Didaktische Erklärvideos: Ein Praxis-Handbuch 3515128379, 9783515128377

Die digitalen Medien haben Lehren und Lernen verändert: Lehrpersonen wollen das Lernen anders inszenieren, möglicherweis

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German Pages 136 [138] Year 2021

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
1 Erklärvideos an Schulen und Universitäten
1.1 Erklärvideos
1.1.1 Woher kommen die Erklärvideos?
1.1.2 Erklärvideos und Bildung
1.1.3 Gattungen didaktischer Erklärvideos
1.2 Wissenschaftliche Positionen
1.2.1 Grundlegende Perspektiven auf menschliches Lernen
1.2.2 Psychologische Perspektive auf Erklärvideos
1.2.3 Didaktische Perspektive auf Erklärvideos
1.3 Unterrichtsdidaktik und -methodik
1.3.1 Zielbereiche von Erklärvideos
1.3.2 Erklärmethoden
1.3.3 Erklärniveau
1.3.4 Begleittexte der Erklärvideos
1.4 Mediendidaktik und -methodik
1.4.1 Veranschaulichung
1.4.2 Integration von Texten
1.5 Entwicklung von Erklärvideos
1.5.1 Externale Aspekte
1.5.2 Internale Aspekte
1.5.3 Produktion
1.5.4 Qualitätssicherung
1.5.5 Und nun?
1.6 Checkpoint
2 Herstellung von Erklärvideos
2.1 Es geht los
2.2 Warum geht es nicht los?
3 Literatur
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Didaktische Erklärvideos: Ein Praxis-Handbuch
 3515128379, 9783515128377

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Ralf Tenberg

Didaktische Erklärvideos Ein Praxis-Handbuch

Franz Steiner Verlag

Ralf Tenberg

DIDAKTISCHE ERKLÄRVIDEOS Ein Praxis-Handbuch

Franz Steiner Verlag

Umschlaggrafik: Ruth Hammelehle, Bad Boll Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2021 Layout und Herstellung durch den Verlag Druck: Memminger MedienCentrum, Memmingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-12837-7 (Print) ISBN 978-3-515-12838-4 (E-Book)

Danke an: Britta Mutzke für ihre professionelle und gleichermaßen inspirierende Herstellung unserer animierten Screencasts im Graphic-Recording-Modus und die vielen Ideen, die sie hier eingebracht hat, Meike Tilebein für ihre Ausdauer beim Gegenlesen und die Verhinderung meiner vielen Mythenmetzschen Abschweifungen, Malena Pfeiffer für die guten Recherchen, Daniel Pittich, Alexander Zollner, Isabella Geiger und Sabrina Kronthaler von der TUM School of Education für die Unterstützung beim LegeTrick-Beispiel, Alexandra Bach, Uwe Fasshauer und das gesamte TWIND-Team für die vielen Rückmeldungen aus ihrer Medienpraxis.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort 1

............................................................

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Erklärvideos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Woher kommen die Erklärvideos? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Erklärvideos und Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Gattungen didaktischer Erklärvideos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Wissenschaftliche Positionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Grundlegende Perspektiven auf menschliches Lernen . . . . . . . . . . . . . . . 31 Psychologische Perspektive auf Erklärvideos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 Didaktische Perspektive auf Erklärvideos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 Unterrichtsdidaktik und -methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Zielbereiche von Erklärvideos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Erklärmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 Erklärniveau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 Begleittexte der Erklärvideos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 Mediendidaktik und -methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Veranschaulichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Integration von Texten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 Entwicklung von Erklärvideos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 Externale Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 Internale Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 Produktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 Qualitätssicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 Und nun? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Checkpoint . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102

Erklärvideos an Schulen und Universitäten

1.1 1.1.1 1.1.2 1.1.3 1.2 1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.3 1.3.1 1.3.2 1.3.3 1.3.4 1.4 1.4.1 1.4.2 1.5 1.5.1 1.5.2 1.5.3 1.5.4 1.5.5 1.6

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Inhaltsverzeichnis

2

2.1 2.2 3

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Es geht los . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Warum geht es nicht los? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129

Herstellung von Erklärvideos

Literatur

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135

Vorwort

Dieses Buch ist aus der Praxis entstanden, nicht aus der Forschung. Es hat aber durchaus einen wissenschaftlichen Hintergrund. Dieser bezieht sich jedoch nicht konsistent auf den thematischen Gegenstand, das Erklärvideo, sondern geht fragmentarisch auf die vielen hier einbezogenen Teilbereiche aus der Schulpädagogik, verschiedenen Didaktiken – insbesondere der Mediendidaktik, der Hochschuldidaktik und der Technikdidaktik sowie der Psychologie und der Berufs- und Wirtschaftspädagogik – zurück. Dieses Buch ist für die Praxis gedacht. Es ist für Hochschullehrende und Lehrpersonen an Schulen vorgesehen, die ihre Lehre bzw. ihren Unterricht mit digitalen Medien anreichern oder bereichern wollen. Dies schließt natürlich auch jene ein, die diese Lehrpersonen aus- oder fortbilden. Gründe dafür gibt es viele, denn das Lehren hat sich gewandelt. Dies weniger durch die digitalen Medien, sondern mit ihnen – nicht bedingt durch die Technik, sondern durch die Menschen, die Lernen anders inszenieren wollen, möglicherweise effektiver und effizienter, aber sicher attraktiver, interessanter und vor allem vielfältiger. Es geht hier im Kern um die Produktion von didaktischen Erklärvideos. Neben Lehrpersonen können daran auch andere beteiligt sein: z. B. Schüler*innen, Studierende und andere Lernende zur Unterstützung oder Eigenproduktion oder Mediendidaktiker*innen, die sich hier spezialisieren oder – wenn es professionell wird – Videoexpert*innen bzw. Informatiker*innen. In Teil 1 dieses Buchs soll ein Gesamtüberblick über die Vielfalt dieses Formats gegeben und der Blick für dessen komplexe innere und äußere Zusammenhänge geöffnet werden. Er ist informativ angelegt, indem versucht wird, möglichst viele Fakten und Bezüge über die verschiedenen Teilaspekte von Erklärvideos an Schulen und Universitäten zusammenzustellen und gliedert sich in sechs Hauptkapitel. 1.1 Erklärvideos allgemein: In Kapitel 1.1.1 wird der Faden aufgenommen, mit der Klärung der Frage, was Erklärvideos sind, woher sie kommen und warum sie sich in den letzten Jahren so enorm

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Vorwort

verbreitet haben. Anschließend erfolgt eine Fokussierung didaktischer Erklärvideos (Kap. 1.1.2) mit dem Ziel, diese im Meer anderweitig intendierter Clips zu identifizieren und zu kontrastieren. Schließlich wird versucht, in der hier irritierenden Begriffsvielfalt die erkennbaren Hauptgattungen von Erklärvideos einander gegenüberzustellen (Kap. 1.1.3). 1.2. Wissenschaftliche Perspektiven: Auch wenn dies kein wissenschaftliches Buch ist, verfügt es trotzdem über wissenschaftliche Bezüge. Diese sind auf menschliches Lernen fokussiert (Kap. 1.2.1), da dieses im intentionalen Zentrum von Erklärvideos steht. Hierbei können zwei unterschiedliche Perspektiven auf menschliches Lernen einander gegenübergestellt werden: Eine psychologische Perspektive mit den allgemeinen Schwerpunkten von kognitivistischen und konstruktivistischen Erklärungen des Lernens (Kap. 1.2.2) und eine didaktische Perspektive, die auf die Spezifika schulischer und hochschulischer Lehre ausgerichtet ist (Kapitel 1.2.3). In den beiden Folgekapiteln gehen wir dann auf Praxisebene; zunächst aus einer unterrichtsdidaktischen, dann aus einer mediendidaktischen Perspektive. 1.3 Unterrichtsdidaktik des Erklärvideos: Intentionale Lehre beginnt immer bei den Lernzielen (Kap. 1.3.1); auch für Erklärvideos sollten diese konkretisiert werden. Nachdrückliche Lehre hat „Methode“. Daher sind im Zusammenhang mit Erklärvideos natürlich Erklärmethoden (1.3.2) sehr interessant. Nur im Ausnahmefall können Erklärvideos ohne weitere didaktische Rahmung eingesetzt werden. Daher erfolgt hier noch eine Auseinandersetzung mit deren potenziellen Begleittexten (Kap. 1.3.3). 1.4 Mediendidaktik des Erklärvideos: Die mediendidaktischen Hintergründe von Erklärvideos sind vielfältig, dabei handelt es sich jedoch überwiegend um Aspekte, die auch für andere Lehrmedien relevant sind. Daher erfolgt hier eine Fokussierung auf das Thema Veranschaulichung (Kap. 1.4.1) mit einer Unterteilung in statische und dynamische Veranschaulichung. Anschließend wird noch kurz erörtert, welche Rolle die Integration von Texten in didaktischen Erklärvideos spielt (Kap. 1.4.2). 1.5 Entwicklung von Erklärvideos: Nun gehen wir auf Umsetzungsebene. Auf dieser werden zunächst externale (Kap. 1.5.1) und daraufhin internale (Kap. 1.5.2) Umsetzungsfaktoren geklärt. Hier wird aufgezeigt, welche Rahmenbedingungen und Ressourcen im Vorfeld einer Erklärvideoproduktion geklärt werden sollten. Dann geht es in die konkrete Produktion (Kap. 1.5.3), also den Prozess, in dem das Video hergestellt wird. Abgeschlossen wird das Kapitel 1.5 mit

Vorwort

Überlegungen zur kontinuierlichen Weiterentwicklung einer Erklärvideoproduktion (Kap. 1.5.4) durch qualitätssichernde Maßnahmen. 1.6 Checkpoint: Wenn über fünf Kapitel vielzählige und vielfältige Hinweise bzw. Empfehlungen für Erklärvideos dargestellt werden, ist es schwer, den Überblick zu behalten. Daher sind alle zentralen Aussagen daraus in diesem Abschnitt nach Kapiteln geordnet zusammengefasst. Der zweite Teil des Handbuchs ist umsetzungsorientiert. Dort geht es darum, in zwei Fallbeispielen konkret darzustellen, wie man als „ambitionierter Laie“ Erklärvideos produzieren kann. Das erste Beispiel bezieht sich auf animierte Screencasts für die Anreicherung eines Moodle-Kurses im Rahmen meiner eigenen Lehrveranstaltungen im Sommersemester 2020. Das zweite Beispiel berichtet aus der Herstellung eines Erklärvideos in der Lege-Trick-Technik an der TUM School of Education München. Quer zum Buchtext wurden hier noch zwei Elemente eingefügt, zum einen um das alles ein wenig aufzulockern, zum anderen um zusätzliche Hintergründe und Exkurse einzubetten. In den grauen Kästen mit abgerundeten Ecken befinden sich komprimierte Zusammenfassungen (möglicherweise) interessanter oder relevanter Nebenaspekte, in den dunklen eckigen Kästen stehen Aufforderungen, Beispiele oder Ergänzungen aus dem Internet.

Ich wünsche viel Freude und Erfolg mit dem Handbuch.

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Erklärvideos an Schulen und Universitäten

Definition: Ein Erklärvideo ist ein Video, in dem etwas erklärt wird.

Die hier an den Anfang gesetzte Definition macht deutlich, dass sie nicht erforderlich ist; Erklärvideos sind etwas sehr Einfaches, jeder weiß, was man darunter versteht, und die meisten haben schon einige davon gesehen. In diesem Buch geht es darum, wie man sie macht, und das kann ebenfalls sehr einfach sein: Man gibt sein Smartphone einfach seinen Freund*innen oder Bekannten, lässt sie filmen und erklärt etwas. Das ist kein Scherz  – gerade von Blogger*innen, Youtuber*innen und Influencer*innen kommen viele solcher Videos in den Umlauf, manche sind scherzhaft gemeint, manche sind aber durchaus so gemacht, dass man davon etwas lernen kann. Andererseits kann die Herstellung von Erklärvideos auch sehr aufwendig sein: Nachdem diese Formate sich weltweit verbreitet haben, gut ankommen sind und auch ihre beabsichtigten Wirkungen nicht zu verfehlen scheinen, ist insbesondere die Wirtschaft sehr an diesen Clips interessiert: für ihr Branding, ihr Marketing, ihre Trainings und Weiterbildungen, aber auch für die Kundenbetreuung, denn die Produkte werden immer komplexer und müssen von den Abnehmer*innen verstanden werden. In der hohen Innovationsgeschwindigkeit benötigt man ein Format, das nicht gedruckt und auch nicht gelesen werden muss, das Interesse und Akzeptanz findet und das vor allem das mitteilt, was jeweils erforderlich ist, um mit dem Produkt etwas anfangen zu können. Erklärvideos in der Wirtschaft sind jedoch genau das Gegenteil von jenen, die aus der Blogosphäre kommen: Sie sind stilvoll, von hoher Bildqualität und wurden von professionellen Expert*innen hergestellt.

Erklärvideos in der Bildung Jenseits von Blogger*innen und Wirtschaft liegt unsere Bildungswelt. Auch sie ist nicht einheitlich, hat die verschiedensten Räume, Ebenen, Kammern und Nischen.

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Erklärvideos an Schulen und Universitäten

Von der Grundschule bis zur Universität, in der Allgemeinbildung, der beruflichen Bildung und der Hochschulbildung, im privaten ebenso wie im öffentlichen Bildungssektor und insbesondere bei Bildungsanbietern für Fernlernen  – alle befinden sich aktuell im digitalen Wandel, mit der Herausforderung, die ständig besser werdenden Möglichkeiten digitaler Medien sinnvoll, effektiv und effizient für ihre Lehrzwecke zu nutzen. So heterogen wie die weltweite Bildungslandschaft ist, so heterogen sind die Menschen, die darin tätig sind. Da finden sich Lehrer*innen, Dozent*innen und Trainer*innen, alle mit unterschiedlichen Berufsbiografien und unterschiedlicher Professionalisierung. Eines haben aber die meisten von ihnen gemeinsam: Sie sind keine Profis im Herstellen digitaler Lernumgebungen, nur die wenigsten sind hier überhaupt grundlegend ausgebildet. Mit dem E-Learning kann man es als Lehrperson halten wie mit allen anderen methodischen Fragen: Man tut das, wovon man überzeugt ist. Ausnahme ist hier das Segment des Fernlernens  – dort wird seit Jahrzehnten konsequent digitalisiert. Nachdem Erklärvideos sich über einige Jahre informell so stark verbreitet haben, ist es offensichtlich, dass dieses Lehrformat attraktiv und wirksam sein muss. Also sind inzwischen auch viele der Lehrenden dabei, Erklärvideos in ihre Lehre bzw. ihren Unterricht einzubeziehen. Dabei sind sie jedoch bislang darauf angewiesen, passende Clips zu finden, was manchmal einfach ist, manchmal aber auch schwierig oder unmöglich. Zudem erzeugt das Einbinden „zusammengetragener“ Erklärvideos in die eigene Lehre bzw. den eigenen Unterricht auch ein Patchwork-Szenario, denn jeder Clip ist ein wenig anders – ausgenommen, man findet eine Serie oder einen Kanal. Weitere Schwierigkeiten bzw. Barrieren hängen mit dem Inhalt und der Methodik fremd hergestellter Erklärvideos zusammen: Nur selten findet man genau die Themen oder Inhalte, die für die eigene Lehre passen; manchmal fehlt etwas, manchmal ist es zu viel, manchmal trifft sogar beides zu. Inhalte können auch sehr unterschiedlich betrachtet, diskutiert und bewertet werden – auch hier können Diskrepanzen auftreten. In Erklärvideos wird auch sehr unterschiedlich erklärt; jede Lehrperson hat hier eigene Vorstellungen, die nicht immer kompatibel zu anderen sind. Kurzum: Will man Erklärvideos adäquat und systematisch in die eigene Lehre bzw. den eigenen Unterricht implementieren, muss man sie selbst herstellen.

Methodisches Spektrum von Erklärvideos Je nach Bildungsinstitution können Erklärvideos methodisch unterschiedlich gehandhabt werden. Im Grundschulkontext sind die Kernaspekte sicher andere als z. B. an Gymnasien oder Hochschulen. Institutionsübergreifend lassen sich drei methodische Intentionen unterscheiden.

Erklärvideos an Schulen und Universitäten

1. Erklärvideos als Selbstlernmedien Die absehbar dominante methodische Intention beim Einsatz von Erklärvideos ist die Unterstützung von Selbstlernprozessen. Für die Inszenierung von Selbstlernen in institutioneller Rahmung gibt es fünf zentrale Gründe: (a) eine Erhöhung der Lernmotivation sowie Lernstrategieförderung, (b) die Förderung kollektiven Lernens, (c) eine Individualisierung bzw. Differenzierung, (d) die Aktivierung Lernender und (e) das Fernlernen. a) Selbstständiges Lernen ist generell motivierender als fremdgesteuertes Lernen; mit ihm können zwei der drei zentralen Ansprüche für Selbstbestimmung unmittelbar erfüllt werden (Deci/Ryan, 1985): Autonomiewahrnehmung und Kompetenzerleben. Zudem können Lernende in fremdgesteuertem Lernen kaum eigene Lernstrategien erwerben bzw. weiterentwickeln. b) Gruppenlernen ist immer eine Form von Selbstlernen. Will man kollektive Lernprozesse initiieren, benötigt man Lernumgebungen, in welchen Selbstlernen möglich ist. Mit dem Aspekt der sozialen Einbindung ist dann auch der dritte zentrale Anspruch für Selbstbestimmung erfüllt (Deci/Ryan, 1985). c) Eine Individualisierung des Lernens, um den Lernenden eigenständige Wissenszugänge und -erschließungswege zu ermöglichen. Mit dieser Intention korrespondiert auch der Anspruch einer inneren Differenzierung, also der Handhabung heterogener Adressat*innengefüge durch methodische Maßnahmen. d) Die Aktivierung Lernender, um zu verhindern, dass in instruktionslastigen Lehrformaten (wie z. B. Vorlesungen) eine Konsumentenrolle eingenommen wird. Der an Hochschulen etablierte Ansatz des „Flipped Classroom“ adressiert zentral eine aktive Wissenserschließung durch Studierende außerhalb der Lehrveranstaltung, flankiert von Präsenzveranstaltungen, in welchen klärende Fragen besprochen und vertiefende Aufgaben bearbeitet werden können. e) Fernlernen ist immer eine Form von Selbstlernen und nicht nur etwas für Fernlern-Institutionen. Auch die Hausaufgaben an Schulen oder Studienarbeiten und -projekte an Hochschulen können als solches begriffen werden. Zusammengefasst bieten sich Erklärvideos zur Unterstützung von Selbstlernprozessen an, um in individuellen oder kollektiven Lernprozessen die Motivation der Lernenden zu erhöhen, um sie zu aktivieren und eine innere Differenzierung zu ermöglichen und schließlich auch um ein Lernen außerhalb der Institution zu realisieren. 2. Erklärvideos als Lernprodukte Nicht nur Lehrende sind potenzielle Produzent*innen von Erklärvideos; Lernende können dies mit einfachen technischen Hilfsmitteln inzwischen ebenso. Damit eröffnet sich ein weiterer, sehr interessanter Nutzungsraum didaktischer Erklärvideos. Ausgangspunkt ist dabei das vorausgehend erörterte selbstorganisierte Lernen. Or-

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Erklärvideos an Schulen und Universitäten

ganisierte und methodisch gerahmte Selbstlernprozesse werden selten völlig abstrakt gehandhabt, sie stützen sich gegenteilig auf die Erarbeitung von Lernprodukten durch die Lernenden. Als Lernprodukte kann man das gesamte Spektrum von Artefakten bezeichnen, die aus Lernprozessen hervorgehen. Erklärvideos können in diesem Zusammenhang zwei verschiedene Funktionen erfüllen: (a) die dynamische Präsentation und (b) das Lernen durch Lehren. a) Das Präsentieren von Lernergebnissen durch Lernende ist inzwischen in allen Schul- und Hochschulbereichen ein selbstverständlicher Anspruch. Typischerweise folgt auf eine Einzel-, Partner- oder Gruppenarbeit immer eine Präsentationsphase. Die Vielfalt der Präsentationsmedien ist durch das Erklärvideo um ein Medium erweitert worden. Dies kann jedoch nicht ad hoc innerhalb einer Lehrveranstaltung hergestellt werden, daher ist es absehbar nur als Präsentation größerer Zusammenhänge nach längeren Lernstrecken adäquat. Der – gegenüber einer PowerPoint-Präsentation – größere Aufwand wird jedoch auch belohnt, denn im Erklärvideo kann der Zusammenhang von Bildern und Kommentaren genauer und gründlicher hergestellt und – vor der Präsentation – redigiert werden. Das Produkt wird damit besser und alle Lernenden profitieren davon: sowohl die produzierenden als auch die partizipierenden. b) Wenn der reine Präsentationsanspruch überschritten wird, werden Lernende selbst zu Lehrpersonen. Erklärvideos als Lernenden-Produktionen mit einem nachdrücklichen Anspruch eines guten Erklärens führen deren Produzent*innen in die gedankliche Situation von Lehrenden. Mit ihrer persönlichen Beantwortung der Frage, „wie bringe ich dies jemandem, der es bisher nicht verstanden hat, bei?“ müssen sie sich mit dem adressierten Thema oder Zusammenhang noch gründlicher auseinandersetzen als mit einer einfachen Präsentation, was den Selbstlerneffekt deutlich erhöht. Zusammenfassend liegt auch in der Erstellung von Erklärvideos durch Lernende ein neues und zusätzliches methodisches Potenzial für Schulen und Hochschulen, zum einen im Rahmen einer dynamisierten und konservierten Präsentation, zum anderen in der Überschreitung dieses Rahmens als Ansatz eines Lernens durch Lehren. 3. Erklärvideos als dynamische Dokumentation Lehrveranstaltungen und Unterricht sind kollektive Ereignisse, welche in Echtzeit stattfinden und dann vorbei sind. Um das Wissen, das in ihnen erschlossen wurde, „mitzunehmen“, machen Lernende Aufzeichnungen. Diese Aufzeichnungen stehen normalerweise in einem Gesamtgefüge anderer Dokumentationsmedien, also Lehrbüchern, Zusatzliteratur, Zeichnungen, Fotodokumentationen, audiovisuellen Aufzeichnungen etc. Werden Erklärvideos systematisch in Lehre bzw. Unterricht eingebettet, gelingt es, diese statischen Dokumentationen durch ein dynamisches Element

Erklärvideos an Schulen und Universitäten

zu bereichern, denn diese Clips sind ein lebendiger Teil unmittelbar aus dem Prozess der Wissenserarbeitung. Für einzelne Lernende kann damit zu einem späteren Zeitpunkt ihr Selbstlernprozess nochmals sehr intensiv reaktiviert bzw. rekonstruiert werden. Sie erinnern sich nicht nur an das, WAS sie gelernt haben, sondern auch an das WIE. Für Lerngruppen (z. B. zur Vorbereitung einer Klausur) bietet sich mit dem Erklärvideo die Möglichkeit, ein Lehrszenario gemeinsam mit anderen Lernenden nachträglich neu zu inszenieren und dabei dessen Wahrnehmung und Interpretation sowie Schlussfolgerungen gemeinsam auszuhandeln. Zusammenfassend kann man hier feststellen, dass die Dokumentation von Lerninhalten mit jedem Erklärvideo, welches in diesem Lehrgefüge zur Wissenserschließung eingesetzt wurde, deutlich bereichert wird. Lernende können damit zu einem späteren Zeitpunkt den Lernprozess nochmals aufleben lassen und Lerngruppen können ihn neu inszenieren. Damit werden die statischen Dokumentationsgehalte anderer Medien sinnvoll ergänzt und überschritten. Somit zeigen sich einige gute Gründe, Erklärvideos für die eigenen Lehrzwecke zu entwickeln. Zentrale Adressat*innen dieses Buchs sind Lehrpersonen an Schulen und Hochschulen, die beabsichtigen, aktiv Erklärvideos zu produzieren, aber auch Expert*innen aus der Lehrpersonenbildung, die diese Dinge vermitteln wollen. Um sich in die Herstellung von Erklärvideos komplex einzuarbeiten, gilt es, vertrautes Terrain neu zu erschließen, aber auch Bereiche und Bezugsräume zu betreten, die einem bislang fern oder fremd sind. Vier relativ eigenständige „Welten“ stehen hier nebeneinander: jene der Didaktik des jeweiligen Fachs, jene der Mediendidaktik, jene der Mediengestaltung und jene der Informatik. Im Normalfall ist Lehrpersonen die erste dieser „Welten“ die vertrauteste, dann wird es in absteigender Reihenfolge immer fremder. Wollte man dem konsequent Rechnung tragen, wäre ein vierteiliges, mehrere Hundert Seiten umfassendes Kompendium erforderlich. Vielleicht wird ein solches Werk noch veröffentlicht, aktuell halte ich das jedoch kaum für notwendig, denn auf professioneller Seite scheint es nicht benötigt zu werden (jeden Tag kommen unzählige neue, professionell produzierte Erklärvideos in Umlauf) und auf Amateurseite wäre es zum aktuellen Stand überfordernd. Daher arbeite ich diese Themenfelder im Folgenden nur so weit auf, wie es mir für die oben umrissene Intention erforderlich erscheint. Allen Fragen, die sich den Einzelnen dann in der Praxis auftun, kann dies aber nicht gerecht werden. Vor diesem Hintergrund stelle ich im Folgenden vor, welche begrifflichen Unterscheidungen es bei der Bezeichnung von Erklärvideos gibt, welche humanwissenschaftlichen Hintergründe in diesem Themenkomplex bedeutsam sind und welche Aspekte hier sowohl aus unterrichtsdidaktischer als auch aus mediendidaktischer Perspektive relevant sind. Nach diesem Theorieteil kläre ich, was es bei der Entwicklung dieser Clips konkret zu beachten gilt und leite damit über in die Darstellung eines Beispiels aus der unmittelbaren Produktion von Erklärvideos. Zwischen diese beiden

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Erklärvideos an Schulen und Universitäten

Hauptabschnitte lege ich eine Checkliste, in welcher alle wesentlichen Aussagen aus den theoretisch-konzeptionellen Überlegungen zusammengefasst sind.

1.1

Erklärvideos

Man ist ständig mit ihnen konfrontiert, sie begegnen einem überall, sie begleiten uns tagtäglich durch das Privatleben und den Beruf. Erklärvideos haben sich in den letzten Jahren enorm verbreitet und u. a. auch zum Siegeszug der Videoplattform Youtube beigetragen. Wikipedia beschreibt sie als Filme, in denen erläutert wird, wie man etwas macht oder wie etwas funktioniert, bzw. in denen abstrakte Konzepte und Zusammenhänge erklärt werden. Diese können von Unternehmen und Organisationen produziert werden, um ihre Produkte und Dienste ihren Kunden oder anderen Zielgruppen möglichst niedrigschwellig und einfach zu vermitteln (Customer Education). Ein kennzeichnendes Element ist das „Storytelling“. Hier wird generell unterschieden zwischen professionellen Produktionen mit konkretem Produktbezug (Gebrauch, Marketing, Promotion etc.) und amateurartigen Produktionen mit wirtschaftsunabhängigen Intentionen (Selbstdarstellung, Hilfsbereitschaft, Spaß etc.).

Digital Storytelling hat sich in interaktiven Medien als eine Integration von einfachem Erzählen und vielfältigen Multimediainhalten wie Bildern, Audio und Video etabliert. Digitale Geschichten vereinen eine Mischung aus Grafik, Text, aufgezeichnetem Audiokommentar, Video und Musik, um Informationen zu einem bestimmten Thema zu präsentieren. Wie beim traditionellen Geschichtenerzählen drehen sich digitale Geschichten um ein ausgewähltes Thema und enthalten häufig einen bestimmten Standpunkt. Die Geschichten sind in der Regel nur wenige Minuten lang und haben eine Vielzahl von Verwendungsmöglichkeiten, z. B. das Erzählen persönlicher Geschichten, das Erzählen historischer Ereignisse oder um über ein bestimmtes Thema zu informieren oder zu unterweisen. Das an der Berkeley-Universität in Kalifornien etablierte Center for Digital Storytelling (CDS) postuliert sieben zentrale Elemente für Digital Storytelling (www.storycenter.org): 1. Standpunkt – Die Perspektive des Autors. 2. Eine dramatische Frage – Eine Frage, die am Ende der Geschichte beantwortet wird. 3. Emotionaler Inhalt – Aspekte, die uns persönlich ansprechen oder berühren. 4. Wirkung der Stimme – Bedeutsame Personalisierung der Geschichte. 5. Soundtrack – Musik oder andere Sounds, die die Handlung unterstützen. 6. Sparsamkeit – Eingrenzung auf wesentliche Inhalte, um Überladung zu verhindern. 7. Tempo – Keine Zeit verlieren, z. B. durch das Schreiben in Echtzeit.

Erklärvideos

1.1.1

Woher kommen die Erklärvideos?

Funktional haben Erklärvideos überall dort Fuß gefasst, wo früher Gebrauchsanweisungen oder Benutzungshinweise zu finden waren. Das reicht von der Bedienung der neuen Kamera bis hin zum Ausfüllen eines schwierigen Formulars. Egal was man in seinem Haus reparieren muss – die Kaffeemaschine oder den Putz: Es gibt dazu höchst wahrscheinlich ein Erklärvideo, und zwar nicht nur in einer allgemeinen bzw. generellen Unterweisung, sondern zumeist in genau dem spezifischen Fall, den man konkret hat, teilweise sogar von verschiedenen Quellen. Dieses Phänomen der viralen Verbreitung von Erklärvideos hängt eng mit zwei Megatrends zusammen: mit der Digitalisierung und der damit angetriebenen zunehmenden Selbstdarstellung der Menschen im Internet. Die Digitalisierung schreitet voran, insbesondere in den zurückliegenden Jahren, in welchen die Smartphones so gut wurden, dass sie nicht nur Computer völlig in das Arbeitssegment zurückgedrängt haben, sondern sogar die noch vor Kurzem so dynamisch wachsende Zahl der Tablets in einen Abwärtstrend brachten. Mit der Allgegenwart der Smartphones hat die Nutzung multimedialer Inhalte (zu denen natürlich auch Erklärvideos gehören) einen fortlaufenden Motor, der nie stillsteht und weiter beschleunigt (s. Abbildung 1).

Abbildung 1 Nutzung digitaler Endgeräte durch Kinder und Jugendliche, Quelle: Statista 2017

Zu (2): Youtube startete einst mit dem Slogan „broadcast yourself “. Das ist heute völlig selbstverständlich geworden, nicht zuletzt durch Social Media. Egal ob auf Instagram oder Facebook, WhatsApp oder Snapchat – überall beschäftigen sich die Menschen mit hohem Aufwand und enormer Begeisterung damit, sich selbst darzustellen. Da liegt es sehr nahe, sich auch am Trend der Erstellung eigener Erklärvideos zu beteiligen und schnell hat man einen „eigenen Channel“ auf Youtube und kann verfolgen, wie diese Clips genutzt und geliked werden (s. Abbildung 2).

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Erklärvideos an Schulen und Universitäten

Abbildung 2 Social Impact Assessment, 2015, Selbstdarstellung im Internet

Aber warum gerade Erklärvideos? Auch dies hat wohl nicht einen, sondern mehrere Gründe, bei den Videoerstellenden und bei den Videonutzenden. Wie oben schon angedeutet, gibt es im kommerziellen Segment vielfältige Gründe, Produkte mit Erklärvideos zu vermarkten. Gemessen an ihrer Verbreitungsgeschwindigkeit, Abdeckung, Präsenz und Verfügbarkeit sowie einer fast kostenlosen Distribution und Bereithaltung sind hier auch höhere Produktionsaufwände gegenüber dem Benefit kaum relevant. Dass sich aber auch Privatpersonen mit diesem Aufwand belasten, muss mit anderen Motiven begründet werden. Ein möglicher Ansatz dazu ist die Selbstbestimmungstheorie von Deci/Ryan (1985): Menschen suchen nach Kompetenzwahrnehmung, Autonomie und sozialer Einbindung. Durch die Produktion und Verbreitung eigener Erklärvideos können diese Bedürfnisse in hohem Maße befriedigt werden, denn man zeigt einer enorm großen potenziellen Personengruppe (soziale Einbindung), deren Reaktion sogar wahrgenommen werden kann, dass man in eigener Darstellung und Produktion (Autonomie) etwas kann (Kompetenz). Man muss hier weder Influencer*in, Musiker*in oder Comedian sein oder sonst etwas Charismatisches an sich haben und kann trotzdem online präsent sein. In einer immer komplexer werdenden Welt, in der sich immer mehr immer komplizierter werdende Produkte immer dynamischer verteilen, verliert man schnell den Anschluss an deren Bedienung, Handhabung, Nutzung etc. Die katalogartigen Gebrauchsanweisungen überfordern nicht nur die Leser*innen und deren Schränke für die Lagerung, sondern sie veralten auch zu schnell. Andererseits sind die Produkte relativ zuverlässig, sodass Störungen selten oder häufig nur einzelfallartig sind und FAQs und andere Troubleshooting-Ansätze zumeist nicht weiterhelfen. Support der Hersteller muss entweder gekauft werden oder ist schwer erreichbar – nicht selten wartet

Erklärvideos

man über 30 Minuten, um dann mit einem Roboter zu sprechen, der einen nicht versteht. Nicht selten fliegt man sogar aus der Leitung. Im Zusammenhang mit dem Phänomen „Planned Obsolescence“ kommt ein weiterer Treiber für den Bedarf an privat erstellten Erklärvideos hinzu: Viele Hersteller teurer Produkte unterlaufen ihre eigene Produktqualität, indem sie diese so ausstatten, dass sie nach einer bestimmten Zeit nicht mehr angemessen funktionieren und damit den Platz für neue Produkte freimachen. Dies ist z. B. der Fall, wenn Akkus nicht aus einem Gerät entfernt werden können und dieses dann – an sich funktionsfähig – weggeworfen werden sollte. Reparaturen durch Fachleute wären hier zu teuer, aber in Eigenregie durchaus interessant. Dazu benötigt man aber genaue Unterweisungen – sonst geht es schief. Aber nicht nur vor diesem Hintergrund, sondern generell immer dann, wenn man als Laie versucht, die Arbeit von Expert*innen selbst zu übernehmen, können Erklärvideos sehr hilfreich sein. Dass das nicht immer gut geht, steht auf einem anderen Blatt, trotzdem gibt es einen anwachsenden Trend, selbst zu Zange und Schraubendreher zu greifen; Unterstützung erfährt man hierbei durch freundliche Erklärer*innen auf dem Smartphone. Getrieben durch die immer tiefer in unsere Gesellschaften eindringende Digitalisierung hat sich hier ein markantes Double-win-System entwickelt: Auf der einen Seite stehen viele Parteien und Individuen, die mit hoher Motivation Erklärvideos produzieren, auf der anderen Seite stehen wiederum viele Parteien und Individuen, die einen enormen Bedarf an immer mehr, immer besseren und immer vielfältigeren Erklärvideos haben. Ein bedeutender Teil unserer Gesellschaften ist deren Bildungsbereich. Auch dort haben sich Erklärvideos inzwischen etabliert und weit verbreitet. Auch dort stehen im Hintergrund entsprechende Win-win-Situationen, die sich aber vom marktwirtschaftlichen Bereich durchaus unterscheiden. Dies soll im Folgenden genauer betrachtet werden.

→ Exkurs: Gehen Sie auf Youtube und suchen Sie sich zu folgenden Themen Erklärvideos: Spülkastenreparatur, Vertikutieren, Cha-Cha-Cha-Grundschritt, Anlagestrategien, Sauerbraten und Haareschneiden. Was ist ähnlich, was ist unterschiedlich?

1.1.2

Erklärvideos und Bildung

In der Tat haben die Erklärvideos dazu geführt, dass Youtube inzwischen die größte Lernplattform der Welt ist. Die Einnahmen dieser Plattform kommen zu über 90 % aus Unterhaltung, Werbung und Lehre. Dabei gerät gerne in Vergessenheit, dass die Erklärvideos eigentlich aus dem computergestützten Lernen  – kurz E-Learning  – kommen. Lange bevor es Youtube gab, in den 1990er-Jahren, als sich multimediale Technologien in den PCs des Privatlebens etablierten, wurden auch zunehmend Lern-

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programme entwickelt, die über einfache Animationen sowie Frage- und Antwortspielchen hinausgingen. In ihnen wurden Videosequenzen appliziert, überwiegend um komplexe Zusammenhänge zu erläutern. Mit dem Bedarf solcher Videos kamen auch zunehmend Programme zu deren Entwicklung, jedoch eher im Trickfilmbereich als im Abfilmen von Personen oder realen Vorgängen. Dies hing damals auch mit der begrenzten Datenkapazität zusammen, die auf und über Datenträger gehandhabt und von leistungsbegrenzten Rechnern so umgesetzt werden konnte, dass eine stabile Performance gesichert war. Die Welt des E-Learnings war damals jedoch noch weit entfernt von den etablierten Bildungswelten; die damaligen Lernprogramme haben sich nie in dem Maße verbreitet und durchgesetzt, wie es erwartet oder von den Produzent*innen gewünscht worden war.

E-Learning: Nach Michael Kerres ist E-Learning ein Oberbegriff für alle Varianten der Nutzung digitaler Medien zu Lehr- und Lernzwecken, die über einen Datenträger oder über das Internet bereitgestellt werden, etwa um Wissen zu vermitteln, für den zwischenmenschlichen Austausch oder das gemeinsame Arbeiten. Heutiges E-Learning geht auf das ehemalige computergestützte Lernen zurück, hat sich jedoch deutlich darüber hinaus entwickelt. Die Gründe dafür liegen einerseits in den technischen Entwicklungen, vor allem der inzwischen fortgeschrittenen Multimedialität und Interaktivität digitaler Medien, zudem aber auch im veränderten Lernverhalten der Menschen, die immer stärker zu individuellem, selbstorganisiertem Lernen tendieren (Kerres, 2018).

Relativ unabhängig von dieser Welt der eigenständigen Lernprogramme hat sich die Bildungswelt jedoch in den vergangenen drei Jahrzehnten durch und durch digitalisiert. Zuerst in den kommerziellen Bereichen des Fernlernens, dann an den Hochschulen und jetzt auch langsam im Schulsegment, wobei es enorme Unterschiede in den öffentlichen und privaten Segmenten nationaler Bildungssysteme gibt. Dass das auch mit der Besiedlungsdichte von Staaten und deren Gesamtfläche zusammenhängt, liegt nahe: Kanada war einer der weltweiten Vorreiter des digital gestützten Fernlernens. Finnland und Estland sind Beispiele für Staaten, in welchen ab einem bestimmten Zeitpunkt hochgradig auf Digitalisierung gesetzt wurde – zuerst in der Wirtschaft, dann in der gesamten Gesellschaft. In diesen Staaten haben die Bildungsinstitutionen deutlich früher reagiert und – im Vergleich zu Deutschland – einen fortgeschrittenen Stand und eine flächendeckende Verbreitung computergestützter, interaktiver und telekommunikativer Lehrangebote erreicht. Inzwischen ist die Digitalisierung aber auch in unseren großen öffentlichen Bildungsbereichen selbstverständlich. Die Hochschulen haben konsequent Campus-Management-Systeme eingeführt, in welchen von der Registrierung der Studierenden über deren Lehrveranstaltungen und Prüfungen bis hin zu Zertifikaten und Abschlüssen alles computer- und netzgestützt gehandhabt wird. Diese überwiegend administrativ profilierten Systeme sind zudem gekoppelt

Erklärvideos

mit expliziten Lehrsystemen wie z. B. Moodle oder Mahara. Auch an den allgemeinbildenden und beruflichen Schulen etablieren sich aktuell solche Systeme, allerdings deutlich zurückhaltender wegen datenschutzrechtlicher Bestimmungen und auch im internationalen Rückstand, gebremst durch jahrzehntelang vernachlässigte Ausstattungsinnovationen und gekoppelt mit Ausbildungsdefiziten beim Lehrpersonal.

Moodle und Mahara: Moodle ist eine Webapplikation, die durch eine konsequente Objektorientierung sehr einfach und anwenderfreundlich funktioniert. Sie wurde 1999 von Martin Dougiamas (Australien) entwickelt und war als Gegenmodell zu klassischen Lernplattformen intendiert. Nach dem Beginn im Jahr 2002 kam 2010 Moodle 2.0 heraus und 2015 folgte Moodle 3.0. Diese aktuelle Version hält vielfältige Funktionen für webbasierte Kurse in vielen methodischen Varianten bereit. Man kann sie in einem Baukastensystem eigenständig zusammenstellen und mit allen gängigen Elementen wie Dateien, Videos, Foren, Wikis, Glossaren, Spielelementen und auch Prüfungssequenzen ausstatten. Mit Moodle können Teilnehmende und Lehrende in verschiedenen Rollen implementiert und administriert werden, zudem ist es auch gut dazu geeignet, interaktive Gruppenarbeiten zu unterstützen. In Deutschland ist Moodle an Schulen und Hochschulen das am meisten verbreitete Kursmanagementsystem. Mahara wird oft in Ergänzung zu Moodle eingesetzt. Das Programm kam 2006 als OpenSource-Projekt aus Neuseeland und unterstützt als E-Portfolio-Applikation mit Gruppenfunktionen selbstorganisiertes Lernen. Das Wort Mahara kommt aus der Māorisprache und bedeutet „denken“. Im Zentrum von Mahara stehen Dokumentation und Reflexion von Lernprozessen und Lernergebnissen in singulärer und kollektiver Handhabung. Lernprozesse werden in Mahara nicht explizit wie in Moodle konzipiert und reguliert, sie erwachsen aus dem individuellen Umgang der Lernenden mit ihren Lernergebnissen und den darauf bezogenen Rückmeldungen.

Digitalisierung in öffentlichen Bildungseinrichtungen erfolgte und erfolgt in Deutschland immer noch zentral über die Administration. Ausnahmen sind hier „Einzelkämpfer*innen“ die es überall gibt, welche jedoch kaum Einfluss auf das Gesamtsystem haben. Daher ist aus didaktisch-methodischer Perspektive bezüglich digitalisierter Lehre in Deutschland nur moderater Optimismus angezeigt. Trotz der vielfältigen Möglichkeiten, die es inzwischen z. B. an Universitäten gibt, begrenzt sich die Nutzung dieser Infrastrukturen überwiegend auf den Austausch von Literatur, Informationen und Aufgaben. Manchenorts wurden auch Vorlesungen abgefilmt und als Zusatzangebot den Studierenden zur Verfügung gestellt, von konsequentem E-Learning kann hier aber nur bedingt die Rede sein. Ausnahmen sind hier die Fernuniversitäten bzw. Lehrformate, die als Fernlernkurse angeboten werden. Eine Ausnahmesituation hat die Corona-Krise erzeugt: Die Restriktion, ausschließlich über Datenleitungen lehren zu können, hat bei vielen Lehrenden die Auseinandersetzung mit E-Learning aktiviert und vorangetrieben. Plötzlich wurde Präsenzlehre der Ausnahmefall und die Fernleh-

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re der Normalfall. Wer über die Verlagerung des Unterrichts in Zoom-Konferenzen oder das Hin- und Hersenden von Fragen, Aufgaben und Informationen hinausgehen wollte, musste sich genauer mit E-Learning auseinandersetzen. Dies schließt die Distribution oder Produktion von Erklärvideos mit ein.

Schulbezogene Lernplattformen: Unter Lernplattformen versteht man allgemein komplexe Content-Management-Systeme für die Bereitstellung von Lernmaterialien und Lernmedien sowie die Organisation von Lernvorgängen. Heutige webbasierte Lernplattformen unterstützen zudem die Kommunikation zwischen Lernenden und Lehrenden, können aber auch eine Schnittstelle zwischen den Bildungsanbietern und den lernenden Personen bilden. Hier sind sowohl Push-Ansätze möglich, in welchen von einem Anbieter Daten gezielt adressiert werden, als auch Pull-Konzepte, in welchen sich Nutzer holen, was sie benötigen. Außerhalb der Bildungsinstitutionen haben sich in den letzten Jahren in sehr unterschiedlichen Konzepten, Geschäftsmodellen und Niveaus viele Lernplattformen etabliert. Beispiele sind kombinierte Push-Pull-Konzepte wie Sofatutor, scoyo, Anton, Klassenarbeiten.de oder learnattack. Hier werden offene Angebote gemacht, auf die undifferenzierte Nutzergruppen zugreifen können. Neben diesen freien Plattformen gibt es Verlagsplattformen (z. B. von Klett). In diesen Push-Konzepten werden die ehemaligen Lerntrainings der Verlage nun digital distribuiert. Man bekommt, was man bezahlt. Schulen in Deutschland haben inzwischen die datenschutzrechtlichen Hemmnisse der letzten Jahre hinter sich gelassen und ebenfalls eigene Lernplattformen implementiert. Diese Push-Konzepte sind jedoch weniger auf die Lehre fokussiert, sondern eher auf die Administration und Kommunikation (ähnlich wie die hochschulischen Campus-Management-Systeme). Plattformlernen ist gesellschaftlich angekommen; geht man ausschließlich vom Datentraffic aus, ist Youtube die weltweit größte „Lernplattform“, allerdings als reines Pull-Konzept.

Vorbilder für den Bildungsbereich gibt es bezüglich Erklärvideos inzwischen viele – sowohl innerhalb als auch außerhalb von Youtube. Insbesondere schulbezogene Plattformen wie „Sofatutor“ haben sich hier in den letzten Jahren umfassend aufgestellt und weitere folgen sukzessive, denn auch hier kommt das Format gut an. Vorbild bzw. Vorreiter ist der nordamerikanische Raum, in welchem sich didaktische Erklärvideos umfassend etabliert und ausdifferenziert haben. Inzwischen wird eine Reihe von Typen oder Gattungen unterschieden, wobei diese Unterscheidungen nicht systematisch oder konsistent sind, sondern eher narrativer Natur.

→ Exkurs: Gehen Sie auf Youtube und suchen Sie sich zu folgenden Themen Erklärvideos: Dreißigjähriger Krieg, Lyrik, Present Perfect, Transistorschaltungen, Redoxreaktionen, speicherprogrammierbare Steuerung, Weitsprung und Fotosynthese. Was ist ähnlich, was ist unterschiedlich?

Erklärvideos

1.1.3

Gattungen didaktischer Erklärvideos

Erklärvideos sind ein typisches digitales Phänomen. Sie waren „plötzlich“ da, sie sind sehr bekannt und werden selbstverständlich genutzt. Dahinter liegen verschiedene Subkulturen, die sie erstellen, posten, nutzen, entfremden, karikieren, sie sind vielfältig kommerzialisiert, sie sind allgegenwärtig und: Sie sind nicht genau definiert. Hauptgrund dafür ist natürlich ihre unstrukturierte Entstehung in einem „medialen Wildwuchs“ und die dabei sehr fachlich unterschiedlichen Heimaten der Produzent*innen. Erklärvideos werden hergestellt von Handwerker*innen, Hausmännern und -frauen, Informatiker*innen, Wissenschaftler*innen, Schüler*innen, Lehrer*innen, Student*innen, Dozent*innen, Expert*innen aus Medienproduktion, Film und Fernsehen usw. Bezeichnungen für neue Dinge entwickeln sich aus deren Alltagsgebrauch, Definitionen entstehen aus Expert*innenkulturen. Hier kam beides nebeneinander. Dominant waren hier zwei sehr unterschiedliche Kulturen: zum einen die anarchistische Welt der Blogger*innen, Youtuber*innen und „Einfach-mal-schnell-Poster*innen“, zum anderen die deutlich strukturiertere Welt des E-Learnings. Letzte unterscheidet Erklärvideos z. B. in Tutorials, Animatics, Lege-Trick-/Whiteboard-Produktionen und Motion Graphic. Hier sind viele Kriterien gemischt, der Herstellungsaspekt ist aber dominant. Dabei gibt es eine ganze Reihe von Unterscheidungskriterien, nach welchen man Ordnungssysteme schaffen könnte: die Produzent*innen (Laien, Profis), die Personalisierung (Ansprache der Zusehenden durch eine sichtbare Person, Ansprache der Zusehenden durch eine Zeichenfigur oder einen Avatar, Ansprache der Zusehenden aus dem Off, keine Ansprache und nur eine Stimme aus dem Off), die Herstellungstechnik (direktes Filmen, geschnittener Film mit Nachvertonung, Bildschirmaufnahme, Einzelbilddynamisierung), die Vermittlungsintention (Sachverhalte, Zusammenhänge, komplexe Bezüge, Wirkungen und Wechselwirkungen, Emotionen, Werte, Prozesse, Handhabungen, Fehlerbehebungen, Motorik etc.), die Erklärstrategien (Instruktion, Kommentierung, Frage-Antwort, Entwicklung) etc. Nachdem sich bislang jedoch keine verbindlichen Ordnungssysteme etabliert haben, wäre es anstrengend und auch wenig zielführend, nun entlang dieser Kriterien alle aktuellen Begrifflichkeiten zu ordnen. Daher will ich hier umgekehrt die gängigsten Bezeichnungen für didaktische Erklärvideos anführen und dabei dann auf deren Spezifika jeweils eingehen. Nach dieser Kurzvorstellung sollen die einzelnen „Formate“ auf Basis relevanter Kriterien verglichen werden. Am geläufigsten für didaktische Erklärvideos sind die folgenden aktuellen Bezeichnungen: Simpleshow, Screencast, Microlecture, E-Lecture, Documentary (Arnold/Zach, 2019).

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Simpleshow Ich beginne mit dem Begriff „Simpleshow“, der keine Gattung oder Variante von Erklärvideos beschreibt, sondern ein Synonym dafür ist. Simpleshow wird einerseits in sehr vielfältigen Kontexten und Ausprägungen verwendet, andererseits sind keine intentionalen, strategischen, methodischen, herstellungs- oder anwendungsbezogenen Spezifikationen erkennbar. Diese Bezeichnung wird sowohl im englischsprachigen Raum verwendet als auch im deutschsprachigen – dort aber eher als Anglizismus bzw. als Label für kommerzielle Produktionen. Simpleshow klingt – obwohl es das Wort „simple“ beinhaltet  – besser als Erklärvideo. Es passt durch den englischsprachigen Klang besser in die Welt der Betriebe und Unternehmen. Im Bildungssegment ist dies weniger bedeutsam, dort wird aktuell immer noch von Erklärvideos gesprochen oder von deren Spezifikationen, kaum von Simpleshows, denn dort will man wohl auf keinen Fall den Verdacht einer Simplifizierung aufkommen lassen.

Screencast Als Screencasts werden Erklärvideos bezeichnet, die unmittelbar über eine Bildschirmdarstellung generiert wurden. D. h. dass Lehrpersonen etwas am Computer tun, dieses im Regelfall auch kommentieren und dabei eine Aufzeichnung läuft. Dabei intendieren die Lehrenden die Veranschaulichung und Erklärung dessen, was sie vorführen und besprechen. Screencasts kommen aus dem Kontext der computerbezogenen Information und Kommunikation. Sie gehen auf Screenshots zurück, also Bildschirmfotos, die von Programmierer*innen und Systemadministrator*innen für Erklärungen verwendet wurden, zumeist versehen mit schriftlichen Kommentaren. Dynamisiert man eine Abfolge von kommentierten Screenshots, erhält man einen Screencast. Inzwischen werden immer seltener Screenshotabfolgen kommentiert, stattdessen handhabt man einfach unmittelbar erstellte Screencasts. Jedes Betriebssystem verfügt inzwischen für jede Form von Endgerät über eine entsprechende Aufnahme- und Speicherfunktion, sodass jede Person, die ein Smartphone besitzt, zu jeder Zeit in der Lage ist, einen Screencast zu erstellen. Ebenso kann man bei einer PowerPoint-Präsentation die Aufnahmefunktion mitlaufen lassen. Wenn man in der Nähe des Mikrofons bleibt, kann auch daraus schon ein brauchbarer Screencast werden. Will man eine höhere Qualität, kann das nicht genügen. Dann sollten entsprechende Mikrofone zum Einsatz kommen und die Kommentierung nicht spontan, sondern auf Basis einer adäquaten Vorbereitung erfolgen.

Erklärvideos

Aus der Forschung: Die US-Amerikaner Lloyd und Robertson haben schon vor 10 Jahren untersucht, welche Wirkung der Einsatz von Screencasts in der Hochschullehre hat. In einer experimentellen Vergleichsstudie mit 53 Studierenden erhielten alle Proband*innen einen Kurs in Statistik. Nach dem Kurs mussten sie Aufgaben über den behandelten Stoff lösen. Dabei wurde die Untersuchungsgruppe mit einem Screencast unterstützt, die Vergleichsgruppe hatte dieses Medium nicht. Es konnte signifikant nachgewiesen werden, dass die Lösungen der Untersuchungsgruppe besser waren und sie dafür sogar weniger Zeit benötigten (Lloyd, S. A. / Robertson, Ch. L., 2011).

Microlecture Bei den sogenannten Microlectures ist die Zeit das entscheidende Element. In maximal 60 Sekunden soll ein solches Erklärvideo in sehr komprimierter Form einen spezifischen Sachzusammenhang aus dem hochschulischen Bildungsbereich vermitteln. Es sollte einerseits inhaltlich und methodisch sehr durchdacht sein, auf der anderen Seite erhebt es keinen Anspruch auf eigenständige Lehre. Gegenteilig sind Microlectures explizit als Ergänzung bzw. Bereicherung von komplexen hochschulischen Lernumgebungen vorgesehen. Die Komprimierung auf die kleine Zeiteinheit intendiert neben der inhaltlichen und methodischen Verdichtung auch eine gute Handhabbarkeit und Adaptivität der Erklärvideos, denn sie können (ohne große Zeitanteile zu beanspruchen) vielfältig in verschiedenste Lehrformate implementiert werden und diese bereichern oder ergänzen.

E-Lecture Die sogenannte E-Lecture ist nichts anderes als eine multimediale Aufzeichnung eines Vortrags bzw. einer Präsentation. Das Konzept des Erklärvideos wird sehr weit strapaziert, denn hier handelt es sich häufig nur um ein Nebenprodukt eines Lehrformats. Hier ist das Erklärvideo weitgehend die Konserve einer Präsentation bzw. eines Vortrags oder aber der Versuch, einen Vortrag über den regional oder zeitlich erreichbaren Raum hinauszutragen. Dies ist wohl auch gängige Praxis in den MOOCs, den „Massive Open Online Courses“, also in Lehrvorträgen, die für große und weitgehend offene Adressat*innengruppen ins Internet gestellt werden. E-Lectures beinhalten als zentrale Elemente die Stimme und (zumeist) die Videoaufnahme der Vortragenden und ihre Präsentation. Je nach Bearbeitungssoftware kann dabei noch eine Akzentuierung der Präsentation – ähnlich wie in einem Screencast – mit dargestellt werden.

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Documentary Der überwiegend in den USA etablierte Begriff „Documentary“ hat eine Wandlung mit dem Aufkommen der Erklärvideos erfahren. Ehemals war damit der Dokumentarfilm gemeint, eine Filmgattung, die zentral auf Information ausgerichtet war und weniger auf Unterhaltung. Dokumentarfilme gibt es auch bei uns seit Langem – als Naturfilme ebenso wie als landeskundliche oder sozialkritische Filme. Mit der aufkommenden Verbreitung von Videotechnologien ging die Erstellung von Documentaries sukzessive auf Personen außerhalb der professionellen Studios über. Vor allem an den Universitäten wurden eigenständige Mediatheken mit Documentaries aufgebaut und für die Lehre genutzt. Damit ist den Documentaries eine feste Bedeutung in der Entwicklung und Ausdifferenzierung von Erklärvideos beizumessen. Die aktuell feststellbare Verschmelzung der verschiedenen „Ursprungsformate“ hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass die Produktion immer noch weiter von den Experten auf die Laien übergeht. Dies gilt auch für Documentaries, denn in der Hochschullehre wird inzwischen von der Ausarbeitung bildgestützter Präsentationen auf die Herstellung von Documentaries übergegangen. Simpleshow

Screencast

Didaktische Erklärvideos

Microlecture

E-Lecture

Documentary

Abbildung 3 Bezeichnungen für didaktische Erklärvideos

Wie zu Beginn dieses Abschnitts angedeutet, handelt es sich bei den hier vorgestellten Typen, Arten oder Gattungen von Erklärvideos keineswegs um klar abgrenzbare Formate. Gegenteilig gehen sie in vielen Aspekten ineinander über bzw. erfahren ihren Unterschied aus einer anderen Genese oder einer anderen Akzentuierung. Um hier so etwas wie Systematik hineinzubringen, muss man relevante Unterscheidungskriterien heranziehen. Unterscheidet man beispielsweise nach der Erklärintention, kann man zwischen (1) direkten Instruktionen, (2) Überblicksbetrachtungen, (3) Zusammenhangsbetrachtungen und (4) Visualisierung unterscheiden.

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Zu (1): Die Intention der Instruktion ist handlungsbezogen, ausgerichtet auf eine unmittelbare und möglichst exakte Umsetzung, mit dem Ziel, eine Handlung möglichst genau nachzuvollziehen, primär um zu einem guten Ergebnis zu kommen, sekundär um dies zu verstehen. Als Beispiele wären hier die unzähligen Handwerker-Erklärvideos oder auch Kochvideos zu nennen, in denen die Herstellung oder Reparatur eines Objekts oder das Zubereiten eines Gerichts vorgeführt und exakt erläutert werden. Zu (2): Die zentrale Intention der Überblicksbetrachtung ist wissens-, aber auch einstellungsbezogen und ausgerichtet auf ein zusammenhängendes Verständnis von größeren und komplexen Themen oder Inhalten. Der Blick soll durch Bild und Text geöffnet werden für Dinge, die räumlich oder zeitlich weit entfernt bzw. schwer zugänglich oder wahrnehmbar sind. Typische Beispiele sind hier historische, ethnologische oder geografische Erklärvideos. Zu (3): Die Intention der Zusammenhangsbetrachtung ist wissens-, aber auch verständnisbezogen und ausgerichtet auf ein genaues Verstehen schwieriger bzw. schwer zugänglicher Funktionen, Prozesse, Reaktionen etc. Hier geht es ums Detail, um die unmittelbaren Funktionszusammenhänge und die dahinterliegenden Gesetzmäßigkeiten. Als Beispiele kann man hier Erklärvideos aus den Techniken und Technologien anführen: Wie funktioniert ein Hochofen, eine Robotersteuerung, ein 3D-Druck etc.? Zu (4): Die Intention der Visualisierung ist gegenüber den anderen drei Intentionen nicht auf das Können (motorisch) oder Wissen (kognitiv) ausgerichtet, sondern auf Bewertung (affektiv). Das zentrale Anliegen ist hier nur eine Zusammenstellung von Bildmaterialien, die mehr oder weniger kommentiert sind. Die Produktion versucht, möglichst neutral zu bleiben, man überlässt den Adressat*innen die Einordnung des Wahrgenommenen. Visualisierungen sind vor allem dann relevant, wenn es um affektiv aufgeladene Themen geht (wie z. B. Sterbehilfe, Abtreibung oder Migration) oder darum, Suggestivwirkungen zu verhindern und den Adressat*innen die Räume für eine individuelle Meinungsbildung offenzuhalten. Eine weitere kategoriale Unterscheidungsmöglichkeit könnte man bezogen auf die mediale Umsetzung vornehmen: Hier könnte man zwischen (1) kommentierten Bildabfolgen, (2) animierten Bildern, (3) Trickanimationen und (4) real aufgenommenen Videos unterscheiden. Zu (1): Kommentierte Bildabfolgen als Erklärvideos werden immer seltener, da sich neue und günstige Technologien etabliert haben, die hier attraktivere Möglichkeiten bieten. Es handelt sich hierbei um eine Art Diavortrag: Ein Bild nach dem anderen wird ein- und ausgeblendet, dabei beschreibt eine Stimme aus dem Off die jeweiligen Sachzusammenhänge. Zu (2): Erklärvideos mit animierten Bildern haben sich weit verbreitet und die kommentierten Bildabfolgen abgelöst. Sie wirken lebendiger und sind durch eine gezielte Animation auch verständlicher. Häufig werden einfach kleine ausgeschnittene Texte, Symbole oder auch Fotografien herumgeschoben, angeordnet und wieder weggenommen, während eine Stimme aus dem Off erläutert und kommentiert.

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Zu (3): Mit semiprofessionellen oder professionellen Applikationen und viel Expertise lassen sich auch eigenständig animierte Erklärvideos herstellen. Dazu sind Autorensysteme erforderlich, mit welchen man in der Lage ist, beliebige Zeichentricks digital zu handhaben. Auch hier wird der Informationsgehalt der beiden Vorgänger nicht wesentlich überschritten, es sind so aber Gewinne hinsichtlich der Darstellung und auch Genauigkeit einzuholen, denn das Verschieben und Abfilmen kleiner Bildchen hat einen begrenzten Auflösungsgrad. Hier kann auch  – bei entsprechender Kompetenz – selbst gezeichnet werden. In jedem Fall ist aber Aufwand und Expertise unabdingbar. Zu (4): Wieder einfacher in der Produktion ist das unmittelbare Abfilmen der Realität, allerdings nur, wenn diese unmittelbar zugänglich und per Video erschließbar ist. Also beispielsweise gut geeignet für die Darstellung der Reparatur eines Fahrradschlauchs, aber schwierig für die Beschreibung einer Kernreaktion. Ordnet man nun die vorausgehend erläuterten denominierten Formate entlang dieser beiden Kriterien ein, entsteht ein inkonsistentes Bild (Tabelle 1). Hier wird deutlich, wie wenig die bisher geläufigen Denominationen der Erklärvideos über deren genaue Charakteristik aussagen. Um hier differenziertere Aussagen treffen zu können, müssen diese entlang der vielfältigen Kriterien, welche für Erklärvideos relevant sein können, analysiert werden. Unabhängig davon gilt es, die aktuellen und sich weiterhin etablierenden Bezeichnungen zu kennen und zu verstehen, denn hinter jeder steht ein spezieller Zusammenhang, eine spezielle Intention oder ein spezieller Anspruch. Tabelle 1 Denominierte Formate kriterial betrachtet

Simpleshow Screencast Microlecture E-Lecture Documentary

Erklärintention

Mediale Umsetzung

Offen Offen Offen Überblick oder Zusammenhang Überblick, Zusammenhang, Visualisierung

Offen Abgefilmte Realität Offen Abgefilmte Realität Offen

Was hier auf alle Fälle erkennbar wird, ist die große Vielfalt, die hinter dem Begriff „Erklärvideo“ steht; sowohl im großen Raum der Gesamtverbreitung dieser Clips als auch in dessen Teilmenge, dem Raum des formellen und informellen Lernens. Dass die hier (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) angeführten Bezeichnungen keine Orientierung in diesem umfassenden Gefüge unterschiedlichster Formate geben können, ist unproblematisch. Wesentlich wichtiger ist es – wie Tabelle 1 zeigt –, sich mit den genaueren Bestimmungsfaktoren von Erklärvideos auseinanderzusetzen – sowohl für deren Nutzung als auch insbesondere für deren Herstellung, denn für diese gilt es nicht weniger als drei unterschiedliche Professionsbereiche zu integrieren: die Unterrichtsdidaktik und -methodik, die Mediendidaktik und -methodik und die Produktion und Distribution digitaler Videos.

Wissenschaftliche Positionen

Um Erklärvideos differenzierter zu erschließen als über narrative Denominationen, ist eine Analyse entlang klarer Kriterien erforderlich. Im Folgenden werden dazu zunächst zentrale wissenschaftliche Zusammenhänge besprochen. Dabei werden drei Bezugsfelder aufgesucht: ein grundlegendes über das menschliche Lernen, ein psychologisches und ein didaktisches. Anschließend werden Erklärvideos aus zwei unterschiedlichen Perspektiven betrachtet: einer unterrichtsdidaktischen, welche jene Dinge akzentuiert, die spezifisch auf den Vermittlungsaspekt ausgerichtet sind, und einer mediendidaktischen, welche sich zentral auf den Darstellungsaspekt bezieht. Der daran anschließende Abschnitt konzentriert sich auf den konkreten Entwicklungsprozess von Erklärvideos, beginnend mit internalen und externalen Aspekten, die es zu beachten gilt, über die eigentliche Produktion und abschließend mit der Qualitätssicherung. Dann ist der theoretische Teil des Buchs abgeschlossen und es folgen praktische Beispiele.

1.2

Wissenschaftliche Positionen

Dies ist kein wissenschaftliches Buch. Trotzdem sind hier wissenschaftliche Hintergründe relevant, nicht zuletzt weil die meisten potenziellen Nutzer dieses Handbuchs entweder ein wissenschaftliches Studium absolviert und auf dessen Basis ihre Praxis aufgebaut haben oder inzwischen selbst in der Wissenschaft tätig sind. Daher will ich an dieser Stelle kurz wissenschaftliche Positionen aus der Psychologie und aus der Didaktik vorstellen.

1.2.1

Grundlegende Perspektiven auf menschliches Lernen

Menschliches Lernen ist sehr vielfältig. Die Lernfähigkeit ist eine der zentralen Fähigkeiten, die – ausgehend von der Evolution – zum heutigen Menschen geführt hat. Sowohl alters- als auch fähigkeitsbezogen ist die menschliche Entwicklung als ein fortschreitender Lernvorgang zu betrachten, hierbei kann man drei zentrale Entwicklungsbereiche unterscheiden: den kognitiven, den affektiven und den motorischen. Kognitive Entwicklung bezieht sich auf den Verstand, affektive auf unsere Gefühle und Werte, wohingegen die motorische Entwicklung unsere Physis betrifft. Davon ausgehend, dass an Schulen und Hochschulen überwiegend der kognitive Bereich adressiert wird, erfolgt hier eine Eingrenzung auf die hierfür einschlägigen Lerntheorien. Dies sind zum einen Ansätze, die unter dem Begriff des Kognitivismus subsumiert werden können, zum anderen Ansätze aus dem Kontext des Konstruktivismus.

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Lernen aus kognitivistischer Perspektive In den 50er-Jahren des zurückliegenden Jahrhunderts waren es behavioristische Psychologen wie Edward Toleman, Kurt Lewin und Jerome Bruner, die die bis dahin dominanten Reiz-Reaktions-Theorien menschlichen Lernens überschritten (Krapp, 2014). In der Feststellung, dass es viele Dinge im menschlichen Verhalten gab, die nicht aus einfachen Stimulus-Response-Ansätzen erklärbar waren, wandten sie sich dem zu, was beim Menschen zwischen Reiz und Reaktion lag: dem Gehirn und seinen Potenzialen. Dass hier völlig andere Mechanismen arbeiten mussten als in behavioristischen Ansätzen, wurde aus verschiedenen Beobachtungen sehr deutlich, zum Beispiel dem sprunghaften Lernen beim Verstehen gegenüber dem kontinuierlichen Lernen durch Wiederholen. Dieser „Sprung“, der eintritt, wenn ein Mensch etwas verstanden hat, setzt voraus, dass in seinem Inneren (dem Gehirn) ein Informationsverarbeitungsvorgang stattfindet (Artelt/Wirth, 2014). Typische kognitive Leistungen sind das Analysieren, Abstrahieren, Differenzieren, Kombinieren, Transferieren etc. Ebenfalls dazu gehört das präzise Erinnern, denn die Fähigkeit, Wahrgenommenes und Gedachtes situationsadäquat wieder „hervorzuholen“, ist eine enorme Verstandesleistung (ebd.). Lernen ist hier also als eine individuelle Entwicklung dieser kognitiven Fähigkeiten zu verstehen und auch als ein Aufbau von strukturiertem Wissen. Beides hängt eng miteinander zusammen. Dabei ist der Wissensbegriff durchaus komplex und wird aktuell immer noch intensiv erforscht. Hier kann man z. B. in deklaratives Wissen (Wissen um Dinge und Konzepte), prozedurales Wissen (Wissen um und über Handlungen) und konzeptionelles Wissen (relativiertes und abstrahiertes „Wissen hinter dem Wissen“) unterscheiden. Eine andere Unterscheidung wäre in Fakten (Einzelinformationen), Konzepte (zusammenhängende Informationen), Prozeduren (zeitlich geordnete Abläufe) und Metakognition (Wissen über das Wissen). Hier sieht man – trotz unterschiedlicher Begriffe – durchaus Ähnlichkeiten, was zeigt, dass wir hier wissenschaftlich auch an Grenzen stoßen. Wir wissen um unser Bewusstsein und um die kognitive Repräsentation der Welt jenseits unserer Sinneswahrnehmungen, können hier aber lange noch nicht alles erklären. Es gibt jedoch zentrale Aussagen bezogen auf kognitivistisches Lernen, die gut abgesichert sind (ebd.): – Lernen ist keine Abbildung der Realität, sondern deren verstehendes Erschließen. Verstehen heißt, sinnvolle und nachvollziehbare Zusammenhänge zwischen Bekanntem und Unbekanntem herstellen zu können. Dies schließt ein nichtverstehendes Lernen nicht aus (wie z. B. bei Vokabeln), weist diesem jedoch einen Sonderstatus zu. – Lernen ist ein aktiver Erschließungsprozess, in welchem Informationen gegenübergestellt und gezielt analysiert werden, um eine Unschlüssigkeit zu beheben. Jeder Mensch verfügt hier über individuelle Befähigungen, die er

Wissenschaftliche Positionen





wiederum lernend erwerben muss. Man lernt also nicht nur das zu Lernende, sondern auch fortlaufend das Lernen. Lernen füttert unser Gedächtnis mit angereicherten Informationen. Diese Informationen sind nach Kategorien geordnet, ihre Qualität korrespondiert mit ihrem Differenzierungsgrad. Je mehr wir über etwas wissen, desto leichter können wir Neues zuordnen und desto stabiler wird das Gesamtgefüge. Lernen ist ein bewusster Informationsverarbeitungsprozess, der mit der Aufnahme verschlüsselter Informationen über die Sinnesorgane beginnt, zu einer Aktivierung des einschlägigen Vorwissens führt, in einen Abgleich von neuen Informationen und Vorwissen mündet und schließlich zu einem Ergebnis führt, in welchem Vorwissen und neue Informationen sinnvoll (schlüssig, logisch, widerspruchsfrei) integriert sind.

Lernen aus konstruktivistischer Perspektive Ähnlich wie beim Kognitivismus liegen auch die Ursprünge des Konstruktivismus schon fast ein Jahrhundert zurück. Im Gegensatz liegen diese aber nicht in der Psychologie, sondern in Philosophie und Biologie. Die Grundidee des Konstruktivismus geht auf eine skeptische Erkenntnisphilosophie zurück, die generell infrage stellt, dass der Mensch in der Lage ist, die Welt über seine Sinne „richtig“ (d. h. objektiv) zu erfassen. Dies ist schlüssig, denn die Sinne können uns täuschen und wir wären dann als Einzelindividuen auch nicht in der Lage, dies festzustellen oder zu korrigieren. Mit dem Satz „cogito ergo sum“ (ich denke, also bin ich) wollte René Descartes genau diese Unsicherheit unterstreichen, denn das Denken ist de facto das Einzige, was wir zweifelsfrei unterstellen können (Siebert, 2008). Von dieser Unsicherheit ausgehend kann man alles andere, was der Mensch um sich herum wahrnimmt, als ein Konstrukt, also als seine Eigenschöpfung betrachten, als etwas, was er sich aus dem Bedürfnis heraus, damit „klarzukommen“, selbst „zusammeninterpretiert“ hat. Das könnte man auch als Widerspruch zu einer modernen, aufgeklärten Welt mit empirischer Forschung sehen. Aber tatsächlich gibt es viele Bezugsräume des Menschen, in welchen er sich überwiegend auf Konstrukte verlässt, z. B. sein soziales Leben. Hier fehlt uns generell empirische Evidenz – wir können nur fortlaufend interpretieren, was um uns herum stattfindet und uns demgemäß verhalten (ebd.). Der pädagogische Konstruktivismus ist noch sehr jung, wenn man von seinen Ursprüngen bei Glaserfeld, Varela und Maturana einmal absieht. Er wurde in den späten 1980er-Jahren in den USA hervorgebracht, als man nach neuen Ansätzen für Lehren und Lernen suchte, welche das bestehende Instruktionsparadigma überschritten. Zentrale Kritik am kognitivistisch orientierten Lernen war dessen Abstraktheit und Handlungsferne (träges Wissen). In den 1990er-Jahren kamen diese Theorien nach Deutschland und hinterlegten den curricularen Wandel vom Wissen zur Kompetenz.

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Lernen ist aus konstruktivistischer Perspektive jedoch nicht anders als aus kognitivistischer, wenngleich der Prozess etwas anders dargestellt wird und auch die Ergebnisse ein wenig voneinander abweichen. Zentral ist hier die Äquilibrationstheorie von Jean Piaget. Gemäß dieser erfolgt menschliches Lernen in einem fortlaufenden Assoziieren von Informationen. Dabei werden zwei Grundprozedere unterschieden: die Assimilation und die Akkommodation. Wenn etwas Bekanntem ein neues Attribut widerspruchsfrei zugeordnet werden kann, ist dies als Assimilation zu bezeichnen. Mit dem Neuen wird das Alte bestätigt und ergänzt. Wenn eine widerspruchsfreie Zuordnung nicht möglich ist, muss akkommodiert werden. Dies bedeutet, dass das bestehende Wissensgefüge zunächst relativiert werden muss, um es dann ergänzen zu können (Oerter/Montada, 1998). Ein Beispiel: Dem Konzept „Wasser“ lässt sich als neues Attribut die Eigenschaft „nass“ widerspruchsfrei zuordnen. Wasser fühlt sich also besonders auf der Haut an, was aber nicht im Widerspruch zu dessen Aussehen steht. Diese Assimilation ist bei den Zustandsformen Eis oder Nebel nicht mehr möglich, denn unter Wasser stellt man sich generell eine Flüssigkeit vor. Um also diese beiden Eigenschaftsvarianten akkommodieren zu können, muss die Zustandsform relativiert werden. Wasser kann also sowohl fest als auch flüssig oder gasförmig sein – abhängig von Temperatur und Druck. Lernen ist somit aus konstruktivistischer Perspektive ein fortlaufendes Ergänzen und Erweitern bestehender Strukturen, ein Auf- und Umbau, der zentral von den individuellen Wahrnehmungs- und Deutungsprozessen gesteuert wird. Es ist damit rekursiv (also selbstbezogen) und führt zu einem hochindividuellen assoziativen Netz, in welchem alles miteinander verbunden ist. Je größer und differenzierter das Netz, desto umfassender ist das Wissen. Dass damit aber keineswegs ein wirres und beliebiges Konstrukt entsteht, ist nicht selbstverständlich. Die Alchemie wäre ein Beispiel dafür, was aus konstruktivistischem Lernen ohne Außenreferenz entstehen kann. Entscheidend ist hier die Außenreferenz. Was dem Menschen aus philosophischer Perspektive nicht möglich ist, ist in einer pragmatischen Perspektive durchaus möglich: Durch die Erforschung der Welt und durch die begriffsartige Beschreibung der Dinge sowie fortlaufende Dokumentation unserer Erkenntnisse wurde von den Menschen eine objektive Welt generiert, die alle Lebensbereiche abdeckt, aber natürlich in letzter Konsequenz auch „Grauzonen“ und „weiße Flecken“ hat (denn die Wissenschaft treibt ja nur unsere Erkenntnisgrenzen voran, kann Erkenntnis aber nicht abschließen). Trotzdem geht davon eine objektivierende Wirkung aus, solange sich die Menschheit daran orientiert. Aus konstruktivistischer Sicht bringen wir also mit unseren Bildungsinstitutionen eine sehr bedeutsame Objektivierung in die menschliche Entwicklung, indem man deren Konstruktionsprozesse mit einer Außenreferenz abstützt. Vereinfacht ist konstruktivistisches Lernen also eine individuelle Erschließung der Welt in fortlaufendem Abgleich mit deren objektiver Rekonstruktion.

Wissenschaftliche Positionen

Damit wird deutlich, dass diese Vorstellung von Lernen kein Gegenentwurf zum kognitivistischen Ansatz ist, sondern einfach eine andere Akzentuierung, denn auch dort geht es letztlich beim Lernen um sinnvolles Assoziieren. Besondere Akzente setzt der Konstruktivismus in folgenden Zusammenhängen (Tenberg et al., 2019): – Lernen erfordert für das Individuum immer einen plausiblen Grund. Ohne Relevanzwahrnehmung gibt es keinen bleibenden Lernfortschritt. – Lernen sollte in einem bekannten, vertrauten Kontext eingebettet sein und sollte Räume schaffen, diesen eigenständig um- und aufzubauen. Völliges Neulernen ist äußerst mühsam. – Individuelles Lernen und Außenabgleich sollten als Resonanz – und nicht als Dissonanz – erlebt werden. Dabei sollte aber nicht die Reihenfolge getauscht werden: Erst kommt die (individuelle und singuläre) Erfahrung und dann die (überindividuelle und allgemeine) Einordnung. Abschließend werden im Folgenden noch zentrale Aussagen aus beiden Lerntheorien aggregiert zusammengefasst: – Menschen erwerben ein Wissen, das sie als relevant einschätzen, sie können es jedoch nicht einfach auf- oder übernehmen, sondern müssen es entweder konkret konstruieren oder abstrakt rekonstruieren. – Der Wissenserwerb ist ein aufwendiger, aktiver Prozess und bedingt somit Motivation („wollen“) und Volition („dabeibleiben“). – Wissen zu konstruieren bedeutet, neue Informationen dem bestehenden individuellen Netzwerk gegenüberzustellen und dieses dann entweder zu ergänzen oder es so anzupassen, dass sich das Neue stimmig einordnen lässt. – Wissenskonstruktion bezieht den Entstehungskontext mit ein, d. h. die Situation und Prozesse der Aneignung von Informationen gehen verbunden mit diesen in das Netzwerk ein. – Je mehr der Entstehungskontext des Wissens dessen Anwendungskontext ähnelt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Wissensanwendung gelingt. – Individuelle Wissensnetze sind nicht „richtig“ oder „wahr“, sie können sogar unschlüssig, lückenhaft oder (objektiv) fehlerhaft sein. Um sie zu verifizieren, muss das Individuum sein Wissen mit „Referenzwissen“ abgleichen. – Wissensobjektivierung erfolgt wissenschaftlich durch Theorie und Empirie (Texte, Bücher) und sozial durch Argumente (Kommunikation). – Objektivierte Wissensnetze bleiben hinsichtlich der Situierung individuell, wobei sie gemäß der Objektivierung redigiert sind; d. h. die Situierung des Wissens bleibt erhalten, das Wissen selbst ist geklärt und bestätigt. – Wissensobjektivierung ist ein zentrales Element in der langfristigen Wissensentwicklung, da das Individuum diese gesicherten Stränge in seinem indivi-

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1.2.2

duellen Netzwerk benötigt, um es zu stabilisieren und einen sinnvollen „Weiterbau“ des Netzes zu gewährleisten. Verständnis bzw. Erkenntnis sind die Folge aktiver geistiger Verarbeitungsprozesse; sie können nicht im Sinne eines Anpassungsverhaltens an äußere Reize erklärt werden, vielmehr sind sie Ergebnisse komplexer Problemlösungsprozesse. Wenn Lernen durch Problemlösungen erfolgt, ist umgekehrt davon auszugehen, dass ein Problemlösen immer auch Lernwirkungen beim Menschen freisetzt. Ähnlich wie beim Wissenserwerb durch Konstruktion werden auch beim Problemlösen Kontextfaktoren in den Lernprozess einbezogen; daher sind Lernwirkungen aus Problemlösungen ebenfalls handlungsrelevant und transferierbar.

Psychologische Perspektive auf Erklärvideos

Fragt man Psycholog*innen nach relevanten Zusammenhängen für Erklärvideos, beziehen sie sich zentral auf sieben Aspekte: (1) den Zusammenhang von Text und Bild, (2) mediengestütztes Lernen, (3) Dynamisierung, (4) Flüchtigkeit von Präsentationen, (5) Abhängigkeit der beiden Kanäle, (6) Entmachtung von Lernstrategien, (7) der Expertise-Umkehr-Effekt (Dorgerloh/Wolf, 2020) (s. Abbildung 4). Psychologische Aspekte Duale Kodierung

Cognitive Load

Dynamisierung

FadingEffekt

Kohärenz

Metakognition

ExpertiseUmkehr

Abbildung 4 Psychologische Aspekte im Zusammenhang mit Erklärvideos

Zu (1): Im Zentrum steht hier die sogenannte duale Kodierung (Paivio, 1990), also der Lerngewinn, der sich einstellt, wenn ein Text mit einem Bild ergänzt wird. Dieser ist umso höher, je funktionaler das Bild für den Text ist. Unterschieden werden hier die Dekorationsfunktion (dysfunktional), Repräsentationsfunktion (obsolet), Organisationsfunktion (strukturell hilfreich), Interpretationsfunktion (erläuternd) und Transformationsfunktion (assoziierend). D. h. dass Bilder dann Texte produktiv bereichern bzw. erweitern, wenn von ihnen eine der drei letzten Funktionen ausgeht. Zu (2): Gemäß der „kognitiven Theorie multimedialen Lernens“ (Chandler/ Sweller, 1991) sind Bilder förderlich für das Lernen, weil sie das Arbeitsgedächtnis des Menschen effektiver ausschöpfen. Dabei bildet das Auge jedoch bei Text-BildKombinationen einen „Flaschenhals“, denn durch dieses müssen alle Eindrücke ins

Wissenschaftliche Positionen

Gehirn gelangen. Der sogenannte Cognitive Load (also die summarische Beanspruchung des Gehirns bei Informationsverarbeitung) steigt beim Lernen, ist jedoch begrenzt. Daher ist es angezeigt, bei Bildinformationen Textinformationen per Sprache einzubringen, anstatt mit Text. Zu (3): Im Vergleich zum Text ist dem Video ein Vorteil in der Möglichkeit beizumessen, das Tempo des inhaltlichen Verlaufs zu steuern und ebenso dessen Fülle. Dies findet jedoch seine Grenze bei der Überforderung durch Reizüberflutung. Dynamisierung ist also so lange ein Vorteil, wie man sie moderat umsetzt, wird sie zu stark, kann sie auch ein Nachteil werden. Zu (4): Mit der Dynamisierung entsteht ein Effekt des fortlaufenden Erscheinens und Verschwindens von Informationen. Dieser „Fading-Effekt“ muss durch eine zusätzliche Merkleistung der Adressat*innen kompensiert werden, was letztlich deren Arbeitsgedächtnis belastet (s. Cognitive Load). Daher sollten die Sequenzen kurz gehalten werden und auch darauf geachtet werden, dass wichtige Informationen darin präsent bleiben (Kerres, 2018). Zu (5): Die Einzelkomponenten eines Erklärvideos (Bild, Text und Sprache) sollen nicht die gesamte Fülle der Information transportieren, da ansonsten Überladungseffekte eintreten würden, die das Medium ad absurdum führen (wie in einem Vortrag, bei dem der Sprechtext komplett auf eine Leinwand projiziert wird). Da die vollständige Information im Video nicht nur aus der Integration von Text und Bild entsteht, ist dessen Qualität sowohl von diesen Einzelkomponenten abhängig als auch von deren Zusammenspiel. Zu (6): Textbezogene Lernstrategien können auf Videos nicht angewandt werden. Dies bestätigt die Praxis im Bildungsbereich, Erklärvideos mit schriftlichem Begleitmaterial zu kombinieren (Mandl/Friedrich, 2006). Zu (7): Je tiefer ein Mensch in eine Thematik eingearbeitet ist, desto weniger benötigt er ein Lernarrangement, das über die Information hinausgeht – es könnte ihn sogar stören (Expertise-Umkehr-Effekt). Daher eigenen sich Erklärvideos gut für Einstiege und Grundlagen, kaum aber für Vertiefungen. Zusammengefasst lässt sich auf Basis psychologischer Befunde für Erklärvideos Folgendes feststellen: – Bilder erweitern bzw. bereichern Texte dann produktiv, wenn sie strukturell hilfreich sind (Organisationsfunktion), erläuternd wirken (Interpretationsfunktion) oder Assoziationen begünstigen (Transformationsfunktion). – Schriftliche Informationen können in Erklärvideos schnell kognitive Überlastungen bzw. Interferenzen bewirken, daher sollte man mit ihnen sparsam umgehen. – Die Dynamik der Videos ist generell ein Vorteil, wird aber zum Nachteil, wenn man es damit übertreibt.

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– – –

1.2.3

Erscheinende und verschwindende Inhalte fordern Gedächtnisleistungen; um diese nicht zu überfordern, sollten wichtige Dinge nicht einfach wieder verschwinden, zudem sollte man die Clips insgesamt kurz halten. Wenn Text und Bild nicht konsequent korrespondieren, lässt der Lehreffekt des Erklärvideos erheblich nach. Um bestehende Lernstrategien der Lernenden nicht zu korrumpieren, sollten Erklärvideos generell mit Begleittexten versehen werden. Erklärvideos eignen sich gut für Einstiege und Grundlagen, kaum aber für Vertiefung.

Didaktische Perspektive auf Erklärvideos

Der Bremer Physikdidaktiker Christoph Kugelmeyer (Dorgerloh/Wolf, 2020) hat auf Basis seiner empirischen Forschung didaktische Qualitätskriterien für Erklärvideos hergeleitet. Im Gegensatz zu den vorausgehend dargestellten wahrnehmungs- und kognitionspsychologischen Befunden kann man in der Didaktik keine allgemeinen Feststellungen treffen. Didaktische Befunde aus der empirischen Unterrichtsforschung sind nur für ihren jeweiligen Kontext gültig. Das bedeutet nicht, dass sie – bezogen auf andere Fächer – irrelevant oder falsch sind, trotzdem sind sie nur fachspezifisch belegt. Wenn man die Beschreibungen der nachfolgend dargestellten Kriterien genau liest, kann man absehbar die Relevanz für die eigene Praxis einschätzen. Didaktische Gütekriterien Adaptivität

Veranschaulichung

Relevanz

Struktur

Kohärenz

Einbettung

Abbildung 5 Didaktische Qualitätskriterien für Erklärvideos

1. Adaptivität Das Kriterium der Adaptivität richtet sich auf die Adressat*innengruppe. Ein gutes Erklärvideo orientiert sich am potenziellen Vorwissen, den Interessen, Sprachgewohnheiten, aber auch an Fehlkonzepten der anvisierten Lernenden. Je besser man den Adressat*innenkreis eingrenzen kann und je genauer man über diesen Bescheid weiß, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Clip seine Wirkungen entfalten kann. 2. Veranschaulichung Wirksame Veranschaulichung erfolgt  – in der Physik  – durch Beispiele, Analogien und Modelle, Darstellungsformen und Experimente sowie durch einen angemesse-

Wissenschaftliche Positionen

nen Mathematisierungsgrad. Man kann davon ausgehen, dass Veranschaulichung für jedes Fach große Bedeutung in Erklärvideos hat, dabei korrespondieren jedoch unterschiedliche Parameter mit unterschiedlichen Gewichtungen. 3. Relevanz Im Erklärvideo sollte die Bedeutung des Inhalts für die Adressat*innengruppe verdeutlicht werden. Dies ist speziell eine Herausforderung in der Allgemeinbildung, da die Relevanz der Lerninhalte in der beruflichen Bildung und Hochschulbildung zumeist deutlich ist. Um die Relevanz zu unterstreichen, gilt es in den Videos, die Lernenden unmittelbar anzusprechen und sie zu einem handelnden Lernen zu motivieren. 4. Struktur Das Video muss für die Lernenden klar und einfach strukturiert werden, diese Struktur sollte nicht allgemein oder maskenhaft, sondern am Lerninhalt ausgerichtet sein, zudem muss sie für die Lernenden deutlich erkennbar sein. Wesentliche Aspekte sollten am Ende immer zusammengefasst werden. 5. Kohärenz Der Aspekt der Kohärenz steht in einem moderaten Spannungsverhältnis zum Aspekt der Veranschaulichung. Er akzentuiert die erforderliche Einfachheit und Stringenz von Erklärvideos. Damit soll vor einer überzogenen Veranschaulichung gewarnt werden, also vor zu vielen Analogien, Beispielen etc., da diese von der Kernaussage ablenken können. Eine fortlaufende Verknüpfung der Teilaussagen durch entsprechende Konjunktionen (z. B. „weil“ oder „da“) erhöht hingegen die Kohärenz. 6. Einbettung in den Lehr- bzw. Unterrichtskontext Erklärvideos sollten entweder unmittelbar aus dem Unterricht für diesen Unterricht oder aus der Lehre für dieses Lehrsegment hergestellt werden (Lehrpersonen-Eigenproduktion). Alternativ sollten sie so ausgewählt werden, dass sie sich in einen bestehenden oder neu zu konzipierenden Unterrichtskontext einbetten lassen (Adaption externer Produkte). Im zweiten Fall muss eine umgekehrte Anpassung erfolgen: Nicht das Video wird auf den Unterricht ausgerichtet, sondern dieser auf das Video bezogen.

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Erklärvideos an Schulen und Universitäten

Abbildung 6: Angebots-Nutzungs-Modell von Unterricht (nach helmke/weinert, 1997)

Stellt man nun psychologische und didaktische Aussagen gegenüber, findet man keine schwerwiegenden Divergenzen. Beide Forschungsbereiche setzen sich aber mit dem Erklärvideo etwas anders auseinander. Die Aussagen aus der Wahrnehmungspsychologie und der kognitiven Psychologie sind sehr grundlegend und geben uns Orientierung in Fragen über das Zusammenspiel von Bild, Text und Stimme, die Dynamik bewegter und vertonter Bilder  – vor dem Hintergrund der sensorischen Leistungsfähigkeit, der Verarbeitungs- und Merkfähigkeit der Menschen. Die Aussagen aus der Physikdidaktik sind fach- und unterrichtsspezifisch. Sie geben uns Orientierung in Fragen des Adressat*innenbezugs, der Veranschaulichung, der inhaltlichen Relevanz und Kohärenz, der Vermittlungsstruktur und zur unmittelbaren Einbettung der Clips in den Unterrichtskontext. Konzentriert man sich auf ihre (empirisch abgestützten) Kernaussagen, konvergieren beide Forschungslinien in jedem Fall. Das gleiche Bild zeigt sich, wenn wir diese empirisch abgestützten Aussagen mit den praxisfundierten Überlegungen abgleichen. Fasst man dies alles zusammen, zeigt sich eine besorgniserregende Vielfalt relevanter Parameter für die Gestaltung und Handhabung von Erklärvideos. Dies ist jedoch nicht untypisch im Gesamtkontext pädagogisch-psychologischer Forschung bzw. empirischer Unterrichtsforschung und der konkreten Praxis von Lehrgestaltung und -handhabung. Für „guten Unterricht“ bzw. „gute Lehre“ lassen sich aus jeder beliebigen Perspektive unzählige Kriterien finden; ebenfalls (bzw. insbesondere) für deren Negation. Dabei ist diese Vielfalt nicht entscheidend, vielmehr jedoch die Tatsache, dass im wahrnehmbaren Gefüge aus Wirkungen und Wechselwirkungen keine handhabbaren Kausalitäten oder Gewichtungen (mit empirischer

Unterrichtsdidaktik und -methodik

Evidenz) festgestellt werden können. Dies zeigt z. B. das Angebots-Nutzungs-Modell von Helmke (s. Abbildung 6). Darin sind die wesentlichen Komponenten von institutionalisierter Lehre abgebildet. Die gerichteten Pfeile implizieren Ursache-Wirkungsbeziehungen, die Doppelpfeile Wechselwirkungen. Als zentrales Problem zeigt sich hier die „Befüllung“ der einzelnen Kategorien, denn es ist einfach, äußere Bezüge darzustellen und zu begründen, aber schwierig, dies dann auf partikuläre Zusammenhänge herunterzubrechen. Selbst in einem auf Erklärvideos vereinfachten Angebots-Nutzer-Modell bleiben zu viele Parameter übrig, um hier konkret handhabbare Strukturen zu schaffen. Das einzige, was dabei sehr deutlich wird, ist die Tatsache, dass die Lehrperson aus dem (unmittelbaren) Gefüge der Wechselwirkungen heraustritt und eine Metaebene bezieht. Sie ist nur noch mittelbares Element in diesem Gefüge, dabei nicht mehr präsenter „Motor“, sondern Gestalter und Nutzer. Damit tauschen Lehrpersonen aber die eine Fülle gegen die andere, denn letztlich gibt es sehr viele Aspekte bei der Gestaltung von Erklärvideos zu beachten und diese dabei eigenständig zu gewichten. Die Gefahr (insbesondere für Neulinge), hier Dinge zu vergessen oder zu fehlinterpretieren, ist groß, aber noch größer ist die Gefahr, sich hier zu verzetteln. Mit überkomplexen und gesamtheitlich unerfüllbaren (internen und externen) Ansprüchen an die eigene Arbeit muss man als Lehrperson jedoch generell umgehen können. Will man hier bestehen, bleibt einem nur, konkret an die Sache heranzugehen und dabei so gut wie möglich im Rahmen der verfügbaren Ressourcen zu arbeiten. Letztlich könnte auch bei größtmöglichem Aufwand nicht das Video (Singular) zu einem Thema oder Lernziel produziert werden. Als Lehrperson kommt man nicht umhin, die Akzente selbst zu setzen und persönlich zu bestimmen, was hier wichtig und richtig ist. Zudem werden es immer mehrere Ansätze sein (Plural), die hier nebeneinanderstehend gut oder sehr gut erscheinen. Die Wissenschaft könnte hier möglicherweise bessere, komplexere und vor allem spezifische Theorien oder Modelle für Aufbau, Gestaltung, Wirkung und Nutzung von Erklärvideos generieren und diese dann systematisch empirisch erschließen. Das würde aber nichts daran ändern, dass hier große Räume für Kreativität und Eigensinn gegeben sind, die vielleicht auch zur aktuellen Attraktivität der Erklärvideos für Hersteller*innen und Nutzer*innen beitragen.

1.3

Unterrichtsdidaktik und -methodik

Normalerweise spricht man nicht mit dem Vorwort „Unterricht“ von Didaktik bzw. Methodik. Dieses habe ich hier nur eingefügt, um das aktuelle Kapitel vom nächsten – der Mediendidaktik und -methodik – abzugrenzen. Es gibt auch nicht die Unterrichtsdidaktik oder -methodik, sondern eine große Vielfalt an einzelnen Didaktiken bzw. Methodiken, immer in Bezug zu einem spezifischen Lehr-Lern-Raum. Ausnah-

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Erklärvideos an Schulen und Universitäten

me ist hier die Allgemeine Didaktik, welche ich aus diesen Betrachtungen jedoch explizit herausnehme, denn sie ist eine Metadidaktik und wir befinden uns hier eher auf der anderen Seite des Verständnisses, nahe bei der Lehr-Lern-Praxis. Mein Wissenschaftsgebiet ist z. B. die berufliche Technikdidaktik (welche die Technikmethodik einschließt), also jenes didaktische Segment, welches auf die Unterstützung von Kompetenzentwicklung in technischen Berufen ausgerichtet ist. Allein diese Spezifikation zeigt den engen Gegenstandsbezug der Didaktik(en), daher ist es im Folgenden nicht möglich, hier alle Bereiche adäquat miteinzubeziehen (Tenberg et al., 2019). Die Didaktik ist die Wissenschaft und Praxis der Unterstützung menschlicher Lernund Entwicklungsprozesse. Sie setzt – außer im Fall der Autodidaktik – Dyaden aus Lehrenden und Lernenden voraus und ist damit auf Interaktion ausgerichtet. Sie bezieht sich generell auf organisierte Lehr-Lern-Prozesse und setzt auch (im Regelfall) eine institutionelle, rechtliche und gesellschaftliche Einbettung voraus. In Ausrichtung auf einen spezifischen Bildungsbegriff ist Didaktik in jedem Fall normativ, um dies lehrwirksam zu handhaben, gibt es legitimierte Lehrpläne (ebd.).

Didaktik ist die Wissenschaft und Praxis des Lehrens und Lernens, sie bezieht sich auf organisierte und intendierte Lernprozesse und befasst sich mit den Entscheidungen, Begründungen, Voraussetzungen sowie Prozessen von Lehre. Die Allgemeine Didaktik ist eine Bildungsphilosophie jenseits der konkreten Lehrpraxis. Ihr gegenüber stehen unzählige Partialdidaktiken, die sich auf spezifische Praxisausschnitte beziehen, z. B. die allgemeinen Fachdidaktiken als Didaktiken der Fächer an den Allgemeinbildenden Schulen, die beruflichen Fachdidaktiken als Didaktiken der beruflichen Domänen in berufsbildenden Schulen oder die Stufendidaktiken, welche sich auf spezifische Altersstufen an den Allgemeinbildenden Schulen beziehen (z. B. die Didaktik der Sekundarstufe). Berühmte didaktische Entwürfe waren im Nachkriegsdeutschland Klafkis bildungstheoretische Didaktik oder Heimanns lerntheoretische Didaktik. Die früheste bekannte Didaktik in unserem Kulturkreis ist die fast 400 Jahre alte Didactica Magna von Johann Amos Comenius. Sie beinhaltet die didaktischen Grundlagen, die heute so aktuell wie damals sind: z. B. die Lehrpläne als Basis des Lehrens oder methodische Grundsätze zur Bereicherung und Erleichterung des Lernens (wie die authentische Vermittlung von Natur und Technik oder die Steigerung vom Leichten zum Schweren, vom Allgemeinen zum Speziellen) (Tenberg et al., 2019).

Angesichts dieser Komplexität und Spezifität der Didaktik einerseits und deren Normativität andererseits erklären sich deren Vielfalt und die dahinterliegenden Entwicklungsprozesse von selbst. Die aktuellen Didaktiken sind einerseits normativ-funktionale Konstrukte in ihren jeweiligen Wissenschafts- und Praxisgefügen, andererseits sind sie Zwischenstände in einem fortlaufenden Entwicklungsprozess. Der Entwicklungstreiber ist hierbei nur bedingt die Wissenschaft, häufig sind es eher gesellschaftliche Trends oder modeähnliche Wellen, die von pädagogischen Paradigmen ausgelöst

Unterrichtsdidaktik und -methodik

werden (wie z. B. die Reformpädagogik zu Beginn des 20. Jahrhunderts) und die zu Veränderungsschritten in Didaktik und Methodik führen. Beispiele gibt es dafür genügend, z. B. der handlungsorientierte Unterricht an den beruflichen Schulen oder die Projektmethode in der Allgemeinbildung.

Instructional Design (ID) ist der (immer noch) schillernde Begriff, der wie kein anderer im Zusammenhang mit E-Learning steht. Er geht auf den Psychologen Robert Gagné zurück, der in den 1970er-Jahren beauftragt war, funktionale Computerlernsysteme für das US-Militär zu entwickeln. Man versprach sich vom Einsatz der damals besser werdenden Computer eine hohe Lerneffizienz. Zentral entwickelte Lernpakete sollten weltweit verteilt und umgesetzt werden können. Die dabei umgesetzte Lernlogik folgte dem Prinzip von Frage-Antwort-Verzweigungen: – Richtige Antwort → aufbauende Frage – Falsche Antwort → ergänzende Frage Dieses behavioristische Lehrgangsmodell funktionierte nie so wie geplant. Es erforderte bzw. verbrauchte enorme Motivation bei den Lernenden und erlaubte durch die stereotype Multiple-ChoiceAbfrage nur die Adressierung sehr anspruchsloser Bildungsziele. In den seither vergangenen Jahren wurden unzählige Nachfolgeansätze entwickelt: das Modell von Dick und Carey, von Briggs, Gagné und Wagner oder das aktuelle Modell von Gabi Reinmann. Vom Behaviorismus durch den Kognitivismus ist man inzwischen beim Konstruktivismus angekommen. Die ehemals direktiven tutoriellen Systeme wurden ausgetauscht gegen offene Lernumgebungen, in welchen nicht linear vorgegangen, reflexiv und kollaborativ geplant und ganzheitlich über komplexe Probleme gelernt wird. Der Traum des ID aus den 1970er-Jahren, das Lernen mit Computern effektiver oder effizienter machen zu können, ist damit aufgegangen, aber nicht in dessen Umsetzung oder Weiterführung, sondern in einem klaren Gegenkonzept. Die heutigen offenen Lernsysteme funktionieren, weil sie den Lernenden in ihrer Individualität begegnen und ihnen funktionale Räume für diese Begegnung verfügbar machen. Instructional Design hat so den engen maschinellen Raum computerdominierter Lehralgorithmen verlassen und ist zu einem Label für sehr elaboriertes E-Learning geworden (Kerres, 2018).

Diese Historizität ist für unsere Auseinandersetzung mit Erklärvideos eher nebensächlich, sie bedingt jedoch einen nicht unbedeutenden Aspekt in dieser Thematik: die Renaissance der Instruktion. Die vorausgehend erwähnten Reformpädagog*innen hatten nicht erstmalig die den Drill- und Paukunterricht infrage gestellt und einen „besseren Unterricht“ postulierten, indem sie auf Schüler*innenaktivität setzten. Weltweit kann über ein Jahrhundert ein Trend in den demokratischen Industrienationen nachgewiesen werden, welcher vom sogenannten Frontalunterricht wegführen sollte. Der einzige Bereich, in dem die Instruktion einen anerkannten Fortbestand hatte, war das computergestützte Lernen (Instructional Design). Die Vorwürfe gegen die unmittelbare Instruktion waren vielfältig: Sie sei autoritär, direktiv, sie vernachlässige Interaktion und Kommunikation, sie vernichte Motivation, sie führe zur Unselbstständig-

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Erklärvideos an Schulen und Universitäten

keit, sie sei unsozial und undemokratisch. Das alles schien im Zusammenhang mit der Entwicklung von Lernprogrammen unerheblich zu sein; hier dominierte der Utilitarismus: Gut ist, was funktioniert. Weitere Bereiche, in denen die Instruktion auch nie verdrängt werden konnte, sind Betriebe und Militär; die Vermittlung von beruflichen Fertigkeiten erlaubt wohl eine restriktive Herangehensweise, die Befehls-GehorsamsSituation beim Militär bedingt dies sogar. Man kann nun darüber spekulieren, ob es an den schon früh und sehr vielfältig verbreiteten Erklärvideos zum Vermitteln von konkreten Fertigkeiten lag oder einfach an deren Ursprung und Beziehung zum computergestützten Lernen. Fest steht, dass Erklärvideos generell instruierend sind (generell heißt „mit Ausnahmen“). Hier schließt sich nun der Kreis, der vorausgehend über die Erörterung der Didaktik geöffnet wurde, denn es wird klar, dass die Erklärvideos ein eigenständiger didaktisch-methodischer Raum sind, in welchem sich verschiedenartige Partikel aus allen bisher umgesetzten Didaktiken und Methodiken manifestiert haben. Diese werden nun im Einzelnen betrachtet: (1) die Zielbereiche von Erklärvideos, (2) potenzielle Erklärmethoden und (3) Begleittexte.

1.3.1

Zielbereiche von Erklärvideos

Didaktik beginnt  – spätestens seit Saul B. Robinsohn  – mit der Frage nach der Intention. Was genau soll gelehrt bzw. vermittelt werden? Im angelsächsischen Raum spricht man nicht von Lernzielen, sondern von Learning Objectives, was den Aspekt der Klärung bzw. Objektivierung des zu Lernenden noch besser herausstellt. Interessant ist, dass häufig gelehrt wird, ohne im Vorfeld die Ziele zu konkretisieren, nie aber ohne Ziele. Wenn aber keine expliziten Ziele festgestellt werden, orientiert man sich an impliziten Zielen, was – je nach Einzelfall – gut oder schief gehen kann; fest steht, dass die Gestaltung eines didaktischen Erklärvideos enorm von dessen inhaltlichen und methodischen Intentionen abhängt (Tenberg et al., 2019). Bevor man Lernziele konkretisieren kann, gilt es, zunächst die zu adressierenden Zielbereiche zu klären. Menschen können sich generell im kognitiven, affektiven und motorischen Bereich entwickeln. Der kognitive Bereich ist im schulischen und hochschulischen Rahmen absehbar der primäre Zielbereich des Lehrens und Lernens. Affektive Aspekte spielen hier jedoch häufig mit hinein, immer wenn Lerninhalte über deren reine Sachzusammenhänge hinausgehen. So vermittelt man z. B. beim Thema Verbrennungsmotor auch dessen Wirkungen auf die Umwelt, welche wiederum gesellschaftspolitische Bedeutung haben. Die Fülle von handwerklichen Erklärvideos zeigt, dass sie auch hervorragend dazu geeignet sind, motorische Lernziele zu adressieren; somit kann dieser Bereich des menschlichen Lernens, in welchem Fähigkeiten und Fertigkeiten vermittelt werden, hier nicht ausgeklammert werden.

Unterrichtsdidaktik und -methodik

Kompetenzen als Lernziele: Wenn man Kompetenzen als Lernziele setzt, wird ein hoher Anspruch an einen Lernprozess gestellt. Dies liegt daran, dass man zwei relativ unterschiedliche Lernhorizonte funktional integriert, also erwartet, dass am Ende jemand in der Lage ist, etwas eigenständig und reflektiert zu können. Ein wissens- und verständnisbezogenes Lernen unterscheidet sich generell von einem handlungs- und umsetzungsorientierten Lernen. Im ersten Fall werden Informationen gesammelt und geistig verarbeitet, im zweiten Fall werden Informationen in Operationen umgesetzt. Kompetenzen können sich dann entwickeln, wenn diese beiden Prozesse entweder in sinnvollen Anschlüssen nacheinander vollzogen oder in einem Alternieren aus Denken, Handeln und Verstehen kombiniert werden. Da in beiden Fällen nicht nur vielfältige und gut gesteuerte Inputs erforderlich sind  – sondern auch fortlaufend adäquate Rückmeldungen –, sind kompetenzorientierte Lernumgebungen generell strukturell komplex und steuerungssensibel. Sie erfordern (bislang) eine Einbettung in einschlägige Kontexte, sozial-kommunikative Auseinandersetzungen und individuelles Mentoring (Tenberg et al., 2019).

Jenseits dieser lernpsychologischen Differenzierung haben sich in den zurückliegenden Jahrhunderten immer wieder unterschiedliche Vorstellungen etabliert, was hier richtig und wichtig ist. Diesen Diskurs über Bildung will ich jedoch den Bildungsphilosophen überlassen. Aktuell hat sich der sogenannte Kompetenzansatz in allen öffentlichen Bildungsbereichen etabliert. D. h. es empfiehlt sich, Erklärvideos konform zu diesem Grundansatz zu entwickeln, wenn man will, dass sie ihm gegenüber adaptiv sind. Kompetenzen sind allgemein kognitive Fähigkeiten und Fertigkeiten von Individuen zur Lösung bestimmter Probleme. Man spricht auch von sogenannten „Dispositionen“ (also von Dingen, die im menschlichen Verstand angelegt sind), die dazu befähigen, variable Anforderungssituationen in einem bestimmten Lern- oder Handlungsbereich erfolgreich zu bewältigen (Weinert, 2001). Eine geläufige Aufteilung erfolgt hier in fachlich-methodische, personale und sozial-kommunikative Kompetenzen (Erpenbeck & Rosenstiel, 2007). An dieser Stelle wird deutlich, dass eine Zielklärung im schulischen und hochschulischen Bereich immer mit einem Ordnungsmittel zusammenhängen muss, also mit Lehrplänen oder Studienordnungen. Je nach Ordnungsmittel können Lernziele sehr unterschiedlich konstituiert und konkretisiert sein, d. h. dass jeder Lehrplan von einem eigenständigen Kompetenzmodell ausgeht und dessen Lernziele darauf bezogen formuliert werden. Somit erfordert eine Zielklärung für Erklärvideos primär einen Lehrplanbezug, aus welchem dann (sekundär) der Bezug zu einem spezifischen Kompetenzmodell hervorgeht. Aufgrund der methodischen Umsetzung durch das Erklärvideo ist hier jedoch eine Einschränkung erforderlich. Angesichts der hohen Ansprüche, die Kompetenzen als Zielklasse an didaktisch-methodische Settings stellen, muss eingeräumt werden, dass Erklärvideos nur einen Beitrag leisten können, nicht aber Kompetenzen final vermit-

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Erklärvideos an Schulen und Universitäten

Abbildung 7 Erklärziele in Integration von Zielkompetenzen und Erkläransatz

teln. Es gilt also, den jeweiligen Kompetenzzielen adäquate Erklärziele zuzuordnen. So wie im Hintergrund der Zielkompetenzen der Lehrplan mit einem Kompetenzmodell steht, sollte dann im Hintergrund der Erklärziele das Erklärvideo mit einem Erkläransatz stehen s. Abb. 7. Solche grundlegenden Vorgehensweisen für ein Erklären werden im Folgenden erörtert.

1.3.2

Erklärmethoden

Erklären ist die ursprünglichste Intention der Didaktik. → Erklären ist eine asymmetrische kommunikative Handlung, in welcher es ein Individuum gibt, das erklärt und ein anderes, dem erklärt wird. Kommunikationstheoretisch könnte man hier von Sender und Empfänger sprechen. Der Sender ist hierbei nicht nur durch einen Informationsvorsprung gekennzeichnet, sondern auch durch eine Vermittlungsintention: → Erklären ist intendiertes Kommunizieren von einem (im jeweiligen Sachzusammenhang) „Wissenden“ zu einem „Unwissenden“. Die Erklärung erfolgt im Wunsch bzw. der Annahme, dass damit ein Lernen initiiert oder unterstützt werden kann. Somit ist Erklären entwicklungsintendiert. → Erklären ist entwicklungsintendiertes Kommunizieren von einem (im jeweiligen Sachzusammenhang) „Wissenden“ zu einem „Unwissenden“.

Unterrichtsdidaktik und -methodik

In der Wissenschaft ist der Begriff des Erklärens anders eingefärbt. Hier meint man mit dem Erklären nicht eine entwicklungsorientierte Kommunikation, sondern eine ursächliche Begründung eines Phänomens. Im Bereich der empirischen Forschung geht dies nur mit rationalen Belegen in logischen Argumentationen. → Erklären ist entwicklungsintendiertes Kommunizieren in logischer Argumentation von einem (im jeweiligen Sachzusammenhang) „Wissenden“ zu einem „Unwissenden“. Schließlich kommt noch ein zentraler Aspekt hinzu: Wenn jemand erklärt, hat er auch immer eine bestimmte Vorstellung davon, wie er dies tun muss, um es effektiv bzw. effizient zu gestalten. Er möchte mit einem leistbaren Aufwand sein Ziel erreichen. Erklären folgt somit immer einer Strategie. Diese Strategien werden in der Didaktik als Methoden bezeichnet. → Erklären ist methodisches, entwicklungsintendiertes Kommunizieren rationaler Zusammenhänge in logischer Argumentation von einem (im jeweiligen Sachzusammenhang) „Wissenden“ zu einem „Unwissenden“. Diese – zugegeben etwas sperrige – Definition zeigt zunächst, dass das Erklären ein komplexes Konstrukt ist, sobald man sich damit genauer auseinandersetzt. In seinem Kern liegt ein wesentlicher Zusammenhang: die Beziehung zwischen Methode und Entwicklungsorientierung. Vereinfacht ausgedrückt kann man davon ausgehen, dass eine Erklärmethode generell auf ein spezifisches Entwicklungsziel (Wissen, Kompetenzen, Können etc.) ausgerichtet ist. Ist das Ziel z. B. die Fähigkeit, ein Ventil einzustellen, wird absehbar eine andere Methode gewählt als bei dem Ziel, eine LaplaceTransformation zu beherrschen. Diese Methode ist wiederum anders als bei dem Ziel, den Aktienhandel verständlich zu machen. Dieses Kernthema ist jedoch schon alt und nicht erst mit den Erklärvideos aufgekommen. Über kaum etwas wird in den Didaktiken mehr geforscht und auch gestritten als über Lehrmethoden; sie sind es auch, die in unserer Historie die didaktischen Ansätze geprägt und gekennzeichnet haben. Das eigentliche Erklären hat in diesen Entwicklungen jedoch – aus didaktisch-methodischer Perspektive – bis zum Aufkommen der Erklärvideos nur noch ein Schattendasein geführt. Zentraler Grund hierfür war (wie vorausgehend schon erläutert) die Abkehr von einem vermittelnden zu einem unterstützenden Unterricht. Nun könnte man schmunzelnd sagen, dass die Erklärvideos durchaus ein Beleg seien, der das Unterstützungsparadigma widerlegt oder zumindest konterkariert. Dies ist jedoch eine komplexe Diskussion, die an anderer Stelle geführt werden soll. Für uns ist zentral, dass das Erklären vor allem in zurückliegenden Didaktiken einen hohen Stellenwert hatte und auch in aktuellen Ansätzen nicht wegzudenken wäre (wenngleich die Akzente in aktuellen Ansätzen anders gesetzt werden).

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Erklärvideos an Schulen und Universitäten

Erklärmethoden Beschreibenderläuternd

Induktiv vs. deduktiv

Unterweisend

Problemorientiert

Generativ

Fragengestützt

Episodenhaft

Abbildung 8 Erklärmethoden für didaktische Erklärvideos

Nun stellt sich die Frage, welche Erklärmethoden es gibt bzw. gab und auf welche Entwicklungsziele diese ausgerichtet sind: Im Folgenden werden (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) die beschreibend-erläuternde Vorgehensweise, der induktive vs. deduktive Ansatz, die prozessuale Methodik, die problemorientierte Vorgehensweise, der generative Ansatz, die fragegestützte Methodik und die Episode vorgestellt.

Beschreibend-erläuternd Wenn ein Vortrag gehalten oder eine Präsentation vorgetragen wird, beläuft sich dies im Regelfall auf eine Beschreibung und Erläuterung. Ein dezidiertes Erklären findet dabei entweder gar nicht oder nur in speziellen Details statt. Trotzdem soll dies in dieser Gegenüberstellung von Erklärmethoden miteinbezogen werden, unabhängig von der Frage, ob man dies nun als das Fehlen einer Erklärung oder als ein Erklären mit sehr geringem Engagement bzw. Nachdruck einordnet. Diese unmittelbare Vermittlung von Informationen erfordert in der Produktion den geringsten Aufwand und ist bei speziellen Themen durchaus angemessen, z. B. wenn sie so einfach sind, dass man sie nicht explizit erklären muss, oder wenn die Klarheit der Information nicht durch methodische Inszenierungen reduziert werden soll. Auch adressat*innenbezogen gibt es Gründe, auf Erklärmethoden weitgehend zu verzichten, z. B. wenn Expert*innen oder Personen mit einem hohen Bildungsstand angesprochen werden, denn dann kann ein explizites Erklären als sachlicher Misfit und als persönliche Despektierlichkeit wahrgenommen werden. Somit kann zusammengefasst werden, dass Erklärvideos beschreibend-erläuternd mit sehr geringem Aufwand produziert werden können und dann zur Anwendung kommen sollten, wenn es entweder der Sache genügt oder auch um Adressat*innen mit Expertenstatus nicht abzustoßen.

→ Exkurs: Sehen Sie sich ein Erklärvideo aus der Sendung mit der Maus über Blitze an und vergleichen Sie es mit einem Erklärvideo über Blitze von Ranga Yogeshwar (Quarks)

Unterrichtsdidaktik und -methodik

Induktiv vs. deduktiv Ist das Entwicklungsziel ein Erkenntnisgewinn (vereinfacht: ein Verständnis eines Sachzusammenhangs), kann man zwischen einem induktiven und einem deduktiven Erkläransatz unterscheiden. Dem naturwissenschaftlichen Induktionsbegriff folgend geht man dann induktiv vor, wenn man vom Besonderen zum Allgemeinen führt. Wenn man z. B. aus dem Festwerden von Wasser die Vorgänge der Kristallbildung erklärt oder wenn man von der Form der Flügel von Vögeln das Auftriebsgesetz herleitet, handelt es sich um induktive Wege. Der Begriff der Deduktion kommt aus der Logik. Man geht dann deduktiv vor, wenn man das Allgemeine ins Besondere überträgt. Wenn man z. B. zunächst das Hebelgesetz vermittelt, um es dann auf die Beschaffenheit von Bauteilen anzuwenden, oder wenn man herausfinden lässt, welche Wassertiere als Fische bezeichnet werden können, sind dies deduktive Wege. Diese komplementären Erkenntniswege bedingen auch komplementäre Erkenntnisprozesse: Induktion schult die Verallgemeinerung, Deduktion schult die Differenzierung. Somit kann zusammengefasst werden, dass verständnisorientierte Erklärvideos dann induktiv aufgebaut sein sollten, wenn bezüglich des Lerngegenstandes eine Verallgemeinerung angezeigt ist (z. B. in den Naturwissenschaften). Ist hingegen eine Differenzierung angezeigt (z. B. bei Technologien), sollten Erklärvideos deduktiv strukturiert sein.

→ Exkurs: Vergleichen Sie das Erklärvideo über den Satz des Pythagoras von Daniel Jung mit dem von Echt Einfach TV

Unterweisend Liegt das Entwicklungsziel weniger im Verständnis eines Sachverhalts (Erkenntnisgewinn), sondern primär in der Verinnerlichung eines spezifischen Ablaufs, der von den Lernenden dann auch eigenständig umgesetzt werden soll, bieten sich sogenannte Unterweisungsansätze an. Unter Unterweisung versteht man ein methodisches Vermitteln von Kenntnissen, Fertigkeiten und Haltungen in tätigkeitsorientierten Kontexten durch einen Beherrscher dieser Aufgaben (Schelter, 2005, 91). Dies beginnt beim einfachen Anlernen, in welchem einfache Tätigkeiten geschult werden, und geht bis hin zu komplexen Unterweisungen für anspruchsvolle Aufgaben. Vorbild ist hier die klassische Meisterlehre mit ihrem Vormachen-Nachmachen-Prinzip. Unterweisungen setzen in jedem Fall einen realen oder realitätsnahen Kontext voraus, d. h. sowohl die einschlägige Umgebung der Tätigkeit als auch alle dazu erforderlichen Artefakte (Werkzeuge, Geräte, Anlagen etc.). Trotz der operativ-finalen Ausrichtung (Sach- und Prozesswissen) adressiert eine gute Unterweisung immer auch das Verständnis der da-

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Erklärvideos an Schulen und Universitäten

hinterliegenden Zusammenhänge (Reflexionswissen). Dies geschieht zum einen aus Motivationsgründen, denn man lernt lieber und leichter, wenn man auch ursächliche Zusammenhänge erklärt bekommt, zum anderen um eine erweiterte Handlungsfähigkeit aufzubauen, denn wer nicht weiß, warum er etwas tut, ist schon bei einfachen Problemen schnell überfordert. Somit kann zusammengefasst werden, dass operativ orientierte Erklärvideos als Unterweisungen aufgebaut sein sollten. Generell sollte dabei zusammenhängendes Sach- und Prozesswissen im unmittelbaren Kontext vermittelt werden. Je nach Schwierigkeitsgrad und Anspruch des zu Vermittelnden ist der Einbezug von Reflexionswissen angezeigt.

→ Exkurs: Sehen Sie sich das Erklärvideo von Fahrrad XXL über das Entlüften einer hydraulischen Scheibenbremse an. Unterscheiden Sie dabei zwischen den verschiedensten Wissensarten. Wo hätte Ihnen hier noch Reflexionswissen gefehlt?

Problemorientiert Wenn als Entwicklungsziel der Zugewinn an Wissen mit einem Zugewinn an kognitiver Leistungsfähigkeit einhergehen soll, kommen Metamethoden ins Spiel. Unter Metamethoden versteht man methodische Ansätze, die einen Verständniserwerb mit dem Erwerb von Lösungskonzepten verbinden, sodass beides gelernt wird: der Inhalt und dessen Erschließung. Typisches Beispiel ist eine Fehlersuche in einem Computerprogramm. Zunächst wird nach bekannten Fehlern gesucht; dies ist die algorithmische Phase. Mit zyklisch angeordneten Checks werden an genau definierten Stellen Tests vollzogen. Führen diese zu keiner Lösung, muss heuristisch vorgegangen werden. Hier kommen analytische Verfahren, aber auch Ausschlussverfahren bzw. sogar die Trial-and-Error-Methode zum Einsatz.

Algorithmen und Heuristiken: Wenn Menschen mit spezifischen Anforderungen konfrontiert werden, suchen sie generell den einfachsten Weg, diese zu bewältigen. Im Fall von Routinen ist dies einfach ein gründliches Abarbeiten eines bekannten Prozesses. Ist dieser Prozess linear, spricht man von Abfolgen. Diese sind gekennzeichnet von einem Anfang, einzelnen Schritten und einem Ende. Wenn die einzelnen Schritte nicht eindeutig feststehen, sondern über Rückmeldungen und Entscheidungen variiert oder modifiziert werden müssen, spricht man von Algorithmen. Auch diese haben einen Anfang und ein Ende, beinhalten jedoch zusätzliche Verzweigungen. Wenn Routinen überschritten werden, sind solche „Gradientenstrategien“, also Lösungsmethoden aus einem bekannten Repertoire, überfordert. Nun sind Evolutionsstrategien erforderlich, also Problemlösungsansätze, die auf unbe-

Unterrichtsdidaktik und -methodik

kannte Szenarien angewandt werden können. Diese werden als Heuristiken bezeichnet, was nichts anderes beschreibt als offene Annäherungsverfahren. Je nach Erfahrung und Intelligenz verfügen Menschen über mehr oder weniger solcher Heuristiken. Grundlegend sind hier die Trial-and-ErrorMethode oder Eingrenzungs- bzw. Ausschlussverfahren, Szenario-Techniken oder invertierte Ansätze, in welchen Lösungen „rückwärts“ gedacht werden. Eine „Problemorientierung“ ist daher in zwei sehr unterschiedliche Welten einzuordnen: Eine Welt der Routine, wo es darum geht, mehr oder weniger komplexe Abfolgen zu verinnerlichen, und eine andere Welt des Unbekannten, wo es darum geht, sich geschickt und intelligent mit offenen Fragen auseinanderzusetzen (Erpenbeck/ Rosenstiel, 2007).

Problemorientierung setzt generell die Aktivität Lernender voraus. Diese ist in einem Erklärvideo ausgeschlossen. Trotzdem kann man problemorientiert vorgehen, indem man im Erklärvideo einer Problemlösung folgt. Damit können absehbar Lösungskonzepte nicht funktional vermittelt, jedoch in jedem Fall vorbereitet werden. Zudem geht von einer Problemlösung immer ein motivierender Effekt aus, insbesondere dann, wenn Lernende mit dem Problem in irgendeiner Weise schon konfrontiert waren bzw. dieses als rational und relevant wahrnehmen. Somit kann zusammengefasst werden, dass problemorientierte Erklärvideos dann eingesetzt werden sollten, wenn es gilt, den Verständniserwerb und den Erwerb von Lösungskonzepten ineinander zu verschränken. Darüber hinaus kann der Ansatz auch interessant sein, um Lernende zu motivieren. Art und Niveau der implementierten Problemlösung sollten mit Vorwissen, Interessen und Bedarfen der Lernenden korrespondieren.

→ Exkurs: Sehen Sie sich das Erklärvideo über Datenrettung auf Festplatten vom Computerservice Main-Taunus-Kreis oder die Motordiagnose von Sany789 bei einem BMW-Pkw an.

Generativ Eine weitere Möglichkeit, Dinge zu erklären, besteht in der Offenlegung ihrer Entstehung. Typische Beispiele sind hier die Pflanzen und Tiere, geschichtliche Aspekte, aber auch Techniken und Technologien. Man entwickelt z. B. ein komplexeres Verständnis für ein Fahrrad, wenn man es als (aktuelle) Entwicklungsstufe in einer Abfolge seiner Entwicklungsstufen betrachtet – von der Draisine über das Laufrad, das Fahrrad mit Kettenantrieb bis hin zum gummibereiften Rad etc. Immer dann, wenn nicht nur die Realität bzw. Faktizität eines Inhalts relevant ist, sondern zudem auch seine Entwicklung, ist ein generativer Ansatz angezeigt. Erklärvideos sind sehr gut ge-

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Erklärvideos an Schulen und Universitäten

eignet, um generativ vorzugehen, denn sie vollziehen in jedem Fall eine Abfolge von Bildern – diese Abfolge trägt in sich die Möglichkeit, aufeinander aufbauende Dinge schlüssig abzuarbeiten. Ein generatives Erklärvideo greift einen Anfangszustand auf und führt ihn über sinnvolle Schritte zu einem Endzustand. Damit erfährt der Endzustand eine größere Erklärungstiefe als in einer sachlichen Auseinandersetzung mit seiner aktuellen Realität, zudem werden die Zwischenzustände erschlossen. Die Herausforderung der generativen Vorgehensweise ist zum einen die Bestimmung der relevanten Zustände und zum anderen deren nachvollziehbare Rekonstruktion. Somit kann zusammengefasst werden, dass generative Erklärvideos dann eingesetzt werden sollten, wenn die Entwicklung von einer Sache, einem System, einer Gesellschaft, einer Existenz, einer Geisteshaltung etc. in einem maßgeblichen Zusammenhang mit deren aktueller (bzw. momentaner) Realität steht oder die Entwicklung eventuell sogar bedeutsamer als diese ist, was immer dann der Fall ist, wenn die Realität absehbar nur eine kurzlebige ist. Ein bedenkenswertes Beispiel wäre hier die globale Erwärmung. Dann hilft der generative Ansatz den Lernenden, aus der Entwicklung heraus über die Realität hinauszudenken in ein rationales Zukunftsszenario. Damit sind generative Erklärvideos auch prädestiniert für prospektive Lernziele, also Lernziele, die begründete Einschätzungen gesellschaftlicher, technischer, biologischer oder geografischer Entwicklungen adressieren.

→ Exkurs: Vergleichen Sie ein Erklärvideo über den Bau eines Swimmingpools mit einem Erklärvideo über das Wachstum eines Baums und einem Erklärvideo über die Auslöser des Ersten Weltkriegs

Fragegestützt Die bislang besprochenen Ansätze relevanter Erklärmethoden gehen von einer einzelnen erklärenden Person aus, von einem linearen Wissenstransport, unmittelbar von der/dem Erklärenden zu der/dem Adressat*in. Damit geht zum einen die Annahme einher, dass die Adressat*innen dem durchgehend aktiv und kritisch folgen, und zum anderen die Annahme, dass sich für sie dabei entweder keine Fragen aufwerfen oder sie in der Lage sind, diese Fragen direkt für sich zu beantworten. Dass dies nicht immer der Realität entsprechen kann, ist klar, daher kann man – insbesondere bei Adressat*innengruppen, die hier problematisch einzuschätzen sind – die Erklärung (anstatt sie unidirektional anzulegen) als eine Abfolge von Fragen vollziehen. Auf diese Weise wird entweder ein Selbstgespräch inszeniert oder ein Gespräch zwischen zwei „fiktiven Agenten“. In einem solchen Frage-Antwort-Szenario gibt es dann verschiedene Möglichkeiten der Rollenhandhabung: In einer konsistenten Rollenverteilung stellt

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Agent A die Fragen und B gibt die Antworten. In einer inkonsistenten Rollenverteilung kann dieses Muster durchbrochen oder ganz aufgelöst werden. Der zweite Fall ist sicher attraktiver, denn so wird das Stereotyp eines sokratischen Dialogs vermieden. Diese dialogische Erklärmethode wirkt nicht nur auflockernd, sondern erlaubt auch sehr persönliche Anstriche, insbesondere durch die Stimmen, die Sprache und die Formulierung der Fragen und Antworten. Trotzdem können nicht irgendwelche Fragen gestellt und beantwortet werden, sie sollten – bezogen auf den Inhalt und dessen Anspruch – ebenso angepasst sein wie an die potenziellen Adressat*innen. Liegt man hier „daneben“, ist dies auch deutlich störender als bei den anderen Methoden. Somit kann zusammengefasst werden, dass fragegestützte Erklärvideos eingesetzt werden können, wenn es gilt, besondere Adressat*innen heranzuholen und bei der Sache zu halten. Die Dialogmethode hält vielfältige Gestaltungsparameter bereit und führt zu sehr persönlichen Erklärvideos, mit ihr erhöht sich aber auch das Risiko eines Misfits des Clips, also einer Erklärdramaturgie, die von den Adressat*innen abgelehnt wird, und entsprechend kontraproduktiven Wirkungen.

→ Exkurs: Bei Kindern sehr beliebt ist der Zucker-Check mit Checker Tobi oder der Fahrrad-Check mit Checker Can oder „Wie bringt man ein Kalb auf die Welt“ in PUR+/ZDF

Episodenhaft Ein Erklärvideo ist in seiner Grundarchitektur generell eine filmische Konserve und erlaubt somit auch eine filmische Umsetzung. Ein typischer Film erzählt eine Geschichte und nutzt dabei dramaturgische Mittel der Bewegtbilddarstellung und des Tons. Im Zentrum von Filmen stehen Menschen, um die sich die Geschichten ranken. Kurze, eingegrenzte Geschichten nennt man Episoden. An sich kann man alle Themen und Inhalte in eine Episode verpacken. Anstatt den Satz des Pythagoras direkt zu erläutern, kann man auch inszenieren, wie Pythagoras im antiken Griechenland auf die Idee der Dreiecksverhältnisse kommt. Anstatt den Bergbau durch Zeichnungen und Fotos zu illustrieren, kann man auch einen Bergmann in den Schacht begleiten. Fest steht, dass die Einbettung der Erklärung in eine Episode das Erklärvideo lebendiger und interessanter machen kann. Fest steht aber auch, dass damit ein erheblicher Aufwand einhergeht. Andererseits kann die dramaturgische Rahmung der Erklärung auch eine sehr tiefe Verankerung des Vermittelten bei den Adressat*innen erreichen. Zudem schluckt die Episode Zeitanteile, die für die Erklärung wichtig sind, was entweder zu einer Verlängerung des Videos führt oder zu dessen inhaltlicher Reduktion. Ein weiteres Problem hat die episodenhafte Umsetzung von Erklärvideos mit dem dialogisch-fragegestützten Ansatz gemeinsam: Man kann bei einer unpassenden Umset-

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Erklärvideos an Schulen und Universitäten

zung auch Skepsis oder Ablehnung erzeugen und damit die Wirkung des Erklärvideos eher reduzieren als unterstützen. Somit kann zusammengefasst werden, dass man episodenhafte Erklärvideos einsetzen kann, wenn Inhalt und Adressat*innen diesbezüglich passend erscheinen und dabei die entsprechenden Ressourcen (Personen, Requisiten, Aufnahmetechnik etc.) zur Verfügung stehen. Hier entsteht ein großer Raum für Kreativität bis hin zu humoristischen Elementen. Das Risiko eines Misfits des Clips, also einer Erklärdramaturgie, die von den Adressat*innen abgelehnt wird, und entsprechend kontraproduktiven Wirkungen darf hier jedoch nicht unterschätzt werden.

→ Exkurs: Mit episodenhaften Erklärvideos arbeitet die Fernsehserie „Terra X“ (z. B. Leonardo da Vinci) für Kinder gibt es ähnliche Formate wie „Eine kurze Geschichte über das Mittelalter“ … oder den Zeichentrick „Albert auf Entdeckungstour“ …

Tabelle 2 Stärken und Schwächen videoadäquater Erklärmethoden (++ sehr hoch / + hoch / 0 ohne Bezug / – gering)

Beschreibend-erläuternd Deduktiv vs. induktiv Prozessual Problemorientiert Generativ Fragegestützt Episodenhaft

Verständnis

Fertigkeiten

Motivation

Aufwand

Risiko

+ ++ + ++ ++ ++ +

– – ++ + 0 0 +

0 0 + ++ + ++ ++

– + + + + + ++

– – – – – + +

Wie Tabelle 2 in horizontaler Lesart zeigt, hat jede Erklärmethode Stärken und Schwächen. Der beschreibend-erläuternde Ansatz erweist sich als pragmatische Herangehensweise mit geringem Aufwand und ohne Ablehnungsrisiko. Der deduktive vs. induktive Ansatz ist dem beschreibend-erläuternden ähnlich, wobei etwas bessere Verständniswirkungen mit minimal höherem Aufwand erreicht werden können. Der prozessuale Ansatz ist der einzige, der überzeugend Fertigkeiten vermittelbar macht; zudem wirkt er bei moderatem Aufwand und ebenfalls ohne Risiko motivierend und ermöglicht auch eine moderate Verständnisvermittlung. Demgegenüber ist der problemorientierte Ansatz fast identisch, wobei an die Stelle einer besonders intensiven Fertigkeitsvermittlung hier die sehr gute Verständnisvermittlung tritt. Diese ist auch beim generativen Ansatz absehbar hochwertig und auch dieser hat kein Potenzial für die Vermittlung von Fertigkeiten. Die große Stärke der fragegestützten Methode liegt in Verständnis und Motivation. Im Gegensatz zu den vorausgehenden Methoden ist sie jedoch moderat riskant, kann also bei einzelnen Adressat*innengruppen auch Ab-

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lehnung auslösen. Dies gilt auch für die Episodenmethode, bei der mit hohem Aufwand insbesondere eine hohe Motivation erzielt wird. Anzumerken wäre hier noch, dass auch die Inhalte Implikationen für die Methoden haben können, dies würde jedoch den Rahmen dieser Aufschlüsselung sprengen. Liest man Tabelle 2 vertikal, zeigt sich zudem, dass alle Methoden den Aspekt des Verständnisses akzentuieren, insbesondere der deduktiv vs. induktive Ansatz, der problemorientierte, der generative und der fragegestützte. In Sachen Motivation stechen vor allem der problemorientierte, der fragegestützte und der episodenhafte Ansatz hervor. Fertigkeiten können überzeugend nur prozessual und mit Abstrichen episodenhaft vermittelt werden. Den höchsten Aufwand hat der Episodenansatz, den geringsten die beschreibend-erläuternde Methode. Ein Risiko hinsichtlich Ablehnung durch die Adressat*innen liegt nur beim fragegestützten und episodenhaften Ansatz vor. Ausgehend von Abbildung 7 soll hier nochmals die Feststellung aufgegriffen werden, dass die Erklärziele und der Erkläransatz in einer Beziehung zueinander stehen. Ausgehend vom Lehrplanausschnitt, dem das Erklärvideo zugeordnet werden soll, wird mit der Festlegung der Erklärmethode konkretisiert, was nun genau intendiert werden kann. Wählt man z. B. die problemorientierte Methode, können Verständnisziele verstärkt adressiert werden, wählt man die prozessuale Herangehensweise, lassen sich Fertigkeiten als Ziele gut handhaben. Als Ergebnis dieser Transformation werden konkretisiert: Zielkompetenzen, Erkläransatz und Erklärziele. Dies ist für die Herstellung des Erklärvideos schon sehr viel, jedoch fehlen noch Komponenten, die zwar außerhalb des Videos liegen, mit diesem jedoch eng korrespondieren müssen. Im Fokus stehen hier vor allem Begleittexte.

→ Exkurs: Lust auf Vlogging? Als Vlogging bezeichnet man ein Blogging im Videoformat. Viele Erklärvideos werden in dieser Darstellungsform umgesetzt, weil sie die an sich trockene Instruktion auflockert, gerade für jüngere Adressat*innen attraktiver macht und vor allem das Besserwisserische, das Erklärungen häufig haben, herausnimmt. Ein VlogVideo ist einfach zu produzieren, denn es orientiert sich an einem Blog, der zumeist vom Blogger selbst in Echtzeit hergestellt wird. Man stellt sich vor die Kamera und legt los. Der Text kann auswendig gelernt sein oder man kann auch ein Skript in der Hand halten und ablesen. Bedingung ist aber, dass man dazu der Typ ist, denn nicht jeder hat das Talent, sich einfach vor eine Kamera zu stellen und so zu sprechen, dass es bei Zusehenden gut ankommt. Didaktisches Vlogging funktioniert am besten mit dem typischen Seminar-Medienkoffer, also Kärtchen (vorbereitet), Flipchart und farbigen Filzstiften. Dabei sollte eine Kameraeinstellung gewählt werden, die sowohl die erklärende Person als auch die Medien im Bild hält und das Gezeichnete oder Geschriebene lesbar einfängt.

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Erklärvideos an Schulen und Universitäten

1.3.3

Erklärniveau

Was bislang noch nicht explizit angesprochen wurde, ist die Frage, auf welchem Niveau ein Erklärvideo angesetzt werden soll. Diese Frage erscheint zunächst trivial – wenn man sie zu beantworten versucht, zeigt sich, dass dies nicht so ist. Das Niveau eines Erklärvideos bezieht sich auf drei Aspekte: 1. die Kommunikation, 2. den Inhalt und 3. die Methodik.

Kommunikation Zu 1.: Jede Lehrperson hat sich eine bestimmte Art und Weise von Kommunikation mit ihren Lernenden angewöhnt. Je nach Bildungsebene und -niveau kann das sehr unterschiedlich sein: Man spricht Oberstufenschüler*innen anders an als Studierende, aber auch anders als Grundschüler*innen. Dafür gibt es aber keine konkreten Regeln, gegenteilig gehört dies zu den individuellen Eigenschaften von Lehrpersonen. Hier lassen sich allgemeine qualitative von strukturellen Aspekten unterscheiden. Die Qualität einer Lehr-Lern-Kommunikation wird bestimmt durch die Art und Weise, wie Wissen ausgehandelt wird (Tenberg, 2011): Eine statisch-rigide Haltung mit kompromisslosen Feststellungen steht hier einer dynamisch-adaptiven mit offenen Abstimmungsprozessen gegenüber. Die Struktur einer Lehr-Lern-Kommunikation ist symmetriebedingt: Asymmetrisch bedeutet hier, dass die Lehrenden ihren Wissensvorsprung betonen, und symmetrisch, dass sie ihn ausblenden. Für die Erklärvideos ist klar, dass Wissen nicht interaktiv ausgehandelt werden kann. Trotzdem äußert sich die diesbezügliche Haltung einer Lehrperson auch in einem Erklärvideo, in der Sprache und im Ausdruck. Da eine dynamisch-adaptive und symmetrische Kommunikation absehbar bei den Lernenden positiver angenommen wird, sollte man sich bemühen, sich diesem Anspruch kommunikativ anzunähern. D. h.: – Die Lernenden ansprechen, aber nicht konfrontieren, sie auffordern, nicht aber reglementieren etc. – Belehrende Formulierungen ebenso unterlassen wie spitzfindige oder besserwisserische Kommentare. – Auch einmal die eigene Argumentation hinterfragen bzw. relativieren oder klären, wie sicher oder auch unsicher eine Aussage ist. – Eine Sprache wählen, die von den Lernenden emotional angenommen werden kann, also weder zu distanziert noch anbiedernd. Gerade der letzte Punkt ist eine echte Herausforderung, denn dieser Aspekt wird von Lernenden sehr unterschiedlich wahrgenommen. Manche wollen einfach klare, sachliche Aussagen, andere fühlen sich mehr angesprochen, wenn diese in nette Worte ver-

Unterrichtsdidaktik und -methodik

packt werden. So what: Hier muss sich jede Lehrperson auch selbst wohlfühlen – jedem „recht machen“ kann man es dabei absehbar kaum.

Inhalt Die Bemessung des inhaltlichen Niveaus in Lehre und Unterricht ist eine Problematik, die schon so alt ist wie die Didaktik. Es gibt hier auch ein didaktisches Prinzip der Fachlichkeit, welches konstatiert, dass man zwar vereinfachen dürfe, dies aber nur im Rahmen des „Richtigen“. Damit macht man aber ein richtig „großes Fass auf “, denn nun kommen wir mit der Frage, was denn „wirklich richtig“ sei, in die Philosophie. Ein Beispiel: Ist es richtig, Wasser einfach als eine Flüssigkeit mit bestimmten Eigenschaften zu erklären? Oder ist das falsch, da Wasser ja auch fest sein kann? Ist es dann aber richtig, Wasser als Flüssigkeit, Feststoff und Gas zu erklären (Physik), wenn man dabei dessen chemische Entstehung und Eigenschaften weglässt? Dies kann man bis in die Quantenphysik weiterführen und dort verliert sich dann die Frage nach dem „Richtig oder Falsch“ am jeweiligen Forschungsstand. Was ich damit sagen will, ist, dass wir ohnehin immer nur Ausschnitte aus bestehendem Wissen vermitteln können und dabei immer gezwungen sind, diese einzugrenzen. Dies gilt insbesondere für Erklärvideos. Damit kann die Kategorie „richtig“ nicht mehr angemessen sein, man kann sie aber mit „stimmig“ ersetzen. Im Gegensatz zur absolut ausgerichteten „Richtigkeit“ setzt „Stimmigkeit“ einen erfüllbaren Anspruch. Stimmig heißt hier, dass die Dinge mit dem allgemeinen Wissensstand übereinstimmen und nur so weit vereinfacht sind, dass dieser verständlich wird, nicht aber korrumpiert. Dies erreicht man durch zwei wesentliche Punkte: 1. Man macht die Ausschnittbildung deutlich (durch Einordnung in größere Wissensgefüge und Herstellung von Anschluss- und Übergangspunkten), 2. man macht Vereinfachungen transparent, indem man deren Modellhaftigkeit feststellt und evtl. auch die Grenzen des jeweiligen Modells beschreibt.

Methodik Das methodische Niveau eines Erklärvideos entsteht aus der Art und Weise, wie etwas erklärt wird, insbesondere aus den dabei zum Ausdruck kommenden Grundannahmen über Basiswissen, Verständnis und Auffassungsfähigkeit der Adressat*innen. Es erzeugt ähnliche Wirkungen wie das sprachliche Niveau: Legt man es zu hoch an, grenzt man einige Lernende aus, legt man es zu niedrig an, fühlen sich einige Lernende nicht ernst oder gar auf den Arm genommen. Wir wissen aus eigenen Erfahrungen, wie wir innerlich reagieren, wenn uns jemand etwas „in unserer Wahrnehmung übertrieben einfach“ erklärt, wie uns das langweilt oder auch amüsiert oder gar irritiert. Umgekehrt führen wir ein Erklärvideo methodisch ad absurdum, wenn wir hier in das

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andere Extrem gehen. Was nützt der aufwendig erstellte Clip, wenn er die Dinge nicht verständlich macht, sondern eher noch das Gegenteil kommuniziert? Wie bei allen kommunikativen Aspekten kann man hier keine einfache und abschließende Antwort finden, denn Lernende sind sowohl in ihrem Basiswissen, ihren Verständnissen und Auffassungsfähigkeiten als auch in ihren Erwartungen an und Bewertungen von Erklärmethoden sehr unterschiedlich. Lehrende kennen jedoch normalerweise ihre Adressat*innen, sodass sie bezüglich dieser Heterogenitätsfaktoren in der Lage sind, einvernehmliche Bereiche zu definieren, in welchen ein Großteil der miteinzubeziehenden Lernenden in etwa liegt. Da das Risiko, schwächere Lernende abzuhängen, schwerwiegender ist als jenes, stärkere auszugrenzen, kann man sich – im hier gesetzten Rahmen – dann konkret für eine entsprechende Methodik entscheiden. Zusammenfassend kann man hier zwei Extrempositionen gegenüberstellen: Zum einen eine Position, die hier zu extremer Besonnenheit aufruft, sich sprachlich optimal einzuschwingen, zu versuchen, den inhaltlichen Ausschnitt und dessen Auflösungsgrad möglichst exakt anzulegen und eine Methodik zu finden, die einer möglichst breiten Gruppe von Adressat*innen gerecht wird. Zum anderen eine andere Position, die hier entspannt an die Sache herangeht und davon ausgeht, dass man ein Erklärvideo ja nicht ansehen muss – sondern kann – und dass die Lernenden hier relativ locker mit ihren persönlichen Dispositionen umgehen, insbesondere dann, wenn sie feststellen, dass ihnen das Erklärvideo hilft. Jede Lehrperson muss sich hier in ihrem jeweiligen Anspruch sowie Lehr- und Adressat*innengefüge individuell einordnen und – darauf aufbauend – konkrete Videos produzieren. Ob bzw. inwiefern das passt, kann man hervorragend evaluieren, sodass sich abschließend hier zwei Prämissen andeuten: 1. Bei Unsicherheiten im Niveau sollte man vorsichtig und in einem begrenzten Rahmen pilotieren 2. Nach einer Pilotierung, aber auch im Fortlauf des Einsatzes von Erklärvideos sollte man immer wieder deren sprachliches, inhaltliches und methodisches Niveau evaluieren

1.3.4

Begleittexte der Erklärvideos

Ein Erklärvideo ist – wie bereits vorausgehend festgestellt – nichts anderes als ein digitaler Film. Würde man ihn ohne weitere Materialien lassen, würde seine sinnhafte und produktive Nutzung in hohem Maße von der autodidaktischen Befähigung und der Lernmotivation der jeweiligen Adressat*innen abhängen. Trotzdem würde er kaum dazu ausreichen, Kompetenzentwicklungen zu unterstützen, dazu fehlt ihm letztlich die Interaktivität. Um Interaktivität anzubahnen, sind somit weitere (bzw. erweiterte) methodische Elemente erforderlich. Im einfachsten Fall handelt es sich dabei um

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schriftliche Zusatzmaterialien. Diese Begleittexte stehen in einem interdependenten Verhältnis zum Erklärvideo, d. h. dass sie sich gegenseitig bedingen. Mit Interdependenz soll hier darauf hingewiesen werden, dass das Verfassen der Begleittexte nicht unidirektional nach Fertigstellung des Erklärvideos erfolgen, sondern dessen Produktion begleiten sollte, denn vor allem aus der Formulierung von Erschließungsfragen ergeben sich häufig erforderliche Spezifikationen im Video. Zudem stehen Informationstexte und Videoinhalte in einem engem Verhältnis; sie können dabei durchaus redundant sein, sollten aber nie divergieren. Umsetzungsaufgaben sollten dort anschließen, wo die Erschließungsfragen enden. Schließlich orientieren sich Tests unmittelbar an den Informationstexten, können auf diese aber auch eine determinierende Wirkung haben. Zusammen bilden Texte und Video eine digitale Lerneinheit.

Informationstexte

Erschließungsfragen

Abbildung 9 Digitale Lerneinheit

Erklärvideo

Umsetzungsaufgaben

Tests

Informationstexte Erklärvideos gehen im Regelfall immer auf schriftliche Informationsmaterialien zurück. Diese liegen (meistens) entweder vor – in Form von Fach- oder Lehrbüchern, Aufsätzen oder wissenschaftlichen Arbeiten  – oder werden (selten) eigens für das Video produziert. Daher liegt die Herausforderung in der Bereitstellung von Informationstexten weniger in deren Bestand, sondern vielmehr in deren Reduktion und Anpassung an die Adressat*innen. Orientierung geben hier zentral die intendierten Kompetenzziele. Diese müssen generell in einer Korrespondenz aus Informationstext und Erklärvideo erreichbar sein. D. h. dass letztlich der Informationstext alles beinhalten muss, was die Zielkompetenzen wissensbezogen ausmacht, das Erklärvideo hingegen diesbezüglich einen Ausschnitt bilden darf. Um das Setting aus Video und Text jedoch nicht zu überladen und damit die Adressat*innen zu überfordern, müssen hier

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enge Grenzen gezogen werden. Sprache, Umfang und Anspruch des Informationstexts müssen adressat*innengerecht sein, ansonsten wird das einfach nicht oder nur oberflächlich gelesen. Wenn ein Erklärvideo im Bereich von 5 Minuten liegt, sollte der zugehörige Text an Hochschulen in weniger als 20 Minuten, in allgemeinbildenden und beruflichen Schulen in weniger als 10 Minuten gelesen werden können. Ob ein Informationstext letztlich ausreicht, um die intendierten Kompetenzziele zu erreichen, klärt sich spätestens bei der Erstellung von Erschließungsfragen.

Erschließungsfragen Erschließungsfragen stellen eine zentrale didaktische Verbindung zwischen dem Informationstext und dem Erklärvideo her. Ihre methodische Intention ist ähnlich der Erklärmethode: Mit ihnen bzw. über deren Beantwortung soll der Inhalt vollständig erfasst und dabei verstanden werden. Die Triade aus Informationstext, Erschließungsfragen und Erklärvideo kann demgemäß auch variantenreich gestaltet werden, immer daran orientiert, wie man sich eine optimale gedankliche Antizipation und Rekonstruktion des Erklärvideos vorstellt. Seit jeher ist es in gut vorbereiteten Lehrveranstaltungen bzw. gutem Unterricht üblich, vor der Präsentation eines Films dazu ein Fragenblatt an die Lernenden zu verteilen, welches im Anschluss an die Filmsichtung besprochen werden soll. So sehen die Lernenden den Film nicht einfach an (was bei einem interessanten und gut produzierten Film der Normalfall wäre), sondern antizipieren beim vorausgehenden Lesen der Fragen, was sie sich besonders gut einprägen sollten und sind bezüglich dieser Akzente während der Filmsichtung auch aufmerksamer. Beim Erklärvideo ist das ähnlich, wobei die Lernenden hier (im Gegensatz zu einem Live-Vortrag oder einer unmittelbaren Präsentation) in der Lage sind, die Inhalte eigenständig zu moderieren, sodass einzelne Lernende das Video erst ganz betrachten, um dann die Fragen zu klären, andere schon zwischendurch stoppen, um die Fragen unmittelbar – mit oder ohne erneutes Nachlesen im Informationstext – zu klären und zu beantworten etc. Methodisch variiert werden kann (1) die Dichte, mit welcher die Fragen den Gesamtinhalt erschließen (quantitativer Aspekt), (2) die dabei geforderte Verständnistiefe (qualitativer Aspekt), (3) das sprachliche Anspruchsniveau der Fragen (fachsprachlicher Aspekt) und (4) die Art und Weise, wie diese Fragen gestellt werden (empathischer Aspekt) (Abb. 10). Zu (1): Je nachdem wie komprimiert der zugehörige Informationstext einer digitalen Lerneinheit ist, desto dichter muss ein Fragengefüge sein, um ihn vollständig zu erschließen. Umgekehrt können Informationstexte geringerer Informationsdichte auch mit weniger Fragen gründlich erschlossen werden. Gefragt wird also nicht in serieller Abfolge das, was im Text steht, sondern das, was für die Zielerreichung relevant und wichtig ist. Nachdem ein Erklärvideo genau diese Dinge adressiert, sollte dann auch ein Fragengefüge entstehen, das eng mit dem Informationstext und Video kor-

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Erschließungsfragen

Dichte

Verständnistiefe

Anspruchsniveau

Sprache

Abbildung 10 Kriterien für Erschließungsfragen digitaler Lerneinheiten

respondiert. Unabhängig davon darf und kann es – bei reifen und selbstständigen Adressat*innen – Fragen geben, die nur aus dem Text beantwortet werden können bzw. sogar noch das Heranziehen von Zusatzinformationen erforderlich machen. Zu (2): Informationstexte werden im Regelfall der Fachliteratur entnommen und sind damit nur bedingt adressat*innengerecht. Generell sollten sie aber immer so verständlich sein, dass die Lernenden in der Lage sind, ihnen gezielt Informationen zu entnehmen. Diese Informationsentnahme kann aber unterschiedlich anspruchsvoll gestaltet werden. Möglich sind hier (a) einfache Sachfragen, deren Antworten eins zu eins dem Text entnommen werden können. Anspruchsvoller sind analytische oder synthetische Fragen, bei denen eine weiterführende kognitive Auseinandersetzung mit dem Text erforderlich ist. Schließlich können auch schlussfolgernde oder transferorientierte Fragen gestellt werden, welche bei den Lernenden ein umfassendes Verständnis fordern bzw. voraussetzen. Generell sollte versucht werden, hier eine sinnvolle Mischung zu erreichen. Abgestimmt auf die inhaltlichen Anforderungen einerseits und die Adressat*innen andererseits wäre ein Optimum erreicht, wenn wenige Sachfragen, viele analytische, synthetische und schlussfolgernde Fragen und – möglicherweise optional – noch transferorientierte Fragen zusammengestellt werden. Nebenbei angemerkt: Für den Einsatz der Fragen sollten immer auch Musterantworten mitgeneriert werden, um sie für die Lernenden verfügbar zu haben. Dies erzeugt einen produktiven Nebeneffekt, denn oft ist demjenigen, der Fragen aufwirft, nur bedingt klar, welchen Anspruch diese wirklich haben. Zu (3): Der Schwierigkeitsgrad einer Frage hängt nicht nur mit deren Verständnisanspruch zusammen, sondern auch mit deren Verbalisierung. Je fachsprachlicher man sich ausdrückt, desto mehr fordert man von den Lernenden fachkontextuelles Verständnis. D. h. man kann Noviz*innen mit der Verbalisierung einer Frage in ein Wissensgebiet einladen, aber sie daraus auch herausdrängen. Umgekehrt kann man Expert*innen mit einer vereinfachend formulierten Frage irritieren, denn sie erwarten eine klare Fachsprache und könnten möglicherweise Vereinfachungen fehlinterpretieren. Daher gilt als Maß für das sprachliche Anspruchsniveau der Erschließungsfragen insbesondere die erwartete bzw. vorauszusetzende Expertise der Adressat*innen. Um „sprachliche Pufferzonen“ zu schaffen, werden häufig Glossare eingebracht, diese sind

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jedoch immer nur bedingt wirksam, da die dort auffindbaren Definitionen unabhängig vom jeweiligen Kontext stehen, in welchem die Lernenden mit ihnen konfrontiert werden. Kontextsensible Glossare sind sehr spezifisch und erzeugen einen großen Aufwand, da man sie nur singulär verwenden kann. Zu (4): Digitalisiertes Lernen ist generell ein distanziertes Lernen. Egal wie es arrangiert wird, die Lehrperson ist nicht unmittelbar präsent. Diese Distanzierung kann nicht vollständig kompensiert werden, aber das Erklärvideo trägt in sich schon eine Reihe von Möglichkeiten, ihr zu begegnen. Ähnlich wie dieses können auch die Fragen über den Sachinhalt hinaus emotionale Botschaften beinhalten. Je jünger die Lernenden sind, desto wichtiger ist dieser Aspekt, aber auch erwachsenen Lernenden kann eine empathische Formulierung an der einen oder anderen Stelle Freude bereiten. Hierbei darf jedoch nicht die Frage selbst beeinträchtigt werden, zudem sollte man mit emotionalen Botschaften als Lehrperson generell moderat umgehen. Wenn man nun aber Grundschüler*innen nach der Behausung einer Honigbiene fragt, darf man durchaus Begriffe wie „gemütlich“ oder „schön“ verwenden, auch wenn sie für die Frage selbst unwesentlich sind. Bei Erwachsenen kann man durchaus auch an der einen oder anderen Stelle eine Scherzfrage einbauen, solange der Scherz nicht auf Kosten anderer geht. Zusammenfassend kann hier festgestellt werden, dass es sich bei der Gestaltung von Erschließungsaufgaben um eine typische Aufgabe für Lehrpersonen handelt. Egal ob an allgemeinbildenden Schulen, beruflichen Schulen oder Hochschulen: Wir müssen ständig adäquate Fragen formulieren und uns auch mit deren Antworten auseinandersetzen. Lehre ist immer „irgendwie sokratisch“, also als Fragen-Antwort-Gefüge angelegt – unabhängig von der dabei zum Einsatz kommenden Methode. Die vier hier erörterten zentralen Ansprüche an Erschließungsfragen sollen dafür sensibilisieren, dass der Kern jeder digitalen Lerneinheit nicht das Video oder der Informationstext ist, sondern die Triade aus diesen beiden und den Erschließungsfragen. Ausgehend vom Text werden Video und Fragen interdependent entwickelt, um so ein optimales Zusammenspiel aus allen drei Komponenten dieses didaktischen Settings zu erreichen.

Umsetzungsaufgaben Gegenüber den Erschließungsfragen hat man bei der Gestaltung der Umsetzungsaufgaben höhere Freiheitsgrade. Ihre methodische Intention ist der unmittelbaren inhaltlichen Auseinandersetzung nachgeordnet, was jedoch nicht heißt, dass die Umsetzungsaufgaben weniger bedeutsam sind. Ihre Beantwortung setzt voraus, dass die Inhalte verstanden wurden, was u. a. bedeutet, dass die Erschließungsfragen von den Lernenden weitgehend bearbeitet wurden. Umsetzung bedeutet hier in erster Linie Anwendung und Übertragung in funktionale Kontexte. Wenn z. B. in der Mathematik eine Regel oder ein Gesetz erarbeitet wurden, kann dies in den Umsetzungsauf-

Unterrichtsdidaktik und -methodik

gaben zur Anwendung gebracht werden. Wenn in Englisch ein grammatikalisches Problem erörtert wurde, gibt es in den Umsetzungsaufgaben einen Raum, um dieses in die einschlägigen idiomatischen Kontexte zu übertragen etc. Ähnlich wie bei den Erschließungsfragen sollen auch die Umsetzungsaufgaben hinsichtlich ihres Schwierigkeitsgrads angemessen abgestimmt werden, also in einer guten Mischung, die viele Adressat*innen anspricht und fordert. Dabei sollte auch bedacht werden, dass die Lernenden immer dann, wenn sie diese Aufgaben nicht lösen können oder darin nicht weiterkommen, zurück zum Informationstext und Video gehen werden, sich also damit auch jederzeit zu Erschließungsfragen wandeln können. Damit gelten für Umsetzungsaufgaben generell die gleichen Prämissen wie sie vorausgehend für Erschließungsaufgaben beschrieben wurden. Unabhängig davon reicht der Bezugshorizont der Umsetzungsaufgaben über die einzelne digitale Lerneinheit hinaus. Zum einen werden mit ihnen die vorausgehenden Lerneinheiten reaktiviert, zum anderen wird der lebensweltliche, fach- oder berufsbezogene Gesamtzusammenhang hergestellt. D. h. dass die Umsetzungsaufgaben primär eine integrative Funktion haben, indem sie Lerneinheiten untereinander verbinden und nach außen ankoppeln. Daraus ergeben sich spezifische Prämissen: Umsetzungsaufgaben sollten (1) innere Konsistenz aufweisen und (2) äußere Einbettung gewährleisten. Zu (1): Innere Konsistenz von Umsetzungsaufgaben entsteht zum einen durch die Akzentuierung genau jener Inhalte, die in der jeweiligen digitalen Lerneinheit erarbeitet wurden, und zum anderen durch die Akzentuierung der Inhalte, die in vorausgehenden Lerneinheiten erarbeitet wurden, welche mit dieser Lerneinheit modular gekoppelt sind. Wenn z. B. hier das Skelett des Menschen behandelt wurde, sollte sich eine Umsetzungsaufgabe auf den Körperbau des Menschen beziehen. Zu (2): Die äußere Einbettung durch Umsetzungsaufgaben stellt sicher, dass keine absurden Übungsaufgaben gestellt, sondern relevante Anwendungen von Wissen angeregt werden. Wird z. B. in einer Lerneinheit für Schreiner das Hebelgesetz erarbeitet, sollte die Umsetzungsaufgabe nicht mit Linien und Pfeilen auskommen, sondern konkret Holzbauteile sowie deren Bearbeitung und Beanspruchung miteinbeziehen. Umsetzungsaufgaben sind daher immer auch als Problemlösungen zu handhaben, wobei die Probleme selbstverständlich nicht konstruiert, sondern dem jeweiligen Bezugskontext entnommen werden sollten.

Tests Warum benötigt man über die Erschließungsfragen und Umsetzungsaufgaben hinaus noch zusätzlich Tests? Die Lernenden haben doch in deren Bearbeitung umfassend die Gelegenheit, ihre Verständnisprozesse zu reflektieren und zu klären, was sie wissen, können und was nicht. In der Tat kann man auf dieses Element wohl am ehesten verzichten, denn es ist für das Lernen an sich nicht essenziell. Tests haben jedoch zum

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Erklärvideos an Schulen und Universitäten

einen eine starke motivationale Wirkung, zum anderen geben sie noch ein zusätzliches Feedback, welches die Aufgaben nicht leisten können. Die zusätzliche Motivation eines Tests kann mit dem menschlichen Bedürfnis nach Selbstwirksamkeit begründet werden. Dies spielt schon intensiv in die Bearbeitung der Aufgaben hinein, wird jedoch bei einem Test noch stärker akzentuiert. Ein Test vermittelt einen Normenabgleich, also eine externale Bewertung; ich kann mich gegenüber einem Außenkriterium einordnen. Das treibt Menschen generell an, denn in uns wirkt die Leistungsmotivation als zentraler Motor unserer persönlichen Entwicklung. Neben der motivationalen Wirkung dieses Normenabgleichs bringt dieser auch eine zentrale Information mit sich: „Habe ich das gesetzte Lernziel erreicht, habe ich es nicht erreicht bzw. wie gut habe ich es erreicht?“ Dies ist für eine Zertifizierung der Lernleistung ebenso relevant wie für die Entscheidung, ob bzw. inwiefern Lernende in der Lage sind, weiterzugehen oder in eine höhere Lernstufe zu wechseln. Die Möglichkeiten digitaler Tests stehen jedoch (bislang) leider in einem Missverhältnis zu deren Bedeutung. Je anspruchsvoller ein Thema oder Lernziel ist, desto schwieriger wird es, dessen Verständnis bzw. Beherrschung über digitale Testformate valide abzubilden. Valide heißt hier, dass man genau und nur das misst, was man intendiert. Multiple-Choice-Aufgaben haben eine sehr niedrige Validität, zum einen weil sie sprachlich sehr verschlüsselt sind (sprachlicher Anspruch überlagert oder dominiert den fachlichen) oder weil die Auswahlantworten auch ohne das geforderte Verständnis z. B. durch Ausschlussverfahren oder Zufall gelöst werden können. Sobald aber die Auswahl vorgegebener Antworten überschritten wird, sind digitale Systeme (bislang) noch überfordert. Sie können aus offenen Formulierungen kaum klären, ob diese richtig und substanziell sind, daher bleibt deren Bewertung letztlich immer (noch) eine Angelegenheit der Lehrenden. Natürlich kann man offene Test auch mit Musterantworten und Bewertungsbögen zur Selbstbewertung freigeben, dies funktioniert jedoch nur ab einer höheren Lernreifestufe und auch dort nicht bei allen.

→ Exkurs: Gehen Sie auf die Lernplattform Sofatutor. Dort kann man unterschiedlichste Pakete aus Erklärvideos und Zusatzmaterialien einsehen und vergleichen, denn sie sind nicht homogen produziert, sondern relativ beliebig zusammengetragen.

Der hier vollzogene Schwenk – weg vom Erklärvideo und hin zu dessen Begleittexten – zeigte deutlich den engen Zusammenhang zwischen einem audiovisuellen Medium und damit korrespondierenden Textmaterialien. Natürlich kann man Erklärvideos auch völlig unabhängig von solchen Materialien gestalten. Dann bilden sie in sich geschlossene methodische Einheiten, deren Einbettung in einen erweiterten Lehr-LernKontext den jeweiligen Nutzern überlassen bleibt. Die Wahrscheinlichkeit, dabei aber ein gering adaptives Video zu generieren, ist sehr hoch, denn dieses orientiert sich nur

Mediendidaktik und -methodik

an vagen Zielsetzungen, die nicht über ein didaktisch-methodisches Gesamtgefüge stabilisiert werden können. Dies birgt immer die Gefahr, hier einfach ein Konstrukt zu schaffen, das an den Erfordernissen und Bedürfnissen potenzieller Adressat*innen vorbeigeht. Zudem wird auf den Aufbau einer Lehr-Lern-Interaktion völlig verzichtet, was viele Lernende abschreckt bzw. frustriert. Letztlich können mit solchen Erklärvideos nur jene etwas anfangen, die in der Lage sind, die fehlenden Informationen, Fragen, Aufgaben und Tests eigenständig zu kompensieren. Aus didaktisch-methodischer Perspektive erscheint somit die Herstellung von Erklärvideos nur dann optimal eingebettet, wenn dies im Rahmen komplexer Medienpakete und integriert in adäquate Textmaterialien erfolgt.

1.4

Mediendidaktik und -methodik

Die hier vorgenommene Unterteilung in Unterrichtsdidaktik und Mediendidaktik soll keine Mauer oder Kluft zwischen diesen beiden Bereichen signalisieren, vielmehr soll deutlich werden, dass die methodische Gestaltung von Erklärvideos zum einen von bildungsbezogenen Aspekten geprägt ist, zum anderen von medialen. Diese Unterscheidung erscheint angesichts der Tatsache, dass es sich hier um eine Mediengestaltung handelt, unwesentlich; für die differenzierte Betrachtung der einzelnen relevanten Teilaspekte ist sie jedoch hilfreich. Nach Tulodziecki ist die Mediendidaktik primär auf Aussagen zur Gestaltung von Lernangeboten ausgerichtet. Daher werden im Folgenden nun jene Aspekte erläutert, die für die Gestaltung eines Erklärvideos relevant erscheinen. Dies sind (1) die Veranschaulichung und (2) die Integration von Texten.

1.4.1

Veranschaulichung

Der Begriff der Veranschaulichung ist ein wenig in die Jahre gekommen; in aktuellen Abhandlungen aus der Mediendidaktik muss man ihn lange suchen. Das irritiert zunächst, denn es handelt sich hierbei um ein langjähriges und konzeptübergreifend konsensuales didaktisches Prinzip. Es erhebt den Anspruch an guten Unterricht, dass darin Lerninhalte so aufbereitet sind, dass die Lernenden diese über Sinneseindrücke (überwiegend visuell, aber auch auditiv und sensomotorisch) eigenständig und gründlich erschließen und verstehen können. Begründungen dafür gibt es aus verschiedensten Richtungen: Die seit der Aufklärung in unseren Gesellschaften etablierte Empirie sieht ein Erkennen der Welt über die Sinne vor. Aus konstruktivistischer Perspektive sind authentische, unmittelbare Erfahrungen dringend für Lernen und Entwicklung erforderlich. Aus psychologischer Perspektive hängen Kognition und Wahrnehmung unmittelbar zusammen – abstrakte Verstandesleistungen (zu diesen auch das Umsetzen rein verbaler Inputs gehört) können erst

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Erklärvideos an Schulen und Universitäten

vollzogen werden, wenn sie auf konkrete Informationsverarbeitung aufbauen können. Hier ist auch der Aspekt der Motivation zu verorten: Lernen mit Anschauungsmitteln ist deutlich anregender, interessanter und fesselnder als abstraktes Lernen. Multisensorisches Lernen erzielt stärkere Merk- und Verständniseffekte als einkanaliges. Schließlich gibt es kaum ein pädagogisches Konzept, das nicht auf unmittelbare Lernerfahrungen ausgerichtet ist. Aus soziologischer Perspektive befinden wir uns aktuell in einer nie zuvor dagewesenen Medienwelt, in welcher es vor allem die nachkommenden Generationen gewohnt sind, die Welt aus den verschiedensten Perspektiven betrachten und erschließen zu können. Somit versteht es sich von selbst, dass ein Erklärvideo so angelegt wird, dass es die adressierten Lernthemen und Lerngegenstände möglichst gut veranschaulicht. An dieser Stelle muss jedoch differenziert werden, was Veranschaulichung im Einzelnen bedeuten kann. Dies hängt mit unseren unterschiedlichen Verständnisebenen zusammen (Kerres, 2018, s. Abbildung 11)

Veranschaulichung

Ebene der Sinneswahrnehmung

Ebene der Zusammenhänge

Sozial-kommunikative Ebene

Abbildung 11 Ebenen der Veranschaulichung

Auf Ebene der unmittelbaren Sinneswahrnehmung bedeutet Veranschaulichung eine möglichst genaue, detaillierte und realitätsgetreue Abbildung bzw. Reproduktion von Lerngegenständen, sodass diese faktisch verstanden werden können (z. B. die Oberfläche eines Blatts unter dem Mikroskop, um dessen genauen Aufbau zu verstehen. Oder eine Luftaufnahme einer Stadt, um zu verstehen, wie diese aus einem Altstadtkern herausgewachsen ist etc.). Auf Ebene der Zusammenhänge bedeutet Veranschaulichung, dass man Beziehungen, Reaktionen, Wirkungen und Prozesse so offenlegt, dass sie funktional verstanden werden können, z. B. das Temperaturverhalten von Wasser wird mit einem Versuchsaufbau veranschaulicht oder die Funktion eines Relais durch eine Trickanimation offengelegt. Auf sozial-kommunikativer Ebene bedeutet Veranschaulichung eine Explikation mentaler und emotionaler Prozesse für eine Akzentuierung des zwischenmenschlichen Verständnisses, z. B. durch Gedankenprotokolle von Kommunikationspartner*innen oder die Rekonstruktion der Argumente eines Gesprächs vor dem Hintergrund der jeweiligen Wahrnehmungen und Einstellungen. Im Rahmen von Videoproduktionen stehen uns für Veranschaulichungen vielfältige visuelle Mittel zur Verfügung (s. Abbildung 12). Zentral sind hier die Einbindung von Bewegtbildern, Fotografien, Diagrammen, Zeichnungen, Schaubildern, Trickfilmen und Animationen.

Mediendidaktik und -methodik

Veranschaulichungen

Statisch

Fotografien

Diagramme

Zeichnungen

Dynamisch

Schaubilder

Bewegtbilder

Trickfilme

Animationen

Abbildung 12 Aspekte der Veranschaulichung in Erklärvideos

Statische Veranschaulichungen Die verbreitetsten statischen Veranschaulichungsmittel sind Fotografien, Diagramme, Zeichnungen und Schaubilder. Allen gemein ist, dass sie sich während der Betrachtung nicht verändern, dass man sie also erschließt, indem man sie durch Blicke abtastet und verinnerlicht. Wenngleich im Erklärvideo zu wenig Zeit ist, um komplexe Bilddarstellungen ausgiebig zu erschließen, haben sie einen hohen Anschauungswert für dieses Medium, denn trotz ihrer medialen Statik können sie in der Videoaufbereitung dynamisiert werden. Reine Standbilder sind dementsprechend eher die Ausnahme in Erklärvideos. Eine Fotografie ist eine maximal authentische Abbildung eines optischen Realitätsausschnitts. Wenngleich hier viele Möglichkeiten der effekthaften Produktion und Nachbearbeitung bestehen, wird sie trotzdem für ihre Wirklichkeitsnähe geschätzt. Mit Fotografien kann man etwas so darstellen, wie man es sehen würde, wenn man vor Ort wäre. D. h. man kann Wirklichkeit aus anderen Zeiten und Räumen in das Medium einbringen. Daher sind Fotografien insbesondere in Erklärvideos wichtig, in welchen die optische Realität große Bedeutung hat. Beispiele wären hier naturwissenschaftliche Inhalte oder auch Inhalte aus der bildenden Kunst etc. Zeichnungen als künstlerische Artefakte, in welchen nicht das unmittelbare Bild wesentlich ist, sondern das, was es über das Ikonische hinaus transportiert oder impliziert, werden nur selten in Erklärvideos zur Visualisierung verwendet. Anders sieht es mit technischen Zeichnungen aus. Diese für technische Produktionen (z. B. zum Bau eines Hauses oder zum Fertigen eines Maschinenteils) hergestellten Artefakte sind ein technisches Informationsmedium und können so auch für Erklärvideos genutzt werden, zentral um Technologien transparent und funktional darzustellen. Beispiele wären hier Inhalte in technischen Berufen oder Ingenieurwissenschaften etc. Die am häufigsten verwendeten Zeichnungen in Erklärvideos sind Handzeichnungen, wie man sie beispielsweise auf einem Flipchart erstellen würde. Hier hat sich in den letzten Jahren eine einfache Bildsprache entwickelt, die über Bildmetaphern Inhalte einer

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Erklärvideos an Schulen und Universitäten

Präsentation illustrieren, unterstreichen, expandieren oder auch relativieren kann. In Erklärvideos kann man die damit einhergehende Semiotik gut nutzen, vor allem wenn dieses Zeichnen für die Betrachter*innen als Entwicklung vollzogen wird. Diagramme sind zeichnerische Darstellungen von zumeist quantitativen Zusammenhängen. Ihre Gestaltung intendiert gleichermaßen eine Akzentuierung und eine Vereinfachung. Die in Diagrammen gehandhabten Zahlenkonstellationen werden mit einfachen visuellen Mitteln so verstärkt, dass die zu vermittelnden Konstellationen und Proportionen für die Betrachter*innen verdeutlicht werden. Diagramme haben – ähnlich wie technische Zeichnungen – eine eigene Semiotik, wobei es hier unterschiedliche Abstufungen gibt. Balken-, Säulen- und Tortendiagramme sind inzwischen so allgegenwärtig, dass sie nicht mehr erklärt werden müssen. Gegensätzlich dazu gibt es in den verschiedenen Fachdisziplinen vielfältige Diagrammdarstellungen, die nur die Expert*innen verstehen. In Erklärvideos sollte man auf Expertendiagramme nur zurückgreifen, wenn dies inhaltlich erforderlich ist; ansonsten ist es angezeigt, bekannte Darstellungsformate zu wählen, um Irritationen oder Verständnisprobleme auszuschließen. Schaubilder sind grafische Formate, in welchen Bilder und Text so angeordnet sind, dass sie einen Zusammenhang akzentuiert darstellen. Ihr Mehrwert liegt in der Anordnung der einzelnen Elemente und deren kausaler Verknüpfung. Vereinfacht könnte man sagen, dass ein Erklärvideo ein animiertes Schaubild ist bzw. ein Schaubild ein Erklärvideo, das man in Gedanken animieren muss. Durch die Vielfalt der hier verwendbaren Teilelemente ergibt sich eine fast unüberschaubare Varianz für die Gestaltung von Schaubildern. Typische Elemente sind – neben Fotos, Zeichnungen und Diagrammen  – Symbole (Pfeile, Sprechblasen etc.), Piktogramme (vereinfachende Zeichnungen wie auf Hinweisschildern) und geometrische Formen (Linien, Rechtecke, Kreise etc.). Die Sprache der Fotos und Schaubilder ist eine lebendige, authentische und vielfältige Bildersprache, demgegenüber ist die Sprache der Zeichnungen und Diagramme eine reduzierte Zeichensprache. So kann man mit statischen Visualisierungen komplementäre Effekte erzeugen – je nachdem was im Einzelfall intendiert wird. Was dann für das jeweilige Erklärvideo genau passt, kann nicht exakt bestimmt werden, eher noch, was eventuell nicht passt. Zu viele gestalterische Aspekte kommen hier hinzu. Letztlich muss hier aber auch das Ressourcenthema erwähnt werden, denn angesichts des Aufwands für eine eigenständige Videoproduktion erscheint es anmaßend, auch noch zusätzlichen Aufwand für die Erstellung dieser Visualisierungen zu betreiben. Daher wird man sich in vielen Fällen auch auf einfache, oder verfügbare, bereits produzierte Materialien einschränken müssen.

→ Exkurs: Beispiele für eine veranschaulichende Fotografie findet man überall in Naturwissenschaft und Technik; besonders interessant wird es dort, wo das menschliche Auge

Mediendidaktik und -methodik

überschritten wird, z. B. bei Aufnahmen mit dem Elektronenrastermikroskop oder Weltraumteleskop. Sehr anschaulich sind sogenannte Explosionszeichnungen, Schnittzeichnungen, aber auch gute Handskizzen. Diagramme und Schaubilder überfüllen unsere Computerwelt – geben Sie einfach diese Schlagworte in Youtube ein.

Dynamische Veranschaulichungen Die Varianten dynamischer Veranschaulichungen stellen sich ähnlich dar wie jene der visuell statischen. Bewegte Bilder anstelle von Fotos, Trickfilme anstelle von Zeichnungen, Animationen anstelle von Schaubildern. Mit der Bewegung entsteht jedoch eine sehr unterschiedliche Wirkung für das Erklärvideo. Statische Visualisierungen müssen über das Erklärvideo dynamisiert werden, um sie zu erschließen, bei dynamischen Visualisierungen ist dies nicht erforderlich, aber auch nicht möglich. D. h. man hat einerseits einen Vorteil, da man keine eigene Dynamik in der Videoproduktion erzeugen muss, andererseits aber auch den Nachteil, dass man die Dynamik des jeweiligen Formats weitgehend übernehmen muss. „Weitgehend“ bedeutet dabei, dass man Bildausschnitte und den Ablauf nicht verändern kann, wohl aber Anfang und Ende selbst bestimmen, zudem das Tempo erhöhen oder verringern und auch zeitweise ganz anhalten kann. Bewegte Bilder (Film oder Video) sind – ähnlich dem Foto – hochgradig authentisch und realitätshaltig. Man kann mit ihnen Vorgänge, Prozesse oder Abläufe so darstellen, wie man es sehen würde, wenn man vor Ort wäre. D. h. man kann – wie beim Foto – Wirklichkeit aus anderen Zeiten und Räumen in das Medium einbringen. Daher sind bewegte Bilder insbesondere in Erklärvideos wichtig, in welchen die optische Realität große Bedeutung hat. Zudem bringen sie Töne, Geräusche und Sprache authentisch ein, sodass – gegenüber dem Foto – ein mehrdimensionaler Eindruck entsteht. Beispiele wären hier wiederum naturwissenschaftliche Inhalte oder auch Inhalte aus Wirtschaft und Technologie etc. Trickfilme sind ebenfalls bewegte Bilder, aber nicht aus der Realität, sondern aus einem künstlichen Herstellungsprozess. Gegenüber Filmen vermitteln sie weniger Authentizität, können aber Akzente setzen, die mit diesen nicht möglich wären (z. B. ein Trickfilm zur Unfallverhütung, bei dem übertriebene Darstellungen der jeweiligen Unfälle verwendet werden, um zu appellieren). Zudem sind Trickfilme frei von Nebeneffekten, da sie in ihrer Darstellung auf Wesentliches reduziert sind. Damit können sie ein Thema stärker fokussieren. Beispiele für eine sinnvolle Verwendung von Trickfilmen in Erklärvideos wären soziale oder kommunikative Themen, aber auch Szenarien aus modernen Produktionen etc.

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Erklärvideos an Schulen und Universitäten

Animationen sind vor allem in der Technik sehr weit verbreitet. Ihre Stärke liegt in ihren fast unbegrenzten Möglichkeiten, Funktionen und Funktionszusammenhänge überdeutlich darzustellen. Ähnlich wie in einem Museum, wo man den Knopf drückt und dann etwas abläuft, startet die Animation am Beginn eines Prozesses, legt diesen in all seinen Details offen, akzentuiert darin alle Besonderheiten und kommt dann zum Ende, wenn die darzustellende Einheit abgeschlossen ist. Beispiele gibt es hier unzählige: die Animation eines Viertaktmotors, einer Biogasanlage oder einer tektonischen Plattenverschiebung etc. Graphic Recording kommt aus dem betrieblichen Kontext der Personal- und Führungskräfteentwicklung. Dabei wird die Idee der visuellen Prozessbegleitung über eine zeitgleiche Dokumentation von Workshops oder Meetings durch Expert*innen umgesetzt. Während der Veranstaltung wird unmittelbar ein visuelles Verlaufsprotokoll erstellt, welches mit (den oben erläuterten) Handzeichnungen, Schlagwörtern, Überschriften, Symbolen etc. ausgestattet wird. In der visuellen Prozessbegleitung wird überwiegend das Endprodukt eines Graphic Recordings genutzt. Dies sind dann sehr komplexe „Wimmelbilder“, in welchen man als Workshopteilnehmer*in alle Inhalte wiederfinden kann und so für alle eine gemeinsame Basis für Rückschau, Diskussion, Feedback oder andere kommunikative Prozesse vorliegt (s. Abbildung 13).

Abbildung 13 Graphic-Recording-„Wimmelbild“ als Endprodukt eines Workshops

Mediendidaktik und -methodik

Für Erklärvideos ist jedoch weniger ein Endprodukt des Graphic Recording interessant als vielmehr dessen Erstellung, denn diesem sich fortlaufend entwickelnden Aufbau eines Bilds folgt man gerne, da es sich wie eine Trickanimation darstellt. In dieser Form der Dynamisierung von Zeichnungen, Zeichen und Schlagworten wurde eine attraktive Verbindung zwischen einer statischen und einer dynamischen Visualisierungsmethode hergestellt. Durch die inhärente Entwicklungsdramaturgie ist dies ideal für Erklärvideos geeignet. Im später folgenden Produktionsbeispiel wird eine diesbezügliche Praxis vorgestellt (s. Kap. 2). Die Sprache der Filme ist eine lebendige, authentische, vielfältige Bildersprache, demgegenüber ist die Sprache der Trickfilme und Animationen eine reduzierte Zeichensprache. Ähnlich wie bei den statischen Veranschaulichungen kann man auch bei den dynamischen komplementäre Effekte erzeugen  – je nachdem was im Einzelfall intendiert wird. Auch hier kann nicht exakt bestimmt werden, was dann für das jeweilige Erklärvideo genau passt. Auch hier gibt es unzählige gestalterische Möglichkeiten. Aber noch mehr als bei den statischen Veranschaulichungen kommen hier Ressourcenaspekte zum Tragen. Denn der Aufwand für eine eigenständige Produktion von Videos, Trickfilmen oder Animationen ist noch höher einzuschätzen als der für Fotos, Zeichnungen oder Schaubilder. Daher wird man sich hier weitgehend auf verfügbare, bereits produzierte Materialien einschränken müssen.

→ Exkurs: Produktionen auf höchstem Niveau sind die „4-Stroke-Engine“-Animation von Paramount Autozone oder die Produktion „3D animation of industrial gas turbine working principle“ von MAN Energy Solutions

Tabelle 3 Gegenüberstellung verschiedener Visualisierungen

Fotografie Zeichnung Diagramm Schaubild Bewegtbilder Trickfilm Animation Graphic Recording

Authentizität

Akzentuierung

Fokussierung

Aufwand

++ 0 0 + ++ 0 0 0

+ + ++ ++ + ++ + ++

+ 0 ++ + + + ++ ++

0 + 0 + + ++ ++ +

Wie Tabelle 3 in horizontaler Lesart zeigt, unterscheiden sich die Charakteristiken von statischen und dynamischen Visualisierungen nur unerheblich. Deutlich größer sind die Unterschiede der einzelnen Formate: Wenn Authentizität angezeigt ist, sollte man Fotos oder Videos einbetten. Geht es hingegen um spezielle Akzentuierungen, bieten

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sich – je nach Aspekt – Diagramme, Schaubilder, Trickfilme und Graphic Recording an. Will man bestimmte Aspekte exakt fokussieren, sind Diagramme, Animationen und Graphic Recording am besten geeignet, will man Aufwand vermeiden, sollte man sich auf Fotos und Diagramme beschränken.

Animationsaufnahmetechnik: von der Statik zur Dynamik Viele Erklärvideos bestehen aus Einzelbildern oder -texten, sind aber als Animation produziert. Um dies einfach und mit wenig Aufwand zu ermöglichen, wurden dafür spezielle Programme entwickelt (z. B. Explain Everything). So kann man mit eigenen grafischen Objekten (Fotos, Zeichnungen etc.) animierte Sequenzen erstellen, die dann einer (vorausgehend kommentierten) Animation entsprechen. Typische Techniken sind hier das Graphic Recording oder die Schiebetechnik. Im Graphic Recording wird nach und nach ein Gesamtbild durch Zeichnungen entwickelt, das dann anschließend vertont werden kann, bei der Lege-Trick-Technik ist die Animationstechnik eine andere: Hier werden kleine visuelle Elemente mit den Händen so hin- und hergeschoben, dass sich ein Zusammenhang entwickelt. Die Lege-Trick-Technik wird von grafischen Laien bevorzugt, da man dazu keine zeichnerischen Fähigkeiten benötigt.

Explainity-Clip: Erklärvideos im Lege-Trick-Stil boomen seit Jahren. Diese sogenannten Explainity-Clips findet man zu allen Themen und man sieht ihnen an, dass sie nicht aus professionellen Produktionen kommen. Zuerst muss man sich alle Symbole, Textstreifen, Bilder, Flachfiguren etc. zusammenbasteln. Dann testet man den Ablauf des Hinein- und Hinausschiebens bzw. Einlegens und Herausnehmens. Unterstützt durch einschlägige Software erfolgt dann die Aufnahme der Animation in Echtzeit. Daran anschließend kann man das Video noch bearbeiten, insbesondere dessen Geschwindigkeit. So kann man also immer dort verlangsamen, wo man viel sagen will, und an anderen Stellen, wo es schnell weitergehen soll, beschleunigen. Wenn Ablauf und Timing passen, kommt die Vertonung. Man bespricht nun die Animation mit dem vorbereiteten Text, kann auch noch Musik und Geräusche einbetten etc. Abschließend wird das Video vom Programm gerendert, d. h. dass alle digitalen Teilkomponenten zusammengeführt, komprimiert und in ein transferierund abspielbares Format (MP4 oder AVI) integriert werden. Die erkennbare Laienhaftigkeit dieser Clips reduziert keineswegs ihre Attraktivität; gegenteilig wird dies von vielen Nutzer*innen als charmante Individualproduktion wahrgenommen.

Erklärvideos wollen informieren und instruieren. Veranschaulichen ist dabei ein zentrales Anliegen, denn menschliches Lernen und Verstehen erfordert konkrete und differenzierte Sinneseindrücke sowohl aus kognitiver als auch aus motivationaler Perspektive. Häufig scheitern Lernen und Verstehen an Intransparenz bzw. Abstrak-

Mediendidaktik und -methodik

tion, sodass deren Reduktion oder Auflösung enorme Wirkungen auslösen können. Die Wirksamkeit von Erklärvideos steht und fällt somit mit den darin inszenierten Veranschaulichungen. Dies bezieht sich sowohl auf deren Statik (also die Qualität der Zeichnungen, Fotografien, Diagramme und Schaubilder) als auch auf deren Dynamik (also die Qualität der genutzten Bewegtbilder, Trickfilme und Animationen). Qualität hat hierbei zwei bedeutsame Aspekte, zum einen den medialen, zum anderen den didaktisch-methodischen. Nur wenn die im Video verarbeiteten Medien attraktiv und verständlich dargestellt sind, werden sie von den Adressat*innen angenommen. Dies muss jedoch auch inhaltlich passen und in den Kontext der fortlaufenden Erklärung adäquat eingebettet sein bzw. diesen mittragen.

1.4.2

Integration von Texten

Texte sind innerhalb der Erklärvideos (bislang) eher selten. Trotzdem können sie – bei entsprechender Handhabung – durchaus nützlich sein. Durch das Tempo der Erklärvideos und die parallel zur Animation gesprochene Information ist die Einbettung eines Texts an sich nicht erforderlich. Aus der Forschung ist sogar bekannt, dass ein Parallel von Text und Sprache in einer Präsentation eher störend als hilfreich wahrgenommen wird. Das erstaunt, denn sehr häufig wird bei PowerPoint-Präsentationen genau dies gemacht: Slide für Slide stehen Unmengen an Text, die die Referent*innen fast unmittelbar ablesen und – im besten Fall – dann noch ein wenig kommentieren. Das sollte man im Erklärvideo meiden. Wann kann Text aber dann hilfreich sein? Hier gelten die klassischen drei Ws: wenig–wuchtig–wichtig! Das bedeutet, dass Schlagworte oder kurze Sätze sehr bedeutsam sind, da sie das Gesprochene akzentuieren und so ein zweikanaliger Input erfolgt. Geht dann der Sprechtext weiter, bleibt das Geschriebene stehen. Es entwickelt sich nicht nur ein Bild, sondern auch eine Anordnung von bedeutsamen Begriffen oder Sätzen, die man sich gut einprägen kann. Wenn dann die Sprecher*innenstimme eine Zusammenfassung macht, kann das Auge nochmals über diese Begriffe gehen. Ebenfalls erforderlich ist eine Texthandhabung im Video, wenn Texte der unmittelbare Lerngegenstand sind, also z. B. Lyrik oder Werbetexte. Dann müssen auch größere Textblöcke im Video präsentiert werden, wobei dann darauf zu achten ist, dass auch genügend Zeit für deren Lesen im Videoverlauf vorgesehen ist. Sonst müssen die Adressat*innen stoppen – und das ist unangenehm. Schriftarten, -größen und -farben sind hier ein weiterer Punkt. Generell ist die Lesbarkeit zentral, also eine einigermaßen klare Schriftart in einer Projektionsgröße, die man bei normalem Videoabspielen lesen kann. Angesichts der Tatsache, dass das Hauptnutzungsgerät für diese Clips das Smartphone ist, erzeugt dieser Anspruch eine deutliche Restriktion – dazu darf die Schrifthöhe kaum kleiner als 1/20 der Gesamtbildhöhe sein. Auch mit bunten Farben sollte man vorsichtig sein, denn damit kann der Kontrast sehr in Mitleidenschaft gezogen werden, sodass ein Text wiederum nicht

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Erklärvideos an Schulen und Universitäten

oder nur schwer lesbar ist. Comic-Schriftarten oder gar Handschrift halte ich für sehr experimentell und man muss davon ausgehen, dass deren Informationsgehalt an vielen Adressat*innen auch vorbeigehen kann. Zusammenfassend ist festzustellen, dass in didaktischen Erklärvideos Texte ein essenzieller Bestandteil sind. Man sollte damit aber gezielt und sparsam umgehen und deren Lesbarkeit sowohl in zeitlicher als auch in optischer Hinsicht im Auge behalten. Sprechtext und Geschriebenes müssen in jedem Fall eng korrespondieren; ähnlich wie Bilder sollte auch das Geschriebene nicht sofort wieder verschwinden, sondern für die Betrachter*innen auch nachvollziehbar und aggregierbar sein. Texte können mit neuen Verfahren auch interaktiv in ein Erklärvideo integriert werden. D. h. dass Texte als Hyperlinks oder Fragen erscheinen können, während das Video abläuft. Wenn dann ein Hyperlink angeklickt wird, bleibt das Video stehen und man wird auf eine andere Seite mit Zusatzinformationen geführt. Von dort kann man sich dann wieder zurück ins Video klicken. Klickt man auf eine Frage, bekommt man Auswahlantworten und  – nach Beantwortung  – eine Richtig-Falsch-Rückmeldung. Auch hier geht es dann im Video weiter. Ermöglicht wurde dies durch die Programmiersprache HTML5. Mit der Applikation H5Pkann man online eingebettete Videos mit Zusatzinformationen in Form von Bildern, Tabellen, Texten und Interlinks sowie mit Interaktivitäten in Form von Multiple-Choice-Tests, Freitextfragen, Lückentexten, Drag-and-Drop- und Wort-Markier-Aufgaben ausstatten. Dabei muss aber beachtet werden, dass mit diesen zusätzlichen Applikationen ein Übergang in ein Lernprogramm vollzogen wird. Funktionen, die bislang eher bei den Begleitmaterialien lagen, gehen nun in das Video über. Dazu benötigt es gute Gründe: Ein Argument für die anklickbaren Zusatzinformationen wäre eine Erhöhung der Individualisierung. Manche Adressat*innen benötigen diese Infos zum Verständnis, manche nicht. So kann jeder selbst entscheiden, ob er weiter will oder eine Informationsschleife einbauen möchte. Ein Argument für die eingebetteten Fragen und Aufgaben wäre eine Erhöhung der Aufmerksamkeit. Wenn Adressat*innen wissen, dass Fragen kommen, folgen sie dem Video absehbar bewusster. Diesen Pro-Argumenten stehen aber auch Kontras gegenüber: Mit dem Anklicken von Zusatzinformationen wird die Struktur der Erklärung gestört. Die Adressat*innen fallen aus der Argumentationslinie und müssen danach den Faden wieder aufnehmen. Dazu kann technisch keine Unterstützung eingebaut werden. Zudem kann mit mehreren solchen Informationsfenstern ein Lost-in-Hyperspace-Effekt eintreten, sodass Adressat*innen die Orientierung im Video verlieren. Bei den Fragen tritt an erster Stelle das typische Multiple-Choice-Problem auf: Mit viel Aufwand erreicht man hier fadenscheinige Fragen, die auch einfach per Trial and Error beantwortet werden können. Die Lernrückmeldung bleibt dabei dünn. Zudem fördern sie ein reproduzierendes Lernen. Alle „Nicht-Auswahl-Fragen“ lassen keine Richtig-Falsch-Rückmeldung zu, sondern nur die Entgegnung einer Musterlösung. Das ist mühsam und für schwächere Adressat*innen schwierig umzusetzen. Zudem kann eine Wissensabfrage im Videoab-

Entwicklung von Erklärvideos

lauf gerade von reiferen Lernenden als Gängelung empfunden werden. Sie fragen sich, warum man das im Video handhaben muss und nicht neben diesem. Hinzu kommt ein deutlich höherer Produktionsaufwand, denn man muss zuerst das Video herstellen, um es dann mit H5P nachzubearbeiten. Unabhängig von dieser Vorteil-Nachteil-Gegenüberstellung steht fest, dass die Applikation H5P im Kommen ist, allein schon wegen ihres Potenzials, analoge Begleitmaterialien digital zu substituieren. Der aktuellen Applikation werden absehbar weitere, bessere folgen. All diejenigen, die Erklärvideos erstellen wollen, können jetzt oder später selbst entscheiden, ob dies für sie und ihre Adressat*innen passt oder nicht. An dieser Stelle werden hier die mediendidaktischen Überlegungen abgeschlossen. Dass wir dieses Thema nur am Rande gestreift haben, versteht sich von selbst. Mediendidaktik will mehr als nur helfen, Medien didaktisch aufzubereiten. Hier tiefer einzusteigen, würde den Rahmen dieses Handbuchs überschreiten, dazu gibt es auch viele andere interessante Werke von Expert*innen. Was aktuell aus diesem Bereich noch fehlt, sind tragfähige Befunde, die helfen würden, sich in der Herstellung laienhafter Erklärvideos zu orientieren. Bislang ist das meiste hier auf Erfahrungen aus anderen Bereichen abgestützt oder auf den Sachverstand, die Logik und vor allem die Motivation, etwas Neues einfach zu versuchen.

1.5

Entwicklung von Erklärvideos

In der Entwicklung von Erklärvideos werden die vorausgehend erörterten Komponenten so integriert, dass die Produktion optimal vorbereitet ist. Im Mittelpunkt steht hier die Passung für die potenziellen Adressat*innen, die Klärung der erforderlichen und verfügbaren Ressourcen sowie die Konkretisierung personeller, formaler und qualitätssichernder Aspekte.

Profitipps zur Gestaltung von Erklärvideos: Joachim Bublath (WDR, Aus Forschung und Technik) ist Intendant des Youtube-Kanals Veritasium, eines Wissenschaftsfernsehens im Erklärvideoformat. Seine Gestaltungsgrundsätze sind (Dorgerloh/Wolf, 2020): – Aufmerksamkeit mit etwas Außergewöhnlichem erzeugen: Starte mit etwas „Coolem“ – Beiwerk ist überflüssig: Mach keine langen Einführungen oder anderweitige Ausschmückungen – Vorträge will keiner: Binde die Themen und Inhalte in gute und interessante Geschichten ein – Weniger ist mehr: Vermittle das Wesentliche prägnant und präzise – Veranschaulichung ist wichtig: Nutze alle Möglichkeiten für Illustrationen und Animationen – Sprache muss passen: Sprich – so gut es geht – die Sprache deiner Adressat*innen

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Erklärvideos an Schulen und Universitäten

1.5.1

Externale Aspekte

Die Klärung der externalen Aspekte (Abbildung 14) ist ausschließlich darauf ausgerichtet, eine optimale Passung des Erklärvideos zu sichern. So will man die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass das Video genutzt wird, und dazu muss es sinnvoll, interessant aber auch relevant und handhabbar sein.

Externale Aspekte Curriculare Passung

Institutioneller Rahmen

Konzeptioneller Rahmen

DV-Infrastruktur

Adressat*innen

Abbildung 14 Externale Aspekte für die Entwicklung von Erklärvideos

Curriculare Passung Curriculare Passung ist nichts anderes als der Anspruch, dass das Erklärvideo in ein einschlägiges Curriculum eingebettet ist. Das klingt einfach, ist es aber leider nicht immer. Am leichtesten fällt die curriculare Passung, wenn man exakt einem Lehrplan folgen kann. Dies gilt z. B. für das gesamte Schulsegment. Trotzdem ist auch hier die Ausschnittbildung eine Herausforderung, da die heutigen Lehrpläne nur selten so feingranular ausformuliert sind, dass dies eins zu eins für die Paketgröße eines Erklärvideos passen würde. Dies trifft aber nur bei einzelnen Clips zu – erstellt man eine kleine Videoreihe, kann man eine gute Lehrplanpassung erzielen. Diese Passung bleibt aber etwas wackelig, solange man nur Videos produziert, denn diese können den gesetzten Raum der Lehrpläne nur unvollständig erschließen. Anders verhält sich dies bei Medienpaketen, also der Entwicklung von zusammenhängenden Einheiten aus Erklärvideos und Begleittexten. Schwieriger wird es im hochschulischen Rahmen. Dort werden die Curricula als Studienordnungen bezeichnet und sind komplexer als schulische Lehrpläne, dabei aber offener und abstrakter. Blickt man in die aktuelle Situation, kann festgestellt werden, dass Erklärvideos im Hochschulbereich dort besonders gut einschlagen, wo die curriculare Passung hoch ist, z. B. in typischen Grundlagenbereichen. Dort sind die Bedarfe auch klar und etabliert, sodass man nicht viel falsch machen kann. Je weiter man von diesen weggeht und je spezialisierter die Themen und Inhalte werden, desto instabiler wird die curriculare Passung. Das kann man nur dann in Kauf nehmen, wenn die Videos für den Eigenbedarf produziert werden, darüber hinaus bleibt eine breitere Verwendung offen. Eine mögliche Lösung für dieses Problem könnte in einem ex-

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ternen Abgleich liegen, also in der Kommunikation mit hochschulinternen und auch -externen Lehrbereichen, für welche man curricular adaptiv sein will. Oft sind es nur hier vereinbarte Details oder Nebenaspekte und die Videoproduktion erfährt durch die breitere Nutzung eine deutlich bessere Passung und Effizienz. Zudem kann ein solcher Abgleich auch die eigene Perspektive auf Thema und Lerngegenstände korrigieren oder erweitern, was in jedem Fall ein Gewinn für die Erklärvideos wäre. Curriculare Passung entscheidet somit darüber, ob ein Erklärvideo im Rahmen eines legitimierten Lehrplans genutzt werden kann. Dies kann im schulischen Raum relativ einfach umgesetzt werden, insbesondere wenn ganze Medienpakete aus Videos und Materialien generiert werden, noch besser wenn so etwas wie ein thematischer Gesamtrahmen vorliegt, in welchem Lehrpakete konkret curriculare Felder abdecken. Im Hochschulbereich kann dies nur in Grundlagenbereichen gelingen, darüberliegende Lehrsegmente sind nur individualistisch umsetzbar, dies kann jedoch in kollegialen Absprachen geändert werden.

Institutioneller Rahmen Völlig private Erklärvideos sind im didaktischen Raum (und dazu zähle ich jetzt nicht handwerkliche Videos mit Erklärintention) eher die Ausnahme. Schul- und hochschulbezogene Clips werden zumeist von Lehrpersonen oder Hochschullehrenden erstellt. Durch diese Professionalisierung der Videoproduzent*innen erfahren die Erklärvideos auch so etwas wie eine Institutionalisierung, also eine Einbettung in einen institutionellen Kontext. Jeder, der nun so ein Video betrachtet bzw. nutzt, erhält eine Lehreinheit von genau dem Institut, das in dieser erkennbar ist. Die eigentlichen Produzenten – die Lehrpersonen bzw. Hochschullehrenden – bleiben meistens im Hintergrund. Ob diese sich zeigen oder nicht, ist im Hinblick auf die Institutionalisierung auch unerheblich, denn hier geht es in erster Linie um die Schule oder Universität, die hier nun als Bildungsproduzent erkennbar wird und – angesichts der Speicherungsfähigkeit von digitalen Medien – auch bleiben wird. Im Unterschied zur internen Lehre, die nur mittelbar über Unterlagen und Aufgaben transparent wird, machen Erklärvideos die konkrete Lehre der Institution in hohem Maße transparent. Dies zieht reputative, aber auch rechtliche Konsequenzen nach sich. Mit jedem defizitären Erklärvideo, das auf eine Organisation zurückführbar ist, erleidet diese eine Schwächung nach außen. Auch wenn man darauf hinweist, dass die Lehre „Sache der Lehrenden“ sei, sprechen schlechte Medien doch eine zu deutliche Sprache. Daher gilt für die Produktion von Erklärvideos generell die Prämisse, dass man nur Produkte freigibt, die kein schlechtes Licht auf die Organisation werfen können. Schulen und Universitäten tun gut daran, diesbezüglich zu reagieren und Qualitätsstandards zu setzen. Diese sind dann zumeist auf formale Aspekte begrenzt, damit können aber schon viele Schwachstellen kontrolliert werden. Weitere Möglichkeiten

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liegen hier in der expliziten Qualitätssicherung durch die Organisation, was bei typischen Medienanbietern wie Fernuniversitäten Standard ist. Wenn Schulen und Universitäten in Zukunft verstärkt auf Erklärvideos setzen wollen, wird sich dies nicht umgehen lassen. Noch schwerwiegendere Folgen können rechtliche Konsequenzen haben. Solche können sich schnell aus der Veröffentlichung von Erklärvideos ergeben, wenn diese entweder Plagiate beinhalten oder Urheberrechte eingebetteter Medien korrumpieren. Von einem Plagiat spricht man dann, wenn Texte von anderen Personen verwendet werden, ohne dies kenntlich zu machen. Diese Gefahr ist in Erklärvideos allerdings gering, denn hier müsste man schon wörtliche Textpassagen übernehmen, also z. B. aus fremden Lehrbüchern vorlesen. Anders stellt es sich mit Fremdmedien dar. Das Internet ist voll von Bildern, Videos, Animationen, Diagrammen, Schaubildern, Sounds etc. Sie unterliegen jedoch verschiedensten Urheberrechten, sodass sie nicht einfach kopiert und eingefügt werden dürfen. Wenn man Fremdmedien verwenden will, muss man dies immer vom Eigentümer legitimieren lassen. Ansonsten drohen hohe Schadenersatzforderungen; je nach Rechtslage entweder für die Lehrperson oder für die Institution. Zusammengefasst gilt es, sich in institutioneller Hinsicht bewusst zu sein, dass man mit den Erklärvideos Medien freisetzt, die sich unkontrolliert und schnell verbreiten und dann auch nicht mehr zurückgenommen werden können. Man hinterlässt mit ihnen tiefe und zeitstabile digitale Fußabdrücke mit dem Label der eigenen Institution und sollte sich dementsprechend vorsichtig und niveauvoll verhalten. Wenn man plant, über den Rahmen der anekdotischen Medienproduktion hinauszugehen, bietet es sich an, diese Thematik innerhalb der jeweiligen Institution zu systematisieren, am besten über eine explizite Qualitätssicherung.

Konzeptioneller Rahmen Digitale Lehrpakete  – zu denen auch Erklärvideos gehören  – werden absehbar nur selten außerhalb eines konzeptionellen Rahmens hergestellt. Keine Lehrperson arbeitet konzeptlos, häufig befinden diese sich inzwischen in kollektiv eingebetteten Lehrkonzepten, also konzeptionellen Rahmungen, in welchen die Lehre in Fachsegmenten oder anderen Einheiten systematisiert wird. Dies ist normalerweise den Herstellern von Erklärvideos bewusst, trotzdem besteht die Gefahr, dass diese Restriktion unterschätzt wird. Gründe dafür gibt es mehrere, zentral ist hier der zeitliche Aspekt: Häufig werden gesamtkonzeptionelle Absprachen nur zu Beginn einer Lehrzusammenarbeit getroffen, um dann entsprechende Strukturen aufzubauen und Materialien zu erstellen. Dann vergeht Zeit und alles ist etabliert. Wenn solche Strukturen oder Materialien weiterentwickelt oder ergänzt werden, tragen sie noch das Basiskonzept in sich – bei neuen Medien wie Erklärvideos ist dies nicht selbstverständlich. An sich wäre dies

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kein Problem, wenn das eine oder andere Video hinzugefügt wird; je mehr Bedeutung diesen jedoch im Lehrkonzept beizumessen ist, desto schwieriger wird es. Entweder würden sich dann die Erklärvideos zu Add-ons oder Implantaten entwickeln oder – beginnend mit dem Teilkonzept  – ein Gesamtlehrkonzept unterwandern, sodass sich bei kollektiver Nutzung von Strukturen und Materialien auch Störungen anderer Lehrbereiche ergeben könnten. Daher empfiehlt sich im Vorfeld der Produktion in solchen Konstellationen ein Abgleich mit allen beteiligten Partner*innen. Mit diesem Schritt wird nicht nur die Gefahr konzeptioneller Interferenzen reduziert, sondern auch potenziell Positives erzeugt, denn der Einbezug von Kolleg*innen, mit denen man gemeinsam lehrt, bevor man Videos produziert, liefert noch andere Perspektiven auf deren Konzepte, Inhalte und Nutzung. Zudem können auch neue oder andere Ideen hinzukommen oder es könnte sogar ein Mitnahmeeffekt ausgelöst werden, indem entweder die/der eine oder andere partizipiert oder eine eigenständige Medienproduktion eröffnet, natürlich wiederum mit allen anderen konzeptionell abgestimmt. Man kann hier zusammenfassen, dass eine Abstimmung einer geplanten Produktion von Erklärvideos im kollegialen Umfeld nur Vorteile birgt, abgesehen vom diesbezüglichen Aufwand und gegebenenfalls der zeitlichen Verzögerung. Zum einen kann man damit ein konzeptionelles Auseinanderdriften verhindern, zum anderen können so die Kolleg*innen konstruktiv miteinbezogen werden.

DV-Infrastruktur Erklärvideos sind große Datenpakete, die gegenüber Texten oder Bildern deutlich höhere Kapazitäten fordern. Schnell ist auch bei einem Fünf-Minuten-Clip eine Datenmenge von 100 MB überschritten, was an jeder Stelle Herausforderungen mit sich bringt. Am wenigsten problematisch sind hier die Speicher- und Performanzaspekte, denn inzwischen hat jedes digitale Endgerät und auch jede Serverstruktur diesbezüglich genügend Leistungsfähigkeit. Schwieriger ist hier der Transfer über das Internet, egal ob das Video gestreamt (also in Echtzeit übertragen) oder zum Download bereitgestellt werden soll. Um dem zu begegnen, sollte man schon in der Produktion eine Formatierung suchen, die die Datenmenge des Endprodukts gering hält. Stellschrauben sind hier die finale Bild- und Farbauflösung (korrespondierend mit der Größe des Videos) sowie das Komprimierungsformat. Unabhängig davon wird ein zentral erreichbarer und zudem sicherer Ort benötigt, an welchem die Videos abgerufen werden können. D. h. man benötigt einen Downloadserver, der kontrolliert angesteuert werden kann und einen Zugriff aus dem Internet für eine gezielte Adressat*innengruppe ermöglicht. Dieser Server muss gegen Hacker geschützt, softwaretechnisch gewartet sowie aktualisiert werden und er muss – bei umfangreicheren Videokonzepten – über einen großen Speicherplatz verfügen. Hinzu kommen regelmäßige Back-ups, um Datenverluste bei Hardware-Schäden auszuschließen.

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Didaktische Erklärvideos sollte man erst herstellen, wenn man über eine adäquate Serverstruktur verfügt, auf die man selbst einfach und sicher zugreifen kann, denn per E-Mail lassen sie sich nicht versenden. Es ist jedoch davon auszugehen, dass jetzt oder in naher Zeit jede Lehrinstitution in Deutschland solche Strukturen aufgebaut hat und für die Lehre adäquat administriert. Was für die Erstellung gilt, gilt insbesondere auch für die Distribution. Zeitgemäß sind hier Cloud-Lösungen oder komplexere Lernplattformen, auf welchen die Videos in ihre Lehrkontexte eingebettet vorgefunden, heruntergeladen (d. h. die Datei kommt auf den Arbeitsrechner) oder gestreamt (d. h. die Datei verbleibt in der Cloud) werden können.

Adressat*innen Last but not least sollen hier nochmals die Adressat*innen erwähnt werden. Sie sind schon in den ersten beiden Aspekten „curriculare Passung“ und „institutioneller Rahmen“ miteinbezogen worden, werden hier jedoch nochmals fokussiert. Der Grund für diesen Akzent liegt auf der Hand: Wenn die Adressat*innenpassung nicht stimmt, wird das Video oder das Lehrpaket nicht ankommen. Hier ergibt sich jedoch ein Paradoxon aus (1) den vielfältigen Aspekten, welche adressat*innenbezogen relevant sind, und (2) der Unschärfe in der Klärung potenzieller Adressat*innen von Erklärvideos. Zu (1): Lernende sind im Regelfall in vielerlei Hinsicht heterogen. Dies betrifft zentral deren Alter, sozial-familiären Hintergrund, Muttersprache, Schulabschluss, Berufserfahrung, Persönlichkeitseigenschaften, Intelligenz, Vorwissen, Motivation, Interesse und Lernkompetenzen. Je genauer man dies eingrenzen kann, desto besser. In schulischen und auch in hochschulischen Kontexten hat man normalerweise als Lehrperson eine gute Grundvorstellung über die einzubeziehenden Adressat*innen – bezogen auf digitale Lehrmedien gibt es hier jedoch absehbar Grauzonen. Dies sind insbesondere jene Aspekte, die mit einem eigenständigen Fernlernen korrespondieren: Motivation, Interesse und Lernkompetenzen (s. Kap. 1). Je besser diese ausgeprägt sind, desto einfacher ist die Entwicklung von Erklärvideos, je mehr Defizite hier zu erwarten sind, desto schwieriger ist sie. Gerade bezogen auf Lernkompetenzen gibt es hier einen Minimalanspruch, der kaum unterlaufen werden kann, denn dann sind Lernende einfach nicht in der Lage, mit solchen Medien etwas anzufangen. Einer absehbaren Konstellation von Intelligenz und Vorwissen hingegen kann man gut mit der Mediengestaltung begegnen, denn hier sind Anschlusspunkte konkret herstellbar und das Niveau lässt sich über Sprache, Inhalte und Tempo gut moderieren. Motivation und Interesse hingegen bleiben offen, denn hier ist immer von einer großen Streuung auszugehen. Also bleibt nichts anderes als der Versuch, die Videos so interessant und attraktiv wie möglich zu gestalten.

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Zu (2): Sobald man einen konkreten Adressat*innenbereich verlässt, wird die Profilierung der Erklärvideos schwierig. Dann kann man sich nur an fiktiven Adressat*innen orientieren und hoffen, dass das für einen breiteren Bereich passt. Der Aspekt des Vorwissens ist hierbei jedoch problematisch, gerade dann, wenn diesbezüglich einiges im Video vorauszusetzen ist. Wahrscheinlich ist es dann erforderlich, zumindest zu Beginn offenzulegen, was hier erforderlich ist. In den anderen Aspekten kann und muss man versuchen, ein „breites Mittelfeld“ anzusprechen, also möglichst viele potenzielle Adressat*innen mit „durchschnittlichen“ Ausprägungen; besser kann man dies nicht handhaben. Unabhängig davon kann aber über spätere Evaluationen die Adressat*innenpassung überprüft werden, um dann Videos, bei denen es Probleme gibt, entsprechend zu modifizieren. Somit wird deutlich, dass der Adressat*innenbezug ein wesentlicher Aspekt in der Entwicklung von Erklärvideos ist. Je besser dieser hergestellt werden kann, desto größer ist die Nutzungswahrscheinlichkeit und desto besser sind absehbar auch die Wirkungen. Für die Adressat*innenpassung gibt es eine Reihe wesentlicher Parameter, die unterschiedlich gut gehandhabt werden können. Besonders problematisch ist hier der Aspekt des Vorwissens. Die Kunst, ein adressat*innengerechtes Erklärvideo herzustellen, liegt letztlich auch darin, es in einem breiten Sektor des „Mittelfelds“ der potenziellen Adressat*innen einzubetten. Nachstellmöglichkeiten gibt es in jedem Fall, dazu ist jedoch eine entsprechende Evaluation erforderlich. Die vorausgehenden Erläuterungen zu externalen Aspekten einer Herstellung von Erklärvideos zeigen im Überblick, dass es eine Reihe von äußeren Zusammenhängen zu bedenken gibt, bevor man ein Erklärvideo konkret in Angriff nimmt. Die curriculare Einbettung und die Adressat*innenorientierung entscheiden zentral über die Passgenauigkeit der Erklärvideos. Das ist aber auch für die Planung anderer Lehrformate Konsens, daher werden hier alle Lehrende individuell einen eigenen Anspruch setzen und umsetzen. Die beiden Rahmenaspekte sind – bezogen auf Institution und Konzeption – ähnlich einzuschätzen, wobei hier ein Unterschied zur herkömmlichen Lehre vorliegt, denn die Videos können nur in sehr eng reglementierten Szenarien vor einem Kopieren und Verbreiten geschützt werden, also muss man sie so gestalten, dass man sie auch nach außen selbstbewusst vertreten kann. Zudem sollte man hier – wenn man in größeren konzeptionellen Gruppen arbeitet – nicht plötzlich zum Einzelkämpfer werden, also stattdessen die anderen Gruppenmitglieder produktiv und konstruktiv miteinbeziehen. Das erhöht die kollegiale Akzeptanz und kann für alle Beteiligten lehrreich sein. Schließlich ist eine genaue Klärung und Sicherung der – für Medien und Adressat*innen – verfügbaren digitalen Infrastruktur vor der Medienproduktion unerlässlich. Sonst könnte der Fall eintreten, dass man Erklärvideos hergestellt hat, die von niemandem oder nur einer Teilgruppe der Adressat*innen genutzt werden können. Wie umfassend und konsequent man dies alles im Einzelfall handhabt, bleibt jedem selbst überlassen, letztlich sollte das  – wie alle Dinge hierbei  – in einem adäquaten Verhältnis zum Gesamtprojekt stehen. Wenn man hier überzieht, verwendet

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man wertvolle Ressourcen für einen Vorbau, der auch kleiner gehalten werden könnte. Wenn man hier zu nachlässig ist, könnte das unangenehme Folgen für das Endprodukt haben bzw. einen unnötigen Folgeaufwand nach sich ziehen. Aufwand ist nun auch das zentrale Thema, das im nächsten Abschnitt große Bedeutung hat. Bezogen auf internale Aspekte werden nun im Folgenden die für eine Herstellung von Erklärvideos erforderlichen Ressourcen erörtert.

1.5.2

Internale Aspekte

Im Gegensatz zu den externalen Aspekten bei der Herstellung von Erklärvideos sind die internalen sehr konkret klär- und konkretisierbar. Übergreifend handelt es sich hier – bezogen auf personelle und sächliche Teilbereiche – um Ressourcenaspekte (s. Abbildung 15).

Internale Aspekte Eigene Expertise

Hard- und Software

Unterstützung

Medienpools

Zeit

Abbildung 15 Internale Aspekte bei der Herstellung von Erklärvideos

Eigene Expertise Zentrale Ressource für die Herstellung von Erklärvideos ist die eigene Expertise der involvierten Lehrpersonen. Folgt man der oben vorgenommenen Unterteilung, dann gliedert sich diese Expertise in drei Hauptbereiche: Die Unterrichtsdidaktik (1), die Mediendidaktik (2) und die Medientechnik (3). Nun könnte man sagen, dass (1) bezogen auf Lehrpersonen trivial ist, aber selbst dieser Expertiseraum erscheint aus unserer Perspektive problematisch, da die hier erforderlichen Instruktionsformen nicht (bzw. bestenfalls randständig) zu dem gehören, was in der Lehrer*innenbildung aktuell vermittelt wird. Also gilt es hier für viele zunächst, das Erklären gründlich zu lernen oder zumindest die eigenen diesbezüglichen Kompetenzen auf einen adäquaten Stand zu bringen. Hinzu kommen mediendidaktische und medientechnische Kompetenzen (2 u. 3). Hier sind Grundbefähigungen möglicherweise beim einen oder anderen vorhanden, für eine effektive und effiziente Produktion von Erklärvideos ist jedoch dringend Fortbildungsbedarf angezeigt. Man muss diese Dinge nicht nur von Experten erklärt und vorgeführt bekommen, sondern

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man muss sie in allen Teilfacetten anwenden und üben. Eine empfehlenswerte Form, hier die eigene Expertise auf einen guten Stand zu bringen, ist, dass man Kolleg*innen findet, die das schon länger machen, bei ihnen mitarbeitet und sie unterstützt. So kann man sich das erforderliche Know-how in allen Bereichen grundständig und aus dem unmittelbaren Tun heraus aneignen. Abzuraten ist von einer Delegierung der mediendidaktischen und technischen Herausforderungen an Dritte. Damit verhindert bzw. verlängert man den eigenen diesbezüglichen Kompetenzerwerb, was auch Unsicherheiten in der Gesamtplanung nach sich zieht, denn diese ist umso besser, je mehr Ahnung die gestaltenden Lehrpersonen von den medialen und technischen Themen haben. Zusammenfassend kann man hier feststellen, dass eine komplexe Gesamtfortbildung für die erforderliche Expertise zum Erstellen von Erklärvideos das Beste wäre, oder – ebenso gut – das Partizipieren in einer laufenden Produktion bei Kolleg*innen. Hier gilt es, aus der Perspektive der Herstellung von Erklärvideos die eigene Unterrichts- und Mediendidaktik zu ergänzen bzw. zu erweitern. Zudem müssen auch technische Kompetenzen erworben werden, weniger um das Endprodukt dann eigenständig distribuieren zu können, sondern vielmehr, um schon in der Planung die technischen Möglichkeiten und Grenzen vor Augen zu haben.

Hard- und Software In diesem Abschnitt ist eine Eingrenzung erforderlich, denn Hard- und Software für die Erstellung von Erklärvideos ist ein großes und unübersichtliches Thema. Orientierungspunkte sind hier zum einen die „Normalausstattung“, die man in etwa im Jahr 2021 von einer Lehrperson erwarten kann, zum anderen die einfach verfügbaren, erschwinglichen und für Laien handhabbaren Programme. Als Hardware-Normalausstattung kann man einen Computer voraussetzen, der leistungsfähig genug ist, grafische Funktionen zu ermöglichen und genügend Speicher hat, um die Medien auch ohne Probleme „einlagern“ zu können. Kurzum, dazu genügt jedes Notebook, das nicht allzu alt ist, mit einem aktuellen Betriebssystem. Für die Erstellung von Screencasts empfiehlt sich noch ein aktueller Tabletcomputer, auf dessen Display man mit einem elektronischen Pen zeichnen und schreiben kann. Selbstverständlich wird ein Internetanschluss vorausgesetzt, mit einer akzeptablen Datenrate. Für die Schnipsel der Lege-Trick-Technik sollte noch ein Farbdrucker angeschlossen sein, mit einem Scanner kann man Handgeschriebenes oder -gezeichnetes digitalisieren. Ebenfalls für die Legetechnik erforderlich ist eine Kamera mit einem Stativ, welches ermöglicht, sie über einer Oberfläche zu befestigen. Schließlich empfiehlt sich für alle Produktionen, bei denen Wert auf eine gute Stimme gelegt wird, ein externes Mikrofon.

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Bei der Software unterscheide ich hier zwischen Standard- und Spezialprogrammen. Erste sind – neben einem Internetbrowser – die typischen Office-Programme, insbesondere eine Textverarbeitung und ein Präsentationsprogramm. Damit wird vor allem produktionsvorbereitend bzw. -organisierend gearbeitet.

Software-Tipp: Im Microsoft-Programm PowerPoint gibt es vielfältige grafische Objekte, die sich hervorragend für die Darstellung einfacher Inhalte und Zusammenhänge eignen. Unter „Formen“ findet man Linien, Rechtecke, Standardformen, Pfeile, Sterne, Banner und Legenden. Mit SmartArt kann man sehr einfach adaptive Diagramme für Prozesse, Zyklen, Abläufe, Hierarchien, Systeme und Matrizen erstellen. Ähnlich ist es bei der Diagrammfunktion: Vom Tortendiagramm über das Balkendiagramm und Säulendiagramm bis hin zu Trenddarstellungen in 2D und 3D ist Vieles möglich. Eine relativ neue und unbekannte Applikation findet sich bei den Piktogrammen. Diese ist für die Erstellung von Erklärvideos besonders gut geeignet, denn dort findet man für sehr viele Begriffe und Metaphern passende skizzenartige Bilder: Die Überbegriffe sind alphabetisch angeordnet und reichen von Analyse, Ausbildung, Barrierefreiheit, Bekleidung bis Zeichnen und Zuhause. Die Stärke von Piktogrammen liegt in deren Semiotik, denn wir sind viele dieser Zeichen aus dem Alltag gewohnt und können sehr schnell das Bild in eine Information umsetzen. Daher eignen sich Piktogramme hervorragend dazu, das Gesprochene von Erklärvideos mit aussagefähigen Bildern zu hinterlegen.

Als Spezialprogramme kennzeichne ich hier Programme, die generell für die Medienerstellung und -handhabung anzuschaffen sind. Ein Klassiker ist hier das Bildbearbeitungsprogramm GIMP, das es kostenlos im Internet gibt. Damit kann man sehr einfach Fotos bearbeiten und so für die Videos vorbereiten, dass sie inhaltlich und optisch passen. Zum Herstellen von Zeichnungen, die über das Niveau von PowerPoint-Grafiken hinausgehen, bietet sich das – inzwischen ebenfalls kostenlose – Programm Autodesk SketchBook an. Je nachdem was man machen will, gibt es unzählige Applikationen, die hier helfen können, z. B. MindMaster für die einfache Erstellung von Mindmaps etc. Programme, die explizit für die Herstellung von Erklärvideos entwickelt wurden, gibt es inzwischen ebenfalls mehrere. Das in meinem Umfeld bekannteste ist Explain Everything. Es kann als ein „interaktives Whiteboard“ aufzeichnen, was auf dem Bildschirm geschieht und was dazu gesprochen wird. Da jede Folie als eigenes kleines Video gespeichert wird, kann auch im Nachhinein noch die Reihenfolge verändert werden. Als Ergebnis erhält man eine MP4-Videodatei. Das Programm erlaubt den Import einer Vielzahl an Dokument-, Bild- und Videoformaten sowie den Export von MP4-Filmen, PDF-Dokumenten, PNG-Bildern und XPL-Projektdateien. Da das Programm auf die Produktion von Screencasts spezialisiert ist, hält es unzählige Funktionen für die Erstellung animierter Präsentationen bereit. Eine Jahreslizenz kostet aktu-

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ell ca. 25 Euro. Ein ähnliches Programm ist Lensoo Create (leider nur für PC). Es hat einen geringeren Funktionsumfang als Explain Everything, was von manchen auch als Vorteil festgestellt wird, denn man muss sich nicht in die Fülle eines überkomplexen Programms einarbeiten und diese dann später auch nicht ständig handhaben. Zudem ist es aktuell kostenlos verfügbar. Schließlich wären noch die klassischen Videoschnittprogramme (wie z. B. iMovie von Apple) zu erwähnen. Auch mit ihnen kann man Erklärvideos erstellen, aber dann im typischen Prozedere der „Laien“-Filmproduktion, also durch die Zusammenstellung von Bild- und Videoschnipseln mit Nachvertonung. Damit entstehen dann die typischen Documentaries, aber auch unterweisende Vormachvideos, wie es sie zu technischen Themen in Hülle und Fülle gibt.

Smartphone-Produktion: Es erstaunt wahrscheinlich niemanden, dass Erklärvideos auch komplett mit einem Smartphone hergestellt werden können. Die simpelste Methode ist, einfach jemanden dabei abzufilmen, wie er etwas erklärt. Das kann durchaus attraktiv sein, vor allem dann, wenn sich die/der Erklärende mit Präsentationen, Objekten, Sound etc. so ausgestattet hat, dass die Performance lebendig wird. Etwas anspruchsvoller geht es auch: Verschiedenste Apps ermöglichen entweder eine Handhabung und Gestaltung von Medien, die sich im Speicher das Smartphones befinden, oder darüber hinaus auch das Verarbeiten selbst eingespielter Videosequenzen und natürlich die Handhabung von Tonspuren einschließlich Nachvertonung. Die so entstehenden Clips mit „SelfieTouch“ sind absehbar adressat*innennah, denn das machen junge Menschen inzwischen selbst bzw. sehen, dass es im Web von anderen oder von den Bloggern gepostet wird.

Zusammengefasst kann festgestellt werden, dass das Einfachste ein Start mit dem Smartphone oder dem Tablet ist. Diese Multifunktionsgeräte verfügen über das gesamte Spektrum an Hard- und Software, das erforderlich ist, um in die Erklärvideoproduktion einzusteigen. Vorteil ist hier die Einfachheit, Kostengünstigkeit und Überschaubarkeit. Die Produkte, die so erstellt werden können, sind absehbar funktional und – bei einer attraktiven Gestaltung – auch nett, jedoch von den Möglichkeiten her und qualitativ begrenzt. Die nächste Ausstattungsstufe ist ein Computer mit Peripheriegeräten. Hier nutzt man das Verfügbare und kauft eventuell das eine oder andere Gerät hinzu. Aufwendig wird es, wenn man – wie z. B. für die Lege-Trick-Technik – einen eigenen Produktionsarbeitsplatz mit Kamera etc. ausstatten muss. Bei der Software stehen kleine Anschaffungen an, diese sind jedoch im Vergleich zur Hardware marginal. Man muss irgendwann entscheiden, ob das hier Mittel zum Zweck bleiben soll oder ein Hobby wird. Das schlägt sich dann absehbar auch in der Ausstattung nieder.

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Unterstützung „Lehrer*innen sind Einzelkämpfer*innen“. Diese Behauptung ist auch heute noch zum Teil richtig, denn vor der Klasse bzw. vor den Studierenden ist man (normalerweise) allein. Dass sich inzwischen kollegiale Teamstrukturen an Schulen und Hochschulen etabliert haben, versteht sich von selbst, ist aber nicht selbstverständlich. Für die Produktion von Erklärvideos ist aber die One-Woman-Show  / One-Man-Show die ineffizienteste und aus sozialer Sicht gleichzeitig die einsamste Variante. Daher empfiehlt es sich generell, Gleichgesinnte zu suchen: Zum einen um die Effizienz zu erhöhen, denn mit jedem Teammitglied verbreitert sich der Verwendungsraum der Clips und verbessert so die Relation zwischen Aufwand und Wirkung. Zum anderen erhöht sich das Know-how, denn jeder kann ein wenig andere Dinge als die anderen. Zudem kann man sich gegenseitig unterstützen, wenn es Fragen oder Schwierigkeiten gibt. Über das Internet kann ein solches Produktionsteam auch virtuell kooperieren, sodass beispielsweise Dozent*innen verschiedener Hochschulen für eine identische Lehrveranstaltung gemeinsam die Erklärvideos herstellen. Diese Form der gegenseitigen Unterstützung von Produktionsteams findet jedoch bei Fragen und Problemen, die außerhalb ihrer Expertise liegen, ihre Grenzen. D. h. dass man immer dann, wenn man das Produktionsniveau über die Selfmademarke anheben will, Unterstützung durch Expert*innen benötigt. Dies können Mediendidaktiker*innen ebenso sein wie Mediengestalter*innen oder Computerspezialist*innen. Daher wäre eine zentrale Unterstützungsressource natürlich ein Budget, das entweder für die unmittelbare Einbindung von Expert*innen in die Produktion ausgegeben werden kann oder für adäquate Fortbildungen. Zusammenfassend kann man hier feststellen, dass zwischen der verfügbaren Unterstützung bei der Produktion von Erklärvideos und deren erreichbarer Qualität eine direkte Beziehung besteht: Je mehr Unterstützung verfügbar ist, desto mehr Qualität kann erreicht werden. Im Zentrum stehen hier zwei Aspekte: zum einen eine kollegiale Zusammenarbeit und zum anderen verfügbare Expert*innen.

Medienpools Je nach Fach oder Fachgebiet kann es mehr oder weniger erforderlich sein, externe Medien einzusetzen. Im Schulfach Mathematik genügt absehbar „Papier und Bleistift“, in Fächern wie Geografie oder Biologie stellt sich dies anders dar. Wenn man ein Erklärvideo über das Pferd machen will, ist es einfach schön, wenn man darin dann auch Fotografien von Pferden oder zumindest Zeichnungen sieht. Wenn man einen Clip über die Alpen herstellen will, wäre die Fotografie von einem Berg oder einem Gletscher sicher sehr relevant. All diese Medien könnte man einfach aus einem Lehrbuch oder dem Internet kopieren, würde damit aber das Urheberrecht brechen. Daher ist

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es für die Produktion von legalen Erklärvideos unerlässlich, sie mit legalen Medien auszustatten. Dazu gibt es unzählige Angebote im Internet  – sowohl kostenpflichtige als auch kostenlose. Die kostenpflichtigen sind zumeist besser in Umfang, Qualität und Suchstruktur, verbrauchen jedoch Ressourcen. Also bleibt nichts anderes übrig, als zunächst bei Pixabay oder Pixelio nachzusehen, wie man damit klarkommt, um dann eventuell einen kommerziellen Anbieter hinzuzunehmen. Auch bei diesen gibt es unterschiedliche Formate: Manche verlangen einen Betrag pro Datensatz, manche verkaufen Abonnements. Ähnlich sieht es bei Videodateien aus. Der beste Medienpool ist der, den sich Lehrende in ihrem Fach selbst herstellen. Unabhängig von der Produktion der Erklärvideos ist es in bild-/videolastigen Fächern angezeigt, auch für den Präsenzunterricht Medien zu sammeln und so abzulegen, dass man sie adäquat wiederfinden kann. Dann gibt es auch keine Urheberprobleme. Ähnlich wie bei den Überlegungen zur Unterstützung ist dies natürlich am effizientesten und wohl auch am motivierendsten mit anderen Kolleg*innen gemeinsam. Dann geht von einem geteilten Medienpool auch noch eine inspirierende Wirkung aus, die die Gestaltung der Erklärvideos positiv beeinflussen kann.

Zeit Abgesehen von den wenigen Medienprofis, die unmittelbar beruflich mit der Produktion von Erklärvideos beauftragt sind, werden wohl die meisten Clips nebenbei oder – besser gesagt – „on the top“ produziert. Damit will ich herausstellen, dass der zeitliche Aspekt in dieser gesamten Thematik kein Randaspekt ist, sondern – gegenteilig – ein zentraler. Lehrende an Schulen und Hochschulen haben immer genug zu tun mit der Umsetzung ihrer Lehre, mit deren Vor- und Nachbereitung bzw. Weiterentwicklung, mit der Handhabung von Prüfungen und mit der persönlichen Betreuung der Lernenden. Hinzu kommt an den Schulen die Verwaltung, an den Hochschulen ebenso und natürlich zusätzlich die Forschung als Kerngeschäft. Wenn hier also jemand Erklärvideos produziert, muss das in einem adäquaten zeitlichen Rahmen erfolgen und dabei einen akzeptablen „Return on Investment“ versprechen. Der zeitliche Aspekt wird zentral vom betriebenen Aufwand bestimmt, dabei muss man zwischen einem Rahmenaufwand und einem systematischen Aufwand unterscheiden. Der zeitliche Rahmenaufwand ist ein Sonderaufwand, der nur in besonderen Situationen entsteht (generell zum Einstieg in die Videoproduktion und später immer dann, wenn man diese maßgeblich verändert). Außerhalb solcher Sondersituationen betreibt man den systematischen Aufwand. In der Industrie unterscheidet man hier zwischen Rüst- und Bearbeitungszeit. Erstere ist die Zeit, die erforderlich ist, um Arbeiten beginnen zu können, die zweite die unmittelbare Umsetzungszeit. Ein Beispiel: Um einen Screencast mit einem iPad erstellen zu können, muss ich an erster Stelle den zugrunde liegenden Text besorgen oder erstellen, ich muss mir

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den Ablauf der Präsentation überlegen und dazu Notizen machen, die für die Umsetzung ausreichen. Ich muss mir das iPad so einrichten, dass ich starten kann, also das Aufzeichnungsprogramm klären und eine Datei bereitstellen. Um einen guten Ton zu gewährleisten, schließe ich ein externes Mikrofon an und sorge dafür, dass niemand stören kann. Dann gehe ich nochmals alles gedanklich durch. In der Umsetzung bereite ich dann die Präsentation so vor, dass sie animiert werden kann. Dann beginnt die Aufnahme, ich animiere die Präsentation und spreche dazu zeitgleich. Wenn die Einheit abgeschlossen ist, speichere ich das Video und sehe es mir an. Wenn es passt, ist der Prozess abgeschlossen, ansonsten muss entweder nachbearbeitet oder neu aufgenommen werden. Dann heißt es, das Video für die Lernenden hochzuladen und bereitzustellen. Dies ist ein minimaler Ansatz – ohne große Show etc. Eine Stunde kann man dafür veranschlagen. In anderen Formaten sieht das sicher anders aus, bei größeren Produktionen kann es nicht mehr en passant gehandhabt werden, dann muss man ein konkretes Projektmanagement aufstellen und handhaben. Wie immer hier die Ansprüche und Zielvorstellungen sind – man sollte diese vor Beginn der Produktion in Relation zu den persönlichen zeitlichen Ressourcen und bei Produktionsteams auch zu jenen der Kolleg*innen setzen. Ein vorsichtiger Beginn ist hier sicher ein guter Ansatz, denn diese Clips leben von der Motivation ihrer Erstellenden und diese kann nur gut sein, wenn man damit keinen massiven zeitlichen Druck aufbaut.

Erklärvideos an der Schule: Der Mathematiklehrer Kai Schmidt ist Betreiber eines YoutubeChannels und akzentuiert Folgendes aus seinen Erfahrungen mit der Produktion von Erklärvideos (Dorgerloh/Wolf, 2020): – Ich nehme einfach meine Unterrichtsvorbereitung auf – aktuell benötige ich für einen Clip 30 Minuten Produktionszeit – Mir ist Feedback wichtig, trotzdem kann ich sicher nicht alle Interessen und Ansprüche umsetzen – Alles, was man auf einem Overheadprojektor machen kann, kann man auch in ein Erklärvideo verpacken. Da genügt auch Handschrift – entscheidend ist die Tonspur – Gestalterisch halte ich mich für einen Minimalisten; Illustrations-Schnickschnack ist aufwendig und überflüssig – Nicht viel labern – nach drei Minuten muss die Message rübergekommen sein – Meine ersten 250 Videos habe ich aus Qualitätsgründen wieder aus dem Netz genommen; dieser laienhafte Start macht keine Probleme, aber man wird sehr schnell besser und anspruchsvoller – Inhaltliche Fehler kommen vor – ich tausche die defizitären Videos einfach gegen „richtige“ aus

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1.5.3

Produktion

Medienproduktion ist ein umfassendes Thema. Dabei muss man hier zwischen einer professionellen Produktion mit großen Ressourcen und Expertenteams bzw. einer laienhaften Produktion mit begrenzten Ressourcen und Teams aus Lehrenden unterscheiden, in welchen die Herstellung von didaktischen Medien „on the Job“ gelernt wurde. Im Rahmen dieses Handbuchs wird von Letzterem ausgegangen. Dabei kann und sollte man sich hier auch im Kleinen am Großen orientieren, um Interessantes daraus zu nutzen, andererseits muss man das auch mit Augenmaß tun, ansonsten verschiebt sich die Zweck-Mittel-Relation ins Absurde. In der professionellen Medienproduktion wird generell mit einem Projektmanagement gearbeitet. So wird von Anfang an ein konkreter Produktionsrahmen geschaffen, mit allen Zielen, Arbeitspaketen, Produkten, Beteiligten, Verantwortlichkeiten, Zeiten und Gütekriterien. Je kleiner ein Projekt wird, desto schmaler kann man dies handhaben, sobald jedoch mehrere Personen beteiligt sind, hilft Projektmanagement enorm bei der Organisation und Abwicklung – umgekehrt reduziert es die Gefahr von Fehlern oder Fehlproduktionen bzw. zeitlichen Verzügen. Eine gute Struktur dafür ist ein GANTT-Diagramm, in welchem man untereinander die Projektschritte und daneben deren Parameter und Zeiten einträgt. In Ein- oder Zweipersonenproduktionen kann man diese Vorgehensweise auch auf eine Schrittfolge reduzieren, die man gemeinsam abarbeitet: Zentrale Schritte sind hier 1. die didaktische Planung (Inspiration, Idee, Ziele etc.), 2. die Medienvorbereitung, 3. die Klärung der Werkzeuge und Infrastruktur, 4. die Videoaufnahme und Nachbearbeitung, 5. das Rendern und Konvertieren, 6. die Revision und 7. die Sicherung und Bereitstellung. Tabelle 4 Gantt-Diagramm als Beispiel für eine Produktionsplanung. Inhalt

Ergebnis

Teilmodul A Arbeitspaket 1 Arbeitspaket 2 Arbeitspaket 3 Arbeitspaket 4

Teilmodul B Arbeitspaket 1

Umsetzung

Vorbereitung der Texte Buchkopien Fachbuch XY Buchkopien Fachbuch YZ Herstellung der Infotexte Herstellung des Sprechtexts

Textsammlung 1

Hr. Müller

Textsammlung 2

Fr. Weber

Infotext

Hr. Müller

Storyboard

Fr. Weber

Vorbereitung der Bilder

Jan.

Feb.

Mrz.

Apr.

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Erklärvideos an Schulen und Universitäten

1.

Didaktische Planung

2.

Medienvorbereitung

3.

Werkzeuge und Infrastruktur

4.

Aufnahme und Nachbearbeitung

5.

Rendern und Konvertieren

6.

Revision

7.

Sicherung und Bereitstellung

Abbildung 16 Sieben Schritte in der Produktion von Erklärvideos

Zu 1.: Didaktische Planung Die didaktische Planung kann sehr unterschiedlich ausfallen, je nachdem ob man eine Produktion neu startet oder fortsetzt. Im ersten Fall sollte man zunächst ein wenig Inspiration einplanen (also mal sehen, wie es die anderen machen) und Gespräche führen (vor allem mit den Adressat*innen und dies alles vor dem Hintergrund der Lernziele). Diese gilt es, entweder mit Lehrplänen oder mit Lehrmedien (explizit Büchern) zu konkretisieren. Je nach Ausmaß sollte man dann auch die externalen und internalen Kriterien in eine Checkliste verpacken und abhaken. Tabelle 5 Planungscheckliste Externale Aspekte 1 2 3 4 5

Curriculum/Zieldefinition Institutioneller Rahmen Konzeptioneller Rahmen DV-Infrastruktur Adressat*innen Internale Aspekte

6 7 8 9 10

Eigene Expertise Hard- und Software Unterstützung Medienpool Zeit

-

.

/

Entwicklung von Erklärvideos

Die Checkliste wird durchgegangen und es wird geklärt, ob der Aspekt relevant ist – und wenn ja, ob er erfüllt ist. Damit verbunden sind entsprechende Aufzeichnungen über die einzelnen Planungsaspekte (z. B. über den adressierten curricularen Bereich und die anvisierten Lernziele). Das klingt ein wenig gestelzt und jeder kann das tun oder auch lassen; fest steht jedoch, dass die Checkliste nicht viel Aufwand erzeugt und in jedem Fall helfen kann, Probleme im Vorfeld zu beseitigen bzw. Fehlstarts zu verhindern. Damit lässt sich sehr viel Aufwand sparen.

Abbildung 17 Storyboard. Grafische Umsetzung: Ruth Hammelehle, Bad Boll

Zu 2.: Medienvorbereitung Die Medienvorbereitung hängt sehr stark mit der Charakteristik des geplanten Videos zusammen. Je nachdem welches Format gewählt wird, müssen digitale oder analoge Komponenten erstellt werden, sodass sie dann optimal zum Einsatz gebracht werden können: d. h. für ein Video in der Lege-Trick-Technik jede Menge Schnipsel und Bildchen, für einen Screencast eine entsprechende Basispräsentation und für ein Documentary Kleidung, Requisiten, Präsentationsmedien etc. Was für alle Produktionen erforderlich ist, ist ein Storyboard (s. Abbildung 17), in welchem der Verlauf des Videos inhaltlich und medial skizziert ist. Storyboards kommen ursprünglich aus dem Theater und wurden sehr schnell in die Filmproduktion

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Erklärvideos an Schulen und Universitäten

übertragen. Im Storyboard werden dort die Drehbücher sehr genau in Einzelszenen visualisiert. Dies machen Spezialist*innen; professionelle Storyboards sind manchmal genauso attraktiv wie die Filme, die man damit macht, denn hier kommen Zeichentechniken aus den Comics zum Einsatz. Das filmische Storyboard wird aber weniger gehandhabt, damit die Regie weiß, was sie zu tun hat (direktive Funktion), sondern vielmehr um im Vorfeld der Produktion im Produktionsteam festzulegen, was man kollektiv aus den einzelnen Szenen herausholen will (kommunikative Funktion). Damit kann man potenzielle Differenzen in den Vorstellungen von Autor*innen, Schauspieler*innen, Regisseur*innen und Produzent*innen gering halten. Dies könnte sich bei einer kollektiven Produktion von Erklärvideos ähnlich verhalten. Unabhängig davon benötigt man hier selbst bei einer Einpersonenproduktion ein Storyboard. Wenn das Video aufgenommen bzw. vertont wird, befindet man sich in einem fortlaufenden zeitlichen Strom, den man (zumeist) nicht einfach anhalten kann. Dann muss man genau wissen, was es zu tun und zu sagen gibt; zudem sollte das dann auch mehr als ein „angestrengtes Herunterleiern“ sein. Wenn man also nicht zu den wenigen Superperformern gehört, die so etwas komplett auswendig lernen und dann eins zu eins vor der Kamera bzw. im Screencastflow umsetzen können, benötigt man eine Unterlage, die einen konsequent begleitet. Wie dann so ein Storyboard aussieht, muss jeder selbst entscheiden. Wahrscheinlich muss hier auch jeder ein wenig experimentieren. Normalerweise stehen hier knappe Textabschnitte neben skizzenartigen Bildern; diese sind teilweise mehrfarbig und mit Zusatzinformationen versehen. Hier werden alle eine eigene Semiotik finden, die ihnen hilft, diese Text-Bild-Dramaturgie-Informationen so zu erfassen, dass sie damit in der Videoaufnahme souverän auftreten können. Nach einem ersten Verfassen des Storyboards wird es ausprobiert, indem man das Video ansatzweise produziert. Dabei können noch viele Modifikationen oder Ergänzungen vorgenommen werden. Mit diesem Optimieren des Storyboards lernt man auch seinen Text – und in vielen Fällen wird das Storyboard bei der eigentlichen Aufnahme gar nicht mehr benötigt. Mit dieser Erprobung erfolgt auch ein Mediencheck – hier können ebenfalls noch Ergänzungen oder Verbesserungen umgesetzt werden, wenn man mediale Optimierungsmöglichkeiten wahrnimmt.

Zu 3.: Werkzeuge und Infrastruktur Nun kann die eigentliche Aufnahme beginnen – alles ist bereit. Wie bei einem Flugzeugstart kommt nun der technische Check. Die Aufnahmegeräte werden so angeordnet, dass sie optimal eingesetzt werden können, das schließt bei einer Kameraaufnahme vor allem die Gestaltung und Einstellung des Bildausschnitts, die Abklärung eines eventuellen Zooms oder Schwenks sowie die Optimierung der Ausleuchtung ein. Bei einer Computeraufnahme geht es hingegen um die Einstellung der Aufnah-

Entwicklung von Erklärvideos

meparameter in der Videosoftware bzw. im Betriebssystem. In beiden Fällen muss das Mikrofon gut gecheckt werden; es muss also gesichert sein, dass es aufnimmt, dass die Lautstärke und Qualität passen und dass keine Störgeräusche vorliegen oder während der Aufnahme eintreten können.

Zu 4.: Aufnahme und Nachbearbeitung Dann geht es los. So wie in der vorbereitenden Erprobung wird das Video nun „performed“, d. h. dass in Echtzeit gehandelt und dabei aufgenommen wird. Entweder wird die Bildsequenz zuerst hergestellt und dann anschließend vertont oder beides findet zeitgleich statt. In aufwendigeren Produktionen werden Teilszenen eingespielt, um sie später zusammenzuschneiden. Ähnlich aufwendig ist die aus der Trickfilmproduktion adaptierte Stop-Motion-Technik. Dabei werden Bildabfolgen mit Gegenständen, Knetmasse, Lego etc. in 0,1-Sekunden-Abständen erzeugt und dann mit Videosoftware zu Animationen zusammengeführt. Eine einminütige Animation erfordert hier 600 Einzelbilder, die anschließend auf den Computer übertragen und bearbeitet werden müssen. Das klingt zunächst nach viel, aber wenn diese dadurch entstehen, dass ein Gegenstand immer nur ein wenig verändert wird, muss man von ca. 1:60 ausgehen – also benötigt man für zwei Minuten Animation etwa zwei Stunden. In jedem Fall wird so das Storyboard „abgearbeitet“, bis alles aufgenommen ist. Anschließend wird eventuell noch nachvertont. Dann wird das Material gründlich gesichtet, um zu entscheiden, ob es weitergehen kann oder ob man alles bzw. Teile wiederholen muss. Ist diese Entscheidung positiv, kann die Produktion entweder direkt oder mit finalen Nachbearbeitungen (z. B. Einfügen von Anfangs- und Schlusssequenzen oder Musikelementen) abgeschlossen werden.

Zu 5.: Rendern und Konvertieren Werden Videos aus verschiedenen Komponenten zusammengefügt, entstehen umfangreiche Erstellungsdateien. Diese Dateien haben eine völlig andere Struktur als eine Videodatei, wenngleich man sie als Video „ansehen“ kann. Erstellungsdateien ermöglichen eine flexible und kreative Integration audiovisueller Elemente. Man kann Bilder, Videosequenzen, Töne, Sprache, Musik etc. auf einer Zeitachse so zusammenfügen, dass ein Video entsteht. Dabei lassen sich auch die einzelnen Medien noch manipulieren (z. B. Zeitraffer oder Zeitlupe, lautere oder leisere Stimmen etc.) und die Übergänge gestalten. Unabhängig von der Frage, wie es mit einem Erklärvideo weitergeht, sollte man die Erstellungsdatei immer sehr gut sichern, denn damit ist man jederzeit in der Lage, das Video nachträglich effektiv und effizient zu modifizieren. Dies kann erforderlich sein, wenn man später Mängel entdeckt oder auch wenn man noch etwas

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Erklärvideos an Schulen und Universitäten

einfügen oder herausschneiden will. Mit der Erstellungsdatei können auch alle Tonspuren unabhängig manipuliert werden. Also: Alles immer gut sichern, und zwar so, dass alle verwendeten Medien auch mitgesichert werden, sonst gibt es eine Fehlermeldung, wenn man die Erstellungsdatei aufruft. Die Erstellungsdateien haben generell eigene Formate; zudem sind sie um ein Vielfaches größer als die Videos, die man damit generieren kann. Um also ein netzfähiges Video daraus zu erstellen, muss man nun rendern. Dies ist wiederum eine Funktion des Erstellungsprogramms. Rendern ist datentechnisch extrem aufwendig, denn nun werden exakt entlang der Regieinformationen, die die Erstellungsdatei beinhaltet, die Medien zusammengeführt und in ein in sich geschlossenes, komprimiertes und datenoptimiertes Format konvertiert. Ein typisches Format ist das 1992 von Microsoft entwickelte Audio-Video-Interleave-Format (AVI). Ein ebenso verbreitetes Format ist die aktuelle Variante des MPEG-Formats, die MP4-Datei. MP4 wurde von der Moving Picture Expert Group (MPEG) entwickelt und geht auf das QuickTime-Format von Apple zurück. Die beiden Formate unterscheiden sich moderat in Datendichte und Abbildungsqualität, sind sich im Handling aber relativ ähnlich. Sie können aktuell von den meisten Betriebssystemen und Applikationen abgespielt werden und sind durch ihre Dateneffizienz auch sehr gut internetfähig. Rendern kann – je nach Rechnerleistung, Applikation, Videolänge, -größe, -farbtiefe und -qualität – sehr lange dauern; bei einem hochwertigen Fünfminutenclip durchaus auch über eine Stunde. Das ist aber in den meisten Fällen kein Problem, da der Rechner parallel dazu für andere Funktionen genutzt werden kann. Wichtig ist, dass man hier die Datenmenge regulieren kann und sollte – immer nach der Regel: so viel wie nötig, so wenig wie möglich. Die „Stellschrauben“ dazu habe ich vorausgehend genannt, also Größe, Länge und Bildqualität des Endprodukts. Der schönste Clip nützt nichts, wenn er von den Adressat*innen nicht hoch- bzw. heruntergeladen werden kann.

Zu 6.: Revision Wenn das Rendern erfolgreich abgeschlossen ist, ist die Produktion fast zu Ende  – aber nur fast! Je nach Erstellungssoftware, Qualität der eingefügten Medien, Komprimierungsqualität usw. entstehen hier sehr unterschiedliche Endprodukte. Mit dem, was man im Präsentationsmodus der Erstellungssoftware sieht, hat das teilweise wenig zu tun. Typische Renderfehler sind: Qualitätsschwankungen (Unschärfen, Verzerrungen, Verpixelungen etc.), fehlende oder defizitäre Übergänge, Bild-Ton-Verschiebungen, der Ton ist zu laut oder leise, die Enddateien sind zu groß oder es gibt Dateien, die sich überhaupt nicht öffnen lassen. Hier bleibt einem zunächst nur ein erneuter Versuch  – möglicherweise mit anderen Produktionsparametern (Qualität runter  – Renderzeit rauf). Falls dies nicht hilft, kann man nochmals auf ein anderes Endformat gehen, aber eventuell muss man auch die Erstellungssoftware durch eine bessere erset-

Entwicklung von Erklärvideos

zen bzw. überprüfen oder einen anderen Computer anschaffen, wenn die aktuelle Prozessorleistung für Videobearbeitung nicht ausreicht. Also: Das Video im Endformat gut sichten und eventuell nachbearbeiten oder nochmals rendern bzw. konvertieren, dann erneut sichten und: Fertig ist das Endprodukt.

Zu 7.: Sicherung und Bereitstellung Nun geht das Endprodukt zwei getrennte Wege: Zusammen mit der Erstellungsdatei wird es in einem Datensystem mit entsprechenden Bezeichnungen und Kennungen so abgelegt, dass man es gut suchen und wiederfinden kann. Dort liegt es wie ein Bausatz, den man später wieder öffnen und vielfältig handhaben kann. Für die didaktische Nutzung des Erklärvideos ist dessen Bereitstellung auf einer Cloud oder Plattform erforderlich. Auch hier gibt es inzwischen unzählige Varianten. Bedeutsam ist hier, dass das Herunterladen (gesamte Datei) bzw. Streamen (Videoablauf) für die Adressat*innen einfach und funktional gesichert sein muss. Wichtig ist auch, dass die Clips nicht gelöscht, korrumpiert oder missbraucht werden können. Schulen und Hochschulen stellen dafür eigene Infrastrukturen zur Verfügung, in welchen die Nutzer reglementiert und selektiert werden können und ein eventueller Angriff auf die wertvollen Daten schwierig ist, und mit entsprechenden Back-up-Systemen in seinen Folgen auch wenig erschreckend. Anders ist dies, wenn man die Clips privat veröffentlicht, z. B. in einem Youtube-Channel. Damit gibt man sie für alle frei, muss also auch damit rechnen, dass sie anderweitig genutzt oder sogar von Dritten kommerzialisiert werden. Dies hat aber den Vorteil, dass sie maximal breit für alle verfügbar sind und so einem deutlich größeren Adressat*innenkreis zugänglich sind als in geschlossenen Clouds oder Plattformen.

Ansprüche an Erklärvideos: In einer groß angelegten Studie in den USA und Deutschland wurden 2015 jeweils mehr als 1000 Erwachsene über Erklärvideos befragt. Die Befunde waren erstaunlich ähnlich, wobei auffiel, dass diesen Clips in den USA tendenziell mehr Bildungsbedeutung beigemessen wird als in Deutschland. Die Aussage, dass man bei einem Informationsproblem auf Erklärvideos zurückgreift, wurde in den USA mit 49 % bestätigt, in Deutschland mit 39 %. Als wichtigste Merkmale von Erklärvideos wurde deren Wissensgehalt festgestellt, deren Kürze (besser zwei statt vier Minuten), eine gute Sprecher*innenstimme und die Instruktionsqualität. Weniger wichtig scheinen Unterhaltung und Soundeffekte zu sein. Von den Befragten haben 15 % (Deutschland) bzw. 16 % (USA) schon einmal selbst ein Erklärvideo erstellt (Krämer, Böhrs, 2017).

Betrachtet man diese sieben Schritte der Produktion im Überblick, wird deutlich, dass Erklärvideos nicht ohne Aufwand hergestellt werden können. Es wäre aber ein Fehl-

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Erklärvideos an Schulen und Universitäten

schluss, wenn man davon ausginge, dass die Akzeptanz und Wirkung von Erklärvideos eins zu eins mit dem dabei betriebenen Aufwand korrespondieren. Gegenteilig spielen hier andere Faktoren (Wissensgehalt, Kürze, Instruktion, Motivation etc.) hinein, die relativ unabhängig vom Produktionsaufwand sind. Die gesamte Produktion ist ein fehlergefährdeter Bereich, welchen man mit Bedacht und Gründlichkeit durchschreiten sollte. Wenn man das gut hinbekommt, wird es kaum wahrgenommen, macht man hier Fehler, erntet man Kritik. Daher sollen hier abschließend drei zentrale Prämissen für die Produktion festgestellt werden: – Lernende wünschen sich kurze Clips mit guter Instruktion und Stimme. – Formal sollte man so gut produzieren, wie es sich für die Institution, deren Name dahintersteht, gehört. – Den erforderlichen Aufwand sollte man immer mit adäquaten Wirkungen (Lernen und Motivation) begründen können. – Eingespielte Produktionen sind um ein Vielfaches effizienter als neue oder wechselnde.

1.5.4

Qualitätssicherung

Aktuelle Lehre ist reflektierte Praxis – an Schulen ebenso wie an Hochschulen. Daher muss auch im Zusammenhang mit Erklärvideos über Ansätze und Instrumente nachgedacht werden, wie man deren Qualität sichern kann. Heutige Qualitätssicherung erfolgt über zyklische Prozesse aus Erhebung, Bewertung und Maßnahme. Vorbild ist hier der auf Deming zurückgehende PDCA-Zyklus.

PDCA-Zyklus: – Plan: Bestimmen von Verbesserungspotenzialen – Do: Erprobung von Verbesserungsmaßnahmen – Check: Klärung der Wirkungen – Act: Ausrollen von Verbesserungsmaßnahmen

Abbildung 18 PDCA-Zyklus

Andere Ansätze ähneln diesem Konzept, so zum Beispiel der KVP (kontinuierlicher Verbesserungsprozess). Generell geht es in der heutigen Qualitätssicherung darum, Schleifen aus Prüfung und Verbesserung fortlaufend umzusetzen, um eine möglichst gute Qualität zu erreichen bzw. zu halten.

Entwicklung von Erklärvideos

Bezogen auf Erklärvideos kann man hier zwei unterschiedliche Qualitätswahrnehmungen gegenüberstellen: zum einen die Wahrnehmung der Produzierenden, zum anderen die der Adressat*innen. Tabelle 6 Gegenüberstellung der beiden relevanten Qualitätsperspektiven bei Erklärvideos Qualitätsperspektiven Produzierende

Adressat*innen

Schwerpunkte

Korrektheit, Methodik, Professionalität, Stil

Richtigkeit, Attraktivität, Verständlichkeit, Eingrenzung, Motivierung

Wahrnehmung

Während und unmittelbar nach der Produktion

Außerhalb des Produktionskontexts

Bewertende

Wenige Expert*innen in Didaktik, Medien und Technik

Viele Lernende mit diffuser Medienexpertise

Kriterien

Explizit

Implizit

Maßstäbe

Bedingt objektiv

Tendenziell subjektiv

Wie Tabelle 4 zeigt, unterscheidet sich die Qualitätswahrnehmung von Erklärvideos in den beiden wesentlichen Perspektiven deutlich. Die Produzierenden fokussieren sich auf das Video als Medienprodukt mit Lehrintention, d. h. ihnen ist wichtig, dass alles korrekt und richtig ist, dass die methodischen Ideen gut realisiert sind, dass eine professionelle Erstellung erkennbar ist und dass der Clip auch einen guten Stil hat. Die Adressat*innen hingegen interessiert zentral, dass alles richtig und verständlich ist, dass es attraktiv und motivierend dargeboten wird und dass es nicht zu umfangreich wird. Ebenso unterschiedlich ist der Zeitpunkt der Qualitätswahrnehmung: Während dieser für die Produzierenden auf und kurz nach der unmittelbaren Produktion liegt, ist dieser bei den Adressat*innen davon mehr oder weniger weit entfernt. Bei den Produzierenden bewerten wenige über explizite Kriterien mit hoher Medien- und Didaktikexpertise, bei den Adressat*innen bewerten viele über implizite Kriterien mit nur geringer einschlägiger Expertise. Somit steht hier auch ein bedingt objektiver Maßstab einem weitgehend subjektiven gegenüber. Angesichts dieser Gegenüberstellung muss die Qualitätssicherung der Produktion von Erklärvideos an drei Stellen ansetzen: 1. in der Produktion, 2. beim Produkt und 3. bei der konkreten Nutzung.

Zu 1.: Produktionsevaluation Zur Evaluation der Produktion gilt es, diesen Prozess kritisch und differenziert zu betrachten. Dazu gehört alles, was im Rahmen des Projektmanagements umgesetzt wird.

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Erklärvideos an Schulen und Universitäten

Entlang der vorgestellten sieben Schritte sind die hier relevanten Teilprozesse die didaktische Planung, die Medienvorbereitung, die Klärung der Werkzeuge und Infrastruktur, die Videoaufnahme und Nachbearbeitung, das Rendern und Konvertieren, die Revision und schließlich die Sicherung und Bereitstellung. Hinzu kommen die damit einhergehenden Abstimmungs- und Koordinationsprozesse sowie die interne Kommunikation. Tabelle 7 Leitfaden für die interne Evaluation einer Produktion von Erklärvideos Leitfaden „Produktionsqualität von Erklärvideos“ Aspekt

Teilaspekt

Stärken

Schwächen

Vorschlag

1. Didaktische Planung

2. Medienvorbereitung

3. Werkzeuge und Infrastruktur

Da es sich in einem solchen Produktionsprozess zumeist um wenige Personen handelt, kann hier auf standardisierte Instrumente verzichtet werden. Stattdessen sollte man ein strukturiertes Audit handhaben, in welches alle Beteiligten involviert sind. Diesem Audit geht eine Bestandsaufnahme voraus, in welcher sich alle Beteiligten kriteriengestützt Notizen über ihre spezifischen Wahrnehmungen machen (s. Leitfaden Abbildung 18). Ziel des Audits ist zum einen eine gemeinsame Bilanzierung, in welcher alle Einschätzungen zur Videoproduktion geäußert werden können, zum anderen sollte einvernehmlich bestimmt werden, welche Konsequenzen aus den Einschätzungen gezogen werden müssen. Die Unterlagen werden ausgewertet und zusammengefasst, um anschließend die Entwicklungsvorschläge nacheinander zu diskutieren. Das Audit wird von einer der teilnehmenden Personen vorbereitet und moderiert. Ergebnis des Audits kann eine Optimierung der Produktion sein oder auch eine Revision der erstellten Videos.

Entwicklung von Erklärvideos

Zu 2.: Produktevaluation Festlegung der Kriterien

Individuelles Banking

Klärung von Konvergenzen/ Divergenzen

Diskussion, Nivellierung

Ableitung von Konsequenzen

Abbildung 19 Prozess der Produktevaluation

Die Produktevaluation konzentriert sich unmittelbar auf das Video bzw. die Videos einer Sequenz. Sie wird genau wie die Inputevaluation von den Produzent*innen des Clips durchgeführt, falls ihnen dies nicht genügt, ziehen sie andere Expert*innen hinzu. Wichtig ist hier zum einen, dass die Evaluierenden etwas von der Sache verstehen, zum anderen, dass sie ein ähnliches Verständnis davon haben, was die Qualität eines Erklärvideos ausmacht. Daher beginnt die Produktevaluation eines Clips bei der Festlegung von relevanten Kriterien. Diese werden dann aufgelistet und gewichtet, sodass es eventuell Hauptund Nebenkriterien gibt. Im ersten Durchgang bewerten dann alle Expert*innen die einzelnen Parameter individuell. Im zweiten Durchgang werden die individuellen Rankings gegenübergestellt und es wird gemeinsam ermittelt, wo man sich einig ist und wo eher uneinig. Im dritten Durchgang werden dann zunächst die Uneinigkeiten diskutiert und eventuell verringert. Schließlich erfolgt ein vierter Durchgang, in welchem man Konsequenzen aus den Ergebnissen zieht. Diese können zur Folge haben, dass das Video eventuell nachbearbeitet oder sogar neu aufgenommen wird. Es ist auch möglich, dass man weitgehend mit dem Produkt zufrieden ist, aber Modifikationen im Produktionsprozess für die nächsten Erklärvideos beschließt.

Zu 3.: Outputevaluation Outputevaluation von Erklärvideos heißt, zu klären, ob bzw. inwiefern diese den Adressat*innen gefallen. Die momentan klar dominante Form der Outputevaluation von Erklärvideos findet man auf Youtube. Sie erfolgt 1. durch Klicks und 2. durch Likes. Das ist in jedem Fall signifikant, vor allem dann, wenn ein Video viral geht, also von sehr vielen Menschen gesehen und bewertet wird. Was aber genau die Gründe sind, warum das eine Video sich schnell und weit verbreitet und das andere ein kümmerliches Schattendasein fristet, ist nicht in jedem Fall klärbar. Fest steht, dass Youtube keine explizite Lernplattform ist, sondern hier der Unterhaltungsaspekt sehr großen Einfluss auf das Nutzungsverhalten der Menschen ausübt. Im Fall didaktischer Erklärvideos, die nur einem begrenzten Adressat*innenkreis zugänglich sind, sollte man andere Verfahren wählen, zum einen weil hier einfach die Quantitäten fehlen, um aussagefähige Zahlen zu erhalten, zum anderen weil reine Gut-

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Erklärvideos an Schulen und Universitäten

Schlecht-Rückmeldungen kaum Informationen für eine Verbesserung beinhalten. Daher muss man – um das Niveau von Spekulationen zu überschreiten – auch hier kriteriengestützt an die Sache herangehen. Ähnlich wie in der Produktevaluation obliegt die Benennung und Gewichtung der hier relevanten Kriterien dem Produktionsteam. Orientierung geben aber z. B. empirische Studien über Erfolgsfaktoren von Erklärvideos oder auch die vielfältigen Gestaltungsparameter, die vorausgehend besprochen wurden und in Kapitel 1.6 („Checkpoint“) zusammengefasst werden. Hat man die Kriterien festgelegt, stellt sich die Frage, ob man hier standardisiert (mit Ja-/Nein-Antworten oder skalierten Auswahlantworten) vorgehen oder mit offenen Antworten arbeiten soll. Dazu gibt es eine „salomonische“ Lösung, denn beide Methoden haben Stärken, die man hier nutzen kann. Ein standardisiertes Verfahren lässt quantifizierende Auswertungen zu. Die Befunde drücken sich in Zahlen aus, welche wiederum als Güteindikatoren gehandhabt werden können. Ein einfaches Beispiel wäre hier die Bitte, dem Clip eine Schulnote zu geben. Aus dem hier entstehenden Mittelwert kann man schon ab 20 Proband*innen eine relativ stabile Aussage über die wahrgenommene Gesamtqualität ableiten. Ein offenes Verfahren ermöglicht inhaltliche Aussagen. Die Befunde drücken sich in (mehr oder weniger) differenzierten Stellungnahmen zu einzelnen Punkten aus und können auch konstruktive Vorschläge für Verbesserungen beinhalten. Ein einfaches Beispiel wäre hier die Frage, ob es einfach war, die im Video erklärten Zusammenhänge zu verstehen. Die Antworten darauf werden vielfältig und durchaus divergent sein. Man merkt jedoch, ob überwiegend bestätigt oder zurückgewiesen wird, erhält dafür auch Begründungen und vielleicht sogar einzelne Hinweise, was man anders machen könnte, um es verständlicher zu machen. Da die Auswertung offener Antworten arbeits- und zeitaufwendig ist, sollte man sich hier auf wesentliche Aspekte konzentrieren – weitere Aspekte kann man dann durchaus in den standardisierten Teil verlagern. Wie in den beiden ersten Evaluationsansätzen müssen auch hier anschließend die Befunde dem Produktionsteam kommuniziert werden. Auch hier gibt es interpretativen Spielraum, sodass die Umsetzung dieser Ergebnisse einer ähnlichen Logik wie vorausgehend folgt: Klärung von Divergenzen, Diskussion, Nivellierung und schließlich Ableitung von Konsequenzen.

Fazit Ich will an dieser Stelle auf die Darstellung von Evaluationsinstrumenten verzichten, denn ich bin der Meinung, dass dies ein jeder eigenständig handhaben sollte; sowohl die Methoden als auch die Kriterien stehen immer in engem Zusammenhang mit den jeweiligen Arbeits- und Kommunikationskulturen. Fest steht, dass absehbar jeder, der den Aufwand betreibt, Erklärvideos herzustellen, auch daran interessiert ist, wie gut diese sind und wie sie bei den Adressat*innen ankommen. Daher wird wohl auch jeder

Entwicklung von Erklärvideos

in irgendeiner Form evaluieren. Dass „die Sau aber nicht vom Wiegen fett wird“, ist jedem klar, d. h. dass man sich diese Arbeit nur machen sollte, wenn man auch bereit und in der Lage ist, die Rückmeldungen produktiv umzusetzen.

1.5.5

Und nun?

Über eine Medienproduktion kann man viel schreiben – viel mehr noch, als ich das in diesen Seiten getan habe. Bezogen auf die weite und bunte Welt der Erklärvideos gäbe es noch Vieles zu erwähnen und zu bedenken, aber damit bekommt man auch kein Video erstellt. Blicken wir noch einmal zurück: Ich hatte mich zunächst mit etablierten Formaten von didaktischen Erklärvideos befasst und kam zu dem Schluss, dass diese Einordnungen nur wenig Orientierungsleistung bieten können, da sich Simpleshow und Screencast und Microlecture etc. nicht klar voneinander unterscheiden lassen. Es sind einfach Namen, die oft auch synonym verwendet bzw. miteinander verwechselt werden. Um ein wenig Ordnung in die Sache zu bringen, unterteilte ich in zwei Hauptperspektiven: eine unterrichtsdidaktische und eine mediendidaktische. Die Expert*innen in diesem Thema mögen mir das Kunstwort „Unterrichtsdidaktik“ verzeihen, denn diese gibt es an sich nicht, es erscheint mir hier aber sinnvoll, um den Kontrast zur Mediendidaktik herzustellen. Also: Die eine Perspektive auf Erklärvideos sollte jene Dinge akzentuieren, die spezifisch auf den Vermittlungsaspekt ausgerichtet sind, die andere jene Dinge, die sich auf den Darstellungsaspekt beziehen. Danach ging es auf Metaebene. In den wissenschaftlichen Exkursen in Psychologie und Didaktik habe ich zentrale und substanzielle Begriffe, Modelle und Befunde zusammengetragen, die im unmittelbaren Zusammenhang eines Lernens mit diesen kurzen Clips stehen. Es bleibt den Leser*innen selbst überlassen, sich dies anzusehen oder zu überspringen, für mich als Bildungsforscher war es als Referenzrahmen auch in einem Praxishandbuch wichtig. Anschließend folgte die Auseinandersetzung mit der konkreten Entwicklung von Erklärvideos: beginnend mit wesentlichen Aspekten, die es planerisch abzuwägen gilt, bevor man loslegt, dann chronologisch der Produktionsprozess und – so wie es sich für eine moderne Produktion gehört – die Qualitätssicherung. Damit wäre aus meiner Sicht das meiste gesagt, was hier relevant bzw. auch interessant sein kann, vielleicht sogar schon ein wenig zu viel, aber das schadet nicht. Man kann nun aber nur noch weiterkommen, wenn man an die Sache herangeht. Erich Kästner sagte: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es!“ – also ran an die ersten Versuche! Um Sie dabei ein wenig zu motivieren und auch um Ihren Start hier ein wenig zu illustrieren, stelle ich nun noch zwei konkrete Produktionen vor. Diese Produktionen sind amateurhaft. Ich habe sie nicht gewählt, um nun nochmal alles Geschriebene in einer Kasuistik unterzubringen, sondern um zu zeigen, wie ein Erklärvideo real entstanden ist – produziert von Menschen, die etwas anderes gelernt haben als die Pro-

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Erklärvideos an Schulen und Universitäten

duktion von digitalen Medien – um dabei nochmals die wesentlichen Punkte entlang einer Handlungslinie aus dem unmittelbaren Tun zu akzentuieren.

1.6

Checkpoint

In den vorausgehenden Betrachtungen wurden viele Themen angerissen und die verschiedenen Hintergründe und Bezüge von Erklärvideos aus verschiedensten Richtungen betrachtet. Dabei wurden auch viele Feststellungen getroffen, welche für die Videokonzeption und -produktion bedeutsam sind; zu viele, um sich das alles zu merken, aber auch zu viele, um dies alles in der praktischen Umsetzung einer Videoproduktion eins zu eins handhaben zu können. Um einen Überblick zu gewährleisten oder auch ein schnelles Nachsehen zu unterstützen, werden diese Feststellungen im Folgenden als komprimierte Hinweise in der Reihenfolge der Buchkapitel und nach Schlagworten untergliedert zusammengefasst.

Kapitel 1 Zentrale Gründe für den Einsatz von Erklärvideos in Lehre und Unterricht: – Förderung des selbstständigen Lernens zur Motivation und zum Lernstrategieerwerb. – Zur Individualisierung und Differenzierung des Lernens, um den Lernenden eigenständige Wissenszugänge und Erschließungswege zu ermöglichen. – Für die Aktivierung Lernender, um zu verhindern, dass in instruktionslastigen Lehrformaten (wie z. B. Vorlesungen) eine Konsumentenrolle eingenommen wird. – Um Fernlernen zu ermöglichen, wenn es nötig oder unumgänglich ist. – Als Präsentationsmedium erzeugt das Erklärvideo zunächst einen größeren Aufwand, was jedoch auch belohnt wird, denn im Erklärvideo kann der Zusammenhang von Bildern und Kommentaren genauer und gründlicher hergestellt und – vor der Präsentation – redigiert werden. – Schüler*innenproduzierte Erklärvideos können ein „Lernen durch Lehren“ fördern. – Die Dokumentation von Lerninhalten wird mit Erklärvideos deutlich bereichert, da diese Lernenden die Chance geben, einen schon vollzogenen Lernprozess zu einem späteren Zeitpunkt nochmals aufleben zu lassen; Lerngruppen können ihn neu inszenieren.

Checkpoint

Kapitel 1.1 – –





Erklärziele und Erkläransatz stehen in unmittelbarer Beziehung. Ausgehend vom adressierten Lehrplanausschnitt wird mit der Festlegung der Erklärmethode konkretisiert, was mit dem Erklärvideo genau intendiert werden kann. Wählt man z. B. die problemorientierte Methode, können verstärkt Verständnisziele adressiert werden, wählt man die prozessuale Herangehensweise, lassen sich Fertigkeiten als Ziele gut handhaben. Zielkompetenzen, Erkläransatz und Erklärziele werden korrespondierend festgelegt.

Kapitel 1.2 Kognitivistische Position: – Lernen ist keine Abbildung der Realität, sondern deren verstehendes Erschließen. Verstehen heißt, sinnvolle und nachvollziehbare Zusammenhänge zwischen Bekanntem und Unbekanntem herstellen zu können. Dies schließt ein nichtverstehendes Lernen nicht aus (wie z. B. bei Vokabeln), weist diesem jedoch einen Sonderstatus zu. – Lernen ist ein aktiver Erschließungsprozess, in welchem Informationen gegenübergestellt und gezielt analysiert werden, um eine Unschlüssigkeit zu beheben. Jeder Mensch verfügt hier über individuelle Befähigungen, die er wiederum lernend erwerben muss. Man lernt also nicht nur das zu Lernende, sondern auch fortlaufend das Lernen. – Lernen füttert unser Gedächtnis mit angereicherten Informationen. Diese Informationen sind nach Kategorien geordnet, ihre Qualität korrespondiert mit ihrem Differenzierungsgrad. Je mehr wir über etwas wissen, desto leichter können wir Neues zuordnen und desto stabiler wird das Gesamtgefüge. – Lernen ist ein bewusster Informationsverarbeitungsprozess, der mit der Aufnahme verschlüsselter Informationen über die Sinnesorgane beginnt, zu einer Aktivierung des einschlägigen Vorwissens führt, in einen Abgleich von neuen Informationen und Vorwissen mündet und schließlich zu einem Ergebnis führt, in welchem Vorwissen und neue Informationen sinnvoll (schlüssig, logisch, widerspruchsfrei etc.) integriert sind. Konstruktivistische Position: – Lernen erfordert für das Individuum immer einen plausiblen Grund. Ohne Relevanzwahrnehmung gibt es keinen Lernfortschritt.

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Erklärvideos an Schulen und Universitäten





Lernen sollte in einem bekannten, vertrauten Kontext eingebettet sein und es sollte Räume schaffen, diesen eigenständig um- und aufzubauen. Völliges Neulernen ist äußerst mühsam. Individuelles Lernen und Außenabgleich sollten als Resonanz – und nicht als Dissonanz – erlebt werden. Dabei sollte aber nicht die Reihenfolge getauscht werden: Erst kommt die (individuelle und singuläre) Erfahrung und dann die (überindividuelle und allgemeine) Einordnung.

Kognitivismus und Konstruktivismus: – Menschen erwerben ein Wissen, das sie als relevant einschätzen, sie können es jedoch nicht einfach auf- oder übernehmen, sondern müssen es entweder konkret konstruieren oder abstrakt rekonstruieren. – Der Wissenserwerb ist ein aufwendiger, aktiver Prozess und bedingt somit Motivation („wollen“) und Volition („dabeibleiben“). – Wissen zu konstruieren bedeutet, neue Informationen dem bestehenden individuellen Netzwerk gegenüberzustellen und dieses dann entweder zu ergänzen oder es so anzupassen, dass sich das Neue stimmig einordnen lässt. – Wissenskonstruktion bezieht den Entstehungskontext mit ein, d. h. die Situation und Prozesse der Aneignung von Informationen gehen verbunden mit diesen in das Netzwerk ein. – Je mehr der Entstehungskontext des Wissens dessen Anwendungskontext ähnelt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Wissensanwendung gelingt. – Individuelle Wissensnetze sind nicht „richtig“ oder „wahr“, sie können sogar unschlüssig, lückenhaft oder (objektiv) fehlerhaft sein. Um sie zu verifizieren, muss das Individuum sein Wissen mit „Referenzwissen“ abgleichen. – Wissensobjektivierung erfolgt wissenschaftlich durch Theorie und Empirie (Texte, Bücher) und sozial durch Argumente (Kommunikation). – Objektivierte Wissensnetze bleiben hinsichtlich der Situierung individuell, wobei sie gemäß der Objektivierung redigiert sind; d. h. die Situierung des Wissens bleibt erhalten, das Wissen selbst ist geklärt und bestätigt. – Wissensobjektivierung ist ein zentrales Element in der langfristigen Wissensentwicklung, da das Individuum diese gesicherten Stränge in seinem individuellen Netzwerk benötigt, um es zu stabilisieren und einen sinnvollen „Weiterbau“ des Netzes zu gewährleisten. – Verständnis bzw. Erkenntnis sind die Folge aktiver geistiger Verarbeitungsprozesse; sie können nicht im Sinne eines Anpassungsverhaltens an äußere Reize erklärt werden, vielmehr sind sie Ergebnisse komplexer Problemlösungsprozesse.

Checkpoint





Wenn Lernen durch Problemlösungen erfolgt, ist umgekehrt davon auszugehen, dass ein Problemlösen immer auch Lernwirkungen beim Menschen freisetzt. Ähnlich wie beim Wissenserwerb durch Konstruktion werden auch beim Problemlösen Kontextfaktoren in den Lernprozess einbezogen; daher sind Lernwirkungen aus Problemlösungen ebenfalls handlungsrelevant und transferierbar.

Lernpsychologie: – Bilder bereichern bzw. erweitern Texte dann produktiv, wenn mit ihnen eine Organisations-, eine Interpretations- oder eine Transformationsfunktion entsteht. – Inhaltliche Erläuterungen von Bildinformationen sollten per Sprache (nicht per Schrift) erfolgen, um den Cognitive Load niedrig zu halten. – Die Dynamisierung eines Videos durch Temposteigerung ist so lange von Vorteil, wie man sie moderat umsetzt, wird sie zu stark, kann sie zum Nachteil werden. – Die einzelnen Erklärvideos sollten kurz gehalten werden. Zudem sollte darin auch darauf geachtet werden, dass wichtige Informationen präsent bleiben, also nicht erscheinen und sofort wieder verschwinden. – Die vollständige Information im Erklärvideo sollte nur aus der Integration von Text und Bild entstehen, nicht redundant in beiden Kanälen gehandhabt werden. Entscheidend ist dann ein gutes Zusammenspiel der Kanäle. – Textbezogene Lernstrategien können auf Videos nicht angewandt werden. Dies bestätigt die Praxis im Bildungsbereich, Erklärvideos mit schriftlichem Begleitmaterial zu kombinieren. – Erklärvideos eignen sich gut für Einstiege und Grundlagen, jedoch weniger für Vertiefungen. Fachdidaktik: – Ein gutes Erklärvideo orientiert sich am potenziellen Vorwissen, den Interessen, Sprachgewohnheiten, aber auch Fehlkonzepten der anvisierten Lernenden. – Veranschaulichung hat für jedes Fach große Bedeutung in Erklärvideos, dabei korrespondieren jedoch unterschiedliche Parameter mit unterschiedlichen Gewichtungen. – Die Relevanz und Bedeutung des Inhalts in einem Erklärvideo muss für die Lernenden deutlich werden; daher gilt es, diese unmittelbar anzusprechen und sie zu einem handelnden Lernen zu motivieren. – Das Video sollte für die Lernenden klar und einfach strukturiert, am Lerninhalt ausgerichtet und transparent sein.

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– –

Erklärvideos sollten einfach und stringent sein  – ohne überzogene Veranschaulichungen, Beispiele etc. Erklärvideos sollten immer als Teil einer komplexen Lehre gehandhabt und in diesem Kontext methodisch positioniert werden.

Kapitel 1.3 Grundlagen: – Erklären ist methodisches, entwicklungsintendiertes Kommunizieren rationaler Zusammenhänge in logischer Argumentation von einem (im jeweiligen Sachzusammenhang) Wissenden zu einem Unwissenden. – Beschreibend-erläuternde Erklärvideos können mit sehr geringem Aufwand produziert werden und sollten dann zur Anwendung kommen, wenn es entweder der Sache genügt oder auch um Adressat*innen mit Expertenstatus nicht abzustoßen. – Verständnisorientierte Erklärvideos sollten dann induktiv aufgebaut sein, wenn bezüglich des Lerngegenstands eine Verallgemeinerung angezeigt ist; ist hingegen eine Differenzierung angezeigt, sollten Erklärvideos deduktiv strukturiert sein. Erklärmethoden: – Operativ orientierte Erklärvideos sollten als Unterweisungen aufgebaut sein. Generell sollte dabei zusammenhängendes Sach- und Prozesswissen im unmittelbaren Kontext vermittelt werden. Je nach Schwierigkeitsgrad und Anspruch des zu Vermittelnden ist der Einbezug von Reflexionswissen angezeigt. – Problemorientierte Erklärvideos sollten dort eingesetzt werden, wo es gilt, Verständniserwerb und Erwerb von Lösungskonzepten ineinander zu verschränken. Sie können auch einfach eingesetzt werden, um Lernende auf hohem Niveau zu motivieren. Art und Anspruch der implementierten Problemlösung sollten mit den Interessen und Bedarfen der Lernenden korrespondieren. – Generative Erklärvideos können eingesetzt werden, wenn die Entwicklung von einer Sache, einem System, einer Gesellschaft, einer Existenz, einer Geisteshaltung etc. in einem maßgeblichen Zusammenhang mit deren aktueller (bzw. momentaner) Realität steht oder die Entwicklung eventuell sogar bedeutsamer als diese ist. – Fragegestützte Erklärvideos eignen sich insbesondere dann, wenn es gilt, die Adressat*innen heranzuholen und bei der Sache zu halten. Die Dialogmethode führt zu sehr persönlichen Erklärvideos, mit ihr erhöht sich aber auch

Checkpoint



das Risiko eines Misfits des Clips, also einer Erklärdramaturgie, die von den Adressat*innen abgelehnt wird. Episodenhafte Erklärvideos können eingesetzt werden, wenn Inhalt und Adressat*innen diesbezüglich passend erscheinen und dabei die entsprechenden Ressourcen (Personen, Requisiten, Aufnahmetechnik etc.) zur Verfügung stehen. Auch hier besteht das Risiko eines Misfits des Clips, also dessen Ablehnung durch die Adressat*innen.

Erklärniveau: – Man soll die Lernenden ansprechen, aber nicht konfrontieren, sie auffordern, nicht aber reglementieren etc. – Belehrende Formulierungen sind ebenso zu unterlassen wie spitzfindige oder besserwisserische Kommentare. – Man kann die eigene Argumentation durchaus hinterfragen bzw. relativieren oder klären, wie sicher oder auch unsicher eine Aussage ist. – Die Sprache im Erklärvideo sollte von den Lernenden emotional angenommen werden können, also möglichst mittig zwischen „zu distanziert“ und „anbiedernd“. – Der adressierte Wissensausschnitt sollte als solcher für die Lernenden erkennbar und in größere Wissensgefüge eingeordnet sein sowie Anschluss- und Übergangspunkte in die relevanten Bezugsfelder aufweisen. – Vereinfachungen sind für die Lernenden transparent zu machen, indem man deren Modellhaftigkeit feststellt und auch die Grenzen des jeweiligen Modells beschreibt. – Der Vorwissens- und Leistungsheterogenität der Adressat*innen sollte man durch eine Methode Rechnung tragen, die hier möglichst viele mitnimmt und möglichst wenige abhängt oder abstößt. – Bei Unsicherheiten im wissensbezogenen, kognitiven oder auch motivationalen Niveau der Adressat*innen sollte man vorsichtig und in einem begrenzten Rahmen pilotieren. – Nach einer Pilotierung, aber auch im Fortlauf des Einsatzes von Erklärvideos sollte man immer wieder deren sprachliches, inhaltliches und methodisches Niveau evaluieren. Begleittexte: – Begleittexte von Erklärvideos können Informationstexte, Erschließungsfragen, Umsetzungsaufgaben und Tests sein: Zusammen mit dem Video bilden sie digitale Lerneinheiten. – Begleittexte stehen in einem interdependenten Verhältnis zum Erklärvideo, d. h. dass sie sich gegenseitig bedingen.

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– –

Informationstexte sind – bezogen auf eine Lerneinheit – inhaltlich vollständig; die damit korrespondierenden Erklärvideos können sich auf wesentliche Ausschnitte beziehen. Erschließungsfragen, welche sich auf Erklärvideos beziehen, intendieren dessen optimale gedankliche Antizipation bzw. Rekonstruktion. Erschließungsfragen können hinsichtlich ihrer Dichte, hinsichtlich der geforderten Verständnistiefe und des sprachlichen Anspruchsniveaus variiert werden.

Kapitel 1.4 Veranschaulichung: – Die Wirksamkeit von Erklärvideos steht und fällt mit den damit inszenierten Veranschaulichungen, da menschliches Lernen und Verstehen konkrete und differenzierte Sinneseindrücke erfordern. – Fotografien, Zeichnungen, Diagramme und Schaubilder sind statische Veranschaulichungsmittel, welche jedoch in Erklärvideos sowohl durch deren Entwicklung als auch durch Animation dynamisiert werden können. – Dynamische Veranschaulichungen können ein Erklärvideo nicht ersetzen, jedoch bereichern. Integration von Texten: – Generell sollten keine größeren Textblöcke in Erklärvideos eingebettet werden. – Schlagwörter, Überschriften, Bezugsbegriffe, kurze Hinweise, Namen, Bezeichnungen, (wenig, wuchtig und wichtig) etc. sind jedoch hilfreich. – Mit Schriftvariationen kann man Akzente setzen und auch Dinge vermitteln, man sollte dies jedoch im Rahmen halten und nicht zu viele Farben, Schriftarten etc. kombinieren. – Die H5P-Technologie hat Vor- und Nachteile; generell leistet sie eine Verlagerung von analogen Begleitmaterialien ins Digitale und eröffnet damit viele Möglichkeiten.

Kapitel 1.5 Tipps aus der unmittelbaren Videoproduktion: – Aufmerksamkeit mit etwas Außergewöhnlichem erzeugen: Starte mit etwas „Coolem“.

Checkpoint

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Beiwerk ist überflüssig: Mach keine langen Einführungen oder anderweitige Ausschmückungen. Vorträge will keiner: Binde die Themen und Inhalte in gute und interessante Geschichten ein. Weniger ist mehr: Vermittle das Wesentliche prägnant und präzise. Veranschaulichung ist wichtig: Nutze alle Möglichkeiten für Illustrationen und Animationen. Sprache muss passen: Sprich  – so gut es geht  – die Sprache deiner Adressat*innen.

Externale Produktionsaspekte: – Damit ein Erklärvideo im Rahmen eines legitimierten Lehrplans genutzt werden kann, muss es curricular adaptiv sein. – Werden Erklärvideos mit dem Namen einer Bildungsinstitution versehen, sollte man sich im Klaren sein, dass man damit Medien freisetzt, die sich unkontrolliert verbreiten können und dann auch nicht mehr zurückgenommen werden können. – Die Produktion von Erklärvideos sollte im Vorfeld im kollegialen Umfeld abgestimmt werden, um ein konzeptionelles Auseinanderdriften zu verhindern und die Kolleg*innen konstruktiv miteinzubeziehen. – Vor der Produktion von Erklärvideos sollte man eine sichere und leistungsfähige IT-Infrastruktur akquirieren. – Adressat*innenbezug ist ein wesentlicher Aspekt in der Entwicklung von Erklärvideos, wobei generell von heterogenen Gruppen Lernender ausgegangen werden muss. – Erklärvideos sollten adressat*innenbezogen in deren fiktivem „Mittelfeld“ breit eingebettet sein; darüber hinaus sollte diesbezüglich regelmäßig evaluiert werden. Internale Produktionsaspekte: – Die erforderliche medienmethodische und technische Expertise zum Erstellen von Erklärvideos erwirbt man am funktionalsten durch die Partizipation in einer Produktion von versierten Kolleg*innen. – Mit der Qualität der Ausstattung steigen die medialen Möglichkeiten; trotzdem muss ein gutes Erklärvideo keinesfalls aufwendig produziert sein. – Je mehr Unterstützung in Form von kollegialer Zusammenarbeit und verfügbaren Expert*innen in der Produktion von Erklärvideos vorhanden ist, desto mehr Qualität kann erreicht werden. – Um Urheberprobleme zu vermeiden, sollten in bild-/videolastigen Fächern eigene Medienpools angelegt oder externe verfügbar gemacht werden.

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Vor Beginn der Produktion von Erklärvideos sollten die vorliegenden Ansprüche und Zielvorstellungen in Relation zu den persönlichen zeitlichen Ressourcen und bei Produktionsteams auch zu jenen der Kolleg*innen gesetzt werden.

Produktion: – Die Produktion von Erklärvideos erfolgt in sieben Schritten: didaktische Planung, Medienvorbereitung, Werkzeuge und Infrastruktur, Aufnahme und Nachbearbeitung, Rendern und Konvertieren, Revision, Sicherung und Bereitstellung. – In der Planung einer Erklärvideoproduktion werden insbesondere die Lernziele konkretisiert, zudem erfolgt eine systematische Klärung der internalen und externalen Aspekte – mit dem Ziel, an die wesentlichen Dinge zu denken und Probleme sowie Barrieren zu beseitigen. – In der Medienvorbereitung wird das methodische Konzept im Zuge der Erstellung eines Storyboards und der erforderlichen Medien konkretisiert. – Bevor aufgenommen werden kann, muss die gesamte Technik zusammengestellt, getestet und optimiert werden, sodass in der Aufnahme alles sicher und störungsfrei funktioniert. – Zur Aufnahme gehört das Einspielen, Sichten, Schneiden und auch Nachvertonen des Erklärvideos; sie endet mit einem verifizierten Erstellungsformat des Videos. – Mit dem Rendern wird das modifizierbare Erstellungsformat mit großer Datenmenge in ein nicht mehr gestaltbares, aber komprimiertes Veröffentlichungsformat konvertiert. – Erst nach erfolgreicher Revision, also nach der Klärung, ob inhaltlich, medial und datentechnisch alles in Ordnung ist, ist die Produktion eines Erklärvideos abgeschlossen. – Um Erklärvideos im Nachzug optimieren zu können, sollten deren Erstellungsdateien ebenso gesichert werden wie deren Endformate. – Die Veröffentlichung von Erklärvideos ist in geschützten Räumen möglich, aber selbst im Streaming-Format kann nicht garantiert werden, dass das Video nicht doch kopiert wird. Ansprüche an Erklärvideos: – Bedeutsamste Merkmale von Erklärvideos sind a) deren Wissensgehalt, b) deren Kürze, c) eine gute Sprecher*innenstimme und d) die Instruktionsqualität. – Weniger wichtig sind e) Unterhaltung und f) Soundeffekte.

Checkpoint

Zentrale Prämissen: – Formal sollte man so gut produzieren, wie es sich für die Institution, deren Name dahintersteht, gehört. – Den erforderlichen Aufwand sollte man immer mit adäquaten Wirkungen (Lernen und Motivation) begründen können. – Eingespielte Produktionen sind um ein Vielfaches effizienter als neue oder wechselnde. Erklärvideos an der Schule / aus der Praxis: – Ich nehme einfach meine Unterrichtsvorbereitung auf – aktuell benötige ich für einen Clip 30 Minuten Produktionszeit. – Mir ist Feedback wichtig, trotzdem kann ich sicher nicht alle Interessen und Ansprüche umsetzen. – Alles, was man auf einem Overheadprojektor machen kann, kann man auch in ein Erklärvideo verpacken. Da genügt auch Handschrift – entscheidend ist die Tonspur. – Gestalterisch halte ich mich für einen Minimalisten; Illustrations-Schnickschnack ist aufwendig und überflüssig. – Nicht viel labern  – nach drei Minuten muss die Message rübergekommen sein. – Meine ersten Videos habe ich aus Qualitätsgründen wieder aus dem Netz genommen; dieser laienhafte Start macht keine Probleme, aber man wird sehr schnell besser und anspruchsvoller. – Inhaltliche Fehler kommen vor – ich tausche defizitäre Videos einfach gegen „richtige“ aus. Qualitätssicherung: – Die Qualität von Erklärvideos sollte aus der Perspektive der Produktion (Input und Produkt) sowie aus der Perspektive der Nutzung (Output) evaluiert werden. – In einer Inputevaluation von Erklärvideos reflektieren die Produzent*innen die gesamte Produktionskette; maßgeblich sind hier ausschließlich deren Gütekriterien. – In einer Produktevaluation bewerten die Produzent*innen sowie eventuell externe Expert*innen die Erklärvideos entlang gemeinsam definierter Gütekriterien. – In einer Outputevaluation bewerten die Adressat*innen ein Erklärvideo in Handhabung von Instrumenten, welche die Produzent*innen generiert haben.

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2

Herstellung von Erklärvideos

Angesichts des Checkpoints, in dem über immerhin sechs Seiten die wesentlichen Aussagen des ersten Teils dieses Handbuchs zusammengefasst werden, könnte man nun wie das sprichwörtliche Kaninchen vor der Schlange stehen, in Ehrfurcht und Angst erstarren und lamentieren, dass das im Hinblick auf die gesetzten Anforderungen viel zu aufwendig sei. Die Anforderungen setzt aber nicht der Checkpoint, sondern jede Lehrperson selbst; und somit weiß man auch, was man an verfügbaren Ressourcen für so ein Projekt hat. Die beiden folgenden Beispiele entstanden auch aus diesen Kosten-Nutzen-Abwägungen  – mit einer guten Portion Experimentierfreude und Entwicklungsinteresse. Lehre ist nie das Beste, was man jeweils machen kann, sondern entspricht immer dem, was man individuell bereit und in der Lage ist, zu investieren.

2.1

Es geht los

Ausgangspunkt für Lehrende ist immer die eigene Lehre bzw. der eigene Unterricht. Wie immer man nun Erklärvideos einsetzen will: Fest steht, dass man damit a) den eigenen Unterricht nicht ersetzen, sondern nur bereichern kann und b) diesen Aufwand nicht für beliebige Inhalte betreiben sollte, sondern für spezielle. Hier sei erinnert an die wissenschaftlichen Hintergründe, insbesondere an fünf Hinweise: 1. Erklärvideos eignen sich gut für Einstiege und Grundlagen, kaum aber für Vertiefungen. 2. Man sollte sich auf zentrale Zusammenhänge und wesentliche Inhalte in bedeutsamen Sinneinheiten beschränken. 3. Die Struktur sollte sich am Inhalt ausrichten und dabei klar, einfach und erkennbar sein. 4. Erklärvideos sollten in den konkreten Unterrichtsablauf eingebettet sein.

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Herstellung von Erklärvideos

Angesichts des dritten Punkts sollte man sich jedoch bewusst sein, dass es hier um ein neues Medium geht, also etwas Neues gestaltet werden sollte. Dabei läuft man Gefahr, entweder zu sehr in seiner gewohnten Methodik und Interaktion verhaftet zu bleiben oder – gegenteilig – in methodisches Neuland zu springen. Beides kann in Extremformen problematisch sein, denn im ersten Fall würde man nur den eigenen Unterricht in eine digitale Präsentation um-verpacken, im zweiten Fall ins methodische Experimentieren übergehen. Also kann festgestellt werden: 5. Methodisch sollte man den eigenen Ansatz sinnvoll in das neue Medium transformieren. Wie sich dies bei mir persönlich darstellte, zeige ich in den folgenden sieben Abschnitten, von meinen spezifischen Ursachen und Auslösern über meine Motivation, den curricularen Bezug, meine Methodik, die Kursentwicklung und Produktion bis hin zur Reflexion und Überlegungen zu Varianten der erstellten Screencasts.

Ursache und Auslöser Ich musste meine Vorlesung für ein Fernlehrformat in einen Moodle-Kurs umwandeln. Verfügbare Unterlagen waren dabei meine Lehrbücher (die ich glücklicherweise gerade aktualisiert hatte) und mein über Jahre hinweg entwickeltes Skriptmaterial, das überwiegend aus den Ausdrucken meiner Vorlesungspräsentationen bestand. Als methodischen Ansatz für den Kurs intendierte ich eine Kombination aus Information (durch Leseaufträge), Akzentuierung (durch Erschließungsfragen), Umsetzung (durch Übungsaufgaben) und Kontrollfragen. Um den Studierenden zusätzliche Informationen auf anderen Kanälen zur Verfügung zu stellen, entschied ich mich für die Produktion von Erklärvideos. Dabei hatte ich Unterstützung durch eine Mitarbeiterin, die gut zeichnen kann; zeitlich war es knapp, denn das Semester stand vor der Tür.

Motivation Ich hatte natürlich keine Checkliste, um meine Motivationslage zu klären, hätte ich sie gehabt, dann hätte sie in etwa so ausgesehen.

Es geht los

Tabelle 8 Motivations-Check Wert Variable -1 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

Anwendung der Videos Aufwand Didaktische Bewertung Eigene Kompetenz Mitarbeit/Backoffice Team Management Fortbildung Coaching/Mentoring

Hobby Ungern Geht so Einsteiger*in Ohne Ohne Gleichgültig Nichts Nichts

0 Optional So lala Interessant Aufsteiger*in Ein wenig Zu zweit Interessiert Wenig Einmalig

1 Funktional Gern Großes Potenzial Expert*in Genug Komplex Ambitioniert Vielfältig Systematisch

Wie die Unterstreichungen in der Checkliste zeigen, waren die meisten Aspekte in einer mittleren Ausprägung; nur das Kompetenzthema war deutlich im Minus. Zudem standen meine bescheidenen Kompetenzen in der Erstellung von Erklärvideos in einem Spannungsverhältnis zu meinem Anspruch, dass über diese Erklärvideos meine Lehre seriös transformiert werden sollte. Angesichts der Tatsache, dass mir die Gesamtsituation kaum eine Wahl ließ, ging ich – durchaus mit Respekt – an die Sache heran.

Curricularer Bezug Lernziele und -inhalte standen schon alle relativ fest; es ging um meine Technikdidaktik-Vorlesung II, welche die theoretischen und propädeutischen Überlegungen aus der Vorlesung I in eine Praxisperspektive überträgt. Das sind – in reiner Vorlesungszeit – 14 × 90 Minuten. Dies entspricht weitgehend dem Inhalt meines 180-seitigen Lehrbuchs II, es kommen jedoch noch Bezüge zum Lehrbuch I und zur Belegliteratur hinzu.

Methodik Angesichts des großen inhaltlichen Umfangs intendierte ich von Anfang an keine Substitution der Vorlesung durch Erklärvideos, sondern eine Anreicherung. Für den Gesamtinhalt hatte ich mein aktuelles Lehrbuch verfügbar, in dem alles zu Vermittelnde so zusammengestellt ist, dass es eigenständig erschlossen werden kann. Jedes Kapitel beginnt mit Zielbeschreibungen, ist inhaltlich in sich geschlossen und mit der einschlägigen Belegliteratur versehen.

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Herstellung von Erklärvideos

Ich konnte also meinen Kurs „um das Lehrbuch herum“ bauen. Als zentrale Elemente entschied ich mich für Erschließungsfragen, Umsetzungsaufgaben, Tests und natürlich Erklärvideos. Als kommunikative Unterstützung richtete ich noch ein Forum ein, in dem alle Teilnehmenden und ich Fragen und Antworten einstellen konnten. Wie Abbildung 20 zeigt, verfolgte ich damit einen Ansatz, in dem durch zunehmende Komplexität und Anspruch der Lernmaterialien Wege für eine individuelle Informationsverarbeitung eröffnet und markiert werden. Wann und wie dabei die Studierenden auf die jeweiligen Materialien und Medien zugreifen, wollte ich ihnen überlassen, ich ging aber davon aus, dass die meisten die vorgegebene Reihenfolge der Materialien einhalten würden, die Medien jedoch unterschiedlich nutzen. Viele Studierende steigen hier sicher so wie vorgesehen mit dem Text ein, einzelne sehen sich aber vielleicht auch zuerst ein Erklärvideo an. Manche gehen in einer Abfolge durch die Materialien, andere legen vielleicht ein oder zwei Schleifen ein, in denen sie nochmals nachlesen oder ein Video sichten. Die Erschließungsfragen bezogen sich unmittelbar auf den Buchtext, wobei ich hier bei wesentlichen Begriffen, Konzepten, Theorien und Zusammenhängen Akzente setzte. Die Umsetzungsaufgaben formulierte ich so, dass die Buchinformationen über den Einzelzusammenhang hinaus weitergeführt werden sollten. Das kann auf analytischer Ebene in einen Lerntransfer führen, auf praktischer Ebene aber auch in eine reine Wissensanwendung. Die Testaufgaben waren sehr unterschiedlich und gestreut durch alle Formate und Ansprüche, von einfachen Multiple-Choice-Abfragen bis hin zu komplexen Problemstellungen. Bis zu diesem Punkt war das für mich ein gewohntes Szenario, denn in Seminaren arbeitete ich so schon länger. Die Erklärvideos waren die „große Unbekannte“ hier, zum einen weil ich diese Medien bislang nur in einem experimentellen Seminar erschlossen hatte und zum anderen weil sie ja überhaupt nicht existent waren. Ich hatte nicht mehr als eine vage Vorstellung davon, wie sie aussehen könnten, und hatte noch nie solche Medien selbst hergestellt.

Abbildung 20 Methodischer Ansatz für eine Vorlesung als Moodle-Kurs

Es geht los

Kursentwicklung Zunächst unterteilte ich den Kurs in 16 Module (in etwa der Segmentierung meiner Vorlesung folgend) und entwickelte als erstes die Erschließungsfragen, Übungsaufgaben und Tests auf Basis des Lehrbuchs. Parallel dazu führte ich Gespräche mit meinen Mitarbeiter*innen, insbesondere bezogen auf die Applikation Explain Everything und deren Handhabung für unsere Zwecke. Wir beschlossen, dass ich einfache Vorgaben als iPad-Videos mit handschriftlichen Notizen und Skizzen anfertige und sie diese dann zeichnerisch umsetzen. Grundüberlegungen bezüglich eines speziellen Erklärstils oder einer dezidierten Erklärmethodik hatte ich bis dahin immer noch keine angestellt, da ich diesbezüglich nicht sensibilisiert war. Im unmittelbaren Vorfeld der Produktion besprach ich das Gesamtprojekt mit einer meiner Mitarbeiterinnen, einer Pädagogin und gelernten Grafikerin. Sie war sich sofort sicher, dass sie das interessiert und auch, dass sie das kann, wobei sie mit Explain Everything noch nicht gearbeitet hatte. Nach kurzer Erprobung war dieser Punkt geklärt, denn für unsere Zwecke war die Software gut und einfach handhabbar. Während dieser Übungsphase überlegten wir uns auch eine Rahmenhandlung für den Gesamtkurs. Wir wollten, dass die Clips in eine kleine Geschichte verpackt sind, zum einen weil damit signalisiert wird, dass sie zu einer Gesamteinheit gehören, zum anderen damit ein spielerisch-leichter Charakter in dieses fortlaufende Erklären hineinkommt und es auflockert. Die Geschichte handelt von zwei Studierenden, die einen „LernBerg“ ersteigen wollen und dabei von Lager zu Lager gehen. Die einzelnen Lagerplätze wurden als Zelte dargestellt und bildeten die modularen Einheiten.

Produktion

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Herstellung von Erklärvideos

Abbildung 21 Screenshots aus der Herstellung von Videovorlagen für die Weiterbearbeitung durch die Grafikerin

In meinem ersten Umsetzungsversuch nahm ich das, was ich hatte, nämlich meine PowerPoint-Präsentation der Vorlesung, und machte das, was ich auch in der Vorlesung mache: sprechen, erläutern, Beispiele geben und in die Folien hineinschreiben oder -zeichnen. Das funktionierte zwar, aber ich merkte schnell, dass damit ein Riesenaufwand entstehen würde und die Fünf-Minuten-Grenze der einzelnen Clips zu einem Produktionsumfang von ca. 200 Videos geführt hätte. Eine solche 1 : 1-Umsetzung der Vorlesung in Erklärvideos war weder ressourcenmäßig leistbar noch den Studierenden zumutbar. Also musste ich den Umfang reduzieren und mich fokussieren. Ich „degradierte“ die PowerPoint-Präsentation zum grafischen Ideenpool für eine neue, stringente und komprimierte Darstellung. Um diese zu entwerfen, machte ich mir auf Papier kleine inhaltliche Ablaufbeschreibungen zu dem, was ich in etwa sagen wollte. Anschließend nahm ich ein iPad und öffnete dort das Programm GoodNotes, in dem man mit dem digitalen Pen schreiben und zeichnen kann. Beim iPad gibt es eine Aufnahmefunktion, die alles, was am Bildschirm geschieht, zusammen mit dem, was dazu gesprochen wird, aufzeichnen kann. Also stellte ich das so ein und drückte auf „Aufnahme“. Ich folgte meiner Ablaufbeschreibung, sprach, schrieb und zeichnete kleine Skizzen oder Diagramme, solange, bis ich das Thema „durchhatte“. Dann waren etwa elf Minuten vergangen. Ich sah mir das Ergebnis an (s. Abbildung 21), ergänzte meine Notizen und wiederholte den Versuch, kam dabei auf neun Minuten. Auch dieses Ergebnis gefiel mir noch nicht. Also nahm ich mir ein neues Blatt und skizzierte mir – aus den bisherigen Notizen – ein kleines Storyboard, wo alles nun ein wenig genauer und übersichtlicher geordnet war. Im dritten Durchgang kam ich dann auf sechs Minuten. Damit ging es zum Zeichnen. Meine Mitarbeiterin sah sich das Video zunächst einmal an. Den Buchtext hatte sie gelesen und wichtige Stellen markiert. Beim zweiten Durchgang des Videos zeichnete sie parallel eine Handskizze auf A4-Blättern mit (s. Abbildung 22). In einem dritten Durchgang ergänzte sie noch einzelne Punkte, die sie in der Echtzeit nur angerissen

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hatte. Dann öffnete sie die Software auf dem iPad und ließ mein Video ein viertes Mal laufen. Nun hörte sie nur noch die Stimme, entwickelte aber in der Umsetzung ihrer Skizze das Erklärvideo auf dem iPad – immer mit kleinen Texten und Bildern der Erklärung folgend. Nachdem dieses Video erstellt war, wurde es in einem Revisionsdurchgang noch inhaltlich verbessert und korrigiert. Dann nahm sie die Vertonung vor. Sie sprach nun meinen Text in das laufende Video, wobei sie dieses noch komprimierte, indem sie immer dort, wo der Sprechtext die Präsentation überholte, diese bis zum Beginn des nächsten Kommentars schneller stellte. Damit kamen wir dann auf vier Minuten.

Abbildung 22 Grafische Umsetzung der Videovorlagen zunächst auf Papier

Nach weiteren zwei Videos hatten wir eine effiziente Arbeitsweise gefunden: 1. Ich skizziere mir auf dem iPad Überschriften, Schlagwörter, Bilder, Diagramme etc. in Anlehnung an meine PowerPoint-Präsentation. Das ist mein Storyboard und gleichzeitig das Grundgerüst meines Rohvideos. 2. Ich nehme das Rohvideo auf, indem ich das Vorskizzierte kommentiere und weiterführe, darin auch herum skizziere, unterstreiche usw., um möglichst viele Akzente für die grafische Ausarbeitung zu setzen. 3. Meine Mitarbeiterin sichtet das Rohvideo einmal und skizziert auf A4-Blättern mit. 4. Anschließend nimmt sie das Erklärvideo auf, indem sie ihre Skizzen dort entlang des Rohvideo-Kommentars entwickelt. 5. Danach bespricht und komprimiert sie das Erklärvideo.

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Für einen Fünf-Minuten-Clip benötigen wir final 30 Minuten für die Rohvideo-Produktion und 60 Minuten für die Umsetzung in das Erklärvideo. Hier eine Bilderfolge aus einem Erklärvideo über Schülergruppenarbeit: Auf Screenshot 1 (Abbildung 23) sieht man links die Figur des Lehrenden, der in die Thematik „Schülergruppenarbeit“ einführt. Er hat festgestellt, dass Gruppenarbeit in einem schüleraktiven Unterricht große Bedeutung hat und beginnt gerade mit der Gegenüberstellung von Einzel-, Partner- und Gruppenarbeit (geschlängelte Pfeile, einer davon ist mit „Einzel“ beschriftet). Die Darstellung der Gruppe am Lagerfeuer inszeniert das Thema in einer Bildmetapher. Im Hintergrund sieht man den ikonischen Gesamtrahmen der Erklärvideos im Moodle-Kurs; es geht um das „Ersteigen eines Lern-Bergs“. Auf dem Weg dorthin treffen die Studierenden immer wieder auf Zwischenlager (Lern Tents = Erklärvideos), in welchen die spezifischen Themen dann umgesetzt werden. Auch schon erkennbar ist die Kombination aus Symbolen, Bildchen, Schlagworten und Farben. Die Zeichnungen sind einfach, aber aussagekräftig. Mit den Gestaltungselementen wird grundsätzlich eher sparsam umgegangen (nur Hellblau wird als Farbe und Grau für die Schatten verwendet).

Abbildung 23 Screenshot 1: Einstieg in das Thema „Schülergruppenarbeit“

Nachdem der Lehrende fertig erklärt hat, wird er aus dem Bild wieder entfernt. Ebenso verschwindet der Hintergrund, sodass nun der gesamte Platz auf dem Bildschirm für die weitere inhaltliche Erarbeitung genutzt werden kann (s. Abbildung 25).

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Abbildung 24 Screenshot 2: Beginn mit der zentralen inhaltlichen Erarbeitung

Abbildung 25 Screenshot 3: Erarbeitung spezifischer Details

Die inhaltliche Erarbeitung erfolgt zentral über eine Stimme aus dem Off. Parallel zu diesen Kommentaren wird gezeichnet. Ab und zu treten „Studi“ und „Studine“ auf, zwei Studierende, die sich gegenseitig Fragen stellen und Antworten geben. Wenn man Abbildung 24 und Abbildung 25 vergleicht, sieht man, wie sich das Bild entwickelt. Links unten ist die Gedankenblase mit den Akzenten „Aktiv?!“, „Sozial?!“ und „Reife?!“ hinzugekommen. Oben ist das Schlagwort „soziale Kompetenzen“ nun ausgeschrieben und darüber ist ein Schlaglicht mit zwei sich schüttelnden Händen platziert sowie die Überschrift „TEAM“ mit einem Hinweis auf berufliche Arbeit. In der Darstellung der Gruppe sieht man noch „> 2“ und „max 4“, was schon als optimale Gruppengröße erklärt wurde.

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Die Stimme der Sprecherin führt zunächst den Anspruch von Gruppenarbeit aus: Sie hilft, die Lernenden zu aktivieren, zu individualisieren und zu differenzieren. Dem hält sie entgegen, dass das andere Arbeitsformen jenseits eines Klassenunterrichts ebenso können. Dann fügt sie an, dass bei der Gruppenarbeit als zentrale Stärke noch die Förderung sozialer Kompetenzen hinzukommt und dass diese für die berufliche Arbeit hochrelevant sind. Zur Gedankenblase unten links wird dann aber festgestellt, dass es auch Skeptiker*innen bezüglich Gruppenarbeit im beruflichen Unterricht gibt, die insbesondere drei Punkte infrage stellen: 1. den Anspruch einer Aktivierung, denn dort blieben viele Lernende immer auch passiv, 2. den Anspruch auf sozial-kommunikative Förderung, denn man könne beobachten, dass in Gruppenarbeiten auch sozialkommunikative Defizite umgesetzt würden, 3. den Entwicklungsanspruch, denn viele Lernende seien oft gar nicht reif genug, sich eigenständig in Gruppenarbeiten zu entwickeln.

Abbildung 26 Screenshot 4: Das Gesamtbild schließt sich langsam

Man kann so erahnen, wie hier das Bild und die Stimme der Sprecherin fortlaufend korrespondieren. In der nächsten Abbildung sieht man, dass noch mehr hinzugekommen ist. An sich könnte so ein Bild den Betrachter schon überfordern, nicht aber dann, wenn dieser von Anfang an dessen Entwicklung sehen konnte und dazu entsprechende Kommentare erhielt. Mit der lächelnden Maske auf der linken Seite werden Hinweise hinterlegt, dass es in Gruppenarbeiten auch immer Rollen und Dynamiken gibt, was bewirkt, dass diese nur bedingt wirksam sein können. Auf der rechten Seite befindet sich wiederum eine Gedankenblase, in der festgehalten wird, dass Gruppenarbeiten nur dann funktional sein können, wenn sie entsprechend vorbereitet, begleitet sowie reflektiert sind und die

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Lernenden sich darin lernend entwickeln können. Unten sieht man schon, wie begonnen wird, das zentrale Motto von Gruppenarbeiten in das Banner hineinzuschreiben. Schließlich wird das Gesamtbild hier fertiggestellt, dabei wird das Motto von Schülergruppenarbeit ausgeschrieben und erklärt: „konzipieren, moderieren und auswerten“ (vgl. Abbildung 27). Mit einem zusammenfassenden Abschlusskommentar wird diese „Szene“ dann beendet, dabei wird noch ein kleiner Rahmen um das Gesamtbild gezogen. Dann erfolgt der Übergang in die nächste Szene – ein neues Bild entsteht in Fortsetzung der Thematik. Im vorliegenden Fall geht es mit den vier Teilaspekten für die Umsetzung von Gruppenarbeiten weiter.

Abbildung 27 Screenshot 5: Das Gesamtbild ist fertig

Reflexion Eine komplette Reflexion entlang der vorgestellten Qualitätssicherungsmethodik (s. Kap. 1.5.4) stand zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieses Buchs noch an, damals war meine Vorlesung als Moodle-Kurs noch in der Umsetzungsphase. Nachdem anfänglich noch mein Lehrbuch als E-Book bereitgestellt werden musste, wurde es mit Rückfragen ruhiger. Im Forum fanden sich normale Einträge, hilfesuchende Anfragen, Kritik oder andere Monita. Letztere bezogen sich auf die inhaltliche Gesamtmenge sowie die Umsetzungsaufgaben – die Erklärvideos wurden überwiegend gelobt. Die Produktion war gegen Mitte der Vorlesungszeit abgeschlossen worden. Die Videos gefielen mir persönlich aus mehreren Gründen: 1. Es war für mich als Hochschullehrer interessant (und durchaus dann und wann auch amüsant), zu sehen, wie eine andere Expertin meine (!) Ideen,

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2. 3.

Themen und Inhalte nun illustriert und kommentiert. Nach vielen Jahren des Erzählens vom Pult aus war das eine enorme Bereicherung. Die Clips sind optisch und dramaturgisch richtig gut geworden; das war eine enorme Leistung meiner Mitarbeiterin. Das Gesamtgefüge des Moodle-Kurses wurde substanziell bereichert, so wie es geplant war; die Videos deckten alle wesentlichen Inhalte ab, bezogen viele anspruchsvolle und bedeutsame Aspekte ein und waren inhaltlich ineinander verwoben. Trotzdem waren sie einfach geblieben, wenngleich der zeitliche Rahmen von fünf Minuten pro Thema in fünf Minuten pro Clip aufgeweicht wurde. Bei einigen Themen mussten wir zwei oder sogar drei Clips in einer Abfolge erstellen, um sie adäquat umzusetzen.

Andererseits gab es auch Dinge, die nachdenklich machten. Wir waren schließlich bei einer Gesamtanzahl von ca. 33 Videos angekommen. Rechnete man einen Erstellungsaufwand von ca. drei Videostunden pro Clip, hatten wir einen Gesamtzeitaufwand von ca. 100 Stunden geleistet, etwa ein Drittel zu zwei Drittel verteilt zwischen meinen Vorgaben und der zeichnerischen Umsetzung. Für diesen Produktionsumfang war dies sicher angemessen, es ging aber zu allem, „was man sonst noch zu tun hat“, on the top. Die gesamte Produktion baute auf der grafischen und didaktischen Kompetenz meiner Mitarbeiterin auf. Ich war hier „auswechselbar“. Will man ähnliche Videos produzieren bzw. diesen Produktionsprozess adaptieren, kommt man nicht umhin, hier zeichnerische Expertise einzukaufen oder zu entwickeln. Da die Herstellung von animierten Screencasts durch Graphic Recording kein einfacher Visualisierungsvorgang, sondern eine verbal-ikonische Transformation ist, kann hier sicher keine beliebige Person das Zeichnen übernehmen. Grafisches Geschick und fachliches Verständnis müssen kombiniert vorhanden sein, sonst besteht die Gefahr, dass die Erklärung nicht adäquat illustriert wird oder ein enormer Vorbereitungs- und Abstimmungsaufwand zwischen der Lehrperson und der zeichnenden Person betrieben werden muss.

Überlegungen zu Varianten Ausgehend von den drei kritischen Überlegungen, insbesondere dem dritten Punkt, stellte sich mir nun die Frage, inwiefern man in einer solchen Produktion eine Grafikerin, die vom Fach ist, ersetzen kann? Die Antwort fällt relativ klar aus: Das ist in diesem Konzept nicht möglich. Es gibt durchaus andere Formate, bei denen auf diese Kompetenz verzichtet werden kann, aber hier würde das schiefgehen, denn selbst professionelle Grafiker würden sich absehbar mit Inhalten und Vertonung schwertun. Also muss man hier wohl Kompetenz schaffen: entweder bei sich oder bei anderen. Wenn man hier die zweite Variante wählt, sollte jemand mit entsprechendem Fachverstand interessiert und verfügbar sein, die/der willens ist, für die Videoproduktion

Es geht los

grafische Kompetenzen zu entwickeln. Dabei muss man nicht das Niveau von Profis erreichen, vielmehr geht es darum, hier einen Anfang zu finden und sich nach und nach zu entwickeln. Dies macht auch deutlich, dass das von mir hier beschriebene Format für eine anekdotische Produktion in kleinen Stückzahlen wohl nicht der passende Ansatz ist. Die zeichnerischen Fähigkeiten belaufen sich überwiegend auf kleine Bildchen, die man aus entsprechenden Buchvorlagen abzeichnen kann, sowie auf Schriftarten und Gestaltungselemente für handgezeichnete Grafiken. Auch dafür gibt es gute und einfache Vorlagen, die anleiten und inspirieren. Durch die Möglichkeit, das Tempo in Explain Everything zu moderieren, können auch langsame Zeichner*innen schnelle und flüssige Bildentwicklungen umsetzen. Der Rest ist Motivation und vor allem Übung. Eventuell hilfreich ist es auch, mal bei den anderen zu sehen, wie sie dies machen. Was ich auch überlegt hatte, war, ob ich nicht wirklich einfach direkte Screencasts selbst produziere, bei denen ich mir ein Basisgerüst aus Überschriften, Tabellenrahmen, kleinen Zeichnungen, Grafiken etc. vorzeichne und dort dann hineinschreibe, während ich meine Gedanken entwickle und die Inhalte kommentiere. Damit würde ich zwar nicht die optische Qualität des grafisch-professionellen Formats erreichen und auch die Entwicklung wäre nicht so flüssig wie in diesem, aber ich könnte das allein (wenngleich schnörkellos) handhaben. Die Produktionszeit würde sich damit aber für mich erhöhen, da ja nun alles bis zum Finalisieren der Clips bei mir hinge. Als Lösung für das vorausgehend beschriebene Problem wäre es aber geeignet.

Lege-Trick-Technik Eine weitere Lösung des Zeichenproblems besteht in der Lege-Trick-Technik. Wie vorausgehend schon erläutert (s. Explainity-Clip), kann man damit – anstatt selbst zu zeichnen – auf vorgefertigte Elemente zugreifen, die man dann vor laufender Kamera animiert. Passende Bilder kann man dazu entweder selbst erstellen (mit Präsentationsprogrammen oder grafischer Software etc.) oder aus dem Internet von legitimierten Accounts herunterladen (z. B. mysimpleshow.com). Dann werden die Bilder ausgedruckt und – ja – dann werden sie per Hand ausgeschnitten (s. Abbildung 28). Bezeichnend für die Lege-Trick-Videos ist der Hintergrund. Dieser ist meistens dunkel, da man ansonsten die Animation nicht so gut sehen kann. In unserem Fall wurde die Farbe Schwarz gewählt, was einen maximalen Kontrast ergab.

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Herstellung von Erklärvideos

Abbildung 28 Bilderschnipsel für die Animation

Für die Aufnahme des Videos ist ein Raum erforderlich, der so abgedunkelt werden kann, dass man die Fläche, auf der die Bilder geschoben werden, gut beleuchten kann.

Abbildung 29 Aufnahmeausrüstung für die Lege-Trick-Technik

Es geht los

Als Equipment benötigt man neben einer Videokamera bzw. einem iPad und einem Mikrofon einige Utensilien, um diese anzuschließen, zu positionieren, mit den Computern zu verbinden, alles gut auszuleuchten etc. (s. Abbildung 29).

Abbildung 30 Lege-Trick-Setup. Grafische Umsetzung: Ruth Hammelehle, Bad Boll

Für die eigentliche Aufnahme ist ein entsprechendes Setup erforderlich (s. Abbildung 30): Auf einem Tisch befindet sich der Computer (1), mit dem alles aufgezeichnet wird. Dies kann über jede Videoaufnahmesoftware erfolgen. An einem Stativ ist die Videokamera (2) so befestigt, dass sie mittig über der Arbeitsfläche (3) und in einem geplanten Bereich steht, dabei aber möglichst verzerrungsfrei abfilmen kann. Falls man keine Person hat, die nun Kamera und Computer bedienen kann, ist eine Fernbedienung für die Kamera sehr hilfreich. An der Arbeitsfläche sitzt die Person (4), die die Bilder animiert. Sie sollte das Storyboard (5) gründlich gelesen haben und den geplanten Verlauf des Videos kennen. Sie hält in einem Bereich, der nicht von der Kamera erfasst wird, chronologisch geordnet alle erforderlichen Schiebeelemente bereit. Die zweite Person (in unserem Fall eine Frau) hat die Rolle der Sprecherin. Sie steht am Mikrofon; den Text und die geplante Bildfolge entnimmt sie dem Storyboard (s. Abbildung 31).

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Herstellung von Erklärvideos

Abbildung 31 Mit dem iPad als Kamera wird der Clip eingespielt und gleichzeitig gesprochen. Anschließend erfolgt die Nachbearbeitung auf dem Computer

Es geht los mit dem gleichzeitigen Aktivieren von Kamera, Mikrofon und Computer. Die Sprecherin beginnt mit dem Erklären, darauf bezogen schiebt die Person an der Arbeitsfläche die Elemente hinein, hinaus, ordnet sie an und um, ergänzt oder positioniert alles genauso, wie es geplant ist und der Dramaturgie der Sprecherin folgend. Am Ende werden die Aufnahme- und Speichergeräte gestoppt. Die weitere Bearbeitung des Videos ist relativ ähnlich zum Screencast, wobei das Tempo nur in Passagen verändert werden kann, in welchen nicht gesprochen wird. Aus unserer Erfahrung kann man diese Technik gut variieren, z. B. indem man mit einer hellen Unterlage arbeitet und das Schieben von Elementen mit handgeschriebenen Texten oder kleinen Skizzen, Zeichen, Piktogrammen ergänzt. Wenn man sich entscheidet, das Video nachzuvertonen – anstatt in Echtzeit die Sprecher*innenstimme aufzunehmen –, kann man die Bildchen zu zweit schieben und vor der Vertonung sogar noch das Tempo straffen. Interessant sind bei dieser Technik auch Gesten mit den Händen – ein Gestaltungselement, das nur bei dieser Technik möglich ist. Man kann mit kleinen Gesten Vieles sagen, unsere Hände sprechen und wir verstehen das: z. B. Bestätigung oder Ablehnung, Bejahung oder Verneinung, Fingerzeig oder Richtungsdeutung, Unruhe, Erwartung, die Zahlen von eins bis fünf usw. Man kann sogar dreidimensionale Elemente noch mit hineinnehmen, wenn sie passen und sich im Gesamtsetting gut einfügen lassen.

Fazit Ich hoffe, dass diese Beschreibung meiner ersten eigenen Produktion für Lehrpersonen an Schulen oder für Hochschullehrende einen konkreten Einblick in die Realität

Warum geht es nicht los?

der Erklärvideoerstellung geben konnte. Natürlich ist das nur eine Kasuistik – jeder macht das „irgendwie“ anders und es gibt inzwischen viele, die dies machen. Ich hoffe, ich konnte hier zeigen, wie sich Optimismus und Realismus die Waage halten, aber auch Kreativität und Pragmatismus. Man kann nicht einfach drauflosarbeiten, man muss aber auch ins unmittelbare Handeln kommen. Es gibt viele Details zu beachten, man kommt aber auch nicht umhin, Fehler zu machen und „Zurück-auf-Los“-Schleifen einzulegen. Es ist ein Glücksfall, wenn man hier die richtigen Mitstreiter*innen findet; generell würde ich immer zu einer Produktionspartnerschaft oder einem Team raten. Allein ist das sehr viel Aufwand und zu mehreren kann das bereichernd sein oder einfach viel mehr Spaß machen. Und damit will ich das Fazit beenden: Es hat mir Spaß gemacht, diese Clips herzustellen (so viel Spaß, dass ich dieses Buch geschrieben habe) und ich will auf alle Fälle weitermachen.

2.2

Warum geht es nicht los?

Manchmal geht es aber auch nicht los. Man sitzt da, probiert das eine oder andere aus, spricht mit Freund*innen oder Kolleg*innen, sieht sich immer wieder mal etwas an, aber irgendwie fehlt „der Kick“. Woran liegt das? Nach meinen eigenen Erfahrungen und den Erfahrungen anderer, mit denen ich darüber gesprochen habe, gibt es hier eine fiktive Gesamtgleichung mehrerer Variablen, die für einen Einstieg ins konkrete Handeln mindestens größer Null sein muss. In der Handlungspsychologie nennt man das „den Rubikon überschreiten“. Vor diesem Fluss stand einst Cäsar mit seiner

Abbildung 32 Spannungsverhältnis im Vorfeld einer Veränderung zwischen Prämissen und Erwartungen

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Herstellung von Erklärvideos

Legion und wusste, wenn er ihn überschreiten würde, wäre ein Krieg mit Rom unausweichlich. Diese Metapher übernahm der Psychologe Heckhausen für sein Rubikonmodell (Heckhausen et al., 1987), welches Handeln in eine präaktionale Phase (vor dem eigentlichen Handeln) und eine aktionale Phase (das Handeln selbst) unterteilt. Um den Rubikon zu überschreiten, muss ein Mensch also „gute Gründe“ haben. Bevor man also ins eigentliche Handeln übergeht, wird dieses vorausgedacht und hinsichtlich seiner Umsetzung und Folgen zunächst bewertet, bevor es eingeleitet wird. Welche Variablen dieser Gesamtgleichung wirken hier zusammen? Im Veränderungsmanagement gibt es vier zentrale Parameter für die Veränderungsbereitschaft von Menschen: die Notwendigkeit einer Veränderung, der vom Einzelnen wahrgenommene Nutzen des Neuen und die Sinnhaftigkeit, die dem beigemessen wird, sowie schließlich die Machbarkeit des Neuen, also die Frage, ob das überhaupt möglich ist (und wenn es möglich ist, mit welchem Aufwand).

1.

Notwendigkeit

„No pain – no change“ heißt ein englischer Ausspruch, der feststellt, dass es generell einen (guten) Grund geben muss, warum man etwas verändert. Dies gilt insbesondere dann, wenn das mit Aufwand verbunden und auch risikobehaftet ist. Dass eine laienhafte Videoproduktion Aufwand erzeugt, ist selbstverständlich, aber welche Risiken liegen darin? Die wohl größte wahrnehmbare „Gefahr“ für Lehrende liegt hier in der Offenlegung der eigenen Lehre. Normalerweise bleiben Lehrunterlagen und -materialien intern, sie zirkulieren bestenfalls im näheren schulischen oder hochschulischen Umfeld. Ein Erklärvideo kann in kurzer Zeit über die Welt verbreitet sein  – das ist Lehrenden bewusst. Sind darin Fehler oder Unzulänglichkeiten, kann das persönliche Kritik oder auch Spott auslösen und man kann nichts mehr zurücknehmen. Ein weiteres Risiko liegt noch in den didaktisch-methodischen Konsequenzen, die man hier auslösen kann. Mit den Erklärvideos impliziert man eine Entwicklung in der eigenen Lehre, die Erwartungen für deren konsequente Weiterführung oder Ausweitung auf die anderen eigenen Lehrbereiche wecken kann. Hier kommen auch didaktische Überzeugungen von Lehrpersonen ins Spiel, denn diese kommen mit Erklärvideos auch auf den Prüfstand, darauf wird aber explizit im dritten Part dieses Unterkapitels („Sinnhaftigkeit“) eingegangen. Fest steht aber, dass angesichts solcher Risiken ohne erkennbare Notwendigkeit hier wohl kaum eine Lehrperson aktiv werden würde. Notwendigkeit war für mich persönlich durch die radikale Umstellung auf ein Fernstudium – ausgelöst durch Corona – gegeben. Hinzu kam auch mein langjährig gehegter Zweifel an der Zumutbarkeit von Vorlesungen – ich selbst hatte sie im Studium nur ungern besucht. Damit sind schon die beiden Hauptbereiche der Notwendigkeit aufgespannt: ein pragmatischer

Warum geht es nicht los?

und ein funktionaler Bereich. Zusammen müssen sie beide eine Diskrepanz beinhalten, die den absehbaren Aufwand und auch die Inkaufnahme der Risiken rechtfertigt.

2.

Nutzen

Wenn wir handeln, betreiben wir Aufwand; dieser muss in einem akzeptablen Verhältnis zum Nutzen stehen. Worin besteht der Nutzen der Erklärvideos? Sind sie nur ein Hobby, sind sie als Ergänzung zu Unterricht und Lehre vorgesehen oder sollen sie diese ersetzen? Oder geht es um eine kommerzielle Videoproduktion, von der man finanzielle Gewinne erwartet? Wie groß ist der hier erforderliche Aufwand? Was bedeutet Aufwand für den Einzelnen und inwiefern wird dieser positiv oder negativ konnotiert?

3.

Sinnhaftigkeit

Didactic Beliefs: Als Didactic Beliefs (Lehrer*innensichtweisen) werden Kognitionen bezeichnet, welche sich als subjektive Theorien auf die Unterrichtsweise einer Lehrperson auswirken. Subjektive Theorien sind psychologisch nachweisbare, „unwissenschaftliche“ Theorien, welche Menschen in vielen (häufig beruflichen) Zusammenhängen neben oder auch anstelle fundierten Wissens verinnerlicht haben. Ursächlich ist hier das Streben nach Kontrolle und Selbstwirksamkeit, welche in einem rationalen Weltverständnis durch theoretisch fundiertes Handeln gewährleistet werden. Subjektive Theorien sind meist implizit, werden also kaum kommuniziert, trotzdem sind sie sehr handlungsleitend und auch langfristig wirksam. In einer Studie konnte nachgewiesen werden, dass die Beliefs von Lehrpersonen bezüglich der Ursachen und Handhabung von Unterrichtskonflikten schon im Studium angelegt waren und sich über Vorbereitungsdienst sowie Schuleinstieg kaum verändert hatten (Girke, 1999). Unterricht und Lehre sind somit immer auch ein Produkt dessen, was eine Lehrperson für lernwirksam hält. Bedeutsamster Prädiktor ist hier die eigene Lernstrategie als Erfahrungshintergrund aus der eigenen Schul- und Studienzeit.

Ob es sinnvoll ist, solche Videos zu produzieren, hängt durchaus von deren geplanter Nutzung ab, unabhängig davon stellt sich hier aber auch die Frage der Eigenbewertung dieser Medien. Man kann Erklärvideos ein wenig interessant finden, man kann sie positiv einschätzen, man kann sehr überzeugt von ihren Lernwirkungen sein oder geradezu begeistert. Im Hintergrund stehen hier selten wissenschaftliche Evidenzen, sondern zumeist die persönlichen Einstellungen von Lehrenden zu Lehren und Lernen, die Didactic Beliefs. Dies sind subjektive Theorien darüber, wie ein Mensch glaubt, dass er und andere lernen. Sie sind zum einen sehr handlungswirksam, zum anderen auch relativ unveränderbar. Man unterscheidet hier grob in drei Paradigmen:

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Herstellung von Erklärvideos

1. Instruktion (Menschen lernen, weil man ihnen etwas unmittelbar erklärt), 2. Konstruktion (Menschen lernen, weil man sie im selbstständigen Lernen unterstützt) und 3. Integriert (Menschen lernen sowohl, weil man ihnen etwas unmittelbar erklärt, als auch, weil man sie im selbstständigen Lernen unterstützt). Speziell Lehrende, die das Konstruktionsparadigma verinnerlicht haben, könnten ein Erklärvideo als dysfunktional einschätzen, da es ja instruierend intendiert ist. Dies erscheint jedoch nur dann richtig, wenn das Video das einzige Lehrelement ist. Bettet man Erklärvideos hingegen in komplexe Lernumgebungen ein, wird es zu einem Medium unter mehreren und unterstützt damit eine individuelle Wissenskonstruktion. Mit Erklärvideos kann man somit allen drei Paradigmen gerecht werden, ob und inwiefern, das entscheidet das jeweilige Gesamtarrangement.

4.

Machbarkeit

Hier geht es um Ressourcen: Zentrale Ressourcen des Einzelnen sind Kompetenz und Zeit; sowohl die eigene als auch die von zugeordneten Mitarbeitenden (Backoffice, Hilfskräfte etc.). Hinzu kommt die technische Ausstattung, also Hard- und Software. Eine weitere Ressource sind kollegiale Mitstreiter*innen, also ein Produktionsteam. Hinzu kommt die Unterstützung als Ressource, beginnend mit positiven Bestätigungen aus dem Management über zusätzliche Zeit- und Geldressourcen bis hin zu Fortbildung, Coaching oder Mentoring.

Zusammenführung Tabelle 5 beinhaltet die explizite Checkliste für unsere implizite Gleichung (s. Abbildung 32). Tabelle 9 Checkliste für den Einstieg in die Herstellung von Erklärvideos Wert Variable -1 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

Anwendung der Videos Aufwand Didaktische Bewertung Eigene Kompetenz Mitarbeit/Backoffice Team Management Fortbildung Coaching/Mentoring

Hobby Ungern Geht so Einsteiger*in Ohne Ohne Gleichgültig Nichts Nichts

0 Optional So lala Interessant Aufsteiger*in Ein wenig Zu zweit Interessiert Wenig Einmalig

1 Funktional Gern Großes Potenzial Expert*in Genug Komplex Ambitioniert Vielfältig Systematisch

Warum geht es nicht los?

Nun könnte man sagen, wenn sie hier durchschnittlich unter 0 bleiben, sollten sie es lassen. Das wäre aber holzschnittartig und auch ein wenig dumm. Diese „Gleichung“ ist ja nur für Lehrende relevant, die (noch) vor dem Rubikon stehen, die anderen haben ja schon losgelegt und müssen sich über diese Dinge keine Gedanken machen. Diese können sich mit der präsentierten Checkliste aber bewusst machen, woran es eventuell liegt, dass sie zögern. Wie man sieht, kann das viele verschiedene Gründe haben, sehr wesentliche aber auch eher unwesentliche Gründe, die insgesamt ein Spannungsgefüge erzeugen. Das lässt sich aber auflösen, indem man sich die wesentlichen Hemmfaktoren aus der Checkliste herausholt und explizit darüber nachdenkt, ob und wie man sie beheben kann. Vielleicht noch ein Hinweis: Die Punkte 1, 3, 4 und 6 sind motivational sehr bedeutsam. Sie stehen in einem engen Zusammenhang mit der Selbstbestimmung eines Menschen (Theorie von Deci/Ryan, 1985), für welche Kompetenzwahrnehmung, Autonomie und soziale Einbettung maßgebliche Faktoren für die Handlungsmotivation sind. Daher sollten diese Variablen besonders ernst genommen werden. Die anderen sind damit nicht unbedeutend, können absehbar aber leichter geklärt bzw. kompensiert werden.

Abschluss Wie zu Beginn des Buchs festgestellt wurde, ist es aus der Praxis entstanden und für diese gedacht. Im 1. Teil wurde bilanziert, was man aktuell über Erklärvideos und um sie herum aus einer didaktischen Perspektive zusammentragen kann. Das schmale wissenschaftliche Kapitel zeigt, wie wenig hier bislang geforscht wurde. Im 2. Teil wurde entlang eines Beispiels versucht, aus der eigenen Praxis vorzustellen, wie es aussieht, wenn man konkret in die Produktion von Erklärvideos einsteigt. Dieses Beispiel vermittelt einen starken Kontrast zu den im 1. Teil vorgestellten Ansätzen und Prozessen, wie eine „professionell“ Produktion von Erklärvideos aussehen könnte. Nachdem dieses Buch in seiner Entstehung ca. 1 Jahr benötigte, bin ich selbst produktionsbezogen auch ein wenig weiter gekommen, was zum einen an meiner eigenen Entwicklung liegt, zum anderen aber auch daran, dass sich die Kontexte und Ressourcen verbessert hatten und sich zunehmend weitere Interessierte mit in diesem Thema eingefunden hatten und wir nun in einer größeren Gemeinschaft die eingebrachten Erfahrungen produktiv weiterverarbeiten konnten. Bzgl. der Kapitel 1.5.5 und 2.2 bitte ich um Verzeihung, hier auch skeptische Gedanken einfließen zu lassen. Ich halte das in diesem Zusammenhang aber für legitim, denn die Wahrscheinlichkeit, dass Bildungspraktiker aktiv in ein neues und vor allem aufwändiges Entwicklungsgebiet einsteigen hängt nicht unerheblich davon ab, wie sie hier im Vorfeld mit ihren Fragen, Zweifeln, Hemmnissen bzw. jenen ihrer Kolleg*innen umgehen. Nach einem Produktions-Stand von fast 100 Erklärvideos will ich allen mitteilen, dass es „unterm Strich“ Spaß macht, diese Clips zu produzieren, dass gegenüber dem Aufwand die Freude überwiegt, dass man

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Herstellung von Erklärvideos

sich und seine Lehre nochmals neu kennenlernt und auch viele Fehler oder Unschlüssigkeiten begradigen kann. Im Rekurs hat dieses neue methodische Element auch mein Lehrgefüge strukturell verändert und dieser Prozess hält an, denn in der Handhabung und Umsetzung dieser veränderten Lehre liegt noch viel Potenzial, welches sich jedoch erst aus den neuen Erfahrungen heraus erschließen lässt. Fest steht, dass sich mit dieser didaktisch-methodischen Implementierung von Erklärvideos auch sukzessive Feldforschung umsetzen lässt. Dann könnte der Folgeband dieses Buchs schon deutlich wissenschaftlicher abgestützt sein. Bis dahin möchte ich alle Kolleg*innen ermuntern, mit Erklärvideos zu experimentieren und ihre eigenen Erfahrungen mit diesem facettenreichen Medium zu sammeln!

3

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Die digitalen Medien haben Lehren und Lernen verändert: Lehrpersonen wollen das Lernen anders inszenieren, möglicherweise effektiver und effizienter, vor allem aber auch attraktiver, interessanter und vielfältiger. Didaktische Erklärvideos sind ein Teil dieser Entwicklung. Neben Lehrenden können dabei auch Schülerinnen und Schüler, Studierende und andere Lernende an der Produktion beteiligt sein. Ralf Tenberg untersucht Erklärvideos unter Einbezug vieler Teilbereiche aus der Schulpädagogik, verschiedener Didaktiken – insbesondere der Me-

ISBN 978-3-515-12837-7

9 783515 128377

diendidaktik, der Hochschuldidaktik und der Technikdidaktik – sowie der Psychologie und der Berufs- und Wirtschaftspädagogik. Sein Fokus liegt auf der Produktion dieser Videos und er vermittelt Ansprüche, Einsatzmöglichkeiten und Rahmenbedingungen didaktischer Clips. Zwei Fallbeispiele dokumentieren unterschiedliche Produktionsabläufe von Erklärvideos. Damit bietet Tenbergs Handbuch eine Hilfestellung für Lehrpersonen an Hochschulen und Schulen, die ihre Lehre oder ihren Unterricht mit digitalen Medien bereichern wollen.

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