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German Pages 247 Year 2010
Deutscher Dialogmarketing Verband e.V. (Hrsg.) Dialogmarketing Perspektiven 2009/2010
GABLER RESEARCH
Deutscher Dialogmarketing Verband e.V. (Hrsg.)
Dialogmarketing Perspektiven 2009/2010 Tagungsband 4. wissenschaftlicher interdisziplinärer Kongress für Dialogmarketing
RESEARCH
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1. Aulage 2010 Alle Rechte vorbehalten © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Stefanie Brich Redaktion: Bettina Höfner Gabler Verlag ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-2280-9
Editorial
Austausch mit Lehre und Forschung wird gelebt! Zwei Drittel der Hochschulen mit vertieftem Lehrangebot im Dialogmarketing forschen zumindest gelegentlich, rund 13 Prozent sogar sehr intensiv, so das Ergebnis einer Umfrage des DDV unter Hochschulen vom Sommer 2009.1 Erfreulicherweise findet diese Forschung nicht losgelöst von der Praxis statt: 33 Prozent der Hochschulen beurteilen die Intensität der Kontakte zu Unternehmen als sehr gut, weitere 41 Prozent als gut. Und auch die Kooperationsbereitschaft der Unternehmen wird von 75 Prozent der Hochschulen als sehr gut oder gut bewertet. Innovationsstarke Branchen – und dazu zählt das Dialogmarketing ganz eindeutig – benötigen intensive und praxisnahe Forschung, deshalb hat es sich der Deutsche Dialogmarketing Verband seit vielen Jahren zur Aufgabe gemacht, den Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis zu fördern. Er hat sich vor mehr als zehn Jahren für Hochschulen geöffnet, die kostenlos Mitglied im Verband werden können, um Hochschullehrer und Wissenschaftler in den Dialog der Branche mit einzubeziehen. Zentrale Plattform des Dialogs und Austauschs zwischen Forschung und Praxis ist der wissenschaftliche Kongress des DDV, der bereits seit dem Jahr 2006 stattfindet und sich im Kalender des Verbandes und der Branche etabliert hat. In seiner Konzeption trägt der Kongress einer Besonderheit des „Forschungsgegenstandes Dialogmarketing“ Rechnung: Zahlreiche unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen beschäftigen sich mit Fragestellungen aus dem Dialogmarketing und liefern wertvolle Beiträge. Forschungsergebnisse gibt es aus so unterschiedlichen Fächern wie der Informatik oder Mathematik, der Rechts- oder Politikwissenschaft bis hin zu Volks- und Betriebswirtschaftslehre. Hier spiegelt sich in der Wissenschaft ein wesentliches Merkmal unserer Branche: Erfolgreiches Dialogmarketing lebt stets vom Zusammenspiel mehrerer Komponenten und von der Vernetzung untereinander. Interdisziplinarität ist sowohl für den DDV und das Dialogmarketing als auch für unseren wissenschaftlichen Kongress ein integraler Bestandteil. 1
Dialogmarketing in Lehre und Forschung. Ergebnisse einer Befragung von Hochschullehrern. DDV, Juli 2009.
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Editorial
Am 22. September 2009 fand in Nürnberg der 4. wissenschaftliche interdisziplinäre Kongress für Dialogmarketing statt. Unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Hermann Diller, Emeritus des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Marketing, an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und mit der bewährten Tagungsleitung von Dr. Heinz Dallmer referierten und diskutierten Wissenschaftler und Praktiker einen Tag lang engagiert aktuelle Forschungsergebnisse und Thesen. Ein Schwerpunkt drängte sich im „Superwahljahr 2009“ förmlich auf: Der Einsatz von Dialogmarketing für die politische Kommunikation. Gleich zwei Beiträge beschäftigten sich mit Dialogmarketing im Wahlkampf sowie der „dialogorientierten Regierungskommunikation“. Wie schon in den vergangenen Jahren nahmen die neuen Medien einen breiten Raum ein – kaum verwunderlich, ist dies doch das derzeit innovativste Segment im Dialogmarketing und aufgrund der rasanten Entwicklungen auch für die Forschung spannend. Beiträge zu Mobile Marketing und Synergien zwischen On- und Offline-Medien waren hier die Vortragstitel. Einen dritten Schwerpunkt der Tagung bildete das Thema Kampagnemanagement, auch dieses Thema wurde von zwei Vortragenden aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Alle Vorträge dieses spannenden Tages finden sich im vorliegenden Tagungsband vereint, in bereits guter Tradition ergänzt um weitere Fachbeiträge. Wie stets bei Veranstaltungen wie unserem wissenschaftlichen Symposium – viele haben zu seinem Gelingen beigetragen. Im Namen aller Mitglieder des DDV und stellvertretend für die Kongressteilnehmer sowie für die Leser dieses Tagungsbandes möchte ich mich ganz herzlich bedanken: Bei Prof. Dr. Herrmann Diller für den fundierten wissenschaftlichen Input, bei Dr. Heinz Dallmer für die engagierte und kenntnisreiche Moderation, bei den Referenten und Autoren für die Tatsache, dass sie uns an ihren Erkenntnissen und Forschungen partizipieren lassen. Darüber hinaus gilt unser Dank den zahlreiche Unternehmen und Organisationen, die mit einem großzügigen Sponsoring die Veranstaltung und die Realisierung dieses Tagungsbandes ermöglichen: Acxiom Deutschland GmbH, AZ Direct GmbH, g k k DialogGroup GmbH, Initiative Pro Dialog, Jahns and Friends Agentur für Dialogmarketing und Werbung AG, Printus GmbH, SAS Institute GmbH, Schober Information Group, Siegfried Vögele Institut GmbH. Partner waren darüber hinaus der BVDW Bundesverband Digitale Wirtschaft, die marketingBÖRSE sowie die Zeitschriften Absatzwirtschaft, Horizont und Onetoone.
Editorial
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Der 5. wissenschaftliche interdisziplinäre Kongress, der im Herbst 2010 stattfindet, wird den Austausch weiter fortsetzen. Wir würden uns freuen, Sie dort begrüßen zu dürfen!
Martin Nitsche, DDV-Vizepräsident Bildung und Forschung
Kontakt: Martin Nitsche Vizepräsident Deutscher Dialogmarketing Verband e.V. Hasengartenstraße 14 65189 Wiesbaden E-Mail: [email protected]
Inhaltsverzeichnis
Editorial ....................................................................................................................... 5 Wahlkampf im Superwahljahr – Von der Klassik zum Dialog? ................................ 11 Maik Bohne Dialogorientierte Regierungskommunikation ........................................................... 39 Jana Heinze / Helmut Schneider Mobile Marketing – Dialog mit Zukunft................................................................... 57 Maria Christina Koch / Gabi Theuner Synergien im Rahmen integrierter Kommunikation – Modellierung, Analyse und empirische Ergebnisse................................................... 73 Kay Peters Dialogmarketing unter den Vorzeichen des geänderten Konsumentenverhaltens............................................................................................. 89 Raimund Lenz Automatisierung von Kundenmanagementprozessen in der Dienstleistungsbranche ............................................................................................ 149 Christian Oswald Einsatz und Nutzung von Kampagnenmanagement im Rahmen von Vertriebs- und Marketingstrategien in deutschen Unternehmen ...................... 177 Heinrich Holland / Sükran Köroglu Entscheidungsorientierte Social Media Optimization – Ein integrativer Planungsansatz............................................................................... 223 Michael H. Ceyp / Heiko Rohde
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Inhaltsverzeichnis
Der Alfred Gerardi Gedächtnispreis 2009............................................................... 245 Dank an die Sponsoren............................................................................................ 249
Wahlkampf im Superwahljahr – Von der Klassik zum Dialog? Maik Bohne
Management Summary Im Vorfeld des Superwahljahres erklärten die Kampagnenleiter der Parteien, stärker als zuvor auf dialogorientierte Kommunikation setzen zu wollen. Der Artikel analysiert, ob sich der Wahlkampf realiter von klassischen Werbeformen wie Plakaten und Anzeigen hin zu mehr Dialogkommunikation in Form von Brief, Telefon, Canvassing und Online entwickelt hat. Das Fazit: Der Wahlkampf in Deutschland ist dialogorientierter geworden, zeigt aber noch weiteres Entwicklungspotenzial. Zu den bestimmenden Dialogkanälen haben sich Brief und Internet entwickelt.
1.
Einleitung
„Yes we can!“ – dieser Slogan wurde 2008 zum Inbegriff eines erfolgreichen, basisorientierten Wahlkampfs. Experten aller Parteien schauten auf den Erfolg der Dialog- und Mitmach-Kampagne von Barack Obama. Natürlich ließ sich der USamerikanische Wahlkampf nicht direkt auf Deutschland übertragen. Aber dennoch wollte man etwas von Barack Obama lernen: die Bürger ernst nehmen, die Wähler
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stärker in die eigene Kampagne einbeziehen und die neuen Technologien des Web 2.0 für den Erfolg am Wahltag nutzen. Kurz: Im Wahlkampf auf Dialog setzen.1 Nach der Bundestagswahl kann jetzt ein Resümee gezogen werden. Haben die Parteien es vermocht, die Wähler direkter anzusprechen? Konnten Sie stärker als zuvor mit ihnen in einen Dialog treten und sie in die Kampagnen einbeziehen? Hat ein Wandel von klassischer hin zu dialogorientierter Wahlkampfkommunikation stattgefunden? Welche Partei wie, wann und in welchem Umfang Dialogstrategien im Bundestagswahlkampf eingesetzt hat, soll im Rahmen dieses Beitrages näher analysiert werden. In semi-strukturierten Experteninterviews mit Verantwortlichen2 von CDU, SPD, FDP, Bündnis 90/Die Grünen und die LINKE wurde erkundet, wie Dialogkommunikation im Wahlkampf eingesetzt wurde. Analysen und Zahlen aus Sekundärquellen wurden ergänzt und bilden so die erste umfassende Bestandsaufnahme der Dialogorientierung im Bundestagswahlkampf 2009. Um den Beitrag übersichtlicher zu gestalten, ist er nach den einzelnen Dialoginstrumenten gegliedert. Nach einer einleitenden Betrachtung der Möglichkeiten und Strategien moderner Dialogkommunikation und ihrer Verbreitung im deutschen Wahlkampf folgen die Instrumente Direct Mail und Internet. Kapitel über die Dialogkanäle Telefon/SMS und Face-to-Face-Kontakte zum Wähler – das sogenannte Canvassing – schließen sich an. Ein Fazit fasst die Erkenntnisse zusammen und gibt Hinweise auf mögliche Entwicklungsmöglichkeiten der Dialogkommunikation in deutschen Wahlkämpfen.
1
2
Siehe u. a.: Schmitz, G. P.: Von Obama lernen: Die Angst deutscher Wahlkämpfer vor dem „Yes, We Can“, in: Spiegel Online vom 31. Januar 2009: http://www.spiegel.de/politik/deutschland /0,1518,604633,00.html; Schneider, J.: Gruscheln wie Obama, in: Tagesspiegel vom 4. Mai 2009, S. 5 oder auch: Bertelsmann Stiftung (Hg.): Lernen von Obama? Das Internet als Ressource und Risiko für die Politik, Gütersloh: Bertelsmann, 2009; Plehwe, Kerstin (mit Maik Bohne): Von der Botschaft zur Bewegung. Die 10 Erfolgsstrategien des Barack Obama, Hamburg: Hanseatic Lighthouse, 2008. Interviews wurden geführt mit: Dr. Stefan Hennewig, Leiter Bereich Internes Management, CDU; Svenja Hinrichs, Leiterin Kampagnen und Kommunikation, SPD; Hans-Jürgen Beerfeltz, Bundesgeschäftsführer, FDP; Robert Heinrich, Leiter Öffentlichkeitsarbeit, Bündnis 90/Die Grünen; Mark Seibert, Bereich Öffentlichkeitsarbeit/Wahlen, Die LINKE.
Wahlkampf im Superwahljahr
2.
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Dialogkommunikation im Bundestagswahlkampf 2009
Der Wahlkampf in Deutschland befindet sich in einem grundlegenden Wandlungsprozess. Individualisierung und Fragmentierung der Gesellschaft bewirken abnehmende Stammwählerzahlen, weniger Parteimitglieder und eine sinkende Reichweite klassischer Massenmedien. In diesem Kontext fällt es den Parteien zunehmend schwerer, Wähler umfassend mit ihren Botschaften zu erreichen und für die Wahl zu mobilisieren.3 Negativrekorde bei der Wahlbeteiligung und eine um sich greifende Parteien- und Politikerverdrossenheit sind Folgen dieser Entwicklung. Der erfolgreiche Wahlkampf von US-Präsident Obama hat gezeigt, dass breitere Dialog- und Beteiligungsmöglichkeiten zu mehr Engagement an der Basis führen können. Dieses Engagement kann eine Partei revitalisieren und ihre Stellung in der Gesellschaft stärken. Natürlich ist die Übertragbarkeit von US-Wahlkampfstrategien auf Deutschland eingeschränkt – allein schon aufgrund unterschiedlicher Parteienund Wahlsysteme sowie der weniger kampagnenaffinen politischen Kultur.4 Dennoch zeigen auch in Deutschland die Instrumente für den direkten Dialog großes Potenzial für die Mobilisierung von Wählern und Unterstützern.5 Und so ist es nicht verwunderlich, dass die Strategen in den Parteizentralen zunehmend auf Dialog setzen. Ein genauerer Blick auf die Kommunikationsbudgets der politischen Parteien zeigt, dass in der Tat ein Veränderungsprozess eingesetzt hat – 3
4
5
Vgl. u. a.: Marcinkowski, F./Pfetsch, B. (Hg.): Politik in der Mediendemokratie, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2009; Walter, F.: Baustelle Deutschland: Politik ohne Lagerbindung, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2008; Wolling, Jens: Politikverdrossenheit durch Massenmedien? Der Einfluss der Medien auf die Einstellungen der Bürger zur Politik, Opladen: Westdeutscher Verlag, 1999. Vgl. u. a. Jackob, N. (Hg.): Wahlkämpfe in Deutschland: Fallstudien zur Wahlkampfkommunikation 1912 - 2005, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2007; Wagner, J. W.: Deutsche Wahlwerbekampagnen made in USA?: Amerikanisierung oder Modernisierung bundesrepublikanischer Wahlkampagnen, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2005; Holtz-Bacha, C. (2003): Kampagnen politischer Kommunikation. Zur Internationalisierung und Konvergenz moderner Medienwahlkämpfe, in: Esser, F./Pfetsch, B. (Hg.): Politische Kommunikation im internationalen Vergleich: Grundlagen, Anwendungen, Perspektiven, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, S. 250; Müller, A.: Von der Parteiendemokratie zur Mediendemokratie: Beobachtungen zum Bundestagswahlkampf 1998 im Spiegel früherer Erfahrungen, Opladen: Leske + Budrich, 1999. Vgl. u. a. Römmele, A.: Direkte Kommunikation zwischen Parteien und Wählern: Professionalisierte Wahlkampftechnologien in den USA und in der BRD, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, 2002.
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weg von klassischer Kommunikation wie Plakaten oder TV- und Anzeigenwerbung hin zu einer fundierten Dialogkommunikation mit Briefen, Canvassing und Internet. So bringt etwa die SPD-Parteizentrale einen stets wachsenden Etat für dialogorientierte Kommunikation auf. Dieser separate Etat hatte 2009 einen Anteil von mehr als 20 Prozent am Gesamtvolumen für Kommunikation. Auch bei der CDU und Bündnis 90/Die Grünen steigen seit 2002 die Ausgaben für Dialogkommunikation. Führend in dieser Kategorie ist jedoch die FDP. Nach Angaben ihres Bundesgeschäftsführers Hans-Jürgen Beerfeltz stellte die Parteizentrale der Liberalen mehr als die Hälfte ihres Kommunikationsbudgets für Dialogkommunikation mit dem Wähler zur Verfügung. Aber die Entwicklung hin zu mehr Dialogkommunikation im Wahlkampf ist nicht unumstritten. In den Parteien gibt es zum Teil Widerstand gegen diese Neuausrichtung. Und dies aus zwei wesentlichen Gründen. Zum einen geht es um budgetäre Hoheiten. Oft möchten Teile der mittleren Führungsebenen in ihrem Wahlkreis keine Kürzungen der klassischen Kommunikationsbudgets zugunsten des zentral auf Bundesebene gesteuerten Online- oder Direct-Mail-Wahlkampfes hinnehmen. Zum anderen gibt es weiterhin große kulturelle Vorbehalte in den Parteien gegenüber neuen dialogorientierten Kampagnenstrategien, die nicht nur einen Mehraufwand an Kommunikation bedeuten, sondern den Bürgern größere Möglichkeiten des Feedbacks ermöglichen. Trotz dieser Hindernisse nahmen alle im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien für den Bundestagswahlkampf 2009 in Anspruch, ihren Einsatz von dialogfördernden Kommunikationsinstrumenten gegenüber den Wahlen 2002 und 2005 verstärkt zu haben. Eine genauere Analyse der Wahlkampfstrategien in Deutschland offenbart allerdings, dass die strategische und systematische Einbindung von Dialoginstrumenten im Wahlkampf noch ungenutztes Potenzial hat.
3.
Direct Mail – Wahlkampfkommunikation per Brief
Auch in Zeiten von Facebook und Twitter besitzt der Brief eine wichtige Rolle im Wahlkampf. Die Entwicklung eines persönlicheren und direkteren Wahlkampfs – weg von der traditionellen Massenkommunikation – lässt sich gut an den Zahlen der
Wahlkampf im Superwahljahr
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Nutzung von Direct Mail ablesen. So gaben die Parteien laut Nielsen6 ca. 27 Prozent der erfassten Bruttowerbespendings7 im Rahmen des Wahlkampfes (Monate: August bis September 2009) für Direct Mail aus. Insgesamt wurden in diesem Zeitraum über 116 Millionen Wahlkampf-Mailings verschickt, der Großteil hierbei von den sechs im Bundestag vertretenen Parteien (siehe Abbildungen 2 und 3). Schwerpunktmäßig verschickten die Parteien im Bundestagswahlkampf 2009 unadressierte Postwurfsendungen und teiladressierte Briefsendungen. Dabei wurde deutlich, dass die Wahlkämpfer die Möglichkeiten der adressgenauen Zielgruppenbestimmung (Targeting) nur sehr bedingt nutzten. Tatsächlich scheinen die Vorteile des Targetings – also Menschen mit individualisierten Botschaften lebensnäher anzusprechen – zwar bekannt, aber nicht in vollem Umfang gewollt zu sein. Grundsätzlich galt beim Einsatz von Direct Mail: Das Gros der Briefe wurde nicht von der Bundesebene aus versendet, sondern in den einzelnen Wahlkreisen an der Basis. Dies geschah zumeist in Form von persönlichen Briefen der Kandidaten, zum Beispiel an Erst- und Jungwähler, deren Daten die Wahlkämpfer vor Ort von den lokalen Meldeämtern erfragen konnten. Die Bundesparteien beschränkten sich größtenteils darauf, ihren Untergliederungen und Kandidaten Entwürfe für diese Briefe bereitzustellen, die dann individuell an den jeweiligen Wahlkreis angepasst werden konnten.
CDU Die Unionsparteien gaben laut Nielsen ca. 3,3 Millionen Euro für Direct Mail in der heißen Phase des Bundestagswahlkampfes (August/September 2009) aus. Auf Bundesebene fokussierte sich die CDU auf zwei bundesweite Briefaktionen. In den letzten Tagen vor der Wahl richtete sich die Parteizentrale etwa mit einem Brief an CDU-affine Wähler über dem 60. Lebensjahr und bat darin um Unterstützung für Angela Merkel. In den Ballungsräumen Deutschlands nutzten die Wahlkämpfer aus dem KonradAdenauer-Haus darüber hinaus die Postwurfsendung „EinkaufAktuell“, um potenzielle Wähler zu erreichen: Einen Tag vor der Bundestagswahl erhielten über 17 Millionen Haushalte die kostenlose Werbebeilage der Deutschen Post DHL, auf deren Titel- und Inhaltsseite die Kanzlerin um Unterstützung warb (siehe Abbildung 1).
6 7
Nielsen Media Research. Radio- und TV-Wahlwerbespots außerhalb von Werbeblocks wurden nicht erfasst.
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Abbildung 1:
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Einkauf aktuell vom 26. September 2009 (Deutsche Post DHL)
SPD Die SPD verschickte im Zeitraum von Anfang August bis Ende September laut Nielsen insgesamt 42,9 Millionen Mailings im Wert von etwa drei Millionen Euro. Im Bund konzentrierte sie sich allerdings auf einen einzigen Brief kurz nach dem TV-Duell der beiden Spitzenkandidaten. Absender war Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier (SPD). Dieser Mobilisierungsbrief wurde ca. 24 Millionen Haushalten als unadressierte Wurfsendung zugestellt.
Wahlkampf im Superwahljahr
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Auch zu Fundraising-Zwecken setzte die Bundes-SPD auf den Brief. Anstelle des Schatzmeisters erfolgte die Ansprache der Mitglieder im Wahljahr aber in Form von persönlichen Briefen des Spitzenkandidaten Frank-Walter Steinmeier und des Vorsitzenden Franz Müntefering. Nach Parteiangaben führte die Neueinführung der direkten Ansprache durch die Führungsebene zu einem gestiegenen Spendenaufkommen unter den Parteimitgliedern.
FDP Die Bundes-FDP setzte in ihrem Wahlkampf ganz entschieden auf das Instrument Direct Mail. Eine breit angelegte Ansprache erfolgte über 4,2 Millionen Postkarten („Plakat für den Briefkasten“), die flächendeckend in Deutschland verschickt wurden. Mehrere kleinere Mailings mit einer Stückzahl von bis zu 600 000 Exemplaren wurden von der Bundespartei zusätzlich in Kooperation mit den Landesverbänden versandt. Diese Briefaktionen richteten sich an bestimmte Gesellschaftsgruppen, deren Adressen durch ein lebensstilbezogenes Targeting gewonnen wurden. Hauptadressaten der Briefe waren hedonistische und klassisch-bürgerliche Wählermilieus. Dadurch konnte die Partei mit sehr individuell zugeschnittenen Botschaften arbeiten. Nahezu alle Direct Mailings beinhalteten Response-Möglichkeiten, die laut Bundesgeschäftsführer Hans-Jürgen Beerfeltz gut genutzt worden sind – vor allem per FaxRückantwort.
Bündnis 90/Die Grünen Die Grünen gaben in der heißen Phase des Wahlkampfes im August und September laut Nielsen lediglich 0,4 Millionen Euro für den Versand von Direct Mail aus. Auf Bundesebene verzichtete die Partei vollständig auf den Einsatz des Briefes als Werbemittel. Der parteiinterne Grundsatz, keine externen Datensätze für Wahlkampfpost zu benutzen, ließen die Wahlkampfstrategen in Berlin genauso von einer flächendeckenden Einbindung von Briefen absehen wie budgetäre Gründe. Die Bundespartei beschränkte sich zum einen darauf, den Kreisverbänden und Wahlkreiskandidaten Entwürfe für Erstwählerbriefe zur Verfügung zu stellen. Zum anderen stellte sie ihren Unterstützern auf gruene.de verschiedene Musterbriefe an 16 ausgewählte Zielgruppen bereit, die individuell heruntergeladen und an Bekannte und Freunde verschickt werden konnten. Insgesamt sind die Grünen aber die Partei, die am wenigsten auf das Potenzial von Briefen und Postkarten im Wahlkampf gesetzt hat.
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Maik Bohne
LINKE Auch die LINKE nutzte die Chancen des Briefs für die Erstansprache potenzieller Wähler. Die Bundesgeschäftsstelle der Partei verschickte drei Mailings. Insgesamt gingen im Zeitraum von Anfang August bis Ende September laut Nielsen rund 10,9 Millionen Sendungen in Form unadressierter Postwurfsendungen an Haushalte in ausgewählten Wahlkreisen. Dabei verzichtete die LINKE auf Targeting oder den Zukauf von Adressen.
CDU/ CSU
SPD
FDP
LI NKE
GRÜNE
Abbildung 2:
Anzahl von Direct Mailings im Wahlkapf (08.-09.2009) (Nielsen Media Research, ausgewählte Parteien, Direct Mail nach Anzahl, August/September 2009)
Wahlkampf im Superwahljahr
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CDU/ CSU
SPD
FDP
LI NKE
GRÜNE
Abbildung 3:
4.
Ausgaben für Direct Mail im Wahlkampf in € (08.-09.2009) (Nielsen Media Research, ausgewählte Parteien, Bruttowerbespendings Direct Mail, August/ September 2009)
Das Internet – Neue Wege in der Dialogkommunikation
Vor dem Hintergrund der erfolgreichen internetbasierten Kampagne von USPräsident Barack Obama wurden die Parteien in ihrer strategischen Nutzung der Online-Kommunikation in diesem Wahljahr streng von den Medien beäugt. Ihr Auftritt im Web 2.0 wurde zum Maßstab für ihre Innovationsfähigkeit erklärt.8 Ohne Zweifel nutzten die Parteien das Internet im Bundestagswahlkampf 2009 intensiv. Zum einen modernisierten und intensivierten sie bereits etablierte OnlineKanäle wie Websites und E-Mail. Zum anderen nutzten die Wahlkampfprofis das Superwahljahr als Experimentierfeld für neuartige Formen der onlinebasierten 8
Paulsen, N.: Parteien im Netz, verfügbar unter: Welt Online: http://www.welt.de/webwelt/ article4095278/CSU-macht-den-schlechtesten-Web-Wahlkampf.html vom 10. Juli 2009 (Zugriff: 23. Oktober 2009); N. N.: Vorbild Obama: Vom Internet auf die Straße, Deutsche Presse-Agentur vom 20. Juli 2009; Pohlmann, S./Sagatz, K.: Weg vom Spießer-Image, in: Tagesspiegel vom 29. September 2009, S. 35.
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Kommunikation. Sie waren auf sozialen Netzwerkseiten wie Facebook oder studiVZ/meinVZ unterwegs; sie produzierten eigene Online-Videos für die Kommunikation auf YouTube; sie nutzten moderne Formen des Community-Buildings und entdeckten neue Wege der Spenderansprache. Das Wissen und die technische Infrastruktur waren mithin vorhanden, um das Potenzial des Internets auszuschöpfen. Der durchschlagende Erfolg der neuen digitalen Dialoginstrumente trat in Deutschland 2009 jedoch nicht ein. Insgesamt blieben die Nutzerzahlen und Aktivitätsraten überschaubar. Nach der Einschätzung von Experten wurde der Wahlkampf im Bereich der Online-Kommunikation deshalb als Kampagne des Übergangs wahrgenommen, deren volles Potenzial sich wahrscheinlich erst im Bundestagswahlkampf 2013 entfalten wird.9 Dennoch konnten auch im Wahljahr 2009 neue Wege in der Dialogkommunikation über das Internet beobachtet werden.
4.1
E-Mail
Dialog im Internet kann über mehrere Kanäle erfolgen. Das etablierteste Instrument der Online-Kommunikation ist aber weiterhin die E-Mail. Ihr besonderer Vorteil liegt neben ihrer hohen Geschwindigkeit und der Personalisierung ihrer Ansprache vor allem in ihrer Transparenz und Auswertbarkeit. Nach einigen Experimenten in früheren Wahlkämpfen beschränkt sich die Kommunikation per E-Mail jedoch inzwischen vornehmlich auf die interne Kommunikation mit Mitgliedern und Unterstützern. In der externen Kommunikation mit Wählern werden E-Mails nur bedingt eingesetzt. Diese Tatsache korreliert mit Ergebnissen aus einer Studie der Initiative PRO DIALOG zur Wahlkampfkommunikation im Superwahljahr. Sie fand heraus, dass lediglich zehn Prozent der wahlberechtigten Deutschen gerne direkt per E-Mail von den Parteien angesprochen werden möchten.10
9
Vgl. Meyer, M.: Von Facebook bis Twitter. Wie die Parteien im Bundestagswahlkampf auf das Internet setzen, verfügbar unter: http://www.dradio.de/dlf/sendungen/hintergrundpolitik/ 1035114 vom 16.09.2009 (Zugriff: 23. Oktober 2009). 10 Vgl. Initiative ProDialog: Mediennutzung und Wahlkampfkommunikation im Superwahljahr 2009, verfügbar unter: http://www.prodialog.org/content/dialogwissen#studien.
Wahlkampf im Superwahljahr
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CDU In der Wahlkampfzentrale der CDU verzichtete man 2009 auf den Zukauf externer E-Mail-Adressen. Die niedrigen Erfolgsquoten von zugekauften Adressen der zurückliegenden Wahlen 2002 und 2005 haben diese Entscheidung bewirkt. Ein EMail-Newsletter ging im Durchschnitt einmal wöchentlich an alle registrierten Unterstützer des „Team Angela Merkel“ (teAM Deutschland) heraus. In den letzten drei Monaten vor der Wahl wurde die Frequenz auf einen Drei-Tage-Rhythmus erhöht. Die Inhalte der E-Mails waren sehr unterschiedlich. Mehrheitlich wurden Aufrufe zu individuellen Wahlkampfaktionen der Unterstützer verschickt, wie zum Beispiel der Hinweis, Hauspartys im Freundeskreis rund um das Fernsehduell zwischen Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier zu organisieren oder einen Nachmittag mit Senioren im Altersheim zu verbringen. Darüber hinaus verschickte die CDU Informationen über die Kampagne – inklusive Videos von Angela Merkel – und Einladungen zu ortsnahen Veranstaltungen. Auch zielgruppenorientierte E-Mail-Aktionen auf der Basis ihrer Verteiler wurden von der CDU lanciert. Zum Schulstart verschickte die Bundesgeschäftsstelle eine EMail an Eltern mit einem angehängten Flugblatt zum Ausdrucken, in der sie um Unterschriften gegen die Bildungspolitik der Sozialdemokraten warb.
SPD Die Bundes-SPD experimentierte sehr stark mit der Anzahl der E-Mails, die sie an Parteimitglieder und registrierte Unterstützer schickte. Im Vorfeld der Europawahl testeten die Sozialdemokraten eine höhere Frequenz von aktivierenden E-Mails. Diese stieß jedoch bei Unterstützern auf wenig Gegenliebe. Im Bundestagswahlkampf entschleunigte sich die elektronische Kommunikation. Im Schnitt versendete die Parteizentrale eine E-Mail pro Woche. Nur in der letzten heißen Phase – also kurz vor dem Wahltag – steigerte sich die Anzahl der elektronischen Nachrichten wieder. Darin enthalten waren Informationen und Termine zum Wahlkampf, aber auch Aufrufe, um als Unterstützer selbst aktiv zu werden. Auf die breitflächigere E-Mail-Kommunikation mit Wählern verzichtete die SPD in diesem Wahlkampf. Sie kaufte keine Adressen von externen Dienstleistern an.
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FDP Als technische Innovation im Bundestagswahlkampf 2009 führte die Bundesgeschäftsstelle der FDP den individualisierten Newsletter ein. Darüber war es möglich, regelmäßig Informationen per E-Mail zu erhalten, die auf die eigenen Interessen zugeschnitten waren. Mit diesem Angebot reagierte die Bundespartei auf die zunehmende Bedeutung zielgruppenorientierter Ansprache. In der Wahlkampf-Community „mit mach arena“ registrierte Unterstützer erhielten eine wohldosierte Frequenz von E-Mails, die sich erst in der heißen Phase des Wahlkampfes erhöhte und zumeist „kleine Wahlkampfideen zum Nachmachen“ beinhaltete, wie das Verschicken von YouTube-Spots oder das Schreiben eines Leserbriefes an die heimische Zeitung. Kurz vor der Wahl verschickte die Bundes-FDP als einzige Partei E-Mails an extern zugekaufte E-Mail-Adressen. Insgesamt ca. 3,5 Millionen Wähler erhielten einen persönlichen Wahlaufruf des Spitzenkandidaten Guido Westerwelle.
Bündnis 90/Die Grünen Auch Bündnis 90/Die Grünen verzichteten im Bereich der E-Mail – entsprechend ihrer politischen Überzeugung – auf den Einsatz externer Adressbestände. In erster Linie nutzten die grünen Wahlkämpfer das Instrument für die Kommunikation mit Parteimitgliedern und Unterstützern. Personen, die sich auf der Wahlkampf-Website angemeldet hatten, erhielten regelmäßig E-Mails – gegen Ende des Wahlkampfs bis zu drei Mal pro Woche. Dabei waren die Grünen die Konsequentesten, was die Aktivierung ihrer Unterstützer für eigene Wahlkampfaktionen vor Ort anging. Immer wieder rief die Parteizentrale die Mitglieder per E-Mail zu Aktionen wie dem Wechseln des Stromanbieters oder der „Begrünung“ der eigenen Stadt auf.
LINKE Nach Angaben der Bundesgeschäftsstelle der LINKEN wurde Dialogkommunikation via E-Mail im Bundestagswahlkampf 2009 – wie beim Gros der anderen Parteien auch – maßgeblich zur internen Koordination und Aktivierung von Unterstützern eingesetzt.
Wahlkampf im Superwahljahr
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Trends auf den Kampagnen-Websites
Alle Parteien modernisierten ihre Websites vor der Bundestagswahl 2009. In der Regel ergänzten sie ihre Internetauftritte mit eigenen Wahlkampfplattformen, die getrennt von den bereits bestehenden E-Communitys der Parteien existierten. Der Aufbau dieser wahlkampfspezifischen Plattformen mit Namen wie „Wahlkampf 09“ (SPD), „mit mach arena“ (FDP) oder „Meine Kampagne“ (Grüne) sollte den Austausch und die Aktivierung der eigenen Unterstützer erleichtern. Das Vorbild für diese Seiten war my.barackobama.com – die Wahlkampf-Community von Barack Obama. Nach einer Anmeldung standen den Benutzern Möglichkeiten zur Verfügung, eigene Aktionen zu starten oder sich mit Gleichgesinnten zu vernetzen. Der Erfolg dieser Plattformen war allerdings überschaubar. Es engagierte sich nur eine eingeschränkte Zahl von Sympathisanten aus dem parteieigenen Umfeld, sodass die Nutzerzahlen im – zumeist niedrigen – fünfstelligen Bereich verharrten (siehe Tabelle 1).
CDU: teAM Deutschland11 Zur Bundestagswahl 2009 erweiterte die Bundes-CDU ihren Online-Auftritt erheblich. Der Web-Wahlkampf konzentrierte sich in besonderem Maße auf die Integration der sozialen Netzwerke. Die Kampagnenseite www.team2009.de diente der Partei als zentrale Anlaufstelle. Bis September 2009 registrierten sich auf der Seite ca. 28 000 Unterstützer. Nach Angaben der Parteizentrale befanden sich 6 000 unter ihnen, die kein Partei- oder JU-Mitglied waren – also ca. ein Fünftel.
SPD: Wahlkampf 0912 Mit der Seite www.wahlkampf09.de präsentierte die Bundes-SPD Anfang 2009 eine völlig neue Kampagnenplattform. Eine Umstrukturierung der bestehenden SPDCommunity www.meinespd.net hätte einen zu großen technischen Aufwand bedeutet. Da die Wahlkampfstrategen wegen des nahenden Wahlkampfes unter Zeitdruck standen, entschied man sich für die Programmierung einer neuen Seite. Die neue Kampagnenplattform der SPD verstand sich in ihrer Ausrichtung als Sprungbrett der 11 12
http://www.team2009.de (Zugriff: 23. Oktober 2009) http://www.wahlkampf09.de (Zugriff: 23. Oktober 2009)
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Maik Bohne
Partei im Internet und in den sozialen Netzwerken. Während des Wahlkampfes registrierten sich ca. 20 000 Unterstützer im Mitgliederbereich.
FDP: mit mach arena13 Auf der Plattform www.mitmachen.fdp.de (siehe Abbildung 4) konnte die FDP mit ca. 45 000 registrierten Unterstützern die größte User-Zahl generieren. Dieser Erfolg ist in erster Linie dem langfristig angelegten Engagement der Bundespartei im Bereich der Online-Mobilisierung zu verdanken. Mit „myFDP“ war sie bereits lange vor dem Bundestagswahlkampf im Internet aktiv. Dieses Kommunikationsangebot diente primär als Diskussionsforum für Mitglieder der Partei. Auf diesen Grundstock konnte die FDP für das Kampagnenangebot „mit mach arena“ zurückgreifen und startete mit einer hohen Unterstützerzahl in den Bundestagswahlkampf.
Abbildung 4:
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Screenshot der FDP-Wahlkampfplattform „mit mach arena“ (www.mitmachen.fdp.de)
http://mitmachen.fdp.de (Zugriff: 23. Oktober2009)
Wahlkampf im Superwahljahr
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Bündnis 90/Die Grünen: „Meine Kampagne“14 Die Website der Grünen hob sich in besonderem Maße durch ihre Gestaltung von den anderen Seiten ab. Ein neuartiges Konzept der Themenanordnung sollte die Besucher stärker führen. Dabei legten die Wahlkämpfer der Grünen den Fokus sehr stark auf visuell aufbereitete Informationen. Zusätzlich gab es im Bereich „Meine Kampagne“ zahlreiche Mitmach-Angebote für die eigenen Unterstützer. In der Tat waren die Grünen am konsequentesten und kreativsten, was die Verknüpfung von Online- und Offline-Aktivierung ihrer Freiwilligen anging. Immer wieder achteten sie darauf, dass der Enthusiasmus der Unterstützer sich nicht im virtuellen Raum verlor, sondern aktiv auf die Straße gebracht wurde. So zum Beispiel mit Aufrufen zu Anti-Atom-Demonstrationen oder der Teilnahme an der „Grünen Minute“, die man sich nehmen sollte, um Freunde und Bekannte zur Wahl der Grünen zu ermuntern.
LINKE: Linksaktiv15 „Linksaktiv“ hieß die Wahlkampfplattform der LINKEN. Mit dieser Seite bot die Bundespartei eine Community für alle Mitglieder und Unterstützer linker Politik an. In einem geschützten Mitgliederbereich konnten Freiwillige miteinander in Kontakt treten, sich vernetzen und gemeinsame Wahlkampfaktionen planen. Über Nutzerzahlen wurden von der Bundesgeschäftsstelle leider keine Angaben gemacht. Tabelle 1:
14 15
Wahlkampfplattformen der Parteien (vgl. wahl.de (Zugriff: 30. Oktober 2009))
http://www.gruene.de (Zugriff: 23. Oktober 2009) http://www.linksaktiv.de (Zugriff: 23. Oktober 2009)
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4.3
Maik Bohne
Soziale Netzwerke: Ihre Rolle für den direkten Dialog
Die größte Innovation des Wahlkampfjahres 2009 ist zweifelsfrei die breite Nutzung sozialer Netzwerke wie studiVZ/meinVZ oder Facebook durch Politiker und Parteien. Waren sie im Wahlkampf 2005 noch ein absolutes Randphänomen, so traten sie mit dem Wahlkampf von Barack Obama auf die politische Bühne. Das Maß an Aktivismus, das „Obama for America“ im Web 2.0 – dem sozialen Internet – auslösen konnte, weckte großes Interesse in Deutschland.
Im Wahljahr 2009 standen vor allem die mitgliederstarken Netzwerke der VZGruppe (studiVZ, meinVZ) und Facebook im Mittelpunkt des Interesses. Auf Personen- und Parteiprofilen wurde um die Gunst der Wähler geworben und versucht, sie als „Fans“ oder „Freunde“ zu Dialogpartnern und Multiplikatoren zu machen. Trotz der großen Vorteile darf die Reichweite der sozialen Netzwerke im Bundestagswahlkampf 2009 allerdings nicht überschätzt werden. Die Allensbacher Computer- und Technikanalyse 2009 (ACTA) zeigte kürzlich: Auch wenn die Nutzung dieser Dienste im letzten Jahr um 51 Prozent gestiegen ist, bleibt sie im Vergleich zu anderen Kanälen mit 23 Prozent Nutzeranteil in den Altersgruppen zwischen 14 und 64 Jahren gering.16 Soziale Netzwerke bieten durch ihre Möglichkeit zur Kommentierung eine neue Form des direkten Dialogs. Die Kommentarfunktionen sind in der Tat ein guter Einstieg für einen qualitativen Dialog mit dem Wähler. Das Problem ist jedoch, dass die Kommunikation im Web 2.0 äußerst ressourcenaufwendig für Parteien und Kandidaten ist. Zudem muss sich der Inhaber eines Profils darüber im Klaren sein, dass diese Form der direkten Kommunikation in einer Teilöffentlichkeit stattfindet und kaum große Reichweiten erzeugt. Das Entwicklungspotenzial im Bereich der sozialen Netzwerke zeigt allerdings ein Blick in die USA. US-Präsident Barack Obama vereint auf seinem Facebook-Profil derzeit ca. 6,8 Millionen Anhänger.17 Dagegen fallen die Unterstützerzahlen deutscher Spitzenpolitiker und Parteien zahlenmäßig eklatant niedriger aus. Bundeskanz16
ACTA 2009 – Allensbacher Computer- und Technik-Analyse: Zentrale Trends der Internetnutzung in den Bereichen Information, Kommunikation und E-Commerce, verfügbar unter: http://www.acta-online.de (Zugriff: 30. Oktober 2009). 17 http://www.facebook.com/barackobama (Zugriff: 30. Oktober 2009)
Wahlkampf im Superwahljahr
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lerin Angela Merkel kann mit ca. 73.000 Fans auf studiVZ/meinVZ die höchste Unterstützerzahl aufweisen, erst mit großem Abstand folgen andere Spitzenpolitiker (siehe Tabellen 2 und 3). Tabelle 2: Politiker auf Web 2.0-Diensten (vgl. wahl.de [Zugriff: 30. Oktober 2009])
Ähnlich sieht die Lage für die Einbindung des Mikroblogging-Dienstes Twitter aus. Benutzer können mit diesem Medium Kurznachrichten (sogenannte „Tweets“) von 140 Zeichen absetzen. Mit Unterstützung einer Antwortfunktion kann man als angemeldeter Nutzer auf diese Kurznachrichten eingehen oder sie über den eigenen Kanal weiterverbreiten. Während des Wahlkampfes stieg die Anzahl der PolitikerAccounts sprunghaft an. Politiker, die bis zum Start des Wahlkampfes wenig webaffin waren, setzten via Twitter erste „Tweets“ ab. Nach der Wahl schien das Gros der neuen Accounts und Profile aber wieder verlassen worden zu sein. Viele der letzten Updates datieren aus den Tagen um die Bundestagswahl.18
18
Krüger, A.: „Ausgetwittert: Schweigen nach der Wahl“, verfügbar unter http://www.heute.de/ ZDFheute/inhalt/1/0,3672,7913729,00.html (Zugriff: 23. Oktober 2009).
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Maik Bohne
Viele Politiker, die sich Anfang September 2009 als begeisterte Nutzer der neuen sozialen Kommunikationsformen zeigten, haben das Neuland also wieder verlassen. Weiterhin existiert nur eine Minderheit, die sich ernsthafter mit den neuen Instrumenten der Dialogkommunikation auseinandergesetzt hat. Diese Ausnahmen können keiner bestimmten Partei zugeordnet werden. In den kommenden Monaten wird sich zeigen, welche politische Partei die Potenziale der neuen Kommunikationswege auch über den Wahlkampf hinaus nutzen wird. Tabelle 3:
Parteien auf Web 2.0-Diensten (vgl. wahl.de [Zugriff: 5. November 2009])
Zu guter Letzt waren die Parteien auch auf Videoportalen wie YouTube oder „vimeo“ vertreten. Sie produzierten spezifische Online-Filme, die die eigenen Unterstützer an Freunde und Bekannte weiterleiten konnten. Keines der Videos von Parteien oder parteinahen Unterstützern erreichte jedoch eine hohe Viralität. Die Views bewegten sich zumeist nur im vier-, selten im fünfstelligen Bereich.
5.
Dialogkommunikation mit Telefon und SMS
Der Wahlkampf per Telefon ist eine der direktesten Möglichkeiten, um per Dialog mit Wählern in Kontakt zu treten. Allerdings stellen sich dabei zwei große Probleme: Zum einen ist eine telefonische Ansprache aufwendig – als One-to-One-Kommunikation muss jede Person einzeln angesprochen werden, was einen erheblichen
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Personalaufwand bedeutet. Zum anderen sind Kaltanrufe – also der Erstkontakt zu Wählern, die nicht vorher eingewilligt haben, dass sie angerufen werden möchten – in Deutschland rechtlich umstritten. Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass sich die Parteien vornehmlich auf die Beantwortung von eingehenden Anrufen interessierter Wähler und Mitglieder fokussierten. Dieses passive Telefonmarketing ist mittlerweile zu einer wichtigen Form des Wahlkampfes geworden. Aktives Telefonmarketing wurde wenn, dann zumeist für die Mobilisierung der eigenen Mitglieder genutzt. Auf automatisierte Anrufe, sogenannte automatic calls, bei denen der Angerufene eine vorher aufgezeichnete Tonbandbotschaft erhält, verzichteten alle Parteien. Relativ zurückhaltend war der Einsatz von SMS im Wahlkampf. Ähnlich wie beim Telefon steht dem breiten Einsatz von SMS zur Erstansprache von Wählern die soziale Unerwünschtheit einer solchen Ansprache im Weg.19 Die Erfahrung, dass eine kalte Ansprache per SMS im Wahlkampf nur geringe Erfolge bringt, wird von allen großen Parteien bestätigt. Hinzu kommt, dass der großflächige Versand von SMS sehr kostenaufwendig ist. Aus diesem Grund richtete sich die Kommunikation per SMS vornehmlich an die eigenen Parteimitglieder. Vor allem in den Tagen vor der Wahl wurden sie auf diesem Weg mobilisiert.
CDU Um den Erfolg von Telefonaktionen besser bewerten zu können, wählten die Wahlkämpfer der CDU in Berlin vor dem Bundestagswahlkampf 40 Wahlkreise aus, in denen Telefonaktionen verstärkt zum Einsatz kamen. Jeder Ortsverband der CDU konnte sich vorab für diese Aktion bewerben und erhielt neben materieller auch personelle Unterstützung. Trotz fehlender Kontrollbezirke für einen Vergleich zeigte man sich in der Bundesgeschäftsstelle mit dem Ergebnis der Aktion zufrieden. Neben diesen Feldversuchen wendete sich die Bundes-CDU telefonisch primär an Parteimitglieder. Hierfür wurden Freiwillige des teAM Deutschland eingesetzt, die die eigenen Mitglieder telefonisch mobilisieren sollten. Eine der größten Telefonaktionen zur Bundestagswahl 2009 war der CDU-Conference-Call mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. Dieser richtete sich an ca. 15 000 Funktionsträger der Partei, die einer Motivationsansprache der Kanzlerin zugeschaltet wurden. Dieses Instrument der internen Kommunikation möchte die CDU-Bundesgeschäftsstelle nach eigenen Angaben auch in Zukunft nutzen. 19
Vgl. Initiative ProDialog: Mediennutzung und Wahlkampfkommunikation im Superwahljahr 2009, verfügbar unter: http://www.prodialog.org/content/dialogwissen#studien.
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In kleinerem Umfang als im Jahr 2005 setzte die CDU auf Wählerkontakte in Form von SMS. Die Mobile Marketing-Agentur yoc entwickelte für die Union eine SMSKampagne für Jung- und Erstwähler, die auch die mobile Internetplattform m.cdu.de beinhaltete. Zusätzlich setzte die CDU SMS für die interne Kommunikation mit teAM-Mitgliedern ein, die ihre Mobilfunknummer als Kontakt angegeben hatten. An diese Gruppe und 14 000 zusätzlich bekannte Adressen wurde unter anderem ein mobilisierender Wahlaufruf von Angela Merkel verschickt. Zudem setzte die CDU-Zentrale Fundraising per SMS ein. Durch die Eingabe der Buchstaben „CDU“ und den Versand an eine vorgegebene Kurzwahl konnten Unterstützer mit einer SMS das Wahlkampfkonto der Partei aufbessern. Mit jeder SMS wurde der Partei ein Betrag von 4,83 Euro auf ein Wahlkampfkonto überwiesen – allerdings war der Rücklauf eher gering.
SPD Die Bundes-SPD stockte während des Bundestagswahlkampfes 2009 die Anzahl der freiwilligen Telefonhelfer in der Bundeszentrale auf, um eine gute Erreichbarkeit für interessierte Wähler zu gewährleisten. Daneben wurden die eigenen Mitglieder per Telefon vor Ort in den Wahlkreisen mobilisiert. Auf Basis eines vor der Wahl gemeinsam mit der CDU getroffenen Abkommens verzichtete die Bundespartei allerdings auf die flächendeckende telefonische Kaltansprache von Wählern, die man noch in den Wahlkämpfen 2002 und 2005 mit zugekauften Telefonverzeichnissen eingesetzt hatte. Im Bereich des SMS-Versands beschränkte sich die SPD auf registrierte Partei- und Wahlkampfteammitglieder. Die niedrige Akzeptanz der Bevölkerung und die Erfahrungen aus den vergangenen Wahlkämpfen führten 2009 zu der Entscheidung, keine externen Mobiltelefonnummern zu kaufen. Als besondere Innovation präsentierte die Bundes-SPD im Wahlkampf 2009 hingegen ihre Online-Plattform „iSPD“ für internetfähige Mobiltelefone (Smart Phones). Hier bekamen Unterstützer der Kampagne gebündelte Informationen auf einen Blick oder konnten sich mit kleinen Beiträgen aktiv in die Kampagne einbringen.
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Bündnis 90/Die Grünen Wie im Bereich des Direct Mail verzichtete die Bundesgeschäftsstelle der Grünen auf Outbound-Wahlkampf per Telefon. Aber auch die Grünen-Zentrale legte Wert auf die telefonische Erreichbarkeit im Wahlkampf – insbesondere kurz vor der Wahl. Im Rahmen der innovativen „3-Tage-Wach-Kampagne“ konnten interessierte Wähler unmittelbar ihre persönlichen Fragen an die Freiwilligen in der Kampagnezentrale richten. Knapp 100 Freiwillige besetzten in Berlin 72 Stunden am Stück Telefone und Computer. Insgesamt gingen in diesem Zeitraum 12 500 Anfragen ein. SMS spielten hingegen in der Wahlkampfstrategie der Grünen auf Bundesebene keine Rolle. Der Aufbau einer Online-Plattform für internetfähige Mobiltelefone ist nach Angaben des Leiters der Öffentlichkeitsarbeit, Robert Heinrich, erst für den Wahlkampf 2013 geplant, wenn ein größerer Anteil der Bevölkerung solche Endgeräte nutzt.
FDP Ab Mai 2009 besetzte die Bundesgeschäftsstelle der FDP ihr Callcenter mit über 25 Freiwilligen, die alle eingehenden Bürgeranfragen beantworteten. Outbound-Anrufe tätigten die Liberalen auf Bundesebene jedoch nach eigenen Angaben nicht. SMS verschickte die Bundesgeschäftsstelle der FDP nur an registrierte Nutzer, vor allem in Form von Updates mit Informationen zur Kampagne. Auch für FundraisingZwecke wurde das Instrument SMS eingebunden. So boten die Liberalen ihren Unterstützern im Rahmen der Aktion jeder-pixel-zaehlt.de per SMS an, ein Unterstützerplakat im Internet zu vervollständigen.
LINKE Auch die Bundeszentrale der LINKEN besetzte ihre Bürgertelefone mit Freiwilligen. Auf Erstkontakte mit Wählern über das Telefon wurde verzichtet. SMS nutzte die LINKE im Wahlkampf vor allem für die interne Kommunikation, indem sie ihren Wahlkampfleitern und Direktkandidaten aus den Ländern und Kreisen Informationen auf das Mobiltelefon schickte.
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Zusätzliche Kampagnen-Updates per SMS bekamen ausschließlich Personen, die sich auf der Website der Partei für den Wahlkampf-Newsletter eingetragen hatten. Für Fundraising-Zwecke wurde das Instrument SMS nicht genutzt. Angebote für Smart Phones spielten 2009 im Wahlkampf der LINKEN noch keine Rolle.
6.
Canvassing – Face-to-Face-Kontakt zum Wähler
Der Hausbesuch eines Kandidaten oder seiner Unterstützer ist die älteste Form des Dialogs im Wahlkampf. In den USA wird das sogenannte Canvassing flächendeckend eingesetzt. Auch in Deutschland gibt es diese Tradition. Sie beschränkt sich heutzutage jedoch maßgeblich auf Hausbesuche der Kandidaten vor Ort in den Wahlkreisen und wird nicht zentral von der Bundesebene gesteuert. Auch ein strategisches Geomarketing wird für diese Aktivitäten nur in sehr begrenztem Maße eingesetzt. Kulturell akzeptiert ist in Deutschland vor allem der Straßenwahlkampf in den Innenstädten, der den Wählern die Möglichkeit lässt, selbst zu entscheiden, ob sie Kontakt zu den Freiwilligen der Partei aufnehmen möchten oder nicht. Der Infostand in der Fußgängerzone blieb deshalb auch im Wahljahr 2009 das Standardformat des Straßenwahlkampfes – sehr zum Leidwesen der Kampagnenprofis in den Parteizentralen, die sich mehr Variation bei der Face-to-Face-Ansprache der Bürger gewünscht hätten. Versuche, den Wahlkampf an der Haustür zu beleben, gab es genug. So nutzten einige Parteien etwa ihre Mitgliedermagazine und ihre E-Mail-Kommunikation, um Poster, Türhänger und Flyer an ihre Unterstützer zu versenden, die diese in ihrer Nachbarschaft verteilen konnten. Über den Erfolg dieser Maßnahme waren leider keine Informationen zu erhalten. Neue Wege sind die Parteien gegangen, was den zeitlichen Rahmen der Mobilisierungsaktionen betrifft. Mittlerweile rufen die Bundesparteien ihre Untergliederungen auf, bis zum Wahltag in Kneipen und auf Marktplätzen Wähler zu mobilisieren. Die guten alten Zeiten, in denen die Kampagnen mit der Abschlusskundgebung am Freitag vor der Wahl endeten, scheinen endgültig vorbei zu sein.
Wahlkampf im Superwahljahr
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CDU Die CDU-Bundesgeschäftsstelle empfahl ihren Kreisverbänden und Kandidaten, Hausbesuche einzusetzen. Ihren Fokus richtete sie dabei auf 20 ausgewählte Wahlkreise, die über das gesamte Bundesgebiet verteilt waren. Über das Ausmaß und die Beteiligungsrate liegen der Bundespartei noch keine Zahlen vor. Zusätzlich verschickte die CDU in der letzten Ausgabe ihres Mitgliedermagazins vor der Bundestagswahl Plakate und Türhänger an alle Unterstützer.
SPD Vor allem in der SPD war die alte „Standmentalität“ noch stark vertreten. Canvassing-Aktionen von Haus zu Haus sind bei den Sozialdemokraten in der Regel dezentral strukturiert, sie liegen im Ermessen des Kandidaten. Von der Wahlkampfzentrale werden allerdings zwei Varianten des Canvassings empfohlen. Bei Variante 1 meldet der Kandidat seinen Besuch per Postwurf an und erscheint zur angegebenen Uhrzeit an der Haustür. Bei Variante 2 besucht der Kandidat seine potenziellen Wähler direkt und ohne Ankündigung an der Haustür. Beide Varianten funktionierten laut SPD gut. Bedingung war jedoch, dass der Kandidat an der Haustür dabei war. Dies schuf erst die nötige Bereitschaft der Bürger, in einen Dialog zu treten.
FDP Die FDP-Bundesgeschäftsstelle ist offen gegenüber Haustürbesuchen, überlässt diese Entscheidung jedoch den Kandidaten und Untergliederungen vor Ort. Bundesgeschäftsführer Hans-Jürgen Beerfeltz schätzte die Zahl der Kandidaten, die dieses Instrument im Bundestagswahlkampf nutzten, jedoch auf unter fünf Prozent. Der klassische Wahlkampfstand in der Fußgängerzone gehört für die FDP interessanterweise nicht mehr zum Pflichtprogramm. Vielmehr empfiehlt die Partei ihren Ortsverbänden, den direkten Kontakt mit den Bürgern in ihrem Alltag (Fitness-Studio, Nachtleben etc.) zu suchen.
Bündnis 90/Die Grünen Die Grünen haben eine lange Tradition des grasverwurzelten Wahlkampfes an der Basis und setzen – wie Robert Heinrich im Interview betonte – seit Jahrzehnten auf
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den intensiven persönlichen Kontakt mit ihren Wählern. Aus diesem Grund empfahl die Wahlkampfleitung in Berlin verschiedene Konzepte, die von Kandidaten und Freiwilligen an der Basis umgesetzt werden konnten. Dazu gehörten unter anderem Kneipentouren, Aktionen auf Konzerten und Festivals oder Haustürbesuche. Aber auch Instrumente des Direktmarketings wie Tüten mit dem Logo der Grünen in Ökobäckereien oder Tür- und Briefkastenhänger, die von den Kandidaten am Wahlsonntag verteilt wurden, gehörten dazu, um potenzielle Grünen-Wähler so lebensnah wie möglich zu erreichen. Über das Mitgliedermagazin schrägstrich versendeten die Grünen darüber hinaus einen Wahlkampfbaukasten an ihre Unterstützer, der Poster, Postkarten und Türhänger enthielt und in den letzten Tagen vor der Wahl von jedem Mitglied individuell in der Nachbarschaft verteilt werden konnte.
LINKE Die Bundesgeschäftsstelle der LINKEN rief ihre Parteimitglieder nicht zentral zu Hausbesuchen auf, unterstützte aber den Wahlkampf vor Ort intensiv mit Materialien. Gerade in ihren Hochburgen setzte die LINKE gezielt Freiwillige ein, um in Kontakt mit ihren Wählern an der Basis zu kommen und es ihnen zum Beispiel zu erleichtern, am Wahltag zum Wahllokal zu kommen.
7.
Fazit
Innovative Dialogkommunikation ist in der deutschen Politik angekommen – das ist das klare Fazit des Bundestagswahlkampfs 2009. Stärker als je zuvor setzten die Wahlkämpfer auf die direkte Ansprache der Wähler und versuchten, sie für einen Dialog zu gewinnen. Innovationen fanden nicht nur im Bereich der OnlineKommunikation statt. Als wichtigstes Instrument der Erstansprache von Wählern blieb der Brief zentral. Inspiriert von amerikanischen Vorbildern zeigten sich die Parteien und Politiker insbesondere im Bereich der Internetkommunikation experimentierfreudig. Sie waren präsent auf Diensten wie Facebook, Twitter, YouTube & Co. und führten
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innovative Fundraising-Formate wie die onlinebasierte Plakatspende ein. Mithilfe von neuartigen Wahlkampfplattformen wurden die eigenen Websites im Stil von Obamas Web-Community my.BarackObama.com ausgebaut. Die Studie zeigt jedoch: Insgesamt hatten es die Parteien schwer, Menschen jenseits des eigenen Unterstützerkreises online zu erreichen. Insgesamt scheint die politische Partizipation im deutschen Web noch nicht die ausreichende Reichweite und Politisierung zu haben. Ob sich dies im Bundestagswahlkampf 2013 ändern wird, bleibt abzuwarten. Deutlich intensiviert wurde der Einsatz von Briefen und Werbesendungen. Die Parteien verschickten ca. 116 Millionen regionale und bundesweite Mailings. Ein neuer Höchstwert. Weniger intensiv verlief der Wahlkampf der Parteien über Telefon/SMS und Hausbesuche. Diese beiden sehr unmittelbaren und persönlichen Kanäle der Kommunikation setzten die Verantwortlichen in den Wahlkampfzentralen nur sehr vorsichtig ein. Die deutschen Wähler bleiben gegenüber diesen Formen der Kontaktaufnahme sehr skeptisch. Die genaue Betrachtung der Dialogstrategien im Bundestagswahlkampf 2009 hat gezeigt, dass in Deutschland die Dialogkommunikation im Wahlkampf auf dem Vormarsch ist. Die Studie hat aber auch deutlich gemacht, wo es noch Chancen zur Verbesserung gibt. Erstens ist die dialogorientierte Wähleransprache oft noch zu ungerichtet, sie verursacht enorme Streuverluste. Zweitens sollte die crossmediale Verzahnung der verschiedenen Dialoginstrumente untereinander, aber auch die Vernetzung mit den klassischen Werbemitteln verbessert werden. Drittens fehlte es in diesem Wahlkampf allzu oft an der nötigen politischen Leidenschaft und Intensität, die unabdingbar ist, um Dialoge anzustoßen und zu entfachen. Und dennoch haben die Wahlkämpfer im Superwahljahr 2009 bewiesen: „Change can happen!“
Literatur Primärquellen Interview mit BEERFELTZ, Hans-Jürgen, Bundesgeschäftsführer, FDP, 19. Oktober 2009 Interview mit HEINRICH, Robert, Leiter Öffentlichkeitsarbeit, Bündnis 90/Die Grünen, 29. Oktober 2009 Interview mit HENNEWIG, Stefan, Leiter Bereich Internes Management, CDU, 20. Oktober 2009 Interview mit HINRICHS, Svenja, Leiterin Kampagnen und Kommunikation, SPD, 21. Oktober 2009.
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Schriftliches Interview mit SEIBERT, Mark, Bereich Öffentlichkeitsarbeit/Wahlen, Die LINKE, 28. Oktober 2009. www.cdu.de (letzter Zugriff: 13. November 2009) www.team2009.de (letzter Zugriff: 13. November 2009) www.spd.de (letzter Zugriff: 13. November 2009) www.wahlkampf09.de (letzter Zugriff: 13. November 2009) www.fdp.de (letzter Zugriff: 13. November 2009) mitmachen.fdp.de (letzter Zugriff: 13. November 2009) www.fdp-buergerfonds.de (letzter Zugriff: 13. November 2009) www.gruene.de (letzter Zugriff: 13. November 2009) www.gruene.de/meine-kampagne.html (letzter Zugriff: 13. November 2009) www.die-linke.de (letzter Zugriff: 13. November 2009) www.linksaktiv.de (letzter Zugriff: 13. November 2009) http://wahl.de (letzter Zugriff: 5. November 2009) ALLENSBACHER COMPUTER- UND TECHNIK-ANALYSE 2009: Zentrale Trends der Internetnutzung in den Bereichen Information, Kommunikation und E-Commerce, verfügbar unter: www.acta-online.de (Zugriff: 30. Oktober 2009). KRÜGER, A.: Ausgetwittert: Schweigen nach der Wahl, verfügbar unter: www.heute.de/ZDFheute/inhalt/1/0,3672,7913729,00.html vom 19. Oktober 2009 (Zugriff: 23. Oktober 2009). MEYER, M.: Von Facebook bis Twitter. Wie die Parteien im Bundestagswahlkampf auf das Internet setzen, unter: www.dradio.de/dlf/sendungen/hintergrundpolitik/ 1035114 vom 16.09.2009 (Zugriff: 23. Oktober 2009). NIELSEN MEDIA RESEARCH N. N.: Vorbild Obama: Vom Internet auf die Straße, Deutsche Presse-Agentur vom 20. Juli 2009. N. N.: Post: Zahl der Wahl-Mailings vervierfacht, verfügbar unter: www.onetoone.de /Post-Zahl-der-Wahl-Mailings-vervierfacht-16907.html vom 29. Oktober 2009 (Zugriff: 30. Oktober 2009). PAULSEN, N.: Parteien im Netz, verfügbar unter: Welt Online: http://www.welt.de/ webwelt/article4095278/CSU-macht-den-schlechtesten-Web-Wahlkampf.html vom 10. Juli 2009 (Zugriff: 23. Oktober 2009).
Wahlkampf im Superwahljahr
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Maik Bohne
Der Autor Maik Bohne arbeitet als Projektleiter bei der Initiative ProDialog. Nach der Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl von Professor Dr. Peter Lösche in Göttingen widmete er sich ab 2006 – unterstützt von der Stiftung der Deutschen Wirtschaft – seiner Dissertation mit dem Titel „Parteinetzwerke in US-amerikanischen Wahlkämpfen“, die mittlerweile kurz vor dem Abschluss steht. Forschungsaufenthalte führten ihn unter anderem an das renommierte Center for Congressional and Presidential Studies der American University in Washington, DC.
Kontakt: Maik Bohne, M. A. Initiative ProDialog Dorotheenstraße 35 10117 Berlin [email protected]
Dialogorientierte Regierungskommunikation Jana Heinze / Helmut Schneider
Management Summary Die Kommunikationsstrategie gilt als Schlüsselfaktor einer erfolgreichen Umsetzung von Regierungshandeln. Als wesentlicher Promotor einer erfolgreichen Regierungskommunikation wird im Schrifttum dabei der Einsatz dialogorientierter Kommunikationsinstrumente erachtet. Ergebnisse einer qualitativen Studie unter zwölf Sprechern der Bundes- und Länderministerien zeigen, dass die gegenwärtige Regierungskommunikation das Potenzial dialogorientierter Kommunikationsinstrumente, die die Beziehung zum Bürger pflegen und insgesamt zu einer Stärkung des bürgerlichen Diskurses in der Öffentlichkeit beitragen, noch nicht vollständig ausgeschöpft hat.
1.
Einführung in die kontinuierliche Kommunikation der Bundes- und Länderministerien
Die Regierungskommunikation steht vor dem Hintergrund weitreichender gesellschaftlicher Veränderungen einerseits und restriktiven Gestaltungsräumen anderer-
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Jana Heinze / Helmut Schneider
seits gegenwärtig vor großen Herausforderungen.1 Neben veränderten politischen Rahmenbedingungen sind in diesem Kontext insbesondere strukturelle Umbrüche im medialen Umfeld, das als Scharnier zwischen Politikherstellung und Politikdarstellung fungiert, zu beobachten.2 Dieser beengte Wirkungskreis spiegelt sich in erster Linie im verstärkten Kommunikationswettbewerb um öffentliche Aufmerksamkeit wider. Die komplexe Aufgabe, die Reduktion und Wahrnehmung politischer Inhalte zu steuern, wird immer schwieriger.3 Gleichzeitig steigt insbesondere im Kontext der kommunikativen Begleitung von Reformen der Bedarf an professioneller Politikvermittlung.4 Eine gelingende Kommunikation zwischen Repräsentanten und Bürgern gilt hierbei als Schlüsselfaktor einer erfolgreichen Umsetzung von Regierungshandeln.5 Die erhöhten Kommunikationsanforderungen erfordern in diesem Kontext eine zunehmende Abkehr von traditionellen Kommunikationsmaximen, die diesen Wandlungsprozessen nur noch bedingt gerecht werden können.6 Die Potenziale des Dia-
1
2
3
4
5
6
Vgl. zum Folgenden ausführlich Heinze, J.: Regierungskommunikation. Konzeptionelle Grundlagen und Ergebnisse einer qualitativen Erhebung unter deutschen Bundes- und Länderministerien – Arbeitspapier Nr. 2 des Lehrstuhls für Marketing und Dialogmarketing, Berlin, 2009. Vgl. Lee, M.: Reporters and bureaucrats: public relations counter-strategies by public administration in an era of media disinterest in government, in: Public Relations Review, Vol. 25, 1999, S. 451-463; Koven, S./Kunselman, J.: Trust in government: lessons learned from the Clinton impeachment, in: International Journal of Public Administration, Vol. 25, 2003, S. 197-213; Fisher Liu, B./Horsley, J. S.: The Government Communication Decision Wheel: Toward a Public Relations Model for the Public Sector, in: Journal of Public Relations Research, Vol. 19, 2007, S. 377-393. Vgl. Brettschneider, F.: Regierungskommunikation in Großbritannien und den USA: zentrale Einbettung, in: Weidenfeld, W. (Hg.): Reformen kommunizieren. Herausforderungen an die Politik, Gütersloh: Bertelsmann Stiftung, 2007, S. 36-71; Fisher Liu, B./Horsley, J. S.: The Government Communication Decision Wheel: Toward a Public Relations Model for the Public Sector, in: Journal of Public Relations Research, Vol. 19, 2007, S. 377-393; Fairbanks, J./Plowman, K. D./Rawlins, B. L.: Transparency in government communication, in: Journal of Public Affairs, Vol. 7, 2007, S. 23-27. Vgl. zur qualitativen Messung der Professionalisierung von Regierungskommunikation: Köhler, M. M.: Was heißt hier Professionalisierung?! Erstellung eines Kriterienkatalogs zur qualitativen Messung der Professionalisierung von Regierungs-PR im Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, in: Schriftenreihe DFPK – Band 3 „Düsseldorfer Forum Politische Kommunikation 2007“, Münster, 2008, S. 149-169. Vgl. Garnett, J. L.: Communicating for results in government. A strategic approach for public managers, San Francisco: Jossey-Bass, 1992; Köhler, M. M./Schuster, C. H.: Handbuch Regierungs-PR. Öffentlichkeitsarbeit von Bundesregierungen und deren Beratern, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2006; Weidenfeld, W.: Reformen kommunizieren. Herausforderungen an die Politik, Gütersloh: Bertelsmann Stiftung, 2007. Vgl. Garnett, J. L.: Communicating for results in government. A strategic approach for public managers, San Francisco: Jossey-Bass, 1992.
Dialogorientierte Regierungskommunikation
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logs zeigen sich in diesem Zusammenhang in vielfältiger Form. So ist die wechselseitig fokussierte Kommunikation in der heutigen Gesellschaft zu einem allgegenwärtigen Handlungsfeld geworden, in dem sich der effektive Einsatz unterschiedlicher dialogischer Kommunikationsformen im Kontext der Bundes- und Länderministerien unter anderem in erhöhter politischer Partizipation oder erhöhtem Vertrauen in politische Institutionen zeigt.7 Andererseits gibt es verfassungsrechtliche Schranken, eine knappe Budgetierung sowie ein wachsendes Desinteresse der Bürger an politischen Fragestellungen, die neuen Wegen in der Regierungskommunikation diametral gegenüberstehen.8 Während in anderen gesellschaftlichen Teilbereichen eine auf Dialog mit den relevanten Bezugsgruppen fokussierte Kommunikation als Paradigma einer erfolgreichen Zielgruppenkommunikation eingesetzt wird,9 öffnen sich politische Akteure wie Parteien oder Bundes- und Länderministerien vor dem Hintergrund dieser genuinen Gestaltungsräume erst langsam für die direkte und individuelle Ansprache ihrer Zielgruppen. Angesichts des Facettenreichtums und der gestiegenen Bedeutung von Regierungskommunikation auf der einen Seite und einer bisher nur untergeordneten Rolle im wissenschaftlichen Diskurs auf der anderen Seite besteht die zentrale Zielsetzung der vorliegenden Studie darin, einen Beitrag zur empirischen Erschließung des Untersuchungsgegenstandes Regierungskommunikation zu leisten. Übergeordnete Zielsetzung der qualitativen Studie ist es, zu untersuchen, welches Kommunikationspotenzial die Bundes- und Länderministerien allgemein besitzen, um darauf aufbauend Ansatzpunkte zur Erschließung dialogischer Kommunikationsformen im Umfeld der bürgergerichteten Regierungskommunikation zu skizzieren. Zur Erreichung dieses Zieles stellen sich folgende wissenschaftliche Fragestellungen, die es im Rahmen der Studie zu beantworten gilt: Wie sind die Kommunikationsetats und personellen Ressourcenausstattungen der Bundes- und Landesministerien verteilt und welche Personen treffen respektive beeinflussen die (dialogische) Kommunikationsstrategie?
7 8
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Vgl. Fairbanks, J./Plowman, K. D./Rawlins, B. L.: Transparency in government communication, in: Journal of Public Affairs, Vol. 7, 2007, S. 23-27. Vgl. Fisher Liu, B./Horsley, J. S.: The Government Communication Decision Wheel: Toward a Public Relations Model for the Public Sector, in: Journal of Public Relations Research, Vol. 19, 2007, S. 377-393. Vgl. Mann, A.: Dialogmarketing. Konzeption und empirische Befunde, Wiesbaden: Gabler, 2004.
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Welche Einflussfaktoren und Rahmenbedingungen determinieren die (dialogische) Regierungskommunikation? Welche relevanten Zielgruppen und Kommunikationskanäle stehen im Zentrum der Regierungskommunikation? Welche Funktion erfüllt die Regierungskommunikation in modernen Demokratien und welche handlungsorientierten Zielsetzungen verfolgen die Akteure? Welche Implikationen ergeben sich aus der Analyse der strukturellen Rahmenbedingungen der Regierungskommunikation für das Modernisierungspotenzial der (dialogischen) Regierungskommunikation?
2.
Vorgehensweise der Untersuchung
Vor dem Hintergrund des Erkenntnisinteresses der vorliegenden Studie, die allgemeinen Ressourcenausstattungen, kommunikationsspezifische Einflussfaktoren und Rahmenbedingungen sowie den aktuellen „Instrumentekasten“ zu erheben, Präferenzen beziehungsweise Prioritäten und Zielkonflikte zu den identifizierten Handlungsstrategien aufzuspüren und das Modernisierungspotenzial zu identifizieren, ist bei der Methode der Datenproduktion ein Erhebungsinstrument zu wählen, das einen möglichst breiten Zugang zu dem Untersuchungsobjekt ermöglicht. Hierfür kommen grundsätzlich quantitative wie qualitative Methoden in Betracht. Die in der vorliegenden Untersuchung erfolgte Auswahl eines vergleichsweise sensitiven Erhebungsinstrumentes (halbstandardisiertes Leitfadeninterview) beruht primär auf dem explorativen Charakter der Untersuchung: In einem Untersuchungsfeld, in dem bis zum jetzigen Zeitpunkt nur vereinzelt Studien vorliegen, schränkt die mangelnde Strukturierung der relevanten Untersuchungskategorien den Einsatz eines quantitativen Erhebungsinstrumentes deutlich ein.10 Abbildung 1 gibt zusammenfassend einen Überblick über die zentrale Akteursstruktur, Funktionen, Kommunikationswege sowie Zielgruppen und Wirkungsdimensionen der Regierungskommunikation. Der obere Teil der Abbildung zeigt die ineinan10
Vgl. Pfetsch, B.: Politische Kommunikationskultur. Politische Sprecher und Journalisten in der Bundesrepublik und den USA im Vergleich, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2003, S. 114.
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der verflochtene Akteursstruktur, die aus dem Bundeskanzleramt, dem Presse- und Informationsamt als zentraler Koordinationsinstitution auf Bundesebene sowie den Bundesministerien (B) und den Ministerien auf Landesebene (L) inklusive nachgeordneter Institutionen besteht. Die Pfeile beziehen sich auf die vielfältigen zum Teil bundesländerübergreifenden ressortabhängigen Austausch- und Koordinationserfordernisse zwischen den einzelnen Institutionen. Im mittleren Abbildungsteil lassen sich in Anlehnung an Moloney et al. (2003) im Wesentlichen zwei Produktionsstränge der Regierungskommunikation unterscheiden: erstens die Produktion von Informationen für die Zielgruppe Journalisten beziehungsweise Massenmedien (auch „Independent production chain“) sowie zweitens die Produktion direkt an den Bürger gerichteter Kommunikationsangebote (auch „Controlled production chain“), die sich wiederum in Dialogkommunikation, latente Informationsangebote und massenmedial werbliche Kommunikation unterteilen lassen. Im Rahmen des ersten Produktionsstranges fungieren die Medien als quantitativer wie qualitativer Filter der Regierungskommunikation, das heißt im publizistischen System wird erstens entschieden, was von den ursprünglich durch die Regierung bereitgestellten Informationen aufgegriffen wird, sowie zweitens, wie es nachfolgend massenmedial dargestellt wird. Im Rahmen des zweiten Produktionsstranges wird die politische Kommunikation unabhängig von den Massenmedien für regierungsamtliche Kommunikationskanäle produziert. Abhängig von der dominanten Kommunikationsrichtung kann die direkt an den Bürger gerichtete Kommunikation unterschieden werden in dialogorientierte Kommunikationsinstrumente, die auf den unmittelbaren Austausch zwischen Bürger und Repräsentanten abzielen, latente Informationsangebote, die vom Bürger aktiv eingeholt werden müssen, sowie massenmediale Kommunikationsinstrumente, die die Informationen in Form von Kampagnen direkt an den Bürger übermitteln sollen. Beide Produktionsstränge dienen zur Erfüllung der Informations- und Aufklärungsfunktion sowie zur Erreichung der herrschafts- und machtorientierten Ziele der politischen Akteure. Der Bürger soll in diesem Kontext in seiner jeweils politisch relevanten Rollenausprägung durch die Regierung angesprochen werden. So kann ein Bürger in unterschiedlichen sozialen Rollen Zielgruppe der Regierungskommunikation sein, beispielsweise als Wahlberechtigter, mittelständischer Unternehmer oder Vater. Die Wirkungsdimension der Regierungskommunikation beschreibt den Wissensaufbau, der potenziell aus der Beobachtung, Nutzung und Bewertung politischer Kommunikation durch den Bürger resultiert, beziehungsweise die Einstellungsbeeinflussung, das Auslösen einer Verhaltensabsicht und die finale Verhaltensänderung.
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Bundeskanzleramt Koordination Kanzleramt und BPA
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung Koordination Ministerium und Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
Koordination Kabinett
Koordination nachgeordnete Institutionen B
B
B
B
B
B
B
B
L
L
L
L
L
B
B
B
B
B
Koordination Bundes- und Landesebene
Koordination Bundesebene L
B
L
L
L
L
L
L
L
L
L
L
Koordination Landesebene externe Akteure wie bspw. PR-Berater Fokus: Öffentlichkeitsarbeit Zielgruppe: Bürger InformationsDialogkommunikation, insb. face-to-face, Web 2.0 etc.
latentes Informationsangebot, insb. Internet, Broschüren etc.
Fokus: Pressearbeit Zielgruppe: Journalisten
und Aufklärungsfunktion vs. herrschafts- und machtorientierte Ziele massenmedial werbliche Kommunikation, insb. Kampagnen etc.
(klassische) Massenmedien als quantitativer und qualitativer Filter
Darstellung durch Massenmedien
Bürger in seiner/n politisch relevanten Rollenausprägung/en Beobachtung, Nutzung und Bewertung politischer Kommunikation
Wirkung: Aufbau von Wissen, Beeinflussung von Einstellungen, Auslösen einer Verhaltensabsicht, finale Verhaltenswirkung
Abbildung 1:
Modell Regierungskommunikation
Im Rahmen der Eingrenzung der relevanten Experten umfasst die Grundgesamtheit des Untersuchungsgegenstandes wie in Abbildung 1 dargestellt zunächst insgesamt 144 Landesministerien, 14 Bundesministerien sowie das Presse- und Informationsamt als Dachorganisation der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung. Die Bundesministerien sowie das Presse- und Informationsamt gingen vollständig in die angestrebte Stichprobe ein. Aus forschungsökonomischen Gründen war im Rahmen von persönlichen Experteninterviews eine Totalerhebung unter den 144 Landesministerien nicht möglich. Damit der landespolitische Blickwinkel dennoch in die Untersuchung integriert werden konnte, wurde eine Stichprobe gezogen, die zum Ziel hatte, die relevanten Landesministerien einzugrenzen. Die Auswahl der Ministerien auf Landesebene folgte einer dualen Logik: In einem ersten Schritt wurde angestrebt, die spiegelbildlich zur Kommunikationsetathöhe auf Bundesebene äquivalenten Länderministerien in die Stichprobe aufzunehmen. Zur Eruierung der Kommunikationsetats wurde im Vorfeld eine ABC-Analyse unter den Bundesministerien nach Kommunikationsbudgets durchgeführt. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass über einen Großteil des gesamten Kommunikationsbudgets (> 50 Prozent) durch lediglich vier Bundesministerien verfügt wird (Bundesministerium für Gesundheit, Bundesministerium für Ernährung, Landwirt-
Dialogorientierte Regierungskommunikation
45
schaft und Verbraucherschutz, Bundesministerium für Bildung und Forschung und Bundesministerium für Arbeit und Soziales). Diese Ressorts besitzen folglich eine exponierte Stellung in der Regierungskommunikation. Gleichzeitig werden damit einhergehend ressortspezifische Besonderheiten in der kommunikativen Ausgestaltung des Regierungshandels verdeutlicht. Ressort- und reformabhängig bedürfen spezielle Themen einer stärkeren kommunikativen Begleitung als andere. Besonders deutlich wird dies beispielsweise im Bereich der Gesundheitspolitik: Vor dem Hintergrund der gesamtgesellschaftlich hohen Relevanz und Vielfältigkeit der Themen, weitreichenden Reformbemühungen und einem hochgradig differenzierten Erklärungs- und Handlungsbedarf ist der prozentuale Anteil am Kommunikationsbudget im Vergleich zu anderen Ressorts wie beispielsweise Justiz signifikant höher. Da die inhaltliche Ausgestaltung eines Politikfeldes nicht einzig auf Bundesebene beschränkt ist, liegt die Vermutung nahe, dass diese Ressorts auch auf Länderebene eine Sonderstellung in der Regierungskommunikation einnehmen. Eine erste Eingrenzung der Stichprobe der Landesministerien erfolgte infolgedessen anhand des Rasters kommunikativer Sonderstellung auf Bundesebene. Vor dem Hintergrund der aus forschungsökonomischer Sicht zu hohen verbleibenden Fallzahl wurde ein zweites Eingrenzungskriterium gewählt, das das Mengengerüst der Zielgruppe umfasst. Diesem Eingrenzungskriterium liegt die Vermutung zugrunde, dass die Notwendigkeit für Regierungen, eine ressortspezifische bürgergerichtete Regierungskommunikation zu verfolgen, mit der Anzahl betroffener Bürger wächst – durch sie wird das Mengengerüst der Folgekosten inadäquater Kommunikationsbemühungen maßgeblich determiniert. Ressorts in Bundesländern, die über einen hohen Bevölkerungsanteil verfügen, werden – so die Vermutung – folglich höhere kommunikative Anstrengungen unternehmen als Landesministerien in Bundesländern, die über einen niedrigen Bevölkerungsanteil und über eine damit gleichzeitig kleinere Zielgruppe verfügen. Mit steigender Bevölkerungszahl ist daher davon auszugehen, dass die kommunikativen Anstrengungen des Ministeriums sukzessive ausgeweitet werden müssen. Basierend auf diesem Grundgedanken wurden die drei bevölkerungsstärksten Bundesländer Deutschlands (Nordrhein-Westfalen, Bayern, Baden-Württemberg), die insgesamt rund 50 Prozent der Gesamtbevölkerung repräsentieren, in die Stichprobe aufgenommen, sodass insgesamt zwölf Länderministerien ausgewählt wurden. Die landespolitische Perspektive wird – wenn auch in untergeordneter Form – somit durch eine geringe Fallzahl in die qualitative Analyse integriert, im umfassenden Maße aber erst durch eine angestrebte quantitative Vollerhebung im vierten Quartal 2009 repräsentiert.
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Folglich wurden insgesamt 26 Ministerien auf Bundes- und Länderebene sowie das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung angeschrieben. Nach einer Nachfassaktion konnte eine Rücklaufquote von rund 45 Prozent erzielt werden, was einer totalen Personenzahl von zwölf Experten der Regierungskommunikation entspricht. Auf Länderebene war der Rücklauf vergleichsweise gering: insgesamt drei von zwölf angeschriebenen Sprechern waren bereit, an dem Experteninterview teilzunehmen. Auf Bundesebene konnte ein vergleichsweise hoher Rücklauf erzielt werden: Von insgesamt 14 angeschrieben Ministerien und dem Presse- und Informationsamt nahmen neun Experten an dem Interview teil. Vor dem Hintergrund der geringen Fallzahl und damit einhergehender eingeschränkter Repräsentativität (insbesondere unter den Landesministerien) ist der explorative Charakter der vorliegenden Untersuchung zu betonen. Die persönlichen Gespräche mit den Experten wurden im Zeitraum von November 2008 bis März 2009 geführt. Das Interviewsetting fand im Büro- beziehungsweise Besprechungsraum der Experten, das heißt im organisationalen Arbeitsalltag der Befragten oder an einem durch die Experten gewählten auswärtigen Ort statt. Die Interviews wurden durch die Autorin respektive gemeinsam mit dem Projektleiter durchgeführt. Durch die Interviewerkonstanz konnte eine Varianz in den Verzerrungen der Gesprächssituation durch persönliche Interaktionseffekte unterschiedlicher Interviewer vermieden werden. Die Gespräche dauerten zwischen 20 und 70 Minuten. Im Durchschnitt nahmen sich die Experten rund 50 Minuten Zeit für das Gespräch. Zwei Interviews mussten in weniger als 30 Minuten abgeschlossen werden, sodass in diesen Fällen eine auf die Kernfragen gekürzte Version des Leitfadens eingesetzt wurde.
3.
Darstellung der zentralen Untersuchungsergebnisse
Mit der vorliegenden Studie wurde eine Thematik aufgegriffen, die in der politischen Kommunikationsforschung bis zum jetzigen Zeitpunkt eher randständig behandelt wurde. Damit betritt die vorliegende Studie in ihrem Untersuchungsdesign punktuell Neuland.
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Forschungsfrage 1 beschäftigte sich in diesem Kontext mit der Höhe und Verteilung der Kommunikationsetats und der personellen Ressourcenausstattungen der Bundes- und Länderministerien sowie mit einer detaillierten Beschreibung der zuständigen Personen, die die Kommunikationsstrategie betreffen respektive beeinflussen. Unter Einbeziehung der Kommunikationsbudgets großer Unternehmen als Vergleichsmaßstab wird deutlich, dass die Regierung zusammenfassend über einen nur begrenzten Etat verfügt, der die Planung und den Einsatz der Kommunikationsinstrumente deutlich einschränkt. Unter besonderer Berücksichtigung der Steuerfinanzierung sind die Hürden der Regierungskommunikation im Kommunikationswettbewerb hoch: Während große Unternehmen – im Idealfall – zielgruppengenau ein höheres Kommunikationsvolumen in Form von Anzeigen, Spots und Plakaten generieren können, ist die Regierungskommunikation mit einem vergleichsweise niedrigen Budget dafür verantwortlich, komplexe politische Inhalte an einen großen Bevölkerungskreis zu transportieren. Im Vergleich zu Unternehmen befinden sie sich damit in einer Außenseiterposition im Wettbewerb um das knappe Gut der Aufmerksamkeit der Bürger. Neben den finanziellen Restriktionen beengen auch die Urteile des Bundesverfassungsgerichtes das Tätigkeitsfeld und damit insbesondere die inhaltliche Ausrichtung der Regierungskommunikation. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung dort ihre Grenze findet, wo die Wahlwerbung beginnt.11 Was dies rein praktisch für die Bundesregierung bedeutet, wird anhand des Wahlkalenders des Jahres 2009 deutlich: Neben der Landtagswahl in Hessen (Januar 2009), den Kommunalwahlen in acht Flächenstaaten (unter anderem Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Baden-Württemberg) und den Europawahlen im Juni 2009, den Landtagswahlen in Thüringen, Saarland und Sachsen im August, wurde im September 2009 die Bundestagswahl in Kombination mit der Landtagswahl Brandenburg durchgeführt. In der definierten Frist (fünf bis sechs Monate vor dem Wahltermin) war folglich Zurückhaltung in der Regierungskommunikation geboten. Bei der weitergehenden Analyse von Forschungsfrage 1, welche berufsbiografischen Merkmale Entscheider in den Bundes- und Länderministerien aufweisen, wird deutlich, dass in der vorliegenden Stichprobe die Mehrheit der Sprecher über journalistische Vorkenntnisse beziehungsweise eine langjährige Berufspraxis verfügt. Der Trend einer zunehmenden Professionalisierung lässt sich folglich anhand der vorliegenden Expertengruppe bestätigen. 11
Vgl. BVerfG, 44, 125
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Parallel ist jedoch eine personelle Unterbesetzung der Presse- und Öffentlichkeitsarbeitsabteilungen zu belegen: So hat sich die Zahl der Mitarbeiter in der Öffentlichkeitsarbeit im Zeitraum von 1998 bis 2007 zwar mit einem halben Prozentsatz leicht erhöht, ist mit 1,5 Prozent (30. Juni 2007) aller Mitarbeiter der Bundesministerien jedoch immer noch gering bemessen. Die Mitarbeiterzahl des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung ist seit 1994 zudem kontinuierlich zurückgegangen: Während 1994 noch 769 Mitarbeiter in der Bundesbehörde beschäftigt waren, ging die Zahl 1998 auf 689 Mitarbeiter, 2007 auf 517 Mitarbeiter zurück. Entgegengesetzt dem Ansatz der Wissenschaft, eine verstärkt ressortübergreifende Kommunikation zu betreiben, kristallisierte sich in der vorliegenden Expertengruppe ein Trend zur autonomen Kommunikation der Bundesministerien insbesondere im Verhältnis zum Presse- und Informationsamt der Bundesregierung heraus. Obgleich bei spezifischen Themen bereits schlaglichtartig Kooperationen eingegangen werden, ist dies noch nicht der Regelfall. Einen besonderen Stellenwert nehmen in diesem Kontext Beratungsunternehmen beziehungsweise PR- und Werbeagenturen ein, die vor allem im Kontext der Kampagnenplanung Einfluss auf die Regierungskommunikation nehmen. Forschungsfrage 2 fokussierte auf die Einflussfaktoren und Rahmenbedingungen, die den Wirkungskreis der Regierungskommunikation determinieren. Resultierend aus den Expertengesprächen wird deutlich, dass nicht alle in der Literatur diskutierten Wandlungsprozesse aus Sicht der Akteure der Regierungskommunikation Einfluss auf ihre Tätigkeit ausüben. Im Zentrum stehen mediale Veränderungen, die – kombiniert mit einem im Zuge der Individualisierung veränderten Mediennutzungsverhalten der Zielgruppen – mit den Schlagwörtern Wachstum, Beschleunigung und Konkurrenzdruck umschrieben werden können. Die damit verbundene Diversifikation der Medienlandschaft, der auch und insbesondere durch Internetmedien beschleunigte Nachrichtenrhythmus sowie der Hang zum Sensationsjournalismus verändern gleichzeitig auch die Politikwahrnehmung der Bürger. Die Politikvermittlungsexperten sind einhergehend mit der stetig wachsenden Informationsfülle allgemein stärker darauf angewiesen, intensiver zu beobachten, ein höheres Volumen an Informationen zu generieren sowie vermehrt auf Anfragen rund um die Uhr zu reagieren. Vor dem Hintergrund der massenmedialen Veränderungen ist die Regierungskommunikation folglich besonders angehalten, neue Wege in der Zielgruppenansprache zu identifizieren. In diesem Kontext wird deutlich, dass insbesondere (internetbasierte) Dialogkommunikationsinstrumente von den Experten als geeignet betrachtet werden, um den publizistischen Filter zu umgehen und den Bürger unvermittelt anzusprechen.
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In diesem Kontext untersuchte Forschungsfrage 3 die relevanten Zielgruppen und Kommunikationskanäle, die im Zentrum der Regierungskommunikation stehen. In der vorliegenden Untersuchung wird zunächst der empirische Befund bestätigt, dass die Bürger als relevante Bezugsgröße der Kommunikationsanstrengungen eines Ministeriums fungieren. So betonen die Experten, dass die Information der Bürger primäre Zielorientierung ihrer Tätigkeit ist. Fokus der alltäglichen Arbeit der Experten ist jedoch primär die Zielgruppe der Journalisten, die als Multiplikatoren genutzt wird, um einen breiten Publikumszugang zu erreichen. Betrachtet man die Zielgruppe der Bürger detaillierter, so wird deutlich, dass die Kommunikation der Bundesregierung – so die übereinstimmende Meinung der Experten – für alle Bürger da sein muss – niemand darf in der Kommunikation einer demokratisch gewählten Institution ausgegrenzt werden. Themenabhängig ist die zielgruppenspezifische Ansprache jedoch unausweichlich. Damit eröffnet sich gleichzeitig ein Spannungsfeld in der zielgerichteten Ansprache relevanter Bezugsgruppen: Auf der einen Seite besteht auch und insbesondere vor dem Hintergrund der finanziellen Restriktionen der Regierungskommunikation die dringenden Notwendigkeit, keine „Gießkannenkommunikation“ zu betreiben, auf der anderen Seite betonen die Experten, dass niemand in der Kommunikation explizit ausgegrenzt werden darf. Die Kommunikationskanäle der Regierungskommunikation zeichnen sich zusammenfassend durch einen dualen Charakter aus: Während erstens die direkte oder indirekte Medienbeeinflussung in Form der Pressearbeit im Fokus der Tätigkeit der Experten steht, sind zweitens direkt an den Bürger gerichtete Maßnahmen wie Kampagnen, Broschüren oder Anzeigen zu identifizieren, die jedoch vor dem Hintergrund insbesondere finanzieller Restriktionen im Verhältnis weniger stark ausgeprägt sind. Analog zu den Ergebnissen verschiedener Studien im Kontext der Regierungskommunikation ist hinsichtlich der Gewichtung einzelner Kommunikationsinstrumente ein Bedeutungszuwachs des Internets zu identifizieren. Obgleich die (dialogorientierte) Onlinekommunikation nicht als ausschließlicher „Königsweg“ der Kommunikation betrachtet wird, wird das Potenzial in der zielgruppengerichteten Kommunikation mit besonderem Vorzeichen der Umgehung medialer Gatekeeper-Prozesse im Vergleich zu „klassischen“ Kommunikationsinstrumenten höher eingeschätzt. Dialogorientierte Kommunikationsformen loten die Spielräume der Regierungskommunikation folglich neu aus: Der exklusive Informationsaustausch zwischen Regierung und Medien wird aufgebrochen, mit der Chance, unvermittelt mit dem
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Bürger zu kommunizieren und ihn in der Politikgestaltung „mitzunehmen“. Die Regierung fungiert in diesem Kontext als „Kontaktschnittstelle“, die sich nicht von dem Bürger distanziert, sondern als „Sachbearbeiter seiner Interessen“ fungiert. Im Spannungsfeld einer Einbeziehung der Bürger und Einholung von Feedback einerseits und der Politikgestaltung anderseits wird betont, dass die Handlungsfähigkeit der Exekutive nicht darunter leiden darf. Forschungsfrage 4 analysierte den Funktionskatalog der Regierungskommunikation in modernen Demokratien sowie handlungsorientierte Zielsetzungen der Akteure. Unter der Prämisse der Einbeziehung aller Bürger steht die Information als Grundlage der Legitimationsbeschaffung demokratisch gewählter Institutionen im Mittelpunkt des Funktionskataloges der Regierungskommunikation. Der theoretisch hergeleitete Funktionskatalog bestätigte sich folglich insbesondere im Kontext der Transparenz-, Informations- und Aufklärungsfunktion. Das handlungsleitende Repertoire der Sprecher respektive der politischen Akteure im Hintergrund umfasst neben legitimatorischen Zielsetzungen jedoch parallel auch machtorientierte Zielsetzungen. Ein weiteres Spannungsfeld eröffnet sich im Hinblick auf Verhaltensänderungen als Ziel der Regierungskommunikation. Während sich ein Teil der Befragten von dem Auslösen einer Handlung als Ziel der Regierungskommunikation deutlich distanziert, ist ein Experte der Ansicht, dass eine effektive und effiziente Regierung dies leisten kann und auch sollte. Aus der detaillierten Analyse der strukturellen Rahmenbedingungen der Regierungskommunikation ergeben sich unterschiedliche Implikationen für das Modernisierungspotenzial der Regierungskommunikation (Forschungsfrage 5). Die erste Stellgröße bezieht sich auf die institutionelle Verankerung und Ressourcenallokation der Regierungskommunikation. In diesem Kontext kann das Spannungsverhältnis zwischen der Autonomie der Ministerien und der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers, das mit einer Zersplitterung des ohnehin geringen Kommunikationsetats einhergeht, zugunsten einer integrierten Kommunikationsstrategie, die ressortübergreifend konzipiert und kommuniziert wird, entschärft werden.12 Die gegenwärtige Fragmentierung der Regierungskommunikation, die als ihre zentrale Schwäche gilt, wäre damit zumindest teilweise aufgelöst. Durch eine ressortübergreifende Kommunikation, die nicht zwangsläufig mit einem vollständigen
12
Vgl. hierzu auch Kronacher, M./Ruhenstroth-Bauer, P./Sarcinelli, U.: Kommunikationsreform. Drei Perspektiven auf die Zukunft der Regierungskommunikation, Schriftenreihe Zukunft Regieren. Beiträge für eine gestaltungsfähige Politik Bertelsmann Stiftung (Hg.), Gütersloh: Bertelsmann Stiftung, 2008.
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Verlust der Autonomie der Ministerien einhergeht, können Synergieeffekte entstehen, die bis dato ungenutzt bleiben. In diesem Kontext ist es zweitens von hoher Relevanz, die knappen Ressourcen der Regierungskommunikation (Personal und Etat) effektiv und effizient einzusetzen. Obgleich eine Erhöhung des Kommunikationsetats im Kontext der Modernisierung vermutlich zur Wirkungssteigerung der Regierungskommunikation beitragen würde, geht es in erster Linie darum, dass zunächst fundierte Kenntnisse über die Effektivität und Effizienz der eingesetzten Instrumente in der Regierungskommunikation generiert werden. Insbesondere bei einem niedrigen Etat erscheint es von hoher Relevanz, nicht mit den falschen Instrumenten an der Zielgruppe vorbei zu kommunizieren. Vor diesem Hintergrund ist es dringend erforderlich, die Kommunikationsinstrumente der Gegenwart sowie potenziell neue Instrumente einem stetigen Monitoring im Hinblick auf ihre Wirksamkeit zu unterziehen. Was für einen Großteil an Unternehmen im Bereich der Werbewirkungsforschung von hoher Relevanz ist, ist im Rahmen der politischen Kommunikation allgemein weniger stark verankert. Obgleich die Wirkungsmessung insbesondere im Kontext der Regierungskommunikation vor potenziell hohe Herausforderungen gestellt ist, bieten Indikatoren der (Werbe-)Wirkungsforschung erste Ansätze zur Kontrolle der eingesetzten Instrumente und Zielerreichungsgrade. Insbesondere vor dem Hintergrund steigender Kosten und der hohen Streuverluste massenmedialer Ansprachen gehört der aktuelle „Instrumentekasten“ der Regierungskommunikation auf den Prüfstand. Die zweite Stellgröße der Modernisierung der Regierungskommunikation bezieht sich in diesem Kontext auf die Zielgruppenorientierung und das Dialogpotenzial der Regierung. Gegenwärtig ringt die Regierung im Kanon mit Unternehmen, Verbänden oder Parteien um die Aufmerksamkeit der Medien und vor allem der Bürger. Diese Aufmerksamkeit ist jedoch begrenzt. Pieters und Wedel (2004: 36) konstatieren in diesem Zusammenhang: „Attention has been referred to as the scarcest resource in today’s business“. Während Unternehmen in der Vergangenheit bereits auf diese Entwicklung reagiert haben und eine Umverteilung des Kommunikationsbudgets zugunsten von Dialoginstrumenten vorgenommen haben, steht die Regierungskommunikation in Deutschland noch am Anfang einer nachhaltigen politischen Dialogkultur. Positive Beispiele der Vergangenheit sind beispielsweise Bürgerhaushalte oder die Kommunikationsplattform direktzu.de/vonder Leyen. Aus der detaillierten Analyse der strukturellen Rahmenbedingungen der Regierungskommunikation ergeben sich
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in diesem Kontext unterschiedliche Implikationen für die Implementierung verschiedener (Dialog-)Kommunikationsinstrumente in die Regierungskommunikation. Strategischer Ausgangspunkt ist und bleibt auch in Zukunft die Pressearbeit in den Ministerien, die in Kombination mit dem Internet als Multiplikationstool eine breit angelegte Zielgruppenansprache realisiert. Dem Charakter einer integrierten Kommunikationsstrategie Rechnung tragend sollte diese Ansprache jedoch verstärkt durch dialogische Kommunikationsformen begleitet werden, die die Beziehung zum Bürger pflegen und insgesamt zu einer Stärkung des bürgerlichen Diskurses in der Öffentlichkeit beitragen. Auf diese Weise können die relevanten Zielgruppen themenspezifisch weitgehend ungefiltert angesprochen und konventionelle publizistische Medien „untertunnelt“ werden. Dieser Prozess ist im Sinne einer dualen „Gesellschaftsberatung“ auszulegen, die auf die Mitarbeit der Bürger abzielt. Internationale Vorbilder wie die USA (aber auch Großbritannien und Dänemark) zeigen, dass die systematische Einbeziehung des Bürgers in Wahlkämpfen und der Regierungszeit möglich ist. Wollen Nationen voneinander lernen, so setzt dies letztendlich jedoch immer die Einsicht voraus, dass Problemlösungen nur im Horizont des jeweiligen gesellschaftlichen Arrangements zentraler Akteure verstanden werden können und einer Übersetzungsleistung, das heißt einer Anpassung an die eigenen institutionellen Strukturen und den Eigensinn des Landes, bedürfen. Das Hauptziel in diesem Prozess ist die Entwicklung eigener Ideen und Profile durch einen gemeinsamen, internationalen Wettbewerb der besten Lösungsmuster. Der grenzübergreifende Vergleich kann in diesem Kontext durchaus fruchtbare Anregungen für eine moderne Regierungskommunikation liefern, die den Bürger systematisch in die Kommunikation mit einbindet.
4.
Desiderate für die weiterführende Forschung
In Deutschland zeichnet sich die Forschungslage erstens durch einen juristisch wie politikwissenschaftlich dominierten sowie zweitens durch einen vergleichsweise praxisorientierten Fokus aus, der sich in überblicksartigen Aufsätzen, praxisorientierten Sammelbänden sowie (wissenschaftlichen) Monografien zu spezifischen Untersuchungskategorien wie beispielsweise Spin Doctor, Politikvermittlungsexperten oder dem Presse- und Informationsamt der Bundesregierung widerspiegelt. Auch
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international betrachtet wurde das Thema Regierungskommunikation in renommierten Journals bisher nur vereinzelt aufgegriffen. Der Blick über den Tellerrand zeigt jedoch parallel, dass der – wenn auch beengende – Forschungsdiskurs grenzübergreifend Gemeinsamkeiten beinhaltet: Aufbauend auf der These einer aus dem Vertrauensverlust und medialen Anforderungen wachsenden Notwendigkeit der Modernisierung der Regierungskommunikation, wird ein besonderer Fokus auf die Erschließung neuer (dialogorientierter) Kommunikationsformen gelegt, die den Bürger insgesamt stärker in das Regierungshandeln einbinden sollen. In diesem Kontext spielen onlinebasierte Kommunikationsformen oftmals eine besondere Rolle in der wissenschaftlichen Diskussion. Obgleich damit schlaglichtartig einzelne Aspekte der Regierungskommunikation aufgezeigt werden konnten, zeigen sich im Zuge der Aufarbeitung des (internationalen) Forschungsstandes zusammenfassend auch die blinden Flecken in der systematischen Erschließung aller relevanten Untersuchungseinheiten. So wurde im deutschen Sprachraum in der Vergangenheit ein besonderer Fokus auf die Austauschprozesse zwischen Massenmedien und dem politischen System gelegt, ohne den Bürger systematisch einzubinden. Damit einhergehend fehlen in der Regierungskommunikationsforschung erstens dezidierte Kenntnisse über das Mediennutzungsverhalten der Bürger im Kontext der Regierungskommunikation sowie empirische Studien über die Effektivität und Effizienz der eingesetzten Instrumente auf der Rezipientenseite. In diesem Kontext wäre es zudem zweitens wünschenswert, weitergehende Analysen dialogorientierter Kommunikationsinstrumente im Kernbereich der Regierungskommunikation vorzunehmen. Insbesondere der Einsatz und die Ausgestaltung (dialogorientierter) Kommunikationsformen in der Regierungskommunikation ist zwar in der Praxis ein virulentes Moment politischer Kommunikationsstrategien, in der Literatur jedoch nur wenig fundiert. Gleiches gilt drittens für eine Analyse der internen Organisation(-sprobleme) der Bundes- und Länderministerien. Die Frage, wie es der Bundes- und Landesregierung gelingen kann, eine gemeinsame Kommunikationsstrategie zu entwickeln, bleibt damit einhergehend weitgehend unbeantwortet. Nicht zuletzt mangelt es viertens gegenwärtig an international vergleichenden Studien zur Regierungskommunikation.
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Jana Heinze / Helmut Schneider
Die Autoren Jana Heinze studierte Sozialwissenschaften mit der Fächerkombination Soziologie, Medien- und Kommunikationswissenschaften, Öffentliches Recht und Betriebswirtschaftslehre an der Georg-August-Universität Göttingen und der Universität Helsinki (Finnland) und schloss mit dem Titel Diplom-Sozialwirtin ab. Nach Abschluss ihres Studiums ist Jana Heinze seit Juni 2007 wissenschaftliche Mitarbeiterin am SVI-Stiftungslehrstuhl für Marketing und Dialogmarketing (Professor Dr. Dr. Schneider) an der Steinbeis-Hochschule Berlin. Ihre aktuellen Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Nonprofit-Marketing, politische Kommunikation und Familienbewusste Personalpolitik. Professor Dr. Dr. Helmut Schneider ist Inhaber des SVI-Stiftungslehrstuhls für Marketing und Dialogmarketing, School of Management and Innovation, SteinbeisHochschule Berlin. Er ist Lehrbeauftragter an der Universität Münster und der Marmara Universität Istanbul. Zudem ist er Gründungsdirektor des Forschungszentrums für Familienbewusste Personalpolitik (FFP) an der Universität Münster. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen Fragen des interkulturellen, gesellschaftlichen und medialen Dialogs sowie der verhaltenswissenschaftlichen Preisforschung und des strategischen Marketings.
Kontakt: Dipl.-Sozialwirtin Jana Heinze Wissenschaftliche Mitarbeiterin Steinbeis-Hochschule Berlin School of Management and Innovation (SMI) SVI-Stiftungslehrstuhl für Marketing und Dialogmarketing Gürtelstraße 29A/30 10247 Berlin [email protected]
Mobile Marketing – Dialog mit Zukunft Maria Christina Koch / Gabi Theuner
Management Summary Nutzer mobiler Endgeräte erkennen zunehmend die Vorteile des schnellen und einfachen Zugangs zu Informations-, Service-, Sales- und EntertainmentAngeboten. Mit steigender Bedeutung mobiler Endgeräte und deren leistungsfähigen technischen Übertragungsstandards steigt auch das Interesse der Unternehmen an Mobile Marketing. Erkennbares Kundenprofil und Reaktionsmöglichkeiten auf die konkrete Kundensituation ermöglichen es den Anbietern, kundenspezifische und interaktive Kundenbeziehungen aufzubauen beziehungsweise zu erhalten. Ein effektives Mobile Marketing ist jedoch wesentlich abhängig von der Qualität der Onlineangebote, der Nutzerakzeptanz des Mediums und den vielfältigen Rahmenbedingungen.
1.
Problemstellung
Das mobile Endgerät ist pro Tag durchschnittlich 14 Stunden eingeschaltet und wird meist am Körper getragen oder befindet sich in unmittelbarer Nähe. Das mobile Endgerät ist als einziges Gerät fest in den Tagesablauf integriert. Die Bedeutung für den Nutzer ist demnach sehr hoch und hat einen ähnlich hohen Intimitätsgrad wie
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Maria Christina Koch / Gabi Theuner
Geldbörse und Schlüssel erreicht.1 Mobilität wird allgemein durch die Möglichkeit, an jedem Ort und zu jeder Zeit mit jedem Partner kommunizieren zu können, wesentlich attraktiver. Mit steigender Bedeutung mobiler Endgeräte in Kombination mit leistungsfähigen technischen Übertragungsstandards steigt auch das Interesse der Unternehmen an diesem Medium. Mobile Marketing wird damit häufig als innovative Interpretation des Direktmarketings und Hoffnungsträger für neue Impulse marktorientierter Marketingplanung gehandelt. Mobile Marketing liefert dem Dialogmarketing ein weiteres Instrument zum Aufbau von Kundenbeziehungen, zur Kundenbindung sowie zur Image- und Markenbildung und qualifiziert das Kundenprofiling und die Erfolgskontrolle. Ein effektives Mobile Marketing ist jedoch im Wesentlichen abhängig von der Qualität der strategischen Vorbereitung einschließlich dem verfügbaren Knowhow der Anbieter.
2.
Theoretische Ausgangssituation
Im weiteren Sinne versteht man unter Mobile Marketing die Planung, Durchführung und Kontrolle von Marketingaktivitäten unter Nutzung mobiler Datenübertragungstechnologien und mobiler Endgeräte zur zeit- und ortsunabhängigen Befriedigung von Kundenbedürfnissen. Mobile Marketing als Teilaspekt des Mobile Business (bzw. des Mobile Commerce) zu definieren oder Mobile Commerce als eine Untermenge des Mobile Business zu betrachten, wird dem Marketingpotenzial nicht ganz gerecht.2
1
2
Vgl. Bauer, H. H./Lippert, I./Reichardt, T./Neumann, M. M.: Effective Mobile Marketing. Institut für Marktorientierte Unternehmensführung – Universität Mannheim. Mannheim 2005 Management Arbeitspapier Nr. M96, S. 2. Vgl. Reichwald, M./Fremuth N.: Die mobile Ökonomie – Definition und Spezifika, in: Reichwald, R. (Hg.): Mobile Kommunikation – Wertschöpfung, Technologien, neue Dienste. Wiesbaden, 2002, S. 8; Tomak, K.: Advances in the Economics of Information Systems. London, 2004, S. 208.; Von Gerpott wird kritisiert, dass nicht alle Aspekte bei diesen Definitionen berücksichtigt werden, wie zum Beispiel die mobile Sprachtelefonie. Vgl. Reichwald, Meier und Fremuth 2002, S.8; Gerpott, T. J.: Wettbewerbsstrategische Gestaltungsfelder für Mobilfunkbetreiber auf Mobile-Business-Märkten, in: Information Management & Consulting, 16. Jg., Nr. 2, S. 36 f.
Mobile Marketing – Dialog mit Zukunft
59
Allgemeine Merkmale des Mobile Marketings sind:
Das Konzept beruht auf dem Permission Marketing, das die massenhafte Versendung unerwünschter Werbebotschaften an mobile Endgeräte ausschließt. Der Konsument in der mobilen Informationsgesellschaft wird mit ca. 3 000 Markenbotschaften pro Tag konfrontiert3 und reagiert nur noch situationsspezifisch auf relevante Botschaften.
Erst im Mobile Marketing wird es möglich sein, ein konsequentes und individuelles One-to-One-Marketing umzusetzen.4 Der Konsument wird in Form des Multi Channel Marketings in ein ganzheitliches, intelligentes System eingebunden, in dem die mobile Welt Offline und Online miteinander vernetzt ist. Wesentliche Merkmale des Mobile Marketings basierend auf den Besonderheiten der mobilen Endgeräte sind: Hohe Reichweiten und Effizienz
In Deutschland wird das mobile Endgerät von allen Altersklassen und Schichten genutzt und übertrifft mit einer Endgeräte-Penetrationsrate von 106 Prozent weit die stationäre Penetrationsrate des Internets in Höhe von 66 Prozent.5 Trotz der hohen Verbreitung mobiler Endgeräte existieren noch Unterschiede bei den Mobilfunknutzern bezüglich ihrer Aufgeschlossenheit gegenüber Mobile Marketing. So sind nicht alle Mobilfunknutzer offen für eine Ansprache über Mobile Marketing. Zur Bestimmung möglicher Zielgruppen empfiehlt es sich, in einem möglichsten frühen Stadium die Zielgruppen auf bestehende Affinitäten zu prüfen. Nach dem Modell „Communication Networks 8.0“ eignen sich hierzu vor allem die ComActing-Typen „Info Elite“6 zur Ansprache. Die „Info-Elite“ zeichnet sich durch hohes kommunikatives Interesse, Meinungsführerschaft, hohes Interesse an Informa-
3 4 5 6
Vgl. Rösger, H./Heitmann, M.: Der Markenareal-Ansatz zur Steuerung von Brand Communities, in: Interactive Marketing im Web 2.0+. München, 2007, S. 101. Vgl. Holland, H: Adressierte Mailings im System der Direktmarketing-Medien ,in: Wirtz, B. B.: Integriertes Direktmarketing, Wiesbaden 2005, S. 3. Vgl. Bundesnetzagentur -Penetration und Zuwächse in Mobiltelefonnetzen; vgl. AGOF-Internet Facts 2008-III, S. 5. Vgl. Fokus Medialine 2005: Der Markt für Mobilität. Fokus. München, 2005, S. 49.
60
Maria Christina Koch / Gabi Theuner
tionen sowie Offenheit für Neues und Zukunftsorientierung aus. Hohe Responsequoten für mobile Marketingkampagnen sind die Folge7 (siehe Tabelle 1). Tabelle 1: Responsequote Mobile Advertisement in Europa (in Anlehnung an M:Metrics 2007, S. 1) Land
Receiving
Responding
Deutschland
32,5 %
5,7 %
Spanien
75,4 %
6,1 %
Frankreich
62,3 %
7,6 %
Italien
56,8 %
8,0 %
UK
41,4 %
9,2 %
Lokalisierbarkeit Mittels neuer Technologien wie Global Positioning System (GPS), Cell of Origin (COO) oder Enhanced Observed Time Difference (E-OTD) kann man den Aufenthaltsort eines Mobilfunknutzers relativ genau erfassen. Zunehmend gewinnen in diesem Zusammenhang sogenannte Local Based Services an Bedeutung. Dabei führt der Kunde eine Ortung seines aktuellen Aufenthaltsortes durch und erhält räumlich nahe Informationen, zum Beispiel das nächste Restaurant oder andere Points Of Interest (POI) wie zum Beispiel Kaufhäuser, Tankstellen und Sehenswürdigkeiten. Zusätzlich zu der örtlichen Koordinate wird der Zeitpunkt der Abfrage aufgezeichnet, sodass die Voraussetzungen für eine situationsspezifische Anfrage bestehen. Identifikation
Der Nutzer eines mobilen Endgeräts kann über die Subscriber-Identity-ModuleKarte (SIM-Karte) eindeutig identifiziert werden, da das mobile Endgerät nur auf eine Person zugelassen werden kann. Bei einer Penetrationsrate mobiler Endgeräte von über 100 Prozent verfügt jeder Europäer im Durchschnitt mindestens über ein mobiles Endgerät. Der Nutzer kann mehr als eine SIM-Karte und damit mehrere mobile Endgeräte besitzen. Verwendet ein Nutzer mehr als ein Handy mit einer SIM-Karte, geschieht dies aufgrund unterschiedlicher Nutzung des mobiles Endge7
Advertising per SMS hat zum Beispiel eine durchschnittliche Responsequote von ca. sieben Prozent. Die geschätzte Responsequote von Postwurfeinsendung in Europa liegt zwischen 0,5 und drei Prozent. Vgl. Winkelmann, Peter 2008, S. 456.
Mobile Marketing – Dialog mit Zukunft
61
rätes mit jeweils einer SIM-Karte (z. B. private und geschäftliche Nutzung). Die freiwillige Bekanntgabe von Informationen kann je nach der Nutzung (geschäftlich, privat) variieren. So kann beispielsweise der Nutzer den Service auf sein privates mobiles Endgerät bestellen, ohne sein Geschäftstelefon zu involvieren und umgekehrt. Personalisierung und Emotionalisierung
Für eine effiziente personalisierte Kundenansprache erweist sich die Erfassung von Kundendaten zu spezifischen Interessen und Präferenzen im Rahmen von CRM als wichtig. Insbesondere Mobilfunkbetreiber können auf umfangreiche und exklusive Profildaten aus eigener Quelle zugreifen. Ein mobiles Endgerät wird in der Regel nur selten von mehreren Personen genutzt. Der Nutzer möchte sein Gerät individuell anpassen. Die Wahl des Herstellers, des Displaylogos und des Klingeltons gilt als Ausdruck der eigenen Persönlichkeit. Die Nutzer sehen das Mobile Endgerät nicht nur als technisches Gerät an, sondern bauen eine starke emotionale Bindung zu ihm auf. Das Handy ist ein Statussymbol. Die Marke stellt das wichtigste Kaufentscheidungskriterium dar. Bei den analysierten Handymarken Apple, Nokia, Sony Ericsson, RIM und Samsung erreichte Apple ein deutliches Alleinstellungsmerkmal durch das Markenimage und wurde mit den Eigenschaften „innovativ“ und „trendy“ wahrgenommen. Die Traditionsmarken Nokia und Sony Ericsson liegen ungefähr gleich auf. RIM und Samsung haben nur aufgrund des hohen Innovationspotenzials beziehungsweise Trendcharakters eine gute Platzierung erhalten (siehe Tabelle 2). Tabelle 2: Image-Index Werte mobiler Markenendgeräte (www.horizont.net/)
Ortsunabhängigkeit, Erreichbarkeit und Interaktivität Durch das mobile Endgerät ist es möglich, mit dem Kunden überall und jederzeit in Dialog zu treten. Der Nutzer kann unmittelbar und bequem auf die Botschaft reagieren. Ca. 14 Stunden pro Tag ist das mobile Endgerät eingeschaltet. Die Eigenschaf-
62
Maria Christina Koch / Gabi Theuner
ten Personalisierung und Interaktivität ermöglichen es, virale Effekte auszulösen beziehungsweise zu erhöhen. Virale Effekte beruhen auf der Annahme, dass interessante Botschaften an Bekannte weitergeleitet werden und diese Nachricht beziehungsweise Weiterleitung oder sogar Empfehlung einen stärkeren Effekt erzielt als von einem dem Empfänger möglicherweise unbekannten Absender.8
3.
Ziele und Strategien
Mobile Marketing kann in vier Zielkategorien unterteilt werden:9 Kundengewinnung und Verkauf,
Kundenbindung und Kundenservice, Image und Markenbildung sowie
Marketingforschung-und Werbeerfolgskontrolle.
Diese Ziele entsprechen den wesentlichen Marketingzielen für „emerging channels“ nach Forrester.10 Das Zieldreieck (siehe Abbildung 1) bezieht sich in der unteren Ebene auf die Kontaktherstellung beziehungsweise Kundengewinnung und in der Spitze auf bereits bestehende und bekannte Kunden. Das Herzstück der Zielpyramide bilden die Marketingforschung und die Werbeerfolgskontrolle, welche sich jeweils auf die anderen Ziele beziehen.
8
Eine Kampagne der Bekleidungsunternehmens H&M zum FlagshipStore-Opening in Berlin erzielte beispielsweise eine Interactionresponse von 78 Prozent Response inklusive Weiterleitung an Freunde innerhalb von 48 Stunden nach Versenden der Botschaft an 120 000 TargetingProfile einer Community der Firma YOC (http://www.yoc.com/_files/video/hm.wmv.). 9 Vgl. Basisreport Mobile Marketing: Einsatz, Erfolgsfaktoren, Dienstleister. Berlecon Research, Berlin, 2003, S. 27. 10 Vgl. Forrester Research – Interactive Marketing Channels to watch. Cambridge, 2008, S. 7.
Mobile Marketing – Dialog mit Zukunft
KundenͲ bindung & Kundenservice
63
Bestandskunden
Marketingforschung & WerbeerfolgsͲ kontrolle KundenͲ gewinnung & Verkauf
Kontakt und Interesse
Abbildung 1:
Zieldreieck des Mobile Marketings (Theuner/Koch (2008), S. 14)
Die folgende Tabelle 3 konkretisiert die Zielkategorien anhand von Zielen bereits erfolgreich durchgeführter mobiler Marketingkampagnen. Die Marketingforschung und Werbeerfolgskontrolle sind für die Erreichung der drei Teilziele durch Möglichkeit der Lokalisierung der Zielkunden (d. h. Zeitpunkt und Ort einer Anfrage bzw. Response) von zentraler Bedeutung. Eine Response kann direkt gemessen werden, zum Beispiel die Response eines Mobilfunknutzers auf ein Mobile Coupon über das Verbuchen am Point of Sale. Die Reaktionszeit errechnet sich aus Differenz der Zeit zwischen Versendung und Einlösung des Coupons. Über die Response-Kanäle können direkt Rückschlüsse auf die Effizienz des Instrumenteneinsatzes gezogen werden. Für einen effizienten Einsatz mobiler Marketingmaßnahmen ist es im Vorhinein wichtig, die Ziele einer Kampagne eindeutig zu definieren und messbar zu machen.
64
Maria Christina Koch / Gabi Theuner
Tabelle 3: Ziele des Mobile Marketings (Koch (2009), S. 14) Kundenbindung und Kundenservice
Erhöhung der Qualität des Kundenservice Bereitstellen von mobilen Zusatzdiensten und Produktkomponenten Erhöhung der Kundenzufriedenheit Schaffen von Wechselbarrieren
Image und Markenbindung
Imageaufbau Steigerung der Bekanntheit der Marke Vermitteln einer Markenwelt Markenpositionierung; Positive Aufladung der Marke durch Emotionen, Modernisierung der Marke durch Innovationsfähigkeit des Mobilen Kanals
Kundengewinnung und Verkauf
Steigerung des Abverkaufs Erhöhung der Transaktionsbereitschaft durch Heranführung des Kunden an die Kaufsituation Heranführung an den Point-of-Sale Kaufanreiz schaffen durch preispolitische Instrumente und Incentives Up- und Cross-Selling Neukundengewinnung Kontaktgenerierung über Virale Effekte
Im Mobile Marketing kann sowohl die Push- als auch die Pull-Strategie verfolgt werden. Bei einer Pull-Mobile-Marketing-Strategie geht man davon aus, dass sich der Nutzer die Angebote und Informationen sucht, die der Anbieter über ein Informations- und Interaktionsangebot, zum Beispiel in Form eines mobilen Portals, zur Verfügung stellt. In der Literatur wird die Pull-Strategie auch synonym als Mobile Direct Response Marketing (MDRM) bezeichnet.11 Eine kommunikationsrelevante Ergänzung zum klassischen Pull-Konzept ist die Content-Pull-Strategie, bei der dem nachgefragten Pull-Content zusätzlich vom Anbie-
11
Vgl. K+R Mobile Research Guide 2008. Kirchner und Robrecht Consulting, Frankfurt, 2008, S. 97.
Mobile Marketing – Dialog mit Zukunft
65
ter eine (Werbe-)Botschaft zugefügt wird.12 Wählt man eine Push-Strategie, wird der Nutzer unter der Voraussetzung seiner vorab gegebenen Zustimmung proaktiv angesprochen.
4.
Instrumente
Die Instrumente des Mobile Marketings werden vorrangig über den Marketingmix beschrieben. Ausgehend von dem Zieldreieck des Mobile Marketings (siehe Abbildung 1) lassen sich die Instrumente unter dem Gesichtspunkt des Relationship-Marketings systematisieren. Die Kundenbeziehung bildet entsprechend der CRM-Klassifikation „Lead-Opportunity-Deal“ die vertikale Dimension. Die beiden horizontalen Dimensionen bilden die beiden Push- und Pull-Strategien (siehe Abbildung 2). Im Kontext des Mobile Marketings bezeichnet
„Lead“ einen Interessenten, der seine Handynummer und sein Einverständnis für mobile Marketingkampagnen gegeben hat.
„Opportunity“ einen Interessenten, der zusätzlich bestehende Interessen angegeben hat, woraus sich die Verfügbarkeit eines korrespondierenden Interessentenprofiles ergibt.
„Deal“ einen bestehen Kunden, der zusätzlich sein Einverständnis für mobile Marketingkampagnen gegeben hat.
Die Ziele „Kundengewinnung und Verkauf“ sowie „Image und Markenbildung“ gelten für alle Ausprägungen einer Kundenbeziehung. Das Ziel „Kundenbindung und -Zufriedenheit“ bezieht sich jedoch nur auf die Ebene „Deal“, auf bereits bestehende Kunden. Bei der Systematisierung beziehungsweise Zuordnung der Instrumente zu der vertikalen Dimension (Lead, Opportunity, Deal) ist zu beachten, dass nur ein Upgrade im Einsatz der Instrumente erfolgen kann (z. B. Mobile Advertising auch für bestehende Kunden). Ein Downgrade eines Instrumentes ist dahingegen kaum sinnvoll (z. B. Einsatz des Customer Services für Interessenten eher ungeeignet). 12
Von Content-Pull-Advertising spricht man, wenn zum Beispiel ein kostenloser SMSWetterdienst mit einer Werbebotschaft (Magic-Moments-Kampagne von Jever) versehen wird.
66
Abbildung 2:
Maria Christina Koch / Gabi Theuner
Systematik der Mobile-Marketing-Instrumente (in Anlehnung an Koch (2009), S. 17)
Die folgenden Praxisbeispiele lassen sich nach Abbildung 2 wie folgt systematisieren:
I Deal
ÆPUSH und PULL
Mobile Customer Service (trägt zur Verbesserung des Kundenservices bei)
Mobile-Product-Add-On (mobile Produkt-/Service-Komponente mit Mehrwert für den Kunden) Beispiel Lufthansa: eFly Services Mobiles Informationsportal: Flugplandaten, Check-In
Mobile Marketing – Dialog mit Zukunft
67
II Opportunity ÆPUSH
Mobile Information Services (Informationsdienste, die den Nutzer sporadisch zu relevanten Themen informieren)
ÆPUSH und PULL
Sponsored Content Pull (Pull-Abfrage mit Werbebotschaft verknüpft, zum Beispiel mobile Search Advertising, neben dem Suchergebnis wird Botschaft übermittelt) Beispiel Nike: Sponsored Content – Mobile Goodies
ÆPULL
Location Based Services (standortbezogene Dienste, die anhand des aktuellen Standortes den Mobilfunknutzer mit relevanten kontextsensitiven Informationen versorgen) Beispiel Guinness: Pub Finder anlässlich des St. Patricks Day
III Lead ÆPUSH
Mobile Advertising (SMS ohne Response-Funktion: SMS-Werbebotschaft oder Information; MMS: Textbotschaft mit multimedialen Inhalten wie Bild, Audio, Video; Mobile Games: Spiele, die vom werbenden Anbieter zum Download zur Verfügung gestellt werden und Werbung beinhalten) Mobile Couponing (an die Zielgruppe gesendete Coupons; dienen als Legitimierung am POI für Verkaufsförderungsmaßnahmen) Mobile Lottery (Gewinnspiele, die über Kommunikationskanäle kommuniziert werden und eine Response erwarten) Beispiel Calvin Klein Parfums
ÆPULL
Mobile Portals (mobile Internetseiten eines Unternehmens, die aufgrund der technischen Restriktionen und Übertragungsstandards angepasst sind an die Darstellungsmöglichkeiten des Endgerätes) Beispiel Landrover: Stand-Alone Mobile Portal
68
5.
Maria Christina Koch / Gabi Theuner
Dialog-Trends des Mobile Marketings
Eine bisher kaum realisierbare bedürfnisorientierte Dialoggestaltung bietet das Mobile Marketing durch die neue Dimension der Situationsadäquatheit. Kundendatenbanken, kombiniert mit Situationsdaten, ermöglichen einen bedarfsgerechten Dialog zwischen Anbieter und Nutzer. Der Nutzer kann sich in vier Grundsituationen befinden:13 „Leerzeiten-Situationen“: Auch als „Übergangs-und Durchgangsraum zwischen zwei Aktivitätsbereichen“ bezeichnet: Durch vorhandene Zeit (empfunden als unproduktive Zeit) und fehlende Ablenkung kann es zu einer höheren Response beziehungsweise Interaktivität und Auseinandersetzung mit der Botschaft kommen. „Such-Situationen“: Der angebotene Mehrwert wird genau in der konkreten Bedarfssituation des Nutzers abgerufen (PULL), der Nutzer ist bereit, auch kostenpflichtige Mehrwertdienste in Anspruch zu nehmen. Der damit erzeugte Goodwill und das Kundenbindungspotenzial sind für das Dialogmarketing unschätzbar.
„Not-Situation“: Der kurzfristig auftretende Bedarf an Informationen und Service (PULL) resultiert im Unterschied zur Such-Situation unfreiwillig.
„Quasistationäre Situation“: Bezüglich der Alternative zwischen mobilen und stationären Geräten (z. B. zu Hause oder im Büro) bietet das Mobile Marketing den Vorteil des einfachen, schnellen und unmittelbaren interaktiven Dialogs gegenüber den umfangreichen, zeitaufwendigeren Recherchen am Computer.
Für ein situationsgerechtes Angebot sind die situativen Faktoren Nutzer (Kundendatenbank), Ort (Geo-Marketing), Zeit (Bedarfszeitpunkt/-zeitraum), Zweck (Bedarf), Kenntnisse im Umgang mit mobilen Endgerät und dessen technisch-technologischer Ausstattung zugrunde zu legen.
13
Vgl. Link, J./Seidl, F.: Der Situationsansatz als Erfolgsfaktor des Mobile Marketing, in: Bauer, D. et al. (Hg.): Erfolgsfaktoren des Mobile Marketing. Berlin, 2008, S. 54 f.; „InterspaceKonzept“, vgl. Hulme, M./Truch, A. 2006, S. 160, 165.
Mobile Marketing – Dialog mit Zukunft
69
Mobile Marketing wird in den nächsten Jahren enorme Wachstumsraten aufweisen. Die Verdrängung von SMS-Diensten wird zugunsten von Mobile Instant Messaging sowie von Mobile Advertising und Mobile Search stattfinden. 14 Die Ausgaben für Mobile Advertising in Westeuropa sollen in den nächsten zwei Jahren für Sponsored Mobile Messaging und Display Advertising ein Wachstum von über 414 Prozent und für Mobile Search 5 000 Prozent aufweisen.15 In Bezug auf „form follows function“ wird Mobile Marketing als Folge technischtechnologischer Innovationen als Instrument für das Dialogmarketing folgendes Potenzial bis 2013 eröffnen:16 Der Trend mobiler Endgeräte zu Smartphones: Diese werden hinsichtlich Speicherkapazität, Akkulaufzeit und Darstellungsmöglichkeiten des Displays immer leistungsfähiger. Es werden ca. 55 Prozent der Endgeräte für die dritte Generation der Übertragungsstandards bereit sein.
Die UMTS-Penetration wird bei 62 Prozent liegen und damit eine klare Technologieführerschaft innehaben. Damit wird sich die Geschwindigkeit der Datenübertragung mindestens verdoppeln, was neue Anwendungsmöglichkeiten zur attraktiveren und schnelleren Dialoggestaltung, insbesondere der Gestaltung von multimedialen Inhalten, eröffnet. Zu betonen ist auch, dass die Verantwortung der Agenturen hinsichtlich der MultiChannel-Kommunikation in der effizienten Einbindung des Mobile Marketings durch Spezialisierung innerhalb der Agentur oder Kooperationen mit auf Mobile Marketing spezialisierten Agenturen besteht. Noch werden über 60 Prozent der Mobile-Marketing-Kampagnen durch das Unternehmen selbst initiiert.17
14
Bis 2013 werden ca. 13 Prozent des europäischen SMS-Verkehrs durch Mobile Messaging ersetzt; vgl. K+R Research Report Mobile Marketing 2008, S. 87; der für 2013 prognostizierte Anstieg auf 125 Millionen europäische Internetnutzer entspricht 38 Prozent der Mobilfunknutzer; vgl. Forrester Research -European Mobile Forecast 2008, S. 10. 15 http://mobilestance.com/wp-content/uploads/2008/04/emarket-w-europe.jpg. 16 Vgl. Forrester Research European Mobile Forecast 2008, S. 5, 7. 17 Vgl. Bauer, H. H./Lippert, I./Reichardt, T./Neumann, M. M.: Effective Mobile Marketing. Institut für Marktorientierte Unternehmensführung – Universität Mannheim. Mannheim 2005 Management Arbeitspapier Nr. M96, S. 13.
70
Maria Christina Koch / Gabi Theuner
Literatur BASISREPORT MOBILE MARKETING (2003): Einsatz, Erfolgsfaktoren, Dienstleister. Berlecon Research, Berlin. BAUER, H. H./LIPPERT, I./REICHARDT, T./NEUMANN, M. M. (2005): Effective Mobile Marketing. Institut für Marktorientierte Unternehmensführung – Universität Mannheim. Mannheim 2005 Management Arbeitspapier Nr. M96. BUNDESNETZAGENTUR – Penetration und Zuwächse in Mobiltelefonnetzen 1990 bis 4. Quartal 2008; www.bundesnetzagentur.de (Zugriff: 14. Februar 2009). FOKUS MEDIALINE 2005: Der Markt für Mobilität. Fokus. München, 2005. FORRESTER RESEARCH – Interactive Marketing Channels to watch. Cambridge, 2008. GERPOTT, T. J.: Wettbewerbsstrategische Gestaltungsfelder für Mobilfunkbetreiber auf Mobile-Business-Märkten, in: Information Management & Consulting, 16. Jg., Nr. 2, S. 36. HOLLAND, H. (2005): Adressierte Mailings im System der Direktmarketing-Medien, in: Wirtz, B. B.: Integriertes Direktmarketing, Wiesbaden, S. 403-422. Generation Tekki: Eine Trendstudie der Interone Worldwide. Interone worldwide Forrester European Mobile Forecast 2008 to 2013. Cambridge, 2008. www.bbdo.de/de/home/studien.download.Par.0033.Link1Download.File1Titl.pdf (Zugriff: 15. Februar 2009). http://mobilestance.com/wp-content/uploads/2008/04/emarket-w-europe.jpg (Zugriff: 28. Februar 2009). KOCH (2009): Strategische Situationsanalyse für Mobile Marketing – Analyse der kritischen Erfolgsfaktoren für John Deere. Bachelor Thesis, FH Ludwigshafen 2009. K+R MOBILE RESEARCH GUIDE (2008). Kirchner und Robrecht Consulting, Frankfurt, 2008. LINK, J./SEIDL, F. (2008): Der Situationsansatz als Erfolgsfaktor des Mobile Marketing, in: Bauer, D. et al. (Hg.): Erfolgsfaktoren des Mobile Marketing. Berlin, S. 51-70. REICHWALD, M./FREMUTH N. (2002): Die mobile Ökonomie – Definition und Spezifika, in: Reichwald, R. (Hg.): Mobile Kommunikation – Wertschöpfung, Technologien, neue Dienste. Wiesbaden, S. 5-13. RÖSGER, H./HEITMANN, M. (2007): Der Markenareal-Ansatz zur Steuerung von Brand Communities, in: Interactive Marketing im Web 2.0+. München, S. 93. THEUNER, G./KOCH, M. C. (2008): Best Practice – Mobile Marketing, Forschungsbericht, FH Ludwigshafen. TOMAK, K. (2004): Advances in the Economics of Information Systems. London. WINKELMANN, P. (2008): Marketing und Vertrieb. 6. Auflage, München.
Mobile Marketing – Dialog mit Zukunft
71
www.horizont.net/marktdaten/charts ( Zugriff: 16. Oktober 2009). www.yoc.com/_files/video/hm.wmv (Zugriff: 15. Februar 2009).
Die Autoren Maria Christina Koch absolvierte erfolgreich ihr Marketingstudium an der Fachhochschule Ludwigshafen und veröffentlichte im Rahmen ihrer Abschlussarbeit eine empirische Untersuchung zum Thema Mobile Marketing Solutions. Neben dem Studium arbeitete sie in diversen Bereichen des Marketings bei internationalen Unternehmen und machte sich 2006 als Marketing Consultant selbstständig. Im Anschluss daran übernahm sie eine leitende Führungsposition und strebt nun eine Promotion im Forschungsgebiet des Mobile Marketings an. Professor Dr. habil. Gabi Theuner ist Studiengangleiterin Marketing an der FH Ludwigshafen. Der Schwerpunkt der Lehre liegt im Internationalen Marketing (Francis Marion University, USA) sowie Kommunikation und Marketingforschung. Forschungsschwerpunkte sind vor allem Online-Kommunikation und Interkulturelle Kommunikation.
Kontakt: Professor Dr. habil. Gabi Theuner Fachhochschule Ludwigshafen (a. Rh.) Ernst-Boehe-Straße 4 67059 Ludwigshafen [email protected] www.crcenter.de
Synergien im Rahmen integrierter Kommunikation – Modellierung, Analyse und empirische Ergebnisse Kay Peters
Management Summary Synergien stehen derzeit im Mittelpunkt des Interesses der Werbewirtschaft: Werbetreibende Unternehmen, Media-Agenturen und Medienunternehmen suchen gemeinsam nach Möglichkeiten, die weit verbreiteten Budgetreduktionen durch höhere Synergien der Werbemitteleinsätze zu kompensieren. Synergien können immer dann geschaffen werden, wenn der gemeinsame Einsatz von zwei Werbemitteln einen größeren Effekt hat als die jeweiligen Einzelwirkungen. Solche Synergien können in der Kommunikation in vielfältiger Hinsicht auftreten. Auf strategischer Ebene könnten beispielsweise Investitionen in zwei oder mehr Medien (TV, Print und Online) Synergien generieren, während auf operativer Ebene die zeitnahe Schaltung von zwei Spots einen solchen Effekt erzeugen kann. Um diese Effekte systematisch zu nutzen, müssen die Effekte jedoch in einem ersten Schritt quantifiziert werden. Daran schließt sich die Frage an, welche normativen Empfehlungen sich aus solchen Analysen für die Praxis ableiten lassen. Dieser Beitrag fasst aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse für die Praxis zusammen und zeigt deren Anwendungspotenziale auf.
74
1.
Kay Peters
Einleitung
Seit 2008 sind die nominalen Brutto-Investitionen in werbliche Kommunikation rückläufig.1 Höhere Rabatte der Werbemedien lassen einen deutlicheren Rückgang der Nettoinvestitionen vermuten. Trotz dieser reduzierten Mittel werden die Zielvorgaben, die mit den Investitionen in die Kommunikation verbunden sind, nur selten nachhaltig nach unten korrigiert. Zugleich nimmt die Vielfalt der Medien stetig zu, sodass die Effektivität beziehungsweise Effizienz einzelner Medien oder Werbeträger zwangsläufig zurückgeht. Diese Situation stellt die Verantwortlichen in den Unternehmen, Media-Agenturen und Medienunternehmen vor eine große Herausforderung. Um trotz des zunehmend schwierigen Umfelds mit reduzierten Mitteln vergleichbare Ziele zu erreichen, wird insbesondere die systematische Schaffung von Synergien zwischen einzelnen Werbeinvestitionen verfolgt. Die systematische Erzeugung von Synergien setzt jedoch zunächst ein gemeinsames Verständnis aller Beteiligten voraus, das heißt eine gemeinsame Definition. Ebenso ist ein praktikabler Messansatz erforderlich, mit dem diese Synergie-Effekte hinreichend quantifiziert werden können. Auf dieser Basis ist es für die Verantwortlichen nachfolgend von Interesse, welche Implikationen das Auftreten von Synergien für die grundsätzliche Allokation der Kommunikationsinvestitionen hat. Der Beitrag widmet sich diesen drei Fragestellungen, indem er die zentralen wissenschaftlichen Beiträge strukturiert vergleicht und deren Erkenntnisse zusammenfasst. Im nachfolgenden Abschnitt werden zunächst der Begriff Synergie näher definiert und verschiedene Formen von Kommunikationssynergien vorgestellt. Zugleich werden zentrale aktuelle Beiträge ausgewählt und Kriterien für den systematischen Vergleich der Ansätze erarbeitet. Im dritten Abschnitt werden die ausgewählten Beiträge entlang dieser Kriterien inhaltlich charakterisiert und im Hinblick auf ihre Messansätze sowie Implikationen für die Budgetallokation systematisch verglichen.
1
Nielsen Media Research: Aktueller Werbetrend, November 2009, (http://www.nielsenmedia.de/pages/datagrid.aspx?datagridName=datagrid001).
Synergien im Rahmen integrierter Kommunikation
2.
75
Grundlagen
Naik (2007) ordnet die „Integrated Marketing Communications“ (IMC) beziehungsweise die integrierte Kommunikation als viertes und jüngstes Paradigma der werblichen Kommunikation ein. Im Gegensatz zu IMC fokussieren die älteren dekompositionellen Ansätze jeweils auf ein bestimmtes Attribut der Leistung („Scientific Advertising“ von Claude Hopkins, „Unique Selling Proposition (USP)“ von Rosser Reeves und „Brand Image“ von David Ogilvy). IMC geht hingegen von einem ganzheitlichen Erscheinungsbild der Kommunikation einer Marke beim Konsumenten aus, das heißt, die Marke kapitalisiert im Rahmen des IMC synergetische Wirkungen der multiplen Kommunikationsinvestitionen.2 Hieraus leitet Naik (2007) die allgemeine Definition für Kommunikationssynergien ab: Synergie tritt demnach immer dann auf, wenn die Wirkung kombinierter Kommunikationsanstrengungen die Summe der jeweiligen Einzelwirkungen der betrachteten Anstrengungen übersteigt. Diese allgemeine Definition der Synergie wird in der Folge näher spezifiziert und den weiteren Ausführungen zugrunde gelegt. Die vorstehende Definition zu synergetischen Effekten ist relativ allgemein gehalten. Grundsätzlich kann zwischen strategischer und operativer Betrachtung von Synergien unterschieden werden. Auf strategischer Ebene ist beispielsweise von Interesse, ob Synergien aus den parallelen Investitionen in verschiedene Medien innerhalb eines gegebenen Zeitraums (statische Betrachtung) oder sukzessive über mehrere Kampagnen im Zeitablauf auftreten (dynamische Betrachtung). In operativtaktischer Hinsicht wäre hingegen zu beurteilen, ob beispielsweise zwei verschiedene Spots innerhalb einer Kampagne Synergien aufweisen. Im Hinblick auf die Evaluation wissenschaftlicher Erkenntnisse zu operativ-taktischen Synergien sei hier auf den Beitrag von Naik und Peters (2009) verwiesen, der hierzu eine tabellarische Übersicht enthält. In diesem Beitrag steht daher der strukturierte Vergleich wissenschaftlicher Studien zum strategischen Aspekt der bestmöglichen Allokation von Kommunikationsbudgets im Fokus. In den bedeutenden wissenschaftlichen Marketing-Zeitschriften werden vier Beiträge identifiziert, die sich mit der strategischen Allokation von Kommunikationsinvestitionen unter Synergieeffekten beschäftigen (Naik und Raman 2003; Raman und Naik 2004; Prasad und Sethi 2009; Naik und Peters 2009). Zur Durchführung eines systematischen Vergleichs sind zunächst die relevanten Kriterien zu erarbeiten. 2
Raman, K./Naik, P. (2006): Integrated Marketing Communications in Retailing, in: Retailing in the 21st Century, M. Krafft and M. K. Mantrala (Hrsg.), Berlin et al.: Springer, 381-395.
76
Kay Peters
Um der Zielsetzung des Beitrags zu entsprechen, sollten die Vergleichskriterien drei Kategorien zugeordnet werden: der Modellierung, der Optimierung (bzw. den normativen Erkenntnissen) sowie der empirischen Anwendbarkeit. Die Betrachtung der Modellierung ist von Bedeutung, da sie die Grundannahmen zur Entstehung und Messung von Mediensynergien offenlegt. Ebenso ist die zugrunde gelegte Modellstruktur zum Verständnis des Optimierungsergebnisses wichtig. Darüber hinaus leitet sich aus der Modellstruktur in Kombination mit den zur Verfügung stehenden Datenstrukturen das anzuwendende Schätzverfahren ab, welches in der empirischen Illustration der jeweiligen Ansätze eingesetzt wird. Nachfolgend werden nun die spezifischen Kriterien je Kategorie erarbeitet. Im Rahmen der Modellierung ist zunächst festzuhalten, welcher Wirkungsansatz zugrunde gelegt wird. Die Wahl des Ansatzes hat in der Regel nachhaltige Implikationen für die normativen und empirischen Ergebnisse. Zweitens ist von Interesse, ob das Modell dynamisch angelegt ist, das heißt, ob es einen sogenannten Carryover zwischen zwei betrachteten Perioden für den Absatz, Umsatz oder Goodwill-Stock berücksichtigt. Dies ist von Bedeutung, da Kommunikationsinvestitionen meist langfristige oder zumindest mehrperiodige Effekte aufweisen. Ferner sollte das Modell potenziell mehrere Zielgrößen simultan berücksichtigen können, da in der Kommunikation oft mehrere parallel zu verfolgende Ziele festgelegt werden. Es ist zum Beispiel üblich, für eine Kampagne oder einen Zeitraum Awareness-Grade, Purchase-Intent-Größen und Abverkaufszahlen vorzugeben. Besonders wichtig ist die Möglichkeit, multiple Medien(-gattungen) simultan zu berücksichtigen. Denn gerade durch den parallelen Einsatz verschiedener Medien zur Kommunikation in einem bestimmten Zeitraum sollen vielfältige Synergien erzeugt werden. Weiterhin ist es notwendig, abnehmende Grenzerträge der Kommunikation je eingesetztem Medium zu berücksichtigen. Dies ist von Bedeutung, da zum einen ein unbegrenzter Mehreinsatz eines Mediums keine linearen Zuwächse in der Wirkung hervorruft, und zum anderen, da ein Ignorieren dieses Effekts zu Verzerrungen in der Parameterschätzung und somit falschen Schlussfolgerungen hinsichtlich der synergetischen Wirkung führen kann. Abschließend ist von Interesse, ob in dem spezifizierten Modell die Anstrengungen des Wettbewerbs sowie der Einfluss von Unsicherheit über die zukünftige Marktentwicklung integriert werden können. Für die Kategorie der Optimierung beziehungsweise normativen Erkenntnisse werden drei wichtige Kriterien identifiziert. Es ist insbesondere von Bedeutung, ob die jeweiligen Ansätze der Unternehmenspraxis sowohl Empfehlungen zur Höhe des Gesamtbudgets für die Kommunikation als auch für die jeweiligen Einzelbudgets geben können. Darüber hinaus sollen die Beiträge kurz in Bezug auf ihre zentralen (komparativ statischen) Einsichten hin charakterisiert werden, das heißt, in welcher
Synergien im Rahmen integrierter Kommunikation
77
Weise die Ausprägung bestimmter Parameter die empfohlene Allokation des Gesamtbudgets beeinflusst. In der Kategorie empirische Applikation soll die Praxistauglichkeit der Lösungsansätze beurteilt werden. Hierzu werden die Ansätze im Hinblick auf die berücksichtigten Medien, das Produktbeispiel, die bestätigten Synergie-Effekte und das verwendete Schätzverfahren verglichen. In der Summe sollte der systematische Vergleich wissenschaftlicher Ansätze zur Messung von Synergien den Kommunikationsverantwortlichen einen ersten Überblick über die Anwendungspotenziale in ihrem Unternehmen ermöglichen.
3.
Erkenntnisse für die Praxis
Im Folgenden werden die identifizierten Studien anhand der erarbeiteten Kriterien in jeder Kategorie systematisch verglichen.
3.1
Vergleich der Modellierung
Naik und Raman (2003) sowie Raman und Naik (2004) legen ihren Studien das erweiterte Nerlove-Arrow-Modell zugrunde. Diese Formulierung führt zu folgender Gleichung:
St
D E1 u1t E 2 u2t N u1t u2t O St 1 H t
(1)
In diesem additiven Modell bezeichnet St den Absatz in der Periode t=1, … ,T, den Absatz ohne Werbeaktivität,
u1t
und
u2t
D
die Werbeinvestitionen in zwei
verschiedene Medien bei abnehmenden Grenzerträgen (hier durch die Wurzelfunktion abgebildet), sowie E1 und E 2 die Effektivität dieser Anstrengungen.
O St 1
repräsentiert den Carryover aus der Vorperiode und
Ht
den
Fehlerterm. Die synergetische Wirkung, die über die Einzeleffekte der beiden
78
Kay Peters
Medien hinaus geht, wird durch die kombinierte Wirkung von
u1t u2t
erfasst.
N
ist dabei der Wirkungsparameter der bilateralen synergetischen Effekte. Tabelle 1a: Strukturierter Vergleich der Modellierungsansätze Kriterium
Naik/Raman (2003)
Raman/Naik (2004)
Prasad/Sethi (2009)
Naik/Peters (2009)
Modellansatz
Erweitertes NerloveArrow
Erweitertes NerloveArrow
Erweitertes Sethi-Modell (VidaleWolfe)
Erweitertes NerloveArrow – hierarchisch
Dynamisch (Carryover)
Ja
Ja
Ja
(Ja)
Anzahl der Zielgrößen
1
1
1
Beliebig
Anzahl der Medien
2 (beliebig)
2
2 (beliebig)
3 (beliebig)
SynergieEffekte
Bilateral
Bilateral
Bilateral & höherer Ordnung
Bilateral & höherer Ordnung
Abnehmende Grenzerträge
Ja (Wurzel)
Ja (Wurzel)
Ja, gekoppelt an den Marktanteil (Wurzel)
Ja (Ln)
Wettbewerb
Nein
Nein/Duopol
Ja, > 2
Nein
Unsicherheit
Nein
Ja
Ja
Nein
Modellierung
Prasad und Sethi (2009) ziehen ein erweitertes Vidale-Wolfe-Modell, das sogenannte Sethi-Modell3 (Sethi 1983), als Ausgangsbasis ihrer Überlegungen heran:
3
Sethi, S. P. (1983): Deterministic and stochastic optimization of a dynamic advertising model, Optimal Control Applications and Methods, 4 (2), 179-184.
Synergien im Rahmen integrierter Kommunikation
dst
79
ªU u1 ( st , t ), u2 ( st , t ) 1 st G st º dt V ( st )dwt ¬ ¼
U (u1t , u2t )
E1u1t E 2u2t N u1t u2t
(2)
Der erste grundlegende Unterschied besteht darin, dass es sich hier um ein Marktanteilsmodell handelt (St). Dieser Marktanteil liegt per definitionem zwischen [0,1] und es kann davon ausgegangen werden, dass es mit zunehmendem Marktanteil immer schwerer wird, einen zusätzlichen Anteil zu erringen. Dies wird durch den Wurzelterm abgebildet, der für hohe Marktanteile sehr klein wird (1-st) und dementsprechend niedrigere Grenzerträge generiert. Somit ist die Veränderung des Marktanteils zwischen zwei Perioden (dst) abhängig vom Anteil der vorherigen Periode. Eine weitere Dynamikkomponente stellt der Verfall des Marktanteils dar. Ohne neue Anstrengungen nimmt der Marktanteil um den Faktor G je Periode ab. Dieser Wert entspricht beispielsweise dem Äquivalent (1- O ) in Gleichung (1). Die Wirkung der (kombinierten) bilateralen Werbeinvestitionen wird in diesem Modell über den Ausdruck U (u1t , u2 t ) integriert, der dem Ausdruck in Gleichung (1) ähnelt. Prasad und Sethi (2009) führen hierzu an, dass diese Spezifikation sicherstellt, dass neben den ersten beiden Termen von U auch der dritte kombinierte Effekt beider Medien in der gleichen Größenordnung gemessen wird. Wenn beispielsweise u1t und u2t in GRPs gemessen werden, resultiert auch der Term
u1t u2t
in GRPs. Dieser Mechanismus gilt analog für ihre Erweiterung um
Mehrwege-Interaktionen; beispielsweise würde der Ausdruck für den Interaktionsterm höherer Ordnung bei einem dritten Medium u3t u. a. in
u1t u2t u3t
1/3
resultieren.
Die Studie von Naik und Peters (2009) legt ein hierarchisches Modell zugrunde. Ihr Modell weist in der erweiterten dynamischen Variante die folgende Struktur auf:
St Zt
D 0 D1Z t D 2u3t D 3 Z t u3t O St 1 H t E 0 E1u1t E 2u2t E3u1t u2t
(3)
Die erste Gleichung ist analog zum Nerlove-Arrow-Modell von Naik und Raman (2003) aufgebaut, wobei D 0 den Absatz ohne Anstrengungen repräsentiert und
O St 1
den Carryover abbildet. Sie wird jedoch erweitert, indem für eine
Mediengattung, hier beispielsweise Offline, eine weitere Nebengleichung für die gemeinsame Wirkung Zt von TV (u1t) und Print (u2t) eingeführt werden kann. Diese
80
Kay Peters
Medien können zunächst eigene (bilaterale) Synergien aufweisen ( E 3u1t u2t ). Wird nun diese Mediengattung mit ihren internen Synergien in die Hauptgleichung integriert, so können beispielsweise mit einem dritten Medium Online (u3t) Mehrwege-Synergien entstehen. Dies wird deutlich, wenn alle Elemente von Zt mit u3t im Term D 3 Z t u3t ausmultipliziert werden. Hier würde beispielsweise der Subterm
D 3 E3u1t u2t u3t
als Drei-Wege-Interaktion resultieren. Grenzerträge
werden in diesem Ansatz durch das Logarithmieren der jeweiligen Werbeinvestitionen berücksichtigt. Eine nächste Erweiterung besteht darin, dass mehrere Zielgrößen berücksichtigt werden können. Dazu wird das Gleichungssystem in (3) für jede (voneinander unabhängige) Zielgröße spezifiziert. Die wesentlichen Unterschiede zwischen den Ansätzen bestehen somit bislang in drei Punkten. Erstens in der Abbildung der Grenzerträge, die bei Prasad und Sethi (2009) indirekt über die Abhängigkeit vom Marktanteil erfolgt. Im Gegensatz hierzu werden die Grenzerträge der Werbeinvestitionen in den anderen Studien direkt über die Wurzelfunktion oder das Logarithmieren implementiert. Zweitens ermöglichen die Erweiterungen von Naik und Peters (2009) beziehungsweise Prasad und Sethi (2009) die Integration von Mehrwege-Interaktionen, die über die bilateralen Effekte der anderen Ansätze hinaus auch Synergien höherer Ordnung abbilden können. Drittens erweitern Naik und Peters (2009) ihr Modell dahingehend, dass mehrere Zielgrößen parallel berücksichtigt werden können. Ausgehend von diesen Modellen erweitern Raman und Naik (2004) sowie Prasad und Sethi (2009) ihre Modelle im Hinblick auf die Berücksichtigung des Wettbewerbs beziehungsweise der Unsicherheit der Marktentwicklung. Raman und Naik (2004) berücksichtigen den Wettbewerb, indem sie statt des Abverkaufs nunmehr den Marktanteil als abhängige Variable definieren. Sie können dann im Duopol für jeden Wettbewerber die Gleichung (1) aufstellen. Da sich die beiden Marktanteile zu 1 addieren, saldieren sie die Gleichungen. Prasad und Sethi (2009) können auch mehrere Wettbewerber berücksichtigen, indem sie die Gleichungen (2) für jeden Wettbewerber aufstellen und jeweils die Marktanteile der anderen Wettbewerber im „Wurzelterm“ integrieren. Die Unsicherheit berücksichtigen beide Studien, indem sie jeweils den bereits oben im Modell (2) spezifizierten Fehlerterm V ( st )dwt hinzufügen. Im nächsten Abschnitt gehen wir auf den Einfluss dieser Unsicherheit auf die Ergebnisse in der Optimierung ein.
Synergien im Rahmen integrierter Kommunikation
3.2
81
Vergleich der Optimierungsergebnisse
Tabelle 1b: Strukturierter Vergleich der Optimierungsergebnisse Kriterium
Naik/Raman (2003)
Raman/Naik (2004)
Prasad/Sethi (2009)
Naik/Peters (2009)
Gesamtbudget
Ja
Ja
Ja
Ja
Einzelbudgets
Ja
Ja
Ja
Ja
Zentrale Einsichten
Synergie verändert klassische Allokationsregeln
Bestätigt dies für Duopol & Unsicherheit, katalytischer Effekt
Bestätigt vorherige Effekte, Gesamtbudget abhängig vom Marktanteil
Iterative Optimierung für Synergien höherer Ordnung
Optimierung
Auf der Basis der gewählten Modellierungsansätze lassen sich in einem ersten Schritt mathematische Optimierungsregeln ableiten. Dies wird in allen vier ausgewählten Studien vorgenommen. Alle Studien geben sowohl konkrete Empfehlungen zur Höhe des Gesamtbudgets als auch zu dessen Allokation auf einzelne Medien. Entsprechend stehen hier die abgeleiteten Regeln im Vordergrund der Betrachtung. Die Ableitung der jeweiligen Regeln erfolgt, indem zunächst eine Deckungsbeitragsfunktion aufgestellt wird. Hier wird der Absatz je Periode mit einer Marge bewertet und hiervon die Investitionen der Werbung je Periode abgezogen. Im Rahmen der dynamischen Betrachtung werden diese Perioden-DBs für zukünftige Perioden zunächst diskontiert und dann aufsummiert. Je nach Komplexität der Zielfunktionen kommen zur Lösung des Entscheidungsproblems fortgeschrittene Vorgehensweisen zur Anwendung, von denen hier abstrahiert wird. Als Ergebnis werden die optimalen Einzelbudgets als Funktion der bekannten Parameter ausgedrückt, beispielsweise Effektivität der Werbeinvestitionen, Carryover, Marge oder Synergie-Effekt. Da die jeweiligen Formeln allein wenig aussagekräftig sind, beschränken wir uns hier auf die zentralen normativen Einsichten.
82
Kay Peters
Insbesondere der Beitrag von Naik und Raman (2003) hat die klassischen Allokationsregeln nachhaltig verändert. Abbildung 1 vergleicht die klassischen Regeln mit den Ergänzungen von Naik und Raman (2003). Insbesondere ist von Bedeutung, dass das Gesamtbudget bei dem Auftreten von Synergien erhöht werden sollte. Diese Einsicht resultiert aus der Folge, dass Synergien die Effektivität der Kommunikation im Verhältnis zu anderen Instrumenten erhöhen. Nun ist bekannt, dass in der Praxis Budgeterhöhungen oft nur schwierig umzusetzen sind. Zumindest können durch höhere Synergien jedoch unterproportional reduzierte Zielvorgaben bei Budgetkürzungen zumindest teilweise kompensiert werden. Die Budgeterhöhung selbst wäre überproportional dem schwächeren Medium zuzuordnen, da es die größeren Synergie-Effekte aufweist.
Ohne Synergie
Mit Synergie
ವ
Wenn die Effektivität eines Mediums steigt, erhöhe die Ausgaben für dieses Medium, so dass das Gesamtbudget steigt.
ವ
Wenn die Synergie k steigt, senke (erhöhe) den Anteil des Mediabudgets des effektiveren (weniger effektiven) Mediums.
ವ
Das Werbebudget sollte so verteilt werden, dass die Anteile der verschiedenen Medien am Budget proportional zu ihrer Effektivität stehen.
ವ
Wenn Medien gleich effektiv sind, verteile das Budget gleichmäßig.
ವ
ವ
Wenn Synergie k steigt, erhöhe das Gesamtbudget.
Die Budgetallokation wird durch die Höhe des Carryover nicht berührt.
ವ
Die Erhöhung des Gesamtbudgets steigt mit zunehmender Synergie k.
Abbildung 1:
ವ
Budgetallokation hängt vom Carryover Ȝ ab.
ವ
Wenn der Carryover Ȝ Effekt steigt, erhöhe das Gesamtbudget.
ವ
Wenn der Carryover Ȝ steigt (sinkt), senke (erhöhe) den Budgetanteil des effektiveren (weniger effektiven) Mediums.
Einfluss der Synergie auf klassische Allokationsregeln
Raman und Naik (2004) zeigen, dass diese veränderten Regeln auch im Duopol und unter Berücksichtigung der Unsicherheit Gültigkeit besitzen. Darüber hinaus zeigen sie den katalytischen Effekt von Synergie-Effekten auf. Dieser Effekt besagt, dass Medien auch dann ein Budget zugeordnet werden sollte, wenn sie völlig ineffektiv sind – vorausgesetzt, sie weisen positive Synergie-Effekte mit anderen Medien auf. Diese Regel besitzt das Potenzial, ein weit verbreitetes Phänomen der Praxis zu erklären, nämlich die sogenannte 360°-Kommunikation, bei der möglichst viele „Touch-Points“ mit den (potenziellen) Kunden werblich bedient werden. Eine Kontrolle der Effektivität wird im „long-tail“ des Medieneinsatzes kaum durchgeführt beziehungsweise ist kaum möglich, dennoch werden viele Medien peripher
Synergien im Rahmen integrierter Kommunikation
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von Werbetreibenden eingesetzt. Beispielsweise ist die Werbung auf Tankfüllstutzen für sich genommen nicht effektiv und wohl auch kaum messbar, dennoch kann sie vor dem Hintergrund einer reichweitenstarken Kommunikation in zentralen Medien eine positive Wirkung entfalten. Die mathematischen Analysen von Prasad und Sethi (2009) bestätigen die oben angeführten Ergebnisse mit einem anderen Modellansatz. Die neuen Erkenntnisse bestehen einerseits darin, dass die neuen Regeln grundsätzlich sowohl für den erweiterten Wettbewerb als auch unter Unsicherheit gültig sind. Ein Unterschied besteht jedoch darin, dass die Gesamt- und Einzelbudgets jeweils auch vom Marktanteil abhängig sind. Dies ist der oben angeführten Modellspezifikation geschuldet, die den Marktanteil explizit berücksichtigt. Andererseits erweitern Prasad und Sethi (2009) die Regeln in Bezug auf die Berücksichtigung von drei Medien. Diese Regeln sind jedoch bereits sehr komplex und sie nehmen keine komparativ statischen Sensitivitätsanalysen vor. Naik und Peters (2009) zeigen die Logik für die Budget-Optimierung bei mehreren Medien und Synergien höherer Ordnung auf. Bei Synergien zwischen zwei Medien gilt die oben angeführte Logik, dass dem weniger effektiven Budget der überproportionale Anteil des Budgetzuwachses zugeordnet werden sollte. Bei Synergien höherer Ordnung greift die gleiche Logik, allerdings in einer mehrstufigen Weise. Ein Beispiel mag dies veranschaulichen: Nehmen wir an, dass in drei Medien investiert werden kann und alle miteinander Synergien aufweisen. Dabei handelt es sich um TV, Print und Online. Nun werden TV und Print als Offline-Medien (Zt) eingeordnet, die mit einander Synergien aufweisen. In dem hierarchischen Modell hat diese kombinierte Größe auf der übergeordneten Ebene einen eigenen direkten Effekt sowie Synergien mit dem Online-Medium, während das Online-Medium den schwächeren direkten Effekt aufweist. Auf der übergeordneten Ebene würde nun die ursprüngliche Logik greifen, dass die Synergie zwischen Offline- und Online-Medien die Budgeterhöhung überproportional dem Online-Medium und unterproportional dem Offline-Medium zuweisen würde. In der Folge wäre nun diese Erhöhung innerhalb der Offline-Medien (Zt) unter Berücksichtigung der internen SynergieEffekte aufzuteilen. Dieser Anteil würde analog wieder überproportional dem schwächeren Offline-Medium, beispielsweise Print, zugeordnet. Um den jeweils genauen Anteil zu bestimmen, sind die Regeln von Naik und Peters (2009) iterativ anzuwenden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Allokation auf ein Medium sowohl von den Synergien innerhalb der Mediengattung als auch den cross-medialen Synergien abhängt. Das Gesamtbudget sollte bei Auftreten einer jedweden der beiden Synergie-Arten entsprechend erhöht werden.
84
Kay Peters
In der Summe lässt sich festhalten, dass die Synergie-Forschung die klassischen Allokationsregeln nachhaltig verändert hat. Diese neuen Allokationsregeln haben analytisch gesehen sowohl unter Wettbewerbsbedingungen als auch unter Marktunsicherheit Bestand. Der katalytische Effekt erklärt ein in der Praxis weit verbreitetes Phänomen, nämlich die „Long-tail“-Investitionen in periphere Medien, die im Zweifel für sich allein genommen unwirksam wären. Abschließend ist in Ansätzen gezeigt worden, dass sich die Allokationslogik in Fällen von Synergien höherer Ordnung analog, jedoch mehrstufig und damit in potenziell komplexer Weise fortsetzt.
3.3
Vergleich der empirischen Anwendungen
Tabelle 1c: Strukturierter Vergleich der empirischen Applikationen Kriterium
Naik/Raman (2003)
Empirische Applikation
Raman/Naik (2004)
Prasad/Sethi (2009)
Keine
Simulation
Naik/Peters (2009)
Anzahl der Medien
2
2
6
Produkt
Jeans
n. a.
Auto
SynergieEffekte
Bilateral
Bilateral
Bilateral & höherer Ordnung
Schätzverfahren
KalmanFilter
n. a.
Erweitertes SUR
n. a.
Aus der Tabelle 1c ist ersichtlich, dass lediglich die Beiträge von Naik und Raman (2003) sowie Naik und Peters (2009) eine empirische Anwendung vornehmen. Der erste Beitrag illustriert den Einsatz des Modells anhand des Produkts Docker Jeans und der beiden Medien TV und Print. Hier geht es vornehmlich um zwei Ziele: Erstens wird der Nachweis geführt, dass das Modell mit Synergien anderen Modellen in der Erklärung und Prognose überlegen ist. Zweitens werden Medien-
Synergien im Rahmen integrierter Kommunikation
85
synergien erstmals in einem dynamischen Ansatz nachgewiesen. Abbildung 2 zeigt die hohe Anpassungsgüte des Modells. Aufgrund der berücksichtigten Dynamik und Modellstruktur wird das Modell mit einem Kalman-Filter geschätzt. Dieses Verfahren ist relativ aufwendig, da es eine eigene Programmierung des Schätzverfahrens erfordert, Standard-Software ist hierfür noch nicht verfügbar.
Beobachteter und geschätzter Absatz
Absatz
• Beobachtete Werte … Modell (alle Werte) .x. Modell (Subsample)
Monate Abbildung 2:
Anpassungsgüte für Docker Jeans (Naik/Raman (2003))
Naik und Peters (2009) wenden ihr Modell in der statischen Variante (ohne Carryover) für eine Automarke an. Sie können zeigen, dass das Modell mit beiden Synergie-Varianten dem Modell von Naik und Raman (2003) in ihrem Anwendungsbeispiel überlegen ist. Ferner weisen sie die Existenz beider Synergie-Varianten nach, nämlich sowohl die Synergie innerhalb der Mediengattung Offline mit vier verschiedenen Medien als auch die cross-mediale Synergie zwischen OfflineMedien und Online-Medium. Dies ist ein erster empirischer wissenschaftlicher Nachweis sowohl der Offline-Online-Medien-Synergie als auch der Existenz von Synergien höherer Ordnung. Zugleich demonstrieren sie die Anwendbarkeit ihres Ansatzes für mehrere Zielgrößen, in dem parallel sowohl qualifizierte Erst-Besuche bei Autohändlern als auch auf der Website im Car-Configurator erklärt werden. Da diese Erstbesuche keine Wiederholungen aufweisen können, wird das Modell statisch spezifiziert und geschätzt. Ebenso validieren sie im Gegensatz zu den anderen Studien ihre Optimierungsregeln empirisch. Aus den Ergebnissen leiten sie
86
Kay Peters
für den Autohersteller ein optimiertes Gesamtbudget sowie dessen Allokation her. Abbildung 3 zeigt die resultierenden Anpassungen auf. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass hier lediglich das Ziel Erstbesuche über zwei Kanäle – Offline und Online – optimiert wurde. Es ist davon auszugehen, dass neben diesen Zielgrößen auch noch Abverkaufs- und Awareness-Ziele ein Rolle spielen. Diese können jedoch auf einfache Weise in den Lösungsansatz integriert werden.
Actual
Optimal
1.20 1.00 0.80 0.60 0.40 0.20 0.00
Offline
Online
Direct Mail
Total
Actual
0.90
0.07
0.03
1.00
Optimal
0.78
0.14
0.08
1.05
Abbildung 3:
4.
Optimiertes Gesamtbudget und dessen Verteilung auf Medien (Naik/Peters (2009))
Zusammenfassung und Ausblick
Die Schaffung und Nutzung von Synergien in der Kommunikation stellen eine Möglichkeit dar, auch bei geringeren Budgetansätzen eine höhere Effizienz der Investitionen zu erzielen. Hierzu wird zunächst eine Definition vorgestellt, auf deren Basis geeignete Messverfahren vorgestellt und systematisch verglichen werden. Analytisch können aus diesen neuen Ansätzen aktualisierte Regeln für die
Synergien im Rahmen integrierter Kommunikation
87
Bestimmung eines optimalen Budgets und dessen Allokation bei Synergie-Effekten hergeleitet werden. Diese Regeln können nicht nur beobachtete Verhaltensweisen in der Praxis erklären (bspw. 360°-Kommunikation), sondern sie behalten auch unter verschiedenen Wettbewerbsbedingungen und bei Marktunsicherheit ihre Gültigkeit. Die beiden erfolgreichen empirischen Anwendungen zeigen, dass diese Lösungsansätze auch in der Praxis ihren Beitrag leisten können. Zum einen verbessern sie das Verständnis für die Wirkungsweise von Synergien selbst in komplexen Situationen und zum anderen können sie dazu beitragen, die Kommunikationsziele effizienter zu erreichen. Gerade dieser letzte Punkt ist von anhaltender Aktualität.
Literatur NAIK, P. (2007): Integrated Marketing Communications: Provenance, Practice and Principles, in: Ambler, T./Tellis, G.: Handbook of Advertising, S. 35-53. NAIK, P./PETERS, K. (2009): A Hierarchical Marketing Communications Model of Online and Offline Media Synergies, Journal of Interactive Marketing, 23 (4), S. 288-299. NAIK, P./RAMAN, K. (2003): Understanding the Impact of Synergy in Multimedia Communications, Journal of Marketing Research, 40 (Nov), S. 375-388. NIELSEN MEDIA RESEARCH (2009): Aktueller Werbetrend, November 2009, (http://www.nielsen-media.de/pages/datagrid.aspx?datagridName=datagrid001). PRASAD, A./SETHI, S. P. (2009): Integrated Marketing Communications in Markets with Uncertainty and Competition, Automatica, 45 (3), S. 601-610. RAMAN, K./NAIK, P. (2004): Long-term profit Impact of Integrated Marketing Communications Program, Review of Marketing Science, 2 (1), Article 8. RAMAN, K./NAIK, P. (2006): Integrated Marketing Communications in Retailing, in: Krafft, M./Mantrala, M. K. (eds.): Retailing in the 21st Century, Berlin et al.: Springer, S. 381-395. SETHI, S. P. (1983): Deterministic and stochastic optimization of a dynamic advertising model, Optimal Control Applications and Methods, 4 (2), S. 179-184.
88
Kay Peters
Der Autor Dr. Kay Peters ist derzeit Visiting Assistant Professor für Marketing an der University of California at Davis. Von 2005 bis 2009 war er Geschäftsführer des Centrums für interaktives Marketing und Medienmanagement (CIM) und führte zugleich die Dialogmarketing-Säule des Instituts für Marketing an der Westfälischen WilhelmsUniversität Münster. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Entwicklung und Implementierung von intelligenten Dialogmarketing-Anwendungen im CRM sowie der strategischen Optimierung von Kommunikationsinvestitionen.
Dialogmarketing unter den Vorzeichen des geänderten Konsumentenverhaltens Raimund Lenz
Management Summary Diese interdisziplinäre Arbeit beleuchtet das Printmedium Katalog aus der Sichtweise des Versandhandelsmanagements, der Gestaltung, der Verhaltenswissenschaft und der apparativen Konsumentenforschung. Der Verfasser entwickelte ein erfolgreiches und im Praxistest überprüftes, neues, nonverbales, apparatives PreTest-Messverfahren (PerceptionTracker/Cateem), das die kognitive, konative und affektive Ebene in einem bildgebenden Verfahren erfasst und nachvollziehbar erklärbar macht.
1.
Einführung
Überspitzt ausgedrückt scheint es, als würde den Versandhandel das gleiche Schicksal ereilen wie in der Vergangenheit den Einzelhandel, der in seinem jahrzehntelang andauernden Tiefschlaf dem Versandhandel jedes Jahr kräftige Umsatzsteigerungen einbrachte. Diese Zeiten sind leider vorbei. Warum gehen die Umsätze im Versandhandel zurück?
90
Raimund Lenz
Dilemma 1: Ohne Kunden kein Erfolg, ohne Kunden keine Zukunft. Alles hängt vom Kunden ab. Er bestimmt, was gut ist und was schlecht. Er ist Basis für das unternehmerische Handeln. Und so konzentrieren erfolgreiche Versandhändler ihre Kräfte auf den Kunden nicht allein in ihren Leitbildern, sondern sie sind auch bestrebt, diese Grundhaltung in den Unternehmensalltag hineinzutragen. Dadurch haben zurzeit wieder Schlagworte Aufwind wie „Customer Focus“, „Customerize“, „Im Zentrum unseres Handelns steht der Kunde“ oder Sätze wie „Unsere Kunden vertrauen uns, denn unsere Mitarbeiter gehen kompetent auf Kundenwünsche ein“ beziehungsweise „Der Markt unserer Kunden bestimmt unser Handeln“. Die Individualisierung und das neue Selbstbewusstsein des Kunden gewinnen weiter rasant an Bedeutung. Kunden und Interessenten wollen nicht mehr mit Eintopfmarketing abgespeist werden. Sie wollen nicht mehr lediglich als Abnehmer einer Marktleistung abgestempelt werden. Selbstbewusst berücksichtigen sie heute in ihrem Kaufverhalten zunehmend solche Unternehmen, die sie als Individuen wahrnehmen, echtes Interesse an ihnen haben und mit ihnen in einen aktiven Dialog treten, um damit eine Beziehung aufzubauen. Durch den Shareholder-Value ist ein auf kurzfristige Verkaufszahlen zielendes Absatzdenken in den Mittelpunkt der Unternehmen gerückt und wird von einer übergeordneten Sorge um den Kunden überlagert. Der englische Ausdruck „Customer Care“ umschreibt dieses Verständnis wohl am treffendsten. Hier liegt die Chance für Unternehmen, ihre Ertragsbasis auch in Märkten mit nahezu austauschbaren Marktleistungen auszubauen. Macht man den Realitätstest, prüft man also Unternehmen auf ihre effektiv gelebte Kundenorientierung, so ist das Resultat oft ernüchternd: Im operativen Bereich, nämlich gerade dort, wo der Kontakt zum Kunden und Interessenten stattfindet, besteht verbreitet ein Vakuum. Da ist von Kundenorientierung und der oft beschworenen Liebe zum Kunden wenig zu spüren. Dilemma 2 Wir leben im Zeitalter der Kommunikation, aber immer mehr Menschen verlieren vor lauter Kommunikation die Orientierung. Das 21. Jahrhundert ist gekennzeichnet durch Informationsüberfluss. Täglich 5 000 Werbebotschaften/60 000 Marken in Deutschland1 1
Vgl. Trendstory, 2002.
Dialogmarketing unter den Vorzeichen des geänderten Konsumentenverhaltens
91
1986: 162 000 TV-Spots/2004: 3 100 000 Spots2
Ständig kommen neue Medien und Werbekanäle dazu: SMS, UMTS, ITV, IPTV Diese Annahme wird noch bestärkt durch die Tatsache, dass im Durchschnitt jeder deutsche Haushalt 229 Werbesendungen im ersten Halbjahr 20053 erhielt. Schon im Jahr 2000 hielt Kroeber-Riel nach einer Studie fest, dass „nur ca. 2 % der durch Werbung angebotenen Informationen tatsächlich wahrgenommen werden“4. Max Mustermann, der Durchschnittszeitgenosse aus dem Quelle-Katalog, der in Deutschland immer die meiste Post bekam, ist mit unbekanntem Ziel verzogen. Das ist fatal. Denn Max Mustermann war berechenbar. An seine Stelle ist Vroni Vielleicht getreten. Die heutige Kundengeneration vereinigt in sich die Erfahrung aus drei Jahrzehnten. Das hat zu einem neuen Konsumbewusstsein geführt. Die Markenkids von früher sind erwachsen geworden. Als Folge versucht der Versandhandel mit Multi-Channel-Strategien, ausgefeilter Logistik und ebenso ausgefeilten CRM-Strategien, dem Kunden weiterhin attraktive Angebote zu unterbreiten. Die Krux: Diese Strategien versuchen lediglich, Symptome zu kaschieren, setzen aber nicht an der eigentlichen Ursache an. Die Ursache liegt tatsächlich in der Werbewirkung von Werbemitteln, nämlich auf der Kreativseite in der Präsentationsabfolge der Werbegestaltung und analysetechnisch im Datamining. Die meisten Unternehmen setzen immer noch Selektionsverfahren ein, die sich zwar bewährt haben, aber immer auf Basis von Vergangenheitswerten berechnet werden. Diese werden in Zukunft nicht mehr so stark greifen wie noch in den 90er-Jahren. In der Doppelseitenstrategie wird die QuadratzentimeterAnalyse5 eingesetzt, die lediglich als Hilfsmittel zur Darstellungsgröße herangezogen wird, um dem Einkaufssortiment Rechnung zu tragen. Pre-Tests beziehen sich in der Hauptsache auf die Titelgestaltung und die Einstiegsseiten. In größerem Umfang werden Pre-Tests fast ausschließlich von größeren Versendern mit einem Umsatz 2 3 4 5
Vgl. Nielsen Media Research, 08/2004. Vgl. bvh Studie, 2005. Vgl. Kroeber-Riel, Konsumentenforschung, 2000. Die Cm2-Analyse ist ein planerisches Instrumentarium der Sortimentsplanung. Das geplante neue Werbemittel wird aufgrund von Vergangenheitswerten, entwickelt von Lois Boyle, Katie Muldoon, in Quadratzentimetern berechnet. Die Verkaufsfläche des Werbemittels wird nach Produkten aufgeteilt. Je mehr Umsatzanteil eines Artikel verplant wird, umso mehr Verkaufsfläche darf dieser beanspruchen. Die Analyse gibt Auskunft darüber, auf welchem Platz, zum Beispiel Katalogdoppelseite, mit welchem Stilelement bessere Verkaufsergebnisse erzielt werden könnten.
92
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über 200 Millionen Euro durchgeführt, da hier fertige Werbemittel vorab an eine Test- und Kontrastgruppe gesendet werden, um zunächst die Erfolgswahrscheinlichkeit im jeweiligen Segment auszuloten. Dies ist zwar ein hervorragendes Instrumentarium, allerdings bleibt es – durch den damit verbundenen immensen Kostenaufwand – dem typischen Mittelständler im Versandhandel verschlossen. Produktionstechnisch ist es heute ohne Weiteres möglich, innerhalb weniger Tage verschiedene Katalogsortimente grafisch zusammenzustellen und diese in elektronischer Form oder als Print den Kunden/Interessenten zuzustellen. Aber das Dilemma, dass Kunden eine noch höhere Reizüberflutung erleben, findet seinen Niederschlag in sinkenden Responsequoten respektive in schmelzenden Durchschnittsumsätzen. Ist die Frage, die sich hier stellt: „Mehr ist mehr“ oder „Weniger ist mehr“? Dilemma 3: Durch sinkende Nachfrage erhöht sich automatisch der Lagerbestand im Versandhandel. Dadurch müssen zwingend noch mehr Abverkäufe (preisreduzierte Mailings) generiert werden. Ergebnis: Die Margen sinken noch weiter. Schenkt man den Psychologen und Neurologen uneingeschränkt Glauben, so bietet hier die neuere Werbewirkungsforschung mithilfe neurophysiologischer Techniken eine Auswegmöglichkeit. Nach Aussage dieser noch jungen Forschungsdisziplin im Marketing wird die Mehrzahl der menschlichen Entscheidungen anhand unbewusster und emotionaler Bewertungskriterien getroffen: Die weichen Faktoren bilden den harten Kern der alltäglichen Entscheidungsprozesse. Im Nachgang wird dieses Thema analytisch und pragmatisch aufgearbeitet. Dilemma 4: In einer sich immer schneller ändernden und immer komplexer werdenden Welt steht das wachsende Bedürfnis nach Sicherheit in hartem Kontrast zu den tatsächlichen Möglichkeiten, Zusammenhänge zu verstehen und Entwicklungen angemessen vorherzusagen. Konsumenten zeigen eine stetig geringer werdende Markentreue, obwohl dies zwischenzeitlich durch den Mediendruck anders geweissagt wird. Hybrides Kaufverhalten (smartshopping/trustshopping) zwischen Billigangeboten und Luxuswaren irritiert den Handel wie die Hersteller auch weiterhin. Darum ist es auch nicht verwunderlich, dass viele dieser Händler und Hersteller das Direktmarketing für sich entdecken. Die Kalkulierbarkeit des menschlichen Verhaltens wird offenkundig immer geringer – im privaten ebenso wie im öffentlichen Raum. Alles deutet darauf hin, dass es sich bei diesem Phänomen nicht um eine vorübergehende Ausnahmeerscheinung handelt,
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sondern um eine unmittelbare Konsequenz der weltweiten Vernetzung. Die Hoffnung auf ruhigeres Fahrwasser ist kein guter Ratgeber. So wie die Erwärmung der Atmosphäre das Wettergeschehen anheizt, regt die Erhöhung der Vernetzungsdichte die Geschwindigkeit der Veränderungsprozesse in Wirtschaft und Gesellschaft an. Der Wunsch nach orientierenden Prognosen und nach Analysen, die die Navigation in der Unsicherheit unterstützen, ist nachvollziehbar. Aber es wird immer schwieriger, ein angemessenes Verständnis der Gegenwart zu gewinnen und zukünftige Trends rechtzeitig abzuschätzen. Diskontinuitäten und revolutionäre Umstrukturierungen gehören zur Tagesordnung. Die Aktivitäten Einzelner können sich in kurzer Zeit zu mächtigen Bewegungen aufschaukeln. Mit Weblogs, das heißt mit Internetseiten, auf denen Ereignisse oder Informationen persönlich kommentiert werden, erreichen Privatpersonen eine Wirkung, die vordem nur Journalisten in Massenmedien möglich war. Einfache Kinderlieder oder selbst Klingeltöne für das Handy schaffen es ohne eine mächtige Marketingmaschinerie auf Spitzenpositionen in den Pop-Charts und alberne kleine Videoclips machen über das Internet ganz normale Jugendliche beinahe über Nacht zu Kultfiguren. Fasst man die Geschehnisse zusammen, so entsteht der Eindruck, dass wir am Anfang eines neuen Makrozyklus der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung stehen. Die wachsende Bedeutung der weichen Faktoren ist dabei eine logische Folge der explosionsartigen Erhöhung der Komplexität und Dynamik in der Alltagswelt. Die weichen Faktoren bilden den harten Kern der alltäglichen Entscheidungsprozesse. Nur wer in der Lage ist, die unbewussten Bewertungskriterien der am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Handeln beteiligten Stakeholder zu erfassen und zu analysieren, kann in der Unsicherheit einer global vernetzten Marktwirtschaft angemessen navigieren. Das Management der Erwartungshaltungen wird zur zentralen Herausforderung im Umgang mit Kunden, Mitarbeitern, Interessengruppen. Dies gilt von der strategischen Markenführung bis hin zur Planung strategischer Katalogführung im Versandhandel, womit sich die durchzuführende Dissertation im Kern beschäftigt. Das Problem der Erfassung weicher Faktoren: Der wachsenden Notwendigkeit einer systematischen Erfassung von Erwartungshaltungen, Einstellungen und Bewertungen steht ein auffälliges Defizit an wissenschaftlich fundierten und gleichzeitig praxisnahen Erhebungsinstrumenten gegenüber. Bei der Messung weicher Faktoren mittels der herkömmlichen Marktforschungsstrategien bestehen drei grundlegende Schwierigkeiten: 1. Was ist wirklich wichtig? 2. Was ist tatsächlich verstanden worden?
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Raimund Lenz
3. Was ist eigentlich genau gemeint? Alle Befragungsformen, die mit der Vorgabe von ausformulierten Merkmalsbeschreibungen und Bewertungsdimensionen arbeiten, lassen das Dilemma der Ambiguität (2) und das Dilemma der Konstruktivität (3) ungelöst. Die Verfahren machen die eigentlich nicht zulässige Annahme, dass den befragten Personen eine Interpretation der vorgegebenen Beschreibungen und Dimensionen gelingt, die der Intention des Fragestellers entspricht. Die Aussagekraft der Ergebnisse ist abhängig von einem hochgradig unsicheren Akt der mehrfachen Übersetzung und Deutung. Anschließende mathematische Analysen suggerieren eine Objektivität, die vom Datenmaterial letztlich nicht gestützt wird. Darüber hinaus ignorieren alle Befragungsformen, die versuchen, Erwartungshaltungen, Einstellungen und Bewertungen von Menschen direkt zu erfassen, das Dilemma der Irrationalität (1). Die Verfahren machen die nur sehr eingeschränkt gültige Annahme, dass die befragten Personen selbst einen bewussten Zugang zu ihren entscheidungsrelevanten Präferenzen und Erwartungshaltungen besitzen. Die Tatsache, dass Auskunftspersonen dennoch scheinbar sicher Antwort geben, verleitet nur allzu schnell zu unzulässigen Verhaltensprognosen. Angesichts der skizzierten Anforderungssituation für eine Erfassung weicher Faktoren scheidet die Verwendung standardisierter Fragebögen weitgehend aus. Fragebögen sind nur bedingt geeignet, unbewusste Kriterien offenzulegen und ignorieren das Problem der Deutungsabhängigkeit sprachlicher Kodierungen. Sie sind immer nur so intelligent, wie der, der die Fragen stellt. Auch die meisten anderen Instrumente zur Messung von Erwartungshaltungen, Einstellungen und Bewertungen arbeiten mit der Vorgabe einer größeren Anzahl sorgfältig ausgewählter Beschreibungsdimensionen. Die Auskunftspersonen werden aufgefordert, ihre Präferenzen anhand von vorformulierten Assoziationen offenzulegen. Profilbildungen dieser Art sind zwar statistisch hervorragend auswertbar, kommen aber an die eigentlichen emotionalen Bewertungskriterien nicht heran. Auch das gezielt auf die Erfassung von individuellen Wünschen, Bedürfnissen und Vorstellungen hin entwickelte Verfahren der ConjointAnalyse benötigt vorgegebene Eigenschaftsausprägungen. Die Conjoint-Analyse eröffnet zwar aufgrund des zur Erhebung eingesetzten Vergleichsverfahrens den Zugang zu unbewussten Präferenzen (Dilemma 1), lässt aber das Deutungsproblem weiterhin ungelöst (Dilemmata 2 und 3).
Dialogmarketing unter den Vorzeichen des geänderten Konsumentenverhaltens
2.
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Methodik der Untersuchung
Das „System“ Versandhandel wird ausführlich diskutiert. Hierbei wird herausgearbeitet, dass die meiste Reibungsfläche innerhalb der funktionalen Ebenen das Verkaufsinstrument Katalog bietet. Bei der Katalogerstellung taucht immer wieder folgende Problemstellung auf: Welche Dialogführung ist die Beste für die jeweilige Zielgruppe? Stimmt am Ende der Ausspruch vieler Versandhandelsmanager – wir wollen nicht in Schönheit sterben? Hat der Katalog nur die Funktion des Verkaufens – Kaufbedürfnisdeckung und/oder -weckung. Warum haben Spezialkataloge mehr Erfolg als Vollsortimenter?
Die Bestandsaufnahme der Literatur, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit hat, zeigt zusammenfassend eine Reihe offener Punkte bei der Analyse und Wirkung von Direktmarketing-Instrumenten:
In den bisherigen Vergleichen wurden immer nur isolierte Faktoren dargelegt (z. B. Artikeldichte in Haushaltsprospekten). Im Sinne des holistischen Ansatzes wurde bislang kein Werbemedium untersucht. Im Rahmen der bisherigen Ansätze wird nicht deutlich, welche Bedeutung die weichen Faktoren auf die Kaufentscheidung haben. Die bisherigen Vergleiche wurden primär auf den Einfluss der ausgewählten Angebotsträger auf eine Zielgröße untersucht, während es an der Untersuchung weiterer Wirkgrößen fehlt.
Kein Ansatz konnte bislang den Beweis antreten, dass die Umsetzung in der Praxis auch funktioniert.
In keinem Untersuchungsergebnis wurde die Erfolgsvariable „Umsatzprognose“ durch den Einsatz der Veränderungen des Maßnahmenkataloges überprüft.
In der Literatur findet sich aus dem jetzigen Kenntnisstand kein Ansatz, der die gestalterische Umsetzung des Trägermediums „Katalog im Versandhandel“ in aller Konsequenz vor dem Hintergrund einer veränderten Konsumwelt analysiert.
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Raimund Lenz
Autoren
Forschungsfrage / Zielgröße
Williams / Beard / Kelly (1991)
Analyse des Respon- Lesbarkeit von Werbeseverhaltens bei briefen auf Basis unterMailings schiedlicher Mailings
Feldexperiment
James / Li (1993)
Analyse des Respon- Verschiedene Mailings severhaltens bei mit unterschiedlichen Mailings Umschlagcharakteristika
Feldexperiment
WeaverLariscy / Tinkham (1996)
Analyse des Einflusses der Verwendung von Mailings im Hinblick auf das Wahlergebnis
Feldexperiment
Berger / Smith (1997)
Analyse des Respon- Verschiedene Mailings Feldexperiment se- und Spendenver- mit unterschiedlichen haltens bei Mailings Gestaltungsvarianten; personenbezogene Daten
Vriens / van der Scheer / Hoekstra / Bult(1998)
Analyse des Respon- Verschiedene Mailings se- und Spendenver- mit unterschiedlichen haltens bei Mailings Umschlag- und Briefcharakteristika
Feldexperiment und Befragung
DeWulf / Hoekstra / Commandeur (2000)
Analyse des Öffnungs-, Lese- und Responseverhaltens bei Mailings
Feldexperiment und Befragung
Helgeson / Voss / Terpening (2002)
Analyse des Respon- Mailings mit unterschiedseverhaltens bei licher Gestaltung mailingsbasierten Fragebögen
Feldexperiment
Thorsten Moritz (2007)
Analyse von Digitalisierte Mailings Gedächtnisleistung in Printmedien
Feldexperiment
Claudio di Analyse von PrintPadova (2007) werbung im Einzelhandel
Abbildung 1:
Experimenteller Input / unabhängige Variable
Einsatz von Mailings im Rahmen des integrierten Marketing
Verschiedene Mailings mit unterschiedlichen Gestaltungsvarianten; personenbezogene Daten
Arikeldichte in Haushaltswerbung
Ausgewählte Forschungsarbeiten zur Analyse von Direktmarketingmedien
Empirische Basis
Feldexperiment
Dialogmarketing unter den Vorzeichen des geänderten Konsumentenverhaltens
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Der Verfasser hat ein in dieser Konstellation völlig neuartiges apparatives Pre-TestMessverfahren entwickelt, welches es ermöglicht, die emotionalen Kriterien im Vorfeld und während der Kaufentscheidung zu messen und in Relation zu den kognitiven Kriterien zu setzen. Hierdurch wird es möglich, die Bedeutung der weichen Faktoren erstmals zu erfassen und auf die Erfolgsvariable Kauf hin abzustimmen. Das Verfahren bietet somit erstmals einen Ansatz, die Lücken der bisherigen Untersuchungsmethoden zu füllen und Werbewirkungsforschung, die sich bislang in Theorien erschöpft, zu überprüfen. Für den experimentalen Praxisteil wurden dem Verfasser echte Kunden- und Katalogdaten eines Spezialversenders zur Verfügung gestellt.
3.
Der Versandhandel
Zukünftig werden kurzlebige Trends das Konsumverhalten noch stärker beeinflussen. „Nur wer die neue Papstmünze unmittelbar nach einer Wahl auf den Markt bringt, sofort nach einem WM-Sieg den Pokal mit dem Namen des aktuellen Weltmeisters im Sortiment hat oder die Klimaanlage spätestens am Tag nach dem Hitzeeinbruch anbietet, wird an Trends verdienen“, so Heinz Scheve, Geschäftsführer des RTL-Shops in Köln.6 Chancen im Versandhandel hat, wer flexibel und schnell auf Trends reagiert und sich stärker an den Wünschen der Verbraucher orientiert. Statt Preisschlachten müssen Versender Kundenvorteile in den Vordergrund rücken. Termingerechte Lieferung, problemlose Retourenabwicklung oder auch „RundumSorglos-Pakete“ sind die Zukunft.7 Die Chancen der neuen „Multispezialisten“, wie sich die Universalversender jetzt nennen, liegen, so Scheve, in den spezifischen Katalogen. Durch diese können Zielgruppen gezielter angesprochen werden. 2004 beispielsweise erwirtschafteten die 21 zum Karstadt Quelle Konzern gehörenden Spezialversender einen Umsatz von 1,61 Milliarden Euro, 5,8 Milliarden Euro gingen auf das Konto des Universalversandes. Die großen Versender können nicht auf ihre Bigbooks verzichten, da die Kunden diesen Service erwarten. Dies hat man bei
6 7
Vgl. Schreiber, K., Interview: Schneller und flexibler, Special Verkaufsförderung, acquisa 10/05. Vgl. Schreiber, K., Interview: Schneller und flexibler, Special Verkaufsförderung, acquisa 10/05.
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Raimund Lenz
Otto schon im Jahr 1994 versucht. Den typischen Einzelbestellern wollte man einen abgespeckten Hauptkatalog im Umfang von 700 Seiten zusenden – Kostenreduktion. Fazit: Die Hotlines der Callcenter liefen heiß, da die Kunden den großen Katalog wollten, und somit wurden Hauptkataloge mit immensem Kostenaufwand nachgedruckt. Die Herstellung von Katalogen ist teuer. Allein für den Hauptkatalog musste Quelle sieben Euro zahlen, bis er im Briefkasten war. Das macht allein 84 Millionen Euro bei einer Auflage von zwölf Millionen Exemplaren.8 Die zusätzlichen Spezialkataloge verursachen auch zusätzliche Kosten. Doch wird die Nische zu klein, rechnet sich auch eine Spezialisierung nicht mehr. Hier müssen die Versandhändler grundsätzlich zwischen Investitionen und zu erwartenden Umsätzen abwägen. „Die wirkliche Herausforderung des klassischen Versandhandels liegt darin, schneller und flexibler zu werden, um auch auf kurzfristige Trends reagieren zu können.“ 9 Dies wird sich darin ausdrücken, dass die Bigbooks zwar weiter im Umlauf sein werden, jedoch Bedeutung zugunsten von Spezialkatalogen und Multimediavertriebswegen einbüßen. Denn ein Wesensmerkmal unterscheidet erfolgreiche Versender von nicht so erfolgreichen Versendern. Letztere identifizieren sich nicht mehr mit ihren eigenen Produkten.
3.1
Dialogmarketing
Der Siegeszug, den das Database-Marketing/CRM in den letzten Jahrzehnten gehalten hat sowie der Erfolg der Methoden bis ins Millennium, zumindest bei entsprechend großen Datenmengen, sprechen für sich. Die Zeiten der 80er-/90er-Jahre sind vorbei, in denen man versucht hat, den linksrheinischen Katholiken, der sonntags in die Kirche radelt,10 zu selektieren. Die Nutzen-Aufwands-Korrelation hat nicht die gewünschten Effekte gebracht. Klassisches Dialogmarketing ist:
produkt- und mediaorientiert
basiert auf rudimentären Kundendaten, zum Beispiel dem Kundenstatus
8
Vgl. Peters, R.-H.: Der Kampf der Wälzer, Der Stern, 5. April 2005. Vgl. Schreiber, K., Interview: Schneller und flexibler, Special Verkaufsförderung, acquisa 10/05. 10 Vgl. Drescher, U. H., in: der Versandhausberater, 2003. 9
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basiert auf einfacher, zellengestützter Segmentierung nach Kriterien wie Datum des letzten Kaufes, durchschnittliche Bestellwerte, CPO-Werte und anderem Modernes Dialogmarketing – soll heißen: datenbankgestütztes Direktmarketing – ist natürlich ohne das klassische Dialogmarketing nichts. Es erweitert dieses jedoch auf Kunden- und Marktorientierung.
Es basiert auf der Analyse umfassender Kundendaten, die systematisch gespeichert werden.
Es basiert auf fortschrittlichen und auf den Langzeiterfolg hin ausgerichteten Direkt-Marketing-Systemen.
Die Verbraucher versuchen mehr den je, die Balance zwischen Preis und Leistung sowie Askese und Luxus beim Konsum aufrechtzuerhalten. Dies deutet darauf hin, dass die Verbraucher insgesamt anspruchsvoller geworden sind. Der kritische Umgang mit den Produkten, bei dem die Verbraucher selbstbewusster, selektiver, skeptischer, resistenter, preis- und qualitätsbewusster geworden sind, zeigt, dass die Konsumintelligenz der Verbraucher gestiegen ist. Die rationale Steuerung dominiert mehr als früher die Kaufentscheidung. Hinweise dafür sind insbesondere die stärkere Nutzung von Informationsquellen, die stärkere Nutzung von Sonderangeboten und preiswerten Distributionskanälen, das größere Misstrauen gegenüber der Werbung und den Informationen der Anbieter. Weiterhin steigt das Wissen der Verbraucher in allen Produktbereichen durch die vermehrt konsumbezogenen Information in den Medien. Auch die steigende Zahl an einfach verständlichen Testzeitschriften und Berichten über verbraucherbezogene Themen in „normalen“ Zeitschriften verstärken die Entwicklung. Die eigenen Rechte werden gegenüber den Anbietern bewusster durchgesetzt. So wird früher und öfter reklamiert als in früheren Zeiten. Wie gezeigt flacht die Umsatzkurve bei den Vollsortimentern, aber auch bei den Spezialversendern weiterhin ab, auch wenn ausgefeilte Multi-Channel-Strategien, Hardfacts im Datamining ausgeschöpft werden.
100
3.2
Raimund Lenz
Vom rationalen zum relationalen Ansatz des Katalogmarketings
Das populäre Relationship-Konzept bildet keinen theoretischen Bezugsrahmen, es kann allenfalls als gedanklicher Impuls interpretiert werden.11 Als einer der prominenten Promotoren des Ansatzes beklagt Bruhn selbst den fehlenden Bezugsrahmen für das Relationship-Marketing. Es überrascht deshalb auch nicht, dass das Customer-Relationship-Marketing (CRM) überwiegend auf technische Aspekte reduziert wird.12 Wenn der Gedanke des Beziehungsmarketings eine Rolle spielt, dann in dem Hinweis auf die Verschiebung vom rationalen zum relationalen Ansatz.13 Relational bedeutet hier, dass sich die Bedeutung und die Werte von Marken und Angeboten zwischen den Akteuren auf Märkten aus der Interaktion und auf Basis individueller Bedeutungszumessung entwickeln. Probleme und Lösungen entstehen in den Beziehungen (Relationen) zwischen Menschen, sie sind nicht individuell verankert. Es besteht weiterhin das Dilemma der weichen Faktoren. Die Vielzahl an aktuellen Studien aus der Konsumentenforschung spiegelt die Bedeutung von Emotionen für das Kaufverhalten wider. In der Praxis zeigt sich, dass Unternehmen danach streben, durch entsprechende Gestaltung der absatzpolitischen Instrumente ihre Kunden auch emotional anzusprechen.
4.
Messverfahren zur Darstellung von Konsumentenverhalten
Ziel der Kaufverhaltensforschung ist es letztlich, einen größtmöglichen Anteil der beobachtbaren Kaufhandlungen theoretisch zu erklären. Das zentrale methodische Problem liegt dabei in der Explikation und Identifikation der zentralen Konstrukte. 11
Bruhn, 1999; Bruhn/Bunge, 1996. Vgl. Rudolph/Rudolph, 2000. 13 Vgl. Degon, 2000; Fill, 1999; Bergmann/Meurer, 2003; Bergmann, 2003d.
12
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4.1
101
Traditionelle Messverfahren
„Kundenzufriedenheit“ lässt sich beispielsweise nur sehr schwer objektiv beobachten und wird daher regelmäßig durch Befragungen erhoben.14 Dies ist insofern typisch für verhaltenswissenschaftliche Arbeiten, als sie zumeist diese Methodik verwenden. Die Befragung hat jedoch diverse Schwächen, die je nach Verfasser mehr oder weniger thematisiert werden. So ist die Anwendung dieser Methode mindestens an drei Voraussetzungen gebunden: Erstens muss der Proband die Ausprägung der interessierenden Variablen wahrheitsgemäß explizieren wollen. Zweitens ist unabdingbar, dass er diese Ausprägungen in einer dem Befrager zugänglichen Sprache ausdrücken kann. Schließlich muss der Proband die Ausprägung bewusst wahrgenommen haben, um sie überhaupt beurteilen zu können. Ist die erste Annahme zum Beispiel durch Testfragen noch relativ einfach zu gewährleisten, so ist die zweite Annahme angesichts neuerer psychologischer Kenntnisse zumindest umstritten.15 Kaum noch vertretbar ist die Realitätsferne der dritten Annahme. So belegen beispielsweise diverse Studien, dass die Kaufentscheidung weitreichend von Gefühlen und Emotionen beeinflusst wird. Ob es überhaupt gelingen kann, diese subjektiven Empfindungen mit einer oftmals standardisierten Befragung zu erheben, ist zweifelhaft. Vor diesem Hintergrund erscheint es zweckmäßig, zumindest die der Befragung nicht zugänglichen Konstrukte mithilfe anderer Methoden zu erfassen. Diesbezüglich stehen zwei Möglichkeiten zur Verfügung: die Beobachtung und das Experiment. Beobachtungsdaten werden zunehmend im Rahmen der Relationship-ManagementForschung verwendet. Hier werden etwa Panel- und Kundenkartendaten systematisch erfasst. Die grundlegende Idee ist dabei, aus der Beobachtung der Vergangenheit auf zukünftiges Verhalten zu schließen. Dieser Ansatz ist zwar grundsätzlich erfolgversprechend, hat aber mindestens drei zentrale Schwächen. Erstens sind Situationen denkbar, in denen keine vergangenheitsbezogenen Daten vorliegen. Beispiele hierfür sind Markentransfers, Markenrevitalisierungen, Markeninternationalisierungen sowie Neuprodukteinführungen.
14
Vgl. Garbarino, E./Johnson, M. S. (1999): The different roles of satisfaction, trust, and commitment in customer relationships, 1999, S. 84. 15 Vgl. beispielsweise Wegner, 2002.
102
Raimund Lenz
Zweitens setzt die Extrapolation der Vergangenheitsdaten eine zeitstabile Umwelt voraus. Diese bereits seit Jahrhunderten in der Wissenschaftstheorie unter dem Rubrum des Hume’schen Induktionsproblems diskutierte Schwäche scheint grundsätzlich nicht lösbar. Drittens gibt die Beobachtung des Kaufverhaltens, zum Beispiel mithilfe von Kundenkartendaten, nur wenig Auskunft über die dem Verhalten vorgelagerten Prozesse. Aber genau diese gilt es im Sinne der jeweiligen Marketingziele zu beeinflussen. Insofern erscheint auch dieser Weg nur bedingt begehbar zu sein.
Das Experiment hat den Vorteil, dass es relativ einfach angewendet werden kann und aus den experimentell gewonnenen Daten Rückschlüsse auf das Verhalten der Grundgesamtheit gezogen werden können. Bekannte Experimente sind beispielsweise der Folder-Test oder die Hautwiderstandsmessung.16 Problematisch an den herkömmlichen Experimenten ist jedoch, dass sie lediglich den „Response“ messen können, aber keine Rückschlüsse auf die Vorgänge im Bereich „Organismus“ zulassen. Insofern bleibt auch bei Anwendung von klassischen Experimenten die Theorie lückenhaft. Angesichts dieser Schwächen verwundert es nicht, dass Arbeiten, die sich an zentralen Konstrukten des S-O-R-Paradigmas17 ausrichten, nur einen Teil des beobachtbaren Kaufverhaltens erklären können. Somit sind die bisherigen Methoden, und hier insbesondere die Befragung und die Beobachtung, nicht in der Lage, die Determinanten des Kaufverhaltens vollständig zu erfassen. Ein zentraler Grund hierfür liegt in den genannten Schwächen der jeweiligen Methoden. Daneben ist es aber auch grundsätzlich fraglich, ob überhaupt die richtigen Größen gemessen werden. Denn faktisch sind der ökonomischen Forschung die Prozesse, die im Kopf des Konsumenten ablaufen und sein Verhalten maßgeblich bestimmen, nach wie vor unbekannt. Um dieses grundsätzliche Problem zu beheben, bestünde die Möglichkeit, bekannte, aber fachfremde Methoden aus anderen Wissenschaftsgebieten, die das menschliche Verhalten zu erklären versuchen, in die Kaufverhaltensforschung zu integrieren. Dies hätte den Vorteil, dass man auf einen Fundus validierter Methoden zurückgreifen kann, die vor dem Hintergrund der jeweiligen Problemstellung kurzfristig und weitgehend kostenneutral modifiziert werden können. Genau dieser Weg wurde im Rahmen des „neuroökonomischen“ Forschungsprojektes beschritten und soll im folgenden Kapitel 4.2 beschrieben werden. 16 17
Vgl. Kroeber-Riel/Weinberg, 1996. Stimulus Organismus Response, Das S-O-R-Paradigma der Kaufverhaltensforschung, Quelle: In Anlehnung an Howard, J./Sheth, J.: The Theory of Buyer Behavior, New York, 1969, S. 30.
Dialogmarketing unter den Vorzeichen des geänderten Konsumentenverhaltens
103
„Wenn man die subjektiven Aktivierungserlebnisse misst, macht man eigentlich einen Umweg: Man misst eine subjektive Wahrnehmung von Erregungen des Nervensystems, obwohl man die zentralnervösen Erregungen auch direkt messen kann.“18 Grundregeln für die weichen Faktoren im Dialogmarketing können wie einleitend ausführlich beschrieben kaum erhoben werden. Einzig zeigen die Forschungsansätze im Bereich Neuromarketing in der apparativen Forschung einige Grundlagenerkenntnisse, die sich bisher lediglich mit der Disziplin Markenwerbung beschäftigen. Apparative Forschungen mittels fMRT können lediglich hilfsweise Ansatzpunkte bieten, da der Forschungsschwerpunkt für das Marketing junge Blüten trägt.
4.2
Neuere apparative Messverfahren
Das Neuromarketing bildet ein symbiotisches Verhältnis zwischen Industrie und Forschung. Es interpretiert psychologische und neurophysiologische Erkenntnisse für das Marketing. Neuromarketing gilt als relativ neues und kontrovers diskutiertes Teilgebiet des Marketings, welches Technologien einsetzt, die eher der Wissenschaft dienlich sind. Ziel des Neuromarketings ist die Aufdeckung der unsichtbaren Zustände und Prozesse, welche die Entscheidung eines Konsumenten steuern, warum er sich z. B. für oder gegen ein Produkt entscheidet. Oft können Kunden auch gar keine Auskunft über die wahren Gründe für ihre Urteile und Präferenzen angeben. Hier ein Beispiel:
18
Vgl. Kroeber-Riel, 2003, S. 64.
104
Raimund Lenz
Kunden werden die folgenden drei Bilder vorgelegt mit der Aufgabe: Schauen Sie sich die Frauen auf den Bildern an – welche finden Sie am attraktivsten? A, B, oder C?
Abbildung 2:
Wie Werbung wirkt (Scheier/Held (2006))
Das Ergebnis: Von 70 Prozent der Befragten wird das Bild B gewählt. Fragt man die Kunden nach dem Grund, heißt es „das Bild steht in der Mitte“ oder „die Farben sind am schönsten“. Mit diesen Gründen hat die Entscheidung nichts zu tun. Die Bilder sind bis auf ein kleines Detail absolut identisch. Das mittlere Bild wurde bearbeitet, sodass die Taille der Frau etwas schmaler ist als bei den beiden anderen Bildern. Das HüfteTaille-Verhältnis ist tatsächlich der einzige, aber entscheidende Unterschied: In unserem Kulturkreis ist das Verhältnis im Bild B das ideale. Das zeigt, dass die wahre Ursache für die Präferenz dem bewussten Erleben gar nicht zugänglich ist. Vom Neuromarketing erhofft man sich, diese und andere Gründe, die der Marktforschung bisher verborgen blieben, erklären zu können. Die Idealvorstellung ist, dass man mit dem Neuromarketing näher an den sogenannten „Kaufknopf“ heran kommt.19
19
Vgl. Scheier, C./Held, D.: Wie Werbung wirkt: Erkenntnisse des Neuromarketings, Freiburg, Berlin, München: Haufe 2006.
Dialogmarketing unter den Vorzeichen des geänderten Konsumentenverhaltens
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Beim Neuromarketing wird vor allem beobachtet, welche Gehirnareale durch verschiedene Produkt-Stimuli aktiviert werden. So löst die Darstellung von Produkten, mit denen sich ein Konsument stark identifiziert, eine erhöhte Aktivität im präfrontalen Cortex aus. Bislang wurde diese Technik vor allem am „Pepsi-Problem“ ausgearbeitet. Denn seit den 80er-Jahren ist bekannt, dass Pepsi-Cola in Blindverkostungen besser bewertet wird als Coca-Cola.20 Durch diese vom Neuromarketing genutzten Verfahren erhalten die Marketingstrategen die Möglichkeit, sozusagen einen direkten Blick in das Gehirn zu werfen und somit die Funktionen und Aktionen der Konsumenten besser verstehen und nutzen zu können. Ansonsten bleibt das Neuromarketing „l’art pour l’art“. Schon jetzt zeigt sich, dass viele Scharlatane auf den Zug aufgesprungen sind, die mit reißerischen Ergebnissen um die Gunst ihrer Kunden ringen.“21 Neben den Chancen gilt es in jedem Fall, auch die teilweise beträchtlichen Risiken im Auge zu behalten. Ein Hauptrisiko besteht, neben den beträchtlichen Kosten von bis zu 250.000 Euro22 pro Studie, im unsachgemäßen Einsatz der komplexen Verfahren sowie in der damit einhergehenden Fehlinterpretation der Ergebnisse. Neuromarketingforschung ist ein Thema für entsprechend ausgebildete Experten, häufig Mediziner oder Neurowissenschaftler. Erst wenn sich mehr Mediziner beziehungsweise Hirnforscher in die Marketing- oder Marktforschungspraxis wagen, ist ein breiterer und gleichzeitig seriöser Einsatz der Verfahren zu erwarten. Aber auch die Interpretation und Einordnung der einschlägigen Studien sollten nur durch Experten erfolgen. Gerade die bildgebenden Verfahren legen „intuitive“ Erklärungen nahe – doch was genau die schönen Hirnscans zeigen, erschließt sich nur den Experten.23
20
Vgl. Die Zeit: Der Markt der Neuronen, 13. November 2003, Nr. 47; Schnabel, U./Yoon, C./Gutchess, A. H.,/Feiberg, F./Polk, T. A. A: Functional Magnetic Resonance Imaging Study of Neural Dissociations between Brand and Person Judgments, 2006. 21 Vgl. Esch, F.-R.: Marketingjournal 2005. 22 Dies ist eine ungefähre Angabe und je nach Rezipientenanzahl kann die Kostennote um ein Vielfaches ansteigen. 23 Vgl. Kenning, P.: Neuromarketing, in: Focus Jahrbuch 2005; Scheier, C.: Macht der Neuronen, in: Focus Jahrbuch 2006.
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Harmloses Experiment mit bedrückendem Ergebnis: „Schon lange wollte Herr B., selbst ein begeisterter Hirnforscher, sehen, welche Bilder eines der modernen MRI-Geräte von seinem eigenen Gehirn produziert. Diese Gelegenheit bot sich, als an seiner Hochschule ein solches Gerät in Betrieb genommen wurde. Herr B. zögerte nicht und stellte sich für Tests mit dem neuen Gerät zur Verfügung – ein an und für sich harmloses Unterfangen. Doch nach den Probemessungen wurde er vom Leiter der zuständigen Forschungsabteilung zu einem Gespräch eingeladen. Er erhielt Einsicht in die Ergebnisse der Messung, die wie erwartet Querschnitte durch sein Gehirn zeigten. Doch mit großer Bestürzung erkannte er auf einem der Bilder einen Hirntumor in der Größe eines Golfballs. Dieser Befund kam völlig überraschend, wurden doch bei Herrn B. zuvor nie irgendwelche Anzeichen für eine Erkrankung des Gehirns festgestellt. Trotz seiner Niedergeschlagenheit schöpfte er Hoffnung: Vielleicht ließ sich ein frühzeitig erkannter Tumor besser bekämpfen. Herr B. akzeptierte deshalb die Überweisung an einen Neurochirurgen, die ihm vom Institutsleiter angeboten wurde. Dies sollte unabsehbare finanzielle Folgen haben. Herr B. und seine Frau erwarteten ein Kind und befassten sich gerade damit, ihre Versicherungen anzupassen, damit die junge Familie auch unterstützt würde, falls der Vater oder die Mutter wegen Krankheit oder Unfall nicht mehr arbeiten könnte. Doch noch bevor die neuen Versicherungspolicen unterschrieben waren, kam die fatale Diagnose. Herr B. wusste inzwischen vom Neurochirurgen, dass die Entfernung des Hirntumors mit Risiken verbunden ist – der Verlust der Arbeitsfähigkeit war nicht auszuschließen. Was sollte er in dieser Situation tun? Er ging den aufrichtigen Weg und teilte der Versicherung die Ergebnisse mit – obwohl die Messung ja nicht im Rahmen einer klinischen Diagnose durchgeführt worden war. Die Versicherung verweigerte nun den Abschluss einer neuen Police. In seinem Erlebnisbericht kommt Herr B. zu folgendem Schluss: „Nun befinde ich mich in der unangenehmen Situation, dass mir ein chirurgischer Eingriff bevorsteht, welcher mich und meine Familie alles kosten könnte – und dies nur, weil ich in mein Gehirn gucken wollte. Ich weiß, dass die Rekrutierung von Versuchspersonen für die klinische Forschung sehr schwierig ist und dass jede Versuchsperson wertvoll ist. Nach meinen Erfahrungen sollte das Einverständnis der Versuchspersonen (informed consent) ganz klar darauf beruhen, dass diese auch über das Risiko unerwarteter Befunde und über mögliche Probleme beim Abschluss von Versicherungen informiert werden.“24
Dieses Beispiel stammt aus den USA. Es soll das grundsätzliche Problem des Risikos eines unerwarteten Befundes illustrieren. Die finanziellen Konsequenzen sind nicht unmittelbar auf Europa übertragbar, weil die private Krankenversicherung in den USA eine größere Bedeutung hat als in den meisten europäischen Ländern.
24
Vgl. Anonymous, Nature Vol. 434, S. 17, 3. März 2005.
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Nachfolgend geht der Verfasser auf die Funktionsweise und Anwendbarkeit der einzelnen apparativen Verfahren ein. Es wird dabei darauf verzichtet, zu sehr in die Tiefe zu gehen, da hier keine medizinische Arbeit verfasst werden soll. Tabelle 1: Methoden für Hirnuntersuchungen (Auswahl)
4.2.1
Funktionelle Magnetresonanz-Tomografie (fMRI)
Die Gehirnfunktionen mittels funktioneller Magnetresonanz-Tomographie zu untersuchen, ist relativ neu. Im Jahr 1991 gelang es erstmals einer Arbeitsgruppe am MRI-Center des Massachusetts General Hospitals, Gehirnfunktionen durch die Messung der Blutoxygenierung mittels Magnetresonanz abzubilden. Heute können in den Gehirnen einzelner Personen Gebiete identifiziert werden, in denen zum Beispiel die frühe visuelle Verarbeitung stattfindet oder in denen Bewegungsreize verarbeitet werden. Weiterhin können die Reaktionen auf Änderungen einfacher Reizeigenschaften wie Kontrast oder Farbe25 oder auch komplexere Eigenschaften wie Form26 untersucht 25
Vgl. DeYoe, E. A./Bandettini, P./Neitz, J./Miller, D./Winans, P.: Functional magnetic resonance imaging (FMRI) of the human brain, J Neurosci Methods 54, 1994; Tootell, R. B./Dale, A. M./Malach, R.: New images from the human visual cortex, in: Trend Neurosco 19, 1996; Wandell, B. A.: Computational neuroimaging of human visual cortex, in: Annu Rev. Neurosci 22, 1999. 26 Vgl. Grill-Spector, K./Kushnir, T./Hendler, T./Edelman, S.: Human Brain Mapping, Willyi Liss Incl., Israel, 1998.
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werden. Aber auch umfassendere Leistungen wie Objekt- und Raumwahrnehmung27, die emotionale Bewertung eines Reizes28, Funktionen des Arbeitsgedächtnisses29 und die Modulation der Gehirnaktivität durch Aufmerksamkeit30 werden mit dem fMRT untersucht. Die synonym verwendete Abkürzung fMRI leitet sich von der englischen Bezeichnung functional magnetic resonance imaging ab. In den letzten Jahren wurde fMRI zur wichtigsten Methode der kognitiven Neurowissenschaften. Das Messprinzip ist dasselbe wie bei der MRI, die Messgeräte sind aber so eingestellt, dass andere Signale erfasst werden: Nicht die Wasserstoff-Kerne werden hierbei angepeilt, sondern ein wichtiger Bestandteil des Blutes, das Hämoglobin. Hämoglobin transportiert den Sauerstoff von der Lunge an den Ort, wo er im Stoffwechsel gebraucht wird, also beispielsweise in die Hirnzellen. Durch die Abgabe des Sauerstoffs ändert das Hämoglobin seine magnetischen Eigenschaften. Genau darauf basiert die fMRIMessung: Das Gerät kann die Verteilung von sauerstoffbeladenem Hämoglobin und solchem ohne Sauerstoff im Gehirn messen. Der Rückschluss auf die Vorgänge im Gehirn ist möglich, weil ein Bereich im Gehirn, der besonders aktiv ist, mit viel sauerstoffreichem Blut versorgt wird. Mittels fMRI kann man somit feststellen, welche Bereiche im Gehirn beansprucht werden im Zusammenhang mit Sprache, visueller oder akustischer Wahrnehmung, Bewegung oder Gedächtnis. Auch ist es schon gelungen, damit die Vorgänge im Hirn bei bestimmten Stimmungen von Versuchspersonen zu untersuchen. Die Aussagekraft der Ergebnisse wird etwas vermindert durch die indirekte Art der Messung: Der Sauerstofffluss im Gehirn ist nur eine Folge der Hirnaktivität, aber nicht die Hirnaktivität selbst. Der Zusammenhang der Aktivität der Hirnzellen mit dem Sauerstoffgehalt im Blut wird jedoch als ausreichend betrachtet, um verlässliche Aussagen zu machen. Der Aufenthalt von Patientinnen und Patienten oder Versuchspersonen in der recht engen Röhre, in die sie zur Untersuchung geschoben werden, kann unangenehme Gefühle oder sogar Platzangst auslösen. Dies ist bei relativ kurz dauernden medizinischen Untersuchungen in der Regel nicht problematisch. Doch Experimente, die der Kognitionsforschung dienen, können bis zu anderthalb Stunden dauern. Deshalb müssen die Forscherinnen und
27
Vgl. Aguirre, 1996. Vgl. Phillips et al., 1998. 29 Vgl. Wagner, A. D./Koutstall, W./Schacter, D. L.: When encoding yields remembering: insights from event-related neuroimaging. Philosophical Transactions of the Royal Society of London, Series B, 1999. 30 Vgl. Behrmann, M./Haimson, C.: The cognitive neuroscience of visual attention, in: Current Ortion Neurobiology, 1999. 28
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Forscher berücksichtigen, dass allfällige Angstgefühle, die allein durch die Umstände des Experiments verursacht werden, die Ergebnisse verfälschen können.31
4.2.2
Positronenemissionstomografie (PET)
Die PET wird schon seit den frühen 80er-Jahren zur Untersuchung von Gehirnfunktionen eingesetzt.32 Mit PET lassen sich Stoffwechselaktivitäten im Gewebe nachweisen. Zu diesem Zweck werden Signale gemessen, die von radioaktiv markierten Substanzen abgegeben werden. Dabei kann es sich um speziell hergestellte Varianten (Isotope) von „gewöhnlichen“ Molekülen wie Wasser oder Sauerstoff handeln oder um eigens für die Hirnuntersuchung hergestellte Verbindungen, die im Gehirn gezielt bestimmte Stellen markieren sollen. Solche Substanzen werden den Versuchspersonen durch eine Injektion oder durch Inhalation vor der Messung verabreicht. Durch den Blutkreislauf gelangen sie nach rund 30 Sekunden ins Gehirn. Ihr radioaktiver Zerfall verursacht eine Strahlung, die von einem Messgerät registriert wird. Aus den Messdaten können dann Schnittbilder oder dreidimensionale Ansichten des Gewebes berechnet werden, in welchem die markierte Substanz zirkuliert hat. PET macht es möglich, Strukturen im Hirn zu identifizieren, die größer als zwei Millimeter sind. Bei der Verwendung von Radioaktivität sind Sicherheitsvorkehrungen zwingend. So wird darauf geachtet, eine möglichst geringe Strahlendosis zu verwenden. Es werden generell keine Substanzen verwendet, die sich im Körper ansammeln könnten. Bevorzugt sind Verbindungen, deren Strahlenabgabe rasch abklingt.
4.2.3
Elektroenzephalogramm EEG
Das EEG entsteht durch die elektrische Aktivität der 1 010 bis 1 012 Nervenzellen (Neuronen) im menschlichen Gehirn (ca. 1,2 bis 1,4 Kilogramm). Die Neuronen erzeugen und übertragen Aktionspotenziale (Spikes) welche bis zu 70 Millivolt groß sind und ca. eine Millisekunde dauern. Die durchschnittliche Feuerrate kann von einem bis 1 000 Spikes pro Sekunde variieren.33
31
Vgl. Jäncke, 2006. Vgl. Fox et al., 1984. 33 Vgl. Pfurtscheller, G./Lopes da Silva, F.: Event related desynchronisation. Handbook of electroencephalography and clinical neurophysiology: Revised series, 6. Elsevier, 1999. 32
110
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Die erste Messung von Hirnaktivitäten mittels EEG beim Menschen ist Hans Berger im Jahre 1924 gelungen. Er konnte bei entspannter Wachheit eine starke Spontanaktivität, die im Bereich des Hinterkopfs auftritt, ableiten. Im EEG wird die neuronale Aktivität direkt erfasst. Es hat daher eine vorzügliche zeitliche Auflösung, die im Bereich von Millisekunden liegt. Die räumliche Auflösung ist jedoch schlechter als beim fMRI, kann aber durch mathematische Verfahren verbessert werden. Bei der Auswertung des EEG finden daher zeitliche Aspekte des gemessenen Signals besondere Beachtung. Das Gehirn „an der Arbeit“ produziert laufend elektrische Signale, denn die Reizübertragung zwischen den Nervenzellen erfolgt auf elektrischem Weg. Mithilfe von Elektroden, die auf der Kopfhaut befestigt werden, können diese Signale erfasst und durch empfindliche Messgeräte sichtbar gemacht werden. Entsprechende Messungen der Hirnaktivität werden schon seit Jahrzehnten durchgeführt, die Aufzeichnung der sogenannten Hirnströme durch das EEG ist eine bewährte Untersuchungsmethode. Die Signale, die auf der Kopfhaut gemessen werden, lassen jedoch nur einen indirekten Schluss darauf zu, welcher Bereich im Gehirn sie ausgelöst hat. Erst in den letzten Jahren wurde das EEG zu einer Methode weiterentwickelt, die auch Aussagen darüber ermöglicht, an welcher Stelle im Gehirn eine bestimmte Aktivität stattfindet. Voraussetzung für diese Lokalisierung ist die Verwendung einer großen Anzahl – mehrerer Dutzend – Elektroden, aus deren Messwerten leistungsfähige Computerprogramme ein Bild der räumlichen Verteilung der gemessenen Hirnaktivitäten berechnen können. Dies ist mit zunehmender Präzision möglich, weshalb das EEG als eine vielversprechende Methode gilt. Ein großer Vorteil des EEG besteht darin, dass seine Anwendung als praktisch frei von Risiken gilt. Es werden Signale gemessen, die das Gehirn selber produziert, ohne dass dazu eine Einwirkung von außen – sei dies durch Strahlen oder chemische Verbindungen – erforderlich wäre. Die einzige Vorsichtsmaßnahme betrifft die Sicherheit der Messgeräte. Wie bei allen elektrotechnischen medizinischen Geräten, die in direkter Verbindung mit untersuchten Personen stehen, muss ausgeschlossen sein, dass durch unbeabsichtigte Stromflüsse jemand geschädigt wird. Die Überwachung der elektrischen Aktivität des menschlichen Gehirns ist eine der größten Herausforderungen seit der ersten Dokumentation ihrer Messung durch den deutschen Forscher Hans Berger im Jahr 1929. Bereits 1932 hat Berger zusammen mit Dietsch vorgeschlagen, den mathematischen Ansatz der Frequenzanalyse quantitativ (die Informationsinhalte der aufgezeichneten Signale) zu beschreiben.34 Der Durchbruch dieser brillanten Idee gelang erst in den 60er-Jahren mit der zeitsparenden Einführung der Computertechnologie.
34
Vgl. Dietsch G./Berger H., Fourier Analyse von Elektroenkephalogrammen des Menschen. Pflügers Arch 230, 1932, S. 106-112.
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Mittlerweile gibt es keine Zweifel daran, dass – im Sinne der Neurobiologie – die elektrische Aktivität des Gehirns auch verschiedene emotionale Zustände des Individuums beobachtet und quantitativ beschrieben werden.35 Die Reflexion der geistigen Arbeit im dynamischen quantitativen Topografischen EEG hat sich ebenfalls bewährt.36 In Studien und anderem über die Wirkung von Medikamenten geht Dimpfel methodisch einen gänzlich neuen Weg:37 In seinem System wird das EEG in einem „Oberflächen-Spannungs-Modus“, der über Laplace’sche Schätzungen berechnet wird – auch bekannt als current source density analysis (CSD) –, betrieben, nicht wie sonst üblich nach der Potenzmethode. Es hat sich gezeigt, dass das EEG im Potenzmodus eher extensive und diffuse Bilder bei Veränderungen liefert, während das CSD-basierte EEG in der Lage ist, die räumliche Herkunft von elektrischen Signalen zu bestimmen. Mittels Lagrange Interpolation werden zusätzlich zu den 17 realen Elektroden (siehe Abbildung 3), die in einer elastischen Haube untergebracht sind, 82 virtuelle Elektrodensignale berechnet, die hoch aufgelöste topografische Karten des Gehirns liefern. Alle 99 Elektrodensignale (17 reale, 82 virtuelle) durchlaufen die Fast-FourierTransformation (FFT). Daten von 0,86 bis 35 Hertz werden analysiert, die sich ergebenden Frequenzspektren werden in 6 Frequenzbänder aufgeteilt (siehe Abbildung 4). Diese Frequenzanalyse basiert auf absoluten Werten des Stromspektrums. Datenakquise und –analyse werden simultan ausgegeben und als topografische Karten zeitgleich auf dem Bildschirm erzeugt (siehe Abbildung 5). Die farbliche Kodierung der Bilder wird durch Umwandlung des Stromspektrums in das Farbspektrum erreicht. Die Bilder zeigen die relativen, zeitlich gemittelten, funktionellen Veränderungen der elektrischen Hirnaktivität jeder speziellen aufgenommenen Bedingung, die in Bezug zu einer Referenzbedingung gesetzt wird (z. B. werden die Probanden in Perioden verschiedenen Reizen ausgesetzt, zu Beginn erfolgt als Referenz eine reizlose Periode). Der Einsatz der Software Cateem® gewährleistet eine automatische kontinuierliche Bereinigung von Artefakten, welche beispielsweise durch Augenzwinkern, Schlucken oder Räuspern ausgelöst werden.38 35
Vgl. Machleidt W./ Gutjahr L./Mügge A./Hinrichs, H.: Systematisierung affektiver Verläufe mit der EEG-Spektralanalyse, in: Weinmann (Hg.): Zugang zum Verständnis höherer Hirnfunktionen durch das EEG. München: Zuckerschwerdt 1987b, S. 108-127. 36 Vgl. Schober F./Schellenberg R./Dimpfel W.: Reflection of mental exercise in the dynamic quantitative EEG, in: Neuropsychobiology 31, 1995, S. 98-112. 37 Vgl. Dimpfel W./Hofmann H. C./Prohaska A./Schober F./Schellenberg R.: Source Density Analysis of Funcitonal Topographical EEG: Monitoring of Cognitive Drug Action. Eur. J. Med. Res. 1, 1996, S. 283-290. 38 Vgl. Dimpfel W./Wedekind W./Keplinger I.: Gender Difference in Electrical Brain Activity during Presentation of Various Film Excerpts with Different Emotional Content. Eur. J. Med. Res, 2003(8): S. 192-198.
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Abbildung 3:
Beispiel EEG-Analog Signal der 17 Elektroden (NeuroCode AG (2003))
Abbildung 4:
Beispiel D1 (EEG-Analogsignal) durchläuft die Fast Fourier Transformation (EEG-Leistungsdichtespektrum). Die sich hieraus ergebenden Frequenzspektren werden nach Analyse in 6 Frequenzbänder (EEG-Fingerprint) aufgeteilt. (NeuroCode AG (2003))
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Abbildung 5:
4.2.4
113
Hier wurden in einer Studie filmische Stimuli den Rezipienten dargeboten. Nach Datenakquise und -analyse wird simultan eine topografische Gehirnkarte errechnet (Hier: linke und rechte Gehirnhälfte mit absolutem Farbspektrum). Das Balkendiagramm stellt die Analogsignale mit den 6 Frequenzbändern dar. Die rechts oben abgebildete filmische Situation spiegelt sich parallel in der topografischen Gehirnkarte wieder. (NeuroCode AG (2003))
Eyetracking
Eyetracking ist eine Technik zur Messung von Augenbewegungen des Menschen relativ zum Kopf oder zur Bestimmung des Blickziels. Vorliegendes Essay fasst grundlegende physiologisch-anatomische Eigenschaften des Auges zusammen, beschreibt Techniken zur Messung von Augen- und Blickbewegungen und erläutert einige Anwendungen und Möglichkeiten des Eyetrackings unter anderem in der Mensch-Computer-Interaktion und den Kommunikationstechnologien. Augenbewegungen Der Mensch ist in der Lage, mit den Augen eine sehr hohe Anzahl von Bewegungen auszuführen. Hierbei kann man zwischen Bewegungen des Augapfels selbst und Pupillen- sowie Lidschlussmotorik unterscheiden. Für das Eyetracking ist haupt-
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Raimund Lenz
sächlich die Bewegung des Augapfels durch die sechs äußerlich angreifenden Muskeln von Bedeutung.39 Man kann zwischen drei Klassen von Augenbewegungen unterscheiden:
Ausgleichsbewegungen, die ein Verrutschen der Bildinformation auf der Netzhaut verhindern. Sie finden statt als Reaktion auf eine Bewegung des ganzen Körpers, der gesamten Umgebung oder des zu fixierenden Objekts. Bewegungen, die die Sehgrube (den Bereich des schärfsten Sehens auf der Netzhaut) auf neue Sehobjekte ausrichten. Mikrobewegungen des Auges.
Bewegungen zum Ausgleich von Bewegungen des Kopfes und des Körpers Die sogenannten vestibulären Augenbewegungen dienen der anhaltenden Fixierung eines Punktes bei Kopf- und Körperbewegungen. Durch Informationen, die vom Gleichgewichtsorgan im Ohr stammen, sind diese Bewegungen unabhängig von visuellen Reizen. Langsame Gleitbewegungen wechseln sich mit schnellen Rückstellbewegungen ab. Die langsamen Bewegungen werden unwillkürlich gesteuert und von bewegten Blickobjekten ausgelöst. Bei schnellen Bewegungen des Objekts wechselt das Auge zwischen sehr schnellen Rückstellbewegungen und Gleitbewegungen hin und her.40 Ausrichtung des Auges auf das Sehobjekt Das Blickfeld eines Auges umfasst einen Kegel von etwa 100 Grad, der Bereich, in dem man wirklich scharf sehen kann, ist aber viel kleiner. In der Mitte der Netzhaut befindet sich die Seh- oder Zentralgrube, ein etwas vertieftes Gebiet, der „Brennpunkt“ des Auges. Das scharfe Sehen ist in einem Winkel von ca. einem Grad um den fixierten Blickpunkt möglich. Objekte, die nicht in diesem „Brennpunkt“ liegen, werden nur peripher wahrgenommen und dienen dazu, ein grobes Schema der Umgebung aufzubauen. Es gibt drei Arten von Bewegungen, die dazu führen, dass das Auge auf ein Objekt gerichtet ist und bleibt:
Blickwechsel von einem Objekt zum nächsten: Sakkaden
Bewegungen, die dazu dienen, einem bewegten Objekt zu folgen. Wenn sich das Objekt langsam bewegt, folgt das Auge mit „pursuit movements“ (Folgebewegungen). Bei schnelleren Bewegungen des Ziels werden Sakkaden notwendig.
39
Vgl. Joos, M./Rötting, M./Velichkovsky, B. M.: Die Bewegungen des menschlichen Auges: Fakten, Methoden, innovative Anwendungen, in Herrmann, T./Deutsch, S./Rickheit, G. (Hg.): Handbuch der Psycholinguistik, Berlin/New York: De Gruyter 2002, S. 142-168. 40 Ebenda.
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Körper und Kopf bewegen sich, das Auge gleicht diese Bewegung aus (vestibuläre Augenbewegungen, siehe oben). Wenn man die Umgebung betrachtet, führt das Auge ständig sehr schnelle Bewegungen aus, eben genannte Sakkaden. Zwischen diesen schnellen Bewegungen stoppt das Auge. Diese ungefähr 200 bis 300 Millisekunden langen Phasen nennt man Fixationen. Beide Phasen werden von beiden Augen annähernd gleichzeitig durchgeführt. Die Sakkade ist die schnellste Bewegung im menschlichen Körper und kann ca. 600 Grad pro Sekunde zurücklegen. Während einer Sakkade kann das Gehirn keinerlei Informationen aufnehmen, der visuelle Reiz wird nur verschwommen wahrgenommen, das visuelle Wahrnehmungsvermögen ist sehr stark eingeschränkt. Diese „saccadic supression“ kann auch noch 120 Millisekunden nachwirken, die folgende Fixation kann also überdeckt werden.41 Visuelle Informationen werden während der Fixation wahrgenommen. Eine Fixation ist mindestens 100 Millisekunden lang und grundsätzlich kann eine Übereinstimmung zwischen dem Ort der Fixation und dem Fokus der Aufmerksamkeit angenommen werden.42 Laut Unema erreicht die Geschwindigkeit einer Sakkade über 1 000 Grad pro Sekunde und Fixationen zehn bis 80 Millisekunden. Da jedoch während einer Sakkade nahezu keine Informationsaufnahme stattfindet,43 wird diese Verschiebung nicht wahrgenommen. Zusätzlich beginnt bereits 75 Millisekunden vor Beginn einer Sakkade die Unterdrückung der Aufnahme von visuellen Informationen, diese überdauert auch das Ende der Sakkade noch um ca. 50 Millisekunden.44 Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die schnellsten Augenbewegungen:
zwischen 600 Grad und 1 000 Grad pro Sekunde zurücklegen,
während dieser Zeit (vermutlich) keinerlei Informationen ans Gehirn weitergeleitet werden, Fixationen je nach Literatur von zehn bis 300 Millisekunden andauern.
Da in der Literatur keine eindeutige Meinung vertreten wird, wird in der vorliegenden Arbeit ein Mittelwert der genannten Zahlen zugrunde gelegt:
41
Vgl. Fischer, B.: Blickpunkte. Neurobiologische Pronzipien des Sehens und der Blicksteuerung, in: Wahrnehmungspsychologie, Bern, 1999. 42 Vgl. Just, M. A./Carpenter, P. A.: Eye Fixation and cognitive processes, in: Cognitive Psychology 8, 1967. 43 Vgl. Hoffman, J. E.: Visual attention and Eye Movements, in: Pashler, H. (Hg.): Attention, London, 1996. 44 Vgl. Diamond/Ross/Morrone, 2000.
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Geschwindigkeit der Sakkaden: 800 Grad pro Sekunde Dauer der Fixationen: 100 Millisekunden Mikrobewegungen Mikrobewegungen haben eine eher geringe Amplitude, sie treten bei jeder Fixation auf. Unterschieden werden hier Drift, Tremor und Mikrosakkaden, jeweils mit unter zehn Winkelminuten. Beim Drift gleitet das Auge stetig und minimal vom Fixationsort ab, das auf der Netzhaut einfallende Licht trifft also immer neue und andere Sehzellen, eine Ermüdung dieser Zellen wird so vermieden. Die gleiche Funktion hat der Tremor, eine minimale Zitterbewegung mit Frequenzen von etwa 50 Hertz. Die Mikrosakkaden korrigieren die durch den Drift hervorgerufenen Verschiebungen und refixieren das Objekt, sie treten auch regellos auf und führen das Auge weg vom fixierten Objekt. Erfassung der Augenbewegungen Die Augen bieten also eine sehr schnelle und „bandbreitenintensive“ Möglichkeit, die Aufmerksamkeit und Wahrnehmung einer Person zu messen. Beim Eyetracking können also Sakkaden, Fixationen, der Abstand der Augen zum Ziel, der Durchmesser der Pupille und viele andere Daten erfasst werden. Wichtige Einheiten sind hier der „scan-path“ (Sequenz der Fixationen), die Anzahl der aufeinanderfolgenden Fixationen auf ein Gebiet, anteilige Aufmerksamkeit für ein Gebiet sowie die Zeit, die benötigt wird, um ein Objekt zu finden und zu fixieren. Die Nutzer müssen vor der Anwendung nicht trainiert oder instruiert werden, das Auge zeigt im Gegensatz zu anderen Eingabegeräten die Verschiebung der Aufmerksamkeit direkt an. Entwicklung des Eyetrackings Rayner 45 benennt drei Phasen der Eyetracking-Forschung: in der ersten Phase (ca. 1879 bis 1920) wurden die physiologisch-anatomischen Gegebenheiten des Auges untersucht, unter anderem also Sakkaden, Fixationen und die Wechselwirkung zwischen beiden. Die zweite Phase (ca. 1930 bis 1958) ist von psychologischen Untersuchungen (Experimenten) geprägt. In der dritten Phase (ca. 1970 bis 1998) verbesserten sich die Messmethoden und der technische Fortschritt führte zu weiteren Möglichkeiten beim Eyetracking, so zum Beispiel der videobasierten Augenbewegungsanalyse.
45
Vgl. Rayner, K.: Eye Movements in Reading and Information Processing: 20 Years of Research, in: Psychological Bulletin, 1998, S. 124.
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Heute existiert eine Vielzahl von Eyetracking-Anwendungen, die grob in zwei Kategorien eingeteilt werden können: Diagnose und Interaktion. Bei der Diagnose liefert der Eyetracker objektive und quantitative Nachweise über die Aufmerksamkeit des Nutzers und deren Veränderung. Der gezeigte optische Stimulus reagiert nicht auf die Augenbewegung des Nutzers. Der Eyetracker liefert Daten, die nach dem Experiment offline ausgewertet werden können. Ergebnisse sind „Hotspots“ (symbolisieren das Verhalten mehrerer Nutzer), „Gaze plots“ (Blickpfade, zeigen anschaulich den Verlauf eines kompletten Tests) und „Gaze replays“ (Wiederholungen, dadurch kann das Wahrnehmungs-/Blickverhalten einer Testperson reproduziert und genau analysiert werden). Durch wachsende Computerleistung und Grafikfähigkeiten heutiger Computersysteme bietet der Eyetracker auch die Möglichkeit, als Eingabegerät bei der MenschMaschine-Interaktion genutzt zu werden. Das System muss also auf den User beziehungsweise dessen Augenbewegung reagieren. Hier bietet sich die Möglichkeit, das Wahrnehmungszentrum wie einen Mauszeiger zu nutzen oder aber abhängig vom Mittelpunkt der Wahrnehmung komplexe Grafikumgebungen zu verändern. Ein Problem bei der Interaktion durch Augenbewegung ist der „Midas-Touch“46. Die Nutzer sind es nicht gewohnt, eine Eingabe nur mit einem Blick zu tätigen. Normalerweise betrachtet man einen Gegenstand, ohne gleich mit ihm zu interagieren, dasselbe gilt für Schaltflächen bei der Mensch-Computer-Interaktion. Bei der Eingabe durch Eyetracking wird jeder Blick zu einer Eingabe, man kann nichts betrachten, ohne eine Aktion zu starten. Der Nutzer sollte idealerweise die Möglichkeit haben, nur dann Befehle mit den Augen zu tätigen, wenn er es will. Darin liegt ein Problem beim interaktiven Eyetracking. Folgende technischen Möglichkeiten bieten sich also für das Eyetracking:
Subjektive Verfahren: Die direkte Beobachtung gilt als erstes und einfachstes Verfahren zur Registrierung von Augenbewegungen, das ohne technische Hilfsmittel funktioniert.
46
Vgl. Jacob, R. J. K./Karn, K. S.: Eye Tracking in Human-Computer Interaction and Usability Research: Ready to Deliver the Promises, in: Radach, R./Hyona, J./Deubel, H. (Hg).: The mind’s eye: cognitive and applied aspects of eye movement research, Boston: NorthHolland/Elsevier 2003, S. 573-605.
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Retinale Nachbilder sind eine weitere Methode und werden in Dunkelheit erzeugt, indem eine Versuchsperson hellen Lichtblitzen ausgesetzt wird. Finden in dieser Zeit Augenbewegungen statt, entstehen Nachbilder an verschiedenen Stellen. Die Testperson muss diese Positionen später beschreiben und so können die Augenbewegungen dann erfasst werden.47 Beide Methoden beruhen auf der subjektiven Sicht von Beobachter oder Proband. Sie sind teils ungenau, teils nur kurz anwendbar. Aus diesen Gründen werden subjektive Verfahren in dieser Arbeit nicht näher behandelt. Objektive Verfahren: Die objektiven Verfahren können in drei Klassen von Messgeräten unterteilt werden.48 Diese können beschrieben werden als: Messgeräte, die irgendeine Art von Lichtreflexion (typischerweise Infrarotlicht) messen, die auf das Auge projiziert wird, Messgeräte, die das elektrische Potenzial der Haut messen, die das Auge umgibt,
Systeme, die mittels spezieller Kontaktlinsen direkt am Augapfel angebracht werden.
Elektrookulogramm (EOG) Das EOG ist eine elektrophysiologische Messmethode. 49 Zwischen Hornhaut (positiver Pol) und Netzhaut (negativer Pol) des Auges besteht ein elektrischer Spannungsunterschied, auch Potenzialdifferenz genannt. Der Dipol zwischen beiden Häuten kann bis zu einem Millivolt betragen. Durch zwei Hautelektroden, die horizontal oder vertikal in der Nähe des Auges angebracht werden, können die entstehenden Spannungsveränderungen bei Bewegung des Auges gemessen werden. So
47
Vgl. Völpel, M. B.: Eye-Tracking. Untersuchung der praktischen ANwendung und des Nutzens im Bereich Usability Engineering am Beispiel von ausgewählten Evaluationsfragestellungen. Unveröffentlichte Diplomarbeit, Studiengang Informationswissenschaft, Fachhochschule Stuttgart, Hochschule der Medien, 2004, S. 21. 48 Vgl. Glenstrup/Engell-Nielsen, 1995, nach: Bente, G.: Erfassung und Analyse des Blickverhaltens, in: Bente, G./Mangold, R./Vorderer, P. (Hg.): Lehrbuch der Medienpsychologie, Göttingen, 2004, S. 312. 49 Vgl. Völpel, M. B.: Eye-Tracking. Untersuchung der praktischen ANwendung und des Nutzens im Bereich Usability Engineering am Beispiel von ausgewählten Evaluationsfragestellungen. Unveröffentlichte Diplomarbeit, Studiengang Informationswissenschaft, Fachhochschule Stuttgart, Hochschule der Medien, 2004, S. 21.
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119
kann die Richtung der Blickbewegung festgestellt werden.50 Einsatz findet diese Methode eher in statistischen Analysen von Sakkaden und nicht in der Auswertung von Blickrichtungen.51 Die Möglichkeiten und der Nutzen von Eyetracking sind unbestreitbar groß. Aber die Eyetracking-Methode hat auch eine Reihe von Schwächen, die auch durch eine weitere Verbesserung der Technik nicht behoben werden können.
Eyetracker lassen uns wissen, wo die Testperson hinschaut, nicht aber, ob sie auch tatsächlich etwas davon wahrnimmt. Die Testperson kann für eine kurze Zeit etwas anstarren, ohne wirklich zu realisieren, was sie sieht.
Andererseits kann beim Eyetracking die Person eine nützliche, in der Peripherie des Sichtfeldes befindliche Information wahrnehmen, ohne dass die Person die Information wirklich fixiert hat. Dank des Eyetrackings können wir zwar feststellen, ob eine Testperson einen Text liest oder nur nach bestimmten Worten oder Sätzen absucht. Wir erfahren zwar, welche Teile des Informationsprodukts die Aufmerksamkeit der Testperson erregen und welche weniger.
Wir können zwar Rückschlüsse ziehen auf Interessen und Nutzungsgewohnheiten der Testperson. Unergründlich bleibt aber:
Wieso hat ein Element die Aufmerksamkeit der Testperson erregt? Ist es die schrille Farbe? Ist es das inhaltliche Interesse? Ist es Gewohnheit? Oder ist es nur Zufall? Diese Fragen müssen mit anderen Methoden geklärt werden. Und ein Fehler, den viele Anwender bei aller Technik immer wieder vollziehen, liegt in der individuell bis hin zu kulturell unterschiedlichen Bewertung von Wahrnehmungen. Grob veranschaulichen lässt sich dies anhand des Begriffs „Haus“: Während bereits wir Europäer unterschiedliche Assoziationen mit diesem Begriff verbinden (was für den einen ein gemütliches Häuschen, ist für den anderen eine Bruchbude), potenzieren sich diese Unterschiede noch bei divergentem kulturellen Hintergrund.
50
Vgl. unter anderem Partmann et al., 1996; Teiwes, 1991; nach: Völpel, M. B.: Eye-Tracking. Untersuchung der praktischen Anwendung und des Nutzens im Bereich Usability Engineering am Beispiel von ausgewählten Evaluationsfragestellungen. Unveröffentlichte Diplomarbeit, Studiengang Informationswissenschaft, Fachhochschule Stuttgart, Hochschule der Medien, 2004, S. 21. 51 Vgl. Bente, G.: Erfassung und Analyse des Blickverhaltens, in: Bente, G./Mangold, R./Vorderer, P. (Hg.): Lehrbuch der Medienpsychologie, Göttingen, 2004, S. 313.
120
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Abbildung 6:
4.2.5
Wahrnehmung und Wirklichkeit (eigene Darstellung)
Machbarkeitsbeurteilung
Die Befragung stellt das dominante und in der Mehrzahl der Fälle auch adäquate Instrument der Informationsgewinnung dar. Trotzdem oder gerade deshalb gibt es Ziele und/oder Erhebungssituationen, in denen die Befragung überfordert und zu erwarten beziehungsweise zu befürchten ist, dass keine validen Ergebnisse erzielt werden können.52 Salopp formuliert wird das immer dann der Fall sein, wenn die Befragten nicht in der Lage oder nicht gewillt sind, wahrheitsgemäß zu antworten. In diesem Fall sollte überlegt werden, ob nicht die Beobachtung (evtl. unter Zuhilfenahme apparativer Verfahren) eine wertvolle Ergänzung oder sogar Alternative darstellt.
52
Vgl. Mahnik, N./Mayerhofer, W./Schweiger, E.: Erfolgfaktoren von Markenerweiterungen. Wiesbaden: DUV 2006.
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Zusammenfassend ist über die apparative Forschung (nonverbale Forschung) festzustellen, dass für Marketingzwecke einzig das EEG in Kombination mit einem Mapping-Verfahren (bildgebend) zur Messung der Werbemittel herangezogen werden kann. Dies ist allerdings lediglich ein Werkzeug. Um dieses Verfahren in einem PreTest anzuwenden, benötigt man die Kenntnisse darüber, wie eine Kreativstrategie umgesetzt werden kann. Dies wird im Nachfolgenden zunächst kurz umrissen und danach in dem zu testenden Spezialkatalog umgesetzt.
5.
Folgerungen für verkaufende Kataloge
Maßgeblich im Versandhandel ist, dass das Werbemittel verkauft! Ob es das einzelne Werbemittel oder die gesamte Anstoßkette53 betrifft, ist nicht maßgeblich – das gesamte Endergebnis ist erfolgsbestimmend. 1. Der Versandhandel ist an seine Grenzen angelangt, trotz Datamining bis hin zu Datawarehouse-Lösungen. 2. Die harten Fakten können gemessen werden – allerdings nur aus Vergangenheitswerten heraus prognostiziert. Die Erfolgsgaranten für den „echten“ (kundengerechten) Katalog sind bisher nur zum Teil erkannt worden. 1. Emotionen lenken uns auch im Kaufverhalten – stärker als man bisher angenommen hat. 2. Gerade in wirtschaftlich schwächeren Zeiten wirken Emotionen noch stärker. 3. Es ist nicht maßgeblich, ob 20 Prozent oder 30 Prozent Anteil der Gestaltung am Erfolg oder Misserfolg eines Versandhauskataloges mitwirken. Die Tatsache, dass ein Anteil vorhanden ist, lässt die Aussage von manchen Versandhandelsmanagern „Wir wollen nicht in Schönheit sterben“ etwas lächerlich klingen. 53
Anstoßkette benennt die Summe aller Werbemittel eines Versenders, die in einer vorher festgelegten Abfolge im Rahmen einer Periode an Interessenten/Kunden versendet werden, um den Abverkauf zu fördern.
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4. Bilder wirken emotional stark. Aber zu viel Emotion wiederum macht den umworbenen Konsumenten handlungsunfähig. Anhand der Direktmarketing-Erfolgsformel von Craig Huey (anerkannter Direktmarketingexperte in Torrance, USA), die häufig für das Katalog-Marketing übersetzt wird, wird schnell erkennbar, dass wenig Spielraum für Emotionalisierung bleibt: 40 Prozent Angebot, 40 Prozent Zielgruppe, 20 Prozent Kreation. Dabei ist diese Formel ein Spiegelbild dafür, was der Versandhandel und viele Marketingexperten übersehen: Die Sortimentskonzeption und Kreation, in denen die Produkte präsentiert werden, sind unzertrennlich. Die beiden Aspekte müssen als voneinander abhängige Variablen betrachtet werden. Durch den Konsumentenwandel getrieben bietet sich also an, die Huey’sche Erfolgsformel neu zu definieren: 50 Prozent Sortiment/Kreation 30 Prozent Zielgruppe 20 Prozent der Zeitpunkt Dies macht deutlich, dass ein ausgewogenes Verhältnis zwischen emotionaler Darstellung und hoher Sortimentsattraktivität ausschlaggebend ist für den Erfolg eines Kataloges. Die häufige Dissonanz, die zwischen dem Wertversprechen eines Kataloges beziehungsweise den transportierten Erlebniswelten und der eigentlichen Sortimentsqualität entsteht, sollte unbedingt vermieden werden. Der Hintergrund: Die Annahme, dass eine kreativer oder überraschender Katalog zwangsläufig mit höherer Response verbunden ist, kann in der Praxis bis dato nicht nachgewiesen werden.
Wenn zu starke Emotionen beim Kunden geweckt werden und der Kunde daraufhin kauft, muss zwangsläufig das Produkt diese Emotionen „deckeln“. Trifft diese Erwartungshaltung beim Kunden nicht ein, folgt die Bestrafung auf dem Fuße in Form der Retour54.
Die Frage, wie Werbemittel aussehen müssen, damit sie beim Rezipienten Aufmerksamkeit, positive Gedanken und Gefühle gegenüber der Werbung und dem Produkt und schließlich Kaufwünsche erzeugen, lässt sich nicht pauschal beantworten. Generelle Aussagen, welche Elemente der Werbemittelgestaltung wie einzusetzen beziehungsweise zu kombinieren sind, um die vorgegebenen Kommunikationsziele zu erreichen, können aufgrund der Komplexität des Werbewirkungsprozesses, in dem eine Vielzahl von situativen, personenspezifischen und produktabhängigen Variablen 54
Retour: Der Kunde hat beim Kauf auf Distanz die Möglichkeit, das Produkt innerhalb einer Frist von 14 Tagen ohne Angaben von Gründen zurückzusenden. In der üblichen Praxis bindet diese Retour Kapital, da die Ware nicht mehr als „neu“ verkauft werden kann.
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mit den Gestaltungsmerkmalen interagiert, kaum getroffen werden. Abgesehen davon ist die Unzahl von Forschungsergebnissen zu Effekten der Werbemittelgestaltung, die zumeist aus experimentellen Untersuchungen zur Wirkung einzelner, isoliert betrachteter Elemente gewonnen wird, kaum vergleichbar. Werbemittel, die keine das Selbstbild einer Zielgruppe ansprechende Anmutung haben, laufen Gefahr, von ihrer Zielgruppe nicht einmal wahrgenommen zu werden. Denn die Filtermechanismen der selektiven Wahrnehmung lassen aus der Fülle des Informationsangebots nur diejenigen Botschaften hindurch, die für die Zielperson von Bedeutung sind. Die Sinnesorgane fungieren hier als „sensorischer Puffer“, der – ohne das Bewusstsein auch nur einzuschalten – alles zurückweist, was für den Menschen keinen Belang hat. Um Qualität zu erzielen, erscheint es Erfolg versprechend, emotionale Aspekte der Gestaltung zu berücksichtigen. Dies kann zum Beispiel durch den Einsatz rhetorischer Figuren geschehen, die Aufmerksamkeit, Erinnerung und Bewertung von Werbepräsentationen positiv beeinflussen.
6.
Versuch: Untersuchung eines Katalogs mittels EEG
Schon lange wird im Bereich der psychophysiologischen Forschung versucht, die emotionale Reaktion von Personen auf die Präsentation von Bildern unterschiedlichen Inhaltes zu untersuchen. Wie in Kapitel 4.2.3 beschrieben, wird in dieser Studie das von Dimpfel und Kollegen entwickelte System genutzt, um ein aussagekräftiges Pre-Test-Verfahren zu entwickeln.
124
6.1
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Systembeschreibung: Quantitative topografische Elektroenzephalometrie
Als Grundlage für die EEG-Ableitung mit dem CATEEM®-System55 dient das Internationale 10-20 Elektrodensystem nach Jasper.56 Hierbei wurden von 16 Positionen der Kopfoberfläche die Potentialdifferenzen kontinuierlich gegen die Referenz Cz abgeleitet. Zur Optimierung der Platzierung der Elektroden wurde eine Elektrodenhaube mit integrierten Napfelektroden verwendet (E1-L bzw. E1-M, Elektrocap International Inc. Eaton, Ohio, USA). Unterschiedliche Größen und eine hohe Eigenelastizität dieser Elektrodenhauben führten zu einer bestmöglichen Anpassung an die jeweilige Kopfform. Hierdurch konnte auf die von Jasper 1958 geforderte Ausmessung der Skalpoberfläche verzichtet werden. Um die Leitfähigkeit zwischen Kopfoberfläche und Elektroden zu verbessern, wurde ein Elektrodengel verwendet (Electrode cream, Hellige® Pat. Nr. 1564103, Hellige, Freiburg).
6.2
Datenakquisition
Zur Datenaufnahme und -übertragung wurden folgende Geräte verwendet: ein Verstärker (Eingangswiderstand 10M-Ohm, Auflösung 0,5 Mikrovolt, dynamischer Bereich des Eingangssignals 1 Millivolt), ein 12-Bit-Analog-Digital-Wandler (A/DWandler), Nickel-Cadmium-Akkumulatoren (NiCd-Akkumulatoren), ein Lichtleiterkabel sowie der Systemrechner. Der Verstärker und der A/D-Wandler wurden durch ein Übertragungskabel mit der Elektrodenhaube verbunden. Die Datenübertragung vom A/D-Wandler zum Systemrechner erfolgte via Lichtleiter. Durch die NiCd-Akkumulatoren war eine Unabhängigkeit vom Netzstrom möglich. Nur der Rechner wurde über einen Stromnetzzugang versorgt. Das Roh-EEG wurde mit einer Abtastfrequenz von 512 Hertz und 12 Bit durch den A/D-Wandler digitalisiert. Die Daten jeder der 17 Elektroden (16
55
Computer Aided Topographical Electro Encephalo Metry, entwickelt von Professor Dr. Wilfried Dimpfel und Dipl. phys. Dipl. math Hans-Carlos Hofmann 56 Vgl. Jasper, H. A.: The ten-twenty system of the International Federation. Electroencephalography and Clinical Neurophysiology, 1958.
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125
Elektroden plus Referenzelektrode Cz) wurden in die „common average reference“57 umgerechnet. Mithilfe der Lagrange-Interpolation wurden unter Beachtung von Frequenz, Amplitude und Phasenlage der 17 gemessenen primären Ableitpositionen zusätzlich die EEG-Signale weiterer 82 virtueller, sphärischer Messpunkte berechnet. Weiterhin wurden die Daten so verarbeitet, dass eine Digitalisierungsrate von 128 Hertz erfolgte. Dies erreichte man durch Glättung der Signale jeder Ableitung durch Mittelung von jeweils vier aufeinanderfolgenden Digitalisierungspunkten. Mittels Fast-Fourier-Transformation wurde für jede einzelne Elektrodenposition kontinuierlich für Zeitintervalle von vier Sekunden (Hanning Fensterung) eine Spektralanalyse durchgeführt und mit einer spektralen Auflösung von 0,25 Hertz berechnet.58 Die EEG-Impulse können durch andere natürliche Artefakte (z. B. Augenzwinkern, Muskelbewegungen) gestört werden. Da Artefakte eine höhere Amplitude als die originalen EEG-Signale besitzen, müssen diese zwingend herausgenommen werden. Augenartefakte werden durch Amplitudenbewertung und das EOG (ElektroOculoGramm) detektiert und nach der Detektion automatisch eliminiert. EMG-Artefakte aus der Kau- und Nackenmuskulatur sowie die natürliche Motorik des Menschen wie zum Beispiel Handbewegung beim Seitenblättern werden durch Signalsteilheitsbewertung erkannt und eliminiert. Pulsartefakte werden durch die EKGMarkierungen kenntlich gemacht und müssen vom Untersuchungsleiter durch Elektrodenmanipulation eliminiert werden. Um die Unterschiede von Wirkmechanismen darzustellen, wird ein fünfminütiger Ruhetest (AA = Augen auf) durchgeführt. Diese Referenz wird bei der Testableitung gegengerechnet um den eigentlichen Wirkeffekt zu erhalten. Die natürliche Motorik des Menschen wie zum Beispiel Handbewegung beim Seitenblättern (Nichteffekte im Sinne der Testableitung) können durch weitere Vergleiche ausgeschlossen werden.
6.3
Frequenzbänder
Die Einteilung des Leistungsspektrums erfolgte in sechs Frequenzbänder. Eine Gliederung der Frequenzbänder ist in Tabelle 2 dargestellt. 57
Vgl. Lehmann, D.: Methods of analysis of brain electrical and magnetic signals. Elsevier Science Publishers, EEG-Handbook Vol. 1, 1994, S. 309-54. 58 Vgl. Dimpfel W.: Source density analysis of functional topographical EEG: Monitoring of cognitive drug action, European Journal of Medical Research, 1995/96 1, S. 283-290; Bronzino, J.: Quantitative analysis of the EEG – general concepts and minimal studies. Trans biomed Engng. 31, 1996, S. 850-6.
126
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Tabelle 2: Einteilung der Frequenzbänder im CATEEM®-System, 2007 Bezeichnung
Frequenzbereich (Hz)
Darstellung der spektralen Leistungsdichten (ȝV²/Hz im Map)
Delta (į)
1,25 – 4,50
Rot
Theta (ij)
4,75 – 6,75
Orange (wirkt bei einer dunkleren Ausprägung auch als braun)
Alpha-1 (Į1)
7,00 – 9,50
Gelb
Alpha-2 (Į2)
9,75 – 12,50
Grün
Beta-1 (ȕ1)
12,75 – 18,50
Türkis
Beta-2 (ȕ2)
18,75 – 35,00
Dunkelblau
6.4
Hypothese
Ist es möglich, mittels einer EEG-Messung (bildgebendes Verfahren) einen RennerNieten-Test59 zu prognostizieren? Vier Versuchspersonen wurden gebeten, einen älteren Katalog, dessen Umsatzzahlen bekannt waren, in digitaler Form am Bildschirm durchzublättern. Da Seitenumsätze (aus datenschutzrechtlichen Gründen nach Gewichtung verschlüsselt) lediglich nach Doppelseiten aufgeschlüsselt waren, wurden auch Doppelseiten präsentiert. Eine Videokamera nahm zeitgleich mit der elektrischen Ableitung der Hirntätigkeit das Durchblättern auf, um eine Zuordnung der gesehenen Seiten zur elektrischen Aktivität zu ermöglichen. Die Auswertung der elektrischen Hirntätigkeit während des Anschauens erfolgte mithilfe einer Frequenzanalyse der Signale über 17 Elektrodenpositionen, die für die Kartografierung in nichtlinearer Form interpoliert wurden, um Auskunft über die gesamte Gehirnoberfläche zu erhalten. Gleichzeitig wurden für jede Elektrodenposition die Frequenzänderungen in Bezug auf eine Referenzzeit von sechs Minuten (ohne Präsentation) in sechs verschiedenen Bereichen errechnet und die Änderung zu den Verkaufserfolgen in Beziehung gesetzt.
59
Renner-Nieten-Test bezeichnet die umsatzstärksten und die umsatzschwächsten Seiten eines Werbemittels.
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6.5
127
Ergebnisse
Die Tabelle 2 zeigt ein Beispiel verschiedener Doppelseiten mit unterschiedlichem Verkaufserfolg. Der Verkaufserfolg wurde als gewichteter Umsatz angegeben. Deutlich ist anhand der Farbabweichungen in verschiedenen Hirnregionen die kognitive und emotionale Reaktion der Versuchsperson ablesbar. Vergleicht man die elektrische Leistungsdichte in bestimmten Hirnregionen mit den Verkaufszahlen, ergibt sich bereits nach Analyse der „Rennerseiten“ einer Versuchsperson eine deutliche Abhängigkeit, wie sie in den Abbildungen 7 bis 9 dokumentiert ist, die für eine Voraussage geeignet sein könnte.
6.6
Zwischenfazit
Die wissenschaftlich bereits seit Jahren für die Charakterisierung von Medikamentenwirkungen etablierte Technologie der elektrischen Hirnstromanalyse ist geeignet, objektiv die kognitive und emotionale Reaktion von Versuchspersonen auf die Präsentation von Printmedien zu erfassen. Mentale Vorgänge wie „Lesen“ und „Gefallen“ finden ihren Niederschlag in Änderungen der elektrischen Aktivität, die nunmehr einer quantitativen Analyse unterzogen werden können.
128
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Abbildung 7:
Hirnstromdichte während des Anschauens der rechts oben präsentierten Katalogseite (gewichteter Umsatz: 6.4). Vorstudie NeuroCode, ICPgroup, 2006
Abbildung 8:
Hirnstromdichte während des Anschauens der rechts oben präsentierten Katalogseite (gewichteter Umsatz: 2.5). Vorstudie NeuroCode, ICPgroup, 2006
Dialogmarketing unter den Vorzeichen des geänderten Konsumentenverhaltens
Abbildung 9:
129
Hirnstromdichte während des Anschauens der rechts oben präsentierten Katalogseite (gewichteter Umsatz: 1.2). Vorstudie NeuroCode, ICPgroup, 2006
Im weiteren Gang der Untersuchung sollen Kunden und Interessenten beim natürlichen Blättern untersucht werden. Dies muss zwingend aus folgenden Gründen erfolgen: 1. Die Papierqualität, der Seitenumfang, die Farbgebung und der Papiergeruch (Anmutungsqualität) sind im unmittelbaren Emotionskontext des Käufers/Interessenten verankert. Es kann allerdings keine Aussage darüber getroffen werden, ob eine werthaltige Einflussnahme weltweit Gültigkeit hat. Wenn die Einflussnahmen ähnlich der Farbheimat (siehe Abbildung 10) des Kunden gelagert ist, so muss dies zwingend berücksichtigt werden. Je nachdem, wo unsere Heimat ist, bevorzugen wir auch die hier vorherrschenden Farben. Dies trifft zu, wie Abbildung 10 zeigt, auf die gegebene Heimat und
die von Menschen geschaffene Farbigkeit im privaten und im öffentlichen Umfeld.
130
Raimund Lenz
2. Das körperliche Vorhandensein eines Kataloges ist aus heutiger Sicht für die Kunden emotionsgeladener als bildhafte Darstellungen auf dem Bildschirm (die Farbechtheit). Zum anderen ist der Umgang mit dem PC menschheitsgeschichtlich gegenüber dem Papier eine sehr junge Darstellungsweise, die prägend auf den Menschen einwirkt. (Bsp.: Das papierlose Büro ist bis heute nur in wenigen Industriezweigen umgesetzt worden.) 3. Das natürliche Blättern im Katalog (schnelles „Scannen“, vor- und zurückblättern, in die Hand nehmen, „durchzippen“) ist mit der Bildschirmdarstellung nicht erreichbar, auch wenn die Möglichkeiten für sogenannte „Blätterkataloge“60 seit einigen Jahren gegeben sind.
Abbildung 10: Farbheimat (Haberle, C. J.: Farben in Europa, Dissertation, 1999, S. 237) Ein Indiz für die Wahrnehmung ist die Haltedauer pro Seite, dies kann zwar mit einem Tracker festgestellt werden, aber was der Mensch beim Anschauen von Bildern denkt, wird oft mit Assoziationstests, Recalltestfahren oder mit tiefenpsycholo60
Blätterkataloge sind in elektronischer Form zusammengestellte Kataloge, die mit dem Printwerk übereinstimmen.
Dialogmarketing unter den Vorzeichen des geänderten Konsumentenverhaltens
131
gischen Untersuchungen nachzuweisen versucht. Diese Verfahren haben Schwächen, die der statistisch untermauerten Mutmaßung unterliegen. Im Übrigen unterliegen diese Testverfahren der unbewussten Einflussnahme durch den Testleiter, was, wie eingangs beschrieben, in der angestrebten Methode ausgeschlossen werden muss. Bei der Entwicklung des Blickregistrierungssystems stand die Genauigkeit im Fokus, denn Highend-Systeme arbeiten mit einer Genauigkeit im Millimeterbereich. Um diese zu erzielen, wird im Normalfall ein Eyetracker benutzt. Aus KostenNutzen-Gründen wird auf diese Technik verzichtet. Der Verfasser entwickelte aus diesem Grund einen „perceptionTracker“ aus verschiedenen Hard- und Softwarekomponenten, die zum gleichen Ergebnis führen. Beide Komponenten werden anschließend so zusammengeführt, dass ein solides Werbe-Pre-Test-Instrumentarium zum Einsatz kommt.
7.
PerceptionTracker
Vielfach wird in der Literatur auf den Aspekt fokussiert, dass bei einem Test in einem Labor die unnatürliche Umgebung die Ergebnisse beeinflusse, was als qualifizierender Nachteil von Labortests eingestuft wird. Für verbale Befragungsmethoden, die dem Einfluss der Befragten und des Fragers unterliegen, trifft dies unbenommen zu. Bei nonverbalen Testverfahren, auch wenn diese im Labor stattfinden, ist dagegen von unbestreitbarem Vorteil, dass Rezipient und Studienleiter keinen Einfluss auf die Ergebnisse haben. Die Firma Eye-Square untersuchte in einer Auftragsstudie des ZDF61 die unterschiedliche Wirkung von Außenplakaten: Eyetracking im Labor vs. Eyetracking outdoor. Die Ergebnisse zeigten, dass Plakatwerbung auch in Laborstudien validen Pre-Tests unterzogen werden kann. Anforderung an die Genauigkeit des Blickregistrierungssystems: Moderne Eyetracking-Systeme können durch die Infrarottechnologie sehr kleine Augenbewegungen erfassen. 61
Vgl. Schießl, M./Engel, B.: in Planung und Analyse, Februar 2006, S. 78.
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Raimund Lenz
Die Genauigkeit erklärt sich aus der Anatomie des Auges, denn bei einer Abweichung von drei Grad vom Fixationsort vermindert sich die Sehschärfe um die Hälfte.62 Machen wir nun folgenden Test: Lesen Sie den nachfolgenden Text!
Nach eienr St idue der Cm abridge Uinverst iaet , ist es eagl in wlehcer Reiehnfogle die Bchust ebaen in Woeret rn vokrm om en. Es ist nur wit hcig, dsas der ert se und let t ze Bchusat be an der rict hgien St lele snid. Der Rset knan tat ol falcsh sein und m an knan es dcoh leesn. Das ist , wiel das m neschilche Geihrn nciht j eden Bchustbaen enzilen liset sodnern das Wrot als gaznes m it dem Geädchnt is abgelicht .
Abbildung 11: Cambridge Lesetest Aus diesem kleinen Beispiel ist leicht zu erkennen, dass das Auge nicht einzelne Buchstaben liest, sondern Worte und Zusammenhänge „erkennt“. Pöppel erklärt dieses Phänomen damit, dass das menschliche Auge nur erfasst und das Gehirn einzelne Komponenten miteinander verarbeitet und sich daraus erst ein Sinn ergibt. Wir lesen also nicht, sondern erkennen Bilder, die wir evolutionsgeschichtlich „gelernt“ haben.
62
Vgl. Balota, D. A./Rayner, K.: Word recognition processes in foveal and parafoveal vision: the range of influence of lexical variables., in Besner, D./Humphreys, G. W. (Hg.): Basic Processes in Reading: Visual word recognition, Hillsdale, NJ, England: Lawrence Erlbaum Associates 1991, S. 198-232.
Dialogmarketing unter den Vorzeichen des geänderten Konsumentenverhaltens
7.1
133
Evaluation: PerceptionTracker
Zu dieser Untersuchung wurden 20 zufällig ausgewählte Probanden (acht männlich, zwölf weiblich, Studenten im Alter von 20 bis 23 Jahren) gebeten, ein A4-querformatiges Werbemittel anzuschauen, und wurden dabei jeweils drei Minuten lang mit dem Trackingsystem beobachtet (gefilmt). Die Daten wurden mit einem Trackpfad eines Highend-Systems (basierend auf einem Eyetracking-System) verglichen (vgl. Abbildung 12). Wenn der PerceptionTracker vergleichbare Trackpfade ausgibt, kann das System für die praktische Anwendung als geeignet betrachtet werden. Als Beispiel wurde daher dieselbe Werbung der Firma E-Plus aus dem Jahr 2003 ausgewählt, die auch Grundlage des Trackpfades des oben genannten HighendSystems gewesen ist. Abbildung 12 zeigt den Trackpfad des Highend-Systems und kennzeichnet farblich die Fokusgruppen.
Abbildung 12: Zeitschriftenwerbung E-plus, Blickverlauf nach einer Sekunde (management tools, Zürich, 2003: www.konzept-und-markt.de/ Docs/Vortrag_Werbeforschung_HfB_2004.pdf, abgerufen am 10. Dezember 2007)
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Raimund Lenz
Zur Veranschaulichung der Ergebnisse wurden aus den 20 Probanden zufällig drei Trackpfade (zwei weiblich/einer männlich) ausgewählt. Die Darbietung erfolgte über einen Zeitraum von drei Minuten. Abbildung 13 verdeutlicht, dass der PerceptionTracker dem Highend-System vergleichbare Ergebnisse liefert. Als Ergebnis der Zufallsstichprobe kann festgehalten werden, dass der vom Verfasser neu konzipierte PerceptionTracker zur Aufzeichnung von Augenwahrnehmungen analog zu einem Eyetracking-System geeignet ist. Mit dem entwickelten System können folgende Einzelergebnisse ausgewertet werden: Eintritt: Wohin geht der spontane erste Blick? Anschlag: Was sind Schlüsselreize?
Zeiteintritt: Wann werden Schlüsselelemente gesehen?
Zeitaufenthalt: Wie stark werden Schlüsselelemente gesehen? Intervall: Existiert eine typischer Aufmerksamkeitsverlauf?
Abbildung 13: Blickverlauf eines weiblichen Rezipienten 22 Jahre, ermittelt über PerceptionTracker
Dialogmarketing unter den Vorzeichen des geänderten Konsumentenverhaltens
7.2
135
Überprüfung der Testanlage auf Machbarkeit
Für den nachfolgenden Test müssen die Daten, die zugrunde liegen, zwingend artefaktbereinigt sein, um ein signifikantes Ergebnis zu gewährleisten. Das BrainmapBildverfahren findet hier seine Anwendung. Frage: Welches typische EEG-Bild zeigen Probanden für alle Seiten, auf denen sie sich mindestens 20 Sekunden aufgehalten haben, und zwar genau an demjenigen Zeitgang zehn Sekunden vor dem Umblättern? Diese Zeiteinteilung ist nicht zufällig gewählt: Diese ergibt sich aus der durchschnittlichen Haltedauer derjenigen Seiten, auf denen eine Kaufentscheidung getroffen wurde, ermittelt aus den Daten der PerceptionTracker-Prüfserie. Testgruppe 1
Abbildung14: Testgruppe 1, Kickoff-Ref = Mittelung aller Zeitpunkte, zu denen Rezipienten 20 Sekunden auf einer Seite waren und noch weitere 20 Sekunden auf der Seite verweilen. Unter Ausschluss von Zurückblättern und der Verweildauer (weniger als 20 Sekunden und mehr als 120 Sekunden). Diese Werte werden in Bezug auf die fünfminütige Referenzzeit gerechnet.
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Testgruppe 2
Abbildung 15: Testgruppe 2, Kickoff-Data = Rezipienten, die im Zeitverlauf kleiner zehn Sekunden, bevor umgeblättert wird, auf den Seiten waren und die Augen geöffnet hatten, Test gegen die fünf Minuten Referenzzeit aller Rezipienten n = 19 Mittelung aller Zeitpunkte, zu denen Rezipienten zehn Sekunden auf einer Seite waren, aber noch weitere 20 Sekunden auf der Seite verweilen. Unter Ausschluss von Zurückblättern und der Verweildauer (weniger als 20 Sekunden und mehr als 120 Sekunden). Diese Werte werden in Bezug auf die fünfminütige Referenzzeit gerechnet.
Dialogmarketing unter den Vorzeichen des geänderten Konsumentenverhaltens
Abbildung 16: Zweiseitiger Vorzeichentest nach Wilcox
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Map-Darstellungen
Abbildung 17: Mapdarstellung zweiseitiger Vorzeichentest, das Signifikanzniveau ist in der Legende abzulesen
Dialogmarketing unter den Vorzeichen des geänderten Konsumentenverhaltens
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Abbildung 18: Brainmapdarstellung n = 18: Die Legende zeigt die 17 Elektroden mit den jeweiligen farblich abgestuften Frequenzbändern in unterschiedlicher Intensität. Die Werte errechnen sich aus dem Median der Quotienten von Kickoff-Data zu Kickoff-Ref der 18 Probanden.
7.3
Ergebnisbesprechung
Die Abbildungen 14 bis 18 dokumentieren die Hirnaktivitäten nach 20 Sekunden Seiteneintritt bis zehn Sekunden vor dem Umblättern auf die nächste Seite. Die Kick-In-Periode (die Eintrittszeit auf die Seite, in der die meisten Emotionsregungen auftreten) ist in dem getesteten Zustand schon ausgeschlossen („verpufft“). Der Rezipient befindet sich in der unmittelbaren Entscheidungsphase, ob ihn ein Artikel auf der Seite interessiert oder er sich entscheidet weiterzublättern. Das Ergebnis ist signifikant und zeigt gleichzeitig das sinnvolle Zusammenführen des PerceptionTrackers mit Cateem®.
140
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In der nachfolgenden Betrachtung geht der Verfasser der Frage nach, welche der hier gewonnenen Erkenntnisse für die gestalterische Katalogproduktion von Wichtigkeit sind.
Ergebnissets In den Ergebnissets werden nun exemplarisch einzelne Fälle besprochen, die für das Funktionieren eines Pre-Tests sprechen. Diese Ergebnisse werden am Darstellungsbeispiel Video dokumentiert. Fall 1 Emotionen werden in der Konsumentenverhaltensforschung als genereller Zustand angesehen. Ambler, Weinberg, Wiedmann et al. gehen davon aus, dass Emotionen immer nur zu einem bestimmten Zeitpunkt gemessen werden und die Entstehung bis zur Reaktion eine eher untergeordnete Stellung hat. Der Verfasser hat hierzu eine andere Meinung. Gut platzierte positive emotionale Keys können den Kunden vorbereiten und zum Kauf anregen. Dieser emotionale Erregungszustand darf zwingend nicht überstrapaziert werden, da, wie schon besprochen, zu viel Emotionalität zur Handlungsunfähigkeit führt. Der Verfasser hat auf der Seite 15 des Testkataloges einen emotionalen Key gesetzt. Es ist dem Verfasser bekannt, dass dieser Key bei allen Probanden eine hohe Emotion zeigen muss.
Abbildung 19: Seite 15 Emotionen Haltedauer erster Kontakt 0:12:16 bis Kontaktaustritt 0:12:20
Dialogmarketing unter den Vorzeichen des geänderten Konsumentenverhaltens
141
Die Emotionsphase hat eine Zeitspanne von maximal vier Sekunden. In obiger Abbildung wird dokumentiert, dass der Trackpfad sich auf dem Point of Interest befindet. Während der ganzen Emotionsphase sind die rechts platzierten Produkte nicht in der Lage, vom dermaßen emotionsgeladenen Gegenstand des Interesses abzulenken.
Abbildung 20: Emotionen, artefaktbereinigt Die Abbildung 20 macht die Stärke der Emotionen nochmals deutlich. Hier wurde ein einzelner Vier-Sekunden-Sweap (artefaktbereinigt) gegen die Referenzzeit der ersten fünf Minuten gerechnet und im Brainmap dargestellt. Dies spricht für die These, dass zu starke Emotionen Kaufhandlungsunfähigkeit mit sich bringen. Fall 2 Hier wählte der Verfasser den gleichen Rezipienten aus, diesmal wurde das Beispiel eines Kaufvorgangs gewählt. Die Frage, die sich in der Hypothesenbildung schon aufwarf „Sind wir nur emotionsgesteuert, wie manche Neuromarketer es darlegen, oder kann der Kauf durch vorherige Emotionsspitzen angetrieben werden?“ soll an dieser Stelle erneut aufgegriffen werden.
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Abbildung 21: Kaufgang S.48/49 (Zeitgang in MM:SS:Frames), Orientierungsphase 12:16:00 bis 12:19:17, Lesephase 12:19:17 bis 12:20:08, Interessensphase (Point of Interest) 12:20:08 bis 12:22:24, Lesephase 2 12:22:24 bis 12:24:02, Entscheidungsphase 12:24:02 bis 12:26:05, Kaufphase (Audio Interessensbekundung) 12:26:05 bis 12:31:01 In Abbildung 21 zeigt der Verfasser ein typisches Beispiel für einen Kaufvorgang vom ersten Eintritt auf die Doppelseite bis zum Übergang. Eines wird hierdurch deutlich: Die Kaufentscheidung liegt mit größter Wahrscheinlichkeit vor der eigent-
Dialogmarketing unter den Vorzeichen des geänderten Konsumentenverhaltens
143
lichen Kaufbekundung. Im ganzen Prozess liegen die emotionalen Muster auf niedrigem Niveau. Es ist ebenfalls festzustellen, dass bei allen Rezipienten, die Kaufinteresse gezeigt und tatsächlich gekauft hatten, emotionale Muster auf den maximal zwei vorhergehenden Doppelseiten vorausgingen. Bei Seitenabfolgen ohne emotionale Muster wurde auch kein Kauf getätigt.
8.
Wissenschaftlicher und praktischer Ergebnisbeitrag der Arbeit
Die vorliegende Arbeit diskutierte den Versandhandel und das Instrumentarium des Dialogmarketings aus ebenso wissenschaftlicher wie praxisnaher Sicht. Der Verfasser stellt resümierend fest, dass die wissenschaftliche Literatur auf dem Gebiet sehr lückenhaft ist. Aus praxisnaher Sichtweise zählt der Versandhandel schon lange nicht mehr alleine zu den Anwendern des Dialogmarketings. Dieses Instrumentarium hat mittlerweile in fast allen Bereichen sowohl des BtB als auch des BtC branchenübergreifend seine Anwendungsgebiete gefunden. Die Königsdisziplin stellt dabei immer noch das Printmedium Katalog (branchenübergreifend) dar. Dialogmarketing ist Testmarketing. Dies ist keine Floskel, sondern die Wirklichkeit, die aus der Praxis heraus geboren wurde. Einen erfolgreichen verkaufenden Katalog mit allen damit verbundenen Schritten zu produzieren, ist mit sehr viel monetärem Risiko gleichgesetzt – ein Risiko, welches bis zur Jahrtausendwende durch die versandhandelsimmanenten Kontroll- und Testmechanismen einschätzbar blieb. Da allem voran durch den Vertriebskanal des World Wide Webs die Endkunden in ihren Kaufentscheidungen unkalkulierbarer geworden sind, greifen die üblichen Instrumente zur Prognose nicht mehr in Gänze. Es kann postuliert werden, dass unter Berücksichtigung wirtschaftlicher/gesellschaftlicher/persönlicher Determinanten gut platzierte positive emotionale Schlüsselreize den Kunden vorbereiten und zum Kauf anregen. Die eigentliche Kaufentscheidung liegt bei der durchgeführten Studie bei den meisten Probanden nach einem positiv emotionalen Reiz durchschnittlich vier Sekunden vor dem eigentlichen Kaufakt. In Beispielen für das zu testende Werbemittel ergab ein Ergebnisset,
144
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dass im Zeitgang des eigentlichen Kaufprozesses die emotionalen Muster auf niedrigem Niveau lagen. Ebenfalls war festzustellen, dass bei allen Rezipienten, die Kaufinteresse zeigten und tatsächlich gekauft haben, emotionale Muster auf den maximal zwei vorhergehenden Doppelseiten vorausgingen. Bei Seitenabfolgen ohne emotionale Muster wurde auch kein Kauf getätigt. Das in der vorliegenden wissenschaftlichen Arbeit entwickelte Pre-Test-Verfahren zeigt eine in sich geschlossene, anwendbare Nutzenintegration auf. Zugleich wirft sie neue Fragen auf, die in einen weiteren Forschungsbedarf münden. Dieser wird insbesondere in der Anbindung des Systems in eine CRM-Umgebung gesehen. Darüber hinaus wird bereits in der vorliegenden Arbeit deutlich, dass althergebrachte Theorien der Werbewirkungsforschung mithilfe des entwickelten, nicht invasiven Systems aus PerceptionTracker und EEG künftig möglicherweise auf ihre Konsistenz überprüft werden könnten. Die Anwendung ist, wie im Exkurs beschrieben, nicht nur auf Versandhandelskataloge anwendbar, sondern auf alle Print- oder Web-Kommunikationsmaßnahmen.
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Der Autor Nach seinem Studium zum Diplom Betriebswirt (1990) an der FH Gießen-Friedberg bekleidete Raimund Lenz verschiedene leitende Positionen im Versandhandel (Schwab Gruppe im Otto-Konzern, Süd-West-Gruppe in Langenau). Im Jahr 2000 gründete Raimund Lenz die Direktmarketingagentur ICPgroup mit den Schwerpunkten Versandhandel und dialoggestützter Handel. Er ist regelmäßiger Gastredner bei Schwerpunktmessen und schult auf Kundenseite Customer Care und vernetzte Kommunikation durch Datamining/CRM. Auf der Kreativseite schult er den Bereich der Werbewirkung unter der Maßgabe neuer Gestaltungsrichtlinien. Neben seiner Leitungstätigkeit promovierte er 2008 an der TU Kosice (SK) und doziert seit 2005 an der FH Gießen-Friedberg, der IBS (International Business School) und der ISM (International School of Management). Sein Forschungsschwerpunkt liegt im Konsumentenverhalten auf BtB- und BtC-Märkten.
Kontakt: Dr. Raimund Lenz Ymgom Lenz & Partner Dialogmarketing [email protected] [email protected]
Automatisierung von Kundenmanagementprozessen in der Dienstleistungsbranche Christian Oswald
Management Summary Die Automatisierung von Kundenmanagementprozessen gewinnt in der Dienstleistungsbranche aufgrund der immer individuelleren und feingliedrigeren Bearbeitung von Kundensegmenten mehr und mehr an Bedeutung. Dieser Beitrag erörtert die Treiber und Grenzen der Automatisierung und beschreibt sowohl ein Verständnis der Automatisierung als auch die damit verfolgten Ziele im Kundenmanagement. Nach der Erläuterung eines Konzeptes zur Messung der Automatisierung auf dispositiver und operativer Ebene des Kundenmanagements zeigt eine repräsentative Studie, in welchem Ausmaß diese erfolgt, welche Erfolge dabei erzielt werden und von welchen Größen die erfolgreiche Automatisierung determiniert wird.
1.
Einordnung des Themas in den Forschungskontext
Die Relevanz des Themas „Automatisierung von Kundenmanagementprozessen“ sowie die Einordnung der durchgeführten Studie in den Forschungskontext erfolgen
150
Christian Oswald
zum einen aus einer problemorientierten Sicht der Praxis und zum anderen aber auch vor dem Hintergrund existierender Arbeiten in diesem Forschungsfeld.
Generelle Treiber und Grenzen der Automatisierung
Treiber
Grenzen Vorauss. der Automatisierung
Effizienzdruck (Kosten, Schnelligkeit, Qualität der Prozesse)
Individualisierung (Bedeutung des One-to-OneMarketings)
Innovationsdruck
(Formalisierbarkeit von Prozessen, passende Modelle, Regeln, Daten und technische Machbarkeit)
Nutzerakzeptanz (Einstellung zur und Nutzen aus der Mensch-Maschine-Interaktion)
(Nutzung von neuen Technologien)
Risiko Wirtschaftlichkeit
(tat. Nutzen, Image, Nachhaltigkeit)
(Effektivität und Effizienz)
Nutzerakzeptanz (Kunden- und Mitarbeiterakzeptanz)
Planung und Implementierung (sichere, robuste und nachhaltige Systeme und Instrumente)
Abbildung 1:
Treiber und Grenzen der Automatisierung
Als eine zentrale Frage der Praxis an die Wissenschaft lässt sich formulieren: Was ist ein sinnvoller Grad an Automatisierung im Kundenmanagement deutscher Dienstleistungsunternehmen? Der Raum der Antwort auf diese Frage erstreckt sich von den generellen Möglichkeiten und damit in Verbindung stehenden Verheißungen der Automatisierung, auf zukünftige Herausforderungen der deutschen Dienstleistungsbranche adäquat zu reagieren, bis hin zu den Voraussetzungen und Limitationen, welche den Erfolg einer Automatisierung im Kundenmanagement determinieren (vgl. Abbildung 1). Die generellen Treiber der Automatisierung sind nicht nur in der Literatur ausführlich dokumentiert, sondern sie finden sich auch in den Argumenten der Beratungsoder Systemhäuser, welche mit neuen technologischen Entwicklungen und passenden Umsetzungskonzepten Lösungen für zukünftige Herausforderungen bieten.
Automatisierung von Kundenmanagementprozessen
151
Analog zu Branchen mit hohem Anteil an Produktion und Fertigung gilt auch in der Dienstleistungsbranche als bedeutendster Treiber der zunehmende Effizienzdruck. Der Erfolg der Automatisierung im Kundenmanagement ist demnach zentral daran zu messen, inwiefern Prozesse zukünftig schneller, kostengünstiger und fehlerfreier ablaufen. Aber auch der potenzielle Beitrag der Automatisierung im Rahmen der zunehmenden Individualisierung von Kundenmanagementprozessen zählt zu den wesentlichen Treibern. Dem Erfolg, welchen eine individuelle und zielgerichtete Behandlung von Kunden und Interessenten verspricht, steht ein immenser organisatorischer Aufwand gegenüber, der ohne Automatisierungstechniken nicht wirtschaftlich zu bewältigen wäre. In einfachster Form kann hier auf Mailingkampagnen verwiesen werden, in denen hunderte von Varianten (Bilder, Coupons, Ansprechpartner, Sortimente, Aktionen etc.) kundenindividuell zusammengestellt und über den bevorzugten Kontaktkanal versendet werden. Diese Vielfalt wäre ohne eine Automatisierung von Abläufen nicht zu bewältigen. Im Punkt Innovationsdruck ist sicherlich an erster Stelle die zunehmende Wachstumsrate im E-Commerce zu nennen. So steuerte das Internet 46,9 Prozent zum Gesamtumsatz des Versandhandels (28,6 Milliarden Euro im Jahr 2008) bei und war damit der maßgebliche Treiber des Branchenwachstums in den letzten Jahren. Aber auch der Trend zu Self-Service-Systemen, Web-2.0-Anbindungen wie Blogs und Communities oder mobilen Lösungen verlangt nach Automatisierungslösungen im Front- und Back-Office zur Steuerung und Abwicklung der dabei ablaufenden Prozesse. Die Automatisierung sieht sich aber auch mit gewissen Grenzen konfrontiert, die sowohl auf internen als auch externen Voraussetzungen der Automatisierung beruhen. Zu den internen Grenzen zählen in erste Linie Punkte wie zum Beispiel die Komplexität und Fehleranfälligkeit von Prozessen, die Verfügbarkeit von passenden ITSystemen, das zur Verfügung stehende Datenmaterial und die anwendbaren Modelle zur Generierung von Regelwerken. Aber auch externe Faktoren wie zum Beispiel die vom Kunden empfundene Interaktionsbedeutung, die Akzeptanz der MenschMaschine-Interaktion (vgl. Self-Service-Technologien) vonseiten der Kunden, aber auch Mitarbeiter und sowohl das generelle technische als auch wirtschaftliche Risiko, welches die Automatisierung von Kundenmanagementprozessen beinhaltet, sind zu beachten. Bezüglich des letztgenannten Arguments stellen sich insbesondere Fragen wie: „Können sich die versprochenen Potenziale durch Automatisierung tatsächlich heben lassen? Funktioniert die eingesetzte Technik nachhaltig und wird diese von Mitarbeitern und Kunden auch akzeptiert und genutzt?“
152
Christian Oswald
Aus den Treibern und Grenzen leiten sich drei generelle, in hierarchischem Bezug stehende Themenfelder einer erfolgreichen und sinnvollen Automatisierung im Kundenmanagement ab (vgl. Abbildung 1). Ohne erfolgreiche Planung und Implementierung bleibt die notwendige Akzeptanz von Kunden und Mitarbeitern aus, was wiederum dazu führt, dass keine Effektivitäts- und Effizienzpotenziale gehoben werden können. Die genannten Themenfelder werden von verschiedenen wissenschaftlichen Fachrichtungen unterschiedlich intensiv behandelt. Literaturanalysen zeigen, dass sich viele Autoren aus Marketing/Vertrieb und vor allem der Wirtschaftsinformatik bereits mit Erfolgsfaktoren der Einführung von CRM-Systemen beschäftigt haben. Der Schwerpunkt der Forschungsgemeinde Wirtschaftsinformatik behandelt dabei meist an konkreten Fällen die erfolgreiche Planung und Einführung von CRM-Systemen. Auch zur Frage der Akzeptanz neuer Technologien wurden zahlreiche empirische Studien durchgeführt, welche im Kern auf dem Modell von Davis/Bagozzi (Technology Acceptance Model) basieren. In Richtung Erfolg im Kundenmanagement ist eine bedeutende Arbeit von Reinartz/Krafft/Hoyer zu nennen, welche die Operationalisierung der Ausprägung einzelner CRM-Prozesse in Unternehmen entlang des idealtypischen Kundenlebenszyklus und dessen Beitrag zum Unternehmenserfolg behandelt. Lücken in der wissenschaftlichen Forschung können identifiziert werden, wenn es um die konkrete Frage geht, welchen Erfolgsbeitrag allein die Automatisierung, also die Substitution von menschlicher Arbeit durch maschinelle Arbeit, im Kundenmanagement leisten und unter welchen Voraussetzungen und Gestaltungsmaßnahmen man diese erfolgreich bewerkstelligen kann.
2.
Konzeption der Automatisierung im Kundenmanagement
Um über die Intensität der Automatisierung sowie den Erfolgsbeitrag der Automatisierung im Kundenmanagement verbindliche Aussagen für die deutsche Dienstleistungsbranche zu treffen, ist neben der eigentlichen Konzeptionalisierung der Automatisierung auch ein zweckmäßiges Verständnis festzulegen.
Automatisierung von Kundenmanagementprozessen
2.1
153
Verständnis und Ziel der Automatisierung im Kundenmanagement
Der Begriff der Automatisierung wird in der Literatur und insbesondere in der Praxis nicht sauber differenziert. Eine Aufbereitung der Literatur führt demnach zunächst zu einem breiten Verständnis der Automatisierung im Kundenmanagement und kann definitorisch wie folgt erfasst werden: „Unter der Automatisierung von Kundenmanagementprozessen versteht man den selbstständigen Ablauf von Prozessen bzw. zusammengefasster Teilaktivitäten des Kundenmanagements mittels technischer Lösungen.“ Die dargelegte breite Arbeitsdefinition der Automatisierung von Kundenmanagementprozessen birgt unvermeidliche Schwächen in Eindeutigkeit und Klarheit. Diese sind zum einen darauf zurückzuführen, dass Prozess- und Systemgrenzen prinzipiell frei zu definieren sind, und zum anderen darauf, dass im Ausdruck der „technischen Lösungen“ die Begriffe der Automatisierung und Systemunterstützung nicht klar zu trennen sind. Folgt man den Ausführungen von Hauß/Timpe sind diese beiden Begriffe aus einem systemorientierten Verständnis heraus weder falsch noch richtig abzugrenzen. Andere Autoren trennen diese beiden Begriffe auf Basis des Bezugsobjektes und damit bezieht sich die Automatisierung vorrangig auf das Systemziel, wohingegen von einer Systemunterstützung dann gesprochen wird, wenn der Mensch in seiner Erfüllung der Aufgabe zur Erreichung eines Systemziels von einer Maschine unterstützt wird, zum Beispiel durch das Aufbereiten von Informationen bei einer Entscheidung. Da im Kundenmanagement beide Formen Relevanz besitzen, ist die Systemunterstützung hier als eine Form der Automatisierung zu verstehen. Um nun Aussagen zu Intensität und Art der Automatisierung im Kundenmanagement zu treffen, ist es notwendig, eine Unterscheidung des Kundenmanagements in eine operative und dispositive (planerische) Ebene des Kundenmanagements vorzunehmen. Auf einer dispositiven Ebene wird das Regelwerk zur Durchführung, Steuerung beziehungsweise Regelung der operativen Prozesse im Kundenmanagement generiert. Auf dieser Ebene entspricht die Art der Automatisierung eher dem Verständnis der Systemunterstützung, da hier der Mensch in der Erfüllung seiner planerischen Aufgaben von technischen Systemen unterstützt wird. Auf einer operativen Ebene stehen die Durchführung von klar determinierten mechanischen Abläufen und Kommunikationsprozessen (Automaten und Maschinen)
154
Christian Oswald
sowie Steuerungs- und Regelungsaufgaben, auf Basis derer die mechanischen Abläufe und Kommunikationsprozesse gesteuert, organisiert, überwacht und gegebenenfalls korrigiert werden (Workflowmanagementsysteme). Auf dieser Ebene ist die Automatisierung im eigentlichen Sinne als die Substitution menschlicher Arbeit zu verstehen. Dass solch eine Unterscheidung als sinnvoll anzusehen ist, zeigt auch ein Überblick über die Vielzahl von Technologien und Systemen, wie er in Abbildung 2 kurz skizziert ist.
Technische Lösungen auf den unterschiedlichen Ebenen des Kundenmanagements Dispositive Ebene des Kundenmanagements Back-End-Technologie
Information System
Data-/Web-/Text Mining
Expert Systems
OnLine Analytical Processing
Neuronale Netze
Marketing
Creativity Support
Sales
Services
Back-End-Technologie
Workflowmgt.-Systeme
CRM-Systeme
RFID/Barcode
Automatic Call Distribution
Optical Charakter Recognition
Predictive Dailing etc.
Operative Ebene des Kundenmanagements Front-End-Technologie
Online Marketing
CAS/Shared Browsing
FAQ/Kontakt/CallBack
Web-2.0-Anwendungen
E-Commerce
Usergroup/Community
Mobile Marketing
E-Konfigurator/-Katalog
Self-Service-Systeme
Sprachdialogsysteme etc.
E-Auktionen/-Agenten etc.
Remote Services etc.
Abbildung 2:
Technische Lösungen im Kundenmanagement
Auf dispositiver Ebene befinden sich insbesondere Marketing-ManagementSupport-Systeme, wie sie von Van Bruggen/Wierenga 2000 klassifiziert werden. Hier handelt es sich im Wesentlichen um Unterstützungssysteme, die insbesondere dem Management dienen, ein bestimmtes Systemziel besser zu erreichen. Auf operativer Ebene befinden sich Technologien und Automaten, die sowohl im Back- als auch im Front-Office eingesetzt werden. Hier geht es insbesondere um die Substitution von menschlicher Arbeit.
Automatisierung von Kundenmanagementprozessen
155
Das beschriebene breite Verständnis der Automatisierung lässt sich unter Zuhilfenahme eines zugrunde liegenden Zielsystems weiter konkretisieren. Eine Betrachtung der Automatisierung als ein Element des prozessorientierten Marketings legt es nahe, der Automatisierung auch ein prozessorientiertes Zielsystem zuzuordnen. Dementsprechend kann die Definition um einen Systemzielbezug ergänzt werden und damit dient die Automatisierung von Kundenmanagementprozessen der Verbesserung von Effektivität und Effizienz, auf die in der späteren Operationalisierung des Automatisierungserfolgs in den einzelnen Prozessen nochmals detailliert einzugehen ist.
2.2
Konzept und Messung auf operativer und dispositiver Ebene
Entsprechend der Ausführungen zum Verständnis der Automatisierung bieten sich für die Untersuchung zwei mögliche Konzepte zur Messung der Automatisierung an. So zeigt es sich auf operativer Ebene des Kundenmanagement als sinnvoll, zur Messung der Automatisierung auf die Bestimmung des Automatisierungsgrads, wie sie auch in Bereichen der Produktion und Fertigung erfolgt, zurückzugreifen. Der systemorientierte Ansatz nach Brödner 1969 beschreibt den Automatisierungsgrad im einfachsten Fall als Quotienten der Teilmenge, der in einem System nach einem festgelegtem Programm selbstständig ablaufenden Programmschritte, bezogen auf die Gesamtmenge, der in diesem System ablaufenden Programmschritte. Diese einfache Konzeptionalisierung birgt zwei wesentliche Schwachstellen. Zum einen lässt sich mit der freien Bestimmung von System- und Prozessgrenzen der Vorwurf einer gewissen Willkürlichkeit nicht von der Hand weisen. Eine valide Aussage bezüglich der Vergleichbarkeit im Grad der Automatisierung über Unternehmen hinweg ist so nur schwer möglich. Aus diesem Grund ist der späteren Operationalisierung eine ausführliche qualitative Vorstudie vorgeschaltet, welche über die unterschiedlichen an der Studie teilnehmenden Dienstleistungsunternehmen hinweg eine generische Prozessstruktur inklusive zugehöriger Teilprozess und Aktivitäten definiert. Zum anderen vernachlässigt die einfache Definition nach Brödner die Tatsache, dass die Bedeutung einzelner Prozesse für den Systemerfolg variiert. Eine detaillierte Messung des Automatisierungsgrads schlagen Wei/Macwan/Wieringa 1998 vor,
156
Christian Oswald
indem sie neben der eigentlichen Aufgabenverteilung zwischen Mensch und Maschine auch die Bedeutung einzelner Prozessschritte für das Systemziel berücksichtigen (vgl. Abbildung 3).
Berechnung Automatisierungsgrad
¦ ti wi A 1 ¦ wi N
i 1
N
i 1
Abbildung 3:
wi ti ti
Æ Wichtigkeit der Aufgabe wi Æ 0 wenn die Aufgabe automatisiert bearbeitet wird Æ 1 wenn Aufgabe manuell bearbeitet wird
Automatisierungsgrad nach Wie/Macwan/Wieringa (vgl. Wei/Macwan/Wieringa 1998, S. 279)
Auch dieser Aspekt wird in der späteren Erhebung über die abgefragte Einschätzung der Bedeutung einzelner Prozesse für das Gesamtsystemziel berücksichtigt. Zur Messung der Automatisierung auf dispositiver Ebene wird auf das Konzept der Automatisierungsstufe, als ein Maß für den „kognitiven“ Entwicklungsstand der Automatisierung zurückgegriffen. Da die Automatisierung auf dispositiver Ebene nicht zentral für die Untersuchung ist, sei an dieser Stelle nur kurz erläutert, dass hier vor allem die Arbeiten von Anderson/Krathwohl zu nennen sind, welche kognitive Aufgaben des Menschen spezifischen Taxonomiestufen zuordnen. Letztendlich beschreibt die Automatisierungsstufe auf welcher kognitiven Stufe die Maschine den Menschen in seinen Planungs- und Entscheidungsaufgaben unterstützt und inwiefern diese Aufgabe von Mensch oder Maschine durchgeführt wird. Da in der Praxis auf dispositiver Ebene technische Systeme prozessübergreifend im Einsatz sind, wird die Intensität der Automatisierung hier nicht auf Ebene der einzelnen Prozesse erfasst. Die konkrete Messung der Automatisierung auf planerischer Ebene orientiert sich am allgemeinen Prozess der Planung. Im aufgeführten zeitlogischen Ablauf (vgl. Abbildung 4) zeigt sich auch die Stufe der Schwierigkeit, bei der ein Manager in der Planung von einem System unterstützt wird. Als Messgröße für die Automatisierung erfolgt die Bildung eines Index über die sechs Statements hinweg.
Automatisierung von Kundenmanagementprozessen
157
Automatisierung auf dispositiver Ebene Zur Entwicklung von Regelwerken für den Ablauf operativer Prozesse haben wir ein System, das…
Stimme gar nicht zu 1
teils teils 2
3
Stimme völlig zu 4
5
automatisch Informationen generiert und aufbereitet. automatisch neue Zielvorschläge generiert. automatisch Alternativen für ein Regelwerk erstellt. Alternativen selbstständig bewertet. über die Auswahl der Alternativen autark entscheidet. die Anpassung der Regeln automatisch vornimmt.
Abbildung 4:
Messung der Automatisierung auf dispositiver Ebene
Der konkreten Messung des Automatisierungsgrads auf operativer Ebene geht aufgrund der bereits beschriebenen Willkürlichkeit von System- und Prozessgrenzen eine ausführliche qualitative Vorstudie voraus. Zur Bestimmung eines für die Studie passenden Auflösungsgrads bei den Programm- beziehungsweise Prozessschritten im Kundenmanagement wurden in einer Vorstudie sieben ausgewählte Unternehmen, bevorzugt vermeintliche „Automatisierungsführer“ der Dienstleistungsbranche, mit einem strukturierten Leitfragebogen befragt. Um der Breite und Tiefe des Kundenmanagements gerecht zu werden, konnten für die einzelnen generischen Prozesse Auskunftspersonen aus unterschiedlichen Fachbereichen gewonnen werden. Ziel war dabei zum einen, die sieben Kundenmanagementprozesse mit ihren wesentlichen Teilprozessen und Aktivitäten zu durchleuchten und entsprechend sinnvolle Prozessgrenzen zu definieren. Zum anderen dienten diese Interviews aber auch dazu, gewisse Voraussetzungen, Zielgrößen und Erfahrungen mit der Automatisierung in den Prozessen zu diskutieren. In jedem Unternehmen wurde einer von sieben Prozessen detailliert durchleuchtet, um so wesentliche Hinweise für die spätere Operationalisierung zu erhalten. Ein Beispiel für die konkrete Messung im Fall des Prozesses „Adressmanagement“ bietet Abbildung 5. Analog zu diesem Prozess erfolgte auf Basis der Informationen aus der qualitativen Studie auch die Operationalisierung für die anderen sechs Kernprozesse im Kundenmanagement. Als Größe für den Automatisierungsgrad je Kernprozess steht ein Index, der über die Teilprozesse und Aktivitäten je Kernprozess gebildet wird.
158
Christian Oswald
Automatisierung auf operativer Ebene 3.
Bitte beurteilen Sie folgende Automatisierungsgrads!
Prozesse
des
Adressmanagement
überhaupt nicht automatisiert 1
2
hinsichtlich
teilweise automatisiert 3
ihres
voll automatisiert 4
5
1. Neue Adresse erhalten (generieren/ übertragen/ digitalisieren) 2. Adresserfassung/ -aktualisierung (erfassen/ bereinigen/ aktualisieren) 3. Adressklassifikation (sortieren/ segmentieren/ auswählen) 4. Adressbereitstellung (zuteilen/ tracken/ weiterleiten)
Abbildung 5:
Messung der Automatisierung auf operativer Ebene
Die Messung des Automatisierungsgrads steht in diesem Beitrag im Mittelpunkt und wird später auch in den deskriptiven Ergebnissen im Rahmen des Stands der Automatisierung im Kundenmanagement der deutschen Dienstleistungsbranche umfänglich behandelt. Um aber zumindest einen groben Überblick über den gesamten Studienaufbau zu geben, sei an dieser Stelle auf die Abbildung 6 verwiesen, die im Folgenden nur kurz beschrieben werden kann.
Untersuchungsmodell 1. Voraussetzung der Automatisierung
2. Stand der Automatisierung
Charakteristika Prozesse
Stand Prozesse
3. Unternehmenserfolg Gesamterfolg
Adressmanagement
dispositiv/operativ
Management
Erfolg in Prozessen Adressmanagement
Prospect-/ Leadmanagement
Prospect-/ Leadmanagement
One-to-One-Aktionen
One-to-One-Aktionen
Effizienz
Effektivität
Adressmanagement
Angebots-/ Konditionenmanagement
Angebots-/ Konditionenmanagement
Vertrags-/ Auftragsabwicklung
Vertrags-/ Auftragsabwicklung
Beschwerdemanagement
Beschwerdemanagement
Umweltfaktoren Servicemanagement
Abbildung 6:
One-to-One-Aktionen Angebots-/ Konditionenmanagement Vertrags-/ Auftragsabwicklung
Servicemanagement
IT-Charakteristika Über alle 7 Prozesse
Prospect-/ Leadmanagement
IT-Stand dispositiv/operativ
Untersuchungsmodell
Beschwerdemanagement Servicemanagement
Automatisierung von Kundenmanagementprozessen
159
Aus den theoretischen Vorarbeiten und den Erfahrungen der durchgeführten Interviews lässt sich folgendes „explorativ“ zu verstehendes dreistufiges Untersuchungsmodell ableiten. Auf einer ersten Stufe stehen die Voraussetzungen für eine Automatisierung im Kundenmanagement, auf der insbesondere die Prozess- und IT-Charakteristika zu sehen sind. Zu den wesentlichen charakteristischen Merkmalen von Prozessen auf operativer Ebene, welche eine Automatisierung im Kundenmanagement determinieren, zählen die Repetivität, die Komplexität, die Standardisierbarkeit und die Fehleranfälligkeit von Prozessen. Vertreten wird hierbei die Überlegung, dass Prozesse um so eher zur Automatisierung geeignet sind, je repetitiver, je standardisierbarer, je weniger fehleranfällig und je weniger komplex einzelne Teilprozesse im Kundenmanagement ablaufen. Da der Prozesscharakter sich über die sechs Kernprozesse hinweg sehr unterschiedlich darstellen kann, empfiehlt sich hier eine prozessspezifische Untersuchung. Prozessübergreifend wurde der Charakter beziehungsweise die Leistungsfähigkeit der im Unternehmen vorhandenen IT bewertet. Neben den Prozesscharakteristika stellt diese die zweite wesentliche Voraussetzung für eine Automatisierung dar. Weniger als Voraussetzung, sondern mehr als moderierender Faktor zwischen Voraussetzung und Stand der Automatisierung auf operativer Ebene im Kundenmanagement sind die Art und Professionalität des Managements zu sehen, welcher im Vorfeld, während des Projektes und im Nachgang von Automatisierungsprojekten eine zentrale Rolle zukommt. Auf der zweiten Stufe des Modells steht der Automatisierungsgrad auf dispositiver und auf operativer Ebene. Wie bereits weiter oben beschrieben wird der Automatisierungsgrad auf operativer Ebene prozessspezifisch erfasst. In Literaturrecherchen und Praktikergesprächen wurde ein Katalog der wesentlichen Systeme für eine Automatisierung im Kundenmanagement zusammengetragen. Der in Abbildung 6 genannte IT-Stand berechnet sich als Summe möglicherweise einzusetzender Systeme im Kundenmanagement und dient als Maß zur Validierung des erhobenen Automatisierungsgrads. In dritter Instanz steht der Erfolg der Automatisierung. Dieser zeigt sich unmittelbar über die Zielerreichung und Verbesserungen von Effektivitäts- und Effizienzgrößen in den einzelnen Prozessen. Er zeigt sich aber auch in einer prozessübergreifenden Einschätzung auf oberster Unternehmensebene, auf welcher Marktanteil, Wachstum, Profitabilität und Kundenmanagement in Relation zum Wettbewerb betrachtet werden.
160
Christian Oswald
Neben diesen zentralen Größen wurden des Weiteren Informationen über die Nutzung von Kommunikationskanälen und relevante Umweltfaktoren erhoben, wie sie in Kap. 3.1 hinsichtlich der Gliederung der Branchen erläutert werden.
3.
Ergebnisse der Studie
Bevor hauptsächlich deskriptive Ergebnisse zum Stand und Erfolg der Automatisierung im Kundenmanagement berichtet werden, sind kurz die Rahmenbedingungen der Untersuchung, welche in der deutschen Dienstleistungsindustrie durchgeführt wurde, und die Zusammensetzung der Stichprobe zu erläutern. Den Abschluss bilden dann, aus einer explorativen Betrachtung heraus, erste Ausführungen zu den Zusammenhängen zwischen Voraussetzung, Stand und Erfolg der Automatisierung.
3.1
Untersuchungsanlage und Zusammensetzung der Stichprobe
Gerade weil in der Dienstleistungsbranche Kundensegmente immer feingliedriger bearbeitet werden und Unternehmen hier nahezu gezwungen sind, Kunden mit gleichermaßen effektiven sowie effizienten Maßnahmen individuell anzusprechen und zu bedienen, erschien die Fokussierung auf diese Branche als sinnvoll. Um einen repräsentativen Querschnitt der deutschen Dienstleistungsbranche zu erzielen, wurden acht Branchen definiert. Hierbei kamen drei etablierte Dimension der Typologisierung von Dienstleistungen zum Einsatz, bei denen angenommen wird, dass je nach Ausprägung auch ein höherer beziehungsweise niedrigerer Automatisierungsgrad in der Teilbranche zu erwarten ist. In einer marktorientierten Dimension wurde unterstellt, dass aufgrund zahlreicher Kundenkontakte im BtC-Sektor ein höherer Stand der Automatisierung als im BtBSektor zu erwarten ist. Aus diesem Grund wurde in der Stichprobe das Kundenmanagement in vier Branchen, welchen eine Geschäftskundenbeziehung zugrunde liegt, und in vier weiteren Branchen, in denen eine Endkundenbeziehung vorherrscht, untersucht.
Automatisierung von Kundenmanagementprozessen
161
Auf einer leistungsorientierten Dimension erschien die Unterscheidung hinsichtlich des „Individualisierungsgrads der Leistung“ interessant, da dieser maßgeblich die Komplexität von Kundenmanagementprozessen beeinflusst. So wird unterstellt, dass eine vergleichsweise geringe Individualisierung der Leistung im BtC-Sektor in den Branchen Handel und Banken&Versicherung sowie im BtB-Sektor in den Branchen Fachverlag und Spedition zu verzeichnen ist. Im Gegensatz dazu bieten die Branchen Telekommunikation und Tourismus (BtC) sowie Facility Management und Software (BtB) eine vergleichsweise hohe kundenindividuelle Leistung. Als dritte Dimension erschien der Grad der Kundenorientierung als sinnvoll und hier insbesondere aus risikotechnischer Überlegung der Grad der Leistungsbedeutung für den Kunden. Unterstellt werden kann, dass mit hohem Risikoempfinden aufseiten der Kunden auch eine gewisse Akzeptanzbarriere hinsichtlich der Automatisierung zu verbinden ist. Im BtC-Sektor wird unterstellt, dass Leistungen im Bereich Tourismus und Finanzdienstleistung für Kunden im hohen Maße bedeutend sind und Fehlleistungen zu gefühlt großen Ausfällen führen. Aus diesen Gründen bevorzugt der Kunde hier einen persönlichen Kontakt. Gleiches gilt im BtB-Sektor für die Branchen Software und Spedition. Betrachtet man die Mittelwerte der Dimensionen Individualisierungsgrad und Leistungsbedeutung in den acht Branchen, so ordnen sich die befragten Unternehmen aus den Branchen auch den entsprechend prognostizierten Gruppen zu. Der nachfolgende Studiensteckbrief (vgl. Abbildung 7) gibt einen Überblick zur Erhebung und Zusammensetzung der Stichprobe:
162
Christian Oswald
Erhebung und Zusammensetzung der Stichprobe - acht definierte Dienstleistungsbrachen Brachenverteilung nach Branchenwürfel in Prozent
- 2 400 Unternehmen im Cut-Off-Verfahren ausgewählt und in mehreren Wellen kontaktiert
BtB (N=88)
Verlage 12,7%
Spedition
11,6%
- Erhebungszeitraum Juli 2007 bis Sept. 2008
10,6%
10,6%
- an 935 Teilnehmer Fragebogen versendet - mehrmaliges telefonisches Nachfassen - Rücklaufquote liegt mit 189 Rückläufern bei 20,2 Prozent (vollständig ausgefüllte Fragebögen)
Facility Mgt. Software
14,3%
10,6%
Handel Bank/ Versicherung
16,9%
12,7%
Telekommunikation Tourismus BtC (N=101)
- 88 Unternehmen sind der BtB-Branche, 101 Unternehmen der BtC-Branche zuzuordnen
sieben Fallstudien basierend auf strukturierten Leitfragebögen in den BtC-Branchen (3x Handel, 2x Bank/Versicherung, 2x Telekommunikation)
Abbildung 7:
Studiensteckbrief
Über die Hoppenstedt Firmendatenbank konnte die Gesamtheit der relevanten Unternehmen identifiziert werden. Es erfolgte eine Auswahl von 2 400 Unternehmen im Cut-Off-Verfahren, die in mehreren Wellen kontaktiert und bei denen in einem telefonischen Vorgespräch geprüft wurde, inwiefern im Unternehmen auch ausreichend kundenindividuelle Kundenmanagementprozesse stattfinden. Ansprechpartner in Unternehmen waren Führungskräfte in Marketing/Vertrieb/ Service und Kundenmanagement. Hinsichtlich der Demografie der befragten Unternehmen lässt sich festhalten, dass gemessen an der Anzahl der Mitarbeiter und am Umsatz ein ausgewogener Mix von großen und kleinen Unternehmen in der 189 Teilnehmer großen Stichprobe zu verzeichnen ist. Der doch sehr lange Erhebungszeitraum erklärt sich zum einen dadurch, dass die Qualifizierung der Unternehmen im Vorfeld viel Zeit beanspruchte und dass vor allem auch ein intensives Nachfassen vonnöten war. Der Umfang und der Detaillierungsgrad des Fragebogens können in einer Analogie vielleicht als das große Blutbild des Kundenmanagements bezeichnet werden. Damit ist gemeint, dass eine konzentrierte Beantwortung der Fragen nicht unter 30 Minuten möglich war und daher auch eine relative hohe Quote im Rahmen der Studienabbrecher zu erklären ist.
Automatisierung von Kundenmanagementprozessen
3.2
163
Empirische Befunde
Im Folgenden werden deskriptive Ergebnisse zum aktuellen Stand und Erfolg der Automatisierung im Kundenmanagement der Dienstleistungsbranche präsentiert und anschließen erste Zusammenhänge zwischen den Voraussetzungen und dem Stand der Automatisierung erläutert.
3.2.1
Aktueller Stand und Erfolg der Automatisierung
Die folgende Abbildung 8 zeigt über alle Branchen hinweg die Verbreitung der acht im Fragebogen genannten Systeme, welche auf planerischer Ebene des Kundenmanagements eingesetzt werden können. Dabei fällt auf, dass bereits 81 Prozent der befragten Unternehmen Informationssysteme zur Planung einsetzen. CreativitySupport-Systeme werden hingegen nur von sechs der befragten 189 Unternehmen (3,2 Prozent) eingesetzt und sind in der Praxis demnach kaum verbreitet.
Automatisierung auf dispositiver Ebene
EINSATZ VON SYSTEMEN AUF DISPOSITIVER EBENE System im Einsatz
System nicht im Einsatz
MW-BtC: 2,47 Inst. (1,40)
Abbildung 8:
em
M in in Ne g ur on al e Ne Cr tz e ea t iv it y Su pp or t
Te xt
ys t
in in g
O LA P
M W eb
Da ta
M
in in g
MW-BtB: 2,01 Inst. (1,15)
Ex pe rt S
In fo rm
at io n
Sy st em
100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0%
*Signifikanter Unterschied (zweiseitig) zwischen den Gruppen auf dem Niveau von 0,01
Automatisierung auf dispositiver Ebene (Systemeinsatz)
164
Christian Oswald
Um ein Maß für die Intensität der Nutzung möglicher Systeme in den Unternehmen zu erhalten, wurde eine Summe (Mehrfachnennung) über den Einsatz der Systeme gebildet. Eine Trennung der Stichprobe in BtC-Fälle (101) und BtB-Fälle (88) zeigt, dass im Schnitt im BtC-Sektor mit 2,47 Systemen signifikant leicht mehr Systeme eingesetzt werden als dies im BtB-Sektor (2.01 Systeme) der Fall ist. Insgesamt deutet dieses Ergebnis darauf hin, dass bis dato eher wenige Systeme in der Planung von Kundenmanagementprozessen eingesetzt werden. Es sei an dieser Stelle aber auch erwähnt, dass zwei Unternehmen bereits sieben der genannten acht Systeme einsetzen. Neben der Systemabfrage wurde zur Erfassung des Stands der Automatisierung auf dispositiver Ebene, wie bereits in Kapitel 2.2 erläutert, eine Skala entwickelt und eingesetzt. Abbildung 9 zeigt, dass die Automatisierung auf planerischer Ebene insgesamt noch kaum ausgeprägt ist (MW = 1,96; St. Ab. = 0,69).
Automatisierung auf dispositiver Ebene
STAND DER AUTOMATISIERUNG AUF DISPOSITIVER EBENE Wir haben ein System zur automatischen... Anpassung von Regeln
1,37
St. Ab.= Ab.= 0,89 0,71 St.
Auswahl von Alternativen
1,38
St. Ab.= 0,68
Alternativenbewertung Erstellung von Alternativen
1,66
St. Ab.= 0,88
1,88
St. Ab.= 0,98 St. Ab.= 1,08
2,14
Zielgenerierung
3,35
Infogenerierung/-aufbereitung
Index 1,00 1,50 stimme gar nicht zu
Abbildung 9:
MW-BtC: 2,14 (0,69)
1,96 2,00
MW-BtB: 1,75 (0,61)
St. Ab.= 1,29
St. Ab.= 0,69 2,50
3,00 teils/teils
3,50
4,00
4,50
5,00
stimme völlig zu *Signifikanter Unterschied (zweiseitig) zwischen den Gruppen auf dem Niveau von 0,00
Automatisierung auf dispositiver Ebene (Stand)
Des Weiteren ist festzustellen, dass Systeme zur automatischen Generierung und Aufbereitung von Informationen schon relativ weit verbreitet sind (MW = 3,35; St. Ab. = 1,29). Der Verlauf der Mittelwerte entlang der einzelnen Items stärkt, unter Einbezug der Ergebnisse zur Systemverbreitung, folgende These: Je schwieriger die
Automatisierung von Kundenmanagementprozessen
165
kognitive Aufgabe ist, desto weniger verbreitet sind Systeme, die Entscheider auf dieser Stufe unterstützen. So werden Systeme, die der automatischen Anpassung von Regeln (MW = 1,37; St. Ab. = 0,71) oder Systeme, die autark über die Auswahl von Alternativen entscheiden (MW = 1,38; St. Ab. = 0,68), aktuell faktisch nicht eingesetzt. Als Begründung für die schwache Ausprägung der Automatisierung auf dispositiver Ebene bringen die Experten in den Interviews zum Ausdruck, dass aus Risikoüberlegungen, aus Gründen mangelnder Kreativität und Spontanität sowie aus Gründen der Kommunizierbarkeit von Entscheidungen an das Top-Management nur ein Einsatz in beschränktem Umfang als sinnvoll erachtet wird. Eine Analyse des Index zum Stand der Automatisierung auf dispositiver Ebene, differenziert nach den Sektoren BtC und BtB, zeigt, dass im Sektor BtC ein signifikant, aber nur leicht höherer Stand der Automatisierung zu verzeichnen ist. Bezüglich der Validierung der Messinstrumente ist festzuhalten, dass eine Korrelationsanalyse einen signifikant starken positiven Zusammenhang 0,656** zwischen dem Index der Automatisierung und der Summe der eingesetzten Instrumente diagnostiziert. Auf operativer Ebene des Kundenmanagements zeigt sich im Rahmen der sechzehn abgefragten Systeme, dass Internettechnologien beziehungsweise Anwendungen wie FAQ und Suchfunktionen von 74,1 Prozent, Online-Masken von 56,1 Prozent, elektronische Produktkataloge von 45,5 Prozent und Webshops beziehungsweise Warenkorbfunktionen von 43,4 Prozent der befragten Unternehmen eingesetzt werden (vgl. Abbildung 10). Systeme und Anwendungen wie zum Beispiel die Optical Character Recognition und das Shared Browsing haben weniger als zehn Prozent der befragten Unternehmen aktuell im Einsatz.
166
Christian Oswald
Automatisierung auf operativer Ebene
EINSATZ VON SYSTEMEN AUF OPERATIVER EBENE System im Einsatz
System nicht im Einsatz
MW-BtC: 4,92 Inst. (2,91)
MW-BtB: 3,95 Inst. (2,19)
FA Q
/S uc W O hf u eb nl n sh ine ktio op M n a / E - W ske Fo Pro ar e n Au nk d r to um uk or b t m / at W kata e ic lo b Se Ca log g ll / lf Se Dis Ch rv trib at ice u Sy tion C al In lb ste te a m R ck e so rac ns tiv FID Bu tig e V / B tto n e oi a Ei ce rc o ge ne Res de nt p w on E- ickl se K o un Pr g O e nfig en pt ica Au dict ur l C kt ive ato D r ha ion ra en iali n / ct er A g g e Sh Rec nte n o ar ed gn Br ition ow si ng
100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0%
*Signifikanter Unterschied (zweiseitig) zwischen den Gruppen auf dem Niveau von 0,01
Abbildung 10: Automatisierung auf operativer Ebene (Systemeinsatz) Auch auf operativer Ebene führt ein Mittelwertvergleichstest zwischen den Gruppen BtC und BtB hinsichtlich der Anzahl eingesetzter Technologien zu einem signifikanten Unterschied. Im BtC-Sektor werden durchschnittlich 4,92 (St. Ab. = 2,91) und im BtB-Sektor 3,95 (St. Ab. = 2,19) Instrumente eingesetzt. Auffällig ist, dass die Technologien „Automatic Call Distribution“, „Predictive Dialing“ und „Self Service Systeme“ im Sektor BtC wesentlich öfter als im Sektor BtB im Einsatz sind. Zurückführen lässt sich diese Tatsache wohl auf die Art des Kundenkontakts. Der Einsatz obiger Instrumente ist insbesondere dann sinnvoll, wenn viele Kundenkontakte in kurzer Zeit und mit einfachem Informationsinhalt abzuwickeln sind. Anders als im Fall der planerischen Ebene wurde der Grad der Automatisierung hier prozessspezifisch erhoben. Die nachstehende Abbildung 11 gibt einen Überblick über den durchschnittlichen Stand der Automatisierung in den sieben abgefragten Prozessen, auf die im Folgenden näher einzugehen ist.
Automatisierung von Kundenmanagementprozessen
167
Automatisierung auf operativer Ebene
STAND DER AUTOMATISIERUNG AUF OPERATIVER EBENE 2,73
Std.Ab.= 0,94
Servicemanagement
2,38
Std.Ab.=0,96
Beschwerdemanagement
3,28
Std.Ab.= 0,99
Vertrags-/Auftragsabwicklung
2,81
Std.Ab.= 0,88
Angebots/Konditionenmanagement
2,64
Std.Ab.= 0,91
One-to-One-Aktionen
2,57
Std.Ab.= 0,94
Prospect-/Leadmanagement
2,92
Std.Ab.= 0,90
Adressmanagement
MW MW Unterschied BtB/BtC
1
2 1 überhaupt nicht automatisiert
3 2
3 teilweise automatisiert
4 4
5 5 voll automatisiert
*Signifikanter Unterschied (zweiseitig) zwischen den Gruppen auf dem Niveau von 0,05
Abbildung 11: Automatisierung auf operativer Ebene (Stand) Die Vertrags- und Auftragsabwicklung ist im Vergleich zu den anderen Kernprozessen im Kundenmanagement am weitesten automatisiert. Knapp 15 Prozent der Befragten geben für diesen Bereich an, dass ihre Prozesse dort nahezu voll automatisiert sind. Erklärung hierfür ist sicherlich der Aspekt, dass Teilprozesse wie die Auftragsbearbeitung mit Unterprozessen wie „Disponieren“, „Kommissionieren“ und „Fakturieren“ oder der Teilprozess Auftragsabwicklung in Unternehmen höchst formalisiert und routiniert ablaufen und sich diese daher sehr gut zur Automatisierung eignen. Auch die spätere Analyse der Prozesscharakteristika wird zeigen, dass hier eine hohe Repetivität und eine geringe Komplexität in den Prozessen vorherrscht. Mit Abstand am wenigsten sind die Prozesse des Beschwerdemanagements automatisiert. Hier ist vor allem anzumerken, dass die Beschwerdeabwicklung, in der Beschwerden abgewickelt, Beschwerdefälle analysiert und Kundenfeedback eingeholt wird, aufgrund der Kundensensibilität und Kundenindividualität zu den wohl am schwierigsten automatisierbaren Prozessen zählt. Ein Blick auf die Prozesscharakteristika zeigt auch, dass in diesem Prozess die Fehleranfälligkeit am höchsten eingeschätzt wird.
168
Christian Oswald
Über 30 Prozent der Befragten geben an, dass ihre Prozesse im Adressmanagement zumindest stark automatisiert sind. Denkt man an Adressenverlage, die Adressen bereits digital liefern, an den Aspekt, dass potenzielle Kunden ihre Spuren zunehmend digital hinterlassen, und an die zunehmende Leistungsfähigkeit von OpticalRecognition-Systemen sowie Adressverwaltungsdatenbanken, ist leicht nachvollziehbar, dass die Aufgaben des Menschen weniger in der administrativen Abwicklung, sondern mehr im intelligenten Umgang mit den Adressen liegt. Im Falle des Angebots- und Konditionenmanagement behaupten 25 Prozent der Befragten, dass ihre Prozesse im Angebots-/Konditionenmanagement zumindest stark automatisiert sind und dass Teilprozesse wie das Finalisieren eines Angebots und das Kalkulieren, Erstellen und Präsentieren von Preis-/Leistungsangebot zu den Routineaufgaben zählen, die bereits stark automatisiert ablaufen. In diesem Fall besteht eher ein Nachholbedarf im Bereich Cross-/Up-Selling, in welchem automatisch Kunden selektiert, Aktionen ausgewählt und Cross-/Up-Selling-Angebote vorgeschlagen werden. Analoge Ausführungen gelten auch für das Servicemanagement. Das Kampagnenmanagement zeigt die geringste Automatisierung im Teilprozess der Aktions- und Kontaktauswahl. Hier geht es neben der Festlegung der Rahmenparameter einer Aktion insbesondere darum, Aktionen und Kunden entsprechend passend einander zuzuordnen. In den Expertengesprächen gab es Hinweise, dass in diesem Bereich passende analytische Systeme fehlen, die eine Automatisierung dieser Steuer- und Regelungsaufgaben erlauben. Das Prospect- und Leadmanagement zeigt sich überraschenderweise wenig automatisiert. Da es sich hier weitgehend um wenig komplexe Prozesse handelt, wäre hier ein höherer Automatisierungsgrad erwartet worden. Die Analyse der Kommunikationskanäle zeigt aber, dass gerade der persönliche Kontakt oder der Kontakt über das Telefon in diesem Prozess mit am stärksten verbreitet ist. Ein Mittelwertvergleich von BtC- und BtB-Sektor führt zu dem Ergebnis, dass mit Ausnahme vom Servicemanagement der Automatisierungsgrad im BtC-Sektor stets höher als im BtB-Sektor liegt. Signifikante Unterschiede lassen sich für das Adressmanagement (Dif. = 0,38), das Angebots und Konditionenmanagement (Dif. = 0,32) und das Kampagnenmanagement (Dif. = 0,30) diagnostizieren. Eine Studie von Bauer/Oswald, die im Rahmen der CRM Expo 2006 und 2008 unter 61 Ausstellern der CRM Expo durchgeführt wurde, bestätigt in etwa dieses Bild. Im Ergebnis zeigt sich auch dort, wenn auch weniger differenziert abgefragt, dass das Adressmanagement und die Vertrags-/Auftragsabwicklung zu den am weitesten
Automatisierung von Kundenmanagementprozessen
169
automatisierten Prozessen zählen. Sozusagen Schlusslicht in dieser Studie bilden das Beschwerde- und Kampagnenmanagement. Hinsichtlich einer Validitätsprüfung wurde auch im operativen Bereich des Kundenmanagements eine Korrelationsanalyse zwischen der Summe eingesetzter Systeme auf operativer Ebene und dem Automatisierungsgrad, gemittelt über die sieben operativen Prozesse, durchgeführt. Auch hier ist ein signifikant stark positiver Zusammenhang 0,819** zu diagnostizieren. Hinsichtlich des Erfolgs der Automatisierung wurde die Zielerreichung nahe am jeweiligen Prozess und damit in Richtung Verbesserung von Effektivität und Effizienz in diesem Prozess durch Automatisierungsprojekte abgefragt. Konkret wurde auf einer fünfstufigen Skala abgefragt, inwiefern durch Automatisierungsbemühungen auf Ebene der Effektivitäts- und Effizienzziele Verbesserungen erzielt werden konnten (vgl. Abbildung 12).
Erreichung von Effektivitäts- und Effizienzzielen
MITTELWERTE ÜBER DIE ZIELERREICHUNG - Effizienz (schwarz)
- Effektivität (weiß) St. Ab.= 1,20 St. Ab.= 1,11
3,00 2,86
Servicemanagement
St. Ab.= 1,12 St. Ab.= 1,13 St. Ab.= 1,06 St. Ab.= 1,02 St. Ab.= 1,08 St. Ab.= 0,99 St. Ab.= 1,05 St. Ab.= 1,07 St. Ab.= 1,18 St. Ab.= 1,05 St. Ab.= 1,07 St. Ab.=0,96
2,96 2,93
Beschwerdemanagement
3,37 3,32
Vertrags-/Auftragsabwicklung 2,96 3,02
Angebots-/Konditionenmanagement
3,06 3,01
One-to-One-Aktionen Prospect-/Leadmanagement
2,73
2,99 3,19 3,02
Adressmanagement 1,00
1,50
2,00
2,50
Ziele gar nicht erreicht
3,00 teils/teils
3,50
4,00
4,50
5,00 Ziele voll erreicht
Abbildung 12: Zielerreichung in den Prozessen Um das Argument des Common Rather Bias entsprechend zu entkräften, wurde neben der Einschätzung auf genannter fünfstufiger Skala auch nach einem konkreten Prozentsatz der Verbesserungen in den unterschiedlichen Bereichen gefragt.
170
Christian Oswald
Abbildung 13 gibt einen umfassenden Überblick zum Stand, der Zielerreichung, der prozentualen Veränderung und dem verbleibenden Potenzial in den einzelnen Prozessen, welche nachstehend hinsichtlich der Zusammenhänge zu interpretieren sind.
Überblick: Stand, Zielerreichung und Potenzial
STAND, ZIELERREICHUNG UND POTENZIAL Stand Automatisierung
Zielerreichung Effektivität Effizienz 2 2
Veränderung in %
Potenzial in %
Effektivität Effizienz 1 1
Effektivität Effizienz 2 2
Rang MW Std.Ab.
2 2,92 0,90
Rang Prospect-/Leadmanagement MW Std.Ab.
6 2,57 0,94
Rang MW Std.Ab.
5 2,64 0,91
Rang MW Std.Ab.
3 2,81 0,88
Rang Vertrags-/Auftragsabwicklung MW Std.Ab.
1 3,28 0,99
1
1
2
2
6
7
3,37 1,02
3,32 1,06
25,62 14,74
23,35 13,70
26,57 15,50
22,87 13,55
Rang MW Std.Ab.
7 2,38 0,96
6
4
6
6
4
3
Beschwerdemanagement
2,96 1,12
2,93 1,13
17,88 13,39
16,44 12,68
27,57 15,13
27,89 15,66
Rang MW Std.Ab.
4 2,73 0,94
4
5
4
5
5
4
Servicemanagement
3,01 1,20
2,86 1,11
19,84 13,40
18,20 12,39
27,14 15,68
26,20 14,01
Adressmanagement
One-to-One-Aktionen
Angebots-/ Konditionenmanagement
3,19 1,07
3,02 ,96
29,76 17,30
25,45 14,54
29,89 17,57
29,27 14,54
5
6
3
3
1
1
2,99 1,18
2,73 1,05
22,49 15,34
18,70 12,59
34,55 18,51
30,31 15,76
3
3
7
7
7
5
3,06 1,05
3,01 1,07
16,11 12,04
15,01 11,12
26,01 14,54
25,67 13,66
6
2
5
4
3
6
2,96 1,08
3,02 ,99
18,97 12,43
18,42 10,95
29,07 16,97
23,45 13,64
Rang Erreicht
Potenzial
1
2
3
1
7
6
5
5
2
7
6
3
4
4
Abbildung 13: Überblick: Stand, Zielerreichung und Potenzial (je Prozess) Betrachtet man zunächst den Prozess der Vertrags- und Auftragsabwicklung, der gemessen am Mittelwert am weitesten automatisiert erscheint, so ist ersichtlich, dass hier auch die zweithöchste prozentuale Verbesserung mit 26 Prozent in der Effektivität und 23 Prozent in der Effizienz erzielt werden kann. Das Potenzial für weitere Verbesserungen der Effektivität und Effizienz durch Automatisierung liegt hier mit 27 Prozent und 23 Prozent am geringsten. Das Adressmanagement, in dem dank Automatisierung die höchste Verbesserung von 30 Prozent in puncto qualifizierter Adressdaten und 25 Prozent in Bereichen der Effizienz erzielt werden kann, bietet aber auch zukünftig noch erhebliche Verbesserungspotenziale durch weitere Automatisierung. Dies ist ein Hinweis darauf, dass auch Prozesse mit bereits hohem Automatisierungsgrad noch Potenziale für weitere Verbesserungen bergen.
Automatisierung von Kundenmanagementprozessen
171
Das größte Automatisierungspotenzial sehen Unternehmen im Bereich des Prospect- und Leadmangements. Hier ist zukünftig eine Verbesserung der Anzahl von Interessenten und Leads in Höhe von 35 Prozent und im Bereich der Effizienz von 30 Prozent zu erreichen. Gemessen an der prozentualen Veränderung schneidet das Kampagnenmanagement am schlechtesten ab. Hier erfolgte je nach anvisierter Kundengruppe Interessenten, Bestandskunden und verlorener Kunden eine Gewichtung der erfragten Verbesserung in den Responsequoten. Im Durchschnitt erzielten die Unternehmen hier lediglich eine Verbesserung von 16 Prozent. Interessant ist vor allem, dass man der Automatisierung in diesem Bereich auch eher wenig zukünftiges Potenzial zutraut. Diese Einschätzung steht im Widerspruch zu Studienergebnissen, die im Rahmen der CRM-Expo erhoben wurden und in der Berater und Anbieter von CRMSystemen gerade in diesem Bereich außerordentliche Potenziale sehen. Auch das Beschwerdemanagement soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben. Wenngleich dieser Prozess aktuell am wenigsten automatisiert ist, sehen Unternehmen zukünftig doch auch in diesem Bereich beträchtliche Automatisierungspotenziale. Inwiefern ein hoher Stand der Automatisierung in den Prozessen mit einer Verbesserung der Zielerreichung hinsichtlich Effektivität und Effizienz in positiver Beziehung steht, wurde prozessspezifisch mittels Korrelationsanalysen untersucht. Im Ergebnis zeigt sich für jeden betrachteten Prozess ein signifikanter stark positiver Zusammenhang (> 0,600) zwischen Automatisierungsgrad und Zielerreichung in puncto Effektivität und Effizienz.
3.2.2
Einflussgrößen auf den Stand der Automatisierung
Nachdem für jeden Prozess ein positiver Zusammenhang zwischen dem Stand der Automatisierung und dem prozessspezifischen Zielerreichungsgrad gezeigt werden konnte, soll abschließend untersucht werden, von welchen Größen der Stand der Automatisierung in den Prozessen abhängig ist. Chen/Popovic (2003) identifizieren in ihrem Aufsatz als bedeutendste Systemelemente eines modernen Kundenmanagements die Technologie, die Prozesse und den Menschen. In Anlehnung an diesen Aufsatz wird der Einfluss spezieller ProzessCharakteristika auf den Stand der Automatisierung, welche jeweils prozessspezifisch erfragt wurden, untersucht. Abbildung 14 zeigt Mittelwert und Standardabweichung der wesentlichen Prozesscharakteristika.
172
Christian Oswald
Überblick: Prozess-Charakteristika
MITTELWERTE ÜBER DIE PROZESS-CHARAKTERISTIKA Prospect-/ Leadmanagement
One-to-One Aktion
Angebots/ Konditionenmanagement
Vertrags-/ Auftragsabwicklung
BeschwerdeManagement
ServiceManagement
3,60
3,11
2,94
3,10
3,39
2,52
2,85
1,10 189
1,23 189
1,20 189
1,21 189
1,22 189
1,17 189
1,16 189
3,19
2,76
2,67
2,53
2,69
2,28
2,67
0,99 189
1,17 189
1,10 189
1,07 189
1,08 189
1,11 189
1,11 189
3,56
3,07
2,70
3,08
3,09
2,60
2,83
1,15 189
1,24 189
1,16 189
1,19 189
1,23 189
1,24 189
1,18 189
2,79
2,60
2,65
2,50
2,73
2,84
2,68
1,17 189
1,02 189
1,02 189
1,03 189
1,06 189
1,10 189
1,05 189
3,60
3,57
3,83
4,00
3,72
3,59
3,99
1,16 189
1,09 189
1,09 189
0,96 189
1,00 189
1,12 189
1,02 189
Adressmanagement hoch repetitiv Kor.Pearson Sig. (2-seitig) N
von geringer Komplexität Kor.Pearson Sig. (2-seitig) N
gut standardisierbar Kor.Pearson Sig. (2-seitig) N
stark fehleranfällig Kor.Pearson Sig. (2-seitig) N
hoher Beitrag zum Markterfolg Kor.Pearson Sig. (2-seitig) N
größter Wert im Prozessvergleich
kleinster Wert im Prozessvergleich
Abbildung 14: Überblick: Prozess-Charakteristika Im Vergleich der Mittelwerte zwischen den sieben operativen Kundenmanagementprozessen fällt auf, dass der Prozess Adressmanagement, der im Vergleich zu den eher stark automatisierten Prozessen zählt, die höchste Zustimmung in puncto hoch repetitiv (MW = 3,60; St. Ab. = 1,10), von geringer Komplexität (MW = 3,19; St. Ab. = 0,99) und gut standardisierbar (MW = 3,56; St. Ab. = 1,15) erhält. Im Vergleich dazu sind Prozesse des Beschwerdemanagements wenig repetitiv (MW = 2,52; St. Ab. = 1,23), eher komplex (MW = 2,28); St. Ab. = 1,11), weniger gut standardisierbar (MW = 2,60; St. Ab. = 1,11) und stark fehleranfällig (MW = 2,84; St. Ab. = 1,10). Dieser Unterschied in den Mittelwerten ist nicht zufällig, und betrachtet man dazu auch die Mittelwerte der einzelnen Prozesse für den Automatisierungsgrad, so zeigen sich signifikante Zusammenhänge. An dieser Stelle interessiert vor allem, welche Prozess-Charakteristika einen bedeutenden Einfluss auf den Stand der Automatisierung in den jeweiligen Prozessen haben. Hierfür wurden unterschiedliche Regressionsmodelle zur Erklärung des Stands der Automatisierung im jeweiligen Prozess mit variierender Anzahl von Prädiktoren gerechnet. Im Ergebnis zeigten sich die Modelle mit den Prädiktoren „Repetivität“, „Standardisierbarkeit“ und „Fehleranfälligkeit“ als die Modelle mit dem höchsten
Automatisierung von Kundenmanagementprozessen
173
Erklärungsbeitrag. In allen sieben Modellen konnte ein akzeptables R-Quadrat von über 0,60 erzielt werden und auch die abhängigen Variablen haben in diesen Modellen einen signifikanten Einfluss. Festzuhalten ist, dass in den Prozessen Adress-, Prospect- und Kampagnenmanagement die Repetivität von Prozessen den höchsten Erklärungsbeitrag liefert. Im Angebots-, Service- und Vertragsmanagement besitzt die Standardisierbarkeit von Prozessen den höchsten Erklärungsbeitrag. Die Fehleranfälligkeit und die Repetivität von Prozessen tragen am meisten zur Erklärung im Prozess des Beschwerdemanagements bei. Es lässt sich also festhalten, dass die Prozess-Charakteristika in allen Modellen Zusammenhänge in prognostizierter Richtung aufweisen, die Stärke des Einflusses der einzelnen Prozess-Charakteristika aber von Prozess zu Prozess variiert. Neben den Prozess-Charakteristika sind moderne IT-Systeme und Datenbanken grundlegende Voraussetzungen einer erfolgreichen Automatisierung. Deshalb ist auch anzunehmen, dass der Stand der Automatisierung in Unternehmen entscheidend von den eingesetzten Technologien abhängt. Nachdem sich gezeigt hat, dass Anzahl eingesetzter Systeme und Stand der Automatisierung positiv miteinander korreliert sind, soll hier untersucht werden, was die Leistungs-/(Problemlösungs-) fähigkeit und damit die Charakteristika der eingesetzten IT-Systeme und Datenbanken zur Automatisierung von Kundenmanagementprozessen beiträgt (vgl. Abbildung 15). Abbildung 15 zeigt die Mittelwerte und Standardabweichungen für die einzelnen Items des Index-Werts, welcher prozessübergreifend für ein Unternehmen abgefragt wurde. Die Leistungsfähigkeit der IT-Systeme und Datenbanken bezüglich der Automatisierung von Kundenmanagementprozessen wird mit einem Indexmittelwert von 3,53 (St. Ab. = 1,01) eingestuft. Insbesondere die Aspekte des abteilungsübergreifenden Zugriffs (MW = 4,01; St. Ab. = 1,07) und die schnelle und aktuelle Bereitstellung von Informationen (MW = 3,97; St. Ab. = 1,04) treiben diesen Wert. Korrelationsanalysen mit dem jeweiligen Stand der Automatisierung in den Prozessen zeigen mittlere bis starke signifikante Korrelationskoeffizienten, welche den positiven Zusammenhang zwischen IT-Charakteristika und Stand der Automatisierung bestätigen. Neben dem Einfluss der Charakteristika von IT und Prozessen wird unterstellt, dass auch das Management vor, während und nach der Implementierung von neuen Technologien einen Einfluss auf den Stand der Automatisierung in den Prozessen hat.
174
Christian Oswald
Überblick: IT-Charakteristika
MITTELWERTE ÜBER DIE IT-CHARAKTERISTIKA IT-Systeme und Datenbanken, die wir in den operativen Prozessen einsetzen (sind)…
St. Ab.= 1,13
3,17
von ausreichender Flexibilität
St. Ab.= 1,16
3,53
robust und sicher
3,22
kunden- bzw. benutzerfreundlich
St. Ab.= 1,03
3,97 St. Ab.= 1,05
schnelle/aktuelle Information
3,53
Integration Synchronisation
St. Ab.= 1,15
4,01 St. Ab.= 1,07
abteilungsübergreifender Zugriff
3,31
lösen Schnittstellenprobleme
3,53
INDEX 1,00
St. Ab.= 1,12
1,50
2,00
2,50
stimme gar nicht zu
3,00
3,50
St. Ab.= 1,01 4,00
4,50
teils/teils
5,00 stimme völlig zu
Abbildung 15: Überblick: IT-Charakteristika Bevor dieser mögliche Einfluss betrachtet wird, soll kurz die Zusammensetzung des Index Management-Charakteristika präsentiert werden (vgl. Abbildung 16).
Überblick: Management-Charakteristika
MITTELWERTE ÜBER MANAGEMENT CHARAKTERISTIKA Das verantwortliche Management sorgt für... 3,58
Prozesscontrolling
3,35
ausreichende tech. Res.
St. Ab.= 1,07
3,73
qualifizierte Mitarbeiter prof. Projekt-Mgt.
3,77
3,46
Integration des Top-Mgt. detaillierte Analysen
St. Ab.= 1,22
St. Ab.= 1,04
3,56 1,50
2,00
2,50
3,00 teils/teils
3,50
Abbildung 16: Überblick: Management-Charakteristika
St. Ab.= 1,07
St. Ab.= 1,18
3,54
INDEX
St. Ab.= 1,08
St. Ab.= 1,11
3,54
Leben der CRM-Vision
St. Ab.= 1,18 St. Ab.= 1,11
3,28
passende Anreize
1,00 stimme gar nicht zu
St. Ab.= 1,22
3,81
Schulungen/Trainings
4,00
4,50
5,00 stimme völlig zu
Automatisierung von Kundenmanagementprozessen
175
Mit einem Index-Mittelwert von 3,56 (St. Ab. = 1.04) liegt das Management der Automatisierung auf einem ähnlichen Niveau wie der Mittelwert zum Index der ITCharakteristika. Das Management der teilnehmenden Unternehmen ist insbesondere gekennzeichnet von einem professionellen Projektablauf (MW = 3,77; St. Ab. = 1,07) sowie von Schulungen der Mitarbeiter nach der Implementierung neuer Systeme (MW = 3,81; St. Ab. = 1,18). Im Hinblick auf die Zusammenhänge des Managements der Automatisierung mit dem Stand der Automatisierung in den einzelnen Prozessen fällt auf, dass über alle Prozesse hinweg eine mittlere Korrelation zwischen dem Management und dem Stand der Automatisierung besteht. Auffällig sind die stark positiven Zusammenhänge in den Prozessen Angebots- sowie Servicemanagement. Ein Regressionsmodell zur Erklärung des Stands der Automatisierung, in welchem die Prädiktoren Prozess-Charakteristika, IT-Charakteristika und ManagementCharakteristika eingehen, lässt erkennen, dass der Einfluss der Prädiktoren in den unterschiedlichen Prozessen von der Richtung her gleich ist, die Stärke und Signifikanz des Einflusses aber von Prozess zu Prozess variieren. Vor allem in puncto Management zeigen sich Modelle in denen die Formulierung als Moderatorvariable zu einer besseren Modellgüte führen. Vernachlässigt man den Unterschied in den Prozessen und mittelt die Automatisierungsgrade sowie die jeweiligen Prozess-Charakteristika für eine prozessübergreifende Regressionsanalyse mit den Prädiktoren „Prozess-“ „IT-“ und „ManagementCharakteristika“, besitzt dieses Modell mit einem korrigierten R-Quadrat von 0,88 eine sehr gute Modellgüte. In diesem Modell haben die Prozess-Charakteristika mit Abstand den höchsten Erklärungsbeitrag gefolgt von den Management- und den ITCharakteristika.
Literatur ANDERSON, L. W./KRATHWOHL, D. R./AIRASIAN, P. W./CRUIKSHANK, K. A./MAYER, R. E./PIN-TRICH, P. R./RATHS, J./WITTROCK, M. C. (2001): A Taxonomy for Learning, Teaching and Assessing. A Revision of Bloom’s Taxonomy of Educational Objectives, New York et al. BAUER, T./OSWALD, C. (2007): Weiterentwicklung von Systemen und Anwendungen im CRM: Ziele, Prioritäten und Herausforderungen, Arbeitspapier Nr. 144 des Lehrstuhls für Marketing an der Universität Erlangen-Nürnberg, Nürnberg.
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Christian Oswald
DILLER, H./OSWALD, C. (2007): Automatisierung von Kundenmanagementprozessen, Arbeitspapier Nr. 154 des Lehrstuhls für Marketing an der Universität Erlangen-Nürnberg, Nürnberg. BRÖDNER, P. (1969): Betrachtungen zum Erfassen eines Automatisierungsgrades von Fertigungssystemen, in: Simon, W. (Hg.): Produktivitätsverbesserungen mit NCMaschinen und Computern, München, S. 43-64. CHEN, I. J./POPOVICH, K. (2003): Understanding customer relationship management (CRM): People, process and technology, in: Business Process Management, Vol. 9, No. 5, S. 672-688. HAUß, Y./TIMPE, K. (2002): Automatisierung und Unterstützung im MenschMaschine-System, in: Timpe, K./Kolrep, H. (Hg.): Mensch-MaschineSystemtechnik: Konzepte, Modellierung, Gestaltung, Evaluation, Düsseldorf, S. 41-62. REINARTZ, W./KRAFFT, M./HOYER, W. D. (2004): The Customer Relationship Management Process: Its Measurement and Impact on Performance, in: Journal of Marketing Research, Vol. 41, August, S. 293-305. SCHNIEDER, E. (1999): Methoden der Automatisierung, Wiesbaden, 1999.
Der Autor Diplom-Handelslehrer Christian Oswald ist Berater und Gründer der VEND consulting GmbH, einer seit 2004 in Nürnberg ansässigen Unternehmensberatung. Als Geschäftsführer des Bereichs Kundenwirtschaft betreut er Beratungsprojekte mit dem Ziel der Gestaltung und Implementierung von gleichermaßen effektiven wie effizienten Kundenmanagementprozessen. Ergänzend war er bis Ende 2008 als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Lehrstuhl für Marketing (Professor Dr. Hermann Diller) tätig und verfasst derzeit seine Dissertation zum Thema „Automatisierung von Kundenmanagementprozessen in der Dienstleistungsbranche“. Des Weiteren ist er Dozent für Kundenmanagement und Absatz an der Ingolstadt School of Management und an der VWA-Nürnberg.
Kontakt: Christian Oswald VEND consulting GmbH Burgschmietstraße 2-4 90419 Nürnberg E-Mail: [email protected]
Einsatz und Nutzung von Kampagnenmanagement im Rahmen von Vertriebs- und Marketingstrategien in deutschen Unternehmen Heinrich Holland / Sükran Köroglu
1.
Methodik der empirischen Untersuchung
1.1
Untersuchungsdesign
Die Studie richtete sich deutschlandweit ausschließlich an Marketing- und Vertriebsexperten mittlerer und großer Unternehmen. Um für eine qualitative Erhebung eine angemessen hohe Fallzahl zu erreichen, wurde die Befragung auf einer onlinegestützten Plattform durchgeführt. Hierzu wurde das Online-Umfragetool von SPSS, SPSS-Dimensions™ (PASW Statistics 17) herangezogen. Damit die Expertise aus der Praxis in die Studie mit einfließen konnte, wurde die Online-Befragung durch persönliche Experteninterviews begleitet. Am 1. März 2009 wurde die Studie durch eine Pressemitteilung auf der Homepage www.openPR.de zum ersten Mal in der Öffentlichkeit bekannt gegeben. Ziel dieser frühzeitigen Bekanntgabe war es, das Interesse der Zielgruppe zum Vorhaben zu wecken und zur späteren kostenlosen Teilnahme an der Studie zu animieren. Weiter-
178
Heinrich Holland / Sükran Köroglu
hin wurde mitgeteilt, dass die Zusammenfassung der Ergebnisse veröffentlicht und diese den Teilnehmern im Anschluss kostenfrei zur Verfügung stehen werden. Parallel zur Bekanntgabe erfolgte eine intensive Auseinandersetzung mit den Inhalten und den Darstellungsmöglichkeiten des Fragebogens als Word-Dokument und als Online-Version. Das Word-Dokument enthielt Kontaktdaten für die Rücksendung des ausgefüllten Fragebogens sowie den Link zur Online-Umfrage. Teilnehmende wurden außerdem zu Beginn darauf hingewiesen, dass sie durch eine freiwillige Registrierung am Ende der Umfrage eine individuelle Auswertung der Studie erhalten. Diese Einzelauswertung sollte für die Teilnehmer einen Vergleich zum Einsatz und zum Nutzen des Kampagnenmanagements zu anderen Unternehmen in derselben Branche dienen und somit einen zusätzlichen Mehrwert darstellen. Bei einzelner Branchenzugehörigkeit von Unternehmen sollte der Vergleich auf Basis aller Teilnehmer gezogen werden. Nach mehrmaligen Testversuchen und kontinuierlicher Optimierung der OnlineUmfrage wurden die Vorbereitungen in Abstimmung mit Professor Dr. Heinrich Holland und Harald Henn, Geschäftsführer von Marketing Resultant, abgeschlossen und das Online-Umfragetool aktiv geschaltet. Die Online-Umfrage startete offiziell am 28. Mai 2009. Zur weiteren Bekanntmachung und indirekten Ansprache potenzieller Teilnehmer folgten weitere Hinweise auf die Studie an unterschiedlichen Stellen (acquisa 07/2009, www.marketing-resultant.de, www.marketing-boerse.de etc.), ergänzt um den Link direkt zur Online-Umfrage. Eine direkte Ansprache von Zielpersonen erfolgte durch E-Mail-Korrespondenz von Prof. Dr. Heinrich Holland und Harald Henn aus eigenen geschäftlichen Kontakten sowie durch direktes Anschreiben ausgewählter potenzieller Zielpersonen auf www.xing.com, einer webbasierten Plattform für geschäftliche Netzwerke. Weiterhin wurden Software-Anbieter angeschrieben, um die Fallzahl sowie den Bekanntheitsgrad durch Weiterleitung des Links zur Online-Umfrage zu vergrößern. Für die Experteninterviews wurden die Zielpersonen ebenfalls aus den eigenen geschäftlichen Kontakten direkt angeschrieben und zu einem persönlichen Gespräch eingeladen. Am 4. August 2009 wurde die Online-Umfrage planmäßig nach zweimonatiger Laufzeit beendet. Die Ergebnisse aus den persönlich geführten Interviews, die ebenfalls innerhalb dieses Zeitraumes stattfanden, wurden aufgenommen und in die Online-Umfrage eingepflegt.
Einsatz und Nutzung von Kampagnenmanagement
1.2
179
Themen der Untersuchung
Um einen allgemeinen Überblick über den aktuellen Einsatz und Nutzen des Kampagnenmanagements geben zu können, wurde bei der Erstellung des Fragebogens darauf geachtet, dass ausgewählte Inhalte abgefragt werden. Dabei wurden die wesentlichen Aspekte der empirischen Studie in folgende drei Rubriken angeordnet. 1. Ziele Kampagnenmanagement 2. Organisation 3. Projektmanagement/Controlling In Zusammenhang mit ausgewählten unternehmensbezogenen Angaben zu Branchenzugehörigkeit, Mitarbeiterzahl, Jahresumsatz und Tätigkeitsbereichen aus dem Datenblatt sollten die Ergebnisse eine zusätzliche Strukturierung ermöglichen. Nachfolgend wird die Intention einzelner Fragestellungen erläutert. 1. Ziele Kampagnenmanagement: Nach der Personenvorstellung, die im Anschluss zum einleitenden Text mit den Angaben zu Inhalt, Aufbau, Auswertung, Anonymität und Dauer folgte, bezog sich die erste Frage auf konkrete Ziele, die mit dem Einsatz von Kampagnenmanagement verfolgt werden. Zur Ermittlung einer möglichen Zielhierarchie im Unternehmen sollten die Teilnehmer die Bedeutung der einzelnen Ziele auf einer Skala von eins (geringe Bedeutung) bis fünf (hohe Bedeutung) bewerten. Um die Bedeutung des Kampagnenmanagements in der Praxis abzusehen, sollten die Teilnehmer Stellung zum heutigen Stellenwert und zur zukünftigen Ausrichtung des Kampagnenmanagements in ihren Unternehmen nehmen. Effektives Kampagnenmanagement erfordert die Beherrschung wichtiger Disziplinen. Um zu bewerten, ob die Unternehmen diese erfüllen, und welche Herausforderungen heute noch im Kampagnenmanagement existieren, sollten die Teilnehmer ausgewählte Parameter erneut auf einer Skala von eins (geringe Herausforderung) bis fünf (hohe Herausforderung) beurteilen. 2. Organisation: Die zweite Rubrik der Umfrage sollte Aufschluss über die Verteilung der Verantwortlichkeiten des Kampagnenmanagements in den Unternehmen geben. Es sollte ermittelt werden, ob Kampagnen zentral oder dezentral gesteuert werden, und in welcher Abteilung in welcher Organisationsfunktion das Kampagnenmanagement angesiedelt ist. Anhand der verantwortlichen Mitarbeiter sollte neben einer permanenten oder projektbezogenen Funktion und auch die Größe dieser Einheit festgestellt werden.
180
Heinrich Holland / Sükran Köroglu
Um festzustellen, ob die teilnehmenden Unternehmen das Kampagnenmanagement beziehungsweise Teile des Kampagnenmanagements ausgelagert haben, bezog sich die letzte Fragegruppe dieser Rubrik auf das Thema Outsourcing. Dabei war es wichtig, die jeweiligen Gründe für eine Auslagerung zu erfahren und die bevorzugten Dienstleister und Agenturen zu dokumentieren. 3. Projektmanagement/Controlling: Im Rahmen der letzten Rubrik sollten Planung, Steuerung und Kontrolle von Kampagnen unter Einbeziehung von SoftwareSystemen abgefragt werden. Zunächst war es wichtig herauszufinden, ob die in Art und Umfang unterschiedlich aufgebauten Kampagnen mit gängigen Methoden geplant, gesteuert und überwacht werden oder ob die Unternehmen bereits auch KMSoftware oder CRM-Software mit Kampagnenmanagement-Funktionalitäten zum Einsatz bringen. In Bezug auf die Erfolgsmessung sollte festgestellt werden, anhand welcher Parameter Unternehmen den Erfolg ihrer Kampagnen messen. Hierzu sollten zum einen die häufig genutzten Kennzahlen (measures of heft und measures of rate) identifiziert werden und zum anderen festgestellt werden, ob auch die Ergebnisse aus dem Vertrieb in die Erfolgsmessung herangezogen werden. Zum Thema Medien und Multikanal-Management sollte die anschließende Fragestellung ermitteln, ob Unternehmen eine allgemeingültige Aussage über den hauptsächlichen Aufbau ihrer Kampagnen hinsichtlich der Anzahl der Stufen beziehungsweise Kontakte und der Anzahl der eingesetzten Medien treffen können. Zum besseren Verständnis dieser Frage wurde eine Grafik mit einem Antwortbeispiel abgebildet. Welche Medien dabei am häufigsten zum Einsatz kommen, sollte wiederum mit einer Skalierung von eins (geringer Einsatz) bis fünf (hoher Einsatz) ermittelt werden. Anhand der Frage nach der Integration von Kampagnen in Vertriebsprozesse sollte eruiert werden, ob die Unternehmen ein abteilungsübergreifendes Projektmanagement führen und wie die IT-seitige Unterstützung im Kampagnenmanagement umgesetzt wird. Falls dabei CRM-Systeme mit Kampagnenmanagement-Funktionalitäten genutzt werden, wurden die Teilnehmer dazu aufgefordert, den Anbieter des genutzten Systems zu nennen.
Einsatz und Nutzung von Kampagnenmanagement
1.3
181
Rahmenparameter der Befragung
Insgesamt umfasste die Befragung 19 Fragen. Die Fragen 1 und 2 beinhalteten weitere ergänzende Fragestellungen, wobei die Ergänzungen in Frage 2 in Abhängigkeit zur ursprünglich gegebenen Antwort zu beantworten und somit nicht für jeden Teilnehmer relevant waren. Die Gestaltung des Fragebogens erfolgte sowohl in offenen Fragen als auch nach dem Multiple-Choice-Prinzip in geschlossenen Fragestellungen, die per Mausklick ausgewählt werden konnten. Bei der Möglichkeit für Mehrfachnennungen wurden die Teilnehmer gesondert darauf hingewiesen. Damit die Teilnehmer der Befragung zusätzlich zu den gegebenen Antwortmöglichkeiten weitere Ergänzungen vornehmen konnten, wurden die Fragen teilweise um freie Felder ergänzt. Um eine lückenlose Beantwortung der Fragen sicherzustellen, wurden alle Fragen als zwingend ausgelegt sowie neutrale Aussagen, wie „keine Antwort“ ausgeschlossen. Um eine Veränderung und somit eine Verfälschung der getätigten Antworten zu verhindern, sollten die Teilnehmer keine Möglichkeit haben, auf die beantworteten Fragen zurückzukehren. Alle Antworten wurden daher durch die Bestätigung des Buttons „Weiter“ im unteren Teil des Bildschirmes aufgenommen, die Teilnehmer wurden dann zur nächsten Frage geführt.
2.
Ergebnisse der empirischen Untersuchung
2.1
Auswertung
Die Auswertung der empirischen Untersuchung basiert auf den Ergebnissen (WordDokument und Online-Umfrage) aus dem Online-Umfragetool SPSS-Dimensions™ (PASW Statistics 17), die sowohl in Form einer SPSS-Datei als auch einer ExcelDatei exportiert und überarbeitet wurden. Zu jeder einzelnen Fragestellung wurde eine Häufigkeitsanalyse mittels SPSS durchgeführt. Für die umfangreichen Detailanalysen spezieller Fragestellungen wurden zusammenhängende Antworten durch
182
Heinrich Holland / Sükran Köroglu
das Auto-Filter-System im Excel ausgewertet und abgebildet sowie in den nachfolgenden Kapiteln interpretiert. Um Aufschluss über die Fragestellungen mit Skalierungen geben zu können, wurden aus den zahlreichen Antworten die Mittelwerte gebildet und zur Auswertung herangezogen.
2.2
Teilnehmer
2.2.1
Entwicklung der Teilnehmerzahl
Es wurden sämtliche Möglichkeiten ausgeschöpft, um eine hohe Fallzahl für diese qualitative Erhebung zu erzielen. Nachfolgende Abbildung zeigt die finale Teilnehmerzahl der Umfrage und die Entwicklung der Teilnehmerzahl in Abhängigkeit von den Fragestellungen.
90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 Teilnehmerzahl
Abbildung 1:
1a
1b
1c
1c*
1d
2a
2b
2c
80
58
58
58
56
55
55
55
2c* 2c** 10
10
3a
3b
3c
3d
3e
3fi
3fii
3fiii
3g
54
53
53
53
53
48
48
48
48
Dbl. Reg. 47
25
Entwicklung der Teilnehmerzahl
Es ist deutlich zu erkennen, dass die Teilnehmerzahl im Laufe der Umfrage deutlich abgenommen hat. Die Fallzahl der qualitativen Studie bilden insgesamt 48 vollständig antwortende Teilnehmer aller Fragen. Davon stellen wiederum acht Fälle die
Einsatz und Nutzung von Kampagnenmanagement
183
Ergebnisse aus den persönlich geführten Experteninterviews dar. Die Fragen 1c*, 2c* und 2c** sind die erweiterten Fragestellungen. Die Erweiterungen zu Frage 2c waren für lediglich zehn Teilnehmer relevant und wurden auch von diesen beantwortet. Unternehmensbezogene Angaben im Datenblatt (Dbl.) wurden von insgesamt 47 Teilnehmern getätigt. Abschließend haben 25 Teilnehmer eine vollständige Registrierung (Reg.) für die Einzelauswertung vorgenommen. Weitere 141 Fälle zeigte das System PASW Statistics gesondert als „Zeitüberschreitung“ auf, die für die Auswertung nicht verwendet werden konnten. Eine nähere Analyse dieser Fälle führte zur Erkenntnis, dass potenzielle Teilnehmer den Browser der Online-Umfrage gestartet, diese jedoch ohne Beantwortung der ersten Fragestellung wieder verlassen haben. Eine Repräsentativität der Studie kann aus Gründen der niedrigen Fallzahl sowie der hohen Fälle der Zeitüberschreitungen nicht angenommen werden.
2.2.2
Teilnehmerstruktur
Die Basis für die Strukturierung der Teilnehmer bilden die unternehmensbezogenen Angaben aus der Rubrik „Datenblatt“ zur Branchenzugehörigkeit und zu den Tätigkeitsbereichen. Durch eine systemtechnische Einschränkung in der Onlineumfrage konnten die Antworten zum Jahresumsatz und zur Mitarbeiterzahl nicht ausgewertet werden. Die Tätigkeitsbereiche der Teilnehmer bilden mit 47 Fällen die Grundgesamtheit für die zusätzlichen Analysen in den folgenden Kapiteln. Demnach sind die Unternehmen zu 38 Prozent im Business-to-Business (B2B), zu 26 Prozent im Business-toConsumer (B2C) und zu 36 Prozent in beiden Bereichen (B2B+C) tätig.
184
Heinrich Holland / Sükran Köroglu
36% 38% B2B B2C B2B+C
26%
Abbildung 2:
n = 47
Tätigkeitsbereiche der teilnehmenden Unternehmen (in Prozent)
Anhand der Angaben zur Branchenzugehörigkeit konnte festgestellt werden, dass Unternehmen aus insgesamt 25 verschiedenen Branchen für die Umfrage gewonnen werden konnten. Am stärksten vertreten waren dabei Unternehmen aus der Finanzdienstleistungsbranche, der Dienstleistungsbranche sowie der IT-Branche. Es ist deutlich zu erkennen, dass das Thema Kampagnenmanagement branchenübergreifend das Interesse vieler Unternehmen findet. Diese breite Abdeckung der Branchen für die Studie bestätigt die richtige Platzierung der Pressemitteilung an ausgewählten Stellen. Eine nähere Betrachtung der getätigten Angaben aus der Rubrik „Registrierung“ unterstreicht den qualitativen Charakter dieser Erhebung. Unter „Funktion und Titel der/des Ausfüllenden“ sind hauptsächlich Leitungs- und Managementpositionen aufgeführt. Aus Gründen der anonymen Erhebung der Ergebnisse werden diese Angaben nicht ausgewertet.
Einsatz und Nutzung von Kampagnenmanagement
2.3
185
Ziele des Kampagnenmanagements
Die Ergebnisse der Einstiegsfrage zu den strategischen und operativen Zielen, die mit dem Einsatz von Kampagnenmanagement verfolgt werden, zeigen hohe Mittelwerte auf.
geringe Bedeutung
1
2
3
4
5
Kundengewinnung
Kundenbindung (Kundenloyalität)
3,93
Absatzförderung
3,53
hohe Bedeutung
B2B
B2C
B2B+C
3,75
3,63
3,67
4,02
4,02
3,98
3,75
3,77
3,71
3,59
n = 80 (Mehrfachnennungen möglich)
Abbildung 3:
n = 47
Ziele mit Kampagnenmanagement (Mittelwert)
Kampagnen werden nicht nur zur reinen Absatzförderung (Mittelwert: 3,59) oder Neukundengewinnung (Mittelwert: 3,53) gestartet. Das Ziel, die Loyalität der Kunden zu gewinnen (Mittelwert: 3,93) und somit eine langfristige Beziehung zu ihnen aufzubauen, ist in gleicher Weise im Fokus vieler Unternehmen angelangt. Die Ergebnisse nach Tätigkeitsbereichen zeigen keine bedeutenden Unterschiede auf. Eine statistische Signifikanz der Unterschiede ist nicht gegeben. Zusätzlich zu den gegebenen drei Antwortmöglichkeiten gaben die Teilnehmer weitere, höchst individuelle Ziele an, die sie mit dem Einsatz von Kampagnenmanagement verfolgen. Der Aufbau von Bekanntheit sowie Markenbildung und -wahrnehmung gehören zu den wesentlichen Aussagen. In der Literatur wird verdeutlicht, dass das Kampagnenmanagement eine wichtige Rolle im Unternehmen einnimmt, um die Beziehung zum Kunden langfristig zu pflegen. Die Ansichten der Teilnehmer unterstreichen diese Aussage. Die getätigten Antworten können inhaltlich in sechs Clustern zusammengefasst werden:
186
Heinrich Holland / Sükran Köroglu
56,90 %
12,07 % 13,79 %
8,62 % 6,90 % 1,72 %
Mittlerer Geringer Geringer Hoher Mittlerer Stellenwert Stellenwert Stellenwert Stellenwert Stellenwert mit Tendenz mit Tendenz steigend steigend
Abbildung 4:
Keinen Stellenwert n = 58
Stellenwert des Kampagnenmanagements (in Prozent)
Mehr als die Hälfte der Unternehmen (56,9 Prozent) hat das Potenzial des Kampagnenmanagements zur Realisierung ihrer Ziele erkannt. Ein Auszug aus den Antworten zeigt, als wie wichtig das Kampagnenmanagement in den Unternehmen bereits angesehen wird:
Einsatz und Nutzung von Kampagnenmanagement
187
Hoher Stellenwert des Kampagnenmanagements (Auszug) Aktuell nimmt das Kampagnenmanagement einen sehr hohen Stellenwert ein, da es die primäre Stelle für Bestandkundenbetreuung ist. Einen sehr hohen Stellenwert, denn der direkte Kontakt zur Zielperson ist sehr wichtig (Mailing wöchentlich). Im Direktgeschäft den höchsten Stellenwert, den man sich vorstellen kann. In der Vergangenheit wurden Kommunikationsmaßnahmen als Einzelinstrument geplant und umgesetzt. Heute werden verschiedene Instrumente in sachlichen und zeitlichen Bezug gesetzt und anschließend entsprechend controllt. Das Kampagnenmanagement hat seit einigen Jahren seinen Stellenwert gesteigert und ist heute die vorwiegende Planungsvariante im Marketing. Kernelement der CRM-Strategie. Sehr großes! Kampagnenmanagement mit Einbindung von Dialog-Marketing und des Call-Centers ist nicht mehr wegzudenken.
Abbildung 5:
Hoher Stellenwert des Kampagnenmanagements (Auszug)
Steigende Tendenzen in diese Richtung sind sowohl auf der mittleren als auch auf der unteren Ebene zu erkennen:
188
Heinrich Holland / Sükran Köroglu
Zunehmender Stellenwert des Kampagnenmanagements (Auszug) Zu „mittlerer Stellenwert mit Tendenz steigend“ (Auszug) Zunehmende Bedeutung durch verbesserte Datenlage im CRM-System: bessere Segmentierungsmöglichkeiten, bessere Datenqualität. Zu „geringer Stellenwert mit Tendenz steigend“ (Auszug) Momentan ein kleiner Stellenwert, da es sich noch in der Aufbauphase befindet. Stellenwert ist eher gering. Die Wichtigkeit sollte besser erkannt werden. Soll auf Dauer teure Humanseller auf bestimmten Produkten ersetzen. Demnach ist der Stellenwert derzeit noch marginal, wird in den kommenden Monaten und Jahren jedoch zunehmend in den Fokus der Vertriebsaktivitäten rutschen.
Abbildung 6:
Zunehmender Stellenwert des Kampagnenmanagements (Auszug)
Es ist daher folgerichtig, dass auf die Frage nach der zukünftigen Ausrichtung des Kampagnenmanagements kein Teilnehmer die Behauptung aufstellt, das Kampagnenmanagement würde an Bedeutung verlieren. Der Großteil der Teilnehmer (81 Prozent) ist sich über die steigende Bedeutung einig. Grund hierfür ist die zunehmende Einsicht zur Notwendigkeit effektiver Kampagnengestaltung und Budgeteinhaltung. Vor dem Hintergrund knapper werdende Budgets haben Unternehmen erkannt, dass der Kampagnenerfolg nur durch gezielte Maßnahmen zu erreichen ist. Doch die Einsicht allein reicht nicht, um die bestehenden Herausforderungen im Kampagnenmanagement zu bewältigen. Die Beurteilungen vorgegebener Parameter zeigen, in welchen Disziplinen Unternehmen ihre Herausforderungen sehen (siehe Abbildung 7).
Einsatz und Nutzung von Kampagnenmanagement
geringe 1 Herausforderung
189
2
3
4
5 große Herausforderung
B2B
B2C
2,98
3,02
3,05
3,58
3,60
3,54
Vertriebsakzeptanz erreichen
3,47
3,57
3,54
Controlling für Kampagnen aufsetzen und durchführen
3,47
3,60
3,56
ROI berechnen und sicherstellen
3,42
3,36
3,39
Nutzung und Management von IT-Systemen für Kampagnenmanagement
3,40
3,50
3,46
Adressdaten für Kampagnen aufbereiten, beschaffen und bereitstellen
2,98
2,90
2,93
Adressdaten nach Parametern (z. B. Kundenwert) segmentieren
3,28
3,36
3,32
Projektmanagement
Multikanal-Integration
n = 56 (Mehrfachnennungen möglich)
Abbildung 7:
3,14
3,64
3,46
3,59
3,45
3,45
3,02
3,50
B2B+C
n = 47
Herausforderungen im Kampagnenmanagement (Mittelwert)
Anhand der Mittelwerte ist zu erkennen, dass Unternehmen ständigen Herausforderungen im Kampagnenmanagement gegenüberstehen. Die Einzelaussagen zeigen, dass einige Unternehmen durch die Unterstützung von Software-Systemen bereits manche Disziplinen besser beherrschen. Auszüge aus den Experteninterviews belegen unter anderem die Hintergründe der Herausforderungen oben genannter Parameter: „Die Kanalauswahl (E-Mail, Brief etc.) stellt als solche keine besondere Herausforderung dar, sondern die Kombination der Kanäle. Die Schwierigkeit besteht dabei, die existierenden Medienbrüche zu optimieren.“ „Generell herrschen heute immer noch branchenübergreifend Missverständnisse zwischen Marketing und Vertrieb. Es ist wichtig, die Vertriebsakzeptanz im Kampagnenmanagement zu erreichen.“
190
Heinrich Holland / Sükran Köroglu
„Der ROI ist sehr aufwendig zu berechnen und die Berechnung stellt eine große Herausforderung dar. Er kann nur genau beziffert werden, wenn wir wissen, ob die Zielgruppe mehr Produkte gekauft hat, die durch eine bestimmte Kampagne aufmerksam wurde. Und noch schwieriger ist es, wenn verschiedene Kampagnen parallel liefen oder in einer Kampagne ein große Anzahl an Medien eingesetzt wurde.“ Eine Betrachtung der Ergebnisse nach Tätigkeitsbereichen zeigt auch hier keine bedeutenden Unterschiede auf. Zu den weiteren Parametern, in denen Unternehmen eine große Wichtigkeit sehen, gehören neben der Integration externer Datenlieferungen und der IT-gestützten Durchführung regelbasierter, sich wiederholender Kundenbindungsmaßnahmen auch die Analyse von Google AdWords und Keywords. Das Google-Kampagnenmanagement umfasst neben Einrichtung und Konfiguration von Kampagnen (Auswahl der richtigen Schlagwörter, Budgetierung der einzelnen Begriffe) auch laufende Analysen der Konkurrenz, Optimierung und Erweiterung der Suchbegriffe und ständige Veränderung der einzelnen Budgets.
2.4
Organisation des Kampagnenmanagements
Die organisatorische Verankerung des Kampagnenmanagements findet sich nach den Ergebnissen der Umfrage mit einer Mehrheit von 69 Prozent im Marketing wieder. Bei rund einem Drittel der Unternehmen ist das Kampagnenmanagement im Vertrieb angesiedelt. In beiden Bereichen werden Kampagnen zu einem großen Teil (Marketing 53 Prozent, Vertrieb 71 Prozent) dezentral, aus einer Linienfunktion heraus, gesteuert. Eine leitende Funktion als Stabsstelle nimmt das Kampagnenmanagement lediglich zu 32,7 Prozent ein.
Einsatz und Nutzung von Kampagnenmanagement
Marketing (69 %)
Vertrieb
191
(31 %)
6%
11%
24% 37%
Stabsf unktion Linienf unktion Sonstiges
52%
n = 55
70%
Abbildung 8:
Organisatorische Verankerung (in Prozent)
Weitere Verantwortungsbereiche des Kampagnenmanagements einzelner Unternehmen liegen unter anderem in der Projektorganisation sowie in der Teamleitung. Besonders hervorzuheben sind Angaben von zwei unterschiedlichen Unternehmen, bei denen das Kampagnenmanagement unabhängig von der Unternehmensgröße einen großen Stellenwert im Direktmarketing einnimmt. Diese Unternehmen haben das Kampagnenmanagement in der Geschäftsleitung und direkt unter der Geschäftsleitung angesiedelt. Nachfolgende Abbildung 9 zeigt die Verantwortlichkeiten der Abteilungen im Kampagnenmanagement:
Marketing (69 %)
Vertrieb
(31 %)
21% 35%
Permanent Projektbezogen 65% 79%
Abbildung 9:
n = 55
Verantwortlichkeiten des Kampagnenmanagements (in Prozent)
192
Heinrich Holland / Sükran Köroglu
Es ist deutlich zu erkennen, dass unabhängig von der Abteilungsart das Kampagnenmanagement in den Unternehmen zu einem großen Teil permanent besetzt ist (Marketing 79 Prozent, Vertrieb 69 Prozent) und weniger projektbezogen geführt wird. Bei der Frage nach der Mitarbeiterzahl konnte anhand der manuell eingetragenen Ergebnisse festgestellt werden, dass die Teilnehmer zusätzlich zu den eigenen Mitarbeitern auch externe Arbeitskräfte mit angegeben haben, obwohl dies nicht Bestandteil der Befragung war. Aufgrund der hohen Spannweite in den Angaben zur Anzahl der Mitarbeiter im Kampagnenmanagement konnte kein allgemeingültiger Rückschluss auf die Durchschnittsgröße dieser Einheit gezogen werden. Die gewonnenen Erkenntnisse aus den persönlich geführten Experteninterviews zeigen aber, dass die Zuständigkeit für das Kampagnenmanagement nur auf wenige Mitarbeiter übertragen wird. Daraus lässt sich ableiten, dass das Kampagnenmanagement bei den meisten Unternehmen eine kleine Einheit darstellt. Obwohl das Kampagnenmanagement in den Unternehmen eine kleine Einheit darstellt, ist es zu 81,8 Prozent ausschließlich im Unternehmen angesiedelt. Lediglich 18,2 Prozent der befragten Unternehmen haben Teile des Kampagnenmanagements ausgelagert. Die Auslagerung des Kampagnenmanagements begründen die Teilnehmer unter anderem mit den begrenzten Ressourcen im Unternehmen, mit der Hoffnung, durch die Erfahrungen der Dienstleister die Effizienz der Kampagnen zu steigern sowie die Prozesse zu optimieren.
Einsatz und Nutzung von Kampagnenmanagement
Gründe für die Auslagerung
193
Häufigkeit
1. Effizienz
2
2. Bereitstellung von IT-Systemen
1
3. Da das Kampagnen-Management
1
noch zu klein ist (keine Kapazität) 4. Konzepterstellung mithilfe von Agenturen
1
5. Prozessoptimierung
1
6. Technischer Support; Consulting
1
7. Telesales oder Versenden von Briefen
1
lässt sich ausgelagert besser skalieren 8. Kostenvorteil; Erfahrung des Dienstleisters
1
9. Zu wenig Kampagnen im Jahr, um eine
1
dauerhafte Stellung zu schaffen n = 10
Abbildung 10: Gründe für die Auslagerung (Häufigkeit) Die Unternehmen, die zu 18,2 Prozent auch externe Dienstleistungen in Anspruch nehmen, profitieren in erster Linie von den Erfahrungen spezialisierter Direktmarketing-Agenturen, gefolgt von klassischen Werbeagenturen sowie Callcenter-Dienstleistern und Telemarketing-Agenturen. Aufgrund des eigenen Datenbestandes vieler Unternehmen werden Adressbroker- und Adressmanagement-Dienstleister weniger in Anspruch genommen.
194
2.5
Heinrich Holland / Sükran Köroglu
Projektmanagement und Controlling des Kampagnenmanagements
Aufgrund der Vielzahl unterschiedlicher Kampagnen erfolgen die Planung und Steuerung von Kampagnen je nach Aufwand und Umfang unterschiedlich (siehe Abbildung 11). Die Ergebnisse zeigen, dass Kampagnen zum größten Teil (59,3 Prozent) manuell geplant und gesteuert werden. Weiterhin bedienen sich 51,9 Prozent der Unternehmen auch Projektmanagement-Tools oder führen eine excelbasierte Planung und Steuerung durch. Die Unternehmen, die das Kampagnenmanagement zum Teil ausgelagert haben, nehmen zudem die Leistungen externer Dienstleister zur Planung und Steuerung der Kampagnen in Anspruch. Die Hälfte aller Unternehmen, die eine KM-Software einsetzen, nutzt diese ausschließlich, um alle Kampagnen unterschiedlichen Umfangs und Aufwands zu planen und zu steuern.
59,26 % 51,85 %
40,74 %
Ausschließliche Nutzung von KM-Software: 20,37 % 18,52 %
Manuell
EXCEL; Projektmanagement-Tools
KM-Softw are
Extern
n = 54 (Mehrfachnennungen möglich)
Abbildung 11: Planung und Steuerung von Kampagnen (in Prozent) Zur Planung und Steuerung von Kampagnen wird KM-Software verschiedener Anbieter oder aus eigener Entwicklung eingesetzt.
Einsatz und Nutzung von Kampagnenmanagement
Kampagnenmanagement-Software
195
Häufigkeit
1. Eigenentwicklung
5
2. Ai-Suite
4
3. Siebel/Oracle
4
4. SAP CRM
2
5. adCONVERSE
1
6. AG-VIP SQL
1
7. DFP
1
8. Epiphany
1
9. Individual
1
10. Intermediate (economic.offer)
1
11. Unica
1
n = 22
Abbildung 12: Kampagnenmanagement-Software (Häufigkeit) Das eigentliche Ziel des Dialogmarketings, eine Reaktion des Kunden in Form von Interessentengenerierung, Absatz und Neukundengewinnung, wird in der Praxis häufig auch als Indikator zur Messung des Kampagnenerfolges herangezogen. Nach den Ergebnissen der Umfrage wird der Erfolg einer Kampagne vor allem anhand der Anzahl der Rückläufer (66,0 Prozent) und der Anzahl gewonnener Neukunden (58,5 Prozent) gemessen.
196
Heinrich Holland / Sükran Köroglu
Erfolgsmessung durch Parameter
Häufigkeit
in Prozent
Anzahl der Rückläufer
35
66,04
Anzahl gewonnener Neukunden
31
58,49
Generierter Zusatzumsatz
26
49,06
Budgeteinhaltung
24
45,28
Kundenzufriedenheit
17
32,08
Steigerung der Kundenloyalität
16
30,19
Anzahl vereinbarter Besuchstermine
16
30,19
Sonstige Parameter
13
24,53
Steigerung des Bekanntheitsgrades
11
20,75
n = 53 (Mehrfachnennungen möglich)
Abbildung 13: Erfolgsmessung durch Parameter Im Vergleich zu den Ergebnissen zu den Zielen des Kampagnenmanagements sind erste Auffälligkeiten zu erkennen. Während Kundenbindung beziehungsweise die Loyalität der Kunden für die Unternehmen so gut wie gleichbedeutend mit Kundengewinnung und Absatzförderung ist, ziehen lediglich 32,1 Prozent die Kundenzufriedenheit und 30,2 Prozent die Steigerung der Kundenloyalität zur Erfolgsmessung heran. Vielfach stellt die Messung dieser Parameter in der Praxis eine besondere Herausforderung dar. Darüber hinaus ist interessant zu sehen, dass die Einhaltung des zur Verfügung stehenden Kampagnenbudgets bei nur 45,3 Prozent der Unternehmen für die Erfolgsmessung eine wichtige Rolle spielt. Weitere Parameter (measures of heft), die mit 24,5 Prozent zur Messung einzelner Kampagnenergebnisse herangezogen werden, sind beispielsweise die Erreichung des jeweiligen Kampagnenziels, der Produktabsatz insgesamt und die positive Resonanz im Allgemeinen. Zur meistgenutzten Kennziffer (measures of rate), anhand derer der Erfolg einer Kampagne gemessen wird, gehört nach den Stimmen der Teilnehmer mit 64,2 Prozent die Responsequote gesamt. Aus Sicht des Dialogmarketings ist die Optimierung der Responsequote entscheidend für die Effizienz. Eine hohe Responsequote gesamt
Einsatz und Nutzung von Kampagnenmanagement
197
und Responsequote pro Medium belegen die Ansprache der richtigen Zielpersonen und die Ansprache über den richtigen Kanal. Ebenfalls werden anhand von Vertriebskennzahlen wie CPO (41,5 Prozent) und CPI (28,3 Prozent) die entstandenen Kosten errechnet. Einzelne Unternehmen setzen zudem den Cost per Lead (CPL), den Cost per Volume (CPV) oder den ROI für die Erfolgsrechnung ein.
Erfolgsmessung durch Kennziffern Häufigkeit
in Prozent
Responsequote gesamt
34
64,15
Abschlussquote
26
49,06
Responsequote pro Medium
23
43,40
Cost per Order (CPO)
22
41,51
Cost per Interest (CPI)
15
28,30
Terminquote
14
26,42
Sonstige
11
20,75
n = 53 (Mehrfachnennungen möglich)
Abbildung 14: Erfolgsmessung durch Kennziffern Die Kampagnenergebnisse werden bei 54,7 Prozent aller Unternehmen integriert betrachtet; die Ergebnisse aus dem Vertrieb, die aus der Kampagne resultieren, werden somit in die Erfolgsrechnung mit einbezogen. Dagegen messen 45,3 Prozent der Unternehmen die Kampagnenergebnisse isoliert. In Bezug auf die Überwachung von Kampagnen sind Ähnlichkeiten zur Planung und Steuerung zu erkennen. Je nach Aufwand und Umfang werden unterschiedliche Systeme angewendet. Zu den gängigen Methoden gehören Excel (56,6 Prozent), unternehmenseigene Systeme (49,1 Prozent), die ebenfalls zur Planung und Steuerung von Kampagnen eingesetzt werden, und die manuelle Überwachung (43,4 Prozent).
198
Heinrich Holland / Sükran Köroglu
Überwachung von Kampagnen
Häufigkeit
in Prozent
Excel
30
56,60
Eigene Systeme
26
49,06
Manuell
23
43,40
Sonstige
18
33,96
SAS
6
11,32
SPSS
5
9,43
n = 53 (Mehrfachnennungen möglich)
Abbildung 15: Überwachung von Kampagnen Bei der Definition von Absatz- und Vertriebskanälen ist in der Kampagnenplanung eine wirkungsvolle Aufteilung der Aufgaben zwischen den Kanälen zu beachten, um daraus einen Zusatznutzen zu generieren. Durch mehrstufigen Einsatz individueller Medien kann eine Bindung zum Kunden erzeugt werden. Auf die Frage nach dem allgemeinen Aufbau von Kampagnen konnten aus der Befragung keine genauen Ergebnisse gewonnen werden. Die Experten aus den persönlichen Interviews gaben zum größten Teil an, dass eine allgemein gültige Antwort nicht möglich sei, da die eingesetzten Medien und die Häufigkeit der Kundenkontaktierung von Fall zu Fall unterschiedlich seien. Auch die Ergebnisse aus der Online-Umfrage ergaben ein sehr gemischtes Bild. Grundsätzlich kann festgehalten werden, dass die Unternehmen hauptsächlich ein- oder zweistufige Kampagnen mit einem oder zwei Medien führen. Je nachdem, wie oft die Kunden reagieren, mehren sich die Stufen generell über den gleichen Kanal. Das überwiegend eingesetzte Medium bei Direktkampagnen ist allen voran der klassische Brief (Mittelwert: 3,6). Für viele Unternehmen, insbesondere im B2CBereich, ist dieses Medium nicht mehr wegzudenken. Telefon- (Mittelwert: 3,3) sowie E-Mail-Werbung (Mittelwert: 3,2) sind ebenfalls wichtige Bestandteile der heutigen Kampagnen, wobei die Versendung von E-Mails aus Gründen niedriger Kosten immer stärker zum Einsatz kommt und für die Zukunft immer mehr an Bedeutung gewinnt.
Einsatz und Nutzung von Kampagnenmanagement
geringer 2 Einsatz 1 1,29
hoher Einsatz
199
B2B
B2C
B2B+C
1,28
1,00
1,35
2,67
4,58
4,06
3
4
5
SMS
Brief
Telefax
1,61
1,00
1,59
3,27
Telefon
3,44
3,08
3,29
E-Mail
3,21
3,50
3,50
2,82
Postkarte
1,94
1,67
2,67
1,76
1,44
1,08
1,23
1,44
Twitter
1,27
3,60
n = 48 (Mehrfachnennungen möglich)
n = 47
Abbildung 16: Einsatz verschiedener Medien (Mittelwert) Allgemein werden Medien mit Dialogelementen im Vergleich zu Dialogmarketingmedien weniger eingesetzt. Die Faxwerbung (Mittelwert: 1,4) wird durch E-MailWerbung immer mehr ersetzt und SMS-Werbung (Mittelwert: 1,3) scheint noch keine breite Akzeptanz gewonnen zu haben. Doch durch die Ausbreitung technischer Neuheiten wie zum Beispiel Smartphones werden Unternehmen in der Zukunft von einer neuen Dimension des Mobile-Marketings profitieren können. Eine Zurückhaltung beim Einsatz von neuen Medien ist nicht zu übersehen. Nur einzelne Unternehmen setzen bereits Twitter (Mittelwert: 1,3) in ihren Kampagnen ein. Diese neue Art, mit den Kunden via Microblogging in einen Dialog zu kommen, ist für viele Unternehmen eine Modeerscheinung und wird noch kritisch betrachtet.
200
Heinrich Holland / Sükran Köroglu
Die meisten Kampagnen werden zudem durch Internetauftritte begleitet. Vereinzelt werden Google AdWords, Veranstaltungen sowie Zeitungs- und Rundfunkwerbung eingesetzt. Nachdem deutlich wurde, dass trotz der Herausforderung die Kampagnenergebnisse zusammen mit den Ergebnissen aus dem Vertrieb gemessen werden, ist es interessant zu sehen, dass 75 Prozent der Unternehmen ihre Vertriebsprozesse durch die Integration von Kampagnen optimieren und somit einen Beitrag zur besseren Zielerreichung leisten. Bei den restlichen 25 Prozent dagegen sind die Kampagnen nicht in die Vertriebsprozesse integriert. Eine IT-seitige Unterstützung ist als Steuerungsinstrument für sämtliche interaktiven Prozesse mit dem Kunden unverzichtbar. Das Ergebnis der Umfrage zeigt, dass Unternehmen bereits in diese Richtung investiert haben.
Access 4%
ASP 4%
SaaS 2%
Keine 4% CRM-Systeme mit KM-Modul oder spezielle KM-Lösung 40%
Sonstige 10%
n = 48
Eigene KM-Lösung 17% Excel 19%
Abbildung 17
Systemunterstützung (in Prozent)
Zu den meistgenutzten IT-Systemen gehören mit 40 Prozent CRM-Systeme mit KMModul oder spezielle KM-Lösung folgender Systemanbieter:
Einsatz und Nutzung von Kampagnenmanagement
CRM-Systeme mit KM-Modul oder KM-Lösung
201
Häufigkeit
1. Siebel
5
2. SAP
3
3. SAS
3
4. AG-VIP SQL
2
5. Ai.Suite
1
6. Epiphany
1
7. Loyalty Partner Solutions
1
8. Rechenzentrumslösung
1
9. Sage
1
10. SmartCRM
1
n = 19
Abbildung 18: CRM-Systeme mit KM-Modul oder KM-Lösung (Häufigkeit) Weiterhin nutzen Unternehmen Excel (19 Prozent) und ihre individuellen Lösungen aus eigener Entwicklung (17 Prozent) vergleichsweise deutlich mehr als Access (4 Prozent), Application Service Providing (4 Prozent) (ASP) und Software-as-aService (2 Prozent) (SaaS). Lediglich 4 Prozent der Teilnehmer gaben an, keine Systemunterstützung zu nutzen. Trotz des relativ hohen Einsatzes von IT-Systemen für das Kampagnenmanagement sehen die Unternehmen heute immer noch eine große Herausforderung in der Nutzung und im Management dieser Systeme. Unternehmen betrachten vielfach CRM nach wie vor als reine IT-Aufgabe, ohne ihre kundenbezogenen Prozesse zu optimie-
202
Heinrich Holland / Sükran Köroglu
ren und die hoch entwickelten CRM-Systeme für ihre Ansprüche zu nutzen. Ohne professionellen Einsatz passender IT-Lösungen ist auch die Komplexität des Kampagnenmanagements nur teilweise beherrschbar.
2.6
Zusammenfassung der Ergebnisse
Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen, dass viele Unternehmen die weitreichenden Möglichkeiten des Kampagnenmanagements zur Realisierung ihrer Unternehmensziele erkannt haben und es bereits erfolgreich in ihren Marketing- und Vertriebsstrategien einsetzen. Obwohl das Kampagnenmanagement für die meisten Teilnehmer immer mehr an Bedeutung gewinnt, existieren heute noch enorme Herausforderungen bei der Umsetzung wichtiger Disziplinen wie der MultikanalIntegration. Anhand dieser Schwierigkeiten wird auch deutlich, warum viele Kampagnen nur ein- oder maximal zweistufig angelegt sind und somit auf eine gezielte, direkte Ansprache von Kunden ausgerichtet sind. Weiterhin zeigen die Ergebnisse, dass einige Unternehmen bereits erfolgreich höchst entwickelte Software-Systeme zur Unterstützung des Kampagnenmanagements einsetzen. Angesichts der langsamen Anpassung an ständig neue Markt- und Technologieentwicklungen zeigt sich, dass auch hier noch Optimierungspotenzial besteht.
3.
Fazit und Ausblick
Den Ausgangspunkt der vorliegenden Studie bildete die Fragestellung, wie sich der Einsatz und Nutzen von Kampagnenmanagement in Marketing- und Vertriebsstrategien von deutschen Unternehmen darstellen und welche Trends heute auf diesem Gebiet existieren, um Entscheidern aus Marketing und Vertrieb weitere Impulse zu geben. Aus der Auswertung der Untersuchung konnten wichtige Erkenntnisse aus der Praxis gewonnen werden, die für die weitere Ausgestaltung des Kampagnenmanagements essenziell sind.
Einsatz und Nutzung von Kampagnenmanagement
203
Grundsätzlich bestätigt die empirische Untersuchung, dass sich das Kampagnenmanagement inzwischen fest in den Marketing- und Vertriebsstrategien deutscher Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen etabliert hat und einen sehr hohen Stellenwert besitzt. Die effektive und kostenschonende Implementierung stellt für viele Unternehmen nach wie vor eine Herausforderung dar. Aus den Ergebnissen der empirischen Studie können jedoch Ansätze abgeleitet werden, die hilfreiche Impulse zur Konzeption bieten. Systemunterstützung: Grundlegend ist mit der fortschreitenden technologischen Entwicklung der Einsatz von Software-Systemen im Kampagnenmanagement fast unumgänglich, um Kampagnen kostenschonend zu konzipieren. Zum einen wird durch IT-gestützte KM-Tools in manchen Bereichen die Steuerung von komplexen Kampagnen bei verschärften Datenschutzrichtlinien überhaupt erst möglich. Zum anderen können sogar Wettbewerbsvorteile durch den Einsatz eines KM-Tools generiert werden, um Herausforderungen wie die Multikanal-Integration oder das Controlling von Kampagnen zu bewältigen. Durch innovative Geschäftsmodelle wie SaaS oder ASP werden inzwischen IT-basierte Lösungen auch zu attraktiven Konditionen angeboten. Der Trend wird hier klar anhalten, sodass der Einsatz von IT-Tools zwingend bei der Konzeption des Kampagnenmanagements bedacht werden sollte. Web 2.0: Durch den Einsatz von IT-Tools kann die Teilnahme am Web-2.0-Trend erfolgen. Das Web 2.0 stellt eine neue Form des Dialoges dar, in dem Kunden beziehungsweise Nutzer das Informationsspektrum im Internet mitgestalten können. Zur neuesten und stark wachsenden Social-Networking-Anwendung gehört der Microblogging-Dienst Twitter. Erste Unternehmen haben diesen Zukunftstrend bereits erkannt und nutzen es aktiv zur Promotion von Produkten und Kommunikation mit ihren Kunden. Weitere Unternehmen werden mit Sicherheit diesem Trend folgen. Dialog mit Kunden: Der Dialog mit dem Kunden ist der Leitgedanke des Dialogmarketings. Dieser Leitgedanke sollte sich ebenfalls im Kampagnenmanagement widerspiegeln. Heute reicht die ein- oder zweistufige Kommunikation im Kampagnenprozess nicht mehr aus. Ein kontinuierlicher Dialog durch mehrstufige Kampagnen bis zum Vertragsabschluss ist ein wichtiger Erfolgsfaktor, der in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen wird. Kunden verlangen zunehmend eine an ihrem Informationsbedarf orientierte Kommunikation und Ansprache. Zentrale Steuerung und Messung von Kampagnen: Häufig existieren unterschiedliche Verantwortungsbereiche des Kampagnenmanagements durch Marketing und Vertrieb. Wegen der getrennten Verantwortungsbereiche werden Kampagnen oftmals dezentral gesteuert und separat gemessen. Nur in wenigen Ausnahmen er-
204
Heinrich Holland / Sükran Köroglu
folgt eine durchgehende Messung zum Beispiel Kampagnenplanung (Vertrieb), Durchführung der Kampagne (Marketing) und Vertragsabschluss (Vertrieb). Die Ergebnisse der Studie verdeutlichen eine verstärkte Unterstützung der integrativen Betrachtung von Kampagnen im Marketing und im Vertrieb. Einen Ansatz für integriertes Kampagnenmanagement können Kennzahlen bieten, die zur integrierten Messung von Kampagnen herangezogen werden können. Auf diese Weise können nützliche Erkenntnisse über das Zusammenspiel zwischen Marketing und Vertrieb gewonnen werden. In der nachfolgenden Übersicht werden einige Ansätze für Kennzahlen zur integrierten Messung von Kampagnen im Marketing und Vertrieb vorgeschlagen:
Kennzahl
Erläuterung
Durchlaufzeit eines Durchschnittliche Durchlaufzeit eines KampagnenKampagnenrückläufers rückläufers vom Response bis zum Abschluss Qualität der Rückläufer
Beurteilung des Kampagnenrückläufers anhand von spezifischen Qualitätskriterien aus Vertriebssicht
Reifegrad des Bewertung der Fragestellungen: Kampagnenrückläufers A) Wie schnell wird aus der Anfrage ein möglicher Kunde? B) Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit des Abschlusses aus Vertriebssicht? Follow-up-Quote
Beurteilung, wie viele der Kampagnenrückläufer vom Vertrieb aktiv bearbeitet und nachverfolgt wurden
Qualifizierungsquote
Beurteilung, wie viele der Kampagnenrückläufer vom Vertrieb qualifiziert wurden und ob eine Bedarfsermittlung stattgefunden hat
Datenqualität
Grad der Datenqualität des Rückläufers aus Vertriebssicht (z. B. Vollständigkeit der Daten, richtige Daten etc.)
Abbildung 19: Integriertes Kampagnenmanagement (Kennzahlen) Dieses Thema bietet ein interessantes Potenzial für weitere Forschungsarbeiten auf diesem Gebiet.
Einsatz und Nutzung von Kampagnenmanagement
205
Die Autoren Professor Dr. Heinrich Holland lehrt an der University of Applied Sciences Mainz. Er ist Akademieleiter der Deutschen Dialogmarketing Akademie (DDA). Holland hat 17 Bücher veröffentlicht, unter anderem das Standardlehrbuch „Direktmarketing“, das auch in russischer Sprache erschienen ist. Im Jahr 2004 wurde er in die Hall of Fame des Deutschen Dialogmaketing Verbandes (DDV) aufgenommen. Sükran Köroglu studierte Betriebswirtschaftslehre im Diplomstudiengang mit dem Schwerpunkt Kommunikationsmanagement an der Fachhochschule Mainz. In ihrem Studium nahm sie erfolgreich an verschiedenen Semesterprojekten wie der GWA Junior Agency teil. Mit ihrer Diplomarbeit zum Thema „Einsatz und Nutzen von Kampagnenmanagement in Marketing- und Vertriebsstrategien“ untersuchte sie die aktuellen Trends und Entwicklungen im Kampagnenmanagement und schloss ihr Studium mit sehr gutem Erfolg ab.
Kontakt: Professor Dr. Heinrich Holland University of Applied Sciences Mainz An der Bruchspitze 50 55122 Mainz E-Mail: [email protected]
206
Heinrich Holland / Sükran Köroglu
Anhang: Aufbau und Design der Umfrage
Einsatz und Nutzen von Kampagnenmanagement
FRAGEBOGEN
Prof. Dr. Heinrich Holland
Harald Henn
Professor für Betriebswirtschaftslehre
Marketing Resultant
Einsatz und Nutzung von Kampagnenmanagement
207
Die Umfrage:
Mit Hilfe dieser Umfrage wird die aktuelle Nutzung und der Einsatz des Kampagnenmanagements im Rahmen von Vertriebs- und Marketingstrategien in deutschen Unternehmen untersucht.
Das
Ziel
der
Untersuchung
ist
es,
den
Einsatz
und
Nutzen
des
Kampagnenmanagements darzustellen, aktuelle Trends in den Unternehmen aufzuzeigen und den Entscheidern in Marketing und Vertrieb Impulse für die weitere Ausgestaltung des Kampagnenmanagements aufzuzeigen.
Die Umfrage gliedert sich in drei Kapitel. Im ersten Kapitel wollen wir erfahren, welche Ziele mit Kampagnenmanagement verfolgt werden. Im Anschluss konzentrieren wir uns auf organisatorische Fragen. Abschließend werden Fragen zum Projektmanagement / Controlling behandelt.
Um eine Struktur der an der Umfrage teilnehmenden Unternehmen zu erhalten, möchten wir Sie bitten, am Ende kurze Angaben zu Ihrem Unternehmen zu geben. Sie erhalten nach der Auswertung die Ergebnisse der Studie. Wenn Sie möchten, können wir Ihnen eine individuelle Auswertung der Studie anbieten, die Ihnen aufzeigt, wie Ihr Unternehmen im Vergleich zu anderen Teilnehmern steht. Hierfür ist eine Registrierung notwendig.
Selbstverständlich werden alle Angaben streng vertraulich behandelt.
Dauer ca. 10 – 15 Minuten.
208
Heinrich Holland / Sükran Köroglu
Zu den Personen:
Prof. Dr. Heinrich Holland lehrt an der University of Applied Sciences Mainz. Er ist Akademieleiter der Deutschen Dialogmarketing Akademie (DDA) und Mitglied mehrerer Beiräte und Jurys, z. B. Mailing-Wettbewerb der Deutschen Post AG und Alfred Gerardi-Preis für wissenschaftliche Arbeiten im Direktmarketing. Holland hat 17 Bücher veröffentlicht, sein Standardwerk "Direktmarketing" ist in einer russischen Lizenzausgabe erschienen. Im Jahr 2004 wurde er in die Hall of Fame des Direktmarketings aufgenommen. Er hält Vorträge im In- und Ausland und berät namhafte Unternehmen. Er
betreut
Beratungs-Projekte
in
den
Bereichen
Dialogmarketing, Integrierte Kommunikation, CRM und Marktforschung.
Einsatz und Nutzung von Kampagnenmanagement
Marketing
Resultant
209
mit
Harald
Henn
optimiert
Geschäftsprozesse in Vertrieb, Service, Marketing mit Lean Management Methoden und bietet Best Practice Beratung für Call Center und CRM Projekte.
Sein Fokus liegt auf folgenden Gebieten:
1. Systematische Marktbearbeitung 2. Messbare und wirksame Marketing- und Vertriebsprozesse 3. Call Center Aufbau und Optimierung 4. CRM Beratung und Umsetzung
Seine Erfahrungen basieren auf mehr als 15 Jahren Erfahrung in leitenden Marketing und Vertriebsfunktionen für amerikanische Unternehmen aus der IT-Branche. Zuletzt war er als Marketing Leiter der
Dell Computer
GmbH für den erfolgreichen Markteintritt in Deutschland verantwortlich. Danach baute er als geschäftsführender Gesellschafter die PRISMA Unternehmensberatung zur führenden Call Center Beratung in Deutschland auf. Er ist Herausgeber und Autor des "Handbuchs Callcenter Management", Co-Autor des Titels „CRM verstehen, nutzen, anwenden" und wirkt in Fachbeiräten und auf zahlreichen Veranstaltungen als Redner zu aktuellen Call Center und CRM Themen mit.
210
Heinrich Holland / Sükran Köroglu
Adressen für die Rücksendung des ausgefüllten Fragebogens:
Marketing Resultant Harald Henn Karmeliterplatz 4 55116 Mainz [email protected]
Fachhochschule Mainz Prof. Dr. Heinrich Holland University of Applied Sciences Lucy-Hillebrand-Straße 2 55128 Mainz [email protected]
Die Befragung finden Sie ebenfalls online unter:
http://umfragen.fh-mainz.de/mrIWeb/mrIWeb.dll?I.Project=KAMPAGNENMNGMT
Einsatz und Nutzung von Kampagnenmanagement
211
1. Ziele Kampagnenmanagement
a. Welche strategischen und operativen Ziele verfolgt Ihr Unternehmen mit dem Einsatz des Kampagnenmanagements? (Mehrfachnennungen möglich)
geringe Bedeutung
1
2
3
4
5
hohe Bedeutung
Kundengewinnung Kundenbindung (Kundenloyalität) Absatzförderung
Sonstige: __________________________ __________________________
b. Welchen Stellenwert hat das Kampagnenmanagement heute in Ihrem Unternehmen? _________________________________________________________ _________________________________________________________ _________________________________________________________ _________________________________________________________ _________________________________________________________ _________________________________________________________
212
Heinrich Holland / Sükran Köroglu c. Wie ist die zukünftige Ausrichtung?
Verliert
Gewinnt
an Bedeutung
Bleibt gleich
an Bedeutung
Gründe für die jeweilige Entscheidung: _________________________________________________________ _________________________________________________________ _________________________________________________________ _________________________________________________________ _________________________________________________________ _________________________________________________________
d. Bewerten Sie bitte den Grad der Herausforderung für die folgenden Parameter in Ihrem Unternehmen im Kampagnenmanagement? (Mehrfachnennungen möglich)
geringe Herausforderung
Projektmanagement
Multikanal-Integration
Vertriebsakzeptanz erreichen
Controlling für Kampagnen aufsetzen und durchführen
1
2
3
4
5
große Herausforderung
Einsatz und Nutzung von Kampagnenmanagement
geringe Herausforderung
Return of Investment (ROI) berechnen und sicherstellen
Nutzung und Management von IT-Systemen für Kampagnen-Management
Adressdaten für Kampagnen aufbereiten, beschaffen und bereitstellen
Adressdaten nach Parametern (z.B. Kundenwert) segmentieren
Sonstiges: _________________________ _________________________ _________________________ _________________________
1
2
213
3
4
5
große Herausforderung
214
Heinrich Holland / Sükran Köroglu
2. Organisation
a. Wo ist das Kampagnenmanagement in Ihrem Unternehmen angesiedelt?
Abteilung Marketing Vertrieb
Organisationsform Stabsfunktion Linienfunktion
Sonstiges (z.B. Projektorganisation): _________________________________________________________ _________________________________________________________ _________________________________________________________
b. Wie viele MitarbeiterInnen kümmern sich ausschließlich um Kampagnenmanagement?
Permanent
__________ (bitte Mitarbeiterzahl eintragen)
Projektbezogen
__________ (bitte Mitarbeiterzahl eintragen)
Einsatz und Nutzung von Kampagnenmanagement
215
c. Ist das Kampagnenmanagement intern angesiedelt oder ausgelagert?
Intern
Extern
Beides
Gründe für die Auslagerung: _________________________________________________________ _________________________________________________________ _________________________________________________________ _________________________________________________________ _________________________________________________________ _________________________________________________________
Wenn extern, bei wem ausgelagert? (Mehrfachnennungen möglich)
Klassische Werbeagentur
Spezialisierte Direktmarketing-Agentur
Call Center Dienstleister; Telemarketing-Agentur
Adressbroker-Dienstleister; Adressmanagement-Dienstleister
Sonstige:
__________________________________ __________________________________ __________________________________
216
Heinrich Holland / Sükran Köroglu
3. Projektmanagement / Controlling
a. Wie werden Kampagnen heute geplant und gesteuert? (Mehrfachnennungen möglich)
Manuell Extern EXCEL; Projektmanagement-Tools Kampagnenmanagement-Software _____________________________ (bitte eintragen)
b. Woran wird der Erfolg gemessen? (Mehrfachnennungen möglich)
Budgeteinhaltung Anzahl der Rückläufer Generierter Zusatzumsatz Anzahl gewonnener Neukunden Steigerung der Kundenloyalität Steigerung des Bekanntheitsgrades Kundenzufriedenheit Anzahl vereinbarter Besuchstermine
Sonstige Parameter: __________________________________ __________________________________ __________________________________
Einsatz und Nutzung von Kampagnenmanagement
217
c. Mit welchen Kennziffern messen Sie den Erfolg der Kampagne?
Responsequote gesamt Response pro Medium (z.B.
Brief, Fax etc.)
Cost per Interest (CPI) Cost per Order (CPO) Abschlussquote Terminquote
Sonstige:
__________________________________ __________________________________ __________________________________
d. Wie werden die Kampagnen-Ergebnisse gemessen?
Isoliert; rein bezogen auf die Kampagne Integriert; Ergebnisse aus dem Vertrieb, die aus der Kampagne resultieren, werden mit einbezogen
218
Heinrich Holland / Sükran Köroglu
e. Mit welchen Systemen wird controlled? (Mehrfachnennungen möglich)
Manuell Eigene Systeme Excel SAS SPSS
Sonstige:
__________________________________ __________________________________ __________________________________
f. Medien / Multikanal-Management (Mehrfachnennungen möglich)
i. Wie sind die Kampagnen hauptsächlich aufgebaut und wie viele verschiedene Medien setzen Sie ein?
Zu _____ %
mit _____ Medium / Medien
in _____ Stufen
Zu _____ %
mit _____ Medium / Medien
in _____ Stufen
Zu _____ %
mit _____ Medium / Medien
in _____ Stufen
Zu _____ %
mit _____ Medium / Medien
in _____ Stufen
Einsatz und Nutzung von Kampagnenmanagement
219
ii. Welche Medien setzen Sie ein? (Mehrfachnennungen möglich)
geringer Einsatz
hoher Einsatz 1
2
3
4
5
SMS
Brief
Telefax
Telefon
Postkarte
Twitter
Sonstige: _____________________ _____________________
iii. Sind die Kampagnen hauptsächlich in Vertriebsprozesse integriert?
Integriert
Nicht-integriert
220
Heinrich Holland / Sükran Köroglu
g. Systemunterstützung Welche IT-Unterstützung wird im Kampagnenmanagement genutzt?
Keine Excel Access Eigene Kampagnenmanagement-Lösung CRM-Systeme mit Kampagnenmanagement-Modul oder spezielle Kampagnenmanagement-Lösungen ACT! ADITO CAS Chordiant DYNACAMPAIGN Epiphany Pivotal Sage SAP SAS Siebel Unica Application Service Providing (ASP) Software-as-a-Service (SaaS)
Sonstige:
__________________________________ __________________________________ __________________________________
Einsatz und Nutzung von Kampagnenmanagement
221
Fragebogen Datenblatt
1. Welcher Branche gehört Ihr Unternehmen an?
_________________________________________________________________ _________________________________________________________________
2. Wie viele Mitarbeiter beschäftigt Ihr Unternehmen?
_________________________________________________________________ _________________________________________________________________
3. Welchen Umsatz tätigt Ihr Unternehmen pro Jahr?
_________________________________________________________________ _________________________________________________________________
4. Sind Sie im Business-to-Business oder im Business-to-Consumer tätig? _________________________________________________________________ _________________________________________________________________
222
Heinrich Holland / Sükran Köroglu
Fragebogen Datenblatt Registrierung
Unternehmen
_________________________________________ _________________________________________
Name der / des Ausfüllenden
_________________________________________ _________________________________________
Funktion und Titel der / des Ausfüllenden
_________________________________________ _________________________________________
Telefon
_________________________________________
Telefax
_________________________________________
Email
_________________________________________
Nur wenn Sie eine individuelle Auswertung erhalten möchten.
Entscheidungsorientierte Social Media Optimization – Ein integrativer Planungsansatz Michael H. Ceyp / Heiko Rohde
Management Summary Als neues Instrument des Online-Marketings sind Social Networks Dreh- und Angelpunkt des sozialen Lebens im World Wide Web. Facebook, die VZ-Netzwerke, Xing und Co. haben es geschafft, Millionen Menschen zum Mitmachen zu bewegen. Sie stellen Knotenpunkte, eine Art Treffpunkt im Internet dar, wo jeder Nutzer seine Kontaktdaten hinterlegt, ein Profil pflegt oder einfach nur kommuniziert. Vor diesem Hintergrund gewinnt eine entscheidungsorientierte Social Media Optimization (im folgenden „SMO“ abgekürzt) eine herausragende Bedeutung im Konzert des Online-Marketings. Dieser Beitrag entwickelt einen integrativen Planungsprozess zur Social Media Optimization.
1.
Social Media – Ein neues Marketingparadigma?
Das Marketing von Unternehmen steht in der Zeit des Internets und Web 2.0 vor einer breiten Vielfalt von Diensten, die es zu beherrschen oder treffender planungsorientiert einzusetzen und zu kontrollieren gilt. Das Internet hat sich im Rahmen des Web 2.0 zu einem dynamischen, interaktiven Medium entwickelt, welches nicht
224
Michael H. Ceyp / Heiko Rohde
mehr als starre Informationsquelle zu sehen ist. „Der Kunde wird jetzt wirklich König.“1 Was bisher nur ein Ausspruch war, entwickelt sich für viele Unternehmen zur Wirklichkeit. Soziale Medien wie Twitter, Facebook, YouTube, die zahlreichen Blogs und andere Dienste erlauben es dem Kunden, seine Meinung zu äußern, was dem Userfeedback eine nicht unerhebliche – auch ökonomische und mediale – Macht gibt. Das Marketing wird sich auf Grundlage der technologischen und soziologischen Entwicklungen eine geeignete marktteilnehmergerichtete Strategie überlegen müssen. Zuerst einmal müssen aber Web 2.0 und Social Media in einen gemeinsamen Kontext gebracht werden, um dann eine entscheidungsorientierte SMO vorzuschlagen. Der Begriff Web 2.0 ist viel diskutiert, und doch fehlt oft ein gemeinsames Verständnis. Besonders schwierig ist eine gemeinsame Definition, da dynamische, interaktive und integrative Aspekte eine Rolle spielen können und bei der Vielzahl von Diensten in unterschiedlicher Weise auftreten.2 Aber auch bei dieser Vielzahl von Diensten gibt es allgemeine Prinzipien, die im Kern ohne „harte“ Abgrenzung ein Verständnis schaffen können. Das Internet (Web) wird abstrakt als Plattform gesehen, auf der sich verschiedenste Dienste befinden. Die Nutzer dieser Plattform kontrollieren den Inhalt und die jeweils eigenen Daten.3 Hierauf setzen alle weiteren Überlegungen auf.
1
2 3
Mühlenbeck, F./Skibicki, K.: Social Media-Marketing, in: Eisinger, T./Rabe, L./Thomas, W. (Hg.): Performance Marketing – Erfolgsbasiertes Online-Marketing, BusinessVillage/Göttingen, 2009, S. 166-179. Vgl. Hass, B./Walsh, G./Kilian, T.: Web 2.0 – Neue Perspektiven für Marketing und Medien, Springer/Berlin 2008. Vgl. O’Reilly, T.: What Is Web 2.0, http://oreilly.com/web2/archive/what-is-web-20.html (Abruf 17. November 2009), 2005.
Entscheidungsorientierte Social Media Optimization
225
Strategic Positioning x The Web as Platform User Positioning: x You control your own data Core Competencies: x Services, not packaged software x Architecture of Participation x Cost-effective scalability x Remixable data source and data transformations x Software above the level of a single device
Abbildung 1:
Web 2.0 Prinzipien Auszug (O’Reilly, 2005)
Die von O’Reilly genannten „Kernkompetenzen“ (vgl. Abbildung) oder besser gesagt Prinzipien sind für die weitere Betrachtung im Zusammenhang mit dem Begriff Social Media essenziell. Das Prinzip der Kundenintegration beziehungsweise der Interaktivität zusammen mit der räumlichen Verteilung der Autoren ermöglicht eine hohe Qualität von Beiträgen, was am Beispiel von Wikipedia zu beobachten ist. Die räumliche Verteilung impliziert eine Dezentralität, allerdings gibt es im Web 2.0 keine beliebige Anarchie, sondern mehr oder weniger prominent besetzte Knoten, über die User kommunizieren können. Prominente Knotenpunkte sind zum Beispiel Xing, Facebook, Wikipedia oder aber auch Twitter.4 Diese Knotenpunkte werden auch als Social Networks bezeichnet und fallen unter die Kategorie Social Software. Wie lässt sich Social Software definieren? Konstitutive Merkmale sind: Dynamik: Veränderungen finden in Realtime statt.
Interaktivität: Beteiligte können nahezu beliebig Gedanken, Auffassungen und Meinungen anderer User aufgreifen, „posten“, kommentieren und weiterentwickeln.
Integrativität: User akzeptieren einen mehr oder weniger stark ausgeprägtes Set von Verhaltensregeln („Good practices“), die der jeweilige Betreiber einer SocialMedia-Plattform explizit und/oder implizit in Verknüpfung mit gewissen Sanktionsmaßnahmen vorgibt.
4
Vgl. Hass, B./Walsh, G./Kilian, T.: Web 2.0 – Neue Perspektiven für Marketing und Medien, Berlin: Springer 2008, S. 6ff..
226
Michael H. Ceyp / Heiko Rohde
Contentbezogenheit: Die weiter vorangeschrittenen technologischen Möglichkeiten eröffnen hier eine breite Range von der SMS-ähnlichen TwitterVeröffentlichung über die Publikation von Bildmaterial bis hin zu HD-fähigen Bewegtbildern. Angesichts der ausgeprägten Dynamik in den Nutzerzahlen empfiehlt sich für Unternehmen auch ein Monitoring von kleinen Social Networks, die entweder einen hohen Branchenbezug zur eigenen Leistung aufweisen oder über eine besondere mediale Beachtung verfügen. Charakteristisch für nahezu alle Inhalte sozialer Netzwerke sind die Adjektive dynamisch, interaktiv und integrativ. Man spricht deshalb vom User Generated Content, da der Nutzer seine eigenen Ideen und Auffassungen ohne technische Kenntnisse erstellen, verwalten und – am wichtigsten – online publizieren kann. So war es der Nachrichtendienst Twitter, genutzt von einem „normalen“ Bürger aus Florida, der als erster die folgende Nachricht verbreitete: „There’s a plane in the Hudson. I’m on the ferry going to pick up the people. Crazy.“ Nach dieser Nachricht begann eine Welle von Informationen, durch das Internet zu rollen. Fotos erschienen auf Flickr, andere Menschen veröffentlichten Videos auf YouTube und natürlich wurde weiterhin über Twitter „gezwitschert“. Klassische Medien brauchten erheblich länger, um auf dieses Ereignis hinzuweisen. Dieses Beispiel zeigt, wie schnell die Internetgemeinschaft geworden ist, da hier nach dem Prinzip „viele Sender, viele Empfänger“ vorgegangen wird. Zusammengefasst können damit das Web 2.0 und die Sozialen Medien die schnellste Systemzeit aller öffentlich zugänglichen Medien erreichen. Wie dramatisch schnell die Wachablösung im Medienbereich stattfindet, zeigt auch der leicht abgewandelte Ausspruch „Nichts ist älter als die Zeitung von heute“. Die im Web 2.0 von Benutzern geschaffenen Strukturen, die kollektive Intelligenz der Nutzer sowie die Zusammenarbeit über Social Software gilt es für das eigene Unternehmen bestmöglich zu nutzen.5 Besonders der Aspekt der Vernetzungen über Social Software bietet neue Möglichkeiten, eine Botschaft zu erzählen, wie das Twitter-Beispiel zeigt, und vor allem aber, eine Meinung und ein Image zu verbreiten. Unternehmen haben nicht mehr nur die Wahl zwischen Bezahl-Werbung und unabhängiger Berichterstattung der Medien angeregt durch eigene PR-Aktivitäten. Vielmehr haben Unternehmen die Chance, selber als Herausgeber mithilfe von Social 5
Vgl. Alby, T.: Web 2.0, Konzepte, Anwendungen, Technologien, 2. Auflage, München: Hanser 2007.
Entscheidungsorientierte Social Media Optimization
227
Software im Internet aufzutreten.6 Web 2.0 heißt auch die aktive Nutzung der gegebenen Möglichkeiten sozialer Medien durch Unternehmen. Diesen ganzen Problembereich gilt es im Sinne eines zielgerichteten Planungs- und Entscheidungsprozesses zu gestalten. In der jüngeren Diskussion hat sich hierfür der Begriff Social Media Optimization durchgesetzt. Der Paradigmenwechsel vom lesenden Web 1.0 zum schreibenden Web 2.0 emanzipiert gleichermaßen jedoch auch die Kunden. Ihnen wird nicht nur ein Rückkanal zum Unternehmen, sondern auch eine Stimme in die gesamte Netzcommunity geöffnet. Vor nicht allzu langer Zeit bestand dieser Rückkanal lediglich durch „offene“ Leserbriefe oder in besonders schweren Fällen als redaktionelle Berichterstattung. Der Kunde hatte in den geringsten Fällen eine mediale Durchschlagskraft und war ohne Ausnahmen auf die Kooperation der Redaktionen angewiesen. Soziale Medien erlauben kein Totschweigen mehr. Unternehmen müssen mit dieser Tatsache umgehen können und ihre Kommunikationspolitik dem neuen technologischen Umfeld und der sozialen Struktur anpassen. Es gilt in der strategischen Marketingplanung, neue Potenziale zu schaffen und die Entwicklungen zu erkennen und zu verstehen. Das operative Marketing kann diese Potentiale nutzen. Gleichermaßen gilt es, mediale Bedrohungen abzuwenden.
2.
Empirische Ergebnisse zur Verbreitung sozialer Medien
Über die Verbreitung sozialer Medien sind in der Vergangenheit zahlreiche empirische Studien veröffentlicht worden. An dieser Stelle kann lediglich schlaglichtartig eine Übersicht gegeben werden. Beispielsweise titelt die ARD/ZDF-Onlinestudie 2009: „Nachfrage nach Videos und Audios im Internet steigt weiter – 67 Prozent der Deutschen sind online“.7
6
7
Vgl. Ploof, R.: Johnson & Johnson Does New Media – Lessons from a 123 year old, $64 Billlion New Media Innovator, http://ronamok.com/ebooks/jnj_case_study.pdf (Abruf 17. November 2009), 2009. ARD/ZDF-Onlinestudie 2009
228
Abbildung 2:
Michael H. Ceyp / Heiko Rohde
Online-Offline-Verhältnis in der zeitlichen Entwicklung (ARD/ZDF-
Onlinestudie 2009) Die folgende Abbildung 3 zeigt eine Auswahl der mindestens einmal pro Woche genutzten Onlineanwendungen, in Abhängigkeit der jeweiligen Altersgruppen.
Entscheidungsorientierte Social Media Optimization
229
Gesamt 14-19 J. 20-29 J. 30-49 J. ab 50 J. Suchmaschinen nutzen
82
90
91
81
74
Versenden/Empfangen von E-Mails
82
85
88
80
80
zielgerichtet bestimmte Angebote suchen
47
35
51
54
38
einfach so im Internet surfen
49
72
60
50
31
Homebanking
33
6
37
38
34
Instant Messaging
30
80
65
15
10
Gesprächsforen, Newsgroups, Chats
25
76
47
13
7
Onlinecommunitys nutzen
27
78
56
12
8
Download von Dateien
19
30
26
15
15
Onlinespiele
17
30
28
13
10
Onlineauktionen
9
6
15
10
5
Onlineshopping
8
3
14
8
5
live im Internet Radio hören
12
23
15
11
8
Musikdateien aus dem Internet
13
47
22
6
4
RSS-feeds/Newsfeeds
9
18
15
7
5
Buch- und CD-Bestellungen
5
4
6
6
4
andere Audiodateien aus dem Internet
5
14
9
4
1
Video/TV zeitversetzt
7
16
11
6
4
Kontakt-/Partnerbörsen
5
11
9
3
2
live im Internet fernsehen
6
11
11
5
3
Audio/Radiosendungen zeitversetzt
4
9
9
3
2
Videopodcasts
2
5
7
1
1
Tauschbörsen
3
6
5
2
1
Audiopodcasts
2
5
3
1
0
Abbildung 3:
Nutzungsverhalten bei Onlineanwendungen (ARD/ZDFOnlinestudie 2009)
230
Michael H. Ceyp / Heiko Rohde
In der Gesamtschau der Onlineaktivitäten lässt sich ein dramatisches Wachstum gerade bei den jüngeren Zielgruppen festhalten. Zu diesem Ergebnis kommt auch die jüngste W3B-Analyse (2009). Im Rahmen dieser Analyse wurden die in Abbildung 4 dargestellten Reichweiten der Social Networks gemessen.
StudiVZ Facebook werͲkenntͲwen.de meinVZ XING myspace.com
Abbildung 4:
27,1% 21,7% 18,1% 17,5% 17,3% 9,5%
Reichweiten der Social Networks
Diese Zahlen zeigen nur eine Momentaufnahme; alle Experten gehen in der Zukunft von einer weiter stark steigenden Entwicklung aus. Vor diesem Hintergrund gewinnt eine entscheidungsorientierte SMO eine herausragende Bedeutung im Konzept des Online-Marketings.
3.
Planungsprozess der Social Media Optimization
SMO beschäftigt sich mit der veränderten Technologie Web 2.0 als neuem Instrument der Marketingaktivitäten und der optimalen Nutzung. Im Folgenden wird der allgemeine Planungsprozess des Marketings aufgegriffen und auf SMO übertragen. Marketing bedeutet die Beeinflussung marktrelevanter Austauschprozesse zu Gunsten des Absenders. Dies gilt so auch für Social Media, allerdings haben sich hier die Rahmenbedingungen dramatisch geändert. Handlungen beeinflussen nicht nur das Internet, sondern gehen weit darüber hinaus.
Entscheidungsorientierte Social Media Optimization
231
Generell beschreibt der notwendige Planungsprozess die Schritte: Situationsanalyse, Zieldefinition,
Strategiefindung,
Umsetzung und schließlich Controlling.
Die Situationsanalyse kann als Informationssuchprozess gesehen werden. Hierbei ist zu erwähnen, dass Unternehmen und Konsumenten bei der Informationssammlung und -verarbeitung ähnlich vorgehen, da die Informationen im WWW jedem zugänglich sind. Die erste Frage, die zu stellen ist, ist: Was weiß der Kunde über unser Unternehmen? Die direkte Anschlussfrage ist: Was weiß das Unternehmen, was der Kunde weiß? Dem Kunden genügen in der heutigen Zeit keine einzelnen Internetseiten mit Produktinformationen als One-Way-Kommunikation, sondern er informiert sich bei anderen Kunden.8 Welche Social-Media-Dienste sind für das Unternehmen interessant? Eine Auflistung der wichtigsten Dienste ist zunächst der Ausgangspunkt der Analyse. Hierbei können Kategorien wie Blogs, Communitys oder andere Dienste für Strukturierungszwecke gebildet werden. Die Liste wird sich zu unterschiedlichen Zeitpunkten fortwährend ändern, da dynamische Aspekte eine wichtige Rolle spielen. Externe Studien sind generell nutzbar, allerdings sind drei Probleme zu beachten. Der erste Aspekt sind die Kosten, die für die Einsicht in die Ergebnisse gefordert werden. Der zweite Punkt ist die häufig recht allgemeine Formulierung der Umfragen. Es lässt sich zwar ein Trend aus solchen Studien erkennen, aber für das eigene Unternehmen ist dieses meist zu ungenau. Das dritte Problem sind die angesprochenen Eigenschaften von Social Media. Dynamik, Integrativität und Interaktivität machen Social Media zu „Realtime Medien“ – dies bedeutet eine sich ständig ändernde Situation. Auf lange Sicht werden die Unternehmen, die SMO betreiben wollen, einen Realtime SMO-Monitor einführen müssen, der ständig ausgewählte Netzwerke überwacht, um etwaige Veränderungen in der Grundstimmung frühzeitig zu erkennen und den Planungsprozess zu verändern. Klassische Planungstools wie SWOT-Analysen, GAP-Modelle und weitere Methoden können hier Anwendung finden, müssen aber
8
Vgl. Knappe, M./Kracklauer, A.: Verkaufschance Web 2.0 – Dialoge fördern, Absätze steigern, neue Märkte erschließen, Wiesbaden: Gabler 2007.
232
Michael H. Ceyp / Heiko Rohde
auf den Kontext von Realtime-Veränderungen angepasst werden. Das Stichwort ist Individualität, da jedes Unternehmen ein anderes Image hat und damit von den Sozialen Medien unterschiedlich behandelt wird. Zurück zu der Frage, was für das Unternehmen interessant ist und in welchen Netzwerken gesucht werden soll, muss festgestellt werden, dass es keine allgemeine Lösung gibt. Vielmehr muss sich jedes Unternehmen überlegen, wo es steht, beziehungsweise wo es stehen will. Ein Blog wäre leicht zu pflegen, während eine offene Adhoc-Kommunikation via Twitter größeren Planungsaufwand erfordert. Vor der eigentlichen Situationsanalyse muss also eine allgemeine Zielsetzung feststehen. Diese Zielsetzung ist abhängig von folgenden Erkenntnisobjekten: Unternehmen: Wie steht mein Unternehmen in der Öffentlichkeit da?
Konkurrenten: Wo steht die Konkurrenz in der Öffentlichkeit und im Vergleich zum eigenen Unternehmen?
Zielgruppe: Welche Zielgruppen werden angesprochen? Wie sind die Auffassungswerte der Zielgruppen? Technologie: Wie sind Technologien zu bewerten und sind diese zu nutzen?
Die wohl wichtigste Frage ist die nach der Zielgruppe. Für einige Unternehmen ist es sinnlos, Social Media als Kommunikationswerkzeug einzusetzen, solange die Kunden nicht im Internet sind und sich beispielsweise nicht bei Facebook in eine Gruppe eintragen. Am Ende würde vielleicht nur ein Prozent auf eine Botschaft reagieren, bloggen oder in eine Diskussion einsteigen. Die Entscheidung Social Media als alleiniges Mittel zur Kommunikation zu nutzen, wäre hier gänzlich falsch, wobei sich diese Einschätzung sehr schnell ändern könnte.9 In einigen Märkten wie zum Beispiel Technologie, Finanzen oder auch Unterhaltung sind heute schon Anhaltspunkte für den erheblichen Einfluss von Social Media zu finden. Hat man die Zielgruppe bestimmt, muss der relevante Content identifiziert werden. Problematisch ist, dass dieser nicht unter der ausschließlichen Kontrolle des Unternehmens steht. Es gibt einige Softwarelösungen, die versuchen, die Reichweite, das Involvement des Kunden sowie Netzwerkeffekte zu erfassen und zu messen, allerdings sprechen häufig auch Kosten- und Technologieaspekte gegen einen Einsatz.10 Besonders schwierig ist hierbei das semantische Verständnis der Maschinen, da sie die Zusammenhänge der komplexen menschlichen Sprache auch nach intensiven 9 10
Vgl. Gillen, P.: Secrets of Social Media Marketing, Quill Driver Books/Fresno, CA, 2009. Vgl. Knappe, M./Kracklauer, A.: Verkaufschance Web 2.0 – Dialoge fördern, Absätze steigern, neue Märkte erschließen, Wiesbaden: Gabler 2007.
Entscheidungsorientierte Social Media Optimization
233
Forschungsarbeiten immer noch nicht treffend erfassen können. Ein manuelles Monitoring sollte schneller und kostengünstiger zum erwünschten Erfolg führen. In diesem Zusammenhang ist es äußerst hilfreich zu messen, von welcher Internetseite ein User auf die Unternehmensseite gelangt. Diese Informationen lassen sich leicht mithilfe von moderner Webcontrolling-Software beschaffen. Danach lässt sich ein Ranking bilden und erkennen, welche Bedeutung Communitys, Blogs und andere soziale Medien zur Traffic-Generierung haben. Auf dieser Basis lassen sich Reichweiten, Verlinkungen und Aktivitäten unternehmensspezifisch messen und auswerten. Beispielsweise könnte eine Fan-Gruppe bei Facebook danach bewertet werden, wie oft Kommentare geschrieben werden. Als weiteres Ergebnis dieses Rankings werden aus dem spezifischen Content Schlüsselwörter generiert, die dann mithilfe von Suchmaschinen (Google, Yahoo) eingehender geprüft werden. Blogs und Posts können mithilfe des frei verfügbaren Service Technorati (technorati.com) unter Eingabe der Schlüsselwörter durchsucht werden. Jüngste Pressemeldungen zu den Aktivitäten der Realtime-Search von Google lassen auch eine zeitnahe Analyse des Twittercontents realistisch erscheinen. So kann jedes Unternehmen mit einfachen Mitteln die aktuelle Situation im Auge behalten, Technologietrends erkennen, die Entwicklung gegenüber der Konkurrenz abschätzen und die Erwartungen der Zielgruppe beschreiben. Alle diese Fragen sollten für eine Situationsanalyse beantwortet werden. Eine fortlaufende Beobachtung führt dann zu dem beschriebenen „Realtime Social Media Optimization Monitor“. Wurde der Aufwand für die Situationsanalyse erbracht, so erfolgt die Zieldefinition auf Basis der aktuellen Situation. In der Marketingplanung sind bisweilen strategische und operative Marketingziele zu unterscheiden. Strategische Ziele werden außerhalb dieses Planungsprozesses definiert oder sind für die Situationsanalyse bereits definiert worden. Sie leiten sich direkt aus den Unternehmenszielen ab. Die operativen Ziele rücken weitestgehend die Imagepositionierung des Unternehmens im Social-Media-Umfeld in den Betrachtungsfokus. Ökonomische Zielvariablen wie Return on Investment (ROI) sind schwer zu erfassen, können aber wie bei jeder anderen Marketingmaßnahmen zumindest ansatzweise geschätzt werden. Wichtigstes Ziel ist hierbei die Reichweitenerhöhung der im Internet gestreuten Botschaften. Konkrete Ziele sind beispielsweise, wie viele Mitglieder ein Diskussionsforum haben soll oder die Anzahl der Antworten/Beiträge auf eine Veröffentlichung innerhalb der ersten 48 Stunden. Weitere Ziele könnten auch sein, Content in Form von mindestens drei Blogeinträgen pro Woche zu schaffen oder eine intensive Verlinkung innerhalb der Netzcommunity zu erreichen. Wie hier im Detail die Zielformu-
234
Michael H. Ceyp / Heiko Rohde
lierung gestaltet wird, hängt individuell vom Unternehmen ab. Gegen folgende Zielvorgaben sollte jedoch immer gemessen werden:11
Reichweiten
Involvement der Kunden/User
Tonalität (wie etwas gesagt wird, Beispiel: Sarkasmus, Ironie)
Für die strategische Planung der Zielerreichung muss zuallererst überlegt werden, wie das Unternehmen mit Social Media umgehen will. Dies ist eine zentrale Einstellungsfrage. Es können idealtypisch drei Strategietypen unterschieden werden:
die passive Social-Media-Strategie
die reaktive Social-Media-Strategie
die proaktive Social-Media-Strategie
Kennzeichen einer passiven Strategie ist, dass sich ein Unternehmen nicht auf Social Media einlassen möchte und eine zurückgezogene Haltung einnimmt. Problematisch ist hier allerdings, dass das Unternehmen dann über eigene Themen, Produkte, Marken oder die Branche nicht mitdiskutiert und so keinen Einfluss geltend machen kann. Dem Ziel, das Unternehmensimage positiv zu stärken, kann so nicht gedient werden. Im Gegensatz dazu ist konstitutives Merkmal einer reaktiven Strategie die Kommunikation des Unternehmens aufgrund von externen Social-Media-Einflüssen. Auslöser sind dabei Posts in sozialen Medien, die im Rahmen eines geplanten Kommunikationsprozesses vonseiten der Unternehmen aufgegriffen werden. Grundsätzlich empfiehlt es sich, dabei die gleiche soziale Plattform beziehungsweise das gleiche soziale Medium zu verwenden, welches auch als Auslöser fungiert hat. Wenn möglich, sollte hier bereits eine individualisierte, auf den Autor des Posts bezogene Form des Dialoges gewählt werden. Damit Unternehmen möglichst realtime reagieren können, sollte im Sinne eines Szenariokataloges bereits vor dem Post grundsätzlich unternehmensseitig festgelegt werden, wer, wie und wann (ab welcher Reizschwelle) im Unternehmen zu einer offiziellen Stellungnahme bereitsteht. Während die reaktive Strategie wie ein Seismograf die Veränderungen in sozialen Medien zu erfassen versucht, bedeutet die proaktive Strategie, derartige Verände-
11
Vgl. Knappe, M./Kracklauer, A.: Verkaufschance Web 2.0 – Dialoge fördern, Absätze steigern, neue Märkte erschließen, Wiesbaden: Gabler 2007.
Entscheidungsorientierte Social Media Optimization
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rungen selbst aktiv auszulösen. Es wird nicht auf einen Tatbestand reagiert, sondern es wird ein Tatbestand geschaffen. Somit ist eine zielgerichtete und glaubwürdige Beeinflussung der Nutzer sozialer Medien beabsichtigt. Natürlich besteht hier wieder die Frage, welche sozialen Medien mit Content versorgt werden sollen. Wichtig ist für ein Unternehmen, jederzeit den Überblick zu behalten. Anderenfalls entwickeln sich in den sozialen Medien „Lauffeuer“, die – wenn überhaupt – nur schwer zu kontrollieren sind. Im Umgang mit Social Media sind alle Mitarbeiter eines Unternehmens gefragt. Die Geschäftsführung muss zum Beispiel das Marketing mit den Informationen versorgen, die benötigt werden, um auf Social-Media-Botschaften zu reagieren. Aber auch der Sachbearbeiter, der vielleicht nur privat in diesen Netzwerken vertreten ist, sollte die Marketingverantwortlichen gegebenenfalls mit neuen Informationen versorgen. Die Strategie im SMO-Planungsprozess ist entscheidend für die Zielerreichung. Essenziell ist hierbei die Frage zu beantworten, wie stark die Content-Versorgung sein beziehungsweise wie diese stattfinden soll. Generell ist eine Auswahl verschiedener Dienste ratsam, um auf verschiedenen Ebenen zu kommunizieren. Einige Kunden beziehungsweise Interessenten lesen nur einen Blog, während andere Twitter nutzen. Der wesentliche Content kann bei den verschiedenen Diensten durchaus gleich sein, solange die Botschaft verständlich ist. Die hohe Schule von SMO ist die gekonnte Integration mehrerer Contents zu einer neuen Botschaft, die dann wiederum auf weiteren Social-Media-Plattformen gestreut wird (Mash-Up). Videos von YouTube können beispielsweise in den eigenen Unternehmensblog eingebettet und kommentiert werden, um eine neue Botschaft zu formen. Eine medienexklusive Contentversorgung bestimmter Dienste ist schwer möglich, da Botschaften im Internet eine Eigendynamik haben und sich über das „word of mouth“ (Mundpropaganda) in alle Richtungen verteilen. Mit Blick auf die idealtypischen Strategieformen zeigen die Erfahrungen diverser (häufig negativer) Unternehmensbeispiele, dass eine passive Strategie den tatsächlichen Anforderungen moderner Sozialer Medien nicht gerecht wird. Insofern kann den Unternehmen nur zu einer proaktiven Grundhaltung geraten werden, wobei die Fähigkeit, sich im konkreten Bedarfsfall reaktiv den Herausforderungen zu stellen, möglichst hoch ausgebildet sein muss. Einzelanalysen reaktiver Social-MediaKampagnen legen ferner die Hypothese nahe, dass die Netzcommunity wohlwollender mit Unternehmen umgeht, die zuvor im Rahmen proaktiver Kampagnen positiv aufgefallen sind.
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Gerade bei proaktiver Social-Media-Grundhaltung ist der Umsetzungsphase eine besondere Bedeutung beizumessen. Grundlage bildet hier ein sogenannter SocialMedia-Communication-Guide, der bezogen auf die relevantesten Medien und Zielgruppen die grundlegenden unternehmensweiten Verhaltens- und Kommunikationsregeln in Sozialen Medien verbindlich darlegt. Beispielsweise finden sich in solchen Verhaltensregeln die Forderungen nach einer Kommunikation „auf Augenhöhe“, einem unbedingten Wahrheitsgebot und dem Verbot, Unternehmensgeheimnisse zu publizieren. Die Controllingphase versucht im Sinne eines Effizienz- und Effektivitätsvergleiches, die gewünschte Zielerreichung messbar zu machen. Richtschnur ist hier die Forderung „in sozialen Medien die richtigen Dinge richtig zu tun“. Schon während die Social-Media-Maßnahmen zur Umsetzung laufen, findet zeitnah ein Feedbackprozess statt. Dieser dient zur ständigen Optimierung von Strategieund Maßnahmenumsetzung. Im Endeffekt mündet die Controllingphase in eine erneute Situationsanalyse. Gemessen werden
Reichweite/Verbreitungsgrad, Involvement der Kunden, Tonalität,
sodass auf eine erzielte Imageveränderung geschlossen werden kann. Insgesamt umschließt die Situationsanalyse den Planungsprozess und ist als RealtimeMonitoring unerlässlich. Der Planungsprozess zeigt, dass der höchste Aufwand erst einmal in das Verständnis von Social Media investiert werden muss. Das Marketing und jeder Unternehmensangehörige müssen sich darüber im Klaren sein, dass Social Media allgegenwärtig sind. Social Media bieten nicht nur Gefahren, sondern auch erhebliche Chancen.
Entscheidungsorientierte Social Media Optimization
4.
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Fallbeispiel zur Social Media Optimization
Wie schnell ein Unternehmen negativ auffallen kann, hat ein aktueller Case mit der Marke Jack Wolfskin, einem Anbieter von funktioneller Outdoor-Bekleidung, Schuhen und -Ausrüstung, gezeigt. Begonnen hat alles mit einem Forumseintrag im Dawanda-Forum, einem Handarbeits-Portal, über das jeder seine Produkte verkaufen kann, „Ich habe heute eine Abmahnung von Jack Wolfskin im Briefkasten gehabt 991 Euro“ (14. Oktober 2009). Zwei Tage später meldete sich ein weiterer Betroffener im gleichen Forum zu Wort. Daraufhin titelt es „Jack Wolfskin eröffnet den Abmahn-Herbst!“.12 Jack Wolfskin, eine multinationale Marke, sieht seine Markenrechte verletzt und untersagt allen Anbietern mit Pfoten-Design die Verwendung derselben. Dawanda als Host für die Artikel wurde abgemahnt und angewiesen, alle Artikel umgehend zu entfernen, die Designs mit Pfoten aufweisen. Allerdings geht Jack Wolfskin noch weiter und mahnt zusätzlich noch einzelne Dawanda-Member ab. Markenrechtlich ist ein solches Vorgehen prinzipiell zur Absicherung der Markengeltung vorgesehen.13 Diese beiden Abmahnungen waren keine Einzelfälle. So wurde ein Shop geschlossen, da er Katzenpfoten-Sticker und -Taschen verkaufte. Der verärgerte Besitzer schrieb den Jack-Wolfskin-CEO und die Anwälte an, worauf er keine Antwort erhielt. Was nun folgt, ist ein perfektes Beispiel, wenn die Macht von Social Media unterschätzt wird. Das Ignorieren einer einzelnen Person hat möglicherweise größeren Schaden verursacht als die Abmahngebühren und die Markensicherung dem Unternehmen einbringen. So erschien auf Facebook ein Post „Call off the Wolves, Jack“. Jack Wolfskin machte keine Anstalten, hier in irgendeiner Form zu reagieren. Ob der Post überhaupt vom Unternehmen bemerkt wurde? Vielleicht hätte die Situation noch gerettet werden können, doch die Facebook-Community war nun alarmiert und immer mehr Betroffene meldeten sich. Jack Wolfskin hat scheinbar nicht nur Shops abgemahnt, sondern auch Künstler, die Wolfspfoten und andere Tierpfoten in ihren Kunstwerken im Internet entgeltlich veröffentlicht hatten. Die Frage, die auch Communitys sich nun stellen: Kann ein Unternehmen oder eine Marke eine Pfote eines Tieres oder gar alle Pfoten für sich beanspruchen, sodass niemand anders diese für sich nutzen kann? Die Anwälte sehen dies scheinbar so: „Die Tatze unserer Mandantin ist in Deutschland und vielen Ländern der Welt um-
12 13
Schwartz, R.: mediaclinique, www.werbeblogger.de. Handelsblatt, 21. Oktober 2009, S. 16.
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fangreich markenrechtlich geschützt.“14 Die Online-Communitys sehen dies anders und machen sich über den Marktführer lustig. So schreibt ein Betroffener, der die Pfoten „seiner“ Katze gedruckt hat, dass „Walt Disney“ und „The Pink Panther“ aufpassen sollen, dass Jack Wolfskin nicht auch ihre Pfoten abmahnt. Bei Facebook im Jack-Wolfskin-Fan-Bereich wurde weiter geschrieben: „All your paws are belong to us ... – If you have a dog, don’t let him walk over your shirt, Jack Wolfskin will sue you!“15 Absurder geht es weiter, allerdings trifft dies genau die Meinung vieler, mit einem Vergleich von Apple, die dann ja verbieten könnten, dass Supermärkte und Apfelerzeuger Äpfel auf Werbeschilder drucken. Gehört Blackberry dann die Frucht und kann das Unternehmen jedem anderen untersagen, auch nur eine ähnliche Beere abzudrucken? Alle Meinungen und Artikel hier darzulegen wäre zu viel, allerdings soll das Ausmaß an folgenden Geschehnissen innerhalb von 48 Stunden verdeutlicht werden: 1. Abmahnung wird bekannt Æ Dawanda-Forumseintrag.
2. und weitere Abmahnungen folgen Æ Dawanda-Forum mit 38 Seiten an Kommentaren. Der Artikel von Ralf Schwartz auf www.werbeblogger.de ist nach 24 Stunden auf Wikipedia und vielen weiteren Social Media Seiten verlinkt.
Der Artikel „Jack Wolfskin eröffnet den Abmahn-Herbst!“16 erreicht bei Google Platz drei hinter der Unternehmenswebsite. Spiegel Online Ressort Netzwerk leitet Recherchen ein. Immer mehr Abgemahnte melden sich im Netz.
Nach 48 Stunden verweisen über 70 Blogs auf den Schwartz-Artikel.
Die Nachricht verbreitet sich über Twitter, Facebook und weitere Social Media Dienste so schnell, dass der Werbeblogger-Server für zwei Stunden in die Knie geht.
Die taz, einst selbst in einem Rechtsstreit mit Jack Wolfskin verwickelt, veröffentlicht den Online-Artikel „Jack Wolfskin gegen Hobby-Designer: Wenn die Wildnis abmahnt“. 14
Spiegel-Online, 19. Oktober 2009. Vgl. Facebook, Gruppe: Jack Wolfskin Nur Fans. 16 www.werbeblogger.de. 15
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Stellungnahme von Jack Wolfskin nach 48 Stunden ohne direkten persönlichen Bezug. Interessanterweise hat diese Stellungnahme nicht zu einer Beruhigung geführt. Im Gegenteil wurde die klassische Pressemitteilung als weitere Drohung aufgefasst. Die abschließenden Sätze der Stellungnahme lauteten: „Somit dient die Abmahnung auch einer schnellen und relativ kostengünstigen Beendigung der Angelegenheit. Sie verhindert also zusätzliche häufig weit höhere Kosten im Falle einer Einschaltung der Gerichte.“ 99,9 Prozent der Blogosphäre stehen zu diesem Zeitpunkt nach wie vor hinter den Abgemahnten. Hat Jack Wolfskin nun nichts aus dem Fall und der dynamischen Entwicklung gelernt? Die Antwort lautet wohl „teilweise“. Jack Wolfskin hat über den CEO Manfred Hell den Blogger kontaktiert, der den Protest mit dem Artikel „Jack Wolfskin eröffnet den Abmahn-Herbst!“ eröffnet hat, und um ein Treffen gebeten. Die Einschätzung war, dass Herr Hell nicht besonders tief beeindruckt von den Ereignissen der vorherigen Tage war. Er sah die Marke Jack Wolfskin nach wie vor markenrechtlich bedroht und gestand lediglich ein, dass der Abmahnprozess und die Verhältnismäßigkeit zu hinterfragen seien. Seine Einschätzung ist, dass sich die Prozesse dringend ändern müssen, die ursprünglich die Marke vor Missbrauch schützen sollen. „Hier muss ein neues Augenmaß der neuen (Medien-)Welt gerecht werden.“17 Zusätzlich wurde eingeräumt, einige Fälle noch einmal zu überprüfen und gegebenenfalls eine Lösung zu finden. Eine Woche nach dem ersten Post titelt es auf einem Blog „Jack Wolfskin zieht Abmahnungen zurück, bleibt bei seiner Haltung“18. Damit geht das Unternehmen nun doch auf den Druck ein und erlässt zumindest die Abmahngebühren. Die Abgemahnten dürfen allerdings in Zukunft keine weiteren Produkte mit Pfoten anbieten. Das Fazit ist ernüchternd. Es scheint so, als wolle ein großes Unternehmen eine Marktmacht ausspielen, die es vielleicht gar nicht mehr hat. Es hat sich ein erheblicher Widerstand gegen die Marke entwickelt und es kann von einem PR-Desaster gesprochen werden. So gibt es bei Facebook eine Gruppe gegen Jack Wolfskin und das kleine Werkzeug „Google Sidewiki“ verzeichnet eine Liste an Kommentaren zu Jack Wolfskin, wobei keiner die Abmahnungen unerwähnt lässt (Vgl. Abbildung 5).
17 18
www.webblogger.de, 2009. spreeblick.com.
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Michael H. Ceyp / Heiko Rohde
Abbildung 5:
5.
Screenshot Google Sidewiki zu Jack Wolfskin am 30. November 2009
Ausblick und Perspektiven
SMO und der hier beschriebene integrative Planungsprozess bieten zweifelsohne für Unternehmen eine Vielzahl von Chancen. Chancen:
Erschließung neuer Geschäftsfelder: Communitys stimmen ab und arbeiten aktiv an neuen Produkten mit. Kundengewinnung: Netzwerkeffekte durch Word of Mouth.
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Kundenbindung: Nachhaltige Produktverbesserung durch den ständigen Austausch. Innovative Kundenbetreuung im Rahmen von Social-Media-Kampagnen.
Innovative Produktentwicklung: Communitys liefern Ideen und Verbesserungsvorschläge. Unterstützung der Kaufentscheidung: Positive Produktbewertungen fördern glaubhaft das Produkt (word of mouth). Ansatzpunkte für aufmerksamkeitsstarke virale Marketingkampagnen.
Monitoring: Durch ständige Situationsanalyse besser und schneller informiert sein. Erhöhung der Transparenz und der Glaubwürdigkeit durch Kommunikation der Mitarbeiter in Form von Blogeinträgen. Wissensgenerierung: Kunden liefern Informationen über Markt und Konkurrenz.
Die relativ kostengünstigen Maßnahmen erweisen sich für Unternehmen häufig als Chance, um sich weiterzuentwickeln.19 An dieser Stelle muss darauf hingewiesen werden, dass es neben den Chancen auch Risiken zu beachten gibt, die schwere Folgen haben können, wie der Jack Wolfskin Fall gezeigt hat. Risiken:
Fehlende Dialogbereitschaft: Der Kunde fühlt sich möglicherweise nicht mehr ernst genommen oder verstoßen.
Kontrollverlust: (Negative) Informationen breiten sich (zu) schnell aus, was zur Eskalation kritischer Situationen führen kann. Mangelnde Contentkontrolle: Mitbewerber können negative Testberichte verfassen und damit gegen das Unternehmen arbeiten. Defizite im Rahmen von Produktwissen (gerade in der Nutzungsphase von Produkten): Endverwender wissen mehr über die Produkte als der eigene Mitarbeiter.
Unredlicher Einsatz Sozialer Medien durch das Fälschen von Kommentaren, Nutzererfahrungen und Produktbeurteilungen (vgl. Bahn-Skandal um gefälschte Foren-Beiträge). 19
Vgl. Knappe, M./Kracklauer, A.: Verkaufschance Web 2.0 – Dialoge fördern, Absätze steigern, neue Märkte erschließen, Wiesbaden: Gabler 2007, S. 74.
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Diese Risiken haben in der Vergangenheit schon zu Krisensituationen geführt und namhafte Unternehmen waren betroffen. Besonders die ersten beiden Punkte treten sehr häufig auf, wenn meist große Unternehmen ein als arrogant empfundenes Verhalten gegenüber ihren Kunden an den Tag legen und denken, dass die schiere Größe einschüchternd wirkt. Nicht jedes Unternehmen fällt allerdings durch einen negativen PR-Gau auf. Wie man es richtig machen kann, zeigt die Frosta AG mit Sitz Bremerhaven. Der Tiefkühlkosthersteller bloggt seit 2005 auf seiner eigenen Internetseite, um mehr Transparenz für die Kunden zu schaffen. Es entstand eine Art Webtagebuch von Mitarbeitern. Besonderes Merkmal ist hier, dass keine Agentur die Beiträge verfasst, sondern diese direkt von Mitarbeitern stammen. Ein Dialog findet über Kommentare von Kunden statt, auf die Mitarbeiter dann direkt eingehen. Der Austausch hat dem Unternehmen breite Anerkennung in der Blogosphäre gebracht und sicher auch den Unternehmenswert gesteigert.20
Literatur ALBY, T. (2007): Web 2.0, Konzepte, Anwendungen, Technologien, 2. Auflage, München: Hanser. GILLEN, P. (2009): Secrets of Social Media Marketing, Quill Driver Books/Fresno, CA. HASS, B./WALSH, G./KILIAN, T. (2008): Web 2.0 – Neue Perspektiven für Marketing und Medien, Berlin: Springer. KNAPPE, M./KRACKLAUER, A. (2007): Verkaufschance Web 2.0 – Dialoge fördern, Absätze steigern, neue Märkte erschließen, Wiesbaden: Gabler. MÜHLENBECK, F./SKIBICKI, K. (2009): Social Media-Marketing, in: Eisinger, T./Rabe, L./Thomas, W. (Hg.): Performance Marketing – Erfolgsbasiertes OnlineMarketing, Göttingen: BusinessVillage, S. 166-179. O’REILLY, T. (2005): What Is Web 2.0, http://oreilly.com/web2/archive/what-is-web20.html (Abruf 17. November 2009). PLOOF, R. (2009): Johnson & Johnson Does New Media – Lessons from a 123 year old, $64 Billlion New Media Innovator, http://ronamok.com/ebooks/jnj_case_ study.pdf (Abruf 17. November 2009).
20
Vgl. Knappe, M./Kracklauer, A.: Verkaufschance Web 2.0 – Dialoge fördern, Absätze steigern, neue Märkte erschließen, Wiesbaden: Gabler 2007, S. 99f.
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Onlinequellen (Abrufstand 30. November 2009): www.werbeblogger.de/2009/10/17/jack-wolfskin-eroeffnet-den-abmahn-herbst/ www.werbeblogger.de/2009/10/19/jack-wolfskin-stellungnahme/ www.werbeblogger.de/2009/10/21/wenn-der-wolfskin-dreimal-klingelt/ www.facebook.com/group.php?v=wall&ref=search&gid=6291096498 http://de.dawanda.com/forums www.spreeblick.com/2009/10/23/jack-wolfskin-zieht-abmahnungen-zuruck-bleibtbei-seiner-haltung/ www.ard-zdf-onlinestudie.de/index.php?id=onlinenutzung-anwend www.w3b.org/web-20/wann-ueberholt-facebook-den-mitbewerber-studivz.html
Die Autoren Professor Dr. Michael H. Ceyp promovierte bei Professor Dr. Dr. h.c. mult. H. Meffert. Danach folgte eine mehrjährige Tätigkeit als Consultant im Dialogmarketing, bevor er zu Rapp Collins Consulting, Hamburg, ging, wo er große und mittelständische Unternehmen in vielfältigen Fragestellungen des (internationalen) Dialogmarketings, Database Marketings, Online Marketings und CRM beriet. Seit dem Sommersemester 2001 lehrt Professor Dr. Ceyp an der privaten, staatlich anerkannten Fachhochschule Wedel (Holstein) bei Hamburg. Er gründete dort im Jahr 2003 den Fachbereich „BWL“ mit seinem Forschungs- und Lehrschwerpunkt „Marketing“. Er ist Autor vielbeachteter Fachbücher, Arbeitspapiere und Marktforschungsstudien sowie regelmäßiger Referent auf internationalen Kongressen zu aktuellen Fragestellungen im Marketing. Professor Dr. Ceyp ist Jurymitglied wichtiger Marketingpreise und unterstützt innovative Unternehmen durch seine Tätigkeit in Aufsichtsräten und Beiräten. Sein forscherisches Interesse gilt dem Bereich „OnlineMarketing“, in dem er seit 1999 regelmäßig empirische Studien erstellt und veröffentlicht. Heiko Rohde ist Masterstudent der Betriebswirtschaftslehre an der University of Applied Sciences Wedel bei Hamburg und hat einen akademischen Abschluss als Wirtschaftsinformatiker. Seine langjährigen Praxiserfahrungen reichen von Marktforschungsprojekten bis hin zu Strategieausarbeitungen. Ein besonderer Interessenschwerpunkt stellt das Web 2.0 dar.
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Kontakt: Professor Dr. M. H. Ceyp Fachhochschule Wedel Feldstraße 143 22880 Wedel [email protected] Heiko Rohde Ahrensfelder Weg 59 22926 Ahrensburg [email protected]
Michael H. Ceyp / Heiko Rohde
Der Alfred Gerardi Gedächtnispreis 2009
Der „Alfred Gerardi Gedächtnispreis“, der 2010 sein 25-jähriges Bestehen feiert, wird jährlich für herausragende studentische Abschlussarbeiten zu Themen des Dialogmarketings vergeben. Er ist eine der ältesten noch bestehenden Initiativen des DDV und dennoch frisch und aktuell wie damals im Jahr 1986, als er im Gedenken an den Direktmarketing-Pionier Alfred Gerardi ins Leben gerufen wurde. Alfred Gerardi war über viele Jahre Präsident des DDV und ihm lag die Suche nach und der Einsatz für junge Talente stets am Herzen. Ziel des Wettbewerbs war und ist die Förderung der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Themen des Dialogmarketings. Und dieses Ziel wurde in den vergangenen mehr als zwei Jahrzehnten eindrucksvoll erreicht: War „Direktwerbung“ Ende der 80er-Jahre noch ein seltenes, leicht exotisches Thema in den Lehrveranstaltungen oder bei Forschungsthemen an den deutschen Hochschulen, so hat sich das heute grundlegend geändert: Die über 70 Hochschulen, die als Mitglieder des DDV ein vertieftes Lehrangebot im Direktmarketing anbieten und sich im „Plenum Bildung und Forschung“ des DDV organisiert haben, sprechen eine ebenso deutliche Sprache wie die Vielfalt der Einreichungen zum Alfred Gerardi Gedächtnispreis. Zu diesem Trend beigetragen haben – insbesondere in den letzen zehn Jahren – vor allem auch die digitalen Medien: Sie ermöglichen heute den direkten Dialog mit Kunden und Interessenten intensiver und in viel größerer Breite als dies in den ersten Jahren des Alfred Gerardi Gedächtnispreises der Fall war. Inzwischen kommt folgerichtig ein vergleichsweise großer Anteil der eingereichten Arbeiten aus dem Themenkreis der digitalen Medien. Der Alfred Gerardi Gedächtnispreis wird in drei Kategorien vergeben: Diplomarbeit Akademien
Abschlussarbeit Uni/Hochschule (eingereicht werden können Diplom-, Bachelor- und Masterarbeiten)
Dissertation
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Der Alfred Gerardi Gedächtnispreis 2009
Anforderung an die Arbeiten ist, dass sich diese mit aktuellen Themen des Dialogmarketings befassen, etwas Neues aufgreifen und im Ergebnis einen Wissensfortschritt mit verwertbaren Ergebnissen für die Marketingpraxis erbringen sollen. Dabei werden als preiswürdig Arbeiten angesehen, die über dem Durchschnitt dessen liegen, was Studenten normalerweise erarbeiten, und die gleichzeitig wissenschaftlichen Ansprüchen genügen. Die Jury bilden namhafte Vertreter von Dialogmarketing-Agenturen und aus dem Hochschulbereich. Im Jahr 2009 waren dies unter dem Vorsitz von Bernd Ambiel (Ambiel Direkt-Marketing-Beratung): Robert Bidmon (Universität München), Norbert Briem M. A. (Jahns and Friends, Agentur für Dialogmarketing und Werbung AG), Professor Dr. Gert Hoepner (Fachhochschule Aachen), Professor Dr. Heinrich Holland (Fachhochschule Mainz), Professor Dr. Lutz H Schminke (Hochschule Fulda) und als Ehrenmitglied Heinz Fischer (Fischer Direktmarketing Consultant). Auch der Jahrgang 2009 macht wieder deutlich, dass sich Dialogmarketing an den Hochschulen breit und auf hohem fachlichen Niveau etabliert hat. Der Preis für die „Beste Dissertation“ 2009 ging an Dr. Thomas Bauer, der zum Thema „Data Mining“ an der Hochschule Erlangen-Nürnberg (Lehrstuhl Professor Dr. Hermann Diller) promoviert hatte. Als Sieger in der Kategorie „Beste Abschlussarbeit Hochschule“ wurde Florian Kohlhuber vom Lehrstuhl für Organisations- und Wirtschaftspsychologie (Professor Dr. Brodbeck), Ludwig-Maximilians-Universität München gekürt. In der Kategorie „Beste Diplomarbeiten von Akademien“ entschied sich die Jury für zwei gleichberechtigte Preisträger: Ramona Nahirni und InaTamara Paulweber, beide von der Bayerischen Akademie für Werbung und Marketing, München. Eine ergänzende Auszeichnungsurkunde erhielt Matthias Wiersich, Lehrstuhl für Marketing (Professor Dr. Diller), Friedrich-Alexander-Universität Universität Erlangen-Nürnberg. Über alle Details des Alfred Gerardi Gedächtnispreises informiert eine eigene Website www.aggp.de, über die stets die Informationen zur aktuellen Phase des Wettbewerbs (Ausschreibung, Teilnahmebedingungen, Einsendeschluss, Preisträger, Preisverleihung etc.) abgerufen werden können. Die „Bibliothek“ des Wettbewerbs gibt darüber hinaus einen (fast) vollständigen Überblick über die Einreichungen der vergangenen Jahrezehnte: Eine Kurzfassung der meisten Arbeiten kann direkt eingesehen werden, die komplette Arbeit kann bei Interesse gegen Schutzgebühr auch bestellt werden. Sollten Arbeiten in Buchform veröffentlicht worden sein, so finden sich hier die bibliografischen Angaben.
Der Alfred Gerardi Gedächtnispreis 2009
Kontakt: Deutscher Dialogmarketing Verband e. V. Hasengartenstraße 14 65189 Wiesbaden www.ddv.de www.aggp.de E-Mail: [email protected]
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Dank an die Sponsoren
Der 4. wissenschaftliche interdisziplinäre Kongress für Dialogmarketing konnte nur mit der großzügigen und engagierten Unterstützung durch zahlreiche Sponsoren und Partner realisiert werden. Wir bedanken uns ganz herzlich bei:
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Dank an die Sponsoren
Als Medienpartner haben den Kongress gefördert:
Der Alfred Gerardi Gedächtnispreis wird unterstützt durch die Firmen