitik und Konfrontation im Kalten Krieg in Bezug auf die NATO-Flanken generell gibt es ebenfalls nur wenige wissenschaftliche Studien aus deutscher Sicht. Für die Zeit bis 1956 vgl. Heinemann, Vom Zusammenwachsen des Bündnisses. Die Forschungssituation wird sich indes mittelfristig erheblich bessern. Vgl. auch Geiger, Die Bundesrepublik Deutschland und die NATO. Auf die entsprechende Fachliteratur wird im jeweiligen Teilkapitel verwiesen. Grundlegend dazu die Sammelbände Internationale Geschichte (v.a. Loth, Regionale, nationale und europäische Identität; Conze, Zwischen Staatenwelt und Gesellschaftswelt; Müller/Schumann, Integration als Problem) und Geschichte der internationalen Beziehungen (v.a. Conze/ Lappenküper/Müller, Einführung; Conze, Abschied von Staat und Politik?; Lappenküper, Primat der Außenpolitik!).

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I. Einleitung

die sehr schnell auch ein Engagement der NATO nach sich ziehen könnten. Die AMF bietet für derlei Fragen historischen Urgrund und eine entsprechende Folie zur historisch-politischen Orientierung. Dies gilt auch für alle weiteren Fragen, so für das Thema globale Ausdehnung. 4. Schließlich soll die Studie Auskunft über das Krisenmanagement der NATO geben. Die AMF wurde hierfür auch von politischer Seite immer als ein entscheidendes Element betrachtet. Sie sollte dort zum Einsatz kommen, wo rein politische Mittel nicht ausreichten, der Großeinsatz von Truppen hingegen hätte kontraproduktiv, also krisenverschärfend, wirken können. Derlei Fähigkeiten sind, wenn auch unter anderen Rahmenbedingungen, heute nach wie vor von Bedeutung17. Die AMF bietet das historische Vorbild für die NRF und andere Teile des Instrumentariums und dient als Verbindungsglied über die Epochengrenzen hinweg. Dies soll durch ein abschließendes Teilkapitel zur Zeit nach 1990, insbesondere zum ersten und einzigen Einsatz der AMF unter akuten Krisen- bzw. Kriegsbedingungen, die Verlegung der Luftkomponente im Rahmen des Golfkrieges 1991 in die Südtürkei, gewürdigt werden. Für die Zeit des Kalten Krieges wird an einigen Stellen auf ein vergleichbares Phänomen mit Vorbildcharakter verwiesen: die Geschichte von »Live Oak«, der Organisation für das Krisenmanagement für Zwischenfälle im Zusammenhang mit Berlin18. Zwar gab es zwischen Live Oak und der AMF keine unmittelbaren Berührungspunkte, da sie in geografisch unterschiedlichen Gebieten beheimatet waren und Live Oak formal gar nicht zum NATO-Apparat gehörte19. Nichtsdestoweniger waren beide Instrumente in ihrer Substanz vergleichbare Elemente des Krisenmanagements. Sie bieten damit sehr gute Kontrastpunkte20. Insgesamt bleibt die Analyse praxisorientiert. Großangelegte Deutungen der Epoche etwa sind nicht zu erwarten. Eingeführt werden soll aber wenigstens im Ansatz ein vergleichsweise neuer Aspekt im methodischen Spektrum, der so in den Forschungen zum Kalten Krieg bis dato eher weniger zum Einsatz kam. Gemeint ist die Anwendung der Kommunikations- bzw. Diskursanalyse vor dem Hintergrund der Mentalitätsgeschichte, die gerade für die AMF vielversprechend ist21. Die Truppe hatte man in der NATO in ers17

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Dies gilt auch für den, wenn man so will, Schwesterverband der AMF auf See, die STANAVFORLANT. Die NATO führt regelmäßig Manöver in der Ostsee durch, die im Rahmen des Krisenmanagements im Grunde genau die gleiche Mission erfüllen wie seinerzeit die Übungen der STANAVFORLANT, wenn auch unter teils anderen strategischen Rahmenbedingungen. Vgl. dazu Die Zeit, 25/2014 (12.6.2014), S. 4, »Auf Mission«. Hierzu entsteht unter maßgeblicher Mitwirkung des ZMSBw derzeit eine Studie: Harald van Nes, Die Geschichte der Live-Oak-Organisation als Beispiel für moderne Planung und Vorbereitung der Krisenbewältigung (Arbeitstitel). Einstweilen vgl. Thoss, NATO-Strategie, S. 291‑329. Vgl. dazu Zeitzeugeninterview Oberst a.D. Harald van Nes, 27.9.2011, S. 1. Die militärische NATO-Führung, hier zuletzt auch der SACEUR, General Norstad, sah die AMF komplementär zu Live Oak. Maloney, Fire Brigade or Tocsin?, S. 589. Die Anwendung mentalitäts- und diskursgeschichtlicher Methodik für strategische Themen im Kalten Krieg ist nach wie vor eher begrenzt. Vgl. etwa Heuser, Nuclear Mentalities?; in eher politikgeschichtlicher Perspektive Heuser, Alliance of Democracies. Heuser bezieht sich vornehmlich auf die Nuklearwaffenproblematik und bewegt sich teils in diachronen geistesgeschichtlichen Zusammenhängen und Großproblematiken über die Epochengrenzen hinweg. Derlei Ergebnisse und Thesen müssten für eine weitere Verwendung erst ausführlich diskutiert werden. Ferner Tuschhoff, Einstellung und Entscheidung. Ein wichtiger Ansatzpunkt dürften die seit 1976 erschienen Schriften des amerikanischen Politologen Robert Jervis sein, etwa Jervis, Identity and the

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ter Linie als Kommunikations-, weniger als Kampfmittel im Rahmen der Abschreckung und Krisenbewältigung konzipiert und eingesetzt22. Das Aufgabenspektrum erstreckte sich nicht nur auf den ›Einsatz‹ im Ernstfall, sondern auch auf die Präsenz der AMF vor Ort und generell in der Öffentlichkeit bereits im Frieden, dies durchgängig bis zum Ende des Kalten Krieges und darüber hinaus. Die Truppe stand im Zentrum der Kommunikationsstrategie der Allianz und spiegelte deren Kernelemente wider. Daher werden die Grundprinzipien für die Vermittlung der Abschreckung dargestellt und in Beziehung zur politischen und kommunikativen Realität gesetzt. Näher untersucht wird der Spannungsbogen zwischen der Demonstration von Stärke und der perzipierten Unterlegenheit im Bereich der konventionellen Streitkräfte gegenüber dem Warschauer Pakt; ein Thema, das gerade für die AMF konstitutiv war23. Weitere Forschungsfelder und Themengebiete können trotz ihrer herausragenden Bedeutung allenfalls gestreift werden. Dies gilt etwa für die Debatten um die Ursprünge und Grundzüge des Kalten Krieges, die zu erheblichen Diskussionen geführt haben. Zahlreiche Fragen hängen damit zusammen, beispielsweise die Auseinandersetzungen zwischen »Orthodoxen«, »Revisionisten« und »Post-Revisionisten« bzw. »Neo-Orthodoxen« hinsichtlich der Verantwortung für die Entstehung und den Verlauf des Kalten Krieges oder die gegensätzlichen Positionen von »Realisten« und Vertretern der Institutionenlehre in Bezug auf die Geschichte der internationalen Politik und der entsprechenden Allianzen bzw. Bündnisse allgemein24. Sie berühren die AMF eher indirekt und werden daher nicht in extenso behandelt25. Das Gleiche gilt für die grundlegenden

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Cold War. In den Publikationen des Hamburger Instituts für Sozialforschung wird ausführlich entsprechende Methodik angewandt, allerdings mit Bezug auf übergeordnete Begriffe. Vgl. Angst im Kalten Krieg; Macht und Geist im Kalten Krieg. Eine Konferenz zum Thema (»Cold War Decision Making«, 3.‑5.9.2008) führte nur ansatzweise zu weiterführenden Erkenntnissen. Ein Vorschlag zur Erforschung kollektiver Bewusstseinsprägungen bzw. -entwicklungen (»collective mind«) in militärischen Planungsapparaten und in mit der Thematik befassten zivilen Gremien (Beispiel WINTEX/CIMEX-Übungen) wurde bereits gemacht, konnte jedoch infolge Zeitmangels nicht realisiert werden: Bernd Lemke, Paper »The nuclear war seen from the perspective of a collective intelligence, NATO Wintex/Cimex exercises and the nuclear thread« (4.12.2009) für die Publikation »Unthinking the Imaginary War« (Konferenz am DHI London, 4.‑6.11.2010). Als frühe Studie und historisches Dokument lesenswert Osgood, An Analysis of the Cold War Mentality, S. 12‑19. Entsprechendes hat General Hans-Henning von Sandrart, ehemaliger Inspekteur des Heeres und CINCENT, bei der Diskussion über die AMF auf der jährlichen Internationalen Tagung für Militärgeschichte am 24.9.2010 bestätigt. Vgl. dazu Byers, Deterrence under Attack, S. 24 f. Bei Byers werden bereits die weiteren Probleme der Abschreckung (z.B. öffentliche Akzeptanz im Westen, logische Widersprüche usw.) beleuchtet. Das ganze Thema müsste in einer gesonderten Studie aus multilateraler Sicht untersucht werden. Eine Studie aus der Gesamtperspektive der Bündnisse: Cimbala, The Past and Future of Nuclear Deterrence, v.a. S. 150‑203. An dieser Stelle sind nur Analysen im direkten Bezug zur AMF möglich. Ein sehr gutes Beispiel für die praktische Anwendung dieser methodischen Perspektiven bei Tuschhoff, Deutschland, vgl. v.a. S. 361‑394. Ein aktueller Überblick zu den Deutungsmustern bei: Westad, The Cold War and the International History; Engerman, Ideology and the Origins of the Cold War; Lundestad, East, West, North, South, v.a. Kap. 2; ferner Oldenburg, Der Kalte Krieg – Meistererzählungen. Etwas älter, aber für die grundlegenden Positionen weiterhin instruktiv: The Last Decade of the Cold War, v.a. Teil I; und Reviewing the Cold War, v.a. Kap I und V. Erwähnt werden muss in diesem Zusammenhang der vielleicht kontroverseste Ansatzpunkt nach der Jahrtausendwende: die These von Geir Lundestad, dass der Zusammenhalt der NATO durch den fortgesetzten Wunsch der Europäer nach aktivem

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militärstrategischen Debatten um die Geschichte der Flexible Response. Wesentliche Pionierarbeit in diesem Bereich wurde bereits in den neunziger Jahren vor allem durch amerikanische Experten und Forscher geleistet, im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts ergänzt durch fundierte, quellengestützte Studien 26. Es wird hier genügen, die AMF in den allgemeinen Rahmen einzuordnen, ohne die Strategiedebatte bis in die letzten Details zu erörtern und abschließend zu bewerten. Außen vor bleibt somit etwa auch die Frage der Realisierungsmöglichkeiten konventioneller Kriegführung vor dem Hintergrund der Debatte um das Konzept des »Limited War«27. Im Zentrum steht weniger die synchrone Analyse der generellen Fragen des Kalten Krieges als vielmehr die diachrone Perspektive mit Bezug auf die heutige Situation und ihre globalen Aspekte. Im näheren strategischen Umfeld der AMF schließlich musste eine Lücke gelassen werden. Die Geschichte des mobilen Seeverbandes der NATO, der Standing Naval Force North Atlantic (STANAVFORLANT), konnte an verschiedenen Stellen nur angerissen werden. Um eine qualifizierte Studie zu erstellen, müsste eine eigene Untersuchung ins Werk gesetzt werden, die sämtliche internationalen Archive nutzt28. In diesem Zusammenhang sei schließlich noch auf ein entscheidendes Grundprinzip der wissenschaftlichen Forschung hingewiesen: die Anwendung kritischer Analyse. Eine Studie, die substanziell neue Ergebnisse liefern will, muss notwendigerweise problemorientiert angelegt sein. Es gehört zu den wichtigen Erkenntnissen der Sozial- und Mentalitätsgeschichte, dass ein tiefes Eindringen in die historische Substanz nur dann möglich ist, wenn Konflikte untersucht werden. Historische Akteure, die im wechselseitigen Konflikt stehen, sind gezwungen, auf vielfältige Weise Stellung zu nehmen, um ihre Interessen durchzusetzen. Die Quellen, die sie dabei produzieren, sind um ein vielfältiges aussagekräftiger als diejenigen ›ruhender‹, d.h. einigermaßen konfliktfreier Protagonisten. Konflikt bedeutet trotz damit verbundener Gefahren immer auch Vitalität. Diese methodischen Erkenntnisse gelten nicht nur etwa für Mentalitäten im Mittelalter29, sondern auch für moderne Bündnisse. Die NATO war und ist ein streitbares Bündnis vitaler Partner, das, trotz aller damit verbundener Schwierigkeiten, von der Austragung der Divergenzen lebte und immer noch lebt30. Sie bietet ein vorzügliches

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Engagement der Amerikaner in Europa gewährleistet wurde (»Empire by Invitation«), Lundestad, The United States and Western Europe, v.a. S. 1‑21. Standards setzten hier Daalder, The Nature and Practice of Flexible Response; und Duffield, Power Rules. Ebenfalls nach wie vor wichtig: Kugler, Commitment to Purpose. Vgl. aber auch Mey, NATO-Strategie vor der Wende. Einen guten Überblick bietet auch Facer, Conventional Forces and the NATO Strategy (diese Arbeit bildet gewissermaßen ein Zwischenformat, sie ist teils Quelle, teils Fachliteratur). Die besten neueren Arbeiten, wenn auch eher aus US-Sicht: Walsh, The Military Balance in the Cold War; und Tomes, US Defense Strategy. Ganz instruktiv ferner, wenn auch teils sehr detailliert auf die US Army bezogen, Trauschweizer, The Cold War US Army. Vgl. dazu Krüger, Schlachtfeld Bundesrepublik?, S. 212‑225. Vgl. einstweilen Lemke, Globale Probleme einer regionalen Allianz, S. 27 f. Grundlegende methodische Perspektiven unter Einbeziehung der Annales-Schule in: Graus, Mentalitäten im Mittelalter. Neu und bedeutsam: Oexle, Die Wirklichkeit und das Wissen. Als praktisches Beispiel: LeRoy Ladurie, Montaillou. Hier sind die fünfziger und sechziger Jahre inzwischen sehr gut erforscht, wenn auch weniger unter mentalitätsgeschichtlichen Auspizien. Die politik- und bündnisgeschichtlichen Studien liefern dennoch sehr gute Ansätze und Grundlagen für die entsprechenden Themenfelder. Vgl. standardmäßig Transatlantic Relations at Stake; ferner Wenger, The Politics of Military Planning; Transforming NATO in the Cold War; sowie The Routledge Handbook of Transatlantic Security.

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Feld für vorrangig konfliktorientierte Forschung. Es macht im Interesse aussagekräftiger Ergebnisse daher keinen Sinn, Schwierigkeiten entweder zu bagatellisieren oder im Interesse gutgemeinter Bündnistreue immer wieder verbal zu ›schlichten‹. Häufig kommt dabei ein ermüdendes Oszillieren zwischen Problemdarstellung und Betonung der letztlich doch stärkeren Bündnissolidarität zum Tragen. Dagegen sind selbst so verdiente Forscher wie Geir Lundestad nicht immer gefeit31. Der Betrachter kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier Ängste bestehen, durch die wissenschaftliche Darstellung der Interessenkonflikte den Zusammenhalt des Bündnisses noch in der Gegenwart zu gefährden. Indes müssen derartig komplexe und nachhaltig wirkende Zusammenhänge und Probleme unbedingt analysiert werden. Insbesondere die Spannungen zwischen der Bündnissolidarität und den politisch und wirtschaftlich enormen Anforderungen sowie die Individualinteressen der einzelnen Partner, hier nicht zuletzt auch des Hegemons, bieten nach wie vor erheblichen Konfliktstoff. In einer im Vergleich zur vorangegangenen Epoche ›offenen‹ Welt ohne bipolares Zwangsgerüst erscheint ein Auseinanderdriften der Allianz nicht mehr ganz ausgeschlossen. Gerade die Alleingänge der USA etwa im Dritten Golfkrieg (»coalition of the willing«, Angriffe auf das »Alte Europa« durch Donald Rumsfeld) geben Anlass zur Sorge. Vor diesem Hintergrund ist wiederholendes Betonen der Stärken der Allianz nicht automatisch hilfreich. Derlei kann das genaue Gegenteil bewirken – zusätzliches Misstrauen und weitere Unsicherheit. Im Folgenden wird daher primär über die Analyse der Differenzen und Herausforderungen in die historische Tiefe vorgedrungen, ohne dabei stets die Sinnfrage zu thematisieren. Historiker haben als ›objektive‹ professionelle Forscher zuerst und vor allem historisch fundierte Ergebnisse mit Tiefenschärfe zu liefern. Deren Bewertung und Umsetzung obliegt dann der Gesellschaft, den Streitkräften und den Bündnissen. Die vorliegende Studie leistet auf dieser Basis historiografische Grundlagenforschung und bietet in diesem Rahmen Pionierarbeit. Zur Geschichte der Allied Mobile Force gibt es bislang praktisch keinerlei umfassende, quellengestützte Erkenntnisse. Die einzige Publikation von Rang hierzu stammt von dem kanadischen Militärhistoriker Sean Maloney, der dazu einige Quellen amerikanischer und kanadischer Provenienz ausgewertet und Zeitzeugengespräche geführt hat. Weitere Aufsätze zielen eher auf ein soldatisches Fachpublikum und halten unter anderem die Erfahrungen ehemaliger Angehöriger der AMF fest, wie der Artikel von Götz Steinle in »Truppenpraxis«32. Zur Einordnung der AMF in die Strategiegeschichte der NATO kann, wie bereits berichtet, immerhin auf ein inzwischen solides Fundament zurückgegriffen werden. So gibt es vor allem für die sechziger Jahre ein mittlerweile recht umfangreiches Angebot an Fachliteratur. Die Integrationsprobleme der »Decade of Crises« etwa hinsichtlich der nuklearen Mitbestimmung, der Lastenteilung, der Mitspracherechte in den obersten Gremien (Standing Group), der aktuellen Belastungen durch globale Kriege und nicht zuletzt des Austritts der Franzosen aus der militärischen Integration der NATO sind nunmehr recht gut erforscht33. Für die siebziger und achtziger Jahre hingegen gibt es 31 32 33

Hier ganz deutlich Lundestad, The United States and Western Europe, passim. Steinle, Allied Mobile Force. Dazu die Literatur auf S. 14, Anm. 2; S. 58, Anm. 41; S. 8, Anm. 30.

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noch Desiderate, doch sind auch hier gute Fortschritte gemacht worden34. Dazu zählen die großen Sammelbände wie das immer noch sehr ergiebige Werk »A History of NATO – The First Fifty Years« und vor allem das neuere Kompendium »The Cambridge History of the Cold War«35. Es gehört zu den Grundbedingungen eines jeden Forscherlebens, dass ein noch weitgehend unbearbeitetes Sujet einerseits verlockend ist, da neue Erkenntnisse substanziellen Ausmaßes erzielt werden können, ohne auf bereits ausgetretenen Pfaden wandeln zu müssen, andererseits aber meist mühsame Archivrecherchen bevorstehen, die durch kaum erschlossene, zerstreute oder durch andere Hindernisse nur eingeschränkt nutzbare Bestände erschwert werden. Im vorliegenden Fall bezieht sich dies auf die Beschränkungen infolge der staatlichen Geheimhaltungsvorschriften. Das Quellenmaterial der Militärapparate und der NATO ist teils noch eingestuft, oft auch deshalb, weil eine Prüfung der Offenlegung durch die Ministerien erheblichen Verwaltungsaufwand erfordert. Hinzu kommt, dass die Geschichte der AMF besonders sensible Themen berührt, etwa den griechisch-türkischen Konflikt, der den Quellenzugang insofern behindert, als die NATO noch existiert, beide Staaten Mitglieder des Bündnisses sind und der Konflikt nach wie vor schwelt. Die verantwortlichen Stellen sind folglich sehr zurückhaltend, was die Herabstufung der Quellen angeht. Es werden daher Lücken bleiben, die wohl, wenn überhaupt, erst in Zukunft geschlossen werden können. Ein gewisser Ausgleich wird durch die angloamerikanischen Archive geschaffen, die infolge der recht liberalen Handhabung und entsprechender Bestimmungen (Freedom of Information Acts) doch recht gute Einblicke gewähren. Daher wurden beispielsweise das National Archive in Washington (NARA) und das National Archive in London (TNA) extensiv genutzt. Zusätzlich konnte noch die Nixon Library mit den Papers der Präsidentschaft Richard Nixons herangezogen werden. Die anderen Presidential Libraries, die über die ganzen Vereinigten Staaten verteilt sind, mussten aufgrund zeitlicher und finanzieller Restriktionen ausgelassen werden. Von erheblichem Gewinn waren dagegen die Bestände in London (Kew), darunter vor allem die Akten der Chiefs of Staff, des Foreign and Commonwealth Office und der Treasury. Leider griffen dann aber auch hier die nationalen Geheimhaltungsbestimmungen, sodass der Quellenfluss zu tröpfeln begann, als die zweite Hälfte der siebziger Jahre erreicht war. Immerhin konnten umfangreiche Akten etwa zu den WINTEX- und den HILEX-Übungen ausgewertet werden. Als unerlässlich erwies sich auch die Nutzung der Bestände des SHAPE-Archivs (Mons) und des NATO-Archivs (Brüssel). Trotz der nach wie vor erheblichen Zugangsbeschränkungen war es möglich, für die AMF einen geschlossenen Quellenbestand zu nutzen. Fortsetzen ließen sich die Forschungen schließlich noch durch intensive Studien im Bundesarchiv, Abteilung Militärarchiv, die eine ganz wesentliche Basis schufen. Besonders ertragreich waren offene Bestände, etwa aus Routineakten, die unter anderem aus dem organisatorischen, verwaltungstechnischen und logistischen Tagesgeschäft stammen. Nicht immer stehen die entscheidenden Dinge in geheim gehaltenen Beständen. Eine wesentliche Ergänzung der genannten Archivbestände erwuchs aus der Auswertung 34 35

Dazu Wege zur Wiedervereinigung. Für die Sicherheitspolitik insbesondere auch an den Flanken vgl. The Last Decade of the Cold War. A History of NATO; The Cambridge History of the Cold War.

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der Akten der Verwaltung Aufklärung des Ministeriums für Nationale Verteidigung der DDR, hier insbesondere wiederum für die HILEX- und die WINTEX-Reihe. Das bei Historikern selbstverständlich vorhandene Misstrauen in Bezug auf deren Wahrheitsgehalt führte zu einem Abgleich mit den zugänglichen West-Akten, doch ergaben sich dabei keine größeren Diskrepanzen. Offensichtlich hat die Aufklärung des Warschauer Paktes, zumindest was die Primärinformationen angeht, gut gearbeitet. Die wesentlichen, hier interessierenden Erkenntnisse etwa bei der Einordnung der AMF in den politisch-militärischen und strategischen Rahmen stimmten überein36. Inwieweit die Erkenntnisse zwischen Ost und West in einzelnen Detailpunkten auseinanderklafften, wurde nicht überprüft. Bei den wesentlichen Faktoren war jedenfalls kein konstitutiver Unterschied zu erkennen. Um einen zentralen Aspekt zur Verdeutlichung vorwegzunehmen: Der Osten ging keineswegs von einer großangelegten aggressiven NATO-Offensive etwa zur flächenmäßigen Eroberung der DDR aus. Dies bedeutet jedoch nicht, dass stets von gleichartigen Quelleninhalten ausgegangen werden könnte. Die Aussagen der Akten in Ost und West müssen für jede Studie je nach Thema erneut und kontinuierlich kritisch verglichen werden. Abgerundet wurden die Studien durch Forschungen im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes, die Erkenntnisse zur Nordflanke lieferten, so aus den Akten der Atlantic Treaty Association (ATA). Aber auch hier ließ die Dichte ab Anfang der siebziger Jahre merklich nach. Einen Ausgleich in Bezug auf die Rahmenbedingungen an den Flanken schufen zweifellos die publizierten Akten der offiziellen Reihenwerke, so die Foreign Relations of the United States (FRUS) und die Akten zur auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland (AAPD). Die Nutzung von Nachlässen wichtiger Persönlichkeiten, z.B. von Johannes Steinhoff, und Interviews mit prominenten Zeitzeugen brachten gleichfalls erheblichen Erkenntnisgewinn. Als unerlässlich für den gesetzten methodischen Rahmen erwiesen sich die Presseorgane in Ost und West, vor allem die britische »Times«, der »Spiegel« und die »Frankfurter Allgemeine Zeitung«. Besondere Vorteile bot das Internet, das teils über Google gezielten Zugriff auf spezielle Themen erlaubt. In Kombination mit den Pressesammlungen des Bundesverteidigungsministeriums unter anderem auch zur Presse im Ostblock konnten hier häufig zusätzliche Informationen gewonnen werden. Das Thema der Studie ist, unabhängig vom Erkenntniswert für die Geschichte des Kalten Krieges, bei entsprechender Erweiterung des Horizonts noch erheblich ausbaufähig. Die AMF war nicht der erste multilaterale Verband innerhalb der Militärgeschichte. Angefangen von den Kontingenten im Burenkrieg über die »Joined and Combined«Lösungen der angloamerikanischen Streitkräfte im Zweiten Weltkrieg bis hin zu den multilateralen Einheiten im Rahmen der Vereinten Nationen nach 1945 sind hier noch weitere Studien möglich. Dies gilt auch für die nationalen Einsatzverbände Rapid Deployment Force bzw. Rapid Deployment Joint Task Force (USA), UK Mobile Force, Special Air Service (UK), British Royal Commandos, Forza d‘Intervento Rapido (Italien), Force d‘action rapide (Frankreich)37. Selbstredend dürfen bei der Beleuchtung dieser Einheiten keine vorschnellen Parallelen gezogen werden. Vergleichen heißt immer auch 36 37

Vgl. dazu auch die Bemerkungen unten S. 123; Anm. 324. Vgl. dazu exemplarisch Lemke, Strategische Mobilität im Kalten Krieg.

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genau auf Unterschiede achten. Immerhin scheint die Zeit mobiler Einsatzverbände für globale Einsätze angebrochen zu sein. Die AMF bietet hier ein ausgezeichnetes historisches Beispiel.

II. Zwischen Zweifel und Zuversicht: Die Bündnissolidarität und ihre Unwägbarkeiten 1960‑1989 1. Krisenbehaftete Kohärenz: Die NATO und die politische Entwicklung seit den sechziger Jahren Für die Einordnung der Allied Mobile Force in den Bündnisrahmen und die historische Bedeutung der Truppe als politisch-militärisches Kommunikations- und Ausdrucksmittel ist das Prinzip der Bündnissolidarität nachgerade entscheidend. Darüber hinaus gibt die AMF, und dies macht auch den geschichtswissenschaftlichen Mehrwert einer Betrachtung dieser Truppe aus, Auskunft über die tieferen Grundprinzipien für das Verständnis der Allianz sowie ihrer Stärken und Schwierigkeiten. Damit werden Bündnisgeschichte und Koalitionskriegführung, hier insbesondere die Legitimierung von Sinn und Zweck gegenüber der eigenen Bevölkerung und dem Gegner, nicht zuletzt auch die Art der Legitimierung, d.h. wesentliche geistesgeschichtliche Aspekte deutlich. Im Folgenden wird zunächst eine Übersicht über die Entwicklung der NATO seit den sechziger Jahren geboten, bevor die militärstrategischen Dimensionen und die Bedeutung des Solidargedankens beleuchtet werden. Die NATO lässt sich mit einem pulsierenden Stern vergleichen. Zeiten der Festigkeit und der strukturellen Verdichtung wechselten mit solchen des Auseinanderdriftens und der Lockerung der strukturellen Integrität. Dabei fielen die Perioden des Zusammenstehens nicht notwendigerweise mit erhöhter äußerer Bedrohung zusammen. Umgekehrt waren die Krisen des Bündnisses nicht unbedingt mit Zeiten relativer politisch-militärischer Ruhe identisch. Allerdings führten direkte und gefährliche Konfrontationen mit dem Warschauer Pakt wie die Kubakrise und die Ereignisse um den »Prager Frühling« 1968 fast immer zu militärpolitischen, organisatorischen und psychologischen Konsequenzen und Perspektivenwechseln. Daneben gab es Themen, die unabhängig von aktuellen Ereignissen stets Konjunktur hatten. Ein Dauerthema etwa waren die Auseinandersetzungen um die Lastenteilung1. Trotz teils gravierender Ereignisse, so der Austritt Frankreichs und Griechenlands aus der militärischen Integration 1966 bzw. 1974, erodierte die NATO nicht. Die stabilisierenden Elemente und Kohäsionskräfte erwiesen sich stets als so stark, dass es niemals zum Zerfall der Substanz kam. Gleichwohl stand es um den inneren Zusammenhalt des Bündnisses zeitweise nicht zum Besten. 1

Vgl. dazu Hammerich, Jeder für sich.

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Dies gilt insbesondere für die sechziger Jahre, die »Dekade der Krise«2, die neben den Konflikten mit den Franzosen vielerlei Auseinandersetzungen und Diskussionen um die Militärstrategie brachte3. Das Verhalten der Regierung in Paris hinterließ Narben. Noch Jahre später erschien das Vorgehen Charles de Gaulles aus NATO-Sicht als Sündenfall schlechthin4. Wie kam es dazu? John F. Kennedy schlug nach seinem Amtsantritt im Rahmen seines »Grand Design« alsbald eine Erhöhung der militärischen Reichweite der Europäer vor5. Im Kern beinhaltete das »Grand Design« die Schaffung einer weitgehenden transatlantischen Gemeinschaft in den Bereichen Politik, Wirtschaft und Militär unter fester Einbindung der Bundesrepublik bei gleichzeitiger Eindämmung französischer Ambitionen6. Die Zusammenarbeit und die Koordination sollten über den bisherigen politischen und wirtschaftlichen Integrationsgrad der NATO hinausgehen und sich den Prinzipien der EWG annähern, ohne allerdings Letztere zu ersetzen, sondern vielmehr zu ergänzen. Derlei war nicht neu, sondern in Anlehnung an Art.  2 des Nordatlantikvertrages bereits in den fünfziger Jahren betrieben worden, wenn auch mit wenig Erfolg7. Kennedys »Grand Design« sollte im Wesentlichen dasselbe Schicksal ereilen. Der US-Präsident propagierte mit seinem Konzept mitnichten nur eine stärkere Koordination zwischen Amerikanern und Europäern, sondern er hoffte auch darauf, dass die Europäer im Rahmen des »Grand Design« als offiziell gleichberechtigte Partner Verantwortung im globalen Bereich übernehmen, sprich politische und militärische Ressourcen einsetzen würden8. Es sollte nicht lange dauern, bis das Konzept unter Beschuss geriet. De Gaulle, der die Ambitionen der Amerikaner ohnehin stets mit Misstrauen betrachtete, intervenierte und brachte sein eigenes »Grand Design« ins Spiel, das eine stärkere Integration der Europäer unter französischer Führung auf Kosten der Amerikaner vorsah. Es war kein Zufall, dass parallel dazu wichtige militärstrategische Weichenstellungen der NATO von den Franzosen blockiert wurden9. Paris setzte den Amerikanern auf fast allen Ebenen Widerstand entgegen. Dadurch litt die Solidarität innerhalb des Bündnisses. In der Kubakrise war sie bereits auf die Probe gestellt worden: Die Amerikaner informierten ihre Bündnispartner nur am Anfang und verhandelten in der Folge direkt mit den Sowjets, was den Europäern ihre begrenzte machtpolitische Position deutlich vor Augen führte. Da half auch der formale Hinweis, dass Kuba außerhalb des Bündnisgebietes lag, nicht wirklich weiter. Die Begründung der Amerikaner, man habe infolge der prekären zeitlichen Situation keine 2 3 4 5 6 7 8 9

Zur »Krisendekade« aus unterschiedlichen Perspektiven vgl. v.a. Transatlantic Relations at Stake; sowie Wenger, The Politics of Military Planning; und Transforming NATO in the Cold War. Dazu ausführlich unten Kap. III.1. Hahn/Pfaltzgraff, Conclusion. Zum Folgenden vgl. grundsätzlich Reyn, Atlantis Lost, Kap. 2‑4. Dazu Conze, Die gaullistische Herausforderung, Kap. II.3. Milloy, The North Atlantic Treaty Organization, v.a. Kap. 5 und 6. Sherwood, Allies in Crisis, S. 111‑123, auch zum Folgenden. Hier etwa die Umorientierung von der Strategie der Massive Retaliation zur Flexible Response. Siehe dazu unten Kap. III.1. Ein Schlüsselereignis stellte die Ablehnung eines in diesem Rahmen sehr wichtigen Dokuments (MC 100) durch die Franzosen im Jahre 1963 dar. Dazu Pedlow, The Evolution of NATO Strategy, S. XXIII f.

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Gelegenheit zu Konsultationen gehabt, beinhaltete ebenfalls kaum Beruhigungspotenzial. In einem Ernstfall hing das Überleben der europäischen Frontstaaten, insbesondere der Bundesrepublik, davon ab, ob vor einem Nuklearwaffeneinsatz genügend Zeit für Verhandlungen zur Verfügung stand. Das Verhalten der Amerikaner während der Kubakrise bot hierfür keinen wirklich erfreulichen Präzedenzfall. Einen Nährboden für Probleme bildete ferner die Tatsache, dass die Amerikaner, dies wird bei Untersuchungen über die Geschichte der NATO häufig vergessen oder marginalisiert, grundsätzlich von einer gesamtglobalen Perspektive ausgingen. Europa stellte für Washington zwar den wichtigsten strategischen Pfeiler, aber beileibe nicht den einzigen dar. Als sich in den sechziger Jahren die Erholung der Europäer von den wirtschaftlichen Folgen des Zweiten Weltkriegs zu verfestigen schien – etwa durch die Annäherung der Bundesrepublik an die Vollbeschäftigung und die Aufnahme von Gastarbeitern –, vertraten die Amerikaner zunehmend die Position, dass ihre Bündnispartner nicht nur erheblich mehr für ihre eigene Verteidigung tun, sondern sich auch im globalen Bereich stärker engagieren könnten. Den bedeutendsten Konflikt außerhalb des NATO-Gebietes mit direkten Rückwirkungen auf die Bündnissolidarität bildete der Vietnamkrieg. Die Amerikaner hatten gehofft, dass die Europäer auch mit Kampftruppen zu Hilfe kommen würden, zumindest aber hatten sie einen symbolischen Beitrag gefordert. Zu ihrer Enttäuschung erhielten sie fast überall eine Abfuhr. Die Briten, zunehmend unter wirtschaftlichem und finanziellem Druck, verweigerten jeglichen Truppeneinsatz und verlegten sich darauf, Vermittlungsdienste anzubieten sowie gleichzeitig auf ihr Engagement in Malaya und Indonesien hinzuweisen. Die Amerikaner argwöhnten nicht zu Unrecht, dass London Einfluss auf ihre Politik nehmen wollte, ohne die Kosten zu bezahlen. De Gaulle seinerseits reagierte aus amerikanischer Sicht radikal, indem er bei einem Besuch in Kambodscha den Vietnamkrieg in Bausch und Bogen verdammte und französische Alternativlösungen anbot. Es kam zum Tragen, was als »reversal of roles« bezeichnet wird. Die Franzosen und bis zu einem gewissen Grad auch die Briten hatten die Folgen der Suezkrise von 1956 und den antikolonialistischen Kurs der Amerikaner nicht vergessen. Man sah nicht ein, warum man Washington helfen sollte, das einen selbst nicht nur im Stich gelassen, sondern dazu noch offen kritisiert hatte10. Die Deutschen reagierten zurückhaltend, ohne jedoch offenen Widerstand zu leisten, und handelten gemäß ihrer Interessenlage, die auch von einem grundsätzlichen, viel stärkeren Sicherheitsbedürfnis als bei den Briten und Franzosen geprägt war. Dahinter stand unter anderem der direkte Vergleich der Bundesrepublik mit Korea und vor allem Vietnam. Wenn die USA sich schon rasch aus Vietnam verabschiedeten, konnte dann dasselbe nicht auch im Falle Berlins geschehen11? Ludwig Erhard wich Lyndon B. Johnson beim entscheidenden Gespräch, in dessen Verlauf der US-Präsident die Entsendung einer Sanitätskompanie und eines Baubataillons gefordert hatte, jedoch aus, versicherte die Amerikaner seiner Solidarität, leistete aber lediglich einen Minimalbeitrag12. Die Bundesrepublik schickte daraufhin 10 11 12

Kaplan, NATO Divided, S. 47. Lundestad, The United States and Western Europe, S. 160 f. Schwartz, Lyndon Johnson and Europe, S. 88‑91.

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das Lazarettschiff »Helgoland« nach Vietnam und half im begrenzten Rahmen mit Geld und zivilen Projekten. Man könnte das mit zögerlicher Minimalsolidarität umschreiben. Anders als in Europa kam auch für Bonn die Bereitstellung substanzieller Mittel nicht infrage. Der Einsatz von Truppen war auch aufgrund der historischen Belastungen noch weniger möglich als bei Briten oder Franzosen. Im Gegenteil, das deutsche Verständnis, das durch die psychologische Zwickmühle Berlin und die Sorge vor einer Erosion westlicher Glaubwürdigkeit wegen Kuba, Vietnam und Berlin geprägt war13, ließ in dem Maße nach, wie die Amerikaner Truppen aus Deutschland abzogen14. Die anderen Verbündeten übten sich zunächst in zurückhaltender Opposition (»hypocritical in silently opposing American involvement in Vietnam«15), wurden ab 1965 jedoch ebenfalls erheblich kritischer. Selbst im amerikanischen Führungsapparat, so bei den Joint Chiefs of Staff, hegte man Skepsis gegenüber einer allzu starken Ausdünnung der Kräfte in Europa. Initiiert hatte die entsprechenden Pläne US-Verteidigungsminister Robert S. McNamara. Er glaubte aufgrund seiner Erfahrungen bei der rationalen Planbarkeit von Bombenangriffen gegen Japan im Zweiten Weltkrieg und ermutigt durch die dynamische Aufbruchsstimmung der Kennedy-Jahre und der dabei fungierenden Intellektuellengruppe (»Whiz Kids«), ein global flexibles Einsatzinstrumentarium aufbauen zu können. In diesem Zusammenhang spielten insbesondere die weltweiten Kapazitäten der US Air Force (USAF) für den Lufttransport eine Rolle. Man hoffte, allen Eventualitäten durch rasche Verlegungsfähigkeit gerade auch nach Europa gerecht werden zu können (Lufttransportübung »Big Lift«, 1963)16. Offiziell beschäftigte sich die NATO ein einziges Mal, und dies nur indirekt, mit dem Vietnamkrieg: Man versicherte im Rahmen des Harmel-Berichts die Amerikaner der Solidarität, ließ es aber den einzelnen Nationen angelegen sein, wie sie sich engagieren wollten. Dies stand im Einklang mit den Grundlagen des Bündnisses, wie sie in Art. 5 des Nordatlantikvertrages zum Ausdruck kamen und wie es sich in den Prinzipien für die Entscheidungsprozesse langsam und dauerhaft niederzuschlagen begann17. Jedes Mitgliedsland konnte für sich entscheiden, in welcher Intensität und in welcher Zeit es tätig werden wollte. Wenn keine prinzipiellen Grundlagen tangiert waren, konnte auch völliges Stillhalten Platz greifen. Paradigmatisch hierfür war die »Silence Procedure«18. Dieses organisatorische Grundprinzip wurde gewissermaßen aus der Not geboren, stellte dabei aber die Handlungsfähigkeit sicher und verkörperte insgesamt die Reform-, 13 14

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McMahon, Heiße Kriege im Kalten Krieg, S. 24‑28. Zu den Problemen der doppelten Verpflichtungen in Europa und in Vietnam aus Sicht der USArmee vgl. Trauschweizer, The Cold War US Army, Kap. 5. Vgl. auch Kaplan, NATO Divided, S. 48 f. Kaplan, NATO Divided, S. 47. Mit dieser Übung wollten die Amerikaner demonstrieren, dass die Zurückverlegung von Großeinheiten in die USA keinen Sicherheitsverlust für die Europäer bedeuten musste. Mittels strategischen Lufttransports wurde bei »Big Lift« u.a. eine US-Division aus Texas nach Deutschland verlegt. Weitere Übungen folgten und mündeten schließlich in die REFORGER-Serie, die in den siebziger und achtziger Jahren das Standardformat bildeten. Kaplan, McNamara, Vietnam, and the Defense of Europe; und neu: Kaplan, Strategic Problems and the Central Sector, S. 16. Sherwood, Allies in Crisis, S. 133 f. Gallis, NATO’s Decision-Making Procedure, insbes. S. 3 und S. 5; Michel, NATO Decisionmaking; Benecke, Reconsidering NATO’s Decision Making Process, S. 5 f.

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Lern- und Lebensfähigkeit des Bündnisses. Anders als etwa bei der EU, die sich jede wichtige Entscheidung durch ausdrücklich positive Willensäußerung aller Einzelstaaten bestätigen lassen muss19, besteht bei der NATO die Möglichkeit, sich dezent im Hintergrund zu halten. Gewährleistet wird dies durch eine Abstimmungsprozedur quasi ex negativo. Die Vertreter der einzelnen Mitglieder werden ausdrücklich nicht aufgefordert, sich positiv zu einer Entscheidung zu bekennen, sondern erhalten lediglich die Option auf einen Kommentar mit Vetocharakter. Jede Nation der Allianz kann im Zweifelsfall abwägen, wie schwer ihre Einwände im Einzelnen sind. Bei nicht tolerierbaren Konditionen kann per Formblatt ausdrücklich Widerspruch eingelegt werden (»breaking the silence«). Die Angelegenheit muss dann neu beraten werden. Bei weniger schweren Bedenken kann man aber auch auf einen Widerspruch verzichten und damit den Weg für einen Beschluss freigeben. Es steht dem Mitgliedsstaat dann immer noch frei, in welcher Weise er sich nachfolgend praktisch engagieren will. Inwieweit diese Gratwanderung im In- und Ausland propagiert oder erklärt wird, bleibt ebenfalls eine nationale Angelegenheit20. Mit dieser Kompromissmechanik konnte die Bündniskohärenz offiziell gewahrt und demonstriert werden, auch wenn manche Wünsche im Einzelnen Ablehnung erfuhren. Die »Silence Procedure« entwickelte sich parallel zu den zunehmenden Differenzen zwischen den USA und der NATO auf der einen Seite und den Franzosen auf der anderen. Aufgrund ihrer herausgehobenen strategisch-politischen Bedeutung kam der AMF auch hier eine Vorreiterrolle zu. NATO-Generalsekretär Dirk Stikker schlug vor, stillschweigendes Beiseitestehen zu ermöglichen, als die Franzosen sich weigerten, die Finanzierung der AMF mitzutragen21. Das State Department wollte diesen Vorschlag als Teil der Routineberichterstattung am Beispiel der AMF eingebracht sehen. In der Folge etablierte sich die »Silence Procedure« als permanenter Teil der Entscheidungsprozesse auf höchster Ebene. Nach dem Austritt der Franzosen aus der militärischen Integration 1965/66 rückten die verbleibenden Mitglieder nach kurzer Schockstarre rasch zusammen und veröffent19

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Vgl. allerdings die Verfahrensregeln des EU-Ministerrates von 2006, Art.  12, wo eine »Silence Procedure« explizit vorgesehen ist. Überhaupt müsste noch genauer erforscht werden, ab wann die »Silence Procedure« in den Organisationen als Entscheidungsinstrument eingeführt wurde. Ein intimer Kenner des NATO-Apparates forderte in der zweiten Hälfte der Siebziger öffentlich deren Einführung für die Allianz. Rowny, Decision-Making Process in NATO, S. 381 f. Die eigene Erfahrung in der Quellenforschung zeigt (Formulare und Entwürfe im NATO-Geschäftsgang bei aktuellen Entscheidungen), dass de facto spätestens Anfang der siebziger Jahre entsprechend verfahren wurde. Es ist an dieser Stelle vollkommen unmöglich, einen umfassenden Überblick über alle Facetten der NATO-Kommunikations- und Entscheidungsstrukturen zu geben (z.B. über das Verhältnis zwischen politischer und militärischer Sphäre bis ins Detail, Strukturen, hier v.a. auch informelle Kanäle). Derlei müsste in einer gesonderten Studie, am besten in einer Dissertation, untersucht werden. Vgl. einstweilen Rowny, Decision-Making Process in NATO, v.a. Kap. 4. Die Arbeit von Rowny entspricht methodisch zwar nicht mehr dem aktuellen Stand der Forschung, besitzt aber immerhin primären Erkenntnis- und Informationswert, da Rowny von 1955 bis 1958 Sekretär des IS bei SHAPE und von 1971 bis 1973 Stellvertretender Vorsitzender des NATO-Militärausschusses (D/C MC) war. NARA (NACP), RG  59, Entry A1  5301 Bureau of European Affairs, Box  2, Popper an Tyler, Departmental Briefing Paper für Meeting Tyler – McNaughton am 26.3.1964 (24.3.1964), S. 1. Zu den Kämpfen um die Finanzierung der AMF siehe unten Kap. IV.1.

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lichten eine gemeinsame Erklärung, die »Declaration of the Fourteen«22. Dem folgten weitere Bekundungen, die den Zusammenhalt der NATO von Neuem bekräftigten und gleichzeitig die Flanken sowie die AMF als wichtige Elemente bzw. Manifestationen der Solidargemeinschaft herausstellten23. Die Krise wirkte sich somit auch dahingehend aus, dass das Bündnisgebiet als Ganzes stärker in den Fokus der Verantwortlichen in Brüssel und Mons rückte und sich das Interesse nicht nur, wie zuvor, mehr oder weniger ausschließlich auf den Mittelabschnitt konzentrierte24. Dies sollte sich im Gefolge des Prager Frühlings und in den Siebzigern noch verstärken. In den nächsten Jahren erwies es sich für die Arbeitsfähigkeit der NATO sogar als förderlich, dass die Franzosen ausgetreten waren. Man installierte als wichtigstes Beratungsgremium das Defence Planning Committee (DPC), das im Grunde eine Kopie des Nordatlantikrates darstellte, aber eben ohne die Franzosen25. Alsbald gelangen erhebliche Fortschritte bei der Gestaltung der Zukunft: die Gründung der Nuclear Planning Group (NPG), die Verabschiedung des HarmelBerichts und die offizielle Verabschiedung der neuen Strategie der Flexible Response (MC 14/3 und MC 48/3)26. Trotz dieser Fortschritte zeigten sich wie schon in den vorigen Jahrzehnten deutliche Grenzen, die den innersten Kern der NATO betrafen und schließlich auch der Öffentlichkeit nicht verborgen blieben. Die nötigen Kompromisse, insbesondere bei der Verankerung der neuen Strategie, wären niemals möglich gewesen, wenn die Ausformulierung der wesentlichen Punkte nicht bewusst vage und undeutlich gehalten worden wäre. Damit konnte jedes Bündnismitglied den Kerntext gemäß seinen politischen und militärischen Interessen interpretieren. Dieses Prinzip, das den Kern der »Silence Procedure« ausmachte, war kein grundsätzlicher Nachteil, da es die Lebens- und Handlungsfähigkeit der Allianz garantierte. Als unvermeidliche Schwäche schlug indes zu Buche, dass es einerseits fast automatisch und dauerhaft zu Streitereien um die Auslegung der Papiere und Erklärungen kam (»Declaration Issues«), andererseits die damit verbundenen Verhaltensweisen im Gegensatz zu den niedergelegten Inhalten standen, die meist auf die Festigung der Bündniskohärenz zielten. Diese Ambivalenz stellte bis zum Ende des Kalten Krieges und darüber hinaus ein wesentliches Merkmal der Allianz dar. Bis zum heutigen Tag gehört sie zu den maßgeblichen Eigenschaften. Die NATO war, ist und wird immer ein streitbares Bündnis sein. Die Deklarationen, die eigentlich eine Art »Kitt« bildeten, und die regelmäßig wiederholte Beschwörung des Solidargedankens ließen sich häufig nicht mit den teils of-

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Nuti, A Decade of Delusions, S.  209  f. Dazu auch Stoddart, Losing an Empire, S.  70; sowie Kaplan/Kellner, Lemnitzer. So etwa das Final Communiqué des Nordatlantikrates, Brüssel, vom 7./8.6.1966 ; das Final Communiqué, Paris, vom 25.7.1966 ; und das Final Communiqué, Paris, 15./16.12.1966 . Dieser Befund gilt für die NATO-Militärs doch eher eingeschränkt. Für sie bildete der Central Sector de facto bis zum Ende des Kalten Krieges das entscheidende Element. Kaplan, Strategic Problems and the Central Sector, S. 18 f. Näheres zu dieser Frage auch unten Kap. III.3. Duffield, Power Rules, S. 176 f. Siehe dazu Kap. III.1.a und III.1.d.

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fen zutage tretenden Konflikten in Einklang bringen27. Das damit zum Ausdruck kommende Spannungsverhältnis zwischen Partikularinteressen und Bündnissolidarität barg die Gefahr in sich, dass ein zu häufiges Einfordern der Solidarität das Gegenteil dessen bewirkte, was eigentlich beabsichtigt war. Die Allianz wurde nicht gestärkt, sondern es entstand der Eindruck fortgesetzter Schwäche. Wie noch zu berichten sein wird, wurden die damit verbundenen Probleme auch in Militär- und Fachkreisen ausführlich diskutiert. Die politisch-militärische Entwicklung ab Ende der sechziger Jahre und die damit einhergehende Entspannungs- und Ostpolitik löste im konservativen Lager und vielfach auch in der NATO-Spitze keineswegs ungeteilte Begeisterung aus, sondern führte im Gegenteil zu Unbehagen und Misstrauen. Nicht zuletzt das Vorgehen von Willy Brandt bis zu seinem Amtsantritt als Bundeskanzler wurde kritisch beäugt28. Brandt hatte als SPD-Vorsitzender mit Unterstützung von Egon Bahr Vorschläge zur Neutralisierung der beiden deutschen Staaten und die Auflösung der beiden Militärbündnisse prüfen lassen. Dies erinnerte in gewisser Weise an die Stalin-Noten von 1952. Zwar ging Brandt bei seiner Regierungsübernahme sofort von diesen Vorschlägen ab und sprach der NATO zumindest öffentlich nicht die Lebensberechtigung ab. Dennoch entstand erhebliches Unbehagen, das durch die angeblichen Pläne der Bundesregierung zur Annäherung an die Sowjetunion (»Rappallo«-Syndrom) noch wuchs. Derlei traf ins Mark der Allianz. Daraus erwuchsen zu einem wesentlichen Teil die Ängste vor einer Abkoppelung der USA von Europa, der Erpressbarkeit durch die Sowjetunion sowie nicht zuletzt auch der »Finnlandisierung« Europas29. Im Laufe der siebziger Jahre geriet die politisch-militärische Stellung der westlichen Staaten offensichtlich nicht nur in Europa, sondern auch weltweit unter Druck30. Dazu trug die zunehmende Aufrüstung der Sowjetunion bei, die in den meisten Bereichen, vor allem bei den strategischen Atomraketen, mit den USA gleichzog und manchmal sogar einen Vorsprung erlangte. Die neue NATO-Strategie, die diesen Bedrohungen eigentlich begegnen sollte, führte zu Problemen gerade in Bezug auf die eben festgelegten Prioritäten, insbesondere die konventionelle Verteidigung. Nicht zuletzt aufgrund der angenommenen sowjetischen Rüstungserfolge ließ sich eine immer größere Schwäche der NATO diagnostizieren31. Die Amerikaner sahen sich wiederum bemüßigt, ihre europäischen Bündnispartner zu einer erheblichen Steigerung ihrer Verteidigungsanstrengungen zu mahnen. Ganz neu war dies nicht, wie man in Washington feststellte. »Unless we are prepared to move ag-

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Vgl. insbes. Wenger/Möckli, Power Shifts and New Security Needs, S. 118; und Blumeneau, West Germany and the United States, S. 129 f. In Bezug auf die MC 14/3 und die Flexible Response sehr gut Hahn, Toward a New NATO Consensus, S. 67. Vgl. auch Kugler, Commitment to Purpose, S. 288 und S. 305‑310. Zum Folgenden vgl. Schoenborn, NATO forever? Aus politischer Sicht: Geiger, Die Bundesrepublik Deutschland und die NATO, S. 181. Siehe dazu unten Kap. II.2. und III.3. Näheres dazu unten S. 28‑36.

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gressively in NATO, our Allies will retain the initiative by default, as in the recent past32.« Hier lag für die Allianz ein Dauerthema mit erheblichem Konfliktpotenzial. Global befand sich der Westen ebenfalls immer mehr in der Defensive. Die alten Kolonialmächte zogen sich weitgehend zurück, ohne dass die Amerikaner sofort als Ersatz bereitstanden. In Washington verspürte man beispielsweise im Falle des Mittleren Ostens zunächst kein Verlangen nach verstärktem militärischem Engagement33. Anfangs stand sogar eine Reduzierung der maritimen Kräfte auf der Agenda, da man nicht sicher war, wie sich der Rückzug der Briten auf die Region auswirken würde34. Bis zum Ende der siebziger Jahre waren die USA im maritimen Bereich nur mit der Middle East Force (MEF), d.h. einigen wenigen Zerstörern, vor Ort35. Die Entscheidung der USA, sich aus Vietnam zurückzuziehen, verstärkte den allgemeinen Eindruck noch. Gleichzeitig steigerte die Sowjetunion ihre maritime Präsenz auf den Weltmeeren erheblich und leistete so der Befürchtung Vorschub, dass sie in absehbarer Zeit selbst eine expansive Machtpolitik betreiben wolle36. Die Vorstellungen bezüglich künftiger Lageentwicklung und des Kriegsbildes enthielten regelrechte Horrorszenarien, etwa in Bezug auf eine künftige Omnipräsenz der Roten Marine an allen wichtigen und neuralgischen Punkten, die auch eine rasche Unterbrechung der transatlantischen Nachschubrouten wie der Öltransportwege beinhalteten. Zu einem der wichtigsten Kristallisations- und Konfliktpunkte vor diesem Hintergrund wurde das Jahr 197337. Schlaglichtartig traten die Kernprobleme der NATO zutage. Die Amerikaner, die auch die Fortschritte der europäischen Einigung sehr genau verfolgten, erkannten sehr wohl, dass Europa ein neues Gewicht erhielt, das erhebliche Auswirkungen auf die NATO haben würde. Gleichzeitig erwartete Washington von den Europäern weiterhin, dass sie höhere Verteidigungsanstrengungen erbrachten. Diese Faktoren bestimmten unter anderem die »Nixon-Doktrin«, die im Zuge des Rückzuges aus Vietnam und wegen der erkennbaren Grenzen amerikanischer Leistungsfähigkeit vorsah, sich auf regionale Machtzentren zu verlassen, die sich auch militärisch zu einem großen Teil selbst tragen konnten38. Dieses Konzept hatte zeitweise auch Auswirkungen auf die NATO-Militärstrategie. Neben Japan, Südostasien und dem Mittleren Osten (»Twin Pillar«-Strategie mit Konzentration auf Iran und SaudiArabien) dachte man dabei insbesondere an Europa. Aus dieser Interessenlage heraus hatte Kissinger das »Year of Europe« konzipiert39. Die Europäer sollten eine heraus32

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NARA (NACP), Nixon Presidential Library, NSDM, NSC, Memorandum for Dr. Kissinger, Follow-on Work on NATO (NSDM-95), 5.12.1970, S.  1. Vgl. auch ebd., NSDM  133, US Strategy and Forces for NATO, Allied Force Improvements, 22.9.1971. Palmer, Guardians of the Gulf, Kap. 4 und 5. Dazu NARA (NACP), Nixon Presidential Library, NSDM, Memorandum for the President (Kissinger), The Persian Gulf, 22.10.1970, mit Begleitmaterial. Eine Reduzierung wurde dann nicht vorgenommen. Palmer, Guardians of the Gulf, S. 72, 94‑97, 109. Die MEF wurde im Laufe der siebziger Jahre auf vier, dann 1979 auf sieben Einheiten aufgestockt. Dazu unten S. 179 f. Zum Folgenden vgl., wo nicht anders belegt, Kupchan, The Persian Gulf and the West, Kap. 3, 7 und 8; sowie Wenger/Möckli, Power Shifts and New Security Needs; und Blumeneau, West Germany and the United States. Dazu Yon, The Nixon Doctrine, S. 62‑69. Lundestad, The United States and Western Europe, S. 182‑184.

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gehobene Wertschätzung erfahren, gleichzeitig aber zumindest unterschwellig zu höheren Eigenleistungen aufgefordert werden. Die Amerikaner zielten auf eine globale Partnerschaft auf weitgehend gleicher Augenhöhe und mit tendenziell gleichen Lasten. Ferner stand für Washington zumindest im Hintergrund die Erwartung im Raume, bei der Gestaltung Europas und der Festlegung der Rahmenbedingungen und Definitionen ein Wort mitzureden40. Immerhin leisteten die USA einen erheblichen Beitrag zur Sicherung des Alten Kontinents. Dahinter standen schon seit Jahrzehnten propagierte Modelle einer »Atlantic Community«, einer noch nicht genau defnierten Gemeinschaft, die über bloße Interessenpartnerschaft hinausging. Zwar verfolgte Kissinger mit seinem »Year of Europe« keine strukturelle, gar supranationale Annäherung im staatlichen Bereich, wie dies ansatzweise im »Grand Design« von John F. Kennedy angelegt gewesen war. Doch stand hier unter anderem das Streben nach erheblichem Einfluss auf die europäische Einigung Pate. Die Initiative erwies sich auch aufgrund der politischen Geschehnisse des Jahres 1973 in den meisten Punkten als regelrechtes Desaster. Zunächst einmal gefiel es nicht jedem Verantwortlichen in Europa, dass der Alte Kontinent auf eine strategische Stufe mit anderen Weltregionen gestellt und dadurch de facto herabgestuft werden konnte. Zwar hatten die Amerikaner nach wie vor ein vorrangiges Interesse an Europa. Dennoch genossen die anderen Schauplätze, vor allem der pazifische Raum, gleiche Priorität. Die USA, und dies ist ein wesentlicher Aspekt, hatten sich zu einer vollgültig globalen Macht entwickelt41, während die Europäer, allen voran die Briten und Franzosen, den umgekehrten Weg gegangen waren, den der Regionalisierung. Da half es auch nichts, oder es machte die ganze Sache noch schlimmer, wenn Kissinger im April 1973 »contrasted a parochial Europe to a United States with global interests«42. Kissinger konnte mit solchen Aussagen kaum punkten43. All dies hatte erhebliche Auswirkungen auf die Frage des Engagements außerhalb der Bündnisgrenzen und auf die wechselseitige Solidarität. Die Europäer beäugten misstrauisch die »United States’ attempts to shift the emphasis in favor of the conventional element of the ›triad‹«44. Gleichzeitig waren sie sich bewusst, dass die USA in strategischer Sicht eben wegen ihrer globalen Ausrichtung auf einer Ebene mit der Sowjetunion standen. Die Verpflichtungen und Gefahren in anderen Regionen brachten ein Element der Unsicherheit in die militärische Garantie Washingtons insbesondere im konventionellen Bereich. Es waren Situationen denkbar, in denen die USA gezwungen waren, sich in anderen Weltteilen zu engagieren, und in Europa dann nicht mehr mit der gebotenen Flexibilität reagieren konnten. Eine Art zweites Vietnam, vielleicht nicht im dem erfahrenen Ausmaß, konnte zumindest langfristig nicht ausge40 41 42 43

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Sehr gut dazu Pfaltzgraff, The Atlantic Community. Sehr deutlich in: TNA, DEFE  4/285, COS Committee, Confidential Annex to COS 15th Meeting/78, 1.8.1978, Item 1., Head BDS Washington End of Tour Report, S. 2. Pfaltzgraff, The Atlantic Community, S. 21. Hier wäre einmal – bei allen Unterschieden in den Rahmenbedingungen – ein Vergleich mit den Thesen von Donald Rumsfeld einige Dekaden später interessant, hier insbesondere in Bezug auf die Unterscheidungen Rumsfelds zwischen dem »Alten« und dem »Neuen« Europa. TNA, DEFE 5/199, COS 23/74, COS Committee, The 1974 Defence Review, NATO Strategy and the United Kingdom’s Contribution to the Alliance, 15.10.1974, Annex, S. A-3 bis A-4, auch zum Folgenden.

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schlossen werden45. Im aktuellen Rahmen bestand ständig die Gefahr, dass Misstrauen entstand, wenn nicht immer wieder betont wurde, dass Europa unmissverständlich den obersten Platz auf der US-Agenda einnahm. Noch konfliktträchtiger war das praktische politisch-militärische Handeln der Amerikaner in Krisen und Konflikten. In Fragen der strategischen Atomrüstung verhandelte Washington direkt mit Moskau, ohne den Europäern ein Mitspracherecht einzuräumen und ohne sie überhaupt zu konsultieren. Dies erinnerte an das Vorgehen Washingtons während der Kubakrise 1962. Desgleichen stellte man die Bündnispartner im Falle des Vietnamkrieges mehr oder weniger vor vollendete Tatsachen. Das Pariser Abkommen von 1973 war ohne Beteiligung der Europäer zustande gekommen. Zwar herrschte in Europa in der Folge Erleichterung, weil nunmehr mit einer verstärkten Reallokation von Kräften für die transatlantische Verteidigung gerechnet werden konnte und mit James R. Schlesinger ein Verteidigungsminister im Pentagon einzog, der rasch und zielstrebig die Reform der Nuklearstrategie sowie die Stärkung der konventionellen Verteidigung Europas in Angriff nahm. Im politischen Bereich jedoch hinterließ das Verhalten Washingtons und seines State Department, von dem das »Year of Europe« ausging, einen mehr als durchwachsenen Eindruck. Man kann nicht eine politischmilitärische Gemeinschaft propagieren und gleichzeitig die inaugurierten Partner von wesentlichen Entscheidungen ausschließen, die auch deren Sicherheit betreffen. Noch kritischer für die wechselseitige Bündnissolidarität wirkte sich der Yom-KippurKrieg aus. Die Amerikaner, die spätestens seit dem Vietnamkrieg hofften, ihre europäischen Bundesgenossen zu einem Engagement auf der globalen Bühne zu bewegen, begannen mit der Lieferung von Kriegsgerät an die Israelis. Man ging in Washington davon aus, dass die Europäer, wenn sie sich schon nicht selbst in der einen oder anderen Weise aktiv im Nahen Osten einbrachten, wenigstens indirekte Unterstützung gaben, also etwa Überflug- oder Landerechte für den Nachschub einräumten. Genau dies geschah jedoch nicht46. Bis auf Portugal, das, immer noch unter der Diktatur stehend, auf weitere Integration und Anerkennung durch die NATO und Amerikaner hoffte, verweigerten sich alle europäischen Staaten solchen Ansinnen. Besonders heikel war die Tatsache, dass israelische Hilfstransporter in Bremerhaven zumindest teilweise mit Kriegsgerät beladen wurden. Dies führte zu erheblichen diplomatischen Turbulenzen mit arabischen Staaten. Bonn sah sich schließlich zu einer Intervention und zumindest offiziell zum Verbot derartiger Aktionen genötigt. Die Europäer, die weit stärker von arabischem Öl abhängig waren als die Amerikaner und viel größere Sympathien für die Araber, auch die Palästinenser hegten, versuchten schließlich sogar eigene außenpolitische Akzente zu setzen, indem sie den Euro-Arabischen Dialog im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ) ins Leben riefen47. Mehrere Machtworte und Vorstöße aus Washington beendeten dieses Intermezzo nach einiger Zeit. Fortan gaben von den westlichen Staaten vornehmlich die Amerikaner 45

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Der entsprechende Schauplatz, der Persische Golf, befand sich Mitte der siebziger Jahre bereits im Fokus der Amerikaner und wurde dann ab 1979 akut. Siehe dazu die Analyse von Schmid, Transatlantic and Middle East Crisis Arcs. Lundestad, The United States and Western Europe, S. 162 f. Zu diesem Aspekt vgl. jetzt neu Zilio, The Conference on Security.

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im Nahen und Mittleren Osten den Ton an. Dementsprechend sollten die Europäer auch kaum eine Rolle bei den Friedensverhandlungen im Rahmen des Abkommens von Camp David spielen. Dies alles verstärkte die Solidarprobleme in der NATO noch. Entsprechend notierte der stellvertretende SACEUR General Fitzpatrick in Bezug auf den Yom-Kippur-Krieg: »general disquiet amongst the European Allies over the US handling of the Middle East crisis. This had resulted in some loss of confidence in the US and a feeling of resentment at the US failure to consult or, having consulted, to take account of European view. He considered that the Alliance was in a delicate state and that US insensitivity to European feelings could endanger the solidarity of NATO. He further believed that, should the UK reduce her contribution to NATO, this would further aggravate the situation for NATO48.« Dazu kam der Eindruck, dass der Westen global zunehmend gegenüber den kommunistischen Regimen in die Defensive geriet. Kissinger selbst hatte angesichts der Nelkenrevolution in Portugal, des fortgesetzten griechisch-türkischen Konflikts, der innenpolitischen Folgen des Vietnamkriegs, der Entstehung des Eurokommunismus und der Ereignisse insbesondere in Afrika zumindest indirekt erhebliche Sorgen zuzugegeben49. Was die Verteidigung des eigenen Bündnisgebietes anging, rangierte zum Leidwesen der Amerikaner die wirtschaftlich-soziale Stabilität eindeutig vor militärischer Aufrüstung50. Das hieß keineswegs, dass eine allgemeine Bündnismüdigkeit vorherrschte oder gar destruktive Ziele bestanden. Jede Nation, auch die Amerikaner, wog ihre jeweiligen nationalen Interessen gegenüber den Bündnisinteressen ab. Wie so häufig im Leben endete die Freundschaft bzw. hier die Solidarität beim Geldbeutel. In folgenden Kapiteln wird noch zu zeigen sein, dass selbst deutliches Bitten, Mahnen und Drohen gerade auch vonseiten der höchsten Militärs nichts half. Das politisch-militärische Wechselspiel ging einstweilen weiter. Die ernüchternden Erfahrungen des Jahres 1973 traten bald in den Hintergrund und wurden durch pragmatisches Vorgehen, wohl eine der größten Stärken der Allianz, bewältigt. Die Ängste gegenüber der Entspannungspolitik, den MBFR- und SALT-Verhandlungen in Verbindung mit dem perzipierten sowjetischen Militäraufbau, blieben jedoch bestehen. Erneut mit dem Gespenst der Finnlandisierung aufgeladen wurde die Szenerie, als die Kommunisten unter Enrico Berlinguer in Italien an politischem Einfluss gewannen und sich zeitweise indirekt an der Regierung beteiligten. Die Erfahrungen, die man in den Jahrzehnten zuvor mit italienischen Führern wie Amintore Fanfani und Giovanni Gronchi gemacht hatte, waren nicht vergessen51. Dazu kam die offensichtliche Schwäche der Regierung Carter. So sorgte das Fiasko um die Neutronenbombe auch bei Helmut Schmidt, der sich zunächst für deren Beschaffung eingesetzt hatte, für großen Ärger. Schmidt hatte sich ähnlich wie Margret

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TNA, DEFE 4/279, COS Committee, Confidential Annex to COS 24th Meeting/73, 20.11.1973, Meeting with General Sir Desmond Fitzpatrick Lately Deputy Supreme Allied Commander Europe, S. 3 f. FCO 9/2228, Interview Kissinger mit Barbara Walters (NBC), 8.5.1975. TNA, FCO 9/2228, Drahtbericht UKDEL NATO, NATO Summit Meeting: Restricted Session, 30.5.1975, S. 1. Zum Verhältnis Italiens zur NATO und den USA siehe unten, S. 186‑195.

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Thatcher gegen erhebliche Kritik für diese Waffe engagiert und sah sich durch die rasche Kehrtwende des US-Präsidenten im Jahre 1978 im Stich gelassen52. Immerhin konnte die Regierung Schmidt im Fall des NATO-Doppelbeschlusses von 1977 einen beachtlichen Erfolg erzielen. Obwohl in den Partnerstaaten massive Bedenken vorherrschten, gelang es dem Bundeskanzler vergleichsweise rasch, einen breiten Konsens zur Stationierung herzustellen53. Dies stärkte die Bündnissolidarität nachhaltig. Die Stationierungspläne wurden in der ersten Hälfte der achtziger Jahre fast vollständig umgesetzt54. Auch in diesem Fall hatten die nationalen Interessen wieder eine wichtige Rolle gespielt. Die Europäer hegten seit Langem die Furcht, dass sich die Nukleargarantie der Amerikaner durch das Gleichziehen der Sowjetunion im Bereich der strategischen Atomwaffen aufzuweichen begann. Die nun zu stationierenden Pershing II und Cruise Missiles schufen einen Ausgleich im eurostrategischen Spektrum. Eine Abkopplung durch eine nukleare Lücke und die damit verbundene Schutzlosigkeit gegenüber gezielten Angriffen mit modernen sowjetischen SS-20-Rakten rückten damit ein Stück weit in den Hintergrund. Dazu kam, dass augen- und sinnfällige Lastenteilung herrschte. Die Raketen wurden von den Amerikanern bereitgestellt, die Infrastruktur von den jeweiligen Stationierungsländern, die dazu aus den gemeinsamen NATOGeldtöpfen Unterstützung erhielten55. Als schließlich Ronald Reagan Präsident der USA wurde, verstummten viele konservative Kritiker und auch Militärs, weil sie nun auf eine Kehrtwende in der militärischen Abwehrbereitschaft hofften56. In der Tat begann die neue Regierung rasch mit entsprechenden Maßnahmen. Dies indes rief Kritiker aus anderen Lagern hervor. Der konfrontative Kurs des US-Präsidenten barg das Risiko gefährlicher Konflikte, eventuell sogar die Möglichkeit einer Eskalation in sich. Zudem sahen die Vertreter der Entspannungspolitik, darunter viele europäische Politiker, ihr Werk in Gefahr. Schließlich führte die Reagansche Aufrüstungspolitik in kurzer Zeit zu einer erneuten Belastung des staatlichen Budgets, auch mit Auswirkungen auf die europäischen Staaten. Die Bündnissolidarität litt weniger darunter, da sich sowohl in Großbritannien als auch in Deutschland konservative Regierungen dauerhaft etablierten, die die Bündnisentscheidungen selbst gegen großen öffentlichen Druck durchsetzten57. Ganz störungsfrei gestalteten sich die Beziehungen aber nicht, insbesondere nach der politischen Neuorientierung Reagans ab 198358. Höhe- und vielleicht auch Schlusspunkt der daraus resultierenden Solidarprobleme bildete das historische Treffen zwischen Reagan 52 53 54 55 56 57 58

Ploetz, Erosion oder Abschreckung?, S. 39 f. Siehe dazu Geiger, Die Regierung Schmidt-Genscher, v.a. S. 112 f. Zu den dennoch schwierigen Bedingungen in manchen Partnerländern, etwa in Italien, vgl. z.B. Nuti, Italy and the Battle of the Euromissiles. Dazu Special Meeting of Foreign and Defence Minister, Brussels, 12.12.1979, Ministerial Communiqué, Ziff. 7 . Zu den intellektuellen Wegbereitern der Strategie unter Reagan siehe Marlo, Planning Reagan’s War (wenn auch etwas affirmativ). Vor allem im Falle Deutschlands war dies angesichts der gewaltig anwachsenden Friedensbewegung von erheblicher Bedeutung. Vgl. dazu Rödder, Bündnissolidarität und Rüstungskontrollpolitik. Fischer, US Foreign Policy under Reagan and Bush.

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und Gorbačev in Reykjavik im Jahre 198659. Einmal mehr waren die Europäer weder am Treffen beteiligt noch für den Entscheidungsprozess konsultiert worden – obwohl die nachfolgenden Ergebnisse, so die Beschlüsse zur weitgehenden Denuklearisierung Europas, nicht nur weitreichende strategische Auswirkungen auf den Alten Kontinent zeitigten, sondern gerade die Urängste in Bezug auf Entblößung und Abkopplung der Amerikaner bestätigen mussten60. Die Grundprobleme der Allianz zeigten sich auch bei Out-of-area-Konflikten. So verhielten sich die Europäer sehr reserviert, was die Lage am Persischen Golf anlangte. Dies betraf auch militärische Planungen und Übungen zu Szenarien, die auf eine Einbeziehung der Türkei und Griechenlands hinauslaufen konnten61. Daran änderte auch die Krise nach dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan und den Ereignissen um die iranische Revolution nichts Grundlegendes. In der Folge unterstützten zwar einige Bündnispartner die Amerikaner etwa durch Marineeinheiten zum Schutz der Handelsschifffahrt. Letztlich stand aber wieder nur eine Deklaration im Vordergrund, die ein gemeinsames Interesse kundtat, ohne praktische Schritte nach sich zu ziehen. Auf dem Bonner Gipfel von 1982 veröffentlichte die NATO erstmals ein Dokument, in dem sie offiziell konstatierte, dass Out-of-area-Fragen auch für die NATO von Bedeutung seien. Damit hatte das Bündnis nach langem offiziellem Schweigen die globale Dimension zumindest theoretisch anerkannt. Praktische Konsequenzen hatte dies nicht62. Die Bündnispartner entschieden im Rahmen ihrer nationalen Interessen, ob sie sich an solchen Einsätzen beteiligten (z.B. Hilfe beim Minenräumen oder in Form von Task Forces während des »Tanker War« im Rahmen des irakisch-iranischen Krieges 1987/88)63. Für die Amerikaner bedeutete all dies bestenfalls einen Achtungserfolg. Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Europäer nicht bereit waren, nennenswerte Kräfte dauerhaft außerhalb der eigenen Bündnisgrenzen einzusetzen. Ein unter demokratischen Bedingungen funktionierendes Bündnis weist »Checks« and »Balances« auf, wie sie in den entsprechenden Staatswesen ebenfalls existieren. Es wird immer Probleme und Auseinandersetzungen geben, da die unterschiedlichen Interessen nicht unterdrückt, sondern zugelassen und ausgetragen werden. Dadurch kann die Effizienz und vor allem die militärische Schlagkraft leiden, gleichzeitig bestehen Sicherungen gegen finanzielle Überlastung und einen zu einseitigen und offensiven Umgang mit Bedrohungen. Ob in derlei Bündnissen und Partnerschaften dadurch stets eine Überlastung und Gefährdung der Stabilität vermieden werden kann, muss offen bleiben. In anderen Bereichen, wie etwa dem Finanz- und Wirtschaftssektor, kommt es auch immer wieder zu schweren Rückschlägen oder gar Katastrophen, wie die Finanzkrise 2007/08 oder die noch immer nicht überwundenen Probleme der Eurozone

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Fischer, The United States and the Transformation of the Cold War, S. 231‑233. Schwabe, Verhandlung und Stationierung, S. 84‑91. Lundestad, The United States and Western Europe, S. 210 und S. 218; FRUS 1969‑1976, vol. 30, Dok. 10: Action Memorandum from the Director of the Policy Planning Staff (Lord) to Secretary of State Kissinger, 15.2.1974 . Kupchan, The Persian Gulf and the West, S. 187 f. Palmer, Guardians of the Gulf, S. 130‑133. Deutschland sandte drei Marineeinheiten ins Mittelmeer.

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zeigen. Auch demokratische Systeme können unter Umständen internen Fehlleistungen zum Opfer fallen. In der letzten Dekade des Kalten Krieg hingegen erwies sich das Verhalten der NATO-Partner, von denen die Mehrzahl auch in der Europäischen Gemeinschaft (EG) war, als richtig. Die Zurückhaltung gerade der Europäer in Bezug auf übertriebene Rüstungsprogramme verhinderte den Ruin, von dem der Ostblock am Ende erfasst wurde. Rückblickend scheint wohl ein entscheidendes Prinzip für das Überleben demokratischer Staaten und Bündnisse die Mäßigung zu sein. Sogar eher zu den Falken zählende Analysten erkannten schon 1979:

»The priorities relate primarily to a climactic phase in the systemic competition between the East and West. In this competition, the Atlantic nations have recourse not only to untapped reserves of physical strength but also to the powerful forces of political, social, spritiual, and human values. These values have been blurred by confusion and discord in the West, but ironically they have been mirrored more accurately (and their power demonstrated) in the camp of the adversary [...] if we are to preserve these values in societies where they now exist and and to exploit the vulnerabilities of our adversaries where the values lie latent, we must sustain political, military and economic strength of its core area, the states of the Atlantic Community. Herein lies the indispensable, minimum condition for meeting the longer term challenges of building a world structure more adequate to the needs of the late twentieth century and beyond64.«

Auch die Reagan-Jahre bilden hier nicht automatisch eine Ausnahme. Zwar trat der US-Präsident mit großem Getöse auf und inaugurierte große Rüstungsprogramme, bekam jedoch nach einiger Zeit wirtschaftliche und finanzielle Grenzen aufgezeigt. Ob das »Totrüsten« und die offensichtlichen Folgen beim Niedergang des Warschauer Paktes tatsächlich auf ›objektiven‹ Fakten oder vornehmlich auf den perzeptiven Effekten in den Köpfen der sowjetischen Führung beruhten, ist noch intensiv auszuloten65. Ferner ist vor retrospektiven Lobeshymnen zu warnen. Nur weil die westliche Gemeinschaft den Kalten Krieg überstanden hat, während die Gegenseite unterging, heißt das noch lange nicht, dass das politische und militärische Handeln bis 1989 einfache Rezepte für künftige Zeiten bietet. Man hatte zu einem Gutteil einfach Glück. Wie das von der Forschung noch zu bildende Urteil hier auch ausfallen mag, ist doch die Tatsache evident, dass sich die NATO in den siebziger Jahren und darüber hinaus in besonderer Weise um die Bündnissolidarität kümmern musste. Deren Stellenwert in den Köpfen und Herzen der führenden Verantwortlichen, vor allem der Militärs, sowie für die innere Funktionsweise der NATO und die propagierten Lösungsansätze bzw. deren öffentliche Diskussion wird nun im Folgenden zu analysieren sein. Die AMF, die Teil der Lösungsansätze war, wurde hiervon entscheidend geprägt. Sie gibt damit auch einen sehr guten historiografischen Indikator für den inneren Zustand der Allianz ab.

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Hahn/Pfaltzgraff, Conclusion, S. 363 f. Beiträge aus unterschiedlicher Perspektive in Wege zur Wiedervereinigung.

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2. Die Bedeutung des Zusammenhalts der Allianz für die NATO-Militärstrategie Erst im Laufe der siebziger Jahre setzte sich in der NATO im breiteren Rahmen die Erkenntnis durch, welche praktischen Konsequenzen die Flexible Response auf die militärische Lage hatte66. Die zentrale Rolle spielte einmal mehr der Militärausschuss, insbesondere dessen Vorsitzender. Noch stärker als in den Dekaden zuvor begann sich abzuzeichnen, dass »Strategie« keineswegs mehr »nur« die Ausarbeitung von Zielen, Handlungsleitlinien und Kriegsplänen sein, sondern auch deren überzeugende Propagierung in der Öffentlichkeit beinhalten würde. Gerade die NATO, die sich in entscheidendem Maße auf das Solidar- und Abschreckungsprinzip abstützte und deswegen Instrumente wie die AMF unterhielt, konnte es sich nicht mehr leisten, im Stillen zu planen und zu handeln, wollte sie diese als glaubwürdige Handlungsoptionen für die Abschreckung präsentieren. Das lag auch darin begründet, dass die Finanzierung in den öffentlichen Haushalten sichergestellt werden musste und damit zur Sache der Parlamente wurde. Damit ließ sich »Strategie« nicht mehr vom politischen Bereich und der medialen Öffentlichkeit trennen. Die Abschreckung und die militärische Entschlossenheit der Allianz mussten bereits im Frieden überzeugend vermittelt werden. Daraus ergaben sich aber erhebliche Probleme und Widersprüche, die nur unter großen Anstrengungen zu überwinden waren67. Die inhaltlichen Setzungen der Militärstrategie und das öffentlichkeitswirksame Handeln waren somit untrennbar verbunden68. Trotz aller Unterschiede im Einzelnen stimmten das Bündnis und alle seine militärisch integrierten Partner überein, dass die höheren Eskalationsstufen des Krisen- und Kriegsszenarios kaum realistische Möglichkeiten darstellten. Es war etwa kaum damit zu rechnen, dass die Sowjetunion aus heiterem Himmel einen umfassenden Atomschlag führen würde, der den Untergang der menschlichen Zivilisation innerhalb eines Tages nach sich zog69. Auch mit einem plötzlichen Einsatz einzelner taktischer oder eurostrategischer Atomwaffen ohne jegliche Vorwarnung glaubte man nicht rechnen zu müssen. Größte Befürchtungen hegte man allerdings mit Blick auf die Ausdehnung der sowjetischen Hegemonial- und Einflusssphäre bereits im Frieden, also im ›unteren‹ Bereich des Eskalationsrasters. Diese Perspektive und die von ihr gespeisten weiteren Szenarien bis hin zur militärischen Konfrontation führen zum tieferen Kern aller Probleme der NATO in den siebziger und achtziger Jahren, nicht zuletzt im Bereich der öffentlichen Kommunikation70. 66

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Walsh, The Military Balance in the Cold War, S. 109‑113; und Duffield, Power Rules, Kap. 6. Infolge der Forschungs- und Quellenlage, hier unter anderem der noch existierenden Beschränkungen beim Dokumentenzugang, wird sich das folgende Kapitel im Wesentlichen auf die Zeit bis Anfang der achtziger Jahre konzentrieren. Die letzte Dekade wird nur in Grundzügen und einzelnen Facetten beleuchtet werden können. Dazu Joffe, Can Europe Live with Its Defence? Die NATO-Militärstrategie wird in Kap. III ausführlich analysiert. Vgl. die Belege dort. Vgl. dazu Walter, Zwischen Dschungelkrieg und Atombombe, S. 228 f. Zum Folgenden vgl. grundsätzlich Atlantic Community in Crisis, darin die Beiträge: Hahn, Toward a New NATO Consensus; Hahn, The U.S.-European Strategic Linkage; sowie Hahn/Pfaltzgraff, Conclusion.

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Dabei spielten Glaubwürdigkeit, Standhaftigkeit und Solidarität sowie deren psychologische Vermittlung nach innen und nach außen eine bedeutende Rolle. Die neue Betonung der konventionellen Kriegführung und die damit direkt verbundene Furcht vor einem »Decoupling« der Amerikaner von Europa, die perzipierte Aufrüstung der Sowjetunion und die Steigerung der globalen Präsenz der seit der Kubakrise im stetigen Aufbau befindlichen sowjetischen Marine71, die krisenhafte Entwicklung der westlichen Wirtschaften und schließlich die Unsicherheit in Bezug auf die Ergebnisse der Entspannungspolitik: Die Untiefen und Widersprüche der Flexible Response verhießen in den Augen der Verantwortlichen und auch etlicher Kommentatoren für das kommende Jahrzehnt nichts Gutes72. Es begann sich die Ansicht zu verfestigen, dass das krisenerprobte Bündnis nun möglicherweise doch in existenzbedrohende Schwierigkeiten geraten könnte. Innerhalb und außerhalb des NATO-Apparates entwickelten sich sehr negative, teils sogar regelrechte Horrorszenarien eines graduellen Verfalls der NATO und der Ausdehnung des machtpolitischen Einflusses des Warschauer Paktes bis hin zu militärischen Aggressionen mit Territorialgewinnen ohne wirksame Gegenmaßnahmen der Allianz. Solche Szenarien entsprangen nicht ausschließlich den Köpfen von Phantasten oder ›Spinnern‹, sondern ebenso von Wissenschaftlern und Journalisten sowie führenden Militärs. Es erschien eine regelrechte Flut an Zeitungsartikeln und Büchern73. Sogar in Großbritannien begannen Kritiker, darunter ernstzunehmende Kommentatoren des linken Spektrums, eine Lockerung der Bindung an das Bündnis oder sogar einen Austritt ausführlich zu diskutieren74. Die Vorstellungen gingen meist dahin, dass man – vor dem Hintergrund der transatlantischen Streitereien durchaus nicht vollkommen realitäsfern – eine zunehmende Entfremdung zwischen den USA und den Europäern annahm. Die Amerikaner, frustriert von der europäischen Intransingenz und besorgt um andere globale Schauplätze, begännen unter dem Druck des Kongresses mit einem graduellen Truppenabzug bei gleichzeitiger politischer Distanzierung. Die Europäer, die ohne US-Hilfe der Militärmacht des Ostblocks hoffnungslos unterlegen seien, würden in der Folge dem Druck der Sowjetunion nachgeben und Zugeständnisse im politischen und militärischen Bereich machen. Die Sowjetunion würde dieser Schwäche gewahr und infolgedessen ihre Zurückhaltung aufgeben, die bis dato von der Stärke der NATO garantiert worden war75. 71

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BArch, N  885 (Nachlass Steinhoff), Bd  8, »Einschubvorschlag ›Colbert‹ in Ihre Rede vor der Deutschen Atlantischen Gesellschaft«; und ebd., Vortrag vor Führungsakademie der Bundeswehr am 30.1.1973, S. 9. Vgl. auch Steinhoff, Die Probleme der NATO, S. 20. Einen guten Überblick über die Probleme der NATO seit 1970 aus heutiger Sicht bietet Ploetz, Erosion oder Abschreckung? Exemplarisch am Beispiel der USA und der Bundesrepublik in den siebziger Jahren Wiegrefe, Das Zerwürfnis, hier v.a. Kap. 1, 4, 6, 9, 11, 13. Eine enge Auswahl: Atlantic Community in Crisis; Steinhoff, Wohin treibt die NATO?; Close, Europa ohne Verteidigung?; Grosser, The Western Alliance; Steinhoff, Die Probleme der NATO. In der Presse wurden entsprechende Beiträge und Diskussionen an prominenter Stelle veröffentlicht, also etwa im Spiegel, der Times und der FAZ. Als Beispiel hier: FAZ, 25.1.1974, Interview Adelbert Weinstein mit Johannes Steinhoff: »Nationale Verteidigung – ein Anachronismus«. Mit eher positivem Ausblick Freedman, The Price of Peace, v.a. Kap. 5. Hier insbes. Smith, The Defence of the Realm. NARA (NACP), Nixon Presidential Library, NSDM, Kissinger an Goodpaster, 10.3.1971, mit »review of NATO strategy and forces«, Part I, S. 7.

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Es käme zu politischen und militärischen Übergriffen, Provokationen und Aggressionen. Am Ende wäre mit einem begrenzten militärischen Ausgreifen durch ein fait accomplis zu rechnen, etwa die Besetzung von Faustpfändern in so exponierten Regionen wie den NATO-Flanken. Damit wäre wiederum die immer wieder zitierte »Finnlandisierung«, die ›kalte‹ Auflösung der NATO, eingetreten76. Selbst so nüchtern denkende Militärs wie die britischen Chiefs of Staff schlossen diese Perspektive nicht aus und entwickelten ausführliche Szenarien aus britischer Sicht. Man richtete den Blick dabei nicht ausschließlich auf Europa, sondern bezog ebenso Asien und Afrika mit ein77. Insbesondere versuchte man die Lage der Schwesterorganisation der NATO zu analysieren, der in den siebziger Jahren immer wurmstichiger werdenden Central Treaty Organization (CENTO, bis 1959 bekannt als »Bagdadpakt«). Als problematische Faktoren bzw. Aggressoren sah man Syrien und den Irak an; diese beiden Staaten arbeiteten am engsten mit der Sowjetunion zusammen. Die Analysen kulminierten meist in der Frage nach der Situation der Türkei, da das Land Mitglied in beiden Bündnissen war. Die Bemühungen zur Aufrechterhaltung der Bündnissolidarität und zur Eindämmung sowjetischer Destabilisierung richteten sich vor allem auf den Alten Kontinent. Einige Kommentatoren und Analysten, etwa Walter Hahn oder Robert Pfaltzgraff, glaubten sogar eine geschickte Strategie der Sowjets erkannt zu haben, die keineswegs mit den sonstigen, noch 1968 vertretenen Stereotypen eines kraftstrotzenden, aber eher uninspirierten Kolosses78 übereinstimmten. Eine wesentliche Rolle spielten das Konzept der »friedlichen Koexistenz« und die Entspannungspolitik, die hiermit direkt verbunden war. Die Bukarester Erklärung des Warschauer Paktes von 1966 beinhaltete in der Tat 76

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Das Gespenst der »Finnlandisierung« zog sich durch fast alle wichtigen Strategiepapiere der Zeit. An dieser Stelle mögen folgende Dokumente genügen: TNA, DEFE  5/198, COS  15/74, COS Committee, The 1974 Defence Review, 11.6.1974, Annex, S. A-4 bis A-25 (konkrete Nennung »Finnlandisierung« als Terminus auf S. A-57); für die maritime Dimension: TNA, DEFE 5/199, COS 24/74, COS Committee, The 1974 Defence Review – The United Kingdom Contribution to the Eastern Atlantic and Channel Commands of NATO, 15.10.1974, passim; und schießlich TNA, DEFE 4/278, COS Committee, Confidential Annex to COS 18th Meeting/73, 4.9.1973, Item 1., Meeting with General Sir Victor Fitzgeorge-Balfour Lately UK Military Representative at NATO Headquarters, v.a. S. 2. Nach Ploetz, Erosion oder Abschreckung?, S. 32 und S. 47, arbeitete die Sowjetunion auch direkt und unmissverständlich auf dieses Ziel hin. Etwas differenzierter Rödder, Bündnissolidarität und Rüstungskontrollpolitik, S. 128 f., der genauer zwischen westlicher Perzeption und östlichem Handeln unterscheidet. Was genau hier aggressives Hegemonialstreben war und was westliche Angst, ist noch näher zu erforschen. Außer dem Nahen bzw. Mittleren Osten, dem dauerhaft eine vergleichsweise hohe Bedeutung beigemessen wurde, rangierten die übrigen globalen Regionen für den Fall eines Großkrieges zwischen Ost und West auf eher unbedeutenden Plätzen. Walter, Zwischen Dschungelkrieg und Atombombe, S. 366‑400, beleuchtet die entsprechenden Themenfelder u.a. auch im Rahmen der Diskussion um den »Begrenzten Krieg«, den er – recht innovativ – global versteht und damit aus der reinen »Binnensicht« Mitteleuropas heraushebt. Leider aber referiert Walter fast ausschließlich die Quellen der National Archives in London und der britischen Militärpublizistik, häufig ohne auf die Rahmenbedingungen und den Forschungsstand einzugehen. Dabei geht (vgl. beispielsweise die Ausführungen zum Seekrieg) einerseits der multilaterale Bündnisrahmen verloren, andererseits fehlt die Strukturierung und Pointierung insbesondere hinsichtlich der nationalen Strategie im Bündnisrahmen, d.h. welche Position die britische Strategie in der NATO jeweils genau einnahm bzw. welche Bedeutung sie besaß. Siehe dazu S. 96.

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einen wichtigen Impuls für die Ingangsetzung des KSZE-Prozesses und bildete eine folgerichtige Ergänzung der »friedlichen Koexistenz«79. Es stellte sich nur die Frage, welche Ziele Moskau damit verfolgte, welche Mittel hier infrage kamen und ob hier nicht ein sinistrer Gesamtplan verfolgt wurde. Im Zuge der Niederschlagung des »Prager Frühlings« war ein tschechoslowakischer General, Jan Sonja, in den Westen übergelaufen und hatte wichtige Dokumente zur politischmilitärischen Strategie der Sowjetunion mitgebracht80. Darin enthalten war auch ein Vier-Phasen-Plan zur Aufweichung des westlichen Bündnisses und zur Errichtung einer Hegemonie notfalls auch mit offensivem, ja aggressivem Ausgreifen – genau das Alarmszenario, dass man im Westen hegte. Der Verlust der Solidarität und der Kohäsion innerhalb der NATO würde vom Ostblock geschickt und jeweils in richtiger Dosierung ausgenutzt, um die Europäer von den USA zu trennen und schließlich immer mehr dem eigenen Willen unterzuordnen. Bei ungünstigem Verlauf war ein Rückzug der Briten auf die eigene Insel und die Politik einer »bewaffneten Neutralität«, d.h. mehr oder weniger die Haltung bei der Konfrontation mit dem Hitler-Regime bis 1940, zumindest grundsätzlich nicht mehr ausgeschlossen81. Die Entspannungspolitik wurde in dieser Perspektive innerhalb der NATO sowie der NATO-freundlichen Fachwelt und Presse (u.a. in der »Security Community«) weniger als Chance für die Überwindung der gefährlichen Blockkonfrontation, sondern als Nachgiebigkeit gegenüber den Hegemonialgelüsten der Sowjetunion und als Spiel mit der eigenen Position angesehen. Die Bewertung der Détente reichte hier je nach Grundeinstellung von vorsichtiger, aber misstrauischer Befürwortung bis hin zu massiver Ablehnung als leichtfertige Aufgabe eigener Sicherheit, mancherorts sogar als Trojanisches Pferd82. Dementsprechend wurden auch alle wichtigen Verlautbarungen aus dem Osten interpretiert, etwa die Reden von Leonid Brešnev im Jahre 1973/7483. Eine herausragende Rolle aufseiten der Militärs nahm Johannes Steinhoff als Vorsitzender des Militärausschusses von 1971 bis 1974 ein. Er beeinflusste die Formulierung der Vermittlungsstrategie für die Flexible Response und übernahm des Weiteren 79

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Dazu: Békés, Entspannung in Europa. An dieser Stelle ist es auf Platzgründen nicht möglich, näher auf die Motive, Bedingungen und Intentionen des beginnenden Entspannungsprozesses einzugehen. Hahn, Toward a New NATO Consensus, S.  58‑60. Es ist an dieser Stelle zweitrangig, ob die Angaben und Dokumente von Sonja den Tatsachen entsprachen. Entscheidend war, dass dies einleuchtete und die Krisenstimmung im westlichen Bündnis anheizte. Grundsätzlich sei angemerkt, dass die Intensität des teils überaus alarmierenden Tons nicht zuletzt den Kämpfen um die Finanzmittel, bei denen auch das Parlament ein entscheidendes Wort mitzureden hatte, geschuldet war. Etliche Probleme dürften explizit besonders dramatisch gezeichnet worden sein, um Eindruck auf die Entscheidungsträger zu machen und die Mittelzuweisungen zu sichern oder Einschnitte zu vermeiden. Als Beispiel für Misstrauen gegenüber der Entspannungspolitik als möglicher Ansatzpunkt für die Schwächung der Bündniskohäsion und eine Neutralisierung der Europäer vgl. NARA (NACP), Nixon Presidential Library, NSDM, Kissinger an Goodpaster, 10.3.1971, mit »review of NATO strategy and forces«, Part  I, S.  1. Aus britischer Sicht: TNA, DEFE  5/196, COS Committee, COS 29/73, The Maintenance of NATO’s strategy of Flexibility in Response in the Central Region of Allied Command Europe, 3.7.1973, S. A-4. Vgl. auch Kugler, Commitment to Purpose, S. 275 und S. 454. Hahn, Toward a New NATO Consensus, S. 58‑60.

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die Aufgabe der praktischen Propagierung in der Öffentlichkeit. In zahllosen Vorträgen, Aufsätzen und Interviews unternahm er massive Anstrengungen, um den inneren Zusammenhalt der NATO zu stärken. In den Quellen wird deutlich, dass sich Steinhoff erst einmal mit seinem Amt vertraut machen musste und dabei auch nationale Beschränkungen im eigenen Denken zu überwinden hatte. Bei seinem Amtsantritt 1971 hatte er offensichlich noch die mitteleuropäische Perspektive Central Sector/Bundesrepublik Deutschland vertreten und die Bedeutung der Flanken und der globalen Perspektive eher hintan gestellt84. Dies änderte sich im Laufe der Zeit deutlich. Bald fehlte in fast keinem Vortrag und in keinem Interview Steinhoffs der Verweis auf die globale Bedrohung durch die sowjetische Marine und deren Auswirkungen auf den Zusammenhalt der NATO (Bedrohung bzw. Druck auf westliche Positionen und vor allem Drohung mit Unterbindung der transatlantischen Nachschubrouten) sowie auf die Bedeutung der NATO-Flanken85. Damit kristallierten sich zumindest im öffentlichen Diskurs Steinhoffs immer deutlicher zwei miteinander verbundene Themenkreise heraus: 1. die Sorge um die schleichende Erosion der NATO und den Verlust der bündnisinternen Solidarität, 2. die Frage nach den Auswirkungen der globalen Konfrontation, hier insbesondere im Mittleren Osten, auf die Allianz und nach den nötigen Maßnahmen oder vielmehr einem Engagement der NATO an den oder vielmehr außerhalb der Bündnisgrenzen. Selbst die Abschiedsadresse Steinhoffs als Vorsitzender des Militärauschusses schloss mit diesen Aspekten und wies ihnen damit einen prominenten Stellenwert zu86. Die praktische Vermittlung der NATO-Strategie geriet mitunter zu einer Gratwanderung, da die Inhalte und Ziele der Strategie direkt mit der öffentlichen Kommunikation verbunden waren und auch auf ihr basierten. Unter den gegebenen Verhältnissen war es schwierig, nach außen Zuversicht, Solidarität und Stärke zu demonstrieren, gleichzeitig aber vor dem Verfall der Allianz zu warnen. Es musste jedem einigermaßen aufmerksamen Beobachter im Ostblock auffallen, wenn einer der höchsten Militärs der NATO auf der einen Seite die Kraft der NATO propagierte und auf der anderen für den Fall des Ausbleibens massiver Aufrüstung und des Fortbestehens der aktuellen Defizite den eigenen Untergang an die Wand malte. Den Höhepunkt bildeten wohl die Massenproteste in der Bundesrepublik gegen den NATO-Doppelbeschluss im Jahre 1983. Es schien, dass die Allianz noch nicht einmal die eigene Bevölkerung auf ihrer Seite hatte87.

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Steinhoff, NATO: Gliederung, Aufgaben und Möglichkeiten, S. 24; und BArch, N 885/8, Entwurf, »Woller-Sendung«, ZDF, (MBFR), 2.12.1971, S. 1. BArch, N 885/8, passim. Ob dieser Wandel nur den Verpflichtungen des hohen NATO-Postens entsprach oder schließlich auch die tiefgehende Überzeugung Steinhoffs wiedergab, muss noch näher erforscht werden. BArch, N  885/8, Remarks by Chairman, Military Committee to NATO Council, 27.3.1974, S. 8‑10. Ganz deutlich und mit allen Konsequenzen für die Glaubwürdigkeit der NATO bei Rödder, Bündnissolidarität und Rüstungskontrollpolitik, S. 132‑136. Dass dieser Eindruck nicht unbedingt dem wahren Meinungsbild etwa in der Bundesrepublik entsprach, belegt Möllers, Sicherheitspolitik in der Krise. Eher die demokratische Ideallinie (auch im Vergleich zum Warschauer Pakt) vertretend: Heuser, Alliance of Democracies, S. 207‑212.

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Im Diskurs fehlte es weder bei Steinhoff noch bei anderen Kommentatoren als auch in zahlreichen Statements der NATO-Spitzengremien an dramatischen Formulierungen88. Fast in jedem Text finden sich in Bezug auf die konventionelle Kampfkraft der NATO und ihren drohenden Glaubwürdigkeitsverlust Passagen wie »deep crisis«89, »waste away«90, »Auszehrung«91, »Erosion«92 oder »gathering storm clouds«93. Dies galt nicht nur für Steinhoff, sondern für die meisten prominenten Fachleute in Verteidigungsfragen, darunter so bekannte Wissenschaftler wie etwa Lawrence Freedman94. Die Kommentare in diesem Ton stammten also nicht von linken Kritikern der Allianz, sondern von der eher konservativ geprägten »Defence Community«. Als Fazit könnte man folgendes Statement zu den Hauptsorgen anführen: »Die größte strategische Gefahr für den Westen liegt darin, dass der sowjetische Militärapparat immer mehr ein beeindruckendes Instrument der Machtpolitik wird, dem psychologisch die abmagernde Militärkraft des Westens nichts mehr entgegenzusetzen hat95.« Bestätigt wurde dies durch die Ergebnisse amerikanischer Fachleute, die etwa in speziellen Panels des Office for Science and Technology (OST) zum Schluss kamen, dass die Hoffnungen der US-Verteidigungsplaner in Bezug auf die Erfolgsaussichten konventioneller Kriegführung in Europa, und damit verbunden auf eine lange Vorwarnzeit, zumindest mit dem zur Verfügung stehenden Potenzial des Westens weitgehend utopisch seien96. Der Ostblock sei auch qualitativ bereits sehr weit fortgeschritten. Als Minimum wurde ein großangelegtes Rüstungsprogramm mit einem Zeitansatz von acht Jahren gefordert, das modernstes Kriegsgerät umfassen sollte. In Washington war man hiervon wenig begeistert97. Die Kosten hätten ruinöse Züge für den Haushalt gehabt, was wiederum automatisch das Parlament und die generellen Kritiker der Truppenstationierungen in Europa auf den Plan brachte98. Selbst den USA waren hier Grenzen gesetzt. 88 89 90 91 92 93

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TNA, DEFE 4/283, COS Committee, Confidential Annex to COS 8th Meeting/77, 17.3.1977, Item 6, The Growth of Soviet Military Power, S. 2. BArch, N  885/8, NATO Military Committee, Office of the Chairman, 28.10.1973, Artikel Steinhoff für The Hawk. The Journal of the Royal Air Force Staff Colleges, S. 1. BArch, N  885/8, Address by Chairman, Military Committee to Atlantic Treaty Association in Brussels, 10.9.1973, S. 6. Steinhoff, Wohin treibt die NATO?, S. 212. Ebd., S. 62. Dazu auch TNA, DEFE 4/253, Final Report of the UK Military Representative to NATO, 5.1.1971, S. 1 f. TNA, DEFE 4/278, MILREP/16, 23.6.1973, Annex A, Report to the Chief of the Defence Staff by General Sir Victor Fitzgeorge-Balfour, UK MilRep, S. 5. Vgl. insgesamt auch Kugler, Commitment to Purpose, S. 282 f. und S. 288. Vgl. dazu etwa dessen Sammelwerk The Troubled Alliance. FAZ, 25.1.1974, Interview Adelbert Weinstein mit Johannes Steinhoff, »Nationale Verteidigung – ein Anachronismus«, S. 6. NARA (NACP), Nixon Presidential Library, NSDM, NSC, Memorandum for Dr. Kissinger, Dr. David’s Request for Meeting to Discuss NATO Force Improvements, 2.6.1971, mit zahlreichen Begleitdokumenten. Als Beispiel für das Insistieren Washingtons, dass die NATO-Partner eigentlich viel leistungsfähiger und stärker als der Warschauer Pakt seien, vgl. NARA (NACP), Nixon Presidential Library, NSDM, Kissinger an Goodpaster, 10.3.1971, mit »review of NATO strategy and forces«, Part II, S. 10. NARA (NACP), RG 59, Bureau of Public Affairs, A1 5037, Department of State, President Ford’s Visit to NATO, Brussels, May  29‑30, 1975 (Briefing Book), Background Paper »The Nunn Amendments« und v.a. Background Paper »DPC Ministerial Guidance«, S. 2.

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Dies war den Bedingungen moderner Demokratie geschuldet, wie Steinhoff und andere immer wieder deutlich aussprachen99. Anders noch als vielleicht in den fünfziger Jahren geriet die Verteidigung gegenüber sozial- und wirtschaftspolitischen Fragen zunehmend ins Hintertreffen, was auch erhebliche Folgen für die Zuteilung finanzieller Ressourcen hatte. Dies machten insbesondere die Briten deutlich. Premierminister Harold Wilson betonte auf dem NATO-Gipfel 1975 in Brüssel:

»we all agreed on the need for the Alliance to maintain an effective and credible defence system but this was no good if our economies were enfeebled [...] It was unrealistic to think substantial increases in resources devoted to defence. Rather we should have better use of those resources, for example through greater rationalisation and specialisation in defence tasks, and more interoperability and standardisation of defence equipment100.«

Egal, welche Interessen die Briten hier national verfolgten und was aus London später etwa über die Standardisierung verlauten sollte: Diese Zielrichtung herrschte auch für die anderen Regierungen vor. Steinhoffs Ansätze zur Rationalisierung dürften sich auch aus diesen Vorgaben gespeist haben. Insgesamt blieb die Lage für das Militär nicht gerade vielversprechend. Man musste sich lautstark und möglichst mit dramatischen Appellen Gehör verschaffen, wollte man nicht im Hintergrundrauschen des allgemeinen Mediengetöses untergehen. Es war auf alle Fälle zu vermeiden, den Eindruck zu vermitteln, der NATO ginge es allenthalben gut, da sonst nicht nur keine weitere Stabilisierung der Ausstattung erfolgt wäre, sondern ggf. sofort Forderungen nach Reduzierung der Wehretats erhoben worden wären. Dies galt für alle NATO-Partner, auch die USA. Genau damit untergrub man aber die Glaubwürdigkeit der konventionellen Abschreckung. Am Ende des Tages stellte sich die Frage, ob man mit einer solchen Medienstrategie den Gegner von der eigenen Stärke überzeugen konnte. Die ständigen Querelen um die westliche Verteidigung und deren Defizite dürften nicht zuletzt in Moskau den Eindruck hinterlassen haben, dass der Westen Stabilitätsprobleme hatte. In der Tat initiierten und förderten Brešnev und andere den Entspannungsprozess seit Ende der sechziger Jahre unter anderem im Bewusstsein eigener Stärke und Konkurrenzfähigkeit, ja sogar der Überlegenheit101. Jedenfalls standen diese Debatten im klaren Widerspruch zu den Grundüberzeugungen in Washington, nach denen vor allem die eigene Stärke für die Glaubwürdigkeit und damit die Abschreckung garantierte. Gerade Reagan vertrat die Auffassung, dass die Demonstration der militärischen Fähigkeiten entscheidend für den eigenen Erfolg war und »mehr von der Einschätzung des internationalen Kräfteverhältnisses durch alle Akteure abhing, als von dem Kräfteverhältnis selbst«102. Das war auch die Haltung seiner engsten Berater, und mit dieser Perspektive hatte er die entscheidenden Wahlen gewonnen und sein Amt angetreten103. Wie überhaupt in den meisten Fragen der Ost-West99 100 101 102 103

BArch, N  885/8, Ausführungen von General Steinhoff, Vorsitzender des Militärausschusses der NATO, am 25.3.1974, S. 4. TNA, FCO 9/2228, Drahtbericht UKDEL NATO, NATO Summit Meeting: Restricted Session, 30.5.1975, S. 1. Dazu Békés, Entspannung in Europa, S. 49‑55. Tuschhoff, Einstellung und Entscheidung, S. 60. Hervorhebung Bernd Lemke. Ebd., S. 84 f., 95, 115‑118, 150‑153, 179‑181 u.ö.

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Konfrontation, allen voran der atomaren Abschreckung, stand und fiel alles mit der Interpretation der möglichen Position bzw. Reaktion der Gegenseite104. In diesem politischen und militärischen Koordinatensystem ›realer‹ und imaginierter Stärke kam es in entscheidendem Maße auf die Kohärenz der Allianz oder zumindest auf deren positive Interpretation und Vermittlung an. Nicht zuletzt die Briten erkannten sehr genau, dass ›wahre‹ Bündnissolidarität davon abhing, dass jedermann von der strukturellen Integrität der NATO überzeugt war. Als Beispiel mag hier wieder der französische Austritt aus den militärischen Strukturen des Bündnisses und der dadurch angerichtete Prestigeverlust stehen. Intern hatte man zwar gelernt, damit umzugehen. Die Außenwirkungen hingegen blieben mehr als problematisch, da eine Art Präzedenzfall für Nachahmer geschaffen war und dadurch der Erosion Vorschub geleistet werden konnte: »unpublicised agreements [for internal coping with the French withdrawal] contributed nothing to the manifest solidarity on which Western deterrence depended. The French were obtaining credit for little effort, and there was a danger that the idea of being a defence ally without being a member of the Alliance could become attractive to other countries105.«

Steinhoff war sich der Widersprüche und Unzulänglichkeiten der Bündnisstrategie insbesondere bei der praktischen Umsetzung bewusst. Er versuchte einem zu negativen Eindruck entgegenzuwirken, indem er fortgesetzt betonte, dass er nüchtern und verantwortlich denkender »Realist« sei, dem angesichts der Lage keine andere Wahl bleibe. »Pessimismus« und »Alarmismus« wies er explizit zurück106. Gleichfalls kam es für Steinhoff und die NATO nicht infrage, die Probleme einfach hinzunehmen. So wurde ein ganzes Kompendium mit Lösungen entwickelt, das Steinhoff immer wieder in der Öffentlichkeit propagierte. Zu diesem Instrumentarium gehörte auch die AMF als Bestandteil der Abschreckung in gefährlichen Krisen. Auf einen kurzen Nenner gebracht, forderte Steinhoff die Grundmaximen der Flexible Response: Flexibilität und Effizienz so radikal wie möglich umzusetzen. Nur so konnte seiner Ansicht nach der Widerspruch zwischen begrenzten Ressourcen und überzeugender Abschreckung überwunden werden. Die Kernpunkte umfassten107:

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Vgl. dazu etwa Wettig, Sowjetische Euroraketenrüstung; sowie Wentker, Zwischen Unterstützung und Ablehnung. TNA, DEFE 4/282, COS Committee, Confidential Annex to COS 7th Meeting/76, 18.3.1976, Item 2. DSACEUR – End of Tour Report, S. 4. All die damit verbundenen Fragen sind weiterer Untersuchungen wert, auch geistes- und mentalitätsgeschichtlicher Art, können hier aber nicht geleistet werden. An dieser Stelle galt es nur, den historischen Rahmen für Sinn und Zweck der AMF als Kommunikationsmittel der Abschreckung zu beleuchten. Vgl. BArch, N 885/8, Address by General Steinhoff to NATO Defence College, Rome, 26.9.1973, S. 1 und S. 12 f.; ebd., Remarks by Chairman, Military Committee to NATO Council, 27.3.1974, S.  5  f.; und ebd., Address by Chairman, Military Committee to Atlantic Treaty Association in Brussels, 10.9.1973, S. 7. Die folgenden Punkte sind, in der einen oder anderen Form, immer wieder in den entsprechenden Texten zu finden, insbesondere bei Vertretern und Unterstützern der NATO. Teils wurden sie fast schon gebetsmühlenartig angeführt bzw. diskutiert. Vgl. daher, wo nicht anders belegt, BArch, N 885/8, passim; und Steinhoff, Wohin treibt die NATO?, v.a. S. 93‑107, 192‑212 u.ö.; vgl. auch Davis/Pfaltzgraff, The Shifting. Als Beispiel für ein hochrangiges Dokument aus den Planungsapparaten vgl. TNA, DEFE 5/200, COS 17/75, COS Committee, British Defence Policy Guidelines, 1.9.1975, Annex A, S. A-5 f.

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1. Konzentration auf die militärischen Fähigkeiten des Gegners (»capabilities«) im Gegensatz zur als naiv angesehenen Interpretation der angeblichen Absichten (»intentions«)108. Die Bildung dieses terminologischen Gegensatzpaares stellte eine implizite Kritik an der Entspannungspolitik dar, vor allem an der Suche nach blockübergreifenden Parallelen und Gemeinsamkeiten. Im Kern ging es darum, sich nicht von irgendwelchen unsicheren Beteuerungen und Friedensangeboten des Ostens täuschen zu lassen, sondern sich am Gewaltpotenzial des Warschauer Paktes, das ständig einsatzbereit schien, zu orientieren109. 2. Ausgleichen der fehlenden numerischen Stärke durch die Nutzung überlegener westlicher Technologie und des technischen Fortschritts. Das Motto lautete: Qualität statt Quantität. Die ab Ende der siebziger Jahre propagierten Konzepte FOFA und »AirLand-Battle« (u.a. Zertrümmerung der feindlichen Fronttruppen bei gleichzeitiger Vernichtung der in der Tiefe massierten Angriffstruppen des Warschauer Paktes – der »Zweiten Staffel« – durch effiziente konventionelle Schläge der eigenen Panzertruppe in Verbindung mit der Luftwaffe) stellen die Fortentwicklung dieses Gedankens dar110. 3. Weitgehende Vereinheitlichung der Waffentypen und der Verfahren innerhalb der NATO, etwa im logistischen Bereich. Durch die Beendigung des ›Typenchaos‹ erhoffte man sich die Einsparung erheblicher Ressourcen. Steinhoff forderte in diesem Zusammenhang auch eine Steigerung der inneren Kohärenz (»totale Standardisierung«111). Gegen Ende seiner Dienstzeit propagierte er sogar eine Art politischer »Amalgamation«, ohne dies jedoch näher auszuführen112. Dahinter steckten wohl auch Ideen, wie sie im Rahmen der Vorstellungen von der »Atlantic Community« entstanden waren113. Den britischen Stäben und der entsprechenden Lobby dürfte derlei nicht sonderlich gefallen haben. 4. Bündnisweite Arbeitsteilung, d.h. die Spezialisierung kleinerer Bündnispartner auf die von ihnen individuell leistbaren Aufgaben. Ggf. Bündelung und Aufgabenteilung durch mehrere Partner, Vermeidung aufwändiger, gleichzeitiger Fähigkeitsbereitstellung durch alle Mitglieder114. 108 109

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Zu den Diskussionen um »capabilities« und »intentions« vgl. auch Hahn, Toward a New NATO Consensus, S. 62. Eine gesonderte Detailuntersuchung zum Verhältnis zwischen den führenden NATO-Militärs und der Entspannungspolitik wäre überaus nützlich. Im gegebenen Rahmen können an dieser Stelle lediglich die wesentlichen Aspekte nachgezeichnet werden, so weit sie für das Verständnis der AMF nötig sind. Zu diesen Konzepten (Air-Land-Battle und FOFA) ausführlicher unten S. 112 f. mit Anm. 286. BArch, N  885/8, Ausführungen von General Johannes Steinhoff vor der Staatspolitischen Gesellschaft, Hamburg, 25.3.1974, S. 19. Dazu auch FAZ, 1.4.1974, S. 11. Ganz deutlich BArch, N  885/8, Remarks by Chairman, Military Committee to NATO Council, 27.3.1974, S. 6. Vgl. auch ebd., Ausführungen von General Johannes Steinhoff vor der Staatspolitischen Gesellschaft, Hamburg, 25.3.1974, S. 17. Steinhoff hatte dabei zugegeben, dass derlei Gedankenspiele utopischen Charakter trugen, glaubte jedoch, keine Alternative zu sehen. Sogar linke Autoren zitierten in diesem Zusammenhang Steinhoff (Smith, The Defence of the Realm, S. 188), dies aber mit der Perspektive, über die Standardisierung einen eigenen europäischen Weg zu gehen und sie sogar als Startpunkt für Abrüstung zu nutzen oder – über Arbeitsteilung – wiederum einen von der NATO unabhängigen Pfad zu beschreiten (ebd., Kap. 8‑10). Dieser Punkt ist ein Paradebeispiel für die Kontinuitäten der NATO über das Jahr 1990 hinweg. Das hier propagierte Prinzip findet sich fast identisch in den Konzepten der NATO von 2012

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5. Aktives Zugehen auf die junge Generation, um diese für die Notwendigkeit der Verteidigung und Abschreckung zu gewinnen. 6. Effiziente Umgruppierung der aktiven Kampfverbände vor allem in Deutschland und insbesondere deren primärer Nachschuborganisation, um im Ernstfall sofort in die Gefechtsräume einrücken zu können. 7. Vermeidung eines strategischen Konzepts auf der Basis umfangreicher Reserveverbände. Anders als die Amerikaner ging Steinhoff nicht davon aus, dass im Ernstfall Zeit für umfangreiche Mobilmachungsmaßnahmen bleiben würde. 8. Massenhafte Einführung von einfach konstruierten und bezahlbaren Lenkraketen zur Panzerabwehr (HOT, TOW, Milan usw.). Der letzte Punkt wurde auch durch die Erfahrungen des Yom-Kippur-Krieges gestützt, in dem die Araber durch die Anwendung von Flugkörpern die bis dahin überlegenen israelischen Streitkräfte an den Rand der Niederlage gebracht hatten. Steinhoff wies jedoch darauf hin, dass der Krieg von 1973 für die NATO-Militärs keine wirklichen Neuheiten erbracht, sondern bereits bestehende Ansichten lediglich bestärkt habe. Zumindest im Fall der Lenkraketen bestätigen die Quellen diese Meinung115. Immerhin aber reagierte die NATO in der Folge mit der Beschaffung großer Mengen an gelenkten Panzerabwehrsystemen, was darauf schließen lässt, dass dies vor dem Yom-Kippur-Krieg nicht in dem Maße berücksichtigt worden war116. Die AMF wurde in fast allen Vorträgen Steinhoffs als wichtiges Element neben all diesen Punkten genannt. Nähere Ausführungen zu ihrer Bedeutung finden sich indes kaum. Es fällt eher auf, dass die Truppe etwas mechanisch, vielleicht sogar als Routineelement genannt wurde. Lediglich in seinem Buch führte Steinhoff die AMF umfassend auf, sparte aber auch nicht an Kritik. Ähnlich wie bei den Hauptkampftruppen fehle es nicht zuletzt im logistischen Bereich an Einheitlichkeit, Standardisierung und Flexibilität. Damit griff wieder der kommunikative Widerspruch: Gerade die AMF sollte als genuine Solidartruppe Stärke, Kampfbereitschaft und Solidarität demonstrieren. Allzu offene Kritik von einem hochrangigen militärischen Verantwortlichen gefährdete dies. Steinhoff musste seine Argumente und seine Kritik stets mit Blick auf den Bündniszweck, d.h. vor allem auf die Abschreckung, ausbalancieren. Die herausragende Bedeutung, die der AMF anfangs zukommen sollte, trat damit doch deutlich in den Hintergrund. Damit wiederholte sich die Lage in Bezug auf die NATO-Flanken insgesamt. Die Ausführungen und Kommentare von Steinhoff und anderen blieben gerade bei der Solidarfrage uneinheitlich, ja sogar widersprüchlich. Von der militärischen Schwäche der Flanken ausgehend, ergaben sich je nach Betrachter unterschiedliche Standpunkte117.

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für effiziente Rüstung in Zeiten knapper Kassen wieder (»Smart Defense«). Die Zeit, 21/2012 (19.5.2012), Interview mit Thomas de Maizière, »Wir führen, das weiß jeder«. BArch, N 885/8, Opening Adress by General J. Steinhoff, Chairman, Military Committee at ARFA Symposium, 26.11.1973, S.  16‑18. Dazu auch Der Spiegel, 47/1973 (19.11.1973), Interview mit Johannes Steinhoff, »Die Raketenwaffen sind viel tödlicher«, S. 67 f. Die Erkenntnisse und Lehren, die man im Westen aus dem Yom-Kippur-Krieg zog, erstreckten sich nicht allein auf die Lenkraketen, sondern beinhalteten auch taktische Elemente, wie z.B. das Verhältnis zwischen Punktverteidigung und beweglicher Kampfführung auf dem Gefechtsfeld. Vgl. dazu Trauschweizer, The Cold War US Army, S. 201‑205. Dazu Maloney, War without Battles, S. 286‑289. Vgl. dazu Riste, NATO’s Northern Frontline, S. 360.

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Die einen streiften das Thema nur und gaben zu verstehen, dass dort im Ernstfall ohnehin kaum zu punkten sei. Die anderen betonten den Verteidigungswillen etwa der Norweger und die Überlegenheit ihres Reservesystems und versuchten wenigstens teilweise einen positiven Eindruck zu vermitteln. Dabei wurde eine Schwerpunktsetzung vorgenommen: Eine Flanke, z.B. die Nordflanke, sollte auf Kosten der anderen als essenziell betrachtet werden, weil von dort mittels einer großen Zangenbewegung (»envelopment«) rund um die Ostsee quasi die Schulter der Gesamtverteidigung und damit gleichzeitig auch der Mittelabschnitt ausgehebelt werden konnte118. Die offizielle Linie der NATO, die auch Steinhoff vertrat, war eine mittlere. Wie es beispielsweise die Führungszirkel im Weißen Haus in Washington hervorhoben, war die NATO-Verteidigung in jeder Hinsicht unteilbar:

»A cohesive NATO, a credible U.S. nuclear deterrent, and a rough military equilibrium in Europe continue to be recognized as the necessary conditions for deterring high risk Soviet courses of action and for providing Western Europe a sense of secrity and confidence in the face of Soviet pressure [...] For both the Soviets and Western Europeans it is the most visible earnest of U.S. commitment to the concept of indivisible security within NATO and of U.S. involvment in European affairs [...] Any substantial unilateral reduction in the U.S. presence in Europe must inevitably call this calculus into question. The impact on the Western Europeans would be generally in the direction of increasing incentives toward neutralism coupled with a slackening of interest and involvement in NATO119.«

Gleichgültig, wie bedrohlich das Übergewicht des Ostens auch sein würde, es war auf jeden Fall der Eindruck zu vermeiden, dass die NATO irgendwelche Gebiete, etwa an den Flanken, schon aufgegeben habe. Damit hätte man die eigene Position aufgeweicht und der Auflösungs- und Hegemonialstrategie der Sowjetunion Vorschub geleistet. Steinhoff unterstrich mehr als deutlich: Der Rückzug auf eine wie auch immer geartete »Rumpf-NATO« komme nicht infrage120. Insgesamt erfuhren die Flanken eine verstärkte Würdigung als bedeutende strategische Regionen. Es spielte letztlich keine Rolle, ob und wie sie im Ernstfall überhaupt verteidigt werden konnten. Entscheidend war, dass man bereits im Frieden die Entschlossenheit für ihre Sicherheit demonstrierte. Dies hieß im Klartext: Die konventionellen NATO-Truppen würden nur massiver militärischer Gewalt weichen. Dies auszutesten, bildete die entscheidende Legitimation für die AMF. Insgesamt änderte sich an den bstehenden Widersprüchen nur wenig: Man kam nicht um die Kritik an den realen, defizitären Verhältnissen herum. Innerhalb der Planungsapparate etablierten sich im Laufe der siebziger Jahre zusätzlich Zweifel, ob die Betonung einer einheitlichen Verteidigung durch die Amerikaner wirklich den realen Absichten entsprach. Dies galt insbesondere für die Triade121, de118 119

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Vego, The Soviet Envelopment Option, v.a. S. 114‑119. NARA (NACP), Nixon Presidential Library, NSSM, The White House, Memorandum for Dr. Kissinger, from Laurence E. Lynn und William Hyland, NSSM 84, Juni 1970, Anlage NSSM-84, Summary Report, Working Draft, S. 5. Steinhoff, Wohin treibt die NATO?, S. 72 und S. 83. Die »Triade« bildete das militärische Rückgrat aller Verteidigungsanstrengungen der NATO. Damit war der Dreiklang der Mittel für Abschreckung und notfalls auch für Kriegführung gemeint: der strategischen Atomwaffen (z.B. Interkontinentalraketen), der taktischen Nuklearwaffen (inkl. Gefechtsfeldwaffen) und der konventionellen Streitkräfte.

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ren Einheitlichkeit (»indivisibility«) durch die Bemühungen der Amerikaner, die konventionelle Verteidigung auf Kosten der beiden nuklearen Komponenten stark in den Vordergrund zu stellen, offensichtlich in Gefahr geriet122. Damit wiederum perpetuierten sich die Zweifel an der Stärke der NATO. Seinen umfangreichen Lösungskatalog hatte Steinhoff selbstverständlich nicht im Alleingang entwickelt, sondern innerhalb des NATO-Apparates und in Abstimmung mit allen Bündnispartnern123. Niedergelegt wurde dies in den Ministerial Guidances des Nordatlantikrates von 1973, 1975 und 1977124. Die Position, die Steinhoff vertrat, unterschied sich zumindest im Grundsatz kaum von diesen Dokumenten und bildete die offizielle Linie der Allianz. Durch konzertierte, allseits und stets abgestimmte Anstrengungen sollten substanzielle Fortschritte in der Verteidigungsfähigkeit gemacht werden. Schon unter Nixon lag hierin ein zentraler Punkt: »Most of the allies, and the Defense Department, would like, in the first instance, to see how existing strategy can be more effectively implemented125.« Die Herausforderungen sollten, und damit ist ein wesentlicher Aspekt westlichen Handelns bei der Bewältigung von Problemen angesprochen, in Form ›quantitativer‹ Steigerung und Intensivierung anstatt prinzipieller Änderungen in der Vorgehensweise gelöst werden. Die aktuelle Strategie, die Flexible Response, sollte nicht abgeschafft, sondern durch mehr Anstrengung und eben auch mehr Flexbilität effizienter gemacht werden126. In der Folge arbeiteten vor allem die Amerikaner, etwa US-Verteidigungsminister James R. Schlesinger, trotz aller Meinungsverschiedenheiten in wichtigen Fragen und Details immer wieder auf dieses Ziel hin. Sie griffen zu unterschiedlichsten Mitteln, um die Europäer zu größeren Anstrengungen zu motivieren. Washington interpretierte mit Unterstützung vieler Europäer, auch Steinhoffs, die Bemühungen und Erfolge für die europäische Einigung als Stärkung auch der NATO127. Im Hintergrund stand hier wie schon zuvor die Hoffnung auf Erbringung höherer Verteidigungsbeiträge. 122 123 124

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Zu diesen Befürchtungen siehe TNA, FCO 41/1463, DS 12, Ministerial Guidance – Key Elements, R.H.B. Le Brocq, 14.11.1974, S. 1, mit Begleitmaterial. Dazu The Department of State, News Release, 10.5.1977, President Carter before the North Atlantic Council, S. 3. Ministerial Guidance 1975 (23.5.1975): ; Ministerial Guidance 1977 (17.‑18.5.1977): . Zur Ministerial Guidance von 1973 vgl. TNA, T/225/4257, D/DS12/42/13, Ministerial Guidance, D.E. Parker, 16.9.1974, mit Draft D.C.R. Heyhoe an K.C. Macdonald (UKDEL NATO), Ministerial Guidance, und Begleitmaterial. Die beiden Dokumente von 1975 und 1977 kamen bereits ohne Steinhoffs Mitwirkung zustande, da dieser 1974 in den Ruhestand gegangen war. NARA (NACP), Nixon Presidential Library, NSSM, The White House, Memorandum for the President, from Henry A. Kissinger, NATO Review of Strategy and Forces, undatiert. Dieses Dokument ist mit einer gewissen Vorsicht zu genießen, da es keine Unterschrift trägt. Vgl. indessen die zahlreichen Begleitdokumente, ebd., NSC Under Secretaries Committee an The Deputy Secretary of Defense u.a., Course of Action Regarding NATO Strategy and Forces, 30.3.1970, und folgende Dokumente. Ganz deutlich gerade in Bezug auf die Standardisierung in: NARA (NACP), RG 59, Bureau of Public Affairs, A1 5037, President Ford’s Visit to NATO, Brussels, 29./30.5., 1975 (Briefing Book), Background Paper »The Nunn Amendments«, S.  2, und Background Paper »DPC Ministerial Guidance«, S. 2 f. Dies war offizielle Politik. Vgl. etwa The Department of State, News Release, 10.5.1977, President Carter before the North Atlantic Council, S. 1; und NARA (NACP), RG 59, Bureau of Public

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Derlei Zielprojektionen gaben keinesfalls die reale Lage im Verhältnis zwischen Europäern und Amerikanern wieder, und sie suggerierten ein zu harmonisches Bild. Lösungsvorschläge gerieten zumindest intern unter teils heftige Kritik. Wie später etwa im Falle des FOFA-Konzepts128 konnte niemand vorhersagen, ob die Ansätze auch wirklich funktionieren würden. Im Laufe der Zeit machte sich die Ansicht breit, dass hier die »Quadratur des Kreises« versucht wurde129. Besonders gut lässt sich die Lage am Beispiel der Briten darstellen, die nicht nur in geostrategischer Hinsicht eine Schlüsselstellung in der NATO einnahmen. Die Spitzeninstitutionen der britischen Regierung gelangten nach und nach zu recht ernüchternden Ergebnissen, als sie sich daranmachten, die Verteidigungskonzeption weiterzuentwickeln130. In bewährter analytischer Schärfe wurde die NATO-Strategie durchleuchtet und schließlich in recht klarer Weise interpretiert und kommentiert. In typischer, traditioneller Manier ging Großbritannien ab Anfang der siebziger Jahre daran, die Konsequenzen der neuen Lage auch hinsichtlich der zunehmend beschränkten Finanzen durchzudenken. Außerordentlich schwer lastete auf den militärischen Planungsbehörden der britischen Regierung der ständige Finanzdruck. Zum Ausdruck kam dies in der Programme Analysis and Review (PAR), durch die alle Programme und Schemata der Regierung einer Prüfung unterzogen wurden. Wie schon in den Jahrzehnten zuvor und auch vor 1945 exekutiert, standen alle militärischen Planungen und Szenarien unter dem Finanzierungsvorbehalt131. Dies bedeutete, dass es keine ›absoluten‹ Vorhersagen und Aussagen in Bezug auf das zu erwartende Kriegsbild gab, sondern dass alle Parameter am Ende an den Finanzvorgaben auszurichten waren. Dieses »scaling«132 führte in letzter Instanz zu einer umfassenden Flexibilität im Denken. Man spielte gewissermaßen ständig mit verschiedenen Parametern und Kategorien, um Handlungsoptionen auszutesten. Damit war keineswegs das Abrücken von den Standards rationaler Planung oder gar das Abtauchen in Dilettanismus gemeint. Im Gegenteil, die Lage der NATO wurde einer schonungslosen Analyse unterzogen, die in klare und nicht selten ernüchternde

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Affairs, A1 5037, President Ford’s Visit to NATO, Brussels, 29./30.5., 1975 (Briefing Book), Background Paper »US-EC Relations: Economic and Political«, S. 1 f. Dazu unten S. 46 und S. 112 f. Steinhoff, Wohin treibt die NATO?, S. 100. Dazu die offizielle NATO-Linie, dass dies machbar und realistisch sei: TNA, FCO 41/1463, FCO an UKDEL NATO, 3.12.1974, S. 2. Im Folgenden werden vornehmlich die britischen Spitzenbehörden und deren Ansichten beleuchtet, weil nur die britischen Archive aussagekräftiges Quellenmaterial für diesen Teilaspekt freigegeben haben. Die anderen europäischen Archive, dies gilt auch für die deutschen, verfolgen demgegenüber immer noch eine viel zu restriktive Handhabung der Quellen auf Kosten substanzieller Fortschritte in der Forschung. Da hier aber keine umfassende NATO-Gesamtgeschichte geboten werden soll, sondern die Struktur und die Probleme zentraler Paradigmen und Strategien des Bündnisses aufzuzeigen sind, kann diese Einschränkung hingenommen werden. Die Position vor allem der britischen Chiefs of Staff erlaubt tiefgreifende Einblicke in das Denken und die kommunikativen sowie mentalen Strukturen der Allianz. Zum Folgenden vgl. grundsätzlich: TNA, DEFE 4/269, COS 1402/1/6/72, Programme Analysis and Review (PAR) 1973, 1.6.1972, sowie Confidential Annex to COS 18th Meeting/72, 8.6.1972, Item 2. MOD Subjects for PAR 1973; und TNA, DEFE 5/196, COS Committee, COS 29/73, The Maintenance of NATO’s strategy of Flexibility in Response in the Central Region of Allied Command Europe, 3.7.1973. Zu diesem Begriff siehe unten S. 41 f. mit Anm. 142, S. 63 und S. 154.

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Schlussfolgerungen mündete. So waren sich die britischen Planer sehr wohl der unbequemen Tatsache bewusst, dass man sich selbst neben den Amerikanern zwar als Anführer und Vorbild der NATO betrachtete und vor diesem Hintergrund besondere Verpflichtungen hatte, infolge der Sparzwänge aber de facto nicht wirklich zu einer Steigerung der Verteidigungsfähigkeit beitragen konnte. Vielmehr ergaben sich harte Diskussionen, die auch in Auseinandersetzungen zwischen den Teilstreitkräften und den Geheimdiensten (Joint Intelligence Committee, JIC) mündeten, als Letztere die Hauptgefahr für Großbritannien in feindlichen Luftangriffen sahen und daher eine umfassende Abrüstung der Royal Navy nahelegten. Auf dieser Basis konnten die Briten nicht viel zur Stärkung der konventionellen Verteidigungsfähigkeit und zur wechselseitigen Solidarität beitragen. Stattdessen exekutierte man das, was die Amerikaner zunehmend frustriert als »cloaking« bezeichneten133. Auf den entscheidenden Treffen befürwortete man zwar im Interesse der Gewährleistung einer einheitlichen Bündnislinie grundsätzlich eine massive Steigerung vor allem der konventionellen Bündnisverteidigung, vermied aber in der Folge häufig konkrete Zusagen oder Schritte134. In der Vergangenheit hatte man sich gar durch einseitige Truppenreduzierungen zu Lasten der Britischen Rheinarmee im Jahre 1967 recht unbeliebt gemacht135. Maßnahmen dieser Art standen weiterhin permanent auf der Agenda136. Die britischen Verantwortlichen beispielsweise in der Treasury waren sich bewusst, dass derlei eigentlich Heuchelei darstellte – insbesondere wenn man andere Bündnispartner zu mehr Anstrengungen ermutigen wollte. Sie blieben aber intransingent, wenn die finanzielle und wirtschaftliche Stabilität des eigenen Landes auf dem Spiel stand137. Die dahinterstehende Rationalität, d.h. die Weigerung, selbst bei großen 133

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Zum Begriff »cloaking« vgl. v.a. TNA, DEFE 4/278, MILREP/16, 23.6.1973, Annex A, Report to the Chief of the Defence Staff by General Sir Victor Fitzgeorge-Balfour, UK MilRep, S. 5‑8. Hier auch sehr deutlich die Folgen für die Bündnissolidarität: »They [lagging NATO Partners] endanger is cohesion and the confidence of the Allies in each other. The damage will be the greater if the search for true respectability fails and reductions take place willy nilly or under some transparent plastic mackintosh.« Für den Fall der Niederländer, die offenbar die Bemühungen um Rationalisierung und Standardisierung als Vorwand für direkte Einsparungen verwandten, vgl. als Beispiel TNA, DEFE  4/278, COS Committee, Confidential Annex to COS 18th  Meeting/73, 4.9.1973, Item  1., Meeting with General Sir Victor Fitzgeorge-Balfour Lately UK Military Representative at NATO Headquarters, S. 4 f. Sehr deutlich auch die Tour d’horizon des stellvertretenden SACEUR General Fitzpatrick durch alle europäischen Partnerländer: TNA, DEFE 4/279, COS Committee, Confidential Annex to COS 24th  Meeting/73, 20.11.1973, Meeting with General Sir Desmond Fitzpatrick Lately Deputy Supreme Allied Commander Europe, S.  2‑4; sowie TNA, DEFE  4/281, COS Committee, Item  2., Haul Down Report of Admiral Sir Rae McKaig, UK Military Representative to the NATO Military Committee, 21.10.1975, S. 2. TNA, DEFE  4/274, COS Committee, DP  47/72 (Final), Briefs for the 52nd  Meeting of the NATO Military Committee in Chiefs of Staff Session, 27.11.1972, Annex K, S. K1–5. Vgl. auch Kugler, Commitment to Purpose, S. 249. Dazu auch TNA, DEFE  4/253, Final Report of the UK Military Representative to NATO, 5.1.1971, S. 2. TNA, DEFE 4/279, COS Committee, Confidential Annex to COS 24th Meeting/73, 20.11.1973, Meeting with General Sir Desmond Fitzpatrick Lately Deputy Supreme Allied Commander Europe, S. 4. TNA, T/225/4257, DS 12, Ministerial Guidance to the NATO Military Authorities, C.T. Sandars, 16.8.1974, mit Begleitmaterial; und ebd., handschr. Brief von T.W. Hunter an Mr. Fitcher,

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militärischen Bedrohungen jegliche haushaltspolitischen Grundsätze zugunsten eines unbegrenzten Rüstungswettlaufs aufzugeben, stellt ein essenzielles Paradigma der britischen Demokratie dar, das schon vor 1945 einen entscheidenden Stellenwert besaß138. Dies galt und gilt noch heute im Übrigen auch für alle demokratischen Bündnispartner der NATO139. Die Amerikaner beschäftigten sich schon seit Anfang der siebziger Jahre mit dem wechselseitigen Verhältnis zwischen der angenommenen Bündniskohäsion, den finanziellen Grenzen des nationalen Budgets, der Stationierung eigener Truppen in Europa und der angenommenen Vorwarnzeit im Ernstfall140. Insofern relativiert sich die Kritik führender Militärs, auch Steinhoffs. Gerade das Ende des Kalten Krieges zeigt deutlich, dass langfristige soziale und wirtschaftliche Stabilität größere Bedeutung besaß als die Teilnahme an einem uferlosen Wettrüsten141. Dies hieß für Steinhoff und andere beileibe nicht, massive Forderungen für umfangreiche Rüstungsmaßnahmen zu unterlassen. Doch war man sich bewusst, dass teils recht enge Grenzen bestanden. Eine uferlose Aufrüstung wäre von den Parlamenten niemals genehmigt worden. Im Falle der britischen Streitkräfte führten diese und andere Erkenntnisse zu umfassenden Analysen und differenzierten Einschätzungen, die schließlich klare und harte Alternativen aufzeigten. Zunächst bewertete London die Lösungsansätze der NATO mit sehr kritischem, illusionslosem Blick. Das galt auch für die umfassende Standardisierung, wie Steinhoff sie vorgeschlagen hatte. Unter anderem wegen der Interessen der eigenen Rüstungsindustrie sahen die Briten kaum Potenzial für Vereinheitlichungen mit Spareffekt. Lediglich in einigen kleineren Randgebieten etwa im logistischen und organisatorischen Bereich, nicht aber bei den Hauptwaffensystemen von Heer und Marine glaubten sie Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung zu erkennen. Die britische Verteidigungsplanung orientierte sich maßgeblich an den finanziellen Möglichkeiten, denen letztlich Priorität zukam. Die von den Militärs gewünschten Rüstungsausgaben oder gar die von ausländischer Seite, also etwa der NATO, an die Briten herangetragenen Forderungen rangierten nachrangig. Das bedeutete, dass Bedrohungsanalysen, Kriegspläne und Rüstungsvorhaben im Planungsprozess einer peniblen Prüfung gemäß den Vorgaben der Treasury standhalten mussten. Stimmten sie hiermit nicht überein, passte man sie in recht pragmatischer Weise an (»scaling«).

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1.10.1974, und D/F1d(AD)/100/2, NATO Defence Concept for the Long Term, 2.10.1974. Zahlreiche Begleitdokumente. Niedhart, Geschichte Englands, S.  158‑160. Zum Gebot der finanziellen und ökonomischen Stabilität im Kontext der britischen Politik vor 1939 vgl. Brüggemeier, Geschichte Großbritanniens im 20. Jahrhundert, S. 183‑191. Vgl. dazu etwa das Kostenbeschränkungsprogramm REDCOSTE (Ende sechziger/Anfang siebziger Jahre), das sich insbesondere auf die Reduzierung der Kosten für die Verteidigung Europas bezog. NARA (NACP), Nixon Presidential Library, NSSM, NSC Under Secretaries Committee, Memorandum for the President, US Force Commitments to NATO, 8.10.1969, S. 2; und FRUS 1969‑1976, vol. 3, S. 4, sowie Dok. 18 und Dok. 22. Zentral hier: NARA (NACP), Nixon Presidential Library, NSSM, The White House, Memorandum for Dr. Kissinger, from Laurence E. Lynn und William Hyland, NSSM  84, Juni 1970, Anlage NSSM-84, Summary Report, Working Draft, passim. Siehe dazu auch die Belege S. 23 mit Anm. 50, S. 80 und S. 105.

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Dieses Vorgehen besaß zumindest in Friedenszeiten Tradition. Schon vor dem Zweiten Weltkrieg hatte die britische Regierung aus Furcht vor einem umfassenden Luftkrieg mit Deutschland begonnen, die eigene Bomberwaffe radikal aufzurüsten. Die Vergeltungsstrategie der Royal Air Force, die in Downing Street Priorität genoss, forderte die Beschaffung teurer Maschinen mit hoher Zuladung. Die Ausgaben stiegen dadurch derart exorbitant an, dass die wirtschaftliche und finanzielle Stabilität gefährdet schien. Der neuernannte Minister für die Koordinierung der Verteidigung, Sir Thomas Inskip, schritt daraufhin ein und erzwang radikale Änderungen. Ab 1937 setzte man trotz aller strategischen Pläne der RAF vorrangig auf die Luftverteidigung, da diese auf den billigeren Jagdflugzeugen basierte142. Nicht anders, nur unter anderen Grundbedingungen ging man in den siebziger Jahren zu Werke. Die konkreten Pläne der Chiefs of Staff oszillierten zwischen den grundsätzlichen Diskussionen in der NATO um das Kriegsbild, so um die Vorwarnzeit im Ernstfall, den eigenen Plänen und den Vorgaben der Treasury. Die Planer hatten inzwischen erkannt, dass sich die militärische Kriegführung seit 1945 radikal gewandelt hatte und nicht mehr mit traditionellen Mobilmachungsmethoden zu bewältigen war143. Anders als etwa vor dem Zweiten Weltkrieg hatte man kaum mehr Zeit, in großem Stile Reservisten für die Verteidigung einzuberufen. Die Lage würde entscheidend durch die zu erwartende Lage in Deutschland diktiert, wo man mit einem raschen Vorstoß des Warschauer Paktes und der Gefahr entscheidender Geländegewinne in wenigen Tagen rechnete. Die NATO stünde dann offensichtlich schnell vor der alles entscheidenden Frage, Atomwaffen einzusetzen oder eine entscheidende Niederlage hinzunehmen. Die Masse der Kampftruppen hatte also schon vor dem Ernstfall in Deutschland vor Ort oder in ihren britischen Kasernen ständig einsatzbereit zu sein, auch wenn dies mit hohen Kosten verbunden war144. Großverbände auf Basis von langwierigen Reservisteneinberufungen über Wochen hinweg oder gar noch länger kamen kaum mehr infrage. Aus diesem Grunde hatte der britische Generalstab auch die UK Mobile Force (UKMF) aufgelöst, den größten militärischen Reserveverband und das eigentliche Rückgrat der Verstärkung für den Kontinent145. Reservisten wurden daher nur noch für die direkte Heimat- und Territorialverteidigung sowie für die Nachschuborganisation eingeplant. Die Briten wussten sehr wohl, dass die Amerikaner von einem erheblich optimistischeren Szenario hinsichtlich der Vorwarnzeiten ausgingen, ja ausgehen mussten, woll-

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Wark, Die Luftverteidigungslücke, S.  596  f. Diese Wende basierte zum Teil auch auf weiteren Aspekten, so etwa der Aufwertung der Luftverteidigung infolge der Beobachtung angeblicher Überlegenheit des Deutschen Reiches auf diesem Gebiet, u.a. in Bezug auf die Kriegsmoral der Zivilbevölkerung. Zum »scaling« bereits in früheren Phasen der britischen Kriegsplanung siehe Lemke, Luftschutz, S. 170‑202. Zum Folgenden TNA, DEFE  4/272, COS  1572/164B, PAR 1972: Reserve Forces, 22.8.1972, S. 1‑9. TNA, DEFE  4/274, COS Committee, DP  47/72 (Final), Briefs for the 52nd  Meeting of the NATO Military Committee in Chiefs of Staff Session, 27.11.1972, Annex K, S. K2-5; und TNA, DEFE  5/198, COS  15/74, COS Committee, The 1974 Defence Review, 11.6.1974, Annex, S. A-19 bis A-20. Zur UKMF siehe Lemke, Strategische Mobilität im Kalten Krieg.

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ten sie ihre Auslegung der NATO-Strategie durchsetzen, die entscheidend auf der positiven Bewertung der konventionellen Kriegführung basierte146. Whitehall ließ sich in seinen Verteidigungsplanungen davon nicht wirklich beeindrucken und bezeichnete die Annahmen der Amerikaner teils als realitätsfern147. Konfrontiert mit den massiven Sparzwängen der Treasury, welche die fortgesetzten, manchmal endemischen Wirtschaftskrisen der siebziger Jahre wiederspiegelten, legten die Chiefs of Staff einen Minimalkorpus fest (»critical minimum« bzw. »critical level«)148. Dieser bildete gewissermaßen die rote Linie, bei deren Überschreitung die NATO-Strategie unhaltbar wurde und gleichzeitig entscheidender Solidar-, Glaubwürdigkeits- und Sicherheitsverlust drohte149. Besondere Bedeutung erhielt in diesem Zusammenhang die Fähigkeit zu sofortigem Einsatz der Schnellen Einsatzverbände der Marine oder der AMF sowie der transatlantischen Verstärkungskräfte, dies auch vor dem Hintergrund der bekannten Defizite der NATO:

»NATO’s readiness to resist aggression is degraded by the unsatisfactory peacetime deployment of forces; many of the formations in the Central Region are undermanned and the flank countries have long been considered both politically and militarily vulnerable. Ideally, all the required forces would be permanently positioned to achieve a true forward defence. Of the Allies, the US and UK in particular have sought to remedy this defect by creating reinforcements to bring their formations up to war strength and by providing reinforcing units for tasks in the Central Region and on the flanks. NATO has itself created immediate reaction forces in the shape of standing naval forces and, in Allied Command Europe, the AMF, with the primary aim of deterring aggression by demonstrating NATO solidarity and unity of purpose, and by confronting the potential enemy with multi-national forces. The AMF, to which the UK makes an important contribution, is designed to attract the maximum publicity and make the greatest psychological impact. It is of special importance to the Alliance150.«

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Vgl. hier, auch in Bezug auf die unterschiedlichen Positionen der Briten, der Amerikaner und der Deutschen, insbes. TNA, DEFE  4/281, COS Committee, Confidential Annex to COS 17th Meeting/75, 18.11.1975, Item 2. Haul Down Report of Vice Admiral Sir Ian Easton, Head of the British Defence Staff, Washington; sowie TNA, FCO 41/1463, D/DS 12/42/13, DPC Briefs – Ministerial Guidance and US Long Range Defence Concept, Anlage »NATO Defence Planning Committee, Background Note«, S. 1 f. TNA, FCO 41/1463, DS20-20/21/6, Ministerial Guidance – Key Elements, G.E. Miller, 13.11.1974, hier umfangreiches Begleitmaterial. Dazu auch Stoddart, Losing an Empire, S. 182 f. Entscheidend hier: TNA, DEFE  5/198, COS 15/74, COS Committee, The 1974 Defence Review, 11.6.1974, Annex, S. A-25 bis A-60 und ff. Vgl. auch ebd., S. A3-1, Grafik »Constant 1974 Prices Percentage of GNP«. Zudem TNA, DEFE 5/199, COS 23/74, COS Committee, The 1974 Defence Review, NATO Strategy and the United Kingdom’s Contribution to the Alliance, 15.10.1974, Annex, S.  A-2 bis A-14. Insgesamt hatte man sich an den MBFR-Gesprächen zu orientieren. TNA, DEFE 4/275, COS 1785/130I, Defence Policy, Annex A, Outline of a Paper on the Maintenance of NATO’s Strategy of Flexbility in Response, S. 3; TNA, DEFE 4/280, COS Committee, Confidential Annex to COS 28th Meeting/74, 24.9.1974, Item 3. The 1974 Defence Review – Accommodation of Non-NATO and Mediterranean Commitments within the Critical Level; und ebd., COS Committee, Confidential Annex to COS 29th  Meeting/74, 15.10.1974, Item 2, desgleichen. TNA, DEFE 5/198, COS 15/74, COS Committee, The 1974 Defence Review, 11.6.1974, Annex, S. A-19.

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II. Zwischen Zweifel und Zuversicht

Mit diesen Vorgaben zog man in die politisch-finanzielle Schlacht gegen Treasury und Parlament, das seit März 1974 von einer Labour-Mehrheit dominiert wurde151. Die Amerikaner gingen im Übrigen bei ihren Planungen im Grundsatz nicht anders vor: »to know how far our NATO deployments can be cut back without abandoning the present strategy«152. In London argumentierten die Militärs, dass unterhalb der definierten Linie eine sinnvolle und erfolgreiche Verteidigung nicht gewährleistet sein würde. Alle Vorhaben und Wünsche vor allem der Teilstreitkräfte mussten sich daher in diesem »critical minimum« bewegen und unterlagen damit wiederum dem »scaling«.153 Wie schon zuvor und wohl auch bis heute folgten die Verteilungskämpfe zwischen Army, Royal Air Force und Royal Navy auf dem Fuße. Der Planungsapparat erstellte Konzepte und Pläne, die unter anderem auf den Berichten der Nachrichtendienste (Joint Intelligence Committee, JIC) basierten. Auch hier kam es fast automatisch wieder zu Diskussionen und Streitereien um die Szenarien. So hatte das JIC berichtet, dass Großbritannien insbesondere durch Luftschläge des Ostblocks bedroht sei, und dementsprechend die Prioritäten zu Lasten der Navy auf die Luftverteidigung gelegt. Letztere akzeptierte derlei selbstverständlich nicht und begann die sachlichen Ergebnisse der entsprechenden Berichte des JIC anzuzweifeln. Was die Aussichten der NATO-Verteidigung insgesamt betraf, kamen die Chiefs of Staff jedoch zu einem mehr oder weniger klaren Ergebnis, dessen eigentlich recht dramatischen Inhalt man mit deutlichen, nüchternen Worten formulierte: Die Lösung der Krise durch technische Zukunftskonzepte und Effizienzsteigerung, wie diese Steinhoff und andere hohe Vertreter der NATO immer wieder postulierten, war aus dieser Perspektive wenig realistisch, ebensowenig die Hoffnung, man könne den numerischen Vorteil des Ostblocks durch qualitative Überlegenheit wettmachen154. Die britischen Generalstabschefs hatten wie Steinhoff realisiert, dass Rationalisierung und 151

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Die Labour-Partei hatte tatsächlich scharfe Einschnitte im Verteidigungshaushalt angekündigt. Indes scheinen sich die tatsächlichen Kürzungen stark in Grenzen gehalten zu haben. Überhaupt unterschieden sich die einzelnen Regierungen offenbar nur wenig, was die Gestaltung des Militärhaushaltes anging. Selbst die angeblich so radikalen Kürzungsprogramme von 1957 unter Duncan Sandys scheinen am Ende bestenfalls eher moderate Auswirkungen gehabt zu haben. Smith, The Defence of the Realm, Kap. 5. NARA (NACP), Nixon Presidential Library, NSSM, The White House, Memorandum for Mr. Kissinger, from Laurence E. Lynn and Helmut Sonnenfeldt, NSSM on U.S. Strategies and Forces for NATO, 27.10.1969, S. 1. Vgl. auch ebd., The White House, Memorandum for Dr. Kissinger, NATO Strategy Review, and NSSM 65, 17.10.1969, S. 2 f. In anderen Extrapolationen wurden unterschiedliche Fallszenarien durchgespielt, um die Anforderungen auszuloten. Vgl. etwa 5 Fälle in: NARA (NACP), Nixon Presidential Library, NSDM, Kissinger an Goodpaster, 10.3.1971, mit »review of NATO strategy and forces«, Part II, S. 24. Zum Folgenden vgl. TNA, DEFE  4/272, COS Committee 29th  Meeting/72, 26.9.1972, mit zahlreichen Begleitdokumenten. TNA, DEFE  5/196, COS Committee, COS 29/73, The Maintenance of NATO’s Strategy of Flexibility in Response in the Central Region of Allied Command Europe, 3.7.1973, S. A-15 bis A-17 (hier auch die wichtigsten Verbesserungsvorschläge, ähnlich wie bei Steinhoff). Auch im amerikanischen Planungsapparat bestanden erhebliche Zweifel. Vgl. am Beispiel der Luftkriegführung NARA (NACP), Nixon Presidential Library, NSDM, Kissinger an Goodpaster, 10.3.1971, mit »review of NATO strategy and forces«, Part II, S. 30‑32. Vgl. des Weiteren Kugler, Commitment to Purpose, S. 424.

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Standardisierung von handfesten Fortschritten in der wirtschaftlichen und politischen Einigung vor allem Europas abhing. Die Briten zeigten sich in diesem Punkt lediglich skeptischer als die Deutschen.

»It is known that General Steinhoff is a keen advocate of rationalization [...] In the MOD [UK], the general consensus is that rationalization on this sort of scale is not a practicable proposition at the present time or in the immediate future; it demands a degree of trust between the member nations which is unlikely to be achieved until there has been considerable economic and political advancement toward a more closely knit Europe155.«

An dieser grundsätzlichen Perspektive hat sich in gewisser Weise bis zum heutigen Tage nichts geändert. Wenn es zu einem Krieg gekommen wäre, hätte die NATO und damit auch Großbritannien nur über zwei Optionen verfügt. Entweder man akzeptierte die Geländegewinne des Warschauer Paktes in Deutschland und an den Flanken mit der Konsequenz, dass eine zunehmende Herauslösung Europas aus der westlichen Verteidigungsgemeinschaft stattfand (»Finnlandisierung«), die wiederum den Rückzug der Briten auf ihre Insel auf der Basis bewaffneter Neutralität nach sich ziehen konnte und Großbritannien für weitere Erpressung durch die Sowjetunion anfällig gemacht hätte. Oder man setzte Atomwaffen ein, und zwar im vollen Bewusstsein der fürchterlichen Folgen: »NATO’s security depends on an evident determination that, rather than submit to Soviet domination, the Alliance would wage nuclear war and suffer the consequences156.« Was blieb, war die Hoffnung auf eine Pause und auf ein Einlenken der Angreifer nach einem demonstrativen Ersteinsatz. »Faced with evidence of such determination the Soviet leaders would undoubtedly question the wisdom of initiating aggression.« Letztlich lebte ein entsprechendes Konzept, das der ehemalige SACEUR Norstad noch zu Zeiten der Massive Retaliation propagiert hatte, mutatis mutandis auch in den siebziger Jahren fort: »common-sense leads us to conclude that the WP would at least halt and reappraise the situation if, at a very early stage of major aggression, tactical nuclear weapons were used for military effect in the Central Region of ACE.« Die Chiefs of Staff rechneten insgesamt mit einer konventionellen Kriegsdauer von zwei bis sechs Tagen157. Diese doch deutliche Einschätzung der militärischen Lage verlieh in den Augen der britischen Militärplaner der offiziellen NATO-Linie, wie sie Steinhoff und andere vertraten, den Charakter des Unrealistischen. Der Scientific Chief Adviser der britischen COS, Hermann Bondi, formulierte es wie folgt: »there was a minimum point beyond of which quality could not compensate for lack of quantity. He also felt that any reduction in quantity, however successfully balance by quality, would be accorded an adverse reaction by the press and public opinion158.« 155 156 157 158

TNA, DEFE  4/274, COS Committee, DP  47/72 (Final), Briefs for the 52nd  Meeting of the NATO Military Committee in Chiefs of Staff Session, 27.11.1972, Annex K, S. K2-3. TNA, DEFE  5/196, COS Committee, COS  29/73, The Maintenance of NATO’s Strategy of Flexibility in Response in the Central Region of Allied Command Europe, 3.7.1973, S. A-41. TNA, DEFE 4/272, COS 1572/164B, PAR 1972: Reserve Forces, 22.8.1972, S. 19. TNA, DEFE 4/270, COS Committee Confidential Annex to COS 21st Meeting/72, 11.7.1972, S. 8. Deutlich auch in TNA, DEFE 5/196, COS Committee, COS 29/73, The Maintenance of NATO’s Strategy of Flexibility in Response in the Central Region of Allied Command Europe, 3.7.1973, S. A-41 f.

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Man hütete sich jedoch tunlichst davor, diese Erkenntnisse nach außen zu tragen, da hierdurch die Bündnissolidarität untergraben werden konnte, insbesondere bei den schwächeren Partnern159. Alle darauf basierenden Folgekonzepte der siebziger und achtziger Jahre wie FOFA und »Air-Land-Battle«160 konnten diese Zweifel nicht wirklich ausräumen161. Rückblickend bleibt der Eindruck, dass dies, ähnlich wie das Projekt von Ronald Reagan zur Schaffung einer weltraumgestützten Raketenabwehr (SDI), zweckoptimistische Konstrukte waren. Im Hintergrund standen hier das Vertrauen auf die technologische Leistungsfähigkeit des Westens. Auf dieser Basis hatte man etwas voreilig Lösungen antizipiert, die eher zweckoptimistische Hoffnungen auf technische Innovation in der Zukunft darstellten, als dass sie ausgereifte Kampfmittel boten. Trotz dieser Meinungsverschiedenheiten musste die NATO die Bündnissolidarität weiter stärken. Die Programme und Lösungsansätze, wie sie vor allem Steinhoff propagierte, ließen sich nicht verwirklichen, wenn die einzelnen Partner nicht enger zusammenrückten und, wie etwa im Falle der Standardisierungsfrage, nationale Prärogative fallenließen. Dazu aber war niemand wirklich bereit. Die Alternative, die man für den Ernstfall noch hatte, war der Atomwaffeneinsatz. Auch hier stellte sich wiederum die Solidarfrage. Schon im Frieden stritt man – auch in der Öffentlichkeit – um die Zuverlässigkeit der USA in dieser Frage. Abgesehen davon, dass dies, wie oben berichtet, kein überzeugendes Beispiel für gelungene Abschreckung darstellte, traten in der Diskussion darüber wenig schmeichelhafte Meinungsbilder und Stereotype der jeweiligen Partner zutage. So charakterisierte der britische ständige Militärische Vertreter beim NATO-Militärausschuss, General Sir David Fraser, die Deutschen und ihr Militär als hypernervöse Akteure, die einerseits alles mit ihrer überzogenen Forderung nach Effizienz überrollten, andererseits im Falle der Kriegsplanung viel zu ängstlich und für den Zusammenhalt des Bündnisses sehr belastend an der Vorneverteidigung festhielten162. Hier wirkte bis zum Ende des Kalten Krieges eine durchgängige Grundmaxime deutscher Sicherheitsinteressen: Trotz aller düsteren Perspektiven für den Ernstfall sollte der zu erwartende Schaden für das deutsche Heimatgebiet so weit irgend möglich begrenzt werden163. Die Furcht, auch nur einen Zentimeter des eigenen Bodens zu verlieren, sah London als egoistisch und zersetzend an. Beinahe schon wörtlich übereinstimmend mit den Ergebnissen einer Besprechung zwischen Margaret Thatcher und britischen Historikern im Jahre 1990 glaubte Fraser festhalten zu müssen: »[A] German tendency to over-react appeared to co-exist with an undoubted, and 159 160 161

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TNA, DEFE  4/269, Confidential Annex to COS 18th  Meeting/72, 8.6.1972, Item  4. UK Statements on the Duration of any Conflict in Europe. Dazu auch S. 112 f. mit Anm. 286. Zur Entwicklung und zum historischen Standort des »Air-Land-Battle«-Konzeptes (u.a. »Active Defense«) im Gefolge etwa des Yom-Kippur-Krieges und des Vietnamkrieges sowie der USRezeption strategisch-taktischer Ideen des deutschen Heeres seit den zwanziger Jahren vgl. v.a. Trauschweizer, The Cold War US Army, Kap. 6. Das Äquivalent zur »Air-Land-Battle« der Luftwaffe war FOFA. Dazu Lemke, Eine Teilstreitkraft, S. 389‑395. Zur »arrogance of senior German officers and their efforts to penetrate into power positions in headquarters« vgl. TNA, DEFE  4/282, COS Committee, Confidential Annex to COS 7th Meeting/76, 18.3.1976, Item 2. DSACEUR – End of Tour Report, S. 1. Zu den deutschen strategischen Interessen auch in Bezug auf die AMF siehe etwa unten S. 62, 74, 89, 97 sowie S. 160 mit Anm. 494 f.

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growing, efficiency: Germans were confessedly irrational people with a deep mistrust in themselves. No consideration of Germany’s position in the Alliance could afford to ignore her strength, her history and her national characteristics164.« In Bezug auf die NATO-Strategie ergab sich hier für die Briten ein großes Problem für den Ernstfall. Sollte auch nur eine geringe Chance für eine erfolgreiche Abwehr eines Angriffes gewahrt bleiben, musste einerseits verhindert werden, dass die Amerikaner die konventionelle Verteidigung so lange fortführten, bis Deutschland und Europa zerstört waren. Andererseits waren die nach Ansicht der Briten übernervösen Deutschen von der Forderung nach allzu schnellem Einsatz von Atomwaffen abzubringen.

»Successful defence cannot by any stretch of the imagination amount to denying the Warsaw Pact an inch of FRG territory or its quick recapture if lost. It can only mean the credible continuation of conventional hostilities based on the credible threat of the use of tactical nuclear weapons. Is it not time and are the Germans perhaps not now adult enough, to face this blunt proposition, without which any consideration of a long-range defence concept can hardly be realistic165?«

Genau an diesem Punkt spielte die Bündnissolidarität wieder die entscheidende Rolle. Gemäß der selbst definierten Rolle als »honest broker« zwischen Europa und den USA sahen die Briten sich hier als Vermittler. Dies aber erwies sich nach eigener Einschätzung sowie vor dem Hintergrund der Entspannungspolitik und der MBFR-Verhandlungen als immer schwieriger, und an der düsteren militärischen Lage änderte es wenig166. Manch einer sah auch hier dauerhaftes Problempotenzial, wie beispielsweise General Sir Victor Fitzgeorge-Balfour. Der britische Military Representative bei der NATO kommentierte das Verhältnis zwischen den USA und den Europäern in fast pessimistischer Weise: »a friendly but overpowering and sometimes wayward Sultan with his harem167.« Ob derlei Verantwortliche sich dabei stets bewusst waren, dass sie keineswegs nur ehrlicher Makler

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TNA, DEFE 4/284, COS Committee, Confidential Annex to COS 29th Meeting/77, 3.11.1977, Item  1. UKMILREP End of Tour Report, S.  1. Immerhin schien der Schüler Fortschritte zu machen: »While there was evidence of some irrationality in certain German judgements, and in their reactions to, for example, the terrorist threat, they showed consistent awareness of the wider world scene.« Ebd., S. 2. TNA, FCO 41/1463, The Long-Range Defence Concept for NATO, John Killick, 16.10.1974, S. 2. Hervorhebung Bernd Lemke. Vgl. dazu auch Stoddart, Losing an Empire, S. 110. Der Topos von den angesichts der strategischen Lage ängstlichen bzw. nervösen Deutschen war derart verbreitet, dass sich 1980 sogar eine deutsche Rockband mit dem Namen »Nervous Germans« (explizite Bezugnahme auf die Strategiedebatte und die vorgeschobene Position der Bundesrepublik) gründete. Die damit verbundenen Vorstellungen bezogen sich aber nicht ausschließlich auf die exponierte Position der Bundesrepublik als Frontstaat, sondern ebenso auf das Verhalten der deutschen Offiziere in der NATO, die sich gerade für britisches Empfinden im Umgang u.a. teils zu pointiert, teils aber auch zu hektisch zeigten. TNA, DEFE 4/277, COS Committee, Confidential Annex to COS 12th Meeting/73, 12.6.1973, Item  1. Meeting with Air Marshal John Lapsley – Lately Head of the British Defence Staff Washington. Verschiedene hohe Militärs sahen in Großbritannien sogar die europäische Leitmacht im Bündnis. Vgl. dazu TNA, DEFE  4/281, COS Committee, Item  2. Haul Down Report of Admiral Sir Rae McKaig, UK Military Representative to the NATO Military Committee, 21.10.1975, S. 1. TNA, DEFE 4/278, MILREP/16, 23.6.1973, Annex A, Report to the Chief of the Defence Staff by General Sir Victor Fitzgeorge-Balfour, UK MilRep, S. 8.

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waren, vorrangig ihre eigenen Interessen verfolgten und gerade bei der Lastenteilung nicht immer eine überzeugende Vorstellung boten, steht auf einem anderen Blatt. Dezidierte Befürworter eines engeren Zusammenhaltes im Bündnis kritisierten jedenfalls die zutage tretenden Risse, wie sie unter anderem die Politik de Gaulles und der Griechen hervorriefen, in deutlichen und harten Worten als schädliche »Re-Nationalisierung«168. Es waren wieder die Briten, die die komplexen Fragen auf den Punkt brachten:

»First there were differing US and European concepts of the balance to be struck between forces deployed, provison of equipment, and reinforcement capability. At one extreme was the French view that the US was bound in its own interest to commit the major part of its forces to Europe: at the other extreme was the US view that the maintenance of US forces in Europe could not continue to be justified to Congress unless the Europeans themselves made a greater conventional contribution to NATO. Secondly there was the problem of what projections could usefully be made in the light of such regional differences as exist between the north, where the continued membership of nations was at issue; the centre, where the problem was maintaining the US and German force levels; and the south, where there was some danger of disintegration. Thirdly it was necessary to ask what assumptions should be made about the effect of détente on political and financial issues in the future. In addition the German attempts to play a larger part in NATO affairs could create pressures within the Alliance169.«

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Siehe dazu Steinhoff, Wohin treibt die NATO?, S. 32 und S. 78; sowie in dieser Arbeit S. 13 f. und S. 82 f. TNA, DEFE 4/281, COS Committee, Item 2., Haul Down Report of Admiral Sir Rae McKaig, UK Military Representative to the NATO Military Committee, 21.10.1975, S. 3.

III. NATO-Strategie und Bündniskohärenz im Spannungsfeld zwischen globaler Perspektive, Flanken und Central Front 1. Die Entwicklung der Bündnisstrategie Die Entwicklung und die Umsetzung von Militärstrategie waren und sind selten allein das Geschäft Einzelner, sondern werden immer vom Zusammenspiel verschiedenster Kräfte bestimmt. Dabei spielen Interessen – gemeinsame, unterschiedliche oder gegensätzliche – genauso eine große Rolle wie die wechselseitige Kommunikation. Dies gilt vor allem für multilaterale Bündnisse. Als »Strategie« wird im Folgenden eine Methode verstanden, mit der unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Faktoren ein bestimmtes Ziel erreicht werden soll1. Der damit verbundene Denk- und Planungsprozess verläuft im Wesentlichen nach rationalen Kriterien, auch wenn andere Aspekte wie Psychologie oder Mentalitäten zu beachten sind. Eine wesentliche Rolle spielt das Abwägen zwischen den aufzuwendenden Mitteln und dem angestrebten Erfolg, und in allen Bereichen gilt das Prinzip höchstmöglicher Effizienz, nicht nur bezüglich der Ausschaltung möglichst vieler feindlicher Truppen. Das gesteckte Kriegsziel, das durchaus defensiv definiert sein kann, ist dabei das Maß aller Dinge. Die NATO bietet vielleicht eines der eindrücklichsten Beispiele für die Komplexität politisch-militärischer Integration und für das Aushandeln von Strategie2. Weder gab es zu irgendeinem Zeitpunkt eine widerspruchsfreie und von allen Partnern gleichermaßen akzeptierte Auslegung der Strategie, noch herrschte selbst innerhalb der Planungsapparate der einzelnen Bündnispartner Konsens. Immer wieder traten Konflikte zwischen Ministerien, Planungsstäben, Einzelpersonen oder Teilstreitkräften zutage, die zumindest im Meinungsbild auch Übereinstimmung zwischen Akteuren unterschiedli1

2

An dieser Stelle ist keine ausführliche Debatte um das Wesen von Militärstrategie beabsichtigt. Die dargebotene Definition dient lediglich als explanatorische Grundlage zum Verständnis der folgenden Analyse. Als Hintergrund vgl. Gray, Strategy and History; Gray, Modern Strategy; sowie The Past as a Prologue. Dazu existiert inzwischen eine Fülle an Fachliteratur. Neben den Standardwerken Lundestad, The United States and Western Europe; Kaplan, NATO Divided; und Permanent Alliance?, Teil I; analytisch immer noch beachtenswert, wenn auch vom Forschungsstand her veraltet: Grosser, The Western Alliance. Vgl. ferner die bereits zitierten Werke. Für die Frühphase ist als Standardwerk zu nennen Greiner/Maier/Rebhan, Die NATO. Einen diachronen Blick bieten Heuser, NATO, Britain, France and the FRG; und Bluth, Britain; sowie Buteux, The Politics of Nuclear Consultation.

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cher Partnerländer zuließen3. Die Planungs- und Entscheidungsgremien innerhalb der NATO funktionierten organisatorisch zwar fast immer reibungslos, konnten aber letztlich nur als Gerüst und institutionelles Rückgrat dienen, quasi als Foren für die politischmilitärischen Prozesse und die fast automatisch damit verbundenen Interessenkonflikte. Innerhalb dieser multikomplexen Gemengelage ist es einigermaßen schwierig herauszufinden, was denn unter »Bündnissolidarität« zu verstehen war und wie sie sich manifestierte. Zwar zählt der Verweis auf die Bündnissolidarität bis heute zu den häufigsten offiziellen Verlautbarungen und Argumenten, und sie kommt fast automatisch zur Sprache, wenn es um Probleme geht, doch konterkarierte das Verhalten einzelner oder mehrerer Partner dieses Prinzip. Solidarität ist immer schwer zu definieren und noch schwerer nachzuweisen. Im Folgenden soll am Beispiel der Allied Mobile Force im Rahmen der Bündnisstrategie dem Zusammenhalt des Bündnisses auf breiter Basis nachgegangen werden, unter anderem auch dem Verhältnis zwischen den Flanken und dem NATO-Mittelabschnitt seit 1960. a) Von der Massive Retaliation zur Flexible Response 1961‑1968 Die strategischen Grundparameter für das westliche Bündnis ergaben sich alsbald nach der Niederlage Japans und des Deutschen Reiches 19454. Die Kriegskoalition zwischen den Westalliierten und der Sowjetunion, die vor allem aus dem gemeinsamen Interesse zur Niederringung Hitler-Deutschlands entstanden war und schon während des Zweiten Weltkrieges Divergenzen aufwies, löste sich relativ rasch auf. Die Westalliierten empfanden einen zunehmenden Druck durch den Ostblock, insbesondere in Europa, und sahen sich mit großen Truppenkonzentrationen konfrontiert5. Die Blockade von Berlin 1948 schien dann alle diesbezüglichen Befürchtungen zu bestätigen. Die Sowjetunion fühlte sich ihrerseits durch den massiven Aufbau von US-Luftstützpunkten überall auf dem Globus eingeschnürt und sah Mitte der fünfziger Jahre schließlich ihre Lebensinteressen durch die Stationierung von strategischen Atombomberverbänden von allen Seiten bedroht6. Der Übergang von der Koalition zur Konfrontation erfolgte innerhalb weniger Jahre. Die Grundgestalt der Nachkriegsordnung in geografisch-politischer und nationaler Hinsicht wurde auf der Potsdamer Konferenz im Sommer 1945 festgelegt, die die Teilung Deutschlands und Europas sowie die Vertreibung der deutschen Ostbevölkerung und die Westverlagerung Polens festlegte. Drei entscheidende Wegmarken bildeten für den Westen die Grundlage für alle weiteren Geschehnisse im Kalten Krieg. Am 12.  März 1947 hielt US-Präsident Harry S. 3 4 5

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Schwartz, Lyndon Johnson and Europe, S. 227 f. Zum Folgenden vgl. grundsätzlich Bald, Hiroshima, Kap. 2 und 3; Greiner, Die Entwicklung der Bündnisstrategie, S. 13‑69; sowie AWS, Bd 1 (Beitrag Wiggershaus). Ob diese Bedrohungsperzeption vor 1950 tatsächlich den Tatsachen entsprach, muss indes bezweifelt werden. Nach Bald, Hiroshima, S. 75 f., rüstete die Sowjetunion ihre Truppen nach 1945 zunächst ähnlich radikal ab wie die Westmächte. Grundsätzlich zu diesen Vorstellungen Wiggershaus, Nordatlantische Bedrohungsperzeptionen, v.a. S. 17‑21. Wiggerhaus, Nordatlantische Bedrohungsperzeptionen, S. 46.

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Truman eine Rede vor dem US-Kongress, in der er allen »freien« Nationen, auch den Westeuropäern, Beistand bei der Auseinandersetzung mit dem Kommunismus versprach. Dieses als »Truman-Doktrin« bezeichnete Programm machte einerseits offiziell Schluss mit der bis 1941 als »splendid isolation« bekannt gewordenen und inzwischen als unzureichend für die Auseinandersetzung mit Diktaturen empfundenen Haltung der USA und beinhaltete andererseits eine politische Kampfansage an die kommunistischen Machthaber. Im selben Jahr verkündete der ehemalige US-General George C. Marshall ein gigantisches Wirtschaftsprogramm zur Stabilisierung Europas, den »Marshall-Plan«, in den auch osteuropäische Länder einbezogen werden sollten. Das sollte die Ausbreitung des Kommunismus verhindern (»containment«) bzw. sogar die Sowjets in Europa zurückgedrängen helfen (»roll back«). Das militärische Äquivalent zu dieser ökonomischen Maßnahme wurde 1950 geschaffen, als die obersten Planer der US-Regierung angesichts des Tests der ersten sowjetischen Atombombe eine grundsätzliche Lageanalyse erstellten. Festgehalten wurden die Ergebnisse im grundlegenden Dokument NSC 68 (April 1950), das weitsichtig bereits alle Elemente der Entwicklung bis 1970 und darüber hinaus enthielt. Angesichts der nunmehr auch nuklearen Bedrohung durch die Sowjetunion glaubte man sich nicht mehr auf die bisherigen, eher begrenzten Rüstungsanstrengungen verlassen zu können, und entschied in diesem Papier eine massive Aufrüstung in allen Bereichen. Man beschloss strategische Atomwaffen zu bauen, gleichzeitig kleinere taktische Nuklearwaffen zu entwickeln, aber ebenso eine massive Aufstockung der konventionellen Streitkräfte zu unternehmen. Hierbei hoffte man insbesondere auf die Unterstützung der Westeuropäer und dann auch der Deutschen. Die Realisierung der aufwändigen konventionellen Rüstung wurde durch den Ausbruch des Koreakrieges im Juni 1950 in Gang gesetzt. Jetzt bekam man unmissverständlich vor Augen geführt, dass sich die kommunistischen Staaten und Bewegungen durch das bloße Vorhandensein von Atomwaffen im Besitz der USA keineswegs von Expansionsbestrebungen abhalten ließen. Die Entwicklung der westlichen Strategie ergab sich aus diesen Grundbedingungen7. Für die Verteidigung des Bündnisgebietes, insbesondere Westeuropas, blieb zunächst die konventionelle Komponente bestimmend. Starke Heeresverbände mit Unterstützung taktischer Luftstreitkräfte sollten einen oder mehrere Stöße aus dem Osten zum Stehen bringen und dadurch einen Schutz für die strategischen Bomberverbände garantieren, die unter anderem in der westlichen Peripherie Europas stationiert waren und denen es bei Bedarf oblag, die Sowjetunion mit Atomwaffen anzugreifen und kriegsunfähig zu machen. Die zentrale Grundlage bildete die strategische Direktive MC 14/1 vom 9. Dezember 19528. Bald aber wurde offensichtlich, dass die aus dem Zweiten Weltkrieg geschwächt hervorgegangenen europäischen Staaten die Kraftanstrengung für die nötige Rüstung und 7

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Stellvertretend für die große Anzahl an inzwischen vorliegenden Studien sei hier genannt: Tuschhoff, Deutschland. Die folgenden Ausführungen stützen sich, wo nicht anders angegeben, im Wesentlichen auf Bluth, Britain; Buteux, The Politics of Nuclear Consultation; Greiner, Die Entwicklung der Bündnisstrategie; Maier, Die politische Kontrolle; Rebhan, Der Aufbau; Greiner, Zur Rolle Kontinentaleuropas; Haftendorn, Kernwaffen; Hoppe, Zwischen Teilhabe und Mitsprache; Jordan, Norstad; Kelleher, Germany and the Politics; Steinhoff/Pommerin, Strategiewechsel; Theiler, Die Rezeption. NATO Strategy Documents, S. 193‑277.

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Mobilisierung nicht würden aufbringen können und auch die USA nicht über unerschöpfliche Reservoirs an Menschen und Material verfügten. Auf Drängen Großbritanniens, das den kostspieligen Einsatz von konventionellen Truppen auf dem Festland zu reduzieren wünschte, begann man die Atomwaffen als Ersatz für die teure konventionelle Rüstung heranzuziehen9. Die Fortentwicklung der Nukleartechnologie im taktischen Bereich kam da gerade zur rechten Zeit, und so zeichneten sich die Atomwaffen als Hauptkampfmittel ab. Für das Bündnis stellte die NATO-Richtlinie MC  48 vom 22.  November 1954 den entscheidenden Meilenstein in dieser Entwicklung dar. Hatte man bislang vorgesehen, die nuklearen Bomberverbände (»Schwert«) durch konventionelle Streitkräfte zu schützen (»Schild«), um ihren Einsatz gegen strategische Ziele sicherzustellen, so plante man zunehmend die Ausstattung auch der bislang konventionellen »shield forces« mit Atomwaffen ein10. Dieser Richtungsänderung lag der Gedanke zugrunde, dass ohne Nuklearwaffen keine realistische Chance bestehe, einen Großangriff abzuwehren: »NATO would be unable to prevent the rapid overrunning of Europe unless NATO immediately employed these [atomic] weapons both strategically and tactically11.« Der Luftwaffe als flexiblstem, weitreichendstem und schnellstem Waffenträger kam dabei eine herausragende Rolle zu. Die entscheidende Richtlinie für die neue strategische Richtung bildete die Direktive MC 14/2 vom 23. Mai 1957, in der die Massive Retaliation als zentrale Strategie festgeschrieben wurde.12 Einen vorläufigen Abschluss lieferte dann die MC 70 vom 29. Januar 1958 (»The Minimim Essential Force Requirements, 1958‑1963«), die als Richtlinie für den weiteren Aufbau konkrete Vorgaben für die Streitkräfte der einzelnen Bündnispartner machte13. Die Massive Retaliation in Reinform, also das Konzept der sofortigen und allumfassenden nuklearen Vernichtung ohne Wenn und Aber, stellte indes zu keiner Zeit eine widerspruchsfrei akzeptierte Leitlinie dar14. Insbesondere die Vorstellung, dass es bei einer Krise möglicherweise bereits nach kleineren Grenzverletzungen zu einem umfassenden atomaren Schlag mit verheerenden Konsequenzen kommen konnte, wog schwer. Darüber hinaus begannen die Staaten im Bemühen um finanzielle Einsparungen konventionelle Fähigkeiten abzubauen. Die nötige Beweglichkeit bei Krisen, etwa durch adäquates militärisches

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Für die Entwicklungslinien der Nuklearstrategie der USA, Großbritanniens und der NATO unter Berücksichtigung der taktischen Atomwaffen, der Bedeutung konventioneller Streitkräfte und der wirtschaftlichen Erwägungen der Beteiligten am detailliertesten Wampler, Ambiguous Legacy, Kap. I, V, VIII, IX, XI und XIII. Zur damit verbundenen Umdefinition der taktischen Verbände auch der späteren Luftwaffe zu »Schwert«-Kräften vgl. BArch, BL 1/14650, Tagebuch Inspekteur LW, Eintrag vom 16.12.1959, mit Protokoll Kommandeur-Besprechung 2/59, S. 4. NATO Strategy Documents, S. 233 (MC 48). Ebd., S. 277‑313. PDP, CD 003 Exs(95)1 CD 2 von 7, MC_70_ENG_PDP.pdf, MC 70 vom 29.1.1958. Das NAC genehmigte die MC  70 am 9.5.1958, ebd., MC_70_FINAL_ENG_PDP.pdf. Dazu Tuschhoff, Deutschland, v.a. Teil A und B; und Greiner, Die Entwicklung der Bündnisstrategie, S. 120, 127 f., 162‑166. Vgl. etwa den öffentlichen Widerstand, der Dulles bereits 1954 entgegenschlug, als er die eigenen Möglichkeiten zur massiven Vernichtung der Sowjetunion als probates Mittel der Abschreckung propagierte. Steinhoff/Pommerin, Strategiewechsel, S. 22.

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Handeln mit konventionellen Truppen bei Versuchen eines Gegners begrenzte Vorteile (z.B. Faustpfänder) zu erlangen, wurde dadurch zunehmend infrage gestellt15. Es nimmt nicht wunder, dass angesichts dieser Entwicklung die verantwortlichen Führungen der konkurrierenden Teilstreitkräfte, hier insbesondere die US  Army und die US Navy, und in deren Gefolge auch die Führungsstäbe der NATO-Partner auf den Plan traten und im Laufe der Zeit immer massivere Kritik übten. Dies begann bereits vor 1960 und führte später zu einem erneuten Umdenken, an dessen Ende eine beweglichere Strategie stand, die Flexible Response, die von der NATO Anfang 1968 offiziell verabschiedet wurde. Es gehört inzwischen zu den gefestigten Erkenntnissen der Forschung, dass die Flexible Response in einem sehr langen Prozess entwickelt und auch bereits vor dem Regierungsantritt Kennedys im Jahre 1961 bzw. vor dessen angekündigtem großangelegtem Reformprogramm für Staat und Gesellschaft in die Wege geleitet wurde16. Dabei spielten nicht nur generelle Überlegungen vor dem Hintergrund des wachsenden strategischen Nuklearwaffenpotenzials der Sowjetunion eine wichtige Rolle, sondern auch praktische Erfahrungen: aus den Krisen um Berlin seit 1958 und der Kubakrise 196217. In den USA, wo es von Anfang an Kritik an der Massive Retaliation gegeben hatte, und in Europa kam es Ende der fünfziger Jahre zu hitzigen Debatten um den Nutzen dieser Strategie. Sie geriet umso mehr ins Wanken, je deutlicher die Sowjetunion erkennen ließ, dass der Aufbau einer umfassenden strategischen Nuklearstreitmacht für sie nur noch eine Frage der Zeit sei18. Es wurde immer vehementer gefordert, dass angesichts dieser neuen Bedrohung nicht mehr von einem zumindest strategisch vergleichsweise komfortablen Einsatz des atomaren Arsenals ausgegangen werden könne, wenn es zu einem Krieg in Europa käme, da in diesem Falle die USA selbst von der Vernichtung bedroht gewesen wären. Daher verbot sich der Einsatz von Nuklearwaffen »immediately [...] from the outset«, wie in den Strategiepapieren MC 48, MC 48/2 und MC 14/2 angegeben19. Stattdessen war danach zu trachten, dass ein militärischer Konflikt auf dem Pulverfass Europa möglichst schon zu Beginn beendet würde. Da man gleichzeitig annahm, dass ein umfassender Schlag aus heiterem Himmel weitgehend ausgeschlossen sei, rechnete man zunehmend mit kleineren Grenzzwischenfällen und begrenzten Aktionen der Sowjets an neuralgischen bzw. schwach verteidigten Punkten der NATO. In diesem Zusammenhang gewann die Situation an den Flanken, vor allem an der Süd- und Südostflanke, erheblich an Bedeutung20. Die Lage dort war von Anfang an aus politischen und militärischen Gründen prekär gewesen. Im Norden betraf dies Norwegen und Dänemark, die einerseits nur sehr 15 16 17 18 19 20

Zur Entwicklung der NATO-Strategie bis 1960 vgl. grundsätzlich Lemke, Vorwärtsverteidigung; Thoß, NATO-Strategie, S. 17‑63 und S. 513‑602. Die entsprechenden Erkenntnisse liegen seit Mitte der neunziger Jahre vor. Vgl. Duffield, Power Rules, Kap. 4. Krüger, Schlachtfeld Bundesrepublik?, S. 198 f. Rowny, Decision-Making Process in NATO, S. 170, 180. MC 48/2 (15.3.1957), NATO Strategy Documents, S. 3 f. und S. 9; MC 14/2 (21.2.1957), ebd., S. 13 und S. 25. NATO-Archiv, AC/212, C-M (64) 70, Report by the Secretary General of Progress during the Period 1.1.‑30.6.1964, 4.9.1964, S. 33.

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begrenzte Kräfte aufbringen konnten und andererseits nicht zu stark von der NATO gebunden werden wollten; 1948/49 hatten sie sogar mit Alternativlösungen in Form eines neutralen skandinavischen Militärbündnisses zusammen mit Schweden gespielt21. Die geografisch exponierte Lage (Nordnorwegen/Finnmark bzw. Seeland als vorgelagerte Insel zum Schutz des strategisch wichtigen Nordseezugangs) lud aus westlicher Sicht nachgerade dazu ein, Provokationen, örtlich begrenzte Aggressionen oder Grenzzwischenfälle zu veranstalten22. Noch bedrohlicher stellte sich die Lage im Süden und Südosten dar, da die beiden wichtigsten Partner dort, die Türkei und Griechenland, nicht nur militärisch eher schwach, sondern dazu noch verfeindet waren23. Die neuralgischen Punkte waren hier die Nordgrenzen, d.h. das griechische und türkische Thrazien, die türkische Südgrenze sowie Ostanatolien. Unter allen Umständen war zu verhindern, dass der Bosporus in Feindeshand fiel: Der Westen befürchtete, dass die Sowjetunion die machtpolitische Zielrichtung des Zarenreiches während des »Great Game« gegen das britische Empire um Asien und das Mittelmeer fortführen wolle und daher die Meerenge zwischen Europa und Asien unter ihre Kontrolle zu bringen versuche24. Schließlich sorgte man sich noch um die italienische Nordostgrenze bei Istrien, die im Falle eines Konfliktes um Jugoslawien bedroht gewesen wäre. Ein Vorrücken oder die handstreichartige Besetzung der entsprechenden Gebiete hätte die Gefährdung der norditalienische Ebene und damit der ganzen Südflanke nach sich gezogen. Im Abschnitt Europa-Mitte, an der innerdeutschen Grenze, sah die Lage anders aus, da hier der Großteil der eigenen Kampfverbände stationiert war. Gleichwohl hatte man auch in dieser Region begrenzte Aktionen zu gewärtigen. Die Hauptgefahr stellte die Situation um Berlin dar. Für diesen speziellen Fall entwickelte die NATO Verfahrenspläne und -regeln, »Contingency Plans«, die das Vorgehen in den verschiedenen Situationen und Bedrohungslagen festlegten25. Zusammengefasst wurden diese Vorkehrungen in einer speziellen Organisation (»Live Oak«), die von den ehemaligen Siegermächten zusammen mit der Bundesrepublik Deutschland betrieben wurde26. 21 22 23

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Vgl. dazu Kesselring, Die Nordatlantische Allianz und Finnland, S. 117‑122. Zur militärischen Schwäche und den politischen Problemen an der Nordflanke, auch zur Bevorzugung der Südflanke innerhalb der NATO vgl. ebd., S. 122‑153. Zu den vielfältigen Konflikten zwischen der Türkei und Griechenland sowie deren Auswirkungen vgl. v.a. Kuniholm, The Evolving Strategic Significance; Papacosma, Greece and NATO: A Nettlesome Relationship; Akbulut, NATO’s Feuding Members; sowie Moustakis, The Greek– Turkish Relationship and NATO. Die Studie von Moustakis ist mit einer gewissen Vorsicht zu genießen. Einerseits enthält sie sehr gute Primärinformationen mit entsprechenden Analysen zum Verhältnis zwischen der Türkei und Griechenland, andererseits nimmt der Autor einen unverkennbar affirmativen Standpunkt zugunsten Griechenlands ein; die Arbeit weist insgesamt methodische Mängel auf. Zur Rolle des Zypernkonflikts in den fünfziger Jahren für die NATO vgl. Heinemann, Vom Zusammenwachsen des Bündnisses, S. 77‑126. Vgl. insgesamt den älteren, aber immer noch recht instruktiven Sammelband Politics and Security. Richter, Der griechisch- türkische Konflikt, S. 47‑54. Ein praktisches Beispiel für einen »Contingency-Plan« für Berlin: NARA (NACP), RG  218 Lemnitzers Files, Box 1, JCOS, Memorandum by the President Concerning Force Build-up and Use of Force in Europe, 11.9.1961, Enclorsure to Question 2; ebd., JCOS, CM-508-62, Memorandum for General Maxwell D. Taylor, Forwarding of Instructions Concerning East German/East Berlin Uprising, 16.1.1962, mit ausführlichen Begleitdokumenten. Zu Live Oak vgl. unten S. 65.

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Überhaupt wurden die Zweifel an der Massive Retaliation immer größer, und zwar bereits vor der Kubakrise 1962, die dann endgültig zeigen sollte, dass man mit Atomwaffen allein den drohenden Krisen nicht gewachsen war. Einen Kristallisationspunkt bildete der im Sommer 1960 veröffentlichte Bericht des Harvardprofessors und ehemaligen Sicherheitsberaters Robert Bowie, der begrenzte Kriegführungsszenarien (»limited war«) entwickelt hatte und nachdrücklich die Stärkung der konventionellen Truppen verlangte, auch bei den Bündnispartnern27. Eisenhower ließ sich indes von dieser Diskussion nicht beeindrucken, sondern hielt trotz wachsender Kritik vonseiten der Militärs und auch der demokratischen Opposition an der alten strategischen Linie fest28. Diese Kritik an der Massive Retaliation nahm der demokratische Präsidentschaftskandidat Kennedy auf, entwickelte eine eigene Position und zog damit in den Wahlkampf29. Daraus entstand in der Folge die Flexible Response. Parallel zu dieser Entwicklung hatten sich schon Offiziere des NATO-Planungsstabes mit den neuen Realitäten beschäftigt, allen voran US-Colonel Richard G. Stilwell30. Stilwell war bereits in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre zu einem ähnlichen Schluss gekommen und hatte nach Möglichkeiten gesucht, dies seinem obersten militärischen Vorgesetzten, dem SACEUR, US-Luftwaffengeneral Norstad, zu vermitteln. Nur, Stilwell hatte als Angehöriger der Plans and Policy Division bei SHAPE eine relativ untergeordnete Position inne. Wenn er den Dienstweg einhielt, musste er seine Studie zuerst an seinen Vorgesetzten, den französischen General Jacques Allard, leiten. Was dieser dann angesichts der sich entwickelnden französischen Fundamentalopposition in der Allianz damit machte, konnte Stilwell nicht steuern. Alternativ hätte er auch einen informellen Weg gehen, sprich: sich direkt an Norstad wenden können, der in Personalunion SACEUR und Oberbefehlshaber der US-Truppen in Europa und damit auch sein Vorgesetzter war. Stilwell wählte dennoch den NATO-Dienstweg, vermutlich weil er die eher pragmatische, also in diesem Falle dem Bündnis gegenüber konstruktive Position seines direkten Vorgesetzten kannte. Allard leitete die Stilwell-Studie tatsächlich weiter, die am Ende auch zu Norstad gelangte. Dieser hatte, nicht zuletzt aufgrund der politischen Situation in den USA, die Notwendigkeiten erkannt und stieß einen integrierten Diskussions- und Studienprozess an, der schließlich klare Ergebnisse zeitigte. Norstad und sein Stab hatten damit schon im Vorfeld von Kennedys Amtsantritt Material auf dem Schreibtisch, das eine umfassende Flexibilisierung der NATOStreitkräfte forderte, d.h. die Fähigkeit, auf allen Ebenen adäquat zu reagieren. Das hieß nichts anderes, als dass sowohl die konventionellen Truppen als auch die taktischen Nuklearwaffen sowie die euro- und die globalstrategische Komponente berücksichtigt werden mussten. Für den Ernstfall waren ausreichend konventionelle Truppen bereitzustellen, die substanziellen Widerstand leisteten. Reichte dies nicht aus, sollten Atomwaffen selektiv eingesetzt werden, um eine »Pause«, ein Nachdenken auf der gegnerischen Seite, zu erzwingen. Dem Warschauer Pakt sollte damit unmissverständlich 27 28 29 30

Zur Bowie-Studie und den wegen des möglichen Abbaus des Atomschirms alarmierenden Reaktionen darauf gerade auch in Deutschland vgl. Thoß, NATO-Strategie, S. 546‑555. Ebd., S. 134 und S. 244. Gaddis, Der Kalte Krieg, S. 102‑104. Zum Folgenden vgl. Rowny, Decision-Making Process in NATO, S. 165‑190. Stilwell stieg später zum Vier-Sterne-General auf. Er diente u.a. in Korea und Vietnam.

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klargemacht werden, dass weitere Aggression zu einem umfassenden Atomschlag führen würde. Nachfolgend hätte man mit schweren Atomwaffen reagieren können. Norstad propagierte das »Pausenkonzept« als Antwort auf die neue Situation nach der Wahl von Kennedy31. Der Abschied von der überwiegend atomar geführten Verteidigung und das Umschalten auf konventionelle Kriegführung im Ernstfall hatte sich schon länger angedeutet. Anteil daran hatte unter anderem das vielbeachtete Buch »The Uncertain Trumpet« des Stabschefs der US Army Maxwell D. Taylor32. Taylor brachte die Schwächen der Massive Retaliation sehr deutlich zum Ausdruck und wurde 1962 dann auch nicht von ungefähr Vorsitzender der US Joint Chiefs of Staff. In der NATO waren Möglichkeiten konventioneller Kriegführung spätestens mit der Richtlinie MC  70 zumindest theoretisch geschaffen worden33. Die MC  70 hatte keineswegs allein die atomare Aufrüstung gefordert, sondern den Aufbau atomarer und konventioneller Streitkräfte in Europa. Im Idealfall wären die Kampftruppen gleichzeitig für atomare wie für konventionelle Einsätze ausgerüstet gewesen (»dual-role« bzw. »dualcapable«), zusätzlich wären atomare Mittelstreckenraketen aufzustellen gewesen34. Schnell wurde klar, dass die im Einzelnen exorbitanten Forderungen vor allem auch finanziell nicht erfüllt werden konnten35. Die MC  70 bildete damit im Grunde genommen die Gesamtproblematik der NATO-Strategie bis 1989 ab, hier insbesondere die Frage nach den Möglichkeiten bzw. dem realen Gehalt der konventionellen Kriegführung, auch wenn dies Ende der fünfziger Jahre so noch nicht absehbar war36. Im aktuellen politisch-strategischen Gesamtzusammenhang war das Bündnis durch die »Vorarbeiten« in der amerikanischen Öffentlichkeit und die Tätigkeit in den militärischen Stäben auf den Strategiewechsel immerhin vorbereitet. Die Regierung Kennedy musste die Grundforderungen eigentlich nur noch übernehmen und auf die individuellen Vorstellungen der Partner im Detail abstimmen, worin auch die eigentliche Herausforderung lag. Als der politische Umschwung dann kam, verlor die Kennedy-Administration, insbesondere Außenminister McNamara, keine Zeit und präsentierte den Verbündeten die neue Linie in Athen (»Athen Guidelines«, 1962)37. Nachfolgend entwickelte der NATOMilitärausschuss ein entsprechendes Grundsatzpapier, die MC 100. Damit hätte einer raschen Umsetzung nichts im Wege gestanden. Die formale Verabschiedung dauerte aber noch sechs Jahre38. 31 32 33 34 35

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Krüger, Schlachtfeld Bundesrepublik?, S. 192. Taylor, The Uncertain Trumpet. PDP, CD003 Exs 95(1), MC_70_ENG-PDP.pdf. Vgl. dazu v.a. David, The Doctrine of Massive Retaliation. Thoß, NATO-Strategie, S. 522‑540. Aus den zahlreichen Dokumenten etwa der deutschen Luftwaffe hinsichtlich der Nichterfüllbarkeit der Ziele MC  70 exemplarisch: BArch, BL  1/1753, Fü  L  II, Studie Offensive Verteidigung, 16.5.1963. In der Grundperspektive lässt sich die MC 70 durchaus mit dem »Long Term Defence Program« der siebziger Jahre vergleichen. David, The Doctrine of Massive Retaliation, S. 41. Krüger, Schlachtfeld Bundesrepublik?, S. 193‑198. Zur Genese des Strategiewechsels vgl. auch Gablik, Strategische Planungen; sowie Steinhoff/Pommerin, Strategiewechsel.

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Der ganze Prozess zeigt die grundlegende Funktionsweise des Bündnisses auf und ist als historische Folie nach wie vor von erheblicher Relevanz. Die NATO hatte und hat bei grundlegenden Neuerungen fast immer Probleme bei der Herstellung eines tragfähigen Konsenses. Die militärisch-technischen Aspekte, so die Bereitstellung der Atomwaffen, wären eigentlich recht rasch zu klären gewesen, allein die Etablierung einer Strategie, die Gebrauchsanweisung, wenn man so will, berührte die politische Perspektive und damit die unterschiedlichen Interessen. Die Verbündeten in Kontinentaleuropa hatten schon im Vorfeld der Regierungsübernahme durch Kennedy die Diskussion in den USA mit Unbehagen verfolgt39. Der Bowie-Bericht hatte gar teils blankes Entsetzen zutage gefördert. Man befürchtete, dass die USA im Ernstfall den Konflikt auf Europa begrenzen würden, um nicht selbst vernichtet zu werden. Dies hätte die Verweigerung des Atomwaffeneinsatzes eingeschlossen. Die Amerikaner bemerkten, dass angesichts dieser Gemengelage das Bündnis auseinanderzufallen drohte, und boten daher die Schaffung einer gemeinsamen multilateralen Nukleartruppe an. Sämtliche Bündnismitglieder würden sich an den Trägermitteln und dem Bedienungspersonal beteiligen und hätten Zugang zu den Atomwaffen. Dadurch hätten alle einen Sicherheitsgewinn, da sie im Ernstfall an den Hauptwaffen beteiligt gewesen wären. Dies traf sich mit einer der Hauptforderungen von Norstad. Er verlangte in seinem Bemühen nach Schaffung eines breitgefächerten, möglichst lückenlosen Waffenarsenals die Bereitstellung eigener Mittelstreckenraketen (MRBM), um ein Gegengewicht zu entsprechenden Neustationierungen des Warschauer Paktes zu schaffen. Diese Waffen sollten unter seinen direkten Befehl gestellt werden, gleichzeitig sollte er auch die Befugnis über den Einsatz erhalten. Die Deutschen unterstützten die Forderungen nachhaltig und verlangten alternativ die Aufstellung eines speziellen Marineverbandes, der Multilateral Force (MLF), unter Gewährung von Mitspracherechten für alle NATOPartner, da sie sich über diese integrierte Lösung einen direkten Zugang und damit unmittelbare Mitbestimmung bei Atomwaffeneinsätzen im Ernstfall erhofften. Im Idealfall hätte man eine Garantie gegen eine strategische Abkopplung von den drei großen westlichen Verbündeten erlangt40. Es darf nicht weiter verwundern, dass die USA, Großbritannien und Frankreich, so sehr sich ihre Grundpositionen ansonsten unterschieden, nicht im Geringsten daran dachten, eine solche Lösung auch nur zu tolerieren, dies nicht zuletzt auch deshalb, weil die Amerikaner die Vorschläge bezüglich der MRBM bzw. MLF gemacht hatten, um das Nuklearpotenzial der Briten und der Franzosen unter Kontrolle zu bekommen. So fand gleichzeitig zu dem langsam in Gang kommenden Strategiewechsel ein jahrelanges Tauziehen innerhalb und außerhalb der NATO-Gremien statt. Eng damit verbunden war die zunehmende Kritik eines Teils der Mitgliedsstaaten an den obersten Entscheidungsstrukturen. Gerade was die militärische Seite anging, bestanden erhebliche Ungleichgewichte in der Beteiligung am Geschehen. Das oberste militärische 39 40

Thoss, NATO-Strategie, S. 546‑555. Zur MLF vgl. im Folgenden grundsätzlich Priest, From Hardware to Software; und Locher, Crisis? What Crisis?, Kap. I.3 und II.2. Eine Einordnung der MLF in die politische Gesamtentwicklung in der Sechzigern bei Gijswijt, Beyond NATO. Zentral u.a. auch aus britischer Sicht Stoddart, Losing an Empire, S. 60‑72 u.ö. Ferner Forndran, German-American Disagreements.

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Gremium, der Militärausschuss, in dem die Generalstabschefs der Mitgliedsstaaten saßen, tagte nur zwei Mal im Jahr und konnte somit nur die formalen Entscheidungen treffen und Perspektiven aufzeigen. Wie in jeder größeren Organisation hatte ein solches Gremium de jure zwar die entscheidenden Kompetenzen, de facto aber oblag ein wesentlicher Teil der Organisationsmacht im Planungsprozess der dem Militärausschuss zuarbeitenden Organisation, der »Standing Group«. Dieses ständige Gremium bereitete alle Entscheidungen vor, organisierte und steuerte die zahlreichen Ausschüsse und erledigte das Tagesgeschäft. In der »Standing Group« waren aber nur die alten Siegermächte Frankreich, Großbritannien und die USA vertreten. Die anderen Partnerländer, unter ihnen die Bundesrepublik, fühlten sich zunehmend deklassiert. Aus ihrer Sicht hatten sie – keine wirkliche Sicherheitsgarantie mehr; – keine Einflussmöglichkeit auf die Hauptwaffen im Bündnis; – viel zu wenig Möglichkeiten, den militärischen Planungsprozess zu beeinflussen. Das, was heute als eine größten Stärken der NATO gilt: die interaktiven, gleichzeitig vergleichsweise liberalen Diskussions- und Planungsstrukturen, die jedem Mitglied die Möglichkeit zur Partizipation geben und dabei ein Mittragen von Entscheidungen erlauben, auch wenn diese nicht oder nur teilweise im nationalen Interesse liegen, war Anfang der sechziger Jahre so noch nicht vorhanden. Es kam daher zu einer tiefgreifenden und andauernden Krise41. Zunehmend wurde deutlich, dass es hier nicht nur um die Ausrichtung der Strategie ging, sondern um den Bestand der ganzen Allianz, weswegen die Diskussionen und Debatten immer stärker genuin politischen Charakter annahmen. In der Folge kam es im obersten Gremium, dem Nordatlantikrat, zu grundsätzlichen Auseinandersetzungen. Jetzt flossen die inhaltliche Debatte um die Strategie und die politische um die Machtverteilung im Bündnis zusammen. Dies wirkte sich, wie noch zu zeigen sein wird, bis auf die untere Planungsebene aus. Eine entscheidende Rolle spielten dabei die Briten, die gemäß ihrer eigenen Tradition, die sehr stark von finanziellen Erwägungen geprägt war, vorgingen, sowohl was die inhaltlichen Fragen anging als auch die Verhandlungstaktiken und -strategien. Die inhaltliche Debatte kreiste um die Reaktion auf eine Aggression aus dem Osten im Ernstfall. Entgegen der Vorstellungen von Norstad und einigen nationalen Vertretern lehnten es die Briten kategorisch ab, auf allen Ebenen lückenlos und massiv aufzurüsten, um für alle Eventualitäten gerüstet zu sein. Dies betraf insbesondere die Ausstattung des SACEUR mit eigenen Mittelstreckenraketen und die massive Verstärkung der konventionellen Truppen in Mitteleuropa. Ersteres lehnte London aus politischen und strategischen Gründen ab, letzteres aus finanziellen Erwägungen42. Ihre eigenen knappen Mittel investierten die Briten lieber in die Nuklearrüstung, da sie sich davon einen größeren 41

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Zur Bedeutung dieser Krise, ihrer historischen Einordnung und den bestimmenden Faktoren vgl. (generell auch zum Folgenden und wo nicht anders belegt) Wenger, NATO’s Transformation in the 1960s; sowie Kaplan, Reflections on the US and NATO in the 1960s; Wenger, The Politics of Military Planning. Vgl. dazu Walter, Zwischen Dschungelkrieg und Atombombe, S. 287‑292, der davon berichtet, dass die britische Defence Community die dauerhafte Stationierung der BAOR – vor allem aus Gründen der allianzpolitischen und strategischen Glaubwürdigkeit – nur »zähneknirschend« befürwortet habe.

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Nutzen für die eigene Position versprachen als durch die weitere Aufstellung konventioneller Truppen. Hierbei wusste man sich im Grundsatz durchaus im Konsens mit den Amerikanern und ihrer Tendenz zur Flexibilisierung der Strategie. Man folgte den USA, da man mit ihnen im atomaren Bereich in Form des Nassau-Abkommens vom Dezember 1962 eine Sondervereinbarung geschlossen hatte, die die nationale Eigenständigkeit in Fragen des Atomwaffeneinsatzes und damit die Garantie einer eigenständigen Machtstellung garantierte. Briten und Amerikaner teilten sich den Betrieb und die Einsatzentscheidung über verschiedene strategische Atomwaffen (»Thor«, dann »Polaris«), gleichzeitig verfügten die Briten über ein nationales Atomwaffenpotenzial. Kennedy und Macmillan hatten sich darauf geeinigt, dass Großbritannien US-Raketen erhalten und sie dann mit britischen Atomsprengköpfen ausrüsten konnte. Die Briten bekamen infolgedessen im Laufe der sechziger Jahre solche Trägermittel (»Polaris«) für den Einsatz ihrer nuklearen Sprengköpfe43. Die bereits eingeleiteten Initiativen, die die Einbindung von Atomwaffen in NATO-Kommandostrukturen vorsahen, also etwa den Aufbau des atomaren Marineverbandes (MLF)44, unterlief die britische Regierung, indem sie alle Konkretisierungen ablehnte, verzögerte oder entscheidend verwässerte. Im konventionellen Bereich folgten die Briten den Amerikanern zögerlich und nur deklamatorisch, da sie eine massive Verstärkung der Truppen, ein Kernstück der US-Forderungen, nach wie vor kategorisch ablehnten und sogar hofften, Truppenreduktionen vornehmen zu können45. Sie strebten seit den fünfziger Jahren im Wesentlichen eine Art Arbeitsteilung für die europäischen Bündnispartner an: die vergleichsweise teure Aufrüstung im konventionellen Bereich vornehmlich für die Kontinentaleuropäer, die – so glaubte man – preiswerte nukleare Komponente eher für die Briten46. Die Briten konnten ihre Interessen weitgehend wahren. Das Bündnis bewegte sich, langsam zwar und nicht ohne Widerstände, auf die konventionelle Option zu, gleichzeitig versandeten die Vorschläge zum Aufbau einer europäischen Nuklearstreitmacht mit direkter, auch technischer Beteiligung der nuklearen Habenichtse an der Einsatzentscheidung. Die MC  100, die den begrenzten konventionellen Krieg verankert hätte, wurde infolge französischer Obstruktion nicht in Kraft gesetzt, bewirkte aber ein nachhaltiges Umdenken, auch durch den sich bereits 1963 abzeichnenden Ausstieg der Franzosen aus den militärischen Strukturen der NATO47. 43

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Obwohl die Briten mit dem Abkommen verpflichtet wurden, diese U-Boot-gestützten Waffen der NATO zu assignieren, behielten sie doch das Recht, sie zurückzuziehen, wenn »höchste« nationale Interessen auf dem Spiel standen. So behielten die Briten de facto die Kontrolle über die Raketen und ihre Sprengköpfe. Nie wirklich geklärt wurde, ob die USA über ein Mitspracherecht beim Einsatz im Ernstfall verfügten. Grundlegend hier: Twigge/Scott, Planning Armageddon, Kap. 4, v.a. S. 137 f., und Kap. 9. Siehe dazu unten S. 57 und S. 60‑64. Krüger, Schlachtfeld Bundesrepublik?, S.  207. Zum Hintergrund vgl. auch Macintyre, AngloGerman Relations, Kap. 3. 1968 wurde tatsächlich eine Infanteriebrigade (6th Infantry Brigade) der Britischen Rheinarmee abgezogen, die jedoch 1970 zurückkehrte. Vgl. dazu: BAOR Locations . Der Abzug wurde auch im britischen Unterhaus diskutiert. Vgl. Hansard, HC Deb 1. Mai 1968, vol 763 cc1097-8 . David, The Doctrine of Massive Retaliation, S. 33. Krüger, Schlachtfeld Bundesrepublik?, S. 197.

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Die neue Gangart brachte erhebliche Probleme mit sich. Wenn ein konventioneller Krieg geführt werden sollte, stellte sich sofort die Frage nach dem Kräfteverhältnis. Die Flankenstaaten traten auf den Plan und äußerten ihre Besorgnis in Bezug auf die Verteidigungsfähigkeit und die Stärke der NATO-Truppen dort. Das ohnehin schon belastete Verhältnis innerhalb der NATO wurde durch diesen Faktor einmal mehr verschärft. Es stand die Frage im Raum, ob das Bündnis in der Lage sein würde, ihre exponierten Gebiete zu schützen. Die Kohärenz der Allianz stand auf dem Spiel. Wie zentral die Frage der Solidarität gerade auch in Bezug auf die Schaffung der AMF war, zeigte der direkte Entscheidungsprozess an der Schnittstelle des Strategiewechsels. Die ganze Frage gewann militärisch gesehen an den beiden Elementen Multilateral Force (MLF)48 und Allied Mobile Force praktische Konturen: Die Briten und die Amerikaner trieben die Aufstellung der AMF zielstrebig voran, während die MLF versandete. Damit manifestierte und verstetigte sich unter anderem auch der Strategiewechsel. Washington etwa wollte weniger Hardware-Lösungen im Bereich der Atomwaffen mit gleichzeitigem Zugriff weiterer Bündnismitglieder auf die Einsatzentscheidung, sondern eine praktische Stärkung der konventionellen Verteidigung an allen Fronten. Die AMF wurde gesamtstrategisch gesehen eines von mehreren Substituten für die MLF. Auch an der AMF sollten sich möglichst alle Bündnispartner beteiligen, d.h. sie würde sowohl Ausdruck als auch Instrument der Solidarität sein. Ferner konnte man den Flankenstaaten zumindest einen psychologischen Ersatz für fehlende Truppenstärke vor Ort bieten – zumindest bis im Ernstfall die Hauptverstärkungen eingetroffen wären. Gleichzeitig hätte man damit ein Mittel besessen, um die politischen Verwerfungen und den Vertrauensverlust abzufedern. Die unterschiedlichen Standpunkte traten auf der 32. und 33.  Sitzung des Militärausschusses am 1. Juli 1964 und am 11. Januar 1965 offen und deutlich zutage, als beide Instrumente diskutiert wurden49. Die Bedeutung der AMF für die NATO als flexible »Feuerwehr« an den Flanken unter besonderer Betonung der Bündnissolidarität machte der SACEUR (Lemnitzer) durch einen Vortrag deutlich50. Die Idee hierzu war Ende der fünfziger Jahre im Rahmen der Diskussion um die Bildung von Reserven im Mittelabschnitt entworfen worden, an denen sich auch Norstad und General Hans Speidel beteiligt hatten. Die recht heterogene Dislozierung der Bündnisstreitkräfte in Deutschland gemäß dem »Schichttortenprinzip« – von Nord nach Süd nebeneinander gestellte nationale Großverbände – und die unterschiedlichen Bereitschaftsniveaus ließen befürchten, dass Schwachstellen entstanden51. Man war davon ausgegangen, dass sich bei einem massiven Angriff des Warschauer Paktes in der 48 49

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Zur MLF vgl. Priest, From Hardware to Software; und Haftendorn, Kernwaffen. PDP, CD011, RECORD-MC_CS-032_ENG_PDP.pdf, 32nd Session of the Military Committee in Chiefs of Staff Session, 1.7.1964; und ebd., RECORD-MC_CS-033_ENG_PDP.pdf, 33rd Session of the Military Committee in Chiefs of Staff Session, 11.1.1965. Vgl. auch die 35. Sitzung: ebd., CD011, RECORD-MC_CS-035_PDP.pdf, 35th Session of the Military Committee in Chiefs of Staff Session, 10.12.1965. Zur Aufstellung und frühen Geschichte der AMF vgl. v.a. auch (Kerndokument) PDP, CD011, MCM-14-65, ACE Mobile Force, 19.1.1965, und ebd., MCM-23-65, Concept und Organisation of the ACE Mobile Force and the Financing of this Force’s Exercises, 5.2.1965, mit Encl. 1. Zum Folgenden Maloney, Fire Brigade or Tocsin?; sowie Maloney, War without Battles, S. 149‑152.

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NATO-Frontlinie in Deutschland, aber auch an den NATO-Flanken eine Lücke auftun könnte, und schlug daher die Schaffung einer mobilen Einsatzreserve vor, die im Sinne einer »Feuerwehr« flexibel eingesetzt werden konnte – in der Hoffnung, einen Vorstoß des Ostblocks nicht sofort mit einem massiven Atomschlag beantworten zu müssen. Gemäß den Vorstellungen von der Massive Retaliation hätte man diese »Feuerwehr« dennoch auch mit taktischen Nuklearwaffen ausgestattet, um im gegebenen Rahmen effiziente Wirkung zu erzielen. Entsprechende Modelle, etwa unter Einbeziehung einer kanadischen Infanteriebrigade, wurden dann jedoch fallengelassen. In der Zwischenzeit hatten die Flanken erhöhte Aufmerksamkeit erlangt. Infolgedessen kam eine Idee zum Tragen, die diese Regionen verstärkt berücksichtigte52. In einer Krise sollten die örtlichen Kräfte durch die Bataillone einer flexiblen Truppe, der Allied Mobile Force, verstärkt werden, und zwar je drei für den Nordabschnitt (Dänemark und Norwegen) und je drei für den Süden (Triest, Thrazien, Osttürkei). Die Struktur der AMF war von SHAPE in Abstimmung mit den Verbündeten festgelegt worden. Es sollten sechs Bataillone aus unterschiedlichen Ländern mit jeweils einer Staffel an Jagdbombern aufgestellt werden. Das gemeinsame Hauptquartier sollte nah am US-Hauptquartier für Europa und dem Flugdrehkreuz Rhein-Main-Airbase liegen. Infolgedessen fiel die Wahl auf Seckenheim in der Pfalz. Entscheidend war weniger die militärische Funktion, sondern vielmehr die politische. Den drohenden Vertrauensverlust und die Folgen für die Kohärenz des Bündnisses einerseits, die massiven Hindernisse für die MLF andererseits vor Augen, schlugen die Befürworter vor, die AMF als politische Solidarstreitmacht – wenn man so will als eine Art psychologische Stärkung, zumindest aber als Teilersatz für die MLF – in Position zu bringen53. Die AMF sollte schon im Frieden in der Öffentlichkeit laut und deutlich als flexible Elitetruppe propagiert werden, um dem Aggressor analog zu Artikel 5 des Nordatlantikvertrages deutlich zu machen, dass sie im Falle einer Konfrontation als multilateraler Einsatzverband und damit als Ausdruck des Willens aller Bündnispartner zu verstehen sei. Ein Angriff auf eines ihrer Bataillone wäre dann ein Angriff gegen die NATO und jedes ihrer einzelnen Mitglieder gewesen. Damit wäre fast automatisch der Bündnisfall gegeben gewesen. Die Fortführung des Konzepts, das der Nordatlantikrat in den Sitzungen vom 23. Juni und 6. September 1961 grundsätzlich genehmigt hatte54, wurde nach kurzer Diskussion, 52

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Bei Maloney entsteht der Eindruck, dass die AMF als Folge der Diskussion um die nukleare Feuerwehr im Mittelabschnitt entwickelt wurde. Dies scheint indes nicht korrekt zu sein. Schon im Jahre 1957 ließ SACEUR eine »Force Requirement Study« erstellen, die dann zur Bildung der AMF führte. BArch, BW 2/27010, Fü S III 6, Zusätzliche Anmerkungen zu AMF-Facts, 9.1.1991. Dies bedeutet, dass die Aufstellung eines Krisenreaktionsverbandes für die Flanken parallel zu den entsprechenden Diskussionen einer »Front-Feuerwehr« im Mittelabschnitt initiiert wurde. Vgl. dazu v.a. Binder, Lemnitzer, S. 319 f. Lemnitzer hegte eine offensichtliche Abneigung gegen ein zu hohes Integrationsniveau und lehnte auch deshalb die MLF massiv ab. Die AMF bildete demgegenüber in Lemnitzers Denken eine besondere Alternative. Doch ist hier eine Einschränkung zu machen. Die AMF war ausschließlich für den Einsatz an den Flanken gedacht und kann insofern nicht als Ersatz für den gesamten NATO-Bereich gelten. Letztlich bildete die Nukleare Planungsgruppe den Ersatz für die MLF zur Gewährleistung der Bündnissolidarität. Die entscheidende Sitzung zur strategischen Bedeutung der AMF: NATO-Archiv, AC/212, C-R (61) 27, Summary Record of a restricted meeting of the Council (23.6.1961), 30.6.1961. Vgl. auch

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die sich u.a. um die Sicherheitsinteressen der Flankenstaaten und die Finanzierung drehte, von allen Beteiligten gutgeheißen. Die deutschen Vertreter stimmten rasch zu und sagten die Bereitstellung von Kampftruppen und Führungselementen zu. Der allgemeine Konsens verflog allerdings rasch, als man sich mit den Mittelstreckenraketen zu befassen begann. Lemnitzer forderte wie schon im Vorfeld nachdrücklich die Bereitstellung einer bedeutsamen Anzahl dieser Raketen unter seinem Kommando. Unterstützung erfuhr er in seinem Ansinnen unter anderem vom deutschen Generalinspekteur Heinz Trettner. Trettner versuchte darüber hinaus, in einem ausführlichen Vortrag die Bedeutung Mitteleuropas und insbesondere der deutsch-deutschen Grenze hervorzuheben. Er verlangte im Ernstfall eine sofortige und harte »forward defence« sowie die Festlegung auf einen frühzeitigen Einsatz des nuklearen Arsenals, falls der Feind nicht gestoppt werden konnte. Er ließ deutlich erkennen, wo der eigentliche Schwerpunkt der Bündnisverteidigung lag: »Therefore, in the great majority of all conceivable types of aggression, the enemy’s main effort will be directed against the Federal Republic of Germany55.« Aus deutscher Perspektive war die AMF letztlich nicht viel mehr als ein Zugeständnis zur Wahrung der Bündnissolidarität mit Fokus auf einem weitaus größeren Ziel: der weiteren Konzentration und Verstärkung des Mittelabschnittes. Die eigentlichen Prioritäten lagen darin, im Verein mit SACEUR darauf zu bestehen, auf der Basis der MC 14/2 alle möglichen Angriffe vor allem dort adäquat beantworten zu können56. Dabei fand der Begriff »Flexible Response« bereits prominente Verwendung, umfasste in Trettners Perspektive allerdings auch die Mittelstreckenraketen57. Einen derartigen Kuhhandel ließen jedoch Briten (Louis Mountbatten) und Amerikaner (Taylor) keineswegs zu. Die Franzosen, vertreten durch General Charles Ailleret, propagierten zwar generell ihre eigene Linie (Fortsetzung der Massive Retaliation), lehnten jedoch die Ausstattung von SACEUR mit einem ausgedehnten Raketenarsenal genauso ab und meinten im Übrigen, dass es keineswegs allein auf die Lage in Mitteleuropa ankomme, sondern vielmehr alle Brennpunkte wichtig seien, gerade an den Flanken. Briten und Amerikaner befürworteten durchaus den Aufbau einer breiten Palette von Instrumenten, um allen Formen der Aggression begegnen zu können, weigerten sich aber, der NATO eigene MRBM zuzugestehen, und verlegten sich für den Ernstfall auf die national kontrollierten strategischen Atomwaffen. Insgesamt zeigte die Debatte, wie sehr die Chancen der Realisierung von MLF bzw. MRBM oder AMF in einem Prozess des Verhandelns (»bargaining«) um Sicherheit, Sicherheitskonzepte und die dazugehörigen militärischen Instrumente stiegen oder fielen. Die Sieger des Zweiten Weltkrieges, gleichzeitig die atomaren Oligarchen, hatten im

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ebd., C-R(61)29, Summary Record of a meeting of the Council (30.6.1961), 18.7.1961, und ebd., Summary Record of a meeting of the Council (6.9.1961), 13.9.1961, S. 6 f. PDP, CD011, RECORD-MC_CS-033_ENG_PDP.pdf, 33rd Session of the Military Committee in Chiefs of Staff Session, 11.1.1965, S. 40. Vgl. Lemnitzers Ausführungen in: RECORD-MC_CS-032_ENG_PDP.pdf, 32nd Session of the Military Committee in Chiefs of Staff Session, 1.7.1964, S. 18. Trettner in: PDP, CD011, RECORD-MC_CS-033_ENG_PDP.pdf, 33rd Session of the Military Committee in Chiefs of Staff Session, 11.1.1965, S. 42. Im NATO-Rat hatte der deutsche Vertreter bereits 1961 die AMF als eine Art »Training Brigade« befürwortet, ansonsten aber vor allem die Beschaffung von Mittelstreckenraketen gefordert. NATO-Archiv, AC/212, C-R (61) 27, Summary Record of a restricted meeting of the Council (23.6.1961), 30.6.1961, S. 13‑15.

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Entscheidungsprozess nichts zu gewinnen, wenn sie den nuklearen Habenichtsen Zugriff auf eine neue Art von Waffen gaben, im Gegenteil. Sie werteten damit die Habenichtse zu Lasten der eigenen Position im Bündnis auf und verursachten für sich selbst neue, aus ihrer Sicht unnötige Kosten. Es nimmt nicht Wunder, dass gerade der britische Vertreter, Lord Mountbatten, verlangte, erst einmal zu prüfen, wie viel Verteidigungswirkung man mit den bereits vorhandenen Kräften im Ernstfall erzielen konnte, und nicht zu fragen, wie lange es dauere, bis die nukleare Katastrophe eintrete: »The whole essence of my approach is to find out what you can do with the forces you now have [...] And the assumption we have to make do with what we have got, what can we do58.« Mit dieser Haltung, gespeist aus der Macht der Treasury und dem damit verbundenen Prinzip des »scaling down« der Bedrohungsszenarien, setzte sich Mountbatten durch. So wurde beschlossen, erst einmal eine Überprüfung des Verteidigungspotenzials der einzelnen NATO-Kommandobereiche anzustellen. Damit war die Debatte gleichzeitig entschärft und aufgeschoben. Das eigentliche Problem, die Aufweichung der Bündnissolidarität, die mit Komponenten wie der AMF bzw. der MLF gestärkt werden sollte, konnte nicht ausgeräumt werden und sollte die Allianz bis zum Ende des Kalten Krieges und darüber hinaus beschäftigen. Für die deutsche Seite wurde das Streben nach einer nuklearen Mitsprache im Rahmen einer Hardware-Lösung zunehmend utopisch. Alle weiteren Gedankenspiele, etwa die Idee einer Inter-Allied Nuclear Force (IANF), in der rein nationale Kontingente zusammengefasst würden, die SACEUR lediglich koordinieren sollte, wurden diplomatisch zu Grabe getragen, obwohl die Bundesrepublik bis Mitte der sechziger Jahre an der Idee festhielt59. Das Ganze war letztlich von vornherein zum Scheitern verurteilt. Ein wesentlicher Grund hierfür war unter anderem, dass zwei verschiedene Kategorien in falscher Kombination vermischt wurden: Technik und ›gesellschaftlich‹-politische Interaktion. Man hatte gehofft, mittels eines technischen Instrumentes (MLF) die Bündniskohärenz zu erhöhen, und geriet darüber in endlose Debatten bezüglich technisch-administrativer Details, die durch technische Fragen (z.B. Trägersysteme) und politische Empfindlichkeiten (etwa die Frage der Stationierung) noch erheblich komplizierter wurden. Letztlich hatte man zu erkennen, dass über eine grundsätzliche Beteiligung auf höchster politischer Ebene verhandelt werden musste. Dies führte zur Gründung der Nuklearen Planungsgruppe, in der die nuklearen Habenichtse zumindest ein theoretisches Mitspracherecht erhielten. Ob dies tatsächlich eine reale Mitwirkung und einen Sicherheitsgewinn etwa für die Bundesrepublik nach sich zog, ist mit guten Gründen bezweifelt worden60. Immerhin konnten sich Bonn und andere betroffene Regierungen politisch als zum Klub zugehörig profilieren, wodurch sie ihre politische Bedeutung erhöhten. Wenn man schon keine eigenen Atomwaffen besaß, konnte man immerhin darauf verweisen, bei der Planung der vorhandenen Atomwaffen mitzubestimmen. War also die MLF eigentlich schon zum Untergang verdammt, trat die Allied Mobile Force in der Folge erst so richtig ins Leben. Deren strategischer Zweck war schon bei 58 59 60

PDP, CD011, RECORD-MC_CS-033_ENG_PDP.pdf, 33rd Session of the Military Committee in Chiefs of Staff Session, 11.1.1965, S. 74. Zu den unterschiedlichen Konzepten vgl. auch Tuschhoff, Deutschland, S. 276‑326. Krüger, Schlachtfeld Bundesrepublik?, S. 171‑225.

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der Initiierung im Nordatlantikrat offenbar geworden61. Dies galt ferner für die politischen und finanziellen Ziele nicht zuletzt der Briten, die argumentiert hatten, dass sie zahlreiche Verpflichtungen in ihrem untergehenden Kolonialreich hätten und auch in einer massiven Finanzkrise steckten62. Daher müsse ein ökonomischer Weg mit maximaler Sicherheitswirkung gefunden werden. Da im Bereich Europa-Mitte bereits große Truppenverbände stationiert waren, für die die Briten im Ernstfall die Verstärkung durch eine eigene mobile Komponente vorgesehen hatten, vor allem die allerdings später wieder aufgelöste United Kingdom Mobile Force (UKMF)63, brauchten dort nicht unbedingt neue Verbände geschaffen werden. Für London kam es nicht darauf an, weitere Instanzen oder Befehlshaber mit Atomwaffen auszustatten, sondern die Diskussion auf die »nukleare Schwelle« zu begrenzen, d.h. möglichst genau den Zeitpunkt zu bestimmen, an dem Atomwaffen eingesetzt werden müssten. Gemäß der neuen Konzentration auf neuralgische Punkte betonten die Briten, dass sich die nötige Flexibilität nicht mehr wie im Rahmen der MC  70 durch eine massive Aufrüstung in allen Bereichen erreichen ließ, sondern nur durch eine Aufstockung und Verbesserung der militärischen Komponente an wichtigen Punkten und Verteidigungsabschnitten. Im Planungsprozess behielten zumindest in der Atomwaffenfrage die nationalen Interessen der Briten und der Amerikaner die Oberhand. Als im Laufe der Zeit deutlich wurde, dass sich das strategische Szenario wandeln würde, kam man spätestens 1965 von der Atombewaffnung der AMF gänzlich ab64. Die nukleare Komponente der »AMF force troops«, eine »Honest John«-Batterie, wurde aus der Ausrüstungsliste (»troop list«)65 gestrichen und durch Einheiten für den konventionellen Feldbetrieb ersetzt (Pionierkompanie, Lufttransportkomponente und auch eine Feldwäscherei)66. Die AMF nahm langsam ihre endgültige Form an. Der Nordatlantikrat hatte ihre strategische Notwendigkeit bereits am 8. April 1964 mit »solid expressions of support« bestätigt67. Als sich der Strategiewechsel immer stärker abzeichnete, rückte die AMF rasch auch allianzpolitisch ins Zentrum des Interesses. Die Amerikaner konzentrierten sich intensiver auf die Abwehr begrenzter Aggressionen an neuralgischen Punkten der Bündnisgrenzen. Ohne die Bedeutung der bisher antizipierten Hauptkampfgebiete in Mitteleuropa, hier natürlich die Bundesrepublik, in den Hintergrund zu drängen, richtete sich das Augenmerk zunehmend auf die Flanken, da dort das Bündnis aufgrund 61

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NATO-Archiv, AC/212, C-R (61) 27, Summary Record of a restricted meeting of the Council (23.6.1961), 30.6.1961. Vgl. auch ebd., C-R(61)29, Summary Record of a meeting of the Council (30.6.1961), 18.7.1961; und ebd., Summary Record of a meeting of the Council (6.9.1961), 13.9.1961, S. 6 f. Grundlegend hier NATO-Archiv, AC/212, C-R (61)23, Summary meeting of a restricted meeting of the Council (6.9.1961), 12.6.1961, S. 3‑5. Zur UKMF Lemke, Strategische Mobilität, S. 241‑252. PDP, CD011, MCM-23-65, Concept and Organisation of the ACE Mobile Force and the Financing of this Force’s Exercises, 5.2.1965, Encl. 1, S. 9: »This force provides SACEUR with the ability to respond to Soviet Bloc probing tactics without resort to nuclear weapons.« Es handelte sich dabei um den formalen Ausrüstungsnachweis, vergleichbar der Stärke- und Ausstattungsnachweisung (STAN) der Bundeswehr. SHAPE-Archiv, x/cu2008/054/12, United States Contribution to ACE Mobile Forces, 22.11.1963, S. 2. NARA (NACP), RG 59, Entry A1 5301 Bureau of European Affairs, Box 2, Besprechung Tyler – McNaughton, 4.5.1964, S. 5.

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der wirtschaftlichen und militärischen Schwäche der Partner vor Ort noch erhebliche Defizite aufwies68. Ein Sonderfall – allerdings mit prägendem Charakter – war und blieb Berlin (LiveOak-Szenarien)69. Da der Stadt wegen ihrer geografisch herausgehobenen Position auch in psychologischer Hinsicht wesentliche Bedeutung für die NATO-Solidarität und damit für die Gesamtverteidigung zukam, gerieten die Planer der westlichen Streitkräfte schnell in ein Dilemma, als Chruščev 1958 den Druck auf die Westsektoren erhöhte. Als sich die Auflösung der nuklearen Überlegenheit abzuzeichnen begann und die Probleme der Massive Retaliation offenkundig wurden, schien sich eine gefährliche Schwachstelle zu bilden. Wenn man den Provokationen Moskaus nicht mit Gegenmaßnahmen begegnete oder gar weitgehende Zugeständnisse in Bezug auf Berlin machte, drohte ein Prestigeverlust mit gravierenden strategischen Folgen. Die NATO und die USA hätten die nötige Entschlossenheit im machtpolitischen Poker vermissen lassen und dadurch die Solidarität und die Kohärenz des eigenen Bündnisses untergraben. Auf der anderen Seite drohte infolge der eigenen Schwäche im konventionellen Bereich der sofortige Ausbruch eines umfassenden Atomkrieges, da man im Falle einer militärischen Konfrontation infolge eines Zwischenfalles um Berlin nicht zuletzt auch wegen der eigenen strategischen Setzungen rasch zum Einsatz von Nuklearwaffen hätte schreiten müssen. Um hiergegen wenigstens einigermaßen gewappnet zu sein, begann man unterschiedliche Szenarien mit entsprechenden Optionen für Berlin zu entwickeln. Man gründete einen speziellen Stab unter der Bezeichnung »Live Oak«, der, angelehnt an das NATO-Hauptquartier und politisch vollständig abhängig von den nationalen Regierungen in Washington, London und Paris, die unterschiedlichen Möglichkeiten und Handlungsalternativen (»contingencies«) ausarbeitete70. Sie kamen zwar nicht zur unmittelbaren Anwendung, da die Situation beim Bau der Berliner Mauer und während der Kubakrise nicht eskalierte. Immerhin aber wurde die Planung innerhalb des Live-Oak-Stabes unter maßgeblicher Beteiligung der Bundesrepublik bis zum Ende des Kalten Krieges fortgeführt. Für die Allied Mobile Force, deren Konzept und Einsatzplanung fast parallel entwickelt wurden, galten im Grunde die gleichen Parameter wie für die Live-Oak-Planung, dies jedoch angewandt auf die Flankengebiete der NATO71. Im Hintergrund stand mu68

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Zur Position u.a. von McNamara vgl. TNA London, FO 371/190656, FO Minute, Financing of ACE Mobile Force, 9.11.1966. Zur strategischen und politischen Entwicklung der Flanken vgl. neben dem Sammelband Periphery or Contact Zone? insbesondere, wiewohl in enger Auswahl: Chourchoulis, The Southern Flank of NATO; Chourchoulis, A Nominal Defence?; Bjerga/ Skogrand, Securing Small-State Interests; Søborg Agger/Michelsen, How Strong Was the »Weakest Link«?; Søborg Agger, Striving for Détente; Nuti, A Decade of Delusions; Riste, NATO, the Northern Flank, and the Neutrals; Tamnes, The Strategic Importance; Petersen, The Dilemmas of Alliance; Malmborg, Sweden – NATO’s Neutral ›Ally‹? Zur Südostflanke mit Perspektive auf den Balkan vgl. zudem Iatrides, Failed Rampart. Zum Folgenden vgl. Thoß, NATO-Strategie, S. 291‑329; Lemke, Die Berlinkrisen; und Nünlist, Die NATO und die Berlinkrise. Zu Live Oak befindet sich derzeit eine Studie von Harald van Nes in Arbeit, die vom ZMSBw betreut und herausgegeben wird. Der Arbeitstitel lautet: »Die Geschichte der Live-Oak-Organisation als Beispiel für moderne Planung und Vorbereitung der Krisenbewältigung«. Laut Aussage eines prominenten Zeitzeugen hatte die AMF im Planungsprozess keine direkten Berührungspunkte zu Live Oak. Zeitzeugeninterview mit Oberst a.D. Harald van Nes, 27.9.2011,

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tatis mutandis ebenso die Frage nach gemeinsamer Bündnissolidarität an neuralgischen Punkten: Der jeweils direkt angesprochene Bündnispartner vor Ort, in dessen Vorfeld bzw. auf dessen eigenem Territorium die exponierte Region jeweils lag, hatte ein spezielles Interesse an der Sicherung dieser Region und erwartete die Solidarität der anderen Bündnispartner bei der Einsatzplanung in Form von Übungen und bei Krisen. Dementsprechend wurden einzelne Fälle durchdekliniert und im Laufe der Zeit in Einsatzpläne (»Contingency Plans« mit »Rules of Engagement«) gegossen72. Das Szenario umfasste Aktionen, die von subversiver Tätigkeit bis zum Einsatz von regulären Truppen in Regimentsstärke an der Grenze bzw. schon auf NATO-Terrain reichen konnten. Deren Abwehr durch den Einsatz von Atomwaffen erachtete man als zu risikoreich, daher musste man sich auf den Einsatz konventioneller Truppen verlegen. In gewisser Weise wurden damit Elemente der bisherigen Diskussion zusammengefasst und weitergeführt. Der Einsatz der AMF wäre gewissermaßen eine Art letzter Warnung vor Eintritt des Bündnisfalles gewesen, d.h. de facto des Kriegszustandes, allerdings ohne atomare Komponente. b) Zwischen Nordkap und Vietnam: Die unterschiedlichen nationalen Interessen und die Diskussion um das Kriegsbild Strategische Verzahnung: Die globalen Kriegspläne der Amerikaner und die NATO Parallel zur Entwicklung der Bündnisstrategie begann in der NATO die Diskussion um das konkrete Kriegsbild entlang der Positionen der Mitgliedsnationen. Grundsätzlich kann in diesem Zusammenhang nicht davon gesprochen werden, dass es ›ein‹ oder ›das‹ letztgültige Kriegsbild der NATO gegeben hätte. Die verschiedenen Partner entwickelten eigene Vorstellungen und brachten sie in unterschiedlicher Form in die NATO-Gremien ein. All dies war ein dynamischer Prozess, der von ständigen Veränderungen geprägt war und keineswegs unabhängig von der politisch-militärischen Entwicklung verlief73. Dies

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S. 1. Maloney, Fire Brigade or Tocsin?, S. 589, indes kommt zum Schluss, dass bei der Entstehung der AMF der SACEUR (Norstad) doch immerhin beide als vergleichbare Instrumente im Rahmen des Krisenmanagements betrachtete. Die Erstellung der Einsatzpläne und -regeln war ein langwieriges Geschäft und zog sich in einigen Fällen bis in die achtziger Jahre hinein, da man sie immer wieder änderte und überarbeitete. An dieser Stelle als Beispiel für die vielfältigen Quellen ein Sachstandsbericht aus den Siebzigern: SHAPE-Archiv, 16 mm P 01-B R-08 L-187, NATO-Rules of Engagement AMF (L), 17.4.1970; und ebd., 16 mm P 01-B R-39 L-076B, SACEUR Outline COP for the »Employment in ACE of the AMF, SACEUR OUTLINE COP 10420, ›Hard Glory‹«, Change 3, 31.1.1976. Diese Beobachtung bildet die Zusammenfassung der bereits zitierten Fachliteratur zur NATO und ist mit einem gewissen Vorbehalt zu betrachten. Die Forschung ist hier noch längst nicht so weit, dass man verlässliche und konturierte Ergebnisse präsentieren könnte. Für die siebziger und achtziger Jahre fehlen noch viele Grundlagen. Den besten Überblick über die sechziger Jahre hinaus bietet immer noch Kugler, Commitment to Purpose, Kap. III‑IV. Ein konkreterer Anfang, allerdings eher mit Bezug auf die Atomkriegführung, wurde gemacht von Heuser, NATO, Britain, France and the FRG. Nötig wäre eine vergleichende Betrachtung der Kriegsbilder der unterschiedlichen nationalen Stäbe und deren kontroverse Diskussion in den NATO-Gremien. Die Studien des ZMSBw haben hier vor allem für die deutsche Seite Pionierarbeit geleistet, allerdings eher mit Fokus auf die Zeit bis 1960. Werke wie etwa Walter, Zwischen Dschungelkrieg und Atombombe; War Plans and

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betraf in erster Linie die USA, die nicht nur ständige Schwierigkeiten mit der Strategie für Europa hatten, sondern auch global engagiert waren. Die bündnisinternen Handlungsspielräume selbst der kleineren Mitgliedsstaaten gingen, etwa im Falle des Vietnamkrieges letztlich auf Kosten der Amerikaner, da es nicht gelang, die NATO-Partner auch nur im Ansatz zu direktem militärischem Engagement zu bewegen. Die damit verbundenen Enttäuschungen hielten die Amerikaner nicht von globaler Kriegsplanung ab, insbesondere was die »Contingency Plans« für den Ernstfall anging. Analog zu den Planungen für Live Oak bereitete Washington sich seit Anfang der sechziger Jahre für alle Regionen mit dem Prinzip der Fallunterscheidung auf verschiedene Situationen (»contingencies«) vor74. Für Korea etwa sah man drei, für Vietnam vier unterschiedliche Krisenverläufe vor. Keineswegs dachten die US-Stäbe nur an getrennte Szenarien, sondern sie entwickelten verschränkte Pläne für Krisen und den Ausbruch von Feindseligkeiten in verschiedenen Regionen gleichzeitig. Europa war hier nur eine von mehreren Regionen. Einen Schwerpunkt bildete der Mittlere Osten. In dem Bemühen, ein global umspannendes Bündnissystem zur Eindämmung der Sowjets mittels Schaffung einer vernetzten Staatengemeinschaft unter US-Ägide aufzubauen75, hatte sich Washington auch in dieser Region engagiert. Im Rahmen der Sicherung der »Northern Tier«, der Nordgrenzen von Irak, Iran und der Türkei gegen die Sowjetunion, hatten sich die USA zusammen mit den Briten am Aufbau des Bagdadpaktes (ab 1958 Central Treaty Organisation, CENTO) beteiligt76. Dem Pakt gehörten anfänglich die folgenden Mächte an: Irak, Iran, Türkei, Pakistan. In gewisser Weise hatte damit der Saadabad-Pakt aus der Zwischenkriegszeit seine Fortsetzung gefunden. Die Analogien in der Namensgebung der westlichen Paktsysteme – NATO, CENTO, SEATO, ANZUS – beruhten keineswegs auf Zufälligkeit, sondern spiegelten programmatische Parallelen wieder77. Der Bagdadpakt erhielt, strategisch gesehen, ähnliche

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Alliances; Die Alpen im Kalten Krieg; sowie Blueprints for Battle, haben Teilbereiche abgedeckt, die methodisch verbunden werden müssten. Gerade das Sammelwerk War Plans and Alliances weist doch Grenzen auf. Fortschritte sind dann zu erzielen, wenn die bisherige, teils auf die »höhere« Strategie bzw. Diplomatie oder nationale Interessen konzentrierte Forschung durch detailliertes komparatistisches Eingehen auf die konkreten Kriegsbilder ergänzt würde, ohne zu stark auf operative Detailplanung einzugehen. Im Folgenden sollen hier einige Ansätze verfolgt werden. Ein allzu tiefes Eindringen in die Materie ist indes nicht möglich. Geboten wird gewissermaßen die »Quersumme« des NATO-Kriegsbildes als Rahmen für die AMF. Als Beispiel: NARA (NACP), RG 218, Lemnitzers Files, Box 2, Memorandum for the Secretary of Defense, Study Group terms of Reference for Strategic Appraisal of Requirements for General Purpose Forces, 16.4.1962, mit Strategic Appraisal of Requirements for General Purpose Forces, 7.5.1962. Frey, Die Vereinigten Staaten und die Dritte Welt im Kalten Krieg, S. 47‑55. Die Briten traten 1955 ein, die USA de facto 1958 (allerdings nur mit Beobachterstatus, offiziell mit bilateralen Verträgen). Zur Gründung des Bagdadpaktes vgl. Yesilbursa, The Baghdad Pact; und Persson, Great Britain, the United States and the Security. Das Gefüge der CENTO geriet allerdings infolge der Suezkrise und vor allem der Zeitwende im Irak nach dem Putsch von 1958 rasch ins Rutschen. Der Irak trat 1959 wieder aus. Yesilbursa, The Bagdad Pact, Kap. 6 und 7. Der Bagdadpakt begann strategisch zu treiben, verlor immer mehr an Lebenskraft und wurde – analog zum Ende der SEATO nach dem Vietnamkrieg – nach der Revolution im Iran 1979 auch offiziell zu Grabe getragen. Lundestad, The United States and Western Europe, S. 151.

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Aufgaben wie die NATO. Es wurde eine Reihe von Fällen erarbeitet, um eventuellen Aggressionen des Warschauer Paktes bzw. der Sowjetunion begegnen zu können. Wie die Amerikaner mit wachsender Intensität betonten, sollte im Mittleren Osten genauso wie in Europa im Ernstfall eine Eskalation mit umfassendem Atomwaffeneinsatz verhindert werden: »raising the threshold of global war«78. Der begrenzte Krieg wurde in den US-Planungen für die CENTO fest verankert. Die Joint Chieffs of Staff gingen davon aus, dass die Sowjets im Ernstfall günstige Gelegenheiten rasch und effizient ausnützen würden, um vollendete Tatsachen zu schaffen. Von kleineren Geländegewinnen bis zum Großkrieg war alles möglich. »The initial phase of hostilities will be characterized by a quick offensive aimed at reaching limited objectives in one or more of the regional CENTO countries with maximum speed, using either conventional or para-military forces or both. The above-defined condition of limited war may at any time escalate into unlimited or global war situations79.« Dabei nahm man ein ähnliches Gefahrenrelief an, wie für die NATO: von »incursions« über den kombinierten Angriff an irgendeiner Stelle gegen die »Freie Welt« bis zum Einsatz von Atomwaffen. Die Gefahren für die Südostflanke der NATO wurden präzise definiert, vor allem die Möglichkeit einer Penetration der arabischen Welt nach Syrien und in den Irak hinein. Es ging nicht nur um den Druck von außen, sondern auch um die Ausnutzung von Problempotenzial in den CENTO-Staaten selbst, deren Stabilität latent immer bedroht war. Der Grundkatalog umfasste: »All means of propaganda and subversion will have been employed by the Communist Bloc to secure the support and assistance of potentially disaffected elements within the CENTO countries in order to prevent the CENTO government from acting decisively to meet a threat of limited war. The Communist Bloc will do all it can to enlarge the area of neutrality or sympathy for the aims of the aggressor forces. Moreover, some of the countries which receive Sovjet military and economic aid may be subjected to pressures to give active support to the aggressor forces80.«

Das Schwesterbündnis im unmittelbaren Vorfeld der NATO-Südostflanke bezog man in Washington auch in die globalen Kriegsszenarien mit ein, was belegt, dass die strategischen Sorgen der Amerikaner in Bezug auf die Golfregion nicht erst seit Ende der siebziger Jahre bestanden81. Zwei Verläufe standen auf der Agenda. In der regional eher begrenzten »contingency« rechneten die US-Militärs mit der Errichtung einer kommunistischen Herrschaftszone im Iran und dem Engagement der Sowjets, dem dann die USA zusammen mit der CENTO entgegentraten. In der ausdehnteren Variante ging der militärische Planungsapparat von weitreichenden Anstrengungen der Sowjets bis in den Golf aus, also der Besetzung von strategisch wichtigen Flugplätzen in den Golfstaaten auf der Basis eines Luftbrückenkopfes (»airhead«) in der Nähe von Teheran. Gleichzeitig 78 79 80 81

NARA (NACP), RG  218, Lemnitzers Files, Box  2, JCOS, CM-864-62, Memorandum for the Secretary of Defense, CENTO – Basic Assumptions for Limited War, 3.8.1962. Ebd., Enclosure (draft), Appendix, Basic Assumptions for War in the CENTO Region, S. 1. Ebd., S. 1 f. Zum Folgenden NARA (NACP), RG 218, Lemnitzers Files, Box 2, Memorandum for the Secretary of Defense, Study Group terms of Reference for Strategic Appraisal of Requirements for General Purpose Forces, 16.4.1962, mit Strategic Appraisal of Requirements for General Purpose Forces, 7.5.1962, »Regional Contingency Situations«, S. 1‑8.

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würde der Irak einen Angriff gegen Kuwait unternehmen und das Land besetzen. Die NATO wäre mit sich selbst beschäftigt, da deren Truppen unter »intense harassment by the USSR« stünden. Für Europa lagen zwei Fälle zugrunde. Man rechnete mit einem Angriff gegen Berlin und der Besetzung eines Faustpfandes in Norddeutschland (»the portion of West Germany north and east of the Elbe River as a ›hostage‹ to strengthen their position in negotiations with the Allies to settle the Berlin access situation«), die allerdings von der NATO durch einen Vorstoß in den Thüringer Wald gleichartig pariert würde (»seizing a portion of East Germany in the Thuringer Wald area«)82. Dieses Szenario ist insofern interessant, weil hier der immer wieder betonte reine Defensivauftrag der NATO durchbrochen wurde. Die ausführlichere Variante beinhaltete einen massiven Angriff und den Rückzug der NATO auf die Rheinlinie. Nach Verstärkung der eigenen Kräfte sollte zur Offensive übergegangen werden, um den Warschauer Pakt wieder über die Zonengrenze zurückzuwerfen. Interessanterweise postulierte man ein allgemeines Bestreben nach Konfliktbegrenzung: »Both NATO and the Sowjets seek to limit the area of conflict in Europe.« In den verschränkten Szenarien, die die Einzelfälle, vielleicht etwas mechanistisch, kombinierten, hatte die Region in Südostasien bezeichnenderweise Priorität (Fall A und Fall B). Die beiden übrigen »contingencies« kombinierten jeweils den Ernstfall in Europa mit dem im Mittleren Osten (Fall C) und mit dem in Südostasien (Fall D). Mit diesem Gesamtspektrum synchronisierte man anschließend die Planungen für die NATO und ihr militärisches Potenzial und instrumentalisierte die beiden seit der MC 14/2 entscheidenden Kategorien: »General War« und »Aggressions less than General War«. Die Allied Mobile Force erhielt darin ebenfalls ihren festen Ort. Im Rahmen der globalen Planungen unternahm man eine Art Generalrevision der NATO und der US-Kommandokette in Europa, vor allem der jeweiligen militärischen Instrumente. Man ging alle Major Subordinate Commands (MSC) durch und erstellte eine Bilanz der nuklearen Einsatzkomponenten inklusive der Trägermittel. In dieses strategischorganisatorische Gesamtrelief wurde auch die AMF eingeordnet, und zwar direkt unter das Hauptquartier von SACEUR als spezielle Einsatztruppe. In der Tat stellte die AMF einen der wenigen Verbände der NATO dar, der SACEUR direkt unterstand und erst im Einsatzfall unter den Befehl des jeweils zuständigen Territorialbefehlshabers innerhalb der Befehlshierarchie gestellt werden sollte. Die AMF begann zu diesem Zeitpunkt, also um 1961/62, ihren Nuklearstatus zu verlieren und stand dadurch in der strategischen Eskalationsstufung im unteren Bereich. Die einzelnen Gefahrenstufen und die Aufgabenstellung der AMF reflektierten quasi en miniature den ganzen Sinn und Zweck der NATO, insbesondere auch die Rolle der Bündnissolidarität vor dem Hintergrund der angenommenen Bestrebungen des Warschauer Paktes, die NATO zu destabilisieren83. Der Auftragskatalog umfasste: 82 83

Beide Zitate in: NARA (NACP), RG 218, Lemnitzers Files, Box 2, Memorandum for the Secretary of Defense, S. 5. Sehr deutlich in ebd., Box  1, JCOS, CM-340-61, Memorandum for General Taylor, Allied Command Europe (ACE) Mobile Forces, 24.8.1961, Attachment, S. 1. Die nukleare Komponente war in diesem Papier noch als Option enthalten. Die Formulierung lässt darauf schließen, dass

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Hier lässt sich folgendes Fazit ziehen: Die AMF stellte die äußerste militärische Speerspitze bei der konventionellen Abwehr möglicher Gefahrenmomente im Ernstfall dar, allerdings gebunden an eine Region (»theater«) – Europa – und ohne die Möglichkeit eines Einsatzes außerhalb des Bündnisgebietes85. Strategiegeschichtlich steht die AMF durch den Wechsel von der Massive Retaliation zur Flexible Response an einer Schnittstelle der Bündnishistorie. Sie hatte im Kriegsfall nach Versagen der Abschreckung bereits 1962 das zu leisten, was später dann »Direct Defense« genannt werden sollte. Umgekehrt hatte auch die Massive Retaliation praktisch gesehen nie einen sofortigen Atomwaffeneinsatz beim Auftreten sowjetischer Truppen in begrenzter Zahl beinhaltet. Die Atomwaffe sollte zu keiner Zeit den konventionellen Landkrieg vollkommen abschaffen86. Mit der Einordnung der AMF in das strategische Geflecht der NATO hatte es indes nicht sein Bewenden. Rasch wurde eine Ausdehnung der Perspektiven verlangt, sowohl stärkemäßig als auch geografisch87. Mit Blick auf die Definition der Aufgaben des Bagdadpaktes und die verschränkten globalen Kriegsszenarien bot es sich beispielsweise an, Kontakte zwischen NATO und CENTO zu knüpfen. Die Amerikaner hatten schon in den fünfziger Jahren für ein derartiges Vorgehen plädiert, etwa für eine Demonstration von Solidarität, ohne jedoch den Eindruck zu erwecken, als wolle man in die Belange der Schwesterbündnisse eingreifen88. Ein hervorragendes Instrument hätte wegen ihrer

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deren Abschaffung in mehr oder weniger direktem Zusammenhang mit dem Ende der Dienstzeit von Norstad als SACEUR stand. Ebd., Box 2, JCOS, Memorandum for Mr. McGeorge Bundy, Special Assistant to the President, Joint Chiefs of Staff Briefing NATO Nuclear Capabilities and Problem Areas, 20.9.1962, S. 4. Dies sollte nicht dazu verleiten, die Perspektive an den Bündnisgrenzen enden zu lassen. Wie im Folgenden noch zu berichten sein wird, gingen manche Einschätzungen weit darüber hinaus. Gerade die AMF muss letztlich auch in den globalen Rahmen eingeordnet werden. Siehe dazu Lemke, Strategische Mobilität im Kalten Krieg. David, The Doctrine of Massive Retaliation, S.  37  f. Hundertprozentige Sicherheit besteht in dieser Frage allerdings nicht. Vgl. dazu die deutliche Aussage von Maxwell Taylor in der direkten Auseinandersetzung beim Gespräch mit Norstad: »the US strategic concept and plans on the books call for the almost immediate use of nuclear weapons in the event on Soviet soldier crossed the Iron Curtain«. NARA (NACP), RG 59, Entry A1 5301 Bureau of European Affairs, Box 2, Memorandum of Conversation, General Taylor Visit: NATO Defense, 28.3.1962, S. 2. Zur Gesamtproblematik globale Perspektive und NATO im engeren Sinne bis zum Ende des Kalten Krieges, trotz etlicher neuerer Publikationen zur globalen Dimension des Kalten Krieges, immer noch am besten Sherwood, Allies in Crisis; und Stuart/Tow, The Limits of Alliance. Milloy, The North Atlantic Treaty Organization, S. 188.

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Flexibilität die AMF abgegeben. Im Zuge von Übungen und Planungen beispielsweise hätte man ›grenzüberschreitende‹ Verknüpfungen vornehmen können. In direkter Verbindung mit der beginnenden Flexibilisierung des Kriegsbildes ergingen dann auch Vorschläge zur ›Verflüssigung‹ der insbesondere von den Amerikanern als viel zu starr angesehenen Planungen und Strukturen. So konstatierte der Vorsitzende des Militärausschusses, der belgische General C.P. de Cumont, 1964 bei einer Besprechung im Pentagon, dass die NATO in Gefahr stehe, sich überflüssig zu machen89 – wegen der aktuellen Krise infolge der Erosion des Vertrauens vor dem Hintergrund der mangelnden konventionellen Schlagkraft, aber auch weil die NATO wegen des erzielten Stabilisierungseffektes in Mitteleuropa und des Sicherheitsgewinns ihren Zweck erfüllt habe. Hingegen bestünden für einzelne Mitglieder der Allianz große globale Probleme: wegen Kuba, Vietnam oder auch dem Kongo. Man sei im Interesse der Bündnissolidarität gut beraten, gegenseitige Hilfeleistungen vorzubereiten. »Actions are needed which will constitute at least tokens of solidarity [...] In military terminology, NATO’s center has been secured; it now needs to move globally to protect its flanks.« Dies hieß nichts anderes, als die Bündnispartner oder die NATO als Ganzes auf globale Kriegseinsätze vorzubereiten. Die amerikanische Seite, vertreten durch John T. McNaughton, einem der wichtigsten Berater McNamaras, bezweifelte, ob das durchsetzbar sei. Allein die französische Obstruktionspolitik werde alle entsprechenden Vorstöße zunichtemachen. Im State Department entstanden ähnliche Vorstellungen. Es wurde ein Konzept entwickelt, das die globale Perspektive ausgestaltete und die gesamte Kriegsplanung der NATO mit einbezog90. Das Papier behandelte alle zentralen Themenpunkte und stellt in dieser Hinsicht ein Kerndokument dar, vielleicht sogar die weitestgehende Vision zur Thematik. Ausgehend von der Beobachtung, dass infolge der nuklearen Aufrüstung ein plötzlicher Generalangriff des Warschauer Paktes eher unwahrscheinlich sei, sahen die Planer nunmehr die größten Gefahren an heiklen Punkten der Bündnisgrenzen, so an der Südflanke (»Bulgarian-Soviet adventures in the area of Thrace and the Turkish Straits«), der innerdeutschen Grenze oder in Form eines Vorstoßes nach Hamburg (»grab for Hamburg«)91, aber ebenso im globalen Rahmen. Es stellten sich drei Fragen: 1. Sollte sich die NATO nicht vermehrt auf anderen Kontinenten engagieren, um dortige Gefahrenherde zu beseitigen und dadurch gleichzeitig die eigenen Kohärenz stärken? 2. Wäre es nicht besser, eine kampfstarke Reserve zu bilden, um rasch an Brennpunkten eingreifen zu können? 3. Wie stellten sich vor diesem Hintergrund die Planungen für Krisen um Berlin dar92?

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NARA (NACP), RG  59, Entry  A1  5301, Bureau of European Affairs, Assistant Secretary of Defence (ISA), Memorandum of Conversation, Resolution of NATO Problems, 10.7.1964, S. 3 f. Ebd., Department of State, Policy Planning Council, James E. Goodby, Three Political-Military Problems, 27.8.1964, mit zwei Memoranda. Ebd., Memorandum 1, A NATO Strategic Reserve, S. 14 f. Eine abschließende Bewertung steht hier noch aus. Man könnte damit auch weniger eine konkrete Zielplanung verbinden als vielmehr einen Versuch der Amerikaner sehen, die Flexibiliserung der NATO und überhaupt der westlichen Verteidigung voranzutreiben. Ich danke in diesem Zusammenhang dem Hinweis von Dieter Krüger.

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Insbesondere die ersten beiden Punkte boten Stoff zur Vertiefung. In Bezug auf den globalen Einsatz war man sich eher unsicher, nicht zuletzt auch mit Blick auf die deutsche Rolle. Hier war unter anderem die deutsche Gewalt- und Expansionspolitik bis 1945 etwa im Mittleren Osten und in Afrika zu berücksichtigen. Als Lösung bot sich eine strikte, integrative Lösung an: Deutsche Kontingente sollten ausschließlich in NATOVerbände eingebunden sein, um den Eindruck zu vermeiden, die Deutschen würden wieder nach der Weltherrschaft greifen93. Aber auch andere Aspekte stellten sich als überaus heikel dar. So bestand kein Zweifel, dass die NATO eigentlich keine größeren Truppenverbände vom Mittelabschnitt abziehen konnte. Hier bot sich als Alternativlösung an, bei »peacekeeping operations« der UNO bzw. der zuständigen regionalen Organisation, beispielsweise der OAU im Falle des algerisch-marokkanischen Grenzstreits, mit Logistik, Technik und Transportmitteln zu Hilfe zu kommen. Sichereren Boden betrat man in der Frage einer strategischen Reserve für die NATO in Europa. Die NATO verfügte über eine solche Reserve nicht, was als »anomalous situation in the history of military affairs« betrachtet wurde94. Die starren Verteidigungspläne auf Basis des »Schichttortenprinzips« in Deutschland mussten aufgebrochen werden, um flexibles Agieren an den Brennpunkten zu ermöglichen. Als Vorbild diente die AMF. Diese war indes wegen ihrer begrenzten militärischen Ausstattung (2 x 3 Bataillone) kaum in der Lage, einem größeren Angriff zu widerstehen. Sie blieb vor allem Kommunikationsmittel, d.h. ein politisches Instrument zur Stärkung der Bündnissolidarität. Aber ihre Gestaltungs- und Einsatzprinzipien konnten für den Aufbau einer größeren strategischen Reserve Pate stehen. Man schlug also die Verwendung von drei  Divisionen vor: einer US-Division der 7. Armee (ggf. die 24. Division), einer deutschen Einheit, etwa die 10. deutsche Panzergrenadierdivision, und einer britischen Panzerdivision. Diese sollten nicht an einem zentralen Ort stationiert werden, sondern an ihren Standorten verbleiben, im Ernstfall aber abgezogen werden können. Wie bei der AMF würden sie unter dem Kommando von SACEUR stehen und rasch an Krisenherde verlegt. Allerdings ergaben sich auch dieselben Probleme: Waren die NATO-Kommandostrukturen, vor allem die höchsten Entscheidungsgremien, organisatorisch und politisch überhaupt in der Lage, die Truppe sinnvoll einzusetzen? Auf der anderen Seite bestand die Gefahr, dass man im Interesse schneller Reaktionsfähigkeit eine rigide militärische Lösung fand, die eine einzige Stelle mit der Leitung betraute und dadurch ein »imperium in imperio« schuf95. Wie konnte man die Anforderungen an Logistik und Lufttransport erfüllen? Wie war die Truppe zu finanzieren? Zudem war man sich, vergleichbar der Kritik McNamaras an

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»The connotations with a German national overseas expeditionary force are unhappy; would an integrated European or Atlantic force avoid these difficulties?« NARA (NACP), RG  59, Entry A1 5301, Bureau of European Affairs, Department of State, Policy Planning Council, James E. Goodby, Three Political-Military Problems, 27.8.1964, S. 2. Ebd., Memorandum 1, A NATO Strategic Reserve, S. 3. Ebd., S.  18. Die Folgen wären ggf. verheerend gewesen: »it would be devastating for NATO harmony and unity to propose that an ›inner circle‹ exercise control over a sizeable portion of the forces committed to NATO«.

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der AMF96, klar darüber, dass durch einen Abzug von drei Divisionen eine Schwächung der Verteidigungsfähigkeit am Mittelabschnitt erfolgen würde, was dort wiederum die Sowjets zu Abenteuern verleiten konnte. Und Reservenbildung konnte als »facade for force reductions«97 dienen, auch dessen war man sich bewusst. Damit verbunden war die Befürchtung, dass das ganze Kriegsbild doch wieder auf die Reduktion der konventionellen Kräfte als Stolperdraht für den Atomwaffeneinsatz hinauslief98 – ebenso ein Thema, das die NATO bis zum Ende des Kalten Krieges begleitete. Als Antwort bot sich die komplette Neuaufstellung von zusätzlichen Divisionen an; eine Option, die, da herrschte Einigkeit, in Europa nicht gerade Begeisterung auslösen würde. Die Herausforderungen der Flexible Response bis zum Ende des Kalten Krieges waren in einem Fragenkatalog zusammengefasst worden. Er behandelte vor allem das Problem, wie man die begrenzten Bündniskräfte effizienter und flexibler aufstellen konnte, um einen begrenzten Krieg führbar zu machen. Die Flexibilität endete für die Amerikaner nicht an den Bündnisgrenzen, sondern sie hatte manifeste globale Dimensionen. »Contingency Planning«, Live Oak, die AMF, die vorgeschlagene strategische Reserve und die globale Dimension sollten strategisch verbundene Eckpfeiler in einem umfassenden Gesamtkonzept darstellen. Davon wurde jedoch nur ein Teil wirklich in Angriff genommen. Auch von europäischer Seite gab es Vorschläge. Der italienische General Raffaele Cadorna etwa forderte 1965 im Rahmen eines Berichts für die WEU, die AMF von sechs Bataillonen auf eine Division aufzustocken, sie für Out-of-area-Einsätze außerhalb des NATO-Bündnisgebietes auszustatten und dann ggf. unter der Leitung der UNO einzusetzen99. Die Idee stammte nach Aussage von Cadorna vom amerikanischen Botschafter bei der NATO, die dieser im American Club in Berlin ventiliert hatte. Dahinter standen wohl Hoffnungen der Amerikaner auf Unterstützung seitens der Europäer in Vietnam. Cadorna befürwortete den Vorschlag nicht nur, sondern propagierte die AMF als ein Mittel zur Lösung der allgemeinen Bündniskrise: »the moral importance of this force had increased as a result of the NATO crisis.« Strategischer Zweck und politischer Sinn bedingten sich in dieser Perspektive und machten die AMF zu einem sinnfälligen Bindeglied. Sie konnte im Ernstfall den geeinten Willen des Bündnisses durch eine markante Präsenz an weltweit besonders exponierten Punkten zum Ausdruck bringen. Gleichzeitig diente sie als Fokus für die Solidarität, da alle Mitglieder sich an ihr beteiligten. Cadorna hatte damit auf höchster Ebene wesentliche und heikle Punkte angesprochen. In der parlamentarischen Versammlung der WEU erhob sich rasch Widerspruch, der zu einer kurzen, aber recht scharfen Debatte führte100. 96 97 98

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Siehe dazu S. 80 und S. 216. NARA (NACP), RG 218 Wheelers Files, Box 96, »Reflections on NATO 1961‑69«, o.D., S. 13. NARA (NACP), RG  59, Entry  A1  5301, Bureau of European Affairs, Department of State, Policy Planning Council, James E. Goodby, Three Political-Military Problems, 27.8.1964, Memorandum 1, A NATO Strategic Reserve, S. 12. SHAPE-Archiv, A/WEU (11) CR 11, WEU Assembly, 11.  Ordentliche Sitzung, 17.11.1965, A/P 3283, S. 8 f. Zum Folgenden vgl. grundsätzlich und wo nicht anders belegt ebd., S. 8 f., 17 f., 21 f., 32 f., 35‑ 44. Die folgenden Zitate ebenfalls von dort. Der Bericht Cadornas zusammen mit der Entscheidung der parlamentarischen Versammlung in: SHAPE-Archiv, Assembly of WEU, Dok. 355, 11. ordinary session, The mobile force of Allied Command Europe, Report submitted on behalf of the

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Die einzelnen Wortmeldungen entwickelten sich in fast schon typischer Manier und spiegelten nicht nur den Stellenwert der AMF, sondern auch die grundsätzlichen strategischen Perspektiven sowie grundlegende Fragen für den Zusammenhalt des Bündnisses wider. Die Briten, die den strategischen Sinn der AMF innerhalb der Bündnisgrenzen stets am stärksten betonten, lehnten den Vorschlag in dieser Form ab und bezeichneten ihn als schädlich für die NATO, da das Bündnis sich in den Krisengebieten der Welt nicht auskenne und außerdem Gefahr laufe, von der UNO kritisiert zu werden. Zugleich würde man gefährliches moralisches und psychologisches Terrain betreten, was der Allianz zum Schaden gereichen konnte. »The principle here is that NATO should have a mobile force to operate outside NATO. This might involve intervention in Aden, Vietnam, South Arabia, Latin America, Central America and the Caribbean, and it would create a welter of political controversy right across Europe.« Dahinter stand die Tatsache, dass die Briten sich gerade auf dem Rückzug aus ihren Kolonialgebieten befanden und offensichtlich kein Interesse hatten, sich wieder in die entgegengesetzte Richtung zu bewegen. Gegen die grundsätzliche Bestätigung der Truppe und eine Aufstockung hatte man aber nichts einzuwenden. Cadorna musste zugeben, dass der WEU-Verteidigungsausschuss, dem er in dieser Frage vorgetragen hatte, den Vorschlag nicht gutgeheißen hatte und auch der NATOGeneralsekretär Manlio Giovanni Brosio erhebliche Vorbehalte hegte. Die französischen Abgeordneten, deren Militärs teilweise zustimmten, nutzten die Debatte, um die kritischen Generalpunkte, allen voran das strategische und politische Verhältnis zu den USA, aus ihrer Sicht erneut zu thematisieren. Die deutsche Seite, vertreten durch die Bundestagsabgeordneten Georg Kliesing, gleichzeitig Vorsitzender des WEU-Verteidigungsausschusses, und Fritz Erler, argumentierten auf der Basis des für die Bundesrepublik essenziellen Schutzbedürfnisses, d.h. des Zusammenhaltes der NATO, und vor dem Hintergrund der Berlin-Problematik. Die Forderung der Briten, die Passagen für einen globalen Einsatz zu streichen, lehnten Kliesing und Erler mit der Begründung ab, dass für einen globalen Auftrag der Nordatlantikvertrag abgeändert werden müsse. Da derlei aber nicht wirklich zu erwarten sei, könne man den Vorschlag Cadornas pro forma so stehen lassen. Der Bericht wäre dann allerdings komplett zur Makulatur geworden. Dies kommentierte Londons Vertreter mit einem Vergleich mit der Rede Marc Antons bei der Beerdigung von Caesar, die weniger des Kaisers Lob als vielmehr dessen Verabschiedung ins Dunkle der Geschichte gedient habe. Letztlich standen die Briten selbst zu einer Zeit, in der sie sich weitgehend von ihrem Empire verabschiedeten, immer noch im Zweifel über ihre grundsätzliche Perspektive. Cadornas Vorschlag wurde abgelehnt. Lediglich die Aufstockung auf eine Division wurde formal befürwortet. Innerhalb der NATO hatte man die Debatte interessiert verfolgt, sah jedoch keinen Anlass für weitere Kommentare101. Man hatte genug damit zu tun, die Finanzierung der AMF-Übungen sicherzustellen.

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Committee on Defence Questions and Armaments by General Cadorna, Rapporteur, 25.10.1965. Franz. Version in: ebd., Exposé des Notifs, présenté par le Général Cadorna, 13.10.1965. SHAPE-Archiv, E&F/FPD/G/B/65/87, ACE Mobile Force – WEU 11th Assembly Session, 19.11.1965 und ebd., E&F/FPD/G/B/65/60, ACE Mobile Force – WEU Draft Report by General Cadorna, 22.9.1965, S. 2.

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Detailliertere Vorschläge und Planungen für ein wie auch immer geartetes umfassendes globales Konzept hatten sich damit erst einmal erledigt. Die Amerikaner behalfen sich einstweilen mit der Erkenntnis, dass die Bündnispartner auf jeden Fall in globalen Fragen konsultiert werden mussten, insbesondere wenn der Ost-West-Konflikt eine Rolle spielte102. Ein aktives Engagement einer mit Europäern besetzten NATO-Truppe in anderen Weltgegenden kam weiterhin nicht in Betracht. Es wäre für die Bündniskohärenz kontraproduktiv gewesen, jetzt weiter Druck auszuüben. So musste man die Sache anders regeln: in Form der Einbeziehung der Partner mittels Information und dadurch Stärkung der Solidarität103. Ähnlich wie im Falle der »Silence Procedure« hatte man sich auf die Regel zu stützen: Mehrwert durch Inaktivität und Bauen auf die »alliance in being«. Das hieß jedoch nicht, dass man damit unzufrieden war. »But I trust that NATO members will bear in mind that consultation is not a substitute for action104.« Dieser Satz besaß für die Amerikaner große Bedeutung. Er gilt mutatis mutandis heute noch. Die Debatte hatte insgesamt gezeigt, wie sehr innerhalb der Gremien um Inhalte und Manifestationen der Bündnissolidarität gerungen wurde. Der ehemalige Kolonialbzw. Commonwealthminister Duncan Sandys sprach quasi als Abschluss der Debatte grundlegende Worte aus, denen gerade in Bezug auf die Situation nach 1990 auch für Deutschland prophetischer Stellenwert zukommt: »at this moment, when the treaty is being called in question this is not the time for us to recommend any revision of the basic treaty upon which NATO is founded. I believe that, sooner or later, it will be necessary for NATO and Europe to take a wider world view.« Die Situation der NATO Mitte der sechziger Jahre unterschied sich nicht wesentlich von der vorangegangenen Dekade, was die globale Frage anging. Bereits in den Fünfzigern hatte es Vorschläge gegeben, dass die NATO sich auch global, so im Mittleren Osten, engagieren solle. Derlei hatten aber die Amerikaner trotz ihrer Forderungen nach Beteiligung einzelner Mitglieder in Vietnam abgelehnt. Dahinter standen nicht nur die sensiblen, teils sogar gefährlichen Verhältnisse in den entsprechenden Regionen und die Rücksichtnahme auf die anderen regionalen Bündnisse und deren Empfindlichkeiten, sondern vor allem das Bestreben Washingtons und Londons, die NATO nicht zu einem supranationalen Bündnis heranwachsen zu lassen, das eine Außenpolitik auf Kosten der eigenen Handlungsfreiheit betrieb. Entsprechende Themen wie der Mittlere Osten oder Algerien waren daher normalerweise nicht auf die Agenda gekommen105. Offensichtlich war man sich über das Maß und die Intensität eines möglichen Engagements der NATO im globalen Zusammenhang nicht immer im Klaren.

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NARA (NACP), RG 59 Entry A1 5301 Bureau of European Affairs, Department of State, Box 2, President’s Panel of Foreign Affairs Consultants, Subject: State of the NATO Alliance, 8.7.1965, S. 2. Deutlich auch in NATO-Archiv, CD CZ-1968, C-R(68)61, Summary record of a meeting of the Council held at the NATO Headquarters, 15.11.1968 (9.12.1968), S. 8. NARA (NACP), RG 59 Entry A1 5301 Bureau of European Affairs, Department of State, Box 2, NATO Ministerial Meeting, Ottawa, 22.‑24.5.1963, Portion of Secrectary’s Review of Political Problems, 20.5.1963, S. 5. Milloy, The North Atlantic Treaty Organization, S. 178‑190.

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»Flexibility« vs. »Ambiguity«? Der Kampf um die Auslegung der neuen Strategie Parallel zur Diskussion um die globale Perspektive kam es zu einer grundlegenden Auseinandersetzung im amerikanischen Regierungsapparat, die einsetzte, noch bevor die Flexible Response offiziell als Strategie im Bündnis verankert wurde. Im Zentrum standen dabei die zivile Außenpolitik und das Militär. Die Europa-Abteilung des State Department hatte in der ersten Hälfte der sechziger Jahre im Zuge des Strategiewechsels eine Bestandsaufnahme vorgenommen und war dabei zu eher ernüchternden Ergebnissen gelangt. Die Planer hatten eine recht klarsichtige Beurteilung der Lage gerade auch in Bezug auf das Kriegsbild vorgenommen. Aus ihrer Sicht hatten die Militärs im Gegensatz zu den Forderungen der neuen Strategie offensichtlich sehr geringes Vertrauen in die konventionelle Verteidigungsfähigkeit der Allianz. »The US military, or at least large segments of it, do not believe that a conventional defense is feasible. Even less so do European military men believe in such a defence. Given existing intelligence estimates of Soviet capabilities it is unlikely that the military are likely to chance their judgment106.« Dies wiederum bedeutete, dass bei einem sowjetischen Angriff rasch Territorium in Deutschland verlorengegangen wäre und man vielleicht mit einer Verteidigung an der Rheinlinie planen oder gar rasch Atomwaffen einsetzen musste. Ersteres war für die Deutschen vollkommen inakzeptabel, daher setzten sie weiterhin auf die atomare Abschreckung. Es stand auch nicht zu erwarten, dass die Europäer nach den Verheerungen des Zweiten Weltkriegs mit allein 46  Millionen Verlusten an Toten, Vermissten und Verwundeten große Lust verspürten, einen neuen konventionellen Großkrieg zu erdulden. Vor diesem Hintergrund hatte auch die Vorstellung über die Folgen eines Atomkrieges offensichtlich nicht die entsprechende Wirkung erzielt: »Under these circumstances the horrors of a nuclear war have not yet permeated their [the Europeans’] thinking. As the Soviet ability to strike a nuclear blow at the heart of America grows the Europeans become more and more suspicious of US willingness to use its nuclears in support of European interests. They do not believe US and European interests and objectives are absolutely indivisible and they do not wish to be the ›cannon fodder‹ in a European based conventional war while America escapes relatively unscathed107.«

Diese konzisen Sätze brachten das strategische Dilemma auf den Punkt. Im Bemühen um eine Lösung entwickelte sich 1963/64 anhand eines Strategiepapiers der JCOS eine Diskusion zwischen State Department und Department of Defence108. Das State Department kritisierte den Ansatz des Pentagon. Es ging unter anderem um die Interpretation der Politischen Direktive der NATO aus dem Jahre 1956, die zwei Fälle vorgesehen hatte: 1. »infiltrations, incursions or hostile local actions«, und 2. »aggression

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NARA (NACP), RG  59, Entry  A1  5301 Bureau of European Affairs, Box  2, DRAFT/Weiss/ v1, The Strategic Confrontation in NATO Over US Views on Conventional Strategy: Summary, 30.1.1963, S. 1 f. Ebd., S. 2. Dazu auch Trauschweizer, The Cold War US Army, S. 114 und S. 140‑144.

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of a more extensive (general) type requiring an initial nuclear response«109. Den Planern110 war sehr wohl bewusst, dass für das Kriegsbild keine starren Voraussagen getroffen oder gar Handlungsanweisungen gegeben werden konnten. Alles würde von der jeweiligen Situation im Ernstfall abhängen. Auch die Athener Richtlinien von 1962 brachten keine eindeutige Klärung. Dennoch hoffte man, angesichts der zahlreichen »contingencies« auf breiter Basis Sicherungen vor einer nuklearen Eskalation einbauen zu können. Raum für einen gewissen Optimismus gab die Tatsache, dass die Konfrontationen um Berlin und Kuba letztlich beigelegt werden konnten und nunmehr mit den Live-OakPlanungen ein Instrument für das Krisenmanagement in Deutschland im Entstehen war111. Entscheidend aus dieser Perspektive aber war, dass man eine nachhaltige Stärkung der eigenen konventionellen Abwehrfähigkeiten erreichte, um eine größere strategische Dispositionsmasse und damit auch mehr Handlungsfreiheit zu bekommen112. Im Zentrum stand die Frage, ob und wann im Ernstfall Atomwaffen einzusetzen waren. Das State Department hatte festgestellt, dass die eigenen Militärs trotz des sich abzeichnenden Strategiewechsels und trotz der Tatsache, dass einer der prominentesten Befürworter der neuen Strategie, Maxwell Taylor, nunmehr Vorsitzender der JCOS war, erschreckend wenig Optionen für den Ernstfall entwickelt hatten. Im Grunde gab es nur den »deliberate Soviet attack« – entweder »limited« oder »major«113, wohl analog zu den in NATO-Papieren definierten »Aggression less than General War« und »General War«. In einer für das State Department viel zu starren und mechanischen Art und Weise gingen die Militärs davon aus, dass man im Ernstfall die Kräfte in Europa mobilisieren würde und lediglich ›abwartete‹, bis die konventionellen Kräfte erschöpft waren, um dann die Nuklearwaffen einzusetzen114. Derlei Starrheit öffnete strategischer Gespaltenheit (»ambiguity«) Tür und Tor und konnte zu Fehlentscheidungen führen. Daher bestand eine der Forderungen des State Department in der Ausarbeitung eines umfangreichen und ausdifferenzierten Katalogs an Maßnahmen, die eine Eskalation abwenden konnten. In diesem Gerüst fand später auch die AMF ihren Platz. Die Kontroverse sollte im Ergebnis deutlich die unterschiedlichen Positionen in Bezug auf die Truppe präformieren: Für das State Department bildete sie ein unerlässliches Element im Portefeuille der kriegsverhindernden Maßnahmen; für die Militärs blieb sie ein untergeordneter, wenn auch prominenter und öffentlichkeitswirksamer Faktor. 109

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NARA (NACP), RG 59, Entry A1 5301 Bureau of European Affairs, Box 1, Minute of Interpretation of the Political Directive, 16.11.1962, S. 1. Die Direktive selbst lautete »Directive to the NATO Authorities from the North Atlantic Council« (C-M(56)138) und wurde bereits veröffentlicht. Siehe NATO Strategy Documents . Im State Department handelte es sich dabei um die Europa-Abteilung sowie das Policy Planning Council, das dem Außenminister als Beratungsgremium direkt unterstand. Im Pentagon vertrat vor allem der Assistant Secretary of Defense die Position des Verteidigungsministeriums. NARA (NACP), RG 59, Entry A1 5301 Bureau of European Affairs, Box 1, Minute of Interpretation of the Political Directive, 16.11.1962, S. 4. Ebd., S. 5. Diese Einschätzung war korrekt. Vgl. NARA (NACP), RG 218 Taylors Files, Box 2, JCOS, CM1198-64, NATO Force Planning, 17.2.1964, Annex »Outlines of Alternative NATO Strategic Concepts and Force Postures«, S. 1. NARA (NACP), RG 59, Entry A1 5301 Bureau of European Affairs, Box 1, Comparative Analysis of Defense and State Papers on Strategies for NATO, o.D. (verm. 1964).

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Das State Department bemühte sich, den Handlungsspielraum für ein Krisenmanagement zu erhöhen und unterstützte damit zumindest indirekt die Entstehung der Flexible Response. Daher verlangte man eine massive Aufstockung der konventionellen Verteidigung gerade in Europa. Je mehr Truppen man besaß, über desto mehr Optionen verfügte man. Das Ziel wurde klar definiert: Die politische Führung musste in einer Krise zu jeder Zeit maximale Handlungsfreiheit (»maximum freedom of choice [...] for the top leadership«)115 besitzen, um souverän reagieren und vor allem auch Erpressungsversuchen begegnen zu können, die leicht in eine Eskalation münden konnten. Es sollte alles unternommen werden, um kontrollierte Deeskalationsmaßnahmen in Gang zu setzen und damit jede Chance auf Kriegsverhinderung zu nutzen. Den Planern schwebte ein ganzes Instrumentarium von Maßnahmen vor, um eine gefährliche Destabilisierung zu verhindern. Wichtig war nun, eine Krise nicht, wie noch im Falle der Massive Retaliation, vornehmlich unter dem Gesichtspunkt technisch-organisatorischer Mobilisierung der militärischen Mittel, sprich der Atomwaffen und ihrer Trägermittel, zu betrachten, sondern psychologisch zu agieren und zumindest zunächst auf Kommunikation statt auf ›Hardware‹ zu setzen. Alle Handlungen sollten gewissermaßen orchestriert werden, um den Gegner zu beeinflussen und zu Kursänderungen zu bewegen.

»Prior to outbreak of hostilities, NATO will try to secure its interests by influencing the opponents’ decisions. Selected and carefully coordinated political, economic and military measures will be employed to present the Soviets with a strong motive and clear opportunity for reducing tension, backing off from conflict and even avoiding possible provocation (e.g., in use for force in Eastern Europe). All reasonable non-combatant possibilities should be exploited before hostilities begin. Military preparations involving rapid mobility and visible reinforcement may be particularly suitable116.«

Dazu erstellte man einen Katalog an möglichen Krisen- und Problempunkten (»elements of instability«): »Berlin, the forced division of Germany, the relative weakness of the NATO flanks, the possibility for ›overspill‹ into the NATO area of conflicts originating elsewhere in the world, the continued imposition of Soviet control over Eastern European nations, and the apparent evolution in Soviet society itself, are all examples of areas of potential instability which could give rise to military actions117.« Die AMF war Teil des unteren Krisenszenarios und stellte eines der wichtigsten Kommunikationsmittel zur Beeinflussung der Gegenseite dar. Man nahm drei Konfliktebenen an: »Tension Short of Armed Conflict«, »Unpremeditated Conflict« und »Deliberate Attack«. Den letzteren Fall sah man wegen des bestehenden Atompotenzials als weitgehend unwahrscheinlich an, da der Warschauer Pakt kaum Interesse habe, seine Existenz durch offen aggressive und gewalttätige Methoden aufs Spiel zu setzen. Bei einem Überraschungsangriff, 115

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Ebd., S. 4. Vgl. dazu ebd., Department of State, Deputy Undersecretary, Strategy Paper, 28.1.1964, mit Annex »A US Approach to a Statement of NATO Strategy«, S.  10: »Powerful, forwarddeployed conventional forces, of such size and flexibility that any enemy non-nuclear attack can be countered initially without NATO use of nuclear weapons, and either defeated or held until a political decision is made to (a) initiate use of nuclear weapons or (b) rely upon the West’s superior rescource capacity to be mobilized and brought to bear.« Ebd., Revised Draft (2.3.1964), S. 8. Vgl. auch ebd., US Policies for NATO Defense, 27.1.1964, S. 4. Ebd., Strategy Paper, 28.1.1964, mit Annex »A US Approach to a Statement of NATO Strategy«, S. 1.

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gewissermaßen aus dem Stand oder als Folge eines Missverständnisses, hätte für einen Einsatz der AMF wohl auch zu wenig Zeit zur Verfügung gestanden. Die beiden ersten Fälle standen daher im Fokus, und hier sollte die AMF am Ende auch ihren Platz finden: »NATO actions will seek to show unmistakable determination to protect vital Alliance interests, confronting the aggressors with a political posture and a military situation designed to convince them that the risks, costs and probable losses involved would be unacceptable118.« Die Militärs zeigten für die großangelegten Pläne für ein Krisenmanagement nur begrenztes Verständnis und verwiesen darauf, dass der Nordatlantikrat noch gar nicht über die organisatorischen Ressourcen, insbesondere nicht über Führungsinstrumente verfügte, um die politischen und militärischen Mittel der NATO zu lenken119. Gemäß State Department war ein Vorgehen vonnöten, das auch feine Facetten der Reaktion berücksichtigte, also etwa symbolische Gesten wie eine diplomatische oder begrenzte Machtdemonstration. Alles in allem bezweifelten die Militärs den Realitätsgehalt von derlei Vorstellungen. Was das State Department unter »Flexibilität« verstand, galt dem Pentagon als verkrampfter Versuch, eine Situation mit Mitteln unter Kontrolle zu halten, die angesichts der militärischen Gewaltpotenziale realitätsfern war. Damit gaben die JCOS den Vorwurf der »ambiguity« an das State Department zurück. Dies bezog sich sowohl auf den Einsatz konventioneller wie nuklearer Waffen: »appears to be marked by ambiguity and contradictions [...] With regard to the statement on conventional capability its scope and size are left unanswered [...] It would have been more definitive and acceptable if State had specified that nuclear weapons would be used in accordance with approved plans appropriate to the situation, rather than to suggest, in an ambigious manner, that nuclear weapons would be used ›– at a time and in a manner decided by governments, which will exercise continuous control to the maximum extent feasible‹120.« Anstatt dem Aggressor klare Signale zu geben, würde man sich in zweideutigen Manövern verlieren, die das Gegenteil dessen bewirkten, was man erreichen wolle: Abschreckung. Die JCOS negierten dabei keineswegs die Notwendigkeit, eine politische Lösung zu finden und Signale zu senden, um die Sowjetunion abzuschrecken und ggf. so lange wie möglich und nötig mit konventionellen Kräften zu kämpfen. Einig war man sich auch, dass der genaue Zeitpunkt für den Atomwaffeneinsatz gar nicht im Vorhinein festgelegt werden könne. Im Übrigen unterstrichen die JCOS, dass der Schwerpunkt ihrer Papiere auf der militärischen Planung liege121. Insgesamt ähnelte zumindest ihr generelles Krisenszenario dem des State Department. Man zitierte den Inhalt der Politischen Direktive von 1957, Teil  I: »possibilities of Soviet launching of general nuclear war; possibilities of Soviet action through use of conventional arms, entailing risk of general nuclear war; general attacks against NATO; local attacks against NATO; attacks against peripheral non-NATO countries; insurrection and guerrilla warfare; indirect intervention outside the NATO 118 119 120 121

Ebd., S. 7. NARA (NACP), RG 218 Taylors Files, Box 2, JCOS, CM-1324-64, Military Strategy for NATO, 16.4.1964, Annex A, Draft, Memorandum for the Secretary of State, S. 6. Ebd., S. 12 f. und S. 15. NARA (NACP), RG 218 Taylors Files, Box 2, JCOS, CM-1324-64, Military Strategy for NATO, 16.4.1964, Annex A, Draft, Memorandum for the Secretary of State, S. 11. Das folgende Zitat ebd.

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area; and Soviet intervention in satellites.« Umfassender hätte das Spektrum kaum sein können: Es reichte von Minimalaktionen bis zum globalen Krieg. Doch es wurde deutlich, dass die Militärs nicht viel von einem feinen, bis in die letzten Details ausgearbeiteten Instrumentarium hielten. Für sie waren zwei Elemente entscheidend: der massive konventionelle Aufbau und, wenn nötig, Kampf und dann die Entscheidung über den Einsatz von Nuklearwaffen, die vom Präsidenten zu fällen war, aber gleichzeitig eine Vorermächtigung für einzelne Kommandeure (»predelegation«) beinhalten sollte. Letztlich setzten die Militärs doch erheblich stärker auf die ›Hardware‹ – gerade das, was das State Department eigentlich vemeiden wollte. Die AMF rangierte daher nicht sonderlich hoch im Kurs des Pentagon. Dies brachte auch McNamara zum Ausdruck, als er 1964 anmerkte, dass die 2  x  3  Bataillone im Ernstfall eigentlich nichts brächten und nur die Front am Mittelabschnitt, von wo die Einheiten abgezogen würden, unnötig schwächten122. Wie die Befürworter in der WEU forderte er eine Aufstockung, wenn ein ernsthaftes Abschreckungsinstrument aufgebaut werden sollte. Der Logik dieser Argumentation dürften die Militärs voll und ganz zugestimmt haben. Weniger klar war, wie und auf wessen Kosten derlei hätte bewerkstelligt werden sollen. Die Debatte drehte sich im Wesentlichen immer wieder um dasselbe Geflecht militärischer, politischer, wirtschaftlich-sozialer und psychologischer Faktoren123. Die Amerikaner forderten gemäß ihren neuen strategischen Perspektiven immer vehementer die Aufstockung der konventionellen Schlagkraft der Europäer. Sie begründeten dies damit, dass die Europäer sich nunmehr von den Folgen des Zweiten Weltkriegs erholt hätten, was diese jedoch verneinten: Die Europäer verwiesen vielmehr auf die fortgesetzten sozialen und wirtschaftlichen Probleme, die eine massive Aufrüstung nicht zuließen, wenn man einen Staatsbankrott vermeiden wolle. Daraus ergab sich ein Kriegsbild, das nicht nur die Militärstrategen am Planungstisch bestimmten, sondern von handfesten wirtschaftlichen und politischen Interessen geprägt war. Die Amerikaner betonten immer wieder, dass die NATO dem Warschauer Pakt keineswegs unterlegen sei, sondern aktuell über mehr Truppen und Waffensysteme verfüge. Das Problem sei aber, dass man die konventionelle Rüstung vernachlässigt habe und daher das eigene Potenzial nicht wirksam nutzen könne. Das Pentagon fasste die entscheidenden Punkte konzise zusammen:

»The build-up of non-nuclear forces remains a matter of fundamental concern and should not be permitted to lag. Not only do the members of the Alliance undoubtedly have the resources to provide the needed forces while maintaining forward movement in desired socio-economic programs, but the forces in being go far toward providing the strength we believe necessary. As Secretary McNamara observed in December, NATO has more troops, more aircraft, and more ships. In any of these categories it has a much better quality of forces [...] But there are grave shortages. For example, it is absurd for the European members of NATO to have only enough

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NARA (NACP), RG 59 Entry A1 5301 Bureau of European Affairs, Department of State, Box 2, Memorandum of Conversation, Tyler – Bundy Conference on NATO Matters, 9.1.1964, S. 4 f. Vgl. Auch SHAPE-Archiv, Working Group of Allied Command Europe Mobile Force, Sitzung vom 6.6.1962, mit Begleitmaterial. Zu den Grundlagen dieser Verhaltensweisen vgl., wo nicht anders angegeben, die Ausführungen in den entsprechenden Abschnitten in Kap. II.2. und III.1.d.

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conventional bombs for a few sorties (while we have 10 times as much in Europe). This is the sort of thing that would put us in an impossible position in a crisis. The fundamental question is not a massive build-up of forces, it is not to plan to fight World War II over again, but it is to do what is prudent and feasible. This is a matter of will, and this depends in turn on understanding of the need for the forces and of the ability of the members of NATO to provide them together with appropriate logistical support. A multi-prong approach appears necessary. Perhaps most basic is the development of an appreciation of the danger inherent in Soviet assessment of the probable risks involved in various moves, given the nature and consequences of nuclear war and the fact that the Soviet Union currently not only has a major nuclear capability but also, despite our greater numbers, a preponderance of effective conventional force. To deter war, it is not enough to deter a would-be aggressor force from launching a deliberate, full-scale attack. NATO military strength and posture must also be able to meet crises with some confidence. The first thing we have to do is to dispel the myth of Soviet conventional superiority124.«

Die Europäer wiederum bestritten, dass man einen ausgedehnten konventionellen Krieg führen könne, da dieser entweder rasch verlorengehe oder nach einiger Zeit zu umfassenden Zerstörungen führen werde. Bereits Norstad hatte als SACEUR diese Position nachhaltig unterstützt und versucht, einen Brückenschlag zwischen den unterschiedlichen Position vorzunehmen, indem er für den Ernstfall eine »Pause« zur Vermeidung einer Eskalation vorgeschlagen und im Übrigen bestritten hatte, dass es zwischen dem alten NATO-Konzept und der neuen US-Position einen Unterschied gab. Maxwell Taylor hatte dem deutlich widersprochen125. Norstads Tage als NATO-Oberbefehlshaber gehörten zum Zeitpunkt der neuerlichen Debatte aber bereits der Vergangenheit an. In der Folge entwickelten die Europäer eine eigene strategische Logik. Die deutsche Seite, die gerade ihr großangelegtes Aufstellungsprogramm zu Ende führte, mutmaßte durchaus nicht zu Unrecht, dass eine noch stärkere konventionelle Aufrüstung genau zu dem führe, was man eigentlich vermeiden wollte: zur Aufweichung der nuklearen Garantie durch die USA126. Man hätte mit dem Einsatz noch größerer finanzieller Mittel, die man nur ungern aufbrachte, die Führung eines längeren konventionellen Krieges ermöglicht, der das Risiko erhöht hätte, dass Europa zerstört worden wäre, während die USA, von Schäden kaum betroffen, vielleicht ein Sonderabkommen mit der Sowjetunion abgeschlossen hätte. Der Krieg wäre auf dem Rücken eines erneut zerstörten Europa beendet worden. Nur ein früher Atomwaffeneinsatz garantierte, dass auch die USA zur Gänze einbezogen wurden127. Hierin unterstützten die Briten, die infolge 124

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NARA (NACP), RG 59 Entry A1 5301 Bureau of European Affairs, Department of State, Box 2, Memorandum, Col. E.A. Bailey, European Region, OASD (ISA), Visit of Secretary General Stikker, 4.‑6.3.1963, 2.3.1963, S. 1 f. Es kam daraufhin zu einer heftigen Auseinandersetzung, in der Norstad offenbar auch laut wurde (»objected violently«), NARA (NACP), RG 59, Entry A1 5301 Bureau of European Affairs, Box 2, Memorandum of Conversation, General Taylor Visit: NATO Defense, 28.3.1962, Zitat aus handschr. Bemerkung, S. 2. Bereits im Rahmen der Krise um die ČSSR im Jahre 1968: NARA (NACP), Nixon Presidential Library, NATO after CSSR Crisis, Special Report/NATO after Czechsolovakia, C. Baumann, o.D., S. 1. NARA (NACP), RG 59 Entry A1 5301 Bureau of European Affairs, Department of State, Box 2, Stikker Visit: October 2‑4 [1964], S. 4; und ebd., EUR:RA:RHKranich:ta, 3.12.1962, Revision of Political Directive and Strategic Concept.

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ihrer traditionellen Effizenz- und Wirtschaftlichkeitserwägungen ohnehin die aus ihrer Sicht vergleichsweise teuren konventionellen Truppen durch Atomwaffen bzw. die konventionellen Kräfte anderer Partner ersetzen wollten128, und die Franzosen die deutsche Position. Natürlich wünschte niemand die vorsätzliche Einbeziehung der Amerikaner in den nuklearen Holocaust. Man hoffte, dass es im Ernstfall rasch zu einer Deeskalation komme, und legte dementsprechend einen Teil der Szenarien in den WINTEX/CIMEXÜbungen so an, dass die Abschreckung bzw. Eindämmung des Krieges im Übungsverlauf gelang. Aber das Bündnis machte keinen Sinn, wenn ein existenzielles Sicherheitsgefälle bestand. In Washington hatte man die Europäer mehr als genau verstanden: »The Allies have been reluctant to increase their defense efforts. They believe: (1) a Soviet attack is unlikely; (2) increased defense spending would cause domestic political problems; (3) enhanced conventional capabilities may lessen deterrence to war by making possible longer and more intense conventional fighting before nuclear weapons are used. Europeans also believe their increased efforts would facilitate further US troop draw-downs, weaken the link to the US strategic nuclear deterrent, and thereby result in less net security129.«

Die Amerikaner versicherten stets, dass sie weder finanzielle Kontrolle über die Europäer anstrebten, noch die Europäer im Stich lassen würden130. Im Gegenteil, sie beschworen die Solidarität unter den Bündnispartnern sowie die Kohärenz der Allianz und warnten davor, gerade sie zu untergraben. Genau dies sei ein Hauptziel der Sowjetunion und könne an den Flanken, vor allem vonseiten Iraks und Syriens, wo die Sowjets trotz oder gerade wegen erlittener Rückschläge weiter aktiv und mit aggressiven Absichten gegen die NATO tätig sein könnten, einem Test unterzogen werden131. Sicherheit und Zusammenhalt seien die größten Errungenschaften der Nachkriegszeit und müssten unbedingt erhalten werden. In diesem Zusammenhang übte man an den Franzosen Kritik und bezichtigte sie eines überzogenen Nationalismus, den die anderen Partner, so hoffte man zumindest, nicht an den Tag legten132. Insbesondere führende Konservative in der Bundesrepublik, allen voran Franz Josef Strauß und Erich Mende, hatte man im Verdacht, 128

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Vgl. dazu die Kritik Norstads an den Briten in: NARA (NACP), RG 59, Entry A1 5301 Bureau of European Affairs, Box 2, Memorandum of Conversation, General Taylor Visit: NATO Defense, 28.3.1962, S. 3. Dabei spielte zumindest bis Anfang der siebziger Jahre auch noch das Engagement in den Kolonien eine Rolle. Ebd., Department of State, Memorandum of Conversation, TylerBundy Conference on NATO Matters, 9.1.1964, S. 3. Dazu auch Walter, Zwischen Dschungelkrieg und Atombombe, S. 190‑193, 227‑231 und S. 307. NARA (NACP), Nixon Presidential Library NSSM, Memorandum for Office of the Vice President u.a., NSSM 6: U.S. Policy Toward NATO, 5.4.1969, S. 9. NARA (NACP), RG 59 Entry A1 5301 Bureau of European Affairs, Department of State, Box 2, President’s Panel of Foreign Affairs Consultants, Subject: State of the NATO Alliance, 8.7.1965, S.  1; und ebd., Memorandum of Conversation (Maxwell Taylor, Finletter, Durbrow), General Discussion of NATO Matters, 27.3.1962, S. 3. Sehr deutlich auch in NARA (NACP), RG 218 Lemnitzers Files, Box 1, JCOS, Memorandum by the President Concerning Force Build-up and Use of Force in Europe, 11.9.1961, »Question 1«. NARA (NACP), RG 59 Entry A1 5301 Bureau of European Affairs, Department of State, Box 2, NATO Ministerial Meeting, Ottawa, 22.‑24.5.1963, Portion of Secrectary’s Review of Political Problems, 20.5.1963, passim; Stelle zum Irak und zu Syrien, S. 7. Ebd., President’s Panel of Foreign Affairs Consultants, Subject: State of the NATO Alliance, 8.7.1965, S. 1.

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nationalistische Ziele zu verfolgen, die weit über das berechtigte Wahrnehmen der eigenen Interessen in der NATO hinausgingen133. An diesen Themen und den damit verbundenen diskursiven Bruchkanten trat zutage, wie sehr sich die politischen Grundfragen und das Kriegsbild wechselseitig beeinflussten – und genau hier wurde die AMF wichtig. Sie sollte einerseits als Elitetruppe die Bündniskohärenz politisch festigen, andererseits durch ihre Funktion als exponiertes Vorauskommando des Bündnisses und kommunikatives Warnmedium für den Gegner für militärische Sicherheit an den Flanken sorgen. Für den Ernstfall war aufgrund der begrenzten militärischen Stärke der AMF und der übrigen NATO-Verbände zu befürchten, dass ein entsprechender Einsatz das Risiko einer Eskalation in sich barg. Die strategische Situation in Berlin (Live Oak, BERCON) hatte aber, da war man sich sicher, gezeigt, dass Nachgiebigkeit das viel größere Risiko war: »the political consequences of avoiding the military risks would, in the long run, be even more disastrous for the alliance«134. Dies galt am Ende des Tages für alle Schauplätze, nicht nur für die Flanken und Berlin. Hier jedoch waren die Gefahren besonders groß und augenfällig. Für den Mittelabschnitt, vor allem die deutsch-deutsche Grenze, brachte die AMF allerdings keine Impulse, da ihr Einsatzraum an den Flanken lag. An der Zentralfront manifestierte sich die Bedeutung der Bündnissolidarität militärisch gesehen an den Truppenstärken und der Einsatzplanung135. Auch darin kamen wieder die grundsätzlichen Positionen zum Ausdruck. Die Amerikaner, zumindest das State Department und die politische Führung, stets bemüht, den Sinn des »Limited War« zu legitimieren, gingen davon aus, dass die Überlegenheit des Warschauer Paktes gar nicht so groß sei, wie angenommen, bzw. teils gar nicht existent sei. Sie prognostizierten, dass im Ernstfall genügend Vorwarnzeit vorhanden sei (90 Tage), um Verstärkungen nach Europa zu bringen136. Dies allerdings wurde von den Europäern, aber auch von etlichen US-Militärs bestritten137. So nahm es nicht Wunder, dass die deutsche Seite den Vorschlag machte, eine Art automatische Verknüpfung zu verankern, d.h. bei einem manifest werdenden massiven Aufmarsch des Warschauer Paktes davon auszugehen, dass derlei von der

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Ebd., Memorandum of Conversation (Maxwell Taylor, Finletter, Durbrow), General Discussion of NATO Matters, 27.3.1962, S. 2. Ebd., Stikker Visit: October 2‑4 [1964], S. 4. Ebd., President’s Panel of Foreign Affairs Consultants, Subject: State of the NATO Alliance, 8.7.1965, S.  1; NARA (NACP), RG  218, Wheelers Files, Box  71, Wheeler an General Pasti, 21.3.1968. NARA (NACP), RG 59 Entry A1 5301 Bureau of European Affairs, Department of State, Box 2, Stikker/McNamara Conversation re NATO Military Matters, 18.3.1964, S. 1. Die Annahme einer 90-tägigen Vorwarnzeit bildete einen der entscheidenden Pfeiler der amerikanischen Kriegsplanung. Man hatte errechnet, dass nach dieser Zeit der Nachschub über den Atlantik auf vollen Touren laufen würde: NARA (NACP), Nixon Presidential Library, NSDM, Kissinger an Goodpaster, 10.3.1971, mit »review of NATO strategy and forces«, Part II, S. 14‑18. Doch hegte man Zweifel, ob die Europäer länger als 30 Tage durchhalten würden (ebd., S. 19). Die Europäer sahen dies noch erheblich pessimistischer. Die Diskussion um die Vorwarnzeit bildete in der Tat einen der entscheidenden Faktoren in den transatlantischen Auseinandersetzungen. NARA (NACP), RG 59, Bureau of Public Affairs, A1  5037, President Ford’s Visit to NATO, Brussels, 29.‑30.5.1975 (Briefing Book), Background Paper »DPC Ministerial Guidance«, S. 2. Siehe dazu auch S. 32, 42, 90‑93 und S. 100.

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NATO nicht bewältigt werden könne und damit ein rascher Atomwaffeneinsatz erfolgen müsse138. Damit konnte sich Bonn natürlich nicht durchsetzen und so kam es zu einem Formelkompromiss139. Es wurde generell festgelegt, dass es im Ernstfall eine konventionelle Kampfphase geben würde, ohne diese jedoch genau zu definieren140. Jeder Bündnispartner entwickelte in der Folge Vorstellungen entlang der eigenen Position und je nach aktueller Lage. In den siebziger und achtziger Jahren sollte dann tatsächlich eine massive Aufrüstung der Bundeswehr und der US-Streitkräfte erfolgen, doch kam es nie zu einem Konsens, ob dies tatsächlich ausreichend sei. Politisch-wirtschaftliche Interessen, Kriegsbild und reale Aufrüstung beeinflussten sich bis zum Ende des Kalten Krieges wechselseitig. Feste Parameter gab es zumeist keine, und es dürfte auch rückblickend kaum möglich sein, gesichert festzustellen, ob die tatsächliche Aufrüstung den Anforderungen genügte, einen begrenzten Krieg zu führen. Sowohl die Definition als auch die Interpretation der strategischen Lage und der entscheidenden Faktoren blieben dazu viel zu unbestimmt und zu umstritten. Je nach Definition der Grundlagen ergab sich die Interpretation des Kriegsbildes. Die entsprechenden Elemente führte der CINCENT, der deutsche General Johann Adolf Graf von Kielmansegg, in einem überaus mahnenden Vortrag vor dem »Atlantic Channel Symposium« aus141. Neben der eigenen Truppenstärke ging es um die Bestimmung der zur Verfügung stehenden Vorwarnzeit, die Reserven und wiederum die Zeit, diese zu mobilisieren. Ferner war die Gefechtsfeldtiefe zu berücksichtigen; ein Aspekt, der für die deutsche Seite, daran ließ der General keinen Zweifel, mehr als heikel war. Schließlich spielte die technisch-taktische Qualität der Kriegsmittel eine Rolle, das Lieblingsthema westlicher Optimisten und Fortschrittsgläubigen. Auch hier mahnte Kielmansegg: »even high quality cannot overcome missing quantity to the extent for which I [the defender] must be prepared«142. Insgesamt bestätigte der CINCENT damit die bereits von den Amerikanern konstatierte Erkenntnis: Die Militärs diesseits und jenseits des Atlantiks zeigten sich äußerst skeptisch in Bezug auf die konventionelle Verteidigungsfähigkeit der NATO gegenüber einem massiven Angriff aus dem Osten – zumindest solange nicht eine weitere massive Aufrüstung erfolgte. Er wies schließlich auf die Neigung hin, die Tatsachen so zu interpretieren, dass die eigene Ansicht bestätigt würde, insbesondere wenn es um den Aufbau militärischer Stärke und die damit verbundenen Kosten gehe (z.B. Interpretation der Vorwarnzeiten bei einer Aggression). In Anspielung auf ein Gedicht von Christian Morgenstern schloss Kielmansegg: »What is to be avoided is manipulation of facts, self-deception and a sort of political logic, which 138

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NARA (NACP), RG 59 Entry A1 5301 Bureau of European Affairs, Department of State, Box 2, Memorandum of Conversation, Lunch at Ambassador Finletter’s residence, NATO Control Problems, 20.3.1962, S. 2. Zum Sinn der Formelkompromisse geradezu klassisch: NARA (NACP), RG 59 Entry A1 5301 Bureau of European Affairs, Department of State, Box 2, Memorandum of Conversation, Lunch at Ambassador Finletter’s residence, NATO Control Problems, 20.3.1962, S. 3. Diese Lösung hatte eigentlich schon recht früh im Raum gestanden. Ebd., S. 2. NARA (NACP), RG  218, Wheelers Files, Box  71, Johann Adolf Graf von Kielmannsegg, The Military Challenge to the Central Region, Vortrag vor dem Atlantic Channel Symposium, 4.10.1967. Ebd., S. 10.

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a German satyrical poet has expressed as ›and so, he says conclusively what should not be, cannot be‹143.« Von dieser Warte aus, und nicht zuletzt auch auf deutsche Initiative, begann das Bündnis eine fortgesetzte Debatte um den Sinn und Zweck konventioneller Verteidigung. Es würde fast stets um »Relative Force Capabilities of NATO and the Warsaw Pact« gehen. Ein Kernelement bildete von Anfang an die amerikanische Drohung, Truppen aus Europa abzuziehen, wenn die Europäer sich nicht mit mehr Truppen für die gemeinsame Verteidigung engagierten144. Kielmansegg bestätigte die Einschätzungen bzw. Hoffnungen auf flexibles Krisenmanagement auf der Basis umfassender Bündnissolidarität. »And so, conventionally I must be sufficiently strong and mobile to be able to win time during the direct defence and to be able to reduce an initial success to such an extent that the enemy thinks twice as to whether to continue and/or to extend his attack145.« Diese Prinzipien galten im Grunde ebenso für die AMF, wenn diese auch nicht in einen intensiven Aufmarsch mit Option auf eine umfassende Panzerschlacht, wie für Mitteleuropa im Ernstfall angedacht, eingebunden war. Dies korrespondierte mit den zentralen strategischen Lösungsansätzen der Amerikaner, die indes eine ausgedehntere, globale Perspektive verfolgten. Die ›einfachste‹ Möglichkeit, die Aufstockung der Kampftruppen etwa durch die Aufstellung zusätzlicher Divisionen, erwies sich aufgrund der genannten Schwierigkeiten als dorniger, unsicherer Weg und wurde noch schwieriger, als die Bundeswehr ihren Aufbau abgeschlossen hatte. In der Folge stellte es sich als praktisch unmöglich heraus, bei Bedarf ›einfach‹ neue Großverbände in die Landschaft zu stellen. Es mussten daher andere Alternativen gefunden werden, die auf früheren Überlegungen aufbauten. Nicht erst wegen der zunehmenden militärischen Belastungen infolge des Vietnamkrieges seit Mitte der sechziger Jahre und der Verhandlungen für einen Devisenausgleich (»Offset-Abkommen«) hatte man in Washington Überlegungen angestellt, wie die dünner werdende Ressourcendecke für die konventionelle Kriegführung vor dem Hintergrund steigender Bedrohung verstärkt werden konnte. Schon Anfang des Jahrzehnts hatten die JCOS durch Anwendung westlichen Rationalitätsdenkens nachzudenken begonnen, über strategische Flexibilität im globalen Rahmen zu erhöhter Sicherheit zu gelangen. Das Grundprinzip hierbei ließe sich so umschreiben: Wenn ich es schon nicht schaffe, überall mit genügender Stärke präsent zu sein, muss ich versuchen, die vorhandenen Kräfte dort einzusetzen, wo sie gerade nötig sind, d.h. etwa in Krisen. Die Briten dachten grundsätzlich ebenso. In einem etwas später erstellten Papier hieß es: »it does not make military sense to allot all the forces neatly to separate commitments or to provide enough forces to meet all commitments simultaneously. The classic military aim is to have the minimum of forces committed to specific tasks of areas and to

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Ebd., S.  11. Die Textzeile stammt aus dem Gedicht »Die unmögliche Tatsache« von Christian Morgenstern: »Weil, so schließt er messerscharf, nicht sein kann, was nicht sein darf.« Vgl. dazu auch NARA (NACP), RG 218, Wheelers Files, Box 71, Memorandum für Paul Nitze zu ORBAT, 13.3.1968. NARA (NACP), RG  218, Wheelers Files, Box  71, Telegramm USDELMC Brussels an JCOS, 18.6.1968, S. 2‑4, und ebd., Telegramm, 13.6.1968. Ebd., S. 10.

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provide maximum flexiblity to meet contingencies as they arise146.« Das bedeutete im Idealfall: Anstatt überall und ständig mit voller Macht präsent zu sein, sind die Kräfte so flexibel zu gestalten, dass sie zeitlich genau dort sind, wo sie mit voller Macht gebraucht werden. Die erste, teure Variante konnte man sich immer weniger leisten, also verfolgte man die zweite, billigere, die aber erhebliche Beweglichkeit und vor allem ausreichende Transportkapazitäten erforderte. »The limited size of our Armed Forces demands maximum flexibility in their employment. Both now and in the future it is inconceivable that we should ever be sufficiently strong in numbers to maintain large forces exclusively committed to one aspect or another of our defence interests147.« London hatte sich im Laufe der sechziger Jahre trotz des fortbestehenden »special relationship« zu den USA stärker nach Europa und hier Richtung Bonn hin ausgerichtet, vor allem unter Verteidigungsminister Dennis Healey, der im Übrigen kein gutes Verhältnis zu McNamara hatte. Auch Whitehall konnte das mit dem Heraufziehen der Flexible Response stärker werdende Dilemma nicht auflösen148. Man hatte inzwischen erkannt, dass die eigene Nuklearrüstung überaus teuer war. Zwar hatten die Chiefs of Staff angesichts des sich abzeichenden Rückzuges aus den globalen Regionen eine erhebliche Aufstockung der konventionellen Kräfte in Europa gefordert und hierfür die Unterstützung von Healey erhalten, doch fand dies nicht statt. Im Gegenteil, man begann Einsparungen größeren Umfangs gerade auch hier vorzubereiten. Die maßgeblichen Strategiepapiere gingen in teils recht optimistischer Weise von guten Erfolgschancen für eine erfolgreiche Abwehr eines Angriffes des Ostblocks aus, insbesondere im Mittelabschnitt. Indes konnte niemand wirklich ausschließen, dass es rasch zu Frontdurchbrüchen kommen konnte, die den Einsatz taktischer Nuklearwaffen und damit die Eskalation nach sich zogen. Durch die Planungen zogen sich zwei wesentliche strategische Ziele: 1. Abschreckung und – bei deren Scheitern – 2. die frühzeitige Beendigung des Krieges (»rapid war termination«). Wie man sich Letzteres konkret vorzustellen hatte, wurde nie konkretisiert. Optimisten vermochten darin einen konventionellen Abwehrerfolg zu sehen. Für die deutsche Perspektive nicht gerade erbaulich war die unausgesprochen bleibende Option, einen Krieg zumindest für Großbritannien auch durch einen Rückzug auf die Insel zu beenden. Entscheidend aber blieb die Macht der Treasury. Großangelegte Rüstungsprogramme mit substanzieller Erhöhung der konventionellen oder nuklearen Kräfte über den vorhandenen Bestand hinaus kamen nicht in Betracht. Vor diesem Hintergrund entwickelte man seit Anfang der sechziger Jahre Kriegsszenarien, deren Annahme generell darin bestand, dass die Hauptbedrohung für die NATO tatsächlich im Mittelabschnitt lag, gefolgt von den Flanken und den strategischen Verbindungslinien (Atlantik). Dabei dachten die US-Militärs in der praktischen Planung schon zu diesem Zeitpunkt an eine konventionelle Verteidigung so lange wie 146 147

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TNA, DEFE 4/279, COS Committee, Confidential Annex to COS 19th Meeting/73, 25.9.1973, S. 5. TNA, DEFE  4/276, COS 10967/1301, Defence Studies Working Party, Ministry of Defence Position Paper, mit Annex »Britain’s Defences, Note by the Ministry of Defence« (Draft), 26.2.1973, S. 17. Zum Folgenden vgl. grundsätzlich und zentral Stoddart, Losing an Empire, S. 75‑78, 111 f., 170, 236‑242, u.ö.

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möglich ohne den Einsatz von Atomwaffen. Man ging nicht davon aus, dass die Sowjets starr nur am Eisernen Vorhang in Deutschland angreifen würden, sondern erwartete analog zum oben beschriebenen Kriegsbild eine ganze Anzahl von verschiedenen, möglicherweise gleichzeitig entstehenden »contingencies«, darunter Berlin, die Flanken, verschiedene globale Schauplätze u.a.m. Für die Flanken konnte man – dies wussten die JCOS – vor einer massiven zusätzlichen Aufrüstung, die einstweilen nicht zu erwarten stand, keine großangelegte Verteidigung gar an zusammenhängenden Frontlinien gewährleisten. Dazu war auch das Terrain kaum geeignet. Gemäß dem Gebot der Stunde, d.h. die strategische Flexibilität berücksichtigend, sah man daher als Hauptaspekt vor: »Augmentation of flank area defense forces by mobile task forces149.« Die JCOS meinten, dass in Europa etwa 30  Divisionen mit konventioneller Bestückung ausreichen würden, um einen Angriff des Warschauer Paktes ohne Einsatz von Atomwaffen abzuwehren, bis eine zweite Staffel aufgebaut war150. Diese 30 Divisionen aber mussten in Europa erst noch entstehen. Die Europäer brachten es zusammen mit den Kanadiern mit Stichtag 1.  April 1961 auf 16 Divisionen, die USA hatten fünf Divisionen ihrer Gesamtstärke eingeplant (»M-Day-Forces«)151. Die U.S. Army verfügte 1961 insgesamt über 16 Divisionen, davon zwei Divisionen der Nationalgarde, die zusammen aber für alle globalen Aufgaben zuständig waren152. Keineswegs konnten die Europäer sicher sein, dass die USA ihre vollständigen Kampfkräfte gegen den Warschauer Pakt einsetzen würden oder konnten. Die Planer im Pentagon waren sich sicher, dass im Ernstfall nicht allein Europa im Fokus stehen würde, sondern auf der ganzen Welt Brennpunkte zu erwarten seien153. Bezeichnenderweise hatte man hierbei Vietnam als feste Größe gesetzt und darauf die möglichen Kombinationen aufgebaut: Kuba, Mittlerer Osten, Korea und erst an vierter Stelle Mitteleuropa154. McNamara hatte schon bei seinem Amtsantritt Wert darauf gelegt, weitere Krisenherde im Auge zu behalten, da die Sowjets begonnen hatten, in der Dritten Welt Fuß zu fassen. »Must we not be prepared for more and more Lebanons and Congos, as well as a steady number of Laoses? And for two or more at once155?« Dies bedeutete im Klartext, dass unzweifelhaft mehr globale Einsätze zu erwarten waren. Überspitzt ausgedrückt: Es stand zu befürchten, dass eine ganze Reihe von weltweiten 149 150 151

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NARA (NACP), RG 218, Lemnitzers Files, Box 1, JCS 2305/573, Memorandum by the Chairman, Joint Chiefs of Staff, for the JCOS on Balanced Forces (NATO), S. 3125a. NARA (NACP), RG  218 Lemnitzers Files, Box  1, JCOS, Memorandum by the President Concerning Force Build-up and Use of Force in Europe, 11.9.1961, S. 2. Ebd., »Question 3«. Die Zahlen in: NARA (NACP), RG 218, Lemnitzers Files, Box 1, CM-30161, Memorandum for the Secretary of State, Evaluation of NATO M-Day Army Units Assigned to the Central Region, 3.8.1961, Enclosure, S. 1. NARA (NACP), RG  218 Lemnitzers Files, Box  1, JCOS, Memorandum for the Secretary of Defense, Requirement for Army Divisions, 1.12.1961, mit Begleitdokumenten. Es wird kein Zufall gewesen sein, dass man zum Ergebnis kam, diese 16 Divisionen würden im Ernstfall zur Bewältigung zweier gleichzeitig stattfindender globaler Krisenfälle ausreichen. Ebd., »Question 4«. NARA (NACP), RG  218 Lemnitzers Files, Box  1, Memorandum for the Secretary of Defense, Requirement for Army Divisions, 1.12.1961, S. 3. Dies hatte u.a. natürlich auch den Grund, dass man die Situation in Europa zumindest generell für deutlich stabiler hielt als in anderen Regionen. NARA (NACP), RG 218, Lemnitzers Files, Box 1, JCOS, CM-70-61, Agenda for Joint Chiefs of Staff Discussion with Secretaries McNamara and Gilpatric, 23 January, 19.1.1961, S. 1.

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»Berlin«-Situationen entstanden, für die der Westen infolge der perpetuierten konventionellen Schwäche nicht ausreichend vorbereitet war. Die Antwort hierauf war klar: mehr Flexibilität, mehr Lufttransport, mehr Spezialtruppen mit leichter Ausrüstung und vor allem auch mehr globale Weitsicht156. Das konnte unmöglich mit Dauerpräsenz in allen Teilen der Welt bewältigt werden. Allein für Deutschland ging man davon aus, dass zumindest anfänglich mindestens sechs zusätzliche US-Divisionen nötig sein würden, um die eigene Standhaftigkeit zu erhöhen, den Osten zu beeindrucken und für eine gewisse Zeit kämpfen zu können (»will lend credence to the will and determination of the United States and NATO to fight«)157. In anderen Regionen würde man zwar, auch aufgrund deren nachrangiger Bedeutung, mit weniger Kräften auskommen, konnte aber nicht alle Schauplätze gleichzeitig bedienen. Wenn die USA überhaupt eine Chance haben wollten, den zu erwartenden globalen Ernstfall einigermaßen konventionell zu überstehen, war strategische Flexibilität unerlässlich. Insofern verfolgten die Planer in Washington eine viel weitreichendere Perspektive als die Europäer. Den Deutschen wie den anderen Bündnispartnern auf dem Alten Kontinent waren Krisen in anderen Teilen der Welt zwar nicht gleichgültig, sie rangierten aber eindeutig in der zweiten Reihe. Man wurde immer dann hellhörig, wenn die Amerikaner die globalen strategischen Notwendigkeiten betonten und es um den Einsatz von Truppen ging. Um Misstrauen und Ängsten zu begegnen, gleichzeitig aber die eigenen Fähigkeiten im Bereich der strategischen Flexibilität zu demonstrieren, inaugurierte Washington 1960/61 eine spezielle Übung, »Long Thrust«. Verlegt werden sollten ca. 6000 Mann und unter anderem vier Staffeln Jagdbomber, also Kräfte in der doppelten Größenordnung der AMF. Ein Teil sollte ursprünglich in die Türkei verlegt werden, die Hauptmasse nach Deutschland. Die Übung wurde jedoch erst ab 1962 durchgeführt158. Als Begründung wurden offiziell politische Gründe angegeben, die auch für den türkischen Teil zutrafen, der schon im Vorfeld aufgegeben wurde. De facto aber, und dies zeigt die Bedeutung der Gesamtproblematik, befürchtete man den Ausbruch von Feindseligkeiten in Vietnam; die mobilen Ressourcen und Reserven, die ohnehin nur in begrenztem Maße zur Verfügung standen, wurden als Eingreiftruppe zum Schutz der SEATO benötigt159. Diese Thematik besaß bis zum Ende des Vietnamkrieges Potenzial für Dauerkonflikte; etwa im Jahre 1968, als Washington beschloss, die Streitkräftestruktur (Order of Battle, ORBAT) in den Schubladen verschwinden zu lassen, weil sich die für den Ernstfall in Europa vorgesehenen Truppen zur Gänze im Einsatz in Vietnam befanden. Außerdem

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Ebd., S. 2. NARA (NACP), RG  218 Lemnitzers Files, Box  1, JCOS, Memorandum by the President Concerning Force Build-up and Use of Force in Europe, 11.9.1961, »Question 2«. Dazu auch Trauschweizer, The Cold War US Army, S. 168. NARA (NACP), RG 218, Lemnitzers Files, Box 1, JCOS, 3.8.1961, Memorandum for General Taylor, Excercise Long Thrust, 3.8.1961. Zus. ebd., Memorandum for Brigadier General Clifton, Strategic Mobility Exercise in USCINCEUR Area during FY 1961 (LONG THRUST), 24.3.1961, mit Begleitdokumenten.

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bestanden erhebliche Zweifel am Wahrheitsgehalt der wechselseitigen Angaben über die jeweiligen Truppen und deren Kampfkraft160. Mit »Long Thrust« waren im Grunde alle strategisch-politischen Rahmenbedingungen für die AMF bereits angesprochen. Die Amerikaner betrachteten derlei Einsatztruppen sowohl für die flexible Abschreckung im Rahmen der Flexible Response als unerlässlich als auch für die politisch-psychologische Stärkung der Europäer und damit für die Bündnissolidarität als essenziell. Gleichzeitig hatte sich aber gezeigt, dass nicht zuletzt wegen der exponierten Lage der Einsatzräume und deren hoher Sensibilität die Dislozierung von solchen Kontingenten auch Risiken barg. Es musste stets genau austariert werden, was im Sinne der Bündniskohärenz geboten und was zur Verhinderung militärischer Eskalationsrisiken zu vermeiden war. Die Haltung der Europäer orientierte sich am jeweiligen Eigeninteresse. Die direkt betroffenen Mitglieder in Europa, in diesem Falle die Türkei, werteten den Einsatz etwa im Rahmen von »Long Thrust« als Sicherheitsgewinn und begrüßten ihn nachhaltig. Dies galt in abgeschwächter Form auch für die Briten, die an beiden Flanken weiterhin direkte politisch-militärische Ziele verfolgten. Die deutsche Seite trug dies, wie bereits angemerkt, aus grundsätzlicher Solidarität gerade vor dem Hintergrund der speziellen Situation um Berlin mit, richtete ihr Hauptaugenmerk aber auf den Mittelabschnitt. Im Grunde musste hier ausbalanciert werden zwischen dem Krisenmanagement und der Kampfkraft für den militärischen Ernstfall. Bonn konnte kein Interesse daran haben, dass das Bündnis an irgendeiner Stelle zu schwach für eine überzeugende Reaktion war, da dadurch der Eindruck entstehen konnte, dass die NATO auch an anderen Stellen, nicht zuletzt hinsichtlich Berlin, nachgiebig sein würde. Auf der anderen Seite kamen die Zuteilung oder auch nur Reservierung massierter Truppenverbände des Mittelabschnittes oder hierfür vorgesehene Verstärkungen für andere Aufgaben nicht infrage. Wie die Zukunft zeigen sollte, bildeten die sechs Bataillone der AMF das Äußerste, was Bonn ohne größeren Widerspruch hinnahm. Davon wird im Folgenden noch näher zu berichten sein. c) Die Krise in der ČSSR als Wegmarke für den strategischen Perspektivenwandel Fast zeitgleich mit der formalen Verabschiedung der Flexible Response (MC 14/3) zeigten sich die ersten Anzeichen der Krise in der Tschechoslowakei. Am 5. Januar 1968, knapp zwei Wochen vor der endgültigen Genehmigung der MC  14/3 durch den NATO-Militärausschuss, wurde der bis dahin regierende Staats- und Parteichef Antonin Novotný aus dem Amt entfernt und durch Alexander Dubček ersetzt161. In den folgenden Monaten spitzte sich die Lage dramatisch zu. Dies betraf zwar in erster Linie die ČSSR, die durch das Reformprogramm der KPČ und zunehmende gesellschaftli160

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Vgl. dazu auch NARA (NACP), RG 218, Wheelers Files, Box 71, Memorandum für Paul Nitze zu ORBAT, 13.3.1968. Vgl. auch den Pressebericht zur Thematik in Der Spiegel, 3/1962 (17.1.1962), »Stoß in die Ferne«, S. 18 f. NATO-Archiv, CD CZ-1968, C-M(68)42, Crisis Management Aspects of the Invasion of Czechoslovakia, 25.9.1968, S. 17.

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che Kritik an der sowjetisch dominierten Ideologie immer stärker in den Fokus von strukturkonservativen Kommunisten geriet, erstreckte sich aber keineswegs allein auf den »Prager Frühling«. Als sich die Anzeichen für eine Intervention verdichteten, stieg die Besorgnis auch in anderen Staaten – vor allem in Rumänien und in Jugoslawien – vor einer umfassenden militärischen Besetzung, die das Ende aller, wenn auch bislang bescheidenden Spielräume bringen konnte162. Die NATO beobachtete die Entwicklung aufmerksam. Ihre Informationen über die aktuelle politisch-militärische Lage erhielt sie vom NATO Situation Center aus Brüssel (Evere). Dabei kam die seit Anfang der sechziger Jahre immer stärker werdende Furcht vor einem Angriff des Warschauer Paktes zum Ausdruck, der angesichts der angenommenen konventionellen Schwäche der NATO eventuell nicht hätte abgewehrt werden können bzw. zur Besetzung westdeutschen Territoriums und erheblicher politischer, militärischer und auch psychologischer Destabilisierung geführt hätte. Niemand wusste, wie weit die Absichten der Sowjetunion reichten. Als die Invasion in der Nacht zum 21. August 1968 erfolgte, war man in der NATO nicht wirklich vorbereitet und musste feststellen, dass die interne Kommunikation nur eingeschränkt funktionierte163. Die NATO verfügte über keine eigenen Nachrichtendienste und war daher auf die Informationen angewiesen, die die einzelnen Mitgliedsstaaten ihr lieferten. Dies schien in der entscheidenden Nacht nicht allzu viel gewesen zu sein, denn die NATO-Hauptquartiere und somit auch SACEUR erfuhren zunächst nur aus den öffentlichen Medien von dem Ereignis164. Dies führte zu Kritik und zu Forderungen nach Reformen in Verbindung mit den ohnehin schon bestehenden Ansätzen zur Restrukturierung bzw. Stärkung des Bündnisses. Immerhin konnte man feststellen, dass das Alarmsystem der NATO »is generally responsive to the needs of a situation which does not entail a direct threat to NATO165.« Aus diesen Zusammenhängen heraus entstand in der Folge eine immer heftigere Diskussion um die konventionelle Kampfkraft der NATO und die damit direkt verbundene strategische und taktische Vorwarnzeit. Wie der Vorsitzende der Joint Chiefs of Staff warnte, war die NATO für eine Konfrontation nicht genügend vorbereitet: » had

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Wie schon bei den strategischen Rahmenbedignungen zuvor geht es an dieser Stelle ausschließlich um die Bedeutung des »Prager Frühlings« als historischer Rahmen für die NATO-Flanken und die AMF. Nicht beabsichtigt ist, die tieferen Ursachen für die Invasion bzw. die Reaktionen des Westens oder die Krise aus Sicht des Warschauer Paktes zu erörtern. Vgl. dazu v.a. das Standardwerk Prager Frühling. Für die außenpolitisch-diplomatische Dimension vgl. Bange, Das Ende des Prager Frühlings. Zur Perspektive des Ostens vgl. Kramer, The Kremlin; und Wenzke, Die NVA und der Prager Frühling. Zum Folgenden grundlegend NATO-Archiv, CD CZ-1968, C-M(68)42, Crisis Management Aspects of the Invasion of Czechoslovakia, 25.9.1968. Dieses grundsätzliche Problem sehr deutlich auch bei Aldrich, Waiting to Be Kissed? PDP, CD020, MCM-70-68 (rev.), Memorandum for the Secretary General, Analysis of Recent Soviet Actions in Czechoslovakia from a Military Point of View, 23.9.1968, S.  2 und Encl.  1; SHAPE 0110.5/17-1, Analysis of Recent Soviet Action in Czechoslovakia from a Military Point of View, 27.8.1968, S. 2. NATO-Archiv, CD CZ-1968, C-M(68)42, Crisis Management Aspects of the Invasion of Czechoslovakia, 25.9.1968, S.  10. Man hatte im Stillen einige Maßnahmen der Alarmstufe »Military Vigilance« in Kraft gesetzt.

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the invasion of Czechoslovakia escalated into a wider conflagration embroiling one or more NATO members, NATO as a whole would not have been fully prepared to cope with the dangers involved«166. Die Lage im Herbst 1968 war gespannt und die NATO blieb wachsam167. Als sich die Gegenmaßnahmen des Warschauer Paktes entwickelten, zeigten sich die militärischen Instanzen über die Truppenbewegungen des Warschauer Paktes gut informiert, und sie wussten offenbar auch über die Dislozierung der einzelnen Divisionen Bescheid. Bis Dezember hatte sich dann eine gewisse Routine etabliert. Die Berichte wiederholten fast wörtlich die Einschätzung, dass die NATO nicht bedroht sei: »There were still no signs of any direct threat to the NATO area inherent in this general situation168.« Im Gesamtaufkommen der Truppen hatte sich offensichtlich kaum etwas verändert. Wohl als Ausgleich für die zehn eventuell unzuverlässigen Divisionen und die entsprechenden Luftwaffenverbände der ČSSR stationierten die Invasionstruppen offenbar dauerhaft die gleiche Anzahl sowjetischer Verbände. Am Ende des Tages befanden sich zehn Divisionen aus der Sowjetunion mehr in Mitteleuropa als vorher. Wie die Militärs der NATO erkannten, hatte ein teils ausgeklügelter und effizienter Aufmarsch stattgefunden, der trotz einiger Mängel in der Kommunikation und trotz komplizierter Substitutionsprozesse auch an den Ostgrenzen der ČSSR erstaunlich gut umgesetzt worden war169. Entscheidend war die Erkenntnis, dass der Warschauer Pakt zu einem schnellen Aufmarsch in der Lage war, in der Regel unter dem Deckmantel von Manövern170. Damit war auch einer der gefährlichsten Aspekte der militärischen Ost-West-Konfrontation angesprochen. Ein Angriff konnte aus einer laufenden Militärübung heraus erfolgen, da es keiner großen Anstrengung bedurfte, tatsächlich vorzustoßen, wenn die Kampfverbände schon aufmarschiert waren. Die Erfahrungen der vergangenen Krisen sollten in den siebziger und achtziger Jahren immer wieder Bestätigung finden, so im Yom-Kippur-Krieg 1973171.

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NARA (NACP), RG 218, Wheelers Files, Box 96, Wheeler an Clifford und Nitze, mit Vortragstext »Statement by General Wheeler at Meeting of NATO Military Committee in Chiefs of Staff Sesion Brussels«, 13.11.1968, S. 2. Das Krisenmanagement der NATO hatte offensichtlich nicht gerade überzeugt. Vgl. dazu das ernüchternde Urteil von Bischof, »No Action«, S. 352. Eine gute Darstellung der militärischen Situation der NATO-Verbände in Deutschland aus kanadischer Sicht bei Maloney, War without Battles, S. 226‑232. NATO-Archiv, CD CZ-1968, PO/68/539, Secretary General, Political Assessment of Recent Developments Relating to the Situation in Eastern Europe, 16.10.1968, S.  4. Vgl. auch die folgenden Berichte dazu. BArch, BW 2/3101, Fü S III 2, Vermerk für Leiter III, Beitrag für Lage, Political/Military Work Program, hier: Crisis Management, 18.9.1968, mit Begleitdokumenten. PDP, CD020, MCM-70-68, Memorandum for the Secretary General, Analysis of Recent Soviet Actions in Czechoslovakia from a Military Point of View, 29.8.1968, S. 3, mit Encl. 1 SHAPE, 0110.5/17-1, Analysis of Recent Soviet Action in Czechoslovakia from a Military Point of View, 27.8.1968, S. 8. Dazu auch PDP, CD020, MCM-70-68 (rev.), Memorandum for the Secretary General, Analysis of Recent Soviet Actions in Czechoslovakia from a Military Point of View, 23.9.1968, S.  4; und MCM-90-68, Memorandum for the Secretary General, The Military Implications for the Alliance of the Invasion of Czechoslovakia, 13.11.1968, S. 2. Damit soll nicht behauptet werden, dass der sowjetische Aufmarsch allenthalben glatt verlief. Entscheidend für die Perzeption der NATO war, dass Moskau dazu grundsätzlich in der Lage war. Allein diese Erkennis genügte. Aldrich, Waiting to Be Kissed?, S. 69 f.

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Die NATO selbst schloss die Instrumentalisierung eigener Übungen für den möglichen Übergang zum Defensivkrieg keineswegs aus172. In Bezug auf die eigene Lage gingen die Militärs rasch in medias res; sie führten damit die bereits begonnene Debatte in der NATO fort. Der Militärausschuss fertigte Ende September 1968 ein Memorandum an, das eine Palette an Handlungsoptionen präsentierte, die von Sofortmaßnahmen bis hin zu substanzieller Aufrüstung mit langfristiger Perspektive reichte, darunter die Stärkung der Präsenzkräfte (»M-Day-Forces«), die Verkürzung der Reaktionszeiten für den Ernstfall und die effizientere Einplanung der Reserven, der Verstärkungskräfte sowie der »Immediate Reaction Forces«, zu denen auch die AMF gehörte. Die Briten und die Amerikaner kritisierten das Papier als zu verfrüht, als teils nicht korrekt und vor allem nicht mit den zivilen Stellen abgestimmt173. Es bildete nach einer Überarbeitung dennoch den Ausgangspunkt für die weiteren NATO-Planungen174. De facto forderte das Memorandum eine Generalrevision der militärischen Kräfte der NATO. Es enthielt maßgebliche Elemente der Forderungen, die die Amerikaner nun schon fast regelmäßig gegenüber den Europäern erhoben und die kurz darauf vom Defence Planning Committee im Wesentlichen bestätigt wurden175. Nur befand sich Washington in einer argumentativen Zwickmühle. Auf der einen Seite musste den Europäern angesichts der Stärke der Truppen des Warschauer Paktes der Ernst der Lage verdeutlicht werden, andererseits mussten die Amerikaner auf der Hut sein, dass derlei Argumente nicht allzu große Befürchtungen hervorriefen und dann in Panik umschlugen176. Diese kommunikative Grundstruktur herrschte die nächsten 20 Jahre vor. Die Europäer stellten sich während der heißen Phase der Krise zwar eindeutig hinter die NATO, bekundeten auch ihre Bereitschaft zu erhöhten Verteidigungsanstrengungen und beschworen bei der entscheidenden Sitzung des Nordatlantikrates durchgängig die Bündnissolidarität, ließen aber, wenn es an die Realisierung ging, aus den bereits geschilderten Gründen rasch in ihrem Eifer nach177. Dieses Verhaltensmuster setzte, wie US-General Berton E. Spivy missbilligend bemerkte, bereits ein, als die Sowjets mit dem Rückzug von Truppen aus der ČSSR begannen und sich die Lage infolgedessen 172 173

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Dazu unten S. 118 und S. 212. NARA (NACP), RG 218, Wheelers Files, Box 96, Telegramm General Spivy, US Rep Milcom, Brüssel an Wheeler, 25.9.1968, Memorandum für SecGen, NATO, The Military Implications for the Alliance of the Invasion of Czechoslovakia. Die AMF wurde hier als Teil der »Immediate Reaction Forces« zur Verstärkung der Flanken eingeordnet. Ebd., S. 4. PDP, CD020, MCM-77-68, Memorandum for the Secretary General, The Military Implications for the Alliance of the Invasion of Czechoslovakia, 28.9.1968. Dazu auch ebd., MCM-70-68 (rev.), Memorandum for the Secretary General, Analysis of Recent Soviet Actions in Czechoslovakia from a Military Point of View, 23.9.1968; und MCM-90-68, Memorandum for the Secretary General, The Military Implications for the Alliance of the Invasion of Czechoslovakia, 13.11.1968. NATO-Archiv, CD CZ-1968, PO/68/520, Military Implications of the Warsaw Pact Invasion in Czechoslovakia, 4.10.1968. Sehr anschaulich in NARA (NACP), RG 218, Wheelers Files, Box 71, Telegramm von US-Verteidigungsminister Clifford an US NATO, 8.11.1968, mit Memorandum des Assistant Secretary of Defence Enthoven an Senator Cooper vom 22.10.1968; und ebd., Box 96, Vortrag Wheeler vor dem DPC anlässlich seines Abschieds aus dem aktiven Dienst, »Reflections on NATO 1961‑1969«, Kap. II.5 und III. Dazu auch Bischof, »No Action«, S. 347‑352.

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entspannte178. Umgekehrt begann der US-Kongress nach dem Abklingen der Spannung wieder damit, Truppenabzüge aus Europa zu fordern179. Das alte Spiel setzte sich fort. Washington sah keine Alternative, als den bereits eingeschlagenen Kurs weiterzuführen und ansonsten mit gutem Beispiel voranzugehen. Dementsprechend präsentierte man den Bündnispartnern einen ausführlichen Katalog eigener, teils bereits realisierter Maßnahmen, darauf hoffend, dass möglichst vieles davon Nachahmung finden würde180. Insbesondere betonte man, dass die numerische Überlegenheit des Warschauer Paktes an Divisionen die Realität nur unzureichend wiedergebe181. Die NATO-Divisionen seien zahlenmäßig stärker und auch besser beweglich. Überhaupt setzte Washington auf strategische Mobilität, auf die globale Verlegungsfähigkeit und die rasche Dislozierung von Einheiten nach Europa, wie dies in Übungen wie »Reforger«182 oder »Crested Cap« demonstriert wurde. Den politischen und psychologischen Nutzen dieser Instrumente, zu denen an den Flanken die AMF und ihre Übungen gehörten, sahen die Amerikaner als überragend an183. Im Übrigen zeigte man sich weiter optimistisch über die zur Verfügung stehende Vorwarnzeit. Ferner, und dies sollte sich als zentraler Punkt erweisen, herrschte die Ansicht vor, dass es vor allem auf die technisch-taktische Qualität ankam; man konstatierte hier eine massive Überlegenheit des Westens. Der »Assistant Secretary of Defense for Systems Analysis«, Alain C. Enthoven, meinte, die Verbündeten könnten mit »small but vital improvements« viel erreichen184. Dazu zählten unter anderem die Entwicklung neuer Panzerabwehrwaffen (Lenkraketen), die Errichtung zusätzlicher und verstärkter Bunker für die eigenen Waffensysteme (etwa um Flugzeugverluste wie die der Araber im Sechstagekrieg zu vermeiden)185 und verbesserte Kommunikationseinrichtungen. Darüber hinaus baute das Department of Defence auf die überlegenen Fähigkeiten des Westens, die eigenen begrenzten Ressourcen so effizient und schlagkräftig zu ordnen, dass entscheidende Vorteile zu erlangen seien: »we will probably find that while the Pact’s

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NARA (NACP), RG  218, Wheelers Files, Box  96, Telegramm General Spivy, US Repmilcom, Brüssel, an Wheeler, 5.11.1968, S. 1. Ebd., Wheeler an Clifford und Nitze, mit Vortragstext »Statement by General Wheeler at Meeting of NATO Military Committee in Chiefs of Staff Sesion Brussels, 13.11.1968, S. 3. Ebd., S. 4‑8. NARA (NACP), RG 218, Wheelers Files, Box 96, Vortrag Wheeler vor dem DPC anlässlich seines Abschieds aus dem aktiven Dienst, »Reflections on NATO 1961‑1969«, Kap. II.5, III und IV; und ebd., Box 71, Telegramm von US-Verteidigungsminister Clifford an US NATO, 8.11.1968, Memorandum des Assistant Secretary of Defence Enthoven an Senator Cooper vom 22.10.1968, »Evaluation of NATO and Pact Conventional Forces in Central Europe«, Kap. II (»Indicators of Capability«). Zu »Reforger« vgl. auch Trauschweizer, The Cold War US Army, S. 185‑187. NARA (NACP), RG 218, Wheelers Files, Box 96, Telegramm USMISSION NATO, 6.11.1968, S. 5. Vgl. auch S. 8 zur Idee einer »M-Day Strategic Reserve Air Mobile Brigade«, die v.a. mit einer mobilen US Brigade, die in Korea stationiert war, besetzt werden sollte. NARA (NACP), RG  218, Wheelers Files, Box  71, Telegramm von US-Verteidigungsminister Clifford an US NATO, 8.11.1968, Memorandum des Assistant Secretary of Defence Enthoven an Senator Cooper vom 22.10.1968, »Evaluation of NATO and Pact Conventional Forces in Central Europe«, Kap. I.A. Ebd., Kap. II.2.

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capabilities are greater than NATO’s today, they could be matched by NATO, if we organize ourselves efficiently186.« Allein, es half nichts. Die konventionelle Kampfkraft gerade der europäischen Armeen war zum gegebenen Zeitpunkt beschränkt und nahm mitunter katastrophale Ausmaße an, etwa was die Munitionsbestände anging. Die Bündnispartner mussten einiges mehr tun, mehr Truppen und vor allem mehr Waffensysteme für die konventionelle Kriegführung bereitstellen, ansonsten würde sich die Flexible Response als Totgeburt erweisen. Washington nahm vor diesem Hintergrund eine klare Bestandsaufnahme vor. Als Hauptpfeiler in Europa sah man die Deutschen an, die wie die Niederländer bereit waren, effektive Maßnahmen mit spürbaren praktischen Auswirkungen zu ergreifen (»key countries«)187. In Bezug auf andere Nationen, darunter die Schlusslichter Kanada188, Dänemark und Luxemburg (»laggards«), machten sich Zweifel breit, ob diese wirklich nachhaltig zur militärischen Stärkung beitragen wollten oder vielmehr nur am eigenen Sicherheitsgewinn interessiert waren189. Auf jeden Fall aber musste Washington massiv auftreten, um zu verhindern, dass die kollektiven Anstrengungen erlahmten190. In eine ähnliche Kerbe schlug auch der frühere deutsche Befehlshaber der Landstreitkräfte Mitteleuropa, General  a.D. Speidel, der in einem Vortrag vor der Atlantic Treaty Association entsprechende Tendenzen in Kanada monierte und im Übrigen vor der Überlegenheit der Sowjets und vor zu großer Nachgiebigkeit sowie Geruhsamkeit warnte191. Zwischen den Zeilen schienen bei Speidel und anderen führenden Militärs allerdings erhebliche Zweifel an den Möglichkeiten konventioneller Verteidigung und überhaupt am Sinn des »limited war« auf192. Insgesamt bot die Krise um den »Prager Frühling« für die Fragen hinsichtlich der Stärkeverhältnisse nur eingeschränkt wirklich grundlegend Neues. Die Diskussionen

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Ebd., Kap. II.1. Sehr deutlich in: NARA (NACP), RG  218, Wheelers Files, Box  96, Telegramm USMISSION NATO, 6.11.1968. Vgl. auch ebd., Telegramm General Spivy, US Repmilcom, Brüssel, an Wheeler, 5.11.1968. Der kanadische Verteidigungsbeitrag für die NATO im Kalten Krieg, hier nicht zuletzt auch die Kürzungen unter den Regierungen von Premierminister Joseph Trudeau, ist bis heute auch in Kanada selbst Gegenstand kontroverser Diskussionen. Vgl. dazu Maloney, War without Battles, passim, v.a. S. 490‑497. Ähnliches vermerkte man bei den britischen COS. Vgl. TNA, DEFE 4/253, Confidential Annex to COS 4th Meeting/71, 26.1.1971, Meeting with Air Chief Marshal Sir David Lee (ehem. Brit. MilRep im MC), S. 1 f. Sehr deutlich in: NARA (NACP), RG  218, Wheelers Files, Box  96, Telegramm USMISSION NATO, 6.11.1968, S.  4. Vgl. auch S.  1: »the extent of real improvements in NATO depends critically on the ›collective action‹, that is, what the others do will depend on the US ability and willingness to make an adequate response – and vice versa.« NARA (NACP), RG  218, Wheelers Files, Box  71, Verteidigungsattaché Trebesch an JCOS, 23.10.1969, mit Introductory Report by Dr. Speidel, Rapporteur to the Military Committee, XV General Assembly of the Atlantic Association, Washington, S. 1 f. Dazu stellte Speidel einen Katalog an Bedrohungsfaktoren auf, zu denen er neben der gestiegenen Bedrohung im Mittelmeerraum auch die deutsche Protestbewegung (APO) zählte. Dazu u.a. The Times, »The inflexible response« (Charles Douglas-Home), 11.4.1969.

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und Streitereien hatten sich bereits Anfang der sechziger Jahre ergeben und gewannen jetzt lediglich an Intensität193. Auch für die Allied Mobile Force, hier nicht zuletzt ihre kommandierenden Offiziere, brachte die Krise keine Bedeutungssteigerung, ja es machte sich sogar Enttäuschung breit. In den Diskussionen in der NATO hatte man offenbar versucht, einen Einsatz der Truppe zu erwirken194. Dazu kam es jedoch nicht, da die USA es vermieden, einen offensiven Kurs gegen Moskau zu fahren, und Truppenverlegungen als zu riskant, weil provozierend galten. Schließlich wirkte sich auch die globale Dimension auf die Situation aus. Die Amerikaner hätten, auch wenn sie zu aggressiverem Vorgehen entschlossen gewesen wären, kaum über militärische Optionen verfügt, da viele Truppen, vor allem wichtige Spezialverbände, in Vietnam gebunden waren195. Erneut zeigt sich an diesem Beispiel, dass eine zu enge Fokussierung auf Mitteleuropa Unzulänglichkeiten aufweist. Ein weltweiter Blick ist nötig. Nachhaltig wirkte sich die Krise auf die grundsätzliche strategische Perspektive der NATO aus196. Die teils radikalen Wandlungen nahmen ihren Ausgang nicht zuletzt auch von der geostrategischen Lage der ČSSR. Die Invasion des Warschauer Paktes bewirkte ein deutliches Umschwenken der Aufmerksamkeit in Richtung Südostflanke. Noch während der akuten Bedrohungslage hatte sich gezeigt, dass andere Staaten, allen voran Jugoslawien, aber auch Albanien, Rumänien, Österreich und Finnland, keineswegs sicher sein konnten, nicht auch Ziel einer Intervention zu werden197. Niemand vermochte zu sagen, ob die sowjetischen Truppen an den Grenzen der ČSSR halt machten oder früher oder später eine weitere militärische Expansion folgte, die dann auch für Italien, Griechenland und die Türkei Folgen haben würde198. Diese beunruhigenden Aussichten verfestigten sich, weswegen zu befürchten stand, dass ein erhebliches Moment der Unsicherheit Einzug hielt: »The situation today in Europe and in the world is unquestionally worse than it was formerly. The range of uncertainty is clearly magnified by the large concentration of Soviet forces in Eastern

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Vgl. dazu NARA (NACP), RG 218, Wheelers Files, Box 96, Telegramm USMISSION NATO, 6.11.1968, S.  5 (»get-well-policy«). Dazu auch ebd., Vortrag Wheeler vor dem DPC anlässlich seines Abschieds aus dem aktiven Dienst, »Reflections on NATO 1961‑1969«, Kap. III. Dazu Maloney, Fire Brigade or Tocsin?, S. 605. Es ist hier eine gewisse Vorsicht geboten. Maloneys Basis besteht vor allem aus persönlichen Aussagen ehemaliger Angehöriger der AMF. Es müsste noch näher geprüft werden, ob ein Einsatz der AMF eine tatsächliche Option darstellte. Jedenfalls war die Truppe im nächstgelegenen und eigentlich einzig sinnvollen Einsatzgebiet (S-4, Nordostitalien) noch gar nicht einsatzbereit. Entsprechende Voraussetzungen, also etwa Übungen mit realistischem Hintergrund, ergaben sich dort erst ab Mitte der siebziger Jahre. Siehe dazu unten S. 268. Bischof, »No Action«, S. 336 f. Zum folgenden grundlegend NATO-Archiv, CD CZ-1968, C-R(68)50, Summary Record of a meeting of the Council held at the headquarters, Brussels, 25.9.1968 (11.10.1968). NATO-Archiv, CD CZ-1968, C-M(68)56, Trends in the Soviet Union and Eastern Europe and their policy implications, 5.11.1968, S. 4‑6. Vgl. auch ebd., C-M(68)71, Possible Developments of Soviet Policy in Eastern Europe and related areas, Progress Report, 18.12.1968. NATO-Archiv, CD CZ-1968, C-M(68)43, Political Implications of the Czechoslovakia Crisis, 5.11.1968, S. 8 f. Dazu auch Prager Frühling, Bd 2, Dok. 214, S. 1419; Dok. 215, S. 1427; und Dok. 216, S. 1429.

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Europe and the consequent extension of options open to the Soviet Union, with the danger of spill-over in contiguous areas199.« Gleichzeitig hatte sich aus Sicht der NATOPlaner aber auch gezeigt, dass die Sowjetunion politisch und ideologisch nur sehr eingeschränkt in der Lage war, mit Desintegrationsmomenten im eigenen Lager umzugehen. Die Konsequenzen hieraus reichten über die NATO-Flanken hinaus und erlangten gar globale Dimensionen: »This disproportion between muscle and brain, together with the difficulty of predicting Soviet actions as well as the various steps to increase Soviet worldwide intervention capability, have introduced elements of uncertainty, and even danger, into the international situation200.« Offensichtlich gab es im Kreml Entscheidungsträger, die Probleme damit hatten, Gefahren rational abzuwägen201. Hier manifestierte sich eine der größten Ängste, die sich trotz aller Entspannungsbemühungen bis zum Ende des Kalten Krieges hielt: als stets und ständig beschworene Sorge vor unbeherrschbaren Situationen infolge willkürlicher, nicht durchdachter Handlungsweise. In diesem Zusammenhang wurde einmal mehr die Bündnissolidarität wichtig, vor allem für die Bundesrepublik, der die sowjetische Propaganda besondere Aufmerksamkeit widmete. Die Sowjetunion würde auch in Zukunft ihre »familiar aims, including the erosion of the Western community« verfolgen202. Fast alle Bündnispartner beschworen in diesem Zusammenhang den Zusammenhalt und die Kohärenz der Allianz. Wie bereits berichtet, sah die Realität anders aus, sobald es an die Fragen der praktischen Umsetzung ging, beispielsweise der konventionellen Rüstung. Nichtsdestoweniger wurde die NATO gewahr, dass auch der ganze Mittelmeerraum als immer gefährdeter zu betrachten war, weil sich in der Krise sowjetische Marineeinheiten, darunter auch ein Hubschrauberträger, in die Ägäis aufgemacht hatten203. Hinzu kamen die Schwierigkeiten im Nahen Osten, allen voran der Dauerkonflikt zwischen Israelis und Palästinensern. Die Auswirkungen der Krise reichten von der ČSSR über den Balkan und den Bosporus bis in den Irak. Fast alle Delegationen gaben, immer in unterschiedlicher Gewichtung der Folgen und der entsprechenden Schritte der NATO für die Zukunft, dieser neuen Entwicklung Ausdruck, als der Nordatlantikrat zu einem »reinforced meeting« zusammenkam, an dem neben den NATO-Botschaftern als Ständige Vertreter die Außen- und Verteidigungsminister teilnahmen204. Es war Pierre Harmel, der die Dinge richtungweisend in vier Punkten zusammenfasste:

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NATO-Archiv, CD CZ-1968, C-M(68)43, Political Implications of the Czechoslovakia Crisis, 5.11.1968, S. 9. NATO-Archiv, CD CZ-1968, C-M(68)56, Trends in the Soviet Union and Eastern Europe and their policy implications, 5.11.1968, S. 10. Sehr deutlich in: NATO-Archiv, CD CZ-1968, C-R(68)42, Restricted Annex to summary record of the Council held at NATO headquarters, Brussels, 26.8.1968 (12.9.1968), S. 4. Ebd., S. 11. NATO-Archiv, CD CZ-1968, C-M(68)43, Political Implications of the Czechoslovakia Crisis, 5.11.1968, S. 12 f.; und ebd., C-R(68)50, Summary Record of a meeting of the Council held at the headquarters, Brussels, 25.9.1968 (11.10.1968), S. 3. NATO-Archiv, CD CZ-1968, C-R(68)61 und 62, Summary record of a meeting of the Council held at the NATO Headquarters, 15.11.1968 (9.12.1968). Dieses Grundlagendokument bildet nicht nur die Essenz der Konsequenzen aus der ČSSR-Krise, sondern gewissermaßen auch den Auftakt für die weiteren strategischen Diskussionen der nächsten 20 Jahre.

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»First, a study of the Communist countries’ domestic application of socialism and relations with the Soviet Union, the increasing diversification of which deserved special attention, would no doubt throw valuable light on the true strength of the Warsaw Pact. Secondly, recent events having brought to light serious differences of opinion within the international Communist movement [...] since at the last Communist Party Congress at Karlovy-Vary three objections had been set: destruction of the NATO Alliance by fomenting discord between certain European countries and the United States, attempt to separate other European countries from Germany, prevent the United Kingdom from joining the Common Market. It was also necessary to analyse – particularly in so far as they involved the strengthening of the Warsaw Pact and COMECON – the consequences of the theory whereby the Soviet Union reserved the right to intervene directly in other Socialist States on the pretext of an inviolable ›Socialist Community‹. In this connection, attention should constantly be drawn to the radical difference between the underlying principles of the Atlantic Alliance, which was found on solidarity and freely-accorded mutual assistance, and the Eastern regime of constraint which was backed up by a doctrine contrary to the principles of national sovereignty and independence. A fourth possible subject for study was the new trend of Chinese Communist interference in European affairs, mainly as a result of the protection accorded to Albania and Rumania, and which ran counter to Soviet interests in these areas [...] Turning to the situation in Southern Europe and the Mediterranean countries, he [Harmel] noted that the political centre of gravity of Europe was moving southwards. The entire periphery of the Mediterranean was a sensitive area and, in particular, there was a danger that the Arab-Israeli conflict would become the focal point for an international crisis; this must be avoided at all costs205.«

Es ging nicht nur um unterschiedliche Strategien, Inhalte, Weltanschauungen oder Gesellschaftsmodelle, sondern um innere Stärke und Festigkeit sowie um die strukturelle Integrität der westlichen Gemeinschaft. Mit diesen Punkten, die auch die anderen Delegationen in unterschiedlicher Ausgestaltung und Gewichtung bestätigten, waren die strategischen Inhalte künftiger Planungen und Stabsrahmenübungen vorgezeichnet. Selbstverständlich stießen die direkt bedrohten Bündnispartner an den Flanken – Italiener, Türken und Griechen – am stärksten in dieses Horn. Aber auch andere erkannten, dass in Zukunft neue Krisenherde zu erwarten waren. Selbst die deutsche Seite, die sich nach wie vor auf den Mittelabschnitt konzentrierte, kam um eine entsprechende Anerkennung nicht herum, suchte aber die Bedeutung der Südflanke zu relativieren. So betonte Speidel in seiner Rede vor der Atlantic Treaty Association im Jahre 1969, dass die Flanken zwar wichtig seien, aber das Hauptaugenmerk weiterhin auf der Zentralfront läge: »Availability of suitable counter-attack units to protect the northern and southern flanks without weaking the center206.« Hier schwang großes Unbehagen im Hinblick darauf mit, dass sich in Zukunft Schwerpunktverlagerungen in Richtung Afrika oder den 205 206

NATO-Archiv, CD CZ-1968, C-R(68)62, Summary record of a meeting of the Council held at the NATO Headquarters, 15.11.1968 (9.12.1968), S. 7 f. NARA (NACP), RG  218, Wheelers Files, Box  71, Verteidigungsattaché Trebesch an JCOS, 23.10.1969, mit Introductory Report by Dr. Speidel, Rapporteur to the Military Committee, XVth General Assembly of the Atlantic Association, Washington, S. 4.

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Nahen Osten ergeben könnten. »Speaking as a realistic soldier, I would say NATO’s military role will have to remain basically unchanged, at least in the medium term. Though developments in the Middle East and Africa could be of consequence for the NATO area, even militarily, I cannot imagine that NATO’s military policy can be modified in such a way as to have any real effect on them207.« Dieses Thema sollte in Zukunft noch für Zündstoff sorgen. Die Amerikaner jedenfalls dachten keineswegs daran, sich ausschließlich Europa zu widmen. Im Gegenteil, die neu ins Amt gewählte Nixon-Administration betrachtete die globale Perspektive als unerlässlich. Henry Kissinger forderte als Nationaler Sicherheitsberater des US-Präsidenten in einem Hintergrundinterview mit Pressevertretern in heute wiederum überaus aktuell klingenden Worten die Europäer auf, verstärkt für ihre eigene Sicherheit zu sorgen. Der Kontinent habe sich nach dem Zweiten Weltkrieg so weit erholt, dass er stark genug sei, dem Osten aus eigener Kraft Paroli zu bieten. Die USA würden sich gleichwohl weiter engagieren und Europa auch als erste Priorität betrachten. Man habe aber, anders als die Europäer, weltweite Verpflichtungen: »We have a number of alliances, of course, and the President has repeatedly asserted that we intend to maintain our commitments [...] At the same time, we believe that the growth of European economic strength and political selfconfidence will enable the Europeans over the years ahead to play a larger relative role, both intellectually and materially within the Alliance208.« Im Übrigen war für Kissinger klar, dass angesichts der offensichtlich immer stärker werdenden Ambitionen der Sowjetunion im Nahen Osten die USA hier unbedingt tätig werden mussten. Vietnam stand einstweilen weiter auf der Agenda209, auch wenn sich die grundlegende Perspektive der neuen Administration bereits zu ändern und sich zumindest im direkten militärischen Engagement ein genereller Rückzug abzuzeichnen begann (»Nixon-Doktrin«)210. Insgesamt wurde deutlich, dass nicht mehr nur Mitteleuropa und Berlin im Zentrum der Erwägungen standen. Es waren viele neuralgische Punkte denkbar, darunter auch die »Contingency Areas« der AMF im Süden. Im Verhältnis dazu sah es an der Nordflanke etwas positiver aus211. Als zentral aber erwies sich, dass die Flanken nunmehr in einem Zuge mit der Zentralfront und Berlin genannt wurden212. Es waren mehrere Aspekte, die das Bedrohungspotenzial ausmachten. In den Entscheidungszentren des westlichen Bündnisses realisierte man, dass nicht nur die NATO Probleme mit der Bündniskohärenz besaß, sondern ebenso der Warschauer 207 208 209

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Ebd., S. 3. Ebd., Secretary of State an US Botschaft in Kinshasa, 17.2.1970, S. 6. Ebd., S. 14‑20. Vgl. Dazu auch die Abschiedsrede von Wheeler vor dem NATO-Militärausschuss, in der er unverhüllt vor heuchlerischem Gejammer warnte: »We often hear unduly pessimistic appraisals of NATO’s potential to repell a non-nuclear attack by the Pact, which gives the impression that NATO would be a third-rate Alliance facing an overwhelming superiority were it not for the nuclear deterrent.« NARA (NACP), RG 218, Wheelers Files, Box 96, Vortrag Wheeler vor dem DPC anlässlich seines Abschieds aus dem aktiven Dienst, »Reflections on NATO 1961‑1969«, Kap. III. Zum Wechsel der stratgeischen Perspektiven der Amerikaner vgl. Schmid, Transatlantic and Middle East Crisis Arcs. Vgl. zusätzlich Sherwood, Allies in Crisis, S. 135‑137. Vgl. dazu auch die eher gemäßigte Reaktion der Dänen auf die Krise in der ČSSR: Wegener Friis, Dänemark. Vgl. auch Larmola, Finnland. Deutlich in: NATO-Archiv, CD CZ-1968, C-R(68)61, Summary record of a meeting of the Council held at the NATO Headquarters, 15.11.1968 (9.12.1968), S. 7 und S. 10.

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Pakt sowie überhaupt das kommunistische Lager (»polycentric tendencies within the Communist world«)213. Die NATO unternahm, insbesondere auch hinsichtlich der eigenen Alarmmaßnahmen, bewusst nichts, was zu Irritationen bzw. zu einer Eskalation hätte führen können, und versuchte peinlich genau den Eindruck zu vermeiden, dass man sich militärisch einmischen wolle. Für den Fall eines Volksaufstandes oder gar einer Revolution im Ostblock befürchteten die NATO-Planer erhebliche Gefahren für den Frieden in Europa. Man hatte ein Überschwappen (»spill-over«)214 militärischer Gewalt in das NATO-Gebiet zu gewärtigen, das bei entsprechenden Missverständnissen zu einer ernsten Krise mit nachfolgender militärischer Konfrontation hätte führen können. Die Instabilität des Ostblocks wurde zum Bedrohungsfaktor par excellence: »events in Czechoslovakai underscore both the growing pressures within Eastern Europa for liberalization and Soviet determination to oppose such pressure as forcefully as necessary, even in the face of propaganda costs and the risks of war. The situation in Eastern Europa may therefore become increasingly explosive – this is no time for NATO to cut its force or ignore ways to make them more effective215.« In der letzten Konsequenz bedeutete dies umgekehrt, dass die erfolgreiche Intervention in der ČSSR zwar sämtliche völkerrechtlichen Prinzipien mit Füßen trat, dann aber auch zur allgemeinen Beruhigung der Lage beitrug. Ähnliches galt für eventuelle Interventionen in den Nachbarstaaten. Die NATO bemerkte, dass sie für einen solchen Fall (»indirect threat«) kein strategisches Konzept besaß216. Ein Einmarsch in Jugoslawien etwa stellte nicht automatisch eine direkte Gefahr für die NATO dar. Das ganze Kriseninstrumentarium, das auf Aggressionen gegen das eigene Bündnisgebiet hin ausgelegt war, nutzte also nur begrenzt. Der Einmarsch in Ungarn von 1956 eignete sich nur bedingt für einen Vergleich, da in diesem Fall noch die nukleare Überlegenheit des Westens Schutz geboten hatte und außerdem mit der Suezkrise ein weiterer Krisenherd entstanden war, der eine Annäherung der Supermächte auf Kosten der alten Kolonialstaaten gebracht hatte217. Die NATO, dies ging aus den Verlautbarungen fast aller Delegationen hervor, schwankte zwischen der Forderung nach deutlichem Auftreten, um dem Ostblock Stärke zu demonstrieren und hierfür auch konventionell aufzurüsten, und der Furcht vor einer Eskalation. An dieser mental-psychologischen Schnittstelle kam die AMF wieder prominent ins Spiel. Vor allem die Briten propagierten die Truppe als ein Mittel, um im

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NARA (NACP), RG 218, Wheelers Files, Box 137, State Department Paper für NSC Meeting No. 587, 17.6.1968, S. 1. Deutlich auch in NATO-Archiv, C-M(68)43, Political Implications of the Czechoslovakia Crisis, 5.11.1968, S. 1‑4. Dazu auch Trauschweizer, The Cold War US Army, S. 189; und Bischof, »No Action«, S. 337‑343. NARA (NACP), RG  218, Wheelers Files, Box  71, Telegramm von US-Verteidigungsminister Clifford an US NATO, 8.11.1968, Memorandum des Assistant Secretary of Defence Enthoven an Senator Cooper vom 22.10.1968, »Evaluation of NATO and Pact Conventional Forces in Central Europe«, Kap. IV (»Implications for Strategy«). NATO-Archiv, CD CZ-1968, C-R(68)45, Restricted Annex to summary record of the Council held at NATO headquarters, 4.9.1968 (23.9.1968), S. 8. Dazu auch Dockrill, Verteidigung und Entspannung, S. 377. NATO-Archiv, CD CZ-1968, C-R(68)23, Summary record of a meeting of the Council held at the Headquarters, Brussels, 14.5.1968 (30.5.1968), S. 17.

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Krisenfall die nötigen Signale an den Warschauer Pakt zu senden, ohne eine vorschnelle Verschärfung zu bewirken218. Alle Bündnispartner hofften, dass die allmählich einsetzende Entspannungspolitik zur Öffnung des Ostens beitragen konnte und sich dadurch die Spannung verringerte. Daran wollten alle Beteiligten auf jeden Fall festhalten219. Willy Brandt betonte dies als Chairman der zentralen Sitzung des Nordatlantikrats in besonderer Weise und gab diesem Aspekt auch in Relation zu anderen Instrumenten westlicher Politik das entscheidende Gewicht220. Die Détente würde aber ein langfristiger Prozess sein, der wegen der akuten Krise und des Verhaltens der Sowjetunion erst einmal auf Eis lag. Zunächst beschwerte jedoch das Damoklesschwert möglicher weiterer Interventionen die Gemüter. Das lag nicht zuletzt an der in der »Pravda« öffentlich verkündeten BrešnevDoktrin221 und an der Proklamierung eines »socialist commonwealth«. Die Doktrin vom November 1967 schrieb neben ökonomischen Versprechungen das Recht der Intervention fest222 und verkündete das Recht auf Mitsprache in den Angelegenheiten der Bundesrepublik Deutschland223. Dieser letzte Punkt, der neben der Situation in Berlin auch auf dem Selbstverständnis der Sowjetunion als Siegermacht des Zweiten Weltkriegs beruhte, barg erhöhtes Gefahrenpotenzial in sich, da er als Hebel für Provokationen verwendet werden konnte. In militärischer Hinsicht wirkte besonders bedrohlich, dass die Armeen des Warschauer Paktes einen Vormarsch offensichtlich rasch und effizient durchzuführen imstande waren224, zwar nicht direkt aus dem Stand, aber mit relativ kurzer Anlaufzeit von drei Monaten, wie das Beispiel ČSSR gezeigt hatte. Für einen direkten Angriff auf die NATO ohne vorherigen Einmarsch in ein sozialistisches Bruderland schien wesentlich weniger Vorwarnzeit vonnöten, insbesondere wenn nur begrenzte Ziele verfolgt wurden225. Manche Planer gingen sogar von keinerlei taktischer Vorwarnzeit mehr aus. Gerade die deutschen Vertreter registrierten dies mit großer Beunruhigung226. Zudem hatte sich maßgeblich verstärkt, was schon zuvor offenkundig 218

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NATO-Archiv, CD CZ-1968, C-R(68)47, Annex (Limited Distribution) to summary record of the meeting of the Council held at NATO headquarters, 13.9.1968 (27.9.1968), S. 2 f. Vgl. auch ebd., C-R(68)50, Summary Record of a meeting of the Council held at the headquarters, Brussels, 25.9.1968 (11.10.1968), S. 5: »convincing the Soviet Union that the NATO defence system was intended solely for defence purposes.« NATO-Archiv, CD CZ-1968, C-M(68)43, Political Implications of the Czechoslovakia Crisis, 5.11.1968, S. 9. NATO-Archiv, CD CZ-1968, C-R(68)61, Summary record of a meeting of the Council held at the NATO Headquarters, 15.11.1968 (9.12.1968), S. 11‑13. Dazu der entsprechende Artikel von Leonid Brešnev in der Pravda vom 15.7.1968 . NATO-Archiv, CD CZ-1968, C-M(68)56, Trends in the Soviet Union and Eastern Europe and their policy implications, 5.11.1968, S. 7 f. NATO-Archiv, CD CZ-1968, C-M(68)43, Political Implications of the Czechoslovakia Crisis, 5.11.1968, S. 9 und 11. Dies entsprach zumindest nach Auffassung von Wojtech Mastny nicht den Tatsachen. Die sowjetischen Truppen zeigten bei der Durchführung der Aktion gemäß Mastny erhebliche Mängel. Vgl. die Diskussion in Stoddart, Losing an Empire, S. 191 f. NARA (NACP), RG  218, Wheelers Files, Box  96, Telegramm USDEL MC Brüssel an JCOS, 5.11.1968, S. 2. NATO-Archiv, CD CZ-1968, C-R(68)42, Restricted Annex to summary record of the Council held at NATO headquarters, Brussels, 26.8.1968 (12.9.1968), S. 2: »it appeared that the potential

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geworden war: Die Sowjets hatten in breitestem Maße Militärübungen zur Vorbereitung ihrer Invasion abgehalten227. Damit rückten die Manöver, die zum Beispiel soeben an der Nordflanke abgehalten worden waren, ins Zentrum der Krisen- und Kriegsszenarien. Davon war auch die AMF betroffen. Der Führungsstab der Streitkräfte der Bundeswehr hatte in seiner Analyse erhebliche Defizite erkannt und drängte darauf, dass diese abgestellt wurden:

»Die Krise offenbarte Schwächen der Allianz in der Beherrschung von Krisen [...] Die Frage ist [...], inwieweit der Rat und die Nationen die erforderlichen Lehren daraus ziehen. Die Schwierigkeiten, künftige Krisenbeherrschungsmaßnahmen zu ›Katalogisieren‹, wie das wohl im ›Emergency Book‹ beabsichtigt ist, ist offenkundig. Dabei muss man auch die Schwächen sehen, die an sich solch einem ›Contingency Verfahren‹ innewohnen. Trotz dieser Bedenken sollten die Bemühungen, Verfahren für eine Krisenbeherrschung zu entwickeln, fortgesetzt werden. Es fragt sich, ob nicht auch im nationalen Rahmen, in Anlehnung an die Verfahren des NATO-Rates, diese Dinge vorangetrieben werden sollten (Schaffung eines Ad-hocArbeitsstabes im BMVg, interministerielle Arbeitsgruppe)228.«

Insbesondere mussten die obersten Organe der NATO Informationslücken verhindern, wie eben im Falle der direkten Intervention am 21. August zutage getreten. Dazu war eine umfassende Koordination vonnöten. Die beteiligten Militärs fast aller NATO-Partner kamen zum Schluss, dass man nicht mehr, wie vielleicht früher einmal erhofft, auf der Basis der sowjetischen Absichten planen konnte, da dies große Risiken beinhaltete. Fortan waren unbedingt die Fähigkeiten, d.h. vor allem die Kampfkraft der Armeen des Warschauer Paktes, zu berücksichtigen; ein Diktum, das mit den Zielen der Entspannungspolitik nicht unbedingt deckungsgleich war229. Speidel etwa formulierte dies so: »It is mainly the military strength not the possible political intentions of the potential enemy that should be given priority in NATO planning. As in the past, the other side still has the potential to launch an attack on the NATO area – hence practically without any warning230.« Die entscheidenden

227 228 229

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threat in numerical terms had not significantly increased, but the westward movement was important, the operational readiness was higher, an exercise had taken place under war conditions, the dynamic element in the Warsaw Pact system had played a greater part, further movements could not be forseen and miscalculation was possible.« Ebd., S. 1. BArch, BW 2/3101, Fü S III 2, Vermerk für Leiter III, Beitrag für Lage, Political/Military Work Program, hier: Crisis Management, 18.9.1968, S. 2. PDP, CD020, MCM-77-68, Memorandum for the Secretary General, The Military Implications for the Alliance of the Invasion of Czechoslovakia, 28.9.1968, S. 3‑5; ebd., MCM-70-68 (rev.), Memorandum for the Secretary General, Analysis of Recent Soviet Actions in Czechoslovakia from a Military Point of View, 23.9.1968, S. 5; und ebd., MCM-70-68, Memorandum for the Secretary General, Analysis of Recent Soviet Actions in Czechoslovakia from a Military Point of View, 29.8.1968, S.  3, mit Encl.  1 SHAPE, 0110.5/17-1, Analysis of Recent Soviet Action in Czechoslovakia from a Military Point of View, 27.8.1968, S. 8. NARA (NACP), RG  218, Wheelers Files, Box  71, Verteidigungsattaché Trebesch an JCOS, 23.10.1969, mit Introductory Report by Dr. Speidel, Rapporteur to the Military Committee, XV General Assembly of the Atlantic Treaty Association, Washington, S. 2. Speidel fungierte hier als militärischer Fachmann und Berichterstatter des Militärausschusses der Atlantic Treaty Association (ATA), Dachorganisation und Netzwerk zur Förderung und Diskussion der transatlantischen Beziehungen. Die ATA existiert noch heute.

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Studien und Konzepte der NATO der kommenden Jahre orientierten sich an dieser Dichotomie231. Die neue Lage manifestierte sich, wie noch zu zeigen sein wird, auch in den zentralen Stabsrahmenübungen HILEX und WINTEX. Die stärkere Konzentration auf die Südflanke bewirkte unter anderem eine Aufwertung der AMF in den Kriegsszenarien. d) Konsolidierte Bündnisstrategie: Die Flexible Response 1969‑1989 Externe Gefahren, konventionelle Defizite und globale Herausforderungen: Die zweiten 20 Jahre der NATO Gegen Ende der sechziger Jahre hatte sich die NATO wieder stabilisiert232. Nach dem Austritt der Franzosen, der Gründung der Nuklearen Planungsgruppe, dem Arrangement zwischen Briten, Amerikanern und Deutschen (u.a. im »Offset-Abkommen«) und der Verankerung der neuen Strategie durch den Harmel-Bericht verfügte das Bündnis über ein neues Fundament. Die Krise um den »Prager Frühling« hatte nicht nur Verbesserungspotenzial aufgezeigt, sondern, zumindest psychologisch, auch einigend gewirkt. Damit hörten die Probleme aber keineswegs auf – im Gegenteil, die Differenzen vor allem auch in Fragen der Militärstrategie setzten sich in vielerlei Hinsicht fort. Es bestanden indes keine derart existenziellen Gefahren für den Bestand der Allianz mehr wie zuvor. Allerdings verdüsterte sich die militärische und die (global-)strategische Gesamtlage zusehends. Dies wurde schon mit dem Amtsantritt der neuen Nixon-Administration deutlich. Nixon und Kissinger ließen zwar alsbald erkennen, dass sie das Engagement in Vietnam beenden wollten. Dadurch entstanden bei den Europäern Hoffnungen, dass die USA sich wieder vornehmlich auf den Alten Kontinent konzentrieren würden. Sie wurden indes schnell enttäuscht. Aufgrund der hohen politischen, militärischen und finanziellen Kosten des Vietnamkrieges beschloss die US-Regierung, sich weltweit so weit als möglich aus ihren direkten militärischen Engagements zurückzuziehen und nur dann einzugreifen, wenn ein Verbündeter massiv und direkt bedroht würde233. Dies korrespondierte mit dem Rückzug der Briten aus ihren Gebieten bzw. Verpflichtungen »East of Suez«. Die Amerikaner zeigten hier zunächst einmal wenig Interesse, die alte Kolonialmacht in militärischer Hinsicht abzulösen und größere Truppenverbände dort zu stationieren, wo die Briten abzogen234. Gemäß dem Gesamtprogramm Washingtons, das als »Nixon-Doktrin« in die Strategiegeschichte einging, war Zurückhaltung beim globalen Engagement in militärischer Hinsicht geboten235. 231

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Quasi als Auftakt ganz deutlich in: PDP, CD020, MCM-77-68, Memorandum for the Secretary General, The Military Implications for the Alliance of the Invasion of Czechoslovakia, 28.9.1968, S. 5 f. Wenger/Möckli, Power Shifts and New Security Needs. Kaplan, NATO Divided, S. 57‑62. Dazu auch oben S. 20. Watson/Gleek/Grillo, Presidential Doctrines, S.  59‑78. Vgl. auch Sherwood, Allies in Crisis, S. 134 f.

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Stand bei alledem zunächst natürlich der Rückzug aus Südostasien im Zuge der »Vietnamisierung« des Konflikts im Vordergrund, konnten die Europäer indes nicht sicher sein, ob Washington ähnliche Ziele in Bezug auf die NATO verfolgte. Zwar hielten Nixon und Kissinger an der NATO fest und wiesen Europa auch wiederholt öffentlich die oberste Priorität zu. Jedoch verlangten sie gerade von den Europäern – fast noch mehr wie von allen anderen Partnern im globalen Rahmen – mehr Eigenverantwortung. Dies war die eigentliche Botschaft Kissingers bei seinem Hintergrundinterview im Zuge des Amtsantritts der Nixon-Administration. Wer, wenn nicht die Europäer, hatte das wirtschaftliche Potenzial, für die eigene Sicherheit zu sorgen236? Diese Grundhaltung führte trotz entsprechender Bestrebungen im Kongress (z.B. »Jackson-Nunn-Amendment«) nicht zu massiven Truppenreduzierungen in Europa, hingegen sorgte es für die Fortsetzung wechselseitigen Misstrauens und der Befürchtungen hinsichtlich der Aufweichung der Bündnissolidarität, wenn auch in erheblich geringerem Maße als in den sechziger Jahren237. Konfliktfelder gab es genug238. Dazu zählte beispielsweise die Tendenz der Amerikaner, sich in globalstrategischen Fragen, vor allem in Bezug auf Nuklearwaffen, mit den Sowjets direkt abzustimmen bzw. bei Out-of-area-Krisen im Alleingang zu handeln, ohne die Europäer zu konsultieren oder sie schlicht zu informieren239. Dies war unter anderen im Yom-Kippur-Krieg geschehen, als die USA neben umfangreichen Waffenlieferungen auch Alarmmaßnahmen ergriffen hatten. Überhaupt bestand eine weite Diskrepanz gerade in wesentlichen Fragen zum Nahen Osten. Dazu zählte die militärisch-politische Prioritätensetzung der Amerikaner, die der Region erhebliche Bedeutung beimaßen240. Den Europäern, die sowohl die erneute Umleitung von Ressourcen als auch negative Auswirkungen für die Entspannungspolitik fürchteten, gefiel derlei nicht sonderlich. Der Streit während des Yom-Kippur-Krieges selbst etwa hinsichtlich der Verweigerung von Überflugrechten für die Amerikaner tat ein Übriges. Dass die Amerikaner dann auch noch eine Propagandakampagne gestartet hatten, die letztlich trotz aller Betonung transatlantischer Solidarität darauf zielte, europäische Rückendeckung und eine freie Hand für eigenes globales Handeln bei gleichzeitiger Erhöhung des Eigenanteils der Europäer bei Bündnisverteidigung zu bekommen (»Year of Europe«), sorgte für weitere Missstimmung. Die nachfolgende Ölkrise verschärfte die Probleme zwischen den Bündnispartnern dann nochmals. Die NATO registrierte außerdem in fast allen Bereichen eine massive sowjetische Aufrüstung, nicht nur in quantitativer Hinsicht, sondern auch in qualitativer241. Außerdem begann sich eine erhebliche Ausweitung des politisch-strategischen Engagements außerhalb Europas abzuzeichnen. Im Bereich der strategischen Nuklearwaffen ging der amerikanische Vorsprung endgültig verloren. Die sowjetischen Interkontinentalraketen 236 237 238 239 240 241

NARA (NACP), RG 218, Wheelers Files, Box 71, Secretary of State an US Botschaft in Kinshasa, 17.2.1970, S. 6 u.ö. Passim. Vgl. dazu auch Stoddart, Losing an Empire, S. 175. Zum Folgenden vgl. Kaplan, NATO Divided, S.  62‑71; und Sherwood, Allies in Crisis, S. 136‑147. Lundestad, The United States and Western Europe, S. 209. Dazu Lemke, Globale Probleme einer regionalen Allianz, S. 26‑30. Smith, The Defence of the Realm, S. 50.

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verfügten zunehmend über präzisere Zielerfassungssysteme, sodass die amerikanischen Raketen in Gefahr gerieten, bei einem Überraschungsangriff vernichtet zu werden242. Gleichzeitig rüstete Moskau seine Seestreitkräfte auf und zeigte mit ihnen globale Präsenz. In Verbindung mit anfänglichen Erfolgen in der Nahostpolitik bedeutete dies eine schleichende Gefahr für die Position der Amerikaner243. In Europa setzten sich die alarmierenden Botschaften fort, die man im Zuge der ČSSR-Krise erhalten hatte244. Strategische Planer nicht nur im Pentagon gelangten zu der Erkenntnis, dass die Rote Armee und ihre Verbündeten von ihrer bis dato gültigen Operationsplanung abkamen. Diese hatte bislang offensichtlich das Vorrücken auf breiter Front in Deutschland vorgesehen und war bei der Stoßgeschwindigkeit teilweise noch an Grenzen gestoßen. Stattdessen würden die russischen Militärs nun verstärkt dazu übergehen, gezielte Einbrüche in die NATO-Front vorzubereiten, die nach Gelingen rasche und weitreichende Vorstöße in das Hinterland ermöglichten. Dies wurde von den westlichen Militärexperten in Anlehnung an das Vorgehen der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg »Blitzkrieg«-Strategie genannt. Die Folgen für die Verteidigungsplanung der NATO waren offensichtlich und führten zu einer neuen, langanhaltenden Runde in den transatlantischen Auseinandersetzungen um die eigene Verteidigungsfähigkeit und die entsprechenden Prioritäten. Gewissermaßen einen neuen Auftakt initiierte der am 2. Juli 1973 angetretene amerikanische Verteidigungsminister James R. Schlesinger, der wegen seiner Neuinterpretation der strategischen Atomstrategie bekannt wurde: Die »Schlesinger-Doktrin« hob insbesondere die Zweitschlagfähigkeit und die Ausdifferenzierung der Zieloptionen mit Schwerpunkt auf militärischen Objekten in der Sowjetunion hervor. Diese Perspektive hatte Schlesinger aus der Erkenntnis der sowjetischen Fähigkeiten heraus entwickelt und dabei gleichzeitig die Flexible Response im Bereich der Interkontinentalraketen realisiert245. Im Hintergrund stand das Bemühen, den strategischen Nuklearkrieg beherrschbar zu machen. Im konventionellen Spektrum begann Schlesinger indes mit derselben Verve wie die vorangegangenen Regierungen tätig zu werden, etwa was die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit anging. Er forderte auch von den Europäern mehr Ausgaben für die Rüstung, vor allem aber eine Steigerung der Effizienz und der Flexibilität246. Die Europäer vermuteten hinter dem Gesamtkonzept, gerade in Verbindung mit der Neuausrichtung der Grundlagen für die strategischen Atomwaffen, erneut den Versuch der amerikanischen Bündnispartner, sich aus der Verantwortung zu stehlen, wenn die Vernichtung der USA selbst drohte247. Das alte Spiel setzte sich fort. Schlesingers Versuche zur Stärkung der konventionellen Streitkräfte erlahmten alsbald.

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Walsh, The Military Balance in the Cold War, S. 15‑22. Allerdings erlitt die Sowjetunion nicht zuletzt auch durch die geschickte Diplomatie Henry Kissingers im Nahen Osten rasch wieder herbe Rückschläge. Di Nolfo, The Cold War and the Transformation. Zum Folgenden vgl. Walsh, The Military Balance in the Cold War, S.  109‑123; und Kugler, Commitment to Purpose, S. 250‑253, 445‑448. Mey, NATO-Strategie vor der Wende, S. 31‑39. Kugler, Commitment to Purpose, S. 291‑301. Duffield, Power Rules, S. 209 f.

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Einen umfassenden Neuanlauf unternahm die Carter-Administration. Immer mehr in Sorge wegen der drohenden sowjetischen Überlegenheit und angesichts sinkender Verteidigungsanstrengungen der Europäer, setzte die Regierung ein großangelegtes Militärkonzept, das Long Term Defence Programm (LTDP), in Kraft, für das sich Präsident Jimmy Carter persönlich stark machte248. Dies ging auf die Erkenntnis der aktuellen Defizite vor dem Hintergrund der traditionellen Grundproblematik amerikanischer Militär- und Sicherheitspolitik zurück, die der einflussreiche Journalist und Schriftsteller Walter Lippmann schon 1943 formuliert hatte: die Balance zwischen globalen Verpflichtungen bzw. Anforderungen und den vorhandenen Mitteln (»Lippmann-Gap«)249. Die NATO arbeitete in der Folge mit großem Aufwand die Grundlagen für das neue Programm aus und identifizierte neun Großbereiche, in denen Verbesserungen als nötig erachtet wurden. Dabei spielte nicht allein die Truppenaufstockung eine Rolle (die nie wirklich erreicht wurde), sondern Maßnahmen zur Effizienzsteigerung, für besseres Management, Standardisierung, die Verwendung neuer Kampfmittel, etwa Streuund Zerlegermunition sowie Panzerabwehrraketen, bessere Dislozierung u.a.m. Das Programm wurde als großer politischer Erfolg gewertet, zeitigte letztlich jedoch nur sehr begrenzte Wirkung und wurde schließlich eingestellt. Die Gründe hierfür lagen unter anderem in der viel zu weiten Definition der anstehenden Aufgaben. Es wurde praktisch alles in den Katalog aufgenommen und damit jegliche Priorisierung unmöglich gemacht. Das Programm blieb nichtssagend, auch weil die nötigen Mittel nicht bereitstanden, um alle Punkte zu realisieren250. Das war gleichzeitig der Hauptgrund für das Scheitern: Die Europäer weigerten sich beharrlich, eine großangelegte Aufrüstung auf Kosten ihrer Sozialhaushalte in Gang zu setzen. Bonn und London gingen am weitesten, überschritten hingegen relativ enggezogene Grenzen nicht. Beim Thema Finanzen hörte ab einem gewissen Rahmen die Bündnissolidarität auf. In diesem Zusammenhang griff erneut die globale Perspektive, wieder auch unter Belastung der Kohärenz und der Solidarität innerhalb der Allianz. Die Carter-Administration gewärtigte schon bei Amtsantritt, dass sich im Mittleren Osten neue strategische Bedrohungen eröffneten, und begann mit den Planungen für eine Eingreiftruppe, der Rapid Deployment Force (RDF)251. Die strategischen Grundlagen zum Aufbau dieses mobilen Einsatzverbandes ergaben sich Ende der siebziger Jahre nach dem Einmarsch der Sowjets in Afghanistan und dem Geiseldrama in Teheran. Die Ereignisse seit 1979 in Iran und Afghanistan zogen zusammen mit anderen Faktoren, vor allem den Problemen und Rückschlägen bei den Verhandlungen über die strategischen Atomwaffen und dem NATO-Doppelbeschluss, eine Verschärfung der 248

249 250

251

TNA, FCO 46/1702, D/DS12/18/44, NATO Long Term Defence Programme: Draft for Paper, A.S. Collins, 18.4.1978, mit Begleitmaterial. Zum Folgenden vgl. auch Walsh, The Military Balance in the Cold War, Kap. 5; Duffield, Power Rules, S. 204‑221; Kugler, Commitment to Purpose, Kap. 14‑16. Buehler, The Carter Doctrine and National Security, S. 82. TNA, FCO 46/1700, DEF 061/8, Long Term Defence Programme:EWG Meeting on 8 March, J. Peter, 9.3.1978, S.  3; und TNA, FCO  46/1701, NDBC/P(79)6, D/DS12/I79/78, NATO Defence Business Co-Ordinated Committee, Long-Term Defence Programme: EWG Meeting, 21‑23 March 1978, Note by Head of DS 12, 29.3.1978, S. 1 f., mit Begleitmaterial. Walsh, The Military Balance in the Cold War, S. 153‑164.

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Lage nach sich. Insbesondere die Militäraktion am Hindukusch, die mit der tschechoslowakischen Krise von 1968 durchaus verglichen werden kann bzw. noch bedeutsamer war, hatte erheblichen Einfluss auf die NATO, nicht nur in Bezug auf deren strategische Planungen. Nicht wenige Kommentatoren und auch Historiker werteten dieses Ereignis als sinnfälligen Ausdruck für das Ende der Entspannungsperiode und den Beginn des »Zweiten Kalten Krieges«252. Unter dem Eindruck dieser Geschehnisse befahl Carter den Aufbau der schnellen Einsatztruppe (zunächst Rapid Deployment Force). 1981, in seinem letzten Regierungsjahr, unter dem Eindruck der Geiselnahme in Teheran und vor allem des Einmarsches in Afghanistan, unterbreitete er schließlich ein Gesamtkonzept, das die entscheidende Bedeutung der Golfregion für die USA darlegte (»Carter-Doktrin«)253. Das, was zuvor eher als vorausschauende Sicherheitsmaßnahme vorbereitet, aber nicht wirklich realisiert worden war, rückte jetzt in den Vordergrund. Das ursprüngliche Konzept der RDF ähnelte zunächst in vielem dem der Allied Mobile Force, und in der Tat hatte die RDF vergleichbare Aufgaben, allerdings im globalen Rahmen254. Sie sollte ursprünglich aus leichten, hochmobilen Kräften bestehen, deren Einsatz bei einer Bedrohung der Golfregion durch den Ostblock vorgesehen war, um den Willen und die Entschlossenheit der USA zur Wahrung der eigenen Interessen zu demonstrieren. All dies wurde recht rasch den nicht gerade begeisterten Verbündeten präsentiert. Die Planungen und Diskussionen im US-Apparat waren bereits weit fortgeschritten, als der Regierungswechsel in Washington stattfand. Präsident Ronald Reagan sollte das Konzept dann ausbauen. Die RDF wurde ersetzt durch die Rapid Deployment Joint Task Force (RDJTF), die nicht nur einen ausgedehnteren Auftrag hatte, sondern auch mehr Truppen umfasste255. Indes bestanden durchaus Kontinuitäten. Die scheidende Administration hatte trotz des Images von Carter als ›weicher‹ Präsident ein weitreichendes Konzept vorgelegt, dass die Reagan-Administration in fast allen Punkten übernahm. Wesentliche qualitative Abweichungen in der grundsätzlichen Aufgabenstellung gab es nicht256. Die Unterschiede waren eher quantitativer Natur. Für die NATO und für Deutschland hatte das Konzept weitreichende Auswirkungen257. Was die USA den alten Kolonialmächten immer vorgeworfen hatten: das Abzweigen massiver Kräfte für imperiale Abenteuer, wurde jetzt zum strategischen System erhoben. Die Golfregion, das neue Zentrum amerikanischer Sorgen, erhielt ei252

253 254

255 256 257

Ebd., S. 1 f., 199 f.; Gaddis, Der Kalte Krieg, S. 248‑265; Westad, The Global Cold War, S. 299. Zur herrschenden Meinung in der Forschung, dass gerade die Entspannungspolitik in Europa Konflikte in der »Dritten Welt« mehr begünstigt als verhindert habe, vgl. Latham, The Cold War in the Third World, S. 276 f. Zudem Mitchell, The Cold War and Jimmy Carter, S. 70 f.; Njolstad, The Collapse of Superpower Détente. Sherwood, Allies in Crisis, S.  147  f.; Walsh, The Military Balance in the Cold War, S.  199  f.; Westad, The Global Cold War, S. 328‑330; Saikal, Islamism, S. 129 f. Walsh, The Military Balance in the Cold War, S. 200; vgl. auch Kugler, Commitment to Purpose, S. 345 f. Zum Vergleich zwischen AMF und RDF bzw. UK Mobile Force vgl. Lemke, Strategische Mobilität im Kalten Krieg. Basisformationen zur RDJTF in: Record, The Rapid Deployment Force; Cole [u.a.], The History of the Unified Command Plan; Davis, Observation on the Rapid Deployment Joint Tast Force. BArch, Verschlusssache. Zum Folgenden vgl. Stuart/Tow, The Limits of Alliance, S. 88‑99.

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nen Status, der dem europäischen Schauplatz fast gleichgeordnet, in mancherlei Hinsicht sogar übergeordnet wurde. Ausgehend von der Annahme, dass die Sowjetunion einen aggressiven Kurs im Nahen Osten verfolge und dort auch rasche Erfolge erzielen könne, glaubte man massive Gegenmaßnahmen ergreifen zu müssen – nicht zuletzt auch wegen der strategischen Bedeutung der Ölfelder in der Region. Für die strategischen Planungen der NATO hatte dies insofern erhebliche Bedeutung, da im Ernstfall ein kombiniertes Szenario infrage kam, also etwa eine Großkrise in Europa in Verbindung mit einem lokalen Krieg und gleichzeitigem Vorrücken der Sowjets im Mittleren Osten. Die entsprechenden Planungen tangierten die essenziellen Grundlagen der Verteidigung, wie eine zentrale Studie im Jahre 1982 zeigte (»SouthWest-Asia-Impact-Study«)258. Die Amerikaner hatten zwar, wohlweislich und aus jahrzehntelanger Erfahrung, nicht wirklich mit aktiver Beteiligung der Europäer gerechnet und ausschließlich US-Truppen für den Golf eingeplant. Da jedoch eine nationale Aufstockung der bestehenden Streitkräfte nicht infrage kam, mussten die vorhandenen Einheiten verwendet werden. Diese Einheiten waren in bisherigen Ausarbeitungen im Ernstfall in Europa eingeplant gewesen und fielen dort jetzt weg. SACEUR verlor bei einem Einsatz der RDJTF fast sämtliche strategischen Reserven und sah sich hinsichtlich der US-Hauptverstärkungskräfte im Krisenfall der wichtigsten und kampfkräftigsten Einheiten beraubt, darunter auch der Fallschirmjäger und amphibischer Verbände. Als weit gravierender noch erwies sich die Tatsache, dass eine derartig große Truppe wie die RDJTF fast sämtliche strategischen Lufttransportkapazitäten abzog, die damit nicht mehr für den Einsatz in Europa-Mitte zur Verfügung standen. Desgleichen verlagerte man Marineeinheiten und Transport zur See und dünnte damit die eigenen Kräfte im Nordatlantik aus. Die Hauptschlagader der NATO, die Nachschublinien zwischen den USA und Europa, wurde dadurch erhöhten militärischen Risiken ausgesetzt. Die Reagan-Administration, vertreten unter anderem durch auch später prominente Machtpolitiker konservativer Prägung (Neocons) wie Richard Perle und Paul Wolfowitz, erweiterte die Bandbreite noch. Die Auseinandersetzung mit der Sowjetunion müsse überall angenommen werden, wo sie sich stelle, egal wie die Erfolgsaussichten jeweils seien259. Man war sich bewusst, dass weder die Europäer für ein offensives Engagement zu gewinnen waren noch die NATO-Grenzen erweitert werden konnten, und schloss insbesondere letztere Option aus. Stattdessen verlangte man kompensatorische Maßnahmen, also etwa die Ersetzung der US-Truppen in Europa, allen voran von Spezial- und Versorgungseinheiten, die Gewährung von Überflugrechten sowie politische und ökonomische Unterstützung bzw. Flankierung. Entscheidend war die mehr oder weniger einseitige Einplanung amerikanischer NATO-Verbände außerhalb des Bündnisgebietes ohne Berücksichtigung der Einwände der Verbündeten. Zwar fanden eingehende Gespräche und Konsultationen sowie ein tiefgehender Planungsprozess statt; ebenso wurden ausführliche Folgenabschätzungen erstellt und diskutiert, doch Einigung konnte nicht erzielt werden. Die Deutschen und die Briten versuchten, durch die Verankerung von Konsultationsrechten und strategi258 259

BArch, BW  2/14237, DMV MC/NATO an Fü  S III  6 über Fü  S III  3, SWA-Impact-Study, 12.8.1982, mit Begleitmaterial. BArch, Verschlusssache.

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schen Beschränkungen, insbesondere durch die Vermeidung des »Worst-case«-Denkens, die Auswirkungen auf Europa so gering wie möglich zu halten, hatten damit aber kaum Erfolg. Die Amerikaner argumentierten, dass sie den Einsatz europäischer Truppen gar nicht verlangten, umgekehrt aber auch die Europäer den Amerikanern nicht vorschreiben könnten, wo deren Kräfte zum Einsatz kämen. Am Ende stand der strategische Alleingang, wenn es auch bis zum Ende des Kalten Krieges zu keinem ›scharfen‹ Einsatz der RDJTF kam. Im Ergebnis lassen sich starke Kontinuitäten auch über das Ende des Kalten Krieges hinweg feststellen. Im Zweifel entsandte Washington US-Streitkräfte in den Nahen Osten auch ohne aktive Einbeziehung der Verbündeten. Die Europäer reagierten mit vehementer Ablehnung, ja entsetzt. Man sah die gesamte Sicherheitsarchitektur gefährdet und die NATO von Zerstörung bedroht260. Die globale Interventionsstrategie mit Schwerpunkt auf dem Golf wurde gerade im Führungsstab der Streitkräfte (Fü S) verschiedentlich als leichtsinniges ›Cowboytum‹ auf dem Rücken der Europäer betrachtet. Insbesondere befürchteten die Deutschen, dass ein Eingreifen der Amerikaner im Golf auf das NATO-Gebiet destabilisierend zurückwirken und zu Spannungen oder ernsten Krisen führen könnte. Man verwies explizit darauf, dass die NATO ein regionales Bündnis sei261. Washington betonte demgegenüber, dass der Schutz der Golfregion im ureigensten Interesse der NATO läge und entscheidende Gefahren für die Allianz in der Vernachlässigung des Mittleren Ostens bestünden. Ferner drohte man wie schon in den beiden Dekaden davor mit isolationistischen Maßnahmen durch den US-Kongress, die zu einem Rückzug der USA aus Europa führen könnten, wenn die anderen NATO-Partner ihre eigenen Anstrengungen nicht erhöhten bzw. die USA nicht besser unterstützten. Damit schob man die Schuld an einer möglichen Zersetzung der Bündniskohärenz de facto den Europäern zu262. Gleichzeitig traten wieder alte Differenzen und Risse zutage. Die Amerikaner forderten als Lösung für die strategische Krise unter anderem, die Verteidigungsausgaben immer auf der Basis der Drei-Prozent-Klausel zu halten263. Dies traf sich mit Argumenten aus den 1960er Jahren, als die Amerikaner zur Absicherung der Flexible Response größere konventionelle Anstrengungen der Europäer verlangt hatten. Wie ein deutscher Planer bemerkte, war dies alles in den Augen der Amerikaner gescheitert. Mit dem Konzept zur RDJTF wurden die alten Kompromisse der sechziger Jahre, etwa der strategische Rotationsplan (z.B. die Übung »Big Lift«), in ihrer Bedeutung relativiert. Die alten Ängste eines strategischen Alleingelassenwerdens wuchsen wieder. Die Furcht ging um, Europa könne strategisch gegen andere Regionen ausgespielt werden264. Die direkten Planungen konzentrierten sich auf die strategischen Prioritäten. Am gefährlichsten war für die Europäer eine massive Krise im Golf und die Verlagerung 260 261 262 263

264

Lemke, Globale Probleme einer regionalen Allianz, S. 24‑30. BArch, BW 2/13419, Statements des Chairman des Military Committee und der Major NATO Commanders (MNC), Sachstand, 3.12.1980. BArch, Verschlusssache. Gemeint war die Forderung, den Verteidigungshaushalt immer wenigstens auf der Höhe von drei Prozent des Bruttoinlandproduktes zu halten, was die meisten NATO-Partner zumindest dauerhaft nicht erfüllen konnten. BArch, BW 2/13419, Statements des Chairman des Military Committee und der Major NATO Commanders (MNC), Sachstand, 3.12.1980.

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der RDJTF in diese Region bei gleichzeitigem Ausbruch einer Krise in Europa. Gerade die Bundesrepublik wäre in höchstem Maße gefährdet gewesen, wenn wichtige USTruppenverbände im Golf stationiert und entscheidende Lufttransportkapazitäten blockiert gewesen wären. Insgesamt bedrohte die RDJTF damit die regionale Stabilität in Europa265. Die regionale Ausrichtung der NATO stand gegen die globalen Perspektiven der US-Regierung – eine Dichotomie, die heute noch die transatlantischen Beziehungen prägt. Eine Verstetigung dessen trat bereits 1983 ein, als die US-Regierung die RDJTF auflöste und durch feste Befehlsstrukturen ersetzte: das US Central Command, das bis heute für die Gebiete zwischen Afghanistan und Ostafrika zuständig ist. Für die NATO und die konventionellen Streitkräfte in Europa hatte dies weitreichende Konsequenzen. Die Europäer empfanden wegen der Auswirkungen für den NATO-Mittelabschnitt wachsenden Unmut über die amerikanischen Globalpläne. Die Amerikaner verlangten von den Europäern teils vehement weitere Aufrüstung und eine Steigerung der Kampfkraft, verlegten aber einen Gutteil ihrer besten Kräfte an den Golf oder sie planten deren Verlegung im Ernstfall; all dies in Verbindung mit einem Kriegsbild, das von mindestens zwei Großschauplätzen (»theatres«) ausging und wiederum auf Kosten der Konzentration auf Europa stattfinden würde. Das hatte zwar, wie oben gezeigt, auch schon Anfang der sechziger Jahre auf der US-Agenda gestanden, war damit also bereits bekannt, doch zeigten sich die Europäer jetzt nicht erfreuter. Immerhin waren seit dem Ende des Vietnamkrieges nicht einmal vier Jahre vergangen, als sich Washington in ein neues globales Abenteuer zu stürzen begann. An globale Perspektiven gewöhnen mochten sich die Europäer nicht, sehr zum Leidwesen der Amerikaner. Auch die Deutschen blieben aus amerikanischer Sicht bis zum Ende des Kalten Krieges und darüber hinaus hinsichtlich der Rüstungsausgaben als auch in Bezug auf das globale Engagement hinter den Erwartungen zurück266. Die Differenzen gingen unter anderem auf die unterschiedlichen militärstrategischen Interessen und die historischen Lasten der Bundesrepublik zurück. Die politische Führung in Bonn zeigte in Zeiten wirtschaftlicher Rezession und sozialer Probleme wenig Enthusiasmus für eine Rüstungspolitik, die noch mehr Geld kostete, als ohnehin schon aufgewendet wurde, und die gleichzeitig die mühsam erreichten Erfolge in der Entspannungspolitik gefährdete267. Auch konnte niemand sagen, wie die Sowjetunion auf die Politik der Amerikaner im Golf reagieren würde. Die falschen Signale aus verschiedenen Richtungen konnten die Ergebnisse auch der Ostpolitik wieder gefährden und zu neuer Konfrontation führen, was dann ja auch geschah. Hinzu kamen, wie man etwa bei Fü S feststellte, die militärpolitischen Interessen268. Es war aus deutscher Sicht nicht einzusehen, warum man konventionell massiv aufrüsten sollte, dadurch den Amerikanern den Rücken für ihren globalen ›Hasard‹ freihielt und gleichzeitig die Abschreckung für den Ernstfall oder vielmehr die Sicherheitsgarantie für das eigene Land aufweichte. Als vielleicht radikalstes Szenario war denkbar, 265 266 267 268

BArch, BW  2/14237, Fü  S  III  6, Sprechzettel für Parlamentarischen Staatssekretär, USA-Reise, 2.9.1982. Sherwood, Allies in Crisis, S. 173‑177; Kugler, Commitment to Purpose, S. 354‑356. Kugler, Commitment to Purpose, S. 382 f.; sowie Walsh, The Military Balance in the Cold War, S. 110 f., S. 127‑128. Lemke, Globale Probleme einer regionalen Allianz, S. 28‑30.

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dass die Amerikaner sich im Golf oder in anderen Regionen auf Kosten des NATOMittelabschnittes engagierten, der dann nicht wirklich verteidigt werden konnte und schließlich von Washington aus Angst vor einem globalen Atomkrieg aufgegeben würde. Indes boten sich gerade für die Bundesrepublik wie schon in den sechziger Jahren kaum Alternativen. Man hatte auf Gedeih und Verderb mit den Amerikanern zusammenzuarbeiten und rüstete im finanziell möglichen Rahmen auf, ging aber auf die Barrikaden, wenn die eigenen Interessen in der strategischen Planung gefährdet schienen. Das komplexe Geflecht dieser Aspekte und Faktoren wurde ab 1977 durch ein weiteres hochkompliziertes Feld ›bereichert‹, das die konventionelle Rüstung zumindest in der Öffentlichkeit rasch in den Hintergrund drängte: den NATO-Doppelbeschluss269. Die Entscheidung, Mittelstreckenraketen in Europa zu stationieren, wenn die Sowjetunion ihre zuvor dislozierten SS-20 nicht abzog, rückte bald schon ins Zentrum der öffentlichen Debatten und dominierte für längere Zeit auch die Beziehungen innerhalb der NATO vor fast allen anderen Themen270. Die Bündnissolidarität geriet dadurch jedoch nicht in ernste Gefahr, obwohl sich Schmidt und Genscher in der zweiten Jahreshälfte zu einer regelrechten Offensive genötigt sahen, bei der sie insbesondere die Benelux- und die nordischen Staaten vor den Folgen einer Verweigerung für die Bündnissolidarität warnten271. Trotz starken innenpolitischen Gegenwindes stellten sich die Regierungen der Bündnispartner hinter den Beschluss. Vor dem Hintergrund der dann relativ rasch erfolgenden Abrüstung Ende der achtziger Jahre erscheint die Lösung dieser Frage gerade auch allianzpolitisch als großer Erfolg272. Die konventionelle Kriegsfähigkeit der NATO erfüllte die Forderungen und Wünschen nicht wirklich, was sich in erneuten Debatten niederschlug. In den USA kam es seit Mitte der siebziger Jahre zu Auseinandersetzungen zwischen konservativen ›Alarmisten‹ und eher liberalen ›Beruhigern‹273. Zu ersteren zählte etwa Paul Nitze, der spätere Sicherheitsberater von Ronald Reagan. Sie vertraten die Ansicht, dass die Sowjetunion ihr Potenzial immer weiter ausbaue, während der Westen tatenlos zusehe und sich von den angeblichen Erfolgen der Entspannungspolitik einlullen lasse, die nichts anderes sei als ein Versuch des Ostblock, die Bündnissolidarität zu untergraben. Die Gegenseite verwies auf interne Defizite der sowjetischen Streitkräfte, etwa die ethnischen Probleme, mangelnde Disziplin, technische Mängel u.a.m. In gewisser Weise wiederholte sich in diesem Rahmen die Diskussion innerhalb der NATO während und nach der ČSSR-Krise. Es ging prominent wiederum um Absichten (»intentions«) und Fähigkeiten (»capabilities«). Die ›Falken‹ betonten, dass man sich auf 269 270

271 272 273

Kugler, Commitment to Purpose, S. 329‑334 und S. 423. Vgl. dazu etwa AAPD, 1980, passim. Die Anzahl der dort veröffentlichten Dokumente zur Stationierung von Mittelstreckenraketen überragt die aller anderen Themen mit militärstrategischer Relevanz, darunter die Fragen der konventionellen Rüstung, bei Weitem. Es wird an dieser Stelle davon ausgegangen, dass die Bearbeiter einen repräsentativen Querschnitt publizierten. Jedenfalls hatten sie vollständigen Zugang zu den Akten und konnten offensichtlich auch das meiste des von ihnen als wichtig erachteten Materials veröffentlichen. Vgl. dazu insbesondere die Einleitung, S. VIII f. Die Auswertung der Akten in: Zweiter Kalter Krieg und Friedensbewegung. Vgl. hierzu AAPD, 1979, Bd 2, z.B. Dok. 299 f., 309 f., 312‑317, 328 f., 340 f., 345‑353, 358 f. und weitere. Kugler, Commitment to Purpose, Kap. 18, vielleicht etwas zu pointiert hier. Walsh, The Military Balance in the Cold War, S. 2‑11.

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die Fähigkeiten der Sowjetunion konzentrieren müsse und die Diskussion um angebliche Absichten fruchtlos und kontraproduktiv sei, weil sie keine Sicherheit gewährleiste. Die ›Tauben‹ schrieben dem Ostblock durchaus auch ein Problembewusstsein und Interesse an friedlichem Ausgleich zu. In Deutschland ergab sich dieselbe Debatte etwas später, allerdings fokussiert auf den NATO-Doppelbeschluss. Die Streitigkeiten wurden im politischen Bereich mit dem Antritt der Reagan-Administration erst einmal entschieden, denn maßgebliche Vertreter der ›Alarmisten‹ gelangten in wichtige Führungspositionen und bestimmten den neuen Kurs mit. Über die Rhetorik von Ronald Reagan gegenüber dem Ostblock mit ihren politischpropagandistischen Auswüchsen ist bereits genug geschrieben worden274. Nicht ganz so bekannt ist, dass die Reagan-Administration in Bezug auf die NATO den von seinen Vorgängern gesetzten Rahmen nicht wirklich verließ, sondern weitgehend bestätigte275. Auch an den Eckpfeilern der globalstrategischen Abschreckung hielt man fest und ergänzte diese erst später durch neue Elemente (SDI), was wieder zu großer Unruhe in der NATO führte276. Trotz eigener, massiver Aufrüstung stellte Washington gegenüber den Europäern vergleichsweise moderate Forderungen. Man betrachtete trotz aller globalen Interessen die NATO weiterhin als entscheidenden Stützpfeiler und versuchte nach wie vor, auch ihre konventionelle Kampfkraft zu stärken. Dazu entwickelte die Reagan-Administration im Laufe der Zeit einen eigenen Plan, die Conventional Defense Initiative (CDI)277. Zwar setzte man kein besonderes Konzept wie etwa das LTDP in Gang, formulierte aber einen allgemeinen Zielkatalog. Dieser sollte im Rahmen der etablierten NATOStrukturen umgesetzt werden und enthielt ähnliche Elemente wie das LTDP, wurde aber nicht derart prominent und unter persönlichem Engagement des Präsidenten wie unter Carter vertreten, zudem enthielt er weniger ambitionierte Ziele. Die CDI ereilte dasselbe Schicksal wie das LTDP: Sie blieb Makulatur. Auch die alten Problemfelder und Frontstellungen innerhalb der NATO änderten sich nicht, wurden durch Reagan zeitweise sogar noch verstärkt. Wie oben berichtet, engagierte sich Washington zum Ärger gerade auch des deutschen Militärs vor allem im Golf und plante hierfür erhebliche Ressourcen ein. Dabei beließ es Reagan indes nicht, sondern er ging auch in Afrika und Mittel- sowie Südamerika massiv gegen den kommunistischen Block vor278. Beunruhigend war, dass Verteidigungsminister Weinberger kein ausgearbeitetes militärstrategisches Konzept mit festen Verteidigungsbereichen präsentierte, sondern das Prinzip der globalen Flexibilität vertrat und deswegen die Teile aufrüstete, die dies gewährleisteten: Bomber, U-Boote und Flugzeugträger279. Dahinter stand das Bestreben, die US Navy als zentralen Faktor der Militärmacht USA zu stärken. 274

275 276 277 278 279

Stellvertretend und mit weiterer Literatur Lundestad, East, West, North, South, S.  144‑152; zudem Tomes, US Defense Strategy, Kap. 5. Immer noch von Bedeutung Kugler, Commitment to Purpose, Kap. 17. Für die globale Komponente Westad, The Global Cold War, Kap. 9. Duffield, Power Rules, S. 221‑223. Mey, NATO-Strategie vor der Wende, S. 40‑50. Walsh, The Military Balance in the Cold War, S.  124‑128; Kugler, Commitment to Purpose, Kap. 19; Duffield, Power Rules, S. 226‑232. Westad, The Global Cold War, Kap. 9. Kugler, Commitment to Purpose, S.  390‑394. Auch grundsätzlich und wo nicht anders belegt zum Folgenden.

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Die Navy verplante die neuen Ressourcen für umfassende globale Aufgaben, weniger für den Geleitschutz im Atlantik und die Sicherung der europäischen Flankenmeere. Gleichzeitig propagierte man das Prinzip der »horizontalen Eskalation«: Die Sowjetunion sollte überall dort, wo sie offensiv auftrat, in die Schranken gewiesen werden. Verbunden war damit die Erwartung, dass die Sowjetunion im Ernstfall militärisch nicht mehr nur zurückgedrängt, sondern zumindest an neuralgischen Punkten, etwa in strategisch wichtigen Seegebieten, militärisch geschlagen werden konnte. Möglicherweise verband sich damit auch die leise Hoffnung, Moskau insgesamt in die Knie zu zwingen280. Zusammen mit Truppenumwidmungen zugunsten des Golfs und auf Kosten der NATO-Reserven führte diese Option zu weiterer, erheblicher Kritik seitens der Europäer, nicht zuletzt auch der Deutschen. Nicht nur sah man die Kohärenz der Bündnisverteidigung in Europa gefährdet. Die aggressiven Perspektiven der Amerikaner, insbesondere das Prinzip der »horizontal escalation«, ließen für kommende Krisen Schlimmes befürchten. Bei einer Konfrontation war es denkbar, dass die horizontale Eskalation zu einer vertikalen wurde und in einen nuklearen Schlagabtausch mündete281. Die Vorstellung, wegen eines Zwischenfalles an den NATO-Flanken, im Golf oder in anderen, entlegeneren Gegenden in einen globalen Großkrieg hineingezogen zu werden, löste große Besorgnis aus. Für die Probleme vor der eigenen Haustür bzw. im eigenen Garten hatten die Europäer einstweilen ebenfalls keine durchschlagenden Rezepte. Hoffnungen setzten sie insbesondere in die Entwicklung neuer Technologien. Bereits das LTDP hatte darauf gebaut. Anfang der achtziger Jahre wurden entsprechende Konzepte entworfen und dann innerhalb der NATO wie auch öffentlich propagiert. Das wohl bekannteste, gleichzeitig auch umstrittendste Projekt bezog sich auf die neuen Möglichkeiten vor allem der Luftwaffe. Man hoffte, mit hocheffizienter konventioneller Munition im Hinterland der Front eine umfangreiche Gefechtsfeldabschnürung in der Tiefe (»Deep Strike«) vornehmen und die Truppen des Warschauer Paktes vernichten zu können. Kronkret war die zweite Welle (»2. Staffel«) der Angreifer gemeint, die man so vor dem Vorrücken zerschlagen wollte. Die vorderen Verbände (»1. Staffel«) sollten von den NATO-Verbänden auf dem Schlachtfeld aufgehalten werden. »Follow-on-Forces-Attack« (FoFA) hieß dieses Vorgehen, für das insbesondere NATO-Oberbefehlshaber Rogers eintrat, das aber auch in deutschen Fachzeitschriften rege diskutiert und als Basis für eine vollkommen neue Strategie propagiert wurde, die weitgehend ohne die Gefahr nuklearer Vernichtung funktioniere.282. Damit in Verbindung stand das grundlegende strategische Konzept der NATO bzw. der USA für den Kampf im Mittelabschnitt, die »Air-Land-Battle« (LandLuft-Schlacht)283. Anders als in früheren Plänen gedachte die NATO nicht mehr mit massiven, eher ›statischen‹ Gegenangriffen möglichst direkt an der Zonengrenze vorzugehen, sondern mit flexibler Taktik unter Ausnützung von Feuer und Bewegung, also mit mobilen Angriffen gegen die Truppen des Warschauer Paktes unter dem Prinzip 280 281 282 283

Zur Bewertung der »Horizontal Escalation« vgl. v.a. die Verweise auf S. 149, Anm. 443. Kugler, Commitment to Purpose, S. 398 f. Zur »Horizontal Escalation« vgl. auch die Ausführungen S. 148‑152. Hier ausführlich und prominent The Conventional Defense of Europe. Dazu Tomes, US Defense Strategy, Kap. 5. Zum Folgenden vgl. Trauschweizer, The Cold War US Army, v.a. Kap. 5‑7.

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der Schwerpunktbildung284. Jetzt hatten sich die Amerikaner an die in der Bundeswehr seit den fünfziger Jahren gültigen Prinzipien der Panzerkriegführung angenähert. Unter der Ägide des ersten Generalinspekteurs Adolf Heusinger hatte das Heer konventionelle Verteidigungspläne entworfen, die durch einen beweglichen Einsatz der eigenen Verbände die umfassende Vernichtung der massierten Feindkräfte vorsah, insbesondere der gepanzerten Einheiten. Die Folie für diese Pläne bildete die Erfahrung der meist noch kriegsgedienten Führungsoffiziere im Kampf gegen die Sowjetunion bis 1945. Doch wie bei allen Fragen der konventionellen Kriegführung kam wieder die atomare Komponente auf die Agenda und das Bündnis reagierte entlang ›bewährter‹ Konfliktlinien. Wiederum ging der Impuls von den Vereinigten Staaten aus: Eine Gruppe von Kritikern der offensiven Nuklearstrategie, die »Gang of Four«, darunter auch McNamara, radikalisierte die Annahmen der »Schlesinger-Doktrin« und verlangte im Sinne der Verhinderung weiterer Konfrontation den Verzicht auf einen nuklearen Ersteinsatz, insbesondere der Interkontinentalraketen (»No First Use«)285. Sie begründeten ihre Haltung mit den neuen Technologien, die es möglich machen würden, einen Vorstoß des Ostblocks mit rein konventionellen Mitteln abzuwehren. Dieser Vorschlag perpetuierte die Ängste der Europäer und führte sie gewissermaßen in eine neue Runde. Die argumentativen Gräben und Probleme um die Strategie konnten bis zum Ende des Kalten Krieges nicht mehr zugeschüttet werden. Ob die Pläne, darunter das spätere FOFA-Konzept, auf die McNamara und seine Mitstreiter ihre Hoffnungen setzten, im Ernstfall griffen, war sehr umstritten286. Niemand wusste, ob die neuen Kampfmittel selbst bei maximaler Umsetzung wirklich die Hoffnungen erfüllen würden287. Zudem waren sie bei Weitem noch nicht ausgereift und befanden sich teilweise noch in der Entwicklung. Auch rückblickend ist letztlich nicht auszuschließen, ob hier realistische Planung oder Konzepte für Illusionen entstanden sind288. Positive Interpretationen schreiben dem FOFA-Konzept immerhin eine eminente, auch psychologische Wirkung auf die sowjetische Führung zu, die in den achtziger Jahren zunehmend in wirtschaftliche Schwierigkeiten geriet, und stellen es damit in den Gesamtkontext Reaganscher Politik. Die Frage, ob Reagan ein Hasardeur oder ein genialer Stratege war, wurde zeitweise heftig diskutiert289. Derlei ist an dieser Stelle jedoch nicht zu entscheiden. 284 285 286

287

288 289

Kugler, Commitment to Purpose, S. 434‑448. Duffield, Power Rules, S. 223‑226; Kugler, Commitment to Purpose, S. 431 f. Zum FOFA-Konzept in der öffentlichen Diskussion vgl. Lemke, Eine Teilstreitkraft, S. 389‑395, mit ausführlichen Quellenbelegen; und Theiler, Die Entfernung der Wirklichkeit von den Strukturen. Die in Bezug auf die sachlichen Primärfakten recht genauen Bericht der DDR-Nachrichtendienste vermeldeten, dass in der Stabsrahmenübung WINTEX/CIMEX  87 »Deep Strikes« gemäß dem FOFA-Konzept durchgeführt wurden, »ohne dass jedoch nach NATO-Einschätzungen die Heranführung der Armeen und Fronten der zweiten Staffel wesentlich beeinträchtigt werden konnte.« BArch, DVW  1/42713, MfNV, Chef Aufklärung, Aufklärungsmeldung, Einschätzung der strategischen militärisch-zivilen NATO-Kommandostabsübung »WINTEX/CIMEX 87«, Juni 1987, S. 46. Dazu deutlich auch Trauschweizer, The Cold War US Army, S. 227. Siehe Fischer, US Foreign Policy under Reagan and Bush; und Roberts, An ›Incredibly Swift Transition‹.

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2. Virtuelle Kriegführung: Die AMF als historiografischer Lackmustext für die Flexible Response in den WINTEXund HILEX-Übungen 1971‑1985 Ein Kristallisationspunkt für die militärische, politische und strategische Bedeutung der Allied Mobile Force waren die jährlichen Stabsrahmenübungen der NATO. Dort probten die höchsten politischen und militärischen Leitungsgremien der Partnerstaaten unter Einbeziehung der jeweiligen Parlamente für den Ernstfall. Im Folgenden wird nun am Beispiel der Rolle der AMF in der FALLEX-, WINTEX- und HILEX-Reihe untersucht, inwieweit es dem Bündnis gelang, den neuen Anforderungen gerecht zu werden und inwieweit die militärische Planung die als notwendig erkannte Flexibilisierung umsetzte. Dabei soll anhand der Quellen zumindest ansatzweise auch ein Vergleich mit der Sichtweise des Warschauer Paktes angestellt werden. Als Hauptgefahr für das Bündnis erachteten die NATO-Stäbe auch hier nicht allein die unmittelbare militärische Bedrohung durch den Warschauer Pakt, sondern vielmehr die mittel- oder langfristige Aufweichung der Bündnissolidarität, die infolge der politischen und finanziellen Interessenkonflikte in der Vergangenheit teils instabil gewesen war. Als Gegenmittel (»effective deterrent«) hatte der NATO-Militärausschuss schon in den fünfziger Jahren die rationale und psychologische Beeinflussung des Gegners gesehen, die darin bestand, dem Warschauer Pakt klarzumachen, dass der Nutzen von Aggressionen gleich welchen Ausmaßes in keinem Verhältnis zu den Risiken stand290. Die AMF bildete ein wesentliches Element, um diesen Bedingungen militärisch gerecht zu werden. Ihr war als per se flexiblem und voll mobilem Verband im Frieden eine Vorreiter- und Elitefunktion für die Umsetzung der Flexible Response zugedacht, im Ernstfall kam ihr dann die Aufgabe als Speerspitze der Abschreckung an den Flanken zu291. Das Hauptproblem bestand darin, dass nur sehr wenige NATO-Verbände mit der erforderlichen Kampfkraft vor Ort zur Verfügung standen, eine generelle, dauerhafte Verlegung entsprechender Einheiten nicht vorgesehen und derlei »due to the lack of the necessary unanimity among the nations concerned«292 auch weiterhin kaum zu erwarten war. Schon in der Stabsrahmenübung FALLEX 66 im Oktober 1966 fand dies pointierte Berücksichtigung. Im Rahmen der angenommenen Steigerung der Spannung spielte insbesondere die Situation in Nordnorwegen und in Thrazien eine prominente Rolle, sodass SACEUR den Nuklearwaffeneinsatz zum strategischen Schutz des Bosporus verlangte293. Dazu kam es nicht mehr, da die Übung, zumindest deren erster Teil, nach kurzfristigem Generalangriff an allen Fronten in Deeskalation und Wiederherstellung der NATO-Grenzen mündete. Wie inzwischen bekannt ist, hatte die NATO dieses positive Ende konstruiert. Dahinter stand unter anderem, wie in späteren Übungen, das 290 291 292 293

PDP, CD 003, MC 78, Understanding of certain terms, 4.4.1958, S. 2. Spätere Versionen sind von der NATO einstweilen noch nicht freigegeben. Ganz zentral hier SHAPE-Archiv, AC/281-Report (71)36, First Major Report (Shape) Mobile Multi-National Forces, 1.10.1971. PDP, CD020, MCM-73-66, Possible Methods for Improving NATO Capabilities on the Flanks, 14.7.1966, S. 5. Dorn, So heiß war der kalte Krieg, S. 26, 37, 61 f., 67, 81‑85, 94, 104, 115 f., 127, 129, 135, 149.

III. NATO-Strategie und Bündniskohärenz

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Insistieren der deutschen Seite auf größtmöglichem Schutz der Bundesrepublik und ihrer Bevölkerung. Die deutschen Übungsteilnehmer hatten am 19.  Oktober durchsetzen können, dass die NATO einen Gegenangriff unternahm, der die Bedrohung beendete294. Die Bundesregierung bestand darauf, in diesen zentralen Übungen zumindest die Möglichkeit einer erfolgreichen und weitgehend zerstörungsfreien Verteidigung des Bundesgebietes festzuschreiben295, dies nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund, dass Informationen über den Übungsablauf an die Öffentlichkeit drangen. Dabei war man sich durchaus bewusst, dass FALLEX, wie später auch WINTEX, vor allem eine Verfahrensübung darstellte:

»Anlage und Verlauf der Übung sind nicht Ausdruck der Realität. Eine Aggression kann sich so abspielen, muss es aber nicht. Es ist jedenfalls nur eine von unzähligen Möglichkeiten. Es muss ausdrücklich davor gewarnt werden, voreilig aus der Übung strategische Schlüsse zu ziehen. Es lässt sich nur soviel sagen, dass das deutsche strategische Konzept durch die Übung keineswegs widerlegt worden sei. Als allgemeine Erkenntnis ergab sich aber, dass bei optimaler Stärke und Kampfkraft konventioneller Streitkräfte der Zwang, über den Nukleareinsatz kurzfristig oder gar überhastet entscheiden zu müssen, gemildert würde296.«

Der zweite und dritte Teil der Übung, die damals auch vor den übenden Parlamentariern geheimgehalten wurden, beinhalteten indes einen massiven nuklearen Schlagabtausch mit umfassender Vernichtung297. Lag diese Erweiterung bzw. die Abtrennung des ersten, von konventioneller Kriegführung geprägten Übungsabschnittes von den anderen beiden zumindest teilweise auch in der grundsätzlichen Anlage der FALLEX-Reihe als reine Verfahrensübung mit nur begrenzter politischer Aussagekraft begründet, so bleiben doch erhebliche Zweifel an der Selbsteinschätzung der NATO in Bezug auf die Erfolgsaussichten einer Verteidigung ohne Atomwaffen gerade an den Flanken. Letztlich blieb nur die Hoffnung auf Verstärkungen, wenn man auch nur eine halbwegs realistische Gegenwirkung mit rein konventionellen Mitteln erzielen wollte. Um in einer Krise handlungsfähig zu bleiben, hatte man eine neue Kategorie eingeführt, die sogenannten Schnellen Eingreifverbände (»Immediate Reaction Forces«)298. Sie sollten im Unterschied zu den langsamer eintreffenden, allgemeinen Verstärkungen 294 295

296 297

298

BArch, BW  2/178, KDS, S  3, Erfahrungsbericht über FALLEX  66, An den Herrn Minister, 22.10.1966, S. 3. Vgl. auch ebd., Fü S III, Erfahrungsbericht FALLEX 66, November 1966, S. 2 f. Ganz zentral hier: BArch, BW  2/178, Dr. E. Beyer, Ministerialrat, Vorbericht FALLEX  66, 22.10.1966, S. 2: »Die Funktion der einzelnen Verteidigungskomponenten richtet sich dabei nach dem übergeordneten politischen Zweck, nämlich unser Volk und seine Lebensgrundlagen gegen jedwede Bedrohung zu schützen. Diese Aufgabe erfordert bereits in einem frühen Stadium aufkommender politischer Spannung ein enges und wirkungsvolles Zusammenspiel zwischen den militärischen Kommandobehörden, der staatlichen Exekutive und den parlamentarischen Gremien.« S. 5: »Die Übungserfahrungen machen deutlich, dass die Bundesrepublik der Gefahr, infolge der sich ändernden Sicherheitspolitik einzelner Partnerstaaten in eine Vorfeldsituation zu geraden, nur durch feste Haltung begegnen kann.« BArch, BW  2/178, KDS, S  3, Erfahrungsbericht über FALLEX  66, An den Herrn Minister, 22.10.1966, S. 4. Ebd., S. 145‑179. Die vorangegangene Übung FALLEX 64 hatte, noch ganz im Einklang mit der Massive Retaliation, einen schnellen Übergang zum »General War« beinhaltet. Trauschweizer, The Cold War US Army, S. 171. Es muss weiteren Forschungen überlassen bleiben zu prüfen, inwieweit diese Übungen, also etwa FALLEX 66, bereits bewusst den Strategiewechsel reflektierten. Zentral hier PDP, CD020, MCM 23-68, A Concept for External Reinforcements for the Flanks, 16.4.1968. Auch zum Folgenden.

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III. NATO-Strategie und Bündniskohärenz

Einsatzgebiete der Allied Mobile Force Nordflanke: N-1: N-2:

Nordnorwegen Dänemark/Seeland

Südflanke: S-1: S-2: S-3: S-4: S-5:

Türkisches Thrazien Nordostgriechenland (griechisches Thrazien) Türkisch-Syrische Grenze Italienisch-Jugoslawische Grenze Osttürkei (erst ab Ende der siebziger Jahre)

Quellen: Die zentralen Initialdokumente für die strategischen und taktischen Details sind: SHAPE-Archiv, AMF (L) Planing Instruction for Contingencies, 31.1.1968; SHAPE-Archiv, CINCENT‘S OPLAN 3/69, Deployment of ACE Mobile Force Air and Land Components, 31.12.1969; SHAPE-Archiv, X/cu2008/054/17, 1200.1./20, Shape Directive for the ACE Mobile Force, 27.3.1969.

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07310-05

(»Reinforcement Forces«) bei einer massiven politisch-militärischen Konfrontation unter größter Beschleunigung in das betroffene Gebiet geschickt werden, um dort eine Stabilisierung herbeizuführen. Ihre Aufgabe war zunächst bewusst nicht ein militärischer Einsatz, sondern die Demonstration von Stärke, um dem Gegner klarzumachen, dass aggressive Verhaltensweisen, etwa ein Vorstoß auf Bündnisgebiet, nicht toleriert würden. Genau dafür kam die AMF nun in Betracht. Ihr Hauptauftrag bestand in der Abschreckung: Die ihr zugeordneten Einheiten, meist Eliteverbände, sollten rasch vor Ort sein, dort ostentativ und öffentlichkeitswirksam auftreten. Alle Welt sollte realisieren, dass der Verband multinational zusammengesetzt war und insbesondere Einheiten starker Bündnismitglieder umfasste, die nicht zu den Flankenstaaten zählten299. Ob derlei bei der Gegenseite verfangen würde, war allerdings nicht sicher. Ihr Einsatz konnte, und dies stellte in der Tat eines der Kernprobleme der AMF dar, vom Warschauer Pakt auch als »Bluff« oder umgekehrt sogar als Provokation aufgefasst werden300. Schon bei FALLEX 66 war es der NATO nicht leicht gefallen, den korrekten Zeitpunkt für eine Dislozierung zu finden. Es hatte erhebliche Diskussionen um diesen Punkt gegeben301. Der Umgang mit der Presse stellte einen der wichtigsten Punkte dar. Die Regierungen der westlichen Welt hatten am Beispiel der Kubakrise erkannt, dass ausgeprägte Mechanismen für ein Krisenmanagement entwickelt werden mussten, um eine derart gefährliche Situation künftig zu vermeiden. Die Presse- und Propagandastrategie, darüber wurde man sich schnell klar, bildete dabei eines der Kernelemente. Davon hing ab, ob die angenommene Bedrohung in einer Krise abgestellt werden konnte302. 299

300 301 302

Zusätzlich zu den bereits zitierten Quellen und Publikationen vgl. insbes. PDP, CD020, MCM  23-68, A Concept for External Reinforcements for the Flanks, 16.4.1968., Enclosure  1, Factors Affecting the External Reinforcement of the Flanks. Ebd., Enclosure 1, S. 14. BArch, BW 2/178, S III 1, Vermerk zu Punkt 5 der Tagesordnung – FALLEX 66, 30.11.1966, S. 1 f., mit Begleitmaterial. PDP, CD010, MC 103, NATO Military Public Information Requirements in Emergency Situations, 27.10.1965, S. 8 f. Auch für dieses Dokument sind noch keine Nachfolgeversionen freigegeben. Insofern lassen sich die Einflüsse des Strategiewechsels hier nur vermuten. An der Grundproblematik des »Crisis Management« und seiner Kommunikationsaspekte dürfte sich indes nur wenig geändert haben.

III. NATO-Strategie und Bündniskohärenz

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Einsatzgebiete der AMF in strategischer Perspektive Stand: 1968

N-1

N-2

S-4

S-1 S-2

S-3

Gebiete von primärem Interesse

Gebiete von sekundärem Interesse S-5*

Quelle: SHAPE-Archiv, HQ AMF (L), G3 1220/7/18-010, AMF (L) Planning Instruction for Contingencies, 31.1.1968.

S-5*

Einsatzgebiet erst ab 1980

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06407-06

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Bei einer ernsthaften Konfrontation drohte ein psychologisches Pokerspiel mit mehreren, teils widersprüchlichen Optionen und erheblichen Gefahren. Wie allerspätestens durch den »Prager Frühling« deutlich wurde, bargen gerade die Übungen und Truppenbewegungen an den Grenzen innerhalb des eigenen Bündnisgebietes die Gefahr eines Krieges in sich. Der Gegner konnte nicht ohne Weiteres abschätzen, ob die Truppenverlegungen nicht doch einer Aggression dienten. Die NATO selbst ging davon aus, dass im Krisenfall ein scharfer Einsatz der AMF erst einmal unter dem Deckmantel einer Übung stattfinden könnte. Bei entsprechender Nervosität und Überreaktion hätte eine Übung schnell zum Ernstfall werden können303. Der ganze Problemkomplex trat in den Stabsrahmenübungen zutage. Die WINTEX-Übungen, beginnend mit WINTEX 71, setzten die FALLEX-Reihe aus den sechziger Jahren fort und dienten der Erprobung der militärischen Befehlswege und Koordinationsinstanzen zur Reaktion auf Aggressionen des Warschauer Paktes304. Das Übungsszenario konzentrierte sich meist auf direkte militärische Konfrontation bis zum Einsatz von Nuklearwaffen durch die NATO. Das politische Vorspiel der Krise war bewusst kurz und statisch gehalten und sollte rasch auf das eigentliche Ziel, den militärischen Verfahrensablauf, zusteuern305. Vor allem in den ersten Übungen verzichtete man bewusst darauf, politische Handlungsalternativen ausführlich, etwa im »Live-Play«, zu erproben. Man arbeitete diese eher anhand vorgegebener Raster und Einlagen (z.B. »Incident Lists«) ab. Das Übungsgeschehen bewegte sich daher in den Bahnen progressiver Konfrontation mit einer Tendenz zur Zuspitzung auf die Entscheidung über einen Atomwaffeneinsatz. Dieser Fokus bildete in den siebziger und achtziger Jahren einen Kernpunkt bei der Ausgestaltung der Flexible Response, er besaß daher auch Priorität bei der Übungsgestaltung. Die konkreten Szenarien geben sehr gute Einblicke in die jeweiligen politisch-strategischen Perspektiven der NATO und sind daher ausgezeichnete historische Wegmarken. Die Planer legten vor allem die WINTEX-Reihe als Verfahrensübungen (»procedural«) an und betonten, dass die zugrundegelegte Annahme nicht als konkrete Aussage über die aktuelle Politik bzw. Strategie der NATO verstanden werden könne, sondern vielmehr eine phantasievolle Ausgestaltung darstelle306. Dennoch wurden alle wesentlichen, aktuellen Grundlagen und sämtliche wichtigen Aspekte des Ost-West-Konflikts berücksichtigt, wenn auch im Detail in vergleichsweise freier Kombination. Insbesondere in Bezug auf die Stärke, die Kohärenz und die Vitalität der gegnerischen Bündnisse wurden teils konträre Szenarien zugrunde gelegt, um unterschiedli303 304 305 306

SHAPE Archiv, E&F/CI.62/38, Le financement de la force mobile, 23.5.1962, S. 2; und SHAPE Archiv, ACE Mobile Forces, 23.5.1962, S. 1. An wissenschaftlichen Publikationen gibt es zu den WINTEX-Übungen fast nichts. Vgl. lediglich Gablik, »Eine Strategie kann nicht zeitlos sein«. Wohl nicht zuletzt deshalb zeigte die zivile Seite, etwa in Großbritannien, nicht unbedingt das eigentlich nötige Interessen an den Übungen. Vgl. dazu Stoddart, Losing an Empire, S. 241 f. TNA, AIR  8/2777, Ministry of Defence, Chiefs of Staff Committee, Confidential Annex to COS 1st Meeting/75 (14.1.1975), S. 3; TNA, AIR 8/2778, Chiefs of Staff Committee, Defence Operational Planning Staff, Report on NATO Exercise WINTEX 75, 18.6.1975, S. A-3; TNA, AIR 8/2781, DOP Note 703/77, Exercise WINTEX 77 Final Report, 8.7.1977, Ann. A, S. A-9; und BArch, DVW 1/25734/j, MfNV, Verwaltung Aufklärung, Abschlussbericht über die strategische Kommandostabsübung »WINTEX 73«, hrsg. im Juli 1973, S. 15 f.

III. NATO-Strategie und Bündniskohärenz

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che Verläufe durchspielen zu können. Miteinbezogen wurden ohne jedwede Tabus auch Instabilität aufseiten der NATO und Probleme mit der Bündniskohärenz. Der Warschauer Pakt erschien in den Übungen meist als problembehaftetes Bündnis mit der Neigung zu innerer Spaltung. Einzelne Mitglieder, zuerst Rumänien, später Polen, versuchten mehr Unabhängigkeit zu erreichen307. Dazu nahm man wirtschaftliche Schwierigkeiten verbunden mit Versorgungsengpässen in der Bevölkerung an. Ein besonderes Problem stellten Jugoslawien und China dar, von dem eine erhöhte Bedrohung ausging, da die Sowjetunion durch die Volksrepublik einen Zweifrontenkrieg zu gewärtigen hatte. Zunehmende Konkurrenz und Konfrontation mit dem Westen, innere Instabilität und wirtschaftliche Probleme führten schließlich in Verbindung mit konkreten Konflikten in speziellen Krisenräumen zum Ausbruch des Krieges. Die NATO erschien demgegenüber bei allen eigenen Schwierigkeiten als relativ stabil, wurde jedoch massiv von der Energiekrise betroffen und geriet auch deswegen in direkte Konfrontation mit dem Ostblock. Es gab auch das umgekehrte Szenario. Bei WINTEX 75 und WINTEX/CIMEX 81 gingen die Planer davon aus, dass die NATO und ihre Mitgliedsstaaten in Schwierigkeiten gerieten und der Warschauer Pakt sich zunehmend konsolidierte308. Ein derartiges Bild war durchaus nicht aus der Luft gegriffen, denn die WINTEX-Übungen litten erheblich unter den bündnisinternen Spannungen an der Südostflanke. Türken und Griechen agierten auch bei der Anlage der Übungen teils gegeneinander und brachten die entsprechende Konzeption in Gefahr. Die übrigen Bündnispartner hatten alle Hände voll zu tun, die Planung zu retten309. Noch verheerender wirkte die Tatsache, dass die Griechen infolge ihres Isolationskurses die Übungen häufig boykottierten. Gerade bei WINTEX 75 kam dies zum Ausdruck. Dort nahmen die Griechen erst gar nicht teil, und die Türken stiegen zu einem so späten Zeitpunkt aus, dass Teile der Übung, darunter der Einsatz

307

308

309

BArch, BW  2/1645, Lage und Bemerkungen zur Lage, WINTEX  71, Exercise Good Heart, 30.8.1970, S. 5; BArch, DVW 1/94346, MfNV, Verwaltung Aufklärung, Bericht über die strategische Kommandostabsübung »WINTEX 77«, hrsg. im August 1977, S. 18 f.; BArch, DVW 1/32678/b, MfNV, Verwaltung Aufklärung, Sonderbericht Nr. 19/79 vom 30.3.1979, Einschätzung der strategischen, militärisch-zivilen NATO-Kommandostabsübung »WINTEX/CIMEX  79«, Stand: März 1979, S.  8  f. In diesem Zusammenhang fand auch die »Ost-West-Studie« der NATO als Element der angeblichen Zersetzungstätigkeit Erwähnung. Ebd., S.  7. BArch, DVW  1/94384, MfNV, Verwaltung Aufklärung, Aufklärungsinformation, Inhalt und Ergebnisse der strategischen, militärisch-zivilen NATO-Kommandostabsübung »WINTEX/CIMEX  83«, Stand: November 1983, S.  23‑26; BArch, DVW  1/42713, MfNV, Chef Aufklärung, Aufklärungsinformation, Einschätzung der strategischen, militärisch-zivilen NATO-Kommandostabsübung »WINTEX/ CIMEX 85«, Juni 1985, S. 11 f.; ebd., Sonderinformation, Die bevorstehende strategische, militärisch-zivile NATO-Kommandostabsübung »WINTEX/CIMEX 85«, Bl. 4; ebd., MfNV, Chef Aufklärung, Aufklärungsinformation, Einschätzung der strategischen, militärisch-zivilen NATOKommandostabsübung »WINTEX/CIMEX 87«, Juni 1987, S. 19. TNA, AIR  8/2775, WINTEX  75, Exercise Instructions issued by The Ministry of Defence, 6.12.1974, Annex D to D/DOX 7/4, dated 30 Oct 74, »Political Setting & Lead-IN Scenario«; BArch, DVW  1/94326, MfNV, Verwaltung Aufklärung, Abschlussbericht über die strategische Kommandostabsübung »WINTEX/CIMEX 81«, hrsg. im Juli 1981, S. 16‑18. Vgl. etwa TNA, AIR 8/2776, UKMILREP an MODUK, Exercise Specifications (EXSPEC) for Exercise WINTEX 75, 6.6.1974.

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der AMF im türkischen Thrazien, eliminiert werden mussten310. Die Griechen beteiligten sich bis zum Ende des Kalten Krieges an den WINTEX/CIMEX-Übungen in der Regel nicht (Ausnahme: WINTEX/CIMEX 79 und 81)311. Mit der Bündnissolidarität, die in den Übungen zum Ausdruck kommen sollte, stand es in diesem Zusammenhang keineswegs zum Besten. Das Eingangsszenario (»lead-in«) von WINTEX 75 konzentrierte sich auf die Krisen des Westens: auf die wirtschaftliche Stagnation und das Ölembargo, den Vietnamkrieg und die Krise im Golf sowie den relativen militärischen Stärkezuwachs des Ostblocks. All dies würde den Warschauer Pakt immer stärker und damit auch aggressiver werden lassen312. Ein zunehmend kraftstrotzender Riese ging also trampelnd voran und pickte sich, im begrenzten Rahmen durchaus intelligent, die unsicheren Kantonisten der NATO, etwa die skandinavischen Staaten, als Zielobjekte heraus. Die Planer legten dabei zugrunde, dass der Warschauer Pakt massiv und graduell in schneller Folge an allen Fronten aufmarschierte und seine Marineeinheiten an alle neuralgischen Punkte schickte. Als die NATO dann Gegenmaßnahmen ergriff, kam es zum Krieg. Fast alle Szenarien gingen von einer zumindest im konventionellen Bereich erheblichen Überlegenheit des Warschauer Paktes aus und mündeten schließlich in einer Abnutzungsschlacht, die die NATO innerhalb weniger Tage in eine bedrohliche Lage brachte. Mit wirtschaftlichem, politischem und auch militärischem Druck versuche der Gegner den Westen gefügig zu machen. Keineswegs glaubte man, dass sich der Ostblock ausschließlich auf den NATO-Mittelabschnitt konzentrieren würde, sondern man bezog auch die Flanken und andere neuralgische Punkte prominent mit ein313. Im Zentrum stand dabei Jugoslawien, das die ČSSR als primäres Einmarschziel ablöste314. Später trat 310

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TNA, AIR  8/2778, DEF  501/75, Chiefs of Staff Committee, Defence Operational Planning Staff, Report on NATO Exercise WINTEX 75, 18.6.1975, AS. 2, S. A2-1; ebd., UKDEL NATO, Turkish withdrawal from WINTEX, 24.2.1975. Weitere Dokumente dort. Dies hing wohl mit dem Wiedereintritt Griechenlands in die integrierte Militärstruktur der NATO zusammen. BArch, DVW 1/94346, MfNV, Verwaltung Aufklärung, Bericht über die strategische Kommandostabsübung »WINTEX 77«, hrsg. im August 1977, S. 37; BArch, DVW 1/32678/b, MfNV, Verwaltung Aufklärung, Sonderbericht Nr. 19/79 vom 30.3.1979, Einschätzung der strategischen, militärisch-zivilen NATO-Kommandostabsübung »WINTEX/CIMEX 79«, Stand: März 1979, S.  4; BArch, DVW  1, BArch, DVW  1/94326, Bericht über die strategische, militärischzivile NATO-Kommandostabsübung »WINTEX/CIMEX 81), Stand: August 1981, S. 38; BArch, DVW 1/94384, MfNV, Verwaltung Aufklärung, Aufklärungsinformation, Inhalt und Ergebnisse der strategischen, militärisch-zivilen NATO-Kommandostabsübung »WINTEX/CIMEX  83«, Stand: November 1983, S. 18; DVW 1/42713, MfNV, Chef Aufklärung, Aufklärungsinformation, Einschätzung der strategischen, militärisch-zivilen NATO-Kommandostabsübung »WINTEX/ CIMEX 85«, Juni 1985, S. 8, und ebd., Sonderinformation, Die bevorstehende strategische, militärisch-zivile NATO-Kommandostabsübung »WINTEX/CIMEX 85«, Bl. 4; ebd., MfNV, Chef Aufklärung, Aufklärungsinformation, Einschätzung der strategischen, militärisch-zivilen NATOKommandostabsübung »WINTEX/CIMEX 87«, Juni 1987, S. 9; sowie BArch, DVW 1/42493, MfNV, Aufklärungsmeldung über Hauptergebnisse und Verlauf der strategischen militärisch-zivilen NATO-Kommandostabsüung »WINTEX/CIMEX 85«, Juni 1989, S. 15 und Anlage 7. Vgl. v.a. auch BArch, DVW 1/25747, MfNV, Verwaltung Aufklärung, Bericht über die strategische Kommandostabsübung »WINTEX 75«, hrsg. im August 1975, S. 15‑17 und S. 48 f. Dazu auch The Times, »Russia attacked« (Richard Wigg), 8.4.1981. Jugoslawien als Krisenherd und Ziel möglicher Intervention des Warschauer Paktes mit gewaltsamem Staatsstreich hatte man bereits vor dem Prager Frühling angenommen, z.B. bei FALLEX 66. Dorn, So heiß war der Kalte Krieg, S. 35, 61. Die Quellen des MfNV (siehe dazu auch den Hinweis

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noch Polen in den Fokus315. Aber auch Nordnorwegen und vor allem Griechenland und die Türkei standen als mögliche Aggressionsobjekte auf der Agenda316. An all diesen Punkten wurde eine jeweils ähnliche Palette an Droh- und Aggressionshandlungen angenommen: aggressive Manöver, scheinbare ›Friedens- und Bündnisangebote‹, Konsultationen, Grenzverletzungen, maritimer Aufmarsch, Vorbereitung von amphibischen Landeunternehmen, offene und verdeckte Drohungen u.a.m. Im Falle Jugoslawiens wurde fast immer eine direkte Invasion postuliert, die dann zur Eskalation führte. Alle diese Brandherde zählten nicht zufällig zum Einsatzspektrum der AMF, die im Rahmen der Strategieentwicklung, insbesondere der Hinwendung zur Flexible Response, explizit als ein Mittel zur Krisenbewältigung und Abschreckung aufgebaut worden war. Indes ergaben sich bereits bei der ersten WINTEX-Übung analog zur militärstrategischen Entwicklung weitere Perspektiven, die dann in den achtziger Jahren bei den HILEX-Übungen zum Tragen kamen und für große Konflikte im Bündnis sorgten. Offensichtlich auf Initiative der USA hatten die Planer für WINTEX 71 vorgesehen, den Auslöser für die krisenhafte Zuspitzung nicht in Europa zugrunde zu legen, sondern in einer Krise im Nahen Osten zu sehen317. Eine derartige Ausweitung des Krisenszenarios geschah nicht im Sinne der europäischen NATO-Partner. Auch die deutschen Militärs waren der Ansicht, dass man mit den möglichen Aggressionen des Warschauer Paktes in Europa schon genug zu tun habe und sich hierauf konzentrieren solle. Die britischen Chiefs of Staff, die sich allein schon wegen der immer noch bestehenden militärischen Interessen im Golf ausführlich mit dem Thema beschäftigten, kamen

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in Anm. 324 auf S. 123) berichten durchgängig davon, dass der Einmarsch in Jugoslawien und teils auch in Finnland den Auftakt für den Kriegsbeginn bildete. BArch, DVW 1/25731/d, MfNV, Verwaltung Aufklärung, Abschlußbericht über die strategische Kommandostabsübung »WINTEX 71«, hrsg. im August 1971, S. 58 f.; BArch, DVW 1/25734/j, MfNV, Verwaltung Aufklärung, Abschlußbericht über die strategische Kommandostabsübung »WINTEX 73«, hrsg. im Juli 1973, S. 65; BArch, DVW 1/25747, MfNV, Verwaltung Aufklärung, Bericht über die strategische Kommandostabsübung »WINTEX 75«, hrsg. im August 1975, S. 89; BArch, DVW 1/94346, MfNV, Verwaltung Aufklärung, Bericht über die strategische Kommandostabsübung »WINTEX 77«, hrsg. im August 1977, Anlage 3; BArch, DVW 1/94326, MfNV, Verwaltung Aufklärung, Abschlußbericht über die strategische Kommandostabsübung »WINTEX/CIMEX  81«, hrsg. im Juli 1981, S. 119; BArch, DVW 1/42713, MfNV, Chef Aufklärung, Aufklärungsinformation, Einschätzung der strategischen, militärisch-zivilen NATO-Kommandostabsübung »WINTEX/CIMEX 85«, Juni 1985, S. 21 f., und ebd., MfNV, Chef Aufklärung, Aufklärungsinformation, Einschätzung der strategischen, militärisch-zivilen NATO-Kommandostabsübung »WINTEX/CIMEX 87«, Juni 1987, S. 39. Zum Quellenwert der Akten aus dem MfNV vgl. ebenfalls die Bemerkungen in Anm. 324 auf S.  123. Besonderer Dank gebührt in diesem Zusammenhang Prof. Dr. Jan Hoffenaar vom Nederlands Instituut voor Militaire Historie. BArch, DVW 1/94416, Aufklärungsmeldung, Einschätzung der strategischen Kommandostabsübung der NATO »HILEX 12« (3.3.‑7.3.1986), Stand: Mai 1986, Bl. 12. Eine sehr schöne Quelle zum griechisch-türkischen Konflikt und seinen teils desaströsen Auswirkungen auf die NATO in: AAPD, 1976, Bd 2, S. 1496‑1502, Dok. 330, Botschafter Pauls, Brüssel (NATO), an das AA, Auswirkungen des Konflikts zwischen Griechenland und der Türkei auf das Nordatlantische Bündnis, 18.11.1976. Freundlicher Hinweis von Stefan M. Brenner. Zu den vielfältigen Konflikten zwischen der Türkei und Griechenland sowie deren Auswirkungen vgl. (Angaben nur in Auswahl möglich): Kuniholm, The Evolving Strategic Significance; Papacosma, Greece and NATO: A Nettlesome Relationship; Akbulut, NATO’s Feuding Members. TNA, CAB 164/358, UKDEL (A.W.G. LeHardy) NATO an MOD London, Major NATO Exercises, 14.4.1969, S. 1 f., mit Begleitmaterial.

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zu einem vergleichbaren Ergebnis. De facto übertrug man die Lage der atlantischen Allianz in einer Art »mirror image« auf die CENTO, d.h. die britischen Planer gingen nicht davon aus, dass die Sowjetunion unter Zuhilfenahme Syriens und des Irak einen Großangriff starten würde318. Vielmehr glaubte man, dass Moskau langfristig eine schleichende Destabilisierung der CENTO und damit auch der NATO ins Werk setzen wolle und bei der Wahl der Mittel sehr flexibel sei. Bei einer Krise hätte die Sowjetunion auch nichts gegen die Besetzung von Faustpfändern gehabt. Sie hoffte im Übrigen auf eine Isolierung vor allem der Türkei von den USA. »The Soviet Union will continue to do what it can politically, economically [...] and through subversion to weaken Turkey’s links with the West and with CENTO319.« Die Lage gestaltete sich auch wegen des türkisch-griechischen Konflikts schwierig für den Westen. Die Briten konnten bereits vor 1970 kaum nennenswerte Kräfte für die Verteidigung des Mittleren Ostens bereitstellen. Im Wesentlichen handelte es sich dabei um einige wenige nuklear bestückte Bomberstaffeln, die auf der Basis Akrotiri auf Zypern stationiert waren320. Zudem gab es Forderungen, sie für die Verteidigung der NATO-Südostflanke, d.h. nicht für den Mittleren Osten einzusetzen. Dies wiederum ließ sich nicht zuletzt wegen technischtaktischer Unwägbarkeiten nur schwer bewerkstelligen, und strategisch war ein solches Vorgehen nicht problemlos. Dennoch gab es eindeutige Grenzen im Bedrohungsszenario. Syrien und Irak waren militärisch schwach und hatten innenpolitische Probleme, beispielsweise wegen der Kurden. Die Syrer wurden als überaus nationalbewusst gesehen. Die Errichtung ausgedehnter Basen oder Einflusszonen oder gar die Etablierung eines »Satellitenstatus« kam bis auf Weiteres nicht infrage. Außerdem erlitt die Sowjetunion durch die Ausweisung ihrer militärischen Einheiten aus Ägypten321 einen herben Rückschlag, der weitere Ambitionen dämpfte, wenn auch dadurch die anderen potenziellen Partner aufgewertet wurden. Ein Spiel mit dem Feuer, also etwa die Verschärfung der Lage in Palästina, konnte man zwar nicht grundsätzlich ausschließen, dies wurde aber in London als eher unwahrscheinlich angesehen. Dies galt auch für den Mittleren Osten insgesamt, Indien und Pakistan eingeschlossen. Die Sowjetunion hatte in den Teilrepubliken an der Südgrenze genug eigene Probleme und war an Stabilität interessiert. Das Interesse an der Destabilisierung des Westens und die Furcht vor Unruhe zum eigenen Schaden hielten sich wohl in etwa die Waage.

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Zum Folgenden vgl. grundsätzlich als sehr instruktive Komplementärdokumente für NATO und CENTO: TNA, DEFE  4/276, COS  10967/1301, Defence Studies Working Party, Ministry of Defence Position Paper, mit Annex »Britain’s Defences, Note by the Ministry of Defence« (Draft), 26.2.1973; und TNA, DEFE 4/275, COS 1022/300, CENTO: An Assessment of the Situation in the CENTO Area, 11.1.1973, mit The Situation in the CENTO Area (UK National Paper Submitted to CENTO). Vgl. auch TNA, DEFE 4/270, COS Committee, Confidential Annex to COS 21st Meeting/72, Meeting with Admiral Thomas H. Moorer, USN, Chairman US JCOS, 11.7.1972. TNA, DEFE 4/275, COS 1022/300, CENTO: An Assessment of the Situation in the CENTO Area, 11.1.1973, S. 11. Stoddart, Losing an Empire, S. 98‑100, 194‑196, 210‑214 u.ö. Siehe dazu S. 104, Anm. 243, und S. 180.

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Die Lage an der Südostflanke der NATO und für die CENTO schien daher einstweilen beherrschbar, auch weil die Unruhekandiaten von den »twin pillars« gewissermaßen umrahmt wurden. Dies sollte sich ab 1979 ändern. Ähnlich gelassen sahen die Chiefs of Staff die Lage in Afrika. Zwar war es auch hier durch die maritime Expansionspolitik der Sowjetunion gefährlicher geworden. Letztlich aber sah man in Afrika kaum ernsthafte Bedrohungen für die eigene Sicherheit. Das Hauptproblem blieb die feindliche Hauptmacht in Europa322. Die Amerikaner insistierten jedoch auf ihrer Sichtweise. Die prominente Bedeutung des Nahen bzw. Mittleren Ostens für WINTEX 71 wurde einstweilen nicht geändert323. Der Nahe Osten sollte für die NATO auch in Zukunft einen vorrangigen »Krisenraum« bilden324. »Krisenräume« stellten Regionen dar, von denen eine entscheidende Spannungsverschärfung ausging. Damit waren nicht unbedingt die Räume gemeint, von denen aus 322 323

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Dazu oben S. 29 mit Anm. 77. Beschluss des NATO-Militärausschusses in: TNA, CAB  164/358, UKDEL NATO, Exercise WINTEX 71, 18.6.1969, S. 1, mit Begleitmaterial. Aufgrund der existierenden Zugangsbeschränkungen konnte noch nicht einwandfrei geklärt werden, inwieweit diese Entscheidung Bestand hatte. In den Akten des MfNV wurde der Nahe Osten als Spannungsgebiet jedenfalls genannt, dies jedoch neben den NATO-Flanken und Berlin. BArch, DVW 1/25731/d, MfNV, Verwaltung Aufklärung, Abschlußbericht über die strategische Kommandostabsübung »WINTEX 71«, hrsg. im August 1971, S. 13. Offensichtlich wurde das Szenario Mittlerer Osten in der NATO bis in die erste Jahreshälfte 1969 hinein noch als fest und prominent verankert gesehen, danach dann aber abgeschwächt. Die deutschen Übungsbefehle enthalten ab Ende August 1970 dieses Szenario nur als integralen Bestandteil der Entwicklung an der Südfront und konzentrierten sich grundsätzlich auf Mitteleuropa. BArch, BW  2/1645, Stab für Studien und Übungen der Bundeswehr, Befehl für die Übung WINTEX 71, Exercise Good Heart, 1.7.1970; ebd., Lage und Bemerkungen zur Lage, WINTEX 71, Exercise Good Heart, 30.8.1970, S. 5‑9. Die Quellen der MfNV deuten auf die Abschwächung des Szenarios Mittlerer Osten und die Konzentration auf Europa hin. BArch, DVW  1/25731/d, MfNV, Verwaltung Aufklärung, Abschlußbericht über die strategische Kommandostabsübung »WINTEX 71«, hrsg. im August 1971, S. 13 f. BArch, DVW  1/94326, MfNV, Verwaltung Aufklärung, Abschlußbericht über die strategische Kommandostabsübung »WINTEX/CIMEX 81«, hrsg. im Juli 1981, S. 22. Zum Quellenwert der Verwaltung Aufklärung des MfNV ist folgendes anzumerken: Die Berichte sind in Bezug auf die an dieser Stelle interessierenden Primärinformationen weitgehend sachlich gehalten. Werturteile waren nur im begrenzten Umfang enthalten, dies vor allem in den ersten Berichten zu WINTEX Anfang der siebziger Jahre. Dabei trat insbesondere die Kennzeichnung der NATO als Aggressor mit offensiven bzw. »eskalatorischen« Absichten zutage. Offensichtlich spielte eine Art »mirror image« eine Rolle. Der Warschauer Pakt unterstellte der NATO (wie diese umgekehrt auch ihm), dass sie den Ostblock ideologisch und politisch untergraben und damit ideale Bedingungen für einen erfolgreichen Krieg schaffen wolle. BArch, DVW 1/25731/d, MfNV, Verwaltung Aufklärung, Abschlußbericht über die strategische Kommandostabsübung »WINTEX  71«, hrsg. im August 1971, S. 11. In gewisser Weise entsprach dies auch den Tatsachen. Die Beschreibungen der Übungen unterstellten aber nicht, dass die NATO eine Großoffensive auf dem Boden der Staaten des Warschauer Paktes durchspielte o.ä. Die Angaben zu den strategischen Grundlagen (Bedeutung der Flexible Response), die Planungen für den Ernstfall (z.B. Verstärkungskräfte, hier auch die AMF) und auch die organisatorische Basis entsprachen im Wesentlichen den Tatsachen. Dennoch ist eine gewisse Vorsicht bei der Bewertung der Unterlagen angebracht. Als Ergänzung zu den Informationen der westlichen Akten sind sie aber, zumindest bis die westlichen Akten frei zugänglich sind, unerlässlich. Grundsätzlich zu diesem Thema, auch zu Interpretationen und Fehldeutungen in den Stäben sowie generell zum Spannungsverhältnis Aufklärungsergebnisse – Ideologie: Hoffenaar, East German Military Intelligence.

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der direkte militärische Angriff angenommen wurde, sondern neuralgische Punkte mit entscheidenden Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen den beiden Bündnissen325. In den siebziger Jahren beschränkten sich die Planer tendenziell noch auf Europa, wenn auch mit besonderer Betonung der Flanken. Wie aber bereits WINTEX  71 deutlich machte und später in WINTEX  75 festgeschrieben und durchgespielt wurde326, kam dem Nahen Osten und der globalen Perspektive weiterhin Bedeutung zu327. Berichte der DDR-Spionage verzeichnen ebenfalls einen Ausbruch im Nahen bzw. Mittleren Osten, der dann quasi »von außen nach innen« auf die Südflanke der NATO und dann auf ganz Europa übergriff328. Ab WINTEX/CIMEX 81 überwiegt dieser Aspekt bei der Definition der »Krisenräume«, parallel zur Verstärkung der Annahme, dass der Warschauer Pakt politische und strategische Schwächen zeigte. In der Zeit vor Gorbačev konnten die Amerikaner ihre Vorstellungen in der NATO zumindest in diesem Punkt zumindest grundsätzlich durchsetzen. Die Auseinandersetzungen mit den USA wegen Afghanistan und dem Iran sowie Probleme im Innern führten im Übungsszenario zu wachsender Aggressivität der Sowjetunion und dann zur direkten Konfrontation. Für die strategische Position der AMF hatten diese Entwicklungen, hier die Verlagerung des Fokus auf den Nahen bzw. Mittleren Osten, negative Folgen. Die tendenzielle Konzentration auf den Persischen Golf oder auch eine mögliche Eskalation zwischen den Blöcken auf breiter Front ließen neuralgische Punkte wie Seeland oder Thrazien eher wieder in den Hintergrund treten. Die HILEX-Übungen begannen Mitte der sechziger Jahre und waren bewusst als Kontrast zur WINTEX-Serie angelegt worden329. Im Zentrum stand nicht so sehr die

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Zum Forschungsstand hier vgl. Schmid, Transatlantic and Middle East Crisis Arcs. TNA, AIR 8/2778, Chiefs of Staff Committee, Defence Operational Planning Staff, Report on NATO Exercise WINTEX 75, 18.6.1975, S. A-2. BArch, DVW  1/32678/b, MfNV, Verwaltung Aufklärung, Sonderbericht Nr.  19/79 vom 30.3.1979, Einschätzung der strategischen, militärisch-zivilen NATO-Kommandostabsübung »WINTEX/CIMEX 79«, Stand: März 1979, S. 1. Zu den Übungen WINTEX 73 bis 77 gab es in Bezug auf das Szenario Mittlerer Osten eher indifferente Antworten. BArch, DVW 1/25734/j, MfNV, Verwaltung Aufklärung, Abschlußbericht über die strategische Kommandostabsübung »WINTEX 73«, hrsg. im Juli 1973, S. 15 f.; BArch, DVW 1/25747, MfNV, Verwaltung Aufklärung, Bericht über die strategische Kommandostabsübung »WINTEX 75«, hrsg. im August 1975, S.  16  f.; BArch, DVW  1/94346, MfNV, Verwaltung Aufklärung, Bericht über die strategische Kommandostabsübung »WINTEX 77«, hrsg. im August 1977, S. 18‑27. DVW 1/94326, MfNV, Verwaltung Aufklärung, Abschlußbericht über die strategische Kommandostabsübung »WINTEX/CIMEX 81«, hrsg. im Juli 1981, S. 22‑26, 60 f.; BArch, DVW 1/94384, MfNV, Verwaltung Aufklärung, Aufklärungsinformation, Inhalt und Ergebnisse der strategischen, militärisch-zivilen NATO-Kommandostabsübung »WINTEX/Cimex  83«, Stand: November 1983, S. 27 f., 42 f. Die vorliegenden Unterlagen zu WINTEX/CIMEX 85 und 87, die nicht die Abschlussberichte umfassen, enthalten nur wenige direkte Informationen zu den »Krisenräumen«. Aber auch in dieser Zeit war der Mittlere Osten prominent platziert, so etwa bei HILEX 12. Vgl. BArch, DVW  1/94416, Aufklärungsmeldung, Einschätzung der strategischen Kommandostabsübung der NATO HILEX 12 (3.3.‑7.3.86), Stand: Mai 1986, Bl. 10 f. TNA, CAB 164/358, MoD, D/DOX 12/71, Minutes of a Meeting to Discuss the WINTEX 71 Draft Operation Order (DIHEART) am 19.9.1969 (22.9.1969), Anlage DXCC Note  3/69 (Draft), S. 4‑6. Ausführliches Begleitmaterial.

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Durchführung militärischer Mobilmachungs- und Kampfverfahren, sondern das flexible Reagieren auf Krisensituationen im politischen Bereich330. Geübt werden sollte die politische Entscheidungskompetenz bzw. -performanz durch Bewältigung der möglichen Herausforderungen und Optionen. Ging es bei den WINTEX-Übungen vor allem darum, die militärischen Einsatzmittel möglichst effizient in Position zu bringen, um auszuloten, wann der Zeitpunkt für einen Nukleareinsatz gekommen sei, sollte bei HILEX eine Vielfalt von Möglichkeiten ausgetestet werden, die genau dies, die Eskalation, verhinderten. Dabei sollten die Übenden einerseits erheblich mehr mit offenen, nicht im Spielplan festgelegten Situationen konfrontiert werden (»free play«), andererseits konzentrierte man sich in wesentlich stärkerem Maße auf das untere Krisenspektrum, d.h. die Zeit vor der direkten militärischen Konfrontation331. Die Übungspläne zielten folglich auf die Möglichkeiten zur Deeskalation ohne Kernwaffeneinsatz. Dadurch ergaben sich akute und tatsächliche politische Gefahren, etwa wenn der Warschauer Pakt Kenntnis von Übungsinhalten erhielt. Die NATO konnte keinen absoluten Geheimhaltungsschutz gewährleisten, daher drangen fast immer auch sensible Informationen an die Öffentlichkeit. Die HILEX-Übungen, die Krisen simulieren sollten, bargen hier größeres Gefahrenpotenzial als Übungen der WINTEX-Serie. In realen Krisensituationen konnte, so fürchteten die NATO-Planer durchaus nicht zu Unrecht332, unter ungünstigen Umständen eine HILEX-Übung, quasi als Selffulfilling Prophecy, zu einer ernsten Verschärfung der aktuellen Lage führen. Theoretisch war es denkbar, dass z.B. ein virtueller ›Einsatz‹ der AMF in der Übung als reale Provokation missverstanden wurde, wenn entsprechende Details vorab oder während der Übung an die Öffentlichkeit drangen333. Ähnliches galt für die strategischen Grundannahmen. So sahen die Briten den Zusammenhalt des Bündnisses gefährdet, wenn öffentlich ruchbar würde, dass die NATO in ihren WINTEX-Übungen von einem kurzen Kriegsverlauf ausging334. Dies hätte sofort zu Mutmaßungen geführt, dass die Allianz eine konventionelle Niederlage und eine rasche nukleare Eskalation als wahrscheinlich betrachtete, was ja auch der Fall war. Realität und Fiktion drohten in unheilvoller Weise ineinander überzugehen. Dies galt verstärkt ab Anfang der achtziger Jahre, als der Warschauer Pakt zunehmend in Krisen und aus westlicher Sicht ökonomisch unter Druck geriet.

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TNA, AIR 8/2778, Chiefs of Staff Committee, Defence Operational Planning Staff, Report on NATO Exercise WINTEX 75, 18.6.1975, S. A-6. Dazu auch BArch, BW 2/1645, dmv im mc/nato an Fü S III 9, Drahtbericht Nr. 446, 17.7.1969. BArch, BW 2/11696, AA, HILEX 10, Entwurf eines nationalen Erfahrungsberichts, 26.3.1982, S. 2. Dazu auch Aldrich, Waiting to Be Kissed?, S.  68  f. Einer der wohl bekanntesten Spione des Ostblocks, Rainer Rupp alias »Topas«, hat nach eigenen Angaben zumindest indirekt angegeben, Informationen über WINTEX beschafft zu haben. Siehe dazu Rupp, WINTEX. Es müsste noch näher geklärt werden, ob und inwieweit dies den Tatsachen entspricht und die Aufklärungsberichte der NVA zu WINTEX und HILEX direkt von Topas gespeist wurden. Bei HILEX 10 gab es in der Tat eine »undichte« Stelle, über die geheime Informationen an die Öffentlichkeit gelangten. BArch, BW 2/11696, Brüssel NATO an AA, COEC-Sitzung am 18.3.1982, para. II.b. TNA, AIR 8/2776, Format of Future WINTEX 75, 5.9.1973, Anlage: Draft Signal for Admiral Moorer. AIR 8/2778, SECCOS, WINTEX 75 – First Impression Report, 26.3.1975.

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Entsprechende Aspekte fanden spätestens ab HILEX 9 (1980) in das Krisenszenario Eingang335. Fiktiver Ausgangspunkt für die Übung waren ökonomische Probleme im Warschauer Pakt infolge von Rohstoffknappheit und Produktionsschwierigkeiten. Ein Teil der Ostblockstaaten, insbesondere die als ›progressiver‹ angenommenen, begann sich untereinander abzustimmen, sich gegenüber dem Warschauer Pakt zu verselbstständigen und sich vermehrt an den Westen zu wenden. Höhepunkt dieser IntraBlock-Tendenzen war die Bildung einer »Liga moderner sozialistischer Staaten« durch Rumänien, Albanien und Jugoslawien. Die Sowjetunion quittierte derlei Tendenz mit zunehmender Aggressivität und ging, quasi als getriebener Akteur, in die Offensive, um nicht an die Wand gedrückt zu werden und einem Erosionsprozess machtlos gegenüber zu stehen. Von dieser Position aus setzte der Konfrontationskurs ein, wieder mit den Schwerpunkten Jugoslawien und NATO-Flanken. Auch in diesem Fall ist nicht leicht zu entscheiden, ob bei den Planern ein eher theoretisches Szenario zugrundelag oder ob sie derlei im Ernstfall tatsächlich auch erwarteten. Fiktion und Realität sind auch hier rückblickend nur schwer auseinander zu halten. Für die AMF bedeuteten derlei politische Übungsverläufe mit gradueller Krisenverschärfung den entscheidenden Ansatzpunkt, der wiederum auf ihre grundsätzliche Existenzberechtigung als strategisches Instrument verwies. Anders als in den WINTEXÜbungen, wo man sie eher als Rountineelement ohne größere Bedeutung behandelte336, wurde ihr bei HILEX zumindest in den ersten Übungen ein Platz im Zentrum des Geschehens eingeräumt. Die Einführung der HILEX-Übungen stand in unmittelbarem Zusammenhang mit der AMF und der STANAVFORLANT. Bei HILEX  3, der ersten vollgültigen Übung der Reihe337, standen beide Verbände als die entscheidenden Elemente im Rahmen des Krisenmanagements im Vordergrund338. Indes wurden sie im weiteren Verlauf auch bei den HILEX-Übungen zu einem Abschreckungselement unter vielen339. Es blieb natürlich die Hoffnung, dass in einem Ernstfall eine oder mehrere der Maßnahmen, etwa die Stationierung einer Elitetruppe wie der AMF, zu einer Entschärfung führte. Die Übungen der siebziger Jahre (HILEX 4 bis HILEX 8) spielten dazu zahlreiche Optionen durch. 335 336 337

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Zu HILEX 9 vgl. grundsätzlich und, wo nicht anders belegt, BArch, BW 2/9257, VR II 6, HILEX 9, hier: Weisung für die Durchführung der Übung, 5.2.1980, mit reichhaltigem Begleitmaterial. Vgl. z.B. TNA, CAB  164/358, UKDEL (A.W.G. LeHardy) NATO an MOD London, Major NATO Exercises, 14.4.1969, S. 1: »There is to be no AMF play«. HILEX 1 (11.‑15.3.1968) und HILEX 2 (8.‑19.7.1968) waren eher planerische Studienübungen zur Annäherung zur Ausgestaltung im Rahmen einer Arbeitsgruppe gewesen. BArch, BW 2/4349, Schriftbericht-FS Nr. 1685, natogerma, Übungen auf Hoher Ebene (hileks-2, hileks-3), 12.11.1968. Mit Begleitmaterial. BArch, BW  2/4349, Fü  S  III an den Generalinspekteur, HILEX  3, Übung auf oberster Ebene, 23.12.1968. Die ostdeutschen Geheimdienste erkannten die Bedeutung des Krisenmanagements genau, deuteten es aber als aggressives Instrument zur Unterminierung des Warschauer Paktes. Vgl. etwa BArch, DVW 1/25734/j, MfNV, Verwaltung Aufklärung, Abschlussbericht über die strategische Kommandostabsübung »WINTEX  73«, hrsg. im Juli 1973, S. 26‑31. Vgl. auch BArch, DVW 1 /32678, Sonderbericht, Information über Inhalt und Verlauf der strategischen NATOKommandostabsübung »HILEX 8« (13.3.-17.3.1978), 18.4.1978, Bl. 15 f. Vgl. etwa auch BArch, DVW 1/32678, Sonderbericht, Information über Inhalt und Verlauf der strategischen NATO-Kommandostabsübung »HILEX  8« (13.3.‑17.3.1978), 18.4.1978, Bl.  14 und 15.

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HILEX 9 sollte dann zu einem Wendepunkt in der strategischen Entwicklung wie auch der Übungsgeschichte der NATO werden. Hatte zuvor der globale Aspekt zwar einen spürbaren Ausdruck erhalten, so war er doch kein zentrales Merkmal gewesen340. Dies wurde mit HILEX 9 anders. Die Übung fiel zeitlich mit der sowjetischen Invasion in Afghanistan zusammen und wurde deshalb wegen der bereits genannten Gefahren abgesagt341. In der NATO bestanden große Ängste, dass die Sowjetunion provoziert werden könnte, wenn öffentlich ruchbar wurde, dass die Allianz eine hochrangige Kriegs- und Krisenübung abhielt, während die russischen Verbände in Afghanistan einmarschierten. Für die Allianz hatte der Afghanistan-Einsatz der Roten Armee erhebliche Konsequenzen. Die Amerikaner betrachteten die Ereignisse dort und die fast gleichzeitig ablaufenden Geschehnisse in der US-Botschaft in Teheran als massive Bedrohung ihrer Interessen im Golf, weswegen sie im Bündnis die Einbeziehung dieser Region in die Diskussion durchsetzten (Carter-Doktrin)342. Dies kam dann in HILEX 10 voll zum Tragen. Das Übungskonzept war mit dem von HILEX  9 fast identisch, enthielt aber an den entscheidenden Stellen jeweils eine neues, zentrales Element: den Einsatz der Rapid Deployment Force, die dann zur Rapid Deployment Joint Task Force wurde, dem Vorläufer des heutigen US Central Command343. Damit provozierten die USA in gewisser Weise dieselbe Diskussion, wie sie schon im Rahmen von WINTEX 71 stattgefunden hatte. Die Europäer mutmaßten durchaus nicht zu Unrecht, dass wichtige Interessen und Empfindlichkeiten der Amerikaner im Golf beheimatet waren, und befürchteten eine Ausdünnung der US-Verstärkungskräfte für Europa. Als nun die Überlegungen für die RDF Eingang in NATO-Übungsplanungen fanden, wurden die Amerikaner sofort mit massiver Kritik überschüttet. Im Übungsverlauf von HILEX  10 sagten sie dann zunächst auch zu, dass die Dislozierung der RDF in den Golf nur Truppen ohne NATO-Auftrag umfassen würde. Als die Situation im Übungsverlauf allerdings in der Golf-Region eskalierte, vermeldeten die Amerikaner, dass auch zwei Brigaden der NATO-Reserve für den Golf vorgesehen seien. Viel gravierender aber war, dass die Verlegung die US-Lufttransportkapazitäten weitgehend auslastete und dadurch die Verstärkung für den europäischen Schauplatz gefährdete. Dazu kam, dass die RDF-Verbände hochmobile und hochspezialisierte Eliteeinheiten (Marines, Luftlande-Verbände) umfassten. Dies beschwor weitere Befürchtungen herauf. Insbesondere die Verstärkung der NATO-Nordflanke (durch die II. Marine Amphibious 340 341 342

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Vgl. auch ebd., Bl. 16. BArch, BW 2/9257, Drahtbericht Nr. 87, Brüssel NATO an Fü S III, hileks, 21.1.80. Zur US-Militärstrategie und deren Hintergründe im Mittleren Osten vgl. Saikal, Islamism; sowie Little, American Orientalism, v.a. Kap. 4 und 7; und Walsh, The Military Balance in the Cold War, Kap. 7. Der Zusammenhang zwischen den HILEX-Übungen und der RDJTF war der Öffentlichkeit bereits damals ansatzweise bekannt, ohne dass jedoch die erheblichen Differenzen und Probleme innerhalb der NATO Erwähnung fanden. Vgl. Arkin, A Global Role for NATO, S. 4 f. Vgl. auch Tomes, US Defense Strategy, S. 88‑92. Zu den Problemen von NATO-Einsätzen »out of area« generell vgl. Lemke, Globale Probleme einer regionalen Allianz; mit Konzentration auf die Zeit nach 1990 vgl. Cimbala/Forster, Multinational Military Intervention; zudem Theiler, Die Entfernung der Wirklichkeit von den Strukturen, S. 353 f.

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Force, MAF) hätte leiden können, wenn die Amerikaner es als nötig erachtet hätten, noch mehr Truppen in den Golf zu schicken. Wie aus den Erfahrungsberichten hevorgeht, führten diese Verwerfungen zu Dissonanzen während des Übungsablaufes. Als besonders alarmierend wurde empfunden, dass die Handlungsfähigkeit der NATO litt, wenn man während eines Ernstfalles Grundsatzdiskussionen führte344. Ferner wurde betont, dass das gesamte Krisenmanagement der Allianz überarbeitet werden musste. Bislang war es weitgehend von »klassischen« Konfliktszenarien«, d.h. der Konfrontation innerhalb Europas, bestimmt und für eine grundlegend neue Perspektive mit zweigeteiltem Bedrohungsszenario (»ambiguous threat«) kaum geeignet. Die AMF wurde durch diese Ausdehnung der Konfliktperspektiven einerseits in ihrer strategischen Bedeutung wiederum geschmälert, andererseits wurden auch die Prioritäten stärker differenziert und das Einsatzprofil pointierter wahrnehmbar. Die Amerikaner wiesen infolge der neuen Bedrohungen im Golf der NATO-Südflanke größere Bedeutung bei als der Nordflanke. Auch die Briten nahmen trotz ihrer geografischen Nähe zur Nordflanke eine ähnliche Haltung ein. Jedenfalls kam das Joint Intelligence Committee (JIC) in der Übung WINTEX 75, von der die ausführlichsten Unterlagen aus westlichen Quellenbeständen vorliegen, im Verlauf der Übung zu dem Schluss: »Although events in the north and central regions have been disquieting we believe that the most serious manifestations of ORANGE are to be found in the south345.« Als besonders problematisch erwies sich das Übungsendergebnis. HILEX  10 war von den Planern konzeptionell als Markstein vorgesehen gewesen. Die für die HILEXReihe ohnehin als essenziell betrachtete Konzentration auf ein politisch flexibles Krisenmanagement war noch dadurch gesteigert worden, dass jetzt zum ersten Mal wirklich ›freie‹ politische Gestaltungsmöglichkeit gewährleistet werden sollte346. Die Übungsbilanz nahm sich demgegenüber enttäuschend aus. Es wurde bemängelt, dass trotz hochrangiger ziviler Beteiligung ein wirkliches Durchspielen offener Situationen nicht möglich gewesen sei, da die militärischen Spieler ihre Mobilmachungsmechanismen, die sie aus den WINTEX-Übungen kannten, viel zu rasch und zu unabhängig anwandten (frühe Auslösung der Alarmstufe »Military Vigilance«). Dadurch wurden Fakten geschaffen, die es der politischen Seite schwierig bis unmöglich machten, im unteren Krisenspektrum adäquat und flexibel zu reagieren347. Dies stand in direktem Zusammenhang mit der Meinung der Militärs, dass die wichtigste 344

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Offensichtlich hatte es gravierende Meinungsunterschiede zwischen Militärs und den politischen Stäben in Hauptstädten gegeben. BArch, BW 2/11696, AA, HILEX 10, Entwurf eines nationalen Erfahrungsberichts, 26.3.1982, mit Hintergrundmaterial. TNA, CAB 190/68, INT 31(75) 1, Cabinet Joint Intelligence Committee, Exercise Current Exercise Group, 6.1.1975, Exercise 19, WINTEX 75, Further Review of Orange Intentions, S. 8. Einschränkend ist zu vermerken, dass diese Aussage nur im Zusammenhang mit der gesamten Übungsanlage zu sehen ist, die Basis für die Reaktionen der Übenden darstellen sollte und daher nicht ohne Weiteres als strategische Kernaussage gewertet werden kann. Dennoch beinhaltet diese Anlage eine recht deutliche Tendenz. BArch, BW  2/11696, AA, HILEX  10, Entwurf eines nationalen Erfahrungsberichts, 26.3.1982, S. 2. Diese Information wurde allerdings in einer Randbemerkung mit einem Fragezeichen quittiert. Ebd., S. 3; und ebd., bruessel nato an aa, 15.3.1982, hileks 10, erster erfahrungsbericht nach uebungsende.

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Abschreckungsmaßnahme ohnehin die Mobilmachung und der militärische Aufmarsch seien. Der Warschauer Pakt hätte spätestens zu diesem Zeitpunkt realisieren müssen, dass die NATO Ernst machte. Für feinere politische Signale, wie die Stationierung von drei Bataillonen der AMF, hatten zumindest manche der militärischen Führer offensichtlich kein rechtes Verständnis. Es bestand die Gefahr, dass eine Deeskalation durch organisatorische Automatismen und mechanistisches Handeln nicht mehr möglich war. »Von der Möglichkeit der ›free play inputs‹ wurde allgemein zu wenig Gebrauch gemacht [...] Dadurch lief die Übung exakt nach Drehbuch ab, ohne dass den Übungsteilnehmern deutlich der Eindruck vermittelt werden konnte, dass ihre Maßnahmen sich auf die Entwicklung der Lage und Beilegung der Krise auswirkten. Dass die Aspekte ›Crisis Management‹ und ›Deescalation‹ in HILEX-10 in manchen Bereichen zu wenig zum Tragen kamen, ist eindeutig auch darauf zurückzuführen, dass die Vorstellung der meisten Übungsteilnehmer durch den Ablauf der WINTEX-Übungen geprägt ist, die bisher vor dem Hintergrund einer anderen Seite durch sich ständig steigende Konfrontation gekennzeichnet waren. Abgesehen von einem im Drehbuch vorgesehenen Notenaustausch und dem von der Bundesregierung vorgeschlagenen Treffen der Außenminister wurde in erster Linie militärisch auf die Lageentwicklung reagiert. Insofern war zu der Anfangsphase einer WINTEX-Übung nur wenig Unterschied festzustellen. Als Heilmittel für eine Kriegsverhinderung wurde fast ausschließlich die Erhöhung der Verteidigungsbereitschaft angesehen. Die Weisheit dieser ›defense posture‹ soll hier nicht angezweifelt werden. Die Übungen der HILEX-Serie sollen aber auch die breite Palette der flankierenden Maßnahmen neben der Herstellung der Verteidigungsbereitschaft zum Tragen bringen348.«

Eine dieser »flankierenden Maßnahmen« war die Dislozierung der AMF. Ursprünglich hatten die Planer gehofft, an Schnittstellen wie dieser die Trennlinie zwischen den WINTEX- und HILEX-Übungen ziehen zu können. Ziel war es, die starren Verfahrensabläufe zu druchbrechen und durch ein flexibleres Spiel, eben die HILEXReihe, zu ergänzen. Dazu hatte der britische NATO-Botschafter seinerzeit den Vorschlag gemacht, die HILEX-Übungen den WINTEX-Spielen zeitlich direkt vorzuschalten und damit den neuen Anforderungen der Flexible Response Rechnung zu tragen:

»I would again urge consideration of the idea [...] that there might be a HILEX type exercise preceeding WINTEX played on a ›real time basis‹. This might start in slow time on or about 10 Januar 1971 and could include consideration of such events as deployment of the AMF, return to 6 Brigade of BAOR (together with other UK and national reinforcements) [to Germany] and the declaration of SIMPLE ALERT. WINTEX 71 could then start at reinforced alert and go through to General War with the minimum of participation by the politico/military authorities349.«

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BArch, BW 2/11696, Fü S III an dmv MC/NATO, HILEX 10, First Impression Report, in MC/PS am 18.3.1982, S. 3. Dieser Eindruck bestätigte sich in nachfolgenden Übungen, beispielsweise bei HILEX 12. BArch, DVW 1/94416, Aufklärungsmeldung, Einschätzung der strategischen Kommandostabsübung der NATO »HILEX 12« (3.3.‑7.3.1986), Stand: Mai 1986, Bl. 6‑8. TNA, CAB 164/358, UKDEL (A.W.G. LeHardy) NATO an MOD London, Major NATO Exercises, 14.4.1969, S. 3.

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Die damit einher gehende Kritik an den bis dato gültigen Szenarien (u.a. FALLEX) war noch von der Hoffnung gespeist, zu beweglicheren Strategie- und Übungsperspektiven zu gelangen:

»does it really make sense to gear the machinery to the most unlikely course of events [rascher Einstieg in den General War] and to pay almost no attention to exercising the machinery required to handle events lower down the spectrum? [...] it is entirely unrealistic both on military and political ground (the new strategy, the new image of NATO, present day world conditions etc.) to continue to have NATO’s biannual major exercise [FALLEX/WINTEX] based on a general war scenario; and thus drastically to reduce the nature and scope of the exercise350.«

Die Rolle der AMF bei den WINTEX-Übungen tritt beim derzeitigen Stand der Zugangsbedingungen zu Geheimmaterial wohl am Besten am Beispiel von WINTEX 75 zutage351. Das vorliegende Szenario erlaubt dem Historiker einen umfangreichen und ausführlichen Einblick in die Gegnerperzeption der NATO. Ausgehend von der bereits oben geschilderten Annahme einer psychologischen Überlegenheit des Ostblocks kam es zu einer immer mehr gesteigerten Aggressivität, die sich wieder in einem Einmarsch in Jugoslawien manifestierte. Besonders deutlich wurde neuerlich die Realisierung besonderer Gefahren an den Flanken im Rahmen einer offenbar von langer Hand geplanten Destabilisierungsstrategie mit entsprechendem Einsatz der Presse (Angabe hier X-32, i.e. der 32. Tag vor Übungsbeginn): »ORANGE press treatment of European affairs has dwelt upon the need for solutions to regional problems and attacked NATO attitudes as out-dated, obstructive and unhelpful. Attention has been focussed on alleged conflicts between the interests of individual Scandinavian and southern flank countries and membership of NATO. More generally, commentaries have discussed European economic difficulties and linked them with the costs of armaments and membership of NATO352.«

Einen weiteren Angriffspunkt sah man in Bezug auf fortgesetzte Versuche, die transatlantische Brücke zu sprengen. Dazu initiierte man im Übungsverlauf wiederholtes Werben um die USA und Kanada, während die europäischen Kernstaaten unter Druck gerieten, dies mit dem Ziel, sie von den kleinen Bündnispartnern zu trennen (Zeitpunkt X-5 vor Übungsbeginn): »trying to isolate the FRG, France and Britain from their partners in NATO«353. Die AMF wurde in diesem Szenario alsTeil der Abwehr- und Abschreckungsmaßnahmen am 13. Tag vor Übungsbeginn in den griechischen Teil Thraziens verlegt354. Die Dis350 351

352 353 354

Ebd., S. 2. Basisinformationen zur Anlage von WINTEX 75 in: TNA, AIR 8/2775, WINTEX 75, Exercise Instructions issued by The Ministry of Defence, 6.12.1974. Das Szenario für den Mittleren Osten blieb eher begrenzt und enthielt neben dem Konflikt um Israel vor allem das Kurdenproblem und die Feindschaft zwischen Iran und Irak als krisenauslösende Momente. Ebd., AS. 12 to Annex D, D12-1, und ebd., AIR  8/2777, Ministry of Defence, Chiefs of Staff Committee, Confidential Annex to COS 1st Meeting/75 (14.1.1975). Dort auch weitere Dokumente zur Grundanlage. TNA, CAB  190/68, INT  31 (74) 13, WINTEX  75, Exercise Intelligence Planning Group, WINTEX 75 Political Incidents List: Orange Intelligence Setting, Prior to X-32, 29.7.1974, S. 2. Ebd., WINTEX  75, Political Incident List, Orange Pre Exercise Period X-9 to X-1 (hier: X-5), S. 10. Dazu auch TNA, AIR  8/2775, WINTEX  75, Exercise Instructions issued by The Ministry of Defence, 6.12.1974, Annex B, S. B-1.

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lozierung löste sofort einen Protest des Ostblocks aus und trug somit noch zur Verschärfung der Lage bei. In der Übungsanlage wurde es dann aber still um die AMF. Im Hintergrund standen etwa bei den Briten noch die mobilen Hauptkräfte bereit: die UK Mobile Force unter anderem mit einer kompletten Division und einer Kampfgruppe der RAF; die kombinierte Fallschirmtruppe (Joint Airborne Airborne Task Force, JATFOR), die in Verbindung mit der 82. US-Luftlandedivision eingesetzt werden sollte; und schließlich die amphibischen Spezialkommandos (41 und 45 Commando Groups), die teilweise mit Hovercrafts ausgerüstet waren. Die Übungsunterlagen enden am 3.  Übungstag (X+3) mit einem gewaltigen Angriff an allen Fronten, unter Einsatz aller Marine- und Luftwaffenkräfte sowie unter Einbeziehung der Verbündeten im Nahen Osten, d.h. einem Angriff des Irak und Syriens gegen die Südgrenze der Türkei. Das abschließende Urteil klingt so lakonisch wie düster: »We believe that, in launching an all out conventional attack, ORANGE aims to destroy NATO as an entity and establish ORANGE domination of Western Europe355.« Diese fiktive Voraussage wurde vollauf bestätigt. Im folgenden atomaren Krieg explodierten offenbar allein über dem Gebiet der Bundesrepublik mindestens 250 Atomwaffen356. Der unmittelbare Großangriff, dies zieht sich nach Lage der Dinge durch alle WINTEX-Übungen, erfolgte in der Übungsanlage stets fast gleichzeitig an allen Fronten357. Der nukleare Ersteinsatz der NATO konnte allerdings nicht nur an den Landfronten, sondern auch auf See stattfinden. Schon bei WINTEX  73 und HILEX 6 hatte dies Berücksichtigung gefunden358. Die Briten hatten im Rahmen von WINTEX  75 ebenfalls eine stärkere Konzentration hierauf gefordert359. Die NATO spielte dies bei WINTEX 77 für den nuklearen Ersteinsatz durch. Das für die Übung gebildete britische Kriegskabinett (Üb), dessen Akten zu WINTEX 77 ausgewertet werden konnten, hatte sich nach einigen Tagen mit der Frage eines Atomschlages zu beschäftigen, der fast gleichzeitig von SACLANT und SACEUR angefordert worden war360. SACLANT, der mit dem Aufmarsch massiver sowjetischer Marineverbände, insbesondere von U-Booten, konfrontiert wurde, beantragte den Einsatz von Nuklearwaffen gegen sowjetische U-Boote, die die US Striking Fleet im Nordatlantik und in der norwegischen See bedrohten. Hier sah man eine günstige Gelegenheit, einen demonstrativen Nuklearwaffeneinsatz etwas abseits der kritischen Frontlinien durchzuführen. 355

356 357

358

359 360

TNA, CAB 190/68, INT 31(75) 6, Cabinet Joint Intelligence Committee, Exercise Current Exercise Group, Exercise WINTEX 75 (Delicate Source), S. 4, Exercise + 3, Immediate Assessment at 15:30 Hours on 8.3.1975 (Exercise + 3), Aims of ORANGE Attack. Gablik, Strategische Planungen, S. 325. Vgl. beispielsweise BArch, DVW  1/25731/d, MfNV, Verwaltung Aufklärung, Abschlussbericht über die strategische Kommandostabsübung »WINTEX 71«, August 1971, S. 6‑17 und S. 58‑63. Zu den übrigen Übungen vgl. die entsprechenden Abschnitte in den Quellenbelegen wie in Anm. 306‑334 auf S. 118‑126. Neben den drei Hauptabschnitten der NATO in Europa ging man noch von einem Angriff der Sowjetunion gegen die Osttürkei über den Kaukasus aus. BArch, DVW  1/25755, Sonderbericht  10/74 (28.3.1974), Information über die Übung der obersten politischen und militärischen Führung der NATO und ihrer Mitgliedsstaaten »HILEX 6« (18.‑22.3.1974), Bl. 2 f. TNA, AIR 8/2776, CDS, WINTEX 75, Broad Guidance, 28.11.1972, Annex A. Das umfangreiche Material in: TNA, CAB  130/958, beginnend mit WINTEX  77 (CAB) Committee, Minutes of a Meeting of the Simulated Cabinet, 7.3.1977.

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Gleichzeitig war die Verstärkung für Norwegen, die II.  Marine Amphibious Force, in Gefahr. Das britische Übungskabinett reflektierte darüber hinaus den Einsatz von Atomwaffen gegen den Angreifer in Norwegen, wo die Landschlacht offensichtlich nicht zum Vorteil der NATO verlief. Fiktiv steht zu vermuten, dass im Szenario die AMF oder deren Reste bereits im größter Bedrängnis stand. An diesem Punkt endete die Übung. WINTEX 77 stellte insgesamt einen Einschnitt dar. Offensichtlich auf Betreiben der Bundesregierung, die bei einem Durchsickern entsprechender Informationen öffentliche Proteste und eine Gefährdung der Entspannungspolitik befürchtete, ging man in der Folge davon ab, die nukleare Eskalation bis zum großflächigen Einsatz von Atomwaffen durchzuspielen, sondern beendete die Übungen jeweils beim Eintritt der untersten Eskalationsstufe361. Eine weitere Zäsur zumindest bei der grundsätzlichen Anlage der Übungen ergab sich ab 1979, als die NATO ernsthaft versuchte, aus dem mechanischen Korsett der WINTEX-Übungen auszubrechen. Die Zielrichtung ging dahin, einerseits die zivile politische Ebene vermehrt zum Zuge kommen zu lassen, und andererseits, im Einklang mit den HILEX-Übungen, stärker auf das flexible Reagieren im unteren Krisenspektrum abzuheben. Daher wurden die Übungen auch umbenannt und firmierten fortan unter der Bezeichnung »WINTEX/CIMEX«. »Während noch bei WINTEX  77 überwiegend militärische Übungsziele im Vordergrund standen, werden bei WINTEX/CIMEX 79 während der Krisenphase die militärischen hinter die politischen und zivilen Zielsetzungen zurücktreten. Erst in der zweiten Phase bei Durchführung der konventionellen Verteidigung wird das Erreichen militärischer Übungsziele Vorrang haben362.«

Für die AMF hatte dies strategisch gesehen grundsätzlich keine Auswirkungen. Sie bildete weiterhin eines der Abschreckungsinstrumente der unteren Eskalationsebene und war insofern in das Gesamtspektrum eingebettet. Insbesondere die zivilen Entscheidungsträger dürften ihr indes größere Beachtung geschenkt haben. Immerhin trat sie bei der Vorstellung des Übungskonzeptes zu WINTEX/CIMEX 79 im Gemeinsamen Ausschuss, dem vorgesehenen Notparlament von Bundestag und Bundesrat, durch Verteidigungsminister Hans Apel prominent hervor363. Die Übungsanlage ging davon aus, dass die Sowjetunion massiven Druck gegen die skandinavischen Länder ausübte. Neben propagandistischen Angriffen erfolgten Anläufe zur Bildung einer neuen Nordallianz unter Führung Moskaus und aggressive Aktionen auf See, so die Versenkung eines norwegischen Trawlers. Die norwegische Regierung ging entschlossen gegen den Druck vor und erreichte unter anderem die Dislozierung der AMF in Nordnorwegen (N-1). Wie schon bei vorigen WINTEX-Übungen wurde ein scharfer Protest der Gegenseite simuliert, der jedoch bei den NATO-Partnern keinen Eindruck hinterließ. Interessant in diesem Zusammenhang ist die Annahme, dass die Dislozierung der AMF bei der norwegischen Bevölkerung sehr gemischte Gefühle hinterlassen hätte. 361 362 363

DVW 1/94346, MfNV, Verwaltung Aufklärung, Bericht über die strategische Kommandostabsübung »WINTEX 77«, hrsg. im August 1977, S. 14 f. und S. 94. BArch, BW 2/9257, Fü S III 6, WINTEX/CIMEX 79, 4.2.1979, S. 4. BArch, BW 2/9257, Sprechzettel, Bericht des Bundesministers der Verteidigung in der Sitzung des Gemeinsamen Ausschusses am 4.10.1978, 19.9.1978, S. 2.

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Auch in den beiden sehr wichtigen Übungen HILEX 9 und 10 standen der transatlantische und wegen der Einbeziehung des Persischen Golfes auch der globale Aspekt im Vordergrund, wohingegen die AMF ihren Platz im strategischen Gesamtrahmen zwar behielt, aber keineswegs ausbauen konnte. Wie bereits dargestellt, glichen sich insbesondere die politischen Szenarien beider Übungen, mit Ausnahme der überaus bedeutsamen Frage nach einem Einsatz von US-Kräften im Golf. Die für den Mittelabschnitt der NATO zuständigen Militärs hielten durchaus nichts von einer derartigen, aus ihrer Sicht überflüssigen Kräfteaufspaltung, doch hatten sie sich damit zu beschäftigen, weil die Amerikaner auf dieser Perspektive beharrten. So wurde dem deutschen Generalinspekteur, General Jürgen Brandt, im Vorfeld der Planungen zu HILEX  10 vorgetragen, dass nunmehr ein Einsatz von nennenswerten Kräften im Golf geplant sei. Brandt antwortete darauf nicht grundsätzlich ablehnend: »Gen Insp hat keine Bedenken, er begrüßt diese Einlage sogar, da nunmehr die Amerikaner ihre Planungen auf den Tisch legen müssten364.« Wohl wissend, dass ein derartiges Unterfangen in der NATO noch keineswegs einvernehmlich beschlossen worden war, sah der Generalinspekteur nun auch die Gelegenheit gekommen, eventuell dagegen vorzugehen. Zurückdrehen ließ sich das Rad allerdings nicht, denn das Golf-Szenario wurde dann tatsächlich gespielt365. Infolge der Verschärfung der Lage im Iran und der Aggression der Sowjetunion dort366 verlegten die USA in der Übung am 20. März die RDF mit der 82. Luftlandedivision, zwei Staffeln A-10 Thunderbolt sowie einer Trägerkampfgruppe und der 7. Marine Amphibious Brigade in den Golf. Weitere Verlegungen in Divisionsund Brigadestärke, darunter Teile der eigentlich für Europa bestimmten II.  Marine Amphibious Brigade, waren vorgesehen und vorbereitet. Die AMF mit ihren drei Bataillonen wurde von der türkischen Regierung am 1. März für das türkische Thrazien (S-1) angefordert und am 5. März, zwei Tage vor Auslösung der »Military Vigilance«, in Alarmbereitschaft versetzt. Eine der ersten Entscheidungen, die bei Übungsbeginn hätten getroffen werden müssen, war die Dislozierung der AMF. Damit stand die Truppe durchaus an prominenter Stelle, doch es konnte davon ausgegangen werden, dass mit dem Einsatz die AMF wieder in den Tiefen des Übungablaufes verschwunden wäre367. Die Frage nach den Großverbänden der RDF blieb weiter umstritten. Bei der nachfolgenden Diskussion kritisierten beispielsweise die Briten, dass das Golf-Szenario, das als weitere Bedrohungsvariante die »ambiguous threat« ausmache, vor allem im Abschnitt Europa-Mitte meist ignoriert worden sei: »das scenario habe der situation einer nicht eindeutigen bedrohung (ambiguous threat) entsprochen, sei aber als eindeutig (unam364 365 366 367

BArch, BW 2/11696, Fü S III 6, Aktennotiz, HILEX 10, hier: out-of-area-operation, 8.10.1981, mit Begleitmaterial. Zum Folgenden vgl. BArch, BW 2/11696, Fü S III 6, TgbNr. 358/82, Durchführung der Übung HILEX 10 mit Anlage A, Ausgangslage für die Übung HILEX 10. Das detaillierte Szenario für den Iran in BArch, BW 2/11696, AA, HILEX 10, Entwurf eines nationalen Erfahrungsberichts, 26.3.1982, dazu Hintergrundmaterial. Der weitere Verlauf der Übung konnte wegen der Geheimhaltungsbestimmungen und der generellen Überlieferungslage im Bundesarchiv-Militärarchiv nicht näher erforscht werden. Es ist insgesamt nicht verwunderlich, dass eigentlich nur die Türken den Einsatz der AMF in der Nachbearbeitung explizit lobten (ansonsten aber vor allem die mangelnde Berücksichtigung des Golf-Szenarios kritisierten). BArch, BW 2/11696, bruessel nato an aa, 22.3.1982, coec-Sitzung am 18.3.1982, hot wash up hileks 10 and coec study missions, II.

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biguous) gespielt worden. London habe die moeglichkeiten zu freiem spiel vermisst (uk)368.« Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass mit der AMF zumindest anfangs, bei der Schaffung der HILEX-Übungen, große Hoffnung in Bezug auf ein flexibles und erfolgreiches Krisenmanagment im Ernstfall verbunden waren. Diese Hoffnungen schienen sich dann in der Folge nicht ganz zu erfüllen. Insbesondere die militärischen Planer wiesen ihr eine untergeordnete und in WINTEX-Übungen auch starre Rolle zu. Zwar sollte dieser Befund infolge des Grundcharakters von Stabsrahmenübungen, die immer einen gewissen Grad an mechanischem Ablauf beinhalten, nicht überbetont werden, dennoch kommt man an der Tatsache nicht vorbei, dass die Position der AMF, die ursprünglich als ein markantes Merkmal der Flexible Response in das strategische Gesamtrelief eingebracht worden war, im Vergleich zu den Hauptkräften insbesondere auch der Zentralfront Grenzen aufwies. Selbst in den HILEX-Übungen, die bewusst flexibel angelegt wurden, um politisches Krisenmanagement, dessen Teil die AMF war und daher dort auch einen prominenteren Platz einnahm, realistisch erproben zu können, kam die Truppe über den Stellenwert einer »flankierenden Maßnahme« nicht hinaus. Die Militärs vor allem der NATO-Verteidigung in Mitteleuropa betachteten die Generalmobilmachung und den Aufmarsch der Hauptkräfte, etwa der Panzerverbände, als das entscheidende Abschreckungsinstrument, vor dem alle sonstigen Maßnahmen verblassten. Ansonsten zielten die WINTEX-Übungen auf die Frage des Ersteinsatzes von Atomwaffen. Der daraus folgende Mangel an flexibler Übungsgestaltung verweist auf eine grundsätzliche Schwäche der Flexible Response: die Zweifel an der Realisierung des »limited war« im Ernstfall369. Nur unter optimistischen Grundannahmen ließ sich die Hoffnung ›verwirklichen‹, einen Großangriff des Ostblocks mit rein konventionellen Mitteln zurückzuschlagen bzw. abzuschrecken, wie dies schon im ersten Teil der Übung FALLEX 66 durchgespielt worden war370 und offensichtlich zumindest in einigen HILEX-Übungen der Fall war371. Die Erfahrungsberichte lassen indes vermuten, dass das politische Abschreckungsinstrumentarium bis hin zu den ›feineren‹ Elementen in einem Ernstfall gegenüber dem Zeigen des Gewaltpotenzials ins Hintertreffen gerieten. 368

369

370 371

BArch, BW 2/11696, Brüssel NATO an AA, COEC-Sitzung am 18.3.1982, S. II.b. Die Briten begrüßten den Einsatz der RDF und das »ambiguous threat« nachdrücklich. BArch, BW 2/11696, dmv/mc an Fü S, mc sitzung am 18.3.1982, item 4. Zur Kritik am Konzept des begrenzten Krieges Krüger, Schlachtfeld Bundesrepublik?, S. 171‑225. Zeitlich ausgreifender und ein wenig positiver in Bezug auf die Realisierungschancen für einen begrenzten Krieg Mey, NATO-Strategie vor der Wende, S. 125‑226. Dorn, So heiß war der kalte Krieg. Selbst dort war nach Beendigung der Übung (»Top Gear«) eine zweite abgehalten worden (»Jolly Roger«), die die Eskalation bis zum »General War« simulierte. Bei HILEX 10 wurde die Deeskalation und Entspannung offensichtlich noch vor »Simple Alert« erreicht. BArch, BW 2/11696, london diplo an AA, Hileks 10, 18.3.1982, para. 3 und Kommentar para.  2. Weitere Aussagen sind infolge der Geheimhaltungsbestimmungen einstweilen nicht möglich. Man kann indes vermuten, dass die HILEX-Übungen tendenziell ohne simulierten Nuklearwaffeneinsatz zu Ende gingen. Dieser Übungsverlauf darf allerdings nicht automatisch mit einer hohen Zuversicht für den Ernstfall gleichgesetzt werden. Bei den WINTEX- und HILEXÜbungen wurden offenbar die meisten unterschiedlichen Szenarien bzw. Optionen erprobt. Welche dieser Möglichkeiten dann eintrat, hätte sich im Ernstfall erweisen müssen.

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Die Golf-Problematik wirkte insofern verschärfend, als durch sie die Alarm- und Verstärkungspläne mit einem Maximum an Effizienz und Flexibilität gehandhabt werden mussten und damit zum Kern der Flexible Response vorstießen. Gerade dies – »das nato-alarmsystem flexibel zu handhaben und gleicher weise die verstaerkungsplaene anzuwenden« – war jedoch nicht oder nicht in befriedigender Weise geschehen372. Es stand zu befürchten, dass die Eskalation so schnell und heftig stattfinden würde wie die mechanisch und effizient durchgeführte Mobilmachung. Das Schicksal der AMF in Planungen und Kriegsspielen der NATO lässt erhebliche Zweifel an der Realisierungsfähigkeit der Flexible Response aufkommen. Die Wahrscheinlichkeit schneller Eskalation und eines schnellen Atomwaffeneinsatzes war hoch. Insofern ergibt sich für die NATO-Strategie hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Beendigung des Kalten Krieges ein eher ernüchterndes Urteil. Vielleicht gab es im politischen und diplomatischen Bereich seit 1970 Bestrebungen zur Beendigung des OstWest-Konfliktes373. In den Kriegsszenarien und großen Übungen kamen diese trotz des Versuches zur Einführung von mehr Flexibilität zumindest bis Anfang der achtziger Jahre nur sehr begrenzt zum Tragen. Für den Fall einer wirklichen Krise ging es darum, schnell die Gewaltinstrumente in Position zu bringen. Danach stand die NATO ziemlich rasch vor dem nuklearen Abgrund. Insofern hatte sich der Grundcharakter der Kriegsplanungen im Kern seit den sechziger Jahren und der Massive Retaliation kaum verändert. In Bezug auf die AMF als Testfall für Abschreckung im Ernstfall lässt sich vielleicht resümieren: Die Truppe war als genuin flexibles Element, ja quasi als Verkörperung der Flexible Response in die Planungen und Übungen eingebaut worden. Indes reichte ihre ›planerische Wirkung‹ inmitten der teils starren Übungsabläufe trotz aller Bestrebungen nach dynamischer Gestaltung der Reaktion und trotz Vergrößerung der Handlungsoptionen zur Abwehr einer Aggression ohne den Einsatz von Atomwaffen nicht sehr weit.

3. Die strategische Lage an den Flanken als essenzielles Element für den Einsatz der AMF a) Die Bedeutung der beiden Flanken im Gesamtkontext Schon beim Beitritt der Flankenstaaten in der Gründungsphase der Allianz hatte es Aspekte gegeben, die manchen Verantwortlichen zweifeln ließen, ob die Partner an der Peripherie eine Verstärkung bedeuteten oder eher eine Belastung374. Für die USA, die wegen des Koreakrieges ohnehin nur über limitierte Ressourcen verfügten, verhieß 372 373 374

BArch, BW 2/11696, dmv/mc an Fü S, mc sitzung am 18.3.1982, item 4. Dazu die entsprechenden Aufsätze in Wege zur Wiedervereinigung. Zu den Problemen und Diskussionen um den Eintritt der beiden Staaten in die NATO vgl. Chourchoulis, The Southern Flank of NATO, S. 12‑87.

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der Beitritt Griechenlands und der Türkei zunächst vor allem einen höheren Aufwand. Das Bild von der Ausdünnung an wichtigeren Fronten und gleichzeitiger Schwächung machte die Runde. Sinnbildlich wurde dies vom Stellvertretenden US-Außenminister und späterem Verteidigungsminister Robert A. Lovett ausgedrückt: »spreading the butter so thin that it would not feed anyone«375. Teilweise war auch deutlich geworden, dass für die dortigen Nationen in allererster Linie die Suche nach Schutz im Vordergrund stand und dabei die NATO erst in den Fokus geriet, als regionale Eigenversuche gescheitert waren. So hatten die nordischen Staaten 1948/49 versucht, ein skandinavisches Sicherheitsbündnis zu schmieden (Dreierpakt Dänemark, Norwegen, Schweden)376. Als dies nicht zustande gekommen war, hatten sich Dänemark und Norwegen zum Beitritt zur Allianz entschlossen. Schweden hatte sich auf den Kurs bewaffneter Neutralität festgelegt, der erst bei einem direkten Angriff unter Verletzung der eigenen Souveränität zu einer militärischen Kooperation mit dem nordatlantischen Bündnis geführt hätte. Die Finnen hatten wegen ihrer aus westlicher Sicht vorgeschobenen Position ohnehin erhebliche Konzessionen an die Sowjetunion machen müssen und lavierten zwischen einer kooperativen Haltung mit Moskau und Distanz, um die eigene Unabhängigkeit zu gewährleisten, ohne den russischen Bären zu sehr zu provozieren. Norwegen und Dänemark befanden sich zwar nicht in einer derartig problematischen Lage, agierten aber sehr vorsichtig gegenüber der Sowjetunion, was sich in der NATO bemerkbar machte. Die politisch-strategische Grundsituation auf beiden Flanken lässt sich durchaus vergleichen. In beiden Fällen gehörte der NATO nicht nur ein Partner, sondern mehrere an, und zwar in einer Art ›Gleichgewicht‹, das im Falle des Südabschnittes allerdings durch erhebliche Konflikte gekennzeichnet war. Es waren wieder einmal die Briten, die die Situation in einem einzigen Satz konzise auf den Punkt brachten, dass »regional differences [...] exist between the north, where the continued membership of nations was at issue; the centre, where the problem was maintaining the US and German force levels; and the south, where there was some danger of disintegration377.« Im Norden können die beiden NATO-Partner nicht isoliert betrachtet werden, sondern nur in einem größeren Zusammenhang mit den beiden neutralen Staaten. Insgesamt herrschte quasi ein Gleichgewicht, das bis heute als »Nordic Balance« bezeichnet wird378. Die Rücksichtnahme auf die Interessen der ›vorgeschobenen‹ Staaten Schweden und Finnland prägten das Verhalten Dänemarks und vor allem Norwegens in der NATO genauso wie die Tatsache, dass alle vier nordischen Staaten mit der östlichen Supermacht auch geografisch derart direkt konfrontiert wurden, dass sie bestrebt waren, Konfrontationen zu vermeiden. Ein Gutteil der Probleme der Nordflanke basierte hierauf und stand in reziprokem Verhältnis zur militärischen Schwäche der NATO dort. 375

376 377 378

Zit. nach Stuart, Introduction, S.  2. Diese Befürchtungen traten immer wieder zutage, so etwa bei der Frage nach dem Aufbau der SEATO als Gegengewicht zur kommunistischen Expansion in Südostasien. Kein geringerer als der spätere SACEUR Lyman L. Lemnitzer hatte seinerzeit schwere Bedenken dazu geäußert. Vgl. Binder, Lemnitzer, S. 298 f. Vgl. auch Lundestad, The United States and Western Europe, S. 69. Kesselring, Die Nordatlantische Allianz und Finnland, S. 115‑122. TNA, DEFE 4/281, Confidential Annex to COS 15th Meeting/75 vom 21.10.1975, S. 3. Zur Entstehung und Validität des Begriffs siehe Kesselring, Die Nordatlantische Allianz und Finnland, S. 121; sowie Kesselring, The »Nordic Balance«.

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Solange diese Schwäche nicht beseitigt wurde, stellte auch die politische Integration immer eine Herausforderung dar. Eine Rolle spielte auch die historische Dimension, vor allem das Verhältnis zu Deutschland, das zum Teil erhebliche Komplikationen mit sich brachte379. Dänemark und Norwegen, das bis 1905 noch in Personalunion mit Schweden verbunden war, hatten im Wesentlichen versucht, mittels ausgleichender Diplomatie stabile Verhältnisse zu gewährleisten, ohne sich in die Rivalitäten der europäischen Großmächte hineinziehen zu lassen. Der Deutsch-Dänische Krieg von 1864 blieb eher Episode ohne größeren historischen Einfluss für das Handeln der nordischen Staaten. Diese Grundlinie bewährte sich auch im Ersten Weltkrieg, als es sowohl Dänemark wie auch Norwegen gelang, neutral zu bleiben und sogar Vermittlerdienste zu übernehmen. Zusammen mit zunehmendem Engagement im völkerrechtlichen Bereich schien, auch im Falle von Konflikten und Kriegen, ein gangbarer Weg für die Zukunft geschaffen worden zu sein. Im Zweiten Weltkrieg brach das System jedoch zusammen, als die Wehrmacht sowohl Dänemark als auch Norwegen besetzte. Der Schock der ›verletzten Neutralität‹ hinterließ tiefe Spuren. Der Beginn des Kalten Krieges und der Aufstieg der Sowjetunion als Hegemonialmacht brachten ein weiteres, konstitutives Element ins Spiel, das eine transatlantische Orientierung und die Anlehnung an die USA bewirkte. Noch komplexer wurden die Verhältnisse in den siebziger Jahren, als der Beitritt zur EWG auf die Agenda kam. Dänemark trat bei, Norwegen nicht. Hierbei spielten eher wirtschafts- und weniger sicherheitspolitische Aspekte eine Rolle. Dennoch wurde die militärisch-politische Lage hierdurch beeinflusst. Hinzu kamen die fortgesetzten Kämpfe der beiden deutschen Staaten um die Gunst Helsinkis, insbesondere in der Frage der Anerkennung der DDR. Auch hier wirkten politisch-strategische Faktoren, vor allem die Positionierung Finnlands zur Sowjetunion betreffend380. Dass Finnland neben der Bundesrepublik auch die DDR Anfang 1973 anerkannte, ließ nicht nur die Hallstein-Doktrin endgültig in das Reich der Geschichte eingehen, sondern zeigte erneut die Lage Skandinaviens insgesamt. Es war dann kein Wunder, dass nicht nur US-Hardliner ab Ende der siebziger Jahre im Zuge der Kritik an der Entspannungspolitik die »Finnlandisierung« ganz Europas als Schreckgespenst an die Wand malten. Dabei wurde auch explizit immer wieder auf die Bündnispartner an der Südostflanke und hier gerade auf die Türkei als unsichere Kantonisten verwiesen381. Diese Faktoren prägten zusammen mit dem fortgesetzten Streben nach weitestgehender Neutralität die Situation der beiden nordischen NATO-Partner. Bis weit in die 379 380

381

Zum Folgenden vgl. grundsätzlich und wo nicht anders belegt Udgaard, Norwegian Foreign Policy; Lammers, Nachbar zweier deutscher Staaten; Froland, Misstrauen, Abhängigkeit und Entspannung. Helsinkis Verhalten lässt sich inzwischen auch gut an der Frage des Verhältnisses zu den baltischen Staaten und deren Status in der Sowjetunion vor 1991 ablesen. Vgl. Made, Finland and the Baltic Question. AAPD, 1980, Bd 1, Dok. 6, Botschafter Pauls, Brüssel (NATO), an das Auswärtige Amt, 8.1.1980, S. 41; sowie ebd., Dok. 138, Botschafter Pauls, Brüssel (NATO), an das Auswärtige Amt, 14.5.1979, S.  138, mit Anm.  15. Vgl. auch AAPD, 1979, Bd  1, Dok.  100, Botschafter Herbst, Paris, an das Auswärtige Amt, 4.4.1979, S. 447, mit Anm. 14. Vgl. auch Petersen/Hines, Military Power in Soviet Strategy against NATO, S. 50; und Bradley, NATO Strategy, S. 21. Die ausführlichste Erörterung des Themas »Finnlandisierung« mit Darstellung der historischen Genese in: Atlantic Community in Crisis, Part IV, S. 191‑280.

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achtziger Jahre hinein hielt die Sorge wegen eines erneut erstarkenden Deutschland mit Großmachtambitionen an. Der Beitritt zur NATO und die transatlantische Ausrichtung waren damit keineswegs nur der Sicherheitslage angesichts der sowjetischen Bedrohung geschuldet, sondern auch den innereuropäischen Verhältnissen. Einem wachsenden US-Einfluss waren ebenfalls Grenzen gesetzt, da Norwegen und Dänemark trotz ihres NATO-Beitritts auf ihre Vergangenheit als Neutrale pochten, infolgedessen sowohl gegenüber allzu forcierter Aufrüstung als auch der umfangreichen Stationierung von Militär der Partner reserviert gegenüberstanden und gleichzeitig jede Provokation Moskaus verhindern wollten. Die »Nordic Balance« gehörte weiterhin zu den proplematischen Themen382. Im Süden herrschten vergleichbare, wenn auch wesentlich explosivere Verhältnisse383. Die politisch-strategische Grundsituation dort wurde fast durchgängig vom türkischgriechischen Konflikt beherrscht, der bis heute nicht gelöst werden konnte. Als drittes Element neben der Türkei und Griechenland agierte Italien, das in diesem Konflikt politisch zwar nicht direkt involviert war, dessen Auswirkungen aber zu spüren bekam. Interessanterweise gab es, vergleichbar zu dem entsprechenden kurzlebigen Bündnis in Skandinavien, eine temporaräre Annäherung zwischen Jugoslawien, Griechenland und der Türkei in Form des Balkanpaktes (1954). Dieser Versuch einer Annäherung mit regionalem Schwerpunkt endete jedoch ebenfalls nach kurzer Zeit und machte einer stärkeren Ausrichtung an den Fronten der bipolaren Auseinandersetzung Platz384. Das Bedrohungspotenzial im Süden erwuchs der Allianz durch den Balkan: Von Bulgarien aus waren die Dardanellen rasch erreichbar, und wegen seiner unsicheren innenpolitischen Lage galt Jugoslawien nach dem Prager Frühling als Kandidat für weitere sowjetische Expansionsgelüste. Die Bedrohung durch die sowjetischen Kaukasusarmeen wurde zwar ebenfalls gesehen, diese rangierte jedoch hinter den Sorgen auf dem Balkan. Spätestens seit der Ölkrise traten der Mittlere und der Nahe Osten, insbesondere der Persische Golf, auf die Agenda der NATO und sorgten für Zündstoff385. Für die Flankenstaaten, vor allem die Türkei, spielte darüber hinaus noch die direkte Bedrohung durch den Irak und Syrien eine erhebliche Rolle, da diese beiden Staaten sich stärker als andere in der Region auf die Sowjetunion einließen. Nicht zufällig lagen die Einsatzgebiete der AMF an all diesen neuralgischen Punkten. Als dann die sowjetische Marine ausgebaut wurde und ab Mitte sechziger Jahre eine immer stärkere Präsenz im Mittelmeer zeigte, stiegen die Sorgen der NATO-Planer noch386. Instabile Verhältnisse im Bündnis an der Südflanke, die Bedrohung aus dem 382 383

384

385 386

Dazu auch Riste, NATO’s Northern Frontline. Einen sehr guten Vergleich zwischen Nord- und Südflanke bieten Nuti/Cremasco, Linchpin of the Southern Flank?, S. 317 f. Zu den anderen beiden Flankenpartnern im Süden vgl. Kuniholm, The Evolving Strategic Significance; und Papacosma, Greece and NATO: A Nettlesome Relationship, S. 359‑374. Vgl des Weiteren Chipmann, Allies in the Mediterranean. Chourchoulis, A Nominal Defence?, S. 643‑646. Vorausgegangen war die Unterzeichnung eines Abkommens über Freundschaft und Zusammenarbeit (1953). Der Pakt wurde zwar formell nicht aufgekündigt, verlor aber seine Bedeutung, als die Sowjetunion Jugoslawien wieder auf seine Seite ziehen konnte und der türkisch-griechische Konflikt entflammte. Zur Verbindung zwischen der Machtpolitik im Mittelmeer und im Nahen Osten bzw. im Golf vor dem globalen Hintergrund sehr gut Di Nolfo, The Cold War. Dazu Chipman, NATO and the Security Problems, v.a. S. 17‑52.

III. NATO-Strategie und Bündniskohärenz

139

Kräfte und Bedrohungspotenzial im Süden der Türkei AMF-Einsatzgebiet S-3: Syrien und Irak UdSSR SCHWARZES MEER

xx

xx xx xx

Angenommene Stoßrichtungen, Stand: 15.11.1968

Militärbezirk Transkaukasus

Militärbezirk Nordkaukasus

xx

Angenommene Stoßrichtungen, Stand: 30.4.1970

xx

Istanbul

xx

ANKARA

Erzurum

xx

TÜRKEI Malatya Siverek

Konya

Fevzipaşa

GaziantepViranşehir Urfa

Adana Iskenderun

Aleppo

x

23

x

14

Latakia Homs

x

27

MITTELMEER

x

LIBANON x

8

Qatana

44

x

al

z-

Kan

200

IRAK

xx

25

3

6

x

20

Baqubah Jalula BAGDAD xx

xx

4

1

Al Diwaniyah x

x

JORDANIEN xx

x

x

14 x

2 (-)

!?

Nasiriyah

3 (-)

400 km

IRAN

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x

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17

4

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19 x

26?

x

xx

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x

x

8

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0

3

x

27

x

DAMASKUS Al-Kiswah

AMMAN

ISRAEL

x

5

25

19

Sue

ÄGYPTEN

32

Daraa

x

SYRIEN

2

x

!?

x

11

xx

x

Mossul

x

ZYPERN

Diyarbakir Mardin Cizre

!?

SAUDIARABIEN

Quellen: SHAPE-Archiv, HQ AMF(L) G3 1220/7. AMF(L) Planning Instruction for Contingencies 1968, amendment No. 1, 15.11.1968; SHAPE-Archiv, HQ AMF(L) G3 1220/7.40-443, AMF(L) Planning Instruction for Contingencies 1968, amendment No. 3, 30.4.1970.

Al Basrah 13

KUWAIT

© ZMSBw

06406-06

Mittleren Osten und der Vorstoß der sowjetischen Marine quasi in den Rücken der Türkei ließen für einen Ernstfall wenig Gutes erahnen. Der griechisch-türkische Konflikt besitzt ebenfalls weitreichende historische Wurzeln387. Sie reichen mindestens bis in die ersten Dekaden des 19. Jahrhunderts zurück, als die Griechen ihre Befreiungskämpfe gegen das schwächer werdende Osmanische Reich begannen. Ergebnis dieser Kämpfe war die Gründung des Staates Griechenland im Jahre 1830, dessen Geschicke für dreißig Jahre ein deutscher Monarch (Otto I.) leitete. Einen konfrontativen Höhepunkt erreichte das Verhältnis nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, nachdem das Osmanische Reich als Ordnungsfaktor zusammengebrochen war. Sowohl in Griechenland als auch in der entstehenden Türkei lebten Minderheiten der jeweils anderen Seite, die nun in gewaltsame Konflikte verwickelt wurden. Die 387

Zum Folgenden vgl. Akbulut, NATO’s Feuding Members, Kap. 2.

140

III. NATO-Strategie und Bündniskohärenz

Gewalt eskalierte, sodass eine großangelegte Zwangsumsiedlung der Minderheiten angeordnet wurde, die wiederum zu Tausenden von Opfern führte. In der Folge beruhigte sich angesichts der gemeinsamen Opfer- und Tätergeschichte sowie der Revisionsgelüste der Verliererstaaten des Ersten Weltkrieges auf dem Balkan das Verhältnis wieder. Es kam sogar zu einem gegenseitigen Beistandsabkommen und zu griechisch-türkischer Zusammenarbeit, die bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs und darüber hinaus Bestand hatte. Der Konflikt um Zypern, der Mitte der fünfziger Jahre aufflammte, beendete dann allerdings die Kooperation und machte einer neuen Konfrontation Platz, die bis heute akut ist. Die NATO wurde dadurch erheblich in Mitleidenschaft gezogen. Wie in Nordeuropa – und anders als im Mittelabschnitt, wo die direkten Protagonisten DDR und Bundesrepublik auch nach Beginn der Entspannungspolitik als unerlässliche strategische Grundpfeiler ihrer Bündnisse galten – gestalteten sich die Verhältnisse politisch-strategisch eher fließend und waren wegen der Anrainer (Finnland und Jugoslawien bzw. Syrien, Irak und Iran) nicht so festgefügt wie an der Elbe. Das Verhältnis zur Sowjetunion spielte auch hier eine bedeutende Rolle. Von Zeit zu Zeit drohte Athen vor dem Hintergrund des Konflikts mit der Türkei, sich an Moskau anzunähern. Die Türkei wiederum versuchte zusätzlich, durch ihre besondere Lage mit den Staaten des Mittleren Ostens Kontakt aufzunehmen oder ihn weiter auszubauen, trotz der Entwicklungen dort seit 1979, die unter anderem auch den Untergang des Schwesterbündnisses der NATO nach sich zogen, des Bagdadpaktes (CENTO), dessen Mitglied die Türkei gewesen war388. Italien sorgte sich wegen des Konfliktes im Südosten und wurde überdies gewahr, dass die sowjetische Marine sich auch an seinen Küsten bemerkbar machte389. Große Sorgen bereitete des Weiteren die Lage im italienischen Nordosten an der Grenze zu Jugoslawien. Dort sah die NATO, wie bereits die WINTEXÜbungen zeigten, erhöhtes Gefahrenpotenzial390. Ein Vormarsch durch Jugoslawien, wie etwa im Rahmen des Prager Frühlings, mit nachfolgender Konfrontation und einem Überschwappen in die Region um Triest schien nicht ausgeschlossen. Daher hatte man schon früh spezielle Maßnahmen zur Verstärkung getroffen und in frühen Tagen sogar die Stationierung einer speziellen nuklearen Einsatzgruppe (SETAF) beschlossen391. So erhielt auch die AMF hier ein Einsatzgebiet. Die militärische Bewertung der Flanken unterlag genauso den strategischen Wandlungen wie der Mittelabschnitt, führte aber, praktisch gesehen, kaum zu einer wirklichen Prioritätenverschiebung. In Zeiten der Massive Retaliation spielten beide Regionen militärisch gesehen eine eher begrenzte Rolle, sie galten lediglich als zusätzliche Basen für den Atomschlag. Strategisch gesehen traten sie nur punktuell hervor, etwa im Falle der in der Türkei stationierten Mittelstreckenraketen während der Kubakrise 1962. Dies änderte sich, 388

389 390 391

Zum Interesse der Türkei am Bagdadpakt vgl. Yesilbursa, The Baghdad Pact, Kap.  7, insbes. S. 201 f. und zus. S. 216‑222. Zum Problem nicht zuletzt der Amerikaner in Bezug auf die Situation der Türkei zwischen Europa und dem Mittleren Osten vgl. Kuniholm, The Evolving Strategic Significance, S. 342‑347. Vgl. zus. Özkan, Turkey, the United States and the NATO Relationship. Siehe dazu auch unten S. 192 f. Siehe dazu die entsprechenden Ausführungen und Belege oben in Kap. III.2. Krüger, Brennender Enzian, S. 80‑85; Cremasco, Der Alpenraum im Kalten Krieg, S. 265.

III. NATO-Strategie und Bündniskohärenz

141

als sich die Annäherung an die Flexible Response abzuzeichnen begann. Nicht zuletzt McNamara betonte seit 1961 immer wieder, dass beide Flanken infolge der neuen Situation zunehmend neuralgische Punkte darstellten. Der Norden wurde vor allem als Sicherungsflanke für die Hauptschlacht im Mittelabschnitt und als strategische Festung zur Sicherung der Nachschublinien über den Atlantik hinweg genannt. Der Süden gewann wegen der Bedrohung des Mittelmeers und der Sicherung des Bosporus und dann wegen der Verschärfung der Lage im Mittleren Osten an Bedeutung392. b) Die Nordflanke Die Nordflanke hatte im ersten Jahrzehnt des Kalten Krieges vor allem im globalstrategischen Koordinatensystem Bedeutung erlangt393. Im Zeitalter der bemannten Bomber hatten die US-Planer norwegische Flughäfen als vorgeschobene Basen für den Ernstfall vorgesehen394. Insbesondere spielte Norwegen als Basis für Radaranlagen, Abhöreinrichtungen und Spionageinstrumente eine Rolle und Dänemark mit seinen strategisch wichtigen Inseln am Belt (Seeland) und mit Bornholm als Abwehrzentren (»bottleneck«), um die sowjetische Baltikflotte von einem Ausbruch in die Nordsee und den Atlantik abzuhalten395. Gleichzeitig bildete Dänemark das essenzielle Flankengebiet der NATO für den Abwehrkampf in Deutschland. Ein Verlust hätte die Umfassung der NATOTruppen in der Bundesrepublik zur Folge haben können. Dieser strategischen Bedeutung hatte die NATO auch Rechnung getragen, als sie 1962 ein eigenes Kommando hierfür einrichtete: NATO-Command Baltic Approaches (BALTAP)396. Insgesamt blieb die Zugehörigkeit auch der dänischen Inseln zum Mittelabschnitt bis zum Ende des Kalten Krieges mehr oder weniger eindeutig, obwohl sie organisatorisch, genau wie ein Teil Norddeutschlands, zu AFNORTH gehörten und als wichtiges Bollwerk zur Verteidigung Großbritanniens und der Nachschubwege der NATO bezeichnet wurden397. Für Norwegen, hier insbesondere für den Norden des Landes, galt dies weniger. Indes offenbarte auch Norwegen als Ganzes prinzipiell, trotz aller Änderungen und Konzepte, strategisch gesehen eine sehr starke Abhängigkeit vom Mittelabschnitt398. Die real verfügbaren Kräfte in Norwegen waren von Anfang an überaus schwach. Dies hatte auch mit den politischen Interessen Oslos zu tun, die von der Rücksichtnahme auf die Sowjetunion geprägt waren. Norwegen stellte für seine Mitgliedschaft in der NATO die Grundbedingung, dass im Frieden weder Atomwaffen noch fremde Kampftruppen 392 393 394 395 396 397 398

Zur politischen Dimension an der Südflanke vgl. künftig die bereits mehrfach genannte Studie von Stefan M. Brenner. Nach wie vor die detaillierteste Gesamtdarstellung: Tamnes, The United States and the Cold War, hier v.a. S. 39‑184. Ebd., S. 69‑74. Zur Entstehung der Strategie zur Sicherung der Ostseezugänge beim Aufbau der NATO vgl. Sander-Nagashima, Die Bundesmarine 1950 bis 1972, S. 81‑96. Monte, Die Rolle der Marine, S. 575. Alford, A Change in British Priorities?; James Eberle, Future Policy Options, S. 168‑170. Eberle, Regional Strategy in the North Atlantic Area, S. 95‑98. Vgl. demgegenüber aber Dyndal, The Northern Flank.

142

III. NATO-Strategie und Bündniskohärenz

auf seinem Gebiet ständig stationiert wurden399. Dieses Diktum wurde konsequent und dauerhaft umgesetzt, nicht zuletzt mit Blick auf die Bundesrepublik. Wegen der brutalen Besatzungspolitik des Dritten Reiches bis 1945 kam der Einsatz deutscher Kampftruppen für Norwegen bis in die achtziger Jahre hinein nicht in Betracht. Diese Problematik manifestierte sich direkt und sinnfällig beim Aufbau der AMF400. Oslo ließ deutsche Kampftruppen, anfangs sogar militärische Verbände generell nicht einmal für Übungen ins Land. Zwar hatte SACEUR bereits Anfang 1977 den ›Einsatz‹ deutscher Kampftruppen im Rahmen der AMF-Übungen in Nordnorwegen vorgeschlagen und hatte dazu auch positive Signale aus Oslo erhalten. Selbst in Bezug auf deutsche Versorgungs- und Unterstützungstruppen war aber ein langer Prozess vorsichtiger Annäherung vonnöten, den auch die Erfordernisse der AMF-Verbände speisten, die auf die entsprechenden deutschen Komponenten angewiesen waren. So stellte die Bundeswehr für »Atlas Express 76« (26.2.‑22.3.1976) zum ersten Mal eine Sanitätskompanie, die am 1. Januar 1976 offiziell Bestand der AMF-Nordkomponente geworden war, für Nordnorwegen zur Verfügung, die dann auch eingesetzt wurde401. Die deutsche Heeresfliegerstaffel (2./FlgAbt 310 mit 8 Bell UH 1-D) und die Fernmeldekompanie (2./LLFmBtl 9) wurden am 1. Januar 1977 in die entsprechende Order of Battle eingefügt402. Bei der Übung »Anorak Express 80« etwa wurde der Einsatz der modernen deutschen Sanitätseinrichtungen zwar sehr gelobt und er verlief auch später sehr positiv403, den Einsatz deutscher Kampftruppen schloss die norwegische Regierung infolge der öffentlichen Debatte aber »auf absehbare Zeit« aus404. Doch spielten nicht nur innenpolitische Gründe eine Rolle, sondern ebenso die Sorgen vor einer Provokation des Ostblocks. Die Sowjetunion protestierte unter Bezugnahme auf den KSZE-Prozess gegen die mögliche Teilnahme deutscher Kampftruppen an der Übung und unterstellte der NATO erneut, mit den AMF-Übungen die Stabilität in ganz Europa zu gefährden405. Insgesamt bestimmte das traditionelle Schwanken der nordischen Staaten zwischen Bündnissolidarität, diplomatischer Konzilianz gegenüber dem Ostblock und dem eigenen militärischen Sicherheitsbedürfnis das Handeln.

399 400

401 402 403 404 405

Lundestad, The United States and Western Europe, S. 100 f.; Tamnes, The United States and the Cold War, S. 157‑171, 214‑223, 262‑269, u.ö. So musste eine Staffel der italienischen Luftwaffe, die eigentlich zum Kernbestand der 5. ATAF in AFSOUTH gehörte, für den Einsatz in Nordeuropa eingeplant werden. SHAPE Archiv, Contingency Plans for Employment of AMF in Southern Region, 26.5.1967. BArch, BW 2/15160, Fü S III 6, Vortragsnotiz für Herrn Generalinspekteur, 22.4.1976. BArch, BW 2/15163, Fü S III 6 an GI, AMF-Übung Arrow Express 77, o.D., S. 2. Dazu etwa der Zeitzeugenbericht von Dr. Peter Eibeck vom 18.8.2012 zur Übung Avenue Express (N-2), Juni 1989, S. 1 f. (Dokument im ZMSBw). BArch, BW  2/15162, Deutsche Botschaft Oslo, Der Verteidigungsattaché, Kurzbericht  19/80, Übung »Anorak Express«, 23.4.1980, S. 2. BArch, BW 2/15162, Deutsche Botschaft Oslo, Kurzbericht 7/80, NATO-Übungen in Norwegen, 15.2.1980, mit Begleitmaterial; BArch, BW 2/27007, Fü S III 6, AMF-Übung Array Encounter 90 – Nord-Norwegen (H Missfeld), Oktober 1989, S. 4. Vgl. auch die Darstellung der historischen Genese in Kurzform in BArch, BW  2/26579, Fü  S  III  6 an GI, 18.12.1984. Dabei sollte der norwegischen Regierung und ihrem Militär durchaus nicht vorschnell Furchtsamkeit unterstellt werden. Man hielt in Oslo Übungen wie »Anorak Express« explizit für essenziell, kritisierte umgekehrt gegenüber der deutschen Seite die Absage von HILEX 9, die auch wegen der Besorgnisse Bonns ausgefallen war.

III. NATO-Strategie und Bündniskohärenz

143

So konnte erst Ende der achtziger Jahre die Teilnahme des deutschen Bataillons an den Manövern der AMF für Norwegen eingeplant werden406, zeitgleich mit Dänemark407. Die öffentliche Diskussion flammte in diesem Zusammenhang wieder auf, doch wurde die Anwesenheit der Deutschen von der norwegischen Regierung und auch seitens des Militärs freundlich begrüßt408. Die freundliche und korrekte Behandlung der Bundeswehrsoldaten war den deutschen Beobachtern schon 1976 bei der Übung »Atlas Express  76« und 1978 bei der Übung »Arctic Express  78« aufgefallen409. Bei Ersterer wurden die deutschen Soldaten, die sich im Ausgehanzug in den Städten bewegten, bestaunt, und sie hörten offenbar immer wieder das leicht getuschelte Wort »Tysk« (»deutsch«) – ohne negative Konnotation. Im Gegenteil, der deutsche Beobachter vermerkte allenthalben geradezu sympathisches und aufmunterndes Entgegenkommen410. Für die militärische Situation brachte dies eine gewisse Verbesserung. Die Norweger konnten als Präsenzkräfte für das gesamte, über 1700  km in die Länge gestreckte Staatsgebiet nur etwa eine Division aufbieten411. Sie betonten zwar lautstark, dass sie über ein ausgezeichnetes Reservesystem verfügten, das innerhalb kürzester Zeit Zehntausende an gut ausgebildeten und motivierten Soldaten liefern könne, konnten aber letztlich die Frage nicht wirklich beantworten, wie sie denn die Masse der Reservisten, die aus dem Süden stammten, rechtzeitig in die eigentlich entscheidende Region in Nordnorwegen bringen wollten412. Die Finnmark stellte als unmittelbare Grenzregion zur Sowjetunion strategisch gesehen einen zentralen Punkt Norwegens dar413. Der Süden war eher als Gegenküste zum ohnehin schon relativ stark verteidigten Dänemark interessant und sollte im Ernstfall von der 9. US-Division, die allerdings auch erst aus den USA herbeigeschafft werden musste, verteidigt werden. Der Grenzregion am Eismeer hingegen kam immer größere Bedeutung zu, militärisch wie auch politisch. Im Zuge der Etablierung der Flexible 406

407

408 409

410

411 412 413

BArch, BW 2/27006, Fü S III 6 an GI, Unterrichtung über AMF-Übung Arrowhead Express 88, 12.11.1987, mit Begleitmaterial. Tamnes, The United States and the Cold War, S. 288. Die Haltung der norwegischen Regierung begann sich Mitte der siebziger Jahre langsam zu lockern. TNA, DEFE 4/282, COS Committee, Confidential Annex to COS 7th Meeting/76, 18.3.1976, Item 2. DSACEUR – End of Tour Report, S. 4. Siehe dazu auch unten S. 282 f. Eine kurze »History« zur Geschichte der deutschen Kontingente in Dänemark im Rahmen der AMF in BArch, BW 2/27005, Fü S III 6 an GI, Unterrichtung über AMF-Übung Accord Express 87, S. 3. BArch, BW 2/Informations- und Pressestab 1, Sprecher NATO/Marine, Stellungnahme zu Press Release »Arrowhead Express 88«, 5.1.1987. BArch, BW 2/15163, H Sassenhagen, Reisebericht Arctic Express 78, 13.3.1978, S. 4. Im Rahmen der Übung war es u.a. zu einem Bummelstreik norwegischer Arbeiter und einem Brand in einem deutschen Sanitätszelt gekommen. BArch, BW 2/15163, H Sassenhagen, Exercise Atlas Express 76 – Dienstreisebericht, 14.3.1976. Hier ist indes einige Vorsicht geboten. Sassenhagen war der zuständige Sachbearbeiter für die AMF. Er war sicherlich bestrebt, einen positiven Eindruck zu kommunizieren. De facto dürfte es in Norwegen durchaus noch negative Meinungen zur Frage des Einsatzes deutscher Kampftruppen in Norwegen gegeben haben. Die Kommandogrenze von AFNORTH nach Osten betrug zwischen Zonengrenze und Nordkap ca. 2100 km. Walker, Problems of the Defence, S. 14. Bull-Hansen, Norway, NATO’s Strategic Pivot? S. 14‑16. Zum Folgenden vgl. grundsätzlich und wo nicht anders belegt Tamnes, The United States and the Cold War, S. 199‑209 und S. 233‑294.

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III. NATO-Strategie und Bündniskohärenz

Response konzentrierte sich die NATO unter maßgeblichem Einfluss der Amerikaner weniger auf den nuklearen Großkrieg als vielmehr auf begrenzte Szenarien414. In diesem Zusammenhang wurde die Nordflanke, hier vor allem die Finnmark als unmittelbare Grenzregion zur Sowjetunion, in den sechziger Jahren als möglicherweise entscheidender strategisch-politischer Raum für die konventionelle Kriegführung »wiederentdeckt«. Die US-Planer, und in ihrem Gefolge auch die NATO, befürchteten, dass die Sowjetunion mit zunehmendem nuklearem Patt zu Drohgebärden und dann auch zu begrenzten Aktionen tendieren würde. Einen ausgezeichneten Ansatzpunkt bot hier gerade eine so entlegene Region in einem Land, das in die Allianz ohnehin nur bis zu dem für die jeweils eigene Sicherheit als unerlässlich erachteten Maße integriert war. Ein fait accompli mit begrenzten Kräften hätte Fakten geschaffen und zu einer politischen Niederlage der NATO mit erheblichen Auswirkungen auf ihre strukturelle Integrität und auf die Balance in Nordeuropa führen können415. Um derlei zu verhindern, wurden die AMF und auch ihr Gegenstück zur See, die STANAVFORLANT, aus der Taufe gehoben. Besonderes Gewicht erhielt die Nordflanke infolge der seestrategischen Entwicklung, die sich in dieser Region vor allem durch den fortgesetzten Ausbau der strategischen Basis der sowjetischen Marinestreitkräfte und die Stationierung auch von Landstreitkräften auf der Halbinsel Kola sowie durch die Einführung neuer U-Boot-Typen bemerkbar machte. Die sowjetische Marine wurde seit Anfang der sechziger Jahre stärker und stärker, was nicht nur eine Bedrohung der USA durch strategische Zweitschlagskapazität verhieß, sondern auch eine Gefährdung der Nachschubrouten der NATO über den Atlantik416. Diese gewannen im Zuge der Etablierung der Flexible Response zunehmend an Bedeutung, weil die NATO sich immer mehr auf das Führen einer konventionellen Landschlacht verlegte, die ohne massive Verstärkungen aus den USA kaum zu gewinnen war. Hatte man unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs noch gehofft, die Sowjetflotte, ähnlich wie in der Ostsee, zwischen Arktis und Norwegen einschließen zu können, so wurde jetzt der umgekehrte Effekt befürchtet. Letztlich galt für die Nordflanke genauso wie für die Südflanke: Die angrenzenden Seekriegsräume besaßen überragende und unmittelbare Bedeutung417. Ein rascher Vorstoß nach Nordnorwegen in Verbindung mit dem Vorrücken amphibischer Verbände und dem Auslaufen massiver maritimer Kampfkräfte hätte das norwegische Meer in ein »Mare Sowjeticum« verwandelt und damit auch die Seeverbindungen über den Atlantik gefährdet418. Solche Befürchtungen erhielten noch Nahrung, als die sowjetische Marine ab 1968 Übungen abhielt, die ihre verbesserten Fähigkeiten unterstrichen (»Okean« und 414 415

416

417 418

Ausführlich dazu oben, v.a. Kap. III.1. NARA (NACP), Nixon Presidential Library, NSDM, Henry Kissinger an SACEUR (Gen. Goodpaster), 10.3.1971, anhängendes Memorandum (o.T.), S.  2  f. Vgl. dazu auch ZeinerGunderson, NATO’s Northern Flank, S. 18‑20. Smith, The Defence of the Realm, S.  51, verweist angesichts der im Ernstfall möglicherweise raschen Eskalation und damit der strategischen Nutzlosigkeit langer Nachschubwege über den Atlantik in diesem Zusammenhang vorrangig auf die globale Bedrohung der westlichen Marinen gerade im Hinblick auf die Konfrontation in der Dritten Welt. Pfaltzgraff, Jr., Preface, S.  VI. Deutlich auch bei Zeiner-Gunderson, NATO’s Northern Flank, S. 1 f., 15; und bei Vego, The Soviet Envelopment Option, S. 118 f. Vgl. auch Vego, The Soviet Envelopment Option.

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»Sever«). Ferner kam es im Juni 1968 zu einem demonstrativen Aufmarsch starker sowjetischer Verbände an der nordnorwegischen Grenze. Es handelte sich dabei teilweise um Panzerverbände, die in der Gegend geübt hatten und sich danach gesammelt in einer Drohgebärde offen am Grenzzaun zeigten419. Das Ganze trug provokatorischen Charakter und sollte, so dachte man zumindest in Norwegen, der Einschüchterung dienen420. Die einzige Widerstandslinie der NATO von Belang wären bei einer erfolgreichen Aggression die in Großbritannien stationierten Streitkräfte und vor allem die vornehmlich gegen U-Boote ausgerichtete Verteidigungslinie zwischen Schottland und Grönland gewesen (GIUK Gap)421. All dies führte bis Ende der sechziger Jahre zu einer – theoretischen! – Aufwertung der Nordflanke. Zu diesem Umstand trugen auch die Wandlungen in der globalstrategischen Perspektive bei, nachdem die neue US-Regierung unter Nixon angetreten war. Die strategische ›Rückkehr‹ nach Europa infolge der zunehmenden Schwierigkeiten in Vietnam versprach eine Stärkung der Flanken. Dabei spielte ebenso die Neudefinition der globalen Zielsetzungen eine wesentliche Rolle. Statt der bis dahin gültigen Doktrin, nach der zwei größere und ein kleinerer Kriegsschauplatz zu bewältigen seien (»two-anda-half«-Strategie), sollten nun nur noch ein größerer und ein kleinerer Konflikt militärisch bedient werden (»one-and-a-half«-Strategie). In Europa erhoffte man sich davon eine Neubelebung des US-Engagements mit erheblichem Sicherheitsgewinn, wohl auch deshalb, weil die US-Administration explizit betont hatte, dass sie insbesondere zur landgestützten Verteidigung beitragen wolle (»Continental Strategy«). Die Realität sah jedoch anders aus. Die Amerikaner hatten, das ist vielleicht eines der grundlegenden Missverständnisse im transatlantischen Verhältnis auch der späteren Jahre (Reagan-Administration), zumindest in Bezug auf die realen Verteidigungsanstrengungen gesamtglobal gedacht und den Europäern keineswegs die Sonderstellung eingeräumt, die diese sich erhofft hatten. Die »Nixon«-Doktrin zielte auf die Reduzierung des Engagements auf allen Schauplätzen. Zwar rangierte der Alte Kontinent strategisch gesehen immer noch an erster Stelle und erfuhr jetzt verstärkt Berücksichtigung, doch waren sich Kissinger und Nixon einig, dass die Europäer, bedingt durch ihre wirtschaftlichen Erfolge, zuerst einmal selbst für ihre Verteidigung zu sorgen hätten. Dies sollte im »Year of Europe«, der Propagandakampagne von Kissinger, zum Ausdruck gebracht werden. Betroffen war davon auch die Nordflanke. Die strategische Bedeutung Nordnorwegens wurde zwar fortgesetzt hervorgehoben, an militärischer Unterfütterung mangelte es aber nach wie vor. Das lag nicht nur an den norwegischen Vorbehalten (»caveats«) gegen die 419 420

421

Eindrücklich bei: Copp, The Vulnerability of NATO’s Northern Flank, S. 6. Sinn und Zweck dieser Operation müssten noch näher geklärt werden, genauso wie die Frage, ob dies ein singulärer Vorfall war. Informationen hierzu sind wohl erst möglich, wenn die Archive in Moskau besser zugänglich werden. Bis dahin sind Einschätzungen in Bezug auf die Bedeutung des Zwischenfalls für die NATO und Norwegen bzw. für den Kalten Krieg im Norden insgesamt mit Vorsicht zu genießen. Bei entsprechenden Wertungen wäre generell Zurückhaltung anzuraten. Der amtierende SACEUR Lemnitzer wies darauf hin, dass derlei Übungen schon seit 1963 regelmäßig abgehalten würden. Lemnitzer, The Strategic Problems, S. 107. Zur Seestrategie, insbes. zu den strategischen Zusammenhängen zwischen Landkriegführung und dem Krieg auf und unter der Wasseroberfläche vgl. Wood, Maritime Air Operations in the North; sowie Till, A British View.

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Stationierung ausländischer Truppen und Nuklearwaffen, sondern auch an mangelndem Interesse nicht zuletzt der USA. Man war sich im Klaren darüber, dass im Ernstfall auf schnellstem Wege Verstärkungen herbeigeschafft werden mussten, wenn man einen Vormarsch der Sowjets verhindern wollte; allein die Aussichten, dies zu bewerkstelligen, verleiteten nicht gerade zu Optimismus422. Außer den norwegischen Verbänden standen zunächst einmal nur die AMF sowie eine Brigade britischer Spezialkräfte mit mehreren Commando Groups im Rahmen einer gemischten britisch-niederländischen Landungsgruppe zur Verfügung423. Zusätzlich kam die mobile Reserve der Briten infrage, die UK Mobile Force (UKMF), die im Wesentlichen aus der 3. britischen Division bestand424. Diese aber war eher für die dänischen Inseln vorgesehen und wurde 1977 aufgelöst, weil der britische Generalstab das strategische Hauptgewicht auf eine schnelle Entscheidung im Mittelabschnitt legte und daher die 3. Division permanent nach dort verlegte. Zeitweise hatte es sogar Planungen gegeben, die UKMF an die Südflanke zu schicken. Die UKMF wurde in der Folge in kleinerer Ausführung, d.h. in Brigadegröße, wiederbelebt425. Die Kanadier hatten eine spezielle Marinebrigade, die Canadian Air Sea Transportable Brigade Group (CASTBG)426, für den Einsatz in Nordnorwegen bereitgestellt, die aber erst aus Kanada eingeflogen werden musste. Das eigentliche Rückgrat der Verteidigung bestand aus der II. Marine Amphibious Brigade (MAF), die auf dem Seewege aus den USA herangeführt werden sollte. Die II. MAF bestand u.a. aus einer Division Marineinfanterie und einem Marinefliegergeschwader und stellte mit mehreren Zehntausend Mann eine recht starke Kampftruppe dar. Indes würde es mindestens 45 Tage dauern, bis sie vor Ort war; möglicherweise war der Kampf dann schon entschieden. Ferner geriet die II. MAF, wie die WINTEX-Übungen gezeigt hatten, möglicherweise selbst in Gefahr, wenn sowjetische Seestreitkräfte gegen sie aggressiv vorgingen. Dies bedeutete für den Ernstfall, dass außer den begrenzten norwegischen Streitkräften innerhalb von sieben Tagen wirklich sicher nur mit einer NATO-Brigade (CommandoForce NL/UK) gerechnet werden konnte und eine weitere (AMF) vielleicht in Aussicht stand. Eine Vorausabteilung der II. MAF, die 4. Marine Amphibious Brigade (MAB),

422

423 424 425

426

Zum Folgenden vgl., wo nicht anders belegt, Lund, Don’t Rock the Boat, S. 56‑67; und Ellingsen, The Military Balance on the Northern Flank. Die Ergebnisse von Dyndal, How the High North Became Central, sind in dieser Hinsicht nicht ganz korrekt. Dies liegt daran, dass Dyndal ausschließlich NATO-Konzeptpapiere zitiert (zu den expliziten Konzepten zur Verstärkung der Flanken und den Contingency Plans für die AMF vgl. zunächst Lemke, Abschreckung oder Provokation?, v.a. Anm.  15‑35) und sich sehr undeutlich über die reale militärische Lage, insbesondere bei den Landstreitkräften, äußert (ebd., S. 564, mit Anm. 27). Dadurch werden die Argumentationslinien und das Wunschdenken einiger historischer Akteure bzw. einzelner Gruppen zu sehr verallgemeinert und gleichzeitig der Nordflanke eine Bedeutung beigemessen, die sie trotz aller nachgewiesenen Änderungen in der strategischen Perzeption und theoretischer Prioritätenverschiebungen seit den sechziger Jahren nicht hatte. Dazu auch The Times, »Nato is developing a new ambiguity« (Charles Douglas-Home), 19.11.1968. Zur UKMF vgl. Lemke, Strategische Mobilität im Kalten Krieg. , United Kingdom Mobile Force (Logistics), Dez. 1989. (Kopie der Website im Archiv des Verfassers). Zur CAST, v.a. zu der Diskussion über deren Zuweisung zur Nordflanke bzw. zum Mittelabschnitt, vgl. Maloney, War without Battles, S. 277 f. und S. 441.

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würde dann nach einer weiteren Woche in den Kampf eingreifen. Nüchterne Beobachter brachten diese Beschränkungen und Schwächen zurückhaltend, aber doch deutlich zum Ausdruck427. Dazu kamen Meinungsverschiedenheiten und Differenzen über das Einsatzgebiet etwa der kanadischen Verbände. Es wurden Modelle vorgeschlagen, die von einer Stationierung in Schottland über die Verlegung nach Jütland und die Stärkung der Central Front reichten. Fast jeder Vorschlag trieb zumindest einen der Partner auf die Barrikaden, weil er sich militärisch benachteiligt fühlte428. Als besonders bedrohlich mit Blick auf den Solidargedanken erschien, dass mit dem Abzug der Verbände aus Nordnorwegen dort der Zusammenhalt leiden würde (»Loss of the Canadian Flag«). An der komplizierten Planungssituation konnten auch temporäre Großübungen wie »Strong Express« nichts ändern429. Vor allem die US Navy und die Royal Navy hatten immer wieder vor Norwegen geübt und infolgedessen auch schnelle Eingreifverbände kreiert. Einer dieser Verbände war die STANAVFORLANT, die aus den Übungen »Matchmaker I‑III« (1965‑1967) eines gemeinsamen, informellen Kontingentes heraus entstand430. Ferner hatte man einen schweren Eingreifverband konzipiert, der aus mehreren Angriffsflugzeugträgern mit Begleitschiffen und Truppentransportern bestand (MARCORFORLANT). Man schuf allerdings keine festen Einsatzpläne mit strategischen Zuordnungen, sodass eine Einsatzfähigkeit immer davon abhing, ob die USA aktuell genügend Kräfte im Nordatlantik bereithielten. Selbst für den günstigsten Fall bestanden gerade bei der US Navy Bedenken. Dort hatte man die prekäre Lage in Nordeuropa sehr wohl erkannt und zweifelte am Sinn entsprechender Vorstöße. Das Risiko, die teuren und verwundbaren Flugträger oder andere Großeinheiten durch einen »foolhardy rush of surface forces into the Norwegian Sea« rasch zu verlieren, erschien als viel zu groß431. An dieser pessimistischen Grundsituation konnte auch die Entscheidung der Bundesmarine in den achtziger Jahren, ein spezielles Konzept zur Verstärkung der nördlichen Nordsee (»Nordflankenraum«) zu entwickeln, nichts Wesentliches ändern432. Man gedachte, die maritime Verteidigung des BALTAPGebietes verstärkt kleineren Einheiten (vor allem Schnellbooten) zu übertragen und Zerstörer sowie Fregatten in den Norden zu schicken, gründend auf der Hoffnung, zusammen mit den Marinefliegerverbänden, die im Laufe der Zeit mit den neuesten Lenkwaffen ausgestattet wurden, auch größere Verbände des Feindes schlagen zu können433. Die Schwierigkeiten stiegen jedoch, je weiter nördlich die Einsatzräume lagen.

427 428 429 430 431

432 433

Geradezu ein Musterbeispiel für konzise und klare Bewertungen: Zeiner-Gunderson, NATO’s Northern Flank, S. 14. Vgl. dazu BArch, BW 2/18779, DDO bei HQ AFNORTH an Stv. GI, Kanadischer Verteidigungsbeitrag, 4.7.1986, mit Begleitdokumenten. Dazu ebd., S. 16. Monte, Die Rolle der Marine, S. 584‑586. Wood, Maritime Air Operations in the North, S. 99. Der Aufsatz war ansonsten in behutsamem Ton gehalten. Prominent in dieser Frage: Steinhoff, Wohin treibt die NATO?, S. 127. Dazu Tamnes, The United States and the Cold War, S. 284‑286. Sehr deutlich auch bei Daniel/Tarleton, Soviet Naval Forces and Theater Strategy, S. 88 f.; und bei Vego, The Soviet Envelopment Option, S. 117. Zur Konzeption des Nordflankenraums vgl. Monte, Die Rolle der Marine, S. 586‑590. Kupferschmidt, A German View, S. 103‑109.

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Einige Stimmen bezweifelten gar, dass Nordnorwegen zu halten sei, und befürchteten daher, dass es möglicherweise rasch aufgegeben werden müsse434. Im Planungsapparat wie auch in der Öffentlichkeit gab es allerdings auch prominente Vertreter, die ein optimistisches Szenario entwickelten. Das herausragende Beispiel bildet hier wohl die »Brosio-Studie«, die 1968/69 von SACLANT durchgeführt wurde, zumindest mittelfristig ein positives Bild vermittelte und auch davon ausging, dass USFlugzeugträger zur Verteidigung der Nordflanke und zur Sicherung der Seeverbindungen nach Nordamerika eingesetzt würden435. In den siebziger und achtziger Jahren wurden dann immer wieder großangelegte Marineübungen abgehalten (»Teamwork«, »Northern Wedding«, »Ocean Safari«), in deren Verlauf auch die Träger der »Nimitz«-Klasse medienwirksam vor der norwegischen Küste kreuzten436. Nach den Übungen verschwanden sie allerdings wieder und niemand konnte wirklich sagen, ob sie im Ernstfall auch rechtzeitig oder überhaupt anrücken würden. Jedenfalls übten renommierte Beobachter Kritik an den zweckoptimistischen Annahmen und äußerten den Verdacht, dass hier vor allem die US Navy aus dem Egoismus einer Teilstreitkraft heraus argumentierte und plante437. Insgesamt bestand nach wie vor ein hohes Eskalationsrisiko. Bei einem direkten Angriff gegen Nordnorwegen hätte beispielsweise die Option bestanden, Aktionen mit Flugzeugen oder U-Booten gegen die sowjetischen Marinebasen auf der Halbinsel Kola durchzuführen und bei kritischer Situation dann auch Atomwaffen einzusetzen. Selbst eine demonstrative Anwendung von Nuklearwaffen konnte indes den direkten Einstieg in die atomare Eskalation zur Folge haben. Ohnehin bestanden bereits in Friedenszeiten erhebliche Auseinandersetzungen um Interessensphären und strategische Punkte zwischen Norwegen und der Sowjetunion, denen allein schon Konfliktpotenzial in ausreichender Menge innewohnte. Dabei ging es vor allem um Fischereirechte, Rohstoffe und strategische Stützpunkte. Vergleichbar den Differenzen an der Südflanke spielten hier die Definition des Schelfeises und die Interessenabgrenzung eine große Rolle, wenn auch nicht zwischen zwei Bündnispartnern, sondern zwischen einem Mitglied der NATO und der gegnerischen Hegemonialmacht438. Im Fokus stand unter anderem Spitzbergen439. Am Ende konnte man sich lediglich auf die Hoffnung verlegen, dass man ggf. auch ohne Nordnorwegen weiterkämpfen konnte. Worauf es vor allem ankam, war weniger das Halten bestimmter Landregionen als vielmehr der Nachschub für den Mittelabschnitt, der auch von den Seestreitkräften im GIUK Gap verteidigt werden konnte440. Positive 434 435 436 437 438 439 440

Geradezu dichotomisch hier Wood, Maritime Air Operations in the North, S. 100 f. Zur Brosio-Studie vgl. die derzeit wohl beste Analyse der NATO-Seestrategie im Atlantik und an der europäischen Nordflanke: Sokolsky, Seapower in the Nuclear Age, S. 112‑116. Dazu Grove, The Superpowers and Secondary Navies, S. 218‑220. Ganz deutlich in: Cleave, Horizontal Escalation and NATO Strategy, S. 72‑79. Vgl. Sollie, The Significance of the Northern Region; und Tamnes, The United States and the Cold War, S. 238‑245. Vgl. dazu Eberle, Future Policy Option, S. 172, der Spitzbergen in dieser Hinsicht sogar direkt mit Berlin verglich. Vgl. etwa aus britischer Perspektive, hier insbes. die teilweise vertretene Auffassung, dass Nordnorwegen nur ein vorgeschobenes Fort für die maritime Front sei: Till, A British View, S. 114‑123. Till bezweifelte implizit ebenfalls den Einsatz größerer US-Flugzeugträgerverbände und deutete vorsichtig an, dass Norwegen auch fallen konnte.

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Aspekte ergaben sich aus der Erkenntnis, dass die sowjetische Marine offensichtlich das Schwergewicht auf die Abschirmung ihrer strategischen U-Boote (SSBN) legte, also eher defensiv ausgerichtet war. Infolge der gesteigerten Reichweite der Atomraketen konnten deren Träger sich fast bis in die eigenen Küstengewässer zurückziehen, wo sie besser vor feindlichen Jagd-U-Booten und anderen Kampfeinheiten geschützt waren (»Bastion«Konzept). Dieser Schutz band erhebliche Teile der sowjetischen Marine. Indes war letztlich nicht wirklich klar, wie genau die Ressourcen verteilt würden441. Mit einer großen Schlacht im Atlantik musste jedenfalls gerechnet werden442. Für Nordnorwegen, darin herrschte weitgehend Einigkeit, bestand bei fast allen Szenarien höchste Gefahr443. Selbst bei einer grundsätzlich defensiven Einstellung der sowjetischen Kriegführung war es für die Planer in Moskau eigentlich eine Conditio sine qua non, Nordnorwegen rasch zu besetzen, da von dort massive Gefahr für alle Marineeinheiten ausging, nicht zuletzt auch für die strategischen Atom-U-Boote444. Insgesamt hatte die Nordflanke vornehmlich eine Funktion als Sicherung und Nebenschauplatz der »Central Front«, auch wenn die Amerikaner und die Kanadier ihr größere Bedeutung beimaßen als etwa die Deutschen. Der Mittelabschnitt, vor allem die Verteidigung der Bundesrepublik, behielt jedenfalls bei den meisten Betrachtern die Priorität, der auch die Seestreitkräfte und die Nordflanke mehr oder weniger direkt zu dienen hatten445. Seit der Ölkrise in den siebziger Jahren richteten sich die Blicke immer öfter auf die Golfregion und damit auch auf die NATO-Südflanke446. Die zunehmende Präsenz der 441 442 443

444 445 446

Daniel/Tarleton, Soviet Naval Forces and Theater Strategy, S. 80‑90. Vgl. auch Vego, The Soviet Envelopment Option, S. 106 f. Diese Schlacht plastisch als Fiktion beschrieben in: Hackett, Der Dritte Weltkrieg, Kap. 16 und 17. Es gab eine Vielzahl unterschiedlicher Ansätze und Szenarien (Basisinformationen dazu bei Sokolsky, Seapower in the Nuclear Age, Kap. 3, 4 und 6). Diese reichten von der Hoffnung, den Krieg zur See lange Zeit autonom führen zu können (Mahanismus), über die positive Bewertung einer »dritten« Schlacht im Atlantik bis hin zur Option, im Rahmen der »Horizontal Escalation« (siehe dazu unten, S. 151) sogar in die Offensive gehen zu können und die sowjetische Marine im Norden im Rahmen eines Ablenkungsmanövers anzugreifen (in Form einer Krise bzw. eines Angriffs in einer anderen Region der Welt, z.B. Golf ). Grove, The Superpowers and Secondary Navies in Northern Water, S. 220. Zu dem teils schwammigen Konzept der »Horizontal Escalation« und dessen Entwicklung vgl. Cleave, Horizontal Escalation and NATO Strategy, S. 63‑79. Zu verweisen ist hier auf logische Fehler und auch auf die Gefahren der Hoffnung auf offensive Kriegführung gegen die Sowjetunion an bestimmten Punkten. Abgesehen davon, dass immer die Gefahr nuklearer Eskalation bestand, war fragwürdig, ob die entsprechenden Kräfte stets zur Verfügung stehen würden. Immerhin aber, und dies ist ein Kernpunkt westlichen und amerikanischen Denkens sowie ein Kernprinzip der NATO-Strategie im Kalten Krieg, bildete das Vertrauen auf die eigenen Stärken die Basis. Konfrontiert mit einer massiv aufgerüsteten und als aggressiv betrachteten Weltmacht, kam es vor allem für die Amerikaner nicht infrage, in gleicher Weise gegenzurüsten, um an allen neuralgischen Punkt stets abwehrbereit zu sein. Dies hätte die eigene Wirtschaftskraft gefährdet. Stattdessen baute man auf Flexibilität, Mobilität und Selektivität im Verein mit globaler Reichweite, hoher Reaktionsfähigkeit, Geschwindigkeit und Eingreiftruppen (»Projection Forces«). Zentral dazu Sokolsky, Seapower in the Nuclear Age, S. 81‑92. Dazu auch The Times, »Fleet must help to protect flanks« (Edward Gueritz), 26.5.1978. Daniel/Tarleton, Soviet Naval Forces and Theater Strategy, S. 90. Eine konträre, geniun norwegische Sicht bei Gjert Lage Dyndal, The Northern Flank. Vgl. dazu Lemke, Globale Probleme einer regionalen Allianz; und Lemke, Abschreckung, Provokation oder Nonvaleur?, S. 313.

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sowjetischen Marine im Mittelmeer tat ein Übriges. Nach wie vor wurde dem Mittelabschnitt die größte Aufmerksamkeit zuteil. Und dennoch erhielt die Südflanke wesentlich stärlere Beachtung, weil ihr die Amerikaner größeres Gewicht infolge der Nähe zum Golf beimaßen, der für sie zu einer globalen Region von herausragendem Wert avancierte. Dies begann nicht erst 1979, sondern hatte sich schon in der Zeit davor abgezeichnet. Von daher verwundert es nicht, dass die Nordflanke trotz aller gegenteiligen Äußerungen ins Hintertreffen geriet. Den wohl sinnfälligsten Ausdruck fand dieser Umstand in einer vielbeachteten Publikation aus dem Jahre 1977: »The Forgotten Flank«. Der Autor Kenneth A. Myers, ein bekannter Politologe, wies auf die Probleme der NATO in dieser Region und auf die entscheidenden psychologischen Aspekte hin. Man müsse den Sowjets trotz aller eigenen Schwächen nicht nur das Gefühl vermitteln, dass sie mit ihren Machtdemonstrationen nichts erreicht hätten, sondern die NATO auch militärisch Herr der Lage sei. Implizit wurde damit die Botschaft transportiert, dass das ›reale‹ Kräfteverhältnis eigentlich gar nicht so wichtig sei, sondern es vielmehr auf den Eindruck ankomme. »immediate peacetime actions are required to offset the political impact of Soviet military developments and to enhance the confidence with which the littoral states view the correlation of forces in the European theater. It is vitally important that the Soviet Union not be allowed to develop an exaggerated estimate of its own capabilities or an unrealistically low opinion of either the capabilities of NATO or its will to use them if necessary [...] Long-run threats to regional stability can flow not only from Soviet policies but from economic pressures facing the littoral states and from a weakening of NATO’s stance. Perhaps the most serious long-run threat to regional security in the North may stem from a gradual erosion of political and military self-confidence of the littoral states that could slowly change perceptions and decrease their margin of maneuverability in the political as well as military fields [...] One of the major problems is therefore related to the will and capability of the United States and the Alliance in general to compensate for the psychological consequences of local imbalances [...] While U.S. interest and reassurance in the center of Europe can take the form of the physical presence of American troops, this interest and reassurance must take other forms (some dramatic, other more subtle) on the Northern Flank if the psychological effects of Soviet military might are not to compound further at least the appearance of a political and military imbalance in the North447.«

Ob die im letzten Satz fast schon postmodern anmutende Kommunikationsstrategie den Kreml wirklich beeindruckte, wäre noch zu klären, da durch die Kenntnisnahme der öffentlichen Debatten im Westen die Sowjets von den dort postulierten Schwächen und den Vorschlägen zum kommunikativen ›Bluffen‹ über die Widersprüche und Defizite von derlei Konzepten Bescheid wissen mussten. Hier liegt offensichtlich einer der typischen Widersprüche des Kalten Krieges vor. Indes bezog die AMF genau aus dieser Abschreckung mittels Kommunikation und der zumindest symbolischen Demonstration von Stärke gegenüber dem Ostblock ihre entscheidende Legitimation. Positivere Zeichen ergaben sich in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre, als einige der für die US-Verteidigungspolitik wichtigen Netzwerke in Bewegung gerieten. Prominente 447

Myers, North Atlantic Security, S. 68‑70.

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Denker und Strategen, die später maßgebliche Posten in der Reagan-Administration besetzten, traten an, um den aus ihrer Sicht gefährlichen Stillstand zu beenden, für den sie die Regierung Carter verantwortlich machten448. Eines der wichtigsten Projekte war der »Sea Plan 2000«, mit dem die US Navy und hier vor allem die Trägerflotte langfristig aufgestockt werden sollte, um die Sowjetunion an allen entscheidenden Punkten aufzuhalten. Dieses Konzept bildete die Vorlage für die Marinestrategie des Kabinetts von Ronald Reagan. Im Kern sah der Plan vor, durch Verbesserung der technischen Möglichkeiten und der Dislozierungsfähigkeit maximale Flexibilität zu erreichen. Zusätzlich sollten weitere Flugzeugträger beschafft werden, darunter Großträger der »Nimitz«-Klasse. Die sowjetischen Seestreitkräfte sollten eingedämmt und im Ernstfall aggressiv bekämpft werden, am besten durch direkten Angriff und ein Vorgehen gegen die Basen. Im »Sea Plan 2000« spielte die »Horizontal Strategy/Deterrence« bzw. die »Horizontal Escalation«, die auf der Vorstellung der strategischen Vernetzung aller globalen Spannungsräume bzw. Kriegsschauplätze basierte, die entscheidende Rolle449. Gedacht war dabei, die Abschreckung und den Kampf im Ernstfall an mehrere Punkte zu tragen, um einer vom Ostblock ausgelösten Krise in einer Region zu begegnen. Vom Osten aufgebauter Druck an einer Stelle sollte durch selbst bestimmten Druck an einer anderen gekontert werden. Dahinter stand das Bestreben, sich nicht vom Gegner das Gesetz des Handelns aufdrängen zu lassen. Mit dieser Strategie waren Hoffnungen auch für die Nordflanke verbunden, da in deren Vorfeld die großen sowjetischen Marinebasen auf der Halbinsel Kola lagen. Indes waren die neuen US-Konzepte an etliche Bedingungen geknüpft. Sie wiesen Begrenzungen auf, die entsprechende Ansätze für die NATO-Nordflanke sofort wieder relativierten. Die US Navy hatte mit ihren Plänen explizit an die Verstärkung ihrer Position im Pazifik und weniger in Europa gedacht und argumentierte im Rahmen der »Horizontal Strategy« mit der Aussicht, dass ein massives Engagement in Asien indirekten Druck aufbauen würde, der dann auch in Europa spürbar wäre. Ferner waren die Vorstellungen in Bezug auf eine ubiquitäre Präsenz von den vorhandenen Kräften abhängig. Selbst bei Realisierung der von der US Navy gewünschten Rüstungspläne konnte nicht mit Sicherheit vorausgesetzt werden, dass überall genügend schwere Einheiten vor Ort sein würden. Es stellte sich das Problem der strategischen Ausdünnung, d.h. der Verzettelung an allzu vielen Schauplätzen. Demgegenüber war zu erwarten, dass die US Navy ihre Kräfte bündeln würde. Ob dann gerade Norwegen im Fokus der amerikanischen Marinestrategie stehen würde, war nicht sicher. Aus Washington hörte man wenig Ermutigendes. Dort war man optimistisch, die NATO-Nordflanke quasi en passant im Rahmen der globalen Gesamtstrategie mit zu verteidigen, also mehr oder weniger im Windschatten der großen, wichtigeren Aktionen. Die NATO-Befehlshaber taten jedenfalls das Ihre, um die Verteidigung flexibler und schlagkräftiger zu gestalten. Anfang der achtziger Jahre wurden wichtige Abkommen und Richtlinien erstellt, die die eigenen Kräfte besser bündeln und effizienter einsetzbar ma448 449

Tamnes, The United States and the Cold War, S. 238‑294, auch zum Folgenden, wo nicht anders belegt. Zur Anwendung der »horizontal escalation« auf die NATO-Nordflanke vgl. Britain and NATO’s Northern Flank, S. 125‑127.

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chen sollten. Im Vordergrund stand die Vereinbarung der drei wichtigsten Befehlshaber SACEUR, SACLANT und CINCHAN, die im »TRI MNC Agreement on Operations in the North Sea and Adjacent Sea Areas« den gemeinsamen Einsatz und bei Bedarf auch den Austausch von Kräften beschlossen. Schon zuvor hatte man ein modernes Gesamtkonzept für die Seekriegführung ausgearbeitet, das maximale Leistungsfähigkeit gewährleisten sollte (Concept of Maritime Operations, CONMAROPS). Die deutsche Marine hatte parallel dazu ihr Konzept zum »Nordflankenraum« entwickelt, dessen Kernpunkt die Aufhebung bisheriger geografischer Grenzen für den Einsatz deutscher Kampfkräfte (Linie Shetland–Bergen) beinhaltete450. Die neue globale Strategie der Amerikaner konnte aber durchaus auch auf Kosten der NATO-Nordflanke gehen, etwa wenn andere Schauplätze, von denen es genügend gab, Vorrang erhielten: »the inextricable link that exists between a US strategy whose focus is NATO-Europe and the other equally vitally important dimensions of US security within a global context«451 ließ genügend Spielraum für Unsicherheiten und Verteilungskämpfe um begrenzte Ressourcen. Gleichzeitig konstatierten die Amerikaner, dass die NATOFlanken zusammen mit den Seestreitkräften der Allianz die entscheidende Verbindung zu den Räumen außerhalb des NATO-Gebietes waren. Sie forderten, keineswegs mit ungeteilter Unterstützung der Europäer, so der Deutschen, eine Ausdehnung der strategischen Perspektiven und den Einsatz entsprechender Kräfte: »the main point is that NATO’s maritime components must be addressed as part of the strategy of forward defense in the NATO area, as well as in the context of contingencies taking place outside NATO [...] One can either provide for both tasks, or jeopardize NATO’s survival in the event of war452.« Die konkreten Maßnahmen, die nach dem Amtsantritt von Ronald Reagan ergriffen wurden, gaben nur auf den ersten Blick Anlass zur Hoffnung. Man könnte das Vorgehen der neuen Regierung als ›Durchlauferhitzung in allen Rohren‹ umschreiben. Es gab praktisch keinen Bereich der militärischen Verteidigung, der nicht verstärkt werden sollte. Die dadurch eintretende strategische Beliebigkeit, die nachfolgend natürlich wieder den finanziellen Beschränkungen des Parlaments unterlag, ging eher auf Kosten sicherheitspolitischer Notstandsgebiete wie der NATO-Nordflanke. De facto änderte sich an der Schwäche der Region nichts. An dieser Tatsache kamen auch die zuständigen Befehlshaber nicht vorbei, die sich von Zeit zu Zeit an die Fachöffentlichkeit wandten453. Trotz aller Betonung der NATO-Solidarität und des Verweises auf die Aufbauleistungen und die Erfolge der Allianz traten die Defizite immer zutage, wenn eine Bestandaufnahme der vorhandenen Kräfte vorgenommen wurde. Außer den bereits genannten Verstärkungskräften war nicht viel zu erwarten. Auch die 450 451 452 453

Monte, Die Rolle der Marine, S. 584‑590. Pfaltzgraff, Jr., Preface. Zeiner-Gunderson, NATO’s Northern Flank, S. 26. Zur strategischen Diskussion und generell zum Folgenden, wo nicht anders belegt, vgl. Haagerup, Denmark and Danish Defence in NATO; Walker, Problems of the Defence; Leon, Emerging Security Considerations; Whiteley, The Northern Flank of NATO; Croker, The Maritime Defence of the NATO Flanks; Bull-Hansen, Norway, NATO’s Strategic Pivot?; dazu King-Harman, NATO Strategy – A New Look; Altenburg, NATO; Bradley, NATO Strategy; Petersen/Hines, Military Power in Soviet Strategy against NATO; Palmer, NATO, Social and Defense Spending; Bolton, European Defence; Carington, NATO and the Warsaw Pact.

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Briten, denen die Nordflanke wegen der geografischen Nähe besonders am Herzen liegen musste, hatten kaum Zusätzliches zu bieten. Das lag an der schon im Laufe der sechziger Jahre begonnenen Reduzierung der Streitkräfte infolge der notorischen wirtschaftlichen Schwäche des Königreichs. Vergleichbar mit der Situation der Amerikaner gegen Ende des Vietnamkrieges (Nixon-Doktrin) bedeutete der globale Rückzug »East of Suez« eben nicht, dass automatisch alle Aspekte der Verteidigung in Europa eine Aufwertung erfuhren. Im Gegenteil, auch hier wurde unter dem Druck der Treasury nach Einsparmöglichkeiten gesucht. Trotz völlig unzureichender Mittel behauptete Whitehall ganz offiziell, das militärische Engagement in Deutschland, die Flanken und die direkte Heimatverteidigung sowie die Sicherung Nordirlands gleichzeitig adäquat schultern zu können454. Die treibende Kraft für dieses Verhalten waren die Furcht vor öffentlicher Blamage sowie die NATO-Strategie, die Demonstration von Stärke verlangte. In Wirklichkeit verfügte man offensichtlich in keinem Bereich über ausreichende Fähigkeiten, d.h. es fehlte überall an den nötigen Kräften. Letztlich betrieb Whitehall Mangelverteilung zum Schaden der Bündnissolidarität, wie selbst prominente Persönlichkeiten anmerkten455. Wo allerdings die Prioritäten gesetzt werden sollten, wenn tatsächlich eine harte Auswahl getroffen werden musste, konnten auch die Kritiker nicht eindeutig sagen. Ein Teil von ihnen versuchte trotz der Tatsache, dass die Verstärkung des Mittelabschnitts eindeutig Vorrang hatte, der Nordflanke mehr Gewicht zu verschaffen.

»Lose the war quickly on the Central Front and there is no long war to fight. In that context, it is argued, navies matter not at all and the Flanks matter not much. I counter that in two ways. First, perceptions of weakness on the Flanks can only encourage the Soviet Union to believe that they could turn the Centre if it did show signs of holding; and, second, the Atlantic Bridge must be kept open if NATO is not to lose a longer war even if it were to withstand the first shock. Last, there is the never-to-be-forgotten political point that the Alliance cannot choose what it will defend. Forward defence is not a guiding principal only for the Central Front456.«

Hinter den Kulissen und auch in der Öffentlichkeit wurden zahlreiche Vorschläge gemacht, die auf eine Verbesserung der Situation zielten, darunter etwa der Einsatz von Reserven oder größere Flexibilität457. Eine der radikalsten Ansichten betraf die Änderung der Verteidigungsprioritäten. Um das Interesse Großbritanniens zu beleben und dessen Ressourcen besser zum Einsatz zu bringen, sollten das Territorium des Vereinigten Königreiches und die britischen Verbände in Deutschland, allen voran die Britische Rheinarmee, de facto dem NATO-Nordabschnitt zugeschlagen werden458. Solcherart wäre sowohl die militärische Verteidigung der dänischen Inseln verstärkt als auch die 454 455 456 457 458

Geradezu paradigmatisch hier: Goldstein, Britain. Hill-Norton, No Soft Options, S. 77 f. Alford, A Change in British Priorities?, S. 82. Zu den Meinungsverschiedenheiten hierzu vgl. z.B. PAAA, B 14/1891, P 120, MC (72) 6, »Defence of the Northern Flank«, Draft Report presented by Mr. Paul Thyness (Norway), Rapporteur, S. 42. Whiteley, The Northern Flank of NATO, passim, v.a. S. 12 f., der allerdings in diesem konkreten Zusammenhang einen Rückzieher machte; und Croker, The Maritime Defence of the NATO Flanks, v.a. S.  54. Vgl. auch Alford, A Change in British Priorities?, S.  80‑82. Moderater der Vorschlag von Major Eugene Hinterhoff während der Diskussion um den Vortrag von Walker, Problems of the Defence, S. 21.

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Region in Nordnorwegen besser zu sichern gewesen. Den vordringenden Verbänden des Warschauer Paktes hätte man mit offensiven Aktionen aus Dänemark und der Ostsee in die Flanke fallen können und diese dann quasi von hinten zerschlagen. Andere, darunter auch Vertreter der Royal Navy, forderten, zumindest die eindeutige Festlegung auf Deutschland teilweise zu revidieren und eine neue Art von Kampfverbänden zu schaffen, die – in Großbritannien stationiert – rasch entweder an der Nordflanke oder im Mittelabschnitt hätten eingesetzt werden können. Damit waren in der Tat, wenn auch auf Kosten permanenter Truppenstationierungen in Deutschland, essenzielle Kernpunkte der Flexible Response angesprochen worden. Die in diesem Zusammenhang postulierte Dynamisierung der Kernverbände erinnert an die Konzepte der Amerikaner zur Verbesserung der strategischen Mobilität vor dem Hintergrund der erhöhten Anforderungen des Vietnamkrieges (z.B. Übungen »Big Lift« und »Reforger«)459. All diese Vorschläge blieben jedoch eher theoretischer Art und waren meist schon aus organisatorischen und logistischen Gründen nicht realisierbar. Überdies bestand für den Ernstfall keineswegs Einigkeit über die Wahrscheinlichkeit eines Angriffs des Warschauer Paktes an der Nordflanke460. Ferner stand kaum zu erwarten, dass die maßgeblichen Entscheidungsträger bei der NATO, insbesondere der mitteleuropäischen Partner, dem zugestimmt hätten. Schließlich – und dies dürfte entscheidendes Gewicht besessen haben – kam es für die Briten gerade wegen der Bündnissolidarität nicht infrage, etwa die Britische Rheinarmee massiv abzubauen. Schon kleinere Reduktionen führten zu Unbehagen bei den betroffenen NATO-Partnern. Also hielt man an ihr fest461. Der britische Oberbefehlshaber von AFNORTH, Walter Walker, brachte die Sache in einem konzisen Vortrag auf den Punkt462. Für ihn galt es jetzt pragmatisch vorzugehen. In typisch britischer Manier (»scaling«) plädierte er dafür, zumindest für die allgemeinen Planungen und Vorbereitungen bezüglich der Nordflanke nicht die Worst-case-Szenarien zugrunde zu legen, sondern sich an dem zu orientieren, was man realistischerweise im Ernstfall an Kräften zur Verfügung hatte. Walker sah hier durchaus noch Potenzial für Effizienzsteigerung, bessere Koordination und Standardisierung. Er brachte zudem die Möglichkeiten einer Art Guerillakriegführung zur Sprache, die es angeblich auch schwächeren Verbänden erlaube, den überlegenen Angreifer lange genug aufzuhalten, bis die Verstärkungen eingetroffen waren oder der Krieg anderweitig beendet werden konnte. Damit waren die Möglichkeiten aber erschöpft. Walkers Botschaft lautete: Man würde in Angriff nehmen, was möglich sei, und habe so noch eine gewisse Chance. Allzu große Hoffnungen seien indes übertrieben. Letztlich verfügte man über keine Alternative, als auf die Abschreckung der NATO als Gesamtbündnis unter fortgesetzter Betonung von 459 460 461 462

Zu diesen Übungen siehe oben S. 16 und S. 93. NARA (NACP), Nixon Presidential Library, NSDM, Henry Kissinger an SACEUR (Gen. Goodpaster), 10.3.1971, anhängendes Memorandum (o.T.), S. 37. Vgl. dazu die Ausführungen von Walter, Zwischen Dschungelkrieg und Atombombe, S. 287‑292. Zum Folgenden Text und Diskussion in: Walker, Problems of the Defence. Entscheidend auch TNA, DEFE 4/266, 9th Meeting COS 1972, 29.2.1972, Meeting with General Sir Walter Walker, mit Memorandum von Walker, The Situation in Northern Europe Command, 1.2.1972. Diese drei Texte sind für die Situation an der Nordflanke grundlegend. Vgl. grundsätzlich auch zum Folgenden. Vgl. zudem TNA, DEFE 4/271, DP 15/72, The Commander in Chief Allied Forces, Northern Europe, Report by the the Defence Policy Staff, 8.8.1972, Annex A.

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Art. 5 des Nordatlantikvertrages zu bauen. Nur die Allianz als Ganzes konnte den Norden verteidigen, und insofern liefen die Vorbereitungen wenigstens in letzter Instanz auf die Wirkung der Bündnissolidarität auf der Basis der Beistandsverpflichtungen in ganz Europa hinaus, was mit Blick auf die Nordflanke wieder hieß, dass ein massiver Angriff gegen sie sofort eine Reaktion im Mittelabschnitt auslösen würde463. Dieser Notanker erschien wegen der Konzentration auf die Paragrafen des nordatlantischen Vertragswerks gewissermaßen als »paper defence« und wurde so auch von der zivilen Politik zumindest indirekt bestätigt. In der »North Atlantic Assembly«, der Versammlung der Mitglieder der nationalen Parlamente der Partnerstaaten, kam dies explizit zum Ausdruck. Die Assembly hatte einen Militärausschuss gebildet, der sich auch mit der Situation an der Nordflanke beschäftigte und zu einem ähnlich düsteren Urteil wie etliche Experten gelangte. Ohne eine erhebliche Aufstockung der konventionellen Rüstung gerade auch der Flankenstaaten gab es kein Entrinnen aus dem Dilemma. Die »present defence arrangements« wurden als vollkommen unzureichend bewertet464. Vorderhand bestand nur die Hoffnung, dass die NATO auf breiter Front eingreifen würde. »Although the defence of NEC can never be adequately ensured by itself against the Warsaw Pact, NEC does not stand on its own. The great strength of the NEC position is basically political and life in the commitment, under Article 5 of the North Atlantic Treaty, that the United States, Canada and other European members of NATO would regard an attack on Danish or Norwegian territory as an attack on themselves465.« Damit verbunden war die Hoffnung auf Verstärkung im Ernstfall, was auch fortgesetzt gefordert wurde466. Angesichts der tatsächlich vor allem in den ersten beiden Kriegswochen zu erwartenden, nur mageren Kräfte der Allianz für die Nordflanke lief dies auf die bekannten Mittel zur Abschreckung und zur Stärkung der psychologischen Bündniskohäsion (Krisenmanagement, politische Solidarität, Einsatz mobiler Verbände, z.B. der AMF)467 und letztlich auf strategische Diversion hinaus. De facto war die Nordflanke nur im Windschatten anderer Schauplätze in Europa und auch global zu verteidigen. Dabei stand aber sofort die Gefahr einer nuklearen Eskalation im Raum. Recht drastisch brachten die britischen Joint Chiefs of Staff die Hoffnungslosigkeit der Situation in einem Briefing des Verteidigungsministers für den im Sommer 1970 neugewählten Premierminister Edward Heath zum Ausdruck:

»[The NATO-Flanks] were undoubtedly the weakest areas of NATO. The Warsaw Pact could invade Finmark in the north, or Thrace in the South, in a matter of hours and it was illusory to think that NATO could defend these areas militarily. Military contingency planning of the flank countries was therefore largely to sustain the morale of the flank countries and maintain the cohesion of the Alliance. However, direct defence was not the only possible response to an attack on the flanks; in such an event, it would be necessary to judge whether to escalate the conflict elsewhere and in some other way. It would make no sense to attempt to reinforce the flanks from the Central Front: equally, it would be extremely risky to attempt to counter an

463 464 465 466 467

Walker, Problems of the Defence, S. 19. PAAA, B 14/1891, P 120, MC (72) 6, »Defence of the Northern Flank«, Draft Report presented by Mr. Paul Thyness (Norway), Rapporteur, S. 14. Ebd., S. 40. Ebd., S. 42 f. Zur AMF als »paper force« vgl. Snyder, Defending the Fringe, S. 5. Vego, The Soviet Envelopment Option, S. 118 f.

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attack on the flanks by escalation on the Central Front, unless we were prepared to use tactical nuclear weapons468.«

Im Falle der Ostseeausgänge lagen die Dinge ähnlich. Hier drehte sich die Diskussion um das Engagement der Dänen, das aus Sicht der anderen Bündnispartner zu schwach war und zudem ständig in Gefahr stand, von linken Regierungen noch weiter eingeschränkt zu werden469. Im Übrigen existierten im Wesentlichen dieselben Probleme in Bezug auf die Stationierung von Atomwaffen und ausländischen Truppen wie im Falle der Norweger. Es gab eine ganze Reihe von nationalen Vorbehalten und Einschränkungen (»caveats«). Zusätzlich für Zündstoff sorgte die Tatsache, dass die Dänen wie die Norweger gegenüber dem Vorschlag einer nuklearwaffenfreien Zone in Skandinavien keineswegs vollständig abgeneigt waren470. Die aufwachsende deutsche Militärmacht konnte im Ernstfall nicht die gesamte Verteidigung auffangen. Daher wurde – auch öffentlich – gefordert, die Dänen zu einem größeren Beitrag für die Verteidigung zu bewegen, jedoch ohne wirklich durchschlagenden Erfolg471. Die Dänen selbst versuchten, auf positive Aspekte hinzuweisen, und gaben ihrer Befürchtung Ausdruck, dass zu viele Kräfte für die Südflanke eingeplant würden, die eigentlich der Nordflanke zugutekommen sollten472. Die dabei anklingende Konkurrenz der beiden Flanken wurde zwar nur selten thematisiert, gewann aber aus Sicht der Militärs der Nordflanke einige Bedeutung. Man fürchtete gegenüber der Südflanke ins Hintertreffen zu geraten473. Zeitweise eskalierten diese Spannungen in Verbindung mit politischen Fragen in den obersten NATO-Gremien. Die skandinavischen Staaten lehnten Militärhilfen für Griechenland ab, als dort die Militärjunta an die Macht gelangt war474. Trotz aller Kompromissvorschläge auch von deutscher Seite konnte das innere Zerwürfnis nicht ausgeräumt werden475. Die Frage blieb »a perennial bone of contention within NATO«476. 468

469 470 471

472 473 474

475

476

TNA, PREM  15/37, Summary of Discussion following the Defence Secretary’s Presentation of NATO Strategy to the Prime Minister (25.11.1970), 26.11.70, S. 1 f. Deutlicher konnte die Lage nicht ausgedrückt werden, wenn man auch in Rechnung stellen muss, dass hier eventuell in besonderer Weise auf den Premierminister eingewirkt werden sollte, um den Mittelabschnitt zu stärken (auch über die Ressourcenverteilung). Vgl. aber die entsprechende Einschätzung mit ähnlichem Grundtenor in den fünfziger Jahren. Chourchoulis, A Nominal Defence?, S. 641. Britain and NATO’s Northern Flank, S. 176 f. Dies galt in vergleichbarem Maße auch für Norwegen. Dazu Petersen, The Dilemmas of Alliance, S. 275‑290. Eine ausgezeichnete Quelle für die zum Teil gegensätzlichen Standpunkte: Heilser, Denmark’s Quest for Security. Das Problem bestand auch für die anderen Flankenpartner, etwa für die Norweger. Whiteley, The Northern Flank of NATO, S. 13; und Brundtland, Norwegian Security Policy. Haagerup, Denmark and Danish Defence in NATO, S. 28. Sehr prominent Walker, Problems of the Defence, S. 13; und TNA, DEFE 4/266, 9th Meeting COS 1972, 29.2.1972, Meeting with General Sir Walter Walker, S. 2. FRUS 1969‑1976, vol.  30, Dok.  10: Action Memorandum from the Director of the Policy Planning Staff (Lord) to Secretary of State Kissinger, 15.2.1974 . NARA (NACP), Nixon Presidential Library, NSDM, Department of State, Acting Secretary, Memorandum for the President, Possible Confrontation in NATO over Greek Issue, 2.9.1970, mit zahlreichen Begleitdokumenten. FRUS 1969‑1976, vol.  30, Dok.  10: Action Memorandum from the Director of the Policy Planning Staff (Lord) to Secretary of State Kissinger, 15.2.1974 .

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Spielraum für strategische Dispositionen war kaum vorhanden. Letztlich lief die Argumentation wieder auf die Hoffnung hinaus, mit kohärenter Abschreckung, Bündnissolidarität und nicht zuletzt durch den demonstrativen Einsatz von Eliteverbänden die Lage selbst im Ernstfall unter Kontrolle zu halten. Es bestanden erhebliche Bedenken, ob hier nicht ein strategischer ›Papiertiger‹ aufgebaut wurde, von dem sich die Sowjetunion im Zweifel nicht sonderlich beeindrucken lassen würde. Ein Beteiligter brachte dies explizit für die ganze NATO auf den Punkt, indem er auf die Diskrepanz zwischen dem strategischen Anspruch und den realen Fähigkeiten hinwies:

»We have made a mutual commitment to common security. It is embodied in the assertion that an attack on one nation in this Alliance shall be viewed as an attack on all [...] I would remind you that there is no nation in this Alliance that has a policy of maintaining forces which by themselves are sufficient for defence against the most serious threat to our way of life. It is fundamental to everyone’s security policy that NATO will guarantee that security. It is our common effectiveness on which we are all dependent. And then you will remember how we treat that common commitment. That common commitment implies that the combined forces of this Alliance must be adequate in the aggregate to deter and, if necessary, to defend against an external attack. Unfortunately, that whole is not equal to the sum of its parts477.«

Auch aus dieser Perspektive erschien die NATO-Verteidigung ein gutes Stück weit als »paper defence«, die aus dem vertraglichen Anspruch von Art.  5 Nordatlantikvertrag erwuchs und sich vor allem in der Propagierung der Abschreckung manifestieren sollte: »there was a need for a Director of Information in Brussels whose task would be to close the information gap, by explaining the Russian threat and advertising the purposes and capabilities of NATO [...] this was more likely to maintain the cohesion of the Alliance than trying to persuade Norway and Denmark to increase the size of their forces478.« Wie bereits oben angedeutet, bestanden im Grundsatz große Übereinstimmungen zwischen beiden Flanken in Bezug auf die geostrategische und die politische Grundsituation. Die Südflanke war eine besonders exponierte Teilregion mit den Partnern Griechenland und Türkei. Die Türkei besaß im Übrigen, ähnlich wie Norwegen und anders als alle anderen Bündnispartner, eine direkte Landgrenze zur Sowjetunion. Die Verbindung der beiden äußeren Partner zum Mittelabschnitt bildete eine Art ›Mittelstück‹ (Italien), das, ähnlich wie Dänemark, geografisch zergliedert und in vielerlei Hinsicht wenig kompakt war. Es repräsentierte mithin die generelle Grundsituation an den Flanken479. Die Gemeinsamkeiten beider Flanken, trotz der geografischen Zersplitterung, hatte der erste SACEUR auf den Punkt gebracht: »Eisenhower viewed his command area as a major peninsula bordered by two land-sea complexes480.«

477 478

479 480

Tucker, Standardisation and Defence in NATO, S. 9 f. (Hervorhebung Bernd Lemke). Kommandeur AFNORTH Sir Walter Walker in: TNA, DEFE  4/266, 9th  Meeting COS 1972, 29.2.1972, S. 3. Walter brachte als Lösung auch die Bildung zweier AMF-Brigaden, d.h. je einer für jede Flanke, ins Spiel. Ebd. Fast identisch hierzu: Lemnitzer, The Strategic Problems, S. 109 f. De facto konnte man sich innerhalb der NATO indes nicht auf eine entsprechende Verstärkung einigen. Konzise auf den Punkt gebracht bei: Brown, Delicately Poised Allies, S. XIII f. Goodpaster, Introduction, S. 3.

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c) Die Südflanke Die strategisch unvorteilhaften Grundbedingungen wurden in der öffentlichen Debatte deutlich angesprochen. Die Südflanke war nicht nur geografisch, sondern auch politisch und militärstrategisch keine Einheit, wie sich schon bei der Bildung der NATOKommandobereiche Anfang der fünfziger Jahre gezeigt hatte. Zunächst hatte man eine einzige Kommandobehörde, AFSOUTH, in Neapel ins Leben gerufen, die an Kräften einzig und allein über die Verbände der 6.  US-Flotte verfügte481. Schnell wurde klar, dass man besondere Kommandoebenen für den Südosten einrichten musste, was auch geschah, dann aber durch die Forderungen der Briten, einen Kommandobereich für das ganze Mittelmeer (»Mediterranean Command«) zu installieren, kompliziert wurde. Nicht zufällig ergaben sich in dieser frühen Phase Doppelzuständigkeiten zwischen Amerikanern, Franzosen und Briten, die sich, zumindest was die Franzosen betraf, dann auch perpetuierten und die letztlich bis heute andauern482. Die geografischen Besonderheiten erschwerten die Verteidigung, weil sie eine kombinierte und flexible Kriegführung und auch die Versorgung und den Nachschub behinderten483. Es war kaum möglich, schweres Gerät (vor allem Panzer und Artillerie), aber auch größere Truppenverbände im erforderlichen Maße zwischen den Brennpunkten hin und her zu schieben. Dazu kamen die sehr großen Distanzen. Zwischen der Ostgrenze der Türkei und Venetien betrug allein die Luftlinie über die Ostblockländer hinweg ca. 3000 km. Die Kampfkräfte der einzelnen Verbündeten standen de facto vorrangig ihren eigenen Nationen zur Verfügung, ohne sich gegenseitig wirklich helfen zu können. Die NATO-Kommandostrukturen spiegelten dies wieder. Dies galt vor allem für die Heeresverbände. Diese relative Inflexibilität war paradoxerweise, wie Fachleute urteilten, der volatilen und instabilen geostrategischen Lage (»always something undefinded and fluid«)484 der Südflanke geschuldet. Jemand sprach sogar in Anspielung auf die historische bzw. literarische Vergangenheit von der ›Achillesferse‹ der NATO485. Luftwaffe und Marine würden infolge der geografischen Lage eine bestimmende Rolle spielen, gleichzeitig aber gab es heikle Brennpunkte, die in erster Linie von den Heeresverbänden zu verteidigen waren. Wie bereits von den britischen Generalstabschefs in ihrem Briefing für den britischen Premierminister im Jahre 1970 angemerkt, waren vor allem Thrazien und der Bosporus gefährdet, da ein Angreifer nach Überwindung der vorgelagerten Gebirge auf ein gut passierbares Flachland mit sehr geringer strategischer Tiefe stoßen würde486. Das Gleiche galt mutatis mutandis für Istrien und den Nordosten Italiens. 481

482

483 484 485 486

Zur strategischen Lage im Mittelmeer aus US-Sicht (hier nicht zuletzt auch die Problematik um den Bosporus und seine Bedeutung für den Beginn des Kalten Krieges) vgl. Miskel, US Post-War Naval Strategy. Kaplan/Clawson, NATO and the Mediterranean Powers. Zur Entwicklung der NATO-Kommandostrukturen im Süden bis in die siebziger Jahre vgl. La Nave, The Transformations of the Defense, S. 105 f. Vgl. v.a. Chourchoulis, A Nominal Defence?, S.  637‑640; und Snyder, Defending the Fringe, S. 29 f. Gabriele, Mediterranean Naval Forces, S. 71. Gobbi, NATO’s Southern Flank, S. 62 f. Siehe dazu unten S. 177‑181.

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Diese an sich bereits sehr ungünstige Lage wurde durch die politischen Zerwürfnisse zwischen Griechen und Türken noch verschärft. Der Streit und die dadurch entstehende permanente Binnenspannung stellten im Laufe der Zeit eine der wesentlichen Belastungen für die NATO dar, nicht zuletzt auch angesichts der Herausforderungen, die sich aufgrund der Etablierung der Flexible Response ergaben. Die ersten Jahre nach dem Beitritt der beiden Kandidaten waren zumindest allianztechnisch gesehen wenig problematisch gewesen487. In Griechenland war zwar nach Kriegsende ein Bürgerkrieg zwischen der Regierung und einer kommunistischen Widerstandsbewegung ausgebrochen – vielleicht eine der ersten Blockkonfrontationen des Kalten Krieges überhaupt488. Dieser konnte jedoch vor allem mit amerikanischer Hilfe niedergeschlagen werden, was bereits eine deutliche Machtverschiebung zuungunsten der Briten offenbarte489. Sowohl Ankara als auch Athen waren danach erst einmal zufrieden, in die NATO aufgenommen worden zu sein, und bauten auf den Sicherheitsgewinn gegenüber der Sowjetunion. Die Türkei partizipierte unter zunehmender Hegemonie der Amerikaner – bei gleichzeitigem weiteren Bedeutungsverlust der Briten – beim Aufbau einer Abwehrfront (»Northern Tier«)490 gegen Vorstöße der Roten Armee von sowjetischem Staatsgebiet aus in den Mittleren Osten, etwa in Richtung Suezkanal. Ankara engagierte sich auch bei der Gründung des Bagdadpaktes, der nach dem Umsturz im Irak dann unter der Bezeichnung Central Treaty Organisation (CENTO) firmierte. Bis Mitte der fünfziger Jahre gerierten sich Griechenland und die Türkei als relativ bequeme, sicherheitspolitisch vielleicht sogar fast ›eindimensionale‹ Partner. Insgesamt handelte es sich um ein relativ pflegeleichtes Ensemble, auch wenn es vor allem für die Amerikaner ein Zuschussgeschäft war. Die Situation änderte sich mit der ersten Zypernkrise im Jahre 1955 und eskalierte in den sechziger und siebziger Jahren auf dramatische Weise491. Dabei kam es zu einer sicherheitspolitischen Aufspaltung zwischen den USA und der NATO bzw. den anderen Bündnispartnern. Da sich die Briten seit den sechziger Jahren fast vollständig, auch maritim, aus der Mittelmeerregion zurückzogen hatten und die anderen Bündnismitglieder, darunter die Bundesrepublik Deutschland, andere Prioritäten setzten, bildete Washington den einzigen entscheidenden westlichen Machtfaktor in der Region. Die USA gerieten dadurch zunehmend zwischen die Fronten des griechischtürkischen Konflikts. Die Beziehungen zwischen Amerikanern, Türken und Griechen verschlechterten sich zusehends, was nach einiger Zeit auch den militärischen Bereich tangierte. Nachhaltige Folgen hatte vor allem das Einschreiten der Amerikaner, als die Türken 1964 kurz davor standen, Zypern zu besetzen. Präsident Johnson schickte im Juni 1964 einen fast schon legendären Brief an die türkische Staatsführung, in dem mit der Einstellung der US-Hilfen und mit Isolierung in der NATO gedroht wurde492. Die 487 488 489 490 491 492

Zum Folgenden vgl. grundsätzlich Karaosmanoglu, Turkey and the Southern Flank, S. 295‑298; Veremis, Greece and NATO, S. 238‑244; und Kourvetaris, The Southern Flank of NATO, S. 432 f. Die Truman-Doktrin entstand im direkten Zusammenhang mit dem griechischen Bürgerkrieg. Zum griechischen Bürgerkrieg vgl. Mages, Without the Need of a Single American Rifleman. Yesilbursa, The Baghdad Pact, Kap. 1 und 2. Akbulut, NATO’s Feuding Members, Kap. 2.2.1. Brief nachzuulesen in .

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Türken schreckten vor weiteren militärischen Schritten zurück, vergaßen diese Niederlage indes nicht. Einen negativen Höhepunkt erreichte die Entwicklung 1974, als die Türkei schließlich doch in Zypern einmarschierte. Die USA verhängten von 1975 bis 1978 ein für Ankara schmerzhaftes Waffenembargo. Dies nahm in Verbindung mit einer schweren Wirtschaftskrise sowie zunehmenden Aufständen und Terroranschlägen zeitweise sogar existenzbedrohende Züge an493. Die Amerikaner behielten ihren harten Kurs jedoch bei. In dieser Situation sprang Bonn ein, das sowohl seine Militär- als auch seine Wirtschaftsund Finanzhilfen, die seit 1964 in die Türkei flossen, weiter fortsetzte und sogar noch aufstockte. Wichtig waren diese unter anderem in psychologischer Hinsicht – sie dienten quasi als (Teil-)Ersatz für die ausbleibenden US-Hilfen, wenn Helmut Schmidt auch unmissverständlich klarmachte, dass das Embargo durch Deutschland keineswegs ausgeglichen werden könne494. De facto aber überstiegen die direkten, nicht kreditfinanzierten Hilfen der Bundesrepublik die der USA zumindest zeitweise495. Die Lage in und um die Ägäis verschlechterte sich durch ständige griechisch-türkische Querelen. Streitpunkte waren etwa die Gestaltung der NATO-Kommandobereiche oder die Verweigerung von Überflugrechten; Handlungsweisen, die sich infolge der Funktion Griechenlands als Brücke zur Türkei auf die NATO nachgerade verheerend auswirkten496. Im direkten Zusammenhang mit der Besetzung Zyperns durch die Türken erfolgte der Sturz der im Jahre 1967 an die Macht gekommenen Militärjunta in Athen und die Etablierung einer zivilen Regierung unter Konstantinos Karamanlis, die sofort aus der militärischen Kommandostruktur der NATO austrat und da493

494

495

496

Vgl. Senate Delegation Report, S. 10 f. Eine ganze Reihe prominenter und einflussreicher Politiker, Diplomaten und Militärs in den USA, darunter auch Lemnitzer, setzten eine Kampagne zur Aufhebung des Embargos in Gang. Dazu NATO, Turkey and United States Interests. AAPD, 1978, Bd  1, Dok.  146, Vermerk betreffend Gespräch des Bundeskanzlers mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ecevit am 10.5.1978, S.  712  f.; und ebd., Dok.  147, dgl. am 11.5.1978, S. 718. Zum Hintergrund vgl. ebd., Dok. 26, S. 162, mit Anm. 31 und 32. Vgl. auch AAPD, 1978, Bd 2, Dok. 356, Aufzeichnung des MDir Blech vom 23.11.1978 über die Initiierung eines multilateralen Hilfspaketes für die Türkei, S. 1736‑1740. Zentral auch AAPD, 1979, Bd 1, Dok.  86, Vermerk über das Gespräch des Bundeskanzlers mit dem amerikanischen Deputy Secretary of State, Warren Christopher, am 20.3.1978, S.  381‑384. Detaillierte Hintergründe auch in Bezug auf die deutsche Führungsrolle hierbei im europäischen Rahmen in: AAPD, 1980, Bd 1, Dok. 22, Aufzeichnung des Ministerialdirigenten Dröge und des Ministerialdirektors Fischer, Betr.: Türkeihilfe, S. 128‑144. Dazu auch Brown, Delicately Poised Allies, S. 5 und S. 55. Die Hilfen aus Bonn etablierten sich schließlich als fester Bestandteil in der westlichen Hilfsplanung. Vgl. Senate Delegation Report, S. 16. AAPD, 1980, Bd  1, Dok.  176, Gespräch des Bundeskanzlers mit König Khalid am 17.6.1980, S. 917; und ebd., Dok. 145, Botschafter Pauls, Brüssel (NATO), an das Auswärtige Amt, Bericht über die Sitzung des Verteidigungsplanungsausschusses (DPC) am 14.5.1980 unter Teilnahme der Außenminister, 14.5.1980, Anm. 5. Dabei muss einstweilen offenbleiben, ob die Türkei ihren folgenden Zahlungsverpflichtungen gegenüber kreditfinanzierten Beschaffungsprojekten der USA tatsächlich nachgekommen ist. Vgl. dazu die Tabelle bei Senate Delegation Report, S. 16. Zu den Hilfen für Griechenland vgl. Pelt, Tying Greece to the West, der sehr gut darlegt, dass die Bundesrepublik quasi als wirtschaftliche Stabilisationsreserve agierte und in dieser Hinsicht zum wichtigsten Akteur neben den USA wurde. Leider beleuchtet Pelt keine militärisch-politischen Aspekte. Dazu Heraclides, The Greek-Turkish Conflict, S. 214‑219. Zu den daraus erwachsenden Problemen für die militärische Kommandostruktur der NATO und die Zuordnung der griechischen Truppen zur Allianz vgl. auch FRUS 1969‑1976, vol. 30, Dok. 53: Telegram from the Department of State to the Mission to the North Atlantic Treaty Organization and the Embassy in Greece, 4.10.1975 .

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mit in gewisser Weise das französische Handeln der sechziger Jahre wiederholte497. Im Bundesverteidigungsministerium erachtete man diesen Vergleich in strategischer Hinsicht allerdings als nicht adäquat. Griechenland verfügte keineswegs über die konventionelle und nukleare Stärke der Franzosen und war überdies ein Frontstaat, der eine strategisch eminent wichtige Brückenfunktion für die Südostflanke besaß498. Die Briten sahen dies ähnlich499. In der Folge unternahmen die Griechen einige Schritte, die aus der Sicht westlicher Strategieplanung geradezu widersinnigen und skurrilen, gleichwohl auch alarmierenden Charakter trugen. So schloss ein privates Dock auf der Insel Syros ein Abkommen mit der Sowjetunion, das es dieser erlaubte, Handelsschiffe und sogar unbewaffnete Nachschubeinheiten der Marine zu warten und zu reparieren. Athen hatte nichts dagegen unternommen, sondern im September 1979 lediglich den Abschluss des Abkommens öffentlich bekanntgegeben500. Immerhin wurde der griechisch-türkische Konflikt insoweit entschärft, dass eine direkte militärische Konfrontation ausgeschlossen werden konnte. In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre bemühte man sich dann im Bündnisrahmen, die Folgen der Ereignisse von 1974 abzuschwächen, die NATO zu einigen und die Verteidigungsfähigkeit zu stärken, allerdings mit bestenfalls mäßigem Erfolg501. Die nicht zuletzt auch politisch teils desaströsen Entwicklungen erwuchsen unter anderem aus den Erwartungen und Hoffnungen, die die verschiedenen Parteien in die NATO und insbesondere in die Schutzgarantie der Vereinigten Staaten gesetzt hatten. Es kam trotz oder gerade wegen der Vermittlungsbemühungen der Amerikaner zu fortlaufenden, wechselseitigen Enttäuschungen. Die streitenden Parteien machten Washington und die NATO für die Konflikte, Aggressionen und (Teil-)Niederlagen verantwortlich, zumindest bis Anfang der achtziger Jahre mit progressiver Tendenz. Dabei spielten innenpolitische Aspekte eine erhebliche Rolle. Wegen nationalistischer Tendenzen und Sichtweisen wurde vor dem Hintergrund der Geschichte vor allem des 20. Jahrhunderts eine Annährung oder gar Problemlösung fortgesetzt erschwert bzw. unmöglich. Aus dieser Gemengelage erklärt sich die griechische Obstruktionspolitik gegenüber wichtigen NATO-Übungen, auch der AMF. Den Höhepunkt bildete hier wohl die Übung »Apex Express 82«, die die griechische Regierung, inzwischen wieder aktiv in den militärischen Strukturen der NATO tätig, nach einigen undurchsichtigen Manövern und entgegen ursprünglichen Ankündigungen wegen der zeitlichen Nähe zu bevorstehenden Kommunalwahlen kurzfristig absagte502. 497

498 499 500 501

502

In Bonn konstatierte man, dass Karamanlis, der im Exil in Paris geweilt hatte, sich explizit an den Franzosen orientiert habe. BArch, BW 2/6722, Fü S II 4, Griechisch-türkischer Konflikt (Woche 29.1.‑4.2.1975), 4.2.1975, S. 2; ebd., Drahtbericht Deutsche Botschaft Athen an AA, 15.8.1974, Griechenland und die NATO, Ziff. 5. BArch, BW 2/6707, Fü S III 1, Folgen des Austritts Griechenlands aus der militärischen Integration, 9.10.1974, S. 2 f. TNA, FCO 41/1695, UK Delegation to NATO, Memorandum, Greece and NATO, 31.1.1975, S. 4 f. Senate Delegation Report, S. 24. Vgl. dazu die Dokumentation in TNA, FCO 9/2228. Freundlicher Hinweis von Stefan M. Brenner, der in seiner kommenden Studie die Ereignisse und Verhandlungen insbesondere zur problematischen Frage der Waffenembargos genauer analysieren wird. Eine ausführliche Darstellung der Geschehnisse um Apex Express 82 unten S. 270‑272.

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Bereits vor Ort befindliche Truppen auch der Bundeswehr mussten unverrichteter Dinge wieder abziehen. Es entstand beträchtlicher Imageschaden. Insgesamt verschärfend wirkte sich aus, dass, auch in der Öffentlichkeit, beide Staaten als Opfer propagiert und gleichzeitig die Amerikaner eines egoistischen Macht- und Finanzstrebens, ja sogar kapitalistischer oder gar imperialistischer Unterdrückung bezichtigt wurden. Schließlich wurde behauptet, dass Griechen oder Türken nur als Bauern innerhalb der bipolaren Konfrontation dienten, ohne die eigenen Interessen angemessen wahrnehmen zu können. Die Interessenkonflikte mit den Türken speisten sich auch aus dem Waffenembargo des US-Senats im Gefolge der türkischen Invasion auf Zypern 1974. In diesem Zusammenhang betonte Kissinger im Gespräch mit den Senatoren Michael Mansfield, James Fulbright und anderen, dass es um die Bündniskohärenz dort nicht zum Besten stehe und im Falle einer Krise größte Schwierigkeiten zu erwarten seien. »The potential for the Turks getting out of NATO is greater than Greece. There is no sympathy with Americans in Turkey and there is always the possibility of a Qaddafi-type coup. If the Turks should throw in with the Arabs, we would be in trouble503.« Krisenmanagement blieb in dieser Region weiter eine unabdingbare Fähigkeit der USA und der NATO. Im Zuge dieser Krise trat auch die nicht immer leicht festzustellende Haltung der Deutschen deutlicher zutage. Innerhalb von Fü S wuchsen die Sorgen, und so machte man sich alsbald daran, die möglichen Konsequenzen der türkischen Invasion auszuleuchten. Die Erkenntnisse daraus führen zum Kern des deutschen Verständnisses in Bezug auf die Südostflanke und sind daher nicht hoch genug zu bewerten504. Drei grundlegende Themen kamen zur Diskussion: 1. die politischen Folgen, 2. die militärischen Folgen und 3. die grundsätzlichen Interessen der Bundesrepublik in dieser Region. Hinsichtlich der politischen Folgen stand der Schaden für die Kohärenz und die darauf basierenden Fähigkeiten für Abschreckung und Krisenmanagement im Vordergrund505. In Bonn befürchtete man, wie überall in der Allianz, dass die Griechen die NATO für die türkische Invasion verantwortlich machten und im Extremfall die 503

504

505

FRUS 1969‑1976, vol. 30, Dok. 211: Memorandum of Conversation, 26.9.1974, . Vgl. ebd. auch die folgenden Dokumente zur Bedeutung des Waffenembargos (insbes. Dok. 217, 240 f.). Es ist allerdings eine Einschränkung zu machen, da Kissinger in diesem Gespräch sicher auch taktische Ziele verfolgte. Die entscheidenden Dokumente dazu in BArch, BW 2/6707, z.B. Fü S III 1, Militärische Folgen des Zypernkonflikts, 19.9.1974, und Fü S III 1, Haltung der Türkei zum Austritt Griechenlands aus der militärischen Integration der NATO, 24.6.1975; ebenso BArch, BW 2/6722, z.B. Fü S III 1, Die Lage an der Südostflanke, Austritt Griechenlands aus der militärischen Bündnisintegration, 23.10.1974; Fü  S III  1/Fü  S III  2, Militärische Folgen des Zypernkonflikts, 16.9.1974; Fü  S III 1, Kurze Bewertung der Lage an der Südflanke der NATO, mögliche Folgen der Zypernkrise, 12.9.1974, Generalinspekteur, Vermerk über mein Gespräch mit Staatssekretär Gehlhoff am 16.8.1974 im Auswärigen Amt, 19.8.1974, jeweils mit teils ausführlichem Begleitmaterial. Vgl. im Folgenden grundlegend hier. Die aktuellen Lageberichte von Fü S II und der deutschen Botschaften in Ankara und Athen während der Zypernkrise 1974 geben dagegen zwar Aufschluss über die direkte Situation und den Krisenverlauf, sie sind jedoch für die Analyse der Folgen für die NATO nur bedingt brauchbar. Siehe dazu die Akten in: BArch, BW 2/6720, Bw 2/10060 bis 10063. Im Folgenden werden dazu nur die wesentlichen Aspekte aufgezeigt; eine ausführlichere Analyse demnächst bei Brenner, Der griechisch-türkische Konflikt. Vgl. einstweilen Pelt, Tying Greece to the West, der allerdings sehr stark auf wirtschaftliche Aspekte fokussiert und fast nichts zur politischen Rolle der Bundesrepublik in Griechenland während der Junta-Zeit 1967‑1974 aussagt.

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NATO ganz verließen. Der ganze Konflikt bot ferner für den Ostblock eine exzellente Gelegenheit, einzelne Mitglieder stärker an sich zu binden, die NATO zu spalten und mit dem Zugang zum Bosporus den »alten Traum« Russlands wahrzumachen506. Fü S erkannte vor allem eine Tendenz im griechischen Volk, insbesondere bei den zypriotischen Griechen, zur Annäherung an die Sowjetunion. Im Übrigen konstatierte man die Unberechenbarkeit des griechischen Bündnispartners: »Die temperamentbedingte Labilität in der griech. Außen- und Militärpolitik drängt die Frage auf, wie weit sich langfristige Kooperationsperspektiven mit einem Land erarbeiten lassen, das so sehr dem Augenblick lebt507.« Zudem waren sich die Griechen sehr wohl bewusst, wie sehr sie den Türken militärisch auf Zypern unterlegen waren,weswegen sie sich innen- und außenpolitisch lautstark bemerkbar machten508. Die Griechen ziehen weniger ihre Militärdiktatur für den Einmarsch der Türken, obwohl die Junta wegen ihrer ineffizienten militärischen Abwehr hatte zurücktreten müssen, als vielmehr die NATO. Fü S sorgte sich auch wegen des ungeklärten Verhältnisses auf türkischer Seite zwischen Militärs und ziviler Regierung. Für Zypern konnte deutscherseits gar eine »Generalbereinigung« zur Klärung aller Probleme auf militärischem Wege nicht ausgeschlossen werden, auch aufgrund eines immer noch bestehenden türkischen Minderheitenproblems gerade in Thrazien509, einem der neuralgischen Punkte des Bündnisgebietes510. Ferner war zu befürchten, dass Ankara eine Erpressungspolitik gegenüber der NATO oder einigen der Partnerländer fahren würde. Gewicht erhielten außerdem Befürchtungen hinsichtlich eines explizit auch so bezeichneten »Domino-Effekts«511, also entsprechender Distanzierungstendenzen. Hier wurden als mögliche Wackelkandidaten genannt: die Niederlande, Island und Italien. Im Übrigen verwies man offen auf globale Konfliktherde wie Vietnam und den Nahen Osten. Niemand wusste, wie sich die Verhältnisse gestalten würden. Zwar hatten sowohl Griechen als auch Türken große wirtschaftliche Probleme, aber Bonn traute Ankara, 506

507 508 509 510 511

Besonders deutlich: BArch, BW 2/10062, Drahtbericht Deutsche Botschaft in Athen, 24.7.1974, Zypernfrage, hier: neue griechische Regierung. Botschafter im Gespräch mit dem griechischen Ministerpräsidenten: »ob man in griechenland ganz aus dem auge verloren hätte, dass bulgaren ausgang zur aegaeis anstrebten? Politische chance ostblocks muessten zunehmen, wenn sich griechen und tuerken im kampf verausgabt haetten. Erhaltung des friedens liege daher im wohlverstandenen nationalen interesse beider laender.« Indes konstatierte man aufseiten des Ostblocks eher Mäßigung: BArch, BW  2/10060, Fü  S  II  2, Beitrag zur Bundeskanzlerlage am 20.8.1974, 19.8.1974, S.  4‑6; sowie BArch, BW  2/10061, Deutsche Botschaft Ankara, Drahtbericht vom 7.8.1974, sowjetische haltung zum zypernkonflikt. Dies ging möglicherweise auf Befürchtungen in Moskau hinsichtlich der Destabilisierungstendenzen im eigenen Lager zurück – ein Aspekt, dem in der Forschung künftig prominente Bedeutung beigemessen werden sollte. BArch, BW 2/6722, Fü S II 4, Griechisch-türkischer Konflikt (Woche 22.‑28.1.1975), 28.1.1975, S. 3. BArch, BW 2/10062, Deutsche Botschaft Athen, Drahtbericht vom 7.8.1974, Zypern, roem2 und roem3. Im griechischen West-Thrazien lebten ca. 110  000  Türken. BArch, BW  2/10062, Deutsche Botschaft Athen, Drahtbericht vom 7.8.1974, Zypern, roem4, 3. BArch, BW 2/6722, Fü S II 4, Beitrag Fü S II 4 zur Zypernkrise (Stand: 28.8.1974), 28.8.1974, S. 8. Dazu auch BArch, BW 2/6707, Fü S III, Mutmaßlicher Austritt Griechenlands aus der militärischen Integration der NATO, hier: Erste militärpolitische Kurzbewertung, 14.8.1974, S. 2.

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das in der Folge mit einem Waffenembargo belegt wurde, durchaus zu, Waffen und Ausrüstung notfalls auch beim Gegner zu besorgen, eventuell sogar mit arabischer Finanzhilfe. Besonders düster gestaltete sich die militärische Lage nach der Invasion. Zunächst einmal hatten sich, wie auch Fü  S bemerkte, im Zuge der türkischen Invasion eklatante militärische Defizite auf beiden Seiten offenbart512. Die Griechen waren zu keiner Zeit in der Lage, der türkischen Armee Paroli zu bieten, nicht nur wegen der für die Griechen ungünstigen strategischen Lage Zyperns. Der Zustand der griechischen Streitkräfte gab nicht gerade Anlass für Optimismus: »Die griech. Streitkräfte leben heute in einem merkwürdigen Spannungsverhältnis: Einerseits stark nationalistische Worte, Aufrechterhalten der Generalmobilmachung, andererseits Tatenlosigkeit und Verhaftung der bisherigen Führungsspitze wegen Hochverrats und anderer Verbrechen. Die Moral in der Truppe hat in letzter Zeit erheblich nachgelassen; die Einsatzbereitschaft dürfte weiter gesunken sein513.« Die Türken ihrerseits hatten trotz merklicher Überlegenheit während der Besetzung Rückschläge zu gewärtigen und konnten ihre Ziele erst nach großen Schwierigkeiten und unter teils hohen Verlusten erreichen514. Die angeheizte türkische Öffentlichkeit reagierte darauf mit Enttäuschung und Kritik515. Dies wog besonders schwer, hatte man in der NATO bislang doch gehofft, dass die türkische Armee über markante Schlagkraft verfügte. Die Folgen für die NATO wurden als besorgniserregend beschrieben. Es ging insbesondere um die strategische Bedeutung Griechenlands als Brücke der gesamten Südostflanke, als Barriere gegenüber Bulgarien und nicht zuletzt als Brückenkopf zu den mediterranen Gegenküsten in Nordafrika516. Durch die Maßnahmen Athens im Gefolge des Austritts Griechenlands aus der militärischen Integration gerieten die Bündnisstrukturen, die Kommunikationseinrichtungen, die ohnehin nur mäßige militärische Schlagkraft und damit die Verteidigungsfähigkeit im Ganzen ins Wanken. So sagten die Griechen und die Türken etwa ihre Teilnahme bei WINTEX 75 ab517. Besonders schwer wog auch das Verbot, Übungen der AMF auf griechischem Boden abzuhalten. 512

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Dadurch entstand die durchaus widersprüchliche Situation, dass sich beide Staaten zwar entschlossen zeigten, in Thrazien sofort gegeneinander anzutreten, dies jedoch nicht gerade überzeugend wirkte. Vgl. dazu BArch, BW 2/6720, Fü S II 2, Zypernkrise, 15.8.1974. BArch, BW 2/6722, Fü S II 4, Griechisch-türkischer Konflikt (Woche 19.‑25.5.1975), 25.2.1975, S. 3. Genauere Angaben dazu in den Lageberichten in BArch, BW 2/10060 bis 10063. BArch, BW 2/6720, Fü S III 2, Erste Auswirkungen der Zypernoperation auf die innere Lage in der Türkei. Offenbar hingen die militärischen Schwierigkeiten der Türken auch damit zusammen, dass sie auf Zypern zu früh und mit zu schwachen Kräften angetreten waren. BArch, BW 2/10060, Fü S II, Zypernkrise, 5.8.1974, S. 2 und 6; ebd., Fü S II 2, Beitrag zur Bundeskanzlerlage am 20.8.1974, 19.8.1974, S. 2 f. Vergleichbare britische Einschätzungen (wenn auch etwas nüchterner) in TNA, FCO 41/1484, DPS B Team (J. Garnier), Military Implications of Greek Withdrawal from NATO sowie Attachmand to COS (Misc) 524/752, A Preliminary Assessment of the Consequences of Greek Withdrawal from the Military Structure of NATO, 16.8.1974; und v.a. TNA, FCO 9/2228, DP Note 207/75, COS Committee, Military Consequences of Greek Withdrawal from the NATO Integrated Military Structure, Note by the Defence Policy Staff, 12.5.1975. BArch, BW 2/6722, Fü S II 4, Krisenherde (Woche 26.2.‑4.3.1975), 4.3.1975, S. 3; und BArch, BW 2/6707, Haltung der Türkei zum Austritt Griechenlands aus der militärischen Integration der NATO, 24.6.1975.

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Damit fiel ein wesentlicher Aspekt der Bündnissolidarität weg, nämlich der Einsatz bzw. die Manöver von Bündnistruppen aus Mitgliedsländern, die nicht zur Flankenregion zählten. Dies war ein auch nach außen sichtbarer Verlust an Glaubwürdigkeit. Hinzu kam, dass, anders etwa als im Mittelabschnitt, praktisch keine Truppen anderer NATOPartner in der Region dauerhaft stationiert waren. So blieb als Rückgrat wieder einmal nur die 6. US-Flotte, die auf die Basen auf griechischem insularem Boden angewiesen war, deren Nutzungsrechte die Griechen jedoch infrage stellten. Überaus problematisch war auch, dass Truppen, die eigentlich für die gemeinsame Bündnisverteidigung vorgesehen waren, jetzt gegeneinander positioniert wurden. Dies betraf nicht zuletzt britische Einheiten, die als Sicherheitsreserve auf Zypern stationiert werden mussten und dadurch dem Mittelabschnitt verlorengingen, der ohnehin zu gewärtigen hatte, dass die Britische Rheinarmee durch den Konflikt in Nordirland spürbar geschwächt wurde. Aus deutscher Sicht hatte man im Wesentlichen nur die Möglichkeit, die Streithähne behutsam bei der Stange zu halten und zu vermitteln. Als Hauptmittel sah man den Einfluss über die Wirtschafts- und Militärhilfe. Die Deutschen waren daher nicht begeistert, als die Amerikaner ein Waffenembargo gegen die Türken beschlossen. Die Beratungen innerhalb der Bundesregierung in strategischer Hinsicht führten schließlich zu einem entscheidenden Treffen zwischen Generalinspekteur Admiral Armin Zimmermann und dem Staatssekretär im Auswärtigen Amt Walter Gehlhoff, bei dem die deutschen Interessen in ihrem ganzen Ausmaß sichtbar wurden. Bei aller sonstigen Konzentration auf den Mittelabschnitt gestand man der Südostflanke ein nicht zu unterschätzendes, zunehmendes Eigengewicht zu518. Der Kern der deutschen Haltung, die von Zimmermann als auch von Gehlhoff festgehalten wurde, kulminierte in folgender Aussage: »Unsere Sorge gelte der Zukunft der Allianz und der Gefahr ihrer Schwächung an der Südflanke. Unser Interesse sei darauf gerichtet, die Stabilität zu erhalten und darauf zu achten, daß nicht andere aus der gegenwärtigen Situation Nutzen ziehen519.« Das bedeutete, dass man Mittel aufbringen würde, um die Südostflanke stabil zu halten und die Übungen der AMF trotz aller Widerstände fortzuführen520. Gehlhoff wies resümierend auf die Prioritäten hin, sollte sich die Notwendigkeit ergeben, entsprechende

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»Nebenbei bemerkt, scheint mir der Zypernkonflikt geeignet, die Bedeutung der Flankenländer auch den Bündnispartnern ad oculos zu demonstrieren, die diese Länder bei der Erörterung einer ›europäischen Verteidigung‹ allzu leichtfertig auszuklammern geneigt sind.« BArch, BW 2/6707, Fü S III 1, Militärische Folgen des Zypernkonflikts, 19.9.1974, S. 12. BArch, BW 2/6722, Generalinspekteur, Vermerk über mein Gespräch mit Staatssekretär Gehlhoff am 16.8.1974 im Auswärigen Amt, 19.8.1974, S. 1 f. Die deutsche Interessenlage sehr deutlich auch in BArch, BW  2/6722, Fü  S III  1, Zypernkonflikt, hier Militärpolitische Bewertung des Zypernkonfliktes und Folgerungen für die NATO und die Bundesrepublik, 9.8.1974, S.  10. Vgl. dazu auch die Aussage von Helmut Schmidt im Zusammenhang mit deutsch-griechischen Sondierungen zum Beitritt Griechenlands in die EWG in TNA, FCO 9/2228, Britischer Botschafter in Bonn, Visit of Mr. Karamanlis and Mr. Bitsios, 22.5.1975, und ebd., Britische Botschaft an South East European Department, Visit of Mr. Karamanlis and Mr. Bitsios, 26.5.1975. Vgl. zus. die Verlautbarung des deutschen NATO-Botschafters Krapf in: ebd., UKDEL an FO, Greece and NATO, 12.5.1975. Zur Rolle der Bundesrepublik als stabiliserender Faktor für Griechenland vgl. Pelt, Tying Greece to the West, v.a. Kap. II and III, etwa S. 281 f. und S. 297‑303. BArch, BW  2/6722, FüS  III  1, Zypern-Konflikt, hier militärpolitische Bewertung des Zypernkonfliktes und Folgerungen für die NATO und die Bundesrepublik, 9.8.1974, S. 11.

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Entscheidungen zu treffen: »Wenn man eine kühle Rechnung aufmache, seien beide Länder unsere Verbündeten, für die NATO sei letztlich aber die Türkei wichtiger521.« Die Briten sahen die Gesamtlage im Wesentlichen ähnlich. Aggressives Vorgehen oder gar Bestrafung der Griechen, wie dies in den NATO-Spitzengremien zum Teil verlangt wurde522, kam nicht infrage. Hingegen war kühl abzuwägen, um ggf. auf einen Wiedereintritt der Griechen hinzuarbeiten. Dabei setzte London auch auf die Atomwaffen. Athen wiederum hoffte auf die Unterstützung der Amerikaner, um die eigene Verteidigungsfähigkeit erhalten zu können. Konkret dachten die Griechen an die taktischen Atomwaffen, die die Amerikaner vor Ort stationiert hatten523. Washington war jedoch nur verpflichtet, die Waffen im Zusammenhang mit der integrierten NATOVerteidigung bereitzustellen524. Deswegen hofften die Griechen auch, in der Nuclear Planing Group (NPG) bleiben zu können, nachdem sie bereits aus den NATO-Kommandostrukturen ausgetreten waren. Hier hatte die NATO ein Argument, um möglichst viel Integration aufrechtzuerhalten525. Es bestand keine Alternative zu einem behutsamen, rational abwägenden Vorgehen. Das Fazit war eine konzise, aber genaue Darstellung der Lage:

»any attempt on the part of NATO to teach Greece a lesson (perhaps in the belief that this might deter other from following her example) by deliberately refusing further cooperation in the defence field would damage NATO interests severely. NATO would thereby be denied valuable military assets such as NADGE [...] Turkey would seriously isolated and neutralist tendences in Greece encouraged. The Soviet Union would benefit correspondingly. There are fortunately no indications that any of the 13 allied governments concerned would wish to enter negotiations in that spirit526.«

Auch in Bonn, das sich strikt geweigert hatte, die Griechen auf irgendeine Weise zu bestrafen527, hatte man im Sinne des Ganzen ein Interesse an der Südostflanke als integralem Teil der NATO. Um strukturelle Integrität, Lebensfähigkeit und Abschreckungswert der Allianz zu erhalten, war die Bundesregierung bereit, insbesondere finanzielle Hilfe zu leisten. Indes, und dies ist doch bezeichnend, gehörte die Entsendung größerer Truppenkontinengte nicht zu den gebotenen Mitteln. Damit änderte sich die Grundhaltung trotz der als sehr gefährlich angesehenen Krise von 1974 eigentlich nicht wirklich. 521

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BArch, BW 2/6722, Generalinspekteur, Vermerk über mein Gespräch mit Staatssekretär Gehlhoff am 16.8.1974 im Auswärigen Amt, 19.8.1974, S. 3. Dies sah das BMVg ebenfalls so. Vgl. dazu auch BArch, BW  2/6707, Fü  S III  1, Folgen eines NATO-Austritts der Türkei, Hintergrund, 24.6.1975. TNA, FCO  41/1695, UK Delegation to NATO an FCO, Western Organisations Department, Greece and NATO, 20.1.1975, S. 1 f. TNA, FCO 41/1695, UK Delegation to NATO, Memorandum, Greece and NATO, 31.1.1975, S. 1, 4, 6, 8. TNA, FCO 41/1695, K.C. Macdonald, Greece and NATO, 12.2.1975. TNA, FCO  41/1695, UK Delegation to NATO an FCO, Western Organisations Department, Greece and NATO, 20.1.1975, S. 1. TNA, FCO 41/1695, UK Delegation to NATO, Memorandum, Greece and NATO, 31.1.1975, S. 3. TNA, FCO  41/1695, UK Delegation to NATO an FCO, Western Organisations Department, Greece and NATO, 20.1.1975, S. 2.

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Gleiches galt auch für Paris, trotz etwas anderer Rahmenbedingungen und anders formulierter Interessen im Mittelmeer. Die wenig bündniskonformen Franzosen betätigten sich an der Südostflanke zunächst mit politischen Offerten. Paris hatte 1959, quasi im Vorgriff zum Austritt aus den militärischen Kommandostrukturen der NATO Mitte der sechziger Jahre, ihre schweren Marineeinheiten an die Atlantikküste verlegt. Alsbald aber engagierte man sich wieder in der Region und propagierte einen eigenen Weg unabhängig von den Supermächten, auch wenn Frankreich, wie etwa in Deutschland, weiterhin mit der NATO zusammenarbeitete528. Die Franzosen stimmten mit der Kritik aus der Türkei und aus Griechenland überein und schlugen einen dritten Weg (»Third Force«) vor: eine mediterrane Sicherheitsgemeinschaft aller Anrainer. Dieser Gemeinschaft war, wie einem vergleichbaren Projekt, das Paris 2008 in Gang setzte (Mittelmeerunion), kein Erfolg beschieden. Die Idee gab aber der Regierung in Athen, die ihren Handlungsspielraum fortgesetzt zu erweitern trachtete, Rückenwind. Letztlich hielt sich auch das Engagement der Franzosen gerade im militärischen Bereich doch in engen Grenzen529. Beim Betreiben einer unabhängigeren Politik gegenüber der NATO und den Amerikanern spielte auch die Entspannungspolitik eine Rolle. Die als zunehmend offen und friedlich interpretierten Beziehungen zwischen Ost und West dienten, trotz aller Rückschläge und der immer stärkeren Kritik gerade aus den USA an der Détente, den Griechen als Anreiz oder zumindest als Legitimation für eine Annäherung an den Ostblock530. Dies wurde vor allem von der ab 1981 im Amt befindlichen Regierung des Sozialisten Andreas Papandreou betrieben, der gleichzeitig, wie schon sein konservativer Vorgänger Karamanlis, den Amerikanern in der Frage der Stationierung von Streitkräften auf Militärbasen in Griechenland entgegentrat531. Zwar mussten die US-Streitkräfte das Land nicht verlassen, aber es kam zu Einschränkungen bei den Rechten für die Nutzung militärischer Anlagen. Gleichzeitig wurden die Amerikaner zu vermehrten Hilfen im finanziellen Bereich veranlasst. Vor diesem Hintergrund hatte das Pentagon bereits Mitte der siebziger Jahre erwogen, die ständig in Griechenland stationierten Zerstörer abzuziehen, was wiederum größte Besorgnis bei Kissinger auslöste, der die Glaubwürdigkeit der NATO-Solidarität dadurch ernsthaft gefährdet sah. »I don’t want to start the process [of possible withdrawal of destroyers] without a careful NATO consideration of it, because all the arguments that apply to Greece will apply to Western Europe and, the next thing 528

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Kaplan/Clawson, NATO and the Mediterranean Powers; Chipman, Allies in the Mediterranean, S. 70‑75; und Chipman, NATO and the Security Problems, S. 12 f.; Rowden, The Mediterranean, S. 24 f.; und Martel/Carlier, France and the Mediterranean, S. 129‑136. Siehe dazu unten S. 191. Papacosma, Greece and NATO, S. 207‑213. Zum Balanceakt der Regierung Karamanlis in Bezug auf die NATO sehr gut FRUS 1969‑1976, vol.  30, Dok.  55: Interagency Intelligence Memorandum, 24.10.1975, v.a. Abschnitt »The US and NATO« ; insbes. das Kerndokument: ebd., Dok. 56: Paper Prepared in Response to National Security Study Memorandum 222, US and Allied Security Policy in Southern Europe, 15.12.1975 . Dies war indes nicht immer so gewesen. In den fünfziger Jahren hatten die griechischen Regierungschefs von der NATO massive Anstrengungen für eine wirksame Vorwärtsverteidigung verlangt und der Generalstab entsprechende, teils recht optimistische Szenarien entwickelt. Chourchoulis, A Nominal Defence?, S. 651.

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you know, the signal of a general American withdrawal532.« In diesem Zusammenhang wurde auch die heute wieder überaus aktuelle Frage diskutiert, ob eine eingeschränkte Mitgliedschaft wie im Falle Frankreichs und Griechenlands einem Bündnis nützlich sei. Aus US-Sicht kam derlei keinesfalls infrage, weil dadurch die Bündniskohärenz litt. Auch nur erste Erwägungen seien hier schädlich.

»A Jagged Alliance? We probably could force other Allies to accept the expulsion of members who opt for only partial participation (e.g., Greece), but at considerable cost to harmony in what was left of the Alliance. Moreover, expulsion would likely lead to the loss of all US military installations in the country concerned and of whatever US influence remained, as well as foreclose the possibility of some (e.g., Greece) eventually returning to full membership. Allowing partial Alliance membership, on the other hand, would tend to undermine its effectiveness and coherence and encourage others to opt for the political and strategic advantages of NATO membership while contributing little or nothing to its conventional military arm. It might also undermine public support in the US for an alliance in which we seemed to be carrying the burdens while others enjoyed the benefits at small cost533.«

Doch nicht genug, besuchte im Februar 1981 der sowjetische Ministerpräsident Nikolaj A. Tichonov auch noch Athen. Er schloss einige Abkommen ab, die von öffentlicher Kritik Papandreous an der Atomrüstung, auch am NATO-Doppelschluss, begleitet wurde. Als noch verheerender für die NATO erwies sich die Tatsache, dass die griechische Regierung ein neues nationales Strategiekonzept entwarf, das die Verteidigungsprioritäten offiziell in den Osten verlagerte, und gleichzeitig von der NATO eine Garantie hierfür verlangte534. Die griechische Regierung betrachtete also nicht mehr den Warschauer Pakt, und hier vor allem Bulgarien und die Nordgrenze als Hauptgefährdung, sondern die Türkei. Auch die Türkei näherte sich der UdSSR an, vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht535. So wurde etwa ein Staudammprojekt mit Mitteln aus Moskau finanziert, was den Löwenanteil der sowjetischen Entwicklungshilfe eines Jahres verschlang. Gleichzeitig bemühte sich Ankara um eine engere Anbindung an die Staaten des Mittleren Ostens, auch an ausgesprochene Problemländer und sogar Feinde der Amerikaner, und machte andererseits Schwierigkeiten bei den Verhandlungen über die militärische Zusammenarbeit mit Washington. Hier stand, ähnlich wie bei den Griechen, die Nutzung von Militärbasen im Fokus, die von Ankara selbst für NATO-Zwecke nicht ohne Weiteres für alle Zeiten genehmigt wurde536. Man verbat sich etwa die Einbeziehung der Stützpunkte 532

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FRUS 1969‑1976, vol.  30, Dok.  32: Minutes of Secretary of State Kissinger’s Staff Meeting, 13.1.1975, ; ebd., Dok.  38: Telegram From the Department of State to the Mission to the North Atlantic Treaty Organization and the Embassy in Greece, Subject: Greece and NATO, 15.3.1975 . Zum Hintergrund vgl. auch Dok.  31, 33, 35‑37, 39 f. Für die historisch-politischen Rahmenbedingungen vgl. Pelt, Tying Greece to the West. FRUS 1969‑1976, vol.  30, Dok.  56: Paper Prepared in Response to National Security Study Memorandum  222, US and Allied Security Policy in Southern Europe, 15.12.1975, . Kourvetaris, The Southern Flank of NATO, S. 441. Zum Folgenden vgl. grundsätzlich CSIA, Instability and Change on NATO’s Southern Flank, S. 171‑176; Brown, Delicately Poised Allies, S. 62 f.; Snyder, Defending the Fringe, S. 46 f. Zu den Zusammenhängen zwischen US-Militärbasen und türkischer Innenpolitik vgl. Holmes, Social Unrest, v.a. Kap. 2.

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bei militärischen Aktionen im Mittleren Osten oder zur Verstärkung der RDF – auch aus Rücksicht auf die teils sensiblen Beziehungen zu den arabischen Staaten. Die Türkei wandelte sich vom loyalen Bündnispartner mit ›einfachem‹ Sicherheitsbedürfnis in einen eigenständig handelnden Machtfaktor mit multikomplexen und multiperspektivischen, teils auch widersprüchlichen Zielen. Je mehr sich das Land als »Brücke« zwischen Ost und West gerierte, desto stärker spielten politisches Kalkül und Machtpoker eine Rolle. Die Zeiten, in der dem Westen und der NATO in allen Dingen immer der Vorrang zukam, waren vorbei. In der US-Regierung hatte man dies erkannt: »Turkey attaches great importance to its NATO role, both in terms of Turkey’s defense and of its political identity as a western European country [...] In the longer term, Turkish disillusionment with the US could intensify Turkey’s basic re-appraisal of all its security relationships and of its general foreign policy orientation. Decisions based on such a reappraisal are not likely to be hasty, as Turkey judges whether NATO can meet what Turkey perceives to be its needs in the absence of a special US-Turkish relationship537.«

Wie schon bei den Griechen drohte für den Fall, dass die Türkei auf Distanz zum Westen ging, eine erhebliche Schwächung mit zahlreichen damit verbundenen Gefahren.

»This is not to suggest that if the partnership does disintegrate the Turks will switch sides in the Cold War. Initially they will probably not leave NATO. What will take place, however, (along with a probable increase in Greek-Turkish tensions) is (1) a disintegration of strength on the eastern flank of NATO; (2) the creation of a power vacuum in this area with all the obvious dangers this entails; and (3) a serious diminution of the US presence in the Eastern Mediterranean, along with all that this in turn entails not only for our NATO interests, but also for our interests with respect to Israel and the rest of the Middle East538.«

Die Amerikaner befanden sich in einer Zwickmühle. Papandreou – hier sind eindeutige Parallelen zu den heutigen Problemen zu erkennen – sparte nicht mit Kritik am Westen und betonte die nationale Eigenständigkeit, auch um die Gunst seiner Wähler nicht zu verlieren. Zum fortgesetzten Ärger Washingtons engagierte er sich lautstark im Nahen Osten und unterstützte zumindest rhetorisch die PLO. Die Türken gingen infolge ihrer größeren Nähe und Abhängigkeit von den südlichen und südöstlichen Nachbarn leiser und diplomatischer vor und hofierten beide Seiten. Das Verhältnis zu Israel bildete dabei einen wichtigen regionalen Faktor, der über das Ende Ende des Kalten Kriegs hinausreichte539. Eine feine, aber entscheidende Linie überschritten Griechen und Türken jedoch nicht. Papandreou bzw. die griechischen Militärs änderten die konkrete Dislozierung der Streitkräfte nicht, deren Stoßrichtung im Wesentlichen auf den Norden und nicht die Türkei zielte. Das Gleiche galt für die türkische Regierung, die nach dem Militärputsch von 1980 weniger auf die öffentliche Meinung Rücksicht nehmen musste. Die ›Hauptfronten‹ Thrazien, Südgrenze und Ostanatolien standen weiter im Zentrum der Verteidigungsanstrengungen. Das Verhältnis zur Sowjetunion im politischen wie im mi537

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FRUS 1969‑1976, vol.  30, Dok.  234: Paper Prepared in Response to National Security Study Memorandum, US Security Policy toward Turkey, 20.8.1975 . FRUS 1969‑1976, vol. 30, Dok. 247: Telegram From the Embassy in Turkey to the Department of State, 8.11.1976 . Papacosma, Greece and NATO, S. 211.

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litärischen Bereich gestaltete sich nicht zuletzt aufgrund der gemeinsamen Grenze und der gefühlten Bedrohung stets ambivalent540. Die Griechen erkannten, dass sie trotz allen Getöses sicherheitspolitisch ohne die NATO nicht auskamen und wichtige militärische Entscheidungen nicht mehr beeinflussen konnten, daher beantragten sie die Wiederaufnahme in die militärischen Strukturen der Allianz. Ausschlaggebend für diesen Schritt war auch der Wunsch nach Aufnahme in die EWG, was sich wiederum in der griechischen Öffentlichkeit niederschlug541. So wie dort 1974 der Austritt gefordert wurde, entstand nun die Forderung nach einer Reintegration. Die Türken lehnten derlei anfangs ab, lenkten aber wegen der sowjetischen Invasion in Afghanistan und der Geschehnisse im Iran ein. De facto kamen beide an der Westbindung nicht vorbei; ein Gleiches galt für die wirtschaftliche Abhängigkeit vom Westen542. In den turbulenten Jahren bis 1980/81 hatte man gewissermaßen den äußersten Rahmen ausgetestet und integrierte sich nun mit gemäßigteren Zielen wieder stärker in den NATO-Verbund. Das bedeutete freilich nicht, dass die Hauptprobleme gelöst waren – im Gegenteil. Auch die prekären Wechselwirkungen zwischen Innen- und Außenpolitik setzten sich fort und wirkten latent destabilisierend. Die Parallelen zur Nordflanke, etwa den Vorbehalten, Einschränkungen und Befindlichkeiten der Norweger und Dänen, sind offensichtlich, auch wenn dort die Lage nicht annähernd so explosiv war wie im Süden. In den USA beschäftigten sich daher Experten mit den entsprechenden Fragen und entwickelten Konzepte zur dynamischen Stabilisierung der Südflanke543. Sie empfahlen die Rücksichtnahme auf innenpolitische Befindlichkeiten und den behutsamen Umgang mit den Problemen bei gleichzeitiger Wahrung der besonderen Souveränitätsansprüche Athens und Ankaras vor allem in der Öffentlichkeit. Man konstatierte die noch vorhandene, relative Rückständigkeit im politischen, wirtschaftlichen und militärischen Bereich und strich die positiven Aspekte wie die zumindest im Kern existente Westbindung beider Staaten heraus. In durchaus machtpolitischer Weise und verschiedentlich sogar mit klar manipulativem Ansatz empfahlen die Experten ein kontinuierliches innen- und außenpolitisches Wirken und das Streben nach einem graduellen Stabilitätsgewinn bei gleichzeitiger Zurückhaltung mit harten Maßnahmen. Diese Gangart behielten die Amerikaner bis zum Ende des Kalten Krieges bei544. 540

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Senate Delegation Report, S. 11 f., 22 f., 26 f. Der Bericht beurteilte die Türken als die zuverlässigeren und auch reiferen Partner, die Griechen als unsichere Kantonisten und engstirnige Nationalisten. Insbesondere wurde nicht mit Kritik an Papandreou gespart. Vgl. dazu die Aktendokumentation in TNA, FCO  9/2228 und FCO  41/1695 (dort auch der Versuch, die Folgen des Austritts durch Verhandlungen zu minimieren). Freundlicher Hinweis von Stefan M. Brenner. Dies stellte ein durchgängiges Element im Kalten Krieg dar. Schon in den fünfziger Jahren hatten die anderen NATO-Partner Anstrengungen zu unternehmen, um einen wirtschaftlichen Bankrott der Türkei abzuwenden. Chourchoulis, A Nominal Defence?, S. 647 f. CSIA, Instability and Change on NATO’s Southern Flank, S. 150‑177; sowie Chipman, Allies in the Mediterranean, S. 80‑82; und Chipman, NATO’s Southern Region. Zur Haltung von Kissinger im Rahmen einer Besprechung in Washington, der sich gegenüber einer direkten Einmischung oder gar offener Intervention in Griechenland ablehnend verhielt, ohne dies jedoch grundsätzlich auszuschließen: FRUS 1969‑1976, vol. 30, Dok. 12: Minutes of Secretary of State Kissinger’s Regional Staff Meeting, 20.3.1974 .

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Die Bundesregierung in Bonn unterstützte die amerikanische Politik an der Südostflanke weiterhin vornehmlich mit ökonomischen Mitteln. Nicht zuletzt Helmut Schmidt befürchtete Gefahren für den gesamten Westen im Falle einer Destabilisierung der Südflanke, weniger im militärischen, sondern mehr im politischen und wirtschaftlichen Bereich (Verbindungswege und Handelsrouten). Er leitete umfangreiche Wirtschaftsund Finanzhilfen für die angeschlagene Türkei ein und schnürte ein Hilfspaket inklusive Sachleistungen im Wert von mehreren Hundert Millionen DM545. Die Bundesrepublik übernahm in der NATO die Führungsrolle bei der Unterstützung Ankaras. Andere Bündnispartner sahen sich wegen mangelnder finanzieller Mittel und im Falle der Briten wegen der entsprechenden Haltung der Treasury dazu nicht in der Lage546. Militärisch hingegen blieb alles beim Alten. Auch Schmidt war nicht bereit, mehr Kampftruppen oder gar Großverbände an die Südflanke zu schicken. Abgesehen von temporären Besuchen und den Stationierungen auf NATO-Übungsplätzen trug Deutschland in nur sehr begrenztem Umfang zur AMF bei, d.h. mit einem Bataillon. Aus dieser von deutscher Seite aus grundsätzlichen Verfahrensweise heraus entstand wohl später, nach 1990, die »Scheckbuchdiplomatie«. Anstatt ein direktes, gar militärisches Eingreifen anzustreben, verlegte sich Bonn auf finanzielle Zuwendungen und Wirtschaftshilfen. Für den Ernstfall war kaum damit zu rechnen, dass Bonn zusätzliche militärische Verbände in nennenswerter Stärke an die Südflanke schicken würde. Dies änderte sich erst im Laufe der neunziger Jahre. Die NATO hatte zwischen Adria und Taurus trotz der relativen Stabilisierung seit Anfang der achtziger Jahre eine angespannte Lage zu bewältigen. Die Zerwürfnisse und Brüche zwischen Griechen und Türken hinterließen dauernden Vertrauensverlust. Niemand konnte voraussagen, ob und wann die Kontrahenten wieder auf offenen Konfrontationskurs gehen würden. Im Zuge der Einführung der Flexible Response war als strategisches Grundproblem der Abbau der Bündnissolidarität infolge mangelnder Bereitschaft zu weiterer Erhöhung der konventionellen Kampfkraft in den Vordergrund getreten. Damit einher ging, zusätzlich noch verstärkt durch Konflikte um den Austritt der Franzosen, der Verlust an Glaubwürdigkeit. Das Vorgehen der Franzosen und die gleichzeitige Betonung der politischen Eigenständigkeit durch Athen und Ankara ließen wiederum das Gespenst einer Neutralisierung des Mittelmeerraumes, einer Art »Finnlandisierung«, hervortreten547. Es lag auf der Hand, dass der Ostblock angesichts der Schwächen in der strukturellen Integrität an der Südostflanke der NATO und angesichts der Annäherungen vonseiten der Türken und der Griechen versuchen würde, die NATO aufzuspalten. Hatte Moskau doch im Zuge der Verhandlungen den Türken einen Nichtangriffspakt vorgeschlagen, 545

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AAPD, 1980, Bd 1, Dok. 22, Aufzeichnung des Ministerialdirigenten Dröge und des Ministerialdirektors Fischer, Betr.: Türkeihilfe, S. 128‑144; Dok. 55, Aufzeichnung des Ministerialdirektors Hansen, Gespräch BM/Secretary Vance am 20.2.1980, S.  314  f. mit Anm.  20; Dok.  64, Telefongespräch des Bundeskanzlers mit Staatspräsident Giscard d’Estaing, S.  369, Anm.  11; Dok. 145, Botschafter Pauls, Brüssel (NATO) an das AA, 14.5.1980, S. 759, Anm. 5; Dok. 191, Botschafter Oncken, Ankara, an das AA, 26.6.1980, S. 1014, Anm. 11. TNA, DEFE 4/285, COS Committee, Confidential Annex to COS 20th Meeting/78, 28.11.1978, Item 2., DSACEUR – End of Tour Report, S. 3. Kaplan/Clawson, NATO and the Mediterranean Powers, S. 16 f.

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der ein gutes Stück weit den Vereinbarungen mit Finnland entsprach. Die Türken hatten dies indes abgelehnt548. Dennoch fürchteten die Amerikaner und die NATO »efforts to de-couple«549 der Sowjetunion, auch wenn es nicht an Stimmen fehlte, die zur Besonnenheit mahnten550. Man war also erneut bei dem politisch-militärischen Problemrelief angelangt, wie es in den offiziellen Strategiepapieren immer wieder genannt wurde: von politischen Störungsversuchen bis hin zu den »Local Hostile Actions« und der Gefahr einer möglichen Eskalation551. Insgesamt intonierte die ganze Region politisch einen dynamischen, teils konfrontativen Wechselgesang. Auf dem Balkan führten die Konflikte zwischen der Türkei und Griechenland ständig zu konfrontativer Vorgehensweise, vor allem in Bezug auf die direkten Nachbarn. Hatte etwa die Türkei Probleme mit einer benachbarten Macht, begann Griechenland sich genau an diese anzunähern und ein Stück weit für sich zu gewinnen. Das ganze System verselbstständigte sich ein ganzes Stück weit, und die Amerikaner, denen eigentlich die Rolle als Ordnungs- und Stabilitätsmacht mit ausgleichender Wirkung zukam (»federator«), hatten beileibe nicht immer das Heft fest in der Hand552. Flexibles Handeln war geboten. »In the coming years, both Greece and Turkey are likely to seek greater autonomy in their foreign relations, reducing to some extent their former dependence on the United States. The United States can hardly prevent this. Nor should it try so [...] What is needed is a new approach that balances the need for military cohesion with the impulse toward political change553.« Das Gleiche galt zumindest in diesem Punkt auch für den Nahen und Mittleren Osten, wenn dort auch weit größere Herausforderungen bestanden. Für die NATO verkomplizierte sich die Lage vor allem deshalb, weil die USA in der Wahrnehmung der regionalen Akteure als alleiniger Machtfaktor agierten und die Allianz die Folgen zu tragen hatte. Im State Department betrachtete man diese Verhältnisse als große Imponderabilie für die Bündnissolidarität und forderte das Ende aller Alleingänge und die Konzentration auf gemeinsames Krisenmanagement. »In a time of increasing tension, the taking precautionary and preparatory measures can have a very significant effect on further developments in a crisis [...] This is certainly true of situations intrinsic to the Alliance; the American alert during the Middle East crisis last year [Yom-KippurKrieg] is an example of the disadvantages of individual national action, even though that was admittedly not a NATO crisis554.« Dies zeigte sich bereits bei der Abgrenzung und Priorisierung der politischen und militärischen Handlungsräume. Wie bereits im Kapitel zu den WINTEX- und HILEXÜbungen dargestellt, arbeiteten die Amerikaner spätestens seit Anfang der siebziger 548 549 550 551 552 553 554

Manousakis, Der Islam und die NATO, S. 97 f. Brown, Delicately Poised Allies, S. 106. CSIA, Instability and Change on NATO’s Southern Flank, S. 172. Chipman, NATO and the Security Problems, S. 16 f. Chipman, Allies in the Mediterranean, S.  80‑82; und Chipman, NATO’s Southern Region, S. 370‑380. CSIA, Instability and Change on NATO’s Southern Flank, S. 176 f. TNA, FCO 41/1463, John Killick an Hugh Morgan und Mr. Tickell, WOD, The Long-Range Defence Concept for NATO, 16.10.1974, S. 1.

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Jahre auf die Einbeziehung des Mittleren Ostens in den strategischen Blickwinkel der NATO hin. Dies wurde auch in der öffentlichen Debatte massiv gefordert. Experten, die sich mit der Südflanke beschäftigten, verlangten die Revidierung der bisherigen Fokussierung, die eindeutig auf dem Mittelabschnitt gelegen hatte (»Central Front Bias«), und die Aufwertung der Südflanke. Manche entwickelten fast utopisch anmutende Gesamtkonzepte, die besonders stark auf die neuen Perspektiven und Bedürfnisse der Griechen und der Türken abhoben555. Diese enthielten die strategische Annäherung der Südflanke an den Mittleren Osten und eine dynamische und flexible Verbindung beider Schauplätze, verschiedentlich sogar deren direkte Verkettung. Dabei spielte auch die 6. US-Flotte, die keineswegs ausschließlich auf den europäischen Schauplatz hin ausgerichtet war, eine bedeutsame Rolle. Italienische Marineoffiziere bekräftigten diese Perspektive, nicht ohne nationale Hintergedanken. An einigen Stellen trat zumindest indirekt der alte »mare nostro«-Gedanke wieder zutage, d.h. die Kontrolle des ganzen Mittelmeeres inklusive aller Küsten durch Italien556. Diese Vorhaben gipfelten schließlich in der Forderung des italienischen Verteidigungsministers Lelio Lagorio, man solle eine vollkommen neue Einteilung der NATO-Kommandobereiche vornehmen. Die Südflanke solle den Mittelabschnitt abgeben, der bisherige Mittelabschnitt (Central Sector) würde zur Nordflanke. Die neue Südflanke sollte dann nach Afrika und Südwestasien reichen: »its potential ›Southern Front‹ ranges now from the Horn of Africa to the Gulf Region«557. Von der bisherigen Nordflanke war in diesem Zuge weniger die Rede – eine Aussicht, die bei den Norwegern und Dänen eher gedämpfte Begeisterung hervorgerufen haben dürfte. Im Zuge der Diskussionen um das Engagement der NATO außerhalb des Bündnisgebietes kam es dann zu einem revolutionären Vorschlag. So forderte der renommierte Experte für Verteidigung und Außenpolitik Jed C. Snyder558 einen informellen Kommandobereich der NATO für den Mittleren Osten einzurichten, der von den NATO-Partnern betrieben, aber nicht zur Allianz gehören sollte559. Als militärisches Einsatzinstrument schlug man die Bildung eines hochmobilen Einsatzverbandes vor, eine Mischung aus RDF und AMF, der zumindest ein Stück weit auch an Konzepte für Wüstensonderverbände aus dem Zweiten Weltkrieg erinnert560. Auf jeden Fall wurde die AMF in diesen Vorschlägen explizit als Folie genannt. Alle leistungsfähigeren NATOPartner sollten Verbände beisteuern, auch die Bundesrepublik. Außenpolitisch glich das Konzept in seinen Grundzügen der »Coalition of the Willing« im Dritten Golfkrieg. 555

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Zum Folgenden vgl. Snyder, Defending the Fringe, S. 71‑127; Chipman, NATO and the Security, S. 36 f. und S. 48; Karaosmanoglu, Turkey and the Southern Flank, S. 325 f. und 336 f.; Kuniholm, Turkey and NATO, S. 229‑231. Gabriele, Mediterranean Naval Forces, S. 75. Interim Report of the Subcommittee on the Southern Region, presented by Ton Frinking to the Political Committee, North Atlantic Assembly, Brüssel, Ooc AB206-PG/SR (84) 2, S. 47. Zit nach: Rossi, NATO’s Southern Flank, S. 48. Vgl. auch Brown, Delicately Poised Allies, S. 70; NATO and the Mediterranean, S. XII; und Gabriele, Mediterranean Naval Forces, S. 68. Snyder war unter anderem als »Senior Special Assistant to the Director of Politico-Military Affairs« im Department of State tätig (1981/82) und forschte bzw. lehrte am Woodrow Wilson International Center und an der John Hopkins Universität. Snyder, Defending the Fringe, S. 122. Vgl. dazu Lemke, Der Irak und Arabien, S. 232 f., 268‑288, 319‑324.

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Dass derlei keineswegs nur ein Hirngespinst entlegen arbeitender Theoretiker war, zeigen die Meinungen der wichtigsten NATO-Spitzenmilitärs der siebziger und achtziger Jahre. Aus unterschiedlichem Blickwinkel und in je unterschiedlicher Gewichtung gingen sie auf diese Forderungen und Perspektiven ein, kamen indes fast immer zum gleichen Ergebnis, das im Wesentlichen aus drei Punkten bestand: 1. Die bisherigen Grenzen der NATO (insbesondere die »Wendekreis«-Regelung) sind veraltet561. 2. Es muss alles getan werden, um den globalen Expansionsmus der Sowjetunion zu stoppen, insbesondere ihre maritime Ausbreitung und die Gefährdung der Lebensadern des Westens (vor allem Rohstoffe, Öl und Handel) . 3. Die Südflanke und der Mittlere Osten müssen erheblich stärker in den Fokus rücken und militärisch mehr gewürdigt werden. Diese Linie vertraten vor allem Haig, teils auch Goodpaster sowie die Vorsitzenden des Militärausschusses Hill-Norton und, eingeschränkt, Steinhoff562. Letzterer thematisierte in seiner zentralen Publikation der siebziger Jahre die entsprechenden Aspekte, wenn auch mit einer gewissen Zurückhaltung und vielleicht eher aus Pflichtempfinden als Vorsitzender des Militärausschusses. Dennoch kristallisierte sich hier eindeutig heraus: Südflanke und Mittlerer Osten avancierten bei allen unterschiedlichen und gegensätzlichen Ansichten und Perspektiven zu vorrangigen Themen für die NATO. Schon Lyman Lemnitzer hatte in seiner aktiven Zeit als SACEUR die Zusammenhänge zwischen der NATO-Südflanke und dem Mittleren Osten angesprochen563. Besonders bezeichnend war, dass Hill-Norton, obwohl Brite, die Nordflanke im zentralen Kapitel seiner Publikation zumeist ausblendete, wenn er auch im Text die üblichen rhetorischen Begründungen und Caveats hierfür bot564. Diese massiven Forderungen, die verschiedentlich sogar in ein regelrechtes verbales Feuerwerk ausarteten, führten nicht wirklich zu praktischen Veränderungen. Keineswegs unumstritten war, dass die Südflanke massiv in Planungen für Regionen außerhalb der Bündnisgrenzen einbezogen werden sollte565. Doch waren die beiden äußeren Verbündeten im Südosten wirklich derart extrem wichtig für den Mittelabschnitt? Gerade weil die Region in mehrfacher Hinsicht zergliedert und unübersichtlich war und schnelle Bewegungen häufig nicht in Betracht kamen, wurden Zweifel geäußert, ob eine umfassende Niederlage im Südosten rasche Auswirkungen auf das Schlachtfeld in der 561

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Bei ihrer Gründung im Jahre 1949 hatte die NATO festgelegt, dass die südliche Grenze ihres Verteidigungsbereiches durch den Wendekreis des Krebses markiert würde. Foot, Western Security and the Third World, S. 137 f. Hill-Norton, No Soft Options, S. 151‑157; Steinhoff, Wohin treibt die NATO?, S. 26‑31 und S. 71‑92. Für Goodpaster: Sorley, Goodpaster, S. 140‑150. Für Haig: Honick, Haig, S. 172‑174. Vgl. auch Wohlstetter, The Strategic Importance of Turkey, S. 34‑42 (Betonung der Bedeutung der Türkei als Kernstück einer euro-asiatischen Zentralregion mit zahlreichen strategischen und politischen Schnittmengen); und Johnston, The Southern Flank of NATO, S. 22 f.; sowie Crowe, American Power, S. 12 f. und S. 16. Lemnitzer, The Strategic Problems, S. 102 f. Hill-Norton, No Soft Options, Kap. VIII. In Kap. IV wird die Nordflanke routinemäßig abgearbeitet. FRUS 1969‑1976, vol.  30, Dok.  12: Minutes of Secretary of State Kissinger’s Regional Staff Meeting, 20.3.1974 .

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Bundesrepublik zeitigen würde566. Selbst ein rascher Vorstoß über Jugoslawien nach Italien bedeutete in den siebziger und achtziger Jahren nicht automatisch die große Katastrophe für den Mittelabschnitt. Auch das Argument, dass ein Verlust des Mittelmeerraumes den Zusammenbruch wesentlicher Nachschub- und Versorgungsrouten nach sich ziehen würde, wie etwa Hill-Norton konstatierte, beeindruckte die NATO-Planer, die sich weiterhin vornehmlich auf den Mittelabschnitt konzentrierten, nicht ohne Weiteres567. Deren Diskussionen drehten sich, so wiederum Hill-Norton, vor allem um die Dauer der konventionellen Kriegführung in Mitteleuropa inklusive Mobilisierung und Aufmarsch, die Warnzeiten, allenfalls noch die Nachschubrouten im Nordatlantik, und vor allem die stets im Hintergrund stehende Frage nach dem nuklearen Ersteinsatz568. Als sich die Meinung etablierte, dass mit einem schnellen Vorstoß nach Art eines Blitzkrieges gerechnet werden musste, gingen beispielsweise die Briten idazu über, ihre Planungen auf die ersten Tage im Ernstfall abzustellen. Dabei spielte die Frage nach dem nuklearen Ersteinsatz die entscheidende Rolle, weniger die Auswirkungen der Lage an den Flanken auf den NATO-Mittelabschnitt569. Was die konventionellen Streitkräfte anbetraf, waren in allererster Linie die bereits in Deutschland stationierten Kampfverbände entscheidend, so die Britische Rheinarmee. »The NATO strategy of flexibility in response and of forward defence depends on the availability of adequate numbers of conventional forces at a high state of preparedness. Such forces cannot be improvised at the last moment [...] No promise of US based forces could be a substitute for BAOR and RAF Germany. Politically, such forces would lack the crucial element of visible presence and commitment; militarily, the constraints of geography and movement mean that they could not compare with stationed forces in readiness, firepower or efficiency570.«

Vor diesem Hintergrund wurde dann auch die größte britische Reserve, die UK Mobile Force, die für die Verstärkung des BALTAP-Gebietes vorgesehen war, aufgelöst, da deren Kernverband, die 3. Division, nach Deutschland verlegt wurde. Später baute man die UKMF in bescheidenerem Maße wieder auf (eine Brigade mit entsprechenden logistischen Komponenten)571. Zusammen mit der deutschen Seite war man sich einig, dass im Ernstfall alles sofort nach vorne geworfen werden musste. Steinhoff kritisierte Mitte der siebziger Jahre, dass die Friedensdislozierung in der Bundesrepublik hier vollkommen kontraproduktiv sei und eigentlich mit großem Aufwand in Richtung Zonengrenze verändert werden müsse. Er betonte, dass alle maßgeblichen NATO-Militärs es als unerlässlich ansähen, einen sofortigen Einsatz der eigenen Streitkräfte ohne größere 566

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Brown, Delicately Poised Allies, S. 124 f. Die Verfechter der NATO-Südflanke sahen dies naturgemäß anders. Vgl. etwa Wohlstetter, The Strategic Importance of Turkey, S. 40 f.; und Crowe, American Power, S.  11. Vgl. aber auch Lemnitzer, The Defense of the Southeastern Flank of NATO, S. 31 f. Hill-Norton, No Soft Options, S. 155 f. Ebd., S. 93‑97, 107‑110. TNA, DEFE  4/277, COS  1203/401, The Maintenance of NATO’s Strategy of Flexibility in Response in the Central Region of ACE, 1.5.1973, passim. TNA, DEFE 5/198, COS 15/74, The 1974 Defence Review, Annex A, S. A-17 und S. A-20. Ebd., S. A-40 f. Waggoner, Dez. 1989, United Kingdom Mobile Force (UKMF) . Vgl. dazu TNA, DEFE 24/1860, Army Restructuring (The 1980 Review), Rundown of the UK Mobile Force 1.1.1975‑31.12.1976.

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Mobilisierungszeiten zu gewährleisten572. Diese Sorge in Verbindung mit Szenarien im unteren Eskalationsbereich betrachtete Steinhoff als entscheidend, weniger die globale Kriegführung. Er gab damit auch der deutschen Perspektive markanten Ausdruck: »Der Einsatz ›von Fallschirmjägern‹ ist nur in ganz besonderen Ausnahmefällen sinnvoll. Ich halte große weltweite Aggressionen für sehr unwahrscheinlich. Ich habe viel mehr Sorge darum, was im untersten Bereich einer Aggression geschehen kann573.« Allerdings kann nicht davon gesprochen werden, dass sich der Blick der NATOPlanung allein und ausschließlich auf die Front in der Bundesrepublik richtete. Bezeichnenderweise hegte etwa Bernard Rogers trotz seiner Funktion als SACEUR (1979‑1987) in diesem Punkt eine andere Meinung und gab damit den unterschiedlichen Perspektiven innerhalb der Allianz deutlichen Ausdruck. Als wahrscheinlichstes Szenario betrachtete er »eine Konfrontation zwischen den Supermächten, die von irgendeinem Punkt der Erde auf Europa übergreift und dann weltweite Dimensionen annimmt«574. Wohl nicht zufällig dachte man hier vornehmlich an »Südwestasien«. Wie schon in den WINTEX- und HILEX-Übungen zutage getreten war, stand bei den Militärs ungeachtet von derlei Debatten und Meinungsverschiedenheiten am Ende des Tages die Mobilisierung der Kampftruppen in der Bundesrepublik und den angrenzenden Ländern im Zentrum der Überlegungen. Aus diesem Blickwinkel war letztlich zweitrangig, ob und wie lange die Südflanke gehalten werden konnte. Selbst bei einem raschen Vorstoß des Warschauer Paktes an die Ägäis oder an den Peloponnes wäre die Schlacht in der Bundesrepublik wohl schon lange entschieden gewesen, bevor die Geschehnisse an der Südflanke spürbare Auswirkungen auf den Mittelabschnitt gezeitigt hätten575. Die Befürworter einer nachhaltigen Aufwertung der Südflanke kannten diese Argumentation offenbar zumindest zum Teil und waren sich ihrer Sache insgesamt keineswegs sicher. Teils widersprachen sich die Autoren in ihrer Einschätzung der Bedeutung von Flanke und Zentrum, teils herrschten große Unsicherheiten576. Auch die Realisierung der entsprechenden Ansätze, insbesondere der recht weitgehenden Forderungen nach Ausdehnung des NATO-Handlungskreises in Richtung Golf und die Aufstellung der hierfür erforderlichen Truppe, blieb äußerst unsicher. In der praktischen Planung im Entscheidungszentrum der NATO gaben die Amerikaner ein572 573 574 575

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Steinhoff, Wohin treibt die NATO?, S. 41, S. 95‑105, 211 f. u.ö. Steinhoff, NATO: Gliederung, Aufgaben und Möglichkeiten, S. 24. Interview mit General Bernard Rogers, in: Internationale Wehrrevue, 2/1986, S. 150. Dies galt ebenso für die entsprechenden Fragen bezüglich der Nordflanke, nicht zuletzt auch für die Sicherung der Nachschubwege über den Atlantik (Sea Lanes of Communication, SLOC). Daniel/ Tarleton, Soviet Naval Forces and Theater Strategy, S. 87‑90. Brown, Delicately Poised Allies, S.  6, 73  f., 124  f. Bei Betrachtung von Chipman, NATO and the Security Problems, S. 9, wird deutlich, wie wenig bis Ende des Kalten Krieges tatsächlich zur Stärkung der Südflanke unternommen worden war. Noch 1988 klagten die Verfechter einer starken Verteidigung dort über mangelnde Beachtung und vor allem auch praktische Berücksichtigung. Vgl. auch NATO and the Mediterranean, S. X; Kaplan/Clawson, NATO and the Mediterranean Powers, S. 6; Rowden, The Mediterranean, S. 27 f.; Etzold, The Soviet Union in the Mediterranean, S. 43 f.; und Papacosma, Greece and NATO, S. 191. Bis zum Ende des Kalten Krieges herrschte offensichtlich eine Konkurrenz zwischen den einzelnen Regionen und Schauplätzen (NATOAbschnitt und Golf ), Etzold, The Soviet Union in the Mediterranean, S. 30.

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deutige Prioritäten in Bezug auf die Gewichtung zwischen Zentrum und Flanken vor, als sie daran gingen, die Flexible Response durch- und umzusetzen. »NATO must make more effective use of its available forces. MNCs should develop plans which will allow them to deploy NATO’s forces to the area of greatest need with speed, flexibility, and selectivity and to eliminate delays caused by different supporting systems or doctrines [...] Primary attention of NATO should initially be paid to the Center Region and to maritime flexibility, with the nations of those regions to be especially involved, both at the NATO level and in the various regional commands and organizations. Other regional reviews are appropriate in due course577.«

Die reale militärische Situation im Südosten gestaltete sich weiterhin problematisch, zeitweise sogar düster578. Nicht zuletzt die militärische Stärke Italiens war bis zum Ende des Kalten Krieges trotz einiger Modernisierungswellen ein unsicherer Faktor, insbesondere während der zahlreichen wirtschaftlichen Krisen579. Immerhin, und dies bildete einen wesentlichen Unterschied zur Nordflanke, verfügten die Türken und die Griechen über relativ große Landstreitkräfte, die Türken besaßen zumindest zahlenmäßig sogar die stärkste Truppe nach den USA580. So konnten wenigstens die neuralgischen Punkte und Fronten (Thrazien, Bosporus, Ostanatolien, Grenze zu Syrien und zum Irak) mit zahlenmäßig großen Aufgeboten an Soldaten gesichert werden. Doch an der Überlegenheit des Warschauer Paktes, die sich langsam auch auf den technischen Bereich und die Qualität der Ausrüstung erstreckte, war nicht zu rütteln. Es bestand das für einen Verteidiger kritische Verhältnis einer Überlegenheit des Angreifers von 3:1. Zudem hatten sich sowohl die türkische als auch die griechische Armee infolge ihrer wirtschaftlichen und technologischen Schwäche darauf verlegt, auf die Kopfstärke zu setzen, da die Mobilisierung von Soldaten vergleichsweise kostengünstig zu bewerkstelligen war. Demgegenüber trat die Konzentration auf militärische Effizienz bei kleineren Mannschaftszahlen und auf Schlüsselfähigkeiten in Verbindung mit Spitzentechnologien zurück. Die galt auch für die Luftwaffen. Die Griechen kauften beispielsweise Anfang der achtziger Jahre hochmoderne Kampfflugzeuge (z.B. F-16) und bildeten darauf auch Piloten aus, konnten jedoch nicht die Ausrüstung mit den modernsten Radar- und Kommunikationssystemen gewährleisten. Dies bedeutete beträchtliche Einschnitte in die militärische Leistungsfähigkeit. Mit Verstärkungen vonseiten der anderen Verbündeten konnte, wohl auch wegen der numerischen Größe der griechischen und türkischen Streitkräfte, besonders bei den Landstreitkräften zunächst kaum gerechnet werden. Die Situation ähnelte, bei allen

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TNA, T 225/4257, US PERMREP NAC an Generalsekretär Luns, 17.9.1974, US Contribution to the Formulation of Ministerial Guidance, embodying a Long Range Defense Concept for NATO, S. 24. Dazu auch Kaplan, Strategic Problems and the Central Sector, S. 18 f. Dazu auch FRUS 1969‑1976, vol. 30, Dok. 56: Paper Prepared in Response to National Security Study Memorandum 222, US and Allied Security Policy in Southern Europe, 15.12.1975 . Siehe dazu unten S. 185‑193. The Times, »Frozen Turkish region that causes acute Nato concern«, 8.5.1981. Zum Folgenden vgl. Brown, Delicately Poised Allies, S.  97‑104; Kuniholm, Turkey and NATO, S.  227‑232; Chourchoulis, A Nominal Defence?, S. 651.

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Unterschieden, wiederum den Verhältnissen an der Nordflanke581. Der einzige Verband, der sofort bei Kriegsbeginn zur Verfügung gestanden hätte, war die AMF, und auch sie hatte andere Einsatzgebiete, sodass keineswegs sicher war, wo sie genau eingesetzt würde. In diesem Zusammenhang forderte Steinhoff die Duplizierung ihrer Kampfkraft, d.h. den bis dahin noch nicht realisierten parallelen und gleichzeitigen Einsatz an jeder der beiden Flanken582. Ferner verfügte die 6.  US-Flotte über einen amphibischen Verband, der regelmäßig an den entsprechenden Problempunkten übte583. Ansonsten gab es nicht zuletzt auch wegen der riesigen Distanzen keine wirklich festen Zusagen. Der Bosporus lag ja von der amerikanischen Ostküste noch erheblich weiter entfernt als das Nordkap. Zwar übten amerikanische Panzer- bzw. Luftlandeverbände, so etwa Teile der 82. Luftlandedivision, verschiedentlich in Griechenland bzw. der Türkei584, nur konnte niemand verbindlich sagen, ob dieser Großverband im Ernstfall auch dort eingesetzt würde. Die 82nd Airborne gehörte zu den Kräften, die auch für die RDF eingeplant waren, sie bildete sogar deren Kernverband585. Im Übrigen galt hier das Gleiche wie für die US-Flugzeugträger. Die Division war eine globale Einsatztruppe, deren Verbände überall dort eingesetzt wurden, wo es aus Sicht der Amerikaner am meisten brannte. Insofern verhielt es sich mit ihr genau wie mit der 6. US-Flotte. Es gab mehrere Einsatzmöglichkeiten und strategische Perspektiven. Niemand konnte sagen, ob die NATO-Südflanke immer im Zentrum stehen würde. Hier lag der militärstrategische Kern aller Planungen für die Südflanke, gleichzeitig auch die größte Unsicherheit. Die US-Marineverbände bildeten in praktisch allen Projektionen das eigentliche Rückgrat der ganzen Region und insofern bestanden hier ebenfalls Parallelen zur Nordflanke. Mit ihrer Hilfe, so hofften einige, konnten die Schwächen bei den Landstreitkräften ausgeglichen werden. Wie überall hatte sich die Lage nach 1968 auch hier nicht zum Besten entwickelt. In den fünfziger und sechziger Jahren war die amerikanische Überlegenheit auf See auch im Mittelmeer unangefochten586. Und die sowjetische Marine blieb zunächst im Grunde das, was sie auch im Zweiten Weltkrieg gewesen war: ein Instrument zur Küstenverteidigung mit einigen offensiven Elementen (z.B. U-Boote in der Ostsee). Obwohl sie für die alliierten Konvois im Atlantik durchaus eine Gefahr dargestellt hatte, war sie kein wirklicher Gegner für die kampferprobte US  Navy mit ihren Flugzeugträgern gewesen. Gemäß Massive Retaliation hatten die Träger im Mittelmeer zudem weniger einen direkten 581

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Johnston, The Southern Flank of NATO, S. 22; Brown, Delicately Poised Allies, S. 92‑94, 119; und Chipman, NATO and the Security Problems, S. 46‑48. Der »Rapid Reinforcement Plan« der NATO für die Südflanke beinhaltete neben Marineverstärkungen vor allem auch Kampfflugzeuge, die indes nicht sofort eintreffen würden. Ebd., S. 40‑48. Zu den NATO-Kräften insgesamt Gobbi, NATO’s Southern Flank, S. 57‑63. Steinhoff, Wohin treibt die NATO?, S. 84 f., 51, 188‑192. Die AMF konnte jeweils nur in einem einzigen ihrer Einsatzgebiete tätig werden. Dies lag unter anderem an der begrenzten Leistungsfähigkeit ihres Hauptquartiers. Dazu Lemke, Abschreckung oder Provokation?, S. 56‑60; und Chipman, NATO and the Security Problems, S. 47. Brown, Delicately Poised Allies, S. 93. Davis, Observations on the Rapid Deployment Joint Task Force, S. 3. Zum Folgenden vgl., wo nicht anders belegt, Nitze/Sullivan, Securing the Seas, Kap. 2 und 3 sowie Kap. 7 und 8.

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Kampfauftrag gegen feindliche Seestreitkräfte, sondern sie dienten vor allem als Basis für den Nuklearschlag. Dies änderte sich spätestens ab Ende der sechziger Jahre. Die Sowjetunion begann offensichtlich, globale Perspektiven zu entwickeln, und rüstete ihre Marine in massiver Weise auf. Unter der Leitung von Admiral Sergej G. Gorškov wurden in großer Zahl strategische U-Boote (mit Atomantrieb und Raketenbewaffnung), hochseetaugliche Überwassereinheiten und schließlich auch Flugzeugträger (»Kiev«-Klasse) beschafft, die auf allen Weltmeeren, sogar im Indischen Ozean, präsent waren. Im Mittelmeer bekam die NATO dies in Gestalt der 5. Eskadra (SOVMEDRON) zu spüren, die aus zunächst ca. 60 Einheiten bestand, seit der ersten Hälfte der sechziger Jahre fast ständig präsent war und ihre Stärke zusehends erhöhte587. Im Zuge der Konflikte im Nahen Osten seit 1967 sandte Moskau zusätzliche Marineeinheiten in das Mittelmeer, um politische Ansprüche zu demonstrieren und sogar Druck auszuüben588. Besonders bedrohlich wurde die Situation, als die 5. Eskadra Stützpunkte in Ägypten und in Syrien erhielt und ein Flugzeugträger mit Genehmigung der Türkei durch den Bosporus lief. Vor allem Letzteres alarmierte die Amerikaner, da dies den Trägern der Kiev-Klasse nicht erlaubt war. Das Abkommen von Montreux von 1936, das die Passage durch die Dardanellen unter türkischer Ägide regelte, verbot die Durchfahrt von Großeinheiten. Die Türkei hatte im Zuge ihres Annäherungskurses an die Sowjetunion dies jedoch zugestanden589. Militärisch war dies insofern gefährlich, da die 5. Eskadra ihre Fähigkeiten gegen Flugzeugträger entwickelte (Schiff-zu-Schiff-Raketen); eine Bedrohung, die, wie sich bei einzelnen militärischen Konflikten (v.a. im Falklandkrieg, mutatis mutandis auch im Yom-Kippur-Krieg) zeigte, bis Ende des Kalten Krieges ernst zu nehmen war. Im Laufe der Zeit zeigten sich aber Grenzen für die maritime Macht der Sowjetunion. Das Flugzeugträgerprogramm entwickelte sich nicht so rasant wie anfangs befürchtet, außerdem konnten es die sowjetischen Träger mit den amerikanischen an Zahl und Kampfkraft nicht annehmen. Die 5. Eskadra, der nicht ständig ein Träger beigegeben war, konnte es letztlich mit der 6.  US-Flotte nicht aufnehmen und wäre bei einem direkten Aufeinandertreffen wohl rasch besiegt worden590. Im Ernstfall waren für die 5.  Eskadra zunächst keine Verstärkungen zu erwarten, da die Inselwelt der Ägäis nur drei Durchfahrtswege bot, die von den Griechen und den Amerikanern ebenfalls mit Flugkörpern überwacht wurden (»choke points«)591. Ein Vorstoß hätte massive Verluste gebracht. Zudem musste erst der Bosporus erobert werden, was keineswegs gewährleistet war. Selbst wenn eine Besetzung gelungen wäre, hätte sich nicht automatisch ein 587 588

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Zur sowjetischen Marinestrategie im Mittelmeer vgl. grundlegend Vego, Soviet and Russian Strategy, S. 164‑195. Detaillierte Angaben hierzu bei: Roberts, The Turkish Straits and the Soviet Navy. In der Literatur wird immer wieder auf die absolute Zahl der sowjetischen Marineeinheiten abgehoben, nämlich zwischen 60 und 90. Vgl. etwa Gürkan, NATO, Turkey, and the Southern Flank, S.  38‑51, mit AS  III. Die Zahl der tatsächlichen Kampfeinheiten war bedeutend geringer. Siehe dazu die Tabelle bei Roberts, The Turkish Straits and the Soviet Navy, S.  12. Inwieweit das Auftauchen der 5. Eskadra mit der Kubakrise zusammenhing (Vermutung in: Manousakis, Der Islam und die NATO, S. 56), wäre noch eingehend zu untersuchen. Gürkan, NATO, Turkey, and the Southern Flank, S. 49‑51. Rossi, NATO’s Southern Flank, S. 51. Crowe, American Power, S. 12.

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militärischer Durchbruch ergeben. Die enge Passage konnte vergleichsweise einfach blockiert werden, außerdem boten durchlaufende Schiffe erstrangige Ziele für Luftangriffe. Solange die Ägäis und das griechische Festland nicht weitgehend unter der Kontrolle des Warschauer Paktes standen, lagen vor allem größere Einheiten fast schon auf dem Präsentierteller. Immerhin aber konnte der Einsatz des Verbandes zu großem Zeitverlust für die NATO bei der Verteidigung Thraziens führen, was dann wiederum möglicherweise rasch eine Niederlage zu Lande nach sich gezogen hätte592. Während der siebziger Jahre wurden die operativen Möglichkeiten der 5.  Eskadra erheblich eingeschränkt593. Verantwortlich hierfür waren der erzwungene Rückzug der sowjetischen Streitkräfte aus Ägypten nach dem Amtsantritt von Anwar as-Sadat und die diplomatischen Erfolge Kissingers im Nahen Osten. Auch die Syrer boten den Russen keine umfassenden Stützpunktrechte, und wirkliche Verbündete im engeren Sinn besaß die Sowjetunion in der Region nicht. Letztlich musste die 5.  Eskadra einen Großteil ihres Nachschubes direkt mitführen oder nachkommen lassen, was ihre Schlagkraft gefährdete. Sie lag daher häufig in internationalen Gewässern in der Nähe von Inseln vor Anker, was nicht gerade einem Zeichen militärischer Flexibilität und Schlagkraft gleichkam. Insgesamt, so urteilten fast alle Beobachter, bestand die Stärke und die eigentliche Aufgabe der 5. Eskadra wie überhaupt der sowjetischen Marine generell in der Präsenz und der Machtausübung im Frieden. Sie konnte politischen Zielen Nachdruck verleihen, schränkte die Macht des Westens ein und erhöhte den Druck auf die strukturelle sowie strategische Integrität und Kohäsion der NATO. So sollten wohl auch weitere Zweifel bei den Wackelkandidaten unter den Bündnispartnern, von denen es an der Südflanke genügend gab, erzeugt werden594. Indes zeigten sich auch für die Allianz nach und nach Begrenzungen, die das Bündnis nachhaltig schwächten. Zwar war die 6.  US-Flotte organisatorisch in das Gefüge von AFSOUTH eingebunden, und als STRIKEFORMED unterstand sie dem Oberbefehlshaber der NATO-Südflanke (COMAFSOUTH). Dieser aber war stets ein USAdmiral, der gleichzeitig als Oberbefehlshaber der US-Marineverbände in Europa (US Naval Forces Europe) fungierte595. Im Zweifelsfall rangierten die nationalen Interessen Washingtons vor der NATO. Außerdem behielten sich die Amerikaner vor, die Träger auch anderweitig einzusetzen, etwa als 1979 und 1986 infolge der Krisen im Mittleren Osten eine Trägergruppe in den Indischen Ozean beordert wurde596. Damit verfügten die Amerikaner zeitweise nur über eine einzige Trägergruppe im Mittelmeer. Sie hatte nicht nur die Aufgabe, das östliche Mittelmeer zu schützen, sondern auch für die strategische Sicherheit Italiens sowie Portugals und Spaniens (u.a. Gibraltar) zu sorgen, und hielt sich daher häufig auch im westlichen Teil des Gewässers auf597. 592 593 594 595 596 597

Chourchoulis, A Nominal Defence?, S. 653. Chipman, NATO and the Security Problems, S. 17‑26. Rossi, NATO’s Southern Flank, S. 51‑57. Brown, Delicately Poised Allies, S. 88‑91. Eine Liste der Amtsinhaber bis 1980 auf: . Chipman, NATO and the Security Problems, S. 26 f. Dies hatte indes auch damit zu tun, dass die US Navy fürchtete, bei permanenter Dislozierung im vorgeschobenen Bereich eine allzu starke Gefährdung zu risikieren, etwa durch einen Überraschungsangriff. Chourchoulis, A Nominal Defence?, S. 639.

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Somit wiederholte sich, was auch für die Nordflanke galt: Es war keineswegs sicher, dass die US-Marine sofort und mit allen Kräften im Ernstfall den NATO-Landstreitkräften zu Hilfe kommen würde. Es wurde sogar angemerkt, dass die direkte »military cooperation« zwischen den Verbündeten und den jeweiligen Teilstreitkräften eigentlich kaum existent gewesen sei598. Dabei bestand ein politisch-militärischer circulus vitiosus. Die fehlenden militärischen Mittel und der Streit darüber verhinderten die Steigerung des Zusammenhaltes des Bündnisses, gleichzeitig hinderte die mangelnde Kohäsion den effizienten Aufbau der militärischen Schlagkraft599. Es entspann sich eine Diskussion darüber, welchem Element für die konventionelle Kriegführung die Hauptbedeutung zukommen würde. Die zahlreichen Fachleute tendierten mehr oder weniger deutlich zum maritimen Element: der US Navy600; für die Landstreitkräfte nicht gerade erfreuliche Perspektiven. Die 6. US-Flotte, deren Aufgaben und Ausrüstung seit Ende der sechziger Jahre von primärer Nuklearkriegführung auf triphibische konventionelle Kriegführung umgestellt wurde601, hatte beträchtliche strategische Lasten zu tragen. Diese konnten von einer einzigen Trägergruppe unmöglich gleichzeitig bewältigt werden. Die Erwartungen waren hoch. So stand ein Eingreifen zur Unterstützung Norditaliens oder der Alpenfront auf der Agenda, was eine doch reichlich optimistische Perspektive war. Realistischer schien dagegen der Kampf gegen strategische oder taktische Ziele im Hinterland der Front auf dem Balkan oder sogar im Schwarzen Meer. Letztlich aber stand wohl die Alternative zwischen Kampf gegen die sowjetische Marine (5.  Eskadra) und die direkte oder die indirekte Unterstützung der Landfront vor allem in Thrazien und am Bosporus im Vordergrund. Wo die Schwerpunkte liegen würden, ließ sich von vorhinein wohl kaum näher festlegen. Alles kam auf die Entwicklung im Ernstfall an. Insgesamt bestanden aber auch hier, vergleichbar mit der Nordflanke, große Ungewissheiten, zumindest solange nennenswerte sowjetische Seestreitkräfte in der Region existierten. Eine zu schnelle Dislozierung der verwundbaren Träger etwa in die vorderen Regionen der Ägäis barg große Risiken und konnte nicht automatisch vorausgesetzt werden602. Die Vernichtung der Flugzeugträger bildete eine der vorrangigen Aufgaben der sowjetischen Marine603. Die Seestreitkräfte der anderen NATO-Partner im Mittelmeer besaßen, mit Ausnahme 598 599 600

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Brown, Delicately Poised Allies, S. 138. Dazu und zu entsprechenden Lösungsansätzen siehe oben Kap. II.2. CSIA, Instability and Change on NATO’s Southern Flank, S.  150; Chipman, NATO and the Security Problems, S.  17. Derselbe Autor vertrat jedoch an anderer Stelle die Position der Landstreitkräfte. Chipman, Allies in the Mediterranean, S. 76. Die Diskussion war offensichtlich keinesfalls entschieden. Wie meist üblich, dürften die Fronten entlang der einzelnen Teilstreitkräfte bzw. -bereiche verlaufen sein. Dazu Rowden, The Mediterranean, S.  24  f. Die zitierten Werke grundsätzlich auch zum Folgenden. Treibender Motor war der seit 1968 als CINCSOUTH agierende US-Admiral Horacio Rivero Jr. Sokolsky, Seapower in the Nuclear Age, S. 96 f. und S. 109 f. Ganz zentral hier Rossi, NATO’s Southern Flank, S.  63‑65. Ein abschließendes Urteil über entscheidende Aspekte wie diesen ist einstweilen noch nicht möglich. Die NATO-Seestrategie muss dazu insbesondere auf der Basis von Akten der Generalstäbe noch näher erforscht werden. Generell lässt sich konstatieren: Was für die Nordflanke galt, galt auch für die Südflanke. Die US Navy war und blieb global ausgerichtet. Daniel/Tarleton, Soviet Naval Forces and Theater Strategy, S. 78.

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der französischen Marine, nur begrenzte Schlagkraft und waren eher für die direkte Verteidigung der nationalen Küsten und Gewässer geeignet604. Auf dieser Basis entwickelte man dann die Kriegsszenarien und die »contingencies« gemäß NATO-Strategie und den Drehbüchern der WINTEX- und HILEX-Übungen. Die Basisannahmen der Stabsrahmenübungen wurden wenigstens in ihren Grundzügen publiziert und öffentlich diskutiert. Dabei fand das Kardinalthema »Mittlerer Osten« erneut umfassend Berücksichtigung. So veröffentlichte der britische General Sir John Hackett einen letztlich nur formal als fiktive Literatur gekennzeichneten Roman »Der Dritte Weltkrieg«, der in vielen Teilen den WINTEX- und HILEX-Szenarien glich605. Das Werk, an dem mehrere prominente NATO-Militärs mit entsprechenden früheren Verwendungen mitgearbeitet hatten, schildert den Verlauf einer Aggression des Warschauer Paktes bis zum Sieg des Westens. Die deutsche Ausgabe wurde mit einem Vorwort von Kielmansegg versehen, das den deutschen Standpunkt deutlich machte, dem Werk gleichzeitig aber fast offiziellen Status verlieh. In dem »Roman« findet die globale Perspektive nachhaltige Berücksichtigung. Alle Krisenherde werden ausführlich dargestellt und die Auswirkungen auf Europa beschrieben. Wie in den Stabsrahmenübungen teilweise durchgespielt, geht Hackett von zunehmenden Schwierigkeiten und Zerwürfnissen im Ostblock aus, die die Sowjetunion durch ihre weltweite Hasardpolitik zu kompensieren versucht. Dadurch löst diese im Nahen und Mittleren Osten gefährliche Krisen aus. In der Folge kommt es zum Überschwappen der Konfrontation nach Europa (»spill-over«) und schließlich zur militärischen Auseinandersetzung, die von Nordost-Italien aus durch ein Vorrücken von NATO-Truppen gegen sowjetische Invasoren in Jugoslawien zum Kriegsausbruch führen606. Quasi als mahnende Prophetie im positiven Sinne beschrieb Hackett die Kampfhandlungen in Mitteleuropa, die für den Westen nur deshalb erfolgreich mit dem Stoppen der Invasion an der deutsch-niederländischen Grenze verlaufen, weil die NATOPartner im Vorfeld endlich die nötige Aufrüstung insbesondere der Panzerabwehrwaffen vorgenommen hatten. Diese Aufrüstung, hier als »Utopie« gestaltet, bildete die durchgängige Forderung fast aller tonangebenden NATO-Militärs in den siebziger und achtziger Jahren. Die Flanken stehen in »Der Dritte Weltkrieg« mit der Ausnahme von BALTAP, das im Verlauf der Schlacht überrannt wird und damit den Weg für sowjetische Marineverbände in die Nordsee freigibt, nur punktuell im Fokus607. Italien wird vollständig besetzt. Die Südflanke ist für die NATO damit gelähmt, ohne jedoch größeren Schaden zu verursachen. Da die Rote Armee Griechenland und der Türkei relativ wenig Bedeutung beimisst, bleiben beide Staaten isoliert, jedoch auch unbesetzt. An der Nordflanke gelingt es nicht, einen Einbruch zu verhindern, immerhin aber können die Angreifer auf dem 604 605

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Ebd. Hackett, Der Dritte Weltkrieg. Als Folie, die an dieser Stelle nicht ausführlicher und kontrastiv diskutiert werden kann, vgl. die Ausführungen von Stoddart, Losing an Empire, S. 183‑188, zu einigen Planungen der britischen COS. Dieses aggressive Moment war, zumindest soweit bislang in den zugänglichen Akten erkennbar, in den NATO-Planungen und den Stabsrahmenübungen so nicht vorhanden. Siehe dazu oben in Kap. III.2. Hackett, Der Dritte Weltkrieg, S. 161 f. und S. 273.

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Landweg aufgehalten werden. Alle Erfolge nützen dem Ostblock indes nichts, da die NATO die Schlacht im Atlantik, die von beiden Seiten unter massivem, wechselseitigem Einsatz von U-Booten und U-Jagdeinheiten, seitens der sowjetischen Marine auch unter Verwendung von Marschflugkörpern geführt wird, trotz hoher Verluste gewinnt608. Der Nachschub wird gesichert. Zwischen den Zeilen werden die essenziellen Voraussetzungen für einen Gelingen im Ernstfall erkennbar: Die Flugzeugträger bleiben auch in der Fiktion sakrosant. Kein einziger wird versenkt. Fast gleichzeitig erschien eine ähnliche, weit pessimistischere Prophetie mit Weltuntergangsszenarien. Es handelte sich um das Werk des kriegsgedienten britischen Generals Shelford Bidwell »World War 3 – A Military Projection founded on Today’s Facts«, an dem ebenfalls prominente Fachleute mitwirkten609. Das Werk enthält einen ausführlichen analytischen Teil, der auf die globalen Zusammenhänge, insbesondere auf die Bedeutung des Mittleren Ostens eingeht und dabei die Gefährlichkeit gerade der dortigen Akteure hervorhebt. »If World War  3 begins it is unlikely to be a conscious decision of superpower leaders. More likely they will be dragged into it by ambitious or irresponsible clients in circumstances they, the superpowers, do not fully understand610.« Im Übrigen enthält das Buch die selben Basisannahmen wie das Werk von Hackett, also die Ungleichgewichte im konventionellen Bereich, die Solidarprobleme beider Bündnisse, die Fähigkeit der Sowjetunion zu schlagartigem Angriff (»Blitzkrieg«), die Bedeutung der Krise um die ČSSR 1968 und die neuen Gefahren nicht zuletzt in Verbindung mit Jugoslawien usw. Besonders ausführlich und tiefgreifend wird dabei das Krisenmanagement beleuchtet: die wechselseitigen Regeln (u.a. »Rules of Conduct/ Engagement«), die eminente Bedeutung der Kommunikation in einer Krise und die herausgehobene Position besonderer Konfliktzonen, beispielsweise der NATO-Flanken. Die AMF jedoch wird im Gegensatz zur STANAVFORLANT nicht genannt. Dies dürfte an dem eigentlichen Krisenszenario liegen, das sich im Wesentlichen auf die Situation im Mittelabschnitt mit der Bundesrepublik an der Spitze konzentriert611. Infolge abnehmender Bündnissolidarität und von wachsendem rechtsradikalem Druck in der Bundesrepublik kommt es in der NATO zu Friktionen, in deren Verlauf Bonn die Produktion eigener Atomwaffen initiiert. Die Sowjetunion beschließt daraufhin einen begrenzten Angriff gegen die Produktionsstätten in der Nähe von Hamburg und fordert die Westalliierten auf, ihre Truppen in den Kasernen zu halten und damit zumindest indirekt die alte Bündniskonstellation des Zweiten Weltkriegs aufleben zu lassen. Weil die westlichen Führungen schwach sind, geschieht dies auch und die Rote Armee greift an. Die Bundeswehr wehrt sich tapfer, muss sich aber langsam zurückziehen. Nach Zwischenfällen mit Beteiligung auch britischer und amerikanischer Truppen 608

609 610 611

Ebd., Kap. 17. Hackett bewegte sich hier in einem prominenten diskursiven Feld. Die Beschreibung und Diskussion einer möglichen Unterbrechung der Nachschubwege durch eine überlegene sowjetische U-Boot-Flotte gehörte zu einer vielzitierten Thematik in der Militärpublizistik. Walter, Zwischen Dschungelkrieg und Atombombe, S.  356  f. Offensichtlich wollte Hackett hier wie überhaupt mit seinem ganzen Werk ein aus Sicht der NATO bewusstes Zeichen gegen existierenden Pessismus setzen. World War 3. Ebd., S. 24. Ebd., S. 131‑200.

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kommt es schließlich doch zu weitreichenden Kämpfen, die sich rasch ausbreiten. Mit Hilfe der überlegenen Marinestreitkräfte kann der Ostblock zumindest global eingedämmt werden. Die wenigen Flugträger der sowjetischen Marine werden versenkt, die neuralgischen Punkte um die dänische Halbinsel und am Bosporus werden gehalten. Die Schlacht im Atlantik geht jedoch trotz großer Verluste der sowjetischen Marine verloren, da der einzige Konvoi, der in Marsch gesetzt wurde, mit Ausnahme von sechs Schiffen versenkt wird. Nach dem Einsatz von taktischen Atomwaffen vonseiten der britischen Armee in Deutschland folgen Nuklearwaffenangriffe gegen Luftwaffenstützpunkte in Großbritannien, die schließlich die nukleare Eskalation nach sich ziehen. »The war at sea had come down to the massive hulls of the strategic missile submarines, hidden in the Arctic pack or beneath the open oceans, hurling their ICBM’s into the fiery ruin oft he Northern Hemisphere612.« Letztlich bilden diese und andere Werke lediglich unterschiedliche, experimentelle Variationen möglicher Verläufe und liegen damit zumindest im Grundsatz auf der Linie der WINTEX/CIMEX- und der HILEX-Übungen. Im Kern verweisen sie auf dieselben Themen und Probleme. Dazu zählen der Bündniszusammenhalt und die Hoffnung auf die kriegsverhindernde Wirkung des Krisenmanagements. »Although detente has diminished the likelihood of superpower crisis, therefore, it does not exclude the possibility of their occurrence. Consequently, the prevention of World War 3 may continue to depend ultimately upon skill in the art of crisis management613.« Szenarien mit prominterem Zuschnitt auf die Türkei und Griechenland wurden ebenfalls veröffentlicht. In solchen Fällen wurde demonstriert, dass es an der Südflanke genügend Gelegenheiten für den immer wieder zitierten »adventurism« der Sowjetunion gab. Einer der bekanntesten Experten, Jed C. Snyder ging von sieben Fällen (»cases«) aus, betrachtete dabei direkte, großangelegte Angriffe aus dem Stand (eine Option, die auch in der Öffentlichkeit diskutiert wurde) als eher unwahrscheinlich614, sondern nahm an, dass es im Ernstfall wahrscheinlich zu Grenzkonflikten etwa in Thrazien kommen würde, in deren Verlauf der Gegner versuchen würde, Faustpfänder in die Hand zu bekommen oder der NATO sonstige Niederlagen zu bereiten, die dann zum Zerfall oder wenigstens zur Schwächung des Bündnisses führten und militärisch weiter ausgebaut werden konnten615. Selbst die 6.  US-Flotte, das Rückgrat des Westens gegen Aggression und Destabilisation, konnte gegen Provokationen und Übergriffe auf niedrigem Niveau zumindest zunächst kaum etwas unternehmen: »the Sixth Fleet with the support of MARAIRMED616, the Italian positions in the Otranto Straits area, and a revived French presence, as well as Portuguese and now Spanish naval strength in the 612 613 614

615 616

Ebd., S. 183. Ebd., S. 35. Vgl. dazu auch Hill-Norton, No Soft Options, S. 22 und S. 107 f., der dies unter dem Begriff »standing-start-blitz« zusammenfasste und als mögliches Patentrezept für den Ostblock eher unter der Kategorie westliche »Hysterie« betrachtete, dennoch aber entsprechende Abwehrvorkehrungen empfahl. Vgl. auch Interview mit General Bernard Rogers; des Weiteren Aldrich, Waiting to Be Kissed?, S. 60 und S. 69 f.; sowie Hoffenaar, East German Military Intelligence, S. 87. Snyder, Defending the Fringe, S. 35‑40; vgl. auch Chipman, NATO and the Security Problems, S. 38. Das Kommando der NATO-Seeluftstreitkräfte im Mittelmeer.

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West, reduces the dangers of Soviet naval activity except in low-risk situations617.« Eine weitere Möglichkeit ergab sich nach Meinung der Fachleute an der Ostgrenze der Türkei, insbesondere nach den Geschehnissen in Afghanistan und im Iran 1979. Man nahm an, dass die Sowjetunion zur Sicherung der Ölversorgung und zur Gewinnung strategischer Kernregionen einen Stoß in Richtung Golf unternehmen und Teile des Iran inklusive Teheran okkupieren würde (»South Thrust«). In diesem Fall wäre die Türkei massiv gefährdet gewesen. Möglicherweise wäre der Konflikt dann auch auf türkischem Boden ausgetragen worden. Nicht zufällig hatte man 1980 eine zusätzliche »Contingency Area« der AMF (S-5) in Ostanatolien geschaffen. Indes änderte sich auch hier an den bekannten Schwächen nichts. Die AMF bildete nur ein begrenztes Abwehrmittel und für weitere Verstärkungen oder auch Unterstützung von der 6. US-Flotte waren die Entfernungen zunächst sehr groß. Die türkische Armee würde im Ernstfall zumindest für einige Zeit auf sich allein gestellt sein. Manche meinten gar, dass sie einem massiven Vorstoß nur für kurze Zeit standhalten würde618. Die ganzen Optionen und Gefährdungen wurden schließlich in einem Gesamtszenario zusammengefasst, das die Schwachpunkte, insbesondere beim kombinierten Einsatz sowjetischer Streitkräfte (Heer, amphibische Verbände und landgestützte Marineflieger), theoretisch durchspielte. Der Fachmann hierfür, James Brown, hielt einen Durchbruch zur Ägäis für sehr wahrscheinlich und konstatierte, dass rasche Vorstöße zur Ägäis sowie eine Besetzung des Bosporus unter Einsatz von amphibilischen Verbänden und Spezialeinheiten (Spetsnaz) möglich seien: »Both Greek and Turkish forces can be easily isolated619.« Die NATO-Verbände hatten offenkundig nur dann eine Chance, wenn sie sich optimal ergänzten. Das hieß: Einsatz der 6. US-Flotte unter wechselseitigem Schutz mit den Luftwaffen der Griechen, der Türken und der USAF, gleichzeitig Luftunterstützung für die eigenen Bodentruppen und Ausschaltung der 5. Eskadra. Das war eine gewaltige Herausforderung, selbst wenn zwei Trägergruppen zur Verfügung standen. In der zu erwartenden Land-, Luft- und Seeschlacht war die AMF der erste Topfen auf einem Stein, der, wie man hoffte, am besten gar nicht heiß wurde620. Nicht grundsätzlich anders gestaltete sich die militärstrategische Lage Italiens, was nicht zuletzt mit den geografischen Verhältnissen zu tun hatte. Ein langgestrecktes, weit in das Mittelmeer hineinragendes Festland schließt sich an gebirgiges Land im Norden an, das durch das Felsmassiv zwar einigen Schutz erhält, aber durch Pässe und Pforten an mehreren Stellen durchbrochen ist. Dahinter liegt, vergleichbar mit Thrazien, wenn auch um Einiges ausgedehnter, eine weitgehend flache Ebene, die in Gefahr stand, bei einem Durchbruch rasch überrannt zu werden. Besonders gefährlich war hier seit jeher die Pforte zwischen Ljubiljana und Gorizia mit der dahinter liegenden Po-Ebene; ein Flaschenhals, der nach Entkorkung eine Überschwemmung feindlicher Massenheere hätte nach sich ziehen können. Ein Erfolg hätte möglicherweise die Armeen des Ostblocks den italienischen Stiefel rasch erobern lassen und sie schnell an die französische Grenze gebracht und 617 618 619 620

Kaplan/Clawson, NATO and the Mediterranean Powers, S. 16. Rossi, NATO’s Southern Flank, S. 51. Brown, Delicately Poised Allies, Kap. 6, Zitat S. 108. Zur Position der AMF im Gesamtaufkommen der mobilen (nationalen) Einsatzverbände der NATO-Partner vgl. Chipman, NATO and the Security Problems, S. 43 f.

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damit die NATO am Mittelabschnitt gefährdet621. Zu berücksichtigen gilt es jedoch, dass die Alpen und ihre Pässe zumindest nach Norden nur schwer zu überwinden waren. Die NATO hätte hier mit vergleichsweise moderaten Kräften erheblichen Widerstand leisten können. Insofern war auch hier keineswegs sicher, dass ein Vorrücken des Warschauer Paktes in Norditalien sich sofort massiv auf die Kriegführung in Deutschland ausgewirkt hätte, zumal mit einem Eingreifen der französischen Armee gerechnet werden musste. Deren Kräfte konnten ggf. trotz des Ausscherens aus der militärischen Integration auch offensiv in Norditalien eingesetzt werden622. Allerdings lag der ganze Schauplatz wesentlich näher an den deutschen Grenzen als etwa Thrazien; er war allein schon deshalb gefährlicher für den Mittelabschnitt. Die Kriegführung hatte sich, wie fast überall an den Flanken, gleichermaßen in allen drei Elementen zu bewegen. Es bestand eine Art Aufteilung der Schwergewichte. Der Norden bzw. Nordosten war eindeutig am Landkrieg ausgerichtet, wohingegen im Süden die maritime Komponente dominierte. Wie fast immer in derlei Fällen ergaben sich dadurch Auseinandersetzungen zwischen den Teilstreitkräften um die Gewichtung, die sich im Laufe der Zeit, wie noch zu berichten sein wird, auch änderte. Für die italienische Luftwaffe stand dabei, vergleichbar mit der RAF, die Frage nach der generellen Ausrichtung auf der Agenda. Insbesondere ging es um den Ausbau und die Verfügungsgewalt über die Seeluftstreitkräfte. Strategisch-politisch kam Italien schon wegen seiner Lage eine zentrale Führungsposition zu, die vielerorts auch eingefordert wurde. Das Land ragte gewissermaßen wie eine Trennwand in das Mittelmeer und hätte folglich den Gesamtrahmen bestimmen müssen; stärker noch als Frankreich, das geostrategisch gesehen eine Randexistenz an der Nordwestecke führte. Die Realität sah und sieht bis heute allerdings anders aus. Das liegt in der nachhaltigen Schwäche Italiens sowohl im politischen wie im militärischen Bereich begründet, die auch historische Gründe hat. Trotz der Kehrtwende im Jahre 1943 erwies sich der Zweite Weltkrieg für die Italiener als verheerend. Zwar entging man einer totalen Niederlage, wie sie den ehemaligen deutschen Verbündeten traf, und man konnte sogar die Streitkräfte behalten. Realiter indes blieb von der einstigen Macht kaum etwas übrig, da die Alliierten de facto eine Besatzungsherrschaft errichteten. Anders als etwa nach dem Ersten Weltkrieg, als sich Italien noch als eine Art ›Mitgewinner‹ betrachten konnte, gehörte man 1945 klar zu den Verlierern623. Die Armee wurde weitgehend abgerüstet, die Luftwaffe wurde mehr oder weniger abgeschafft und die Marine, die die Kriegshandlungen vergleichsweise glimpflich überstanden hatte, verfügte über nur bedingte Kampfkraft, da ihre Großeinheiten durchweg veraltet waren. Dennoch versuchte Rom die eigenen Streitkräfte wieder aufzubauen und auch politisch graduell wieder an Einfluss zu gewinnen. So entstanden 1946/47 einige Vertei621 622 623

Vgl. Krüger, Brennender Enzian, S. 1‑3; und Krüger, Die Alpen im Kalten Krieg, S. 351, 355, 357 und 374; sowie Faringdon, Strategic Geography, S. 234‑243. Martel/Carlier, France and the Mediterranean, S. 134‑136. Zum Folgenden vgl. grundsätzlich, und wo nicht anders belegt, Paoletti, A Military History of Italy, Kap. 26; sowie Nation, Intra-Alliance Politics, S. 29‑54; und Rimanelli, Italy, S. 674‑739, 817‑836.

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digungskonzepte auf nationaler Basis624. Diese jedoch veralteten schnell, da die zunehmende Bedrohung aus dem Osten und die entstehende bipolare Ordnung nationale Alleingänge nicht mehr zuließen625. Eigenen Handlungsspielraum konnte man in den ersten Jahren trotz entsprechender Versuche praktisch nicht mehr erlangen, auch deshalb, weil nicht zuletzt die Briten eigene Vorstellungen in Bezug auf Italiens Gestalt und Einfluss hegten. Die Regierung in Rom erkannte rasch, dass sie keine Wahl hatte und realer Sicherheitsgewinn nur im westlichen Bündnis zu erzielen war626. Dabei erhielt sie von den Amerikanern, die in Sorge um die politische und militärische Stabilität vor dem Hintergrund der antizipierten Gefahr aus dem Osten waren, Unterstützung und eine gewisse Rückendeckung. In der Folge trat Italien als Gründungsmitglied der NATO bei. Bezeichnenderweise spielte bei alldem aber gerade Frankreich eine wesentliche Rolle, weil Paris zur Absicherung seiner Ansprüche in Nordafrika den Nachbarn im Mittelmeer an Bord haben wollte – obwohl bei den übrigen Partnern ähnlich wie im Falle Griechenlands und der Türkei wenig Begeisterung für einen Beitritt existierte627. Die Politik der Regierungen in Rom bereitete dem Bündnis und vor allem dem Hegemon dauerhaft Probleme, die vor allem auf die innenpolitischen Verhältnisse zurückgingen. Anders als etwa die Bundesrepublik, die sich vom Kriegsverlierer im Laufe der Zeit zum Primus entwickelte und selbst in den Zeiten der Entspannungs- und Ostpolitik trotz aller Interessendivergenzen eine berechenbare Position einnahm, betrieb Italien eine widersprüchliche, eigenwillige und indifferente Politik. Eine wesentliche Rolle spielten zudem die komplizierten strategischen und politischen Verhältnisse im Mittelmeerraum. Umgekehrt dominierte Washington die strategisch-politische Lage, beeinflusste mitunter massiv die italienische Politik und führte verschiedentlich Lösungen herbei, die nicht im Interesse Roms waren. Dies betraf etwa Jugoslawien als möglichen Partner für westliche Interessen. Stets hatte die italienische Innenpolitik bestimmenden Einfluss auf die Außen- und Sicherheitspolitik des Landes, die deshalb häufig Stabilität und Stringenz vermissen ließ. In der italienischen Parteienlandschaft, die seit 1945 stark zerklüftet ist, gab es starke christliche Kräfte, teils nationalistisch, teils pazifistisch ausgerichtet, mit großem Einfluss auf die Außenpolitik. Ein Teil der bestimmenden Gruppierungen verfolgte Ziele, die keineswegs immer NATO-freundlich waren. Pro-westeuropäische bzw. pro-atlantische Kräfte standen im Konflikt mit den Kritikern. Die Risse gingen teilweise quer durch die Parteien, nicht zuletzt auch durch die Democrazia Cristiania (DC). Insbesondere in den ersten 20 Jahren nach der Gründung der NATO kam es immer wieder zu konfliktträchtigen Aktionen der italienischen Regierung bzw. des Staatspräsidenten Giovanni Gronchi628. Gronchi und andere führende Politiker, beispiesweise Premierminister Amintore Fanfani, versuchten fortgesetzt, die arabischen Staaten zu umwerben, und fuhren zeitweise auch einen Kurs der Annähung an Moskau, weniger um dauerhafte Entspannung zu etablieren, als vielmehr um den eigenen Handlungsspielraum 624 625 626 627 628

Ebd., S. 827 f. Dazu sehr gut auch aus innenpolitischer Perspektive in Italien: Nuti, An Instrumental and Atlantic Europe, S. 224‑239. Cremasco, Der Alpenraum im Kalten Krieg, S. 268. Nuti/Cremasco, Linchpin of the Southern Flank?, S. 324 f. Rimanelli, Italy, S. 739‑757.

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zu erweitern. Teile der Democrazia Cristiana unterstützten dies. Diese Politik firmierte unter dem Ausdruck »Neo-Atlantismus«, der mit der atlantischen Ausrichtung der NATO eher indirekt zu tun hatte, sondern unter anderem die Ausdehnung der italienischen Interessensphäre in das östliche Mittelmeer und darüber hinaus propagieren sollte. Das Ziel bestand letztlich darin, Washington zur Anerkennung oder zumindest zur Tolerierung der italienischen Alleingänge zu bewegen. Die diplomatische Verfahrensweise im Mittleren Osten nahm teilweise Züge einer Anbiederungskampagne an, die insbesondere Washington verärgerte und letztlich kaum Erfolge zeitigte, da de facto die Amerikaner und später auch die Sowjets im Mittelmeer den Ton angaben. Ferner zeigten die Regime im Nahen bzw. Mittleren Osten wenig Neigung, in substanzieller Weise auf die italienischen Offerten einzugehen. Außer einigen Prestigeerfolgen und diplomatischen Klimaverbesserungen konnte Rom wenig verbuchen. Demgegenüber sah man sich immer wieder zu Solidarbekenntnissen für die NATO gezwungen, verschiedentlich musste sogar regelrechte Schadensbegrenzung betrieben werden, so etwa 1958 und 1967, als Fanfani und einige seiner Minister zu großangelegten Versöhnungstouren vor allem auch in die USA aufbrachen. Dieses Hin und Her zwischen Bündnissolidarität und nationalen Alleingängen war weniger Ausdruck einer selbstbewussten Machtpolitik, wie sie etwa de Gaulle betrieb, sondern eher von Schwäche und Unentschlossenheit629. Letztlich stand man stets zum Bündnis, galt jedoch lange Zeit als unverzulässig und auch militärisch nur bedingt schlagkräftig. Italien vermochte es offensichtlich nicht, eine dauerhaft stabile bzw. stabilisierende Rolle innerhalb der NATO mit ihren Strukturen, Konflikten und Interessen zu finden. Es kam, wie auch Washington schließlich zu akzeptieren hatte, letztlich keineswegs darauf an, dass man stets und in allen Dingen dem Hegemon folgte. Entscheidend war, dass man in der Allianz trotz der Interessenkonflikte Solidarität übte, auch wenn dies gelegentlich zu Gratwanderungen führte. Washington hatte nichts dagegen, dass die Italiener in der eigenen Region als starker Vertreter des Bündnisses durchaus auch mit nationalen Eigeninteressen agierten. Dies galt für alle Bündnispartner, solange bestimmte Grenzen nicht überschrittten wurden630. Idealerweise sollten sich das Eigeninteresse und der Nutzen für das Kollektiv ergänzen. Italien betrieb demgegenüber häufig eine schwankend-oszillierende Politik, die die Gefahr der Instabilität in sich barg. Derlei erinnerte sehr stark an das französische Vorgehen und wurde daher auch »MicroGaullism« genannt631. Anders aber als Frankreich, das für eine Politik der nationalen Stärke stand und trotz seines Austritts aus der militärischen Integration und des damit verbundenen Ärgers in dieser Rolle letztlich auch akzeptiert wurde632, gerierte sich Italien stets als Wackelkandidat. Die Politik zumindest bis Ende der sechziger Jahre lässt sich daher eher mit dem Verhalten Papandreous in Griechenland nach 1980 vergleichen. Einen wesentlichen Faktor bildeten auch hier die generellen Problemfragen innerhalb der NATO, so etwa die Furcht der Europäer vor einer Annäherung der Supermächte (»Superpower-Détente«), gerade vor dem Hintergrund der amerikanischen 629 630 631 632

Vgl. neu zur angeblichen Schwäche Italiens: Zilio, The Conference on Security and Co-Operation in Europe. Deutlich dazu Chipman, NATO’s Southern Region, S. 377‑380. Rimanelli, Italy between Europe, S. 742. Kaplan, NATO Divided, S. 33 f.

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Rückzugspläne aus Vietnam und der dadurch entstehenden relativen Abhängigkeit von der Sowjetunion633. Verschärft wurde dies durch die fortgesetzte Kritik der Italiener am Vietnamkrieg und an der Rolle der USA. Die Bündnissolidarität wurde dadurch dauerhaft belastet. Doch nicht allein Rom mit seinen eigenen Vorstellungen und Vorstößen verärgerte die Amerikaner und machte sie misstrauisch. Auch aus Deutschland gab es solche Initiativen, etwa die Pläne der SPD, die NATO grundlegend zu wandeln, ja sie sogar abzuschaffen und durch ein Ost-West-Abkommen bzw. -Bündnis zu ersetzen. Auch Willy Brandt hatte diese Absichten unterstützt, zumindest bis zu seinem Amtsantritt als Bundeskanzler634. Dies korrespondierte mit entsprechenden Plänen der italienischen Regierung. Im Übergang zu den siebziger Jahren zeichnete sich ein Perspektivenwechsel ab635. Bei einem Teil der politischen Parteien etwa setzte allmählich eine Neuausrichtung ein. So erzielten Kommunisten und Democrazia Cristiana trotz teils erheblicher Rückschläge einen »historischen Kompromiss« (»compromesso storico«), der vor allem durch die moderate Linie der entstehenden Eurokommunisten in der PCI unter Berlinguer und von dem Konservativen Aldo Moro getragen wurde. Nicht zuletzt auch dadurch kam es ab 1975 zu einer nachhaltigen sicherheitspolitischen Stärkung des Landes. Dabei spielte auch die militärpolitische Dimension eine wesentliche Rolle. Wie überall im Bündnis erhöhte die Einführung der Flexible Response den Druck auf die Rüstungspolitik, da ein vergleichsweise bequemes Vertrauen auf den nuklearen Schutzschirm der USA nicht mehr genügte. Gleichzeitig führten die fortgesetzten Krisen und Kriege im Mittelmeerraum und im Nahen Osten (vor allem der Yom-Kippur-Krieg von 1973) und die zunehmende Präsenz der sowjetischen Flotte im Mittelmeerraum allen Beteiligten die Notwendigkeit einer Ausweitung des eigenen Engagements vor Augen. Zunehmend etablierte sich die Erkenntnis, dass die Südflanke immer mehr in Gefahr geriet. Die im strategischen Denken der NATO seit Ende der sechziger Jahren ohnehin schon fest verankerten Problempunkte, im Falle Italiens vor allem die Nordostgrenze mit dem Gorizia-Gap, fanden in diesem Zuge zusammen mit der maritimen Dimension größere Beachtung. Damit begann dann auch eine Periode, in der die Verteidigungspolitik aus dem Schatten der Innenpolitik heraustrat. Mit dieser Entwicklung korrespondierte, dass die italienische Regierung in wichtigen Fragen auf integrative Lösungen setzte. So befürwortete man eine Fortführung des europäischen Einigungsprozesses und forcierte Ende der achtziger Jahre die Europäische Währungsunion. Insbesondere aber trat Rom für die Umsetzung des NATO-Doppelbeschlusses ein und nahm infolge der deutschen Bestrebungen eine herausgeho633

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Vgl. dazu v.a. Nuti, A Decade of Delusions. Nuti interpretiert die historischen Zusammenhänge von einer rationalen Warte und aus Sicht des logischen Gefüges der NATO-Strategie und der entsprechenden nationalen Interessen nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der Krise um den »Prager Frühling« und den Sechstagekrieg. Er kommt daher zu einer positiveren bzw. neutraleren Bewertung der Bündnispolitik Italiens als Rimanelli. Indes geht er kaum auf die praktische italienische Politik in den fünfziger und sechziger Jahren ein und lässt insbesondere die Aktionen von Gronchi und anderen etwa in Bezug auf die arabischen Staaten außen vor. Siehe dazu oben S. 25. Zum Folgenden vgl. grundsätzlich, und wo nicht anders angegeben, Rimanelli, Italy, S. 758‑795.

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bene Position ein. Bonn hatte gefordert, dass zumindest ein NATO-Partner auf dem Kontinent ebenfalls Mittelstreckenraketen stationierte, und nahm dabei fast automatisch Italien in die Pflicht. Die Erfolge des westlichen Bündnisses bei der Umsetzung der Raketenstationierung erbrachten für Italien einen deutlich spürbaren Prestigegewinn, sie änderten jedoch an den Schwächen und Dilemmata nichts Grundsätzliches. Die italienische Regierung war weniger aus reflektiertem Eigeninteresse und strukturiertem strategischem Denken heraus tätig geworden, sondern wegen fehlender Alternativen, mangelnder Erfolge und dem Zwang zur Bündnissolidarität. Die Allianz bildete den entscheidenden Sicherheitsgaranten, wohingegen Italien gerade auch an der Südflanke kaum eigene, nachhaltige Akzente setzen konnte. Insbesondere das Lavieren zwischen NATO und den USA einerseits und den Problemstaaten jenseits des Mittelmeers andererseits ging weiter. Zwar engagierte sich Italien zwischen 1982 und 1984 mit eigenen Truppen im Libanon und begrenzt auch bei anderen Krisen, es geriet jedoch danach wieder zwischen die Fronten, ohne zur Stabilisierung beizutragen bzw. Sicherheitsgewinn zu erzielen. Dies trat verstärkt Mitte der achtziger Jahre zutage, als es wegen der Folgen der Entführung der »Achille Lauro« zu einem zeitweise dramatischen Konflikt zwischen Italien und den USA kam636 und die Luftangriffe der 6. US-Flotte gegen Libyen zu weiteren Zerwürfnissen führten. Abgesehen davon, dass Italien trotz seiner Bemühungen um Annäherung an arabische bzw. nordafrikanische Regierungen terroristische Attacken zu gewärtigen hatte und im Falle Gaddafis sogar gedemütigt wurde, zeigte sich, dass die US-Streitkräfte, anders als etwa in Mitteleuropa, nicht ausschließlich der Abschreckung dienten, sondern aktive Kampfinstrumente zum Einsatz außerhalb des Bündnisgebietes waren. Die Italiener reagierten eher, als dass sie aktiv gestalteten637. Sie hatten sich mit kleinen politischen Spielräumen zu begnügen, die sie trotz aller Bemühungen nur wenig erweitern konnten. Die militärisch maßgeblichen Faktoren bildeten die USA und ihre Flugzeugträger. Analog zur politischen Dimension entwickelten sich die Dinge im militärischen Bereich. Obwohl nicht nur politische und militärische Verantwortungsträger die entscheidende Rolle Italiens als Zentralmacht im Mittelmeer immer wieder betonten, übte Rom nach Osten kaum Einfluss aus. Gerade im Hinblick auf den griechisch-türkischen Konflikt gelang es der italienischen Regierung weder politisch mit dauerhaftem Erfolg zu vermitteln638, noch konnte ihr Militär eine wesentliche, übergreifende Stärkung und Stabilisierung des östlichen Mittelmeers gewährleisten. Es gelang den Italienern zu keinem Zeitpunkt, eines der wesentlichen geostrategischen Grundprobleme der Region, 636

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Palästinsenser hatten am 7.10.1985 das Kreuzfahrtschiff entführt und einen teilgelähmten USBürger erschossen. Die »Achille Lauro« hatte danach in Port Said festgemacht, wo die Entführer von der ägyptischen Regierung freies Geleit erhielten und mit einer Passagiermaschine nach Italien aufbrachen. Die Amerikaner erzwangen unter Einsatz von Jägern gegen den Willen der italienischen Regierung die Landung der Maschine auf einem ihrer Stützpunkte auf Sizilien. Die Verhaftung scheiterte indes, weil die US-Spezialverbände ihrerseits von italienischen Soldaten und Polizisten umstellt wurden. Die Terroristen wurden schließlich in Italien vor Gericht gestellt und verurteilt. Etwas positiver in der Wertung der Ergebnisse Cremasco, Italy: A New Role in the Mediterranean?, S. 205‑233. Dazu Nuti, A Decade of Delusions, S. 210.

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die politische und militärische Zerklüftung, Isolierung und Zersplitterung gerade im Hinblick auf die Bündniskohäsion, zu überwinden. Die reale militärische Situation entwickelte sich innerhalb der für die westlichen Industrienationen üblichen Bahnen und lässt sich durchaus mit der Lage an der Nordflanke vergleichen, wenn auch mit anderen Ausprägungen und Gemengelagen. Insbesondere wurde die Sicherheits- und Militärpolitik, vor allem die Rüstung, maßgeblich durch die innenpolitischen Verhältnisse und nicht zuletzt durch die finanzielle Kontrolle der Parlamente begrenzt. Die Regierung versuchte, den Mangel an Mitteln durch effiziente Programme und die Nutzung technologischen Fortschrittes wettzumachen. Grundsätzlich forderte die geografische Lage des Landes ein besonders Augenmerk auf den maritimen Aspekt, weil der italienische Stiefel weit in das Mittelmeer ragte. Tatsächlich aber konnte die italienische Marine lange Zeit trotz wiederholter Anstrengungen hinsichtlich ihrer Kampfkraft die Erfordernisse nicht erfüllen. Seit Mitte der fünfziger Jahre hatte man immer wieder Modernisierungsprogramme aufgelegt, die aber die Fähigkeiten nur teilweise erhöhten. Insbesondere hielt man nicht zuletzt infolge finanzieller Engpässe wegen des offenkundigen Desinteresses im Parlament an der Marinerüstung fast ausschließlich an Kanonen- bzw. Flugkörpereinheiten fest, anstatt Flugzeugträger zu bauen639. In der Flugkörperentwicklung erreichten die Italiener immerhin wirkliche Innovationen, die ihnen zeitweise eine Vorreiterrolle bescherten640. Andererseits gelang eine entsprechende Ausnutzung moderner Technik für realen Sicherheits- und Bedeutungsgewinn nicht. So stellte man in den sechziger Jahren den Raketenkreuzer »Garibaldi« in Dienst, der als Atomwaffenträger im Sinne der Massive Retaliation hätte dienen können. Ihn ereilte strategisch gesehen dasselbe Schicksal wie die MLF. Die Amerikaner waren keineswegs bereit, irgendwelche effektive Teilhabe an der Entscheidung über den Einsatz ihrer Atomwaffen einzuräumen. Letztlich fungierte die italienische Marine nicht als übergreifende Klammer im Mittelmeer. Diese Funktion übte im Wesentlichen die 6. US-Flotte aus, darin zumindest teilweise eher von der französischen Marine unterstützt, die jedoch wegen der Ausrichtung auf nukleare Abschreckung auf transatlantischer und sogar globaler Ebene im Mittelmeer nur begrenzte Kräfte vorhielt641. Dazu kam die grundsätzliche Definition der militärischen Prioritäten in Italien, die für die italienische Marine lange Zeit ungünstig ausfiel. Traditionell lag für die Strategen und Planer das Schwergewicht auf der Verteidigung des Nordostens gegen eine Invasion auf dem Landwege642. Bis weit in die sechziger Jahre hinein bestand für viele die Hauptgefahr darin, dass ein Feind Oberitalien nach einem Vorstoß über Gorizia bzw. an der Mittelmeerküste entlang rasch eroberte und damit die Verbindung zwischen 639

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Erst seit 1969 verfügte die italienische Marine über eine entsprechende Einheit. Allerdings war dies kein vollgültiger Flugzeugträger, sondern ein Kreuzer namens »Vittorio Veneto« mit Helikopterflugdeck. Rimanelli, Italy, S. 820‑847. Ebd., S. 836 f. Ein sehr guter Überblick über die Leistungsfähigkeit und Grenzen der französischen und der italienischen Marine im Mittelmeer bei Salerno, Global Independence, S. 196‑225. Zum Folgenden vgl. grundsätzlich Cremasco, Der Alpenraum im Kalten Krieg, S. 270‑274. Vgl. dazu etwa auch die Ansichten des italienischen Kriegstheoretikers Guiseppe Fioravanzo: Rimanelli, Italy, S. 840‑842.

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Südflanke und Mittelabschnitt aushebelte. Dementsprechend wurde ein großer Teil der Mittel zum Schutz der Po-Ebene und der vorgelagerten neuralgischen Punkte verwendet. Dass davon vor allem Heer und landgestützte Luftwaffe profitierten, lag auf der Hand, und nicht zuletzt bezog auch die AMF hieraus wesentliche Legitimation, da Nordostitalien eines der Einsatzgebiete darstellte (»Contingency Area« S-4). Erst als die neuen Perspektiven und Gefahren seit Ende der sechziger Jahre spürbar wurden, kam es zu einer Gewichtsverlagerung. Auf NATO-Ebene richtete man, vergleichbar zur Nordflanke, eine maritime Einsatzgruppe ein, die wie die AMF bzw. STANAVFORLANT bei Krisen eingesetzt werden sollte, um den Zusammenhalt und den Abschreckungswillen der Allianz zu demonstrieren. Anders aber als die STANAVFORLANT war die NAVOCFORMED kein stehender Verband, sondern sollte je nach Bedarf zusammengestellt werden643. Die italienische Seite begann ab 1975 mit einer massiven Aufrüstungs- und Modernisierungskampagne und erstellte dazu im Jahr 1977 ein Weißbuch644. Neben der Bereitstellung von modernen Lenkwaffeneinheiten, U-Booten und Abwehrmitteln gegen feindliche U-Boote waren der Bau eines Flugzeugträgers und dann die Aufstellung spezieller Einsatztruppen von Bedeutung. Das Heer erhielt zur Verteidigung der Nordostgrenze zusätzliche Panzer vom Typ Leopard 1645. Die Luftwaffe bekam den Tornado als Nachfolger u.a. für den problembehafteten Starfighter. Einen Höhepunkt erreichte die Entwicklung in den achtziger Jahren unter den Ministern Lelio Lagorio und Giovanni Spadolini, die – bezeichnenderweise keine Christdemokraten – sowohl die Stärkung der italienischen Streitkräfte vorantrieben als auch deren Bedeutung nach außen propagierten und steigerten. Dies führte zu erheblichem Prestigegewinn und fand schließlich direkte Anerkennung bei Ronald Reagan. Die Erfolge zogen indes nur relative Verbesserungen nach sich oder waren nicht von Dauer. Trotz der neuen Kriegsmittel, nicht zuletzt auch der Aufstellung der mobilen Einsatztruppe, der FIR, waren den italienischen Streitkräften im Mittelmeer weiterhin vergleichsweise enge Grenzen gesetzt. Die schweren Einheiten, darunter der 1985 in Dienst gestellte Flugzeug- bzw. Hubschrauberträger »Guiseppe Garibaldi«, waren ohne Hilfe der 6. US-Flotte aus der Luft äußerst verwundbar und mussten durch landgestützte Jäger geschützt werden646. Dazu kam die Tatsache, dass die Kräfte angesichts der langen verwundbaren Küsten begrenzt waren. Letztendlich blieb die italienische Marine gewissermaßen am Stiefel ›kleben‹, d.h. Einsätze nach Osten mit dauerhafter und flächendeckender Wirkung kamen kaum in Betracht647. Immerhin konnte sie die Amerikaner von sekundären Aufgaben, Küsten- und Geleitschutz sowie U-Boot-Bekämpfung entlasten. Dazu kamen die Demonstration und die Sicherung der Bündnissolidarität sowie die

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Dazu Sokolsky, Seapower in the Nuclear Age, S. 109‑112. Neu: La Nave, The Transformations of Defense, S.112‑114. Caligaris, Italy; zudem Rimanelli, Italy, S. 852‑856. Der Leopard  2 wurde zwar projektiert, aber nie eingeführt. In den neunziger Jahren erhielt die italienische Armee dann einen eigenen Hauptschlachtpanzer, den C1 Ariete. Zur überragenden Rolle der 6. US-Flotte gerade auch aus italienischer Sicht vgl. Rimanelli, Italy, S. 857‑865. Ebd., S. 854‑856.

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Unterstützung der USA bei Out-of-area-Einsätzen648. Man baute gewisse Fähigkeiten zum pointierten Einsatz auch im arabischen Raum auf und konnte damit vor allem politische Demonstrations- und Prestigeerfolge erzielen. Gerade die Ereignisse um die Entführung der »Achille Lauro« und um Libyen hatten aber gezeigt, dass es Untiefen gab, die das Bündnis eher schwächten als stärkten und zudem großes Konfliktpotenzial in sich trugen. Eine dauerhafte und tragfähige Stabilisierung bzw. Abschreckung über den ganzen Mittelmeerraum hinweg zu leisten, war die italienische Marine nicht in der Lage. Insofern hatte sich im Vergleich zu den fünfziger und sechziger Jahren nicht wirklich etwas geändert. Auch in den neunziger Jahren änderte sich die Lage trotz der großen Umwälzungen nicht wesentlich. Gerade bei der heiklen Frage der Nutzung der US-Basen auf italienischem Staatsgebiet für Krisen und Kriege außerhalb des Bündnisgebietes kam es wiederholt zu schweren Auseinandersetzungen. Auch in diesem Punkt erinnerte das Ganze an die Problemlage der weiter östlich gelegenen Bündnispartner. Trotz der fortgesetzten, mitunter sogar dramatischen Beschwörungen etwa auch der italienischen Generalstabschefs, die Südflanke zu stärken, ergab sich keine entscheidende Prioritätenverlagerung649. In Bezug auf die grundsätzliche Gewichtung der militärischen Schauplätze änderte sich ebenfalls wenig. Zwar kam es zwischen den italienischen Teilstreitkräften zu heftigen Auseinandersetzungen um die Zuweisung der Ressourcen gemäß der Bedeutung der militärischen Teilbereiche (Land- bzw. Seekriegführung, Ausrichtung der Luftwaffe, Verfügungsgewalt über die Seeluftstreitkräfte), dies jedoch führte nicht zu entscheidenden Neuerungen650. Vor allem für die Planer, hier nicht zuletzt auch die Vertreter des NATO-Mittelabschnittes, lag der essenzielle Schwerpunkt weiterhin in Nordostitalien, da hier eine Nahtstelle für die Gesamtverteidigung entstehen konnte. Beide Aufgaben, Verteidigung zu Lande und maritime Verteidigung, standen weiterhin ganz oben auf der Agenda und überragten die anderen Obliegenheiten. Dies hatte auch schon zuvor gegolten. Was nun an allererster Stelle stehen sollte, wurde je nach politischer Einstellung beantwortet651. Gerade in der NATO aber dürfte das Gorizia-Gap meist an der Spitze der Agenda gestanden haben652. Italien war bis zum Ende des Kalten Krieges ein treuer Bündnispartner, der im Rahmen seiner Möglichkeiten zur Stabilisierung und zur Abschreckung beitrug. Allerdings kam es immer wieder zu Rückschlägen und Niederlagen, wie etwa durch die Nichtteilnahme an den trilateralen Verhandlungen um die Kosten der konventionellen Aufrüstung und das »Offset-Abkommen« Ende der sechziger Jahre653. In diesem Zusammenhang zu nennen ist vor allem der Ausschluss Italiens aus dem NATO-Gipfel in Guadeloupe im Januar 1979, auf dem der NATO-Doppelbeschluss zementiert wurde. Bei diesem Treffen ging es keineswegs ausschließlich um die Mittelstreckenraketen, sondern um die

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So z.B. im »Tanker War« im Persischen Golf 1987/88, Palmer, Guardians of the Gulf, S. 131 f. Dazu »Comments by the Italian Chiefs of Staff«. Caligaris, Italy, S. 79‑81. Paradigmatisch hierfür Rimanelli, Italy, S. 852 f. und S. 925 f. Dazu Luraghi, The Italian Role in NATO, S. 160‑165. Hierzu sind noch weitere Forschungen nötig, auch in Bezug auf die Meinung der Marinevertreter. Nuti, A Decade of Delusions, S. 208 f. Immerhin konnte sich Italien einen prominenten Sitz in der Nuklearen Planungsgruppe sichern. Ebd., S. 204 f.

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NATO-Strategie insgesamt. Insbesondere wurden auch Themen der Flanken erörtert, so etwa hinsichtlich der Klagen aus Norwegen bezüglich der mangelnden Würdigung der Nordflanke. Die nordischen Monita verhallten jedoch weitgehend ungehört. In der Tat stand dann bei diesem Themenkomplex erneut die Südflanke im Zentrum, vor allem die Lage im Golf und die Frage der Out-of-area-Einsätze. Interessanterweise kam in Guadeloupe auch die Lage in der Türkei auf die Tagesordnung. Die Amerikaner verlangten angesichts ihres Engagements außerhalb des Bündnisgebietes und den daraus erwachsenden Belastungen sowie den fortgesetzten Problemen Washingtons mit dem griechisch-türkischen Konflikt, dass ein europäischer Partner die Führung für die Sanierung der Türkei übernehme654. Nach »längerem Schweigen« sagte Helmut Schmidt zu655. Die Italiener wurden, dies ist bezeichnend für die strategisch-politische Gesamtlage im Mittelmeer und die italienische Rolle dort, nicht beteiligt. Die Regierung in Rom steuerte dagegen und ergriff aus dieser defensiven Haltung heraus gewissermaßen die Flucht nach vorn, indem sie die Stationierung der Raketen offensiv und nachhaltig unterstützte. Italien agierte im Bündnisrahmen gemäß seinen Fähigkeiten und Interessen, zeigte sich wirtschaftlich indes stärker als Griechenland und die Türkei. Es belastete die NATO auch nicht mit harten Dauerkonflikten, wie dies Letztere taten. Dennoch standen die Italiener für einen wesentlichen Widerspruch aller Militärbündnisse in Raum und Zeit, der gerade für die strukturelle Integrität der Allianz gefährlich werden konnte. Die Propagierung bzw. Forderung eigener Stärke, hier die Südflanke betreffend, bleibt nicht nur wirkungslos, sondern kann einen Bedeutungs- und Abschreckungsverlust nach sich ziehen, wenn den Worten dauerhaft keine Taten folgen, sondern die Partner sich ständig die eigenen Forderungen und Defizite wechselseitig vor Augen führen. Die Aufzählung von Mängeln und Vorschläge zu deren Abstellung führen in die Sackgasse, wenn die Realisierung, mithin die Begleichung der Kosten fortgesetzt den anderen zugeschoben wird. Dies führt nicht zu realem Sicherheitsgewinn, sondern zum Gegenteil, insbesondere wenn entsprechende Konflikte öffentlich ausgetragen werden. Es besteht die Gefahr einer indirekten Selffulfilling Prophecy, d.h. die Auflösung der Bündnissolidarität durch ständiges Diskutieren der Widersprüche zwischen Allianztreue und nationalem Egoismus. Im Falle Italiens stellte sich die Lage wie folgt dar: »once national security was assured by NATO in 1949 every Italian government after De Gasperi came to see implicitly Italy’s membership not a chance to ideologically and military integrate her defenses within the broader Atlantic Alliance in preparation for a possible World War III against the Soviet bloc, but as a purely diplomatic tool to avoid a dangerous isolation within the West while exploiting the existing unstable balance between rival blocs to establish politico-economic relations with the adversary through an ambiguous ›semi-equidistant‹ peaceful diplomacy to minimize confrontation between the blocs and against Italy [...] But no country which aspires at a position of Powership or influence can ever sleep easily if its

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Dies war von Washington schon in den Jahren zuvor ins Auge gefasst worden. FRUS 1969‑1976, vol.  30, Dok.  234: Paper Prepared in Response to National Security Study Memorandum, US Security Policy toward Turkey, 20.8.1975 . AAPD, 1979, Bd 1, Dok. 5, Vermerk über das Gespräch der vier Staats- und Regierungschefs in Guadeloupe am 6. Januar 1979, 6.1.1979, S. 29. Vgl. ferner ebd., Dok. 2‑4.

III. NATO-Strategie und Bündniskohärenz

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defenses is the trust of others, however well-meaning these brothers-in-arms are. Especially in the volatile Mediterranean region [...] Italy must reassert a measured degree of influence in the name of her own national interests and for those of NATO and the European Union of which she is proud to belong to656.«

Die grundsätzliche Situation und die Probleme an den Flanken bildeten die Rahmenbedingungen für die Geschichte der AMF. Einerseits lebte die Truppe von der Bündnissolidarität, sie verkörperte diese sogar. Andererseits ergaben sich viele Widersprüche und Probleme, die sich bis in den direkten ›Einsatz‹ ihrer Bataillone, die Übungen, auswirkten. Hier sind vorrangig vier Themenkreise zu nennen. Erstens beeinflussten die aktuellen Konflikte die Bereitschaft der Partner, insbesondere auch der »Host Nations«, sprich: der Flankenmitglieder, die Manöver der AMF zuzulassen. Zweitens fluktuierte die Unterstützung der Truppe durch Geld- und Sachleistungen wie Depots und Transportmittel, auch bedingt durch die instabile wirtschaftliche Lage der einzelnen Länder. Drittens wirkte sich die innenpolitische Lage der jeweiligen Nationen direkt oder indirekt auf die AMF aus, auch durch öffentliche Kommentare. Dies wiederum hatte Folgen für die Unterstützung der AMF. Schließlich stieg und fiel die strategische Bedeutung der AMF mit der jeweiligen Prioritätensetzung bei den Nationen und im Bündnis. Diese schwankte je nach Ausgestaltung der Agenda der Amerikaner (Persischer Golf ), den jeweiligen Konflikten im Bündnis, der Bedrohungslage und aktuellen Ereignissen. Wie sich der Aufbau und der ›Einsatz‹ der AMF bis zum Ende des Kalten Krieges vor diesem Hintergrund entwickelten, soll im folgenden Kapitel beleuchtet werden.

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Rimanelli, Italy, S. 795, 948. Es ist hier zu beachten, dass Rimanelli ein vehementer Vertfechter weiterer Rüstungsmaßnahmen war und entsprechend argumentierte. Seine insgesamt mehr als negative Bewertung der italienischen Rolle und der Militärpolitik Roms ist dennoch bemerkenswert.

IV. Das militärische Instrument

1. Aufbau und Finanzierung der Truppe Die Initiierung der Allied Mobile Force durch die Führungsgremien der NATO dauerte bis in die zweite Hälfte der sechziger Jahre. Erst ab diesem Zeitpunkt verfügte man über ein einigermaßen sicheres Fundament für die Truppe. Komplexe Verwaltungsapparate, die gemäß den Prinzipien rationaler Herrschaft funktionieren, benötigen Zeit und Aufwand, um die erforderliche Effizienz ihrer Instrumente herzustellen. Die obersten Entscheidungsträger legen nur die politischen und strategischen Parameter fest, was nicht immer heißt, dass alle Probleme beseitigt werden. Die mittleren und unteren Gremien werden anschließend mit der praktischen Ausgestaltung beauftragt und berichten, wenn Schwierigkeiten nicht zu lösen sind. Die entsprechende Praxis der NATO erinnert stark an das britische Modell der Verteidigungsplanung durch ein verzweigtes Ausschusssystem. Diese mittleren und unteren Ebenen fanden in der Forschung zur NATO, die sich bislang doch recht häufig auf Nordatlantikrat und Militärausschuss konzentrierte, bislang nur unzureichend Berücksichtigung. Sie sollen daher in diesem Teilkapitel im Fokus stehen. Bei den Beratungen im Nordatlantikrat und im Militärausschuss traten bereits grundlegende politische, strategische und ökonomische Probleme auf. Die grundsätzlichen Fragen nach der Kohärenz und der praktischen Ausgestaltung der Allianz spielten dabei stets eine entscheidende Rolle. Das hatte auch für die Aufstellung der AMF in den unteren Ebenen Gültigkeit. Im Zentrum der Beratungen standen zunächst die britischen Belange. Es ging vor allem um die Finanzierung der Einsätze der AMF und um die hierbei auflaufenden Transportkosten. Da die Truppe im Krisenfall schnellstmöglich zu reagieren hatte, musste sie luftverlastbar sein, sprich: man benötigte strategischen Lufttransport. Über die erforderlichen Flugzeuge verfügten aber nur die Briten und Amerikaner in nennenswertem Umfang, sodass ein Modus Vivendi für deren Nutzung und für die Bezahlung gefunden werden musste. Der Nordatlantikrat bestimmte, wie in derlei Fällen üblich, die Einrichtung einer sogenannten Ad-hoc-Arbeitsgruppe (AC/212), die rasch zusammentreten und alsbald Empfehlungen abzugeben hatte1.

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Zum Folgenden vgl. grundsätzlich und wo nicht anders belegt NATO-Archiv, AC/212, Dokumente und Sitzungsprotokolle der Working Group AC/212 1962‑1966.

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IV. Das militärische Instrument

Die ersten Vorstellungen für eine rasche Bewältigung der Aufgaben erwiesen sich als illusorisch, und die Arbeitsgruppe AC/212 wurde Schauplatz langanhaltender Streitigkeiten, die über den reinen Finanzrahmen hinausgingen und entlang der etablierten Positionen politischen Charakter annahmen. Die Geschichte dieser Arbeitsgruppe ist geradezu paradigmatisch für den inneren Zustand und die Entscheidungsprozesse der Allianz. Praktische Erfahrungen hatte man bereits mit den ersten Übungen der Allied Mobile Force in den Jahren 1961/62 gemacht (»First Try« und »Southern Express«). Es wurde schnell klar, dass ohne die Nutzung des strategischen Transportraumes der USAF jegliche Konzeption sinnlos sein würde. Die Amerikaner stellten die nötigen Flugzeuge zwar zur Verfügung, verlangten dafür aber eine Bezahlung. Um diese Kosten stritt man in den kommenden Jahren. Die Mehrheit der nationalen Vertreter in der Arbeitsgruppe vertrat die Meinung, dass die Transportkosten aus dem gemeinsamen NATO-Etat zu bezahlen seien (»common funding«). Dies sei deshalb angezeigt, weil die AMF nachdrücklich als Ausdruck der Bündnissolidarität geschaffen wurde. Man war sich einig, dass die Standardregelungen für NATO-Übungen, die vorsahen, dass diese Kosten von den jeweiligen Nationen selbst zu tragen seien, nicht greifen sollten. Die Amerikaner, stets besorgt um den Zusammenhalt der Bündnisses, stimmten einer solchen Regelung zu. Strikt und dauerhaft gegen einen solchen Konsens waren die Briten. Sie argumentierte, dass sie eine eigene Transportflotte besäßen, die ihre Anteile an der AMF in die Einsatzräume bringen konnten. Daher sei eine Finanzregelung über NATO-Töpfe erstens viel zu kompliziert und zweitens für das Vereinigte Königreich auch vergleichsweise teuer, da es für die anderen Nationen, die über keine strategischen Transporter verfügten, mitbezahlen müsse. Die Haltung der Briten verriet nicht nur deren ökonomische Grundsätze und Probleme, sondern auch ihre Einstellung zur NATO insgesamt. Der infolge der Streitereien äußerst gestresste Vorsitzende der Working Group, der stellvertretende NATOGeneralsekretär, F.D. Gregh, verwies mehrere Male mit Nachdruck darauf, dass die ganze Diskussion keineswegs mehr nur finanzieller, sondern ebenso politischer Natur sei. Die Briten betrachteten die NATO zuerst als Militärallianz souveräner Staaten und waren nur dort zu Integrationslösungen bereit, wo es ihnen als unerlässlich erschien, etwa im Bereich der militärischen Führung, der Integration der Luftverteidigung u.a.m. In allen weiteren Bereichen, vor allem bei den Finanzen und überhaupt der zivilen Integration, blieb man häufig reserviert. Im vorliegenden Fall zog dies jahrelange Debatten ohne wirklichen Fortschritt nach sich. Die Übungen der AMF in der Anfangszeit, die rasch auch zu Medienereignissen stilisiert wurden, um Abschreckungswirkung zu erzielen, standen infrage, weil die Bündnispartner sich nicht über die Finanzierung einigen konnten. Meist erzielte man jeweils erst in letzter Minute einen Ad-hoc-Kompromiss; dergestalt, dass die einzelnen Nationen ihre Kosten selbst trugen. Der eigentliche Sinn der AMF, die Bündnissolidarität, wurde dadurch mehr und mehr konterkariert. Einige der kontinentalen Mitglieder drohten schließlich den Rückzug ihrer Kontingente an, und manche machten dies dann zumindest teilweise wahr, beispielsweise Italien. Die Bundesrepublik Deutschland verringerte die Truppenstärke ihrer Einheiten,

IV. Das militärische Instrument

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beteiligte sich aber weiterhin. Die USA und auch der Vorsitzende der Arbeitsgruppe befürchteten, dass die Zerfahrenheit der Situation an die Öffentlichkeit gelangen und die AMF dadurch auch in den Augen des Warschauer Paktes entwertet würde. Die Amerikaner betonten in mehreren, manchmal dramatischen Aufrufen mit Bezugnahme auf Statements des Generalsekretärs, »that the problems raised by the Mobile Force are ›not only of a budgetary character, but imply far reaching decisions which may affect NATO’s general defence policy‹ [...] Most important, the protracted discussion over financing threatens the political credibility of the Mobile Force2.« Da man der AMF auch im politischen Bereich immer größere Bedeutung beimaß, gerade vor dem Hintergrund der ernsten Krise und ihrer Auswirkungen auf die Bündnissolidarität, wurde die Truppe zum Testfall der Allianz3. Die Bruchkante war mehr oder weniger eindeutig zu erkennen. SACEUR hob mit Unterstützung der Mehrheit der Partnerstaaten den gemeinsamen Nutzen der AMF und ihrer Übungen für die Solidargemeinschaft NATO hervor: »equal benefit to all nations of the Alliance and not only to those furnishing the forces«4; »the AMF exercises held in areas remote from the normal deployment of the participating units are less in the interests of the nations assigning these units than in the political as well as military interest of the Alliance as a whole«5. Solcherart wurde die gleichmäßige Verteilung der mit der AMF verbundenen finanziellen Lasten auf alle Schultern angemahnt. Davon und auch von noch so dramatischen Appellen der Amerikaner ließen sich die Briten nicht sonderlich beeindrucken. Für sie stand die nationale Perspektive im Zentrum; die Meinung der anderen kehrten sie damit praktisch um: »AMF exercises are no less in the national interest of member countries than other NATO exercises, with the corollary that the cost of transportation of the national AMF contingents should be nationally financed6.« Gegenüber den Amerikanern wurde man noch deutlicher: «it was a distrastrous day when SACEUR, mainly for ideological reasons, proposed the common funding of the Mobile Force exercises and even of its deployment in case of emergency [...] This would involve giving a new look to the whole Mobile Force concept for which there may be a lot to be said7.« Die Äußerung des Ideologieverdachts, für britische Ohren ein Alarmzeichen allererster Güte, gab Befürchtungen Ausdruck, dass hier möglicherweise ein ganz anderes Bündnis im Entstehen war, als die Briten es sich wünschten. Entsprechend hatten sie in der Frühzeit der NATO reagiert, als die Frage stärkeren Zusammenwachsens auf die Tagesordnung kam. Es hatte Initiativen 2 3

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NATO-Archiv, AC/212-D/24, Note by the United States Delegation, 7.7.1966. Vgl. auch ebd., AC/212, R/14, Sitzung vom 15.9.1966, Annex II, Statement by Col. Bruce-Jones. Auch im Defence Planning Committee (DPC) und in der Defence Planning Working Group (DPWG) erhielt die AMF immer größere Bedeutung. NATO-Archiv, AC/212, D/18, Financing of Mobile Force Exercises, Amendment, S. 4; AC/212, R/3, Sitzung vom 4.11.1963, S. 4; und R/16, Sitzung vom 14.11.1966, S. 4 f. NATO-Archiv, AC/212, D/6, Financing of ACE Mobile Forces Operations and Exercises, 10.10.1963, S. 5. NATO-Archiv, AC/212, D/26, Annex  I, Draft Report by the Wokring Group on the Allied Command Europe Mobile Force, 17.10.1966, S. 3. Ebd.; vgl. auch NATO-Archiv, AC/212, R/3, Sitzung vom 4.11.1963, S. 12 f. TNA, FO 371/190655, Schreiben von D.V. Bendall an das Foreign Office, 29.3.1966. Bendall war ein hochrangiger Botschaftsmitarbeiter.

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gegeben, etwa vonseiten der Kanadier, die Integration im wirtschaftlichen Bereich zu vertiefen und eine nordatlantische Wirtschaftsgemeinschaft auf der Basis des Artikels 2 des NATO-Vertrages zu schaffen8. Den Briten war es in diesem Prozess stets darum zu tun, sich maximalen Handlungsspielraum zu sichern. Sie hatten daher vorgeschlagen, eine Wirtschaftszone als Alternative zu einem rein europäischen Modell zu schaffen, waren dabei allerdings immer auf Wahrung der nationalen Souveränität bedacht9. In den sechziger Jahren begann sich London umgekehrt vor allem wirtschaftlich für Europa zu interessieren. In der NATO legte London trotz aller militärischen Integration generell große Wachsamkeit an den Tag, wenn es um eine allzu starke Einbindung auf Kosten nationaler Macht und der nationalen Finanzen ging. Jeder Schritt in diese Richtung, wie hier am Beispiel der AMF demonstriert, wurde argwöhnisch beäugt. Im aktuellen Verhandlungszusammenhang hätte der Gegensatz kaum deutlicher formuliert werden können. Diese Haltung fand in einem Zwischenbericht Eingang: »The positions taken by countries on this question are largely dictated by the practical results that they desire to see10.« Dieses Urteil traf gerade auch für die deutsche Seite zu, die die Bündnissolidarität immer wieder bekräftigte. Man trat nämlich vorwiegend deshalb für eine solidarische Finanzierung der AMF-Transportkosten ein, weil sie keinen unmittelbaren Verteidigungseffekt für das eigene Land hatte, das ja nicht an den Flanken lag11. Im Übrigen weigerte Bonn sich, die AMF allzu prominent in den Hauptplanungen des Bündnisses (Defence Planning Committee, DPC, und Defence Planning Working Group, DPWG, Defence Planning Exercise) zu verankern, weil damit die Bedeutung des Mittelabschnittes sinken konnte12. Die Grenzen zwischen solidarischem Verhalten und nationalem Egoismus waren fließend. Auch die mehrmalige Vorlage des Sachstandes bei den Ministerversammlungen der NATO-Staaten fruchtete nichts, da die Minister zwar vollmundige Erklärungen über die unbedingte Notwendigkeit der AMF abgaben, aber keine Lösungen fanden13. Der Vorsitzende der Arbeitsgruppe AC/212, Gregh, brachte dies auf den Punkt: »On the one hand, repeated statements by Ministers [...] that the Mobile Force played an essential part in safeguarding the flanks of the Alliance and that the use of these forces proved the member countries’ genuine solidarity, and on the other hand, the difficulties that arose as soon as the problems, particularly financial ones of achieving such use had to be solved14.« Dieses Ausweichen, d.h. das Hin- und Herschieben von schwierigen 8 9 10 11 12 13

14

Siehe dazu auch oben S. 14. Milloy, The North Atlantic Treaty Organization, Kap. 2. NATO-Archiv, AC/212, Financing of Mobile Force Exercises, 19.8.1962, Annex II. NATO-Archiv, AC/212, R/6, Sitzung vom 3.5.1965, S. 7. NATO-Archiv, AC/212, R/10, Sitzung vom 14.10.1965, S. 4 f. NATO-Archiv, AC/212, D/20, Note by the Chairman, 2.3.1966, D/23, ACE Mobile Force Exercises, Note by the Acting Chairman, 7.7.1966; AC/212, D/25, Financing of the ACE Mobile Force, Note by the Chairman, 18.8.1966. Die Frage wurde zwischen den Gremien (AC/212, Standing Group, Nordatlantikrat, Militärausschuss, mehrfach hin- und hergereicht. NATO-Archiv, AC/212, R/8, Sitzung vom 24.6.1965, S. 5. Der norwegische Repräsentant brachte die Diskrepanzen noch deutlicher zum Ausdruck: »the appearance of harmony during meetings of Ministers did not result in a concrete agreement in practice«, ebd., S. 8. Vgl. auch AC/212, R/9, Sitzung vom 23.9.1965, und R/13, Sitzung vom 12.7.1966., S.  4, dort jeweils mit besonderer Betonung der Bedeutung der Flanken.

IV. Das militärische Instrument

201

Fragen zwischen politischer Entscheidungs- und ›technischer‹ Arbeitsebene bei ungelösten Sachfragen, ist eine der strukturellen Hauptschwächen eines Ausschusssystems wie jenes der NATO. Letzteres erinnert im Übrigen deutlich an die Strukturen des britischen Verteidigungsapparates vor 1945 auf der Basis des Committee of Imperial Defence (CID)15. Es ist bis heute kein einfaches Geschäft, einen tragfähigen Konsens im Entscheidungsprozess herzustellen. Dies gilt ebenso für die deutsche Verwaltungspraxis, wenn diese auch teils anders funktioniert. Zu den grundlegenden Erkenntnissen der Bündnisgeschichte gehört jedenfalls, dass die Konflikte und Verhandlungen niemals wirklich abgeschlossen sind, solange eine Allianz wirklich lebt und nicht nur eine formale Hülle darstellt, sondern ständig neu diskutiert und justiert werden muss. Verschärft wurde die Lage im aktuellen Fall noch durch die schweren Zerwürfnisse der Mitglieder an der Südostflanke. Griechen und Türken verweigerten zeitweise selbst ein Minimum an gegenseitiger Kooperation16. Die Franzosen wiederum hatten zwar anfangs eine Beteiligung zugesagt und auch die Kosten für das gemeinsame Hauptquartier der AMF mitgetragen, zogen sich dann aber Mitte der sechziger Jahre im Zuge ihres Ausstiegs aus der militärischen Bündnisorganisation komplett zurück. Nach dem Austritt der Franzosen trat eine Wende ein. Die Briten gerieten zunehmend unter Druck, als die letzten ihrer Sympathisanten in der Finanzfrage, vor allem die Portugiesen, begannen, ihre Position zu überdenken. Die Verantwortlichen im britischen Außenministerium und im Verteidigungsministerium erkannten dies und bemühten sich um eine Lösung, bewegten sich damit aber zwischen dem Bündnis und dem eigenen Schatzamt17. Es wurde immer offensichtlicher, dass die eigene Position unhaltbar wurde, weil Großbritannien als einzige Nation den Fortschritt nun über Jahre hinweg blockierte und dadurch die AMF und den Solidargedanken insgesamt gefährdete. Das Inselreich sah sich zunehmend in der Isolation und wäre im Falle eines Scheiterns als 15

16

17

Zu vergleichbaren Problemen des britischen Ausschusssystems vor 1939 vgl. Lemke, Luftschutz, Kap.  III.2.a, v.a. S.  184‑191. Teils wurden auch Probleme nicht disktutiert, sondern von verschiedenen Zwischenebenen jeweils nur weitergeleitet (vgl. O’Brien, Civil Defence, S. 39 f.). Als Äquivalent der NATO zu den Ergebnissen dieser beiden Arbeiten vgl. Thoss, NATO-Strategie, II. Teil, Kap. V, hier u.a. das Organigramm S. 625. Für den breiteren historischen Rahmen für die Probleme und Features des CID vgl. v.a. Johnson, Defence by Committee; sowie Watt, Was the Committee of Imperial Defence a Failure? Ein Vergleich der Strukturen in der NATO mit denen des britischen Apparates zu Zeiten des CID und der alliierten Kommandostrukturen in Europa bis 1945 wäre lohnend, etwa mit dem Bezugssystem Nordatlantikrat, Defence Planning Committee und Militärausschuss sowie den entsprechenden Unterausschüssen. Dabei wäre durchaus Vorsicht geboten, da die Verhältnisse sicherlich nicht im Verhältnis 1:1 zu übertragen sind und das CID nach dem Zweiten Weltkrieg im britischen Verteidigungsapparat keinen Bestand hatte. Indes sind interessante Ergebnisse zu erwarten, wenn sich der Historiker nicht in zu kleinteiliger Detailsuche verliert. Als Beispiel hierfür (NATO-Übungen) vgl. SHAPE-Archiv, SHAPE  200/66, SHAPE History 1960‑1965, vol. 1, S. 668; Maloney, Fire Brigade, S. 606. Zu den vielfältigen Konflikten zwischen der Türkei und Griechenland sowie deren Auswirkungen vgl. (Angaben nur in Auswahl möglich): Kuniholm, The Evolving Strategic Significance; Papacosma, Greece and NATO: A Nettlesome Relationship; Akbulut, NATO’s Feuding Members. Vgl. insgesamt den älteren, aber immer noch recht instruktiven Sammelband Politics and Security. Zum Folgenden TNA, FO 371/190655, F.O. Minute, Financing of ACE Mobile Force Exercise, 21.3.1966, mit ausführlichem Begleitmaterial. Vgl. auch die Fortsetzung dieser Aktenreihe in FO 371/190656.

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IV. Das militärische Instrument

Hauptschuldiger dagestanden. Da die AMF auch von den Briten als wichtiges Element der Gesamtstrategie betrachtet wurde, wollten sie ein Scheitern des Projektes AMF keinesfalls riskieren. Die Verantwortlichen in den britischen Ministerien versuchten fortgesetzt, die Treasury von der Notwendigkeit einer Lösung zu überzeugen, hatten damit aber zunächst keinen Erfolg, weil Großbritannien unter wirtschaftlich-finanziellen Schwierigkeiten und Defiziten der Zahlungsbilanz litt18. Man versuchte eine Lösung intern damit schmackhaft zu machen, indem man die AMF als eine Art Ersatz bzw. Ergänzung für die abzuziehenden Verbände der Britischen Rheinarmee präsentierte, verbunden mit der Option einer vollkommenen Flexibilisierung der Landkriegführung19. Schließlich gab die Treasury nach und die Briten erklärten sich bereit, das »common funding« zu unterstützen. Die USA erleichterten diese Entscheidung, indem sie anboten, den Briten für zwei Jahre die zusätzlichen Kosten zu erstatten20, wenn dadurch eine Gesamtlösung ermöglicht werde. Die Einigung im Grundsatz kam im DPC Ende 1966 zustande21. Die Bewältigung des primären Problems hatte fast fünf Jahre gebraucht. Aber auch danach konnten viele Unklarheiten erst im Laufe von Jahren beseitigt werden. Die Abrechnung der Zahlung im Rahmen des »common funding« entwickelte sich schon Anfang der siebziger Jahre wegen der nationalen Egoismen (u.a. ökonomische Interessen, administrative Blockaden, unterschiedliche Wechselkurse) zum Dauerthema22 und machte noch 1977 Schwierigkeiten23. Außerdem konnte man sich lange nicht auf die Bereitstellung und Finanzierung dringend benötigter Komponenten (Luftabwehrelemente und Panzerabwehrkompanie) einigen24. Zwischenzeitlich wurde der in den sechziger Jahren mühsam erreichte Kompromiss zur internationalen Finanzierung wieder infrage gestellt, als die Ölkrise von 1973 zu schweren Einschnitten zwang, die sich auch für die AMF mit ihrem Bedarf an aufwändigem Lufttransport niederschlugen25. Trotz alledem war am Endes des Tages ein handhabbarer Modus Vivendi erreicht. Bei den AMF-Übungen seit Ende der siebziger Jahre hatte sich dann die routinemäßige Abwicklung der Kosten zwischen CINCENT bzw. SHAPE, aus deren Etats die Mittel bestritten wurden, und den nationalen Verteidigungsministerien mehr oder weniger 18 19

20 21 22 23

24

25

Zum Folgenden vgl. TNA, FO  371/190656, J.E. Makin, UK Delegation to NATO an FO, 10.8.1966, mit ausführlichen Begleitdokumenten. TNA, FO  371/190656, Schreiben von McDonnell an R.J. Andrews MOD, mit Draft zur Besprechung über die Allied Command Europe Mobile Force vom 12.10.1966 (»to get away from the concept of large static armies on the continent while at the same time maintaining the security that NATO provides«), und FO Minute, Financing of ACE Mobile Force vom 9.11.1966. Für 1967 und 1968 je USD 600 000. TNA, FO 371/190656, UK Delegation to NATO an FO, 16.12.1966. SHAPE-Archiv, 16mm P 01-B R-10 L-139, AMF Exercises – Transportation Costs, 23.9.1970 (20000001090.pdf ). SHAPE-Archiv, 16mm P 01-B R-45 L-038, AMF Exercises – Funding Policy, 2.3.1977 (20000006072.pdf ), SHAPE-Archiv, 16mm P 01-B R-48 L-690, ACE Major Exercise – AMF Arrow Express  77, Expenditure Proposals, 29.6.1977 (20000006726.pdf ). Ein wesentliches Problem: Die von der NATO ausbezahlten Beträge deckten die realen Kosten nur etwa zur Hälfte. NATO-Archiv, AC/212, Alliance Defense Problems for the 1970s, First Major Report, Mobile Multi-National Forces, 1.10. 1971, Annex B; TNA, T/2253616, Air Transportation Costs, 25.2. 1971, mit Begleitdokumenten. Nähere Ausführungen können an dieser Stelle aus Platzgründen nicht gemacht werden. Siehe auch unten S. 214, 233, 244, 266. SHAPE-Archiv, 16mm P 01-B R-28 L-064, Minutes of the Quarterly SHAPE/AMF (L) HQ Meeting (25.‑26.2. 1974), passim, v.a. S. A-13 f. (20000003655.pdf ).

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203

routinemäßig etabliert26. Für den Transport der Einheiten zu Lande oder zu Wasser erstattete die Allianz den Partnerstaaten 100  Prozent der Kosten, für den Lufttransport 50 Prozent27. Der ganze Prozess benötigte viel zu viel Zeit, verlief zu umständlich und erwies sich für die Effizienz und die Wirkungsmacht der AMF innerhalb des Abschreckungskonzepts als nachteilig. Immerhin aber blieben die NATO-Partner so flexibel, dass sie mittels Ad-hoc-Entscheidungen die ganze Truppe am Leben erhielten. Vergleicht man den Entscheidungsprozess mit der Sinngebung und der öffentlichen Darstellung der AMF, fallen erhebliche Diskrepanzen auf.

2. Organisation und Koordination Die NATO versteht sich als ein Bündnis kapitalistischer und auf einer überwiegend rationalen Herrschaftsordnung gegründeter Nationalstaaten. Demzufolge konnte erst nach ausführlicher und eindeutiger Klärung des Finanzaspekts der endgültige Einbau der Allied Mobile Force in die strategische und administrative Struktur stattfinden. Dies geschah günstigerweise zwischen 1966 und 1972, just in dem Zeitraum, in dem der große Strategiewandel stattfand, dessen Ergebnisse bis zum Ende des Kalten Krieges Bestand haben sollten. Die Grundlagendokumente zur formalen Einbindung der AMF in das Bündnis wurden sämtlich auf der Basis der Flexible Response erstellt28. Da die AMF explizit als Instrument für das Krisenmanagement im unteren Konfrontationsspektrum vorgesehen war, spielten für ihre Einsatzplanung die Szenarien der höheren Eskalationsstufen keine Rolle. Auch die Frage, ob und wann ein Nuklearschlag erfolgen sollte, tangierte die Truppe nicht wirklich. Die Bandbreite ihrer Einsatzoptionen reichte von allgemeinen Destabilisierungsversuchen des Ostblocks und der Desavouierung der NATO etwa unter Instrumentalisierung der vorgelagerten Mittelstaaten (vor allem Finnland, Syrien, Irak)29 bis zu direktem Einsatz einzelner Kampfverbände in 26

27 28 29

Vgl. beispielsweise BArch, BW  2/14872, Telegramm CINCENT an MOD GE, Exercise Anvil Express 80 – Airlift Costs, 14.10.1980, mit den entsprechenden deutschen Begleitdokumenten; sowie BArch, BW  2/14871, Fü  S III  6 an SHAPE, Exercise Avalanche Express  84, 30.8.1984, mit Begleitmaterial. In dieser Akte weitere Abrechnungsdokumente, z.B. für »Ample Express 83«, »Adventure Express 83« und »Apex Express 82«. Ferner BArch, BW 2/8346 (»Arrow Express 77«); BArch, BW 2/8345, Telegramm CINCENT an Fü S III 6, exercise allegro express [77] – airlift costs, 3.6.1977; BArch, BW 2/15162, Telegramm CINCENT an MOD GE, ex anorak express 80 – airlift cost, 3.4.1980. BArch, BW  2/56303, SHAPE, 5100/SHBSB/51-117/92, SHAPE – Financial Provisons for Essential Exercises from 1995 Onwards, 10.3.1992, mit umfangreichem Begleitmaterial. Zu den strategischen Grundlagen siehe oben Kap. III.1. Vgl. dazu die Dokumentenserie SG 255 in PDP, CD 013, The Threat to NATO’s Southern Flank resulting from Soviet Penetration into the Middle East and North Africa, 24.3.1959 (SG 255/3), 20.8.1963 (SG 255/4), 18.5.1965 (SG 255/5), 1.5.1966 (SG 255/6). Die allgemeine Einschätzung der Staaten im Mittleren Osten (v.a. Syrien und Irak) ergab dabei ein positiveres Bild als in anderen Flandernregionen. Die Regime dort waren keineswegs erpicht, sich von der Sowjetunion an die Kandare nehmen zu lassen. Die eigentliche Gefahr sahen die NATO-Stäbe vor allem in einer Destabilisierung angesichts des Palästinakonfliktes.

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IV. Das militärische Instrument

Bataillons- oder Brigadestärke bzw. von Spezialverbänden wie Fallschirmjägern und amphibischen Einheiten. Das angenommene Bedrohungsspektrum wurde durch genaue Begriffsdefinitionen der Direktive MC 78 definiert30: 1. »Hostile Local Actions«: rasche Vorstöße auf NATO-Gebiet und die Besetzung exponierter oder schwacher verteidigter Gebiete, dies insbesondere in einer günstigen politisch-psychologischen Situation. Das angenommnene Kalkül entsprach dem, was in der Öffentlichkeit dann als »Scheibchen- bzw. Salamitaktik« bekannt wurde, d.h. die Hoffnung, dass die durch den jeweiligen Fait-Accompli eingenommenen Landstriche nicht mehr von der NATO zurückgewonnen wurden. 2. »Incursions«: kurzfristige Angriffe auf NATO-Gebiet, um Verwirrung, Angst und Unsicherheit zu schüren. 3. »Infiltrations«: verdeckte Operationen durch Agenten oder politische Hilfsorganisationen (»Communist Fifth Columns«) in den jeweiligen NATO-Staaten. Als Hauptbedrohung sahen die NATO-Stäbe weniger die unmittelbaren militärtaktischen Nachteile, sondern vielmehr eine mittel- oder langfristige Aufweichung der Bündnissolidarität, die wegen der politischen und finanziellen Interessenkonflikte ohnehin nicht immer stabil war. Als Gegenmittel (»effective deterrent«) betrachtete der NATO-Militärausschuss die rationale bzw. psychologische Beeinflussung des Gegners, das heißt es sollte dem Warschauer Pakt klargemacht werden, dass der Nutzen solcher Aktionen in keinem Verhältnis zu den Risiken stand. Für den Einsatz eigener Truppen ergingen klare Vorgaben: »The principal elements of an effective deterrent are adequate forces so organised, disposed, trained and equipped as to be unmistakably ready; and the manifest destination to resist any aggressor with any or all means at the disposal of the Alliance, including nuclear weapons, should the situation so require31.« Diese Forderung behielt für die Gestaltung und den ›Einsatz‹ der AMF bis zum Ende des Kalten Krieges Gültigkeit. In Verbindung mit der allgemeinen Aufwertung der Flanken als strategische Grundpfeiler des Bündnisses kam der AMF als per se flexiblem und voll mobilem Verband eine Vorreiter- und Elitefunktion zu32. Die Ursache hierfür dürfte nicht zuletzt auch darin gelegen haben, dass die Briten als eines der tonangebenden Mitglieder des Bündnisses aus finanziellen Gründen flexible Kommando- und Verstärkungsverbände als wesentliches Element ansahen33. 30 31 32

33

PDP, CD 003, MC 78, Understanding of certain terms, 4.4.1958. Ebd., S. 2. (Hervorhebung Bernd Lemke) Der Hinweis auf die nukleare Komponente könnte in späteren Versionen (von der NATO einstweilen noch nicht freigegeben) beseitigt worden sein. Ganz zentral hier SHAPE-Archiv, AC/281-Report (71)36, First Major Report (SHAPE) Mobile Multi-National Forces, 1.10.1971. Dieser Bericht hatte gravierende Mängel in der Aufstellung (Order of Battle) bei den NATO-Truppen im Mittelabschnitt ausgemacht, die nicht zuletzt von den Dislozierungen der unterschiedlichen Kontingente (Schichttortenprinzip) herrührten: »fundamental maldeployment«. Man trachtete danach, diese Mängel durch die teilweise Zusammenführung der unterschiedlichen Kräfte in multinationalen Verbänden zu beheben. Dies konnte aus vielfältigen Gründen einstweilen (und wohl auch bis zum Ende des Kalten Krieges) nicht bewältigt werden. Das Ganze sollte am Beispiel der AMF experimentell erprobt werden. Es wäre ein überaus interessantes Unternehmen, einmal zu untersuchen, inwieweit traditionelle strategische Paradigmen (vor allem der Einsatz der Kolonialtruppen des Empire seit dem 18/.19. Jahrhundert) die strategische Grundhaltung der Briten auch in der NATO mitbestimmten.

IV. Das militärische Instrument

205

Die konkreten Einsatzpläne der AMF basierten auf der Erwartung, dass die notorischen Schwächen des Bündnisses an den Flanken durch hohe Mobilität und Flexibilität ausgeglichen werden konnten. Die Kunst bestand darin, mit so wenig Aufwand wie möglich maximale Effizienz zu erzielen, sei es bei der Abschreckung, sei es bei direktem militärischem Einsatz: Die fehlende militärische Stärke musste durch überlegene Mobilität wettgemacht werden. Wenn ich es nicht schaffe, überall ausreichend Kampftruppen zu stationieren, muss ich dafür sorgen, die Kampftruppen, die ich aktuell habe, immer dort einzusetzen, wo es gerade am heftigsten brennt. Die Hauptschwierigkeit an den Flanken bestand in der Tat darin, dass dort kaum aktive Kampfverbände außer den Einheiten der Partner vor Ort vorhanden waren und eine generelle, dauerhafte Verlegung entsprechender Einheiten nicht vorgesehen und »due to the lack of the necessary unanimity among the nations concerned«34 auch weiterhin kaum zu erwarten war. Eine wesentliche Stärkung der Flanken aus den Mitteln der dortigen Staaten selbst hatte kaum Aussicht auf Erfolg. Der NATO-Militärausschuss fasste die Situation im strategischen Gesamtrahmen in einem konzisen Satz wie folgt zusammen: »military self-sufficiency is not possible for any single member of NATO and [...] the essence of a sound strategy for defence of the flanks is to defend by a combination of resolute local forces and rapidly intervening NATO and external forces the latter including strategic nuclear forces. Such a strategy, known to the enemy, serves to deter that enemy from aggression35.« Im Rahmen dieser Zielsetzung ging die NATO wie bereits dargestellt für die eigenen Kräfte von einer Dreiteilung aus. Um den stets verfügbaren, aber verglichen mit dem Ostblock eher schwachen Truppen der jeweiligen Flankenstaaten (1.) zu Hilfe zu kommen und in einer Krise handlungsfähig zu bleiben, schuf man (2.) die sogenannten Schnellen Eingreifverbände, die »Immediate Reaction Forces«. Diese sollten im Unterschied zu den langsamer eintreffenden, allgemeinen Verstärkungen, den »Reinforcement Forces« (3.), bei einer massiven politisch-militärischen Konfrontation unter größter Beschleunigung in das betroffene Gebiet geschickt werden, um dort eine Stabilisierung herbeizuführen. Die AMF zählte zu den Schnellen Eingreifverbänden. Um die damit verbundenen Herausforderungen in den Griff zu bekommen, im Ernstfall maximale Handlungsfreiheit zu haben und größtmögliche Effizienz zu erzielen, erarbeiteten die Führungsstäbe der NATO bis 1972 eine Reihe von zentralen Dokumenten, die das Kerngerüst der AMF bis 1989 bildeten. Zunächst einmal stellte sich die Frage, ob und wie die AMF in das formale NATO-Alarmsystem eingebunden werden sollte36. Rasch war klar, dass eine feste Zuordnung zu bestimmten Alarmstufen kontraproduktiv sei und dem Zweck der mobilen Flexibilität zuwiderlaufe37. Die AMF war zuallererst und insbesondere vom politischen Führungsgremien, dem DPC, gemäß 34 35 36

37

PDP, CD 020, MCM-73-66, Possible Methods for Improving NATO Capabilities on the Flanks, 14.7.1966, S. 5. Ebd., S. 4. (Hervorhebung Bernd Lemke) SHAPE-Archiv, O. Carracciolo an K.T. Nash, ACE Mobile Force, 16.7.1969, S.  2. Zu den Grundlagen des Alarmsystems vgl. PDP, CD 009, MC 67/1, The NATO Alert System, 2.7.1959; und CD 019, MC 67/2, The NATO Alert System, 21.6.1967. Die erste Version (MC 67) stammt vom 29.11.1956. SHAPE-Archiv, Verschlusssachen, auch zum Folgenden.

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IV. Das militärische Instrument

der aktuellen Situation einzusetzen. Derlei schloss die Koordinierung mit dem eher nach formalen Kriterien ablaufenden Alarmsystem jedoch nicht aus. Die politischen und militärischen Einsatzgrundlagen wurden für die entsprechenden Ebenen (DPC bzw. MC/SACEUR) parallel und reziprok vorbereitet38. Unter Berücksichtigung der wechselseitigen Obliegenheiten und Interessen wurden die Entscheidungsprozesse für den Einsatz, die Zusammensetzung und die Einsatzgebiete der AMF, das Vorgehen vor Ort, die Zusammenarbeit mit der Presse sowie die logistische Abwicklung, den Transport und die Finanzen festgelegt. Auf oberster Ebene verabschiedete das DPC eine Direktive, die die politischen Grundlagen enthielt (»political directive«)39. Die militärische Perspektive kam in der MC 137 (»General Directive for the ACE Mobile Force«) zum Ausdruck40. Vorgesehen war, dass die AMF im Ernstfall entweder von dem betroffenen Mitgliedsstaat oder von SACEUR angefordert werden konnte. Gemäß dem Grundcharakter der AMF als multilaterale Kommandotruppe oblag die Entscheidung über den Einsatz allerdings dem obersten politischen Entscheidungsgremium der militärisch aktiven Bündnismitglieder (also ohne Frankreich), dem Defence Planning Committee. Ein besonderes Problem lag darin, dass die AMF aller Voraussicht nach vor dem eigentlichen Verteidigungsfall im Krisengebiet eintreffen würde, d.h. bevor die dort assignierten Einheiten formal der NATO unterstellt worden waren (»transfer of authority«), diese also noch unter nationalem Kommando standen. Dies erwies sich als besonders heikel, da einerseits die nationale Souveränität der Gastnation peinlich genau zu beachten und andererseits zu verhindern war, dass die AMF und ihre Bestandteile aus unterschiedlichen Mitgliedsstaaten von einem nationalen Befehlshaber einer einzigen Nation geleitet wurde. Man versuchte, eine Lösung unter anderem dadurch herbeizuführen, dass die AMF sofort bei Eintreffen von SACEUR dem Befehl des örtlichen NATOKommandeurs – und nur diesem – unterstellt werden konnte und damit befehlstechnisch nicht ›in der Luft hing‹41. Dies brachte aber nur teilweise Klarheit. Im Krisenfall sollte die Truppe möglichst rasch Vorkommandos mit einer Marschbereitschaft innerhalb 72 Stunden und Eintreffen am Einsatzort nach weiteren 48 Stunden etablieren, die der Gegenseite deutlich machten, dass es jetzt ernst werde (»showing the flag«). Danach sollten so schnell wie möglich die Hauptkräfte (Marschbereitschaft innerhalb sieben Tagen, Eintreffen am Einsatzort nach weiteren drei bis vier Tagen) ausrücken und eine funktionierende Gesamtorganisation mit Hauptquartier, logistischen Einrichtungen, Fernmeldeverbindungen, Sanitätseinrichtungen usw. aufbauen. Die Bevorratung sollte zunächst für mindestens 30 Tage Einsatz ausgelegt werden. Insgesamt

38 39

40

41

Die entscheidenden Direktiven und Papiere bis 1971 sind nachgewiesen in: SHAPE-Archiv, AC/281-Report (71)36, First Major Report (SHAPE) Mobile Multi-National Forces, 1.10.1971. SHAPE-Archiv, MC 137 (draft) (referral note) (3rd revise), General Directive for the ACE Mobile Force, 28.1.1970, S. 1. Diese Richtlinie lag nicht vor, da sie von der NATO noch nicht freigegeben wurde. Ebd., mit Enclosure 1. Die endgültige Version der MC 137 (vom Militärausschuss dem DPC mit Datum vom 9.3.1970 vorgelegt) liegt nicht vor. Es kann indes davon ausgegangen werden, dass keine entscheidenden Unterschiede zwischen beiden Versionen existieren. Ebd. (MC 137), S. 8. Vgl. auch SHAPE-Archiv, Verschlusssachen.

HQ

(NL)

HQ

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(IT)

(IT)

(IT)

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(US)

(US)

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(UK)

WIRE*

(CA)

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(UK) RADIO

NORTH

Quelle: SHAPE-Archiv, HQ AMF (L) G 3 1220/2/S-104/74/024-056, AMF (L) Planning Instruction for contingencies- Amendment No. 1, 14.2.1974.

(IT)

(GE)

AMF (AIR)

(CA)

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HQ AMF (L) (UK)

(BE)

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INT (UK)

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(UK)

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(GE) WIRE (UK) RADIO

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HQ AMF (L) (UK)

SOUTH

XX

Die Struktur der AMF 1973

(UK)

FASC

INT (UK)

06405-04

© ZMSBw

* wird diskutiert ** nicht für winterliche Einsätze in Nordnorwegen ausgerüstet

(UK)

(US)

IV. Das militärische Instrument 207

208

IV. Das militärische Instrument

sollte die Truppe mindestens fünf Tage lang im Modus Intensive Gefechtsführung AMF (L) bzw. Maximale Gefechtsführung AMF (A) ohne Nachschub kämpfen können. Die standardmäßig vorgesehenen sechs Bataillone wurden der AMF entsprechend den militärisch-politischen Grundvoraussetzungen und der Bereitschaft der Mitgliedsländer zugeordnet und ausgerüstet. Die Zusammensetzung wechselte häufiger. Das Hauptquartier dieser Allied Mobile Force Land, kurz AMF (L), befand sich in Seckenheim/Pfalz und später beim Hauptquartier der 7. US-Armee in Heidelberg. An Luftunterstützungskräften waren sechs Staffeln an Jagdbombern vorhanden, jedoch ohne über ein permanentes Hauptquartier zu verfügen. Im Ernstfall wären die Staffeln auch nicht der AMF selbst, sondern gemäß den taktischen und organisatorischen Prinzipien der NATO-Luftwaffen der zuständigen Luftflotte (ATAF) unterstellt worden. Je drei Bataillone bzw. Staffeln waren je einer Flanke (Nord bzw. Süd) zugeordnet. Somit waren die vorhandenen Kräfte eher begrenzt, wenn man die Stärke der Gegenseite in Betracht zieht. Wegen des hohen Aufwands für den Transport und die Logistik mussten ausgeklügelte Flugpläne durch eigens dafür eingerichtete Transportbefehlsstäbe ausgearbeitet und ständig abgestimmt werden. Im Ernstfall hätte die Ausrüstung, die für moderne Verbände standardmäßig erhebliche Mengen umfasste, fast minutengenau angeliefert werden müssen. In der Projektion hatten die Planer ein dynamisches Bild ständiger An- und Abflüge (»slots«) der unterschiedlichen Nationen auf unterschiedlichen, multiplen Flugrouten vor Augen. Organisation und Finanzierung des Ganzen waren aufwändig und überaus kompliziert – eine gute Folie für die globalen Einsätze heute, die bei teils noch größerem Aufwand in viel weiter entlegene Gebiete zielen. Dazu kamen die Probleme im Kommando- und Kommunikationsbereich (C3: Command, Control, Communication), die auf den unterschiedlichen Ausrüstungsstand der einzelnen NATO-Partner vor allem beim Telekommunikationsmaterial zurückgingen42. Sinn und Zweck der AMF als Solidartruppe und strategisches Kommunikationsmittel brachten es mit sich, dass auch der mediale Aspekt zu berücksichtigen war. Der Umgang mit der Presse stellte in der Tat einen der wichtigsten Punkte dar. Die Regierungen der westlichen Welt hatten am Beispiel der Krisen um Kuba und Berlin erkennen müssen, dass ausgeprägte Mechanismen für ein »Crisis Management« entwickelt werden mussten, um eine gefährliche Situationen künftig zu vermeiden43. Die Presse- und Propagandastrategie bildete dabei eines der Kernelemente. Davon hing einerseits ab, ob die angenommene Bedrohung in einer Krise abgestellt werden konnte. Dem Warschauer Pakt musste vermittelt werden, dass aggressive Akte nicht toleriert würden. Entscheidend waren dabei nicht nur die militärischen Operationen, sondern ebenso deren Kommunikation. »During a period of political tension or crisis, NATO military action would have the objective of compelling the Soviet Government to change or withdraw those policies or actions, the continuance of which would jeopardize the maintenance of various NATO objectives [...] However, the political effectiveness of a military action undertaken on a NATO basis during

42 43

Siehe dazu S. 233, 244, 254 und Kap. IV.4.b. Zur Entwicklung der entsprechenden Instrumente für Berlin, hier v.a. der Schaffung von Live Oak, siehe oben S. 65.

IV. Das militärische Instrument

209

a period of political tension depends on whether or not the Soviet Union correctly interprets and responds to the message that the military action is intended to convey44.«

Andererseits wirkte sich jede Nachricht, auch aus dem Krisengebiet, auf die Stimmung der eigenen Bevölkerung aus. Die Wahl der richtigen Öffentlichkeitsstrategie bildete »an important factor in the maintenance of civilian morale«45. Im Ernstfall hatte man insgesamt eine Gratwanderung zu gewärtigen: zwischen ungenügender Beeinflussung des Ostblocks und damit der Unfähigkeit, eine Aggression zu stoppen, und ungewollter Provokation der Sowjetunion, die mit der Gefahr einer Eskalation verbunden war. Bei einer Aggressionen an den Flanken würde die AMF sofort an neuralgischen Punkten stehen. Gemäß den Prinzipien demokratischer Pressefreiheit würde sich ein Aufmarsch der Presse nicht verhindern lassen, umso weniger, je gefährlicher die Krise wäre: »it is unlikely that they [NATO military actions] could be undertaken without news media representatives being at or near the key areas«46. Diese Erkenntnis fand dann auch in allen Operations- und Übungsplänen Eingang. Presse- und Öffentlichkeitsarbeit erhielt einen zentralen Stellenwert. »In the case of military actions undertaken on a NATO basis, e.g., in relation to Berlin or deployment of the ACE mobile land force, the field commander of the NATO task force might well be involved in a public information operation47.« Als Grundprinzip wurde festgelegt, dass so viel Aufmerksamkeit wie möglich erregt werden sollte, um die eigene Bevölkerung zu beruhigen und gleichzeitig den Gegner zu beeindrucken – ein Vorhaben, dass selbst bei größtem Geschick des Kommandeurs vor Ort und seiner Offiziere schwierig war. Die NATO-Stäbe verlangten, dass Vorkommandos (»Key Parties«) und kleine Trupps eine möglichst große Anzahl von Dörfern an der jeweiligen Grenze besuchen und dort den Eindruck größerer militärischer Präsenz erwecken sollten, als letztlich vorhanden war: »giving the enemy the impression that more AMF forces were deployed than was in fact the case48.« Um andererseits ungewollte Provokationen und taktische Nachteile zu vermeiden, wurden im Rahmen der Übungen Anweisungen erstellt, die exakt regelten, welche Informationen gegeben werden durften und welche nicht (»Stop Lists«). Das Hauptmittel zur Krisenbewältigung im militärischen Sinne stellten die Rules of Engagement (RoE) dar. Diese entwickelte man als genau ausformulierte Einsatzregeln, um die politische Kontrolle über die Ereignisse nicht zu verlieren. Sie wurden quasi als Abschluss der konzeptionellen Arbeit im Jahre 1972 verabschiedet und intern veröffentlicht (MC 193)49. Angeordnet werden sollten die einzelnen Schritte idealerweise vom DPC, das jedoch recht weit vom Geschehen entfernt saß. Daher ging man im Laufe der 44

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PDP, CD  010, MC  103, NATO Military Public Information Requirements in Emergency Situations, 27.10.1965, S.  8  f. Auch für dieses Dokument sind noch keine Nachfolgeversionen freigegeben. Insofern lassen sich die Einflüsse des Strategiewechsels hier nur vermuten. An der Grundproblematik des Krisenmanagements und seiner Kommunikationsaspekte dürfte sich indes nur wenig geändert haben. Ebd., S. 14. Ebd., S. 9. Ebd., S. 12. SHAPE-Archiv, Exercise Olympic Express, 4.6.1969, S. 2. SHAPE-Archiv, Verschlusssache. Das DPC genehmigte die MC  193 am 17.7.1972. SHAPEArchiv, Summary Record DPC/R (72)12.

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IV. Das militärische Instrument

Einsatzregeln (MC 193), Stand: 1978 Regel Nr. 1

Befugnis, Teile der AMF (L), z.B. »Key Parties«, in ein bedrohtes Gebiet zu verlegen

Option Alpha

Keine Befugnis erteilt. AMF(L) verbleibt im zugewiesenen Sammelraum.

Option Bravo

Befugnis erteilt. In den Sammelraum verlegen.

Option Charlie Patrouille bis zu einer Linie, von der das Abschreckungspotential von der bedrohten Landesgrenze aus zu sehen ist. Option Delta

Patrouille bis zur bedrohten Landesgrenze.

Regel Nr. 2

Befugnis, Teile der AMF (L), z.B. »Key Parties«, an eine bedrohte Küste zu verlegen

Option Alpha

Keine Befugnis erteilt. AMF (L) verbleibt im zugewiesenen Raum.

Option Bravo

Patrouille an der bedrohten Küste.

Regel Nr. 3

Art der Verteidigung gegen grenzüberschreitenden Beschuss bzw. Beschuss von See

Option Alpha

Passiv: Beobachten und Melden, Rückzug, wenn nötig, um eigene Kräfte zu schonen.

Option Bravo

Selbstverteidigung: Beschuss mit Waffen erwidern, die der Lage nach verhältnismäßig sind, um das feindliche Feuer niederzuhalten. Feuer einstellen, sobald feindliches Feuer eingestellt wird.

Option Charlie Aktiv: Feuer aus allen verfügbaren Waffen erwidern mit dem Ziel, aktive feindliche Ziele zu zerstören. Regel Nr. 4

Art des Verhaltens gegenüber feindlichen Bodentruppen, die auf dem Land-, See- oder Luftweg in NATO-Hoheitsgebiet eingedrungen sind oder dieses verletzt haben

Option Alpha

Passiv: Kontakt halten nur durch Beobachtung mit Boden- und Luftpatrouillen oder ortsfeste Beobachtungsposten. Identität und Absichten feststellen. Melden. Kein Feuer eröffnen, es sei denn, das feindliche Element schießt zuerst.

Option Bravo

Selbstverteidigung: Notwendige Vorkehrungen treffen, feindliche Kräfte stoppen und darauf hinweisen, dass sie sich auf NATO-Gebiet befinden. Jede weitere Bewegung melden, jedoch kein Feuer eröffnen, es sei denn man wird zuerst beschossen.

Option Charlie Aktiv: Wenn feindliche Kräfte das NATO-Hoheitsgebiet nicht verlassen, verhältnismäßig Waffen und Gewalt einsetzen. Option Delta

Feindliche Kräfte, die auf dem Land-, Luft- oder Seeweg eindringen, sind zu stoppen, zu entwaffnen und den Behörden des Gastlandes zu übergeben.

Regel Nr. 5

Befugnis, feindliche Kräfte in das Hoheitsgebiet von Nicht-NATO-Staaten zu verfolgen, nachdem diese in NATO-Hoheitsgebiet eingedrungen sind und dieses verletzt haben

Option Alpha

Keine Befugnis.

Option Bravo

Bis zu einer Entfernung innerhalb der Reichweite der eigenen Infanteriewaffen, einschließlich Mörsern, wie es die taktische Lage vor Ort erfordert.

Regel Nr. 6

Befugnis zum Überschreiten einer bedrohten Grenze unter außergewöhnlichen Umständen

Option Alpha

Keine Befugnis.

Option Bravo

Aus humanitären Gründen, z.B. Bergung von Verwundeten, sowohl eigenen als auch gegnerischen. In der Regel erfolgt dies unter dem Schutz der Fahne des Roten Kreuzes.

Regel Nr. 7

Behandlung unbewaffneter Flüchtlinge bzw. eindringender Zivilpersonen

Option Alpha

Ignorieren. Problem ist ausschließlich durch das Gastland zu lösen.

Option Bravo

Kontrollieren. An Behörden des Aufnahmestaats übergeben. Ausschließlich polizeiliche Methoden anwenden.

Regel Nr. 8

Behandlung subversiver Kräfte, die Gewalt gegen AMF (L) einsetzen

Option Alpha

Ausschließlich Selbstverteidigung. Gewalt anwenden, die in Stärke und Art den Umständen verhältnismäßig ist.

Option Bravo

Als feindliches Element behandeln. Verhältnismäßige Gewalt einsetzen.

Regel Nr. 9

Art der Verteidigung gegen feindliches Luftfahrzeug über NATO-Hoheitsgebiet mit den truppenteileigenen Abwehrwaffen

Option Alpha

Nur passive Luftverteidigung.

Option Bravo

Aktive Luftverteidigung im Falle eines Angriffs gegen Teile der AMF (L).

Option Charlie Aktive Luftverteidigung gegen feindliche Luftfahrzeuge entsprechend der Befehlsgebung durch den jeweiligen örtlichen Führer der Luftverteidigung. Übersetzung: Bundessprachenamt Quelle: SHAPE-Archiv, HQ, Defence Command North Norway, OPlan 21421, Reception and Employment of AMF Land Component (»Bland Beer«), 12.5.1978 (2000007443.pdf), Annex E-1-1.

© ZMSBw 07311-05

IV. Das militärische Instrument

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Zeit dazu über, die Autorisation zumindest teilweise an SACEUR zu übertragen bzw. ihm den inhaltlichen Interpretationsspielraum zu geben. Der SACEUR hatte allerdings das DPC von jedem seiner Schritte zu unterrichten. SHAPE kommunizierte zu diesem Zweck direkt und eng mit dem Kommandeur der AMF, sei es im Tagesgeschäft, in Übungen oder, wenn nötig, im Ernstfall. Die Anwendung der einzelnen Regeln unterschied je nach Gefährdungslagen und geografischen Räumen. Krisenentschärfung und Kriegsverhinderung bildeten durchgängig das Ziel; defensives Vorgehen, auch im taktischen Einsatz der Einheiten, stand im Vordergrund. Trotz ostentativer Stärkedemonstration und Propaganda sollte möglichst alles unterlassen werden, was die Gegenseite hätte provozieren können. Die restriktive Grundtendenz der Regeln wurde im Laufe der Zeit und vor dem Hintergrund wichtiger Übungen, beispielsweise bei WINTEX/CIMEX 79, sogar noch verschäft und genauer gefasst, um Missverständnisse und taktische Ineffizienz zu verhindern, also etwa zu schnelles und dann nur schwer reversibles Vorrücken und Festlegen auf vorgeschobene Stellungen. Offensive Feuergefechte oder gar ein Vorrücken auf gegnerisches Gebiet wurden zunehmend als zu gefährlich angesehen und in der Folge aus dem Spektrum eliminiert. Im Zweifel hatten die Verbände der AMF lediglich das Recht auf Selbstverteidigung. Ansonsten blieben sie auf enge Zusammenarbeit mit den örtlichen Militär- und Polizeikräften angewiesen. Die Übungen der AMF hatten hier ebenfalls zum Teil große Unklarheiten und Unsicherheiten zutage gefördert50. Die Kommandeure vor Ort beklagten sich einerseits über widersprüchliche und undeutliche Aussagen in den Rules of Engagement und andererseits über die mangelnde Übungspraxis. Sie bewegten sich angesichts der angenommenen Kriegsgefahr schon in den Übungsszenarien auf dünnem Eis und hatten sich beim taktischen Vorgehen Schritt für Schritt vorzutasten. Verlangt wurde, dass in den Übungen alle Rules of Engagements zu erproben seien. Dies war offenkundig nicht der Fall, wie etwa die Stabsrahmenübung (CPX) »Dense Trail 72« zeigte (BRAVO Option)51. Die Rules of Engagement waren sinnfälliger Ausdruck dafür, welche Gratwanderung möglicherweise zu erwarten war. Das Ganze glich, wie eine simulierte Übung für die Nordflanke zeigte, einem psychologischen Pokerspiel mit mehreren, teils widersprüchlichen Optionen und erheblichen Gefahren52. Wie überhaupt nach dem »Prager Frühling« deutlich wurde, bargen gerade die Übungen und Truppenbewegungen an den Grenzen des eigenen Bündnisgebietes die Gefahr eines Krieges in sich53. Der Gegner konnte nicht ohne Weiteres abschätzen, ob die Truppenverlegungen nicht doch einer Aggression dien50

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53

SHAPE-Archiv, Report on the Periodic ACE/AMF Meeting held at SHAPE at 25.10.1978, S. 24, ACE Mobile Force (Land Component), Post Exercise Report, Exercise Strong Express, 31.12.1972, S. 10, Final Report on AMF FTX Avon Express 77, 30.6.1978, S. 13. Zu Dense Trail vgl. BArch, BW 2/4157, 1. Luftlandedivision an Fü H III/1, AMF(L)-Rahmenübung Dense Trail 1972, Erfahrungsbericht, 2.5.1972, mit Begleitmaterial. SHAPE-Archiv, AC/237 WP/22, Documentation concerning the Exercise Symposium on the Arrangements for the Deployment of the AMF, 28.5.1968. Die Übung war auf das AMFEinsatzgebiet N-1, also Nordnorwegen, zugeschnitten. Die Bedeutung von Übungen und Manövern ging in der Geschichte traditionell immer schon über den Charakter reiner Simulationen hinaus. Der Übergang zur harten Realität war bisweilen kurz. Für die Südflanke vgl. dazu Chourchoulis, A Nominal Defence?, S. 654. Zur Rolle der Übungen als mögliche Provokation vgl. auch Maloney, War without Battles, S. 227, 366. Dazu zählten nicht

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IV. Das militärische Instrument

ten. Die NATO selbst ging davon aus, dass im Krisenfall ein scharfer Einsatz der AMF erst einmal unter dem Deckmantel einer Übung stattfinden könnte. Bei Nervosität und Überreaktion hätte eine Übung schnell zum Ernstfall werden können. Innerhalb der NATO war dies, bezeichnenderweise erneut im Rahmen der Finanzierungsdebatte, sehr deutlich geworden54. Man versuchte, den gefährlichen Unsicherheiten mit einer pragmatischen Mischung aus Restriktion und Flexibilität beizukommen. Alles hing im Ernstfall vom Fingerspitzengefühl der Kommandeure vor Ort und einer funktionierenden Kommunikation mit der NATO-Führung ab. Gewissermaßen war man Opfer der eigenen rigiden Geheimhaltungsbestimmungen, da die taktischen Führer an der vordersten Front (»Key Parties« bzw. »Key Companies«) gar nicht über die Rules of Engagement informiert werden durften, in den Übungen und im Ernstfall quasi im Dunkeln tappten und sklavisch auf die Funksprüche ihres Hauptquartiers bzw. der NATO-Befehlszentren warten mussten. Dies trat auch bei den zahlreichen Übungen der AMF zutage, insbesondere dort, wo Raum für individuelle Kampfführung gelassen wurde oder spezielle, nicht angekündigte Zwischenfälle und Vorkommnisse simuliert wurden55. Der Militärausschuss versuchte daher, die Vorschriften zu lockern. Die militärische Planung für den Fall des Versagens der Abschreckung wurde indes keineswegs vernachlässigt, sondern mit Verve vorangetrieben und ständig perfektioniert. Dies geschah in der Konsolidierungsphase, die nach Erstellung der MC 193 im Jahre 1972 begann und bis zum Ende des Kalten Krieges bzw. sogar darüber hinaus andauerte. In den siebziger Jahren bildete die AMF eines der aktivsten und sichtbarsten ›Einsatz‹Elemente und wurde regelmäßig auf Übungen gemäß einem festen Übungsplan geschickt. Die Schemata waren langfristig angelegt und verdeutlichen die zeitliche Perspektive der Planer. In einem der Pläne waren bereits Übungen für die Jahre 1992 bis 1994 vorgesehen56. Nichts deutete darauf hin, dass der Kalte Krieg in absehbarer Zeit enden würde. Man gewann im Laufe der Zeit an Erfahrung und erkannte auch Schwächen und Defizite, die teilweise noch aus der Anfangszeit herrührten. Daher setzte in den Siebzigern ein dynamischer Reform- und Revisionsprozess ein. Dazu zählte die Verschlankung der Einheiten und eine Effizienzsteigerung durch die Straffung der Organisation, den Einsatz leichterer Ausrüstung und die Aussonderung unnötiger Geräte. Dies sollte der Reduzierung des Transportaufwandes dienen, der immer noch eines der größten Probleme darstellte. Abgesehen von den exorbitanten Kosten hatte man NATO-weit nur eine sehr begrenzte Anzahl von Langstreckentransportern zur Verfügung, um die im Ernstfall sicher ein Prioritätskampf ausgebrochen wäre. Dazu kamen die strategischen Folgen der Ölkrise57, im Speziellen die Sorge um die Deckung des Treibstoffbedarfs im

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56 57

nur spontan angesetzte Übungen als politische Demonstration, sondern auch die Frage, inwieweit regelmäßig abzuhaltende Übungen in einem Krisenfall durchgeführt oder abgesagt werden sollten. SHAPE-Archiv, E&F/CI.62/38, Le financement de la force mobile, 23.5.1962, S. 2; und SHAPEArchiv, ACE Mobile Forces, 23.5.1962, S. 1. Vgl. dazu u.a. SHAPE-Archiv, 1710.61/14-7/S51/76, Final Report on AMF FTX Advent Express 75, 29.3.1976, S. 9. Die Übungsleitung spielte 50 Einlagen ein, die für die AMF teils zu erheblichen Problemen bei der Anwendung der Rules of Engagement führte. SHAPE-Archiv, AMF Exercise Guideline, 24.10.1978. Dazu SHAPE-Archiv, AMF Exercises, 26.6.1974.

IV. Das militärische Instrument

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Ernstfall in Kombination mit der Steigerung des Ölpreises. Man hatte sich daher nach wie vor vornehmlich auf Schienen- und Schiffstransport zu verlegen. Konsequent gingen die NATO-Stäbe daran, jeden Teilbereich der AMF zu entschlacken, um Transportraum zu sparen. Schon Anfang der siebziger Jahre entwarf man daher eine dynamische Abfertigungsorganisation, um die Koordination zwischen den Verbänden der AMF und die Abstimmung der Unterstützung durch das jeweilige Gastland an der Flanke zu maximieren58. Gleichzeitig arbeiteten die Stäbe an einer Dynamisierung und Straffung der Einsatzflugpläne und an der Zusammensetzung und organisatorischen Struktur der AMF insgesamt. Die ganzen Aktionen firmierten unter den Bezeichnungen »streamlining«59 und »scrubdown«; sie stellen ein gutes Beispiel westlicher Effizienz- und Fokussierungsarbeit dar60. Den Hintergrund hierfür bildeten die Bemühungen der NATO in den siebziger und achtziger Jahren zur Steigerung der Effizienz und der Kampfkraft angesichts der offensichtlich immer größeren konventionellen Überlegenheit des Ostens. Wie berichtet, hatte sich insbesondere Steinhoff maßgeblich daran beteiligt. Im Jahre 1974 befasste sich der Nordatlantikrat mit dem Thema. Er versuchte eine Politik der kleinen Schritte, konzentriert auf die AMF. Da diese Truppe den Solidargedanken verkörperte, sollte sie nun auch ein Experimentierfeld für die Standardisierung abgeben, »a microcosm and laboratory for observing the problems caused by a lack of standardisation and the benefits derived from its achievement61.« Gerade angesichts der drängenden Probleme der AMF infolge der großen strategischen Entfernungen, die die Truppe zu überwinden hatte, gedachte man mit einer behutsamen Vereinheitlichung sukzessive Fortschritte zu erzielen, die bei der propagandistischen Darstellung als Vorbild hätten präsentiert werden können. »NATO strategy required quick and offensive reinforcement and resupply and this was a field in which standardisation was of particular importance; the experience of the AMF illustrated this in miniature62.« Diese Erkenntnis wurde insbesondere von den Amerikanern begrüßt, reichte indes nicht sehr weit. Schon in derselben Sitzung des Nordatlantikrates kam es darüber zum Streit63. Der niederländische Vertreter bezeichnete die AMF als »almost unworkable in practice«. Der belgische Vertreter verglich sie gar mit den internationalen Truppen, die beim Boxeraufstand im Jahre 1900/1901 eingesetzt gewesen waren. Letztere seien »effectively paralyzed« gewesen. Die USA, die die AMF gemäß ihren strategischen Interessen als unverzichtbar betrach58

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Die entsprechenden Perspektiven hatte man bereits im Rahmen der Übung »Bird Trail« (April 1970) dargestellt. Basics zu Bird Trail in TNA, DEFE 4/255/1, Chiefs of Staff Committee, Minutes, Nos. 10‑12, 9.3.1971. Beim Projekt »streamlining« ging es u.a. darum, die Verstopfung der Landezonen (u.a. Verwundbarkeit der ganzen Truppe) zu vermeiden und einen schnellen Abfluss der Verbände in ihre Einsatzräume zu gewährleisten. SHAPE-Archiv, Review of AMF, 5.8.1977, und Review of AMF, 28.6.1978; Minutes of Periodic ACE/AMF Meeting Held at HQ AMF(L)on 8 December 1977, 4.1.1978, S. 1, 6. Vgl. v.a. die seit 1976/77 erscheinenden Jahresberichte zu AMF: SHAPE-Archiv, Annual Historical Report 1976/77, 4.12.1978, S. 10, und Annual Historical Report 1981, 24.12.1982, S. 14. Vgl. zudem SHAPE-Archiv, Report on the Periodic ACE/AMF Meeting held at SHAPE at 25  Oct 1978, S. 1 f., und Review of the AMF – Overall Response of Nations to Recommendations, 7.5.1979. SHAPE-Archiv, C-R(74)24, Protokoll Sitzung NAC, 7.6.1974, S. 3. Ebd., S. 4. Ebd., S. 5‑8.

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IV. Das militärische Instrument

teten, traten daraufhin massiv auf den Plan, widersprachen den Benelux-Ländern und warfen den politischen Führungen, allen voran den Verteidigungsministern, Egoismus und mangelnde Solidarität vor. Militärisch seien hier Lösungen durchaus möglich, es müsse nur der politische Wille her, hieß es. Wie schon so häufig zuvor brachten die Beratungen kein konkretes Ergebnis. Es wurde beschlossen, auf die Mitgliedsstaaten zuzugehen und sie zu den nötigen Schritten zu drängen. Ähnlich wie bei der Frage der Finanzierung der AMF stieß die NATO auf hartnäckigen Widerstand. Die AMF vereinheitlichte im Rahmen von »scrubdown« und »streamlining« zwar ihre Organisationsstrukturen und schaffte unnötiges Fernmeldegerät ab, sie blieb aber in den Haupteinsatzwaffen so diversifiziert und uneinheitlich wie das ganze Bündnis64. Großen Aufwand erforderte die Ausarbeitung der Operations- und Einsatzpläne, da eine Fülle taktischer, technischer und geografischer Details für sieben verschiedene Einsatzgebiete zu verarbeiten waren. Diese »Operation Plans« bzw. »Contingency Plans« erforderten wegen der nötigen Genauigkeit einen hohen Arbeitsaufwand und mussten ständig überarbeitet werden. Diese Arbeiten, insbesondere für die später hinzugekommenen Einsatzgebiete, dauerten bis in die achtziger Jahre und waren auch am Ende des Kalten Krieges noch nicht abgeschlossen65. Auch praktisch gesehen war die AMF in allererster Linie ein Abschreckungsinstrument. Wenn sie versagte, sollte sie an der Seite der örtlichen NATO-Verbände kämpfen. Da die AMF allerdings nur über leichte Waffen verfügte und zudem in exponierten geografischen Gebieten eingesetzt wurde, kam ihr in letzterem Falle vor allem eine Vorfeld-, Verstärkungs- und Deckungsfunktion zu. Sie sollte, teils flexibel luftgestützt, durch taktische Hinterhalte, Flankenunternehmen u.a. sowie unter Ausnutzung geografischer Schlüsselpunkte den Vormarsch des Feindes aufhalten oder zumindest stören. Nicht zuletzt aus der Truppe wurde in wiederkehrender Folge auf die Defizite in der militärischen Hardware hingewiesen. Immer wieder monierten die Führungsoffiziere der AMF, dass sie weder über ausreichend Panzerabwehrwaffen (v.a. als »Force Troops«) noch über eine adäquate Bodenluftverteidigung verfügten66. Zwar hatten die Bataillone selbst einige wenige Anti-Tank-Mittel, doch dies reichte kaum aus, um einen auch nur begrenzten Vorstoß des Gegners aufzuhalten. Daran änderte sich bis Ende der achtziger Jahre nichts mehr67. Das Gleiche galt für adäquate Winterbekleidung, die in Nordnorwegen und in der Osttürkei unerläßlich waren. Infolgedessen war die AMF dort im Winter lange Zeit nur begrenzt einsatzfähig68. 64

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Inwieweit zumindest beim logistischen Gerät (LKW, Verladegerät u.a.m.) Einheitlichkeit hergestellt werden konnte, müsste noch näher erforscht werden. Bis Mitte der siebziger Jahre jedenfalls sah es schlecht aus: SHAPE-Archiv, x/cu2008/054/22, ACE Mobile Forces – Report on its composition and capability, 22.4.1976, S. 2. SHAPE-Archiv, AMF – Annual Historical Report 1984, 25.11.1985, S. 3-2, 3-3, 4-3. SHAPE-Archiv, AMF – Shortfalls in Units and Capabilities, 20.8.1971, ferner SHAPE-Archiv, Verschlusssachen. BArch, BW 2/27006, Norwegian Delegation to NATO an Mr. J.W. Salmon, Disarmament and Arms Control Section, Political Directorate, HQ NATO, Draft Notification Text for Exercise Arrowhead Express 88, 4.1.1988. SHAPE-Archiv, Report on the Periodic ACE/AMF Meeting held at SHAPE at 25.10.1978, S. 27‑30, und Brief von General Tuzo Dep Saceur an Gen. Weyand, US Army, 28.6.1978.

IV. Das militärische Instrument

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Eines der größten Defizite schließlich konnte bis 1989 ebenfalls nicht abgestellt werden: das Fehlen simultaner Dislozierungsfähigkeit. Bereits Ende der sechziger Jahre hatte man im Gefolge der zentralen Stabsübungen HILEX  2 und 3 sowie FALLEX  66/68 erkannt, dass der Warschauer Pakt nicht nur zu einem Großangriff im Mittelabschnitt in der Lage war, sondern gleichzeitig auch zu begrenzten Aktionen bzw. Angriffen an mehreren Stellen69. So hatte man im Übungsspiel wiederholt vor der Situation gestanden, an zwei oder mehreren neuralgischen Punkten mit Provokationen und begrenztem Vorrücken konfrontiert zu sein. An den Flanken hatte sich dies infolge der begrenzten Kräfte besonders empfindlich ausgewirkt. Die AMF war jedoch zu einem gleichzeitigem Einsatz nicht in der Lage, d.h. sie konnte entweder im Norden oder im Süden eingesetzt werden. Die Problemlage hatte sich im Laufe der Zeit noch verschärft, als die Revolution im Iran und der sowjetische Einmarsch in Afghanistan vonstatten gingen. In den entsprechenden Szenarien begannen die Planer ernsthaft zu fürchten, dass der Warschauer Pakt ähnliche Abenteuer an den NATO-Grenzen in Gang setzen würde70. Das DPC forderte daher nachhaltig, auch auf Basis der WINTEX/CIMEX-Übungen, die doppelte Verlegungsfähigkeit der AMF. Dies hätte allerdings eine Verdoppelung der zentralen Führungs- und Versorgungselemente, insbesondere des Hauptquartiers, erfordert, zusätzlich noch die Aufstockung der Kampfmittel für die Bataillone und eine wesentliche Erhöhung der Transportleistung71. Das Spiel um die Finanzierung der AMF in den sechziger Jahren wiederholte sich. Trotz aller Verlautbarungen und Mahnungen in Bezug auf die überragende Bedeutung der AMF fanden sich die Mitgliedsstaaten zur Aufbringung der nötigen Ressourcen nicht bereit. Der SACEUR selbst, in diesem Falle General Andrew J. Goodpaster, hatte bereits 1972 betont, dass ein derartiges Unterfangen sehr problematisch sei72. Man sei trotz der Möglichkeit eines Angriffs an allen exponierten Punkten zugleich gut beraten, die AMF in ihrem aktuellen Stand einsatzfähig zu erhalten sowie zu konsolidieren und sich nicht auf Abenteuer zu begeben, die das ganze Projekt gefährdeten73. Eine in diesem letzten Punkt ähnliche Meinung vertrat der Kommandeur der AMF, wenn er auch konzedierte, dass ein simultaner Einsatz für die AMF »perfectly feasible« sei74. Wie schon in der grundsätzlichen Finanzfrage und den Diskussionen um die Standardisierung oblag die Entscheidung letztlich den einzelnen Mitgliedsnationen. SACEUR und NATOGeneralsekretär konnten lediglich bitten, flehen und beschwören. Die Sache wurde als Langzeitprojekt bestätigt, d.h. de facto auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben. Damit waren der weiteren Entwicklung der AMF klare Grenzen gesetzt, nicht zuletzt auch wegen der strategischen Relativierung infolge der globalen Ausweitung des 69

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SHAPE-Archiv, SHAPE-Archiv, DPC/D (69) 15 (rev), Status Report on Defence Planning Studies, 21.5.1969, S. 5, mit Encl. ACE Mobile Force, Subjects specificially arising out of terms for study: Fallex Report, DPC/D (69) 3. SHAPE-Archiv, Council Operations and Exercise Co-Ordination Working Group, AC/237‑D/47, Deployment of the AMF. SHAPE-Archiv, Verschlusssache, auch grundsätzlich zum Folgenden. SHAPE-Archiv, SHAPE an Chairman NAC, Composition of the ACE Mobile Force, 11.3.1969. SHAPE-Archiv, Report on the Periodic ACE/AMF Meeting held at SHAPE at 25.10.1978, S. 5 f., und SHAPE an Director IMS, Simultaneous Deployment AMF L, 12.5.1979. SHAPE-Archiv, Verschlusssachen, auch zum Folgenden. SHAPE-Archiv, HQ ACE Mobile Force (L) an SACEUR, Simultaneous Deployment of the AMF L, 24.10.1980.

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IV. Das militärische Instrument

strategischen Bezugsrahmens, ein zunehmend bedeutsames Thema innerhalb der NATO spätestens seit Anfang der siebziger Jahre. Auf den Punkt gebracht, könnte man konstatieren, dass die AMF für die Amerikaner insgesamt zu klein und zu unbedeutend war, für die (Mittel-)Europäer aber das Maximum an Engagement für die Flanken darstellte. Bereits in den Sechzigern waren gerade am Beispiel der AMF die Unterschiede innerhalb des Bündnisses hinsichtlich der Bedeutung der Flanken und der Bündnisgrenzen sichtbar geworden. Als man sich mitten im Planungsaufbau und gleichzeitig in der Finanzierungskrise befand, wurde von US-Seite massive Kritik am Konzept der AMF geübt. Verteidigungsminister McNamara selbst trat auf den Plan und bezeichnete auf einem Ministertreffen im Dezember 1965 die AMF mit ihren sechs Bataillonen als viel zu schwach für eine überzeugende Abschreckungswirkung. Er forderte die Aufstellung von mindestens zwei voll luftverlastbaren Brigaden als reale Verstärkung der Flanken, weniger als Demonstrativmittel. Zweifel und Kritik waren im amerikanischen Regierungsapparat schon in den Jahren davor geäußert worden. Die AMF galt schlicht als militärisches Leichtgewicht. Mit im Spiel war natürlich auch die grundsätzliche Einstellung der Amerikaner zu ihrer militärischen Stärke im Vergleich zu den Europäern; eine Haltung, die am besten mit dem Diktum »Think Big« umschrieben ist. Viel wichtiger waren den USA die strategischen Implikationen. Man befand sich mitten im Strategiewechsel und forderte insbesondere eine Verbesserung der militärischen Schlagkraft. Dazu gehörte neben der Steigerung der strategischen Mobilität die Bildung von Reserven oder »Fire Brigades«. Wie McNamara bereits 1963/64 andeutete, war die AMF vor dem Hintergrund der umfassenden Flexibilisierung der NATO-Streitkräfte trotz der ihr zugewiesenen Vorreiterrolle in ihrem aktuellen Zustand realiter eigentlich nicht unbedingt ein geeignetes Instrument, da sie mehrheitlich aus Einheiten bestand, die im EDP gebunden waren: »Secretary McNamara has expressed doubts whether NATO should reasonably expect in a crisis to draw ground forces for use on the periphery from units deployed in the Central Front75.« In der internen Diskussion wurde dies noch viel deutlicher zum Ausdruck gebracht. Gegenüber den eigentlichen Anforderungen für eine strategische Reserve von mindestens drei kampfstarken Divisionen in Europa gerierte sich die AMF weniger wie die eherne Speerspitze der NATO-Verteidigung, sondern mehr wie ein Schilfpfeil ohne wirkliche Durchschlagskraft.

»SACEUR has no strategic reserve readily available in Europe which he could throw into an area which might need strengthening. The ACE Mobile Force, as presently constituted, is not empowered to operate on the central front, is not available on the flanks if a threat of general war exists on the central front, and even if deployed to a flank would bring only an additional three batalions of ground forces into the fighting. It is, in short, no more than it was desigend to be, namely, a demonstration of NATO solidarity in the event tension develops on NATO’s flanks and nowhere else76.«

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76

NARA, RG 59, Entry A 1, 5301, Bureau of European Affairs, Box 2, Memorandum of Conversation, Tyler-Bundy Conference on NATO Matters, 9.1.1964, S. 4. Vgl. insgesamt die entsprechenden Akten in diesem Bestand, v.a. Box 1 und 5. NARA, RG 59, Entry A 1, 5301, Bureau of European Affairs, Box 2, Internes Papier, A NATO Strategic Reserve, 20.8.1964, Anhang, S. 2.

IV. Das militärische Instrument

217

Hier kam das ganze strategische Dilemma zum Ausdruck, das der NATO bis zum Ende des Kalten Krieges erhalten blieb. Die Allianz hatte selbst nur begrenzte Kräfte zur Verfügung, nahm aber an, dass der Warschauer Pakt sowohl an jedem beliebigen Punkt der Front als auch an allen wichtigen Punkten gleichzeitig angreifen konnte. Bei nicht wenigen europäischen Bündnispartnern und in Sonderheit innerhalb der NATO lösten die Vorstellungen der Amerikaner schwere Besorgnis aus, da man schon genug Schwierigkeiten hatte, die AMF in ihrer bisherigen Form aufzustellen. Dabei spielte gerade die Tatsache eine Rolle, dass ein Teil der Kräfte keineswegs ausschließlich für die AMF eingeplant, sondern tatsächlich in den EDP innerhalb des Bereiches Europa-Mitte integriert war77. Damit standen im Ernstfall militärstrategische Konflikte zu befürchten. Zusammen mit den ebenfalls erhobenen Forderungen nach dem Einsatz der AMF außerhalb des Bündnisgebietes propagierten die Amerikaner Vorstellungen, die den vornehmlich auf Mitteleuropa fixierten Bündnispartnern viel zu weit gingen und angesichts der angenommenen Bedrohung aus dem Osten auch als strategisch gefährlich erschienen. In den Positionspapieren traten die Unterschiede deutlich zutage. Für SACEUR bestand der Wert der AMF darin, auf aktuelle Konfrontationen im unteren Eskalationsspektrum reagieren zu können. Die Truppe sollte so weit wie möglich passgenau auf die entsprechenden Szenarien zugeschnitten sein, um diese abzuwehren, ohne einen Krieg zu provozieren. Man gedachte, sich geistig-psychologischen Freiraum zwischen territorialem Verlust, z.B. durch »local hostile actions«, und dem »General War« zu schaffen. Kritikern wie McNamara bedeuteten diese Erwägungen offensichtlich nicht viel, zumindest wenn sie nicht durch Truppenaufgebote abgestützt werden konnten, die auch eine reale Verstärkung der Flanken verhießen. Letztlich stellte sich die Frage: War die AMF in ihrer bestehenden Form ein wirksames Abschreckungsmittel oder lediglich ein ›Bluff‹? Die Sache wurde nicht mehr verfolgt, weil McNamara wegen der Misserfolge im Vietnamkrieg zurücktrat und die NATO weit davon entfernt war, die finanziellen Mittel für einen großangelegten Aufbau von Reserven und Eingreifverbänden bereitzustellen. Den Gedanken einer mobilen Eingreiftruppe hielten die Amerikaner aber lebendig. Er wurde in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre, in globalem Zusammenhang, unter den Präsidenten Carter und Reagan neu konzipiert und realisiert: Es handelte sich um die Rapid Deployment Force (RDF) bzw. die Rapid Deployment Joint Task Force (RDJTF) zum Einsatz am Persischen Golf. Wie bereits dargestellt, riefen diese Aktivitäten bei den anderen NATO-Partnern wenig Begeisterung hervor. Gerade die deutschen Planungsstäbe zeigten sich entsetzt über die amerikanische Strategie, die den Bestand der NATO offensichtlich zugunsten eines globalen ›Cowboytums‹ aufweichte78. Von derlei Kritik ließen sich die Amerikaner allein schon deshalb nicht beeindrucken, weil sich die Europäer selbst häufig genug gegenüber amerikanischen Ansinnen sehr negativ verhalten hatten. Schon in Bezug auf die Frage nach einer ›großen Lösung‹ für die AMF hatten die USA daher ins Auge gefasst, wichtige Vorhaben im Alleingang 77 78

SHAPE-Archiv, Verschlusssachen, auch zum Folgenden. Das Problem sollte die AMF bis zum Ende des Kalten Krieges begleiten. Zur RDJTF und ihren Auswirkungen auf die NATO vgl. Lemke, Globale Probleme einer regionalen Allianz.

218

IV. Das militärische Instrument

oder mit ausgewählten, willigen Partnern außerhalb des NATO-Rahmens umzusetzen. Solche Vorstellungen sollten explizit nicht den militärischen NATO-Stäben vorgelegt, sondern durch ein »general agreement among interested nations« realisiert werden. Diese Diskussionen zeigen den herausgehobenen Stellenwert der AMF auch für die Organisationsprinzipien und die strukturellen Grundlagen der Allianz. Geplant und aufgebaut als Speerspitze der Abschreckung und als Eliteverband, ja sogar als Vorreiter der Umgestaltung im Rahmen der Flexible Response, bildete sie die unterschiedlichen transatlantischen Perspektiven pointiert ab79. An den geografischen Nahtstellen, den Flanken, und deren organisatorischer Berücksichtigung lagen im wahrsten Sinne des Wortes ihre Grenzen.

3. Planung, Durchführung und Probleme der Übungen a) Beginn und Etablierung des Übungsbetriebs Die ›praktische‹ Einsatzgeschichte der Allied Mobile Force begann noch während der eigentlichen Kreationsphase und war auch Bestandteil derselben. Von Anfang an gedachten die NATO-Planer pragmatisch-empirisch vorzugehen, weswegen sie bei der Ausgestaltung der Truppe auf Übungsergebnisse bauten. Bereits im Oktober 1961 veranstaltete man eine kleine Command Post Exercise (CPX) in Sardinien namens »First Try«, um die militärischen Einsatzbedingungen auszuloten, und verwendete dazu kleine, exemplarische Kontingente der AMF80. Die Ergebnisse waren im Grundsatz positiv, sodass man im folgenden Jahr eine erste Probe aufs Exempel machen konnte. Im Oktober 1962 verlegte man erstmals einen größeren Truppenverband im Umfang von ca. 3300 Mann ins nördliche Griechenland (S-1), um die praktische Machbarkeit zu erproben. Auch diese Übung verlief vielversprechend, zeigte aber bereits deutlich den hohen plane-

79

80

Indes sollte die Bedeutung der AMF hier nicht zu stark betont werden. Die praktische Ausgestaltung der Flexible Response in den Streitkräften, etwa den Bodentruppen, ergab sich in hohem Maße aus der evolutionären Entwicklung der Doktrin der US Army unter Berücksichtigung der Kriege der sechziger und siebziger Jahre sowie der Rezeption deutscher Panzerkriegführung. Dazu Trauschweizer, The Cold War US Army, v.a. Kap.  4‑6. Das Design der Kampfverbände der US Army seit den sechziger Jahren (Reorganization Objective Army Division, ROAD) sollte durchaus maximale Flexiblität für alle globalen Kriegsschauplätze erbringen. Aus den Reihen der Army wurde indes im Laufe der Zeit die Position vertreten, dass eine wie auch immer geartete Einheitsdivision, wenn diese überhaupt realisierbar sei, maximal für einen flexiblen Einsatz in Europa und in Gebieten, in denen vergleichbare Bedingungen herrschten und in denen die Gegner von der sowjetischen Militärdoktrin beeinflusst wurden, geeignet sein würde (Korea, Naher und Mittlerer Osten). Ebd., S. 174 f., 212 f., 232 f. u.ö. Man könnte vor diesem Hintergrund die AMF als genuinen Beitrag der NATO-Spitzengremien zum Thema »Flexibilität« betrachten. PDP, CD  011, Concept and Organisation of the ACE Mobile Force and the Financing of this Force’s Exercises, 5.2.1965, AS. D; ferner SHAPE-Archiv, Verschlusssache.

IV. Das militärische Instrument

219

rischen und logistischen Aufwand81. Insbesondere zeichneten sich die Dimensionen in Bezug auf den notwendigen Lufttransport ab. Nach und nach tastete sich die AMF in die anderen Einsatzgebiete vor. Zwischen 1963 und 1965 hielt sie drei Übungen in Nordnorwegen (N-1) ab: »Northern Trail« (CPX), »Northern Express« (FTX) und »Winter Trail« (CPX)82. Danach wurde eine erste Übung in der südlichen Türkei (»Eastern Express«) durchgeführt83. Im Vorfeld war es schon zu politischen Unzuträglichkeiten gekommen. »Eastern Express« hätte 1964 in der südlichen Türkei stattfinden sollen, fiel aber aus und konnte nach einigen Mühen erst im darauffolgenden Jahr stattfinden84. Im August/September 1966 übte die AMF zeitgleich in Griechenland und der Türkei (»Summer-Marmara Express«)85. Die gleichzeitige Einbeziehung zweier Einsatzgebiete (S-1 und S-2) in eine einzige AMF-Übung erwies jedoch als nicht zukunftsfähig und wurde nur im Ausnahmefall, so etwa im Rahmen der Übung »Deep Express 70«, realisiert, die aber eine NATO-Großübung mit weit über die AMF hinausgehenden Rahmen war. Sinngebung und Gestaltung der Übungen selbst wurden von den NATO-Stäben im Einklang mit prinzipiellen Übungsprinzipien definiert, die wiederum aus den politischstrategischen Rahmenbedingungen resultierten und ihrerseits am Beispiel der AMF demonstriert werden sollten. Das entscheidende Dokument hier war die MC 94 und ihre Nachfolgerpapiere (»NATO Exercise Policy«), allen voran die MC 94/186. Sie legte sowohl die Grundprinzipien für die Übungsgestaltung fest als auch die politischen Ziele inklusive der Pressepolitik, den zeitlichen Rahmen und den Planungsablauf bis hin zu den formalen Bestimmungen (Berichtswesen). Aus Sicht der Amerikaner kam den AMF-Übungen gesamtstrategisch und auch politisch erhebliches Gewicht zu. Wegen ihres Gefahrenpotenzials betrachtete man sie in Washington jedenfalls als essenziell (»Significant Military Exercises«) und behielt sich daher explizit die letzte Entscheidungsbefugnis vor. Die Nixon-Administration erstellte beispielsweise spezielle Listen, die im National Security Council Sicherheitsberater Helmut Sonnenfeldt überwachte. Wenn eine Übung anstand, hatte er sie, ggf. nach Absprache mit dem Präsidenten, jeweils positiv zu bestätigen. Das Prozedere war noch unter Lyndon B. Johnson durch McGeorge Bundy festgelegt worden. Der Präsident war stets zu fragen, wenn ein Kriterium einer Fünf-Punkte-Liste erfüllt war. Neben der

81 82 83 84 85 86

SHAPE-Archiv, EF.4.5.03, Extract from Adress by General Norstad to NATO Parliamentarians, Paris 12.11.1962. SHAPE-Archiv, Verschlusssache. Zu diesen Übungen vgl. auch The Times, »Nato Deployment By Air«, 22.11.1965. PDP, CD  011, Concept and Organisation of the ACE Mobile Force and the Financing of this Force’s Exercises, 5.2.1965, AS. D. Deutsches Planungsdokument in BArch, BW 2/7234. PDP, CD 019, MC 94/1 (rev.), A Report by the Military Committee to the North Atlantic Council on the NATO Exercise Policy, 1.3.1968. Die früheren Version von 1961 und 1966 sind ebenfalls im PDP vorhanden. Wie im Falle anderer Grundlagenpapiere sind spätere Versionen noch nicht freigegeben, daher bleiben genauere Ausführungen für die siebziger und achtziger Jahre, insbesondere was die Details angeht, naturgemäß schwierig. Die strategischen Grundlagen und ihre Folgen für das Basiskonzept dürften sich aber kaum gewandelt haben.

220

IV. Das militärische Instrument

Größe der Übung spielte vor allem deren Bedeutung im internationalen Rahmen, die »particular political significance or implications«, eine Rolle87. Es spricht für das strategische Gewicht, das man zumindest in den politischen Entscheidungszirkeln der AMF beimaß, dass diese Übungen im Gegensatz zu vielen anderen, gerade im Bereich Europa-Mitte, fast stets vom Weißen Haus zu genehmigen waren, da sie an neuralgischen Punkten lagen88. Im direkten regionalen Zusammenhang bildeten die Übungen der AMF noch nicht einmal das Zentrum der Aufmerksamkeit, sondern sie waren nur Teil eines doch recht umfangreichen Gesamtspektrums an Manövern. Dabei enthüllen sich gleichzeitig auch die Präferenzen der Amerikaner in geografischer Hinsicht89. Die vorliegenden Dokumente zu den »Signifcant Military Exercises« behandeln vor allem die Übungen im südosteuropäischen Mittelmeerraum. Übungen in Nord- und Mitteleuropa fanden dagegen nur spärliche Aufnahme in den Korpus. In den Listen taucht von den anderen NATO-Abschnitten außer »Strong Express«90 prominent eigentlich nur die Übung »Reforger« und, damit verbunden, »Crested Cap« auf. Der ›reguläre‹ Übungsbetrieb der AMF etablierte sich ab Mitte der sechziger Jahre und sollte nach festen zeitlichen Parametern durchgeführt werden. In den frühen Konzepten hatte man gefordert, drei größere AMF-Feldübungen (Field Exercises, FTX) im ZweiJahres-Rhythmus durchzuführen. Als Ende der sechziger Jahre, bei der Umsetzung der Flexible Response, die AMF noch an Bedeutung zunahm, entschied man sich für eine Erhöhung des Übungstaktes in Form der »Exercise Cycles«: »there is no doubt that besides the purely military significance, the peacetime political effect of the AMF exercises is of remarkable importance91.« In Zukunft sollten jedes Jahr zwei Feldübungen und eine scharfe Artillerieübung (»Annual Barbara«) durchgeführt werden. Diese hohen Ziele erreichte man jedoch infolge der bereits beschriebenen Probleme im Südabschnitt nicht. Ende der Siebziger entwickelte man daher einen neuen Übungszyklus, der die Beschränkungen zwar dynamisch abfedern sollte, jedoch eine Rückkehr zur alten Regelung (drei Übungen alle zwei Jahre) bedeutete92. Es hatten sich auch hier Grenzen aufgetan. Die Exercise Cycles dienten unter anderem dazu, die Übungs- und Vorbereitungstätigkeit zu systematisieren und professionelle Ruhe zu etablieren. Die wiederkehrenden Intervalle sollten den Truppen und ihren Führern die nötigen Fähigkeiten, aber

87 88

89

90 91 92

NARA, Nixon Presidential Library, NSC Files, Box 32, Military Exercises, National Security Action Memorandum No. 316, Military Exercises, McGeorge Bundy, 12.11.1964, mit Begleitmaterial. Neben den detaillierten Übungsunterlagen erstellte man auch (halb-)jährliche Gesamtlisten, in denen alle »significant exercises« aufgelistet waren. Siehe z.B. NARA, Nixon Presidential Library, NSC Files, Box 32, Military Exercises, Schedule of Significant Military Exercises for the 12 Month Period commencing 1.4.1971. Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass nur die Akten bis zum Ende der Nixon-Administration eingesehen wurden. Ferner hatten diese Listen außenpolitische Bedeutung, nicht allein militärstrategische. Immerhin aber war die Meinung der Joint Chiefs of Staff als (fünftes) Kriterium entscheidend verankert. Siehe dazu unten S. 318‑324. SHAPE-Archiv, 1200/14-7, AMF Exercise Cycle from 1969 Onwards, 11.6.1968. SHAPE-Archiv, 1720.8/SHOPE/78, AMF Exercise Guideline, 24.10.1978.

IV. Das militärische Instrument

221

auch Sicherheit bringen, um nicht in vorschnelle Panik zu verfallen, gleichzeitig aber im Ernstfall rasch und ggf. mit der gebotenen Härte reagieren zu können. Die konkrete Durchführung der Übungen basierte im Wesentlichen auf den allgemeinen Verfahrensprinzipien (Standing Operating Procedures, SOP) und den individuellen Einsatzplänen, den »Contingency Plans«. Diese wurden von den zuständigen MSCs (AFNORTH und AFSOUTH) in Zusammenarbeit mit dem Hauptquartier der AMF und in Abstimmung mit SHAPE erstellt. Der zentrale Basisplan für AMF als Ganzes, quasi die ›Bibel‹, firmierte unter der Bezeichnung »Hard Glory«93. Dort waren alle wichtigen Grundlagen (auch Karten und Organigramme) festgelegt. Die »Contingency Plans« schufen die Stäbe anhand schematischer Grundprinzipien, die mit allen relevanten Daten und Details für einen Einsatzraum bestückt wurden: Organisation, Logistik, Fernmeldeverbindungen, Nachrichtenwesen, STAN, Verpflegung, Militärpolizei, Sanitätswesen usw. Gerade weil komplizierte multinationale Operationen durchzuführen waren, musste alles so genau wie möglich vorgeplant sein. Im Vorhinein mussten die Kontingentsnationen der AMF – praktisch alle NATO-Partner außerhalb der Einsatzgebiete – sowie die »Host Nations« Abmachungen treffen, um die nötigen organisatorischen und rechtlichen Grundlagen zu erhalten. ›Einsatzländer‹ waren Norwegen, Dänemark, Italien, Griechenland und die Türkei. Dies musste gemäß den Grundprinzipien der NATO auf bilateralen (!) Verträgen (Memoranda of Understanding) geschehen, was einen hohen Aufwand nach sich zog94. Für den Ablauf der Übungen und letztlich für ›scharfe‹ Einsätze legte man ein für alle »Contingency Areas« gültiges Muster zugrunde, das aus einheitlichen Elementen bestand95. Bei einer Krise sollte der bedrohte Partner bzw. SHAPE den Einsatz beim Defence Planning Committee anfordern. Nach der Genehmigung des Einsatzes sollte die AMF sofort Vorhuten, »Key Parties« (meist eine Kompanie), inklusive Vorauskommandos in Marsch setzen, die nach ihrem Eintreffen im Einsatzgebiet sofort mit demonstrativen Patroullien beginnen und ostentativ mit der Zivilbevölkerung Kontakt aufnehmen sollten96. Der Hauptverband hatte dann so schnell wie möglich nachzufolgen und je nach Lage in die Bereitstellungsräume einzurücken, dort Kontakt mit den vorhandenen 93

94

95

96

SHAPE-Archiv, 1220/14-8-2/S-19C/76, SACEUR Outline COP  10420 »Hard Glory«, dtd. 15.5.1976, Change-3, 31.1.76. Der gesamte Plan »Hard Glory« ist noch nicht freigegeben; er wurde später in »Game Friend« geändert. BArch, BW  2/27009, Fü  S III  6, Antrag Türkischer Generalstab auf Aktivierung des Luftwaffenanteils der AMF, 19.12.1990, S. 2. Als Beispiel für ein Memorandum of Understanding: SHAPE-Archiv, AFNORTH PL 1220.17/S26/70, Contingency Plan for employment of ACE mobile forces in North Norway, 26.2.1970; und Memorandum of Understanding for Logistic Support to US Air Force Units of ACE Mobile Forces in Area N-1, 7.8.1968. Umfangreiches Material zu dieser Frage auch in BArch, BW 2/30243. Zum Folgenden vgl. SHAPE-Archiv, AMF (L) G3 2010 124-011, ACE Mobile Force (Land Component) Standing Operating Procedures, 21.11.1974; SHAPE-Archiv, Headquarters Defence Command North Norway, Oplan 21421, Reception and Employment of AMF Land Component, »Bland Beer«, 12.5.1978; AFNORTH PL 1220.17.5/S-98/70, CINCNORTH’s Contingency Plan for the Employment of the ACE Mobile Force in Denmark, 11.9.1970, S. A-1 ff. und 1200/14-8/ S160/70, Approval of CINCNORTH’s Contingency Plan for Employment of ACE Mobile Force in North Norway, 17.6.1970; AFNORTH PL 120.17.5, Contingency Plan for Employment of ACE Mobile Force in the Baltic Approaches Command Area (Baltap), 18.3.1968. Die Contingency Plans für den NATO-Südabschnitt sind aus politischen Gründen noch nicht freigegeben. Besonders deutlich in: SHAPE-Archiv, AMF (L) G3 2010 124-011, ACE Mobile Force (Land Component) Standing Operating Procedures, 21.11.1974, SOP 302, S. 1‑4.

222

IV. Das militärische Instrument

Heereskontingent AMF (L) Südkomponente - S-5 xx DTUstgA 9

Bruchsal (204)

1

Niederstetten (77) (8 UH-1D)

301

(+) 253

Saarlouis/ Merzig Bruchsal (118)

Tle

Nagold Calw Koblenz Niederstetten (567)

FAC 2UH-1D

9 Philippsburg (137) Waffen: PzAbw: 20 8 LV: 12 Mrs: 4 Art: 6 LTH: 10

TOW MILAN FK 20 mm 120 mm GebH 105 mm UH-1D

Personal: 1 103

Kfz: 358

Quelle: BArch, Bw 2/27008, FüS III 6, AMF-Übung »Alert Express 91«, Observer Day (15.3.1991), 2.11.1990, Anl. 5.

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07317-05

NATO-Truppen aufzunehmen, deren höheren Stäben die AMF im Ernstfall zu unterstellen war (»Delegation« of Operational Control/Command von SHAPE). Die Verbände und Stäbe durften keinesfalls bereits vorher in regionale Kommandoketten eingeordnet werden, um zu vermeiden, dass die AMF als multilateraler Solidarverband unter den Befehl einer einzelnen Nation kam und damit deren Singularinteressen diente97. Diese Problematik, die Übergabe der Befehlsgewalt über nationale Einheiten an NATO97

SHAPE-Archiv, 1200/14-8/537/72, CINCNORTH’s Contingency Plan for Employment of ACE Mobile Force in North Norway (Area N1), 7.2.1972, S. 1.

IV. Das militärische Instrument

223

Kommandeure, stellte sich für die Allianz generell, weil damit auch die Erlaubnis zur Feuereröffnung verbunden war98. Dabei stand nicht weniger als das Problem im Raum, wer ggf. den Dritten Weltkrieg mit all seinen Folgen auslösen würde. Obwohl die AMF jeweils über nur drei Bataillone und drei Staffeln Jagdbomber verfügte, war ein erheblicher logistischer Aufwand vonnöten, der nicht einfach aus den vorhandenen Strukturen quasi ad hoc geleistet werden konnte. Es waren mehrere Tausend Mann, ca. 500 Fahrzeuge und viele Tonnen an Material und Munition zu bewegen99. Die Kraftanstrengung mag aus heutiger Sicht als Folie und Beispiel für die Auslandseinsätze dienen, die noch weit über das Einsatzgebiet der AMF an den NATO-Grenzen hinausgehen. So waren allein für das deutsche Bataillon mit einer Artilleriebatterie fast 2000 t zu transportieren100. Transportaufwand für ein italienisches Bataillon mit Artillerie für Einsatz in N-1 und N-2 Advance and Key Parties 545 Soldaten / 240 lbs Material

130 800 lbs 785 675 lbs

Main Body 1 032 Soldaten / 240 lbs Material

247 680 lbs 1 830 325 lbs

Follow-up Supplies Material

1 560 000 lbs

Insgesamt

4 554 480 lbs (ca. 2 300 to.) Davon: 168 000 lbs Transport durch italienische LW (N-1) Verbleiben Transport durch andere Bündnispartner 4 386 480 lbs Anmerkung: 1 lb = 0,45 kg Quelle: SHAPE-Archiv, CINCENTʼs Oplan 3/69, Deployment of ACE Mobile Force Air and Land Components, 31.12.1969.

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07313-05

Schwierigkeiten ergaben sich auch bei der Nutzung der Flugplätze im Einsatzgebiet. Diese wiesen zum Teil einen defizitären Zustand auf und befanden sich oftmals in entlegenen Gegenden. Sie mussten erst durch Mittel aus dem NATO-Infrastrukturfonds ausgebaut werden, um die nötigen Kapazitäten für den Ernstfall, die maximale Be- und Entladung in kürzester Zeit erforderten, gewährleisten zu können101. Hinzu kamen immer wieder die Beschränkungen bei den eigenen Lufttransportressourcen, wie etwa bei der Kommandostabsübung der AMF »Bird Trail«, die vom 20. bis 98 99 100 101

Aldrich, Waiting to Be Kissed?, S. 59. SHAPE-Archiv, AFNORTH PL  120.17.5, Contingency Plan for Employment of ACE Mobile Force in the Baltic Approaches Command Area (Baltap), 18.3.1968, S. H-1. SHAPE-Archiv, CINCENT’s Oplan  3/69, Deployment of ACE Mobile Force Air and Land Components, 31.12.1969, S. S-3-2 und ff. Siehe dazu die Infrastrukturvorhaben für die Flugfelder im Gesamtrahmen der strukturellen Maßnahmen in: SHAPE-Archiv, 1200/14-8, AMF Planning, 11.6.1969, Comment No. 1, Lt Col. N. Noergaard/tu/4883.

224

IV. Das militärische Instrument

AMF-Einsatzgebiet N-1 (Nordnorwegen) 0

25

50

75

100

200 km

AMF (A) Basis Aufmarschflugplatz Aufmarschhafen Bereitstellungsraum

A

T

L

A

N

T

IS

C

H

ER

Lakselv/ Porsanger

Tromsø Tromsø Andenes Tromsø Andøya

N EA OZ

Lyngen

NORWEGEN Sørreisa Bardufoss

FINNLAND

SCHWEDEN Bodø Bodo

Quelle: SACEUR Outline COP 10420 »Hard Glory« (Change-3, 31.1.1976), SHAPE-Archiv, 16 mm P01-BL-076B.

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06324-04

zum 28. April 1971 im Einsatzgebiet N-2 (Seeland) durchgeführt wurde102. Im Ernstfall konnte keinesfalls damit gerechnet werden, dass die AMF wie in den Übungen dauerhaft den eigentlich benötigten Lufttransportraum zugewiesen bekommen würde. Der politische Zweck und die großen Distanzen erforderten den Einsatz von Frachtraum für den Übungsbetrieb, der aufs Ganze gesehen das militärische Gewicht der AMF (immer nur drei Bataillone und drei Staffeln Jagdbomber) bei Weitem überstieg. Nach Aussagen prominenter Zeitzeugen verbrauchte die AMF im Frieden bis zu 75 Prozent des gesamten »Exercise Budget« der NATO103. Für den Mittelabschnitt, wo die Masse der schweren Kampfverbände lag, benötigte man die Transporter mindestens genauso dringend. Die dortigen Kommandostäbe würden sich im Ernstfall zweifellos rasch durchsetzen, sodass für die AMF nur am Anfang einer Krise mit maximaler Unterstützung gerechnet werden konnte. Die Übung

102 103

Basics zu Bird Trail in TNA, DEFE 4/255/1, Chiefs of Staff Committee, Minutes, Nos. 10‑12, 9.3.1971. Zeitzeugeninterview General  a.D. Carstens am 15.8.2012, S.  1 (Bericht im ZMSBw). Diese Aussage wird von entsprechenden Quellen, etwa zur Übung Bird Trail in BArch, BW 2 4157, gestützt. Dabei ist zu beachten, dass die Kosten für die großen Truppenübungen im Mittelabschnitt, also etwa die Heeresübungen in der Bundesrepublik, überwiegend von den Partnerstaaten selbst beglichen wurden. Das Übungsbudget, von dem hier die Rede ist, bezieht sich auf die Mittel, die der NATO-Führung in Brüssel bzw. Mons direkt zur Verfügung standen.

IV. Das militärische Instrument

225

AMF-Einsatzgebiet N-2 (Dänemark) Göteborg 0

25

50

75

100

200 km

AMF (A) Basis Aufmarschflugplatz Aufmarschhafen

Aalborg Aalbo

Road/Rail Terminal Bereitstellungsraum

SCHWEDEN

Karup

Helsingborg Kalundborg

DÄNEMARK Værløse

Vandel

Kalundborg NORDSEE

KOPENHAGEN

Skrydstrup

Malmö

OSTSEE Roedby oedby

Kiel

© ZMSBw

06325-06

BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND

Rostock

DDR

Quelle: SACEUR Outline COP 10420 »Hard Glory« (Change-3, 31.1.1976), SHAPE-Archiv, 16 mm P01-BL-076B.

POLEN

WINTEX 71 bestätigte dies jedenfalls104. Begründet war zudem die Befürchtung, dass eine größere oder kleinere Anzahl der Frachtmaschinen feindlichen Luftkriegsmitteln zum Opfer fallen konnte. Bei WINTEX 71 wurde darüber hinaus klar, dass die AMF für maximal 30  Standardtage Nachschub erwarten konnte. Daher beschloss man, im Ernstfall den Nachschub für die AMF so lange als möglich aus dem jeweiligen Gastland zu beschaffen und die eigenen Vorräte zu schonen. Bei einem Einsatz musste immer wieder neu eine komplexe Infrastruktur in mehreren Schichten vor der Hauptkampflinie aufgebaut werden105. Die Verbände sollten auf dem Aufmarschflughafen (»deployment airfield«) landen, sofort in einen nahegelegenen Bereitstellungsraum (»assembly area«) verlegen und dort die Gefechtsformationen bilden. Bei einem Befehl gemäß den »Rules of Engagement« würden dann der Marsch in die Einsatzräume und das weitere Vorgehen entsprechend der politisch-militärischen Lage nach den Weisungen der NATO-Führung erfolgen. Im Sinne einer realistischen Gestaltung und guter Ausbildung bestand ein vitales Interesse, möglichst dort zu üben, wo der scharfe Einsatz stattfinden würde. Andererseits 104 105

Siehe dazu oben Kap. III.2. Zum Folgenden vgl. grundsätzlich SHAPE-Archiv, AMF (L) G4 6000.2/23-270, ACE Mobile Force (Land Component), Logistic Standing Operating Procedures 1973, 28.2.1973.

226

IV. Das militärische Instrument

AMF-Einsatzgebiet S-1 (Türkisches Thrazien) AMF (A) Basis

BULGARIEN

SCHWARZES MEER

Edirne

Pinarhisar

Aufmarschflugplatz (sobald ausgebaut) Aufmarschflugplatz (Alternative für den Notfall) Bereitstellungsraum

Lüleburgaz Çorlu

GRIECHENLAND

Yeşilkoy Istanbul

Paşayiğit MARMARA-MEER

Bandirma ANKARA

Çanakkale�

Balikesir

MITTELMEER

0

25

50

75

100

230 km

Eskisehir

TÜRKEI

200 km

Quelle: SACEUR Outline COP 10420 »Hard Glory« (Change-3, 31.1.1976), SHAPE-Archiv, 16 mm P01-BL-076B.

© ZMSBw

06326-03

lief man Gefahr, bei allzu großen und häufigen Bewegungen an der Grenze zu einem Ostblockstaat eine direkte Reaktion der Truppen auf der anderen Seite zu provozieren. Man hätte im ungünstigsten Falle genau das ausgelöst, was man eigentlich verhindern wollte: Infiltrationen, Provokationen und »local hostile actions«. Aus diesem Grund war vorgesehen, Pufferzonen zu respektieren und Teile der Übungen im begrenzten Rahmen zu verlegen106. 12 bis 18 km hinter den Einsatzräumen wurde eine Verwaltungszone, die Forward Administrative Area (FAA), geschaffen, in der alle primären Versorgungsdienste konzentriert waren, darunter Sanitätseinrichtungen, Fernmeldeanlagen, Stäbe und vor allem die Forward Logistik Support Company (FLSC), die jeweils Komponenten aller beteiligten Partnerstaaten der AMF enthielt (National Support Elements, NSE), welche unter anderem für die Versorgung der Truppe und die Reparatur von beschädigtem Gerät zuständig waren. Dahinter lag das organisatorische ›Rückhaltebecken‹, die »AMF (L) Base« mit dem rückwärtigen Hauptquartier (HQ AMF Rear), wo alle logistischen Grundsatzfragen erledigt wurden, etwa die Regelung des Nachschubs in Zusammenarbeit mit der jeweiligen Gastnation und größere Instandsetzungen. 106

SHAPE-Archiv, AFSOUTH, AD  1711.6 OT, AMF Exercise Sunshine Express Initial Planning Conference, 10.2.1967, S. A-3.

IV. Das militärische Instrument

227

AMF-Einsatzgebiet S-2 (Griechisches Thrazien) BULGARIEN

Edirne

JUGOSLAWIEN Drama

Serres

Xanthi

Komotini

Polykastro

ALBANIEN

Thessaloniki

Amynteo

Mikra Çanakkale

GRIECHENLAND

0

25

50

75

100

TÜRKEI

ÄGÄISCHES MEER

Larissa 200 km

Preveza AMF (A) Basis Aufmarschflugplatz Quelle: SACEUR Outline COP 10420 »Hard Glory« (Change-3, 31.1.1976), SHAPE-Archiv, 16 mm P01-BL-076B.

Izmir

Aufmarschhafen

Tanagra

Bereitstellungsraum

ATHEN

© ZMSBw

06327-05

AMF-Einsatzgebiet S-3 (Türkisch-Syrische Grenze) Erzurum

TÜRKEI

Malatya/Erhaç Diyarbakir

Adana Mersin

Incirlik

İslahiye

Şanlıurfa Gaziantep

Mardin

IRAK

Iskenderun

AMF (A) Basis Aufmarschflugplatz (sobald ausgebaut)

RN

PE

ZY

MITTELMEER

Aufmarschflugplatz (Alternative für den Notfall)

SYRIEN

Bereitstellungsraum 0

50

100

200 km

Quelle: SACEUR Outline COP 10420 »Hard Glory« (Change-3, 31.1.1976), SHAPE-Archiv, 16 mm P01-BL-076B.

© ZMSBw

06328-05

228

IV. Das militärische Instrument

AMF-Einsatzgebiet S-4 (Nordostitalien) ÖSTERREICH SCHWEIZ

25

50

Udine

Aviano

100 km

ITALIEN

Campoformido Treviso

Mailand

Triest

Brescia Verona

Ghedi

Venedig

Villafranca di Verona

MITTELMEER

AMF (A) Basis Quelle: SACEUR Outline COP 10420 »Hard Glory« (Change-3, 31.1.1976), SHAPE-Archiv, 16 mm P01-BL-076B.

JUGOSLAWIEN

0

Villach

Aufmarschflugplatz Bereitstellungsraum

Parma

© ZMSBw

06329-06

AMF-Einsatzgebiet S-5 (Osttürkei) SCHWARZES MEER

UdSSR

Trabzon Kars

AMF (A) Basis Aufmarschflugplatz

Sarıkamış

Bereitstellungsraum

Yerevan

Horasan Erzurum

TÜRKEI Malatya/Erhaç 70 km

0

Diyarbakir

IRAN

Vansee 50

100

200 km

Quelle: SACEUR Outline COP 10420 »Hard Glory« (Change-3, 31.1.1976), SHAPE-Archiv, 16 mm P01-BL-076B.

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06330-06

IV. Das militärische Instrument

229

Die Organisation der Lufttransporte funktionierte nach den allgemeinen Regeln der NATO. Die einzelnen Partnerstaaten waren für ihren Nachschub im Kern selbst zuständig. Die Abwicklung der Transporte verlief entsprechend den integrierten Kommandostrukturen über zentrale Steuerungs- und Koordinationselemente, die vom CINCENT Joint Coordination Centre (JCC) in Brunssum geleitet wurden und die spezielle Komponenten bei den Flugbasen in den Einsatzgebieten beinhalteten, den CINCENT Airlift Coordination Staff (CACS) und das International Airlift Control Element (IALCE)107. Diesem Grundmuster folgend, legten die NATO-Planungsstäbe auch die Übungen der Allied Mobile Force an. Angepasst an die örtlichen Gegebenheiten des Einsatzgebietes nahm man die Entstehung von politisch-militärischen Spannungen in der Grenzregion an, die dann zu örtlichen Vorstößen zahlenmäßig begrenzter Kampfverbände des Warschauer Paktes führten. Die AMF wurde nach Anforderung durch SACEUR bzw. durch die betroffene Flankennation entsandt, erreichte das Krisengebiet, begann mit den Abschreckungsmaßnahmen (»Key Parties«) und nahm an der Seite der örtlichen Verteidigungskräfte am ›Kampf‹ teil. Bei den AMF-Übungen fallen zwei Themenkreise besonders ins Auge, die bis zum Ende des Kalten Krieges von eminenter Bedeutung waren. Zu den entscheidenden Anforderungen gehörte, dass die übenden Streitkräfte einen hervorragenden Eindruck in der Öffentlichkeit machten und in den Medien präsentiert wurden. Im Vordergrund standen die Kohärenz und die Solidarität der NATO-Partner untereinander. »The desirability of keeping the public informed of NATO activities and of the important role that military exercises play in demonstrating the solidarity of the member nations and in maintaining an effective defensive organization for the Alliance108.« Der primäre militärische Zweck der Übungen, das Training und die Erhöhung der praktischen Fähigkeiten, und die strategisch-politische Aufgabe, die Abschreckung, gingen ineinander über. Simulation und ›Realität‹ verschwammen. Dem Warschauer Pakt, der eigenen Bevölkerung und letztlich dem Rest der Welt sollte deutlich gemacht werden, dass die NATO an allen kritischen Punkten ihres Bündnisgebietes einsetzbar war und mit allen Situationen fertig wurde: »As the principal purpose of the North Atlantic Treaty Organization is to deter war, timely and judicious press releases concerning the activities of the Alliance can be used to make clear to the peoples of all nations that the strength of the Alliance is being maintained to deter aggression109.« Gerade die Übung »Summer-Marmara Express 66« bot, auch aus deutscher Sicht, ein frühes Erfolgserlebnis in der Geschichte der AMF. Neben offensiver Propagierung der Übung organisierte das Informations- und Pressezentrum des BMVg eine Journalistenreise in das Übungsgebiet, an der auch Vertreter von Provinzzeitungen, wie etwa der

107

108 109

SHAPE-Archiv, AFCENT 1100.6.2./13/S1384/76, Cincent Supplan 30423A – Air Transport Operations Supporting the Contingency Deployment of the ACE Mobile Force to the N2 Contingency Area, 21.12.1976. Als praktisches Beispiel für den Aufwand (britisches Kontingent) vgl. SHAPE-Archiv, CINCENT COS 1578/15/9/69, Cincent OPLAN 1/68 – Deployment of the ACE Mobile Force, 15.9.1969. Ebd., Annex D, S. 25. Ebd., S. 26.

230

IV. Das militärische Instrument

Schwäbischen Zeitung aus Oberschwaben, teilnahmen110. Im Vorfeld hatte man für die insgesamt 24  Reporter eine Pressekonferenz mit dem Generalinspekteur anberaumt. Das Echo fiel ganz im Sinne der Veranstalter aus: Fast alle Zeitungen, die einen Journalisten entsandt hatten, berichteten positiv über die Übung und die deutschen Leistungen. Sinn und Zweck der AMF im Rahmen der NATO-Strategie wurden voll gewürdigt und unter Zitierung der führenden Generale wohlwollend gewertet. Auch bei der NATO galt das Unternehmen als »voller Erfolg«111. Dass einige nationalistische Töne in Istanbuler Zeitungen in Bezug auf die Verteidigung des Vaterlandes verbreitet wurden, fiel demgegenüber weniger ins Gewicht. Insgesamt war »Summer-Maramara Express  66« ein Beispiel für gelungene Pressearbeit und insofern ein Vorbild für die folgenden Übungen. Der zweite Schwerpunkt stand mit diesen Grundprinzipien in einem erheblichen Spannungsverhältnis, da er die allgemeine Kriegsgefahr in sich barg. In allen NATOGremien, und dies zieht sich durch alle wichtigen Planungsdokumente für die Übungen, bestanden große Ängste, durch eine zu offensiv angelegte oder propagierte Übung den Warschauer Pakt derart zu provozieren, dass dieser zu direkten Gegenmaßnahmen greifen würde, die dann möglicherweise den Einstieg in die Eskalationsleiter brächten. »Exercise settings which might lead to misinterpretation of agreed NATO concepts or strategies should be avoided. NATO exercise having undesirable political implication should not be programmed, and exercise plans should be continuously screened against developments which may cause political repercussions initially unforseen.« Man schwankte zwischen offensiver Darstellung der eigenen militärischen Fähigkeiten und der Furcht vor der eigenen Courage. Dies galt insbesondere für Regionen, wo bereits Spannungen oder Krisen mit dem Osten existierten. Durchführung und öffentliche Präsentation der Übungen waren genauestens abzuwägen: »must take account of such developments and be in consonance with the political conditions prevailing at the time the exercise takes place in a geographical area that already has attracted the attention of the press and public, or if an exercise coincides with one or more other exercises that are either concurrent or immediately preceding or following in time112.« b) »Hightime of deterrence«: Die Übungen der AMF von den sechziger bis zu den achtziger Jahren Die Grundprinzipien und Probleme traten auch bei der wohl ersten unter realistischen Abschreckungsbedingungen durchgeführten Übung »Sunshine Express« zutage, die vom 26.  August bis zum 15.  September 1967 stattfand, also etwa vier Monate nach dem

110

111 112

Ausführliches Material mit Pressesammlung und Zeitungsausschnitten in BArch, BW  2/26371. Vgl. auch Deutsche Botschaft Athen, Leiter des Militärattachéstabes, NATO-Übung »MaramaraExpress«, 6.10.1966, mit Anlage Fremdenfeindliche türkische Pressestimmen zum NATO-Manöver. BArch, BW 2/26371, Telegramm nmr ge shape an ipz bmvg., msgnr 1094, journalistenreise zur uebung marmara express 20.9.1966. Ebd., S. 27.

IV. Das militärische Instrument

231

Putsch der griechischen Obristen und der Errichtung einer Militärdiktatur im Lande113. Im Laufe der Übung wurde man gewahr, dass die Griechen ihre Divisionen nur sehr zaghaft in die vorgesehenen Übungsräume vorrücken ließen. Dies geschah unter anderem auch aus Furcht vor einer möglichen Überreaktion der Bulgaren, möglicherweise auch infolge der innenpolitischen Situation und deren Auswirkungen insbesondere auf das griechische Offizierkorps. Die NATO-Kommandostäbe monierten diese Handlungsweise zwar, beließen es aber dabei. Man war sich nicht sicher, ob die Befürchtungen der Griechen nicht doch ihre Berechtigung hatten. »Sunshine Express« ist nicht nur ein Abbild der spezifischen Verhältnisse des griechischen Übungsraumes (S-2) ab, sondern steht ebenso für alle Stärken und Schwächen der AMF-Übungen generell. Lange Zeit war gar nicht sicher, ob die Übung überhaupt stattfinden würde114. Insgesamt bewerteten die beteiligten Stäbe der NATO und der Bundeswehr sie als Erfolg, auch in Bezug auf die Abschreckungswirkung. Der SACEUR, Lemnitzer, hob hervor, »dass jährliche Übungen dieser Art nicht nur für die Ausbildung der AMF von Wichtigkeit seien, sondern darüber hinaus dem griechischen Volk das felsenfeste Vertrauen gäben, dass es verteidigt würde, wenn es nötig sei. Das Zusammenwohnen, Zusammenarbeiten und Zusammen-die-Freizeit-verbringen zwischen den alliierten Soldaten sei ein entscheidender Faktor für einen Erfolg des Bündnisses. General Lemnitzer betonte darüber hinaus, dass gerade in diesem Teil des NATO-Bündnisses wegen des Nahostkonflikts und der russischen Flotte im Mittelmeer die NATO ihren hohen Stand der Ausbildung ebenso immer erneut unter Beweis stellen müsse wie die Tatsache, dass die NATO zur Verteidigung willens und bereit sei, sollte eines ihrer Mitglieder angegriffen werden. Die politische Seite einer solchen Übung sei infolgedessen ebenso wichtig wie die militärische, zeige sie doch Freund und Feind, was die NATO könne115.« Diese Sätze brachten in aller Kürze den ganzen Sinn der AMF gerade angesichts der strategischen Stabilitätsprobleme der NATO an der Südflanke zum Ausdruck: Abschreckung durch demonstratives Zeigen und gemeinsames Vorleben von Bündnissolidarität im Einsatz. In organisatorischer Hinsicht wurde man langsam sicherer, was die Abstimmung, die Flexibilität und die Anpassung des ganzen Apparates an die jeweiligen Bedingungen vor Ort betraf116. Aus deutscher Sicht hatten sich hervorragende Gelegenheiten für die Fallschirmjägerverbände ergeben, da diese in einer Umgebung üben mussten, die ihnen so in Mitteleuropa nicht bekannt war117. Die Disziplin der Soldaten wurde in den Übungsberichten als sehr gut bewertet. 113

114 115 116

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Zum Folgenden vgl. grundsätzlich die Übungsberichte in BArch, BW 2/1646a, v.a. Botschaft Athen, Der Heeres-, Luftwaffen- und Marine-Attaché an Fü  S  II  4, NATO-Manöver Sunshine Express, 14.9.1967, mit Begleitmaterial. Deutsche Planungsdokumente zu dieser Übung in BW 2/7234. BArch, BW 2/1646a, Botschaft Athen, Der Heeres-, Luftwaffen- und Marine-Attaché an Fü S II 4, NATO-Manöver Sunshine Express, 14.9.1967, S. 1. Ebd., S. 3. Zum Folgenden vgl. grundsätzlich BArch, BW  2/1646a, AMF  L, G-3, 107/743, Post Exercise Report, Exercise Sunshine Express 1967, 31.10.1967; und ebd., 1. Luftlandedivision, G LL/G 3, Erfahrungsbericht der 1. Luftlandedivision zur AMF-Übung Sunshine Express 1967, 22.12.1967. BArch, BW 2/1646a, 1. Luftlandedivision, G LL/G 3, Erfahrungsbericht der 1. Luftlandedivision zur AMF-Übung Sunshine Express 1967, 22.12.1967, S.  2; und ebd., 1.  Luftlandedivision, G LL/G 3, Abschlussbericht AMF (L)-Übung Sunshine Express 1967, 30.10.1967, S. 3.

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IV. Das militärische Instrument

Field Hospital AMF, Kranken- und Verwundetenstatistik Stationäre Patienten

Ambulante Patienten

8

US

25

US

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UK

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2

BE

44

GE

17

GE

0

GRE

5

GRE

1

CA

0

CA

Insgesamt

Insgesamt

65

65

Holding Station

Stationäre Patienten

Ambulante Patienten

9

US

2

US

8

UK

1

UK

5

BE

0

BE

53

GE

36

GE

0

GRE

3

GRE

1

GE Zivil

1

CA

Insgesamt

Insgesamt

76

43

Wichtige Diagnosen Fieberhafter Infekt

10

Darminfektion

42

Bauchbeschwerden

3

Nierenkolik

1

Appendicitis (Blinddarmentzündung)

2

Otitis (Ohrenentzündung)

2

Trommelfellperforation

2

Gehirnerschütterung

1

Lebensmittelvergiftung

27

Stich-, Schnitt- und Platzwunden

22

Schlangenbiss

2

Allergische Hautausschläge

9

Zahngeschwür

3

Verbrennungen 1. und 2. Grades

2

Quellen: BArch, BW 2/1646a, Oberstabsarzt Dr. Manfred Baldermann, Commander Medical Unit AMF L, Chef 2. (Lehr)/SanBtl. 210, Erfahrungsbericht über die Übung »Sunshine-Express« 1967, 12.10.1967; und Erfahrungsbericht Medical Unit (GE) über die Übung »Sunshine-Express« 1967, 2.10.1967.

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IV. Das militärische Instrument

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Auch das Lufttransportkommando118 und die von der Bundeswehr gestellte Sanitätskompanie der AMF zogen ein positives Fazit. Offensichtlich gelang es der Sanitätskompanie, die unterschiedlichen Kontingente trotz mancher Schwierigkeiten im Detail immer besser aufeinander abzustimmen119. In der Kranken- und Verwundetenstatistik traten die besonderen Bedingungen des Einsatzes deutlich zutage (siehe nebenstehende Übersicht). Der deutsche Sanitätsdienst unternahm enorme Anstrengungen, um den besonderen Bedingungen der AMF-Einsätze an der Südflanke gerecht zu werden. So wurden etwa für »Eastern Express« (Oktober/November 1965) ausführliche Untersuchungen zu den klimatischen, ernährungstechnischen und seuchenhygienischen Maßnahmen angestellt, darunter Erkundungsreisen, bei denen es zu intensiver Kontaktaufnahme mit türkischen Ärzten kam. Das Bild, das dabei entstand, war zweigeteilt: Einerseits wurden, etwa im Dienstreisebericht des Hygienearztes, die kulturelle Verbundenheit und die besonderen Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei seit den Reisen des älteren Moltke hervorgehoben, ebenso die große Disziplin und die hygienischen Standards der Militärlazarette; andererseits konstatierte man drastische Ausbildungs- und Führungsmängel im Sanitätsdienst der türkischen Armee120. Der Hygienearzt schwankte in seinem Bericht überdies zwischen großer Vergangenheit, Fantasien von »Tausend und einer Nacht« und den kruden Realitäten des türkisch-griechischen Konflikts und des Kalten Krieges. Teilweise wurde die Hoffnung auf die kontinentübergreifenden Gemeinsamkeiten und auf den Lerneffekt durch rückkehrende Gastarbeiter genährt121. Hinsichtlich der Probleme in der Kampfausstattung kamen bei »Sunshine Express« fast alle Aspekte zur Sprache, die die AMF noch bis zu ihrer Auflösung beschäftigten. Moniert wurden etwa die mangelnde Ausstattung mit Panzerabwehrmitteln und Waffen für die Luftabwehr sowie die Hindernisse bei der Nachrichtenbeschaffung und den Kommunikationsmitteln bzw. der Verständigung der integrierten Komponenten (C3)122, des Weiteren die mangelnde Abstimmung zwischen Heeres- und Luftwaffenteilen123.

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Siehe dazu BArch, Verschlusssache. Zum Folgenden vgl. BArch, BW 2/1646a, Oberstabsarzt Dr. Manfred Baldermann, Commander Medical Unit AMF L, Chef 2. (Lehr)/SanBtl. 210, Erfahrungsbericht über die Übung Sunshine Express 1967, 2.10.1967; und Oberstabsarzt Dr. Manfred Baldermann, Erfahrungsbericht Medical Unit (GE) über die Übung Sunshine Express 1967, 2.10.1967. BArch, BW 12/52, Brief OSA Dr. med. K. Holl an Generalarzt Dr. Joedicke, o.D., mit Begleitmaterial; und ebd., Dr. med. Peter Haberkern, Erfahrungsbericht während meiner Kommandierung zur Medical Company AMF (L) vom 26.10.‑27.11.1965 bei der Übung »Eastern Express«, mit Begleitmaterial, hier vor allem hands. Bemerkungen bei den »Beobachtungsanweisungen zum Erfahrungsbericht«. Dazu auch Baldermann, Die deutsche Sanitätskompanie. Für die griechische Seite vgl. BArch, BW 24/12360, In San I 2, Reisebericht, Sanitätsdienstliche Beobachtungen und Hinweise für den Einsatz von BwEinheiten bei der Übung »Southern Express«, 27.8.1962, mit Begleitmaterial. Den Hinweis auf diese Akten verdanke ich Kai Uwe Bormann (ZMSBw). Vgl. dazu auch Bormann, Erster Inspekteur des Sanitäts- und Gesundheitswesens, S. 309‑312. Dazu BArch, BW  12/52, OSA Dr. med. K. Holl im Hygienisch-Medizinischen Institut des Wehrmedizinalamtes, Reisebericht über eine Erkundungsreise vom 19.7.1964 in die Türkei, Teil II, 20.1064 C3 = Command, Control and Communication. Heute spricht man von C4 = Command, Control, Communication and Computers. Alternativ kann für »Command« auch »Consultation« stehen. BArch, BW  2/1646a, SACEUR an MODs und höhere NATO-Kommandostäbe, Preliminary Exercise Report, 31.11.1967, S. 3.

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IV. Das militärische Instrument

Besonders schwerwiegend waren die Spannungen im griechischen Offizierkorps124. Wie der deutsche Militärattaché besorgt vermerkte, bildeten sich zwei Lager heraus. Das eine stand offensichtlich zur demokratischen Staatsordnung und lehnte den Militärputsch vom 21. April 1967 ab125. Das andere befürwortete den militärischen Coup. Hinter den Kulissen und auf den Empfängen kamen die Verwerfungen deutlich zum Ausdruck. Es war ein Bürgerkrieg unter Einbeziehung rivalisierender Offiziergruppen zu befürchten. Allerdings schien dies, wie die US-Botschaft in Athen bemerkte, nicht für den Fall einer Invasion des Warschauer Paktes zu gelten. In diesem Falle war mit einem Zusammenstehen und vollem Einsatz für die NATO zu rechnen126. Inwieweit die Amerikaner und NATO-Stellen von der Vorbereitung des Putsches wussten oder sogar involviert waren – »Prometheus«-Plan und »Hellenic Raiding Forces« –, ließ der Berichterstatter offen127. Ersterer beinhaltete ein Konzept zur inneren Abwehr eines kommunistischen Umsturzes, das von den Putschisten angeblich zur Beseitigung der demokratischen Ordnung diente, Letztere umfassten Spezialtruppen zur Guerillakriegführung, deren Vorläufer schon im Zweiten Weltkrieg entstanden waren. Im operativen Tagesgeschäft bei der Übung war hiervon wenig zu spüren, da das griechische Militär durchgängig massiv am Schutz der NATO interessiert war und daher auch alles tat, um »Sunshine Express« zu einem Erfolg werden zu lassen. Dies gelang offensichtlich, denn die Übungsberichte lobten unter anderem wiederholt das Engagement der Griechen128. An der Nordflanke stellten sich derlei Probleme zwar nicht, dennoch gestaltete sich die Lage dort nicht weniger besorgniserregend. Die Untiefen der Abschreckung traten in Skandinavien verschärft zutage, so im Einsatzgebiet N-1. Während der Übung »Polar Express« vom 27. Mai bis 15. Juni 1968, an der auch die STANAVFORLANT teilnahm, kam es tatsächlich zu einem realen Aufmarsch der Roten Armee an der nordnorwegi-

124

125 126 127

128

Vgl. dazu und zu den großen innenpolitischen Problemen der Griechen auch FRUS 1969‑1976, vol.  30, Dok.  13: Interagency Intelligence Memorandum, 18.4.1974 . BArch, BW 2/1646a, Botschaft Athen, Der Heeres-, Luftwaffen- und Marine-Attaché an Fü S II 4, NATO-Manöver Sunshine Express, 14.9.1967, S. 4 f. FRUS 1969-1976, vol. 30, Dok. 9: Telegram from the Embassy in Greece to the Department of State, 8.2.1974 . Ganser, NATO-Geheimarmeen, S. 334‑346. Die Thesen von Ganser können an dieser Stelle nicht überprüft werden, da hierzu ausführliche Studien nötig wären. Wie bei allen Publikationen zu Geheimdiensten ist angesichts der häufig nur lückenhaften Quellenlage Vorsicht geboten, zumal Ganser in eindeutig tendenziöser Diktion berichtet. Hier sind allerdings Vorbehalte anzumelden. Insbesondere die Berichte der Dienststellen vom AFSOUTH, die an alle Beteiligten gingen, loben durchgängig die angeblich hervorragende Zusammenarbeit zwischen den Host Nations und den Entsendestaaten. Neben einem gewissen Zweckoptimismus dürfte hier auch psychologisches Gespür eine wesentliche Rolle gespielt haben. Man hatte auf die nationalen Empfindlichkeiten Rücksicht zu nehmen und blieb daher mit Kritik, selbst wenn diese berechtigt war, überaus vorsichtig. Jedenfalls bestanden, etwa im Falle der Türkei, gegen Ende des Kalten Krieges immer noch Defizite (Unterstützungseinrichtungen). BArch, BW 2/27006, Fü L III 3, AMF-Übungen, Host Nation Support für AMF (A), Ex. »Ally Express 88«, 17.2.1988, mit Begleitmaterial; BArch, BW 2/27008, Fü L III 3, AMF LIVEX Alert Express 91, Stellungnahme zu EXSPEC, 12.6.1989, mit Begleitdokumenten.

IV. Das militärische Instrument

235

Angriffsszenarien für das AMF-Einsatzgebiet N-1 sowjetische Flugplätze

Z

A

Häfen der Nordflotte

N

Bereitstellungsraum geplante Luftlandeoperationen

H

E

R

O

E

IS

C

Banak

N

T

Tromsø Alta

AT

L

A

Skibotn

B

Bardufoss

Karasjok

C

D

Kiruna Bodø

Kirkenes

xxx 167

Pechenga

xx

45

Ivalo

Narvik

geplante Angriffsstoßrichtungen

Tana

xx

B A R E N T S -

Murmansk

S E E

341 Monchegorsk

Kirovsk

A

Kandalaksha

Guba

UdSSR

FINNLAND

T

S

E

E

SCHWEDEN

O

S

NO

RW E

GE

N

Rovaniemi

0

50 100

200

400 km

Perzipierte Angriffsoptionen über Land jeweils in Verbindung mit amphibischen Angriffen: A: Direkter Angriff gegen Narvik und Abschneiden des gesamten nordnorwegischen Territoriums (»making general war almost a certainty«) B: Isolierung der Finnmark ohne Verletzung des schwedischen Territoriums C: Vorstoß gegen Banak, gleichzeitig Besetzung von Spitzbergen und der Bäreninsel D: Frontaler Angriff direkt gegen norwegisches Gebiet, gleichzeitig Besetzung von Spitzbergen und der Bäreninsel (Minimallösung) Quelle: SHAPE-Archiv, HQ AMF (L) G 3 1220/7/18-010, AMF (L) Planning Instruction for contingencies, 31.1.1968.

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schen Grenze129. Dieser gehörte zu den bereits erwähnten Machtdemonstrationen der Sowjetunion und war möglicherweise als Antwort auf die AMF-Übung gedacht, die von der NATO bewusst mit einer »aktiven« Öffentlichkeitspolitik, d.h. mit offensiven Vorankündigungen und extensiver Berichterstattung gefahren wurde. So ergab sich die Situation, dass sich das konstruierte Übungsgeschehen direkt vor einer realen Bedrohung abspielte. Wenn Moskau bewusst auf den aus sowjetischer Sicht provokativen Charakter von »Polar Express« hatte hinweisen wollen, war dies gelungen. Die Übung wurde von der NATO sofort ausgesetzt. Im Übrigen setzten sich die Erkenntnisse und Erfahrungen der 129

Zum Folgenden vgl. grundsätzlich BArch, BW  2/1646b, Botschaft Oslo, Der Marine-, Heeresund Luftwaffenattaché, NATO-Manöver »Polar Express«, 24.6.1968, mit Begleitmaterial.

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vorigen Übungen fort. Transport, Koordination und Kooperation funktionierten nach Angabe der Übungsberichte sehr gut und konnten, etwa beim Aufmarsch, in kürzerer Zeit als in der Planung vorgesehen erfüllt werden. Auch die Bedeutung der norwegischen Luftwaffe sowie der norwegischen Heimwehr als essenzielles Mobilmachungselement wurde gelobt. Bemerkenswerterweise fand, was eigentlich wegen der räumlichen Nähe und der klimatischen Ähnlichkeiten zu erwarten gewesen wäre, dabei nicht der finnischrussische Winterkrieg von 1940 als historisches Vorbild Erwähnung, sondern die geschickte Kriegführung des Vietkong. Pikant war die Tatsache, dass man offenbar noch deutsche Stellungen aus dem Zweiten Weltkrieg nutzte. Schließlich kam noch ein ganz neues Element zum Tragen, das wohl ebenfalls aus den Erfahrungen des Vietnamkrieges, etwa der Tet-Offensive, die Ende Januar 1968 begonnen hatte, herrührte. Geübt wurde unter anderem der Kampf mit Guerilla- und Untergrundmethoden unter Verwendung professioneller Kräfte. Die Feinddarstellung wurde von einer Einheit der britischen Royal Marines übernommen, die es beinahe schafften, das Hauptquartier der AMF zu überrumpeln. Den NATO-Verbänden gelang es nur mit Mühe, eine Niederlage zu verhindern. Im Übrigen traten alle bereits dargestellten Defizite in der Kampfausstattung zutage. Als relativ neu, aber ebenfalls zukunftsträchtig erschienen die Herausforderungen bei den Kommunikationssystemen für die Koordination der Luftunterstützung. Die unterschiedlichen Komponenten verfügten über unterschiedliche Ausrüstung, was zu einer erheblichen Behinderung für Anforderung und Durchführung von Luftnahunterstützung (Close Air Support) führte. Auch im Bereich der Dislozierung ergaben sich Probleme, die die AMF zumindest bis zum Ende des Kalten Krieges begleiteten. So hatte das italienische Kontingent, das die deutschen Truppen im Norden aus politischen Gründen ersetzte, große Mühe, rechtzeitig zur Übung »Green Express« (Übungsgebiet N-2, dänische Inseln) im Jahre 1969 zu erscheinen, da es auf dem Landwege durch Frankreich anrückte, dort jedoch wegen eines Eisenbahnerstreiks aufgehalten wurde. Nur durch den raschen Einsatz von zusätzlichen Großraumtransportern vom Typ C-119 und C-130 aus den USA konnte der Zeitplan noch eingehalten werden130. Es war nicht auszudenken, was passieren würde, wenn im Ernstfall durch Streiks, Unruhen oder Sabotage ein rascher und überzeugender Aufmarsch nicht gelänge. In diesem Zusammenhang wurde auch das Sonntagsfahrverbot für Schwerlastverkehr in Deutschland kritisiert, wenn auch als relativ begrenztes Übel131. Überhaupt wurden die Aspekte der Territorialverteidigung und die Zusammenarbeit mit den zivilen Stellen (heute: Civil Military Cooperation, CIMIC) zunächst überhaupt nicht, später dann nur unzureichend geübt. Sie trugen so ebenfalls zum eher optimistischen Szenario bei132. Gerade Sabotage, Verwundete und Flüchtlingsströme 130

131 132

SHAPE-Archiv, 1710.27/14-7, Post-Exercise Final Report on ACE Mobile Force Exercise Green Express, N-2, 22.4.1970, S.  6. Weitere Basics zu »Green Express« (Vorbereitung) in BArch, BW 2/4339, Fü S III, AMF-Verlege- und Gefechtsübung »Green Express« und deutsch-französische Küstenumschlagübung »FORTE«, 5.8.1969, mit Begleitmaterial. SHAPE-Archiv, 1730.27.D/12-024, Final Report on the AMF Movement Exercise Absalon Express, 23.1.1974, S. 3. SHAPE-Archiv, AMF (L) G3 1710/38, Exercise Deep Express – Post Exercise Report, 16.12.1970, S. 20 f.; und 1720.8.12.SHOPE/78, Final Report on AMF FTX Arctic Express 78, 24.7.1978, S. 13.

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im Hinterland konnten den Aufmarsch der AMF behindern. Zusätzlich kam es noch zu taktischen Fehlern, beispielsweise bei »Green Express«. Wegen der Sicherung wichtiger Brückenübergänge zerriss man die Einheitlichkeit und gefährdete damit den Abschreckungsauftrag. Das Fazit hier war eindeutig: »The contingency plan for employment of AMF(L) in the N2 area should ensure that the tactical integrity of AMF(L) is retained at all times133.« Im Einsatzgebiet S-3 an der syrisch-irakischen Grenze kam der Übungsbetrieb nur langsam in Gang. Für das Jahr 1968 war hier die Übung »Orient Express« anberaumt worden, die aufgrund politischer Vorbehalte der Türkei aber abgesagt werden musste. Über die Hintergründe lässt sich an dieser Stelle einstweilen nur spekulieren. Neben dem Zypernkonflikt, der mit den wiederholten Invasionsdrohungen der Türkei das ganze Gefüge der NATO-Südostflanke destabilisierte134, dürften auch die Kurden eine wichtige Rolle gespielt haben, in deren Siedlungsgebiet die Contingency Area S-3 der AMF lag. Die Kurden im Irak und die Zentralregierung in Bagdad bekriegten sich seit 1961, was auch die irakische Innenpolitik beeinflusste. Am 17. Juli 1968 wurde die Regierung Arif durch die Baath-Partei gestürzt, die Ahmad Hasan al-Bakr als Staatspräsident inthronisierte. Vizepräsident wurde Saddam Hussein. Die Türkei war militärisch hiervon zwar nicht direkt betroffen, hegte aber stets Ängste, dass ein Konflikt auch auf die Kurden in der Türkei übergreifen könnte – eine Problematik, die heute gerade vor dem Hintergrund des Bürgerkrieges in Syrien eine eminent wichtige Rolle spielt. Im Kalten Krieg bestand die Gefahr eines Übergreifens mit direkten Auswirkungen auf die NATO und den Warschauer Pakt und damit die Möglichkeit einer Eskalation. Die türkische Regierung schränkte den Handlungsspielraum der AMF bei ihren Übungen immer wieder ein, beispielsweise bei der Stabsübung (CPX) »Dense Trail 72«, bei der sie dem Führerkorps der AMF wichtige Erkundungen östlich des Euphrat verbot, keinerlei Bewegungen der AMF ohne türkischen Begleitoffizier erlaubte und fast alle Aktivitäten bei Nacht untersagte135. Auch später wurden die Soldaten der AMF teils in drastischer Weise mit den entsprechenden Konflikten konfrontiert136. Während des Putsches von 1980 war zu erkennen, dass alle halbwegs größeren Städte vom türkischen Militär bewacht wurden (z.B. Bunker und Stellungen an den Stadteingängen). Es gab eine Ausgangssperre ab 19 Uhr, die auch für die Einheiten der AMF galt. Der zu diesem Zeitpunkt verantwortliche Kommandeur der AMF, der britische Generalmajor Michael F.R. Reynolds, musste allerdings zu einer dienstlichen Besprechung und verließ sein Lager. Er wurde gestoppt und konnte das Kennwort nicht nennen. Daher wurde er von türkischen Soldaten auf die Gleise gestreckt und bedroht. Erst nach einigen Verhandlungen kam er frei. Kämpfe zwischen den Kurden und der türkischen Armee blieben der AMF ebenfalls nicht verborgen. So erfuhr man, dass in Gefechten 28 Kurden 133 134

135 136

SHAPE-Archiv, AMF (L) G3- 1710/30, Exercise Green Express (N-2), 8.12.1969, S. 7. So etwa Ende 1967 und zum Jahreswechsel 1967/68, als Griechenland und die Türkei aus diesem Grund wieder einmal beinahe an den Rand eines Krieges geraten waren. Die Zeit, 5/1968 (5.1.1968); und Der Spiegel, 26/1968 (24.6.1968). BArch, BW  2/4157, 1.  LLDiv. an HQ AMF L, Exercise Dense Trail, Post Exercise Report, 18.4.1972, S. 2; und ebd., Verschlusssache. Zum Folgenden vgl. Zeitzeugeninterview mit OStFw a.D. Rolf Wambach, Weitersburg, 10.11.2014, S. 3. Kopie im ZMSBw, Archiv B.L.

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getötet worden waren. Die türkische Armee verhielt sich infolge dieser Lage nicht immer kooperativ und behinderte dadurch auch die Arbeit der AMF etwas. So etwa im Falle der Kartenzuteilung. Das türkische Militär bestand darauf, dass bei den Einweisungen (Recce) nur eine einzige Karte für den Einheitsführer zur Verfügung gestellt wurde, verbunden mit der Auflage, diese nicht zu kopieren. Die deutschen Einheiten griffen daher zur Selbsthilfe und stellten eigene Karten her. Die NATO machte das Beste aus der Situation und führte statt der Feldübung »Orient Express 68« eine Studienreise wichtiger Entscheidungsträger der AMF durch. Diese lief unter der Bezeichnung »Southern Train 68« und erstreckte sich unter anderem auf İskenderun, Gaziantep sowie auf die Provinz Hatay und beinhaltete eine Trockenund Studienübung in İzmir (HQ LANDSOUTHEAST)137. Wenn man schon kein richtiges Manöver abhalten konnte, wollte man wenigstens die taktischen und strategischen Bedingungen im Übungsgebiet ausloten und Erkenntnisse zur Koordination gewinnen. So hatte die NATO offenbar den Einsatz der deutschen G-91-Staffel in diesem Einsatzraum noch nicht im Blick und begann sofort, diese einzuplanen. Außerdem wurde man sich bewusst, wie wenig man über die syrische und die irakische Luftwaffe wusste. Die Hauptbasis für die AMF war durchgängig die Air Force Base İncirlik, die gleichzeitig der zentrale Flughafen der USAF in der Region war138. İncirlik war ein modern eingerichteter Militärflughafen mit allen technischen, organisatorischen und logistischen Möglichkeiten, konnte jedoch einen massiven und zeitsensitiven Einsatz der kompletten AMF auch nicht ohne Weiteres bewältigen. Es musste zusätzliche Koordinations- und Effizienzarbeit geleistet werden139. Schließlich traten neben den üblichen, immer wieder benannten Problemen erneut Defizite der türkischen Seite bei der Gewährleistung des Host Nation Support zutage140. Die Beteiligten erkannten, dass angesichts der heiklen und sich immer wieder zuspitzenden Lage an der Südostflanke Gelassenheit und Flexibilität vonnöten war. Sie resümierten, dass eine Studienreise wie »Southern Train« eine Alternative zu einer Feldübung bot141. Im Einsatzgebiet S-2 (griechisches Thrazien) wirkte sich in der Folge wieder die bekannte politische und militärpolitische Gemengelage aus, die bei der Übung »Olympic Express« (26. Mai bis 13. Juni 1969) in aller Deutlichkeit auch in der Öffentlichkeit the137 138

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Zum Folgenden vgl. BArch, BW 2/1646c, Exercise Southern Train, G-1 Aspects, mit Begleitmaterial. Für die Verbände der AMF A kamen als Einsatzbasen noch Erhac und Diyarbakır hinzu. Im Jahre 1990 belegte die USAF den größten Teil von İncirlik und hatte dort unter anderem die 39th Tactical Group und Verbände des Military Airlift Command (MAC) mit Einrichtungen für Cross Servicing für alle Transporter stationiert, inklusive der C-5 Galaxy. Die türkische Luftwaffe nutzte die Airbase nur »fallweise«. BArch, BW 2/27008, Lufttransportkommando A 4b, Dienstreisebericht, MPC für Ardour Exchange 90, 8.‑12.1.1990 in İncirlik/Türkei, 18.1.1990. BArch, Verschlusssache. Zu den Problemen der Gastländer an der Südflanke vgl. auch BArch, BW 2/30243, Fü L V 1, Kurzbericht über die ACE Mobile Force (AMF) Bilateral Agreements Conference 1978 (BAC V) Southern Region, 16.‑18.10.1978 bei AFSOUTH in Neapel, 24.10.1978, v.a. S. 3. Die AMF-Übungen erhielten dementsprechend auch prinzipielle Kennzeichen. So verwies die Endung »Train« bzw. »Trail« oder »Track« auf Studienreisen und Ersatzveranstaltungen für Feldübungen, die als »Express«-Serie rangierten. Die »Exchange«-Übungen waren ebenfalls Studienreisen (»Study Periods«) unter aktiver Einbeziehung der Key Companies, dienten aber konkret als Vorbereitung von Hauptübungen der »Express«-Serie. »Ardent Ground« schließlich war die Bezeichnung für Artillerieübungen der AMF.

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matisiert wurde 142. Die Übung selbst, an der auch amphibische Kräfte der NATO und ein Angriffsflugzeugträger der US Navy teilnahmen, lief im Ganzen besser als alle anderen AMF-Übungen zuvor ab, was auch auf das Engagement der Griechen als Host Nation zurückgeführt wurde143. Problematisch war die Kapazitätsgrenze des zentralen Flugplatzes Mikra hinsichtlich der Ausstattung und vor allem der Lufttransportkapazitäten. Aus deutscher Sicht ergab sich ein Problem in Bezug auf die Kräfte der Central Front. Die Vorbereitung des Fallschirmjägerbataillons band infolge der verschränkten Organisation große Teile der entsprechenden Brigade in Deutschland, wenn eine Übung anstand. Damit wären in einem Ernstfall die Obliegenheiten im Rahmen des EDP von der Brigade nicht mehr zu erfüllen gewesen. Im Jahr nach dem Prager Frühling gab dies Anlass zu ernster Sorge. Organisation, Koordination und Flexibilität der AMF wurden allenthalben gelobt, jedoch ohne allzu sehr in die Tiefe zu gehen. Die Neigung, Schwierigkeiten offen beim Namen zu nennen, schien eher gering ausgeprägt. Der deutsche Militärattaché monierte jedenfalls, dass in der »Abschlusskritik« in Kavalla die Tendenz vorgeherrscht habe, sich gegenseitig auf die Schulter zu klopfen144. Immerhin steht in einigen Berichten, dass die AMF bei der Übung eigentlich unter friedensmäßigen Voraussetzungen eingesetzt worden sei und zumal im logistischen Bereich komfortable Bedingungen geherrscht hätten145. So wurden kriegsmäßige Beschränkungen und Ausfälle durch Feindeinwirkung nicht gespielt. De facto war Mikra das Nadelöhr, wo bei massiven Schäden etwa durch feindliche Bombenangriffe schnell mit gefährlichen Einschränkungen gerechnet werden musste. Da aber die AMF durch die Übung allein schon Abschreckungswirkung erzielte, hatte man offensichtlich kein Interesse an zu ausführlicher Selbstkritik. Erstmals nahm die AMF-Luftkomponente an direkten Abschreckungsmaßnahmen teil und führte of142

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Zum Folgenden vgl. grundsätzlich und wo nicht anders belegt BArch, BW  2/1646d, OTL i.G. Lieb, Fü  S  IX  1, AMF-Übung »Olympic Express«, Kurzbericht zur Beobachtungsphase  1, 16.6.1969; und ebd., Fü  L  III  3, Dienstreisebericht/ACE – Mobile Force, 30.7.1969, jeweils mit Begleitmaterial; zudem BArch, BW 2/4338, Fü S III 1, ACE Mobile Force (AMF) – Übung Olympic Express, Übungsübersicht, 30.4.1969, mit ausführlichem Begleitmaterial; sowie BArch, BW 1/25323, Dokumentensammlung zu »Olympic Express«, 1969. Allerdings kam es zu einem folgenschweren Unfall, als zwei griechische Soldaten durch deutsche Knallkörper, die offenbar der Zieldarstellung dienten, zu Tode kamen. BArch, BW  2/1646d, Botschaft Athen, Der Heeres-, Luftwaffen- und Marine-Attaché, Orientierungsbericht Nr. 29/69, NATO-Manöver 1969 in Griechenland, 23.9.1969, S.  7. Besondere Probleme bereiteten auch Verkehrsunfälle, die regelmäßig vorkamen und bei denen vor allem Zivilisten der Host Nations zu Schaden kamen. In einem Fall wurde der deutsche Kradfahrer wegen medizinischer Notwendigkeiten zum Ärger der Türken sofort ausgeflogen. BArch, BW 2/15160, dtustg a amf (l) ddo corlu, an Fü S III 6, msgnr 16, amf (l)- Uebung archway express 1985, 10.10.1985, mit Begleitmaterial. Die deutsche Einheit, das Fallschirmjägerbataillon  262, sammelte daraufhin 1000  DM für den verletzten Zivilisten, der einen komplizierten Armbruch erlitten hatte. Den betroffenen NATOSoldaten, im vorliegenden Fall auch zwei Briten, drohte neben zivilrechtlichen Schritten auch ein Strafverfahren mit sofortiger Verhaftung und langer Prozessdauer. BArch, BW 2/1646d, Botschaft Athen, Der Heeres-, Luftwaffen- und Marine-Attaché, Orientierungsbericht Nr. 29/69, NATO-Manöver 1969 in Griechenland, 23.9.1969, S. 6. Der Beobachter von Fü S IX 1, OTL i.G. Lieb, fand in seinem Bericht (ebd.) teils sehr kritische Worte über die realen Einsatzbedingungen und die Grenzen der AMF-Dislozierungsfähigkeit im Ernstfall.

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fene Demonstrationsflüge durch, um der Gegenseite die Abwehrbereitschaft der NATO zu demonstrieren. Die spezifischen Herausforderungen bei den Kommunikationsmitteln waren aber nach wie vor gegeben. Die größten Schwierigkeiten traten im militärpolitischen Bereich auf. Die griechische Armee, die eigentliche Macht im Lande, setzte alle verfügbaren Mittel ein, um »Olympic Express« zu unterstützen, was in den Übungsberichten Anerkennung fand. Auch schickte die Armeeführung offenbar die besten Einheiten zur abschließenden Parade in Kavalla am 10. Juni, mit der auch eine Luftschau verbunden war146. Der Eindruck war dementsprechend positiv. Die Kontingente der anderen Nationen fühlten sich dabei offenbar nicht ganz fair behandelt, denn sie mussten in der Marschordnung hinter den Griechen und ohne musikalische Begleitung auftreten. Der deutsche Militärattaché monierte aus diesem Grund auch den wenig beeindruckenden Effekt der eigenen Marschformationen147. Doch nicht allein hierdurch litt das Ansehen der deutschen Kräfte in der griechischen Öffentlichkeit. Ein Teil der deutschen Soldaten fiel durch undiszipliniertes Äußeres (Anzugsordnung) und gelegentlich durch unpassendes Verhalten auf. Auch »Der Spiegel« bekam Wind von diesen Mängeln und veröffentlichte einen Artikel, in dem weniger die NATO-Strategie als vielmehr die Bedingungen im AMF-Einsatzgebiet kritisiert und die Defizite der AMF auch bei der Panzer- und Luftabwehr deutlich gemacht wurden148. Der Leiter des Presse- und Informationszentrums des BMVg, Oberst i.G. Lothar Domröse, sah sich daraufhin zu einer Klarstellung veranlasst149. Die Parade selbst hatte ein politisches Nachspiel. In den verteidigungspolitischen Kreisen der SPD-Bundestagsfraktion regte sich Empörung150. Insbesondere Hans Apel und sein Genosse Alwin Brück traten auf den Plan und verlangten vom Generalinspekteur eine Erklärung dafür, warum Verbände der deutschen Bundeswehr vor Vertretern einer Militärdiktatur paradierten. Als besonders kritikwürdig wurde empfunden, »dass die griechische militärjunta dieses ereignis innenpolitisch als beweis für ihre internationale anerkennung ausbeutet und dass das unter anderem konsequenzen für das vorgehen der junta gegenüber dem schnellwachsenden demokratischen widerstand im lande haben kann151.« Hintergrund dieses Ansinnens aus SPD-Kreisen waren die erheblichen politischen Auswirkungen der sogenannten Obristenherrschaft, die zu heftigen internationalen Protesten führte. Insbesondere die britische Regierung, die aus strategischen und wirtschaftlichen Gründen die Diktatur in Athen vergleichsweise milde kritisierte 146 147 148 149 150

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Zur Parade vgl. auch BArch, BW 1/25323, Deutsche Botschaft Athen Fernschreiben, Feldparade nach NATO-Manöver in Griechenland, 13.6.1969. BArch, BW 2/1646d, Botschaft Athen, Der Heeres-, Luftwaffen- und Marine-Attaché, Orientierungsbericht Nr. 29/69, NATO-Manöver 1969 in Griechenland, 23.9.1969, S. 6 f. Der Spiegel, 27/1969 (30.6.1969), »Geheimes Gemüse«. BArch, BW 1/25323, Fernschreiben BMVg, IPZ an Spiegel, 7.7.1969. Die innenpolitischen Probleme der NATO-Partner, u.a. auch der nordischen Mitglieder, blieben auch den Amerikanern nicht verborgen. FRUS 1969‑1976, vol. 30, Dok. 5: National Intelligence Estimate, NIE 29.1–73, Short-Term Prospects in Greece, 19.7.1973 . Vgl. auch ebd., Dok. 2: Telegram From the Embassy in Greece to the Department of State, Greek Prime Minister Confronts Serious Problems, 21.4.1973 . BArch, BW 2/4338, Drahtbericht AA an die deutsche Botschaft in Athen, 13.6.1969, mit Begleitdokumenten. Auch zum Folgenden.

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und ansonsten einen pragmatischen, ethisch indes nicht unproblematischen Kurs der Duldung und begrenzten Zusammenarbeit fuhr, stand in der Kritik152. Im BMVg hatte man von solchen Bedenken zunächst offenbar keine Kenntnis, glaubte auch keinen »schnellwachsenden Widerstand« in Griechenland zu erkennen und betonte, dass die Teilnahme an derartigen militärischen Ereignissen den internationalen Gepflogenheiten entsprach und allein schon aus Höflichkeit nötig sei. Dies gelte gerade bei einer Solidarveranstaltung wie einer AMF-Übung. Dahinter stand aber auch das Bestreben, die USA nicht zu verärgern. Wie man im State Department bei der Bewertung des Problems, das sich bis zum Ende der griechischen Militärdiktatur perpetuierte, im Jahre 1973 konstatierte: »But no West European government wants a major quarrel with Washington over Greece, regardless of the character of Athens’ regime, and all recognize Greece’s strategic importance to NATO153.« Umgekehrt würden die Griechen sicher protestieren und so manches Gremium der Allianz blockieren, aber nicht aus der Allianz austreten. Das Bündnis als Ganzes und seine Teile oszillierten zwischen Konflikt und Zusammenhalt. Entscheidend blieb die geostrategische Lage Griechenlands, daran hatte sich seit dem Beitritt des Landes zum Bündnis nichts geändert. Andere Themen rangierten in der zweiten Reihe, wozu wohl auch die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse zählten. »In other aspects of European, or indeed Atlantic, relationships, Greece is a factor of limited importance154.« Die deutschen Beobachter bescheinigten der griechischen Armee mustergültige Disziplin und hervorragenden Einsatz, wenn auch eine Tendenz zu drakonischen Strafen vermeldet wurde. In Bezug auf die Folgen der Militärdiktatur für die Zivilbevölkerung Griechenlands, eine Kardinalfrage angesichts des Anspruchs der NATO, die freie Welt zu verteidigen, schwieg man sich aus oder konnte keine Angaben machen. Der zwiespältige Eindruck konnte nicht ausgeräumt werden. Teils offen, teils zwischen den Zeilen kam aber doch zum Ausdruck, dass die griechischen Generale und deren diktatorisches Gewalthandeln, hier unter anderem die Errichtung von politischen Internierungslagern, beim eigenen Volk alles andere als beliebt waren155. Die AMF und ihre Übungen spiegeln die grundsätzliche Lage der NATO an ihrer Südostflanke. Entweder man erhielt militärisch oder organisatorisch stabile Leistungen der Griechen, bezahlte dies aber politisch in Form der Kooperation mit einer undemokratischen Militärregierung156, oder man konnte auf die Zusammenarbeit mit einer de152

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Nafpliotis, Britain and the Greek Colonels, passim, v.a. S. 167 f., 200‑202. Die gleiche Situation galt im Grunde für die USA, dies trotz oder auch gerade wegen ihrer überragenden Stellung. Vgl. Pelt, Tying Greece to the West, v.a. Kap. III and IV. FRUS 1969‑1976, vol.  30, Dok.  5: National Intelligence Estimate, NIE 29.1–73, Short-Term Prospects in Greece, 19.7.1973 . Dies galt aber keineswegs für die nordeuropäischen NATO-Partner, die massiv und mit Erfolg gegen die griechische Regierung vorgingen (Ausschluss aus dem Europarat). Ebd. Vgl. v.a. BArch, BW  2/1646d, Fü  L III  3, Dienstreisebericht/ACE – Mobile Force, 30.7.1969, S. 14 f. Zu den problemtischen Aspekten hatten unter anderem auch Waffenlieferungen gehört, darunter veraltete Jagdbomber F-84, U-Boote und Panzer aus Deutschland, die nach Angaben der USRegierung bis 1972 in Griechenland ankamen. FRUS 1969‑1976, vol. 30, Dok. 49: Intelligence Note Prepared in the Bureau of Intelligence and Research, Greece and Turkey: More Arms from Western Europe, 28.5.1975 .

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mokratischen Regierung verweisen, die allerdings nur wenig Interesse an einer militärischen Unterstützung der NATO und der AMF an den Tag legte157. Die US-Diplomaten in Athen hatten dieses Dilemma deutlich erkannt.

»The problems facing Greece, such as inflation, Cyprus, students, bureaucratic modernization, etc. will need broad popular support if these are to be dealt with not only effectively but with a minimum of reaction to some of the tough measures required [...] The Greek military are now engaged in what could be a disastrous operation of political intervention. This inevitably involves them in the divisiveness of internal Greek politics. Thus, instead of restoring their function as an independent defense force dedicated only to serving the country’s defense and security needs, they are becoming entrenched as masters of the people158.«

Die NATO versuchte, ihr Kerngeschäft aus diesen Schwierigkeiten herauszuhalten, und hatte damit zumindet an der Oberfläche Erfolg. 1970 veranstaltete die Allianz eine Großübung, um ihre Stärke zu demonstrieren. Es handelte sich um »Deep Express  70«, die vom 7. bis zum 22.  Oktober 1970 stattfand159. Die Klassifizierung als »Express« ist verwirrend, denn das Manöver ging weit über den Rahmen der ›regulären‹ AMF-Übungen hinaus und fand auch namentliche Wiederholung (z.B. »Deep Express 75«)160. Vom Umfang und von der Bedeutung entsprach »Deep Express« den Dimensionen der zwei Jahre später an der Nordflanke abgehaltenen Übung »Strong Express 72«161. Offensichtlich hatte man bei SHAPE im Zuge der Neubewertung der Bedeutung der Flankenräume beschlossen, zeitlich zumindest punktuell den großen Rahmen zu wählen. Abgehalten wurde »Deep Express 70« – auch dies außergewöhnlich – in zwei AMFEinsatzgebieten gleichzeitig, in S-1 und S-2, also dem türkischen und dem griechischen Teil Thraziens sowie im vorgelagerten Seegebiet in der Ägäis. Es handelte sich um das bis Dato größte NATO-Manöver an der Südflanke, an dem Teile der 6. US-Flotte, darunter auch ein Angriffsflugzeugträger, und etliche Zehntausend Soldaten teilnahmen. Die Tatsache, dass der Generalstabschef der US-Army, General William Westmoreland, von 1964 bis 1968 eine der zentralen Figuren und Befehlshaber der US-Truppen im

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Dies galt im Übrigen in gleicher Weise für die Türkei, etwa nach dem Militärputsch von 1980. The Times, »Coup leader pledges Turkey’s continued loyalty to Nato«, 13.9.1980. FRUS 1969‑1976, vol. 30, Dok. 8: Telegram from the Embassy in Greece to the Department of State, 26.11.1973 . Vgl. dazu auch ebd., Dok. 12: Minutes of Secretary of State Kissinger’s Regional Staff Meeting, 20.3.1974 . Die wirtschaftlichen Maßnahmen der Obristen erwiesen sich zunächst jedoch – zumindest oberflächlich – als positiv. Die griechische Wirtschaft florierte bis Anfang der siebziger Jahre in begrenztem Maße. Ebd., Dok.  28: Intelligence Memorandum, The Greek Elections, 5.11.1974 . Dies sollte sich bis 1974 indes ändern. Zum Folgenden vgl. grundsätzlich und wo nicht anders belegt BArch, BW  2/4157, StOffz Fü  S, Auszugsweise Fotokopie aus dem Kurzprotokoll über die AL-Konferenz am 26.10.1970, 30.10.1970, mit ausführlichem Begleitmaterial; sowie BArch, BW  2/25437, Telegramm Allied Press Information Center Yesilkoy Turkey an MODs, 11.10.1970, und weitere Telegramme. Inwieweit diese terminologischen Kongruenzen beabsichtigt waren, muss noch geklärt werden. Siehe dazu unten S. 255‑261.

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Vietnamkrieg, bei der Übung anwesend war, bestätigte die globale Bedeutung von »Deep Express« zusätzlich162. Angenommen wurde, im Einklang mit den Standardszenarien der NATO für den Krisen- und Ernstfall im Rahmen der Flexible Response, die Zunahme der Spannungen mit Bulgarien und schließlich ein Großangriff in Richtung Bosporus unter Beteiligung starker sowjetischer Verbände. Die AMF wurde ab dem 11.  Oktober als Speerspitze der Abschreckung nach Thrazien verlegt und führte ihr inzwischen gut eingeübtes Programm durch. Die Kampfhandlungen begannen am 16. Oktober. Auch die Luftwaffenverbände nahmen wiederum an den Abschreckungsmaßnahmen teil und erzielten eine hohe Einsatzdichte. Die Bewertung des AMF-Einsatzes zeigte erneut die steigende Effizienz bei Dislozierung, Koordinierung und Integration, legte jedoch bei den Transportkapazitäten und dem Host Nation Support noch Defizite offen, die in diesem Einsatzgebiet weitere Verbesserungen erforderten. Wohl nicht zuletzt auch aufgrund der großen Entfernungen lag man im Transportbereich noch bis zu zwei Tage hinter den Einsatzplänen zurück. Auch gab es Kritik an den Türken, die ihre Verpflichtungen im logistischen Grundbereich nur unvollständig erfüllten. Hierzu zählte unter anderem der Zustand des Haupteinsatzflugplatzes Yeşilköy, der, vergleichbar dem griechischen Mikra, Engpässe und Defizite nicht zuletzt bei den Kommunikationseinrichtungen aufwies. Die deutschen Beobachter werteten die Übungen dennoch als vollen Erfolg. Die deutschen Anteile, unter denen sich auch Wehrpflichtige und Wehrübende befanden, machten offensichtlich einen sehr guten Eindruck und erfüllten ihren militärischen Auftrag in vollgültiger Manier. Der Einsatz von Wehrpflichtigen stellte innerhalb der AMF eine deutsche (und italienische) Besonderheit dar163. Auf der einen Seite bildeten die Wehrpflichtigen ein Fähigkeitsproblem, da sie nur kurze Zeit dienten und dann durch neue Jahrgänge ersetzt wurden, die erst aufs Neue auszubilden waren und damit die deutschen Verbände belasteten, welche ansonsten durch die stetigere Verwendung ein und derselben Einheiten in den Übungen im Vorteil waren. Es entstand ein Durchlauf, der besondere Aufmerksamkeit erforderte, um ein Absinken der Standards zu verhindern. Dies war insofern von großer Bedeutung, da die Personaldecke für AMF-Einsätze eher schmal war. Kurzfristig mobilisierbares Personal mit den erforderlichen Fähigkeiten stand nur in begrenztem Umfang zur Verfügung. Auf der anderen Seite brachten die Wehrpflichtigen im Vergleich zu den Berufsarmeen der anderen NATO-Partner, die von professioneller Distanz geprägt waren, größere Motivation und größeres Engagement mit. Im Interesse der höchstmöglichen Leistungsfähigkeit war es unter anderem geboten, das Verhältnis zwischen Wehrpflichtigen und Längerdienenden konstruktiv, aber auch wettbewerbsorientiert zu gestalten. Die Wehrpflichtigen waren durchaus bereit, ihre Fähigkeiten und ihr Wissen entsprechend einzusetzen. Sie trugen durch ihren ›Grips‹ bei Aufgaben und Problemen wesentlich zum reibungslosen Funktionieren auch unter Stressbedingungen bei.

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Zu den Basics vgl. BArch, BW  2/4157, Fü  S III, AMF-Übung Deep Express, 7.‑22.10.1970, 26.10.1970, mit Begleitmaterial. Auch zum Folgenden. Zum Folgenden vgl. Zeitzeugeninterview mit OStFw a.D. Rolf Wambach, Weitersburg, 10.11.2014, S. 1. Kopie im ZMSBw, Archiv B.L.

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Im taktisch-strategischen Bereich gestaltete sich die Situation eher ernüchternd. Das türkische Thrazien ist eine weitgehend gebirgsfreie Ebene, die feindlichen Panzerverbänden ein günstiges Terrain für rasche, ausgreifende Vorstöße bot. Die AMF verfügte immer noch nicht über eine zentrale Panzerabwehrkomponente, sondern lediglich über die meist eher leichten Abwehrwaffen in den Bataillonen selbst. Dies stimmte aufgrund der Tatsache nachdenklich, dass das Einsatzgebiet dem eminent wichtigen Bosporus vorgelagert war. Zwischen den feindlichen Panzerspitzen und den militärisch eher schwachen Verteidigungskräften der türkischen Armee standen damit erst einmal nur die leichten Panzerabwehrwaffen der drei AMF-Bataillone164. Daneben wurden insbesondere die immer teils defizitäre und uneinheitliche Ausstattung mit Kommunikationsmitteln (C3) kritisiert. Die deutsche Luftwaffe bescheinigte der Übung im Vergleich zu »Olympic Express« sogar »erhebliche Mängel«165. Dies führte man unter anderem auf die Befürchtungen in Bezug auf Eskalationsrisiken zurück. »Beitragender Faktor ist mit Sicherheit die Einstellung des türkischen Generalstabs zur AMF überhaupt, der ihren Wert im Hinblick auf eine Stärkung der Südostflanke der NATO nicht sonderlich hoch einschätzt, in ihrer Entsendung in Krisenzeiten sogar eine gewisse Eskalationsgefahr sieht166.« Bei der eigenen Truppe, der man trotz technischer und organisatorischer Schwierigkeiten sowie gesundheitlicher Gefahren durch den Ausbruch der Cholera in Istanbul167 eine sehr gute Leistung attestierte, erkannte man die ausgezeichnete Ausbildungswirkung: »Der erzielte Erfahrungsgewinn kann nicht hoch genug veranschlagt werden.« Allerdings gab es auch die wohl bei multilateralen Übungen üblichen Konflikte über die ausgewogene Berücksichtigung der nationalen Interessen. Fü  L  III monierte, dass das deutsche Fallschirmjägerbataillon praktisch nie die deutsche G-91Staffel angefordert habe. Letztere sei daher ausschließlich für andere Bündnispartner geflogen168. Vor diesem Hintergrund wirkte »Deep Express 70« in seiner ganzen Breite, inklusive der Einbettung in größere NATO-Operationen, für die AMF einerseits in gewisser Weise beruhigend, andererseits hinsichtlich der militärischen Bedeutung der Truppe allerdings auch relativierend. Die NATO-Verbände, vor allem die »Combined Amphibious Task Force« mit der II. US-Marine Amphibious Brigade mit 46 000 US-Soldaten und griechischen sowie britischen Landverbänden, erreichten am 11.  Übungstag die Strände des griechischen Thrazien und begannen mit umfangreichen Verteidigungsoperationen wie etwa dem Einsatz von US-Trägerflugzeugen gegen die feindlichen Landstreitkräfte. Türkische und griechische Eliteeinheiten (Fallschirmjäger) übten mit scharfer Munition direkt vor den eigenen Linien (Komotini bzw. Kurtbey). Hierdurch konnte die AMF mit rascher Verstärkung durch eigene triphibische Verbände rechnen. Dass die eigenen 164 165 166 167

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Dazu deutlich BArch, BW 2/26371, Deutsche Botschaft Athen, Leiter des Militärattachéstabes, NATO-Übung »Maramara-Express«, 6.10.1966, S. 3. In den Übungsberichten der NATO-Hauptquartiere wurde dies ganz anders berichtet. BArch, BW  2/4157, Fü  L III  3, Dienstreisebericht über Beobachtung der ACE Mobile Force (AMF)-Übung »Deep Express 70«, 22.1.1971. BArch, BW  2/25437, 1.  Luftlandedivision an BMVg, Telegramm msgnr  4242, Cholera in Istanbul, 17.11.1970; sowie BArch, BW 2/4157, 2. (Lehr)/SanBtl 210, Kompaniechef, Nationaler Erfahrungsbericht über die Übung Deep Express 1970, 19.1.1971. Ebd., S. 6.

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konventionellen Verbände jedoch nicht unbedingt die Garantie für einen durchschlagenden Abwehrerfolg gaben, zeigt die Tatsache, dass zwei Teams der Soutern European Task Forces (SETAF) zum Einsatz kamen, und in der Folge auch drei Atomminen (Atomic Demolition Munitions, ADM) einsetzte, von denen eine wegen der wohl nicht nur bei der AMF bekannten Kommunikationsprobleme zu früh detonierte, sprich vor dem angenommenen Vorstoß des Feindes. Wenn auch diese Einlage, die gleichzeitig den erstmaligen realistischen Einsatz der Atomminen in dieser Region darstellte, keineswegs einen direkten Einblick in die strategische Planung der NATO gab, weil sie zum Verfahren der Übung als Test gehörte169, so dürfte man bei der AMF zumindest geahnt haben, welch begrenzte Schlagkraft die eigenen drei Bataillone in militärischer Hinsicht insgesamt in diesem Kampfgebiet besaßen. Ihren Charakter als Demonstrations- und Solidartruppe änderte die AMF nicht. Wiederum wurde besonders betont, dass die psychische Stärkung der Bevölkerung vor Ort und in der Region eine vorrangige Aufgabe der AMF darstelle. Allerdings hegte man umgekehrt, wie schon zuvor und auch noch lange danach, Befürchtungen in Bezug auf eine mögliche Eskalation. Obwohl die NATO überaus großen Wert auf die Übung legte, hatte man sich bei SHAPE für eine passive Pressepolitik entschieden – ein Kurs, der intern kritisiert wurde170. Auch die Bundeswehr, die wie schon bei der Übung »Summer-Marmara Express 66« eine Journalistenreise angesetzt hatte, machte einen Rückzieher und sagte die Reise ab171. Im Nachhinein gab es weitere Diskussionen und einen medialen Kurswechsel. Die Nachfolgeübung »Deep Express  75«, die fast nur im türkischen Thrazien stattfand, wurde mit großem Medienaufwand abgehalten. Auch die gesamte deutsche Presse wartete mit Artikeln auf, in denen die großen Truppenzahlen und die NATO-Solidarität herausgestrichen wurden172. Gleichzeitig übte der Ostblock heftige Kritik, diesmal sogar Albanien, das nach dem Einmarsch in die ČSSR 1968 aus dem Warschauer Pakt ausgetreten war. Der NATO wurde Imperialismus, Kriegstreibertum und gefährliches Säbelrasseln vorgeworfen173. Außerdem behauptete der Warschauer Pakt, dass die 169 170

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Hierin vergleichbar mit den reinen Verfahrensübungen der WINTEX-Serie. Insbesondere schienen die Türken die Organisation des Allied Press Center (APC) nicht sonderlich zu beherrschen. Außerdem fand offenbar keine wirkliche Koordination mit den griechischen Pressestellen statt. BArch, BW 2/25437, Drahtbericht MOD Press-Info-Center (Bonn) an SACEUR, 19.8.1970, mit Begleitmaterial. Ähnliches war im Rahmen der Übung »Olympic Express« vonstatten gegangen. BArch, BW 1/25323, Informations- und Pressezentrum an den Minister, [Absage der geplanten Journalistenreise zu Olympic Express], 30.4.1969. BArch, BW 2/15160, Pressesammlung, September 1970. BArch, BW  2/15160, BPA/Ostinformationen, 15.9.1975, Zeri  I Popullit: »Jetzige Manöver der NATO im Mittelmeer sind neue Demonstration der Kanonenboot-Politik des US-Imperialismus«; dpa 050 al, nato, »prawda« bezeichnet nato-manoever als »provokation«, 19.9.1975; afp-037, 19.9.1970, »prawda«: nato-manoever in der aegaeis sollen griechenland und zypern unter druck setzen; Neues Deutschland/Ost, 20.9.1975, »NATO-Manöver als Druckmittel« und 22.9.1975, »NATO-Manöver richten sich gegen Entspannung in Europa«; BPA/Ostinformationen, 22.9.1975, Prawda (V. Majeskij): »Welche Ziele verfolgt die NATO mit ihren Manövern im östlichen Mittelmeer«; Botschaft Moskau an AA, Drahtbericht, nr 3271, Sowjetische Kritik an NatoManövern, 22.9.1975; Ost-Information, 26.9.1975, TASS: »NATO-Streitkräfte im Rahmen der Manöver »Deep Express-75« im Golf von Saros an Land gegangen«.

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NATO mit der Übung die Erfolge des KSZE-Prozesses unterlaufen und ein Gefühl der Unsicherheit in Europa schüren wolle174. Militärisch bestand der größte Erfolg von »Deep Express 70« wohl darin, dass sich die Kommandierenden Generale der beteiligten griechischen und türkischen Armeen sowie der II. US-Marine Amphibious Brigade und der AMF an der Brücke über den Grenzfluss Meriç/Evros in der Nähe der türkischen Stadt İpsala trafen und sich in einer kurzen, aber sehr feierlichen Zeremonie die Hände reichten – obwohl die griechischen und türkischen Verbände in der Übung nicht wirklich verzahnt wurden175 und der Oberbefehlshaber der griechischen Streitkräfte noch während der Übung kategorisch verlangt hatte, ADM dauerhaft auf griechischem Boden zu stationieren und ggf. auch von dort einzusetzen. Ein entsprechender Einsatz war als Teil der Übung simuliert worden. Eine Dislozierung scharfer Atomwaffen hätte unangenehme Auswirkungen auf das Verhältnis zur Türkei gehabt. Die höchsten NATO-Militärstäbe wurden nicht müde, auf den hohen Stellenwert der Übung hinzuweisen, ebenso auf die wegen der sowjetischen Ambitionen und der Stabilitätsprobleme der ganzen Region gestiegene Bedeutung der Flanken: »Die militärische Bedeutung wurde besonders durch Admiral [Horacio] Rivera, CINCSOUTH, herausgestellt, durch Hinweis auf wachsende Präsenz der Sowjets im Mittelmeer und ihr Eindringen in den Nahostraum. Sowjetischer Versuch, die NATO auszuflankieren, unterstreiche die Bedeutung der US-Verpflichtungen in diesem Gebiet. Zeitpunkt der Übung sei besonders günstig gewählt und könne als politische und militärische Demonstration von SU nicht übersehen werden. Das war ›the most important part of the exercise‹. Im Frieden seien alliierte Übungen als Demonstration der Solidarität das beste Mittel, der sowjetischen Herausforderung zu begegnen. General [Robert] Bray, DSACEUR, unterstrich die Bedeutung des symbolischen Handschlags zwischen den OB der türkischen und griechischen Armeen, die den Sowjets die Geschlossenheit der NATO deutlich vor Augen geführt habe176.«

Der Erfolg für die NATO-Solidarität wurde indes bis 1974 durchgängig durch die Tatsache getrübt, dass in Griechenland immer noch eine Militärdiktatur herrschte, was die Presse des linken Spektrums ausführlich kommentierte und kritisierte, auch in direktem Zusammenhang mit »Deep Express«177. Wie man es im Falle Griechenlands drehte und wendete – in Zeiten der Militärdiktatur erhielt man vergleichsweise verlässliche Unterstützung, handelte sich damit aber gleichzeitig politische Probleme ein; unter ziviler Herrschaft stellte sich das Legitimitätsproblem nicht, doch verlor man an militärischer Stabilität, weil von Athen immer wieder Kritik geübt oder sogar Einschränkungen bis hin zur Infragestellung der NATO-Solidarität gemacht wurden. Das Ganze war ein immenses strategisch-politisches Dilemma. Außerdem kam es zu Übergriffen auf deut-

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AAPD, 1975, Bd 1, Dok. Nr. 282, S. 1307, mit Anm. 17. Die NATO hatte die Übung jedoch, wie im Rahmen der vertrauensbildenden Maßnahmen der KSZE vereinbart, angemeldet. AAPD, 1976, Bd 1, Dok. Nr. 9, S. 39, mit Anm. 4. BArch, BW  2/4157, Botschaft Athen, Der Verteidigungsattaché, Orientungsbericht Nr.  36/70, Beobachtungen bei NATO-Übung »Deep Express« am 18. und 19.10.1970, 20.10.1970, S. 2. BArch, BW 2/4157, Fü S III, AMF-Übung Deep Express, 7.‑22.10.1970, 26.10.1970, S. 3. Vgl. dazu Ambatielos, NATO and the Greek Junta, S. 169‑172.

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sche Soldaten in Istanbul, gegen die Farbbeutel geworfen wurden und die mit Parolen wie »Ami go home, Nazi go home« beleidigt wurden178. Die deutlich spürbaren und durch die ökonomische Krise noch verschärften Instabilitäten an der NATO-Südflanke zeigten sich an derselben Stelle fünf Jahre später erneut. Im Rahmen von »Deep Express 75« landeten auch US-Marines in Südgriechenland nahe Sparta179. Die Regierung Karamanlis, die seit November 1974 am Ruder war, hatte dies ausdrücklich gutgeheißen. Die Presse kommentierte das als ersten Schritt Griechenlands in die Reintegration. Indes meldete sich die sozialistische Opposition unter Andreas Papandreou mit lautstarker Kritik an dem NATO-Manöver und der griechischen Beteiligung daran zu Wort – ein Vorgeschmack auf die noch zu beleuchtende Obstruktionspolitik der griechischen Regierung in den achtziger Jahren180. Die NATO – und mit ihr die AMF – tat demgegenüber alles, im direkten militärischen Bereich weitgehend mit Erfolg, um ihre Stärke zu demonstrieren. Die triphibischen Operationen liefen, gerade auch bei »Deep Express 70«, im Wesentlichen mit hoher Effizienz ab. Insgesamt blieben die Kräfte an der Südflanke jedoch begrenzt. Obwohl »Deep Express 70« die größte Übung in der Region darstellte, rangierte sie in der militärischen NATO-Skala als eine »Medium Exercise«181. Mit Manövern wie »Deep Express 70« hatte sich zumindest bei Volltruppenübungen eine gewisse Performance etabliert, deren Muster im Folgenden nicht wesentlich voneinander abwichen. Schon bei »Hellenic Express  71«, einem der letzten dieser Manöver im Einsatzgebiet S-2 (griechisches Thrazien), wiederholten sich trotz kontinuierlicher Weiterentwicklung wesentliche Merkmale, Erfolge und Defizite182. So verabschiedete man sich langsam von der schematischen Übungsanlage, begann schon in der Abschreckungsphase, also im eigentlichen ›Hauptgeschäft‹ der AMF, Live-Zwischenfälle und Ereignisse (»incidents«) durchzuspielen und bewegte sich trotz reaktiver Pressepolitik aktiv auf die griechische Bevölkerung zu. Für die Bundeswehr kündigte sich mit der an-

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BArch, BW 2/25437, 1. Luftlandedivision, Chef des Stabes, Telegramm an BMVg, msgnr. 4153, Zwischenfall mit politischem Hintergrund anlässlich der AMF (L)-Übung in Istanbul, 12.10.1970, mit Begleitmaterial. Die Angreifer hatten offenbar gedacht, US-Soldaten vor sich zu haben. Die deutschen Soldaten zogen sich in den Schutz von LKWs der Fallschirmjäger zurück und konnten so eine Schlägerei vermeiden. Derlei Attacken waren offenbar vor allem gegen die Amerikaner gerichtet. So war im Dezember 1975 eine höherer Vertreter der US-Botschaft in Athen (Richard S. Welch) ermordet worden. Dazu FRUS 1969‑1976, vol. 30, Dok. 57: Telegram from the Embassy in Greece to the Department of State, 24.12.1975 . Vgl. auch die Folgedokumente. Die Griechen steuerten ansonsten keine Truppen für die Übung bei. Stuttgarter Zeitung, 11.9.1975, »Griechenland nähert sich der NATO«. Vgl. im Übrigen die Pressesammlung, wie in Anm.  172  f., S.  245 zitiert. Die US-Botschaft in Athen schilderte den Charakter und die politische Bedeutung Papandreous in nicht gerade schmeichelhaften Tönen. FRUS 1969‑1976, vol. 30, Dok. 30: Telegram from the Embassy in Greece to the Department of State, Subject: Greek Political Leadership—Andreas Papandreou, 20.11.1974 . Dies im Unterschied zu den politischen Kriterien. Vgl. dazu oben S. 219 f. die Skala der US-Administration zu »Significant Military Exercises«. Zum Folgenden vgl. grundsätzlich und wo nicht anders zitiert BArch, BW 2/4856, Fü H III 1 (OTL i.G. Brugmann), AMF-Übung Hellenic Express 71, Bericht über die Teilnahme am Beobachterprogramm, 24.9.1971, mit Begleitmaterial.

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laufenden Einführung der Transall eine Entspannung im Transportwesen an; ein Ende der Hilfe vonseiten der USAF ließ sich jedoch nicht vorhersehen. Die Anmietung der teuren Lockheed C-5 Galaxy183 und auch der C-141 Starlifter wurde einstweilen als unerlässlich erachtet184. Immerhin verstetigte sich bei »Hellenic Express 71« die logistische Effizienz185, wohl deswegen, weil – wie oben berichtet – eine neue Transport- und Umschlagsorganisation in Betrieb genommen wurde. Auf der Sollseite existierten die bekannten Defizite weiter. So weigerten sich Großverbände in Deutschland, hier das II.  Korps, etwa eine Gebirgsartilleriebatterie mit ihrem hohem Kampfwert anstatt eines LL-Mörserzuges dauerhaft für das Fallschirmjägerbataillon der AMF abzustellen186. Pointiert wurde auch auf ein besonderes Problem hingewiesen, das jetzt doch deutlicher als zuvor zutage trat: die Frage nach dem Kommando bei einem Ernstfall. Wie bereits berichtet, konnte die AMF als multilateraler Verband vor Eintreten des Verteidigungsfalles nicht einfach und beliebig irgendwelchen Korps oder anderen Großverbänden unterstellt werden, da erst mit Kriegsbeginn die integrierte NATO-Struktur rechtlich griff. Die ›Übergabe‹ aus der NATO-Kommandokette an regionale Großverbände musste jeweils zeitlich genau abgestimmt werden. Es war zudem aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht möglich, nationale Verbände unter NATOKommando zu stellen, solange offiziell noch Frieden herrschte. Hier gab es noch erheblichen Informations- und Koordinationsbedarf, da die AMF der erste NATO-Verband war, der an die vorderste Front ging. Ihre Verlegung wurde zeitgleich mit dem Aufbau der NATO-Kriegsgliederung durchgeführt und musste punktgenau mit dieser abgestimmt werden, da ihr sonst drohte, aus der militärisch integrierten Struktur zu fallen. Die Folge wäre eventuell ein verheerendes Kompetenzgewirr mit unklaren Befehlszuständigkeiten gewesen. Ein vergleichsweise neues Thema – allerdings mit ›Zukunftspotenzial‹ – betraf die taktische Verwendung der AMF im Einsatzgebiet nach dem Ausbruch von Kampfhandlungen. Der Berichterstatter der 1. Luftlandedivision kritisierte, dass die AMF von den Griechen vornehmlich als Korpsreserve betrachtet und als Nothelfer in, viel zu großen Frontlücken ›verheizt‹ wurde, was den eigentlichen Sinn der Truppe konterkarierte187. Besonders deutlich wurden die verantwortlichen Stäbe im Rahmen von »Hellenic Express« hinsichtlich der militärischen Erfolgsaussichten. Erneut wurden die Grenzen des Flugplatzes Mikra, der als zentrale Einsatz- und Nachschubbasis diente, angesprochen und über Lösungen der Engpassproblematik nachgedacht. Für die deutschen Jagdbomber hätte Mikra eigentlich auch noch als Einsatzflugplatz dienen müssen, da die G-91 infolge ihrer geringen Reichweite von den der deutschen Staffel zugewiesenen Basen aus (Larissa und Nea Anghialos) gar nicht das ganze Einsatzgebiet abdecken

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Dazu auch BArch, BW 2/15162, Fü S III 6, Exercise Anvil Express 80, 31.8.1979, S. 2. BArch, BW 2/4856, Medical Unit (GE) AMF (L) Commanding Officer, Medical Unit (GE) AMF (L) Post-Exercise Report on Exercise Hellenic Express 1971, 14.10.1971, S. 13. BArch, BW 2/1. Luftlandedivision G 3/G LL, AMF (L) – Gefechtsübung Hellenic Express, Erfahrungsbericht, 20.10.1971, S. 9. Ebd., S. 7. Ebd., S. 6.

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konnten. Letztlich kam man zu dem ernüchternden Schluss, dass S-2 und S-1 wohl nur durch den Einsatz von Atomwaffen (zumindest ADM) zu halten waren, bis Verstärkung eintraf. Und auch danach gestaltete sich die Lage äußerst prekär188. Bezüglich der politischen Fragen, die auch von Steinhoff, der das Manöver zeitweise besuchte, erörtert wurden, änderte sich einstweilen nichts. Bei der Abschlussparade versuchten die Griechen erneut, den demonstrativen Schulterschluss mit den anderen NATO-Partnern zu üben, beklagten sich aber hinter den Kulissen, dass sie hierbei zu wenig Unterstützung erhielten189. Ein deutscher Berichterstatter meinte demgegenüber, eine breite Unterstützung für die griechischen Obristen bei der Bevölkerung entdeckt zu haben190. Dies stand im Widerspruch zu Beobachtungen bei anderen Übungen. Die Eindrücke bieten kein einheitliches Bild. Neben der Tatsache, dass die Vertreter der Bundeswehr keineswegs die Gelegenheit hatten, hier flächendeckend Meinungsforschung zu betreiben, lag der Unterschied wohl auch im Auge des jeweiligen Betrachters. Es gab gelegentlich wieder Schwierigkeiten im disziplinarischen Bereich, diesmal aber bei den anderen NATO-Partnern. Der deutsche Beobachter bemängelte, dass die Amerikaner den Gleichschritt nicht beherrschten. Die deutschen Soldaten fielen offenbar trotz oder vielleicht auch gerade wegen des Haar- und Barterlasses positiv auf: »Die Abordnung der deutschen Fallschirmjäger machte, nicht zuletzt infolge ›gemässigten Langhaares‹, einen frischen und guten Eindruck191.« Dieser Eindruck wurde an anderer Stelle im Falle des türkischen Einsatzgebietes S-3 bestätigt. Bei der Übung »Eastern Express« zeigte die türkische Bevölkerung nicht nur große Verbundenheit mit den deutschen Soldaten, sondern zollte ihnen nach Ansicht des Berichterstatters bei der Abschlussparade in Diyarbakır vor allen anderen NATO-Partnern den größten Respekt192. Inwieweit all diese Beobachtungen die Realität wiedergaben, lässt sich nicht mit letzter Sicherheit sagen. Auch die anderen Partnernationen, etwa die Briten, vermittelten einen ähnlichen Eindruck. So stellte der britische Militärattaché in seinem Bericht zur Übung »Alexander Express  73« fest, dass das britische Kontingent bei der Feldparade den Ton angegeben und im Übrigen die Übung glänzend bestritten habe193. Immerhin berichtete er auch vom Fehlverhalten britischer Truppen im logistischen Bereich194. 188 189 190 191 192 193

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Vgl. dazu auch BArch, BW  2/4856, Deutsche Botschaft Athen, Der Verteidigungsattaché, Einzelbericht Nr. 54/71, NATO-Manöver Hellenic Express 71 in Griechenland, 1.10.1971, S. 2. Ebd. BArch, BW 2/4856, Fü H III 1 (OTL i.G. Brugmann), AMF-Übung Hellenic Express 71, Bericht über die Teilnahme am Beobachterprogramm, 24.9.1971, S. 5. Ebd., S. 3. Baldermann, Die deutsche Sanitätskompanie, S. 325. Dies scheint ein allgemeines Bestreben der Briten gewesen zu sein. Sie fielen öfter durch besonders militärisches Auftreten auf, etwa bei den Abschlussparaden der Übungen. Insbesondere nach dem Falklandkrieg 1981 gaben sie deutlich zu erkennen, dass sie nunmehr im Gegensatz zu den meisten anderen Partnern über direkte Kampferfahrungen verfügten. Im Übrigen legten die Briten auf positive Außendarstellung größten Wert. So wurden bei Übungen, etwa zum Abschluss, immer Bilder der gesammelt aufmarschierten Einheiten gemacht. Zeitzeugeninterview mit OStFw a.D. Rolf Wambach, Weitersburg, 10.11.2014, S. 1. Kopie im ZMSBw, Archiv B.L. TNA, FCO  9/1721, Report by Defence Attaché, Athens, on Exercise »Alexander Express«, 3.7.1973, v.a. S. 6.

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Höhe- und Schlusspunkt der aktiven AMF-›Einsätze‹ in Griechenland bildete die Übung »Alexander Express 73« vom 15. Juni bis zum 5. Juli 1973. Bei der Übung, der fünften im Einsatzgebiet S-2 und der 15. Volltruppenübung der AMF überhaupt, manifestierten sich positive wie negative Aspekte besonders deutlich195. Dies lag nicht zuletzt daran, dass hier nunmehr eine Reihe von Übungen stattgefunden hatte und der Betrieb, auch durch die aktive Kooperation der Host Nation, routinemäßig auf inzwischen hohem Niveau ablief. Die problematischen Aspekte hingegen traten bereits im Vorfeld auf. Es kam zu Diskussionen auch zwischen dem deutschen Verteidigungsminister und der NATO, bei dem sich die Grundeinstellung der Sozialdemokraten fortsetzte, die schon vor ihrem Regierungsantritt sehr kritisch auf die Profilierung des griechischen Militärs reagiert hatten. Georg Leber beauftragte Fü S III zu prüfen, ob eine Feldparade vor der griechischen Regierung vermieden werden könne. Außerdem sollte die Öffentlichkeitspolitik so restriktiv wie möglich gehandhabt werden. Damit stieß man beim DSACEUR allerdings auf großen Widerstand. Angesichts dieses Umstandes musste in der NATO die »Silence Procedure« angewandt werden. Nach einigem Hin und Her und mehreren Nachbesserungen einigte man sich auf eine aktive Öffentlichkeitsarbeit, schwächte aber die Kommuniqués auf deutschen Wunsch ab196. Leber gab später seinen Widerstand gegen die Feldparade auf, ordnete jedoch an, dass die Kommandierenden Generale der deutschen Verbände nicht daran teilnahmen197. Die Briten standen vor ähnlichen Schwierigkeiten und beschäftigten sich ausführlich mit der Problematik. Der politische Arm der NATO, die North Atlantic Assembly, hatte Ende 1972 Probleme mit der griechischen Junta konstatiert und keine Lösung anbieten können198. Da die AMF explizit zur Demonstration der NATO-Solidarität dienen sollte, wurde eine Verweigerungshaltung als schwerer Rückschlag für die Abschreckungswirkung gesehen – ein Aspekt, der für Whitehall in Bezug auf die AMF größere Bedeutung besaß 195

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Zum Folgenden vgl. grundsätzlich und wo nicht anders belegt BArch, BW 2/4856, Fü H III 1, Bericht über die Beobachtertätigkeit bei der AMF-Aufmarsch- und Gefechtsübung Alexander Express, 1.8.1973, mit Begleitmaterial; sowie die Planungsdokumente in ebd., hier Fü  S  III  6, Beitrag zur Lage, AMF-Übung Alexander Express, 13.6.1971, mit ausführlichem Begleitmaterial; und ebd., Deutsche Botschaft Athen, Verteidigungsattaché, Einzelbericht 38/73, NATO-Manöver Alexander Express 73, 5.7.1973. BArch, BW  2/4856, Fü  S  III  6 an DMV im MC/NATO, Proposed Press Release for Exercise Alexander Express, 3.5.1973. BArch, BW 2/4856, Telegramm Fü S III 6 an KG II. Korps, Ulm, und Kdr. 1. LLDiv, Bruchsal, 8.6.1973; mit Begleitmaterial zum gesamten Vorgang. TNA, FCO  9/1719, North Atlantic Assembly, Atlantic Political Problems, Report presented by Mr. Max van der Stoel, General Rapporteur, Nov. 1972, S. 34‑38. Stoel, der im Mai 1973 niederländischer Außenminister wurde, galt als vehementer Kritiker der griechischen Junta. TNA, FCO  9/1720, Brief No.  9, Ministerial Meeting of North Atlantic Council Copenhagen: 14‑15.6.1973, Greece and NATO, 7.6.1973, S.  2. Zu den fortgesetzten Schwierigkeiten, auch bei Besuchen etwa des NATO Defence College in Griechenland vor dem Hintergrund öffentlicher Debatten in Großbritannien oder auch des Verdachts, dass die Griechen heimlich NATODokumente fälschten, vgl. zudem die Quellen in TNA, FCO 9/1721. Freundlicher Hinweis von Stefan M. Brenner. Durch alle Akten zieht sich in diesem Zusammenhang die Problematik um die Nutzung der Luftwaffenbasis Timbakion auf Kreta als NATO-Trainingszentrum.

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als für Bonn. Man stand vor dem Zwiespalt, das eigene Lager zu schwächen, wenn man wegen Rücksichtnahme auf die politische Situation in Griechenland sich allzu stark von Athen distanzierte – ein Problem für den Westen generell. In London kam man zum Schluss, dass man in der Vergangenheit schon an der Feldparade teilgenommen habe und daher jetzt nicht absagen könne, vor allem nicht kurzfristig. So entschied London, die Propaganda der Junta, beispielsweise propagandistische Banner und Schilder vor den marschierenden NATO-Truppen, zu tolerieren und mitzumachen, solange »none of our fellow particpants in the AMF tries to duck out«199. Die Parade fand schließlich unter Beteiligung deutscher und belgischer Truppen statt, ohne größere Zwischenfälle200. Diese für manche Bündnismitglieder mit Schmerzen verbundene Solidarität wurde von nachfolgenden griechischen Regierungen im Übrigen nicht erwidert. Athen hatte keine Probleme damit, bereits angesetzte AMF-Übungen kurzfristig und unbesehen des großen propagandistischen Schadens abzusagen201. Die Durchführung der Übung geriet trotz der weiter bestehenden Defizite bei der Panzerabwehr und der Luftverteidigung, insbesondere der faktischen Nicht-Existenz griechischer Abwehrsysteme, der »Korpsreservenproblematik«, den Herausforderungen beim Close Air Support und den Kommunikationssystemen streckenweise zu einem Highlight der NATO-Abschreckung und -Präsentation, die durchgängig in allen Übungsberichten gelobt wurde. Die deutschen Berichte gaben die besondere Härte der Einsatzbedingungen wieder, die aber von den eigenen Einheiten sehr gut bewältigt worden seien. Manche Presseberichte hoben zwar wiederum auf die angebliche NATO-Krise ab202, werteten die Übungen aber als vollen Erfolg und vermittelten dabei ein teils idyllisches Bild, etwa von »sonnengebräunten« Kämpfern an der Ägäisküste203. Die Übung selbst lief organisatorisch und taktisch fast reibungslos ab, obwohl zeitgleich mit der Übung ein Streik der deutschen Fluglotsen stattfand. Behinderungen konnten durch den Einsatz von Lockhead C-130 und Transall C-160 und die hohe Effizienz der NATO-Transportstäbe vermieden werden. Die Bundeswehr war im Übrigen noch zu zehn Prozent auf den Transportraum der USAF angewiesen. Dies lag an übergroßem Material, das mit der Transall nicht befördert werden konnte204. Die Bundeswehr konnte sich wiederum profilieren, da sie im Gegensatz zu den anderen Partnern weitgehend die gleichen Einheiten wie in den vorigen AMF-Übungen einsetzte, die damit ein erhebliches Plus an Erfahrung einbringen konnten. Beim AMFinternen Soldatensportwettkampf (»Challenge Cup«) belegten die deutschen Teilnehmer

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TNA, FCO  9/1719, K. Prendergast, Southern European Department an A.R. Lavender Esq., ACE Mobile Forces Exercises in Greece (Alexander Express), 7.3.1973, mit ausführlichem Begleitmaterial. Freundlicher Hinweis von Stefan M. Brenner. TNA, FCO 9/1720, M.D. Tidy, DS12 an SoS, NATO Exercise »Alexander Express«, Mr. Fraser’s PQ, 2.7.1973, mit ausführlichem Begleitmaterial. Siehe dazu unten S. 270‑272, Apex Express 82. So etwa Klaus Neumann, »Express zu ›Alexander‹«, Deutsches Allgemeine Sonntagsblatt, 8/1973 (4.11.1973). Dazu die Telegrammsammlung in BArch, BW 2/4856, beginnend mit Telegramm amf l an mod bonn Germany, 19.6.1973. BArch, BW  2/4856, 1.  LLDiv, Erfahrungsbericht der 1.  Luftlandedivision über die AMF(L)Übung Alexander Express, 13.8.1973, S. 7.

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durchgängig die ersten drei Plätze205. Die deutsche Heeresfliegerstaffel, die zusammen mit den britischen Heeresfliegern als kombinierte »Force Troop« den internen Transport der AMF abwickelte und sich dabei schon in der Vergangenheit große Meriten erworben hatte, gab ein positives Bild ab. Trotz der Schwierigkeiten bei der Koordination infolge der unterschiedlichen Ausrüstung bezeichnete der zuständige Berichterstatter die Zusammenarbeit und das Leistungsprofil, das inzwischen routinemäßig erreicht wurde, als sehr gut und die Möglichkeiten zur Weiterbildung der Besatzungen als »ideal«206. Dabei darf nicht vergessen werden, dass hier und in vielen anderen Bereichen der AMF, gerade auch der Logistik, unter Friedensbedingungen geübt wurde und Schadensfälle oder Feindangriffe aus der Luft, wie sie im Ernstfall möglicherweise zu erwarten waren, nicht im Szenario vorkamen. Bezüglich des öffentlichen Images der einzelnen Bündnispartner zeichnete sich ein Trend ab. Berichtet wurde, dass die deutschen Soldaten von der griechischen Bevölkerung mit mehr Sympathie behandelt wurden als etwa die Amerikaner. Während der Übung kam es zu kleineren Zwischenfällen, möglicherweise auch mit kriminellem Hintergrund, wie etwa einer Messerstecherei. Derlei kann im Rahmen von größeren Menschenansammlungen vereinzelt immer vorkommen. Auch bei den folgenden AMF-Übungen gestaltete sich die öffentliche Präsenz der deutschen Soldaten recht positiv. Besuche an wichtigen Plätzen, in der Hagia Sophia etwa, die teils auch in Uniform stattfanden, liefen ohne nennenswerte Zwischenfälle ab207. In Anatolien verhielt sich die Bevölkerung oftmals offen freundlich und zeigte sich erleichtert über die Anwesenheit der NATO. Die mitunter einfachen, manchmal ärmlichen Verhältnisse sorgten dabei vermutlich für wärmeres Entgegenkommen, da offensichtlich die Notwendigkeit zu einem Miteinander bestand. Anders verhielt sich das mancherorts im Westteil, zum Beispiel auf dem Bosporus und in Thrazien. Die deutschen Soldaten verteilten Verpflegungsrationen an die Kinder und kamen mit den Bewohnern, von denen einige in Deutschland gearbeitet hatte, in Kontakt. Der Kontakt der Griechen vor Ort mit ihren in Deutschland lebenden Bekannten und Angehörigen war offensichtlich rege. Mancherorts wurden die Soldaten von der örtlichen Bevölkerung auch mit landestypischen Waren versorgt. Indes offenbarte sich auch kulturelle Distanz. Auffällig und etwas ungewohnt für Angehörige einer westlichen Leistungsgesellschaft war die Tatsache, dass sich viele Männer in Ostanatolien häufig und lange in Teehäusern aufhielten, während die Frauen die Arbeit etwa auf Sonnenblumenfeldern verrichteten. Bezeichnend für die teils anderen Lebensverhältnisse war etwa ein Zwischenfall, bei dem ein deutscher LKW in eine Höhle einbrach und zur Verwunderung der Bergungsmannschaften in dieser Höhle eine Wohnung mit Menschen vorgefunden wurde.

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BArch, BW  2/4856, Telegramm G3, II.  Korps an Fü  H  III  1, 17.7.1973. Indes waren bei den Sportwettkämpfen (auch Fussball, Tauziehen, Leadership-Wettbewerb) allgemein häufig die Amerikaner und die Briten vorne. Zeitzeugeninterview mit OStFw  a.D. Rolf Wambach, Weitersburg, 10.11.2014, S. 4. Kopie im ZMSBw, Archiv B.L. BArch, BW 2/4856, 3./Fliegende Abteilung 210, Staffelkapitän an 1. LLDiv., Erfahrungsbericht zur AMF-Gefechtsübung Alexander Express, 19.7.1973, S. 6, mit Begleitmaterial. Zum Folgenden vgl. Zeitzeugeninterview mit OStFw  a.D. Rolf Wambach, Weitersburg, 10.11.2014, S. 2. Kopie im ZMSBw, S. 2. Archiv B.L.

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Mit »Alexander Express« war der Hauptzweck der AMF: Demonstration von Solidarität, Stärkung der Moral der regionalen Bevölkerung und Abschreckung zumindest im Einsatzgebiet S-2, auf dem Höhepunkt angelangt. Die Griechen selbst konnten durch vorbildliche Organisation, gute ›Kampfleistungen‹ und ein vorteilhaftes Erscheinungsbild glänzen, auch wenn ihre Unterstützung im logistischen Bereich meist rasch an technisch-organisatorische Grenzen stieß und etwa bei der Qualität des Hubschraubertreibstoffes Misstrauen aufseiten der Entsendestaaten bestand. Die von der Regierung angestrebte Profilierung im politischen Bereich war jedoch problematisch, wie die griechische Regierung zumindest indirekt mit unterschwelliger Kritik an angeblich mangelnder NATO-Solidarität mit Athen bestätigte208. AFSOUTH urteilte abschließend, dass die Übung »one of the most successful exercises conducted in recent years within the Southeastern Region« gewesen sei. Jedoch wurde erneut konstatiert, auch vonseiten des griechischen Generalstabs, dass das strategisch gesehen sehr dünne Thrazien im Ernstfall rein konventionell kaum gehalten werden konnte, wenn nicht zumindest die griechische Armee einem radikalen Modernisierungsprogramm unterzogen würde209. Insgesamt würde die NATO bei einem Großangriff kaum um einen Einsatz von ADM herumkommen, deren Lagerung vor Ort die Griechen nach wie vor forderten. Und selbst dann war nur zu hoffen, dass die Verstärkungen rechtzeitig eintreffen würden. Die Schwierigkeiten mit der Main Deployment Base (MDB) Mikra, insbesondere vor dem Hintergrund der Probleme der Jagdbomber für die direkte Heeresunterstützung (Close Air Support) und deren geringer Reichweite, wurden erneut deutlich beim Namen genannt. »Alexander Express« war die letzte vollgültige Feldübung in S-2 bis zum Ende des Kalten Krieges. Militärisch und medial hatte man offensichtlich ein Maximum der Ausgestaltung erreicht. Als Zwischenergebnis lässt sich Folgendes festhalten: An der Südflanke blieben trotz aller Leistungen der NATO und der einzelnen Entsendestaaten bei der Durchführung der Übungen in den Bereichen Organisation, Flexibilität, Koordination und Einsatzeffizienz erhebliche Probleme bestehen. Die massive Bedrohung durch den Warschauer Pakt, der griechisch-türkische Konflikt und die innenpolitischen Verwerfungen zogen weiterhin schwere Nachteile nach sich. An der Nordflanke war die Lage trotz der dort ebenfalls herrschenden Unterschiede in der militärischen Stärke etwas stabiler, wenn auch einige Schwierigkeiten auftraten, etwa die historisch-politische Situation für das deutsche Kontingent210. Beide »Host Nations« kooperierten trotz der grundsätzlichen militärisch-politischen Einschränkungen bei der praktischen Umsetzung der Übungen gut und trugen so dazu bei, dass die Volltruppenübungen im Großen und Ganzen reibungslos vonstatten gingen. Die Probleme waren daher, wenn man so will, eher gradueller Natur bzw. verwiesen auf grundsätzliche Defizite der AMF, zum Beispiel bei der Übung »Absalon Express 73« (24. Oktober bis 3. November 1973), die im Einsatzgebiet N-2 (Seeland, Dänemark) 208 209 210

BArch, BW 2/4856, Telegramm Militärattaché Athen an AA, nr. 324, nato-manöver »aleksander ekspress 73«, 3.7.1973, S. 1. Ebd., S. 2. Sehr deutlich dazu BArch, BW  2/27006, Fü  S  III  6 an GI, Unterrichtung über AMF-Übung Arrowhead Express 88, 12.11.1987, S. 3.

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stattfand211. Infolge der eher begrenzten militärischen Möglichkeiten der Dänen machten sich die ›traditionellen‹ Schwächen der AMF umso deutlicher bemerkbar. Es fehlten etwa »Force Troops« für die Panzer- und die Luftabwehr212. Auch im Fernmeldesektor (C3) traten wieder Schwierigkeiten auf, die durch die Dänen als Host Nation infolge ihrer begrenzten Mittel ebenfalls nicht ausgeglichen werden konnten. Daher wurde die Bundeswehr um Hilfe gebeten, die in Form des Einsatzes einer Kompanie des LuftlandeFernmeldebataillons 9 als »Wire Troop« der AMF erfolgen sollte. Dies stellte die Verantwortlichen trotz herzlicher Aufnahme der deutschen Truppen durch die dänischen Streitkräfte vor Herausforderungen. Auch im Verhältnis zu Dänemark bestanden immer noch Lasten aus der Vergangenheit. Immerhin halfen die militärischen Notwendigkeiten, die geschichtlichen Probleme etwas aufzuweichen. Das deutsche Heer erklärte sich bereit, die Einheit und auch die nötigen Hubschrauber für die zentrale Transportstaffel der AMF zur Verfügung zu stellen, verhielt sich aber abwartend und vorsichtig. Dies hatte seinen Grund erneut darin, dass Fü H den permanenten Abzug von Kräften aus dem Mittelabschnitt befürchtete. Man betonte, dass der Einsatz zunächst nur einmalig und ohne Verpflichtung für Nachfolgeübungen genehmigt werde. Die gleichzeitig angefragte Artillerieeinheit blieb in Deutschland und wurde auch künftig nicht für die AMF bereitgestellt. Die acht Hubschrauber für die AMF-Transportstaffel wurden bewusst von der Luftwaffe gestellt, »um den Ausnahmefall der Hilfeleistung sichtbar zu machen«213. Beide Elemente, Helikopterkomponente und Wire Troop, wurden allerdings auch später in AMF-Übungen im Einsatzgebiet N-2 von Deutschland gestellt. Hinsichtlich des Aufmarsches traten erneut bekannte Themen in den Vordergrund. Da deutsche Kampftruppen von den Dänen bis Ende der achtziger Jahre nicht akzeptiert wurden, stellten die Italiener ein Bataillon. Dessen Anreise verzögerte sich jedoch, da der Lufttransport infolge schlechten Wetters in Norditalien ausfiel und die Schweiz den Transit bewaffneter Einheiten per Eisenbahn nicht erlaubte. Teils hatten AMF-Einheiten im nationalen Transportsystem auch nicht die Priorität, die ihnen eigentlich zukommen sollte, so etwa die deutsche Sanitätskompanie (2./Sanitätslehrbataillon  851) während der Übung »Avenue Express 89«, die längere Zeit auf einem Nebengleis der Deutschen Bundesbahn abgestellt wurde214. Ferner machte sich wie schon bei anderen Übungen die Ölkrise deutlich bemerkbar. Feinddarstellungen und manche Transportaufgaben wurden von den Dänen nicht mehr realisiert. Ferner, und dies zeigt in feiner, aber deutlicher Weise durchaus auch die Grenzen einer Solidargemeinschaft wie der NATO auf, gaben die dänischen Streitkräfte Treibstoff 211 212

213 214

Die Übung wurde nach einem berühmten und erfolgreichen dänischen Erzbischof und Heerführer, Absalon von Lund (1128‑1201), benannt. Zum Vergleich BArch, BW 2/4856, 1. LLDiv, G LL, Erfahrungsbericht der 1. Luftlandedivision über die AMF(L)-Übung Absalon Express, 9.1.1974, mit Begleitdokumenten, darunter die ausführlichen Planungsunterlagen mit zahlreichen Grafiken und Skizzen. BArch, BW 2/4856, Fü H III 1, Exercise Absalon Express in Dänemark, 4.‑21.11.1973, 2.2.1973, dort auch sämtliches Begleitmaterial zum Vorgang. Dazu etwa der Zeitzeugenbericht von Dr. Peter Eibeck, 18.8.2012, zur Übung Avenue Express (N-2) im Juni 1989, S. 2. (Dokument im ZMSBw). Es bleibt Spekulation, ob hier die Tatsache eine Rolle spielte, dass die Einheit nicht zu den militärischen Vorauselementen, wie etwa die Key Companies, gehörte.

IV. Das militärische Instrument

255

nur dann an andere Partner ab, wenn diese dafür nach der Übung Originalersatz lieferten. Bezahlung gleich welcher Währung wurde nicht mehr akzeptiert. Die AMF war in ihren Übungen grundsätzlich ein Großverbraucher für Treibstoff und musste folglich in großem Umfang planen. Eine Voreinlagerung großer Mengen schuf jedoch eine militärische Imponderabilie, da die Treibstofflager im Ernstfall ein erstklassiges Ziel für den Feind geboten hätten. Wie bei den zentralen Flugbasen Mikra und Yeșilköy an der Südflanke standen die Planer ständig vor dem Dilemma, im Ernstfall auf schnellstem Wege Logistik und Massenverbrauchsgüter zur Verfügung zu stellen, gleichzeitig aber zu vermeiden, dass man dem Feind »bottle-neck«-Ziele bot. Im Übrigen beeinträchtigte das Wetter die Übungen erheblich. Sturm und Niederschlag verhinderten einen Teil der Übungsinhalte und ließen die zentrale Rückhaltebasis bei »Absalon Express  73« richtiggehend im Wasser und im Schlamm untergehen215. Dies hätte im Ernstfall indes vermutlich auch den Feind behindert. In politisch-strategischer Hinsicht vielleicht am bedeutsamsten waren die Zweifel an der dänischen Verteidigungsbereitschaft. Die Presse berichtete ausführlich. Selbst überaus positiv gestimmte Kommentare, wie ein Artikel im »Mannheimer Morgen«, vermerkten – in direkter Verbindung mit dem Lob für die AMF und ihren Kommandeur – die Mittelverteilung mit kaum verhohlener Kritik. Offensichtlich investierte die Regierung in Kopenhagen mit breiter Zustimmung des dänischen Volkes lieber in Sozialprogramme als in die Verteidigungsbereitschaft der NATO216. Als Ausgleich präsentierte man die dänische Heimwehr, die – vergleichbar zu Norwegen – als äußerst schlagkräftige und effiziente Truppe beschrieben wurde und dies offensichtlich bei »Absalon Express« unter Beweis stellte. Die britische »Times« würdigte die Demonstration der Solidarität, wenn auch mit einiger Verzögerung217. Insgesamt verlangten nicht nur der strategische Zweck der AMF, sondern ebenso die Bedingungen vor Ort umfassende Flexibilität und Improvisationskunst. Die Anzahl und die Vielfalt der NATO-Übungen waren derart groß, dass sich die Durchführung nach starren Prinzipien von selbst verbot218. Wie bei den meisten Strategiepapieren konnten die obersten Gremien nur die zentralen politisch-strategischen Prinzipien festlegen und mussten im Übrigen auf die flexible und geschickte Handlungsweise der Entscheidungsträger vertrauen, nicht zuletzt im mittleren und unteren Bereich, d.h. auch in den entsprechenden geografischen Grenzen. Eine der wohl eindrücklichsten Übungen im Nordabschnitt hatte im September 1972 stattgefunden: »Strong Express«. Sie war das Pendant zu »Deep Express 70« und zugleich eines der umfangreichsten Manöver der NATO-Geschichte bis zu diesem Zeitpunkt, 215 216 217 218

Dazu auch Sef Despineux, »›Absalon Express‹ war mäßig geheizt«, General-Anzeiger für Bonn und Umland, 14.11.1973. Joachim Haupt, »Die ›NATO-Feuerwehr‹ übte in Dänemark, Das Bündnis muss zusammenwachsen«, Mannheimer Morgen, 7.12.1973. Hugh Hanning, »Exercises show the western countries stand together«, The Times, 19.2.1974. Ein sehr gutes Beispiel für die Vielfalt der Übungen aus britischer Sicht: TNA, DEFE  4/275, COS 1736/145, Ministry of Defence Schedule of Exercises, 1.4.1973‑31.3.1974. Die beigegebene Liste der einzelnen Vorhaben weist allein für die britischen Streitkräfte für das genannte Jahr 367 nationale oder internationale Übungen auf. Vgl. auch DEFE  4/273, COS  1716/17/12/70, Ministry of Defence Schedule of Exercise, 1.4.1971‑31.3.1972.

256

IV. Das militärische Instrument

»Strong Express« Idee der Handlungen der Seiten

Rotbanner-Nordflotte

nsport

Lufttra

Landungskräfte

OSLO

Verbündete Ostseeflotten

Angenommener Einsatz sowjetischer U-Boote gegen die NATO im Atlantik

MOSKAU

LONDON

PARIS

Geleite

Zeitraum der Durchführung: 12.9. – 23.9.1972 Kriegsbeginn: 17.9.1972 Teilnehmende Stäbe: Strategische, operative und taktische Teilnehmende Kräfte:

Führungsstäbe des NATO-Kommandos Atlantik, Kanal, Zentraleuropa, Nordeuropa

Landstreitkräfte 1 Btl. 1 MI-Btl. 1 Btl. Großbritannien 1 MI-Btl. USA MADRID

Luftstreitkräfte

60 Flugzeuge

18 Flugzeuge

13 Kampfschiffe

32 Flugzeuge

37 Kampfschiffe

BR Deutschland Niederlande

1 MI-Kdo.

Dänemark Norwegen

Seestreitkräfte 43 Kampfschiffe 156 Flugzeuge 43 Kampfschiffe 60 Flugzeuge 90 Kampfschiffe 79 Flugzeuge

34 Flugzeuge

1 Brig. 1 Rgt.

15 Kampfschiffe 10 Kampfschiffe

Belgien Portugal

0

500

1000 km

Kanada

1 Btl.

20 Flugzeuge

1 Btl.

4 Flugzeuge

9 Kampfschiffe

Frankreich

© ZMSBw

07327-05

Quelle: BArch, DVW 1/71029.

* Die Angaben der Quelle zu den Zahlen sind widersprüchlich.

Italien Gesamt

168 Flugzeuge*

260 Kampfschiffe 295 Flugzeuge

IV. Das militärische Instrument

257

ja sie stellt bis heute eine der größten NATO-Übungen überhaupt dar219. Das Szenario erstreckte sich überwiegend auf den Nordatlantik und die Nordflanke der NATO in Europa; der Fokus lag auf der Verteidigung Norwegens. Alle Teilstreitkräfte, auch das US Marine Corps, waren beteiligt. Es nahmen insgesamt 64 000 Mann, 300 Schiffe, darunter zwei britische und zwei amerikanische Flugzeugträger, und 700 Kampfflugzeuge teil220. Verbände mit taktischen Nuklearwaffen sollten bei der Übung die Prozeduren für die Vorbereitung zum Einsatz exerzieren, allerdings ohne simulierten Einsatz221. Den Hintergrund bildeten neben den rein militärischen Aspekten vor allem drei Themenkreise. Die NATO hatte erstens, aufgeschreckt durch die massiven militärischen Manöver des Warschauer Paktes zur Niederschlagung des Prager Frühlings, 1968 unter großen Anstrengungen begonnen, die eigene Reaktionsfähigkeit und das Krisenmanagement zu verbessern und auszubauen. »Strong Express« sollte in diesem Zusammenhang exponiert den Willen und die Fähigkeit der Allianz demonstrieren, keinerlei Abenteuer des Ostblocks widerstandslos hinzunehmen, vor allem wenn das eigene Territorium, zumal an neuralgischen Punkten, tangiert wurde. Die Allied Mobile Force diente dabei als Speerspitze und demonstratives Zeichen an vorderster Front. Die Lage spitzte sich noch zu, weil der Warschauer Pakt in der ČSSR praktisch gleichzeitig die Übung »Schild 72« abhielt, die ebenfalls keineswegs nur militärische Züge trug. Dem Westen und den eigenen Verbündeten, sollte aus Sicht Moskaus im Rahmen der Brešnev-Doktrin klargemacht werden, dass Aufstände im Warschauer Pakt selbst oder Unruhe an dessen Grenzen nicht toleriert würden. Damit konnte eine Konfrontation auch weiterhin nicht ausgeschlossen werden. Umgekehrt erhielt »Strong Express« und mit ihr die AMF zweitens einen erheblichen Stellenwert in der politischen Auseinandersetzung zwischen West und Ost, nicht zuletzt in Bezug auf die avisierten Verhandlungen im Rahmen der KSZE. Die Frage bekam schließlich auch innenpolitisches Gewicht. So diskutierten die Abgeordneten im britischen Oberhaus, ob es wirklich klug sei, eine derartig umfangreiche Übung an einer der exponiertesten Stellen der Allianz Auge in Auge mit dem Ostblock abzuhalten222. Die Kritiker sahen nicht nur die beginnende Entspannung in Gefahr, sondern warnten auch vor unerwarteten Spannungen und eventuell entstehender direkter Kriegsgefahr. Der Warschauer Pakt begnügte sich keineswegs mit einer passiven Zuschauerrolle aus der Distanz, sondern setzte Marine- und Luftwaffenverbände ein, die den Weg der anrückenden NATO-Verbände vorsätzlich kreuzten. So hatten sich Voraussagen der MC  94/1 bezüglich »Intruder-Forces« bewahrheitet, gleichzeitig war aber auch eine skurrile, teils irreale Situation gegeben. Der »reale« Feind, die Kräfte des Warschauer Paktes, nahmen ihr Recht auf Bewegungsfreiheit in internationalen Gewässern und im Luftraum in Friedenszeiten wahr und kreuzten den Anmarschweg der NATO-Verbände von der Seite 219 220

221 222

Zur Einordnung der Übung vgl. TNA, CAB 129/167/3, Draft Statement on the Defence Estimates 1973, 16.1.1973, S. 8, 29. NARA, Nixon Presidential Library, NSC Files, Box  32, Military Exercises, Genehmigung der Übung »Strong Express«, 18.7.1972, mit Begleitmaterial. Vgl. auch (updated 26.1.2010). Henry Stanhope, »Nato’s mock war begins today«, The Times, 18.9.1972. Hansard, HL, Deb 19.9.1972, vol.  335, cc  867‑869, NATO Exercise in the North Atlantic .

258

IV. Das militärische Instrument

bzw. sogar von hinten, griffen aber Nordnorwegen, das Hauptgebiet der Übung, nicht an223. Der »imaginierte« Feind wurde dort von 4000 norwegischen Soldaten simuliert. Der dritte Punkt bezieht sich auf den möglichen Beitritt Norwegens zur EWG, der zur selben Zeit in einem Referendum entschieden werden sollte. In der kritischen Öffentlichkeit wurde immer wieder kolportiert, dass die NATO den Ängsten der Norweger vor dem Hintergrund der sowjetischen Dominanz und nicht zuletzt auch infolge der immer stärkeren Präsenz der sowjetischen Marine im Nordmeer entgegentreten wolle. »Strong Express« diene als praktische Demonstration der Stärke. Den Amerikanern war derlei unangenehm, da die innenpolitische Situation in Norwegen kippen und dadurch ein Verlust an Einfluss und sogar eine Destabilisierung Platz greifen konnte224. Ein typisches Szenario im Kalten Krieg – jeder Schritt musste auf seine Wirkungen in Bezug auf die machtpolitischen Beziehungen zum Ostblock abgewogen werden, gerade an den strategisch prekären Flanken. Ein strategischer Rückzieher kam in Sachen Übungen nicht in Betracht225. So beschränkte man sich im Weißen Haus nur auf die Bitte um Beachtung der Grundsituation, ohne die Übung infrage zu stellen. Sämtliche Elemente wurden genehmigt, darunter die AMF an vorderster Front (»Showing the Flag«) mit entsprechender Propaganda und den dazugehörigen Instrumenten zur Öffentlichkeitsarbeit. Letztere sollten in diesem Falle überproportional ausgebaut werden226. In der Frage des norwegischen Beitritts zum europäischen Wirtschaftsgebiet hatte man keinen Erfolg. Die Norweger stimmten, kurz vor Ende von »Strong Express«, am 25. September 1972 mit 53,2 Prozent gegen den Beitritt zur EWG. Norwegen gehört bis heute nicht der EU an. Die ganze Übung wurde mit hohem Presseaufwand propagiert und fand Eingang sogar in die Provinzpresse der USA, in Sonderheit dort, wo teilnehmende Einheiten ihre Heimatbasen hatten227. Das Presseecho war indes nicht durchgängig positiv, wie es sich die NATO-Stäbe erhofft hatten. In Deutschland erschien ein Artikel im »Spiegel«, der einschlägig über den Aufbau der Bundeswehr und die Übungslage vor Ort informierte, offenbar gespeist durch Informanten in den militärischen Apparaten228. In dem Artikel wurden die Ungereimtheiten und Künstlichkeiten der Übung offengelegt. So kritisierte der »Spiegel«, dass die Übung keineswegs realistisch sei, da »Freund« und »Feind« von den Übungsstäben künstlich gesteuert würden. So hätte die NATO-Übungstruppe die 4000 Norweger erst rasch überrannt, dann habe man den Norwegern in einer zweiten Anlage künstlich Luftüberlegenheit zugebilligt, um ihnen eine militärische Chance im Übungsablauf zu geben. In Wahrheit musste eher damit gerechnet werden, dass die eigenen Truppen von übermächtigen Luftwaffenverbänden aus dem Osten ange223 224 225 226 227 228

Der Spiegel, 40/1972 (25.9.1972), »NATO-Manöver, Schwierig für Infanteristen«. NARA, Nixon Presidential Library, NSC Files, Box 32, Military Exercises, Memo von Sonnenfeldt an Kissinger, 14.7.1972. »Strong Express« wurde vom Weißen Haus am 18.7.1972 genehmigt. NARA, Nixon Presidential Library, NSC Files, Box 32, Military Exercises, United States Atlantic Command Brief of a Significant Military Exercise (Strong Express) vom 3.7.1972, S. 5. Wilmington Morning Star, 3.10.1972, »Exercise Strong Express concluded«. Zum Folgenden vgl. Der Spiegel, 40/1972 (25.9.1972), »NATO-Manöver, Schwierig für Infanteristen«.

IV. Das militärische Instrument

259

griffen würden229. Der Vorwurf lautet unterschwellig: »mangelnder Realismus« und »Zweckoptimismus«. Die Gefahr der direkten Konfrontation durch die sowjetischen »Intruders« bestärkte die Kritik noch. Diese Sicht der Dinge wurde durch den Übungsbericht der Allied Mobile Force zu »Strong Express« bestätigt. Der Bericht bildete eine der Hauptschwächen der Übungstätigkeit auch bei späteren Manövern ab230. Die Übung in dieser entlegenen Flankengegend erfolgte mit teils theoretischen und infolge der Mobilisierung erheblicher Luftransportkapazitäten, die in diesem Umfang im Ernstfall kaum zur Verfügung gestanden hätten231. Außerdem bildete die Feinddarstellung der Norweger nur Standard-Kampftruppen ab, während man im Ernstfall mit Spezialverbänden (amphibische Angriffsformationen und Luftlandetruppen) zu rechnen hatte. Der politisch zwingend nötige und wohl schon im Vorhinein festgelegte Übungserfolg konnte daher auch nicht unbedingt bis ins Letzte überzeugen. Ähnliches gilt für die Öffentlichkeitsarbeit. Die AMF verfügte zwar über entsprechende Instrumente (»Key Parties« und »Presseinformationszentrum«). Jedoch ergaben sich nur begrenzte Möglichkeiten zur erfolgreichen Umsetzung gerade bei einem Hauptadressaten, der norwegischen Bevölkerung vor Ort. In zerklüfteten Küstengegenden, Fjorden und entlegenden Bergregionen fehlt es häufig an Ansprechpartnern. So landete amerikanische Marineinfanterie im Salangen Fjord, einer Gegend mit einer Bevölkerungsdichte von fünf Einwohnern je Quadratkilometer232. Dies dürfte möglicherweise aus operativen Gründen erfolgt sein, die sich nicht immer mit dem Abschreckungsauftrag im öffentlichen Raum deckte. Das Wissen um die durchschnittliche Bevölkerungsdichte Norwegens von 13 Einwohnern je Quadratkilometer bzw. die Werte für Griechenland (75) und die Türkei (61) lagen der NATO selbstverständlich vor233. Umso mehr wurde bereits im Vorfeld kritisiert, dass sich politische Würdenträger und höhere Militärs medial zur Schau stellen würden und dabei nicht nur den Übungszweck konterkarierten, sondern auch die übenden Truppen selbst behinderten. Dem Betrachter drängt sich das Bild einer militärischen keineswegs immer gebotenen Showveranstaltung auf234.

229

230 231

232 233 234

Derlei wurde in den Übungsberichten in anderen Einsatzgebieten durchaus bestätigt, so etwa im Rahmen der Studienreise »Dense Trail 72« an der syrisch-irakischen Grenze (S-3). Der deutsche Berichterstatter schrieb: »Das Feindverhalten, das in Meldungen eingespielt wurde, war unrealistisch und entsprach nicht den Führungsvorschriften des potenziellen Gegners (so wurden ihm taktische Unbeweglichkeit, zu langsames Vorgehen und Nichtausnutzung eines massierten ASprK[Atomsprengkörper]-Einsatzes unterstellt).« BArch, BW 2/4157, 1. LLDiv. an HQ AMF L, Exercise Dense Trail, Post Exercise Report, 18.4.1972, S. 3. Zum Folgenden vgl. SHAPE-Archiv, AMF (L), G3, 1710/40-222-389, ACE Mobile Force (Land Component), Post Exercise Report Exercise Strong Express, 31.12.1972. Zur Mobilisierung des Lufttransportkapazitäten für »Strong Express« aus britischer Sicht: TNA, DEFE 4/271, DOP Note 712/72, COS Committee, Defence Operational Planning Staff, Exercise Strong Express, Airlift Requirement, 1.8.1972. Wilmington Morning Star, 3.10.1972, »Exercise Strong Express concluded«. BArch, BW 2/27434, Fü L III 3, Tiefflugtraining aller NATO-Staaten, Anlage »Bevölkerungsdichten«, o.D. SHAPE-Archiv, 2030/11-4/72, Chiefs of Staffs Bi-weekly Meeting with Principal Deputies and Division Chiefs, 30.8.1972, S. 3.

260

IV. Das militärische Instrument

Das Hauptquartier der AMF zog dennoch eine positive Bilanz. Zum ersten Mal hatte man im Rahmen einer echtzeitgesteuerten NATO-Großübung (Livex/FTX) mit den eingeplanten Verstärkungskräften, insbesondere der 3000 Mann starken 6th Marine Amphibious Brigade (USA), üben können und dabei die militärtaktischen und logistischen Fähigkeiten unter mehr oder weniger realistischen Bedingungen erprobt und verbessert. Insgesamt blieb die AMF, und dies war wohl eines ihrer größten Probleme, trotz der Fokussierung der gesamten Übung auf ihr spezielles Einsatzgebiet im Gesamtrahmen strategisch und taktisch isoliert. Der eigene Übungsbericht verließ das Standardformat der AMF nicht, beleuchtete ausschließlich die direkten Einsatzziele und wies der Zusammenarbeit mit den NATO-Verstärkungskräften lediglich nachrangige Priorität zu. Es bleibt die Frage, wie viel militärischer und letztlich auch politischer Nutzen der AMF wirklich zugebilligt wurde, vor allem vonseiten der militärischen Führungsstäbe235. Das Urteil hier sollte nicht zu negativ ausfallen, wie die britische Sichtweise verrät. Für die Chiefs of Staff besaß »Strong Express«, die sie mit der Allied Mobile Force prakisch gleichsetzten, vorrangige Bedeutung, sowohl im Vorfeld als auch nach Übungsende236. Die Stabschefs hatten im Vorfeld der Übung unter großem planerischem Druck gestanden, weil infolge der Eskalation nach dem Aufstand in Belfast im Juni 1970 substanzielle Kräfte der British Army nach Nordirland geschickt werden, gleichzeitig aber weiterhin wichtige Verteidigungsvorhaben und -übungen durchgeführt werden mussten. Man war zu dem Ergebnis gelangt, dass man nicht das ganze Programm realisieren konnte, und beschloss daher, die für die Britische Rheinarmee eminent wichtige Verstärkungsübung »Springing Tiger« abzusagen. In diesem Zusammenhang machte man deutlich, dass die AMF und »Strong Express« für London hohe Priorität besaßen. Bei diesem Vorgehen spielten wohl überwiegend politisch-strategische Erwägungen eine Rolle. Die Briten wogen wie immer Nutzen und Nachteil sehr genau gegeneinander ab und kamen in diesem Fall offensichtlich zu dem Schluss, dass die Allianzsolidarität an der Gegenküste der Nordsee und den strategisch wichtigen Punkten am Nordkap bzw. Irland für sie gerade infolge der begrenzten eigenen Mittel, insbesondere der militärischen Hardware, erst einmal wichtiger war als Mitteleuropa. Die möglichen Proteste etwa der Deutschen in Bezug auf die Bedeutung des NATO-Mittelabschnitts nahm man als das kleinere Übel hin. Damit war allerdings noch nichts über den militärischen Nutzen der AMF generell ausgesagt. Inwieweit der ›Einsatz‹ der AMF und überhaupt die ganze Übung »Strong Express« im Osten perzipiert wurde, müsste noch näher erforscht werden. Jedenfalls scheint die Beurteilung zumindest ex post weniger unter alarmistischen Vorzeichen oder gar Panik 235

236

Hier sind – erneut wegen der Quellenlage und der VS-Bestimmungen – wieder Einschränkungen zu machen. Die persönliche Meinung der unmittelbaren NATO-Befehlshaber bleibt weiterhin im Dunkeln, genauso ist Vorsicht in Bezug auf die Selbstdarstellung der AMF in den NATO-Stäben geboten. Es lagen keine Dokumente über eine Teilnahme des Kommandeurs der AMF und seines Stabes bei den Abschlussbesprechungen zu »Strong Express« vor. Zum Folgenden vgl. TNA, DEFE 4/260, COS Committee, Confidential Annex 36. Mtg., 26.10.1971, Exercise Springing Tiger, para. 7; ebd., DOI 551/71 (Final), 22.10.1971, COS Committee, Defence Operational Planning Staff, CiCC Germany, Exercise Springing Tiger, 22.10.1971, para  25‑33; ebd., DOP Note 714/72, Chiefs of Staff Committee, Defence Operational Planning Staff, Possible Services Assistance in the Evacuation of Asians from Uganda, 24.8.1972, Annex C.

IV. Das militärische Instrument

261

gestanden zu haben. In einem Diskussionsbeitrag des DDR-Verteidigungsministers Heinz Hoffmann wurde nüchtern bewertet und schließlich als allgemeine Lehre empfohlen, die eigene Ausbildungs- und Rüstungspolitik entsprechend anzupassen237. Hoffmann gab der Besorgnis Ausdruck, dass bei NATO-Manövern in kurzer Zeit eine erhebliche Anzahl von Angriffsflugzeugen ›eingesetzt‹ würden, die rasch zum direkten und scharfen Angriff übergehen könnten. Daher sei die eigene Luftverteidigung bei solchen Übungen ebenfalls zu massieren. Ansonsten hatte man zumindest grundsätzlich sehr wohl begriffen, was mit »Strong Express« bezweckt wurde. Hoffmann referierte sowohl die neue Konzentration der NATO auf den begrenzten Krieg als auch die ostentative Betonung der Bündnissolidarität und die umfassende Steigerung der Fähigkeiten zur strategischen Mobilität mit dem besonderen Ziel einer raschen Schwerpunktbildung. Auch Schwächen »bei den operativ-taktischen Handlungen« glaubte man – in Bezug auf die AMF durchaus nicht zu Unrecht – erkannt zu haben. Militärpolitisch und strategisch hatte die NATO offensichtlich mit der Übung Erfolg gehabt. Ob und inwieweit der Warschauer Pakt den originären Abschreckungsauftrag der AMF bis ins Letzte begriffen hatte und damit auch in Krisensituationen das eigene Handeln anpassen würde, bleibt noch zu klären. Jedenfalls hatte der Ostblock zumindest die strategischen Grundsätze und Ziele der NATO wenigstens prinzipiell erkannt. Im Südabschnitt stechen neben »Deep Express« zwei Übungen hervor, die jeweils einen erheblichen Umfang annahmen und politisch-militärisch von herausragender Bedeutung waren: »Deep Furrow« und »Dawn Patrol«. Beide Übungen gingen weit über das hinaus, was die AMF zu leisten imstande war, und verkörpern mit ihren Szenarien gewissermaßen den strategischen Gesamtrahmen in der Region, grundsätzlich vergleichbar mit der Übung »Strong Express« im Nordabschnitt238. »Deep Furrow« war eine meist amphibische Übung im größeren Rahmen, die auf den Schutz des Bosporus und Thraziens hin ausgelegt war und auch direkt eine der »Contingency Areas« der AMF beinhaltete, so etwa »Deep Furrow 73«, die im September 1973 stattfinden sollte und bei der neben einem Angriffsflugzeugträger, einem Lenkwaffenzerstörer und einem U-Boot mehrere Regimenter, Luftlandebataillone und amphibische Einheiten bzw. Marineinfanterie teilnehmen sollten. Neben den USA und Griechenland bzw. Türkei beteiligte sich vor allem Großbritannien239.

237

238

239

Zum Folgenden vgl. BArch, DVW 1/71029, MfNV, Verw. Aufkl., Diskussionsbeitrag des Ministers für Nationale Verteidigung zum Thema: »Einige Schlussfolgernde Gedanken zu den NATOÜbungen ›Strong Express‹ und ›Tiefe Furche‹ [Deep Furrow], o.D. Dieses Dokument wurde vom Parallel History Project im Internet publiziert: . Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die Übungsplanung und die entsprechenden Szenarien. Es bleibt der Quellenlage (u.a. VS-Bestimmungen) einigermaßen schwierig, genau festzustellen, welche Übungen bzw. Übungsteile tatsächlich durchgeführt wurden. Vgl. etwa unten S. 265 (Eastern Express und Deep Furrow 64). NARA, Nixon Presidential Library, NSC Files, Box  32, Military Exercises, White House, Genehmigung für Deep Furrow 73, 23.8.1973, mit Begleitmaterial. Im selben Bestand ist auch Material zu Deep Furrow  69, 71, 72 vorhanden. Die folgende Grafik dient der allgemeinen Verdeutlichung. Für Deep Furrow 73 war keine Grafik greifbar.

262

IV. Das militärische Instrument

»Deep Furrow 72« Idee der Handlungen der Seiten BULGARIEN

Edirne

TÜRKEI

JUGOSLAWIEN

Thessaloniki

ALBANIEN

Çanakkale

TÜRKEI

GRIECHENLAND

Ägäisches Tr a SP ns u. port GB er

Meer

Landungskräfte

ATHEN

0

25

50

75

100

Izmir

200 km

Zeitraum der Durchführung: 10.9. – 28.9.1972

Kriegsbeginn: 16.9.1972

Teilnehmende Stäbe: Strategische, operative und taktische Führungsstäbe des NATO-Kommandos Südeuropa

Teilnehmende Kräfte: Landstreitkräfte USA

1 LLB/82. LLD

Luftstreitkräfte

Seestreitkräfte

65 Flugzeuge

~ 25 Kampfschiffe 90 Flugzeuge

206 Flugzeuge

17 Kampfschiffe

MITTEL-

36 Flugzeuge

7 Kampfschiffe

MEER

2 Kampfschiffe

Großbritannien

Türkei

Teile von 5 Div. und 1 Marineinf.-Kol. Teile von 1 Div. und 1 Brig.

Italien

Kp./Marineinf.

Griechenland

Gesamt Quelle: BArch, DVW 1/71029.

3 Kampfschiffe 307 Flugzeuge

54 Kampfschiffe 90 Flugzeuge

© ZMSBw

07321-03

IV. Das militärische Instrument

263

Angenommen wurde ein breiter Vorstoß der »Orange«-Kräfte von Bulgarien aus nach Thrazien in Richtung Mittelmeer, die einen Zugang zur Küste sichern und die NATOFlanke teilen sollten. Wegen feindlicher Luftüberlegenheit hatte man mit einem raschen Vorstoß zu rechnen, der erst nach dem selektiven Einsatz von taktischen Atomwaffen gestoppt werden konnte. Bezeichnenderweise war im Szenario von der AMF nicht die Rede, und es fällt auf, dass den Angreifern hier weit mehr Schlagkraft beigemessen wurde als bei den AMF-Übungen. Die Realitätsabbildung durch NATO-Manöver stieß hier an Grenzen. Einzelübungen hatten sich immer an den Möglichkeiten der jeweiligen Truppe zu orientieren. Die Tatsache, dass die AMF in diese größeren Übungen häufig nicht einbezogen wurde240, ging nicht automatisch auf die strategische Bedeutung der Truppe zurück, die einen Demonstrationsverband darstellte, sondern war auch den aktuellen Leistungsgrenzen des Verbandes geschuldet. So inaugurierte man für »Dawn Patrol 72«, die für Mai 1972 vorgesehen war, ein umfassendes Szenario, das alle neuralgischen Punkte an den NATO-Grenzen betraf241. Die wie üblich angenommenen Spannungen setzten in Europa und im Mittleren Osten durch wachsende Instabilität ein und begannen vor allem Griechenland unter Druck zu setzen. Bulgarien verlangte einen Zugang zum Mittelmeer und veranstaltete Militärmanöver zusammen mit Ungarn. Zudem schien Jugoslawien als Ziel einer Intervention immer wahrscheinlicher. Gleichzeitig kam es zu einer massiven Verstärkung der sowjetischen Marinekräfte im Mittelmeer. Es drohte nicht zuletzt unter dem Druck der als prosowjetisch angenommenen Länder im Nahen Osten die politisch-strategische Abschnürung bzw. Überwindung der NATOVerteidigung an der thrazischen Nordgrenze und damit direkte Gefahr für den Bosporus. Die Allied Mobile Force stand nicht zur Verfügung, da sie bereits in einem anderen NATO-Abschnitt eingesetzt war. Die oben beschriebenen Probleme bei der Herstellung einer simultanen Einsatzoption für die AMF kamen voll zum Tragen. Der NATO blieb nichts anderes übrig als zu improvisieren. Es erging daher Order an die (noch) unter nationalem Kommando stehenden Truppen der Bündnispartner, die Rolle der AMF zu übernehmen. Dadurch traten jedoch die Defizite zutage, die dem Kernauftrag der Truppe – Stärkung des Solidargedankens – zuwiderliefen. Dies wiederum konnte nicht wirklich befriedigen und »a further display of solidarity« musste Platz greifen. SACEUR ordnete daher die zusätzliche Verstärkung durch amerikanische und britische Spezialverbände an und hielt schließlich auch eine Luftlandeübung mit amerikanischen Truppen in Nordostitalien (eigentlich Einsatzgebiet S-4 der AMF) »as a show of force« ab. Diese letzte Übung subsumierte man unter der Bezeichnung »Golden Step«, sie lief dann allerdings zeitverzögert ab242. Auch hier spielte wieder die 240

241 242

Ein Beispiel für die Kombination einer AMF-Übung mit einem anderen Manöver im Südabschnitt war »Olympic Express/Phiblex  12-69«. NARA, Nixon Presidential Library, NSC Files, Box  32, Military Exercises, Genehmigung der Übung »Olympic Express/Phiblex 12-69«, 30.4.1969, mit Begleitmaterial. In den durchgesehenen Akten bildete dies jedoch die Ausnahme. Zum folgenden vgl., wo nicht anders belegt, NARA, Nixon Presidential Library, NSC Files, Box 32, Military Exercises, 13.4.1972, mit Begleitmaterial. »Golden Step« wurde im Juni 1972 genehmigt. NARA, Nixon Presidential Library, NSC Files, Box 32, Military Exercises, The White House, Genehmigung für »Golden Step«, 15.6.1972, mit Begleitmaterial.

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politisch-militärische Bedrohungslage, vor allem die latent vorhandene Gefahr einer Eskalation, eine große Rolle. Überhaupt hatten sich in Bezug auf »Dawn Patrol  72« im NSC Zweifel breitgemacht, da der Moskauer Gipfel unmittelbar bevorstand, die Übung von bedeutendem Ausmaß war und auch aktuelle politische Spannungen zwischen der Sowjetunion und Griechenland bestanden. Man erachtete es als nicht ungefährlich, dass ein Übungsszenario mit der »USSR’s role as villain« in Kraft gesetzt wurde243. Die Bedeutung der Übung war dennoch überragend. Die ganze »Dawn Patrol«Übungsserie hatte generell ausgreifenden Charakter, d.h. sie umspannte das ganze Mittelmeer und beinhaltete den Einsatz einer großen Anzahl von Schiffen, Flugzeugen und Verbänden, darunter auch mehrere Flugzeugträger (teils auch französische Einheiten mit Begleitschiffen). Ein Atomwaffeneinsatz war indes nicht, zumindest nicht automatisch vorgesehen. Noch pointierter hatte man das Szenario im Falle von »Dawn Patrol 70« angelegt244. An allen neuralgischen Punkten, auch in den Einsatzgebieten der AMF, wurde aggressiver Druck angenommen. Zu diesen Punkten zählten die baltischen Meerengen; Thrazien; Nordostitalien, das zum Zielobjekt Jugoslawiens und Albaniens wurde, nachdem dort radikale Regierungsumgestaltungen stattgefunden hatten; die Türkei, die unter dem politischen Druck der arabischen Staaten stand, welche ihrerseits Waffenlieferungen aus der Sowjetunion erhalten hatten und explizite Solidarität mit dem Warschauer Pakt übten. Diesem gemeinschaftlichen Block hatte die NATO nun ihre eigene Solidarität mit der AMF an der Spitze entgegenzustellen. Im Szenario selbst traten Militärmanöver ebenfalls als genuine Krisen- und Bedrohungsfaktoren in den Vordergrund. Es wurde angenommen, dass eine großangelegte Übung des Warschauer Paktes im Südabschnitt bevorstand und Berlin durch sowjetische Flugzeuge in der Luft blockiert würde. Nach Truppenkonzentrationen, »isolated shootings« an allen NATO-Grenzen und einem Aufmarsch sowjetischer Marineeinheiten im Mittelmeer kam es dann zum Kriegsausbruch. Auch hier fand die AMF keine Erwähnung, lediglich die STANAVFORLANT, so wurde angenommen, versammelte sich mit anderen Marineeinheiten westlich von Gibraltar, um dem sowjetischen Marineaufmarsch zu begegnen. Über einen Atomwaffeneinsatz waren sich die Planungsstäbe (noch) nicht im Klaren. Ähnlich verhielt es sich mit »Dawn Patrol 71«, bei der relativ rasch »full scale conventional hostilities on land, at sea and in the air« postuliert wurden245. Es scheint, dass die Planer infolge des ungeheuren militärisch-politischen Drucks einen Einsatz der AMF oder vergleichbare »subtile« Abschreckungszeichen als gar nicht mehr möglich 243

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In den Akten finden sich zwei Entscheidungsdokumente in der dort üblichen Form. Das Papier mit der Ablehnung enthält kein Datum. Das Papier, das die Übung genehmigte, enthält alle formalen Kriterien, auch das Datum. Es kann also angenommen werden, dass »Dawn Patrol 72« genehmigt wurde. In Internetauftritten zu NATO-Marineeinheiten wird davon berichtet, dass »Dawn Patrol 72« tatsächlich stattfand. Vgl. z.B. History of the USS W.S. Sims oder HMS Albion (leichter Flugzeugträger), . NARA, Nixon Presidential Library, NSC Files, Box  32, Military Exercises, Genehmigung für Dawn Patrol 70, 11.5.1970. Ebd., Genehmigung für Dawn Patrol 71, 24.3.1973, mit Begleitmaterial.

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oder nützlich betrachteten. Ähnlich wie bei »Deep Furrow« dürfte allerdings auch der Grundcharakter der Übung, vor allem die Verbindung von Marineeinheiten und amphibischen Verbänden, eine Rolle gespielt haben. Vergleichbares lässt sich ebenso von »Dawn Patrol 73« berichten, die in Verbindung mit der jährlich neu aufgelegten Dauerübung »Phiblex« (hier: 12-73) durchgeführt wurde. Für die primäre Abschreckung hatte nicht die AMF, sondern die zur Verfügung stehenden amphibischen Verbände zu sorgen, die ad hoc zusammengestellt werden sollten246. Auch hier blieb der Einsatz von Atomwaffen zunächst offen247. Waren Großübungen wie »Deep Furrow« oder »Dawn Patrol« auch häufig nicht direkt mit AMF-Übungen verbunden, so spielte in politischer Hinsicht immer der Gesamtzusammenhang an der Flanke eine Rolle. So musste »Deep Furrow« (Übungsraum Griechenland) 1964 abgesagt werden, weil zur selben Zeit die AMF-Übung »Eastern Express« in Südost-Türkei wegen der Zypernkrise auf mehrheitlichen Beschluss der NATO-Partnerländer, dem sich dann auch die Türkei zähneknirschend anschloss, nicht abgehalten wurde248. Strategische Signifikanz und politische Bedeutung verhielten sich nicht immer deckungsgleich. Die Übungsgeschichte der AMF verlief in den siebziger und achtziger Jahren mehr oder weniger entlang der hier gezeichneten Bahnen. Grundlegende Änderungen in der Übungsstruktur oder der Durchführung ergaben sich nicht mehr. Vielmehr verbesserten sich einerseits die Routine und damit auch die Flexibilität sowie die Fähigkeiten, andererseits verfestigten sich die bestehenden Probleme und Defizite. In allen Fällen verlief der Transport der verschiedenen Kontingente mehr oder weniger erfolgreich, insbesondere die Zuführung der unterschiedlichen Komponenten aus verschiedenen Himmelsrichtungen in einem multilateral ausgearbeiteten Flugplan249. Die Zusammenarbeit mit der Gastnation funktionierte und das Zusammenwirken der internationalen Truppenteile samt der Offiziere entwickelte sich meist positiv250. Die NATO bewies, dass derart komplizierte und auch aufwändige Manöver, die auch den Transport von modernem Kriegsgerät und mehreren Tausend Mann an Kampftruppen umfassten, innerhalb der Zeitvorgaben machbar waren251. Westliche Effizienz, Transportkapazitäten und Knowhow hatten in Verbindung mit den Anstrengungen zur Dynamisierung und Straffung einen ›schlagkräftigen‹ Demonstrativverband geschaffen. 246

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Ebd., Genehmigung für Dawn Patrol 73/Phiblex 12-73, 12.5.1973, mit Begleitmaterial. Vgl. auch ebd., Genehmigung für Dawn Patrol/Phiblex  11-74, 12.4.1974, mit Begleitmaterial. Bei dieser Übung wurde ein gravierendes Problem offenbar: der Mangel an Betriebsstoff, der die Übung gefährdete. Die Ölkrise machte sich bemerkbar. Ein Beispiel für expliziten Atomwaffeneinsatz stellte »Dawn Patrol 69/Phiblex 11-69« dar. Diese Übung war in der Anlage stark marinelastig. Ebd., Notiz Haig and Sonnenfeldt zur Übung, 27.3.1969, mit Begleitmaterial. SHAPE-Archiv, E&F/NB/67/35, Braband an Hockaday, ACE Mobile Force Exercise Sunshine Express, 10.7.1967, S. 4 f. SHAPE-Archiv, 1730.27.D/12-024, Final Report on the AMF Movement Exercise Absalon Express, 23.01.1974, S. 4‑6. Dazu auch Zeitzeugeninterview mit OStFw a.D. Rolf Wambach, Weitersburg, 10.11.2014. Kopie im ZMSBw, Archiv B.L. Von den vielen Beispielen besonders positiv die Übung »Alexander Express«, eines der wenigen Manöver im griechischen Thrazien. SHAPE-Archiv, 1710.40/14-7, Final Exercise Report on AMF FTX Alexander Express, 14.5.1974, S. 5‑7.

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Die Schönheitsfehler konnten jedoch nicht ausgeräumt werden. Und auch die Übungskünstlichkeiten fanden in den meisten Berichten Erwähnung; eine Tatsache, die aber ein Charakteristikum jedweder militärischer Manöver ist. Dies hatte durchaus nicht allein mit dem Charakter von militärischen Übungen generell zu tun, sondern auch mit der individuellen strategischen und auch taktischen Situation und der politischen Bedeutung der AMF. Da die Flanken fast ausnahmslos Defizite in der militärischen Stärke aufwiesen und die AMF selbst nur drei Bataillone beisteuern konnte, verfügte die NATO für ein Angriffsszenario des ›Feindes‹ über nur eingeschränkte Optionen, wollte man nicht von vornherein eine aussichtslose Situation mit entsprechenden psychologischen Folgen zugrunde legen252. Gerade im Fall der AMF, die die militärische Stärke und die Geschlossenheit der NATO demonstrieren sollte, konnte man sich derlei überhaupt nicht leisten. Wie schon bei »Strong Express« führte dies zur künstlichen Einengung der Feinddarstellung (»Orange«-Forces), die in den Übungsberichten häufig kritisiert wurde. Entweder wurden viel zu wenige Truppen eingesetzt oder diese erhielten zu wenig bzw. gar keine Luftunterstützung253. Die Übungen endeten nach kurzen, begrenzten Geländegewinnen der »Orange«-Kräfte meist mit einem ›Sieg‹ der NATO oder zumindest mit dem Abstoppen des Vormarsches. Es blieb zudem kaum Raum für individuelle taktische Gestaltung und die Einbeziehung spezieller Fähigkeiten; auch die Abschätzung von zufälligen Ereignissen (»free play«) kam zu kurz254. Dass demgegenüber in einem realen Ernstfall möglicherweise ganz andere Bedingungen herrschen würden, ergab sich allein schon aus den Defiziten der AMF, so aus der bis Ende der siebziger Jahre nicht vorhandenen zentralen Panzerabwehrkomponente255, der fehlenden Luftabwehr oder aus dem Mangel an Winterbekleidung, der in der Osttürkei und in Nordnorwegen Einsätze im Winter kaum zuließ256. Der Einsatz von Panzern von Feindseite wurde als besonders prekär empfunden und trat bei einem realistischen »exercise play« auch deutlich hervor. »If deterrent fails AMF(L) will face the first wave of a deliberate attack by well equipped forces containing a high proportion of armour. This is also true of all AMF (L) contingency areas and we have no anti-tank capability above battalion level257.« Der Einsatz der zentralen Hubschraubereinheit, die für den flexiblen Einsatz der AMF unerlässlich war, weil nur dadurch ein schnelles Verschieben von Teileinheiten an neuralgische Punkte und der Ausgleich fehlender Stärke durch taktische Flexibilität gewährleistet werden konnten, wurde teils als ›Schönwetterunternehmen‹ charakterisiert. Außerhalb von NATO-weiten Großübungen standen keinerlei bewaffnete Kampfhubschrauber, wie sie etwa die USA in Vietnam einsetzten, zur Verfügung. Das hieß, dass die Transporthelikopter den mit fast hundertprozentiger Sicherheit zu erwartenden Einsatz 252 253 254 255

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Ebd., S. 9. SHAPE-Archiv, AMF (L) G3 1710/38, Exercise Deep Express – Post Exercise Report, 16.12.1970, S. 8 f. SHAPE-Archiv, 1710.24.75/14-7, Final Report on FTX Deep Express 75, 9.2.1976, S. 9. Bei der Übung Arctic Express  78 wurde dann auf »adequate numbers of anti-tank weapons« verwiesen. SHAPE-Archiv, 1720.8.12.SHOPE/78, Final Report on AMF FTX Arctic Express 78, 24.7.1978, S. 17. Siehe dazu oben S. 214. Vgl. zudem die Erläuterungen in den Grafiken auf S. 207 und S. 298. SHAPE-Archiv, AMF (L) G3 1710/30, Exercise Green Express (N-2), 8.12.1969, S. 4 f. Vgl. auch AMF (L) G3 1710/38, Exercise Deep Express – Post Exercise Report, 16.12.1970, S. 2.

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von Angriffshubschraubern, »gun ships« oder Jägern des Warschauer Paktes schutzlos ausgesetzt gewesen wären258. Das Gleiche galt für den Schutz des zentralen Basisflughafens (»Deployment Airfield«), der nicht selten kaum gegen schwere Luftangriffe geschützt war259. Schließlich notierte man, dass die eigene Angriffskomponente mit etlichen Mängel behaftet war. Hier stand die deutsche G-91 mit ihrer viel zu geringen Reichweite im Fokus. Daher konnte die deutsche Jabo-Staffel der AMF wichtige Teile des Einsatzgebietes von ihren Luftbasen aus taktisch gar nicht abdecken, weswegen die Bodeneinheiten in prekären Situationen mitunter auf sich allein gestellt gewesen wären260. Dazu kamen dann noch die obligatorischen Beschränkungen militärischer Übungen generell, also etwa die Rücksicht auf die Anwohner, die Flugsicherheit und nicht zuletzt die Schonung der Kulturlandschaft261. Insgesamt lassen die Übungen der AMF eine tiefergehende Beschäftigung mit der Stärke und den Absichten bzw. individuellen Fähigkeiten der Truppen des Warschauer Paktes vermissen. Die Übungsziele und die Szenarien glichen sich von Übung zu Übung und bekamen den Charakter formalisierter Routine. Begrenzte Verbesserungen ergaben sich ab Mitte/Ende der siebziger Jahre. Ein Beispiel hierfür ist die Übung »Anorak Express« von 1980, die elfte Übung der AMF in Nordnorwegen seit ihrem Bestehen, die individuelle Kampfgestaltung zuließ und mit einem begrenzt offenem Ausgang beendet wurden262. Rückblickend ist zu fragen, ob hier die grenzüberschreitende Betrachtungsweise hintan gestellt wurde, vielleicht sogar eine Art militärischer Selbstreferentialität vorliegt. Die Notwendigkeit einer positiven Außendarstellung im Sinne auch psychologisch überzeugender Verteidigungsfähigkeit bei gleichzeitig latent vorhandener Kriegsgefahr ließ es nicht zu, dass man sich allzu genau und (selbst-)kritisch mit den militärischen Fähigkeiten des Warschauer Paktes und seiner numerischen Überlegenheit auseinandersetzte. Die Bedingungen der strategisch-politischen Konfrontation ließen es als geraten erscheinen, im Zweifel lieber nicht so genau auf die Stärken des Gegners zu schauen als vielmehr die eigenen herauszukehren, auch wenn dies auf Kosten der Qualität des militärischen Handwerks ging. Gerade die AMF bildete hier ein paradigmatisches Beispiel. Dabei spielte auch eine Rolle, dass die Allied Mobile Force und ihr Hauptquartier nicht zu den obersten Entscheidungsgremien zählte, sondern ein Ausführungsorgan, wenn auch ein markantes, darstellte. Die Truppe sollte sich nicht in Selbstzweifel ergehen, sondern Stärke demonstrieren.

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SHAPE-Archiv, AMF(L) G3 1710/37, Exercise Arctic Express, Final After Exercise Report, 19.5.1970, S.  6  f.; und AMF (L) G3 1710/38, Exercise Deep Express – Post Exercise Report, 16.12.1970, S.  7; sowie 1720.8.16/SHOPE/80, Final Exercise Report on AMF FTX Anorak Express 80, 12.9.1980, S. F-5. SHAPE-Archiv, 1710.40/14-7, Final Exercise Report on AMF FTX Alexander Express, 14.5.1974, S. 10. Ebd. Die deutsche Luftwaffe hatte dies auch voll und ganz bestätigen müssen. Lemke, Konzeption und Aufbau der Luftwaffe, S. 394. SHAPE-Archiv, AMF (L) G3 1710/30, Exercise Green Express (N-2), 8.12.1969, S. 16. SHAPE-Archiv, 1720.8.16/SHOPE/80, Final Exercise Report on AMF FTX Anorak Express 80, 12.9.1980, S. 10. Allerdings hatte die AMF auch in diesem Übungsszenario bereits begonnen, den Feind zurückzuschlagen.

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Anlässe für Zweifel wegen der praktischen Umsetzung der Übung gab es genug. Politische oder militärische Beschränkungen in den Einsatzgebieten verhinderten die Anlage adäquater Manöver. Betroffen war davon vor allem die Südflanke. Die AMF wurde trotz der Bereitschaft der Truppe und ihrer Planer nicht nur in den aktuellen Krisen des Kalten Krieges nicht in die entsprechenden Krisengebiete vorgeschickt263, sondern musste auch im Übungsbetrieb teils massive Einschränkungen hinnehmen. In Nordostitalien (Contingency Area S-4) wurden die ersten 20  Jahre nach Entstehung der AMF überhaupt keine Übungen abgehalten. Als einzige Maßnahme wurde das Führungspersonal eingewiesen, etwa im Rahmen der Studienreise »Roman Track«, die vom 23. bis zum 28. Oktober 1971 stattfand264. Dabei traten trotz herzlichen Empfanges durch die Italiener teils drastische Defizite zutage. Die Einweisung in den GDP und überhaupt der Vorbereitungsgrad der Gastgeber ließen sehr zu wünschen übrig265. Die AMF war von den Italienern nicht als eigenständiger Demonstrations- und Kampfverband eingeplant worden, sondern als Korpsreserve. Die anwesenden AMF-Vertreter gewannen den Eindruck, dass man gar nicht erwünscht sei. Zudem entstanden erhebliche Zweifel, ob der Kampfauftrag der AMF für den Ernstfall, die Abwehr am Gorizia-Gap bzw. am Isonzo, überhaupt realistisch durchgeführt werden konnte oder ob die AMF hier nicht Gefahr lief, in viel zu großen Kampfräumen verheizt zu werden. Eine erste Übung im eigentlichen Sinne fand im Herbst 1976 ersatzweise in Sardinien statt, dies jedoch nur als Command Post Exercise (CPX) und unter sehr künstlichen Bedingungen266. Die Luftwaffeneinsätze wurden vom NATO-Übungsplatz Decimomannu aus simuliert und liefen unter Bedingungen ab, die mit der Situation in Nordostialien kaum etwas gemein hatten. In der NATO erkannte man die Nachteile für die Demonstration der solidarischen Geschlossenheit nach außen: »efforts should be continued to exercise the AMF in accepted contingency areas to ensure the ultimate political impact towards nations external to the Alliance267.« Umgekehrt würde auch die Bereitschaft innerhalb der NATO für derlei Übungen dauerhaft Schaden nehmen, wenn nicht in den originären »Contingency Areas« geübt würde. »[NATO-]Nations may become unwilling to support expensive exercises of little training value268.« Die erste 263 264

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Maloney, Fire Brigade or Tocsin?, S. 602‑609. Zum Folgenden vgl. BArch, BW 2/4157, Drahtbericht 1. LLDiv an Fü L III 1, msgnr 209, exercise roman track, ausführlicher Bericht, 15.11.1971. Eine weitere Studienreise wurde zwei Jahre später unternommen (»Augustus Track 73«). Vgl. dazu auch BArch, BW 2/4157, 1. LLDiv. an HQ AMF L, Exercise Dense Trail, Post Exercise Report, 18.4.1972, S. 2. Zum Folgenden vgl. SHAPE-Archiv, 1710.35/14-7/76, Final Report on AMF CPX Augustus Exchange 76, 1.12.1977. Und selbst hierbei gab es noch Schwierigkeiten. Deutscherseits beabsichtigte man, wenigstens eine Artillerieübung der »Ardent Ground«-Serie gleichzeitig abzuhalten. Die Briten, so stand zu befürchten, würden sich dem jedoch entgegenstellen. Der G3 der AMF (L), der deutsche Oberstleutnant  i.G. Romatzeck, bemerkte bei dieser Gelegenheit, dass Idealismus in Bezug auf die AMF nicht zu erwarten sei und »eigentlich nur noch MOD Bonn etwas ›echt‹ für die AMF tue«. Offensichtlich bestanden die nationalen Egoismen und Interessen auch auf der direkten Arbeits- und Planungsebene zumindest teilweise fort. BArch, BW 2/15160, Hauptmann Sassenhagen, Aktennotiz über Besprechungspunkte während der Exercise Augustus Exchange 76, 8.10.1976, mit Begleitmaterial. Ebd., S. 13. Ebd., S. 12.

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Übung, die im Einsatzgebiet S-4 dann tatsächlich durchgeführt wurde – mit nur drei »Key Companies« und einer Aufklärungskomponente –, war »Andante Exchange« im Jahre 1981269. In anderen »Contingency Areas«, insbesondere im Nordabschnitt, fanden die Übungen regelmäßig statt, allerdings auch erst seit den achtziger Jahren mit allen vor Ort zur Verfügung stehenden Elementen, Kampfmitteln und Einsatz- bzw. Kommunikationsinstrumenten270. Die zentrale Aufgabe der AMF, die Abschreckung in einer Krise in Form des demonstrativen Patroullierens und des ostentativen Kontakts mit der örtlichen Bevölkerung, hatte wie schon im Falle von »Strong Express« eher theoretischen Charakter, weil das Übungsgebiet sehr dünn besiedelt war. Es machte wenig Sinn, an den Küsten Sardiniens NATO-Stärke zu demonstrieren. Allenfalls hätte man einige Fischer beeindrucken können271. Das Gleiche galt für das Einsatzgebiet N-2, d.h. Seeland (Dänemark) mit seinen Küsten272 und anderswo: »contact between AMF key parties and the civilian population was difficult to arrange« resümierte der Abschlussbericht der Übung »Anorak Express 80 (N-1)« 273. Erfolge konnten nur dort erzielt werden, wo sich norwegische Einheiten in der Nähe aufhielten, deren Soldaten in der Lage waren »to avert misunderstandings because of their knowledge of the local language, countryside and customs«. Hier wurde ein Problem offensichtlich, mit dem mobile, überregional einzusetzende Kampfverbände der NATO immer wieder zu tun hatten. Die strategischen, politischen und administrativen Vorbereitungen in ihrer ganzen Fülle wurden in ihrer Bedeutung gemindert, wenn es nicht gelang, auch die örtliche Bevölkerung von der eigenen Stärke zu überzeugen, davon, dass die NATO Sicherheit bieten kann. Scheiterte dies, so hatten alle Bemühungen selbst unter Berücksichtigung der möglichen Abschreckungswirkung beim Gegner trotz aller technischen, kulturellen und medizinischen Aufbauarbeit nur begrenzten Nutzen. Dies gilt für die strategischen Bedingungen des Kalten Krieges genauso wie für die globalen Auslandeinsätze heute. Dabei spielt es für den Einsatzerfolg keine Rolle, ob die adressierte Bevölkerung europäischer oder asiatischer Herkunft ist. Erfolg ist keineswegs allein das Produkt der (angeblich) richtigen Strategie oder Politik. Im Falle von »Anorak Express 80« hatte der Gegner die Übung sehr wohl registriert und sofort wegen deren Nähe zur sowjetischen Grenze protestiert274. Eine nicht minder bedeutsame Imponderabilie stellten weiterhin die Beschränkungen in Südosteuropa infolge des griechisch-türkischen Konfliktes dar. Diese gingen vornehm269

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SHAPE-Archiv, MFG  28/3300, Annual Historical Report 1981, 24.12.1982, S.  8. Eine Nachfolgeübung war »Allegro Exchange«, die im Jahre 1986 durchgeführt wurde. Vgl. dazu BArch, BW  2/27005, Telegramm COMLANDSOUTH an die nationalen Verteidigungsministerien, 24.9.1986, mit ausführlichem Begleitmaterial. SHAPE-Archiv, MFG 28/3300, Annual Historical Report 1981, 24.12.1982, S. 9, Übung »Amber Express«. SHAPE-Archiv, 1710.35/14-7/76, Final Report on AMF CPX Augustus Exchange 76, 1.12.1977, S. 14. SHAPE-Archiv, 1710.49/14-7(5190)/78, Final Report on AMF FTX Arrow Express 77, 16.2.1978, S. 13. SHAPE-Archiv, 1720.8.16/SHOPE/80, Final Exercise Report on AMF FTX Anorak Express 80, 12.9.1980, S.  F-2‑F-4. Als Hintergrund für die taktisch-operative Lage im Einsatzgebiet N-2 (hier: Insel Lolland) vgl. Taktische Karte, Übung »Action Express« 1991, 16.9.1991, mit Foto. Freundlich zur Verfügung gestellt von Jens Westemeier. Frederick Bonnart Sardufoss, »Nato force rehearses defence of Britain«, The Times, 19.3.1980.

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lich zu Lasten der Übungen in Thrazien (S-2). Die Griechen weigerten sich im Zuge ihres zeitweiligen Austrittes aus den integrierten Militärstrukturen zwischen 1974 und 1980275, der auf die Zypernkrise von 1974 zurückging, AMF-Übungen zuzulassen276. Um die ausgefallenen Übungen in Südosteuropa wenigstens teilweise auszugleichen, veranstaltete die NATO stattdessen Manöver in England, auf dem Übungsgelände der Salisbury Plains und in Aldershot (z.B. Übung »Advent Express  75« und »Avon Express  77«)277. Diese wurden gemäß den Fähigkeiten der Briten mit nachhaltiger Effizienz und großem Erfolg durchgeführt. Dennoch wog die Tatsache schwer, dass man keine Gelegenheit erhielt, im Einsatzgebiet selbst zu üben, um die eigenen Fähigkeiten realistisch zu erproben und von dort politische Signale in den Osten zu senden. Auf der Habenseite war zu verbuchen, dass Arbeitskämpfe nicht immer zu Lasten der AMF gingen: Während des Rücktransports der deutschen Bestandteile kam es zu einem Streik nordfranzösischer Hafenarbeiter, der durch wechselseitige Absprache mit deren britischen Kollegen umgangen wurde278. Die Dünkirchener Hafenarbeiter stimmten zu, dass der Rücktransport von ihren britischen Kollegen übernommen wurde. Für den Ernstfall gab dies Anlass zur Hoffnung. Es konnte eventuell damit gerechnet werden, dass die Arbeiterschaft bei einer Krise mit dem Ostblock trotz kommunistischer Propaganda die Verteidigungsvorbereitungen nicht behindern würde. Die griechische Obstruktionspolitik ging auch in den achtziger Jahren weiter. Den Höhepunkt bildeten die Vorgänge um die Übung »Apex Express 82«, in deren Verlauf der Grundcharakter der AMF als politisches Instrument in allen Facetten aufleuchtete. Obwohl Griechenland im Jahre 1980 wieder in die militärischen Strukturen der NATO eintrat, bestand weiterhin Problempotenzial erheblichen Ausmaßes. Dies hing mit den politischen Perspektiven der Regierung Papandreou zusammen, der seit 1981 als erster sozialistischer Politiker Griechenlands an der Macht war. Papandreou, in hohem Maße auf linkes Wählerpotenzial angewiesen, konnte es sich nicht leisten, allzu stark auf die Bündnissolidarität abzuheben. Einen entscheidenden Stimmungstest bildeten die griechischen Kommunalwahlen, die in zeitlicher Nähe zu »Apex Express« stattfinden sollten

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Zum Austritt und seinen Folgen sehr gut FRUS 1969‑1976, vol.  30, Dok.  22: Athens’ Frustrations with the US and the Prospects for the Greek Left, 29.8.1974 . Vgl. auch die folgenden Dokumente dort, etwa direkter Vergleich mit dem Austritt Frankreichs im Jahre 1965/66 in Dok. 23 und 26. Zum Verhältnis Griechenland – NATO vgl. Papacosma, Greece and NATO: A Nettlesome Relationship, S. 364‑366; Akbulut, NATO’s Feuding Members, S. 86 f. Inwieweit die (Re-)Integration tatsächlich auch dauerhaft in den Strukturen stattfand, muss einstweilen offen bleiben. Der griechische Verteidigungsminister nahm jedenfalls ab dem 9.12.1980 wieder an den Sitzungen des Defence Planning Committee teil. Sitzung DPC in Ministerial Session, Brüssel, 9./10.12.1980 . Die Zuständigkeitsverteilung insbesondere in Bezug auf die NATO-Kommandoposten in den obersten Regionalstäben blieb indes weiter ein heikles Problem. SHAPE-Archiv, 1710.61/14-7/S51/76, Final Report on AMF FTX Advent Express 75, 29.3.1976; und 5160.01/15-2/77, AMF Exercise »Avon Express 77« – Expenditure Proposals 27.9.1977; sowie 16mm P 01-B R-48 L-681 AMF – Exercise »Avon Express 77« – Expenditure Proposals, 27.9.1977 (20000006717.pdf ); und 1720.8.13/SHOPE/78, Final Report on AMF FTX Avon Express 77, 30.6.1978. Deutsche Planungsdokumente für »Avon Express 77« in BArch, BW 2/8347. BArch, BW 2/15163, Telegrammsammlung vom 30.11.1977.

IV. Das militärische Instrument

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(1. Wahlgang am 17. Oktober)279. Die Regierung Papandreou, der die NATO-Übungen ein Dorn im Auge waren, nutzte dies, um die Verschiebung der Übung zu fordern; man hoffte, dass der als schwerfällig betrachtete NATO-Apparat dazu nicht in der Lage sei und die Übung schließlich ganz abgesagt würde. Doch hatte Athen die NATO unterschätzt. Alle Beteiligten, darunter der griechische Generalstab, erreichten mit flexibler Kommunikation eine Umsteuerung und die Verlegung der Übung auf Anfang November280. Allerdings saß die griechische Regierung am längeren Hebel. Wie bei Kommunalwahlen in Griechenland üblich, stand für den 24.  Oktober ein zweiter Wahlgang an, dessen Ergebnis die politische Lage endgültig offenlegen würde. In Voraussicht der dann tatsächlich eintretenden Verfestigung einer linken und militärkritischen Meinungsmehrheit versuchte die griechische Regierung erneut, die AMF-Übung zu verhindern. Potenzial für Vorwände gab es genug, beispielsweise die Insel Lemnos. Die Türken verlangten die dauerhafte Demilitarisierung der Insel, was von den Griechen stets abgelehnt worden war. Im aktuellen Fall erhielt der griechische Generalstab die Anweisung, einen Brief an die NATO zu senden, in dem der Konflikt um Lemnos hervorgehoben wurde. Athen forderte, die Insel in das Übungsgeschehen einzubeziehen oder die Übung abzusagen. Für die AMF-Übung besaß die Insel jedoch kaum Bedeutung, da sie gar nicht zum Einsatzgebiet S-2 gehörte. Die NATO wäre zu einem formalen Kompromiss in Form einer kurzen Luftwaffenübung über Lemnos bereit gewesen, erhielt von den Problemen jedoch keine Kenntnis, weil der Brief, datiert mit 13.  September, in der Verwaltung von AIRSOUTH verschwand281. Griechische Destruktivität und Schwerfälligkeit der NATO-Bürokratie wirkten nun ineinander. Die Griechen äußerten in der weiteren Übungsvorbereitung, die intensive Kommunikation zwischen allen Beteiligten erforderte, keinerlei Bedenken, auch in Bezug auf Lemnos. Wie es geschehen konnte, dass der Brief bei AIRSOUTH verschwand, und wer dafür verantwortlich war, konnte nicht geklärt werden. Jedenfalls erhielt die NATO in der Nacht vom 5. auf den 6. November, just zu dem Zeitpunkt, an dem die AMF-Verbände den Verlegungsbefehl erhielten, weitere Korrespondenz aus Athen, in der die Griechen die Übung wegen der Lemnos-Thematik definitiv absagten. Ein Teil der Verbände hatte den Marsch schon begonnen und musste wieder an die Standorte zurückkehren. Die Öffentlichkeit und damit auch Moskau erfuhren von dieser Panne; die Presse berichtete ausführlich darüber282. Der Schaden für das Kerngeschäft der AMF, die Demonstration der Bündnissolidarität, war spürbar. 279

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Zum Ablauf und zu den Grunddaten vgl. – grundsätzlich auch zum Folgenden – BArch, BW 2/15160, Absage der AMF Übung Apex Express, o.D.; SHAPE-Archiv, 16mm P 12-B R-23 L-016, AMF (L) History 1982, S. 2 und 5 (20000008845.pdf ). Gerade die deutsche Seite bekundete ein großes Interesse an der Durchführung der Übung, »zumal die letzte AMF-Übung in diesem Einsatzgebiet 1973 stattfand und das Training in diesem Einsatzgebiet eine wichtige Voraussetzung für einen erfolgreichen Einsatz im Spannungsfall darstellt«. BArch, BW 2/15160, Fü S III 6 an GI, AMF-Übung Apex Express 82, 9.6.1982, S. 2. BArch, BW 2/15160, Hellenic National Defense General Staff an AIRSOUTH mit Nebenabdruck an SHAPE, Exercise Apex Express 82, 13.9.1982. BArch, BW 2/15160, Telegramm Nr. 4874 Deutsche Botschaft Moskau an AA, Absage Übung Apex Express  82, hier: sowjetische Medienreaktion, 11.11.1982. Vgl. auch Mario Modiano,

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IV. Das militärische Instrument

Es kam zu einem Nachspiel im Defence Planning Committee283. Der griechische und der türkische Vertreter erhoben wechselseitige Vorwürfe und machten zudem SHAPE für das Desaster verantwortlich. Auch die Bündnissolidarität wurde angezweifelt. So warf etwa der türkische Verteidigungsminister Haluk Bayülken den Griechen vor, sie würden ihre kleinteiligen Interessen auf diktatorische Weise erzwingen und dadurch aus der NATO eine Zwangsorganisation á la Warschauer Pakt machen. Er legte dabei den Finger in die Wunde Bündnissolidarität und sprach auch innenpolitische Aspekte an. »The profoundly disturbing pronouncements of the Greek Governments indicate an unfortunate trend that may seriously damage the Alliance’s public image and even create a rift in our solidarity. Excess of rhetoric during and in the aftermath of an election has been gradually transformed into a quasi-official policy by the Greek Government towards both NATO and Turkey284.« Letztlich behauptete Bayülken gar nicht einmal zu Unrecht, dass die NATO von den Kommunalwahlen eines Partnerlandes abhängig sei. Papandreou wiederum unterstellte der NATO Täuschung und Nachgiebigkeit gegenüber der einseitigen Erpressungspolitik der Türken. Die deutsche Seite gab ihrer Verärgerung Ausdruck, weil man Kosten wie die begonnene Truppenverlegung und die Stornierung von 1400 reservierten Doppelzimmern in Thessaloniki zu begleichen hatte 285, von denen nur ein Teil, die reinen Transportkosten, bei der NATO erstattungsfähig waren286. Im Übrigen teilten die deutschen Stellen die Meinung der Griechen, dass in Übereinstimmung mit dem Vertrag von Montreux von 1936 eine Militarisierung der Insel zulässig sei. Das aber gab Athen in keinem Falle das Recht, NATO-Übungen zu torpedieren287. Das innere Gefüge der NATO und die Bündnissolidarität hatten nichts mit den völkerrechtlichen Auseinandersetzungen souveräner Staaten zu tun und waren daher zu trennen288. Dass dies nicht geschah, zeigt die prekäre Lage der Allianz als quasi ›halbstaatliche‹ Organisation mit hohem militärischen Integrationsgrad und die Anfälligkeit für politische Interessenkonflikte. Die AMF stand ungewollt wieder einmal im Zentrum der politischen Ereignisse. Dabei spielte keine Rolle, ob sich Griechenland in der militärischen Kommandostruktur der NATO befand oder nicht.

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»Greeks pull Nato into island dispute«, The Times, 8.10.1982; und Mario Modiano, »Greeks slot in Lemnos«, The Times, 15.9.1983. Zum Folgenden BArch, BW 2/15160, undatiertes Protokoll des Defence Planning Committee. Ebd., S. 6. BArch, BW 2/15160, Metropolitan Hotel, Thessaloniki, an das Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland, 12.11.1982, mit Begleitmaterial. Zu den weiteren Kosten vgl. BArch, BW 2/14871, H I 6, an Fü S III 6, Absage der AMF-Übung Apex Express 82, Kostenermittlung, 27.7.1983, mit ausführlichem Begleitmaterial. Auf den Einsatzkosten, darunter der Aufwand für die Verlegung von sechs Alpha Jets des JaboG 43 im Vorfeld (Planungsübung) in Höhe von DM  271  927,70, blieb das BMVg sitzen. Es kam zum Rechtsstreit mit dem Hotel, der dann aber offenbar mit einem Kompromiss endete. BArch, BW 2/14871, H I 6, Absage der AMF-Übung Apex Express 82, Kostenermittlung, 27.783, S. 5, dazu Begleitmaterial. Von den Gesamtkosten in Höhe von DM 690 217,88 konnte das BMVg lediglich DM 297 547,50 bei der NATO abrechnen. BArch, BW  2/15160, Telegramm AA and Info BMVg, Griechische Absage des NATO-Herbstmanövers Apex  Express  83 in Griechenland, hier: völkerrechtlicher Status der Insel Lemnos, 19.11.1982. BArch, BW 2/15160, Telegramm Nr. 812, Athen Diplo an AA, Griechisch-türkische Beziehungen, 30.11.1982.

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273

Schon 1979 war es im Zusammenhang mit der Übung »Athlete Express« zu vergleichbaren Auseinandersetzungen und letztlich zum selben Ergebnis gekommen289. Die Griechen hatten wegen der bekannten Konflikte einen Vorwand, diesmal ein angebliches Informationsleck in Washington, benutzt, um die Übung zu blockieren. Gleichzeitig kündigten sie die Mitarbeit bei der multilateralen Übung »Display Determination« (u.a. zusammen mit den USA) auf290. Hintergründe für dieses Vorgehen waren nicht zuletzt die Erfahrungen mit der Militärdiktatur bis 1974. Die damalige griechische Opposition, jetzt in der Regierung, hatte nicht vergessen, dass die NATO sich nicht eindeutig von den Obristen distanziert hatte291. Bereits damals hatte die US-Botschaft eher düstere Voraussagen gemacht. »As things now stand, the Greek Armed Forces have become a symbol of repression, tyranny, and disarray. Their association in their present state and posture with NATO and the U.S. remains ominous for our future security interests in Greece292.« Der Zypernkonflikt, bei dem den USA von beiden Streitparteien jeweils Schuld für die angeblich ungerechte Behandlung zugewiesen wurde, bildete einen nicht minder gravierenden Punkt293. Die politisch-militärische Gemengelage bestand auch in den folgenden Jahren fort. Weitere Planungsübungen und am Ende auch die Feldübung »Achilles Express 86« wurden ebenfalls abgesagt, was den schon bei »Apex Express 82« zutage getretenen Trend zur Aufgabe der Übungen in Griechenland bestätigte294. SHAPE beschloss schließlich, die Übungen in Griechenland bis auf Weiteres komplett aus den »exercise plans« zu streichen und damit den Griechen den Schwarzen Peter zuzuschieben295. Der Schaden infolge der fortgesetzten Verweigerung war inzwischen größer als der strategisch-psychologische Nutzen. Mehrere Übungen waren in vollem Umfang vorbereitet und dann von den Griechen kurzfristig abgesagt worden. Die letzte Übung, die stattgefunden hatte, war »Alexander Express« im Sommer 1973 gewesen296, in deren Vorfeld es bereits einen Eklat gegeben hatte, da ein griechischer Zerstörer, die »Velos« (ex-USS »Charette«), aus einer NATO-Übung ausgeschert und nach Italien geflohen war, weil die Besatzung einen Putsch gegen die Militärdiktatur in Griechenland inszenieren wollte297. Der Putsch 289 290 291 292

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BArch, BW 2/15163, Fü S III 6, Ablauf zur griechischen Ablehnung der Übung Athlete Express, 30.8.1979, mit weiteren Dokumenten zum ganzen Vorgang. Die Absage dieser Übung scheint häufiger auf der Agenda gestanden zu haben. The Times, »Island dispute clouds Aegean exercise«, 19.9.1983. Dazu auch Zeitzeugenbefragung Brigadegeneral Wilhelm Romatzeck am 15.8.2012, S. 3. FRUS 1969‑1976, vol.  30, Dok.  9: Telegram from the Embassy in Greece to the Department of State, 8.2.1974 . Etwas positiver in ebd., Dok. 13: Interagency Intelligence Memorandum, 18.4.1974 . Dazu sehr deutlich ebd., Dok. 22: Athens’ Frustrations with the US and the Prospects for the Greek Left, 29.8.1974 . BArch, BW  2/15160, MOD Fue  S III  6 an SHAPE, Telegrammentwurf, Cancellation of Apex Express, 10.12.1982. Vgl. auch die entsprechenden Akten in BArch, BW 2/18779. Zum Folgenden vgl. SHAPE-Archiv, 3050/SHOPE/81, AMF Exercises in Greece, 3.2.1981; und 1720.8/SHOEX/85, AMF Exercises in Northern Greece and the SHAPE policy for future AMF Contingency Planning, 31.1.1985; sowie BArch, BW 2/18779, Milrep bei SHAPE an Fü S III 3, AMF-Übungen und Fallplanungen für Nordgriechenland, 6.2.1985. SHAPE-Archiv, 1710.40/14-7, Final Exercise Report on AMF FTX Alexander Express, 14.5.1974. The Montreal Gazette vom 26.5.1973 .

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misslang und viele Anhänger des 1967 geflohenen Königs Konstantin II. unter den Offizieren wurden verhaftet298. Die Verärgerung bei den anderen teilnehmenden Partnernationen war groß, vor allem bei den ohnehin schon sehr kritischen Norwegern und Dänen, der Flankenkonkurrenz der Griechen299. Das State Department urteilte: »This development has raised a question as to whether the Greek armed forces can now be considered fully effective as a NATO force300.« Dazu kam, dass die Griechen sehr komplizierte Einsatzpläne und Abschreckungsoptionen verlangt und damit die strategisch-taktische Ausführung ungemein erschwert hatten. Die deutsche Seite jedenfalls hatte erhebliche Friktionen zu gewärtigen301. Der deutsche Militärische Vertreter bei SHAPE analysierte Mitte der achtziger Jahre klarsichtig die Hintergründe der Vorgänge und hob die Bedeutung der AMF im Gesamtzusammenhang sowie die Rolle ihres Kommandeurs hervor. Einerseits hatte man in Bonn großes Interesse daran, das Bündnis an der Südflanke zu stärken, ganz im Interesse der weiteren, auch politischen Integration von EG und NATO, die man ggf. gegenüber Athen in Stellung bringen wollte. »Auf die Wechselwirkung zwischen AMF-Verpflichtungen und der GR-Stellung in der Allianz und der EG hinzuweisen, könnte ein wichtiger deutscher Beitrag sein302.« Andererseits bestand permanent die Gefahr, entweder als »Schiedsrichter« oder »Botschafter« für Misserfolge verantwortlich gemacht zu werden oder direkt zwischen die Fronten zu geraten. Dabei spielte ebenso die Tatsache eine Rolle, dass Deutschland nach fast 30 Jahren Mitgliedschaft im Bündnis auch einmal den Kommandeur der AMF stellen sollte. Wie man es drehte und wendete, ein Ausgleich der verhärteten Fronten in Bezug auf das griechische Problem war schwierig: »werden bei der Frage ›Deutscher Kommandeur für AMF (L)‹ Chancen und Risiken eines sichtbar betonten deutschen Engagements für die AMF abzuwägen sein: Chancen zur Stärkung des deutschen Ansehens und Einflusses in der NATO und zur Überbrückung von Gegensätzen in der Südregion, Risiken politischer und auch finanzieller Art303.« Auch die Türkei war kein pflegeleichter Bündnispartner, sondern bereitete in direktem Zusammenhang mit den Übungen der AMF immer wieder Schwierigkeiten. Zu 298 299 300

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Zu den Hintergründen dieser Ereignisse vgl. insbes. Nafpliotis, Britain and the Greek Colonels, v.a. S. 174 f. TNA, FCO 9/1720, European Atlantic Action Committee (Hugh Greene) on Greece an Goronwy Roberts, MP, 26.5.1973, mit Begleitmaterial. FRUS 1969‑1976, vol. 30, Dok. 3: Memorandum from Acting Secretary of State Rush to President Nixon, Reappraisal of our Greek Policy, 12.6.1973 . In Washington hatte man schon zuvor erkannt, wie unfähig und hilflos die fungierende Regierung Papadopoulos ohne die Bajonette der Junta war. Siehe ebd., Dok. 1, 2 und 5. Dazu auch Nafpliotis, Britain and the Greek Colonels, S. 111. In diesem Zusammenhang wurden für die NATO nicht gerade schmeichelhafte Vergleiche zwischen Griechenland und dem kurz darauffolgenden Einmarsch in der ČSSR oder dem Regime in Südafrika gezogen. Dazu und auch zu den teils heftigen Angriffen der skandinavischen Bündnispartner gegen die griechische Militärjunta vgl. Nafpliotis, Britain and the Greek Colonels, passim, u.a. S. 37. BArch, BW 2/18779, Deutscher Militärischer Vertreter bei SHAPE G 3, AMF-Übungen, Bericht des AMF-ProjectOff bei SHAPE, 23.3.1984, Anlage, Bericht OTL i.G. Siedschlag, S. 8. Ebd., S. 9.

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nennen sind hier zuvorderst die innenpolitischen Verwerfungen in der Türkei wie auch die globalstrategische Lage an der Wende von den siebziger zu den achtziger Jahren. Die Türkei war Ende der Siebziger in eine derart umfassende wirtschaftlich-soziale Krise geraten, dass sogar die Bündnispartner, allen voran die Bundesrepublik, stützend eingreifen mussten304. Vor diesem Hintergrund verschärften sich die ohnehin stets vorhandenen Differenzen zwischen den Volks- und Religionsgruppen sowie den politischen Interessengruppen im Land. Noch kritischer wurde die Lage, als Ruhollah Chomeini nach der Rückkehr aus dem französischen Exil begann, im Iran eine »Islamische Republik« zu etablieren, und die sowjetische Invasion in Afghanistan auf die Meinungslage in der islamischen Welt ausstrahlte. Die inneren Gegensätze in der Türkei drohten extreme Ausmaße anzunehmen305. Am 12. September 1980 putschte daher das Militär zum dritten Mal seit 1945 und übernahm die Macht unter teils massiver Gewaltanwendung und verbunden mit politischen Unterdrückungsmaßnahmen. Der Putsch erfolgte, während sich die AMF-Verbände auf dem Wege ins türkische Thrazien (Einsatzgebiet S-1) zur Übung »Anvil Express  80« befanden. Deutscherseits beteiligte sich an der Übung neben den bewährten Unterstützungskomponenten auch das Fallschirmjägerbataillon 262. Die öffentlichen Diskussionen folgten auf dem Fuß. Kritisch und anklagend kommentierten linksstehende Verbände und Gruppen die Vorgänge306. Das Hamburger Nachrichtenmagazin »Der Spiegel«, der sich durchaus moderat in der Sache gab, erkannte, dass sich die NATO in einer Zwangslage befand307. Gerade infolge der bedrohlichen Entwicklung in der islamischen Welt und der exponierten Lage der Türkei vor den Toren der Sowjetunion musste alles daran gesetzt werden, den wichtigsten Pfeiler an der Südostflanke zu stärken. Die türkischen Militärs intervenierten in der NATO und behaupteten, dass das türkische Volk psychologisch demoralisiert werde, wenn die AMF-Übung nicht stattfand308. Verschärfend wirkte die Tatsache, dass SACEUR bereits die AMF-Übung »Advance Express 78« abgesagt hatte, was unter anderem auf das immer noch in Kraft befindliche US-Waffenembargo gegen die Türkei im Gefolge der türkischen Invasion auf Zypern zurückging309. Bei der NATO überwog schließlich die Erkenntnis, dass mit einer Absage politisch in der Türkei wenig zu erreichen wäre und es besser sei, wenn man das Land weiter unterstütze, weil sich dadurch die Möglichkeit eröffne, auch innenpolitisch Einfluss zu nehmen. Dass das türki304

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Dazu FRUS 1969‑1976, vol.  30, Dok.  238: Telegram From the Embassy in Turkey to the Department of State, Current Situation in Turkey, 5.11.1975 . Vgl. auch Dok. 243. Vgl. dazu die Lageanalysen in BArch, BW 2/15162, Fü S II 4, Major i.G. Schneiderhan an den Minister, Machtübernahme des türkischen Militärs, 12.9.1980. Mit ausführlichem Begleitmaterial. Vgl. etwa »Arbeiterpolitik«, Informationsbriefe der Gruppe Arbeiterpolitik, Militärputsch in der Türkei 1980, 14.2.1981 ; und Junge Welt, 11.9.2010; Nick Brauns, »Der NATO-Putsch« . Der Spiegel, 38/1980 (15.9.1980), »Kein Bolivien und Südkorea, Die NATO und ihr vergessenes Mitgliedsland Türkei«. BArch, BW 2/15162, Telegramm AA an BMVg, Nr. 1123, manoever anvil ekspress, 13.9.1980. Die Türken sprachen in diesem Zusammenhang von »abandonment« durch die NATO. BArch, BW 2/15163, Fü S III 6, Vortragsnotiz für Herrn Generalinspekteur, Durchführung einer AMF-Übung in der Bundesrepublik, 18.7.1978.

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sche Militär indirekt politische Bestätigung erfuhr, wurde zunächst akzeptiert. »Anvil Express« wurde schließlich mit Erfolg durchgeführt, obwohl die Belgier ihr Kontingent zurückzogen310. Doch gab es keineswegs bei allen Übungen in dieser Region derartige Schwierigkeiten, und man konnte sich wieder auf das militärische Kerngeschäft konzentrieren. Da sich die Verhältnisse nach jahrelanger Übungspraxis langsam einspielten und auf allen Seiten ein beträchtlicher Erfahrungsgewinn zu verbuchen war, funktionierte die Koordination immer besser. Gleichzeitig lernte man offensichtlich mit den Defiziten umzugehen und den Problemen gelassener ins Auge zu blicken. c) Die letzten Jahre des Kalten Krieges Der Stand der Übungstätigkeit der AMF insgesamt von der Mitte der achtziger Jahre bis zum Ende des Kalten Krieges lässt sich gut an zwei Übungen aus dem Jahre 1983 ablesen: »Ample Express 83« (N-2) und »Adventure Express 83« (S-5)311. Erstere fand vom 4. September bis 2. Oktober 1983 im Einsatzgebiet auf Seeland statt und verlief sehr erfolgreich, auch wenn die Kanadier ihr Bataillon nicht entsandt hatten312, was durch die Teilnahme der Stabskomponenten der UKMF ausgeglichen wurde313. Die Übungsanlage enthielt viele Zwischenfälle und Abweichungen vom Ablaufplan (»LiveIncidents«) und wies damit einen hohen Grad an Realismus auf. Letzteres galt auch für das militärische Gesamtszenario, das aus einem massiven Angriff des Feindes mit hartem Kampf und zeitweisem Rückzug der NATO-Verbände bestand. Die dänische »Home Guard« erntete dabei höchstes Lob für ihren Professionalismus und ihre Hingabe. Dass der Feind am Ende zurückgeschlagen wurde, liegt wohl in der Natur militärischer Übungen. Ein Ende mit Niederlage der eigenen Truppen ist psychologisch nicht sonderlich wünschenswert. Übungskünstlichkeiten (fehlendes ABC-Spiel) und Defizite in der Nachrichtenverteilung gab es nach wie vor, ebenso die Herausforderungen hinsichtlich der Zuständigkeiten und Befehlsbereiche (Command and Control) beim Übergang zum Verteidigungsfall, was darauf zurückzuführen war, dass wegen der heiklen und exponierten Einsatzbedingungen der AMF das DPC immer zuerst zu fragen war. Man erkannte, dass im Interesse eines rationalen Krisenmanagements unter Einbeziehung der politischen Gremien bei diesem Thema letztlich immer Abstriche gemacht werden mussten. Das einzige realistische Mittel war das Streben nach effizientem Management der Befehlsstrukturen beim Übergang zum Ernstfall, wo immer möglich.

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Frederick Bonnart, »Belgium withdraws from Nato exercise«, The Times, 19.5.1980; und Frederick Bonnart, »Frozen Turkish region that causes acute Nato concern«, The Times, 8.5.1981. BArch, Verschlusssache. Vergleichbares ereignete sich im Fall der Artillerieübungen (»Ardent Ground«). Die Kanadier zogen sich aus Kostengründen zumindest zeitweise auch von dort zurück. BArch, BW  2/15161, Stab 1.  LLDiv. (OTL Petko), Dienstreisebericht über Combined Reporting Group Meeting »Ardent Ground 8« und Initial Planning Conference für »Ardent Ground 83«, 24.6.1982, S. 2. Diese hatten bereits an Amber Express 81 teilgenommen.

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Jedoch traten gerade beim Krisenmanagement weitere Probleme auf, wie sich in größerem Rahmen schon bei den Stabsrahmenübungen, insbesondere bei HILEX, gezeigt hatte. Die AMF sollte zunächst und zuallerst abschrecken, d.h. Flagge zeigen. Für die kommandierenden Offiziere schien dies zumindest teilweise weniger im Fokus zu stehen, denn sie versuchten, die Abschreckungsphase dazu zu nutzen, um so schnell wie möglich Kampfbereitschaft herzustellen. Dies wurde von den Manöverbeobachtern deutlich kritisiert314. Das Ziel war ein erfolgreiches Krisenmanagement, damit es idealerweise gar nicht erst zum Kampf kam. Die Öffentlichkeitsarbeit wurde immer professioneller. Die dänische Bevölkerung reagierte sehr positiv, wenn auch gelenkt von erheblichem Eigeninteresse. Die AMF organisierte unter anderm Vorträge in Schulen, in denen die Teilnehmer sich rege äußerten, allerdings vor allem die Verteidigungssituation Dänemarks erfragten315. »Adventure Express  83« bietet einen Kontrast zu »Ample Express  83«, gleichzeitig einen ergänzenden Überblick und damit eine Gesamteinordnung der vollständigen Übungstätigkeit der AMF316. Die Übung war die allererste im Übungsgebiet S-5 an der Kaukasusgrenze der Türkei; an ihr zeigten sich die anfänglichen Schwierigkeiten in allen Einsatzgebieten. Die Abstimmung und die Organisation nicht zuletzt auch in den rückwärtigen Strukturen der AMF mussten sich erst einspielen, was zu etlichen Holprigkeiten und Effizienzverlusten führte. Verantwortlich dafür war unter anderem das Wetter: Sturm, Eis und Kälte behinderten den Gesamtbetrieb und die Einsatzfähigkeit. Die Key Companies bewältigen den Einsatz jedoch recht gut, die AMF als Ganzes übte Rückzug und Gegenstoß. Der Verteidiger schöpfte aus den geografischen Verhältnissen insofern Vorteile, als das gebirgige Land einen Vorstoß über Pässe nötig machte, die von kampfkräftigen Einheiten gut verteidigt werden konnten317. Genau dies wurde auch geübt. In Bezug auf die Abschreckung, das Hauptgeschäft der AMF, ergaben sich dieselben Notwendigkeiten wie bei den Übungen der anderen Einsatzgebiete. Die Rules of Engagement mussten erst praktisch erprobt, modifiziert und angepasst werden. Das Einspielen benötigte Zeit und Diskussion. Die weiterhin bestehenden grundsätzlichen politisch-militärischen Instabilitäten gefährdeten allerdings auch weiterhin den gesamten Übungsbetrieb. »Adventure Express 83« stand, wie schon »Apex Express 82« und »Athlete Express 79«, vor dem Abbruch, diesmal wegen der Flugrouten für die Verlegung der AMF-Kontingente, die von den Griechen nach Meinung der Türken zu nahe an ihr Hoheitsgebiet gelegt worden

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So bei der Übung »Accord Express 87« (N-2, 2.‑22.9.1987). BArch, BW 2/27005, 1. LLDiv. G AMF(L), an Fü H III 1, Erfahrungsbericht über AMF(L)-Übung Accord Express 87, 23.10.1987, S. 3 f. Insgesamt bleibt hier allerdings Vorsicht geboten, da die Übungsberichte naturgemäß nicht in erster Linie als Berichte über die militärpolitische Diskussion in den Mitgliedsländern angefertigt wurden. Weitere Erkenntnisse können nur im Rahmen einer gesonderten Studie über den öffentlichen Diskurs zur Verteidigungs- und Bündnispolitik in Dänemark insgesamt geleistet werden, die auch die dänische Presse analysieren müsste. Zum Folgenden vgl. BArch, Verschlusssache. The Times, »Frozen Turkish region that causes acute Nato concern«, 8.5.1981.

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waren. Erst nach zähen Verhandlungen stimmten die Türken der Durchführung von »Adventure Express« zu318. Auch die grundsätzlichen Einschränkungen der Host Nation, der organisatorisch trotz der Defizite in den Übungsberichten Lob gespendet wurde319, konnten nicht vollständig ausgeräumt werden. Der Kontakt mit der Bevölkerung hielt sich, anders als etwa an der Nordflanke, in Grenzen, was auch durch die Sprachbarriere bedingt war. Der türkische Generalstab trug hier nicht zur Auflockerung bei, sondern verhinderte die Kontakte eher und untersagte Erkundungen durch die AMF bei Nacht320, was unter anderem wohl auf die Konflikte mit den Kurden zurückzuführen war. Jedenfalls traten die Gefährdungen bei der Übung »Aurora Express 87« im Einsatzgebiet S-5 (aufflammender »Terrorismus«)321 derart deutlich zutage, dass die Amerikaner aus Sicherheitsgründen keine Vertreter zu den Vorerkundungen für diese Übung entsandten322. Übungskünstlichkeiten gab es wie eh und je, wenn hier auch andere Gründe vorlagen. Das zuständige türkische Korps hielt kurzfristig die nötigen Jagdbomber zurück. Dies mochte mit der politischen Situation zusammenhängen. Generell hatte man insbesondere im Bereich der Logistik bei den türkischen und griechischen Partnern trotz deren exzellenter Kooperation gravierende Defizite zu gewärtigen, die häufig nicht abgestellt werden konnten. So waren die zentralen Zielflugplätze (z.B. Micra für S-2) nicht in der Lage, alle Aufgaben zu erfüllen323. Im Falle des Einsatzgebietes S-1 (türkisches Thrazien) musste beispielsweise eine Zusatzbasis eingerichtet werden, die vom Haupteinsatzflughafen (Yeșilköy) ca. 250 km entfernt lag und daher nicht nur Schwierigkeiten bei der raschen Abwicklung der logistischen Aufgaben bereite, sondern auch ein hervorragendes Ziel für die Jagdbomber des Warschauer Paktes darstellte324. Ergänzt wurden diese Probleme gelegentlich durch die Bedürfnisse der AMFTruppen und deren kreative Bewältigung. So bestellte das Kommando des JaboG  43 sechs Großpaletten an Dosenbier (12,6  t). Offenbar war damit die Versorgungslage mehr als gut ausgestaltet worden, denn 6,5 t davon wurden wieder nach Deutschland zurücktransportiert325.

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BArch, BW 2/15160, Fü S III 6, AMF-Übung Adventure Express 83, 16.5.1983, mit Begleitmaterial, hier v.a. NAC, PO/3/65, SecGen an die Permanenten Vertreter (Council), Problems in Coordination of NATO Exercises, 6.7.1983. Vgl. dazu die entsprechenden Akten in BArch, BW 2/15160. Deutlich in BArch, BW 2/15160, Fü H III 1, AMF-Übung Adventure Express 83, Erfahrungsbericht für TUR-Generalstab, 20.12.1983, S.  2. Vgl. aber eine teils abweichende Darstellung in BArch, BW 2/15160, Hauptmann Sassenhagen an Referatsleiter Fü S III 6, Oberst i.G. Weick, Dienstreisebericht über AMF-Übung Adventure Express 83, 23.6.1983, S. 2. BArch, BW 2/27005, Fernschreiben Deutsche Botschaft Ankara (vg. Att ankara) an AA, Nr. 930, nato-amf-uebung »aurora ekspress 87«, 4.8.1987. BArch, BW 2/27005, Fü S III 6, an GI, Planungskonferenz zur Vorbereitung einer AMF-Übung in der Türkei, 30.4.1986. SHAPE-Archiv, 1710.40/14-7, Final Exercise Report on AMF FTX Alexander Express, 14.5.1974, S. 8. SHAPE-Archiv, AMF (L) G3 1710/38, Exercise Deep Express – Post Exercise Report, 16.12.1970, S. 16 f. BArch, BW  2/15160, LTKdo  A  3  b, Aktennotiz, Zusammenarbeit mit GE AMF (A) während AMF-Übung Adventure Express 83, 22.7.1983.

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Auch die bekannten Herausforderungen in Bezug auf den Lufttransport stellten sich nach wie vor. Daher sollten auch weiterhin alle Möglichkeiten des Boden- oder Wassertransports genutzt werden. Dies geschah in großem Umfang326. Die Briten setzten beispielsweise ihre halbamphibischen Landungsschiffe (LSL) ein327. Schließlich trat es noch eine ganze Palette weiterer Künstlichkeiten zutage, etwa die mangelnde Erfahrung der örtlichen Kommandooffiziere in den Leitständen (z.B. Air Support), ein keineswegs zu unterschätzendes Thema328, oder die fast durchgängig fehlenden Szenarien und Fähigkeiten für den Einsatz von ABC-Waffen329 sowie für elektronische Kriegführung330 und schließlich die wie schon bei »Strong Express« aufgetretene Verzerrung durch den Einsatz unter Friedensbedingungen. Immer wieder wurde bemängelt, dass die Gastnationen an den Flanken Mittel und Kräfte aufbrachten, die im Ernstfall, wenn ein Einsatz an allen Fronten zu erwarten war, niemals in so konzentrierter Form zur Verfügung stehen würden. Dies galt erneut in erster Linie für die Transportkapazitäten, aber auch für den Treibstoff, der gerade in Zeiten der Ölkrise im Ernstfall keineswegs in üppigen Mengen geliefert würde331. Die Pressearbeit schließlich stellte ebenfalls eine permanente Herausforderung dar, entwickelte sich aber nach und nach in immer professionelleren, effizienteren und kompetenteren Bahnen332. Die AMF verfügte bei Übungen über ein eigenes Pressezentrum (Allied Press Information Centre, APIC) und Presseoffiziere. Auch eine Feldzeitung wurde in mehreren Auflagen herausgegeben333. Manchen Presseoffizieren fehlte die nötige Erfahrung, und auch eine professionelle Ausbildung hatten beileibe nicht alle genossen334. Insbesondere ließ zunächst die Koordination von NATO, den nationalen Kontingenten und der Gastnation sehr zu wünschen übrig335. Im Übrigen entwickelten sich die Übungen zu regelrechten Schauereignissen, in denen die Presse, die Militärbeobachter und auch die NATO-Befehlshaber und Politiker 326 327 328 329

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Siehe z.B. SHAPE-Archiv, 1710.49/14-7(5190)/78, Final Report on AMF FTX Arrow Express 77, 16.2.1978, S. 11. Ein guter Überblick über den Boden/Wassertransport in SHAPE-Archiv, 1730.27.D/12-024, Final Report on the AMF Movement Exercise Absalon Express, 23.1.1974, S. 3 f. SHAPE-Archiv, AMF (L) G3 1710/38, Exercise Deep Express – Post Exercise Report, 16.12.1970, S. 23 f. SHAPE-Archiv, 1720.8.12.SHOPE/78, Final Report on AMF FTX Arctic Express 78, 24.7.1978, S. 27; und 1710.24.75/14-7, Final Report on FTX Deep Express 75, 9.2.1976, S. 10. Die erste realistische ABC-Übung im Rahmen der AMF fand 1978 bei der Übung Avon Express in England statt. SHAPE-Archiv, 1720.8.13/SHOPE/78, Final Report on AMF FTX Avon Express  77, 30.6.1978, S. 15. SHAPE-Archiv, 1710.49/14-7(5190)/78, Final Report on AMF FTX Arrow Express 77, 16.2.1978, S. 18. SHAPE-Archiv, 1710.40/14-7, Final Exercise Report on AMF FTX Alexander Express, 14.5.1974, S. 11. Als Beispiel hierfür ebd., S. 13. SHAPE-Archiv, 1710.27/14-7, Post-Exercise Final Report on ACE Mobile Force Exercise Green Express, N-2, 22.4.1970, S. 9. SHAPE-Archiv, 1720.8.12.SHOPE/78, Final Report on AMF FTX Arctic Express 78, 24.7.1978, S. 33; und SHAPE-Archiv, 1710.49/14-7(5190)/78, Final Report on AMF FTX Arrow Express 77, 16.2.1978, S. 19. SHAPE-Archiv, AMF (L) G3- 1710/30, Exercise Green Express (N-2), 8.12.1969, S. 14 f.; AMF(L) G3 1710/37, Exercise Arctic Express, Final After Exercise Report, 19.5.1970, S. 3; SHAPE-Archiv, 1710.49/14-7(5190)/78, Final Report on AMF FTX Arrow Express 77, 16.2.1978, S. 23.

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massiv und ostentativ auftraten. Dadurch wurden einerseits die Transportkapazitäten der AMF weiter belastet, andererseits mussten Schauveranstaltungen abgehalten werden, die mit den realen Einsatzbedingungen nur wenig gemein hatten336. Versuche, einen Fahrdienst mit freier Routenwahl für die jeweiligen Beobachter in das Übungsgebiet einzurichten, erwiesen sich rasch als zu teuer337. Das Interesse der Presse war trotz einiger Enttäuschungen infolge einer zu passiven Medienstrategie der NATO bei der jeweiligen Übung338 meist überdurchschnittlich339 und blieb dies auch bis zum Ende des Kalten Krieges, solange entsprechende Einladungen ergingen340, ja es nahm teils außergewöhnliche Dimensionen an, so etwa im Falle der Übung »Amber Express« im September/Oktober 1981 (N-2, Dänemark), bei der Vertreter der AMF 19 öffentliche Vortragsveranstaltungen abhielten (Schulen, Heimatverteidigungseinheiten, Versammlungen) und eine 45-minütige Sendung im dänischen Fernsehen lief341. Ähnliches wurde bei der Übung »Ally Express 82« in Nordwegen veranstaltet342. Teilweise hielten die AMF-Kommandeure auch Presseveranstaltungen ab, in denen sie den Elitecharakter der Truppe zum Ausdruck brachten. Mit dieser geschickten Vorgehensweise erzielten sie auch bei begrenztem Presseinteresse PublicityErfolge. Zum Instrumentarium gehörten des Weiteren humanitäre Gesten, wie z.B. die kostenlose Behandlung der lokalen Bevölkerung durch die Sanitätseinheiten, wenn diese dazu Gelegenheit hatten, oder Blutspendeaktionen sowie Besuche öffentlicher Einrichtungen343. Derlei wurde auch in der heimischen Presse berichtet344.

336 337 338 339

340 341

342

343

344

SHAPE-Archiv, 1710.24.75/14-7, Final Report on FTX Deep Express 75, 9.2.1976, S. 12 f. SHAPE-Archiv, 1720.8.13/SHOPE/78, Final Report on AMF FTX Avon Express 77, 30.6.1978, S. 44 f. SHAPE-Archiv, AMF (L) G3 1710/38, Exercise Deep Express – Post Exercise Report, 16.12.1970, S. 21 f. SHAPE-Archiv, AMF (L) G3 1710/37, Exercise Arctic Express, Final After Exercise Report, 19.5.1970, S. 3. Zur Vorbereitung der Übung vgl. BArch, BW 2/4351, Fü S III 1/Üb an Chef II Stab Fü S, AMF-Übung Arctic Express, Entsendung von Beobachtern des BMVg, 27.1.1970, mit Begleitmaterial. Ein gutes Beispiel hierfür in: BArch, BW 2/27006, Telegramm COMNON an 1. LLDiv. u.a., Ex Arrowhead Express, Media Coverage, 21.2.1988. Vgl. dazu auch BArch, BW  2/15162, Forsvarets Oplysnings- og Velfærdtjeneste an die teilnehmenden Verteidigungsministerien, Exercise »Amber Express« Film Co-operation, 27.5.1981. Zur Übung generell vgl. auch die deutschen Dokumente in derselben Akte (darunter auch ein Erfahrungsbericht der deutschen Sanitätskompanie). Siehe auch das entsprechende Material in BArch, BW-2/15163. SHAPE-Archiv, MFG 28/330, HQ AMF, Annual Historical Report 1982, 12.8.1983, S. 5. Vgl. Übung »Avalanche Express  84«, SHAPE-Archiv, 3300/MFG1S/85, AMF – Annual Historical Report 1984, 25.11.1985, S. 2-1. Deutsche Planungs- und Durchführungsdokumente zu »Alloy Express 82« in BArch, BW 2/14872. Dazu etwa der Zeitzeugenbericht von Dr. Peter Eibeck, 18.8.2012, zur Übung Avenue Express (N-2), Juni 1989, S. 1 f. (Dokument im ZMSBw), Besuch der Glasmanufaktur Holmegaard in Hørsholm durch die deutsche Sanitätseinheit. Vgl. etwa BArch, BW 2/15160, dtustaga amf (l) ddo an Fü S III 6, msgnr 11, amf (l) uebung archway express 1985, lagemeldung, 8.10.1985, mit Begleitmaterial, u.a. Artikel Dieter Ebeling, »Elitebewußtsein unter roten Baretten«, General-Anzeiger, Bonn, 7.10.1985. Dabei kamen Vorbehalte der türkischen Seite gegen das von den Amerikanern gespendete Blut zum Ausdruck. Offenbar hatte man Angst vor Ansteckungen und präferierte deutsches Spenderblut.

IV. Das militärische Instrument

281

Das Engagement wirkte sich indes nicht immer nur positiv aus345. So besuchten britische Trupps der AMF bei »Amber Express 81« dänische Schulen und stellten unter anderem Waffen und Ausrüstung zur Schau346. Den Kindern gefiel dies offenbar, nicht aber den Eltern und den Lehrern, die sich auf allen Ebenen beschwerten, auch bei COMZEALAND. Eine allzu massive Präsentation von Kampfmitteln wurde offensichtlich nicht goutiert. Die NATO empfahl, derlei Demonstrationen militärischer Stärke künftig zu unterlassen. Dagegen erkannte man hinsichtlich der militärischen Präsenz mit Blick auf die solidarische Abschreckung während der Übungen eher zu wenig öffentliche Wirkung. Die Key Companies konnten mit den aktuellen Rules of Engagement nur auf den Inseln selbst patroullieren, nicht an der Küste, was viel öffentlichkeitswirksamer gewesen wäre. Man beschloss daraufhin, die entsprechende »Rule« (1) zu ergänzen347. Bei der Übung »Adventure Express«, der ersten Übung im neuen Einsatzgebiet S-5 (Osttürkei), hielten der NATO-Generalsekretär und SACEUR eine Pressekonferenz ab, dazu gab es eine Parade auch mit Beteiligung von Bundeswehreinheiten348. Das Presseecho war erheblich349. Ergänzt wurde die Außendarstellung durch Maßnahmen zur Stärkung des Selbstbewusstseins der Truppe von innen heraus, dies unter besonderer Beachtung der Multilateralität. Eine solche Maßnahme war die »NATO Challenge Cup Competition«, die Ehrgeiz, Zusammenhalt und Teamgeist stärken sollte350. Die Presse, allen voran die Militärpublizistik, griff die Themen bereitwillig auf und berichtete häufig gemäß den Vorstellungen der NATO; sie betonte die Solidarität der NATO-Partner und würdigte die Verstärkung der Flanken351. Es fand also durchaus keineswegs nur kritische Berichterstattung wie im »Spiegel« statt. Verschiedentlich gab es auch weniger Echo, etwa wenn die örtlichen Pressevorbereitungen mangelhaft waren. Die separaten Artillerieübungen fanden vor allem dann kaum Interesse, wenn sie nicht im eigentlichen Einsatzgebiet lagen352. Bei politischen Spannungen und allgemeinen Diskussionen um die NATO trat die AMF verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit. Fanden AMF-Übungen jedoch zeitlich im Schatten von anderen, bedeutenden nationalen und oder internationalen Ereignissen

345 346 347 348 349

350 351 352

SHAPE-Archiv, 3300/MFG1S/85, AMF – Annual Historical Report 1984, 25.11.1985, S. 2-2. CPX Archway Encounter 84 in Merzig. Deutsche Planungs- und Durchführungsdokumente für die Übung in BArch, BW 2/14872. Siehe dazu die Grafik oben auf S. 210. Paraden wurden schon bei den ersten AMF-Übungen abgehalten, z.B. bei der Übung »Olympic Express« im Jahre 1969. SHAPE-Archiv, 3300/MFG2S/84, Annual Historical Report 1983, 18.9.1984, S. 4 f. Vgl. dazu auch Übung »Archway Express« (S-1, Oktober 1985), bei der eine Parade zum 25-jährigen Bestehen der AMF abgehalten wurde. SHAPE-Archiv, 3300/MFG2S/86, Annual Historical Report  85, 3.9.1986, S. 4. SHAPE-Archiv, AMF (L) G3 2010 124-011, ACE Mobile Force (Land Component) Standing Operating Procedures, 21.11.1974, SOP 903, S. 1‑8. Ein sehr gutes Beispiel hierfür: Flug-Revue, 6/1980, Anorak Express  80 . SHAPE-Archiv, 3300/MFG1S/85, AMF – Annual Historical Report 1984, 25.11.1985, S. 2-2. Übung Ardent Ground  84 in Nordengland. Vgl. auch Ardent Ground  86 in Baumholder, die publizistisch auch unter einem Unglück der AMF in Nordnorwegen zu leiden hatte. Siehe dazu unten S. 282.

282

IV. Das militärische Instrument

statt, war das Interesse vergleichsweise gering353. Dies war etwa der Fall beim Attentat auf den Papst im Mai 1981 (die NATO hielt in diesem Monat die Artillerieübung »Ardent Ground« in Portugal ab) und galt auch für die politischen Kämpfe zur Umsetzung des NATO-Doppelbeschlusses. Das Hauptquarter der AMF musste zugeben, dass trotz des großen Interesses an der AMF die Übungen angesichts der Diskussionen um die Nuklearfrage ins Hintertreffen gerieten354. Nichtsdestoweniger galt: »AMF exercises continue to be the main vehicle for AMF publicity355.« Umgekehrt verhielt es sich während des Falkland-Krieges, der die globale Verknüpfung verschiedener Krisen- und Spannungsregionen demonstrierte und damit die regional begrenzten AMF-Übungen bei Weitem überstrahlte. Die AMF-Artillerieübung »Ardent Ground  82« in Baumholder, Rheinland-Pfalz, etwa erregte, allerdings erst nach entsprechenden Anstrengungen der NATO-Öffentlichkeitsarbeit, breites Interesse, weil das Übungsgelände in der Nähe von Bonn lag356. Gelegentlich kam es auch zu Protestdemonstrationen von Kriegsgegnern und Linken, jedoch meist ohne spürbare Auswirkungen357. Nachteiliger für das Image der AMF als derlei öffentliche Einwirkungen waren hingegen Fehler und Unglücke der Truppe selbst. So kam es bei der Übung »Anchor Express  86« in Nordnorwegen (N-1) am 5.  März 1986 zu einem folgenschweren Lawinenunglück, bei dem 16 norwegische Soldaten 35 Kilometer nördlich von Narvik den Tod fanden358. Die Presse konzentrierte sich zum Nachteil der AMF fast ausschließlich auf dieses Ereignis und stellte heraus, in welch entlegenen und teils auch gefährlichen Gebieten die Truppe eingesetzt wurde. Die Übung wurde wegen der weiterbestehenden Lawinengefahr abgebrochen. Dies war gerade für die deutsche Seite umso bedauerlicher, weil die DDR zum ersten Mal in der Geschichte der AMF Manöverbeobachter angemeldet hatte, die nun wieder ausgeladen werden mussten359. Die Übungsgeschichte der Allied Mobile Force im Kalten Krieg endete unter symbolträchtigen Auspizien. Erst kurz vor Ende des Kalten Krieges fand ein Einsatz deutscher Kampftruppen bei AMF-Übungen in Skandinavien statt. Man hatte sozusagen eine komplette Epoche benötigt, um die Folgen des Zweiten Weltkrieges zu überwinden. Auf dänischem Territorium übten deutsche Kampfverbände (verstFschJgBtl  263 und LLArtBttr 9) zum ersten Mal im Rahmen der AMF-Übung »Accord Express 87« (2.‑22. September 1987)360. Dabei gab es infolge der deutschen Vergangenheit gelegent353 354 355 356 357 358

359

360

Vgl. auch SHAPE-Archiv, 1720.8.13/SHOPE/78, Final Report on AMF FTX Avon Express 77, 30.6.1978, S. 36. SHAPE-Archiv, 3300/MFG2S/84, Annual Historical Report 1983, 18.9.1984, S. 4. Ebd., S. 5. SHAPE-Archiv, MFG 28/330, HQ AMF, Annual Historical Report 1982, 12.8.1983, S. 5. SHAPE-Archiv, 1710.27/14-7, Post-Exercise Final Report on ACE Mobile Force Exercise Green Express, N-2, 22.4.1970, S. 4. SHAPE-Archiv, 3300/MFPIO/88, AMF, Annual Historical Report, 1986, 16.2.1988, S. 2-3 und 3-2. Deswegen geriet auch die Artillerieübung Ardent Ground 86 in Baumholder in das Kreuzfeuer der Presse. BArch, BW  2/14350, Brüssel NATO an AA, Nr.  393, Absage des Manövers »anchor ekspress« durch norwegen, hier: reaktion der ddr, 25.3.1986, anbei auch Begleitmaterial zum gesamten Vorgang. VerstFschJgBtl 263 und LLArtBttr 9, BArch, BW 2/27005, 1. LLDiv., G AMF (L) an Fü H III 1, Erfahrungsbericht AMF(L)-Übung Accord Express 87, 23.10.1987, mit Begleitdokumenten.

IV. Das militärische Instrument

283

lich auch handfeste Auseinandersetzungen. So versammelten sich Bauern mit Dreschflegeln und Sensen und versuchten gegen die Stellungen der deutschen Artillerie vorzugehen, da sie in Erinnerung an die deutsche Besatzungsherrschaft im Zweiten Weltkrieg die Anwesenheit deutscher Truppen aufbrachte361. In diesem Falle mussten die örtlichen Sicherheitskräfte im Verein mit den deutschen Feldjägern die Abschirmung der Truppe gegen Angriffe übernehmen. In Norwegen dauerte es noch einige Zeit länger. Im ereignisreichen Jahr 1990 übten zum ersten Mal deutsche Kampftruppen im Rahmen der AMF-Übung »Array Encounter« (Februar 1990) auf norwegischem Boden, mehr oder weniger zeitgleich mit dem 50. Jahrestag des deutschen Angriffs gegen Norwegen (Operation »Weserübung«). Nicht weniger markant war die Tatsache, dass just zu diesem Zeitpunkt zum ersten Mal ein Deutscher, der Generalmajor Peter Heinrich Carstens, die AMF kommandierte. Dies war nicht unbedingt geplant gewesen, da bei der Besetzung des Kommandeurpostens die Rotation zwischen den NATO-Partnern eine Rolle spielte und man eigentlich erst abwarten musste, bis die bereits eingeplanten Kommandeure anderer Nationen an der Reihe gewesen waren362. Aber auch in dieser Frage, genauso wie in Bezug auf den ersten ›scharfen‹ Einsatz der AMF 1991, trafen Ereignisse in sinnfälligem zeitlichem Zusammenhang aufeinander. Es ist wohl kein Zufall, dass gerade in dieser Zeit der erste deutsche NATOGeneralsekretär, Manfred Wörner, sein Amt antrat (1988). Für die Truppe hingegen neigte sich die Zeit der Übungen und ›Trockenplanungen‹ im bipolaren Gefüge dem Ende entgegen. Alsbald sollte der erste reale Einsatz erfolgen. Einstweilen jedoch hatten alle Beteiligten in sensibler Weise vorzugehen. Zwar erhielt man im Vorfeld der Übung »Array Encounter« gerade aus Norwegen sehr positive Signale, die während der Übung selbst noch stärker ausfielen. So konstatierte man bei der deutschen Militärdelegation beim »Visitors Day«363, dass während der Übung eine »deutsche Problematik« nicht erkennbar gewesen sei. Besondere Aufmerksamkeit erhielt die Aussage des Kommandeurs der teilnehmenden norwegischen Brigade, nach der die Angelegenheit weniger eine Frage der politischen und zwischenmenschlichen Beziehungen als vielmehr der Biologie seien: »Das Problem korrespondiert mit dem Lebensalter der Norweger und wird insofern immer geringer364.« Dennoch organisierte man ein medienwirksames Programm, um vor allem die norwegische Öffentlichkeit vorzubereiten, da man die vielfältigen Verwicklungen und Schwierigkeiten recht klar erkannt hatte: »Reservationen gegen deutsche Truppen gab es zunächst bei fast allen unseren Bündnispartnern; in Norwegen hielten sie sich besonders lange. Im Verlauf der Verhandlungen über eine Ersatzlösung der CASTBG365 hat Norwegen eine geschickte Öffentlichkeitsarbeit betrieben, die keine grundsätzlichen Bedenken gegen deutsche Kampftruppen aufkommen ließ. Es wurde stets die Verantwortung des Bündnisses hervorgehoben und die Normalität des

361 362 363 364 365

Zeitzeugeninterview mit OStFw a.D. Rolf Wambach, Weitersburg, 10.11.2014, S.  2. Kopie im ZMSBw, Archiv B.L. Zu Auswahl und Benennung des deutschen Kommandeurs der AMF  (L) vgl. die ausführliche Dokumentensammlung in BArch, BW 2/26579. Dazu BArch, BW 2/27007, Fü S III 6, AMF-Exercise Array Encounter 90, 14.11.1989. BArch, BW 2/27007, Fü H III 1, Bericht über AMF-Übung Array Encounter, 19.2.1990, S. 2. Zur CASTBG siehe oben S. 146.

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IV. Das militärische Instrument

deutschen Beitrages betont. Unter Hinweis auf seit längerem praktiziertes Auftreten deutscher Truppen im Rahmen von NATO-Übungen wurde die vormals betonte Qualität von Kampftruppen heruntergespielt. Dennoch konnte aus einzelnen Kommentaren, die möglicherweise von interessierter Seite eingebracht wurden, entnommen werden, dass noch latente Ressentiments in Norwegen vorhanden sind. Es ist daher wichtig, diese Ressentiments durch behutsame, aber gezielte Öffentlichkeitsarbeit nicht zum Tragen kommen zu lassen, zumal durch den ersten deutschen Kommandeur der AMF (L) dieses Thema zusätzliches Interesse in der Öffentlichkeit finden kann366.«

Die norwegische Botschaft in Deutschland stellte wichtige Kontakte her, berichtete positiv über die norwegische Grundhaltung und warb für die Übung. Im Vorfeld wurden deutsche und norwegische Journalisten eingeladen, darunter Vertreter fast aller prominenten Medien, um die Vorbereitungen des deutschen Fallschirmjägerbataillons zu beobachten367. Die norwegische Seite betonte, wie willkommen die Deutschen seien, und kommunizierte die positive Erwartungshaltung der Norweger368. Die Einladung erstreckte sich auch auf die Besichtigung der Übung in Nordnorwegen selbst. Die Übung verlief entsprechend den eingespielten Routinen trotz der ›neuen‹ deutschen Komponenten recht erfolgreich. Ein vorläufiges Schlusswort zur AMF-Geschichte kam dem deutschen Kommandeur der AMF, Generalmajor Carstens, zu, als er die nicht einfache Aufgabe zu bewältigen hatte, die historischen Hintergründe zu kommentieren369. Anlässlich eines Besuches des Museums in Narvik, der von den Medien wegen der Kämpfe zwischen Briten und Deutschen um die Stadt im Zweiten Weltkrieg mit großer Aufmerksamkeit verfolgt wurde, stellte Carstens fest, dass der Einsatz in Narvik 1940 einer der ersten multinational integrierten Einsätze der Westalliierten gewesen sei und daher eine ausgezeichnete Folie für die Bündnissolidarität und den Sinn der AMF abgebe. Dass Deutschland damals der Gegner gewesen war, hatte Carstens tunlichst nicht besonders herausgestrichen. Dadurch wurde auf behutsamem Wege das erreicht, worauf man viele Jahre hingearbeitet hatte: Deutschland war auch an den Flanken, wenn auch erst kurz vor Torschluss, endgültig an Bord.

4. Epilog oder Neuanfang? Die Allied Mobile Force nach 1990 a) Der Einsatz der AMF im Rahmen des Golfkrieges 1991 Es gehört zu den Paradoxien der Epoche des Kalten Krieges, dass der erste ›scharfe‹ Einsatz der AMF erst 1991 erfolgte, d.h. erst nach Ende des Ost-West-Konflikts. Als sich die Lage im Golf nach der gewaltsamen Besetzung Kuwaits durch Saddam Hussein 366 367 368 369

BArch, BW 2/27007, Fü S III 6, AMF-Übung Array Encounter 90, Nord-Norwegen (H Missfeld), Oktober 1989, S. 4. BArch, BW  2/27007, Informations- und Pressestab, Leiter Pressereferat, 13.12.1989, mit Begleitmaterial und Einladungslisten. BArch, BW 2/27007, Telegramm 1. LLDiv an Fü S III 6, 26.1.1990. Zum Folgenden Zeitzeugeninterview General a.D. Carstens, 15.8.2012, S. 4.

IV. Das militärische Instrument

285

zunehmend verschärfte, fühlte sich die Türkei durch den Irak bedroht und forderte die Solidarität der Allianz ein370. Die Entscheidung zum Einsatz und dessen Durchführung ist ein Paradebeispiel für die Bedingungen und Probleme multilateraler Einsatztruppen. Die Türkei stellte im Dezember 1990 einen entsprechenden Antrag über die NATO-Kommandokette, sprich über AFSOUTH. Wie vorgesehen, hatte dann das oberste Entscheidungsgremium, das Defence Planning Committee, zu beraten und zu entscheiden. Wie schon so häufig zuvor herrschte auch jetzt keineswegs von vornherein Einigkeit und Übereinstimmung. Nationale Interessen und Präferenzen waren gegeneinander abzuwägen und mit den Bündnisinteressen abzugleichen. Im Zentrum der Kontroversen stand die deutsche Position. Die Türkei hatte gehofft, sofort eine positive Antwort zu erhalten, vielleicht sogar den Bündnisfall nach Art. 5 Nordatlantikvertrag zu erreichen. Deshalb hatte Ankara auch schon die Presse mit Teilinformationen versehen und dadurch gerade in Bonn für erheblichen Ärger gesorgt. Bundeskanzler Kohl zeigte sich höchst verstimmt, dass Ankara ihn vorab über die Pläne zur Entsendung der AMF nicht informell benachrichtigt hatte371. Die Debatten im DPC und im NATO-Militärausschuss verliefen daher erst einmal wenig harmonisch372. Zur Enttäuschung der Türken weigerte sich der deutsche Vertreter strikt, ohne weitere Beratungen endgültige Beschlüsse zu fassen. Damit isolierte sich Bonn allerdings zunehmend. Insbesondere Amerikaner und Briten, die im Golf gerade einen massiven Truppenaufmarsch durchführten, wollten alle NATO-Partner zumindest symbolisch in ihr Boot holen. Der britische Vertreter im Militärausschuss warf Deutschland eine Blockadehaltung vor und bemühte dazu auch das Engagement der NATO und gerade der Briten für den Schutz der Bundesrepublik im Kalten Krieg in überaus deutlicher Weise373. Im Kern ging es darum, welchen konkreten Auftrag die AMF erhalten sollte. Wie schon bei vergleichbaren Fällen in den Jahrzehnten zuvor setzte ein zähes Ringen um Formulierungen ein. Die Türken, die Briten und die Amerikaner arbeiteten darauf hin, den Einsatzauftrag der AMF möglichst großzügig zu gestalten. Dahinter standen nicht nur taktische Nützlichkeitserwägungen. Die Amerikaner und die Briten zielten wohl insgeheim darauf, dass durch ein direktes Engagement der NATO ein Teil der Aufmerksamkeit Bagdads nach Norden gelenkt würde. Wahrscheinlich hoffte man in Washington und in London auch auf ein militärisches Eingreifen der NATO374 und

370 371 372 373 374

Zum Golfkrieg allgemein und speziell zur Lastenteilung der wichtigsten Nationen, auch zur deutschen Problematik vgl. Freedman/Karsh, The Gulf Conflict, insbes. S. 110‑127, 354‑356. BArch, BW  2/21913, Brüssel NATO an AA, Telegramm Nr.  2033, Türkischer Antrag auf Aktivierung der Alliierten Eingreiftruppe AMF (A), 21.12.1990, S. 3. Zum Folgenden vgl. BArch, BW 2/21913, Telegramm Nr. 2015, Brüssel NATO an AA, Türkischer Antrag auf Aktivierung der Alliierten Eingreiftruppe AMF (A), 19.12.1990, mit Begleitmaterial. BArch, BW 2/21913, DMV MC/NATO an Fü S III, Türkischer Antrag auf Aktivierung der AMF (A), 27.12.1990, mit ausführlichem Begleitmaterial. Indirekt dazu BW 2/27010, Fü S III 6, AMF(A)-Einsatz im Zusammenhang Golfkrise, 4.12.1990. Zu dieser Frage wären weitere Forschungen nötig.

286

IV. Das militärische Instrument

auf eine Ausweitung der Bündnisgrenzen375. Mögliche Hoffnungen erfüllten sich jedoch nicht, da die deutsche Seite strikt gegen derlei Gedankenspiele war376. Unstrittig war von vornherein, dass nur die Luftkomponente der AMF zum Einsatz kommen sollte. Die drei Bataillone an Bodentruppen blieben in ihren Heimatstandorten. Bereits geplante Manöver, etwa eine Volltruppenübung für das Einsatzgebiet S-3 an der türkischen Südgrenze, waren auf Veranlassung Anakaras abgesagt worden, »wobei neben der Betroffenheit des vorgesehenen Übungsraums durch kurdische Unruhen möglicherweise auch türkisches Bestreben, nicht durch militärische NATO-Präsenz in Nähe des Grenzgebietes zum Irak krisenverschärfend zu wirken, mit ausschlaggebend gewesen sein könnte«377. Bonn bestand auch darauf, dass die Einsatzrichtlinien für die Luftkomponente, die Rules of Engagement, eindeutig und restriktiv formuliert wurden378. Die einzusetzenden Staffeln erhielten einen reinen Demonstrativauftrag und wurden explizit nicht in die Luftverteidigung der zuständigen 6.  ATAF eingebunden. Die reichhaltigen Übungsflüge durften nur nördlich einer 40-km-Zone der türkischirakischen Grenze erfolgen. Als Vorbild diente hier die Air Defence Interception Zone (ADIZ) an der innerdeutschen Grenze im Kalten Krieg. Diese Zone mit einer Tiefe von 27 km hatte im Frieden nicht von Kampfflugzeugen als Übungsraum verwendet werden dürfen, um Zwischenfälle zu vermeiden. Die AMF-Verbände erhielten Feuererlaubnis grundsätzlich nur für individuelle Selbstverteidigung. Die Briten hatten noch gehofft, ein Schlupfloch für gegenseitige Hilfeleistung zwischen türkischen Kampfflugzeugen und den AMF-Staffeln freizulassen. Der deutsche Vertreter verhinderte indes auch dies. Dabei trat ihm neben den Belgiern noch der Generalstabschef von SHAPE, USGeneral John A. Shaud (USAF), zur Seite. Letzterer fürchtete um den Zusammenhalt des Bündnisses und arbeitete an einem Kompromiss. Die Hintergründe für das deutsche Handeln sind vor allem politisch zu verstehen. Man hatte gerade erst die deutsche Einheit vollzogen und musste auf die Befindlichkeiten der osteuropäischen Staaten Rücksicht nehmen. Auch stand die Rote Armee noch in Deutschland379. Zudem spielten die historischen Lasten eine große Rolle. In den Strategiepapieren von Fü  S ab Anfang 1990 finden sich regelmäßig Hinweise auf die erheblichen, für die Bundesregierung sogar eventuell desaströsen Folgen einer direkten Kriegsbeteiligung deutscher Verbände und entsprechender Verluste.

375 376 377 378

379

Freedman/Karsh, The Gulf Conflict, S. 152. BArch, BW 2/21913, Telegramm DMV MC/NATO, MC/PS am 8.1.1991, 10 Uhr, 8.1.1991, mit Begleitmaterial. BW 2/27010, Fü S III 6, AMF(A)-Einsatz im Zusammenhang Golfkrise, 4.12.1990. Die Übung hätte im September 1990 stattfinden sollen. Das Kerndokument dazu: BArch, BW  2/27009, Fü  S  III  6 an AA und Bundeskanzleramt, Einsatzrichtlinien (Rules of Engagement, RoE) für die AMF (A), 5.1.1991, mit Weisung für DMV/MC-NATO für MC-Sitzung am 8.1.1991, Deutsche NATO-Vertretung für DPC-Sitzung am 8.1.1991, Betr.: Einsatzrichtlinien für die AMF  (A). Dazu ebd., Fü  S  III  6, Vermerk für Deutsche NATO Vertretung, Deutsche Militärische Vertreter im MC-NATO, 3.1.1991. Vgl. auch ebd., AA an Fü S III 6, Einsatzrichtlinien für die AMF (Air), 7.1.1991, mit Begleitmaterial; und ebd., Fü S III 6 an Minister über StS Pfahls, Einsatzrichtlinien aüf die AMF (A), 7.1.1991, mit Begleitmaterial. Genscher, Erinnerungen, S. 900‑908.

IV. Das militärische Instrument

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Die Lageanalysen im direkten Vorfeld des Einsatzes oszillierten zwischen den klar erkannten Erfordernissen der Bündnissolidarität und der Wahrung der eigenen Interessen im internationalen Bereich sowie den innenpolitischen Widerständen, die nicht zuletzt wiederum mit der Erinnerung an die Geschehnisse bis 1945 im Zusammenhang standen. Wenn man so will, trat hier die deutsche Version des Grundproblems zutage – die traditionelle Dichotomie, wie sie jeder NATO-Partner und das Bündnis insgesamt in der Summe seiner Teile zu gewärtigen hatte, solange sich die Allianz nicht in ein wirklich supranationales Gebilde verwandelte, was damals nicht zu erwarten war und es heute nach wie vor nicht ist. Ab Dezember 1990 wurde indes rasch klar, dass ein Ausscheren aus dem gemeinsamen Krisenmanagement verheerende Folgen haben würde. Eine Nichtbeteiligung am Einsatz der AMF  (A) hätte, so die Einschätzungen im BMVg, einen massiven Glaubwürdigkeitsverlust der Bundesrepublik in der Allianz zur Folge und würde sogar die NATO als solche infrage stellen380. Diese Erkenntnis stellte beileibe nicht nur eine starre Übertragung der bündnispolitischen Leitsätze aus dem Kalten Krieg dar, sondern wurde von einer klaren Analyse der Lage in der Krisenregion begleitet, hier insbesondere der Motive der Türkei. Die Regierung unter Turgut Özal in Ankara steckte zu diesem Zeitpunkt in innenpolitischen Schwierigkeiten, die sich unter anderem in Demonstrationen und Aufmärschen von Arbeitern, machtpolitisch bedingten Rücktritten des Verteidigungsministers, des Außenministers und des Generalstabschefs sowie weiterer Generale ausdrückten381. In dieser problematischen Lage entschied sich Özal für ein konstruktives, wenn auch nicht aggressives Engagement im Golf an der Seite nicht nur der USA, sondern explizit auch der europäischen NATO-Partner, um seine Position zu stärken. Die deutsche Vertretung in Ankara urteilte sehr klar: »In dieser Lage wurde der Golfkonflikt zum Katalysator des innenpolitischen Konfliktstoffes [...] Die Bitte um Entsendung der Mobilen Eingreiftruppe (AMF) ist ein politischer Zug Özals [...] Durch den wohlüberlegten und rational begründeten europäischen Beitrag wird außenpolitisch gegenüber dem Irak und innenpolitisch gegenüber der Opposition der Vorwurf entkräftigt, Özal sei ein Spieler [...] und handle als Marionette der USA382.« Dazu kamen die latent immer vorhandenen Konflikte mit den Kurden, die im Falle einer Verwicklung in den Irakkrieg möglicherweise zu einem Massenaufstand und zur Gefährdung der inneren Stabilität der Türkei hätte führen können; ein Thema, das heute ebenfalls, siehe den Konflikt um Syrien, eine bestimmende Rolle spielt. Die militärisch-politische Lage in der Region bewertete man in Bonn nicht allzu negativ. Im Auswärtigen Dienst und auch bei Fü S ging man nicht davon aus, dass Özal offensive oder gar expansive Ziele verfolgte383. Bei Fü S III konstatierte man, dass umge380

381 382

383

Zum Folgenden vgl. grundsätzlich BArch, BW  2/27009, Fü  S  III  6 an StS Pfahls, Türkischer Antrag auf Entsendung des Luftwaffenanteils der Allied Command Europe Mobile Force (Air) in die Türkei, 28.12.1990. Dazu auch Freedman/Karsh, The Gulf Conflict, S. 352‑354. BArch, BW 2/27010, Diplo Ankara an AA, Telegramm Nr. 1205, Golfkrise, Krisenmanagement durch Präsident Özal, 27.12.1990, S. 2 f. Auch zum Folgenden, wo nicht anders belegt. Vgl. zum Folgenden grundsätzlich auch ebd., Diplo Ankara an AA, Telegramm Nr. 1212, Golfkrieg, hier: Lage in der Türkei, 30.12.1990, mit weiterem Begleitmaterial. Dazu auch BArch, BW  2/27010, Herrn Stabsabteilungsleiter Fü  S  II, Antrag der Türkei auf Aktivierung der AMF – Air, o.D. (eingegangen 21.12.1990).

288

IV. Das militärische Instrument

Operationsgebiet Nordirak und Türkei Stand: 14. Februar 1991 U d S S R

T Ü R K E I

Erhaç ca. 110 km

Muş Vansee

xxxx

220 000 Sold. 800 KPz xxxx

Diyarbakir

Incirlik ca. 360 km

(Tle)

3

1 PzBrig 1 MechBrig 2 InfBrig 3 GendBrig

Cizre

1 PzBrig

xxxx

2

Batman

(Tle)

1

»5. Armee«

xxx

IV

1 PzBrig 1 MechBrig 6 InfBrig

2 InfBrig 2 KdoBrig 1 LLBrig

?

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»Strat Res« Ankara Urmiasee

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Zakhu 38

S Y R I E N

4 ui ui

I R A N

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Mossul ca. 90 000 Sold. ca. 300 KPz

I R A K

Arbil

23 ui

xx

Kirkuk

ris Tig Wadi Tharthar

0

100

200 km

Anmerkung: ui = unidentified (unbekannt) Quelle: BArch, BW 1/345550, FüS II 4, Aktuelle Lage/Golf-Krieg für 14.2.1991.

BAGDAD

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kehrt auch nicht damit zu rechnen war, dass die irakische Armee, die ja in der Operation »Anfal« bis 1988/89 genozidale Gewalt gegen die Kurden im Irak ausgeübt hatte, einen Großangriff gegen die Türkei bewerkstelligen könne. Wie schon im Kalten Krieg wies man der irakischen Armee keine wirkliche Schlagkraft in größerem Rahmen bei384, dies aktuell insbesondere deshalb, weil das Gros der Truppen gegen die US-Koalition aufmarschiert war. Immerhin aber wäre, im Einklang mit den Befürchtungen vor 1989, eine begrenzte Aktion möglich gewesen, die die Besetzung kleinerer Gebiete mit entsprechendem Gesichtsverlust der NATO nach sich gezogen hätte. Ein solches Fait accompli hätte nicht hingenommen werden können. Die größte Gefahr stellten irakische Luftangriffe dar, die auch mit vergleichsweise begrenzten Kräften zu einer politischen und militärischen Konfrontation hätten führen können385. Daher kam vorrangig die Stationierung der AMF-Luftkomponente in Betracht. Die machtpolitischen Interessen und Divergenzen, die in Neuauflage zu jenen im Kalten Krieg zutage traten, lagen für die Analysten im Verteidigungsministerium ebenfalls klar auf der Hand386. Die Amerikaner waren nachhaltig bemüht, die Legitimität ihres Handelns zu erweitern, und versuchten, vergleichbar etwa den Bestrebungen während des Vietnamkrieges, möglichst viele Staaten zu einem aktiveren Engagement im Golf, möglicherweise sogar zu einem Kriegseintritt zu bewegen. Die Regierung Özal hatte dies offensichtlich erkannt und wollte dem entgegenwirken. Besonders heikel war die anvisierte Nutzung der US-Luftwaffenbasen in der Türkei, vor allem des modernen Flugfeldes in İncirlik387. Die USAF flog ab dem 18.  Januar 1991 tatsächlich entsprechende Missionen gegen den Irak388; eine Tatsache, die auch in der innenpolitischen Debatte in Deutschland nachfolgend eine Rolle spielte. Die Interessen der Hegemonialmacht und des regionalen Akteurs prallten aufeinander und tangierten ebenso die NATO. Erschwerend kam die innenpolitische Gratwanderung der Regierung in Ankara hinzu. Diese Probleme konnten nur durch ein markantes Zeichen der NATO entkräftet werden. Die Türkei verfolgte mit dem Antrag auf Einsatz der AMF (A) das Ziel, die Europäer, deren Luftwaffen (Italien, Belgien, Deutschland) die AMF (A) beschickten, als Gegengewicht zu den Bestrebungen Washingtons einzusetzen389. Im Falle einer Zurückweisung durch die Entsendestaaten hätte die Türkei und mit ihr Özal einen

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Ebd. BArch, BW  2/27009, Fü  S  III  6 an StS Pfahls, Türkischer Antrag auf Entsendung des Luftwaffenanteils der Allied Command Europe Mobile Force (Air) in die Türkei, 28.12.1990, S. 2 f. Zu den möglichen Konsequenzen und Gefahren vgl. den Abschuss der türkischen Recce-Phantom am 22.6.2012. Zum Folgenden vgl. grundsätzlich und wo nicht anders belegt das Kerndokument in BArch, BW 2/27009, Fü S III 6 an StS Pfahls, Türkischer Antrag auf Entsendung des Luftwaffenanteils der Allied Command Europe Mobile Force (Air) in die Türkei, 28.12.1990, mit Begleitmaterial. BArch, BW 2/27009, Fernschreiben Brüssel NATO an AA, Nr. 2028, 20.12.1990. Zur Belegung durch die USAF: BArch, BW 2/27010, Herrn Stabsabteilungsleiter Fü S II, Antrag der Türkei auf Aktivierung der AMF – Air, o.D. (eingegangen 21.12.1990). Weick, Die schwierige Balance, S. 177. Entsprechend lobten die Türken die drei europäischen Bündnispartner. BArch, BW 2/27009, II363.11.1 02, Drahtbericht Botschafter Maier, 2.1.1991, S. 2.

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massiven Gesichtsverlust erlitten, der möglicherweise zu nationalistischen Ausbrüchen geführt hätte. Wie bereits oben ausführlich beschrieben, hatte die seit 1970 von den USA betriebene Prioritätenverlagerung in den Golf erhebliche Auseinandersetzungen mit den Europäern nach sich gezogen. Das Bündnis diente aus Sicht Ankaras nicht zuletzt der Einhegung amerikanischer Kriegspolitik, auch mit Blick auf eine mögliche Destabilisierung durch ein Eingreifen des Iran. Der Kampf gegen Saddam Hussein sollte dadurch beileibe nicht verhindert werden, da der Diktator eine große Gefahr darstellte. Es sollte aber mit Blick auf die innenpolitischen Konflikte in der Türkei einer weiteren Ausdehnung des Konfliktes Einhalt geboten werden. Dies stand nicht unbedingt im Widerspruch zu den Interessen der Bundesrepublik und anderer Kontinentaleuropäer. Dass dadurch auch die Handlungsmöglichkeiten der AMF (A) und der deutschen Luftwaffe in diesem Rahmen erheblich eingeschränkt wurden, schien offensichtlich hinnehmbar. Aus deutscher Sicht kam die NATO um ein Engagement in der Südtürkei nicht herum, hatte aber das Krisenmanagement so zu gestalten, dass ein klares Signal der Abschreckung nach Bagdad und andere Hauptstädte der Region ging. Vielleicht sollte auch die Bündnissolidarität im globalen Rahmen demonstriert werden. Gleichzeitig hatte man eine direkte militärische Konfrontation mit dem Irak tunlichst zu vermeiden. Die NATO präsentierte sich, durchaus in Übereinstimmung mit dem Krisenmanagement im Kalten Krieg, als freiheitliches Bollwerk gegen Aggressoren, dies eher defensiv und stabilisierend. Dies mag den Amerikanern, die sich von den institutionellen Beschränkungen der NATO kaum in ihren Handlungen im Golf beeinflussen ließen, nicht gefallen haben, entsprach aber der gültigen Strategie der NATO, die bis November 1991 immer noch auf der MC 14/3 von 1968, d.h. der Flexible Response, basierte390. Im direkten Einklang damit stand die Verlegung der AMF (A)391. Wie man in Bonn positiv vermerkte, hatte die Regierung in Ankara sehr wohl registriert, dass die deutschen Alpha Jets mit voller Beladung eine maximale Reichweite von 350  km hatten und daher von ihrem Stützpunkt Erhac den Irak gar nicht erreichen konnten, auch weil eine Luftsperrzone eingerichtet worden war. Zumindest eine Abschreckung und ggf. eine Verteidigung gegen irakische Luftangriffe war dadurch möglich, ohne jedoch allzu aggressiv zu wirken. Insofern versuchte man das alte Dilemma, die dünne Linie zwischen Abschreckung und Provokation, zu umgehen. Dass die Alpha Jets eigentlich Bodenkampfflugzeuge für den »Close Air Support« und explizit keine Luftverteidigungsjäger waren, wurde nicht unbedingt herausgekehrt. Eigentlich hätten Phantom oder Tornados eingesetzt werden müssen392.

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Varwick, Die NATO, S. 86‑90. Im Dezember 1991 wurde die MC 14/3 dann endgültig durch eine neue Direktive ersetzt, die MC 400 (»Directive for Military Implementation of the Alliance’s Strategic Concept« vom 12.12.1991). Summit Guide, Lisbon Summit, 19./20.11.2010 . Zum Folgenden vgl. BArch, BW 2/27009, Fü S III 6, Antrag Türkischer Generalstab auf Aktivierung des Luftwaffenanteils der AMF, 19.12.1990. Indes irren manche Historiker, wenn sie behaupten, die Alpha Jets seien veraltet gewesen. Neitzel, Republik und Armee, S. 355.

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Daher war man in Bonn ganz froh, dass bei den Beratungen im DPC die Belgier die Rolle des Vorreiters bei der Einhegung der Einsatzoptionen übernahmen (daher auch die Unterstützung der Belgier für die deutsche Position393). In deren Windschatten fuhr Bonn einen restriktiven Kurs gegenüber den Bestrebungen der Amerikaner, sehr wohl wissend, dass in Washington und in London deswegen bereits Irritationen und sogar Mißstimmung aufgetreten waren394. Wegen der innenpolitischen Lage in der Bundesrepublik kam jedoch kein anderes Handeln in Betracht. Die Turbulenzen ließen trotz der deutschen Vorsicht in den NATO-Gremien dann auch nicht auf sich warten. Nachdem der Golfkrieg näher gerückt und die AMF  (A) ab 6.  Januar 1991 auch tatsächlich in die Südtürkei geschickt worden war395, stiegen die Zahlen der Kriegsdienstverweigerungen sprunghaft an; sie betrafen sogar die für die Südtürkei vorgesehenen Einsatzverbände. Mehr als 50 Angehörige der FlaRaKGrp 36, darunter neben Wehrpflichtigen auch drei Zeitsoldaten, verweigerten nachträglich den Kriegsdienst396. Zwar war die AMF (A) weniger betroffen, stand aber automatisch mit im Fokus397. Immerhin äußerten sich Piloten des deutschen AMF-Kontingents öffentlich in nachdenklichem Ton über den Einsatz. Der »Spiegel« zitierte wiederholt die »Angst« als vorherrschendes Gefühl in den deutschen Streitkräften und in den Wohnzimmern398. Gleichzeitig kam es zu heftigen politischen Debatten im deutschen Bundestag399. Die SPD, die sich wichtige Grundlagendokumente der NATO über die AMF in Kopie zusenden ließ (MC 137 und »Politische Direktive« vom 14. Oktober 1969 in der aktualisierten Fassung von 1979)400, übte Kritik an einem möglichen Einsatz der Bundeswehr 393 394 395 396

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BArch, BW 2/27009, II-363.11.1 02, Drahtbericht Botschafter Maier, 2.1.1991, S. 3. BArch, BW  2/27009, Fü  S  III  6 an StS Pfahls, Türkischer Antrag auf Entsendung des Luftwaffenanteils der Allied Command Europe Mobile Force (Air) in die Türkei, 28.12.1990, S. 3. Eine sehr gute »History« mit Vermerk für die Ingangsetzung der Rules of Engagement in: BArch, BW 2/27010, Fü S III 6, Ablauf/Datenfolge der Aktivierung der AMF – Air, Januar 1991. BArch, BW  1/345549, Fü  S  I  4, Anträge auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer (KDVAnträge), 7.2.1991, Anlage  1. Die Verweigerungen erfolgten fast ausschließlich vor der Verlegung in die Krisenregion. Diese erfolgte erst ab 15.2.1991. BArch, BW  1/345549, Fü  S  I  3, Truppeninformation Nr.  10 im Zusammenhang mit der Lage am Golf, 19.2.1991, S.  2. Dazu Stuttgarter Zeitung, 4.2.1991, »Erste Bundeswehrsoldaten in der Türkei ausgetauscht«. Beim JaboG 43 in Oldenburg waren es 4 Grundwehrdienstleistende, 1 Zeitsoldat und 3 beamtete Geophysiker, bei der ebenfalls in der Südtürkei eingesetzten FlaRakGrp 42 (Roland) waren es 11 Anträge, davon 1 Zeitsoldat. Öffentlichkeitswirksam wurde der Fall eines Grundwehrdienstleistenden auf dem Marineversorger »Coburg«, der seinen Antrag nach dem Auslaufen stellte und am 4.2. in Lissabon von Bord ging. Der Spiegel, 7/1991 (11.2.1991), Hauptthema »Sind die Deutschen Drückeberger?«, u.a. »Die friedfertige Armee. Flottillenadmiral Schmähling über den Auftrag der Bundeswehr«, S. 24 f. ; und Der Spiegel, 6/1991 (4.2.1991), »Die Deutschen an der Front«, S. 18‑22 ; Der Spiegel, 4/1991 (21.1.1991), »Der Himmel schließt sich«, S. 18‑20 . Zum Folgenden vgl. auch Weick, Die schwierige Balance, S. 172‑182. Beschluss des DPC vom selben Tage. Vgl. BArch, BW 2/27009, Fü S III 6, Darstellung der die Notwendigkeit eines Kabinettsbeschlusses auslösenden Faktoren, 2.1.1991; BArch, BW 2/27009, Fraktion der SPD (Erwin Horn) an StS Pfahls, 7.1.1991, mit Begleitmaterial. Zu den beiden NATO-Dokumenten im aktuellen Zusammenhang vgl. BArch, BW 2/27009, Fü S III 6 an AA und Bundeskanzleramt, Einsatzrichtlinien (Rules of Engagement, RoE) für die AMF (A), 5.1.1991, mit Weisung für DMV/MC-NATO für MC-Sitzung am 8.1.1991, Deutsche NATO-Vertretung für DPC-Sitzung am 8.1.1991, Betr.: Einsatzrichtlinien für die AMF (A).

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im Golf. Dabei spielte auch eine Rolle, dass die Amerikaner Kampfflugzeuge von türkischen Basen aus gegen den Irak einsetzten. Das Verteidigungsministerium konstatierte zwar, dass eine Zustimmung des Bundestages zu einem Einsatz, im Rahmen der NATOVerteidigung rein rechtlich gar nicht nötig sei, betrachtete es aber als politisch erforderlich, das Parlament einzubeziehen401. In der entscheidenden Debatte am 14. Januar 1991402 wurde die prekäre Lage der Bundesrepublik insofern deutlich, als gleichzeitig die Sowjetunion in Litauen in Verhaltensmuster des Kalten Krieges zurückfiel403 und eine Demonstration gewaltsam unter Einsatz von Panzern niederschlug. Der sogenannte Vilniusser Blutsonntag vom 13. Januar 1991 forderte zahlreiche Tote und Verletzte. Für Deutschland, wo noch Hunderttausende russische Soldaten standen, war dies eine bedenkliche Gemengelage. Die Situation in Litauen konnte keinesfalls unabhängig von den Ereignissen im Golf gesehen werden, da niemand wusste, wie die Sowjetunion reagieren würde. Dennoch war der Bundestag nicht bereit, sich in irgendeiner Weise erpressen zu lassen. Keine der Fraktionen zeigte sich geneigt, sich vom Zusammenfallen der Krisen unter Druck setzen zu lassen. Die Regierung stimmte dem Einsatz der AMF (A) zu, die CDU/CSU befürwortete sogar einen Einsatz außerhalb des Bündnisgebietes. Die SPD übte wiederum Kritik und blieb im Übrigen in der Presse mit allzu deutlichen Aussagen in Bezug auf die AMF vorsichtig, da die Regierung auch in der Presse betonte, dass die SPD in der Großen Koalition im Oktober 1969 der Politischen Richtlinie für die AMF im Bundeskabinett zugestimmt habe404. Die PDS verlangte den sofortigen Abzug aller deutschen Truppen und sämtlicher Gerätschaften aus der ganzen Region; sie argumentierte unter anderem damit, dass Kuwait auch kein freiheitliches Land sei405. Die Grünen lehnten den Einsatz ebenfalls ab und forderten, dass dem »Golfkrieg [...] massenhaft die Akzeptanz entzogen« werden und eine entsprechende Bürgerbewegung in Gang kommen müsse406. Grundlage für die jeweiligen Statements bildeten nach wie vor die politischen Verhaltensmuster aus der Zeit des Kalten Krieges, etwa die Hoffnung auf Schaffung einer Bewegung gegen den

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Deutlich dazu BArch, BW 2/27010, VR II 8 an Minister, Rechtsfragen zur Aktivierung der Allied Command Europe Mobile Force – Air und ihrer Verlegung in die Türkei, 4.1.1991, S. 1‑3, mit Begleitmaterial. Zum Folgenden vgl. grundsätzlich Deutscher Bundestag, Protokoll, 12. Wahlperiode, 2. Sitzung, 14.1.1991, S. 21‑43 . Inwieweit diese Ereignisse etwa auf den »Prager Frühling« zurückverwiesen oder bereits als Vorzeichen russischen Verhaltens in kommenden Konflikten zu erkennen sind (Tschetschenien, Ostukraine, Krim), kann hier nicht diskutiert werden. Dazu auch BArch, BW 2/27009, Pressemitteilung, o.D. In der entsprechenden Bundestagsdebatte vertraten die Sozialdemokraten (Zwischenruf u.a. von Hans-Jochen Vogel) allerdings die Ansicht, dass die genannten NATO-Direktiven den AMF-Einsatz in der Südtürkei nicht deckten. Deutscher Bundestag, Protokoll, 12. Wahlperiode, 2. Sitzung, 14.1.1991, S. 39 . Vgl. auch BArch, BW 1/345551, Bundestag, Stenografischer Dienst an BM Stoltenberg, vorl. Protokoll der Bundestagssitzung, 15.1.1991, S. 131 f. Deutscher Bundestag, Protokoll, 12. Wahlperiode, 2. Sitzung, 14.1.1991, S. 34 f. . Ebd., S. 37.

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NATO-Doppelbeschluss407. Die Entsendung der AMF wurde mit der Kanzlermehrheit genehmigt408. Die parlamentarische und außerparlamentarische Opposition im Bundestag äußerte massive Kritik und griff auch die Türkei und ihren Staatspräsidenten Özal an, was zusammen mit anderen Faktoren 1990/91 zu einer Belastung des deutsch-türkischen Verhältnisses führte409. Anlass für die Kritik an der Türkei waren die grundsätzlichen Probleme mit der innenpolitischen Lage in dem NATO-Partnerland, unter anderem an den Militärputschen und den der Türkei immer wieder unterstellten Großmachtträumen. Teile der Grünen riefen offen dazu auf, den Wehrdienst zu verweigern410 und drohten mit Verfassungsklage411, was umgekehrt zu Strafverfahren führte412. Der SPD-Abgeordnete und ehemalige Staatssekretär im BMVg Andreas von Bülow publizierte einen Musterbrief für Interessierte, um die Verweigerung einfacher zu gestalten413. Schließlich versuchte auch die Rote Armee Fraktion Kapital aus der Thematik zu schlagen. Auf die US-Botschaft in Bonn wurden am 13.  Februar etwa 60  Schuss aus einer automatischen Waffe abgegeben und ein Bekennerschreiben mit Bezug auf die USPolitik im Golf hinterlegt414. Die Debatte wurde in der Presse offensiv ausgetragen415. Die Skala reichte vom Vorwurf der Kriegstreiberei und des indirekten Imperialismus auf der linken Seite bis hin zu der Behauptung auf der rechten, dass eine Ablehnung des Einsatzes Verrat an der

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Die Reaktion vonseiten des BMVg zeigte indes entsprechend vergleichbare Argumentations- und Denkmuster, wie sie noch aus den achtziger Jahren stammten. BArch, BW 2/27010, Fü S III 1, Militärpolitische Gesamtlage Golf-Konflikt (Hintergrundinformation), Januar 1991, S. 3. Ebd., S. 42. Genscher, Erinnerungen, S. 909 f. So etwa in Hamburg. BArch, BW 1/345549, Brief Hans-Dieter Wülfken an Bundesminister der Verteidigung, Wehrdienstverweigerung und Aufrufe zur Desertion, 7.2.1991. BArch, BW 1/345549, VR II, Rechtsfragen AMF und Verfassungsauftrag Bundeswehr, 14.1.1991. Auch aus der SPD wurden entsprechende Forderungen gestellt. Klagen wurden dann aber nicht eingereicht, da sie offenkundig von vornherein ohne Chance waren. Vgl. Deutscher Bundestag, Verfassungsklagen aus dem Deutschen Bundestag . Dazu auch Deutscher Bundestag, Protokoll, 12.  Wahlperiode, 2. Sitzung, 14.1.1991, S. 29 (Rede Dr. Bötsch). Vgl. dazu auch FAZ, 2.2.1991, »Bündnisfall gilt automatisch – Scholz: Der Bundestag hat kein Recht auf Entscheidung«; und Welt am Sonntag, 3.2.1991, »Kinkel: Entscheidung über Bündnisfall ist Sache der Regierung«. Weitere Diskussionen und Initiativen, so etwa mit Blick auf eine Änderung der Verfassung, können an dieser Stelle nicht beleuchtet werden. Sie müssen einer speziellen Studie über die verfassungsrechtlichen Aspekte der Eingeschichte ab 1990 vorbehalten bleiben. Vgl. einstweilen Armee im Einsatz, S. 119‑162; sowie Schröder, Das parlamentarische Zustimmungsverfahren. Deutscher Bundestag, Protokoll, 12. Wahlperiode, 2. Sitzung, 14.1.1991, S. 35 und S. 39 . Stuttgarter Nachrichten, 29.1.1991. BArch, BW 1/345549, Fü S I 3, Truppeninformation Nr. 9 zur Lage am Golf, 14.2.1991, S. 3. Nach Bewertung des Bundeskriminalamtes steckte tatsächlich die RAF hinter dem Anschlag, die offensichtlich ein betont moderates Signal ohne Menschenverluste setzen wollte, um die angeblich existente Einheitsfront mit der Protestbewegung gegen den Golfkrieg nicht zu gefährden. BArch, BW 1/345550, Fü S II 6, Militärische Sicherheitslage vom 15.2.1991. Miguel Sanches, »Beim Bündnisfall scheiden sich die Geister«, Neue Ruhr Zeitung, 29.1.1991.

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eigenen Verteidigung und den Interessen der Bundesrepublik sei. Sogar in der seriösen Presse wurde der Vorwurf der ›Weichheit‹ und unverantwortlicher Verweigerung laut. Gleichzeitig wurde kritisiert, wie wenig die Bundeswehr und Deutschland insgesamt militärisch, politisch und moralisch für globale Einsätze vorbereitet seien416. Höchste Militärs betonten, dass die Bundeswehr weiterhin in dem Grundparadoxon des Kalten Krieges gefangen sei. Das rational letztlich nicht auflösbare Beharren, eine massive und teure Streitmacht vornehmlich aus dem Grund vorzuhalten, um sie gerade nicht einzusetzen, wirkte über den Kalten Krieg hinaus417. Entsprechend der politischen Auseinandersetzung verhielten sich auch die Kriegsdienstverweigerer und Kritiker aus den Reihen der Wehrpflichtigen selbst. Es wurden Briefe an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages und an das Verteidigungsministerium geschickt, in denen Ablehnung gegenüber dem Golfkrieg geäußert wurde418. Teils bekannten sich die Absender deutlich zur Landesverteidigung und zur Abwehr etwa gegen Gefahren aus dem Osten, lehnten aber jeglichen Dienst in der Bundeswehr darüber hinaus ab. Rechtlich gesehen hatte letztere Haltung keinen Bestand. Wie die Rechtsabteilung des Bundesverteidigungsministeriums deutlich machte, gab es für Soldaten keinen Setzkasten, aus dem die Pflichten ausgewählt werden konnten. Gemäß §  7 und §  9 des Soldatengesetzes muss ein Soldat seinen Dienst verrichten, solange die Verfassung gewahrt bleibt, was im Falle des AMF-Einsatzes gewährleistet war (Bündnisverteidigung in der Südtürkei)419. Am Ende galt für die Betroffenen unmissverständlich: entweder Kriegsverweigerung oder Dienst in der Bundeswehr. Letzteres blieb bei den meisten Wehrpflichtigen, soweit sie nicht schon zuvor grundsätzlich den Kriegsdienst verweigert hatten, einstweilen Standard, trotz allen Getöses in den Medien. Die Zahl der Verweigerungen hielt sich bis zum Ende des AMF-Einsatzes im März 1991 in sehr engen Grenzen420. Ferner erhielt die Bundeswehr zahlreiche Anfragen zur Ableistung freiwilligen Wehrdienstes im Krisengebiet421. 416

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Vgl. hier etwa einen Artikel der »Zeit«, die offensichtlich zumindest teilweise in Erinnerung an den legendären »Spiegel«-Text (»Bedingt abwehrbereit«) sehr kritisch über mögliche globale Einsätze der Bundeswehr urteilte. Frank Drieschner, Thomas Kleine-Brockhoff und Ulrich Stock, »Eine Armee zum Schießen, Die Bundeswehr – heute in Deutschland und morgen in der ganzen Welt«, Die Zeit, 9/1991 (22.2.1991). Dazu auch Genscher, Erinnerungen, S.  908  f. Es ergaben sich indes bereits perspektivische Ausweitungen mit Zielrichtung auf globale Einsätze. Ein wohl richtungweisendes Dokument hier in BArch, BW 2/27010, Fü S III 6, Besprechung mit GM Dr. Reinhard zur Vorbereitung MFR 5.10., 2.10.1990. Vgl. dazu die entsprechenden Schreiben (1990/91) in BArch, BW 1/345549. BArch, BW  1/345549, VR  I  1, Rechte und Pflichten der Soldaten, hier: »Bedingte einseitige Kündigung« des Treueverhältnisses durch Reservisten, 6.2.1991. BArch, BW 1/345549, Fü S I 3, Truppeninformationen Nr. 8 im Zusammenhang mit der Lage am Golf, 12.2.1991; und ebd., BArch, BW  1/345549, Fü  S  I  4, Anträge auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer (KDV-Anträge), 7.2.1991, Anlage  3. Bis Ende Januar 1991 hatten 994 aktive Soldaten und 9256 Reservisten einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung gestellt. Die Entwicklung dieser Thematik nach dem Ende des Einsatzes der AMF (A) kann hier nicht beleuchtet werden. BW  2/27010, P  II  3, Ableistung von Wehrübungen im Rahmen der AMF-Kontingente in der Türkei, 4.2.1991, mit Begleitmaterial.

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Doch diese Tatsache änderte nichts an der grundsätzlich negativen Wirkung nach außen. Der außenpolitische Schaden war enorm422. Im Ausland, vor allem in Großbritannien, traten konservative Kräfte an die Öffentlichkeit und warfen den Deutschen kollektiv Feigheit vor423. Eine zu weiche Haltung zum Einsatz der AMF kritisierte grundsätzlich auch die deutsche konservative Presse, ohne jedoch die Deutschen pauschal zu verurteilen und die deutschen Soldaten direkt zu beleidigen424. Das, was schon im DPC angeklungen war – Kritik an angeblich mangelnder Solidarität und fehlendem Engagement für das Bündnis – und bei den Übungen der AMF, beispielsweise bei den Problemen mit Griechenland, zutage getreten war, wiederholte sich nun: das Spannungsverhältnis zwischen Bündnissolidarität und (innen-)politischen Widerständen. Dabei spielten die ›Normalisierung‹ deutscher Beteiligung, wie sie gerade die AMF (Einsatz in Norwegen, erster deutscher Kommandeur) verkörperte, und die zunehmende Bedeutung der Bundesrepublik eine große Rolle.

»Aufgrund des gewachsenen Gewichts der Bundesrepublik Deutschland und der Ankündigung der Bundesregierungen wird die Erwartungshaltung gegenüber Deutschland zunehmend größer werden. Die Umsetzungsbereitschaft zur Übernahme von mehr tatsächlicher Verantwortung für den Erhalt von Frieden und Stabilität wird, unabhängig von der Form der Konfliktregelung, insbesondere bei den großen Verbündeten, mit starker Aufmerksamkeit verfolgt werden425.«

Die Außenpolitik Hans-Dietrich Genschers verschärfte die Kritik noch. Genscher hatte sich geweigert, den von Saddam Hussein besonders bedrohten Israelis Truppen oder wenigstens Kriegsgerät zur Verfügung zu stellen, und stattdessen vor allem Finanzmittel angeboten. Diese als »Scheckbuchdiplomatie« in die Geschichte eingegangene Politik kam ebenfalls unter Beschuss426. Es entstand der Eindruck, dass die Deutschen mit ihren wirtschaftlichen Erfolgen eher zur Handelsnation geworden waren und militärische Aufgaben lieber ihren Verbündeten überließen427. Die Herausforderungen hinsichtlich der Bündnissolidarität und deren Propagierung vor dem Hintergrund der nationalen Interessen und der innenpolitischen Konflikte hat422 423

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Dazu Miguel Sanches, »Beim Bündnisfall scheiden sich die Geister«, Neue Ruhr Zeitung, 29.1.1991. Stephen Kinzer, »War in the Gulf: Germans to give $ 5.5 Billion more«, New York Times, 30.1.1991, . Dazu auch Michael J. Inacker, »Eine starke Truppe, in Watte gepackt?«, Rheinischer Merkur/Christ und Welt, Nr. 7, 15.2.1991. Schon im Vorfeld: Süddeutsche Zeitung, 23.8.1990, »Drückebergerei und Staatsräson«. Vgl. dazu auch Die Welt, 23.2.1991, »Ein Nachspiel zu Stoltenbergs Türkei-Reise«. Der Verteidigungsminister war bei seinem Truppenbesuch mit »undiszipliniertem Verhalten« der Soldaten und kritischen Fragen konfrontiert worden. Schon zuvor hatten offenbar jüngere Generale die »Weinerlichkeit« der Truppe beklagt. Vgl. generell auch BArch, BW 1/345550, Chef des Stabes Fü S, Protokoll, Gemeinsame Lagefeststellung FüB Fü S/Fü TSK am 18.2.1991, S. 2. BArch, BW  2/27010, Fü  S  III  1, Militärpolitische Gesamtlage Golf-Konflikt (Hintergrundinformation), Januar 1991, S. 3. (Hervorhebung Bernd Lemke) Der Spiegel, 6/1991 (4.2.1991), »Die Deutschen an der Front«, S. 18‑22 . Die finanziellen und sonstigen Leistungen im Rahmen der deutschen Hilfe für die NATO und andere Staaten sowie Organisationen und Menschen bei Genscher, Erinnerungen, S. 911‑926. Heumann, Hans-Dietrich Genscher, S. 288 f.

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ten sich zumindest in Deutschland428 beim ersten Einsatz der AMF nicht nur perpetuiert, sondern teils verschärft. Die öffentliche Debatte, vor allem die negative Reaktion angesichts des deutschen Verhaltens bei den Bündnispartnern, wirkte sich negativ auf den eigentlichen Abschreckungsauftrag aus. Der Gegner, in diesem Falle Saddam Hussein, musste den Eindruck gewinnen, dass von der Bundesrepublik nicht unbedingt harter Widerstand gegen offensives oder gar aggressives Ausgreifen zu erwarten war429. Nach wie vor schwelten intern wie auch öffentlich die Auseinandersetzungen in der NATO um die Bedeutung des Golfs für die gemeinsame Strategie. Die Gräben, wie sie sich innerhalb der NATO bereits seit 1970 angesichts der amerikanischen Versuche, die Golfregion in den WINTEX-Übungen zu verankern430, aufgetan hatten, bestanden de facto fort, wenn auch offiziell Solidarität geübt wurde. Ein Beispiel hierfür ist die Sorge der türkischen Regierung, sie könne aufgrund der Absichten der USA direkt in den militärischen Konflikt hineingezogen werden . Überdies war der Kalte Krieg noch keineswegs überwunden, die Rote Armee stand noch in Deutschland und die deutsche Wiedervereinigung war offiziell noch gar nicht vollzogen. Am Ende jedoch wurden die AMF (A) und ihre deutschen Bestandteile entsandt – historischer Auftakt für die Auslandseinsätze der Bundeswehr bis heute. Wie lief der Einsatz im Golf nun konkret ab? Nachdem das Defence Planning Committee die nötigen Formelkompromisse erreicht hatte und die Vorbereitungen abgeschlossen worden waren, erging die »Activation Order« von SACEUR und die Verlegung begann (»Operation Attic Front«)431. Da die Briten und die Amerikaner ihre Verbände bereits im Golf aufgefahren hatten, traten andere Bündnispartner in die Pflicht. Es wurden stationiert: – eine Staffel Alpha Jet (2./JaboG 43 Oldenburg), – eine Staffel F-104 (Italien) und – eine Staffel Mirage 5 (Belgien). Die deutsche Staffel traf am 8.  Januar 1991 in Erhac ein432. Der Einsatz verlief im Wesentlichen erfolgreich, obwohl die Diskussionen und Meinungsverschiedenheiten über den Charakter der Mission und das militärische Vorgehen weiterbestanden. Die Staffeln begannen rasch mit umfangreichen Übungsflügen, dem wesentlichen Element der beabsichtigten Abschreckung. Dabei wurde durchaus nicht nur auf den demonstrativen Effekt geachtet, sondern auch weiter ausgebildet. Man übte auch Bodenangriffe, obwohl dies ausdrücklich nicht zum Abschreckungsauftrag gehörte. Die Schwierigkeiten waren dann anderer Art: Das Wetter war derart widrig, dass die Einsätze abgesagt werden mussten. Zudem brachte es die Einrichtung der 40-km-Sicher428 429 430 431

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Dringend nötig wäre eine komparatistische Untersuchung des Einsatzes der AMF  (A) in der Südtürkei für alle Partnerländer, insbesondere auch für Großbritannien. Genauere Aussagen sind hier nicht möglich. Dazu oben Kap. III.2. BArch, BW 2/27009, FS Kommando 3. LWDiv. An Fü S III 6, Aktivierung und Verlegung der ACE Mobile Force (Air), 4.1.1991 mit Anlage »Operational Guidance for AMF (A) (Operation Attic Front)«. Der entsprechende Operationsplan der zuständigen 6. ATAF lautete »Dusty Felt«. Zum Folgenden vgl. grundsätzlich und wo nicht anders belegt die Lageberichte in BArch, BW 2/21913, zum Beispiel Kommando JaboG 43, Erhac an Fü L III, Lagebericht, hier 20.1.1991, 21.1.1991.

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heitszone mit sich, dass die NATO-Verbände von der defizitären irakischen Luftabwehr bestenfalls gerade noch erfasst werden konnten. Bei weiterem Ausschwenken nach Norden verschwanden die NATO-Flugzeuge von den irakischen Bildschirmen. Damit griff das, was die AMF seit ihrem Bestehen in der strategischen Debatte immer wieder in die Diskussion gebracht hatte und eine grundlegende Imponderabilie darstellte. Auf der einen Seite befürchteten Politiker und Diplomaten eine Eskalation mit unabsehbaren Folgen – Gefahren, die heute, wenn auch in anderer Form (Syrien), immer noch bestehen. Auf der anderen Seite kann man nicht abschrecken, wenn man sich nicht bemerkbar macht. Es ging weiterhin und immer wieder um eine Gratwanderung zwischen Abschreckung des Gegners und der Angst vor der eigenen Courage, hier insbesondere der Sorge vor ungewollter Eskalation. Die konkreten Dienstbedingungen der Soldaten gestalteten sich anfangs schwierig. Der logistische Apparat musste aufgebaut werden, was sich wegen der großen Entfernungen schwierig gestaltete. Die Truppe beklagte sich auch über die mangelnde Unterstützung durch die Türken. Man hatte standardmäßig eine Übereinkunft in Form eines »Memorandum of Unterstanding« getroffen, mit dem sich Ankara offziell verpflichtet hatte, Logistik und Nachschub an Massenverbrauchsgütern zu liefern. Die Türken hatten den Aufwand offenbar unterschätzt und kamen ihren Verpflichtungen nur zum Teil nach433. Versuche der deutschen Diplomatie vor Ort, hier Abhilfe zu schaffen, erbrachten nur mäßige Erfolge. Vieles musste auf den langen Transportwegen aus Deutschland herangeschafft werden. Der Kommandeur der deutschen Truppe, ein Oberstleutnant, hatte zudem alle Hände voll zu tun, Vertreter der Öffentlichkeit und der Politik in Empfang zu nehmen. Neben dem türkischen Präsidenten Özal erschienen unter anderem der SACEUR, General John R. Galvin, Verteidigungsminister Gerhard Stoltenberg, der Wehrbeauftragte Alfred Biehle und andere Prominenz. Die Presse wurde ebenfalls aktiv und verursachte erhebliche Mehrarbeit und Probleme. Ein TV-Team des Saarländischen Rundfunks drang ohne Erlaubnis in Unterkünfte ein und führte Interviews. Erst nach einer förmlichen Unterlassungserklärung durfte das Team weiterdrehen. Die Krise dauerte nur kurze Zeit, da die irakischen Streitkräfte durch die Kampfverbände der Koalition im Golf rasch geschlagen wurden. Die AMF begann nach einer Entscheidung des DPC vom 6.  März mit dem Rückzug434. Auf den Punkt gebracht könnte man sagen: Der erste ›scharfe‹ Einsatz deutscher Kampfverbände war eine holperige, aber letztlich gelungene Premiere.

433

434

Diese Defizite hatten bereits im Kalten Krieg bestanden. Die Verpflegung war für mitteleuropäische Mägen ungewohnt, qualitativ manchmal auch minderwertig. Ferner gab es Probleme mit der Hygiene, was u.a. zu Durchfallerkrankungen führte. Die Truppe behalf sich mit dem Bau künstlicher Brunnen bzw. Stauanlagen. Als problematisch erwiesen sich auch die großen Temperaturschwankungen zwischen Tag und Nacht, auch in der warmen Jahreszeit (zwischen 30 und 0°C). Zeitzeugeninterview mit OStFw a.D. Rolf Wambach, Weitersburg, 10.11.2014. Kopie im ZMSBw, S. 2. Archiv B.L. BArch, BW  2/27009, BMVg, Telegramm an Verteiler, 7.3.1991, Rückverlegung des deutschen Anteils der AMF (A) und der Luftverteidigungs-/Unterstützungskräfte in der Türkei.

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IV. Das militärische Instrument

Organisation AMF, Stand: März 1990 HQ AMF (L) HEADQUARTERS xx US

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FORCE TROOPS

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UK

1.

2.

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5.

Zweitfunktion

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Bemerkungen: 1. Die Hubschraubereinheit besteht aus 8 (GE) UH-1D und 4 (UK) Puma. 2. Die Sanitätskompanie wird im Norden durch GE, im Süden durch IT gestellt. 3. Das BE Kontingent ist nicht für Wintereinsatz im Gebiet N-1 (Nordnorwegen) verfügbar. 4. Nach Verlegung werden die »National Support Elements« (NSE) in das (UK) I Support Btl eingegliedert - (OPCON). 5. Truppenteile in Zweitfunktion werden nur dann eingesetzt, wenn die ursprünglich Eingeplanten nicht verfügbar sind. 6. Nur für Einsatzgebiet N-2 (Dänische Inseln). 7. Nur für Einsatzgebiet N-1 (Nordnorwegen). 8. Im Winter nicht für Einsatzgebiet S-5 (Osttürkei). Quelle: BArch, Bw 2/27008, FüS III 6, AMF-Übung »Alert Express 91«, Observer Day (15.3.1991), 2.11.1990, Anl. 4.

© ZMSBw

07318-08

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© ZMSBw 07319-08

NOTE 2

NOTE 1

NOTE 1. HQ provided by UK NOTE 2. In contingency Areas supported by a Host Nation Support Unit (HNSU)

Quelle: BArch, Bw 1/419649, 1505.1/MfJGS/99, CIS Concept in Support of ACE IRF (L) (ACE Mobile Force [Land]), 22.5.1999, Anm. B.

MP

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RADIO

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AMF (L)

X

Allied Command Europe Mobile Force (Land), AMF (L) Force Pool (1. Januar 1997)

IV. Das militärische Instrument 299

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IV. Das militärische Instrument

b) Das Ende der AMF 1991‑2002 In der Folge begannen sich die Strategie der NATO und das Kriegsbild zu wandeln, ohne dass die AMF offiziell infrage gestellt wurde. Im Gegenteil, sie erfuhr zunächst weitere Aufwertung. Es wurden weiterhin Übungen abgehalten, wie etwa »Arctic Express« im Jahre 1994. Die Soldaten wurden dabei mit neuen Situationen konfrontiert, die erst einmal bewältigt werden wollten. Dazu gehörte insbesondere die Anwesenheit russischer Manöverbeobachter, die gemäß den Bestimmungen der KSZE/OSZE zugelassen wurden435. Mancher Angehöriger der AMF, der in den achtziger Jahren unter unmittelbarer Beobachtung des sowjetischen Gegners in der Osttürkei in Sichtweite des Kaukasus geübt hatte, musste sich erst einmal an den Anblick des früheren Gegners gewöhnen, wenn dieser auch nicht mehr mit Kanonen und Gewehren bewaffnet war, sondern mit Notizblock und Kamera. Mitte der neunziger Jahre setzte dann die Endphase ihrer Geschichte ein, in Gang gesetzt durch die Entwicklung der NATO-Strategie nach 1990 in Verbindung mit den einschneidenden Veränderungen in der Kommandostruktur des Bündnisses. Die Strategiepapiere von 1991, 1999 und 2006 und der Einsatz der NATO-Streitkräfte im Rahmen der Operation »Allied Force« gegen Jugoslawien sind Marksteine auf dem Weg der Ausweitung des Auftrages und auch der Einsatzgebiete436. Die entscheidende Zäsur ereignete sich zwischen 1991 und 1999. Der Ost-West-Konflikt, der im strategischen Konzept von 1991 noch deutliche Spuren hinterlassen hatte, trat nach der Osterweiterung der NATO in den Hintergrund und machte einer globalen Perspektive Platz. Das, was schon Anfang der siebziger Jahre mit der AMF geplant gewesen war, dann aber stecken blieb, fand nun endgültig statt: die umfassende Flexibilisierung sämtlicher NATO-Stäbe und -Verbände. Die alten, statisch auf die Vorneverteidigung in Europa ausgerichteten Einheiten wurden weitgehend aufgelöst oder radikal umgestaltet. Als neues zentrales Element entstanden Krisenreaktionskräfte, die schnell an alle Brennpunkte der Welt geschickt werden konnten. Die AMF hatte trotz aller Neuerungen seit 1990 im Grundsatz ihre alte Gestalt aus dem Kalten Krieg behalten. Dies wurde nun auch wegen des geografisch begrenzten Einsatzprofils im Kalten Krieg (Flanken) für Fortschritte hinderlich. Als entscheidend sollte sich erweisen, dass im Laufe der neunziger Jahre die Bereitschaft verschiedener NATO-Partner zur Bereitstellung der nötigen Ressourcen nachließ437. Dies wirkte sich desaströs aus, weil die zentralen Komponenten der AMF (Fernmeldeeinrichtungen, Stab, Helikoptereinheit und vor allem logistische Einheiten) multilateral organisiert waren, d.h. der Rückzug einer wichtigen zentralen Komponente die Truppe als Ganzes lähmte. Die sonst so auf den Zusammenhalt bedachten Briten legten schon Anfang der neunziger Jahre wegen des strategischen Prioritätenwandels und 435

436 437

Zeitzeugeninterview mit OStFw  a.D. Rolf Wambach, Weitersburg, 10.11.2014, S.  4. Kopie im ZMSBw, Archiv B.L. Russiche Inspekteure waren im Rahmen der Vertrauensbildenden Maßnahmen der KSZE bereits Ende der achtziger Jahre bei AMF-Übungen tätig (siehe Bildteil). Varwick, Die NATO, Kap.  II.2, II.3, V.2 und V.3. Vgl. dazu auch Kriemann, Germany’s Paticipation. Zum Folgenden Zeitzeugeninterview mit General a.D. Carstens, 15.8.2012, S. 5.

IV. Das militärische Instrument

301

der nach wie vor knappen Finanzen Zurückhaltung an den Tag. Da die AMF über keine Redundanzen bzw. Ersatzkapazitäten verfügte, bedeutete dies einen mehr oder weniger schleichenden Tod. Weitere Faktoren bildeten in diesem Zusammenhang die Innovationen in der Informationstechnologie, was vor dem Hintergrund bestehender organisatorischer Schwerfälligkeiten und Schwachpunkte der AMF zusätzliches Gewicht bekam. Die NATO hatte begonnen, ihre taktischen und strategischen Einsatzprinzipien an die neuen Computer-, Kommunikations- und Satellitentechnologien anzupassen und dazu das Konzept der Network Centric Operations (NCO) entworfen438. Anstatt der bisherigen, an statisch-hierarchischen Grundsätzen ausgerichteten Verfahren, d.h. der Festlegung von mehr oder weniger allein zuständigen Kommunikationseinheiten für eine Ebene oder Aufgabe, wurde nun ein modulares, netzwerkorientiertes System eingeführt, das viel stärker auf horizontaler Informationsteilung und auf Austausch basierte. Gerade für mobile Einsatzverbände wie die AMF wurde dies als essenziell betrachtet. Daher startete die NATO unter der Bezeichnung »Immediate Task Force (Land)« (IRTF L), ein umfangreiches Versuchsprogramm, das man direkt auf die AMF (L) anwandte. Die Ergebnisse zeigten den überragenden Wert der neuen Technologien, bedeuteten aber gleichzeitig das Aus für die AMF. Zudem traten wieder die alten Abstimmungsschwierigkeiten infolge des Multilateralitätsprinzips zutage. Im Kalten Krieg verfügte die AMF außerhalb von ›Einsätzen‹ für die Landkomponente nur über ein minimal besetztes Hauptquartier und über keinen Führungsstab für die Luftkomponente. Bei Übungen mussten die Kommandostellen teils mit Reservisten aufgefüllt werden, die oftmals nur unzureichende Fähigkeiten mitbrachten, auch im sprachlichen Bereich. Zugleich verfügte die AMF im Wesentlichen über veraltete Kommunikationseinrichtungen und Meldewege. Eines der Hauptziele, die Verschlankung, Dynamisierung und vor allem Reduzierung der Strukturen bei gleichzeitig gesteigerter Leistungsfähigkeit, war so nicht zu bewerkstelligen. Die NATO entschied sich für einen kompletten Neuanfang. Es erwies sich als wesentlich kostengünstiger, eine vollkommen neue, von vornherein in das flexible Gesamtkonzept der NATO integrierte Truppe zu schaffen. Die AMF (L) als »stand alone«-Verband wurde daher durch einen formalen Beschluss des Defence Planning Committee vom 12. August 2002439 aufgelöst und nachfolgend durch die NATO Response Force (NRF) ersetzt440. Die eher starren Strukturen des Kalten Krieges gehörten nunmehr trotz aller sich schon seit 1970 abzeichnenden Dynamisierung endgültig der Vergangenheit an. 438

439 440

Zum Folgenden vgl. grundsätzlich DOD, Network Centric Operations (NCO) Case Study, Abridged Report, Version  1.0 . Vgl. auch Lambert, Analysis and Evolution. Dazu SHAPEArchiv, WP.PX/61/2001, NATO Concept Development & Experimentation (CDE), Evaluation oft he IRTF (L) C2 Concept, Dezember 2001, mit Begleitmaterial. Vgl. auch BArch, BW 1/419649, 1505.1/MFG6S/99, CIS Concept in Support of ACE IRF (L) (ACE Mobile Force [Land]), 22.5.1999, mit Begleitmaterial. und SHAPE-Archiv, MCM-072-02, SecGen, Dissolution of NATO’s ACE Mobile Force (Land), 31.5.2002. Zur NRF einleitend Bialos/Koehl, The NATO Response Force; und Kugler, The NATO Response Force.

V. Fazit

Am Beispiel der Allied Mobile Force lassen sich nicht nur das Grundverständnis, die innere Funktionsweise der NATO und ihre Probleme pointiert aufzeigen. Sie spiegelt auch den Sinn und die Beschränkungen der Flexible Response wieder und zeigt im wahrsten Sinn des Wortes die Grenzen der Allianz im Kalten Krieg und darüber hinaus auf. Die Geschichte der AMF als militärischer Truppenverband der NATO wäre für sich genommen sicherlich nur von bescheidenem Interesse. Der Einsatz von je drei Bataillonen und je drei Staffeln Jagdbombern – Letztere hatten noch nicht einmal ein eigenes Hauptquarter – an den äußersten Punkten der ohnehin nur schwach verteidigten Flanken glich angesichts der geballten gepanzerten und nuklearen Kräftekonzentration in Deutschland eher einem Pfeil mit bunten Federn im Wind. Einmal abgeschossen, würde er dort, wo er auftraf, kurz zu sehen sein, er stand allerdings in Gefahr, rasch zerbrochen oder überritten zu werden. Trotz aller Informationen, die für eine solche Truppe in den reichlich überlieferten Quellen vorhanden sind, wäre eine ausführliche historiografische Studie nur schwer zu rechtfertigen, wenn die AMF nicht eine markante Bedeutung für die Grundprinzipien und das Funktionieren der Allianz aufwiese. Überhaupt sind ›reine‹ Truppengeschichten für die Geschichtswissenschaft nur von bedingtem Interesse, sie dienen eher quasi als Puzzleteil und als Hintergrundwissen. Das gleiche gilt für die Operationsgeschichte, die ohne methodische Flankierung und Kontextualisierung mittels geschichtswissenschaftlicher Fragestellungen eher die Aufgabe militärischer Stäbe ist. Für den Historiker interessanter wäre die Einordnung der AMF in diachrone und vergleichende Zusammenhänge, also etwa die komparatistische Aufarbeitung mobiler Einsatzverbände1 oder die Erforschung solcher Verbände im Rahmen der Koalitionskriegführung in Raum und Zeit, beispielsweise in Form des Vergleichs mit den entsprechenden im Krimkrieg oder im Boxeraufstand eingesetzten Einheiten2. 1 2

Vgl. dazu Lemke, Strategische Mobilität im Kalten Krieg. Vgl. dazu Kuß, Deutsches Militär auf kolonialen Kriegsschauplätzen, S.  49. Kuß spricht im Zusammenhang mit den Ereignissen 1900/1901 von der »ersten internationalen Eingreiftruppe überhaupt«. Dies mag vielleicht etwas pointiert formuliert sein. Außerdem wäre bei einem Vergleich Vorsicht geboten, da die Rahmenbedingungen dieser Zeit und die Einordnung der internationalen Truppe Gegenteiliges zutage treten lassen (Colmar von der Goltz, Deutsches Kontinengent als Vorübung für Angriff gegen das britische Weltreich). Vgl. dazu Lemke, Globaler Krieg. Eine weitere Möglichkeit zur diachronen Einordnung der AMF wäre ein Vergleich mit leichten Verbänden im Rahmen von Aufklärungs- und Ablenkungsmanövern, etwa im »Kleinen Krieg«. Derlei wäre zu prüfen, müsste aber ebenfalls eindeutig über die reine Truppen- bzw. Operationsgeschichte hinausgehen.

304

V. Fazit

Der eigentliche Wert der AMF für eine historiografische Studie geht aus ihrem Charakter als herausgehobener Solidarverband und als bewusste Manifestation der Grundlagen der NATO hervor. In diesem Rahmen sind vor allem drei Themenkreise von Relevanz: 1. die AMF als historischer ›Lackmustest‹ für den inneren Zustand der NATO und die Wirksamkeit ihrer zivilen und militärischen Instrumente im Rahmen der Abschreckung bzw. des Krisenmanagements, darüber hinaus die Realisierungsfähigkeit der Flexible Response und des »Limited War«, hier insbesondere der »Direct Defence«; 2. die AMF als Indikator für die politisch-militärischen Integrations- und Kohäsionskräfte, vor allem in Bezug auf die Situation der Flankenstaaten, und ferner für die besonderen Verhältnisse der Bundesrepublik vor dem Hintergrund historischer Lasten; 3. die Funktion der Truppe über die Epochengrenzen hinweg, zuvorderst hinsichtlich der Zeitenwende von 1990. Die AMF stellt ein militärisches Brückenphänomen und eine Folie für aktuelle Verhältnisse und Herausforderungen dar3. Erstens: Da die Existenzberechtigung der Allied Mobile Force in entscheidendem Maße von ihrem Charakter als herausgehobene Solidartruppe abhing, bietet ihre Geschichte einen sehr guten Einblick in den Zustand des Bündniszusammenhaltes. Es konnte gezeigt werden, dass in demokratischen Bündnissen eine klare und in der Öffentlichkeit wahrnehmbare Dichotomie zwischen der Meinungsfreiheit innerhalb der beteiligten Gesellschaften, der Wahrung der nationalen Interessen und der für militärische Allianzen unabdingbaren Demonstration von Stärke bestand. Die dabei auftretenden Widersprüche gerade dieser Dichotomie stellten ein erhebliches politisch-strategisches Glaubwürdigkeitsproblem dar, gerade angesichts der besonderen Verhältnisse und Erfordernisse im Kalten Krieg. Wohl kaum zuvor in der Geschichte war es über einen derart langen Zeitraum hinweg nötig, Standhaftigkeit gegenüber den Gefahren totaler Vernichtung zu demonstrieren. Dabei spielten die in den westlichen Demokratien allenthalben präsenten und zumeist kritischen Medien eine wesentliche Rolle. Man musste nicht nur den potenziellen Gegner, sondern auch die eigene Öffentlichkeit von der eigenen Stärke und der Redlichkeit der selbst gesteckten Ziele überzeugen – keine einfache Aufgabe. Zu den vorrangigen Themen in diesem Zusammenhang zählten die Finanzierung und die Lastenteilung; ein Aspekt, der sich durch fast alle militärisch bedeutsamen Themen zieht. Immerhin gelang es den Beteiligten, nach einer lange Jahre währenden Konfliktphase bis etwa Ende der sechziger Jahre einen dauerhaften Konsens zu schaffen, der dann nicht mehr grundsätzlich infrage gestellt wurde. Die strategische Bedeutung der AMF entwickelte sich entlang der Diskussion um die Bedeutung der Flanken im Verhältnis zum Mittelabschnitt. Zwar erfuhren jene im Zuge der Flexible Response eine relative Aufwertung, jedoch führte dies nicht zu einer wirklichen Prioritätenverschiebung. Es war insbesondere für Bonn überhaupt nicht vorstellbar, größere Kampfverbände aus Deutschland abzuziehen. Für die AMF lieferte dies einerseits die Existenzberechtigung, da sie im Falle der Umwidmung ganzer Brigaden an 3

Dazu zählen auch persönliche Schicksale, wie das des Majors Thomas Tholi, der seinerzeit in der AMF geübt hatte und dann im Einsatz in Afghanistan getötet wurde. Zeitzeugeninterview mit OStFw a.D. Rolf Wambach, Weitersburg, 10.11.2014, S. 4 (Kopie im ZMSBw, Archiv B.L.).

V. Fazit

305

die Flanken sicher nicht in der Form weiterexistiert hätte, andererseits blieb die Truppe immer ein Demonstrationsverband mit begrenzter militärischer Bedeutung. Als dann seit Anfang der 1970er Jahre die Amerikaner sich immer stärker auf die Golfregion konzentrierten und damit heftige Diskussionen in der NATO auslösten, litt genau das, was die AMF eigentlich verkörpern sollte: die Bündniskohärenz. Die Europäer lehnten den Abzug oder auch nur die Zuordnung größerer Truppenverbände der NATO-Verteidigung genauso rigoros ab wie eine massive Verstärkung der Flanken. Washington ließ sich davon aber nicht sonderlich beeindrucken und vollzog die nötigen Schritte, indem es die Rapid Deployment Joint Task Force (RDJTF) ins Leben rief, welche im Vergleich zur AMF einen regelrechten Goliath darstellte und für Washington weit größere Bedeutung hatte. Was McNamara in den sechziger Jahren schon an der AMF kritisiert hatte – ihre geringe Stärke und ihren beschränkten Einsatzraum –, änderte sich nicht. Ihr einziges Betätigungsfeld bildeten die Flanken und ihre spezifischen Herausforderungen. An erster Stelle sind hier die Konflikte zwischen der Türkei und Griechenland zu nennen sowie die innenpolitischen Verwerfungen in beiden Staaten. Hinderlich für die Übungen, die eine öffentliche Stärkedemonstrationen sein sollten, war beides. In Griechenland gab es seit 1973 keine Volltruppenübungen mehr. Etliche derartige Manöver wurden geplant, mussten aber, oft kurz vor Beginn, abgesagt werden. Der Imageschaden war erheblich und stellte wiederum den Abschreckungserfolg infrage. In der Türkei bestand eine ähnliche Situation, jedoch gelang es hier teilweise, die Übungen zu retten. Wenn Militärdiktaturen in Ankara oder Athen die Macht ausübten, wurden die Übungen meist unterstützt, indes ergaben sich dauerhafte Schwierigkeiten bezüglich der politischen Legimation, da sich gerade auch in Bezug auf AMF-Übungen und später den ersten und einzigen ›scharfen‹ Einsatz der Truppe in den Entsendestaaten öffentlicher Protest erhob. An der Nordflanke gab es ebenfalls Schwierigkeiten, wenn auch nicht in solch intensiver Form wie im Süden. Die Sensibilitäten der skandinavischen Partner zeigten sich ebenfalls zugespitzt bei den Übungen der AMF, welche bei Drohgebärden der Sowjetunion ausgesetzt wurden, um eine Konfrontation zu verhindern, wie bei »Polar Express  68« geschehen. Die eher pazistisch ausgerichtete Bevölkerung reagierte gelegentlich kritisch, etwa wenn die AMF in Schulen ihr Waffenarsenal zur Schau stellte. Insgesamt aber hielt sich der Protest in Grenzen, weil die NATO letztlich den Garanten für Sicherheit abgab. Umgekehrt erhob sich ebenfalls im Rahmen der AMF-Übungen Kritik vonseiten der anderen NATO-Partner an den als zu dürftig empfundenen Verteidigungsanstrengungen etwa der Dänen. Die Lastenteilung stellte auch hier ein wichtiges Thema dar. Schließlich behinderten die Lasten der deutschen Geschichte die AMF. So kam an der Nordflanke anstelle der deutschen Kampfverbände ein italienisches Bataillon zum Einsatz, das lange Anmarschwege zu gewärtigen hatte. Hier allerdings gelang, wenn auch spät, etwas, das ebenfalls als herausgehobener Indikator für die Bündnisintegration dienen mag. Gegen Ende der achtziger Jahre stellte die Bundesrepublik erstmals den Kommandeur der AMF und konnte in beide skandinavischen Partnerländer ein Kampfbataillon schicken. Damit war, im Einklang zur großangelegten Geschichtsdeutung eines bekannten deutschen Historikers in anderem Zusammenhang, zumindest in diesem Bereich der lange

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V. Fazit

Weg nach Westen abgeschlossen4. Aus heutiger Perspektive muss jedoch zur Vorsicht gemahnt werden. Gerade die Ereignisse der Zeit seit dem Arabischen Frühling verweisen darauf, dass die Bundesrepublik oftmals allzu sehr aus innenpolitischen oder gar provinziell verengten Perspektiven heraus handelt, die langfristigen eigenen Interessen zum Schaden gereichen können5. Dies ist jedoch kein grundsätzlicher Fehler der NATO an sich. Die Allianz war und ist ein streitbares Bündnis, in bester demokratischer Tradition. Auf der Habenseite verkörperte die AMF in eindrücklicher Weise die positiven Elemente der westlichen Staatengemeinschaft. Dazu gehörte allen voran die Demonstration der Solidarität. Trotz aller Schwierigkeiten gelang es in den allermeisten Fällen eben doch, die AMF in die exponierten Regionen der Flanken zu schicken und vor Ort Großübungen abzuhalten, die dem Osten Verteidigungsbereitschaft demonstrierten (»Deep Express« und »Strong Express«). Dabei legte die Truppe nach einigen Anfangsschwierigkeiten immer größere Effizienz bei Koordinierung und Dislozierung an den Tag. Der dynamische, teils geballte Einsatz der Transportkapazitäten, gerade über große Entfernungen, kann als Folie und Vorbild für alle heutigen globalen Einsätze gelten. Die bei derartigen multilateralen Veranstaltungen zweifellos stets auftretenden Schwierigkeiten bekam man technischtaktisch gut in den Griff, trotz der Leistungsgrenzen mancher Gastnationen. Zu den Stärken der AMF zählte insbesondere die permante Reformfähigkeit, die sich seit den siebziger Jahren manifestierte. Unnötige Redundanzen und Hemmnisse für flexible Einsatzgestaltung wurden auf Initiative der USA konsequent abgebaut. Washington nahm die AMF wie auch andere, spätere Verbände (NATO Response Force, NRF) explizit als Vorbild und organisatorische Anleitung für die Verbündeten, was von diesen auch angenommen wurde6. Eine Truppe wie die AMF lebt von derlei »Streamlining« und verkörpert dies auch. Die Grenzen, die ihr dann aber wiederum gesetzt wurden wie fehlende Brigadetruppen und simultane Verlegungsfähigkeit, waren erneut Ausdruck der schwierigen Rahmenbedingungen und der anhaltenden Streitigkeiten um Lastenteilung und Bereitstellung von militärischer Kampfkraft generell (z.B. Long Termin Defence Plan). Dies leitet über zum zweiten Kernpunkt dieser Kategorie, der Funktion der AMF als ein Prüfstein für die Realisierungsfähigkeit der Flexible Response im Ernstfall. Die vorliegende Studie präsentiert, erneut zugespitzt auf die AMF, deutliche Ergebnisse, ohne jedoch das Thema erschöpfend zu behandeln. Hierzu wäre eine gesonderte Arbeit vonnöten, die den NATO-Mittelabschnitt prominent einbezieht. Die aussagekräftigsten Ergebnisse konnten für das Kerngeschäft der AMF, den unteren Eskalationbereich, gewonnen werden. Da das Kriegsbild der NATO für den Ernstfall ohnehin auf sehr begrenzte Zeiträume fokussiert war, liegen die Erträge hier, wenn auch mit einigen Einschränkungen, sehr nah am Gesamtbild, trotz aller Unterschiede zwischen Flanken und Mittelabschnitt. 4 5

6

Winkler, Der lange Weg nach Westen Gelegentlich scheint es, dass etliche Zeitgenossen aus den unterschiedlichsten Gründen der Ansicht sind, dass die Bundesrepublik nach der Wende 1990, trotz aller Konflikte im Tagesgeschäft, im mitteleuropäischen Paradies angekommen ist. Eine solche Sicht der Dinge täuscht. Vgl. dazu Zeitzeugeninterview General  a.D. Carstens am 15.8.2012, S.  6  f. (Dokument im ZMSBw, Archiv B.L.).

V. Fazit

307

Das Konzept »Flexible Response« stand und fiel mit den Fähigkeiten, eine Aggession möglichst rasch und ohne Einsatz von Atomwaffen zu stoppen. Gelang es im Krisenfall nicht, umfassende Steuerungsmöglichkeiten in Gang zu setzen, würde unausweichlich eine schnelle Eskalation mit allen verheerenden Konsequenzen folgen. Daher baute die NATO ein ganzes Instrumentarium militärischer und ziviler Elemente auf, deren Teil auch die AMF war. Streng genommen zählten alle Kampfkräfte der NATO, vielleicht mit Ausnahme der strategischen Atomwaffen, zu den Kommunikationsmitteln, mit denen der Warschauer Pakt im Zweifelsfall von (weiteren) Aggressionen abgehalten werden sollte. Dahinter standen machtvoll die USA, nicht nur wegen der strategischen Situation infolge des nuklearen Patts, sondern auch im Vertrauen auf die eigenen, umfassenden Fähigkeiten zur taktischen, technischen, organisatorischen, medialen und strategischen Steuerung, die zum innersten Rüstzeug der Regierung Kennedy und seiner führenden Berater (»whiz kids«) gehört hatten und – vielleicht nicht derart prominent – das Instrumentarium späterer US-Politiker mitprägten (Kissinger)7. Es wäre dazu eine mentalitätsgeschichtliche Studie über die geistigen Grundlagen insbesondere der Amerikaner zur Flexible Response nötig. In dieser Arbeit waren hierzu nur Andeutungen möglich. Am Beispiel der AMF und ihrer Übungen wurden die Probleme der Flexible Response oder vielmehr des »Limited War« offenbar. Die HILEX- und die WINTEX-Übungen förderten die Grenzen der Steuerungsfähigkeit zutage, und zwar bereits an einem militärisch vergleichsweise bescheidenen Instrument wie der AMF. Ungleich größer waren die Schwierigkeiten der schwer gepanzerten Hauptverbände im NATO-Mittelabschnitt. Insbesondere die HILEX-Übungen führten den Verantwortlichen die Diskrepanz zwischen zivilen Planern und den Militärs vor Augen, die schon in den sechziger Jahren bei der Inaugurierung der Flexible Response zu Konflikten zwischen State Department und Pentagon geführt hatte. Konkret ging es um die Differenzen in Bezug auf die Realisierungsfähigkeit einer sinnvollen Verteidigung in Europa. Die zivile, teils auf verbale Kommunikation und zumindest zunächst auf Diplomatie setzende Seite kritisierte im Übungsablauf die allzu rasche Neigung der Militärs, sich auf den Aufmarsch der Gewaltinstrumente zu konzentrieren und das Krisenmanagement in seinen feineren Bestandteilen zu ignorieren. Dies war auch in den Volltruppenübungen der AMF aufgetreten. Mehrfach wurde in den Übungsberichten kritisiert, dass die leitenden Offiziere der AMF rasch zum militärischen Teil übergingen, obwohl die AMF in allererster Linie der Demonstration und der Beeinflussung des Gegners dienen sollte. Dazu gehörte auch die »Korpsreservenproblematik« etwa im italienischen und im griechischen Fall. Die Kommandeure der Gastnation, die gemäß den NATO-Statuten im Verteidigungsfall die Befehlsgewalt hatten, ordneten die AMF als Korpsreserve in ihre Großverbände ein, schickten sie zu diesem Zweck erst einmal in das rückwärtige Gebiet oder planten sie als Lückenfüller ein. In den HILEX-Übungen und infolge des Charakters als Verfahrensübung noch stärker bei den WINTEX-Übungen drehte sich das Interesse der militärischen Stäbe vornehmlich darum, so rasch und so effizient wie möglich die nötige Abwehrbereitschaft herzustellen. Salopp ausgedrückt, rangierte das politisch-militärische Signal der AMF 7

Burr, »Is this the best they can do?«

308

V. Fazit

eher wie ein kurzes Auflechten und ging im Aufmarsch der eigenen Panzertruppen unter. Letzteres, so die Militärs, führte, wenn überhaupt, zu überzeugender Abschreckung. Genau dies wurde von ziviler Seite kritisiert. Vor dem Hintergrund des automatisch ablaufenden Aufmarsches drohten die Bemühungen um ein wirkungsvolles Krisenmanagement unterzugehen. Insgesamt, so lässt sich resümieren, bestand im Krisenfall eine hohe Wahrscheinlichkeit rascher, starrer Eskalation. Dies war zweifellos den Kräfteverhältnissen geschuldet, die sich, trotz aller Hoffnungen in Bezug auf das Konzept der »Air-Land-Battle« und auf »FOFA«, für die NATO eher düster gestalteten. Eine eindeutige Antwort auf die damit verbundenen prinzipiellen Fragen wird wohl niemals möglich sein, da der Ernstfall glücklicherweise nicht eintrat. Auch die zweifelsfreie und abschließende Beurteilung der Kräfteverteilung und der Schlagkraft der Armeen im Kalten Krieg, dies zeigen gerade die Verhandlungen im Rahmen der MBFR und des Vertrages über die Konventionellen Streitkräfte in Europa (KSE), wird vermutlich nicht zu erwarten sein. Je nach Ausgangspunkt (z.B. Definition der Einheitsgrößen, Effizienz der Waffen, Zahl der Sprengköpfe usw.) wird jeder ein unterschiedliches Ergebnis zutage fördern. Über die Realisierungsfähigkeit des »Limited War« und der Flexible Response werden daher nicht wirklich genaue Antworten zu finden sein. Derlei stand in dieser Arbeit auch nicht auf der Agenda. Ziel war es, die Allied Mobile Force im Gesamtkontext zu verorten, ihre Funktion als Speerspitze der Abschreckung als Indikator zu nutzen und die maßgeblichen Trends zu identifizieren. Am Ende ist hier festzuhalten: Trotz aller dem Feindbündnis gegenüber klar zutage tretenden Fähigkeiten der NATO zur Umsetzung von Effizienz und zur Erzielung hoher Leistungsquotienten kamen Planung und Steuerung über gewisse Grenzen nicht hinaus. Dies war außer der besonderen historischen Situation und der Rolle der Nuklearwaffen vor allem den komplizierten Bedingungen moderner Planungsapparate innerhalb multilateraler Bündnisse geschuldet. Zweitens: Am Beispiel der Allied Mobile Force lassen sich anschaulich die Dynamiken beleuchten, die den Sinn multinationaler Bündnisse ausmachen. Die NATO lebte ständig in der Balance zwischen politischem Handeln und dem möglichen Einsatz militärischer Mittel bei gleichzeitigem Zusammenwirken nationaler, internationaler und innenpolitischer Faktoren. Die AMF spiegelte diese Aspekte nicht nur wider, sondern ihre Existenz und ihre Genese wurden nachhaltig von ihnen beeinflusst. Die AMF erfüllte die Allianz mit Leben, und zwar in sehr praktischer Hinsicht. Dazu gehörten unzweifelhaft und untrennbar auch die vielen Konflikte – für den Historiker am besten geeignet, um zum Kern der historischen Realität vorzustoßen. Der Einsatz mobiler Verbände ist nicht ausschließlich von Strategie oder Diplomatie abhängig, sondern auch von der Innenpolitik der Gastnationen. Im vorliegenden Fall beeinflussten die Verwerfungen innerhalb der Türkei und vor allem in Griechenland den praktischen Einsatz der AMF nachhaltig. Über die Abwehrfähigkeiten in einem Ernstfall ist damit letztlich noch nicht viel gesagt, denn die deutschen Beobachter berichteten etwa davon, dass das griechische Offizierkorps trotz aller Zwistigkeiten bis 1973/74 im Falle einer Aggression aus dem Osten zusammengestanden wäre und die NATO auf sie hätte zählen können. Dies gilt wohl auch für die griechischen Regierungen, die trotz aller Obstruktionspolitik im Ernstfall nicht zum Gegner übergegangen wären. Gerade die Haltung der Regierung Papandreou war trotz der sozialistischen Anklänge

V. Fazit

309

immer auch von taktischen Überlegungen und Bemühungen zur Erweiterung des Handlungsspielraumes geprägt. Dennoch litten die Schlagkraft, die Einsatzfähigkeit und vor allem die Glaubwürdigkeit der Abschreckung, wenn die NATO wie bei der AMF-Übung »Apex Express 82« aus wahltaktischen Gründen von Athen beinahe schon über den Löffel balbiert, auf jeden Fall aber vorgeführt wurde. Im Fall der Türkei erwies sich die Lage als nicht besser, nicht zuletzt wegen des Zypern-Konflikts, der 1974 erneut massiv ausbrach und den Sturz der Militärdiktatur in Athen zur Folge hatte. Auch in Ankara spielte, wie etwa der erste und einzige ›scharfe‹ Einsatz der AMF im Jahre 1991 beweist, die innenpolitische Lage eine erhebliche Rolle. Die NATO versuchte stets mäßigend und konfliktentschärfend zu wirken, hatte damit aber nur teilweise Erfolg und ihre Einsatztruppe hatte die negativen Auswirkungen zu tragen, für die sie nicht wirklich verantwortlich war. Dies wird aller Voraussicht nach auch in Zukunft so bleiben und sicherlich die Entscheidungen der Allianz immer mitbestimmen. An der Nordflanke war die Lage weniger konfliktträchtig als im Süden und trotz einiger Vorbehalte liefen die Übungen meist zufriedenstellend oder sogar sehr gut ab. Nur gelegentlich kam es zu öffentlichem Protest, dann aber vereinzelt heftig. Im Norden spielten die Bundesrepublik und ihre historischen Lasten eine markante Rolle. Immerhin zeichnete sich am Beispiel der AMF eine eindeutige Tendenz ab: Deutschland wurde mit allen Belastungen, vergangenen Fehlern und Perspektiven endgültig Teil der westlichen Allianz – eine unabdingbare Voraussetzung für alle Einsätze nach 1990. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass das Ende des Kalten Krieges bis kurz vor der Wende nicht wirklich absehbar war. Zur Einordnung der NATO-Flanken in die historischen Rahmenbedingungen lässt sich vielleicht folgendes feststellen: Beide Flanken waren in der Zeit des Kalten Krieges exponierte und höchst gefährdete Regionen. Dies hat sich heute zum Teil gewandelt. Die Nordflanke ist nicht mehr den Bedrohungen ausgesetzt wie noch vor 20 Jahren. Doch es weiß niemand, wie sich die Lage aufgrund der strategischen Bedeutung der Rohstoffe in den nördlichen Gefilden entwickelt. Die Südflanke hingegen bietet weiterhin große Herausforderungen und wird daher auch in ihrer historischen Valenz fortgesetzt auf der Tagesordnung bleiben. Drittens: Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die NATO, was von der deutschen Militärgeschichte in der Vergangenheit zu wenig beachtet wurde, eine Gesamtheit bildet, d.h. aus Mittelabschnitt und den Flanken besteht. Die Zielprojektionen der Bundesrepublik wichen und weichen auch noch heute von denen der anderen Partner ab, insbesondere Frankreichs und Großbritanniens. Nicht vergessen werden sollte, dass sich die Letztgenannten zeitweise ebenfalls zurückzogen, im Falle Großbritanniens sogar die Gegenküste Norwegens an Bedeutung verlor (»the forgotten flank«). Dennoch waren die Marinen beider Länder viel stärker im Mittelmeer präsent als die deutsche. Die Bundesrepublik war so stark in der NATO integriert wie kein anderer Partner und blieb daher an den Flanken häufig passiver als Großbritannien und Frankreich – egal, wie sehr London und Paris ihre militärischen Mittel seit den sechziger Jahren dort ausdünnten. Diese Diskrepanz gilt in politischer Hinsicht bis heute und wird auch in Zukunft noch eine große Rolle spielen.

310

V. Fazit

Die Geschichte der AMF bietet als ›Brückenphänomen‹ in zweierlei Hinsicht wichtige Einblicke: Durch den Einsatz von 1991 in der Südtürkei ist die AMF ein prominentes Element der »Übergangsgeschichte« der Jahre 1990/91. Und sie verkörperte die NATO genauso wie sie Ausdruck ihres Zustandes war. Die Truppe bewegte sich damit historisch gesehen zwischen den alten Verhaltens- und Konfrontationsmustern des Kalten Krieges und einer neuen Zeit.

Führungspersönlichkeiten

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Kommandeur der AMF, Generalmajor Michael F.R. Reynolds (GB), bei einer AMF-Übung in der Osttürkei 1983. Bildsammlung Wambach

SACEUR General John R. Galvin überträgt das Kommando der AMF von Generalleutnant Franco Angioni (IT) an Generalmajor Peter Heinrich Carstens, 4. Januar 1989. AMF Commander’s Diary, Carstens

Parlamentarischer Staatssekretär Willy Wimmer beim Bundesminister der Verteidigung Rupert Scholz, 8. Februar 1989. AMF Commander’s Diary, Carstens

312

Führungspersönlichkeiten

Mitglieder des Deutschen Bundestages besuchen die AMF-Übung »Action Express« (Einsatzgebiet N-2, Dänemark), 11. September 1991 ... AMF Commander’s Diary, Carstens ... ebenso der COMBALTAP, Generalleutnant M.V. Hansen, September 1991. AMF Commander’s Diary, Carstens

Führungspersönlichkeiten

313

AMF-Übung »Action Express« (Einsatzgebiet N-2, Dänemark), Besuch der dänischen Königin Margrethe II. am 14. September 1991 ... AMF Commander’s Diary, Carstens ... und des dänischen Verteidigungsministers Knud Enggaard am 17. September 1991. AMF Commander’s Diary, Carstens

314

Multinationale Zusammenarbeit Soldaten (US) der Stabskompanie der AMF, 7. März 1989. AMF Commander’s Diary, Carstens

AMF-Übung »Ardent Ground«, Sardinien, Oktober 1989: DSACEUR Generalleutnant Eberhard Eimler (Mitte) im Gespräch mit dem Kommandeur der AMF und einem britischen Offizier. AMF Commander’s Diary, Carstens

Multinationale Zusammenarbeit AMF-Übung »Array Encounter« (Einsatzgebiet N-1, Nordnorwegen), Februar 1990: Inspektion einer norwegischen Formation durch den Befehlshaber Nordnorwegen (COMNON), Generalleutnant Danielsen. AMF Commander’s Diary, Carstens

AMF-Übung »Array Encounter«, Empfang, Februar 1990. AMF Commander’s Diary, Carstens

Empfang zum 30-jährigen Bestehen der AMF, 15. November 1990, Patrick-Henry-Siedlung, Heidelberg. AMF Commander’s Diary, Carstens

315

316

Multinationale Zusammenarbeit Besprechung mit griechischen Führungskräften, »Terrain Walk«, Mai 1990, Thessaloniki. AMF Commander’s Diary, Carstens

AMF-Übung »Action Express« (Einsatzgebiet N-2, Dänemark), September 1991, Besprechung der Organisationsgruppe. AMF Commander’s Diary, Carstens

Der Kommandeur der AMF im Gespräch mit zwei Soldaten der 1. US-Kavalleriedivision, »Action Express«, September 1991. AMF Commander’s Diary, Carstens

Öffentlichkeitsarbeit

317

Öffentliche Vorführung eines Geschützes bei einer Übung in der Osttürkei, 1983. Bildsammlung Wambach

Öffentliche Führung während »Terrain Walk«, Mai 1990, Thessaloniki. AMF Commander’s Diary, Carstens

AMF-Übung »Armada Exchange«, Sardinien 1989. Soldaten des 1er PARA (BEL, 1. Fallschirmjägerbataillon) bei einer Klettervorführung für die Öffentlichkeit. AMF Commander’s Diary, Carstens

318

Öffentlichkeitsarbeit Öffentliche Parade während des Besuchs des Kommandeurs der AMF beim 2. Royal Regiment of Fusiliers (GB), Mai 1989. AMF Commander’s Diary, Carstens

Besuchertag bei der AMF-Übung »Avenue Express«, Einsatzgebiet S-2 (Seeland, Dänemark), 15. Juni 1989. AMF Commander’s Diary, Carstens

Abschlussparade der AMF-Übung »Avenue Express«, 18. Juni 1989. AMF Commander’s Diary, Carstens

Öffentlichkeitsarbeit AMF-Übung »Armada Exchange« (Sardinien), 1989: Interview des russischen Fernsehens mit Generalmajor Peter Heinrich Carstens. AMF Commander’s Diary, Carstens

Begleitprogramm der Übung »Armada Exchange« in Form eines öffentlichen Platzkonzerts im Museo Correr, Venedig, September 1989. AMF Commander’s Diary, Carstens

COMLANDSOUTH General Natale Dodoli besucht die AMF-Übung »Armada Exchange«, 12. September 1989. AMF Commander’s Diary, Carstens

319

320

Öffentlichkeitsarbeit

AMF-Übung »Array Encounter« (Einsatzgebiet N-1, Nordnorwegen), Parade und Waffenschau, Februar 1990. AMF Commander’s Diary, Carstens

AMF-Übung «Action Express« (Einsatzgebiet N-2, Dänemark), Abschlussparade am 15. September 1991. AMF Commander’s Diary, Carstens

Übungen Feldlager der Gebirgsartilleriebatterie 8 während der Übung »Anvil Express« 1980 in der Türkei (Nähe Corlu). Bildsammlung Wambach

Deutsche Geschützstellung, Übung der AMF in der Osttürkei bei Erzurum, 1983. Bildsammlung Wambach

Multinationale Zusammenarbeit: Gefechtsübung in Deutschland, 1983. Bildsammlung Wambach

321

322

Übungen AMF-Übung »Aurora Express«, Türkei 1987: Artilleriekolonne in Anatolien. Bildsammlung Wambach

Sanitätskompanie der AMF (IT) während »Aurora Express«. Bildsammlung Wambach

Soldaten der deutschen Luftlandebatterie 9 in einer Besprechung vor der Stellung, »Aurora Express«. Bildsammlung Wambach

Übungen

323

Hubschraubereinsatz bei der Übung »Accord Express« 1987 in Dänemark. Bildsammlung Wambach

AMF-Übung »Ally Express«, Türkei 1988: Türkische Soldaten in der Nähe einer deutschen Artilleriestellung. Bildsammlung Wambach

Soldaten des 325. Airborne Combat Team (US), Vincenza, bei der AMF-Übung »Armada Exchange«, Sardinien 1989. AMF Commander’s Diary, Carstens

324

Übungen Simulation/Kampf gegen Infiltration: Soldaten des 1. PARA (BEL, 1. Fallschirmjägerbataillon), Mai 1989. AMF Commander’s Diary, Carstens

Vertrauensbildende Maßnahmen im KSZEProzess: Sowjetische Inspektoren in Begleitung von Oberleutnant Bow und Hauptfeldwebel Wambach, AMF-Übung »Avenue Express«, Juni 1989. Bildsammlung Wambach

Sowjetische Inspektoren (Oberst Yermilichev und Major Poplanskiy, Rote Armee) mit dänischen Offizieren bei der AMFÜbung »Avenue Express« am 22. Juni 1989. AMF Commander’s Diary, Carstens

Übungen AMF-Übung »Ardent Ground«, Sardinien, Oktober 1989, Transport- und Verbindungshelikopter (US). AMF Commander’s Diary, Carstens

»Commanders’ Recce«, Einsatzgebiet N-1, Bardufoss, Norwegen, November 1989. AMF Commander’s Diary, Carstens

Luftlandeaktion während der AMF-Übung »Array Encounter«, Einsatzgebiet N-1, Nordnorwegen, Februar 1990. AMF Commander’s Diary, Carstens

325

326

Übungen Angehörige der deutschen Luftlandebatterie 9 ziehen ihr Kettenfahrzeug Bv 206 D »Husky« aus einer Versenkung, »Array Encounter«, Februar 1990. Bildsammlung Wambach

Nicht umsonst war das Tauziehen in den AMF-Kontingenten ein beliebter Wettbewerb. Bildsammlung Wambach

Challenge Cup der einzelnen Kontingente (hier US-Soldaten) während der AMFÜbung »Avenue Express«, Juni 1989, Einsatzgebiet S-2 (Seeland, Dänemark). AMF Commander’s Diary, Carstens

Übungen AMF-Übung »Array Encounter« (Einsatzgebiet N-1, Nordnorwegen), Februar 1990: Großraumtransporter des US Military Airlift Command ... AMF Commander’s Diary, Carstens

... und eine deutsche Transall neben einer britischen Hercules. AMF Commander’s Diary, Carstens

Soldaten des italienischen AlpiniBataillons »Susa« überqueren den Berg Mauken, »Array Encounter«, Februar 1990. AMF Commander’s Diary, Carstens

327

328

Übungen

Artillerieübung »Ardent Ground«, Baumholder, Mai 1990.

AMF Commander’s Diary, Carstens

Absprung aus einem spanischen Hubschrauber, Artillerieübung »Ardent Ground« in Portugal, Mai 1991. AMF Commander’s Diary, Carstens

Übungen

329

AMF-Übung »Action Express« (Einsatzgebiet N-2, Dänemark), September 1991: drei Einsatzszenen, zu Lande ... AMF Commander’s Diary, Carstens

... und in der Luft beim Absetzen von Fallschirmjägern. AMF Commander’s Diary, Carstens

330

Kontakte mit der Bevölkerung im Einsatzland

Angehörige der Gebirgsartilleriebatterie 8 während eines Besuchs in Istanbul während der AMFÜbung »Anvil Express« 1980 (Westtürkei). Die politische Lage war angespannt, da das türkische Militär während der Übung putschte. Bildsammlung Wambach

Kontakte mit der Bevölkerung im Einsatzland Sinnfälliges Auftreten in der Bevölkerung: deutsche Soldaten während einer AMF-Übung bei Erzurum, 1983. Bildsammlung Wambach

Straßenszene in Anatolien, AMF-Übung »Aurora Express«, 1987. Bildsammlung Wambach

Demonstrative Verbrüderung in der »Öffentlichkeit«, Anatolien 1987. Bildsammlung Wambach

331

332

Kontakte mit der Bevölkerung im Einsatzland AMF-Übung »Ally Express«, 1988: türkischer Junge mit deutscher Signallampe. Bildsammlung Wambach

Deutsche Militärkolonne in einem Dorf in der Westtürkei. Bildsammlung Wambach

Bewusstes Auftreten deutscher Soldaten in der türkischen Öffentlichkeit.

Bildsammlung Wambach

Kontakte mit der Bevölkerung im Einsatzland

333

AMF-Übung »Ally Express«, 1988, Dorfszene. Bildsammlung Wambach

Angehörige der Luftlandebatterie 9 in der türkischen Öffentlichkeit.

Bildsammlung Wambach

Abkürzungen

AA ABC

Auswärtiges Amt Atomar – Biologisch – Chemisch (ABC-Waffen) ACE Allied Command Europe ADAP Akten zur auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland ADIZ Air Defence Interception Zone ADM Atomic Demolition Munition AFCENT Allied Forces Central Europe AFNORTH Allied Forces Northern Europe AFSOUTH Allied Forces Southern Europe AIRSOUTH Allied Air Forces Southern Europe AMF (A)Allied Mobile Force Air AMF (L)Allied Mobile Force Land ANZUS Australia, New Zealand, United States APIC Allied Press Information Centre APO Außerparlamentarische Opposition ASprK Atomsprengkörper ATA Atlantic Treaty Association ATAF Allied Tactical Air Force BALTAP NATO-Command Baltic Approaches BAOR British Army of the Rhine BArch Bundesarchiv, Abteilung Militärarchiv BE Belgium BERCON Berlin Contingency Planning

BMVg Bundesministerium der Verteidigung CA Canada CACS CINCENT Airlift Coordination Staff CAST BG Canadian Air Sea Transportable Brigade Group CDI Conventional Defense Initiative CDU Christlich Demokratische Union Deutschlands CENTO Central Treaty Organization (»Bagdadpakt«) CID Committee of Imperial Defence CIMEX Civil Military Exercise CIMIC Civil Military Cooperation CINCENT Commander-in-Chief Allied Forces Central Europe CINCHAN Commander-in-Chief Channel Command CINCNORTH Commander-in-Chief Allied Forces Northern Europe CINCSOUTH Commander-in-Chief Allied Forces Southern Europe COEC Council of Operations and Exercise Committee COMECON Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW)

336

Abkürzungen

COMLANDSOUTH Commander Allied Land Forces Southern Europe CONMAROPS Concept of Maritime Operations COS Chief(s) of Staff CPX Command Post Exercise CSIA Harvard Center for Science and International Affairs ČSSR Československá socialistická republika (Tschechoslowakische Sozialistische Republik) CSU Christlich Soziale Union in Bayern D/C Deputy Chief DC Democrazia Cristiania DDO Deutscher Dienstältester Offizier DDR Deutsche Demokratische Republik DEFE Ministry of Defence Records, Großbritannien DHI Deutsches Historisches Institut DMV Deutscher Militärischer Vertreter DPC Defence Planning Committee DPWG Defence Planning Working Group DSACEUR Deputy SACEUR DTUstgA Deutsche Unterstützungsanteile EEC European Economic Community EPZ Europäische Politische Zusammenarbeit ESDP European Security and Defence Policy EVG Europäische Verteidigungsgemeinschaft EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft EXSPEC Exercise Specification FAA Forward Administrative Area FALLEX Fall Exercise FASC Forward Air Support Centre FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung

FlaRAKGrp Flugabwehrraktengruppe FlgAbt Fliegerabteilung FLSC Forward Logistik Support Company FO Foreign Office FoFA Follow-on-Forces-Attack« FRG Federal Republic of Germany FRUS Foreign Relations of the United States FTX Field Exercises Fü H Führungsstab des Heeres Fü L Führungsstab der Luftwaffe Fü S Führungsstab der Streitkräfte GDP General Defense Plan GE Germany GI Generalinspekteur GIUK Greenland, Iceland, United Kingdom (Verteidigungslinie zwischen Schottland und Grönland) GR Greece HILEX High Level Exercise HOT Haut subsonique optiquement téléguidé (›hoher Unterschallbereich optisch ferngelenkt‹, Panzerabwehrraketensystem), HQ Headquarter IALCE International Airlift Control Element IANF Inter-Allied Nuclear Force IRTF (L) Immediate Reaction Task Force (Land) IS International Staff (NATO) ISAF International Security Assistance Force IT Italy JaboG Jagdbombergeschwader JCC Joint Coordination Centre JCOS Joint Chiefs of Staff JIC Joint Intelligence Committee KG Kampfgruppe KPČ Kommunistische Partei der Tschechoslowakei

Abkürzungen

KSZE

Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa LLArtBttr Luftlandeartilleriebatterie LLDiv Luftlandedivision LLFmBtl Luftlandfernmeldebataillon LSL Landing Ship Logistic LTDP Long Term Defence Program LU Luxembourg LW Luftwaffe MAB Marine Amphibious Brigade MAF Marine Amphibious Force MARCORFORLANT Marine Coordinated Force Atlantic MBFR Mutual and Balanced Force Reductions MC Military Council MDB Main Deployment Base MDir Ministerialdirektor MEF Middle East Force MfNV Ministerium für Nationale Verteidigung MLF Multilateral Force MNC Major NATO Commanders MOD Ministry of Defence MRBM Medium Range Ballistic Missile MSC Major Subordinate Command N-1 AMF-Einsatzgebiet Nordnorwegen N-2 AMF-Einsatzgebiet Dänemark NAC National Archives of Cananda, Ottawa NARA National Archives, Washington, DC NAVOCFORMED Naval On-Call Force for the Mediterranean NCO Network Centric Operations NL Nachlass NL Netherlands NO Norway NPG Nuclear Planing Group NRF NATO Response Force NSC National Security Council, USA

337

NSE National Support Elements NVA Nationale Volksarmee OAU Organisation of African Unity OPLAN Operation Plan ORBAT Order of Battle OST Office for Science and Technology OTAN Organisation du Traité de l’Atlantique Nord PAR Programme Analysis and Review PDP Public Disclosure Program PDS Partei des Demokratischen Sozialismus PO Poland RAF Royal Air Force RDF Rapid Deployment Force RDJTF Rapid Deployment Joint Task Force RoE Rules of Engagement S-1 AMF-Einsatzgebiet Türkisches Thrazien S-2 AMF-Einsatzgebiet Griechisches Thrazien S-3 AMF-Einsatzgebiet TürkischSyrische Grenze S-4 AMF-Einsatzgebiet Nordostanatolien S-5 AMF-Einsatzgebiet Osttürkei SACEUR Supreme Allied Commander Europe SACLANT Supreme Allied Commander Europe SALT Strategic Arms Limitation Talks SDI Strategic Defense Initiative SEATO South East Asian Treaty Organisation SETAF Soutern European Task Forces SHAPE Supreme Headquarters Allied Powers Europe SOP Standing Operating Procedures SP Spain SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands

338

SSBN

Abkürzungen

Ship Submersible Ballistic Nuclear STAN Stärke- und Ausstattungsnachweisung STANAVFORLANT Standing Naval Force Atlantic StS Staatssekretär TNA The National Archives TOW Tube Launched Optically Tracked Wire Command-link Guided Missile (Panzerabwehrlenkwaffe) TRI MNC Three Major NATO Commanders TSK Teilstreitkraft TUR Turkey

UdSSR Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken UK United Kingdom UKMF UK Mobile Force UKMILREP United Kingdom Military Representative NATO UNO United Nations Organization US United States USAF US Air Force USSR Union of Soviet Socialist Republics verstFschJgBtl Verstärktes Fallschirmjägerbataillon WINTEX Winter Exercise

Literatur

Ungedruckte Quellen Bundesarchiv, Abteilung Militärarchiv, Freiburg i.Br. (BArch) BL 1 Führungsstab Luftwaffe BW 1 Bundesministerium der Verteidigung BW 2 Führungsstab der Bundeswehr bzw. der Streitkräfte BW 12 Institute und Untersuchungsstellen des Sanitätsdienstes der Bundeswehr BW 24 Inspektion des Sanitäts- und Gesundheitswesens der Bundeswehr, Führungsstab des Sanitätsdienstes DVW 1 Ministerium für Nationale Verteidigung NL Steinhoff The National Archives, London (TNA) AIR 8 Air Ministry and Ministry of Defence: Department of the Chief of the Air Staff: Registered Files CAB 130 Cabinet: Miscellaneous Committees: Minutes and Papers (GEN, MISC and REF Series) CAB 164 Cabinet Office: Subject (Theme Series) Files CAB 182 Cabinet Office: Central Intelligence Machinery: Joint Intelligence Committee: Sub-Committees, Working Parties etc: Minutes, Memoranda and Papers CAB 190 Cabinet Office: Central Intelligence Machinery: Joint Intelligence Committee: Working Groups and Working Parties Minutes and Reports (INT Series) DEFE 4 Ministry of Defence: Chiefs of Staff Committee: Minutes DEFE 5 Ministry of Defence: Chiefs of Staff Committee: Memoranda DEFE 13 Ministry of Defence: Private Office: Registered Files (all Ministers’) DEFE 24 Ministry of Defence: Defence Secretariat Branches and their Predecessors: Registered Files DEFE 48 Ministry of Defence: Defence Operational Analysis Establishment, later Defence Operational Analysis Centre: Reports and Files FCO 41 Foreign Office, Western Organisations and Co-ordination Department and Foreign and Commonwealth Office, Western Organisations Department: Registered Files (W and WD Series) FCO 46 Foreign Office and Foreign and Commonwealth Office: Defence Department and successors: Registered Files (ZD, DP and DT Series)

340

FO 371 PREM 15 T 225

Quellen und Literatur

Foreign Office: Political Departments: General Correspondence, 1906‑1966 Prime Minister’s Office: Correspondence and Papers, 1970‑1974 Treasury: Defence Policy and Materiel Division: Registered Files (DM and 2DM Series)

National Archives ,Washington, College Park (NARA, CP) RG 59 General Records of the Department of State RG 218 Records of the U.S. Joint Chiefs of Staff (JCS) (NSDM) Nixon Presidential Library, National Security Council Institutional Files, Policy Papers (NSSM) Nixon Presidential Library, National Security Council Institutional Files, Study Memorandums NATO-Archiv, Brüssel AC 212 Allied Mobile Force, Public Disclosed Records, CD-ROM CZ-1968 Czechoslovakian Crisis, Public Disclosed Records, CD-ROM DEF 5-3-01 Allied Command Europe Mobile Forces Quellensammlung International Military Staff Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Berlin (PAAA) B 14 NATO, Verteidigung, Plevenplan SHAPE-Archiv, Mons Quellensammlung NATO Central Records

Interviews General a.D. Peter Heinrich Carstens, Koblenz (15.8.2012) OG d.R. Dr. Peter Eibeck, Speyer (18.8.2012) Oberst a.D. Harald van Nes, Potsdam (27.9.2011) General a.D. Wilhelm Romatzeck, Koblenz (15.8.2012)

OStFw a.D. Rolf Wambach, Weitersburg (10.11.2014)

Gedruckte Quellen und Literatur AAPD siehe Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland The Aegean Sea after the Cold War. Security and Law of the Sea Issues. Ed. by Aldo Chircop, Andre Gerolymatos and John O. Iatrides, New York 2000 Agrell, Wilhelm, The Impact of »Alien Underwater Activity«: Swedish Security Policy and Soviet War Planning in the Baltic Area, 1972‑88. In: Soviet Sea Power in Northern Waters, S. 54‑69 Ahmad, Feroz, The Making of Modern Turkey, London, New York 1993 Akbulut, Hakan, NATO’s Feuding Members. The Cases of Greece and Turkey, Frankfurt a.M. [u.a.] 2005 (= Internationale Sicherheit, 5)

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Personenregister

Ailleret, Charles 62 Allard, Jacques 55 Angioni, Franco 311 Apel, Hans 132, 240 Arif, Abd as-Salam Muhammad 237 Bahr, Egon 19 al-Bakr, Ahmad Hasan 237 Bayülken, Haluk 272 Berlinguer, Enrico 23, 189 Bidwell, Shelford 183 Biehle, Alfred 297 Bondi, Hermann 45 Bowie, Robert 55, 57 Brandt, Jürgen 133 Brandt, Willy 19, 100, 189 Bray, Robert 246 Brešnev, Leonid I. 30, 33, 100 Brosio, Manlio Giovanni 74 Brück, Alwin 240 Bülow, Andreas von 293 Bundy, McGeorge 216, 219 f. Cadorna, Raffaele 73 f. Carstens, Peter Heinrich 283 f., 311, 319 Carter, Jimmy 23 f., 105 f., 111, 217 Chomeini, Ruhollah 275 Chruščev, Nikita S. 65 Cumont, C.P. de 71 Dodoli, Natale 319 Domröse, Lothar 240 Dubček, Alexander 89 Eimler, Eberhard 314 Eisenhower, Dwight D. 55, 157 Enggaard, Knud 313 Enthoven, Alain C. 93 Erhard, Ludwig 15

Erler, Fritz 74 Fanfani, Amintore 23, 187 f. Fitzgeorge-Balfour, Victor 47 Fitzpatrick, Desmond 23 Fraser, David 46 Freedman, Lawrence 32 Fulbright, James 162 al-Gaddafi, Muammar 190 Galvin, John R. , 297 Gaulle, Charles de 14 f., 48, 188 Gehlhoff, Walter 165 Genscher, Hans-Dietrich 110, 295 Goodpaster, Andrew J. 28, 30, 32, 44, 83, 154, 157, 174, 215 Gorbačev, Michail S. 25, 124 Gorškov, Sergej G. 179 Gregh, F.D. 198, 200 Gronchi, Giovanni 23, 187 Hackett, John 182 f. Hahn, Walter 29 Haig, Alexander 174 Hansen, M.V. 312 Harmel, Pierre 96 f., 102 Healey, Dennis 86 Heath, Edward 155 Heusinger, Adolf 113 Hill-Norton, Peter 174 f. Hoffmann, Heinz 261 Hussein, Saddam 237, 284, 290, 295 f. Inskip, Thomas 42 Johnson, Lyndon B. 15, 159, 219 Karamanlis, Konstantinos 160, 167 Kennedy, John F. 14, 21, 53, 55‑57, 59, 307

374

Personenregister

Kielmansegg, Johann Adolf Graf von 84 f., 182 Kissinger, Henry A. 20 f., 23, 98, 102 f., 145, 162, 167, 180, 307 Kliesing, Georg 74 Kohl, Helmut 285 Lagorio, Lelio 173, 192 Leber, Georg 250 Lemnitzer, Lyman L. 60, 62, 174 Lettardy, Anthony W.G. 129 Lippmann, Walter 105 Lovett, Robert A. 136 Macmillan, Harald M. 59 McNamara, Robert S. 16, 56, 71 f., 80, 86 f., 113, 141, 216 f., 305 McNaughton, John T. 71 Maizière, Ulrich de 240 Mansfield, Michael 162 Margrethe II., dän. Königin 313 Marshall, George C. 51 Mende, Erich 82 Moltke, Helmuth Karl Bernahrd von (Moltke der Ältere) 233 Moro, Aldo 189 Mountbatten, Louis 62 f. Nitze, Paul 110 Nixon, Richard 38, 102 f., 145 Norstad, Lauris 45, 55‑58, 60, 81 Novotný, Antonin 89 Özal, Turgut 287, 289, 293, 297 Papandreou, Andreas 167‑169, 188, 247, 270‑272 Perle, Richard 107 Pfaltzgraff, Robert 29 Reagan, Ronald 24, 33, 46, 106, 110 f., 113, 151 f., 192, 217

Reynolds, Michael F.R. 237, 311 Rivera, Horacio 246 Rogers, Bernard 112, 176 Romatzeck, Wilhelm 268, 273 as-Sadat, Anwar 180 Sandys, Duncan 75 Schlesinger, James R. 22, 38, 104 Schmidt, Helmut 23 f., 110, 160, 171, 194 Shaud, John A. 286 Snyder, Jed C. 173, 184 Sonja, Jan 30 Sonnenfeldt, Helmut 219, 258, 265 Spadolini, Giovanni 192 Speidel, Hans 60, 94, 97, 101 Steinhoff, Johannes 30‑38, 41, 44‑46, 174‑176, 178, 213, 249 Stikker, Dirk 17 Stilwell, Richard G. 55 Stoltenberg, Gerhard 297 Strauß, Franz Josef 82 Taylor, Maxwell D. 56, 62, 70, 77, 81 Thatcher, Margret 24, 46 Tichonov, Nikolaj A. 168 Trettner, Heinz 62 Truman, Harry S. 51 Walker, Walter 154 Wambach, Rolf 324 Weinberger, , Caspar 111 Westmoreland, William 242 Wheeler, Earle G. 90 Wilson, Harold 33 Wörner, Manfred 283 Wolfowitz, Paul 107 Zimmermann, Armin 165