Der Realoptionsansatz als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen (Entrepreneurship) (German Edition) 3835007947, 9783835007949

Geleitwort Die Bedeutung junger Wachstumsunternehmen ist heute in der Praxis unumstritten: Sie tragen zum strukturellen

136 31

German Pages [352] Year 2007

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Geleitwort
Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Symbolverzeichnis
A Einleitung
1 Problemstellung und Zielsetzung
2 Methodologie und Aufbau
B Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen
1 Controllingansätze im Überblick
2 Rationalitätssicherung der Führung als zugrunde gelegtes Controllingverständnis
2.1 Grundmodell einer dynamischen Theorie ökonomischer Akteure
2.2 Rationalitätsperspektive
2.3 Führungshandlungen
2.4 Rationalitätssicherung als kontextspezifische und engpassorientierte Controllingfunktion
3 Kontextspezifisches Verständnis von und Anforderungen an Controllinginstrumente
3.1 Kontextspezifisches Verständnis von Controllinginstrumenten
3.2 Kontextspezifische Anforderungen an Controllinginstrumente
4 Zwischenfazit
C Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument
1 Handlungsspielräume als Bezugsobjekt
2 Finanzoptionen als Ausgangspunkt
2.1 Prinzip und Funktionsweise der Finanzoptionen
2.2 Finanzmathematische Grundlagen zur Bewertung von Optionen
3 Übertragung des Optionskalküls auf die reale Ebene
3.1 Analogie und Grenzen der Analogie zwischen Finanzund Realoptionen
3.2 Arten von Realoptionen
3.3 Instrumentalcharakter
3.4 Herausforderungen in der Anwendung
4 Zwischenfazit
D Kontextanalyse junger Wachstumsunternehmen
1 Abgrenzung des Untersuchungsobjektes
2 Konstitutive Merkmale junger Wachstumsunternehmen
2.1 Alter
2.2 Größe
2.3 Unternehmerprägung
2.4 Wachstumsorientierung
2.5 Unsicherheit
3 Zwischenfazit
E Erkenntnisobjekt Controlling in jungen Wachstumsunternehmen
1 Ableitung der Implikationen für die Führungsrationalität
1.1 Implikationen für die Willensbildung
1.2 Implikationen für die Willensdurchsetzung
1.3 Implikationen für die Kontrolle
2 Ableitung der controllingrelevanten Merkmale junger Wachstumsunternehmen
3 Ableitung der Anforderungen an Controllinginstrumente junger Wachstumsunternehmen
4 Zwischenfazit
F Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstums-unternehmen
1 Auswahl und Vorstellung eines Denkmodells
2 Nutzenanalyse
2.1 Ziel und Inhalt der Identifikationsphase
2.2 Wertbeitrag der Identifikationsphase
2.3 Ziel und Inhalt der Bewertungsphase
2.4 Wertbeitrag der Bewertungsphase
2.5 Ziel und Inhalt der Managementphase
2.6 Wertbeitrag der Managementphase
2.7 Wertbeitrag des Zyklus in Summe
3 Kostenanalyse
3.1 Direkte Kosten
3.2 Anwendungshürden im Kontext
4 Gesamtbeurteilung
5 Zwischenfazit
G Implikationen
H Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
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Der Realoptionsansatz als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen (Entrepreneurship) (German Edition)
 3835007947, 9783835007949

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Kerstin H. Faaß Der Realoptionsansatz als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen

GABLER EDITION WISSENSCHAFT Entrepreneurship Herausgegeben von Professor Dr. Malte Brettel, RWTH Aachen, Professor Dr. Lambert T. Koch, Universität Wuppertal, Professor Dr. Tobias Kollmann, Universität Duisburg-Essen, Campus Essen, Professor Dr. Peter Witt, WHU – Otto Beisheim School of Management, Vallendar

„Entrepreneurship“ ist ein noch relativ junger Forschungszweig, der jedoch in Wissenschaft und Praxis stetig an Bedeutung gewinnt. Denn Unternehmensgründungen und deren Promotoren nehmen für die wirtschaftliche Entwicklung einen zentralen Stellenwert ein, so dass es nur folgerichtig ist, dem auch in Forschung und Lehre Rechnung zu tragen. Die Schriftenreihe bietet ein Forum für wissenschaftliche Beiträge zur Entrepreneurship-Thematik. Ziel ist der Transfer von aktuellen Forschungsergebnissen und deren Diskussion aus der Wissenschaft in die Unternehmenspraxis.

Kerstin H. Faaß

Der Realoptionsansatz als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Malte Brettel

Deutscher Universitäts-Verlag

Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Dissertation RWTH Aachen, 2007

1. Auflage Mai 2007 Alle Rechte vorbehalten © Deutscher Universitäts-Verlag | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007 Lektorat: Brigitte Siegel / Nicole Schweitzer Der Deutsche Universitäts-Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.duv.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8350-0794-9

Geleitwort

V

Geleitwort Die Bedeutung junger Wachstumsunternehmen ist heute in der Praxis unumstritten: Sie tragen zum strukturellen Wachstum maßgeblich bei und haben dabei eine erhebliche Beschäftigungswirkung. Insofern erscheint es nahe liegend, dass sich auch die betriebswirtschaftliche Forschung immer häufiger diesen als Betrachtungsgegenstand zuwendet. Ein dominanter Weg, das zu tun, ist, die traditionellen unternehmerischen Funktionen auf das neue Betrachtungsobjekt zu übertragen und geeignet anzupassen. So ist beispielsweise ein rege bearbeitetes Feld des „Entrepreneurial Finance“ entstanden. Interessanterweise sind dabei die Beiträge zum Forschungsgebiet des „Entrepreneurial Controlling“ noch in nur sehr begrenzter Zahl existent. Das ist auch für die Praxis insofern bedauerlich, da ein geeignetes Controlling zum Überleben von jungen Unternehmen maßgeblich beitragen kann. Der Mangel an Beiträgen kann unter Umständen auch darauf zurückgeführt werden, dass die Übernahme von Controllinginstrumenten aus etablierten Kontexten nicht uneingeschränkt möglich zu sein scheint. In der Folge wurde als ein alternativer Weg versucht, neue Instrumente und Kennzahlen zu entwickeln, aber auch diese erwiesen sich in der Anwendung problematisch. Eine weitere Idee besteht nun darin, den Suchraum für potenzielle Instrumente zu erweitern. Dabei fällt als ein Instrument, bei dem es sich nicht originär um ein Controllinginstrument handelt, der Realoptionsansatz auf. Er wird in diversen Beiträgen als unter Umständen hilfreich für das „Entrepreneurial Controlling“ eingeschätzt. Eine weitere Untersuchung blieb jedoch bislang aus. Genau an dieser Stelle setzt die vorliegende Schrift von Kerstin Faaß an. Sie hat zum Ziel, ein Controlling für junge Unternehmen theoriebasiert zu erarbeiten und darauf aufbauend, die Eignung des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument zu prüfen. Dabei gelingen ihr interessante Einblicke. Durch die höchst sorgfältige Fundierung werden erstmals die Engpässe junger Unternehmer bei der Führung ihrer Unternehmen in strukturierter Form deutlich. Darauf aufbauend, zeigt Kerstin Faass, welchen Anforderungen Controllinginstrumente für junge Unternehmen überhaupt dienen müssen und vermag durch diese beiden Schritte das Feld des „Entrepreneurial Controlling“ theoretisch zu begründen.

VI

Geleitwort

Klar ist für die weitere Arbeit, dass der Realoptionsansatz nicht als allumfassendes Controllinginstrument für junge Unternehmen dienen kann, doch er vermag gerade bei jungen Unternehmen wichtige Dienste zu leisten: So zeigt Kerstin Faass in interessanter Weise auf, dass insbesondere das Denkmuster des Realoptionsansatzes für junge Unternehmen sehr hilfreich

sein

kann,

vermögen

sie

doch

ihre

teilweise

sehr

risikobehafteten

Entwicklungsschritte viel besser stufenweise zu gehen. Der Realoptionsansatz hilft, die jeweiligen Entscheidungen sehr gut zu unterstützen, was wir alle an dem unserem Lehrstuhl angeschlossenen Gründerkolleg ganz praktisch erleben durften. Dieses Erlebnis sei auch möglichst vielen anderen gegönnt - der Arbeit ist ein breiter Leserkreis zu wünschen.

Malte Brettel

Vorwort

VII

Vorwort Der Mut stellt sich die Wege kürzer vor. (Johann Wolfgang von Goethe) Am Ende des Weges angekommen, bedanke ich mich bei all denen, die diesen mit mir gegangen sind, mich ganz oder stückweise begleitet haben, mir immer wieder neuen Mut geschenkt haben. An erster Stelle gilt dabei mein Dank meinem Doktorvater Professor Dr. Malte Brettel. Ihm danke ich insbesondere dafür, dass er mich meinen Weg hat gehen lassen, mich rechts und links hat schauen lassen, mich vor allzu großen Umwegen bewahrt hat, mich nach Irrwegen wieder auf den richtigen Pfad zurückgeführt hat und mir vor allem niemals Steine in den Weg gelegt hat. Meinem Zweitkorrektor Professor Dr. Harald Dyckhoff danke ich für die Übernahme der Zweitkorrektur und die wertvollen Hinweise und Diskussionen insbesondere zum Ende des Weges, die meine Arbeit nochmals qualitativ vorangebracht haben und sich in jeder Hinsicht gelohnt haben. Meinen Weggefährten am Lehrstuhl – Susanne, Stephan, Caroline, Andreas E., Andreas K., Ludwig, Ralf, René und Thomas, aber auch den externen Doktoranden – möchte ich neben den fachlichen Diskussionen, die den Weg verkürzt haben, insbesondere für all die außeruniversitären Aktivitäten und fachfernen Diskussionen danken, die den Weg haben kürzer erscheinen lassen. Ich freue mich, dass in der gemeinsamen Zeit Freundschaften entstanden sind und sich unsere Wege daher immer wieder kreuzen werden. Birgit möchte ich dafür danken, dass die Persönlichkeit nicht auf der Strecke geblieben ist. Claudia und Charlotte danke ich dafür, dass sie die Baustellen am Wegesrand immer wieder frei geräumt haben. Aber auch außerhalb der Forscherwelt gibt es Personen, denen ich an dieser Stelle danken möchte. Stefanie möchte ich für das unermüdliche Korrekturlesen meiner Arbeit und vor allem ihr – für mich faszinierendes – Sprachgefühl danken. Judith danke ich für ihre positive Lebenseinstellung, mit der sie mich aus so mancher Forscherkrise geholt hat („dass das keine

VIII

Vorwort

Weihnachtsgeschichte ist, wussten wir doch schon vorher“). Edith danke ich für den richtigen Anruf im richtigen Moment. Sebastian danke ich für seinen analytischen Blick, der mich oftmals klarer hat sehen lassen. Andreas, Frank und Rüdiger danke ich für das gemeinsame „Jammern auf hohem Niveau“. Michael danke ich für seine Erfahrung, mit der er mehrfach der richtige Ansprechpartner war. Aber im Prinzip danke ich ihnen allen für eins: die Freundschaft, die ich hoffentlich in der Promotionszeit nicht allzu sehr strapaziert habe. Darüber hinaus danke ich den Eltern meiner Freunde und den Freunden meiner Eltern, die meine Wege aufmerksam beobachten, mich in meinen Vorhaben unterstützen und sich gemeinsam über die Zielerreichung freuen. Nicht zuletzt gilt ein besonderer Dank jedoch meiner Familie. Meinen Eltern danke ich für ihr mir unerschöpflich und doch manchmal strapaziert erscheinendes Verständnis, ihre grenzenlose Unterstützung nicht nur auf diesem Weg und vor allem dafür, dass sie mir – beide jeweils auf ihre Art – beigebracht haben, nachzudenken und Verantwortung zu übernehmen. Meinem Bruder Torsten danke ich dafür, dass er mich gehen lässt und mich dennoch immer auf meinem Weg begleitet. Meinem Verlobten Tobias danke ich dafür, dass er diese Wegstrecke so selbstverständlich mit mir gegangen ist, für seine grenzenlose Geduld, seinen Glauben an mich, mit dem er mir immer wieder Mut geschenkt hat, dass er einfach da war. Ich freue mich auf den weiteren, gemeinsamen Weg! Kerstin H. Faaß

Inhaltsübersicht

IX

Inhaltsübersicht Inhaltsübersicht............................................................................................................... IX Inhaltsverzeichnis............................................................................................................ XI Abbildungsverzeichnis................................................................................................XVII Tabellenverzeichnis...................................................................................................... XIX Abkürzungsverzeichnis ............................................................................................... XXI Symbolverzeichnis.......................................................................................................XXV A

Einleitung ............................................................................................................... 1

1

Problemstellung und Zielsetzung............................................................................... 1

2

Methodologie und Aufbau ........................................................................................ 14

B

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen................................................ 20

1

Controllingansätze im Überblick............................................................................. 21

2

Rationalitätssicherung der Führung als zugrunde gelegtes Controllingverständnis ............................................................................................. 28

3

Kontextspezifisches Verständnis von und Anforderungen an Controllinginstrumente ............................................................................................ 89

4

Zwischenfazit ............................................................................................................. 99

C

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument .................... 101

1

Handlungsspielräume als Bezugsobjekt................................................................ 101

2

Finanzoptionen als Ausgangspunkt....................................................................... 106

3

Übertragung des Optionskalküls auf die reale Ebene ......................................... 131

X

Inhaltsübersicht

4

Zwischenfazit ........................................................................................................... 155

D

Kontextanalyse junger Wachstumsunternehmen .......................................... 158

1

Abgrenzung des Untersuchungsobjektes .............................................................. 158

2

Konstitutive Merkmale junger Wachstumsunternehmen................................... 162

3

Zwischenfazit ........................................................................................................... 177

E

Erkenntnisobjekt Controlling in jungen Wachstumsunternehmen ............. 180

1

Ableitung der Implikationen für die Führungsrationalität................................. 181

2

Ableitung der controllingrelevanten Merkmale junger Wachstumsunternehmen........................................................................................ 199

3

Ableitung der Anforderungen an Controllinginstrumente junger Wachstumsunternehmen........................................................................................ 202

4

Zwischenfazit ........................................................................................................... 212

F

Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen ................................................................. 218

1

Auswahl und Vorstellung eines Denkmodells....................................................... 219

2

Nutzenanalyse .......................................................................................................... 220

3

Kostenanalyse .......................................................................................................... 258

4

Gesamtbeurteilung .................................................................................................. 264

5

Zwischenfazit ........................................................................................................... 274

G

Implikationen ..................................................................................................... 276

H

Fazit und Ausblick............................................................................................. 283

Literaturverzeichnis...................................................................................................... 291

Inhaltsverzeichnis

XI

Inhaltsverzeichnis Inhaltsübersicht............................................................................................................... IX Inhaltsverzeichnis............................................................................................................ XI Abbildungsverzeichnis................................................................................................XVII Tabellenverzeichnis...................................................................................................... XIX Abkürzungsverzeichnis ............................................................................................... XXI Symbolverzeichnis.......................................................................................................XXV A

Einleitung ............................................................................................................... 1

1

Problemstellung und Zielsetzung............................................................................... 1

2

Methodologie und Aufbau ........................................................................................ 14

B

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen................................................ 20

1

Controllingansätze im Überblick............................................................................. 21

2

Rationalitätssicherung der Führung als zugrunde gelegtes Controllingverständnis ............................................................................................. 28

2.1

Grundmodell einer dynamischen Theorie ökonomischer Akteure ............................. 29

2.1.1

Grundelemente des Akteursmodells....................................................................... 30

2.1.1.1 2.1.1.2

Akteurseigenschaften ............................................................................................. 31 Akteurshandlungen................................................................................................. 33

2.1.2

Erweiterung des Grundmodells.............................................................................. 35

2.1.2.1 2.1.2.2 2.1.2.3

Akteure höherer Ordnung....................................................................................... 35 Zusammenspiel der Grundeigenschaften in Form interner Modelle...................... 37 Dynamisierung des Modells durch Lernen ............................................................ 40

2.2

Rationalitätsperspektive .............................................................................................. 44

XII

Inhaltsverzeichnis

2.2.1

Zweck-Mittel-Rationalität als Sollrationalität akteursbezogenen Handelns .......... 44

2.2.2

Begrenzte Rationalität akteursbezogenen Handelns .............................................. 51

2.2.2.1 2.2.2.2 2.2.2.3

„Bounded Rationality“ als Ausgangspunkt............................................................ 52 Rationalitätsbegrenzungen aufgrund unangemessener Problemrepräsentationen . 55 Dynamische Rationalitätsengpässe aufgrund fehlerhaften Lernens....................... 60

2.3

Führungshandlungen ................................................................................................... 62

2.3.1

Ablauf des Führungszyklus im Überblick.............................................................. 64

2.3.2

Idealtypischer Prozess der Willensbildung ............................................................ 67

2.3.3

Idealtypische Formen der Willensdurchsetzung .................................................... 71

2.3.4

Idealtypische Kontrollformen ................................................................................ 72

2.4

Rationalitätssicherung als kontextspezifische und engpassorientierte Controllingfunktion..................................................................................................... 74

2.4.1

Kontextabhängigkeit der Controllingfunktion ....................................................... 75

2.4.2

Engpassorientierung der Controllingfunktion........................................................ 77

2.4.2.1 2.4.2.2 2.4.2.3

Aufmerksamkeit ..................................................................................................... 81 Expertise................................................................................................................. 83 Kontrollmotiv ......................................................................................................... 86

3

Kontextspezifisches Verständnis von und Anforderungen an Controllinginstrumente ............................................................................................ 89

3.1

Kontextspezifisches Verständnis von Controllinginstrumenten ................................. 90

3.2

Kontextspezifische Anforderungen an Controllinginstrumente.................................. 92

3.2.1

Nutzenanalyse ........................................................................................................ 94

3.2.2

Kostenanalyse......................................................................................................... 97

4

Zwischenfazit ............................................................................................................. 99

C

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument .................... 101

1

Handlungsspielräume als Bezugsobjekt................................................................ 101

2

Finanzoptionen als Ausgangspunkt....................................................................... 106

2.1

Prinzip und Funktionsweise der Finanzoptionen ...................................................... 106

2.2

Finanzmathematische Grundlagen zur Bewertung von Optionen............................. 111

2.2.1

Werttreiber des Optionspreises ............................................................................ 111

2.2.1.1 2.2.1.2 2.2.1.3 2.2.1.4

Wert des Underlying ............................................................................................ 112 Volatilität des Underlying .................................................................................... 113 Wert des Ausübungspreises ................................................................................. 113 Laufzeit der Option .............................................................................................. 114

Inhaltsverzeichnis

2.2.1.5 2.2.1.6

XIII

Dividendenzahlungen des Underlying ................................................................. 114 Zinssatz................................................................................................................. 115

2.2.2

Prinzipien der Bewertung..................................................................................... 115

2.2.2.1 2.2.2.2

Prinzip der Portfolioduplikation........................................................................... 116 Prinzip der risikoneutralen Bewertung................................................................. 119

2.2.3

Bewertungsmodelle.............................................................................................. 121

2.2.3.1 2.2.3.2

Analytische Verfahren.......................................................................................... 123 Numerische Verfahren ......................................................................................... 128

3

Übertragung des Optionskalküls auf die reale Ebene ......................................... 131

3.1

Analogie und Grenzen der Analogie zwischen Finanz- und Realoptionen .............. 133

3.2

Arten von Realoptionen ............................................................................................ 139

3.2.1

Wachstumsoptionen ............................................................................................. 139

3.2.2

Lernoptionen ........................................................................................................ 141

3.2.3

Versicherungsoptionen......................................................................................... 142

3.3

Instrumentalcharakter................................................................................................ 145

3.3.1

Investitionsbewertungsinstrument........................................................................ 145

3.3.2

Unternehmensbewertungsinstrument ................................................................... 149

3.3.3

Unternehmenssteuerungsinstrument .................................................................... 151

3.4

Herausforderungen in der Anwendung ..................................................................... 153

4

Zwischenfazit ........................................................................................................... 155

D

Kontextanalyse junger Wachstumsunternehmen .......................................... 158

1

Abgrenzung des Untersuchungsobjektes .............................................................. 158

2

Konstitutive Merkmale junger Wachstumsunternehmen................................... 162

2.1

Alter........................................................................................................................... 164

2.2

Größe......................................................................................................................... 166

2.3

Unternehmerprägung................................................................................................. 169

2.4

Wachstumsorientierung............................................................................................. 172

2.5

Unsicherheit .............................................................................................................. 175

3

Zwischenfazit ........................................................................................................... 177

E

Erkenntnisobjekt Controlling in jungen Wachstumsunternehmen ............. 180

1

Ableitung der Implikationen für die Führungsrationalität................................. 181

XIV

Inhaltsverzeichnis

1.1

Implikationen für die Willensbildung ....................................................................... 182

1.2

Implikationen für die Willensdurchsetzung .............................................................. 191

1.3

Implikationen für die Kontrolle................................................................................. 194

2

Ableitung der controllingrelevanten Merkmale junger Wachstumsunternehmen........................................................................................ 199

3

Ableitung der Anforderungen an Controllinginstrumente junger Wachstumsunternehmen........................................................................................ 202

4

Zwischenfazit ........................................................................................................... 212

F

Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen ................................................................. 218

1

Auswahl und Vorstellung eines Denkmodells....................................................... 219

2

Nutzenanalyse .......................................................................................................... 220

2.1

Ziel und Inhalt der Identifikationsphase.................................................................... 222

2.1.1

Erfassung potenzieller Realoptionen.................................................................... 222

2.1.2

Überprüfung der Optionsanalogie........................................................................ 225

2.1.3

Priorisierung der Realoptionen............................................................................. 229

2.2

Wertbeitrag der Identifikationsphase ........................................................................ 232

2.3

Ziel und Inhalt der Bewertungsphase........................................................................ 234

2.3.1

Auswahl eines Bewertungsmodells...................................................................... 235

2.3.2

Bestimmung der Bewertungsparameter ............................................................... 238

2.3.3

Durchführung der Bewertung............................................................................... 241

2.4

Wertbeitrag der Bewertungsphase ............................................................................ 245

2.5

Ziel und Inhalt der Managementphase ...................................................................... 248

2.5.1

Analyse der Werttreiber ....................................................................................... 248

2.5.2

Ableitung und Auswahl von Wertsteigerungsmaßnahmen.................................. 249

2.5.3

Festlegung der Ausübungsstrategie...................................................................... 251

2.6

Wertbeitrag der Managementphase........................................................................... 253

2.7

Wertbeitrag des Zyklus in Summe ............................................................................ 254

3

Kostenanalyse .......................................................................................................... 258

3.1

Direkte Kosten........................................................................................................... 258

3.2

Anwendungshürden im Kontext................................................................................ 259

3.2.1

Einführung eines weiteren Ansatzes .................................................................... 259

Inhaltsverzeichnis

XV

3.2.2

Positives Unsicherheitsverständnis ...................................................................... 259

3.2.3

Grenzen der Analogie........................................................................................... 260

3.2.4

Komplexität der Modelle ..................................................................................... 261

3.2.5

Symbolische Verwendung.................................................................................... 263

4

Gesamtbeurteilung .................................................................................................. 264

5

Zwischenfazit ........................................................................................................... 274

G

Implikationen ..................................................................................................... 276

H

Fazit und Ausblick............................................................................................. 283

Literaturverzeichnis...................................................................................................... 291

Abbildungsverzeichnis

XVII

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Aufbau der Arbeit............................................................................................ 19 Abbildung 2: Schematische Darstellung des dynamischen Modells ökonomischer Akteure ............................................................................................................ 30 Abbildung 3: Der idealtypische Führungszyklus .................................................................. 63 Abbildung 4: Kriterienkatalog zur Beurteilung von Controllinginstrumenten ..................... 99 Abbildung 5: Asymmetrische Risiko-Ertragsverteilung ..................................................... 104 Abbildung 6: Wertbestimmung der Flexibilität .................................................................. 105 Abbildung 7: Asymmetrisches Zahlungsprofil der vier Basispositionen............................ 108 Abbildung 8: Obere und untere Grenze für Werte einer Call-Option ................................. 110 Abbildung 9: Wertänderung des Call in Abhängigkeit der Kursänderungen des Underlying ..................................................................................................... 117 Abbildung 10: Wertentwicklung des Portfolios.................................................................... 118 Abbildung 11: Klassifizierung von Optionspreismodellen................................................... 123 Abbildung 12: Kumulative Normalverteilung zur Abbildung des Black/Scholes-Modells . 126 Abbildung 13: Binomialbaum............................................................................................... 129 Abbildung 14: Analogie der Werttreiber von Finanz- und Realoptionen............................. 135 Abbildung 15: Entscheidungsmatrix für die Methodenwahl ................................................ 149 Abbildung 16: Matrix zum Flexibilitätsmanagement ........................................................... 153 Abbildung 17: Gründungsarten............................................................................................. 160 Abbildung 18: Konstitutive Merkmale junger Wachstumsunternehmen.............................. 178 Abbildung 19: Schematische Vorgehensweise zur Ableitung der Implikationen für die Willensbildung .............................................................................................. 182 Abbildung 20: Schematische Vorgehensweise zur Ableitung der Implikationen für die Willensdurchsetzung ..................................................................................... 191 Abbildung 21: Schematische Vorgehensweise zur Ableitung der Implikationen für die Kontrolle........................................................................................................ 195 Abbildung 22: „Dreisprung“ des Erkenntnisgewinns ........................................................... 214

XVIII

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 23: Prozessmodell des Realoptionsansatzes........................................................ 221 Abbildung 24: Erfüllung der Auswahlkriterien der Bewertungsmodelle im Überblick ....... 237 Abbildung 25: Matrix zur Hierarchisierung der Realoptionswerttreiber .............................. 249 Abbildung 26: Betrachtung werterhöhender Maßnahmen .................................................... 250 Abbildung 27: Entwicklungsrahmen von Realoptionen ....................................................... 252 Abbildung 28: Nettonutzen des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument junger Wachstumsunternehmen ............................................................................... 272 Abbildung 29: Idealtypische Phasen eines Rationalitätssicherungsprozesses ...................... 277

Tabellenverzeichnis

XIX

Tabellenverzeichnis Tabelle 1:

Arbeiten zum Controlling in jungen Unternehmen.............................................. 4

Tabelle 2:

Arbeiten zu Objekten des Controlling in jungen Unternehmen........................... 6

Tabelle 3:

Arbeiten zu Controllinginstrumenten in jungen Unternehmen ............................ 7

Tabelle 4:

Arbeiten zu artverwandten Themen des Controlling in jungen Unternehmen..... 8

Tabelle 5:

Überblick über die Wirkungsweisen der Werttreiber ...................................... 115

Tabelle 6:

Arten von Realoptionen ................................................................................... 144

Tabelle 7:

Anforderungen an Controllinginstrumente junger Wachstumsunternehmen... 211

Tabelle 8:

Optionsbeispiele aus zwei Betrachtungswinkeln ............................................. 225

Tabelle 9:

Relevanz von Realoptionstypen nach Gründungsphasen................................. 232

Tabelle 10: Wirkungsrichtungen vor- bzw. nachgelagerter Optionen ................................ 243 Tabelle 11: Wirkungsintensität in Abhängigkeit der Wahrscheinlichkeit einer gemeinsamen Ausübung .................................................................................. 243

Abkürzungsverzeichnis

XXI

Abkürzungsverzeichnis AG

Aktiengesellschaft

a.V.

anstatt Vieler

a. M.

am Main

AMR

Academy of Management Review

Aufl.

Auflage

bspw.

beispielsweise

BFuP

Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis

bzgl.

bezüglich

bzw.

beziehungsweise

CAPM

Capital Asset Pricing Model

CEFS

Center for Entrepreneurial and Financial Studies

CEO

Chief Executive Officer

DB

Der Betrieb

DBW

Die Betriebswirtschaft

DCF

Discounted Cash-Flow

d.h.

das heißt

Dr.rer.pol.

Doktor rerum politicarum

E

Electronic

EDV

Elektronische Datenverarbeitung

et al.

et alii

ET&P

Entrepreneurship Theory & Practice

f.

folgende

F&E

Forschung & Entwicklung

ff.

fortfolgende

GEM

Global Entrepreneurship Monitor

XXII

Abkürzungsverzeichnis

ggf.

gegebenenfalls

Gl.

Gleichung

GmbH

Gesellschaft mit beschränkter Haftung

habil.

habilitiert

Hrsg.

Herausgeber

HWWA

Hamburgisches Welt-Wirtschafts-Archiv

i.e.S.

im engeren Sinne

i.S.

im Sinne

insbes.

insbesondere

IT

Information und Telekommunikation

i.w.S.

im weiteren Sinne

Jg.

Jahrgang

JTU

Junges Technologieunternehmen

k.A.

keine Angaben

KMU

Klein- und mittelständische Unternehmen

krp

Kostenrechnungspraxis

M&A

Mergers & Acquisitions

m.w.N.

mit weiteren Nachweisen

No.

Number

Nr.

Nummer

NKW

Nettokapitalwert

o.

oder

PuK

Planung und Kontrolle

R&D

Research & Development

RWTH

Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule

S.

Seite

SME

Small and medium-sized enterprises

Sp.

Spalte

u.

und

Abkürzungsverzeichnis

XXIII

u.a.

unter anderem

Univ.-Prof.

Universitäts-Professor

USA

United States of America

usw.

und so weiter

VC

Venture-Capital

v. Chr.

vor Christus

Vol.

Volume

WHU

Wissenschaftliche Hochschule für Unternehmensführung

WiST

Wirtschaftswissenschaftliches Studium

WISU

Das Wirtschaftsstudium

v.a.

vor allem

vgl.

vergleiche

z.B.

zum Beispiel

ZfB

Zeitschrift für Betriebswirtschaft

ZfbF

Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung

ZfCM

Zeitschrift für Controlling & Management

ZO

Zeitschrift für Organisation

z.T.

zum Teil

zw.

zwischen

Symbolverzeichnis

XXV

Symbolverzeichnis A

Aktiva

B

risikofrei verzinste Anleihe

C

Wert eines Call

CF

Operativer Zahlungsstrohm/Cash-Flow

Cv

variable Kosten

d

Maß der Abwärtsbewegung der Wertentwicklung

D

Dividendenzahlungen

į

Dividendenzahlungen in Prozent

e

Eulersche Zahl

Ȗ

Prozentsatz der Projektwerterhöhung/-verringerung

I

Investition

j

Anzahl positiver Wertentwicklungen

n

Anzahl

N

Kumulative Normalverteilung

p

risikoneutrale Eintrittswahrscheinlichkeit

1-p

Gegenwert der risikoneutralen Eintrittswahrscheinlichkeit

P

Wert eines Put

q

Wahrscheinlichkeit für den günstigen Fall

1-q

Wahrscheinlichkeit für den ungünstigen Fall

r

risikofreier Zinssatz

S

Wert des Basisinstrumentes/Underlying

t

Optionslaufzeit

T

Laufzeitende/Verfallstag

IJ

Restlaufzeit

u

Maß der Aufwärtsbewegung der Wertentwicklung

XXVI

Symbolverzeichnis

V

Kapitalwert der Investitionen/des Projektes

ı

Volatilität

X

Ausübungspreis/Exercise Price

Einleitung

1

A Einleitung 1

Problemstellung und Zielsetzung

Mit der Bedeutung, die jungen Wachstumsunternehmen aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive beigemessen wird,1 haben diese zunehmend als Untersuchungsobjekt in der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung an Relevanz gewonnen.2 Während sich aus volkswirtschaftlicher Perspektive die Untersuchungen auf Beschäftigungswirkung, die Auswirkung auf Wachstum und Wettbewerb sowie den Beitrag zum Strukturwandel und zur Innovationsfähigkeit konzentrieren,3 widmet sich die betriebswirtschaftliche Forschung im weitesten Sinne einerseits der Untersuchung der Erfolgsfaktoren junger Wachstumsunternehmen sowie andererseits der Analyse der Gründe ihrer Misserfolge. Hierzu werden meist spezifische Fragestellungen aus den einzelnen Teildisziplinen der Betriebswirtschaftslehre untersucht.4 Dabei nimmt das Themengebiet des „Entrepreneurial Controlling“5 im Vergleich zu anderen Forschungsgebieten, wie bspw. der Finanzierung

1

Siehe zur gesamtwirtschaftlichen Bedeutung junger Unternehmen bspw. Bögenhold (1994), S. 11-23; Volkert (1994), S. 36-56; Welter/Lageman (1994), S. 168ff.; Händel (1999), S. 9ff.; Egeln (2000), S. 3-32; Audretsch (2002b), S. 13-40; Schefczyk/Pankotsch (2002), S. 35ff.; Audretsch/Fritsch (2003), S. 65-73; Sternberg/Wennekers (2005), S. 193-203; van Stel, et al. (2005), S. 311-321; Wennekers, et al. (2005), S. 293-309; Wong, et al. (2005), S. 335-350.

2

Vgl. u.a. Audretsch (2002a), S. 5-10. Dies zeigt sich nicht zuletzt in der steigenden Zahl an Gründungslehrstühlen im deutschsprachigen Raum. Siehe hierzu Klandt (2004), S. 293ff. Siehe hierzu ebenfalls den Literaturüberblick bei Bronner, et al. (2001), S. 586.

3

Siehe hierzu Schefczyk/Pankotsch (2002), S. 35f.

4

Umfangreiche Literaturanalysen sind bspw. bei Bronner, et al. (2001), S. 581ff.; Audretsch (2002a), S. 2945; Schefczyk/Pankotsch (2002), S. 30ff. zu finden.

5

In Anlehnung an den englischsprachigen Begriff der Gründungsforschung „Entrepreneurship“ werden zumeist Arbeiten einer Teildisziplin mit dem Adjektiv „entrepreneurial“ gekennzeichnet, so beschäftigen sich bspw. Arbeiten zum Themengebiet des „Entrepreneurial Marketing“ mit marketingspezifischen Aspekten junger Unternehmen oder des „Entrepreneurial Finance“ mit finanzierungstheoretischen Fragestellungen junger Unternehmen. Siehe bspw. Stokes (2000a); Stokes (2000b); Stokes (2000a) oder Gruber (2004) zum Themengebiet des „Entrepreneurial Marketing“ sowie Smith/Smith (2000) oder Börner/Grichnik (2005) zum Themengebeit des „Entrepreneurial Finance“.

K. H. Faaß, Der Realoptionsansatz als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen, DOI 10.1007/978-3-8350-9608-0_1, © Deutscher Universitäts-Verlag | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007

2

Einleitung

junger Wachstumsunternehmen,6 bisher nur einen geringen Anteil der Forschungsarbeiten ein. Es ist ein relativ unerforschtes Gebiet.7 Dies zeigt auch – zunächst in quantitativer Hinsicht – eine Literaturanalyse.8 So existieren bis dato 16 Arbeiten zum Controlling in jungen Unternehmen. Diese sind in Tabelle 1 zusammengestellt.9

6

Die Literaturanalyse bei Schefczyk/Pankotsch zeigt, dass das Themenfeld der „Gründungsfinanzierung“ mit weit über 100 Arbeiten, die allein in einen Zeitraum von weniger als fünf Jahren veröffentlicht wurden, zu einem der am meisten erforschten Gebieten zählt. Siehe hierzu Schefczyk/Pankotsch (2002), S. 30-32.

7

Zu dieser Einschätzung kommen auch Achleitner/Bassen (2002), S. 1192; Schefczyk/Pankotsch (2002), S. 32; Achleitner/Bassen (2003b), S. 4.

8

Im Rahmen der Literaturanalyse wurden die folgenden deutsch- und englischsprachigen Fachzeitschriften, inklusive deren Sonder- und Ergänzungshefte, für den Zeitraum 1998 – 2006 (Stand Juni 2006) ausgewertet: Betriebs-Berater, Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis (BFuP), Controlling, Die Betriebswirtschaft (DBW), Die Unternehmung, Entrepreneurship Theory & Practice (ET&P), International Small Business Journal, Journal of Business Venturing, Journal of Small Business & Entrepreneurship, Journal of Small Business Management, Kostenrechnungspraxis (krp) bzw. Zeitschrift für Controlling & Management (ZfCM), Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung (ZfbF), Small Business Economics, The International Journal of Entrepreneurship & Innovation, Zeitschrift für Betriebswirtschaft (ZfB). Zudem wurden die deutschsprachige Monographien zur Thematik des „Entrepreneurial Controlling“ und die einschlägigen Sammelbände zum Thema Entrepreneurship ausgewertet. Aufgrund der uneinheitlichen Terminologie in der deutsch- und englischsprachigen Literatur des Controlling und der damit verbundenen inhaltlichen Verschiebung der Thematik beschränkt sich die Analyse in der englischsprachigen Literatur auf die oben genannten Journals des Themengebietes „Entrepreneurship“. Eine Ausdehnung auf weitere englischsprachige Veröffentlichungen, wie Journals oder Monographien zum Themengebiet des „Accountings“ wurde nach Stichproben für nicht sinnvoll erachtet. Siehe zur Terminologie im Controllingbereich Roso, et al. (2003), S. 56-61. Die Ergebnisse der Literaturanalyse sind in den Tabellen 1-4 zusammengefasst.

9

Sind in den Tabellen 1-3 die Angaben zu dem zugrunde gelegten Controllingverständnis in Klammern gesetzt, so bedeutet dies, dass die jeweiligen Autoren keine explizite Aussage hinsichtlich des zugrunde gelegten Controllingverständnisses machen, dass jedoch aufgrund der getroffenen impliziten Aussagen, davon auszugehen ist, dass das genannte Controllingverständnis gemeint ist.

Einleitung

3

Autor(en) / Betrachtungsobjekt Fröhling (2000) / Controlling in der New Economy

Controllingverständnis (Controlling als spezielle Form der Führung)

Rieg (2000) / Controlling im EBusiness

Controlling als Koordinationsfunktion

Stelter/Strack/Roos k.A. (2000) / Bewertung u. wertorientierte Steuerung von E-BusinessUnternehmen

Controllingrelevante Merkmale - Immaterielle Aktiva u. Produkte als Werttreiber - Branding als immaterielles Asset - Kundenprofile als immaterielle Produkte

Controllinganforderungen im Kontext junger Wachstumsunternehmen Balance zwischen finanziellen, kundenbezogenen u. prozessbezogenen Steuerungsgrößen

Nennung controllingrelevanter Veränderungen durch E-Business - Fallweise bzw. laufende Koordination der Planungs-, Kontrollund New Economy im Allgemeinen u. Informationversorgunssysteme bzw. mehr Flexibilität der Controllingsysteme - Begrenzung und Kanalisierung der Datenflut zur Filterung der entscheidungsrelevanten Informationen - Stärkere Berücksichtigung der Informationstechnik k.A. - Berücksichtigung finanzieller u. nicht-finanzieller Kennzahlen - Bereitstellung der benötigten Datengrundlage sowie belastbarer Bewertungsinstrumente zur Durchführung von Bewertungsrechnungen - Fokussierung auf den wirklichen Werttreiber des Geschäftes: den Kunden

Erben (2001) / Controlling im EBusiness

k.A.

- Steigende Komplexität u. Dynamik des Wettbewerbsumfelds - Verringerung der Markteintritts- u. -austrittsbarrieren - Mehr u. wesentlich schwerwiegendere Gefahrenquellen - Erhebliche Erweiterung des Szenarioraums - Größere Anzahl von Einflussfaktoren - Zunahme von Gemein- u. Fixkosten zu Lasten der Einzel- u. variablen Kosten - Erhebliche Effizienzgewinne in Produktion u. Vertrieb - Zunahme des Anteils digitaler Bestandteile an materiellen o. immateriellen Gütern u. Dienstleistungen - Hohe sunk costs - Erlöse fast vollständig als Deckungsbeiträge verbuchbar - Netzwerke o. virtuelle Unternehmen

- Adäquate Berücksichtigung der veränderten Rahmenbedingungen - Durchführung eines Controlling der E-Business-Aktivitäten - Veränderung der Controllingprozesse - Implementierung von leistungsfähigen Frühwarn- u. Risikomanagmentsystemen - Weitaus stärkere Fokussierung auf das externe Wettbewerbsumfeld - Konzentration auf die immer bedeutenderen Kostenblöcke in den indirekten Unternehmensbereichen - Ausbalancierung des Controlling, so dass die Kooperation mit den Partnern genügend Freiraum erhält, ohne jedoch die eigene Position zu gefährden - Ausrichtung der Instrumente auf das Controlling interorganisationaler Kooperationen

Marr/ Neely/ Adams (2001) / Measuring and Managing Performance in EBusiness (Empirische Untersuchung) Matthes (2001) / Gründungscontrolling

k.A.

k.A.

k.A

Controlling als Koordinationsfunktion

- Existenzgefährdende Offenheit des Gründungsprozesses - Ex- u. interne Systemevolution, unterschiedlich schnelle, bisweilen turbulente, Veränderung von gesellschaftlichen, rechtlichen, kulturellen u. technologischen Rahmenbedingungen, Handlungsoptionen u. -effekten, Markterwartungen sowie persönlichen Verhaltensmustern u. Zielsystemen

Unter Berücksichtigung der angerissenen Aspekte des Gründungscontrolling - Integration in die strategische u. operative Geschäftspolitik, - Interdependenz der potenzial- u. prozessorientierten Steuerungsbereiche - Disjunktivität von Gründungsprozessen u. partielle Offensowie Unsicherheit ihrer Effekte, insbes. Erfolgs-, Finanz- u. Beschäftigungswirkungen in Verbindung mit der - Evolution von Gründungsproblemen u. -plänen - sowie gründungsspezifischer Ziel- u. Bedingungsstrukturen sind die Instrumente (Modelle und Methoden) zur Erkenntnis und Handhabung der Steuerungsprobleme von Gründungsprojekten zu gestalten u. ggf. EDV-gestützt darzustellen

Schäffer/Weber (2001b) / Controlling im EBusiness

Controlling als Rationalitätssicherung der Führung

- Adaptive Unternehmenskulturen - Etablierung geeigneter Steuerungsstrukturen - Realtime-Kommunikation

Weber/Freise/ Schäffer (2001b) / E-Business und Controlling (Empirische Untersuchung) Achleitner/Bassen (2002) Achleitner/Bassen (2003b) / Controlling in jungen Unternehmen

(Controlling als Rationalitätssicherung der Führung)

Bausch/ Walter (2002) / Controlling in jungen High-TechUnternehmen

Controlling als Führungsunterstützungsfunktion

- Zunehmende Geschwindigkeit von Prozessabläufen - Sehr schnelles Wachstum - Neue Möglichkeiten der Informationsgewinnung u. -verarbeitung - Gefahr der Bürokratiefalle u. der Chaosfalle - Geringes Alter - Geringe Größe - Hohes Unternehmenswachstum - Hohe Dynamik - Hohe Wettbewerbsintensität - Neuigkeitsgrad des E-Business - Unternehmer-/Eigentümergeprägt - Kurze Existenz - Dynamische Umwelt - Ressourcenknappheit - Hohe Aufbauinvestitionen v.a. in immaterielle Vermögensgegenstände - Negative Cash-Flows, keine Gewinne - Finanzierung durch VC - Kurze Historie des Unternehmens u. hohe Ungewissheit hinsichtlich der Technologie- u. Marktentwicklung - Hohes Wachstumspotential für die Zukunft bei negativen Ergebnissen u. Cash-Flows in der Gegenwart - Hohe Bedeutung von Investitionen in immaterielle Ressourcen - Veränderte Kostenstrukturen u. Erlösmodelle Zudem situationsspezifische Kontextfaktoren abhängig von der Lebenszyklusphase des jungen Unternehmen Nennung Besonderheiten junger Unternehmen jedoch keine explizite Nennung/Erarbeitung der Controllingrelevanz

- Orientierung an den Finanz- u. Erfolgsgrößen - Geringe Komplexität

Controlling als Rationalitätssicherung der Führung

Bischoff (2002) / Controlling als Gründungscontroll- spezielle Form der ing als Erfolgsfaktor Führung

k.A

- Zentralisierung - Einfachheit - Abbildung der Flexibilität - Abbildung der Liquidität - Dynamisierung und Abbildung der Immaterialität - Alternative relative Erfolgsgrößen - Kompatibilität/Schnittstelle zu VC-Controlling - Zielbezogenheit: Beurteilung des Erfolgspotenzials, barwertorientierte Wertziele, Liquiditätsziele, alternative Erfolgsmaßstäbe - Informationseffizienz: einfache Controllingkonzepte, extern nachvollziehbares und glaubwürdiges Zahlenwerk der Planungsrechnung - Wirtschaftlichkeit und Flexibilität: flexible Reaktion auf veränderte Rahmenbedingungen

4

Einleitung

Autor(en) / Betrachtungsobjekt Fröhling/Oehler (2002) / Controlling im EBusiness Wall (2002a) / Controlling im EBusiness

Controllingverständnis k.A.

Controllingrelevante Merkmale

Controlling als Koordinationsfunktion

- Direkte und indirekte Netzeffekte als ein wichtiger Marktmechanismus - Zahlreiche Erlösmodelle - Kostenstrukturen durch hohe Fixkosten u. geringe Grenzkosten geprägt - Humanvermögen als wesentlicher Werttreiber k.A.

Bassen/ Controlling als Gröne (2003) / RationalitätsControlling von Start- sicherung der up-Unternehmen aus Führung der Perspektive von VC-Gesellschaften (Empirische Untersuchung)

k.A.

Controlling als Nietzer (2003) / spezielle Form der Gestaltung des Führung Controlling in Wachstumsunternehmen und VCGesellschaften

- Spannungsfeld zwischen hohen Anforderungen u. vorhandener Leistungsfähigkeit - Dynamische Kunden- u. Konkurrentenbeziehungen - Massive Wettbewerbsdynamik - Zwang zur schnellen Erreichung der Wettbewerbsfähigkeit u. der Erwartungen an ein überdurchschnittliches Wachstum - Notwendigkeit der flexiblen u. schnellen Reaktion aufgrund niedriger Eintrittsbarrieren - Grenzen in der Erfahrung des Managements - Stark limitierte Ressourcen - Mangelnde Erfahrung im praktischen Umgang - Nichtvorhandensein geeigneter IT-Systeme

Krugger (2005) / Controlling junger innovativer Wachstumsunternehmen

- Signifikantes Chancen- und Risikoprofil - Fehlende o. unzureichende Unternehmenshistorie - Hohe Dynamik u. Komplexität der Unternehmensumwelt sowie die eigene Wachstumsdynamik - Ressourcenknappheit u. eine feststellbare Konzentration der Unternehmensführung auf die Gründerpersönlichkeit(en) - Hoher Kapitalbedarf u. die damit im Allgemeinen verbundene Finanzierung mit haftendem Eigenkapital, insbes. VC

Controlling als Rationalitätssicherung der Führung

Controllinganforderungen im Kontext junger Wachstumsunternehmen Formulierung der Anforderungen an die IT-Unterstützung

- Berücksichtigung nicht-monetärer Größen - Zentrale Bedeutung des Fixkostenmanagements - Berücksichtigung des Humanvermögens

- Klare unternehmensinterne u. -externe Zielkommunikation - Komplexitätsreduktion - Fortlaufende Erfolgsmessung - Fokussierung auf die Strategieumsetzung - Berücksichtigung immaterieller Wertdimensionen - Anpassung an lebenszyklusspezifische Anforderungen - Dynamischer Aufbau des Kennzahlensystems - Fokussierung - Ableitung eines dezidierten Umsetzungs- u. Prioritätenplans für jede Phase - Zielerreichungskontrolle - Vermeidung der Überforderung des Managements - Abbau von Informationsasymmetrien - Frühzeitige Auseinandersetzung mit den Kernprozessen u. damit den Informations- u. Steuerungsbedarfen - Phasenspezifische Definition u. Umsetzung der Steuerungswerkzeuge u. der dazugehörigen Prozesse - Regelmäßige Berichterstattung - Berücksichtigung vorauslaufender finanzieller u. nichtfinanzieller Wertindikatoren - Nachvollziehbarkeit - Integration aller erfolgskritischen Dimensionen - Phasenorientierung bei der inhaltlichen Ausgestaltung bzw. Umfang - Aufbau einer personell qualifiziert besetzten Funktion Controlling - Schlanke Gestaltung hinsichtlich Umfang u. Grad der ITSystemstützung - Abbildung von Chancen u. Risiken - Beachtung u. Verzahnung der strategischen u. operativen Ebene - Schaffung konsistenter Planungsgrundlagen durch Szenariobetrachtungen - Kontinuierliche Abbildung der Liquidität - Notwendigkeit strategischer Frühaufklärung - Ausreichende Berücksichtigung immaterieller Vermögensgegenstände - Schrittweiser/modulartiger Auf- bzw. Ausbau des Controllingsystems - Unterstützung durch externes Controlling-Know-how u. Methodenwissen - Sicherstellung von Flexibilität - Optimale Balance zw. "Bürokratiefalle" u. "Chaosfalle" - Lebenszyklus-/phasenorientiertes Controlling - Einfachheit des Controllingsystems hinsichtlich Konzeption, Implementierung, Betreuung u. Entwicklung - Strenge Orientierung an den Anforderungen des Beteiligungscontrolling - Effiziente Schnittstelle zum Beteiligungscontrolling in VCGesellschaften - Strenge Zukunftsorientierung - Beachtung aller relevanten Erfolgsgrößen - Konsequente Wertorientierung

Tabelle 1: Arbeiten zum Controlling in jungen Unternehmen

Darüber hinaus existieren – wie Tabelle 2 zeigt – elf Arbeiten mit einer Betrachtung spezifischer Objekte des Controlling10 in jungen Unternehmen.

10

Unter Objekten des Controlling werden bestimmte Bereiche verstanden, auf die sich die jeweilige Controllingdiskussion fokussiert.

Einleitung Autor(en) / Betrachtungsobjekt Hartl (2002) / Kosten- und Erfolgscontrolling in jungen Unternehmen

5 Controllingverständnis Controlling als spezielle Form der Führung

Gruber/Harhoff/Tausend (Controlling als (2003) / KoordinationsControlling der finanziellen funktion) Unternehmensentwicklung

Controllingrelevante Merkmale (in Bezug auf das Objekt) Aspekt: Merkmal - Gründer: Anzahl, Anforderungen - Leistung: Programm, Erstellung - Information: Quellen - Business Plan: Existenz, Funktion/ Adressatenkreis - Finanzierung: Phasen, Formen/Quellen - Wachstum: Ursachen, Einflußfaktoren, Erfordernisse, Gefahren - Organisation: Struktur - Krisen: Arten - Hoher Kapitalbedarf

Controllinganforderungen (in Bezug auf das Objekt) im Kontext junger Unternehmen Merkmale/Ausgestaltung des Controlling in jungen Unternehmen: - Funktionen: Anpassungs- u. Innovationsfunktion, Rationalitätssicherung der Führung - Ausrichtung: Operatives Controlling - Positionierung: Zentral - Fokus: Kosten u. Erlöse - Dimensionen: Projekte u. Perioden

- Liquiditätssicherung - Koordination von Investitions- u. Finanzierungsentscheidungen - Steuerung von Finanzrisiken

Lück/Henke (2003) / Risikocontrolling

Controlling als spezielle Form der Führung

Bezug auf Achleitner/Bassen (2002)

Reichwald/Deking (2003) / Controlling der Knowledge Assets u. Prozesse von jungen Unternehmen Scheer/Kupsch/Schneider (2003) / Controlling der internen Geschäftsprozesse

k.A.

k.A.

Controlling im Sinne einer effizienten Steuerung/Erfolgskontrolle

- Knappe finanzielle u. personelle Ressourcen - Situativ "nach Gefühl" ausgeführte Geschäftsprozesse - Inhaltliche u. organisatorische Veränderungen - Informationsmangel

- Identifizierung geeigneter Kennzahlen - Berücksichtigung quantitativer Größen u. nicht-metrischer qualitativer Faktoren - Evolutionäres Vorgehen bei Prozessdokumentation

Seidenschwarz/Brinkmann/ (Controlling als Linnemann/Grandl (2003) / spezielle Form der Kundenorientierung im Führung) Controlling junger Wachstumsunternehmen

- Organische Struktur - Hohe Dynamik u. Komplexität - Großer Enthusiasmus des Gründers bzw. Gründerteams - Kurze Existenz, geringe Größe

Balance zwischen: - Organischen u. mechanischen Steuerungssystemen - Kurzfristigen u. langfristigen Steuerungsgrößen - Finanziellen u. nicht-finanziellen Steuerungsgrößen

Stahl (2003) / Controlling für VCGesellschaften

- Unternehmergeprägte Entscheidungen - Nur bedingt historische Daten - Ressourcenknappheit - Hohe Anlaufinvestitionen - Negative Cash-Flows

- Einfaches, flexibles u. zentrales System (bedienbar durch das Management) - Vergleich von Planwerten aus der Finanzplanung mit Istwerten aus der Finanzbuchhaltung in unterschiedlichen Aggregationsschemata u. für verschiedene Zeiträume (Monat, Quartal, Jahr) - Einfaches Reporting in Form von individuellen Kennzahlen, Finanzdaten, einem Liquiditätsstatus, verbalen Beschreibungen u. Grafiken im Zeitablauf für die wesentlichen, relevanten Größen - Kurzfristige Liquiditätsplanung auf Basis von Istwerten bis zum aktuellen Zeitpunkt u. Planwerten o. aktuelleren Schätzwerten für die nächsten Monate - Möglichkeiten für Szenarioanalysen - Erfassung u. Bewertung immaterieller Vermögensgegenstände bzw. Abschätzungen zur Unternehmensbewertung - Schnittstellen zum Controllingsystem der VC-Gesellschaft

- Unternehmerorientierte Entscheidungsstrukturen - Finanzierung u. Eigenkapitalausstattung - Umweltdynamik - Forschung u. Entwicklung - Ressourcenknappheit

- Möglichkeit der Reaktion auf Veränderungen - Aufnahme der Erwartungshaltung der maßgeblichen externen Stakeholder - Möglichkeit der Ableitung von Steuerungsinformationen für Prozesse u. Mitarbeiter - Funktionsfähigkeit - Handhabbarkeit

k.A.

(Controlling als Sußbauer/Westphalspezielle Form der Westenacher (2003) / Führung) Implementierung eines risikoorientierten Steuerungsu. Überwachungssystems

- Einführung und transparente Gestaltung von Standards für die Unternehmensführung, -verwaltung u. -überwachung - Verbesserung der Haftungsfragen - Herausbilden einer Risikokultur - Formulierung risikopolitischer Grundsätze Wachstumsunternehmen müssen ein entsprechendes Controllingverständnis entwickeln, um den Anforderungen des Risikocontrolling gerecht werden zu können k.A.

6

Einleitung

Autor(en) / Betrachtungsobjekt Voigt/Erhardt/ Ingerfeld (2003) / Innovationscontrolling in jungen Unternehmen

Controllingverständnis Controlling als Koordinationsfunktion

Controllingrelevante Merkmale (in Bezug auf das Objekt) - Identität Innovator u. (Mit-)Gründer - Sach- u. technologieorientiert/fehlende Markterfahrung - Höheres (finanzielles) Risiko - Inkremental/gründungsbegleitend - Wissens- und Kompetenzaufbau - Beschränkung auf knappe eigene Ressourcen - Konzentration auf existenzentscheidendes erstes Produkt - Dominanz der Humanressourcen - Schnelle u. flexible Entscheidungen - Kostenvorteil durch nicht-existierenden Overhead - Beschränkung auf regionale Märkte - Radikale Innovationen fördernde Gründerkultur

von Einem/Tränkle (2003) / Controllingsysteme für Investoren im Rahmen von VC-Verträgen

Controlling als Informationsversorgungsfunktion

- Innovatives Produkt - Mangelnde betriebswirtschaftliche Erfahrung - Gewerbliche Schutzrechte = lebensnotwendiges Rückgrat

Schorcht (2004) / Risikomanagment u. Risikocontrolling junger Unternehmen in Wachstumsbranchen

Controlling als Subsystem der Führung mit einer Koordinations- und Informationsversorgungsfunktion

- Veränderungen - Dynamik u. zunehmende Komplexität - Wachstum - Turbulentes Unternehmensumfeld

Controllinganforderungen (in Bezug auf das Objekt) im Kontext junger Unternehmen - Zentralisiertes System - Mehr projekt- als bereichsbezogen - Integration der Ziele - Einfaches System - Wissensaufbau - Übergeordnete Bedeutung der Budgetkontrolle - Freiräume/Flexibilität - Vorbereitung auf das geplante Wachstum bzw. Voraussetzungen für eine Anpassung der Controllingkonzeption: - Rechtzeitige Delegation der Controllingaufgabe - Rechtzeitige Installation des Bereichscontrolling - Integration der Ziele - Systemkomplexität parallel zur Unternehmenskomplexität erhöhen - Wissenszugriff - Prioritätenverschiebung - Richtiger Zeitpunkt der Formalisierung und Institutionalisierung - Abbau von Informationsasymmetrien - Bezug auf Finanzdaten u. Vertragswesen, insbes. bzgl. Umgang mit den gewerblichen Schutzrechten - Stetige flexible Anpassung des Controlling im Verlauf der Unternehmensentwicklung - Den jeweiligen Bedingungen der Entwicklungsphase entsprechende Anpassung der funktionalen, instrumentalen u. institutionalen Anforderungen an das Controlling - Entwicklung eines in Abhängigkeit von Unternehmensgröße u. Wachstum des Unternehmens angepassten Planungs- u. Kontrollsystems sowie eines Informationsversorgungssystems - Aufbau der Informations- u. Koordinationsstrukturen - Schaffung von Informationsgrundlagen, die Einrichtung eines externen u. internen Rechnungswesens sowie das Initiieren eines sich verstetigenden Planungs- u. Kontrollprozesses - Gerechtwerden der steigenden Anforderungen an die Planung, Steuerung, Kontrolle u. Informationsversorgung im Rahmen der Wachstumsphase - Koordination der wachsenden Strukutren u. Vielfalt an Unternehmensaufgaben - Anpassung an neue Herausforderungen

Tabelle 2: Arbeiten zu Objekten des Controlling in jungen Unternehmen

Der Untersuchung der Eignung oder Ausgestaltung bestimmter Controllinginstrumente für junge Unternehmen widmen sich acht Arbeiten. Diese sind in Tabelle 3 zusammengefasst. Autor(en) / Instrument

Controllingver- Controllingrelevante Merkmale ständnis

Hommel/ Controlling als Lehmann (2001a) / RationalitätsRealoptionen sicherung der Führung

- Kerneigenschaft: Optionen auf neu entstehende Wachstumsmärkte - Fehlende prognostizierbare Cash-Flows u. negative Ergebnisse in der Anlaufphase - Spezifisches Risikoprofil

Matthes/Arendt/ Pütz (2001) / EDV-gestützte Instrumente des Gründungscontrolling

(Controlling als Koordinationsfunktion)

Bezug auf Matthes (2001)

Schäffer/Weber/ Freise (2002) / Kennzahlensysteme

(Controlling als Rationalitätssicherung der Führung)

- Geringes Alter - Geringe Größe - Hohes Unternehmenswachstum - Hohe Dynamik - Hohe Wettbewerbsintensität - Neuigkeitsgrad des E-Business

Controllinganforderungen im Kontext junger Unternehmen / Anforderungen an das Controllinginstrument - Offenlegung u. Diskussion intuitiver Einschätzungen - Erweiterung des Problemverständnisses - Genaue Analyse u. Erklärung der stratgischen Werte - Überwindung der Einschränkung des betrachteten Alternativenraums - Unterstützen des Denken in Optionen - Berücksichtigung der Einflüsse von Unsicherheit und Flexibilität auf den Projektwert - Integration von Budgetierungs- u. Strategieentscheidungen - Strukturierung komplexer Entscheidungsprobleme - Schaffung von Transparenz - Lieferung von Hinweisen für ein proaktives Management von Optionen - Effizienter Lösungs- bzw. Unterstützungsbeitrag (systematische Abbildung, Ableitung situativer Aussagen über Problemlösungsoptionen) innerhalb der betreffenden Controllingprozesse mit dem Ziel der Verbesserung der Komplexitätsbewältigung im Vergleich zu anderen nicht IT-gestützten Methoden - Möglichkeit zur kontinuierlichen Nutzung auch über das Gründungscontrolling hinaus, um Lernaufwand zu minimieren - Berücksichtigung gründungsspezifischer Controllingbudgets sowie Mindestanforderungen an Controllingaussageninhalte bzw. Planungsergebnisse - Verstärkte Nutzung nicht-monetärer Kennzahlen - Überwindung der Dominanz trafficbezogener Kennzahlen - Einführung weiterer, sinnvoller Kennzahlen

Einleitung

7

Autor(en) / Instrument

Controllingver- Controllingrelevante Merkmale ständnis

Arnaout/ Gleich (2003) / Kostenrechnung und Kostenmanagement

k.A.

Ballwieser (2003) / k.A. Externes Rechnungswesen

Friedl (2003a) / Realoptionen

(Controlling als Informationsversorgungsfunktion)

Controllinganforderungen im Kontext junger Unternehmen / Anforderungen an das Controllinginstrument

- Unternehmer-/Eigentümergeprägt - Kurze Existenz - Dynamische Umwelt - Ressourcenknappheit - Hohe Aufbauinvestitionen - Immaterielle Vermögensgegenstände - Negative Cash-Flows, keine Gewinne - Finanzierung durch VC

- Zentrales System - Einfache Systeme - Widerspiegelung der Flexibilität - Abbildung der Liquidität - Möglichkeit dynamischer Rechnungen - Erfassung u. Bewertung immaterieller Vermögensgegenstände - Integration alternativer Erfolgsgrößen - Schnittstelle zu VC-Controlling Zudem Anforderungen an das produktorientierte, das prozessorientierte u. das ressourcenorientierte Kostenmanagement Nennung Besonderheiten junger Unternehmen jedoch - Informations- und Zahlungsbemessungsfunktion der Rechnungslegung keine explizite Nennung/Erarbeitung der - Vollständiges System an Regeln Controllingrelevanz - Eindeutigkeit u. Verständlichkeit - Wahlrechtsfreiheit - Belastbarkeit i.S. einer Nichtveränderbarkeit - Hohe Unsicherheit über den Geschäftserfolg - Ständige Informationsbeschaffung u. -aktualisierung - Finanzierung durch Wagniskapital - Zeitnahe Berücksichtigung der Informationen im operativen u. strategischen - Fehlende Historie Planungsprozess - Hoher Spezialisierungsgrad - Ableich der ursprünglich erwarteten Wachstumspotentiale mit den gegenwärtig zu erwartenden Möglichkeiten - Zahlungsorientierte Betrachtungen zwecks Rückschlüsse auf die Liquiditätssituation u. zukunftsorientierter Investitionsrechenverfahren - Abstimmung der Planungs-, Informations- u. Kontrollsysteme auf die Anforderungen der Investoren - Sicherstellung der laufenden Beobachtung der wertrelevanten Einflussfaktoren - Identifizierung u. Messung der Unsicherheitsfaktoren - Erarbeitung von Entscheidungsalternativen als Reaktion auf die Auflösung der Unsicherheit

Kollmann/ (Controlling als Kuckertz (2003) / InformationsShareholder Value- versorgungsAnsatz funktion)

- Externe Unsicherheit - Mangel an finanziellen Mitteln - Neuaufbau der Unternehmensstrukturen - Externe Investoren - Kernaufgabe: Wertsteigerung

- Abbildung quantitativer u. qualitativer Werttreiber - Flexible Anpassungsmöglichkeiten - Anpassungsmöglichkeiten an das Controlling des Wagnisfinanziers

Schäffer/Weber (2003) / Balanced Scorecard

- Hohes Maß an Dynamik - Zeit als kritischer Wettbewerbsfaktor - Gefahr der "Bürokratiefalle" u. der "Chaosfalle"

- Adaptive Unternehmenskulturen - Begrenzte, aber akzeptierte Menge fester Strukturen - Realtime-Kommunikation - Klare Definition von Verantwortlichkeiten sowie Aufbau einer Aufbau- u. Ablauforganisation - Aufbau einer formalisierten u. differenzierten Unternehmensplanung sowie Ableitung von Zielvereinbarungen - Schaffung von Transparenz über Ist- u. Sollwerte in der Form eines zeitnahen Berichtswesens

Controlling als Rationalitätssicherung der Führung

Tabelle 3: Arbeiten zu Controllinginstrumenten in jungen Unternehmen

Zudem sind in Tabelle 4 solche Arbeiten zusammengefasst, die im weitesten Sinne mit dem Themengebiet des „Controlling“ in jungen Unternehmen in Verbindung gebracht werden können.11

11

Die Darstellung in Tabelle 4 erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, da es eine Frage der Definition und Abgrenzung ist, welche Themengebiete in Verbindung zu Controlling im Allgemeinen stehen. Siehe hierzu auch später die Controllingdiskussion im Kapitel B1 dieser Arbeit.

8

Einleitung

Autor(en) Bittner/Krause (2001) Botta (2001) Hess (2001) McMahon (2001)

Betrachtungsobjekt E-Commerce und Risk-Management Organisation des Rechnungswesens Controlling eines virtuellen Unternehmens Business Growth and Performance and the Financial Reporting Practices of Australian Manufacturing SMEs Trautwein/Vorstius (2001) WebMetrics - die Bedeutung von nicht-monetären Größen für die Bewertung von E-Business-Unternehmen von Rosen/Herdina (2001) Investor Relations und Analystenveranstaltungen als Folgepflichten für Unternehmen auf dem Neuen Markt Altenburger (2002) Risikomanagement für Gründer Scherrer (2002) Rechnungslegung und Prüfung bei Gründung Everling (2003) Rating Fischer/Holzkämper/Mendel (2003) Auswirkungen von Basel II auf das Unternehmens-Controlling Schenk (2003) Standardisierung im Berichtwesen Theisen (2003) Controlling - Element eines Aufsichtsratsreporting

Tabelle 4: Arbeiten zu artverwandten Themen des Controlling in jungen Unternehmen

Der noch geringen Anzahl an Forschungsarbeiten zum Themengebiet des „Entrepreneurial Controlling“ steht gleichwohl ein hoher Praxisbedarf gegenüber. Dieser wird in einer Reihe von Praktikerbeiträgen12 thematisiert und findet am deutlichsten Ausdruck in der Erkenntnis, dass oftmals gerade ein Mangel an Controlling eine der wesentlichen Ursachen für das Scheitern junger Unternehmen ist.13 Vor diesem Hintergrund entstanden in der jüngeren Vergangenheit14 einige Untersuchungen, die der Frage nach der Ausgestaltung des Controlling in jungen Wachstumsunternehmen

12

Siehe bspw. Hoffmann (2000); Brettel/Heinemann (2001); Grothe (2001); Schubert/Kämker (2001); Tümpen/Althammer (2001); Czekala (2002).

13

Vgl. Achleitner, et al. (2001), S. 37ff.; Bausch/Walter (2002), S. 433; Dowling (2002), S. 24-26; Schäffer, et al. (2002), S. 357; Weber, et al. (2001b), S. 11.

14

Wie die Literaturanalyse zeigt, wird der Thematik des „Entrepreneurial Controlling“ seit dem Jahr 2001 vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt. Siehe hierzu im Wesentlichen die Tabellen 1-4.

Einleitung

verstärkt

9

Beachtung

schenkten.15

Einigkeit

herrscht

darüber,

dass

klassische

Controllinginstrumente für junge Unternehmen kaum geeignet sind. Sie vermögen das Wesen junger Unternehmen nur ungenügend zu erfassen. Eine unreflektierte Übernahme oder Anpassung klassischer Controllinginstrumente könnte beträchtliche Auswirkungen auf die Beurteilung und Steuerung junger Unternehmen haben.16 Im Zuge dessen wurden Versuche unternommen, neuartige Kennzahlen zu entwickeln, wie bspw. „Click-Rates“ bei Internetunternehmen.17 Jedoch erwies sich deren Verwendung in der Praxis zumeist auch als unbefriedigend. ACHLEITNER/BASSEN kommen diesbezüglich zu dem Schluss, dass „die Notwendigkeit eines Controlling erkannt, die Form der Ausgestaltung jedoch noch nicht konsensfähig ist“18. Aus diesem Missstand erwächst die Zielsetzung der vorliegenden Arbeit. Der Grund der mangelnden Konsensfähigkeit bzgl. der Eignung von Controllinginstrumenten für junge Wachstumsunternehmen mag dabei an anderer, „früherer“ Stelle der Forschung des Controlling in jungen Unternehmen zu finden sein. Die nähere Betrachtung der Veröffentlichungen zum Thema „Entrepreneurial Controlling“ zeigt, dass trotz erster wichtiger Erkenntnisse wesentliche Fragestellungen noch unbeantwortet blieben und essenzielle Vorleistungen noch nicht erbracht wurden.19

15

Wie anhand der in Tabelle 1 zusammengefassten Betrachtungsobjekte zu sehen ist, wurde die Thematik zunächst von Seiten des E-Business angegangen und später auf junge Unternehmen im Allgemeinen übertragen. Siehe zu den unterschiedlichen Klassen der jungen Unternehmen die Ausführungen in Kapitel D1 dieser Arbeit. Bzgl. der Schnittstellen zwischen den Themenbereichen „E-Business“ und „Controlling“ lassen sich zwei Perspektiven unterscheiden. Zum einen stellt E-Business ein Objekt des Controlling dar und zum anderen liefert E-Business als Unterstützungsfunktion dem Controlling neue technische Möglichkeiten. Siehe zu dieser Unterscheidung auch den Überblick bei Wall (2002a); S. 381f. Untersuchungen, die sich mit letzterem Themengebiet auseinandersetzen, wie bspw. Hartmann (2001) sowie Untersuchungen, die sich den Herausforderungen des Controlling in Bezug auf E-Business an sich – meist in etablierten Unternehmen – widmen, wie bspw. Rieg/Teichert (2000); Scheer/Breitling (2000); Seidenschwarz/Knust (2000); Arnold/Eßig (2001); Eggers (2001); Link/Schmidt (2001) wurden nicht mit in die Literaturauswertung aufgenommen, da diese Untersuchungen in keiner Beziehung zu den Besonderheiten junger Unternehmen und den damit verbundenen Anforderungen an das Controlling stehen. Das erhöhte Interesse an der Thematik des „Entrepreneurial Controlling“ spiegelt sich auch in zwei Sonderheften, nämlich Heft 8/9 2000 der Zeitschrift Controlling und das Sonderheft 2/2001 der krp, sowie in dem Herausgeberband von Achleitner/Bassen (2003a) wider.

16

Vgl. Achleitner/Bassen (2002), S. 1192.

17

Vgl. Bausch/Walter (2002), S. 452; Weber, et al. (2001b), S. 37; Achleitner/Bassen (2003b), S. 4.

18

Achleitner/Bassen (2003b), S. 4.

19

Siehe hierzu und der nachfolgenden Diskussion im Wesentlichen die Tabellen 1-3.

10

Einleitung

So herrscht zwar weitestgehend Einigkeit darüber, dass die besonderen Anforderungen an das Controlling in jungen Unternehmen in den spezifischen Merkmalen derselben begründet liegen. Jedoch besteht dann Uneinigkeit darüber, welches die controllingrelevanten Merkmale junger Unternehmen sind.20 Die meisten Diskussionen beschränken sich auf die Auflistung von drei bis acht Merkmalen, deren Controllingbezug nicht immer sofort ersichtlich ist.21 Einige Autoren beschränken sich sogar darauf, Besonderheiten junger Unternehmen im Vergleich zu etablierten Unternehmen zu nennen, ohne deren Controllingrelevanz herauszuarbeiten.22 Dieser

Sachverhalt

mag

darauf 23

controllingrelevanten Merkmale

zurückzuführen

sein,

dass

eine

Ableitung

der

zumeist ohne konkrete Controllingdiskussion erfolgt.

Oftmals bleibt ungeklärt, welches Controllingverständnis der Untersuchung zugrunde liegt.24 Selbst in den Fällen, in denen der Betrachtung eine solche Controllingdiskussion vorangestellt wird, erfolgt keine direkte Spiegelung der Merkmale an der Controllingfunktion. So beziehen

20

Siehe zur Verdeutlichung die Auflistungen der in den jeweiligen Arbeiten genannten „Controllingrelevante Merkmale“ in den Tabellen 1-3. Siehe auch Achleitner/Bassen (2002), S. 1192; Achleitner/Bassen (2003b), S. 4f.

21

Siehe zur Verdeutlichung die Auflistungen der in den jeweiligen Arbeiten genannten „Controllingrelevanten Merkmale“ in den Tabellen 1-3.

22

Siehe zur Verdeutlichung die Auflistungen der in den jeweiligen Arbeiten genannten „Controllingrelevanten Merkmale“ in den Tabellen 1-3. Siehe insbesondere Bischoff (2002), S. 127-145 und Ballwieser (2003), S. 159-173. Zudem existieren Arbeiten, die wiederum keine Angaben zu den controllingrelevanten Merkmalen junger Unternehmen machen. Siehe hierzu Stelter, et al. (2000), S. 409-415; Marr, et al. (2001), S. 12-20; Fröhling/Oehler (2002), S. 179-188; Bassen/Gröne (2003), S. 293-299; Reichwald/Deking (2003), S. 117156.

23

Sofern eine solche vorgenommen wird.

24

So machen bspw. Erben (2001); Arnaout/Gleich (2003); Stahl (2003) sowie die weiteren mit „k.A.“ gekennzeichneten Arbeiten in den Tabellen 1-3 keine Angaben (k.A.) dazu, was sie unter Controlling verstehen. Wie jedoch die Diskussion in Kapitel B1 zeigen wird, kann von keiner einheitlichen, allgemeingültigen Controllingdefinition ausgegangen werden. Eine Klärung des Controllingverständnisses erscheint daher als unabkömmlich. Sind die Angaben zu den zugrunde gelegten Controllingverständnissen in den Tabellen 1-3 in Klammern gesetzt, so bedeutet dies, dass auch in diesen Arbeiten keine explizite Aussage zum zugrunde gelegten Controllingverständnis getroffen wurde, dass jedoch aufgrund der getroffenen impliziten Aussagen davon auszugehen ist, dass das genannte Controllingverständnis gemeint ist. Sieheh hierzu nochmals Fußnote 9. Siehe hierzu Fröhling (2000); S. 223ff; Matthes, et al. (2001), S. 341ff.; Schäffer, et al. (2002), S. 355ff.; Friedl (2003a), S. 239ff.; Gruber, et al. (2003), S. 27ff.; Kollmann/Kuckertz (2003), S. 199ff.; Seidenschwarz, et al. (2003), S. 51ff.; Sußbauer/WestphalWestenacher (2003), S. 359ff.

Einleitung

11

sich bspw. ACHLEITNER/BASSEN in ihrer Diskussion der controllingrelevanten Merkmale auf den Rationalitätssicherungsansatz von WEBER und berufen sich auf die Kontextspezifität der Controllingfunktion. Im Rahmen der Kontextanalyse zur Ableitung der controllingrelevanten Merkmale bleibt die Controllingfunktion – in diesem Fall die der Rationalitätssicherung – jedoch außen vor. Es wird nicht oder nur bedingt ersichtlich, inwiefern aus den betrachteten Merkmalen, wie bspw. aus den hohen Aufbauinvestitionen ein Rationalitätsdefizit resultiert.25 Dieses Beispiel steht exemplarisch für das Vorgehen in einem Großteil der Arbeiten.26 Es bleibt gewissermaßen ungeklärt, „woher“ die controllingrelevanten Merkmale kommen, bzw. was das Controllingspezifische an ihnen ist. Zudem muss in diesem Zusammenhang die Frage gestellt werden, ob Analysen, denen keinerlei oder nur bedingt ersichtlich ein Schema zur Ableitung zugrunde gelegt wird, den Anspruch auf Vollständigkeit erheben können. Offen bleibt, ob eventuell bisher relevante Merkmale nicht betrachtet wurden. Da die controllingrelevanten Merkmale jedoch die Basis der Anforderungen an das Controlling in jungen Unternehmen bilden, setzen sich die Mängel der Merkmalsdiskussion auf der nächsten Ebene fort. Zudem führt auch in diesem nächsten Schritt – der Ableitung der Anforderungen aus den Merkmalen – das Ausbleiben der Controllingdiskussion zu weiteren Schwierigkeiten. So leiten bspw. ACHLEITNER/BASSEN für das oben genannte Beispiel des Merkmals der hohen Aufbauinvestitionen als Controllinganforderung die Anforderung der Dynamisierung ab.27 Es bleibt wiederum offen, wie mit den entsprechenden Anforderungen eine Controllingfunktion erfüllt werden kann und in diesem Fall die Rationalität gesichert werden soll. Auch dieses Beispiel lässt sich exemplarisch auf einen Großteil der anderen Arbeiten übertragen.28 Darüber hinaus muss festgestellt werden, dass in einer Vielzahl der Arbeiten die Controllinganforderungen nicht explizit genannt werden oder der Bezug zu

25

Siehe hierzu detailliert Achleitner/Bassen (2003b), S. 12ff. sowie in ähnlicher Weise die weiteren in den Tabellen 1-3 aufgeführten Beiträge.

26

So definiert Hartl gar in ihrer Arbeit zunächst Controlling als spezielle Form der Führung und stellt dann später heraus, dass Controlling im Kontext junger Unternehmen die Funktion der Sicherstellung rationaler Führung übernimmt. Ein Bezug zur Rationalitätssicherung wird wiederum nicht hergestellt. Siehe hierzu Hartl (2002), S. 10f. und S. 53. Voigt et al. sprechen wiederum Controlling eine Koordinationsfunktion zu und stellen fest, dass Koordinationsaspekte in jungen Unternehmen zunächst in den Hintergrund treten. Dennoch erarbeiten sie eine Reihe von controllingrelevanten Merkmalen und Controllinganforderungen junger Unternehmen. Siehe hierzu Voigt, et al. (2003), S. 102 und S. 109ff.

27

Siehe hierzu detailliert Achleitner/Bassen (2003b), S. 12ff.

28

Siehe hierzu die Tabellen 1-3.

12

Einleitung

jungen Unternehmen nicht ersichtlich ist. Oftmals unterscheiden sich die genannten Anforderungen kaum von denen an das Controlling etablierter Unternehmen.29 So lange jedoch die Frage nach den Anforderungen an ein Controlling und damit auch den Controllinginstrumenten für junge Unternehmen nicht geklärt ist, kann im Prinzip auch keine Beurteilung derselben hinsichtlich ihrer Eignung erfolgen. Jedoch lässt sich feststellen, dass ein Großteil der Untersuchungen den Wertbeitrag des jeweils betrachteten Instrumentes darstellen, ohne vorab geklärt zu haben, ob die Erfüllung dieser Anforderungen für junge Unternehmen von Relevanz ist und ob es darüber hinaus noch weitere Anforderungen gibt, die das Instrument eventuell nicht erfüllt.30 Im Rahmen der Literaturanalyse zum „Entrepreneurial Controlling“ fiel noch ein weiterer interessanter Aspekt auf. So ließen sich in einigen der Arbeiten, die sich explizit der Untersuchung von Controllinginstrumenten widmeten, Hinweise darauf finden, dass der Realoptionsansatz wertvolle Beiträge im Controlling junger Unternehmen zu leisten vermag.31 Dies ist umso erstaunlicher, als der Realoptionsansatz in seiner ursprünglichen Funktion ein Bewertungsinstrument und kein originäres Controllinginstrument32 darstellt. Die bisherigen Untersuchungen konzentrierten sich diesbezüglich in erster Linie auf die Bewertungsfunktion des Realoptionsansatzes. Eine umfassende und fundierte Untersuchung des Wertbeitrages, die auch weitere Funktionen über die reine Bewertungsfunktion hinaus berücksichtigt, blieb jedoch bisher jeweils unter Verweis auf die Komplexität des Ansatzes und die Schwierigkeiten der Anwendung in der betrieblichen Praxis aus.

29

Siehe hierzu die in der Spalte „Controllinganforderungen im Kontext junger Wachstumsunternehmen“ in Tabelle 1, die in der Spalte „Controllinganforderungen (in Bezug auf das Objekt) im Kontext junger Wachstumsunternehmen“ in Tabelle 2 sowie die in der Spalte „Controllinganforderungen im Kontext junger Wachstumsunternehmen/Anforderungen an das Controllinginstrument“ in Tabelle 3 aufgeführten Beispiele.

30

So bspw. Hommel/Lehmann (2001a), S. 15-21. Die in der Spalte „Controllinganforderungen im Kontext junger Unternehmen/Anforderungen an das Controllinginstrument“ der Tabelle 3 aufgeführten Punkte sind somit nicht immer das Ergebnis einer in den jeweiligen Arbeiten vorgenommenen Ableitung der Anforderungen. Oftmals handelt es sich hierbei lediglich um die Zusammenfassung der Anforderungen, die das Instrument zu erfüllen vermag. Es wird somit implizit angenommen, dass es sich hierbei um von den Autoren geforderte Anforderungen handelt.

31

Siehe hierzu Hommel/Lehmann (2001a), S. 15-21; Achleitner/Bassen (2002), 1195ff.; Friedl (2003a), S. 239-258.

32

Der Frage, was unter einem Controllinginstrument zu verstehen ist, wird in Kapitel B3 nachgegangen.

Einleitung

13

Aufgrund der vorzufindenden Hinweise, dass der Realoptionsansatz gar eines der am besten für die Anforderungen junger Wachstumsunternehmen geeigneten Instrumente darstellt,33 nimmt sich vorliegende Arbeit dieser Aufgabe an. Ziel der Arbeit ist es somit, mittels einer umfassenden Analyse, die sämtliche Funktionen des Realoptionsansatzes einschließt, die Eignung des Realoptionsansatzes34 als Controllinginstrument für junge Wachstumsunternehmen zu untersuchen. Hierzu müssen jedoch zunächst die notwendigen Teilschritte auf dem Weg zur Beantwortung dieser Frage gegangen werden. Zusammenfassend lässt sich aus der Literaturanalyse somit eine Forschungslücke im „Entrepreneurial Controlling“ konstatieren. Diese manifestiert sich nicht nur quantitativ in der bisher noch geringen Anzahl an Forschungsarbeiten auf diesem Gebiet, sondern gerade in der bisher ausbleibenden Beantwortung zweier wesentlicher Fragestellungen. Hierbei handelt es sich zum einen um die Frage nach den controllingrelevanten Merkmalen junger Unternehmen und zum anderen, darauf aufbauend, um die Frage nach den Anforderungen an das Controlling bzw. ein Controllinginstrument junger Unternehmen.35 Diese müssen zunächst beantwortet werden, um die Eignung eines bestimmten Controllinginstrumentes beurteilen zu können. Somit ergeben sich für die vorliegende Arbeit die drei folgenden Forschungsfragen: Forschungsfrage 1: Welche controllingrelevanten Merkmale weisen junge Wachstumsunternehmen auf? Forschungsfrage 2: Welche Anforderungen muss ein Controllinginstrument in jungen Unternehmen erfüllen?

33

Vgl. Achleitner/Bassen (2002), S. 1195ff.

34

Die bewusste Verwendung der Bezeichnung „Realoptionsansatz“ anstelle bspw. des Begriffes „Realoptionen“ soll darauf hinweisen, dass eine ganzheitliche Analyse anstelle der lediglichen Untersuchung der reinen Bewertungsfunktion im Betrachtungsfokus der vorliegenden Arbeit steht.

35

Siehe zum Zusammenhang zwischen Controlling und Controllinginstrumenten nachstehend die Ausführungen in Kapitel B. Wie die nachfolgenden Ausführungen insbesondere zur Definition von Controllinginstrumenten zeigen werden, bedarf es zur Ableitung der Anforderungen an ein Controllinginstrument lediglich einer Vorstellung über die controllingrelevanten Merkmale und die damit einhergehende Controllingnotwendigkeit und nicht der expliziten Ableitung der Anforderungen an ein Controlling an sich. Zur zielgerichteten Erfüllung der Zielsetzung vorliegender Arbeit, soll demgemäß auf die Ableitung dieser verzichtet werden. Nichtsdestominder steht mit der Beantwortung der Forschungsfrage 1 prinzipiell auch die Möglichkeit zur Verfügung, die Anforderungen an ein Controlling abzuleiten.

14

Einleitung

Forschungsfrage 3: Ist der Realoptionsansatz als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen geeignet? Der Stand der Forschung im „Entrepreneurial Controlling“ gibt somit die Methodologie und den Aufbau der Untersuchung vor.

2

Methodologie und Aufbau

Die vorliegende Arbeit hat – allgemein betrachtet – die Lösung eines betriebswirtschaftlichen Problems

zur

Aufgabe.

Handlungswissenschaften.

36

Die

Betriebwirtschaftslehre

zählt

zu

den

angewandten

Gemäß ULRICH ist bei angewandten Handlungswissenschaften

der Praxisbezug konstitutiv. Der Forschungsprozess nimmt demgemäß seinen Ausgangspunkt in einer Problemstellung der Praxis, konzentriert sich auf die Untersuchung des Anwendungszusammenhangs und endet wiederum in der Praxis. Theorien schreibt er die Funktion von Informationslieferanten zur Lösung der Problemstellung zu.37 Ähnlich bezeichnet POPPER Theorien als Netze, die ausgeworfen werden, um „die Welt“ einzufangen.38 Daraus leitet sich die Frage nach dem Praxisbezug vorliegender Arbeit ab. Nach ULRICH existieren vier verschiedene Arten praxisorientierter Aussagen: (1) die Entwicklung inhaltlicher Lösungen für konkrete Probleme der Praxis, (2) die Ableitung von Lösungsverfahren für konkrete Probleme der Praxis, (3) der Entwurf von Gestaltungsmodellen für die

36

Allgemein lässt sich Wissenschaft in Formalwissenschaften und Realwissenschaften unterscheiden. Die Formalwissenschaften haben die Konstruktion von Sprachen zum Ziel. Zu ihnen werden bspw. die Philosophie und die Mathematik gezählt. Die Realwissenschaften streben die Erklärung und Gestaltung von empirisch

wahrnehmbaren

Grundlagenwissenschaften Betriebswirtschaftslehre

Wirklichkeitsausschnitten und

gezählt

angewandte wird,

unterteilt

an.

Sie

können

Handlungswissenschaften, werden.

Während

erstere

weiter

in

reine

zu

denen

die

die

Erklärung

der

Wirklichkeitsausschnitte anstreben, verfolgt letztere das Ziel der Entwicklung von Entscheidungsmodellen bzw. Entscheidungsprozessen. Hier stehen die Analyse menschlicher Handlungsalternativen im Mittelpunkt. Vgl. Ulrich/Hill (1979), S. 162ff. 37

In diesem Zusammenhang weist Ulrich darauf hin, dass es dabei nicht um die Anwendung von Erkenntnissen einer bestimmten Grundlagenwissenschaft geht, sondern unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen zu Rate gezogen werden sollten. Zudem betont er, dass angewandte Forschung keinesfalls mit empirischer Forschung gleichzusetzen sei. Vgl. Ulrich (1981), S. 19ff.

38

Vgl. Popper (1994), S. 31.

Einleitung

15

Veränderung des Systems sowie (4) die Ausarbeitung von Regeln für die Entwicklung solcher Gestaltungsmodelle.39 Gemäß der eingangs skizzierten Zielsetzung der Arbeit kann diese nun dahingehend konkretisiert werden, als sie erstens anstrebt, Regeln in Form von Anforderungen, die an das Controlling in jungen Unternehmen gestellt werden, zu entwickeln, die in der Praxis zur Entwicklung von Modellen genutzt werden. Zudem soll zweitens ein konkretes Lösungsverfahren in Form des Realoptionsansatzes auf seine Eignung hin untersucht und somit die Überprüfung eines Lösungsverfahrens für die Problemstellung der Ausgestaltung des Controlling in jungen Unternehmen sichergestellt werden. Den Forschungsprozess an sich unterteilt ULRICH idealtypisch in die folgenden sieben Schritte, die es je nach Stand der Forschung und Zielsetzung zu gehen gilt: (1) Erfassung praxisrelevanter Probleme, (2) Erfassung und Interpretation problemrelevanter Theorien, (3) Erfassung und Spezifizierung problemrelevanter Verfahren der Formalwissenschaften, (4) Erfassung und Untersuchung des relevanten Anwendungszusammenhangs, (5) Ableitung von Beurteilungskriterien und Gestaltungsregeln, (6) Prüfung der Regeln und Modelle im Anwendungszusammenhang und (7) Beratung der Praxis.40 Die vorstehend beschriebenen Forschungsdefizite und die daraus resultierende Zielsetzung der Arbeit geben den Gang der Untersuchung vor. Zur Erfüllung der Zielsetzung bedarf es dementsprechend zunächst die relevanten Vorleistungen zu erbringen, um letztlich die Schritte „Ableitung von Beurteilungskriterien für ein Controllinginstrument in jungen Unternehmen“, „Prüfung des Realoptionsmodells im Anwendungszusammenhang“ und „Beratung der Praxis“ gehen zu können. Es wird dabei wie folgt verfahren: Die Arbeit nimmt ihren Ausgangspunkt in der Praxis insofern, als das Problem der Relevanz des Controlling in jungen Unternehmen zwar erkannt wurde, aber nur rudimentäres Wissen über die konkrete Ausgestaltung der Controllinganforderungen und Controllinginstrumente vorliegt. Der Beschreibung dieser Problematik dient vorliegendes Kapitel A der Arbeit. Kapitel

B

nimmt

seinen

Ausgangspunkt

in

der

Schaffung

eines

gemeinsamen

Begriffsverständnisses. Aus der Zielsetzung der Untersuchung eines bestimmten Instrumentes bzgl. seiner Eignung als Controllinginstrument stellt sich nicht nur die Frage nach den

39

Vgl. Ulrich (1981), S. 10f.

40

Vgl. Ulrich (1981), S. 19ff.

16

Einleitung

Beurteilungskriterien eines solchen, sondern insbesondere auch, was unter einem Controllinginstrument zu verstehen ist bzw. was Controlling ist. Da letztere Frage in der Literatur bislang nicht abschließend beantwortet wurde, bedarf es der Auswahl einer geeigneten Controllingtheorie, die die Untersuchung zweckorientiert zu leiten vermag.41 Die gewählte Controllingtheorie fungiert somit als Informationslieferant zur Problemlösung. Ein konzeptioneller Bezugsrahmen wird aufgespannt. Auch Kapitel C dient weitestgehend der Schaffung einer gemeinsamen Ausgangsbasis. Das zu untersuchende Instrument – der Realoptionsansatz – wird in seinen wesentlichen Zügen vorgestellt. In seiner Grundform stellt der Realoptionsansatz ein Bewertungsinstrument dar. Er ging Mitte der 70er Jahre aus der Finanzoptionstheorie hervor. Im Verlauf der Jahre haben sich in der Realoptionstheorie im Wesentlichen zwei Forschungsstränge herausgebildet. Zum einen wird der Realoptionsansatz weitestgehend aus mathematischen Gesichtspunkten weiterentwickelt. Die entsprechenden Arbeiten widmen sich vornehmlich methodischen Fragestellungen der Bewertungspraxis.42 Zum anderen wird verstärkt pragmatischen Fragestellungen nachgegangen, um den Ansatz einem weiteren Feld der betrieblichen Praxis zur Verfügung zu stellen.43 Im Zuge dessen löst sich die Realoptionstheorie von dem reinen Verständnis eines Bewertungsinstrumentes. Die Verwendung des Ansatzes als Instrument der ganzheitlichen Zusammenhang

Unternehmenssteuerung entstanden

bereits

wird

zunehmend

vereinzelte

Arbeiten,

thematisiert. die

die

In

diesem

Eignung

des

Realoptionsansatzes als Controllinginstrument zum Inhalt hatten.44 Diese Arbeiten gingen jedoch jeweils davon aus, dass die Bewertungsproblematik die zentrale Herausforderung des Controlling darstellt.45 Von dieser Annahme kann für junge Wachstumsunternehmen jedoch nicht ausgegangen werden. Infolgedessen werden in Kapitel C die Grundidee, die wesentlichen Merkmale und der Instrumentalcharakter des Realoptionsansatzes als potenzielles Controllinginstrument vorgestellt.

41

Vgl. Ulrich/Hill (1979), S. 166.

42

Siehe hierzu exemplarisch Thompson (1995); Ball (2001).

43

Siehe hierzu exemplarisch Amram/Kulatilaka (1999a); Ottoo (2000); Rokke (2004).

44

Vgl. Pritsch (2000); Schaefer/Pfnür (2000); Hommel/Lehmann (2001a); Jenner (2001); Pritsch/Schäffer (2001); Pritsch/Weber (2001b); Pritsch/Weber (2001a); Bathe, et al. (2002); Knust (2002); Pritsch/Weber (2003); Erner/Röder (2004); Müller (2004); Müller (2005).

45

Vgl. hierzu vornehmlich Pritsch (2000); Hommel/Lehmann (2001a) und Müller (2004).

Einleitung

17

Kapitel D verfolgt zwei eng miteinander verbundene Zielsetzungen. Zum einen dient es wiederum der Schaffung eines gemeinsamen Begriffsverständnisses. Aufgrund der Vielzahl verschiedenartiger Begrifflichkeiten und Begriffsauffassungen46 gilt es die betrachtete Unternehmensklasse klar abzugrenzen. Zum anderen gilt es mittels einer Kontextanalyse das Wesen und die Besonderheiten junger Wachstumsunternehmen herauszuarbeiten, die letztendlich die Ursache bzw. die Notwendigkeit für die gesonderte Untersuchung darstellen. Damit sind die Grundlagen für die sich anschließenden Analysen zur Beantwortung der drei Forschungsfragen gelegt. Wie die vorstehenden Ausführungen zur Problemstellung der Arbeit gezeigt haben, bedarf es zunächst einer expliziten Analyse der controllingrelevanten Merkmale junger Unternehmen, um auf Basis dieser Analyse Anforderungen an das Controlling abzuleiten. Dieser Aufgabe widmet sich Kapitel E. Das Erkenntnisobjekt Controlling in jungen Wachstumsunternehmen wird entlang der beiden Dimensionen „controllingrelevante Merkmale“ und „Anforderungen an das Controlling in jungen Wachstumsunternehmen“ untersucht. Zu diesem Zwecke wird der in Kapitel B aufgespannte konzeptionelle Analyserahmen des Controlling den in Kaptitel D erarbeiteten Merkmalen junger Wachstumsunternehmen gegenübergestellt. Aus dieser Gegenüberstellung lassen sich dann in einem ersten Schritt die controllingrelevanten Merkmale

junger

Wachstumsunternehmen

identifizieren.

Forschungsfrage

1

wird

47

beantwortet. Auf Basis dieser Antwort werden in einem zweiten Schritt ebenfalls aus der vorgenommenen Gegenüberstellung die Anforderungen an ein Controlling in jungen Wachstumsunternehmen

abgeleitet.

Forschungsfrage

2

wird

beantwortet.48

Die

Anforderungen lassen sich dann in einem Katalog zusammentragen, anhand dessen die Überprüfung der Eignung des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Unternehmen vorgenommen werden kann.49 Die Ableitung von Beurteilungskriterien und Gestaltungsregeln für ein Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen erfolgt.

46

Siehe hierzu später Kapitel D1.

47

Siehe hierzu nochmals A1.

48

Siehe hierzu nochmals A1.

49

An dieser Stelle wird bewusst noch kein Bezug zum Realoptionsansatz hergestellt. Damit wird die Möglichkeit gegeben, den aufgestellten Katalog auch in weiteren Untersuchungen zu verwenden.

18

Einleitung

Die Analyse des Wertbeitrages des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen selbst wird dann schließlich in Kapitel F vorgenommen. Es erfolgt eine Synthese der Erkenntnisse der vier vorhergehenden Kapitel. Die aus der Gegenüberstellung des Analyseschemas zur Ermittlung der Rationalitätsdefizite und der Merkmale junger Unternehmen resultierenden Anforderungen an ein Controllingsystem in jungen Unternehmen werden nun auf ihre Erfüllung durch den Realoptionsansatz hin überprüft. Die Prüfung eines Modells im Anwendungszusammenhang wird somit vorgenommen und Forschungsfrage 3 beantwortet.50 In Abhängigkeit der gewonnenen Erkenntnisse lassen sich dann Implikationen für die Anwendung des Realoptionsansatz als Controllinginstrument in der betrieblichen Praxis der jungen Unternehmen ableiten. Diese werden in Kapitel G zusammengetragen. Der abschließende Schritt der Beratung der Praxis erfolgt. In Kapitel H wird zusammenfassend ein Fazit gezogen und ein Ausblick gegeben. Damit ordnet sich die vorliegende Arbeit in die sachlich-analytische Forschungsstrategie ein. Sie „stellt eine Art gedankliche Simulation der Realität dar. Durch Plausibilitätsüberlegungen und empirisch bereits festgestellte Zusammenhänge, aber ohne eigenes empirisches Überprüfungsinteresse, wird versucht, komplexe Zusammenhänge transparent zu machen.“51 Der Forschungsprozess lässt sich wie in Abbildung 1 dargestellt skizzieren.

50

Siehe hierzu nochmals A1.

51

Grochla (1980), Sp. 1808.

Einleitung

19

A Einleitung Problemstellung und Zielsetzung der Arbeit Methodologie und Aufbau der Untersuchung B Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen Aufspannung eines konzeptionellen Bezugs- und Analyserahmens

C Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument Darstellung der Grundidee und des Instrumentalcharakters

D Kontextanalyse junger Wachstumsunternehmen Abgrenzung des Untersuchungsobjektes Erarbeitung der Besonderheiten

E Erkenntnisobjekt Controlling in jungen Wachstumsunternehmen Beantwortung Forschungsfrage 1: Ableitung der controllingrelevanten Merkmale Beantwortung Forschungsfrage 2: Ableitung der Anforderungen an ein Controllinginstrument F Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen Beantwortung Forschungsfrage 3: Umfassende Kosten-Nutzenanalyse zur Ermittlung des Wertbeitrages, den der Realoptionsansatz als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen zu leisten vermag Überprüfung der Erfüllung der Anforderungen an ein Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen G Implikationen Ableitung von Schlussfolgerungen/Implikationen für die Praxis auf Basis der Antworten auf Forschungsfrage 2 und 3 H Fazit und Ausblick Zusammenfassung und weiterer Forschungsbedarf

Abbildung 1: Aufbau der Arbeit

20

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

B Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen Die nachstehende Betrachtung nimmt ihren Ausgangspunkt in der Aufstellung eines konzeptionellen Bezugsrahmens, dem Entdeckungszusammenhang.52 Hiermit wird die Forderung nach einer konzeptionellen Forschung erfüllt.53 Demgemäß gilt es zunächst aus der Fülle der Controllingansätze54 eine geeignete Controllingkonzeption auszuwählen. Es stellt sich die Frage, welcher Bezugsrahmen zur Erkenntnisgewinnung geeignet ist. Sie ist unter dem

Kriterium

der

Zweckmäßigkeit

zu 56

Verwendungszusammenhang vorgegeben.

beantworten.55

Diese

wird

aus

dem

Der eingangs skizzierten Zielsetzung folgend,

liegt dieser in erster Linie in der Erforschung der controllingrelevanten Merkmale junger Wachstumsunternehmen begründet. Demgemäß werden in Kapitel B1 zunächst die wichtigsten

Controllingansätze

kurz

umrissen

und

unter

dem

Aspekt

dieses

Verwendungszusammenhangs eine Auswahl getroffen. Den gewählten Ansatz gilt es dann in seinen Grundelementen vorzustellen, um darauf basierend ein Theoriegerüst für den weiteren Erkenntnisgewinn aufzustellen. Dieser Aufgabe widmet sich Kapitel B2. Kapitel B3 schließt mit einer Begriffsdefinition der „Controllinginstrumente“ und der Aufstellung eines Kriterienkatalogs zur Beurteilung derselben die Abgrenzung des Entdeckungszusammenhangs ab.

52

Vgl. Ulrich/Hill (1979), S. 165f.

53

Siehe hierzu nochmals Kapitel A2 bzw. allgemein Ulrich (1981), S. 19.

54

Siehe hierzu nachstehend Kapitel B1.

55

Vgl. Ulrich/Hill (1979), S. 166.

56

Vgl. Ulrich/Hill (1979), S. 167.

K. H. Faaß, Der Realoptionsansatz als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen, DOI 10.1007/978-3-8350-9608-0_2, © Deutscher Universitäts-Verlag | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

1

21

Controllingansätze im Überblick

Wenn KIESER anmerkt, dass Controlling eine Wissenschaft ist, „deren Vertreter, wie es scheint, unablässig mit der Herstellung und Bewahrung von Identität beschäftigt sind“57, so beschreibt er sehr anschaulich die aktuelle Situation der Controllingwissenschaft. Diese ist von einem ungewöhnlichen Widerspruch geprägt: Trotz der allgemein anerkannten Verbreitung und Akzeptanz des Controlling in der Praxis herrscht weiterhin Uneinigkeit über die theoretische Bedeutung des Begriffes.58 Dies schlägt sich in einer unüberschaubaren Fülle von Definitionen nieder.59 War Ende der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts der Eindruck entstanden, es würde sich ein allgemeines Controllingverständnis im Sinne einer Koordination der Führungsteilsysteme durchsetzen, so flammt in jüngster Zeit die Diskussion erneut auf.60 Als Gründe für die anhaltende Diskussion werden u.a. die Pfadabhängigkeit der

57

Kieser (2003), S. 12.

58

Auf diesen Widerspruch wiesen bereits Küpper/Weber/Zünd 1990 hin. Siehe hierzu Küpper, et al. (1990), S. 281ff. Nichtsdestominder weisen neuere Beiträge immer wieder daraufhin, dass sich an diesem Zustand seither nicht viel geändert hat. Siehe hierzu bspw. Lingnau (2002), S. 118; Dyckhoff/Ahn (2002), S. 113; Schultze/Hirsch (2005), S. 7 oder Preißler, der die Situation wie folgt beschreibt: „Trotz ständig wachsender Bedeutung des Controlling im Wirtschaftsalltag herrschen über Definition, Aufgaben, Ziele und Funktionen des Controllers noch keine Einigkeit. Etwas überspitzt formuliert: Jeder hat seine eigenen Vorstellungen darüber, was Controlling bedeutet oder bedeuten soll, nur jeder meint etwas anderes.“ (Preißler (1998), S. 12). Siehe hierzu auch die Untersuchung bei Ahn (1999).

59

Vgl. Berens/Bertelsmann (2002), Sp. 281; Franz/Kajüter (2002), S. 123; Lingnau (2002), S. 118; Weber (2002), S. 20; Schultze/Hirsch (2005), S. 7 u. S. 9. Einige exemplarische Definitionen des Begriffs Controlling dienen an dieser Stelle der Veranschaulichung dieses Sachverhaltes: „Diesen Erfordernissen entspricht eine Definition, bei der das Controlling begriffen wird als Gesamtheit von organisatorisch verselbstständigten (delegierten) führungsanalytischen Teiltätigkeiten zum Zweck der entlastenden Verbesserung der Unternehmensführung.“ (Strobel (1979), S. 12); „Entsprechend unserer … vertretenen Position legen wir einen instrumentalen Controllingbegriff zugrunde. D.h., wir sehen Controlling als Instrument an, mit dem das Management bestimmte Ziele … verfolgt.“ (Welge (1988), S. 6 [Hervorhebung im Original]); „Die generelle Aufgabe des Controlling besteht danach in der informationellen Sicherung bzw. Sicherstellung ergebnisorientierter Planung, Steuerung und auch Überwachung des gesamten Unternehmungsgeschehens – vielfach verbunden mit einer Integrations- bzw. Systemgestaltungsfunktion, grundsätzlich verbunden mit einer Koordinationsfunktion.“ (Hahn/Hungenberg (2001), S. 272 [Hervorhebungen im Original]); „Controlling als Konzept bedeutet die zielgerichtete betriebswirtschaftliche Unterstützung des Managements kraft Wahrnehmung übertragender Funktionen unter Zuhilfenahme zweckadäquater Instrumente.“ (Beckmann/Huch (2002), S. 146); „Controlling … ist im Kern nichts anderes als zielorientierte Steuerung durch Information, Planung und Kontrolle.“ (Coenenberg, et al. (2004), S. 8).

60

Vgl. Franz/Kajüter (2002), S. 123; Wall (2002b), S. 67; Weißenberger (2002), S. 392; Schaefer/Lange (2004), S. 105.

22

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

Wissenschaftsentwicklung und damit auch der Controllingforschung,61 die Möglichkeiten der funktionalen oder institutionalen Betrachtung des Controlling,62 die zudem nicht immer eindeutig voneinander getrennt werden,63 sowie die Entstehung und Weiterentwicklung des Controlling in Anlehnung an komplexe, reale Phänomene der Praxis64 anstelle auf Basis einer theoretischen Konzeption65 genannt. Selbst der Versuch der Systematisierung der verschiedenen Controllingdefinitionen mittels Zuordnung zu Controllingkonzeptionen66 gestaltet sich schwierig. So finden sich in der Literatur nicht nur zahlreiche unterschiedliche Klassifikationen der Konzeptionen an sich,67 sondern auch die Zuordnung der Ansätze zu den jeweiligen Konzeptionen lässt sich nicht immer eindeutig lösen.68 Eine erste grobe Unterscheidung teilt die verschiedenen Kon-

61

Vgl. Peemöller (2002), S. 32; Schultze/Hirsch (2005), S. 9 sowie ausführlich Schwarz (2002), S. 3ff. bzw. Schwarz (2004), S. 45ff., der unterschiedliche Entwicklungslinien der Controllingforschung darstellt und als maßgeblich das Controlling beeinflussende Disziplinen das Rechnungswesen, die Sozialwissenschaft, die Kybernetik, die Entscheidungstheorie und Informationsökonomie vorstellt.

62

Vgl. Harbert (1982), S. 37f.; Weber (1990), S. 10; Peemöller (2002), S. 32.

63

Vgl. Gaulhofer (1989), S. 143; Eichenseher (1997), S. 41; Pietsch/Scherm (2002), S. 196f.

64

Vgl. Gaulhofer (1989), S. 143; Küpper, et al. (1990), S. 286; Schildbach (1992), S. 21f.; Beckmann/Huch (2002), S. 145; Schultze/Hirsch (2005), S. 9.

65

Vgl. Beckmann/Huch (2002), S. 145.

66

Mit dem Begriff der Controllingkonzeption hat sich Harbert intensiv auseinandergesetzt. Er leitet aus dem Begriff der Konzeption, den er als „ein System von Aussagen …, welches die Grundlinien einer Sachverhaltsgestaltung als Mittel zur Erreichung einer bestimmten Zielsetzung“ (Harbert (1982), S. 140) definiert, den Begriff der Controllingkonzeption ab und definiert ihn folgendermaßen: „Als ControllingKonzeptionen [sic!] werden im folgenden solche Aussagensysteme bezeichnet, die eine finale Beziehung zwischen dem Gegenstand des Controlling und einer betriebswirtschaftlichen Zwecksetzung herstellen.“ (Harbert (1982), S. 140).

67

Vgl. Reichmann (1996), S. 560; Dyckhoff/Ahn (2002), S. 113; Weber (2002), S. 21. Überblicke über die verschiedenen Klassifikationen sind u.a. bei Schweitzer/Friedl (1992), S. 144ff. und Berens/Bertelsmann (2002), Sp. 282ff. zu finden. Siehe für einen ausführlichen Ordnungsansatz der verschiedenen Klassifikationen insbesondere Zenz (1999), S. 16ff.

68

Vgl. Weber (2002), S. 21. Zudem werden wiederum von verschiedenen Autoren Versuche unternommen, alle existierenden Ansätze auf eine bestimmte Konzeption zurückzuführen, so z.B. Horváth, der den koordinationsorientierten Ansatz als Rahmen aller Controllingkonzeptionen ansieht, oder Schaefer/Lange, die allen Ansätzen eine Informationsorientierung zusprechen. Siehe hierzu Horváth (2002a) bzw. Schaefer/Lange (2004).

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

23

zeptionen in traditionelle bzw. klassische und neue Konzeptionen ein.69 Dabei wird in Anlehnung an WEBER in der vorliegenden Arbeit die gängige Unterteilung der traditionellen Controllingkonzeptionen in Controlling als Informationsversorgungsfunktion, in Controlling als spezielle Form der Führung und in Controlling als Koordinationsfunktion gewählt.70 Zu den neuen Konzeptionen werden das Controlling als Rationalitätssicherung nach WEBER/SCHÄFFER und das Controlling als Reflexionsaufgabe nach PIETSCH/SCHERM gezählt.71 Frühe

Definitionen72

stellen

die

Informationsversorgungsfunktion,

verstanden

als

Abstimmung von Informationsnachfrage, -bedarf und -angebot mit dem Ziel der entscheidungsrelevanten

Informationsversorgung

der

Unternehmensführung

in

den

Mittelpunkt der Betrachtung,73 wie HEIGL veranschaulicht, der Controlling als „Beschaffung, Aufbereitung und Koordination von Informationen für deren Anwendung zur Steuerung der Betriebswirtschaft durch die Unternehmensleitung auf deren Ziel hin“74 definiert.75 Ihren Ausgangspunkt nehmen die informationsorientierten Ansätze meist im Rechnungswesen.76 Die Kritik, die gegen diese Klasse der Definitionsversuche vorgebracht wird, setzt an dieser

69

Eine solche Unterteilung ist bspw. bei Scherm/Pietsch (2003), S. 34 oder implizit auch bei Weber (2002), S. 20-66 zu finden.

70

Vgl. Weber (2002), S. 20ff.

71

Vgl. Dyckhoff/Ahn (2002), S. 113; Franz/Kajüter (2002), S. 123; Scherm/Pietsch (2003), S. 34.

72

Eine ausführliche Darstellung zu den Ursprüngen und der geschichtlichen Entwicklung des Controlling findet sich u.a. bei Lingnau (1998) und in vielen Lehrbüchern zum Controlling, so z.B. bei Serfling (1992), S. 20-29; Hahn/Hungenberg (2001), S. 265-271; Küpper (2001), S. 1-3; Weber (2002), S. 1-17.

73

Vgl. Küpper (2001), S. 10f; Berens/Bertelsmann (2002), Sp. 282; Wall (2002b), S. 68; Weber (2002), 21f.

74

Heigl (1989), S. 3.

75

Zu den weiteren Vertretern der informationsorientierten Controllingkonzeptionen zählen u.a. Hoffmann, der „Controlling als die Unterstützung der Steuerung der Unternehmen durch Information“ (Hoffmann (1972), S. 85 [Hervorhebungen im Original]) definiert, sowie Müller, der „das Controlling als eine zentrale Einrichtung der betrieblichen Informationswirtschaft“ (Müller (1974), S. 683) versteht. Reichmann vertritt auch in der aktuellen Diskussion noch diese Sichtweise. Vgl. bspw. Reichmann (2004), S. 85f. sowie Reichmann (2001), S. 2 und S. 10-13.

76

Vgl. Schwarz (2002), S. 5ff.; Weber (2002), S. 21; Schaefer/Lange (2004), S. 106; Schwarz (2004), S. 45f. Siehe bspw. Reichmann: „Controlling ist eine rechnungswesen- und vorsystemgestützte Systematik“ (Reichmann (1996), S. 564).

24

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

Stelle an und weist auf eine mangelnde Abgrenzung zu anderen etablierten Bereichen, wie dem entscheidungsorientierten Rechnungswesen oder der Informationswirtschaft hin.77 Eine Interpretation des Controlling als spezielle Form der Führung wird in verschiedenen Definitionen zum Ausdruck gebracht, wie etwa „[u]nter Controlling wird … die ziel- und damit auch die verhaltensorientierte Steuerung und Gestaltung von Zweck-Mittel-Relationen in der Unternehmung in bezug [sic!] auf Ziele in kurzer und langer Sicht verstanden. Zusammen mit der Führung und dem Zielsystem sowie den damit einhergehenden Prozessen und Institutionen bildet das Controlling die zweite Säule des Managementsystems.“78 Controlling wird nach diesen Konzeptionen die Aufgabe übertragen, die konsequente Zielausrichtung

des

Unternehmens

sicherzustellen.79

Vertreter,

die

dieser

Controllingkonzeption zugeordnet werden,80 sehen sich weitestgehend der Kritik ausgesetzt, dass Controlling zum einen nach diesen Definitionen nicht stichhaltig abgrenzbar von der Führung selbst ist,81 zum anderen die Zielorientierung an sich und in ihren verschiedenen Interpretationen keinen sinnvollen Erklärungsbeitrag stiftet.82

77

Vgl. Eschenbach/Niedermayr (1996), S. 58; Weber (2002), S. 22; Pietsch/Scherm (2002), S. 193f. Auf diesen Umstand weist Müller als einer der Vertreter der informationsorientierten Ansätze selbst hin und grenzt die Informationsverarbeitungsaufgabe des Controlling infolgedessen weiter ein. Vgl. Müller (1974), S. 687f.

78

Dellmann (1992), S. 116.

79

Vgl. Weber (2002), S. 23.

80

Hierzu können bspw. Mann (1973) und Siegwart (1986) gezählt werden. Siehe hierzu Weber (2002), S. 23f.

81

Vgl. Weber (2002), S. 23f. Die Problematik einer unscharfen Abgrenzung wird bei Ulrich deutlich, der mit Bezug auf eine kybernetische Führungskonzeption feststellt, „dass der Controller in der Unternehmung nicht ein Controller im Sinne der Kybernetik sein kann, denn dann würde er praktisch an die Stelle der Führungskräfte treten oder zumindest diesen einen wesentlichen Teil ihrer Aufgaben abnehmen.“ (Ulrich (1985), S. 23f.).

82

Siehe hierzu sowie zu den unterschiedlichen Interpretationen der Zielorientierung die Darstellung bei Weber (2002), S. 23f.

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

25

Die zu der dritten Gruppe zusammengefassten Definitionsansätze stellen die Koordination in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen. Ihnen gemeinsam ist, dass sie der Controllingfunktion eine Koordinationsaufgabe innerhalb des Führungssystems in Abgrenzung zum Ausführungsbzw. Leistungssystem83 zuweisen.84 Zu den bekanntesten Vertretern gehören HORVÁTH, der Controlling

als

„Subsystem

der

Führung,

das

Planung

und

Kontrolle

sowie

Informationsversorgung systembildend und systemkoppelnd ergebniszielorientiert koordiniert und so die Adaption und Koordination des Gesamtsystems unterstützt“85 definiert.86 Im Wesentlichen werden drei Kritikpunkte gegen die koordinationsorientierten Ansätze vorgebracht: Erstens sei die Koordinationsfunktion allein nicht ausreichend, um das Controlling

hinlänglich

von

anderen

Teildisziplinen

der

Betriebswirtschaftslehre

87

abzugrenzen. Eng damit verbunden ist der zweite Kritikpunkt, der sich gegen den Begriff der Koordination an sich richtet, der nicht eindeutig definiert sei und somit keinen Erklärungsbeitrag liefere,88 und drittens bildeten koordinationsorientierte Definitionsansätze nur unzureichend das Aufgabenfeld des Controlling in der Unternehmenspraxis ab.89 Aus der rezipierten Kritik an den dargestellten traditionellen Controllingansätzen und dem Bedürfnis nach einem integrierenden Controllingverständnis heraus entwickelten WEBER90 bzw. WEBER/SCHÄFFER91 den Rationalitätssicherungsansatz des Controlling und weisen dem Controlling

die

Funktion

der

Sicherstellung

der

Rationalität

der

Führung

zu.

83

Siehe zu dieser Unterscheidung Ahn/Dyckhoff (2004), S. 504 bzw. Küpper (2001), S. 13ff. und Horváth

84

Vgl. Weber (2002), S. 24; Pietsch/Scherm (2002), S. 191f. Unterschiede zwischen den einzelnen

(2002b), S. 112ff.

Definitionen bestehen allerdings in der Extension der Koordinationsaufgabe und dem vorangestellten Koordinationsziel. Vgl. Horváth (2002a) S. 56f.; Wall (2002b), 69f.; Weber (2002), S. 24ff.; Schaefer/Lange (2004) S. 108; Wall (2004), S. 390. Siehe zu den jeweiligen Ausprägungen der Ansätze insbesondere Horváth (1978), Horváth (2002b) und Küpper (2001). 85

Horváth (2002b), S. 153.

86

Siehe hierzu insbesondere Wall (2000), S. 295ff. und Pietsch/Scherm (2002), S. 192f.

87

Vgl. Pietsch/Scherm (2002), S. 193; Koontz/O’Donnell sprechen in diesem Zusammenhang von Koordination als „the essence of managership“ (Koontz/O'Donnell (1972), S. 50).

88

Vgl. Schwarz (2002), S. 10f.

89

Vgl. Weber/Schäffer (2000a), S. 113; Wall (2002b), S. 71; Weber (2002), S. 26.

90

Weber rückt dabei von seinem eigenen koordinationsorientierten Controllingverständnis ab. Siehe Weber (1998) sowie nachfolgend in allen weiteren Auflagen.

91

Siehe hierzu insbesondere Weber/Schäffer (1999).

26

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

WEBER/SCHÄFFER erheben den Anspruch eines integrierenden Controllingverständnisses insofern, als die Rationalitätsdefizite im Einzelnen kontextabhängig sind. So zeigen sie, dass die drei zuvor diskutierten traditionellen Controllingansätze als kontextspezifische und nicht zuletzt historisch begründete Ausprägungen des rationalitätssicherungsorientierten Ansatzes interpretiert werden können.92 Aber auch dieser Ansatz bleibt nicht frei von Kritik.93 So wird bspw. ähnlich den koordinationsorientierten Ansätzen die unzureichende Abgrenzung mittels des zentralen Begriffes, in diesem Fall der Rationalität, zu anderen Disziplinen kritisiert. So weist u.a. KÜPPER daraufhin, dass das Besondere des Controlling nicht in der Rationalität liegen kann, da es ein Merkmal der Entscheidungsfindung ist und ebenso Entscheidungen anderer Funktionsbereiche rational sein sollten.94 Letztendlich muss sich dieser Ansatz sogar den Vorwurf gefallen lassen, dass ihm durch die Integration der traditionellen Controllingkonzeptionen die gegen diese vorgebrachten Kritikpunkte ebenfalls anhaften.95 Die rationalitätsorientierte Controllingfunktion greifen PIETSCH/SCHERM auf, allerdings mit dem Ziel einer weitergehenden Präzisierung sowie deren Eingrenzung. Ihr Ansatz ist unter dem Begriff des reflexionsorientierten Controlling bekannt, da sie in der kritischen Reflexion über

selektierende

Führungsentscheidungen

und

der

daraus

resultierenden

Informationsversorgung zur Unterstützung der Wahrnehmung dieser Aufgabe die Kernaufgaben des Controlling sehen. Somit weisen sie dem Controlling sowohl eine Führungsfunktion als auch eine Führungsunterstützungsfunktion zu.96 Der Führungsfunktion Reflexion steht, anders als bei WEBER/SCHÄFFER, nicht die Intuition, sondern die Selektion gegenüber, die darauf ausgerichtet ist, die Entscheidungskomplexität zu reduzieren. Der Reflexion wird dabei die Aufgabe zugewiesen, diesen Selektionsprozess kritisch zu überprüfen, um unzulässige Informationsreduzierungen aufzuzeigen. Infolgedessen wird in diesem Ansatz der Rationalität der Führung weiterhin eine wesentliche Bedeutung beigemessen,

jedoch

anders

als

bei

WEBER/SCHÄFFER

nur

indirekt

über

den

Reflexionsbegriff, der wiederum direkt zur Begründung der Controllingaufgabe verwendet

92

Siehe hierzu insbesondere Weber/Schäffer (1999), S. 731-747 und Weber (2002), S. 48-66.

93

Siehe bspw. Horváth (2002a), S. 60; Irrek (2002); Müller (2003).

94

Vgl. Küpper (2001), S. 7. Siehe hierzu auch Schneider (2001), S. 40ff.; Horváth (2002a), S. 60 sowie Wall (2002b), S. 71.

95

Vgl. Schaefer/Lange (2004), S. 105.

96

Vgl. hierzu und nachfolgend insbesondere Pietsch/Scherm (2004), S. 529ff.

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

27

wird.97 Da dieser Ansatz ebenfalls den Anspruch eines integrativen Ansatzes erhebt, muss für ihn der gleiche Vorwurf wie für den Rationalitätssicherungsansatz nach WEBER gelten, nämlich dass ihm die Kritik der integrierten traditionellen Ansätze anhaftet. Darüber hinaus ist fraglich, inwiefern der zentrale Begriff der Reflexion einen weiteren Erklärungsbeitrag liefert, zumal die Reflexion neben der Intuition nur eine mögliche Form der Entscheidungsfindung als Führungsaufgabe darstellt und letzterer ebenso eine positive Komponente zugesprochen wird.98 Wie sich zeigt, ist keine der vorgestellten Controllingkonzeptionen frei von Kritik, was nicht zuletzt als ein Grund für die bisher ausgebliebene allgemeine Anerkennung eines Ansatzes gewertet werden kann. Dabei soll und kann es weder die Aufgabe der vorliegenden Arbeit sein, über die Berechtigung der vorgebrachten Kritik zu urteilen, noch einen Ansatz als den allgemein gültigen auszuwählen. Viel eher muss ein für den weiteren Gang der Untersuchung geeigneter Controllingansatz ausgewählt werden. Als zweckmäßiges Selektionskriterium99 erweist sich die Eignung des Ansatzes für den Untersuchungsgegenstand junge Wachstumsunternehmen. Da

die

controllingrelevanten

Fragestellungen 100

weitestgehend unerforscht sind,

junger

Wachstumsunternehmen

noch

lässt sich zu diesem Zeitpunkt noch keine fundierte

Aussage über die spezifische Ausrichtung der Controllingfunktion dieser Unternehmensspezies treffen. Aus diesem Grunde werden die traditionellen Ansätze für den weiteren Gang der Untersuchung als ungeeignet eingeschätzt101 und lenken die weitere Betrachtung auf die integrativen Ansätze.

97

Siehe hierzu insbesondere Pietsch/Scherm (2000), S. 595ff.; Pietsch/Scherm (2001b); S. 81ff.

98

Siehe hierzu Weber, et al. (1996), S. 58 sowie die Ausführungen in Kapitel B2.3.2.

99

Da sich die gegen die einzelnen Konzeptionen vorgebrachte Kritik im Kern insofern sehr ähnlich ist, als der jeweilige

zentrale

Bezugspunkt

der

Ansätze

keine

ausreichende

Abgrenzung

zu

anderen

betriebswirtschaftlichen Themenbereichen darstellt, kann diese nicht zur Selektion im Sinne eines Ausschlussverfahrens herangezogen werden. 100 101

Siehe hiezu nochmals die Ausführungen in Kapitel A1. Bspw. würde die Auswahl eines koordinationsorientierten Ansatzes vor dem Hintergrund der Forschungsdefizite im Entrepreneurial Controlling die Gefahr einer zu frühzeitigen Konzentration auf einen spezifischen Aspekt des Controlling beinhalten, ohne zu diesem Zeitpunkt eine fundierte Aussage darüber treffen zu können, ob die Controllingrelevanz in jungen Unternehmen aus einer Koordinationsfunktion herrührt.

28

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

Während der reflexionsorientierte Ansatz zwar entscheidungstypspezifische Betrachtungen ermöglicht, jedoch auf wenig Erkenntnisfortschritt hinsichtlich der controllingspezifischen Besonderheiten junger Unternehmen hoffen lässt,102 liegt die Stärke des Rationalitätssicherungsansatzes insbesondere in der expliziten Betonung der Kontextabhängigkeit der Controllingaufgabe. Er bietet Anhaltspunkte zur Analyse der Controllinganforderungen und herausforderungen in einem spezifischen Kontext – wie im vorliegenden Fall dem der jungen Unternehmen – und wird infolgedessen dieser Arbeit als konzeptioneller Bezugsrahmen zugrunde gelegt.

2

Rationalitätssicherung der Führung als zugrunde gelegtes Controllingverständnis

Der Rationalitätssicherungsansatz nach WEBER bildet den konzeptionellen Bezugsrahmen der vorliegenden Arbeit. Er bedarf daher einer expliziten Vorstellung. Der Ansatz basiert auf drei Säulen, die im Folgenden mit dem Ziel, das Wesen des Rationalitätssicherungsansatzes herauszustellen, dargestellt werden. Betrachtungsobjekt des Rationalitätssicherungsansatzes sind Handlungen und damit einhergehend deren Handlungsträger im Allgemeinen. Beide Objekte, so WEBER „bedürfen der expliziten Modellierung“103. Dies erfolgt im Grundmodell einer dynamischen Theorie ökonomischer Akteure, welches zugleich die erste Säule des Rationalitätssicherungsansatzes darstellt und in Kapitel B2.1 vorgestellt wird. Die zweite Säule des Rationalitätssicherungsansatzes wird durch den zentralen Bezugspunkt des Ansatzes – Rationalität – gebildet. Dem Ansatz liegt ein spezifisches Rationalitätsverständnis zugrunde, welches ob der zahlreichen, zum Teil heterogenen Definitionen des

102

So ist bspw. in den Ausführungen von Pietsch und Scherm kein Hinweis darauf zu finden, inwiefern die Reflexionsaufgabe durch den jeweiligen Unternehmenstyp beeinflusst werden könnte, bzw. in unterschiedlichen Unternehmenstypen eine andere sein könnte und somit einen Erklärungsbeitrag zum Controlling in jungen Unternehmen liefern könnte. Siehe hierzu Pietsch/Scherm (2000); Pietsch/Scherm (2001b); Pietsch/Scherm (2001a); Pietsch/Scherm (2002); Scherm/Pietsch (2003); Scherm/Pietsch (2004); Pietsch/Scherm (2004).

103

Weber (2004), S. 470.

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

29

Rationalitätsbegriffes104 einer näheren Spezifikation bedarf. Dieser Aufgabe widmet sich Kapitel B2.2. Der Fokus des Betrachtungsobjektes wird von Handlungen im Allgemeinen ausgehend auf Führungshandlungen im Speziellen gerichtet. Diese stellen somit die dritte Säule des Ansatzes dar und werden in Kapitel B2.3 in ihrer Grundstruktur betrachtet. Ein Verständnis der drei Säulen eröffnet anschließend die Möglichkeit, das Wesen des zugrunde gelegten Controllingansatzes sowie die daraus resultierenden Implikationen herauszustellen. Die Synthese der einzelnen drei Säulen erfolgt in Kapitel B2.4. Mit der Vorstellung

der

drei

Säulen

im

Einzelnen

sowie

der

Controllingfunktion

der

Rationalitätssicherung in Summe ist der konzeptionelle Bezugsrahmen klar umrissen und kann einer weiterführenden Analyse zielführend zur Verfügung gestellt werden.

2.1

Grundmodell einer dynamischen Theorie ökonomischer Akteure

Das Grundmodell einer dynamischen Theorie ökonomischer Akteure – im Folgenden auch kurz als Modell ökonomischer Akteure oder Akteursmodell bezeichnet – bildet das theoretische Fundament des Rationalitätssicherungsansatzes. Die Entwicklung des Modells ökonomischer Akteure ist auf mehrere Forschungsprojekte am Lehrstuhl für Controlling & Telekommunikation der Wissenschaftlichen Hochschule für Unternehmensführung (WHU) zurückzuführen105 und hatte zum Ziel, „komplexe Strukturen aus den Handlungen von und zwischen Akteuren“106 zu erklären. Führungshandlungen als Bezugsobjekt des Rationalitätssicherungsansatzes stellen eine spezifische Klasse von Handlungen dar. Eine Betrachtung der

104

Siehe hierzu ausführlicher Kapitel B2.2.

105

Im Wesentlichen sind hier die Dissertationen von Schäffer (1996); Brettel (1997); Grothe (1997) und Bach (1998) sowie das Forschungspapier von Weber, et al. (1996) zu nennen. Es entstand das Grundmodell einer dynamischen Theorie ökonomischer Akteure, welches in den Forschungspapieren Bach, et al. (1998) bzw. Bach, et al. (2001) zum Ausdruck gebracht wurde. Eine Weiterentwicklung erfuhr das Akteursmodell in Bach, et al. (2002) auf Grundlage der Arbeiten von Schäffer (2001), Kehrmann (2002), Langer (2002) und Miller (2003). Siehe hierzu Bach, et al. (2002), S. 1. Zum theoretischen Bezugspunkt des Forschungspapiers siehe auch Weber, der darauf hinweist, dass „[a]lle Elemente des im Folgenden vorgestellten, an der WHU entwickelten Modells … dem erfahrenen Leser somit jeweils grundsätzlich, nicht aber in der gewählten Zusammenstellung bekannt sein“ (Weber (2002), S. 34) werden.

106

Bach, et al. (2001), S. 95; Bach, et al. (2002), S. 2.

30

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

grundlegenden Annahmen über Handlungen und deren Handlungsträger bildet insofern die Basis der nachfolgenden Betrachtungen der Führungshandlungen. Aus diesem Grunde soll das Modell ökonomischer Akteure nachfolgend in seinen Grundelementen und den entsprechenden Erweiterungen vorgestellt werden. Die nachfolgende Abbildung 2 skizziert die wesentlichen Elemente des Akteursmodells und dient der Verdeutlichung der Hauptaussagen. Auf sie soll im Einzelnen in den Kapiteln B2.1.1 und B2.1.2 Bezug genommen werden.

BewertungsPrognosePerzeptionsfähigkeit fähigkeit fähigkeit Können Antizipations-/Lernfähigkeit Realisationsfähigkeit

Wollen

Willensbildung

Realisation

Dynamik Begrenzt

Unbegrenzt

Interne Modelle

Abbildung 2: Schematische Darstellung des dynamischen Modells ökonomischer Akteure (in Anlehnung an: Bach et al. (2001), S. 96)

2.1.1

Grundelemente des Akteursmodells

Seinen zentralen Ausgangspunkt nimmt das Akteursmodell in der Annahme, dass Akteure ihre Handlungen stets auf ihre Nutzenmaximierung hin ausrichten und zu diesem Zweck auf ihre individuellen Eigenschaften zurückgreifen.107 Das deklarierte Ziel und die zentrale Annahme des Akteursmodells bedingen somit die Analyse der Akteurseigenschaften und der

107

Vgl. Bach, et al. (2001), S. 97ff.; Bach, et al. (2002), S. 4ff.

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

31

Akteurshandlungen, den Grundelementen des im Folgenden darzustellenden Akteursmodells.108

2.1.1.1

Akteurseigenschaften

Gemäß dem Akteursmodell lassen sich die Eigenschaften von Akteuren allgemein in die Kategorien Können und Wollen unterteilen. In Summe bestimmen sie die Individualität des handelnden Akteurs.109 Ihr individuelles Können determiniert die Handlungsfähigkeit der Akteure und setzt somit ihren Handlungsraum fest. Die Handlungsfähigkeit setzt sich aus den beiden Komponenten Antizipations-/Lernfähigkeit und Realisationsfähigkeit zusammen.110 Die Antizipations-/ Lernfähigkeit beschreibt dabei die Fähigkeit eines Akteurs, sein Handlungspotenzial zu erweitern. Dies kann einerseits durch die gedankliche Vorwegnahme von Änderungen im Handlungsraum – also die Antizipation – erreicht werden. Andererseits kann dies durch Lernen aus dem Vergleich des tatsächlich erreichten Ergebnisses in Folge der Ausführung mit dem ursprünglich gebildeten Willen in Form einer Kontrolle bewirkt werden.111 Die Antizipations-/Lernfähigkeit setzt sich wiederum aus der Perzeptions-, Prognose- und Bewertungsfähigkeit zusammen.

108

Vgl. Bach, et al. (2001), S. 95; Bach, et al. (2002), S. 2. Die nachfolgenden Darstellungen zu den Akteurseigenschaften und Akteurshandlungen beziehen sich weitestgehend auf Bach, et al. (2001), S. 96-99; Bach, et al. (2002), S. 2-5.

109

Siehe hierzu und zu den nachfolgenden Ausführungen verdeutlichend Abbildung 2.

110

Bach, et al. (2001), S. 96 sprechen zunächst nur von der Antizipationsfähigkeit, während Bach, et al. (2002), S. 2 wiederum nur von der Lernfähigkeit sprechen. Im Hinblick auf die noch folgenden Ausführungen werden hier beide Begriffe parallel weitergeführt. Dieses Vorgehen, das u.a. bereits Liekweg (2003) wählte, soll später die Möglichkeit bieten, zwischen den einzelnen Aspekten der Führungshandlungen zu differenzieren.

111

Siehe zur Willensbildung und Kontrolle im Detail später die Ausführungen in Abschnitt B2.3.

32

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

x Die Perzeptionsfähigkeit befähigt einen Akteur, relevante Aspekte seiner Umwelt sowie seiner selbst wahrzunehmen und das somit gewonnene Wissen112 einer weitergehenden Verarbeitung bereitzustellen. WEBER beschreibt sie anschaulich als ein „Raster, durch das Informationen fallen können“113. x Die Prognosefähigkeit beschreibt das Vermögen eines Akteurs, Änderungen in seinem Handlungsraum

vorherzusehen

bzw.

entsprechende

Erwartungen

mit

hoher

114

Eintrittswahrscheinlichkeit zu bilden.

x Die Bewertungsfähigkeit ermöglicht einem Akteur relevante Konstellationen in seinem Handlungsraum, bestehend aus Handlungsalternativen und Umweltzuständen, zu bewerten und auf Basis dessen miteinander zu vergleichen.115 Die zweite Komponente der Handlungsfähigkeit, die Realisationsfähigkeit, bringt die Fähigkeit eines Akteurs zum Ausdruck, die von ihm antizipierten Änderungen im Handlungsraum tatsächlich zu vollziehen.

112

Dabei lassen sich zwei Arten von Wissen unterscheiden, die der Akteur mittels seiner Perzeptionsfähigkeit erzeugt, nämlich ontologisches und nomologisches Wissen. Um seine Handlungen geistig vorwegnehmen und später umsetzen zu können, muss der Akteur zunächst eine „Vorstellung von der Ausgangssituation haben“ (Gäfgen (1968), S. 97). Diese verschafft er sich durch einmalige Beobachtung. Das dabei generierte Wissen wird als ontologisches Wissen bezeichnet. Des Weiteren benötigt er aber ebenso Wissen über die Gesetzmäßigkeiten bzw. Ursache-Wirkungsbeziehungen, die das Handlungsergebnis bestimmen können. Dieses sog. nomologische Wissen kann entweder durch „organisierte Beobachtung … (Forschung)“ (Gäfgen (1968), S. 97) oder aufgrund von Erfahrung, „also Lernen“ (Gäfgen (1968), S. 98) gebildet werden. Vgl. Gäfgen (1968), S. 97f.

113

Weber (2002), S. 35.

114

Die Perzeptionsfähigkeit beschreibt also letztendlich die Fähigkeit eines Akteurs, sein nomologisches und ontologisches Wissen zu einander in Beziehung zu setzen und Prognosen zu generieren. Siehe hierzu weitestgehend Gäfgen (1968), S. 98.

115

Die Bewertungsfähigkeit bezieht sich an dieser Stelle lediglich auf die grundsätzliche Fähigkeit des Akteurs, die

möglichen

Kombinationen

aus

Handlungsalternative

und

Umweltzustand

mittels

eines

Entscheidungsprinzips zu bewerten. Erst unter Einfluss der Wollen-Komponente, die nachfolgend noch erläutert wird, kann der Akteur die jeweiligen Handlungsalternativen durch Ableitung einer Entscheidungsregel konkret bewerten. Vgl. Liekweg (2003), S. 33. Zur Unterscheidung zwischen Entscheidungsprinzip und Entscheidungsregel siehe Laux (2002), S. 28ff.

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

33

Beide Fähigkeiten der Könnenskomponente – sowohl die Antizipations-/Lernfähigkeit als auch die Realisationsfähigkeit – sind akteursbezogen grundsätzlich sowohl in qualitativer wie auch in quantitativer Hinsicht begrenzt.116 Anders verhält es sich mit der Wollenskomponente. Innerhalb ihres potenziellen Handlungsraums erfahren die Akteure durch die Existenz gewünschter Zustände, also ihrem individuellen Wollen, eine Richtungsweisung. Dabei wird axiomatisch festgelegt, dass die Anzahl gewünschter Zustände a priori unbegrenzt ist. Die Verwirklichung eines gewünschten Zustandes ist für die Akteure mit einem entsprechenden Nutzen verbunden. Die Bedürfnisvielfalt hat jedoch zur Folge, dass mehrere gewünschte Zustände miteinander konkurrieren können. Es wird nun unterstellt, dass Akteure aus der Vielzahl der gewünschten Zustände stets denjenigen zur Realisierung auswählen, der mit dem vergleichsweise höheren Nutzen verbunden ist. Dieser Grundannahme der Nutzenmaximierung folgend, werden die Akteure durch die gewünschten Zustände bzw. die damit verbundenen Nutzenerwartungen zu Handlungen motiviert.

2.1.1.2

Akteurshandlungen

Akteursbezogene Handlungen bilden neben den Eigenschaften der Akteure das zweite konstitutive Element des Akteursmodells. Sie werden als „produktive, potentiell [sic!] zu einem gewünschten Ergebnis führende Faktorkombinationsprozesse, die einem Akteur zugeschrieben werden“117 definiert. Damit rekurrieren Handlungen auf die Akteurseigenschaften, das Wollen und Können der jeweiligen Akteure. So sind Akteurshandlungen einerseits durch gewünschte Zustände motiviert. Sie sind auf die Realisierung einer verbesserten Nutzenposition ausgerichtet und somit stets zweckgebunden. Hierin findet die Wollenskomponente ihren Ausdruck. Die Könnenskomponente wirkt andererseits insofern auf die Handlungen ein, als die jeweilige Zweckerreichung durch die individuellen

116

Durch welche Faktoren das Ausmaß der Fähigkeitsbegrenzungen bestimmt wird und welche Konsequenzen daraus resultieren, wird in den Abschnitten B2.2.2 und B2.4.2 näher betrachtet.

117

Bach, et al. (2002), S. 4.

34

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

Fähigkeiten und Ressourcen, welche die Mittel zur Nutzenmaximierung bereitstellen, bestimmt wird.118 Die Funktion akteursbezogener Handlungen besteht aus der Transformation einer gegebenen Situation in eine andere, gewünschte Situation.119 Dabei wird der Transformationsprozess in der Regel aus einer Abfolge mehrer Handlungen zusammengesetzt. Handlungen stehen dabei in einem dependenten Verhältnis zueinander, d.h. dass eine zeitlich vorgelagerte Handlung den Handlungsraum verändert und somit Folgehandlungen sowohl dieses Akteurs als auch anderer Akteure beeinflusst.120 Der Finalität entsprechend lassen sich Handlungen in die zwei idealtypischen Handlungsarten Ausführungs- und Führungshandlungen differenzieren. Während erstere zur unmittelbaren Steigerung

der

Nutzenposition

eines

Akteurs

durchgeführt

werden

und

dadurch

gekennzeichnet sind, dass alle relevanten Freiheitsgrade festgelegt sind bzw. keine weiteren Freiheitsgrade mehr bestehen, dienen Führungshandlungen mittelbar der Nutzensteigerung. Sie werden vollzogen, um durch Eingrenzung der Freiheitsgrade weiterer Ausführungs- oder Führungshandlungen optimale Ausführungshandlungen zu ermöglichen.121 Angesichts der akteursbezogenen Eigenschaften liegt die Vermutung nahe, dass kein Handlungsergebnis einen Akteur nachhaltig zufrieden zu stellen vermag. Dies kann einerseits auf seine begrenzten Handlungsfähigkeiten zurückgeführt werden, die ein vollständiges Erreichen des erwünschten Zustands verhindert haben, sowie andererseits auf seine Wollenskomponente, die im Nachhinein neue Bedürfnisse hervorruft, die mit einer höheren Nutzenposition in Verbindung gebracht werden. Beide Fälle werden den Akteur veranlassen, durch

weitere

Führungs-

und

Ausführungshandlungen

bzw.

Antizipations-

und

Realisationshandlungen seine bisherige Nutzenposition zu steigern. Diese Diskrepanz

118

Vgl. Bach, et al. (2002), S. 3f. Siehe hierzu auch Weber, der dementsprechend zusammenfasst: „Das Wollen treibt den Akteur voran; die Fähigkeiten bilden den Rahmen, in dem das Gewollte tatsächlich erreicht werden kann.“ (Weber (2002), S. 38).

119

Siehe hierzu auch Gäfgen (1968), S. 18, sowie Langer (2002), S. 22 und S. 74f.

120

Vgl. Bach, et al. (2002), S. 4. Siehe zum Determinismus und Indeterminismus von Handlungsfolgen auch die Ausführungen bei Liekweg (2003), S. 26-30.

121

Vgl. Weber, et al. (1996), S. 9f; Bach, et al. (2002), S. 4f. Die Führungshandlungen werden wiederum in die drei Führungshandlungstypen Willensbildung, Willensdurchsetzung und Kontrolle untergliedert. Siehe hierzu Bach, et al. (2002), S. 5 sowie die Ausführungen im Kapitel B2.3 der vorliegenden Arbeit.

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

35

zwischen sich expansiv gestaltendem Wollen und restriktiv wirkendem Können motiviert eine dynamische Fortentwicklung sowohl der akteursbezogenen Handlungen als auch der akteursbezogenen Eigenschaften, die die Handlungsgrundlage bilden.122 Diese Aspekte finden in der Erweiterung des Grundmodells Ausdruck.

2.1.2

Erweiterung des Grundmodells

Vor dem Hintergrund beschränkter Akteursfähigkeiten führt das stetige Streben der Akteure nach Verbesserung ihrer Nutzenposition konsequenterweise zu einem fortlaufenden Streben nach Verbesserung ihrer Handlungsfähigkeiten. Dem Akteursmodell zufolge werden zu diesem Zwecke so genannte „Akteure höherer Ordnung“ im Sinne einer Ausweitung des Handlungsraums gebildet, interne Modelle herausgebildet,123 die als Handlungsgrundlage dienen sowie Lernprozesse angestoßen, die u.a. auf die Erweiterung und Verbesserung der internen Modelle gerichtet sind.124 Diese drei Elemente gilt es nun für den weiteren Fortgang der Arbeit zielführend vorzustellen.

2.1.2.1

Akteure höherer Ordnung

Die Motivation für die Bildung von Akteuren höherer Ordnung liegt in dem stetigen Streben nach Nutzenmaximierung individueller Akteure begründet.125 Daraus folgt, dass sich einzelne Akteure zu einem Akteur höherer Ordnung zusammenschließen – sei es in Form von Vereinen, Teams, Unternehmen oder Märkten – wenn das Zusammenwirken der Akteure zu

122

Vgl. Bach, et al. (2001), S. 97.

123

Streng genommen werden die internen Modelle noch nicht zur Erweiterung des Grundmodells gezählt. Siehe hierzu Bach, et al. (2001), S. 98f. Da es sich aber um ein Zusammenspiel der Basiseigenschaften handelt und dieses gerade aus dem Streben der Akteure nach Verbesserung ihrer Nutzenposition resultiert, sollen sie nach dem vorliegenden Verständnis ebenfalls zur Erweiterung des Grundmodells gezählt werden.

124

Siehe hierzu und zu den nachfolgenden Ausführungen insbesondere Bach, et al. (2001), S. 98ff. sowie Bach,

125

Siehe zur Entstehung und Veränderung von Akteuren höherer Ordnung insbesondere Bach, et al. (2002), S.

et al. (2002), S. 5ff.

7-9.

36

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

einer Erhöhung des individuellen erwarteten Nutzens führt.126 Die erwartete Nutzenerhöhung durch Kooperation wird sowohl durch Ergänzung komplementärer Eigenschaften als auch durch Verstärkung einer oder mehrerer gemeinsamer Eigenschaftsdimensionen, wie z.B. durch Nutzung von Skaleneffekten, erreicht.127 Entsteht die Nutzensteigerung individueller Akteure innerhalb eines Akteurs höherer Ordnung durch Kooperation,128 so wird dieser Akteur höherer Ordnung als ein Akteur wahrgenommen, dem eine eigene Identität und somit auch ein Können zugeschrieben wird.129 Das Können ergibt sich dabei aus den Fähigkeiten der einzelnen zum Akteur höherer Ordnung zusammengeschlossenen Individuen zuzüglich der Verstärkungs- und Komplementaritätswirkungen; es wird von „organisationalem Wissen“ gesprochen, das umfassender als das des jeweiligen Individuums ist.130 Im Gegensatz dazu lässt sich dem Akteur höherer Ordnung aber kein als gegeben anzunehmendes Wollen in Form von Präferenzen zuschreiben. Dieses muss sich erst durch Verhandlungen der beteiligten individuellen Akteure herausbilden.131

126

Gemäß dem Akteursmodell wird aus Binnenperspektive auch nur dann von einem Akteur höherer Ordnung gesprochen, wenn die Bedingung der individuellen Erhöhung des erwarteten Nutzens erfüllt ist. Vgl. Bach, et al. (2002), S. 6. Siehe zum Begriff der Binnenperspektive in Abgrenzung zur Außenperspektive (vgl. hierzu auch Fußnote 129) Kirsch (1997), S. 250ff. sowie Miller (2003), S. 7ff.

127

Demgegenüber steht die Nutzenerhöhung durch Konkurrenz, bei der das Fähigkeitenniveau der Akteure gegenseitig gesteigert wird und somit Niveauunterschiede zu anderen Akteuren erzeugt werden. Die Verschiedenartigkeit potenzieller nutzenerhöhender Eigenschaften lässt dabei bereits darauf schließen, dass individuelle Akteure mehreren verschiedenartigen Akteuren höherer Ordnung parallel zugehörig sein können. Gleichermaßen ist das Konstrukt des handelnden Akteurs nicht an eine spezielle Abstraktionsebene gebunden; so können Unternehmen im Sinne eines Akteurs höherer Ordnung zu Branchen zusammengefasst werden, Unternehmen wiederum selber als Akteur höherer Ordnung von Organisationseinheiten und diese wiederum als Akteure höherer Ordnung von einzelnen Mitarbeitern aufgefasst werden. Vgl. Bach, et al. (2002), S. 6f. sowie detailliert Langer (2002), S. 182ff.

128

Im weiteren Verlauf der Arbeit sollen nur solche Akteure höherer Ordnung näher betrachtet werden.

129

Gemäß dem Akteursmodell wird aus der Außenperspektive auch nur dann von einem Akteur höherer Ordnung gesprochen, wenn die Bedingung der eigenen Identität erfüllt ist. Vgl.Bach, et al. (2002), S. 6.

130

Vgl. Bach, et al. (2001), S. 101f.; Bach, et al. (2002), S. 6f. Wilke konstatiert in diesem Zusammenhang: „Kein Individuum verfügt heute über das erforderliche Wissen, um einen modernen Computer, ein Auto oder ein Flugzeug zu bauen. Organisationen aber ,können’ das. Und präzise in diesem Sinne sind heute komplexe Organisationen intelligenter als jeder Mensch.“ (Willke (1995), S. 297). Siehe zu weiteren möglichen Verstärkungen der Fähigkeiten auf der Ebene der höheren Akteure die Beispiele bei Langer (2002), S. 182ff. sowie die dort angegebene Literatur.

131

Vgl. Liekweg (2003), S. 46ff. sowie die dort angegebene Literatur.

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

2.1.2.2

37

Zusammenspiel der Grundeigenschaften in Form interner Modelle

Akteursbezogenes Handeln richtet sich stets auf die Verbesserung der individuellen Nutzenposition eines Akteurs. Sein Handeln dient also dem Zwecke, einen gegebenen IstZustand in einen von ihm antizipierten Soll-Zustand zu transformieren und kann insofern als Problemlösungsprozess charakterisiert werden.132 Dabei verfügen Akteure niemals über vollkommenes Wissen zur optimalen Problemlösung. Dies liegt einerseits an ihren individuellen Fähigkeitsbegrenzungen, die zur Folge haben, dass nicht alle Details des Kontextes zur Umsetzung ihres Wollens verarbeitet werden können. Andererseits können oftmals selbst bei besten akteursbezogenen Fähigkeiten nicht alle handlungsrelevanten Aspekte des Umfeldes in Betracht gezogen werden, da sie in Bezug auf die Beobachtungsposition der Akteure räumlich, zeitlich oder funktional zu fern liegen.133 Die Realisierung ihres Wollens wird somit für Akteure grundsätzlich zu einer komplexen Problemlösungsaufgabe134, zu deren Bewältigung die Reduktion der Problemkomplexität erforderlich wird.135 Dabei versuchen Akteure durch Rückgriff auf Hilfskonstrukte, den so

132

„Das Grundmodell eines Problems enthält also einen unerwünschten Anfangszustand, einen erwünschten Endzustand und eine Barriere, die eine unmittelbare Transformation des Problemobjekts in den Endzustand verhindert. … Das Vorliegen eines Problems darf nicht nur als genau bestimmbare Abweichung zwischen definierten Soll- und Ist-Zuständen interpretiert werden. Häufig reicht schon das Vorliegen eines subjektiv als unbefriedigend angesehenen Zustands, ohne mehr als relativ globale Kriterien dafür zu haben, wohin und wie er verändert werden soll.“ (Pfohl (1989), Sp. 1579). Vgl. sinngemäß mit Beispielen Dörner (1987), S. 10f.

133

Bach et alii sprechen in diesem Zusammenhang von den Reichweitenrestriktionen. Vgl. Bach, et al. (2002), S. 3; Bach, et al. (2001), S. 98.

134

Zu Knyphausen-Aufseß definiert komplexe Probleme als „Probleme, die ‚schlecht definiert’ sind, für die also kein Algorithmus bekannt ist, den man nur verwenden muß, um in überschaubarer Zeit die Problemlösung zu haben“ (zu Knyphausen-Aufseß (1995), S. 329). Siehe zu „schlecht definierten Problemen“ auch Dörner (1987), S. 11ff.

135

Vgl. Bach, et al. (2002), S. 3f.; Bach, et al. (2001), S. 98f. Eine alternative Handlungsstrategie zur Bewältigung der Problemkomplexität stellt in Anlehnung an Ashby und Luhmann die Erhöhung der Eigenkomplexität dar. Diese geht auf Ashby’s Gesetz der erforderlichen Varietät, dem „law of variety“ zurückzuführen bzw. auf Luhmann, der das Gesetzt auf soziale Systeme überträgt und konstatiert: „[N]ur Komplexität kann Komplexität reduzieren.“ (Luhmann (1984), S. 49). Siehe zur Herleitung des „law of variety“ Ashby (1958), S. 83ff. Da die grundsätzliche Begrenzung der akteursbezogenen Fähigkeiten jedoch wiederum die Möglichkeiten der Akteure, ihre Eigenkomplexität zu steigern, beschränkt und infolgedessen zwischen der Fähigkeit der Akteure zur Komplexitätsverarbeitung und der Komplexität der von ihnen zu lösenden Probleme stets eine Diskrepanz vorhanden sein wird, soll diese Alternative an dieser Stelle nicht weiter vertiefend betrachtet werden. Siehe hierzu insbesondere Luhmann (1984), S. 249.

38

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

genannten internen Modellen136, von der Handlungssituation zu abstrahieren, relevante Problemmerkmale zu selektieren und somit die Komplexität durch Clusterung und Hypothesenbildung zu reduzieren.137 Die Funktionsweise interner Modelle wird in zahlreichen Definitionen mit unterschiedlichen Akzentuierungen zum Ausdruck gebracht. Auf einem breiten Literaturüberblick basierend, resümieren DOYLE/FORD: „We propose that a mental model of a dynamic system is a relatively enduring and accessible, but limited, internal conceptual representation of an external system whose structure maintains the perceived structure of that system.”138 BACH ET ALII betonen demgegenüber, dass das interne Modell neben der Vorstellung über ein externes System

im

Sinne

eines

„Weltbildes“

zudem

auch

solche

über

die

eigenen

Eigenschaftsausprägungen im Sinne eines „Selbstbildes“ umfasst.139 Einen Aspekt, der auch für den weiteren Verlauf dieser Arbeit von zentraler Bedeutung ist, bringt SENGE besonders deutlich zum Ausdruck: „Mental models are the images, assumtions, and stories which we carry in our minds of ourselves, other people, institutions, and every aspect of the world. Like a pane of glass framing and subtly distorting our vision, mental models determine what we see.”140 Interne Modelle beeinflussen demzufolge die Wahrnehmung der Akteure und dienen

136

In einem betriebswirtschaftlichen Kontext wird der Begriff des internen Modells bei Krieg zu Beginn der siebziger Jahre eingeführt und erlangt zu Beginn der achtziger Jahre mit dem von Gentner/Stevens veröffentlichten Sammelband „Mental Models“ und der von Johnson-Laird gleichnamigen Monographie allgemeine Anerkennung. Vgl. Krieg (1971), S. 81; Gentner/Stevens (1983); Johnson-Laird (1983). Die Begriffe der internen Modelle und mentalen Modelle werden in der Literatur in der Regel heterogen definiert und voneinander abgegrenzt. In Anlehnung an die Vorgehensweise bei Schäffer werden aufgrund der für die vorliegende Arbeit wenig zielführenden Differenzierung der beiden Begriffe diese synonym verwendet. Vgl. Schäffer (2001), S. 9 die dortige Fußnote 30. Vgl. allgemein zu internen Modellen die Ausführungen bei Bach (1998); Schäffer (2001), S. 9f sowie S. 107-113; Weber, et al. (2001a), S. 105-111; Kehrmann (2002), S. 38-44.

137

Vgl. Bach, et al. (2002), S. 3f.; Bach, et al. (2001), S. 98f.

138

Doyle/Ford (1998) S. 17.

139

So konstatieren Bach et alii: „Im Ergebnis umfasst ein internes Modell für die jeweils relevanten Handlungstypen („Weltausschnitte“) zum einen als „Selbstbild“ Annahmen über die eigenen Eigenschaftsausprägungen und deren Nebenbedingungen, zum anderen als handlungsrelevantes „Weltbild“ Erwartungen über Bezugsgrößen und Folgen unterschiedlicher Handlungssequenzen. Ein internes Modell lässt sich mit anderen Worten als ein Ordnungsschema bezeichnen, das auf einen Handlungskomplex bezogen Komplexitätsreduktion durch Spezialisierung und Standardisierung erreicht.“ (Bach, et al. (2002), S. 4).

140

Senge (1990) S. 235f.

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

39

der Strukturierung des gesamten Problemlösungsprozesses. Sie bilden die Grundlage nicht nur für die Perzeption, sondern auch für die Prognose und Bewertung durch die jeweiligen Akteure.141 SCHÄFFER spricht in diesem Zusammenhang von der „Brille“ und KEHRMANN vom „Suchraum“ des Akteurs.142 Interne Modelle bieten dem Akteur die Möglichkeit auf Handlungsschemata zurückzugreifen und so die Komplexitätsreduktion einer Handlungssituation herbeizuführen.143 Dabei stellen interne Modelle die Verbindung zwischen den zunächst als voneinander unabhängig vorgestellten Basiseigenschaften eines Akteurs dar, auf denen sie gründen.144 Auf der einen Seite sind interne Modelle aufgrund der Fähigkeitsbeschränkungen der Akteure von Nöten. Sie strukturieren die Wahrnehmung, Informationen werden kanalisiert, Elemente werden Kategorien zugeordnet. Auf der anderen Seite findet das Wollen der Akteure Ausdruck, indem auf Basis der internen Modelle Ziele gebildet werden.145 So stellen interne Modelle das

141

Siehe hierzu auch die schematische Darstellung in Abbildung 2.

142

Vgl. Schäffer (2001), S. 108. Nach Kehrmann bestimmt das interne Modell durch die Verbindung der im internen

Modell

des

Akteurs

repräsentierten

Situationsmerkmale

mit

seinen

verfügbaren

Handlungsmöglichkeiten den „Suchraum“ des Akteurs. Vgl. Kehrmann (2002), S. 33. Siehe hierzu auch Lüer/Spada (1992), S. 256. 143

Vgl. Bach, et al. (2001), S. 98. Dieser Aspekt wird insbesondere auch bei Schwartz deutlich, der Schemata „als allgemeine Wissensstrukturen“ definiert, „die die wichtigsten Merkmale des Gegenstandsbereichs wiedergeben, auf den sie sich beziehen und zugleich angeben, welche Beziehung zwischen diesen Merkmalen bestehen“ (Schwartz (1985), S. 273). Unter Rückgriff auf die Definition von Schemata nach Rumelhart wird auch noch mal deutlich, welchen Einfluss interne Modelle auf die Wahrnehmung und insofern auf den Problemlösungsprozess haben: „[S]chemata are the building blocks of cognition. They are the fundamental elements upon which all information processing depends. Schemata are employed in the process of interpreting sensory data …, in retrieving information from memory, in organizing actions, in determining goals and subgoals, in allocating resources, and, generally, in guiding the flow of processing in the system.” (Rumelhart (1980), S. 33).

144

Vgl. Bach, et al. (2002), S. 3.

145

Vgl. hierzu auch noch mal das vorangegangene Zitat von Rumelhart in Fußnote 143. Deutlich zutage tritt dieser Sachverhalt bei Kubon-Gilke, der darauf hinweist, dass „durch die spontane oder aufgrund von Überlegungen vorgenommene Zuordnung von Elementen zu Kategorien (und die Bildung und Interdependenz der Kategorien) nicht nur eine Kanalisierung von Informationen stattfindet, sondern damit einhergehend – durch Sinngebungsbemühungen z.B. – auch Emotionen und Motive geformt werden, d.h.: Solche Strukturierungseffekte der Wahrnehmung sind eng mit der Bildung von Präferenzen, mit Motivation und individuellem Verhalten verknüpft.“ (Kubon-Gilke (1993), S. 30). Vgl. hierzu insbesondere auch Schäffer (2001), S. 109ff., der unter Rückgriff auf den gestaltpsychologischen Ansatz die Verbindung zwischen den Basiseigenschaften im internen Modell präzisiert.

40

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

Zusammenspiel der Basiseigenschaften dar und bilden zugleich die notwendige Grundlage der Problemlösungsfähigkeit ökonomischer Akteure. Interne Modelle sind dabei als Handlungsgrundlage stets an individuelle oder korporative Akteure gebunden.146 Sie entstehen über die Zeit durch den Erwerb eigener oder die Übernahme fremder Erfahrungen.147 Auf Basis dieser Erfahrungen bilden Akteure Hypothesen über zukünftige Ereignisse. Diese fließen wiederum in ihr bestehendes internes Modell mit ein,148 nicht zuletzt bedingt durch ihr stetiges Streben nach Verbesserung der individuellen Nutzenposition. So findet zwar die Hypothesenbildung mit dem Ziel der Überwindung der beschränkten Antizipations-/Lernfähigkeit statt, allerdings ist diese stets mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit behaftet. Daher ist der Akteur bestrebt, Erfahrungen bzgl. der Richtigkeit seiner Hypothesen zu sammeln, indem er die Resultate von Ausführungshandlungen registriert.149 Je nach Ergebnis der Ausführungshandlungen werden die damit verbundenen Hypothesen erhalten, verstärkt, modifiziert oder verworfen. Der Akteur entwickelt seine internen Modelle somit weiter; er lernt.150

2.1.2.3

Dynamisierung des Modells durch Lernen

Aus dem Zusammenspiel der Basiseigenschaften in Form interner Modelle sowie dem stetigen Streben ökonomischer Akteure nach der Verbesserung ihrer Nutzenposition wird gleichsam die dynamische Perspektive des Akteursmodells gelegt.151 Diesen Aspekt verdeutlicht eine Betrachtung der internen Modelle im Zeitablauf. Sie werden auf der Basis eigener

oder

fremder

Erfahrungen

gebildet

und

sind

somit

das

Produkt

der

akteursspezifischen Handlungshistorie und letztendlich vergangener Lernprozesse. In diesem Zusammenhang stellen sie die notwendige Grundlage gegenwärtiger und zukünftiger

146

Vgl. Grothe (1997), S. 316ff.; Bach, et al. (2002), S. 7.

147

Vgl. Bach, et al. (2002), S. 4 sowie: Bach, die konstatiert: „… kann dies als komplexes internes Modell eines Handlungsträgers verstanden werden, in das seine eigenen Erfahrungen und Hypothesen ebenso einfließen wie die aufgenommenen Regelungen einer Organisation oder Werte und Moralvorstellungen eines Kulturkreises.“ (Bach (1998), S. 60).

148

Vgl. Bach (1998), S. 58. Siehe zur Verdeutlichung auch die schematische Darstellung in Abbildung 2.

149

Siehe hierzu später die Ausführungen in Kapitel B2.3.4.

150

Vgl. Bach, et al. (2001), S. 100.

151

Siehe auch Bach, et al. (2002), S. 3.

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

41

Handlungen dar. Aufgrund ihrer Irrtumswahrscheinlichkeit lösen sie aber vor dem Hintergrund eines permanenten Strebens nach Verbesserung der individuellen Nutzenposition gleichzeitig zukünftige Lernprozesse aus. Somit bilden interne Modelle zum einen zeitpunktbezogen die notwendige Handlungsgrundlage und zum anderen in dynamischer Perspektive zugleich das Ergebnis als auch die Ausgangsbasis von Lernprozessen. Das eigentliche auslösende Moment solcher Lernprozesse stellen dabei kognitive Konflikte dar.152 Sie entstehen insbesondere dann, wenn eingetretene Handlungsergebnisse nicht mit der Erwartungsbildung des Akteurs konform gehen.153 Lernen – im Sinne kognitiver Lerntheorien154 verstanden als Veränderung kognitiver Konstrukte155 – zielt infolgedessen darauf ab, dieses Spannungsverhältnis zu beseitigen. Kognitive Lerntheorien gehen folglich davon aus, dass Lernen durch die kognitiven Konstruktionen bestimmt wird, deren Konflikte es zugleich zu beseitigen versucht.156 Als Implikation dessen erfolgt Lernen somit modellbasiert und ist ebenfalls irrtumsbehaftet. Eine vollkommene Eliminierung der Irrtumswahrscheinlichkeit der internen Modelle sowie der damit verbundenen kognitiven Konflikte wird somit einerseits durch modellbasierte Lernprozesse und andererseits durch das dem ökonomischen Akteur typische permanente Streben nach einer Verbesserung seiner

152

So schildern Schnotz/Preuss sehr anschaulich: „[A]n individual’s old knowledge is challenged by new experiences that create cognitive conflicts which finally result in a replacement of old misconceptions by new, more adequate conceptes. Such replacements are assumed to require that the learner is dissatisfied with his/her old concept, that there are alternative concepts available he/she is able to understand, and that the alternative concepts are plausible and promise to be fruitful” (Schnotz/Preuss (1997), S. 187). Siehe hierzu auch: Kehrmann, der konstatiert: „Der Motor des Lernprozesses ist der kognitive Konflikt zwischen Umweltinformation und Wissensstruktur.“ (Kehrmann (2002), S. 47). Diesem Verständnis folgt auch das Akteursmodell. Vgl. Bach, et al. (2001), S. 100.

153

Kognitive Konflikte sind somit letztendlich Ausdruck des auf die Akteurseigenschaften zurückzuführenden permanenten Spannungsverhältnisses zwischen Können und Wollen. Siehe hierzu auch Schäffer, der konstatiert: „Interpretiert man den Lernprozess kognitions- und verhaltenswissenschaftlich, kommt neben dem Konzept des internen Modells auch dem Phänomen der Spannung für die Kontrolle zentrale Bedeutung zu: Transparenz bzgl. Abweichungen stellt einen Reiz bzw. eine Spannungsquelle für den Akteur da. Diese Spannung ist erforderlich, um die Lernkapazität des Akteurs entsprechend zu alloziieren. Diese ist wiederum die notwendige Voraussetzung für Lernprozesse.“ (Schäffer (2001), S. 35).

154

Siehe zu kognitiven Lerntheorien sowie deren Abgrenzung zu behavioristischen und sozialen Lerntheorien Schäffer (2001), S. 27-33.

155

Vgl. hierzu nochmals Fußnote 153 sowie Schäffer (2001), S. 29ff.

156

In diesem Zusammenhang stellt Kehrmann fest: „Sie beeinflussen folglich als Ergebnis vergangener Lernprozesse ihre eigene Veränderung.“ (Kehrmann (2002), S. 46).

42

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

Nutzenposition nicht möglich sein.157 Aus dynamischer Sicht führen diese Spannungsverhältnisse zu einem kontinuierlichen Lernprozess, der je nach Erwartungsbildung und Handlungsergebnis zu einer Verstärkung, einer Anpassung oder einem Verwerfen des internen Modells führt.158 Die Stärke des kognitiven Konflikts bestimmt letztendlich darüber, ob und in welchem Maße das interne Modell angepasst oder verworfen wird.159 Die Formen der Anpassung finden dementsprechend in korrespondierenden Lerntypen Ausdruck, zu deren Unterscheidung in der Literatur zahlreiche Begrifflichkeiten gebildet wurden.160 In Anlehnung an KEHRMANN soll im Folgenden der Unterscheidung bei PIAGET gefolgt werden, da dieser explizit die doppelte Interdependenz der gegenseitigen Beeinflussung interner Modelle und Lernprozesse berücksichtigt.161 PIAGET greift auf Erkenntnisse aus der evolutionären Biologie zurück und unterscheidet dabei in Assimilation und Akkommodation. Unter dem Konzept der Assimilation wird in der Biologie die Integration externer Elemente in die Strukturen eines bereits existierenden Organismus verstanden.162 So handelt es sich bei diesem Lerntyp um

157

Vgl. hierzu nochmals die Ausführungen in den Kapiteln B2.1.1.1 bis B2.1.2.2, die dargelegt haben, dass davon auszugehen ist, dass der Akteur aufgrund seiner Basiseigenschaften stets unzufrieden über seine erreichte Nutzenposition sein wird.

158

Vgl. Bach, et al. (2001), S. 100 sowie die Ausführungen in Kapitel B2.1.2.2.

159

Idealtypisch fällt der kognitive Konflikt um so intensiver aus, je größer die Diskrepanz zwischen Erwartungsbildung und Handlungsergebnis ausfällt, da sich eine Verbesserung der akteursspezifischen Nutzenposition unter Rückgriff auf das bestehende interne Modell als Handlungsgrundlage als schwierig oder nicht möglich herausstellt. Siehe hierzu u.a. Grothe (1997), S. 375; Bach (1998), S. 149-162.

160

Eine der bekanntesten Unterscheidungen stellt die Terminologie von Argyris/Schön dar, die von „singleloop learning“ und „double-loop-learning“ sprechen und das Konzept des Lernens auf den organisationalen Kontext übertragen. Single-loop-learning bezeichnet den Prozess durch den eine Organisation auf neue Informationen durch eine Verhaltensanpassung reagiert, ohne die internen Modelle oder theory-in-use zu hinterfragen. Dahingegen werden beim „double-loop-learning“ die internen Modelle der Organisation hinterfragt und entsprechend der neuen Informationen angepasst. Siehe hierzu bspw. Argyris/Schön (1978), S. 18ff. Weitere Unterscheidungen treffen Ackoff „homeostatische“ und „adaptive Systeme“ (vgl. Ackoff (1971), S. 663f.); Hedberg „adjustment-learning“ und „turnover learning“ (vgl. Hedberg (1981), S. 3ff.); Fiol/Lyles in „lower-“ und „higher-level learning“ (vgl. Fiol/Lyles (1985), S. 807f.); Pawlowsky in „idiosynkratische Adaptation“ und „Umweltadaptation“ (vgl. Pawlowsky (1992), S. 177ff.) und Klimecki/Probst/Eberl in „Verbesserungslernen“ und „Veränderungslernen“ (vgl. Klimecki, et al. (1994), S. 69).

161

Vgl. Kehrmann (2002), S. 45-49.

162

Vgl. Piaget (1981), S. 41.

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

43

eine Einordnung neuer Informationen in bereits bestehende interne Modelle, die zur Integration der neuen Informationen modifiziert – erweitert und ausdifferenziert – und somit in ihrem Wesensgehalt verstärkt werden.163 Lassen sich die neuen Informationen hingegen nicht mittels Assimilation in die bestehenden internen Modelle integrieren, da keinerlei Kongruenz zwischen den neuen Informationen und den vorhandenen Modellen besteht und der Akteur die neuen Umweltinformationen nicht einzuordnen vermag, so kommt es letztendlich zu akkommodativen Lernprozessen. Die bestehenden internen Modelle werden nun an die neuen Informationen akkommodiert bis hin zur völligen Neuentwicklung solcher Modelle.164 Im Vergleich zu assimilativen Lernprozessen sind solche der Akkommodation komplexer und aufwendiger, nicht zu letzt, da im Zuge der Akkommodation grundsätzlich mehrere analoge Problemlösungsmodelle gebildet werden müssen. Sie werden ob ihrer Komplexität erst angesichts gravierender kognitiver Konflikte durchlaufen.165 Jedoch weist PIAGET auf die Bedeutung eines Gleichgewichts beider Lernprozesse für die kognitive Entwicklung hin;166 nur so kann sichergestellt werden, dass geeignete Schemata verbessert und verstärkt und ungeeignete Schemata verworfen werden.167 Welche Faktoren dieses Gleichgewicht beeinflussen und gegebenenfalls stören, wird in den weiteren Ausführungen zur zweiten Säule des Rationalitätssicherungsansatzes – der Rationalitätsperspektive – betrachtet.

163

Siehe hierzu Piaget, der konstatiert: „Die gedankliche Assimilation besteht aus der Einverleibung der

164

Vgl. Kehrmann (2002), S. 47.

165

Vgl. Reason (1990), S. 67; Kehrmann (2002), S. 43ff.; Siehe auch Schnotz/Preuss (1997), S. 193.

166

Siehe hierzu Piaget, der bekräftigt: „Deshalb besteht kognitive Adaption wie ihr biologisches Gegenstück

Objekte in die Verhaltensschemata“ (Piaget (1974), S. 10).

aus einem Gleichgewicht zwischen Assimilation und Akkommodation“ (Piaget (1981), S. 44f.) sowie „[d]ie ganze Entwicklung des geistigen Lebens von der Wahrnehmung und der Gewohnheit bis hin … zu den höheren Formen des logischen Denkens, ist also eine Funktion dieser allmählich wachsenden Ausweitung der Austauschprozesse, d.h. des Gleichgewichts zwischen einer Assimilation von Elementen der Umwelt, die von der eigenen Tätigkeit immer entfernter sind und einer Akkommodation dieser Tätigkeit an diese Umwelt.“ (Piaget (1974), S. 11). 167

Vgl. Kehrmann, S. 48f.

44

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

2.2

Rationalitätsperspektive

Im

Mittelpunkt

des

Rationalitätssicherungsansatzes

steht

eine

spezifische

Rationalitätsperspektive. Sie bildet die zweite Säule des Ansatzes. Aus der dem Ansatz inhärenten Controllingfunktion der Sicherstellung der Rationalität der Führung lässt sich folgern, dass dem Ansatz zwei Aspekte der Rationalität innewohnen. Einerseits lässt sich daraus ableiten, dass es eine spezifische Form von bzw. ein bestimmtes Maß an Rationalität gibt, das es anzustreben gilt. Aus der im Grundmodell einer dynamischen Theorie ökonomischer Akteure getroffenen Annahme des ständigen Strebens der Akteure nach individueller Nutzensteigerung folgt, dass das Handeln der Akteure stets auf den Zweck der Nutzenmaximierung ausgerichtet, also zweckgebunden ist. Die dem Akteur zur Verfügung stehenden Mittel zur Zweckerreichung, seine Fähigkeiten, sind jedoch begrenzt. Zur Realisierung einer zufrieden stellenden Nutzensteigerung ist der Akteur folglich gezwungen, seine Zwecke und Mittel aufeinander abzustimmen. Dieses Prinzip findet im Konzept der Zweck-Mittel-Rationalität Ausdruck. Andererseits lässt sich aber insbesondere aus der Forderung nach einer Sicherstellung der Rationalität schließen, dass dieses Maß an Rationalität nicht per se erreicht wird, sondern Abweichungen davon vorliegen können und infolgedessen Maßnahmen zu dessen Erreichung und Sicherstellung getroffen werden müssen. Somit wird deutlich, dass der Rationalitätssicherungsansatz auf zwei in der ökonomischen Theorie weit verbreitete Rationalitätskonzepte rekurriert, die es mit dem Ziel der näheren Konkretisierung des dem Ansatz inhärenten Rationalitätsverständnisses vorzustellen gilt.

2.2.1

Zweck-Mittel-Rationalität als Sollrationalität akteursbezogenen Handelns

Der Begriff der Rationalität wird in den verschiedensten Wissenschaftsbereichen diskutiert.168 Aus den unterschiedlichen Zielsetzungen der Wissenschaftsbereiche lassen sich mitunter die zahlreichen und heterogenen Definitionen und Konzeptionen des Rationalitätsbegriffs

168

Vgl. Weber, et al. (1999), S. 2 m.w.N. bzw. Weber, et al. (2001c), S. 46. Siehe zur Bedeutung und Entwicklung des Rationalitätsverständnisses in den Wirtschaftswissenschaften bspw. Goetzelmann (1991); Kirchgässner (1991), S. 1-97 u. S. 176ff.; Kappler (1993), Sp. 3650ff; Schneider (1995), S. 130ff. jeweils m.w.N.

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

45

erklären.169 In ökonomischen Theorien findet die auf MAX WEBER zurückzuführende Konzeption Anwendung,

der 171

Zweck-Mittel-Rationalität

bzw.

Zweckrationalität170

weitestgehend

so bspw. bereits bei GUTENBERG: „An sich nun liegt das Denken in der

Zweck-Mittel-Relation allem zu Grunde [sic!], und zwar nicht nur im wirtschaftlichen Leben, sondern im menschlichen Leben überhaupt. ‚Unvernünftig handeln’ heißt überhaupt unzweckmäßig handeln, heißt die Mittel nicht richtig auf den Zweck, dessen Erreichung sie dienen sollen, abgestimmt haben.“172 Rationalität kommt demnach in der Eignung der verwendeten Mittel zur Zweckerreichung zum Ausdruck. Auf

diesem

Rationalitätsverständnis

fußt

auch

die

Controllingkonzeption

der

Rationalitätssicherung nach WEBER/SCHÄFFER, die herausstellen, dass sich „[d]ie Zweckrationalität einer Handlung … an der effizienten Mittelverwendung bei gegebenen Zwecken“173 bemisst. Zwar wird in Bezug auf Zweckrationalität in der Regel von gegebenen Zwecken gesprochen,174 diese dürfen aber nicht außer Acht gelassen oder gar fehlinterpretiert werden. So dienen die gegebenen Zwecke meist der Erreichung eines übergeordneten Zweckes und sind somit selber wieder ein Mittel, das es unter Rationalitätsaspekten auf eine

169

Vgl. Weber, et al. (1999), S. 2f.; Eine Übersicht über die verschiedenen Definitionen des Rationalitätsbegriffes ist bspw. bei Meyer (1999), S. 7-10 zu finden.

170

Weber definiert zweckrationales Handeln dabei folgendermaßen: „Zweckrational handelt, wer sein Handeln nach Zweck, Mitteln und Nebenfolgen orientiert und dabei sowohl die Mittel gegen die Zwecke, wie die Zwecke gegen die Nebenfolgen, wie endlich auch die verschiedenen möglichen Zwecke gegeneinander rational abwägt: also jedenfalls weder affektuell (und insbesondere nicht emotional), noch traditional handelt.“ (Weber (1968), S. 566 [Hervorhebungen im Original]).

171

Vgl. Berg/Cassel (1981), S. 137ff.; Kappler (1993), Sp. 3649ff.; Becker (1996), S. 199 u. S. 288ff.

172

Gutenberg (1929); S. 30.

173

Weber/Schäffer (1999), S. 734 m.w.N.

174

So spricht bspw. Gutenberg von einem „Datum“. Vgl. Gutenberg (1929), S. 31.

46

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

Zweckerreichung abzustimmen gilt.175 Letztendlich, so WEBER/SCHÄFFER, „gibt es für Unternehmen in unserer Gesellschaftsordnung nur einen einzigen Zweck, welcher selbst nicht auch Mittel ist, nämlich der übergeordnete Zweck der Nutzenmaximierung“176, die sich in Form einer Gewinn- oder Wertmaximierung darstellt.177 Dabei werden in aller Regel verschiedene mögliche Zwecke als Mittel zur Nutzenmaximierung parallel vorliegen. Eine gleichzeitige Verfolgung aller Zwecke wird in den seltensten Fällen realisierbar und zielführend sein. Daher müssen nun die um die Nutzenmaximierung konkurrierenden und dabei kollidierenden Zwecke gegeneinander abgewogen werden. Die Auswahl der geeigneten Zwecke kann letztendlich aber nur zweckrational gestaltet werden, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel in Betracht gezogen werden.178 Es wird deutlich, dass sich die Zweck-MittelRationalität nicht nur in der Eignung der Mittel zur Zweckerreichung bestimmt, sondern auch in der Abstimmung der Zwecke als Mittel zur Nutzenmaximierung unter Berücksichtigung

175

Die Bestimmung des übergeordneten Zwecks wird zwar von jedem Akteur individuell auf Basis seiner Nutzenvorstellung vorgenommen, dabei ist dieser aber in aller Regel in hohem Maße von den Wertvorstellungen seines sozialen Umfeldes geprägt. Siehe hierzu u.a. Gethmann (1978), Sp. 468-481 sowie die Studie von Elias (1979), der den Selbstzweck in der sozialen Existenz sieht und darlegt, dass in der höfischen Gesellschaft des Ancien Régime die Ehre als Motivation gar über die materielle Existenz gestellt wurde. Weber/Schäffer bezeichnen Rationalität vor diesem Hintergrund als soziales Konstrukt, das ex definitone relativ ist; die Existenz einer absoluten Rationalität negieren sie. In diesem Zusammenhang konstatieren sie: „Diese [Zweckrationalität] wird aus einer Gemeinschaft handelnder Akteure heraus konstituiert und ist an das jeweilige interne Modell einer Akteursgemeinschaft gebunden“ (Weber/Schäffer (1998), S. 147) und ähnlich Schäffer/Weber (2004), S. 461 m.w.N.

176

Weber/Schäffer (1999), S. 734 m.w.N. Die Nutzenmaximierung erhält somit den Charakter eines Selbstzwecks.

177

Vgl. Schäffer/Weber (2002), S. 93; Schäffer/Weber (2004), S. 462. Diese wird entsprechend der ZweckMittel-Rationalität nicht hinterfragt, wertrationale Fragestellungen werden bewusst ausgeklammert. Siehe hierzu vor allem Weber (2004), S. 471. Zur Bedeutung der Wertrationalität in Abgrenzung zur Zweckrationalität konstatiert Weber: „Die wertrationale Orientierung des Handelns kann also zur zweckrationalen in verschiedenartigen Beziehungen stehen. Vom Standpunkt der Zweckrationalität aus aber ist Wertrationalität immer, und zwar je mehr sie den Wert an dem das Handeln orientiert wird, zum absoluten Wert steigert, desto mehr irrational, weil sie ja um so weniger auf die Folgen des Handelns reflektiert, je unbedingter allein dessen Eigenwert (reine Gesinnung, Schönheit, absolute Güte, absolute Pflichtmäßigkeit) für sie in Betracht kommt. Absolute Zweckrationalität des Handelns ist aber auch nur ein im Wesentlichen konstruktiver Grenzfall“ (Weber (1968), S. 567 [Hervorhebungen im Original]).

178

Vgl. Schäffer/Weber (2001a), S. 2; Schäffer/Weber (2002), S. 92f.; Schäffer/Weber (2004), S. 462.

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

47

der zur Verfügung stehenden Mittel.179 Zweck-Mittel-Rationalität180 findet somit sowohl in der Effizienz als auch der Effektivität der Handlungen ihren Ausdruck.181 Daran anschließend stellt sich die Frage nach der Rationalitätsbestimmung, der Frage, wann eine Handlung als rational zu bezeichnen ist.182 Unter Bezug auf die Grundidee von HABERMAS gehen WEBER/SCHÄFFER davon aus, dass Rationalität durch einen adäquaten Diskurs von Fachleuten gebildet wird.183 Eine Abkehr vom Anspruch objektiver, auf Logik beruhender Wahrheit wird somit bewusst vorgenommen.184 Grundlage des Rationalitätsanspruchs und -maßstabes ist die Begründbarkeit einer Handlung bzw. der ihr zugrunde liegenden Entscheidung innerhalb einer Gruppe von Sachverständigen, so fassen WEBER/SCHÄFFER/LANGENBACH die Idee von HABERMAS zusammen: „… eine zielgerichtete Handlung wird als rational bezeichnet, wenn die Wahl der Mittel begründbar ist“185.

179

Vgl. hierzu auch die bereits in Fußnote 170 zitierte Textstelle von Weber (1968), S. 566.

180

Um beide dieser Aspekte in Erinnerung zu halten, wird im weiteren Verlauf der Arbeit entgegen der allgemeinen Begriffsverwendung der Zweckrationalität der Begriff der Zweck-Mittel-Rationalität verwendet.

181

So stellen Dyckhoff und Ahn in Anlehnung an die Rationalitätssicherung die Effektivitäts- und Effizienzsicherung als eine Kernaufgabe des Controlling heraus. Siehe hierzu insbesondere Ahn (2003) und Ahn/Dyckhoff (2004). Weber und Schäffer haben darauf aufbauend ihre Controllingkonzeption zur weiteren Operationalisierung der Rationalitätssicherung um diesen Aspekt erweitert. Vgl. hierzu Schäffer/Weber (2001a), S. 2; Schäffer/Weber (2002), S. 91 m.w.N. bzw. Schäffer/Weber (2004), S. 461. Zu den Begriffen Effizienz und Effektivität siehe ausführlich Ahn/Dyckhoff (1997); Ahn (2003), S. 89-102; Ahn/Dyckhoff (2004), S. 517-520.

182

Vgl. Weber, et al. (1999), S. 13 bzw. Weber, et al. (2001c), S. 57.

183

Vgl. Habermas (1981); Weber/Schäffer (1999), S. 734.

184

Hauptkritikpunkt am Konzept der Zweck-Mittel-Rationalität ist die Annahme, Zwecke und Mittel ließen sich objektiv bestimmen. Diese Annahme ist insofern wirklichkeitsfremd, als nur bei Vorliegen unbeschränkten Wissens die Mittel eindeutig auf die Zwecke abgestimmt werden können. Des Weiteren wird die eindeutige und objektive Ableitung der Zwecke durch Vorliegen unterschiedlicher Interessen oder subjektiver Bewertungen der Akteure verhindert. Vgl. hierzu im Überblick Weber, et al. (1999), S. 15f. bzw. Weber, et al. (2001c), S. 59 jeweils m.w.N. und im Speziellen Schaffitzel (1982), S. 121ff. und 196ff.

185

Weber, et al. (1999), S. 15 bzw. Weber, et al. (2001c), S. 60. Siehe hierzu Habermas (1981), S. 70, der als Maßstab für die Rationalität einer Handlung die „rational motivierte Kraft des besseren Arguments“ zugrunde legt.

48

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

Beurteilungskriterium für die Rationalität einer Handlung ist nach HABERMAS somit ein im Diskurs186 erreichter Konsens.187 Aus diesem von einer Gruppe Sachverständiger geführten Diskurs bildet sich dann die Sollrationalität heraus. Zur weiteren Plausibilisierung dieses Konstrukts verweist WEBER auf vergleichbare Vorgehensweisen in den Ingenieurswissenschaften einerseits und der Wissenschaftstheorie andererseits.188 So ziehen erstere zur Bestimmung des „Stands der Technik“ u.a. die „konsolidierte Mehrheitsmeinung der einschlägigen Experten“189 heran. In Bezug auf die Bildung von Paradigmen in der Wissenschaftstheorie führt KUHN die Relevanz von als Fachleute anerkannten Akteuren an, die in diskursiven Prozessen eine herrschende Meinung bilden.190

186

Für den die Rationalität bestimmenden Diskurs wird eine ideale Kommunikationsgemeinschaft gefordert, die durch die folgende Kriterien charakterisiert ist: Beteiligung aller Betroffenen, Chancengleichheit, Zwanglosigkeit, unbeschränkte Information, Universalisierbarkeit und rationale Motivation aller Beteiligten. Vgl. Backhaus (1979), S. 320ff. und S. 345ff; Habermas (1981), S. 46-71. Zur Erläuterung der einzelnen Punkte siehe Weber, et al. (1999), S. 16 bzw. Weber, et al. (2001c), S. 61.

187

Die gegen Habermas vorgebrachte Kritik richtet sich dabei insbesondere gegen die Konsensorientierung und die universellen Begründbarkeit. Siehe hierzu im Überblick Weber, et al. (1999), S. 17ff. bzw. Weber, et al. (2001c), S. 61ff. jeweils m.w.N. Weber/Schäffer/Langenbach überwinden diese Kritikpunkte einerseits indem sie die Idee der kritischen Prüfung, die dem Kritischen Rationalismus von Albert entlehnt ist, der Letztbegründungsproblematik gegenüberstellen und andererseits die Konsensforderung durch die auf Rescher zurückzuführende Idee des „acquiescence in disagreement“ ersetzen. Siehe hierzu ausführlich Weber, et al. (1999), S. 20ff. und S. 22ff. bzw. Weber, et al. (2001c), S. 65ff. und S. 68ff. Gemäß der Idee der kritischen Prüfung ermöglicht ein Diskurs „keine ausreichende Begründung für die Rationalität einer Handlung. Sie kann durch den Diskurs nur geprüft werden.“ (Weber, et al. (1999), S. 20 bzw. Weber, et al. (2001c), S. 65). Siehe hierzu auch Albert (1991), S. 65. Ein wesentlicher Unterschied des Kritischen Rationalismus zur Theorie der kommunikativen Rationalität Habermas liegt somit darin, dass erstere Erkenntnis durch Falsifikation im Sinne Poppers und eben nicht Erkenntnis durch Verifikation postuliert. Vgl. hierzu und zu weiteren diametralen Abgrenzungspunkten im Überblick Weber, et al. (1999), S. 20. bzw. Weber, et al. (2001c), S. 65f. jeweils m.w.N. sowie im Speziellen Albert (1991), S. 67. Der Konsensproblematik wird mit der Idee des „acquiscence in disagreement“ insofern begegnet, als darunter die Fähigkeit verstanden wird, „zu einem Ergebnis zu kommen, ohne einen Konsens hergestellt zu haben“ (Weber, et al. (1999), S. 22 bzw. Weber, et al. (2001c), S. 68).

188

Vgl. Weber (2004), S. 471f.

189

von Werder (1996), Sp. 1892.

190

Vgl. Kuhn (1976), S. 188f.

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

49

Die konkrete Ausgestaltung der einzelnen Prozessschritte191 wird dabei stark davon beeinflusst, auf welche Wissensbasis die Fachleute zurückgreifen können. Dies mündet letztendlich in die Frage nach dem Rationalitätsobjekt, also die Frage was rational gestaltet werden soll. Die Entscheidungstheorie bietet eine auf die Zweck-Mittel-Rationalität zurückzuführende Unterscheidung des Rationalitätsobjektes in substanzielle und prozedurale Rationalität an.192 Objekt der substanziellen Rationalität ist das Ergebnis einer Entscheidung oder Handlung, wohingegen der Prozess einer Entscheidung oder Handlung das Objekt der prozeduralen Rationalität darstellt.193 Diese Zweiteilung der Betrachtung des Rationalitätsobjektes erweitern WEBER/SCHÄFFER/LANGENBACH „im Sinne eines betriebswirtschaftlichen Führungsprozesses, der aus Input, Prozeß [sic!] und Output besteht“194 um ein weiteres Element und unterscheiden fortan in Inputrationalität, prozedurale und substanzielle Rationalität bzw. Ergebnisrationalität.195

191

Idealtypisch wird zur Bildung der Sollrationalität von den Fachleuten ein dreistufiges Vorgehen gewählt, das realtypisch mehrfach durchlaufen werden kann. Die erste Stufe bildet die Identifikation des Problems, dessen Lösung sollrational erfolgen soll. Daran schließt sich die Identifikation der besten Problemlösung an, bevor es dann im letzten Schritt zur sachgerechten Anwendung des ausgewählten Lösungsverfahrens kommt. Angesichts der in den Wirtschaftswissenschaften vorliegenden Theorienpluralität kann zur Identifikation der besten Problemlösung auch die Auswahl der anzuwendenden Theorie gezählt werden. Vgl. Weber (2004), S. 472f.

192

Vgl. bspw. Eisenführ/Weber (2003), S. 4ff.

193

Vgl.Gäfgen (1968), S. 26ff; Simon (1978), S. 8; Kappler (1993), Sp. 3656f.; Weber, et al. (1999), S. 5f. bzw. Weber, et al. (2001c), S. 50; Eisenführ/Weber (2003), S. 4ff.

194

Weber, et al. (1999), S. 6 bzw. Weber, et al. (2001c), S. 50.

195

Vgl. Weber, et al. (1999), S. 6ff. bzw. Weber, et al. (2001c), S. 50ff.

50

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

Die Frage, welches der drei Rationalitätsobjekte kritisch zu hinterfragen ist und welches es zu optimieren gilt, kann nur einzelfallspezifisch beantwortet werden und hängt im Wesentlichen von drei Faktoren ab, nämlich von der Art und dem Umfang des vorliegenden Wissens der Entscheidungsträger196, vom Zeitpunkt der kritischen Prüfung197 und von der Motivation198 der Akteure.199 Zwar fordert der Markt von Unternehmen eine substanzielle Rationalität, da das Unternehmen ansonsten in seiner Existenz bedroht ist. Jedoch kann sie gerade beim Vorliegen hoher Wissensdefizite, bestehend aus subjektiven Fähigkeitsbeschränkungen oder zurückzuführend auf die Komplexität der Situation, nicht das alleinige Rationalitätsobjekt darstellen. In diesem Falle sowie insbesondere bei einem zeitlich stark verzögerten Feedback200 sollte sie um Aspekte der Inputrationalität oder der prozessualen Rationalität ergänzt werden,201 da oftmals zumindest Wissen über die die Lösungswahrscheinlichkeit erhöhenden Prozessbedingungen vorliegt.202

196

Dieser Aspekt wird insbesondere in den nachfolgenden Kapiteln des Abschnitts B2.2.2 vertieft.

197

Siehe hierzu insbesondere die Ausführungen in Kapitel B2.3.4.

198

In Bezug auf die Motivation lässt sich auf der einen Seite feststellen, dass mit zunehmender Wichtigkeit der Entscheidung oder Handlung eine der Ergebniskontrolle zeitlich vorgelagerte Überprüfung der Inputrationalität oder der prozeduralen Rationalität an Bedeutung gewinnt, um Eingriffmöglichkeiten wahrzunehmen. Auf der anderen Seite wirkt sich die alleinige Verfolgung einer prozeduralen Rationalität auf die Motivation der Mitarbeiter aus, da ihnen somit die Möglichkeit gegeben wird, sich bei Verfehlen des antizipierten Ergebnisses auf die rationale Vorgehensweise zu berufen und externe Einflussfaktoren als Erklärung für abweichende Ergebnisse anzuführen. Vgl. Weber, et al. (1999), S. 7 und S. 8 bzw. Weber, et al. (2001c), S. 51 und 52f. Zum Aspekt der Wichtigkeit einer Entscheidung vgl. ebenfalls Denzau/North (1994), S. 6ff.; zum Aspekt der Mitarbeitermotivation vgl. ebenfalls Albers (1996), S. 306ff.

199

Vgl. Weber, et al. (1999), S. 6ff. bzw. Weber, et al. (2001c), S. 50ff. Die Ausführungen bei Weber/Schäffer/Langenbach verdeutlichen, dass „die alleinige Verfolgung einer substantiellen [sic!] Rationalität nicht in jedem Fall angemessen ist. Stattdessen ist häufig ein Mix aus substantieller [sic!], prozeduraler und Inputrationalität notwendig, der an die jeweilige Situation bzw. die Wissensdefizite graduell angepasst werden muß [sic!].“ (Weber, et al. (1999), S. 7f. bzw. Weber, et al. (2001c), S. 52).

200

Siehe hierzu auch die Ausführungen in Kapitel B2.3.4.

201

Vgl. Kirchgässner (1991) S. 32ff.; Weber, et al. (1999) S. 7ff. bzw. Weber, et al. (2001c), S. 51ff.

202

Vgl. Weber (2004), S. 473. Diesbezüglich konstatiert Schaffitzel: „Der Verfahrensaspekt gewinnt dabei um so größere Bedeutung, je weniger die Komplexität der Situation überhaupt eine vom Ergebnis her eindeutige Optimumsbestimmung zulässt“ (Schaffitzel (1982), S. 171).

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

51

Diesem Verständnis folgend ist aber letztendlich ein weiterer wichtiger Aspekt inhärent. Bezugspunkt der Sollrationalität ist der zu einem bestimmten Zeitpunkt vorhandene Wissensstand. Ferner begründen Wissensdefizite nicht per se Rationalitätsdefizite und begrenzte kognitive Fähigkeiten sind nicht gleichbedeutend mit begrenzter Rationalität. Rationalitätsdefizite entstehen erst aus einem Abweichen von der Sollrationalität und manifestieren sich in einer Lücke zwischen Soll- und Istrationalität. Die Akteure weichen in ihren Handlungen und Entscheidungen also von dem ab, was unter Berücksichtigung des vorliegenden Wissenstands als rational erachtet wird, und schöpfen somit das mögliche Rationalitätsmaß nicht vollständig aus. Dieses von der Sollrationalität abweichende Verhalten – und somit die Rationalitätsdefizite an sich – lassen sich dem Verständnis des Akteursmodells folgend auf die Eigenschaften der individuellen Akteure zurückführen, nämlich einerseits auf Könnensdefizite bzw. kognitive Begrenzungen und andererseits auf Wollensdefizite bzw. motivationale Beschränkungen, die in Form von Zieldivergenzen insbesondere im Kontext korporativer Akteure auftreten können.203 In welcher Form es zu Rationalitätsbegrenzungen akteursbezogenen Handelns kommen kann und durch welche Faktoren diese beeinflusst werden, bedarf in den nachfolgenden Kapiteln einer eingehenderen Auseinandersetzung mit dem Konzept der begrenzten Rationalität.

2.2.2

Begrenzte Rationalität akteursbezogenen Handelns

Gemäß dem Rationalitätssicherungsansatz manifestieren sich Rationalitätsdefizite in der Lücke zwischen realisierter Rationalität und Sollrationalität, die durch akteursspezifische Könnens- und Wollensdefizite begründet sind. Diese können aber interpersonell sehr unterschiedlich sein. Wird Controlling die Aufgabe zugewiesen, die Rationalität von Führungshandlungen zu sichern, bedarf es somit – nicht zu letzt vor dem Hintergrund des

203

Vgl. Weber, et al. (1999), S. 12f. bzw. Weber, et al. (2001c), S. 56f.; Weber (2004), S. 473f. Die begrenzten kognitiven Fähigkeiten werden bewusst anerkannt und gehen, sofern sie nach vorherrschender Meinung nicht überwunden werden können, mit in die Bestimmung der Sollrationalität ein. Ähnliches gilt für die Zieldivergenzen. Es wird von den individuellen Akteuren innerhalb eines korporativen Akteurs nicht gefordert, auf eigene Zielsetzungen altruistisch gänzlich zu verzichten, es wird immer noch die Annahme der individuellen Nutzenmaximierung unterstellt und ebenfalls bei der Ableitung der Sollrationalität berücksichtigt. Vgl. hierzu auch nochmals die Ausführungen bei Weber, et al. (1999), S. 12f. bzw. Weber, et al. (2001c), S. 56f.; Weber (2004), S. 473f.

52

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

eingangs skizzierten Forschungsziels – eines allgemeingültigen Rahmens, der das Abweichen von sollrationalem Verhalten erklärt, bzw. mittels diesem sich Rationalitätsdefizite identifizieren lassen. Dieser Rahmen muss mit den Annahmen des Akteursmodells konform gehen und mit dem zugrunde gelegten Verständnis der Sollrationalität kompatibel sein.204 Er wird in den Kapiteln 2.2.2.1 bis 2.2.2.3 abgeleitet. Ausgangspunkt bildet dabei das in Kapitel 2.2.2.1 vorgestellte Konzept der „bounded rationality“, das als erstes die kognitiven Begrenzungen der Akteure in den Mittelpunkt der Rationalitätsüberlegungen rückte. Sowohl das Akteursmodell als auch das Konzept der „bounded rationality“ zeigen jedoch auf, dass diese begrenzten Fähigkeiten der Realität entsprechen, sozusagen „menschlich“ sind, und demgemäß noch keine Rationalitätsdefizite an sich darstellen. Zur Überwindung seiner Fähigkeitsbegrenzungen und zur Komplexitätsreduktion bedient sich der Akteur verschiedener Verhaltensstrategien, die jedoch irrtumsbehaftet sein können. An dieser Stelle wird die Betrachtung in Kapitel 2.2.2.2 fortgeführt. Es dient der Analyse der Rationalitätsdefizite aufgrund unangemessener Problemrepräsentationen. Die dynamische Perspektive des Akteursmodells findet in Kapitel 2.2.2.3 Berücksichtigung. Ausgehend von der Annahme des lernenden Akteurs, der aufgrund seines Strebens nach Nutzenmaximierung Fehler seiner kognitiven Strukturen vermeiden und Rationalitätsdefiziten entgegenwirken möchte, dient es der Analyse der Begrenzungen eines dynamisch rationalen Verhaltens. Somit werden die Annahmen und Elemente des Akteursmodells zur Bildung eines Grundgerüstes zur näheren Spezifikation der der Sollrationalität entgegenstehenden begrenzten Rationalität genutzt und so einer weiteren Operationalisierung des Rationalitätssicherungsansatzes zugeführt.

2.2.2.1

„Bounded Rationality“ als Ausgangspunkt

Aus der Kritik der Realitätsferne der normativ ausgerichteten neoklassischen Entscheidungstheorie, die weitestgehend von den mit der Entscheidungsfindung betrauten Akteuren und

204

So zeigt sich bspw., dass sich innerhalb dieses Rahmens Rationalitätsdefizite nicht aus den Annahmen der neoklassischen Entscheidungstheorie ableiten lassen. Diese abstrahiert vom Akteur und geht von vollständigem Wissen aus. Diese Annahmen ließen sich nicht mit den Annahmen des Akteursmodells vereinbaren und würden somit keinen Erklärungswert liefern.

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

53

deren Fähigkeits- und insbesondere Wissensbegrenzungen abstrahiert,205 fand eine Erweiterung der Analyse von Rationalitätsdefiziten um deskriptive Elemente statt. Es entstand u.a. das Konzept der „Bounded Rationality“,206 das im Wesentlichen auf die Arbeiten von SIMON, MARCH sowie CYERT zurückzuführen ist.207 Den zentralen Ausgangspunkt des Konzepts bildet die bewusste Anerkennung der kognitiven Begrenzungen der handelnden Akteure, die durch begrenzte Antizipationsfähigkeiten, fehlerhafte

und

beschränkte

Informationsverarbeitungskapazitäten 208

Präferenzordnungen charakterisiert sind.

und

mehrdeutige

Die Annahme vollständiger Rationalität wird

somit aufgehoben. Dennoch gelingt es den Akteuren – den Auffassungen des Konzeptes folgend – angemessene Problemlösungen zu finden, indem sie ihren Entscheidungen bestimmte Verhaltensstrategien bzw. Modelle „begrenzter Rationalität“ zugrunde legen. Diese stellen die Reduktion von Wissensdefiziten durch Suchprozesse in den Mittelpunkt der Betrachtung und sind durch die folgenden fünf Merkmale charakterisiert:

205

Die neoklassische Entscheidungstheorie geht von klar abgrenzbaren Entscheidungssituationen aus, bei denen sowohl die Art als auch der Umfang der Handlungsalternativen bekannt sind. Der Akteur verfügt über eine eindeutige Zielfunktion, auf Basis derer er die Handlungsalternativen in eine Präferenzordnung bringen und ein Lösungsalgorithmus zur Wahl der optimalen Handlungsalternative bestimmen kann. Des Weiteren wird die Annahme getroffen, der Akteur könne alle Handlungsalternativen in Abhängigkeit aller Umweltzustände sowie mit den Handlungsalternativen verbundenen Konsequenzen bewerten und somit diejenige

Handlungsalternative

auswählen,

die

den

größten

Zielerreichungsgrad

beinhaltet.

Rationalitätsdefizite manifestieren sich demnach in der Abweichung zwischen der gewählten und der eigentlich optimalen Handlungsalternative. Vgl. hierzu die Darstellungen bei Kirsch (1970); 77ff. sowie Bamberg/Coenenberg (2002), S. 2-4. Siehe zur Kritik am neoklassischen Entscheidungsmodell den Überblick bei Goldstein/Hogarth (1997), S. 12f. sowie Malik (1992), S. 260. 206

Auf

Basis

eines

Literaturüberblicks

identifizieren

Eisenhardt/Zbaracki

drei

unterschiedliche

Entwicklungslinien der verhaltenswissenschaftlichen Entscheidungsforschung als Antwort auf die Kritik an der neoklassischen Entscheidungstheorie. Neben dem Konzept der Bounded Rationality gehören dazu das Konzept des politischen Entscheidungsprozesses und das Konzept der organisierten Anarchie. Vgl. Eisenhardt/Zbaracki (1992), S. 18ff. Die beiden zuletzt genannten erweisen sich aber für den Verlauf der weiteren Arbeit als wenig geeignet, da sich ein Bezug zum Rationalitätssicherungsansatz von Weber nicht herstellen lässt und sollen daher auch nicht weiter betrachtet werden. Eine kritische Würdigung der drei Konzepte ist u.a. bei Spieker (2003), S. 51-53 zu finden. 207

Vgl. insbesondere Simon (1957); March/Simon (1958) und Cyert/March (1963).

208

Vgl. Simon (1957), S. 93-107; March/Simon (1958), S. 136-142. Hier ist bereits der Bezug zum Akteursmodell zu erkennen, welches seinen Ausgangspunkt in der begrenzten Bewertungs-, Prognose- und Perzeptionsfähigkeit nimmt. Siehe hierzu nochmals die Ausführungen im Abschnitt B2.1.

54

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

(1) Akteure ersetzen Optimierung durch Befriedigung, die jedoch zur Bewältigung von Problemen vollkommen ausreichend sein kann; (2) Handlungsalternativen und Konsequenzen von Handlungen werden nicht ex ante antizipiert, sondern durch sequenzielle Suchprozesse entdeckt; (3) bei repetitiven Handlungssituationen greift der Akteur auf Repertoires von Handlungsprogrammen zurück; (4) dabei richtet sich jedes spezifische Handlungsprogramm nur auf einen begrenzten Teilbereich der Situation und (5) jedes dieser Handlungsprogramme kann teilweise unabhängig von anderen ausgeführt werden.209 Der Akteur konstruiert sich auf diese Weise eine subjektive, „begrenzte“ Repräsentation der Wirklichkeit bzw. der Problemsituation, aus der er seine Handlungen zur Problemlösung ableitet.210 Hierbei handelt es sich im Wesentlichen um das in Kapitel B2.1.2.2 vorgestellte Prinzip der internen Modelle, die als Handlungsgrundlage dienen.211 Somit ist zwar im neoklassischen Verständnis der Rationalitätsgrad durch die akteursspezifische Sicht und Abbildung der Situation grundsätzlich begrenzt. Im Sinne des Konzeptes der „Bounded Rationality“

und

der

damit

implizierten

Akzeptanz

der

akteursspezifischen

Fähigkeitsbegrenzungen jedoch handelt der Akteur nicht notwendigerweise irrational, er vermag durchaus innerhalb seiner Problemrepräsentation rational im Sinne der präskriptiven Entscheidungstheorie zu handeln.212 Das Konzept der „bounded rationality“ unterscheidet sich infolgedessen von dem der neoklassischen Entscheidungstheorie insofern, als ihm keine vollständige Rationalität zugrunde liegt, die eine optimale Entscheidung im Sinne der präskriptiven Entscheidungstheorie sicherstellen kann. Jedoch kann es vor dem Hintergrund des tatsächlichen Entscheidungsverhaltens von Akteuren unter realen Bedingungen als zweckmäßig angesehen werden.213

209

Vgl. March/Simon (1958), S. 169.

210

Vgl. March/Simon (1958), S. 169.

211

Siehe hierzu u.a. auch die Ausführungen bei Kehrmann (2002), S. 49ff.

212

Vgl. March/Simon (1958), S. 138. Diesem Verständnis folgt auch das Rationalitätsverständnis des Rationalitätssicherungsansatzes. Siehe hierzu Weber, et al. (1999), S. 12.

213

In diesem Sinne sei das Konzept auch präskriptiv zu verstehen, so Simon: „The point was not that people are consciously and deliberately irrational, … but that neither their knowledge nor their powers of calculation allow them to achieve the high level of optimal adaption of means to ends that is posited in economics.” (Simon (1992), S. 3 [Hervorhebungen im Original]).

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

55

Dabei spielt allerdings die Angemessenheit der Problemrepräsentation eine entscheidende Rolle. Interne Modelle können irrtumsbehaftet sein214 und somit zu einer unangemessenen Problemrepräsentation führen, die den Grad der Rationalität akteursspezifischen Handelns einschränken. Die Problematik der Rationalitätsbegrenzung aufgrund unangemessener Problemrepräsentationen ist Gegenstand des nachfolgenden Kapitels.

2.2.2.2

Rationalitätsbegrenzungen aufgrund unangemessener Problemrepräsentationen

Die Ausführungen zum Konzept der „bounded rationality“ haben verdeutlicht, dass Akteure unter realen Bedingungen niemals in der Lage sein werden, ihren Handlungen absolute Rationalität zugrunde zu legen, dass sie aber dennoch innerhalb ihrer subjektiven Repräsentation des Handlungsraums zweckmäßig bzw. rational agieren können. Mit Bezug auf die Annahme, „daß [sic!] die grundlegenden Bezugspunkte des Problemlösungsverhaltens nicht die objektive Wirklichkeit, sondern die kognitiven Strukturen sind, die das vorhandene Wissen über die Umwelt und das Individuum selbst sowie die Wertvorstellungen umfassen“215, wird deutlich, dass die Rationalität des Handelns wesentlich von der Problemrepräsentation und der Einordnung und Interpretation von Wissen, also letztendlich von der Assimilation an geeignete Schemata abhängt. Fehlerhafte oder unangemessene Problemrepräsentationen aufgrund von Irrtumswahrscheinlichkeiten sind die negative Seite der Komplexitätsreduktion durch die interne Modellierung von Gesetzmäßigkeiten unter Zugrundelegung vergangener Erfahrungen.216 Basieren die Antizipationshandlungen des Akteurs auf einer Problemrepräsentation, die das Wesen seiner Umwelt nur unzureichend oder gar fehlerhaft erfasst, so besteht die Gefahr

214

Siehe hierzu nochmals die Ausführungen in Kapitel B2.1.2.2.

215

Kühne (1982), S. 45.

216

Reason fasst dies folgendermaßen zusammen: „Der vorhersagbare Anteil an der Vielfalt der menschlichen Fehlbarkeit liegt in den wesentlichen und adaptiven Eigenschaften des menschlichen Denkens begründet. Diesen Tribut müssen wir für unsere bemerkenswerte Fähigkeit zahlen, die Regelhaftigkeiten der Welt zu modellieren und diese gespeicherten Vorstellungen dann anzuwenden, um komplizierte Aufgaben im Umgang mit Informationen zu vereinfachen. Die Fehler bilden das Soll der kognitiven ,Bilanz’, in der jeder Eintrag auch bedeutsame Vorteile mit sich bringt.“ (Reason (1994), S. 38).

56

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

einer sich daraus ergebenden systematischen Verzerrung der Informationsbeschaffungs- und – verarbeitungsprozesse.217 Die Art und Weise der Problemrepräsentation wird dabei maßgeblich sowohl durch das ontologische Wissen als einmalige Abbildung des Problemraums infolge verschiedenartiger Wahrnehmungsprozesse bestimmt, als auch durch das in Form interner Modelle gespeicherte nomologische Wissen der Akteure, das sowohl die Wahrnehmungsprozesse als auch die Verarbeitung der gewonnenen Informationen beeinflusst.218 Daraus lässt sich schließlich folgern, dass die Unangemessenheit der Problemrepräsentation und somit die Begrenzung des Rationalitätsgrades sowohl das Ergebnis einer fehlerhaften, selektiven Wahrnehmung als auch mangelhafter Informationsverarbeitungsprozesse ist, welche letztendlich beide durch die Verwendung des zugrunde gelegten internen Modells bestimmt sind. REASON führt die unangemessene Problemrepräsentation im Rahmen der Komplexitätsreduktion mittels schemabasierter Problemlösungsprozesse dabei einerseits auf die Verwendung für die Problemrepräsentation ungeeigneter Schemata219 oder aber andererseits auf die falsche Anwendung an sich geeigneter Problemlösungsschemata zurück.220 Mit der Frage, durch welche Faktoren es zu einer unangemessenen Problemrepräsentation kommen kann bzw. das akteursspezifische, schemabasierte Problemlösungsverhalten in seiner Rationalität begrenzt wird, setzten sich insbesondere KAHNEMAN und TVERSKY auseinander, die darlegen, dass die Eingrenzung des Problemraums infolge der akteursspezifischen Fähigkeitsbegrenzungen durch systematische Verzerrungen geprägt ist.221 Anstatt ihren Entscheidungen statistische oder logische Berechnungen zugrunde zu legen, greifen Akteure zur Komplexitätsreduktion oftmals auf einige wenige Heuristiken zurück,222 wie bspw. die

217

Vgl. Lipshitz (1997), S. 154.

218

Vgl. hierzu nochmals die Ausführungen zur Funktionsweise interner Modelle in Kapitel B2.1.2.2. ‚Vgl. zur Unterscheidung ontologischen und nomologischen Wissens nochmals Fußnote 112.

219

Der Implikation für die Rationalität der Problemlösungsprozesse verleiht Lipshitz Ausdruck: „Knowledge, rules, and mental models that guide effective action in one environment may spell disaster in another.“ (Lipshitz (1997), S. 155).

220

Vgl. Reason (1990), S. 75ff.

221

Vgl. vor allem Kahneman/Tversky (1973); Tversky/Kahneman (1981); Kahneman/Tversky (1982b); Kahneman/Tversky (1986).

222

Vgl. Kahneman/Tversky (1986).

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

57

Verfügbarkeitsheuristik.223 Demgemäß beurteilen Akteure die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Ereignisses invers zur Höhe der Suchkosten des Abrufens dieses Ereignisses aus dem Gedächtnis. Je leichter (schwerer) es den Akteuren fällt, sich ein entsprechendes Ereignis vorzustellen, desto wahrscheinlicher (weniger wahrscheinlich) schätzen sie das Eintreten des Ereignisses ein.224 Zwar muss die Verwendung von Heuristiken225 nicht notwendigerweise irrational sein, da sie in der Regel zu Effizienzsteigerungen führen, sei es bspw. durch die Reduktion weiterer Informationskosten oder aber durch die Komplexitätsreduktion an sich.226 Jedoch stehen diesen Effizienzsteigerungen Effektivitätsverluste nicht zu letzt in Form von Rationalitätsdefiziten gegenüber, die aus einer unverhältnismäßigen Verwendung von Heuristiken

223

Daneben identifizieren Kahneman und Tversky noch zwei weitere Arten von Heuristiken, nämlich die Repräsentativitätsheuristik und die Verankerungsheuristik. Die Repräsentativitätsheuristik besagt, dass Akteure die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Objekt einer bestimmten Kategorie angehört, nach der Ähnlichkeit beurteilen, die das Objekt in Merkmalen dieser Kategorie aufweist. Vgl. Kahneman/Tversky (1982a), S. 34f.; Zimbardo (1995), S. 372. Die Verankerungsheuristik besagt, dass Akteure bei ihren Wahrscheinlichkeitsbestimmungen von einem offensichtlich zufälligen Anfangswert, dem Anker, der bspw. durch die Formulierungsweise des Problems vorgegeben wird, ausgehen und diese dann in Abhängigkeit weiterer Plausibilitätsüberlegungen anpassen. In der Regel sind die vorgenommenen Anpassungen aber zu konservativ. Vgl. Tversky/Kahneman (1982a), S. 14ff.; Zimbardo (1995), S. 372.

224

Vgl. Tversky/Kahneman (1982b), S. 186ff.; Kahneman/Tversky (1986), S. 46-49; Zimbardo (1995), S. 372.

225

Aufbauend auf die oben aufgeführten grundlegenden Heuristiken, die Kahneman und Tversky in ihren Arbeiten identifizierten wurden inzwischen eine Vielzahl von Effekten aufgedeckt, die darauf schließen lassen, dass Akteure fast ausschließlich auf Heuristiken zurückgreifen, die zu systematischen Verzerrungen des Problemlösungsraums führen. Siehe für einen umfassenden Überblick Schäffer (2001), S. 89ff. m.w.N.

226

Aus einer akteursspezifischen Kosten-Nutzen-Perspektive kann die Verletzung der Rationalitätsprinzipien der präskriptiven Entscheidungstheorie durchaus dann sinnvoll sein, wenn die Kosten der weiteren Informationsbeschaffung und -verarbeitung deren zusätzlichen Nutzen übertreffen. Vgl. Jungermann (1986), S. 633. Eine Ermittlung der optimalen Informationsmenge ist jedoch ex ante nicht möglich, da eine Beurteilung des Nutzens der Information deren Kenntnis voraussetzt. Infolgedessen ermöglicht oftmals nur der Rückgriff auf Heuristiken und die damit verbundene hypothesengeleitete Modellbildung eine praktikable Entscheidungsfindung. Siehe hierzu auch von Hayek: „Regeln beschränken … den Bereich der in Betracht zu ziehenden Umstände auf einen Teil der möglicherweise bedeutsamen, um so eine Entscheidung praktisch möglich zu machen.“ (von Hayek (1969), S. 171). Die Verwendung von Heuristiken zur Erreichung des akteursspezifischen Anspruchsniveaus erhöht die Nettonutzenposition eines Akteurs somit mehr als die Anwendung eines optimierenden, aber oftmals zugleich aufwendigen Algorithmus. Vgl. Holyoak/Nisbett (1989), S. 51ff.

58

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

resultieren.227

In

diesem

Zusammenhang

prägt

SCHOLL

den

Begriff

der

„Informationspathologien“, die er folgendermaßen definiert: „Maßstab der Funktionsstörung kann daher nicht das Rationalitätsideal vollkommener Information sein. Definitorisch geht es vielmehr um vermeidbare Fehler, d.h. um produzierbare Informationen, die nicht produziert, beschaffbare Informationen, die nicht beschafft, vorhandene Informationen, die nicht oder verzerrt übermittelt und um übermittelbare Informationen, die falsch verstanden oder nicht verwendet wurden.“228 Informationspathologien resultieren aus dem Wechselspiel zwischen bestehenden Wissensstrukturen und dem Wahrnehmungsprozess und stellen nunmehr irrationales Verhalten im Sinne der Zweck-Mittel-Rationalität dar. Darüber hinaus ist der Rationalitätsgrad schemabasierten Problemlösungsverhaltens neben der Verwendung von komplexitätsreduzierenden Heuristiken noch durch einen weiteren Effekt gefährdet. Es zeigt sich, dass Akteure dazu tendieren, neue Informationen in ihren bestehenden Schemata dergestalt zu verarbeiten und in ihren internen Modellen zu integrieren, dass diese nicht mehr als nötig angepasst werden müssen.229 Dies beinhaltet nicht nur die Gefahr der verzerrten Wahrnehmung bis hin zu einer Wahrnehmungsabwehr, sondern in der Konsequenz auch einer übertriebenen Assimilation und damit der Anwendung falscher Problemlösungsschemata. Dies wird durch die beiden nachfolgenden beispielhaften Erkenntnisse verdeutlicht:

227

Vgl. Zimbardo (1995), S. 371ff.; Schäffer (2001), S. 89 sowie Taylor (1980), S. 200, der Menschen als „kognitive Geizhälse“ bezeichnet.

228

Scholl (1992), S. 901.

229

In hohem Maße gilt dies vor allem für das Selbstbild des Akteurs, dessen Anpassung im Vergleich zur Modifikation seines Weltbildes offenbar mit höheren internen Kosten verbunden ist. Vgl. hierzu Schäffer (2001), S. 91 sowie die dort angegebene Literatur. Die Verwendung falscher Schemata wird dabei oftmals bereits durch einen problembehafteten Auswahlprozess bestimmt, der in der dualen Struktur des Gedächtnisses begründet liegt. Die Auswahl eines Schemas hängt dabei im Wesentlich von den Zugangsmöglichkeiten im Gedächtnis ab, die prinzipiell umso besser ist, je häufiger das Schema in der Vergangenheit abgerufen wurde. Vgl. Mandler (1985), S. 110. Siehe hierzu ausführlich die Darstellungen bei Kehrmann, S. 56ff. Auch im Rahmen des Auswahlprozesses lässt sich dabei wiederum die Tendenz der Wahrnehmungsverzerrung zugunsten einer Übereinstimmung erkennen. So stellt Reason fest, dass „mächtige Kräfte am Werk [sind], um irgendeine Art der Übereinstimmung herzustellen“ (Reason (1994), S. 130). Daraus resultiert insbesondere für neuartige Problemsituationen die Gefahr, dass eine bewährte aber diesmal falsche Regel aktiviert wird. Vgl. Reason (1994), S. 106f. und 110f. Durch den erneuten Abruf des Schemas setzt gleichzeitig ein selbstverstärkender Prozess ein. Vgl. hierzu die Ausführungen in den Kapiteln B2.1.2.2 und B2.1.2.3.

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

59

x Informationen, die bestehende Erklärungsmuster in ihrer Existenz bedrohen, laufen Gefahr, nicht oder nur verzerrt wahrgenommen zu werden („Wahrnehmungsabwehr“).230 Neue, innovative Erklärungsmuster setzen sich daher oftmals nur schwer durch. Beispiele hierfür sind der Haloeffekt231 und die Stereotypenbildung232.233 x Eingehende Informationen werden nach ihrem positiven oder negativen Charakter gewichtet. Akteure weisen die Tendenz auf, negative Informationen stärker zu gewichten als positive Informationen.234 Hingegen tendieren Akteure oftmals dazu, negative Informationen bzgl. ihrer eigenen Person oder Leistung nicht oder nur verzerrt wahrzunehmen, um somit ihr Selbstbild nicht zu gefährden.235 Die der unangemessenen Problemrepräsentation inhärenten Rationalitätsdefizite ließen sich in ihrem Ausmaß durch ein Aufdecken der kognitiven Verzerrungen und Einleiten korrektiver Anpassungen begrenzen.236 Dies entspricht wiederum der dem Akteursmodell zugrunde gelegten Dynamik im Sinne einer Lernfähigkeit der Akteure. Ist diese nicht gewährleistet, kommt es zu weiteren Rationalitätsbegrenzungen, deren Untersuchung Gegenstand des nachfolgenden Kapitels ist.

230

Vgl. Zimbardo (1995), S. 79.

231

Der Haloeffekt beschreibt einen Wahrnehmungsprozess, bei dem Menschen auf Basis eines einzigen

232

Die Stereotypenbildung führt dazu, dass Menschen auf der Grundlage einzelner Merkmale bestimmten

hervorstechenden Merkmals beurteilt werden.

Kategorien zugeordnet und dementsprechend beurteilt werden. Stereotypen spielen eine große Rolle bei der Bildung erster Eindrücke. 233

Vgl. Zimbardo (1995), S. 203 und S. 527.

234

Vgl. Baron/Byrne (1997), S. 64f.

235

Vgl. Janis/Mann (1977), S. 132. Ähnlich dazu führen Akteure positive Ergebnisse tendenziell auf sich selbst und negative Ergebnisse auf externe Faktoren zurück. Zur Erklärung dieses Phänomens werden in der Literatur zwei unterschiedliche Ansätze ausgeführt. Im kognitiven Ansatz wird eine Erfolgserwartung der Akteure unterstellt und damit verbunden eine Tendenz, erwartete Ergebnisse mehr sich selbst zuzuschreiben. Siehe hierzu Miller/Ross (1975), S. 213. Die motivationale Erklärung geht hingegen von einem Bedürfnis nach Schutz und Ausbau der eigenen Selbstachtung aus. Vgl. Zuckerman (1979); Greenberg, et al. (1982). Neuere Forschungsergebnisse bekräftigen eher den motivationalen Ansatz. Vgl. Schäffer (2001), S. 92.

236

Kehrmann stellt in diesem Zusammenhang fest: „Der Akteur handelt approximativ rational und korrigiert fehlerhafte Antizipationen, sobald die erwarteten Kosten einer möglichen Zweckverfehlung den Nutzen geringerer Suchkosten übertreffen. Er ist lernfähig und damit in einem dynamischen Verständnis rational.“ (Kehrmann (2002), S. 54).

60

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

2.2.2.3

Dynamische Rationalitätsengpässe aufgrund fehlerhaften Lernens

Sowohl das Akteursmodell als auch das Konzept der „Bounded Rationality“ legen den Grundstein für eine dynamische Betrachtung der Rationalitätsbegrenzungen akteursspezifischen Handelns.237 Es wird davon ausgegangen, dass Akteure bei Erkennen von Fehlern ihrer Modelle versucht sein werden, ihre internen Modelle zu akkommodieren. Im Sinne eines dynamischen Rationalitätsverständnisses erhöht eine schrittweise und fortwährende Akkommodation von Schemata bzw. internen Modellen den Rationalitätsgrad der akteursspezifischen Handlungen.238 Jedoch belegen zahlreiche empirische Studien,239 dass die Annahme der Akkommodation beim Auftreten negativer Konsequenzen und somit ein dynamisch rationales Verhalten in der Realität akteursspezifischen Handelns nur bedingt Gültigkeit hat. In Summe zeigen diese Studien, dass Akteure über ein rationales Maß hinaus an ihren Annahmen und Einstellungen festhalten.240 Zur Vedeutlichung lassen sich einige Beispiele anführen: x So zeigt sich bspw., dass sich Akteure in ihrem Handeln von den bereits investierten Mitteln („sunk costs“) leiten lassen, obwohl ihnen bereits Informationen über den wahrscheinlichen Misserfolg des Projektes vorliegen.241

237

So geht das Akteursmodell infolge des Ziels der Nutzenmaximierung von einem grundsätzlichen Bestreben der Akteure aus, ihre internen Modelle beim Auftreten kognitiver Konflikte anzupassen bzw. zu verändern. Dieses Bestreben findet seinen Ausdruck in der Lernfähigkeit der Akteure. Siehe hierzu nochmals die Ausführungen in Kapitel B2.1.2.3. Das Konzept der „Bounded Rationality“ hebt die Annahme vollständiger Rationalität zugunsten der Reduktion von Wissensdefiziten durch sequenzielle Suchprozesse auf. Siehe hierzu nochmals die Ausführungen in Kapitel B2.2.2.1.

238

Entsprechend argumentiert Toulmin: „Der Mensch zeigt seine Vernunft nicht durch Festhalten an starren Ideen, stereotypen Verfahren oder umwandelbaren Begriffen, sondern dadurch, wie er diese Ideen, Verfahren und Begriffe verändert.“ (Toulmin (1983), S. 8).

239

Siehe bspw. die Studien von Fischhoff/Beyth (1975); Rubin/Brockner (1975); Staw (1976) und Hawkins/Hastie (1990).

240

Siehe hierzu Kehrmann (2002), S. 58ff. sowie die dort angegebenen Literatur.

241

Vgl. Arkes/Blumer (1985), S. 124ff. Ähnlich dazu erhalten Akteure in einer Studie von Staw Rückmeldungen, die ihnen deutlich machen, dass die von ihnen gewählte Alternative zu einem Misserfolg führen wird. Trotzdem investieren die Akteure bei Folgeentscheidungen weiterhin beträchtliche Summen in die gewählte Alternative („escalation of commitment“). Siehe hierzu Staw (1976) S. 27ff.

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

61

x In einer Studie von RUBIN/BROCKNER werden Akteure mit langsam steigenden Verlusten aus einem ständig kleiner werdenden Jackpot konfrontiert, während die Akteure auf ein zur Bewältigung der ihnen gestellten Aufgabe benötigtes Lexikon warten, das nicht kommt. Es zeigt sich, dass die Probanden deutlich länger ausharren, als es rational wäre („entrapment“).242 Die Beispiele zeigen, dass Begrenzung der Rationalität in dynamischer Perspektive wiederum auf Verzerrungen in der Wahrnehmung zurückzuführen sind. Darüber hinaus halten Akteure an ihrem bisherigen Vorgehen fest – selbst wenn sie ihre Fehler wahrnehmen – und handeln somit irrational. Fehlerhafte Schemata werden beibehalten, auch wenn der Nutzen ihrer Veränderung deren Kosten übersteigt. Das Gleichgewicht von Assimilation und Akkommodation, so wie es PIAGET fordert, ist gestört.243 Verzerrungen der Wahrnehmung liegen in dynamischer Hinsicht durch ein auf externe und interne Barrieren zurückzuführendes Kontrollversagen begründet.244 Mangelhafte oder gänzlich fehlende Rückkopplungsprozesse mit der Umwelt bilden eine externe Barriere.245 Interne Barrieren resultieren wiederum aus der impliziten Verwendung kognitiver Strukturen in Form interner Modelle sowohl bei der Informationsgenerierung als auch der Informationsverarbeitung und führen letztendlich – neben selektiver oder gänzlich ausbleibender Wahrnehmung – dazu, dass Akteure trotz Fehlererkennung an ihrem ursprünglich eingeschlagenen Handlungsstrang festhalten.246 Somit ist die Akkommodation der internen Modelle und folglich der Rationalitätsgrad der Handlungen in zweierlei Hinsicht durch die dem Handeln zugrunde gelegten internen Modelle selbst bestimmt. Einerseits wird die Voraussetzung für eine Akkommodation, die Wahrnehmung durch die Brille der internen Modelle beeinflusst. Andererseits ist auch die Veränderung der kognitiven Strukturen an sich durch das in den internen Modellen

242

Vgl. Rubin/Brockner (1975), S. 1054ff.

243

Vgl. hierzu nochmals B2.1.2.3.

244

Vgl. Kehrmann (2002), S. 59. In dynamischer Hinsicht bedarf es Feedbackprozesse, die es ermöglichen, Abweichungen wahrzunehmen und im nächsten Schritt Anpassungen einzuleiten. Mangelhafte Feedbackprozesse bedingen ein Kontrollversagen.

245 246

Vgl. Kleindorfer, et al. (1993), S. 111f. Hierbei handelt es sich vom Prinzip her um die bereits im vorherigen Kapitel B2.2.2.2 ausführlich diskutierten Phänomene. Vgl. dazu auch Nystrom/Starbuck (1984), S. 55; Weick (1985), S. 224ff.

62

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

gespeicherte, aus früheren Handlungen und Erfahrungen gewonnene Wissen geprägt. Es wird wiederum der duale Charakter interner Modelle als Ergebnis vergangener und Ausgangsbasis neuer Lernprozesse deutlich.247 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Rationalitätsdefizite ihren Ausgangspunkt in akteursspezifischen Kapazitätsbegrenzungen finden, die in einem Missverhältnis zwischen der Komplexität der Problemsituation und den Antizipationsfähigkeiten der Akteure begründet liegen. Diese zwingen Akteure zu Komplexitätsreduktionen, im Zuge derer sie sich interner Modelle bedienen. Zwar ist diese Art des schemabasierten Problemlösens nötig, um überhaupt handlungsfähig zu sein und ist im Sinne einer Zweck-Mittel-Rationalität oftmals auch als rational zu bezeichnen, jedoch können die zugrunde gelegten internen Modelle irrtumsbehaftet sein. Aus statischer Perspektive führt dies zu einer unangemessenen Problemrepräsentation, die irrationales Verhalten bedingen kann. Das Problem der kognitiven Verzerrungen und die daraus resultierende unangemessene Problemrepräsentation verstärken sich aus dynamischer Sicht dahingehend, dass sie beim Auftreten negativer Konsequenzen nicht zwangsläufig korrigiert werden, sei es dass sie aus kapazitativen oder kognitiven Gründen unbewusst oder aus motivationalen Gründen bewusst nicht wahrgenommen und verarbeitet werden. Damit ist die Rationalitätsperspektive als weitere Grundlage der Betrachtungen bestimmt.

2.3

Führungshandlungen

Gemäß der dieser Arbeit zugrunde gelegten Controllingfunktion – der Sicherstellung der Rationalität der Führung – bilden Führungshandlungen als Bezugsobjekt die dritte Säule des Rationalitätssicherungsansatzes. Dabei zeigt sich, dass in der Literatur eine Vielzahl an Definitionen

der

„Führung“

in

funktionaler

Hinsicht

sowie

Darstellungsweisen der Prozessfolge von Führungshandlungen existiert.

eine 248

Vielzahl

an

Die Auswahl einer

geeigneten Betrachtungsweise muss dabei dem Ziel der Zweckmäßigkeit folgen und zur Abbildung der Controllingfunktion geeignet sein.249 Zur Vorstellung des Rationalitäts-

247

Siehe hierzu nochmals die Ausführungen in den Kapitel B2.1.2.2 und B2.1.2.3.

248

Vgl. a.V. den Überblick bei Weber (2002), S. 30-33.

249

Vgl. Weber (2002), S. 31f.

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

63

sicherungsansatzes bedarf es daher der Kenntnis des diesem Ansatzes zugrunde gelegten Führungsverständnisses. Dies wird mit der Darstellung der einzelnen Führungshandlungen in den Kapiteln 2.3.2 bis 2.3.4 geschaffen. Diesen wird eine Betrachtung des Führungszyklusses im Überblick in Kapitel 2.3.1 vorangestellt, um das inhaltliche und zeitliche Zusammenwirken der unterschiedlichen Führungshandlungen zu verdeutlichen. Dieses lässt sich in einer idealtypischen Betrachtung in einem Führungszyklus – wie in Abbildung 3 – darstellen. Lernen ex-ante

Intuition

Reflexion

Exogene Informationen

Willensbildung Identifikation

Infosammlung

Alternativenent.

Bewertung

Anweisender Akteur

Entscheidung

Angewiesener Akteur

Lernen ex-post

Willensdurchsetzung

Endogene Informationen

Ausführung

Kontrolle Fremdkontrolle

Abbildung 3: Der idealtypische Führungszyklus (in Anlehnung an: Weber (2002), S. 31)

Selbstkontrolle

64

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

2.3.1

Ablauf des Führungszyklus im Überblick

Ausgangspunkt des Führungszyklusses ist die korporative Willensbildung. In dieser Phase werden von der Unternehmensleitung250 zunächst die zu verfolgenden Ziele festgelegt251 und anschließend Mittel bestimmt, also zweckmäßige Handlungen abgeleitet, mittels derer die gewünschten Zustände erreicht werden sollen.252 Es wird demzufolge die Zweck-MittelRelation festgelegt.253 In dieser Führungsphase gilt es also eine Entscheidung bzgl. der zu verfolgenden Ziele sowie der zur Zielerreichung einzusetzenden Mittel zu treffen. Dabei wird deutlich, dass die Willensbildung in Form des gebildeten Willens letztendlich mit einer Entscheidung bzw. der Prozess der Willensbildung mit einem Entscheidungsprozess gleichzusetzen ist.254 Vor diesem Hintergrund lässt sich die Willensbildung entscheidungstheoretisch formulieren. Zur rationalen Willensbildung benötigt der Akteur eine Vorstellung über sein Entscheidungsmodell, das sich aus den Basiselementen Zielfunktion und Entscheidungsfeld, bestehend aus Handlungsalternativen, Umweltzustände, gegebenenfalls deren Eintrittswahrscheinlichkeiten und Ergebnisse zusammensetzt.255 Um sich ein Bild seines Entscheidungsmodells zu konstruieren, benötigt der Akteur demgemäß ontologisches Wissen, also eine Vorstellung über seine Ausgangssituation, sowie nomologisches Wissen, das es dem Akteur ermöglicht, Schlussfolgerungen über Ursache-Wirkungsbeziehungen zwischen seinen

250

Für den weiteren Gang der Untersuchung wird an dieser Stelle mit dem Ziel der Übersichtlichkeit die vereinfachte Annahme getroffen, dass die Willensbildung stets von der Unternehmensleitung vollzogen wird. Die Notwendigkeit diese Annahme begründet sich aus der Tatsache, dass die Abgrenzung zwischen Willensbildung und Willensdurchsetzung zunächst hierarchieunabhängig erfolgt und nicht immer eindeutig zu vollziehen ist. Diesem Aspekt widmet sich insbesondere Ahn, der nicht zuletzt aus dieser Problematik heraus einen alternativen Führungszyklus entwickelt hat. Vgl. hierzu insbesondere Ahn (2003), Kapitel 5 und 6 sowie Ahn/Dyckhoff (2004), S. 504-508.

251

Vgl. bspw. Bitz (1977), S. 80f.; Dinkelbach (1978), S. 51f.; Hauschildt (1980), Sp. 2419. Laux weist explizit daraufhin, dass zunächst zur rationalen Entscheidung Zielvorstellungen gebildet werden müssen, die dann bei der Konstruktion des Entscheidungsmodells in Betracht gezogen werden müssen. Vgl. Laux (2002), S. 23.

252

Vgl. a.V. Schneider (1997), S. 84.

253

In diesem Zusammenhang wird auch von der Produktionsfunktion des Unternehmens gesprochen, die die Zweck-Mittel-Relation abbildet. Vgl. Weber/Schäffer (1999), S. 734.

254

Siehe zur inhaltlichen und terminologischen Abgrenzung der Begriffe Entscheidung, Entscheidungsprozess und Problemlösungsprozess sowie zur Interpretation der Willensbildung als Entscheidungsprozess ausführlich Kirsch (1977), S. 70ff. sowie Spieker (2003), S. 22-26.

255

Vgl. Bamberg/Coenenberg (2002), S. 13ff.; Laux (2002), S. 19ff.

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

65

Handlungsalternativen und den möglichen Umweltzuständen zu ziehen. Dieses Wissen wird sowohl durch aktive Suchprozesse als auch durch bereits durchlaufene Kontrollhandlungen früherer Führungszyklen generiert und ist Ausdruck der Perzeptionsfähigkeit des Akteurs.256 Die letztendliche Auswahlentscheidung für eine Handlungsalternative erfolgt, indem der Akteur seine festgelegte Zielfunktion über das Entscheidungsfeld legt und somit die zu verfolgende Zweck-Mittel-Relation in Form seines gebildeten Willens festlegt.257 Zur Umsetzung des in Form geistig antizipierter Ausführungshandlungen gebildeten Willens muss in der sich anschließenden Phase der Willensdurchsetzung mit Hilfe entsprechender Führungshandlungen sichergestellt werden, dass der gebildete Wille dem mit der Ausführungshandlung betrauten Handlungsträger zur Durchführung der Ausführungshandlung zur Verfügung steht.258 Zu diesem Zweck gilt es die im Anschluss an die Willensbildung noch bestehenden Freiheitsgrade soweit zu reduzieren, dass der gebildete Wille in Ausführungshandlungen direkt umgesetzt werden kann.259 Idealtypisch

bestehen

in

den

sich

an

die

Willensdurchsetzung

anschließenden

Ausführungshandlungen keinerlei Freiheitsgrade mehr; die Ausführungshandlung wird der antizipierten und vorgegebenen Art entsprechend umgesetzt. Aus diesem Grunde stellt die Ausführungsphase kein Element des Führungszyklus dar.260 In der sich an die Ausführung anschließende Kontrollphase findet idealtypisch ein Abgleich zwischen dem gebildeten Willen und dem Ergebnis der Ausführungshandlungen statt.261 Der Kontrolle kommen neben verhaltenssteuernden insbesondere wissensgenerierende Wirkungen zu. Die aus dem Vergleich zwischen Willensbildung und Ausführungsergebnis gewonnenen

256

Vgl. hierzu nochmals Kapitel B2.1.1.1.

257

Vgl. Laux (2002), S. 23f. Die Phasen des Entscheidungsprozesses bilden Gegenstand des Kapitel B2.3.2.

258

Vgl. Weber, et al. (1996), S. 48; Weber/Schäffer (1999), S. 735. Dieser Aspekt ist auch bereits bei Gutenberg zu finden: „Der Geschäfts- und Betriebsleitung obliegt es aber nicht nur, das Kommende zu planen, sondern auch das Geplante Wirklichkeit werden zu lassen, also dafür Sorge zu tragen, daß [sic!] Hemmungen und Widerstände überwunden werden, die sich dem Gewollten entgegenstellen“ (Gutenberg (1983), S. 132).

259

Vgl. Weber, et al. (1996), S. 67f.; Weber/Schäffer (1999), S. 735f.

260

Vgl. Weber/Schäffer (1999), S. 736. Dies wird auch durch die grau schraffierte Fläche in Abbildung 3 zum Ausdruck gebracht. Siehe hierzu nochmals Kapitel B2.1.1.2.

261

Vgl. Weber/Schäffer (1999), S. 736.

66

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

Informationen dienen als Erkenntnisse für weitere Willensbildungshandlungen oder für ein Anpassen der Willensdurchsetzungshandlungen.262 Die Kontrolle schließt somit den Führungszyklus ab und bildet gleichzeitig die Grundlage für ein erneutes Durchlaufen des Zyklusses.263 Unter

Verweis

auf

eine

Verkürzung

der

klassischen

Phasenschemata

des

Entscheidungsprozesses einerseits264 und der Notwendigkeit der Berücksichtigung von Durchführungs- und Kontrollprozessen im Rahmen der Willensbildung andererseits265 führt SPIEKER in Anlehnung an die Vorgehensweise bei KIRSCH eine Unterscheidung des Entscheidungsprozesses im engeren und weiteren Sinne ein. Dementsprechend setzt er den Entscheidungsprozess i.w.S. mit dem Führungszyklus an sich und den Entscheidungsprozess i.e.S. mit der Phase der Willensbildung bzw. Antizipation gleich, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass auch den einzelnen nachgelagerten Phasen der Willensdurchsetzung und der Kontrolle ebenfalls Entscheidungsprozesse innewohnen.266 Diese werden aber wiederum als hierarchisch untergeordnete Teilprozesse der eigentlichen Willensbildung betrachtet267 – und komplettieren so als Mittel zum Zweck den Entscheidungsprozess i.w.S. Dieser Aspekt

262

Dabei „werden die Kontroll- und Abweichungsergebnisse in die entsprechende(n) Phase(n) rückgekoppelt. Dadurch wird über eine Korrektur des jeweiligen Phaseninhalts zumindest ein Teilprozeß [sic!] erneut durchlaufen.“ (Töpfer (1976), S. 84).

263 264

Vgl. Schäffer (2001), S. 11-20 m.w.N. Spieker legt dar, dass klassische Phasenschemata die zur Erfolgsbewertung der Lösung eines Entscheidungsproblems notwendige Überprüfung des Handlungsergebnisses außer Acht lassen, dass sie dementsprechend in der Regel nicht berücksichtigen, dass „ein Entschluss als Ergebnis eines Entscheidungsprozesses durch eine Handlung zu realisieren ist“ (Putz-Osterloh (1992), Sp. 586). Vgl. Spieker (2003), S. 24f.

265

Die vorstehende Betrachtung des Führungszyklus im Überblick haben die Interdependenzen der einzelnen Phasen und dementsprechend die Notwendigkeit einer Berücksichtigung nachgelagerter Phasen in der Willensbildung bereits verdeutlicht.

266

Vgl. Spieker (2003), S. 24ff. sowie Kirsch (1970), S. 75ff. Die Interpretation des Führungszyklus als Entscheidungsprozess ist auch an anderen Stellen zu finden, so bspw. in ähnlicher Form bei Kruschwitz (2000), S. 6ff.

267

Vgl. Spieker (2003), S. 25 bzw. Kirsch, der demgemäß konstatiert: „Jeder Teilprozess der Suchphasen vor und nach der Entschlussfassung kann zunächst rein routinemäßiger Natur sein. Soweit dem Individuum jedoch keine routinemäßigen Verhaltensmuster der Informationsverarbeitung zur Verfügung stehen, wird der Teilprozess selbst zu einem Entscheidungs- oder Problemlösungsprozess niederer Ordnung.“ (Kirsch (1970), S. 75).

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

sowie

die

daraus

resultierenden

67

Implikationen

für

die

einzelnen

Phasen

des

Führungszyklusses werden in den nachfolgenden Kapiteln betrachtet.

2.3.2

Idealtypischer Prozess der Willensbildung

Die Willensbildung dient der Festlegung der Zweck-Mittel-Relation. Die Willensbildung ist mit der Antizipation der gewünschten Zustände sowie der Handlungen, derer es zur Erreichung dieser gewünschten Zustände bedarf, gleichzusetzen. Zur Willensbildung finden idealtypisch zwei komplementäre Vorgehensweisen – die Reflexion und die Intuition Anwendung, die gleichsam die Pole eines Kontinuums bilden.268 Beiden Vorgehensweisen gemein ist die inhaltliche Transformation von Daten mit dem gebildeten Willen als letztendliches Ergebnis. Der wesentliche Unterschied der beiden Vorgehensweisen besteht hingegen in dem Zustandekommen des gebildeten Willens. So stellt die Reflexion eine bewusste und strukturierte Willensbildungshandlung dar. Wissen wird zur Willensbildung wissentlich abgerufen; die Informationen werden systematisch verarbeitet; sowohl das Ergebnis als auch der Datentransformationsprozess an sich ist der Beobachtung zugänglich und setzt ausreichendes explizites bzw. explizierbares Wissen voraus. Der Einsatzmöglichkeit der Reflexion sind somit allerdings durch Wissensdefizite Grenzen gesetzt.269 Die Intuition kommt vorrangig dann zum Einsatz, wenn erhebliche270 Wissensdefizite vorliegen.271 Die Willensbildung erfolgt dann mittels unbewusster und unstrukturierter

268

Vgl. Weber, et al. (1996), S. 58. Realiter werden Punkte auf dem Kontinuum zwischen den beiden Eckpunkten Anwendung finden. Albach konstatiert in diesem Zusammenhang „ein fruchtbares Spannungsverhältnis“ (Albach (1990), S. 537). Von der Reflexion und der Intuition ist die Improvisation abzugrenzen. Hierbei handelt es sich um eine reaktive Handlungsweise, die ohne Reflexion und ohne spezifische Erfahrungsbasis erfolgt. Sie sollte nur eingesetzt werden, wenn die vorliegenden Wissensbeschränkungen keine der anderen beiden Verfahren zur Willensbildung zulassen. Vgl. m.w.N. Weber, et al. (1996), S. 62f.

269

Vgl. Weber, et al. (1996), S. 52.

270

Weber/Brettel/Schäffer bezeichnen solche Wissensbegrenzungen als erheblich, bei denen die Reflexion zu Ergebnissen führt, die „dem Ergebnis anderer Arten von Führungshandlungen unterlegen ist“ (Weber, et al. (1996), S. 53).

271

Vgl. Weber, et al. (1996), S. 53.

68

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

Prozesse auf Basis früherer Erfahrungen. Der Willensbildung liegt daher weitestgehend implizites Wissen zugrunde.272 Im Gegensatz zur Reflexion ist somit zwar das Ergebnis des Datentransformationsprozesses bekannt, jedoch ist der Prozess an sich nicht nachvollziehbar und somit ebenfalls nicht überprüfbar. Dies lässt jedoch keine Schlussfolgerung bzgl. der Güte des gebildeten Willens zu. Empirische Überprüfungen haben gezeigt, dass aus einer expost Sicht intuitive Entscheidungen in hohem Maße effizient und somit als zweckrational zu bezeichnen sind.273 Wird konstatiert, dass bei der Reflexion im Gegensatz zur Intuition das Zustandekommen des Willens in jedem einzelnen Schritt nachzuvollziehen ist und darüber hinaus die Möglichkeit der aktiven Steuerung dieser Schritte besteht,274 so schließt sich die Frage an, um welche Art von Schritten es sich dabei konkret handelt. In der Literatur lassen sich zur Analyse der einzelnen Entscheidungsprozessschritte unterschiedliche Phasenmodelle finden, die in ihrer Grundgestalt auf folgende inhaltliche Struktur zurückzuführen sind: (1) Problemidentifikation/-formulierung, (2) Sammlung von Informationen, (3) Alternativengenerierung, (4) Alternativenbewertung und (5) Entschluss.275 Werden diesen Phasen die einzelnen Elemente der Antizipationsfähigkeit, wie sie im Akteursmodell definiert wurden,276 gegenübergestellt, wird die Problemidentifikation und die Sammlung von Informationen im Wesentlichen durch die Perzeptionsfähigkeit, die Alternativengenerierung durch die Prognosefähigkeit und die Alternativenbewertung durch die Bewertungsfähigkeit und deren jeweilige Begrenzungen bestimmt.277

272

Vgl. insbesondere Rüdiger/Vanini (1998); Weber (2002), S. 91ff.

273

Über den genauen Ablauf dieser Prozesse liegt derzeit noch relativ wenig Wissen vor. Vgl. Weber, et al. (1996), S. 51ff. m.w.N. Jedoch sind mithin kognitive Begrenzungen bekannt, die auf die Intuition einwirken können. Siehe hierzu bspw. Reitmeyer (2000), S. 178ff.; Schneider (2001), S. 332.

274

Vgl. Weber, et al. (1996), S. 57.

275

Vgl. im Überblick hierzu Kirsch (1977), S. 70ff. sowie m.w.N. Spieker (2003), S. 24ff. Die Phaseneinteilung und Anordnung derselben sollte dabei aber nicht als starre, vorgegebene Reihenfolge interpretiert werden. Zwischen den einzelnen Phasen bestehen Interdependenzen, die es zu berücksichtigen gilt und die in der Regel zu einem Wechselspiel der einzelnen Phasen führen. Siehe hierzu Laux (2002), S. 12f. Diese Annahme gilt auch für das Durchlaufen des Führungszyklusses, dem Entscheidungsprozess i.w.S.

276

Siehe hierzu nochmals Kapitel B2.1.1.1.

277

Vgl. ähnlich Spieker (2003), S. 25f. Siehe zur Verdeutlichung auch Abbildung 3.

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

69

Die Problemidentifikation stößt den Entscheidungsprozess an. Hierzu müssen allerdings zunächst Symptome wahrgenommen werden, die auf das Vorliegen eines Problems im Sinne eines unerwünschten Zustandes der in einen erwünschten Zustand überführt werden soll, schließen lassen.278 Informationen bzw. Wissen bilden die Grundlage jeder Willensbildung,279 die wiederum immer nur den aktuellen subjektiven Informationsstand des mit der Entscheidung betrauten Akteurs widerspiegeln kann.280 Der Informationsstand des Akteurs ist im Allgemeinen veränderbar.281 Aktivitäten der Informationsbeschaffung können dabei darauf abzielen, „neue Alternativen zu finden bzw. zu erfinden, die Ergebnisse der Alternativen genauer abzuschätzen und/oder das Wahrscheinlichkeitsurteil über die maßgeblichen Umweltzustände zu verbessern“282. Aktivitäten der Informationsbeschaffung sind aber nicht kostenlos.283 Im Sinne einer Zweck-Mittel-Rationalität müssen somit die Kosten und Nutzen der Informationsbeschaffung gegeneinander abgewogen und Informationen nur so lange nachgefragt werden, wie ihr Wert die Kosten der Informationsbeschaffung übersteigt. Diese Forderung findet Ausdruck in der Informationswertbestimmung.284 Die Prognose der Alternativen zielt auf das Abwägen der Konsequenzen der Handlungsalternativen unter Berücksichtigung der möglichen Umweltzustände ab und stellt

278

Gleichzeitig wird aber auch durch diesen gewünschten Zustand ein anzustrebendes Ziel festgelegt. Um eine Entscheidung bzgl. des anzustrebenden Ziels und der einzusetzenden Mittel treffen zu können, muss das Problem zweckmäßig formuliert werden. Die Problemformulierung stellt wiederum selbst ein Entscheidungsproblem dar, zu deren Lösung gegebenenfalls weitere Informationen gesammelt werden müssen. Vgl. Laux (2002), S. 9.

279

Vgl. Schneider (1997), S. 82.

280

Vgl. Laux (2002), S. 337.

281

Vgl. Laux (2002), S. 337. In welchem Umfang Wissen bereits vorliegt und welche Menge an Informationen zusätzlich beschafft wird bzw. beschafft werden kann, um Realisation eines gewünschten Zustandes ausreichend zu antizipieren, hängt von der akteursspezifischen Beschränkung der Perzeptionsfähigkeit ab. Liegen Wissensbeschränkungen vor und ist der Akteur somit nicht in der Lage die Realisation des gewünschten Zielzustandes ausreichend zu antizipieren, wird der Akteur bestrebt sein, mehr Informationen zu beschaffen. Siehe hierzu. u.a. Brockhoff (1983), S. 53ff.

282

Laux (2002), S. 337.

283

So entstehen Kosten in Form von Ausgaben für die Beschaffung an sich sowie in Form von Opportunitätskosten durch Arbeitseinsatz und Zeit. Die Frage in welchem Maß weitere Informationen beschafft werden sollen, stellt somit wiederum ein eigenes Entscheidungsproblem dar. Vgl. Laux (2002), S. 337.

284

Siehe hierzu exemplarisch Laux (2002), Kapitel XI.

70

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

somit

ein

zentrales

Element

rationaler

Entscheidungsfindung

dar.285

Da

der

Entscheidungsträger in der Realität aber in der Regel nur über begrenzte Informationen verfügt, kann grundsätzlich keine sichere Prognose erfolgen. „Der Entscheider kann sich allenfalls ein Wahrscheinlichkeitsurteil über mögliche Ergebnisse bilden.“286 Dieses Wahrscheinlichkeitsurteil ist wiederum abhängig vom Informationsstand des Akteurs. Die vorherige Informationssammlung und die Informationsauswertung dienen dem Akteur, Erwartungen zu bilden. Auf Basis seiner Informationslage wird er nun versuchen, Auswirkungen seiner Handlungsmöglichkeiten in Abhängigkeit von Entwicklungen der Umwelt zu prognostizieren. Je nach Art der Einflussfaktoren stehen dem Akteur verschiedene Prognosemethoden zur Verfügung, die sich von der Fortschreibung historischer Daten über die erfahrungsgeleitete Antizipation bis hin zur Intuition erstrecken können.287 Die gegebene Informationslage bestimmt somit die Prognosemöglichkeiten und mit ihr die vorherrschende Art

der

Unsicherheit.

Diese

determiniert

wiederum,

welches

Verfahren

der

Entscheidungsfindung unter Rationalitätsaspekten zur Alternativenbeurteilung Verwendung finden sollte. Unter Anwendung eines solchen Verfahrens versucht der Akteur mittels seiner Bewertungsfähigkeit

anhand

eines

Entscheidungskriteriums

die

prognostizierten

Auswirkungen der einzelnen Handlungsalternativen entsprechend ihrem Beitrag zur Zielerreichung zu bewerten und sie in eine Präferenzordnung zu bringen.288 Ergebnis der Willensbildungsphase ist der gebildete Wille in Form festgelegter Ziele und bestimmter Mittel, die es zur Zielerreichung einzusetzen gilt. Rationalitätssicherungsbemühungen müssen in dieser Phase somit an den einzelnen Elementen der Antizipations-/Lernfähigkeit ansetzen und je nach Informationsstand des handelnden Akteurs zu deren Verbesserung beitragen.

285

Vgl. Laux (2002), S. 11. Siehe hierzu auch nochmals das in Fußnote 170 angeführte Zitat von Max Weber.

286

Laux (2002), S. 11.

287

Vgl. sinngemäß Weber/Schäffer (1999), S. 734ff. sowie Weber, et al. (2001c), S. 52.

288

Vgl. Laux (2002), S. 11.

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

2.3.3

71

Idealtypische Formen der Willensdurchsetzung

Die Phase der Willensdurchsetzung dient dazu, den gebildeten Willen den mit der Ausführung betrauten Akteuren zu übermitteln. Willensdurchsetzungshandlungen zielen dabei auf die Reduktion der im Anschluss an die Willensbildung noch bestehenden Freiheitsgrade ab, so dass die antizipierte Produktionsfunktion in entsprechender Weise ausgeführt wird. Hierzu sind oftmals zunächst weitere Antizipationshandlungen zur weiteren Konkretisierung des gebildeten Willens nötig, die den Willensdurchsetzungshandlungen zuzurechnen sind.289 Die mit der Willensdurchsetzung verbundene Transformation von Daten beinhaltet somit zwei Aspekte. Zum einen kann sie als reine Willenskonkretisierungshandlung im Sinne einer weiteren Reduktion der Freiheitsgrade interpretiert werden. Die Frage an welcher Stelle im Unternehmen Willensdurchsetzungshandlungen vorgenommen werden hängt dabei im Wesentlichen von sich teilweise bedingenden Faktoren ab, nämlich dem vorliegenden Grad der

Arbeitsteilung

und

der

Komplexität

des

Entscheidungsproblems, 290

Fähigkeitsbeschränkungen der jeweiligen Akteure gegenüberstehen. Komplexität

der

Problemsituation

wird

bspw.

das

verfügbare

der

die

Mit steigender Wissen

der

Unternehmensleitung selten ausreichen, um bereits in der Phase der Willensbildung die Ausführungshandlungen so weit zu antizipieren, dass sie direkt an die ausführenden Stellen übermittelt werden können. Vielmehr wird im Falle hoher Komplexität versucht werden, mittels Arbeitsteilung, Spezialisierung und Delegation den Wissensdefiziten zu begegnen.291 Zum anderen beinhaltet die Willensdurchsetzung die Weitergabe des gebildeten Willens an die mit der Willensdurchsetzung und der Ausführung betrauten Akteure. Hierfür stehen der Unternehmensleitung im Vorliegen einer hierarchischen Über- und Unterordnung prinzipiell zwei verschiedene Vorgehensweisen – die prozessbezogene und die ergebnisbezogene

289

Vgl. Weber, et al. (1996), S. 48f. und S. 67f.; Weber/Schäffer (1999), S. 735f. Es sei darauf hingewiesen, dass eine Willensdurchsetzung auch dann von Nöten ist, wenn Willensbildung und Ausführungshandlung in einer Person vorgenommen werden. „Die Fiktion erhält den Anstoß zum realen Ablaufen.“ (Weber, et al. (1996), S. 48).

290

Vgl. hierzu und zum Folgenden insbesondere Weber (2002), S. 43ff.

291

Vgl. exemplarisch Jost (2000), S. 44.

72

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

Anweisung – zur Verfügung. Im Vorliegen von Teams tritt die gegenseitige Abstimmung an die Stelle der Anordnung.292 Beiden Aspekten der Willensdurchsetzung ist gemein, dass vor dem Hintergrund der Rationalitätssicherung der Führung in dieser Führungszyklusphase sichergestellt sein muss, dass die weitere Willenskonkretisierung der ursprünglichen Zielsetzung entspricht und dass die Mittel auf den zu verfolgenden Zweck abgestimmt werden. Diese Zweckmäßigkeit wird dabei nicht nur durch die begrenzten Fähigkeiten der mit der Willensdurchsetzung betrauten Akteure sondern auch durch deren Wollen bestimmt.293

2.3.4

Idealtypische Kontrollformen

Der Kontrolle kommt als Abschluss des Führungszyklusses und Basis für das erneute Durchlaufen weiterer Führungszyklen sowohl eine wissensgenerierende als auch eine verhaltenssteuernde Funktion zu, die in ihrer Dualität sowohl Auswirkungen auf die Willensbildung als auch auf die Willensdurchsetzung hat. Die Wirkungsweisen der beiden Funktionen werden anhand der folgenden Betrachtung der Kontrollformen veranschaulicht. Je nach Zeitpunkt der Durchführung der Kontrolle, verstanden als Vergleich zweier Größen,294 wird zwischen einer ex-post oder einer ex-ante Kontrolle unterschieden. Wird das Ergebnis der Ausführungshandlungen mit dem gebildeten Willen verglichen, erfolgt die Kontrolle also im Anschluss an die Ausführungshandlung, handelt es sich um eine ex-post Kontrolle. Demgegenüber erfolgt die ex-ante Kontrolle bereits während der Willensdurchsetzungsphase oder der Ausführungsphase, um auf Basis neuer Informationen das Ergebnis erneut zu

292

Vgl. Weber (2002), S. 43f.

293

An dieser Stelle treten Aspekte des Opportunismus zutage. Vgl. u.a. Weber (2002), S. 44f.

294

Mit der Frage nach den möglichen oder notwendigen Zeitpunkten der Kontrolle eng verbunden ist die Frage nach den Kontrollgrößen, die es miteinander zu vergleichen gilt. Hier werden in der betriebswirtschaftlichen Literatur im Allgemeinen drei Gruppen von Kontrollgrößen differenziert: (1) Ist-Größen als tatsächlich eingetretene Ergebnisse, (2) Soll-Größen als in der Willensbildung bzw. Willensdurchsetzung festgelegte Zielgrößen und (3) Wird-Größen als infolge einer Antizipationshandlung ermittelte Annahmen über Künftiges. Dies führt zu sechs möglichen Kombinationen von Kontrollformen. Töpfer (1976), S. 135ff; Wild (1982), S. 44; Pfohl (1988), S. 804ff; Laux/Liermann (2003), Kapitel 22; Brockhoff (1998), S. 18 sowie Schäffer (2001), S. 11ff.

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

73

antizipieren und gegebenenfalls Korrekturmaßnahmen einzuleiten.295 Während der Soll-SollVergleich und der Wird-Wird-Vergleich sich vornehmlich als „Konsistenzkontrollen von antizipierten Größen interpretieren“296 lassen, dienen die anderen vier Formen der Generierung nomologischen Wissens,297 also der Gewinnung von Erkenntnissen über mögliche und eingetretene Ursache-Wirkungsbeziehungen. In Abhängigkeit der gewonnenen Erkenntnisse und der Antizipations-/Lernfähigkeit des Akteurs werden nun neue Willensbildungs- oder Willensdurchsetzungshandlungen eingeleitet. Die Bedeutung der Kontrolle für die Rationalität der Unternehmensführung tritt hier insbesondere in einer qualitativen und quantitativen Verbesserung der Wissensbasis des Akteurs hervor. In ihrer wissensgenerierenden Funktion kommt der Kontrolle somit eine besondere Bedeutung für die Willensbildung zu. Sie stellt die notwendige Voraussetzung für Lernen dar. In diesem Zusammenhang wird sie auch als Lernen ex post in Abgrenzung zur beschriebenen Funktion des Lernen ex ante im Rahmen der Willensbildung bezeichnet,298 und wird weitestgehend durch dieselben begrenzenden Faktoren beeinflusst. Die verhaltenssteuernde Komponente der Kontrolle gewinnt mit zunehmender Arbeitsteilung innerhalb des Unternehmens an Bedeutung. So ermöglichen die Kontrollergebnisse einen Vergleich ob die mit der Willensdurchsetzung oder der Ausführung betrauten Akteure sich an die Anweisungen halten oder vom korporativen Willen abweichende Ziele verfolgen.299 Auch in diesem Zusammenhang spielt der Zeitaspekt eine Rolle, da mit zunehmender Zeitspanne zwischen Anweisung und Ausführung anzunehmen ist, dass der Akteur entweder damit rechnet, dass sein abweichendes Verhalten unentdeckt bleibt oder dass das von der Willensbildung abweichende Ergebnis anderen externen Faktoren zugeschrieben werden

295

Vgl. Schäffer (2001), S. 11ff. Siehe zur Verdeutlichung auch die Darstellung in Abbildung 3.

296

Schäffer (2001), S. 12.

297

Darüber hinaus dienen sie auch der Verbesserung der Realisationsfähigkeit im Sinne von Ausführungsfertigkeiten. Da es sich hierbei nicht um Führungshandlungen handelt, wird diese Art der Wissensgenerierung im Folgenden nicht betrachtet.

298

Vgl. Weber (2002), S. 45.

299

Vgl. Schäffer (2001), S. 41ff.

74

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

kann.300 In ihrer verhaltenssteuernden Funktion kommt der Kontrolle im Sinne einer Überwachung in erster Linie eine besondere Bedeutung für die Willensdurchsetzung zu. Daneben übt die verhaltenssteuernde Komponente der Kontrolle auch einen Einfluss auf die Willensbildung ex ante aus. Ist sich der angewiesene Akteur der Möglichkeit einer Kontrolle bewusst, wird er sein Verhalten entsprechend ausrichten. „Das Faktum der Kontrolle verhindert das Auftreten von Opportunismus.“301 Die Zweckmäßigkeit der zu verwendenden Kontrollform resultiert somit aus der Zeitspanne zwischen Willensbildung und Ausführungshandlungen sowie dem vorherrschenden Grad der Komplexität und der daraus resultierenden Arbeitsteilung. Insbesondere aus einer dynamischer Perspektive muss somit vor dem Hintergrund der Rationalitätssicherung der Führung die Zweckmäßigkeit der Kontrolle – sowohl ihrer wissensgenerierenden als auch ihrer der verhaltenssteuernden Wirkungsweise – sichergestellt sein. Diese wird aber wiederum maßgeblich von der Antizipations-/Lernfähigkeit der mit der Kontrolle betrauten Akteure und deren Wollen bestimmt.302

2.4

Rationalitätssicherung als kontextspezifische und engpassorientierte Controllingfunktion

Mit der Vorstellung der drei Säulen, auf denen der Controllingansatz nach WEBER basiert, ist die Grundlage zur näheren Spezifikation der Controllingfunktion der Rationalitätssicherung der Führung geschaffen. Diese ergibt sich aus der Synthese der drei einzelnen Säulen, welche in den nachfolgenden Kapiteln vorgenommen wird. Mit der Vorstellung der einzelnen Grundelemente lassen sich bereits die konstituierenden Merkmale des Ansatzes identifizieren, die sich in seiner Kontextabhängigkeit und seiner Engpassorientierung manifestieren. Wird dem Controlling die Sicherstellung der Rationalität der Führung zugewiesen, so kann die Controllingfunktion, wie die vorstehenden

300

Zur Vermeidung eines von der Willensbildung abweichenden Verhaltens kann die Kontrolle insofern beitragen, als an die Differenz zweier Kontrollgrößen Redistributions- und Befugnisregelungen geknüpft werden. Vgl. exemplarisch Laux (1999), S. 34ff.

301

Weber (2002), S. 45.

302

Dieser Aspekt wird besonders durch eine Interpretation der Kontrolle als Willensbildung ex post ersichtlich.

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

75

Ausführungen verdeutlicht haben, nur kontextspezifisch sein. Zur Wahrnehmung der Controllingaufgabe

muss

somit

ein

Verständnis

des

gegebenen

Kontextes

bzw.

Entstehungspotenzial für Rationalitätsdefizite vorliegen. Die Controllingfunktion muss dann an

den

identifizierten

Rationalitätsengpässen

bzw.

den

Faktoren

ansetzen,

die

Rationalitätsdefizite bedingen. Es wird eine Engpassorientierung gefordert. Diese beiden Aspekte werden nachfolgend näher betrachtet, da sie nicht nur das Wesen des vorliegenden Controllingverständnisses ausmachen sondern zugleich den Grundstein für den weiteren Gang der Untersuchung legen.

2.4.1

Kontextabhängigkeit der Controllingfunktion

Die Funktion des Controlling ist Rationalitätssicherung der Führung. Rationalitätsdefizite liegen dabei in akteursspezifischen Könnens- und Wollensdefiziten begründet. Demgemäß ist die

konkrete

Ausprägung

der

Controllingfunktion

kontextabhängig.303

Aus

der

Kontextabhängigkeit leitet sich die integrative Größe des Controllingansatzes ab. So stellen WEBER/SCHÄFFER dar, dass sich die unterschiedlichen Controllingansätze letzten Endes auf spezifische, vorherrschende und zum Teil historisch bedingte Rationalitätsdefizite zurückführen lassen.304 Die Funktion der Sicherstellung der Rationalität impliziert jedoch, dass Rationalitätsdefizite zu ihrer Vermeidung aufgedeckt werden müssen, bzw. Faktoren, die Rationalitätsdefizite bedingen können, zu ihrer Überwindung identifiziert werden müssen. Vor dem Hintergrund der akteursspezifischen, individuellen Fähigkeits- und Wollensbegrenzungen wird das Treffen allgemeingültiger Aussagen hinsichtlich der Controllingausprägung und -anforderungen noch dazu in einer ex-ante Sichtweise sichtlich erschwert. Es bedarf somit eines Rahmens, der eine Kontextanalyse ermöglicht. Ein solcher Rahmen wurde jedoch bisher von WEBER nicht explizit vorgegeben, nicht zu letzt einhergehend mit der Kritik der mangelnden Präzisierung die weitestgehend gegen den Ansatz von WEBER vorgebracht wird.305 Weiterentwicklungen des Rationalitätssicherungsansatzes verfolgen das Ziel der Präzisierung und Konkretisierung

303

Vgl. grundlegend Weber/Schäffer (1999), S. 740.

304

Siehe hierzu ausführlich Weber/Schäffer (1999), S. 740 sowie Weber (2004), S. 470.

305

Siehe Irrek, W. (2002) und Müller, A. (2003).

76

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

desselben.306

Sie

lassen

sich

in

307

Forschungsrichtungen einteilen. der WHU vorgenommen.

308

zwei

verschiedene

und

dennoch

kompatible

Zum einen wurden Weiterentwicklungen von Forschern

Sie nehmen eine verhaltensorientierte Perspektive ein.309 Zum

anderen wurde an der RWTH Aachen der Rationalitätssicherungsansatz durch AHN und DYCKHOFF auf Basis entscheidungstheoretischer Überlegungen weiterentwickelt.310 Während es sich bei den erstgenannten Konkretisierungen weitestgehend um Erweiterungen und Präzisierungen einzelner Teilaspekte des Rationalitätssicherungsansatzes handelt, kann der Ansatz von AHN/DYCKHOFF als eigenständiger rationalitätsorientierter Ansatz verstanden werden. AHN/DYCKHOFF

setzen

zur

Rationalitätssicherungsansatzes

Konkretisierung Führung,

an

Sicherstellung

den und

drei

Elementen

Rationalität

an.

des Den

Führungsbegriff präzisieren sie durch ein „neu durchdachtes Gefüge von Teilsystemen der Unternehmung“311, das in die Teilsysteme Führungs- und Leistungssystem bzw. Planungsund Vollzugssystem als komplementäre Teilsysteme unterscheidet.312 Demgemäß bezieht sich die Sicherstellungsfunktion auf die Rationalität der Entscheidungsfindung auf allen Ebenen des Unternehmens313 im Sinne einer „Offenlegung, Güteprüfung und Verbesserung der Entscheidungsfindung“314. Als Rationalitätsmaßstab wird Effizienz und Effektivität zugrunde gelegt und somit die Kernaufgabe des Controlling dahingehend präzisiert, als sie die Effektivitäts- und Effizienzsicherung darstellt.315 Die intensive Auseinandersetzung mit den einzelnen Weiterentwicklungen zeigt, dass sie zwar nicht den für die vorliegende Arbeit notwendigen Analyserahmen zur ex-ante Ableitung

306

Vgl. Ahn, H./Dyckhoff, H. (2004), S. 503.

307

Vgl. Ahn, H. /Dyckhoff, H. (2004), S. 503.

308

Siehe hierzu bspw. Kehrmann, T. (2002); Spieker, M. (2003).

309

Vgl. Ahn, H./Dyckhoff, H. (2004), S. 503.

310

Siehe hierzu insbesondere Dyckhoff, H./Ahn, H. (2002); Ahn, H. (2003); Ahn, H./Dyckhoff, H. (2004).

311

Ahn, H./Dyckhoff, H. (2004), S. 506.

312

Vgl. Ahn, H./Dyckhoff, H. (2004), S. 506ff.

313

Vgl. Ahn, H./Dyckhoff, H. (2004), S. 508ff.

314

Ahn, H./Dyckhoff, H. (2004), S. 517; Siehe auch ähnlich Dyckhoff, H./Ahn, H. (2002), S. 119.

315

Vgl. Dyckhoff, H./Ahn, H. (2002), S. 116ff.; Ahn, H./Dyckhoff, H. (2004), S. 517ff.

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

77

allgemeingültiger Aussagen hinsichtlich potenzieller Rationalitätsdefizite in jungen Wachstumsunternehmen vorgeben. So konkretisieren sie zwar den Ausgestaltungsraum der Controllingfunktion, präzisieren die Messkriterien und Anhaltspunkte zur Wahrnehmung einer Controllingaufgabe, stellen jedoch keine oder nur vage Hilfestellung zur Ableitung einer Controllingnotwendigkeit und demgemäß den Anforderungen an die Controllingaufgabe in einem spezifischen Kontext zur Verfügung. Dennoch liefern sie einige wesentliche Hinweise, die der Entwicklung eines solchen Analyserahmens dienlich sind. So soll das Effizienz- und Effektivitätskriterium nach AHN als Orientierungspunkt dienen. Weiter bietet sich als Hilfsmittel zur Ableitung eines Analyserahmens die Rückführung der Rationalitätsdefizite auf ihre Entstehungsfaktoren an, also solche Faktoren, die die Wahrscheinlichkeit für das Entstehen von Rationalitätsdefiziten erhöhen.316 Sie sollen im Folgenden als Rationalitätsengpässe bezeichnet werden.317

2.4.2

Engpassorientierung der Controllingfunktion

Die Kontextabhängigkeit des Rationalitätssicherungsansatzes bedingt eine Ausrichtung der Controllingfunktion an den Rationalitätsengpässen. Daneben wird die Notwendigkeit einer Engpassorientierung anhand eines weiteren Aspektes deutlich, nämlich der Zweck-MittelRationalität an sich bzw. der dem Controllingansatz inhärenten Forderung nach Effizienz und Effektivität. Begrenzte Kapazitäten begründen dabei die Ausrichtung an den Defiziten, die die größte Wirkung erwarten lassen.318

316

Hierbei sind insbesondere verschiedene Aspekte der verhaltensorientierten Weiterentwicklungen dienlich.

317

Siehe Zur Eigenständigkeit des Ansatzes von Ahn/Dyckhoff insbesondere Ahn, H./Dyckhoff, H. (2004), S.

Auf diese soll im Nachfolgenden an den entsprechenden Stellen verwiesen werden.

522f. 318

Weber konstatiert in diesem Zusammenhang: „Rationalitätsdefizite bedeuten Nutzenverluste sowohl auf individueller (als Wirkung kognitiver Begrenzungen) als auch auf organisationsbezogener Ebene (hier zusätzlich resultierend aus opportunistischem Verhalten einzelner Individuen). Folglich ist es wirtschaftlich, den Unterschied zwischen Soll- und Ist-Rationalität solange zu verringern, bis die Kosten der Verringerung der

damit

erzielten

Vermeidung

von

Nutzenverlusten

entsprechen.

Ist

die

Möglichkeit

zur

Rationalitätssicherung kapazitativ beschränkt, so hat sie engpassbezogen dort anzusetzen, wo sich pro Kapazitätseinheit die größten Defizitverringerungen erzielen lassen“ (Weber (2004), S. 470).

78

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

Die Forderung nach einem Rahmen zur Identifizierung potenzieller Rationalitätsdefizite in einem gegebenen Kontext lenkt die Betrachtung auf diejenigen Faktoren, die auf eine hohe Wahrscheinlichkeit für das Entstehen von Rationalitätsdefiziten schließen lassen. Die Literatur bietet hierfür die Aufmerksamkeit als kapazitätsbedingten, die Expertise als kognitionsbedingten und ein Kontrollmotiv als motivationsbedingten Engpassfaktor an.319 Die nachfolgende Argumentation soll dabei unter Rückgriff auf die Ausführungen in Abschnitt B2.2.2 kurz darlegen, dass diese mit den Annahmen des Akteursmodells konform gehen. Rationalitätsdefizite der Führung liegen in den quantitativen und qualitativen Begrenzungen der Antizipations-/Lernfähigkeit ökonomischer Akteure begründet.320 Ausgangspunkt der Antizipations-/Lernfähigkeit und damit auch der Begrenzung derselben bildet die Perzeptionsfähigkeit, die die Fähigkeit des Akteurs beschreibt, die relevanten Faktoren seiner Umwelt wahrzunehmen und so einer weiteren Verarbeitung zur Verfügung zustellen.321 Zur Wahrnehmung322 ist jedoch ein Mindestmaß an Aufmerksamkeit von Nöten.323 SCHÄFFER bezeichnet die Aufmerksamkeit vor diesem Hintergrund als Kapazität für die bewusste Perzeption.324 Ist die Aufmerksamkeit begrenzt, sind auch die Perzeptionsfähigkeit und mit ihr alle

nachgelagerten

Stufen

der 325

Bewertungsfähigkeit, begrenzt.

Antizipations-/Lernfähigkeit,

die

Prognose-

und

Die letzteren beiden Fähigkeiten sind daneben in

quantitativer Hinsicht ebenfalls durch die akteursspezifischen Begrenzungen der Kapazität für

319

Siehe vornehmlich Reason (1990); Reason (1994) aber auch implizit von Nitzsch (2002).

320

Siehe hierzu nochmals die Ausführungen in Abschnitt B2.2.2 sowie Schäffer (2001), S. 65f.

321

Siehe hierzu nochmals die Ausführungen in Kapitel B2.1.1.1.

322

Siehe zur Bedeutung der Wahrnehmung für den Rationalitätsgrad der akteursspezifischen Handlungen nochmals die Ausführungen in Abschnitt B2.2.2.

323

Hierüber besteht in der Literatur weitestgehend Einigkeit. Siehe exemplarisch Reason (1990), S. 52; Schäffer (2001), S. 65f.; von Nitzsch (2002), S. 3f.

324

Vgl. Schäffer (2001), S. 65.

325

Von Nitzsch weist auf diesen Sachverhalt sehr anschaulich hin: „Denn durch das beschränkte Maß an Aufmerksamkeit, das ein Mensch nun einmal hat, werden der Informationsverarbeitung in allen drei beschriebenen Phasen enge Grenzen gesetzt. Man mag sich die Aufmerksamkeit anschaulich im Bild des Computers als maximale Übertragungsrate zwischen den unterschiedlichen Bausteinen vorstellen.“ (von Nitzsch (2002), S. 3). Erkenntnisse der Kognitionswissenschaften deuten zudem darauf hin, dass die Perzeption vielfach mit der Prognose und Bewertung uno actu erfolgt. Siehe hierzu bspw. Delhees (1994), S. 278.

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

79

die Prognose und Bewertung an sich begrenzt.326 Das Ausmaß dieser quantitativen Begrenzungen lassen sich aber kaum auf Basis extern beobachtbarer Faktoren bestimmen, handelt es sich dabei doch um Begrenzungen der Kapazität des menschlichen Gehirns,327 und sollen daher im weiteren Verlauf der Arbeit nicht weiter betrachtet werden.328 Zielführender erscheint dahingegen die Betrachtung deren qualitativen Begrenzungen, wie sie u.a. durch die Expertise gegeben ist; sind es doch die Angemessenheit und die Qualität der durch die kapazitativen Begrenzungen notwendigen Komplexitätsreduktionen, die für die Rationalität der jeweiligen Handlungen von Bedeutung sind. Hierbei spielt die Expertise als Bezugspunkt kognitiver Strukturen sowohl in positiver als auch in negativer Hinsicht eine entscheidende Rolle. So zeigte sich, dass die kognitiven Strukturen in Form interner Modelle sowohl die akteursspezifische Wahrnehmung steuern als auch für die Verarbeitung der so gewonnenen Informationen maßgeblich sind. So ist die Expertise einerseits von Nöten, um überhaupt Ursache-Wirkungsbeziehungen als Basis für die Prognose- und Bewertungsfähigkeit herzustellen, die dann zur Komplexitätsreduktion sowohl in der Wahrnehmung als auch in der Informationsverarbeitung herangezogen werden können. Andererseits zeigte sich aber auch, dass die auf vergangenen Handlungen basierende Expertise zu unangemessenen Problemrepräsentationen führen kann und bspw. insbesondere in neuartigen Handlungssituationen zu übereilten, fehlerhaften Schlussfolgerungen bzw. irrationalem Handeln führen kann.329 Die Ausführungen in Abschnitt B2.2.2 zeigten jedoch, dass neben kapazitäts- und kognitionsbedingten Begrenzungen sowohl in der Wahrnehmung relevanter Informationen als

326 327

Vgl. Schäffer (2001), S. 66. Siehe hierzu bspw. die anschaulichen Ausführungen bei von Nitzsch, der die menschliche Informationsverarbeitung der Verarbeitungsweise eines Computers gegenüberstellt. Vgl. von Nitzsch (2002), S. 2-7.

328

Diese Einschränkung der Betrachtung erscheint darüber hinaus in zweierlei Hinsicht als legitim. So erscheint mit Hinblick auf die Hinweise der Kognitionsforschung, dass die Perzeption vielfach mit der Prognose und Bewertung uno actu erfolgt (vgl. Fußnote 325), eine weitere Unterteilung als wenig zielführend. Zudem ist weniger das tatsächliche Ausmaß der quantitativen Beschränkung der internen Verarbeitungskapazität von Relevanz als viel mehr die allgemein anerkannte Tatsache der Beschränkung an sich und die sich daraus ergebenden qualitativen Begrenzungen. Deren Betrachtung erfolgt aber über die beiden Größen Expertise und Kontrollmotiv.

329

Siehe hierzu nochmals die Ausführungen in den Kapiteln B2.1.2.2 und B2.2.2.2.

80

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

auch in deren Verarbeitung ein weiteres Element die Rationalität akteursspezifischen Handelns einschränkt. So wurden einerseits eine Wahrnehmungsabwehr und andererseits eine regelrechte Verweigerung korrektiver Maßnahmen trotz wahrgenommener Anzeichen fehlerhafter Handlungen330 als Begrenzungen insbesondere dynamisch rationalen Verhaltens identifiziert. Es zeigte sich, dass selbst wenn die erforderliche Expertise und notwendige Aufmerksamkeit vorliegt, läuft die bedingte Veränderung einem grundlegenden Bedürfnis zuwider: Dem Wunsch nach Sicherheit, der in Form eines Kontrollmotivs zum Ausdruck gebracht wird.331 Die durch das Kontrollmotiv bedingte Wahrnehmungsabwehr sowie der mangelnde Wille, Anpassungen vorzunehmen, lassen das Kontrollmotiv als motivationsbedingten Rationalitätsengpass erkennen. Die Größen Aufmerksamkeit und Expertise stellen somit die Könnenskomponente und das Kontrollmotiv die Wollenskomponente akteursspezifischen Handelns dar und werden in den nachfolgenden Kapiteln kurz näher betrachtet. Dabei gilt es zur Ableitung eines geeigneten Analyserahmens einerseits zu untersuchen, in welchen Ausprägungsformen sie einen Rationalitätsengpass bedingen, und andererseits Möglichkeiten zu deren Abhilfe aufzuzeigen. Letzterer Punkt dient dabei vornehmlich der Komplettierung des Gesamtbildes im Sinne einer ganzheitlichen Analyse sowohl der Intensität der rationalitätsbegrenzenden Faktoren als auch der Überwindungsmöglichkeiten durch das gewählte Instrument. Die ganzheitliche Analyse besteht somit aus einem dreistufigen Prozess. Zunächst wird untersucht, inwiefern und in welchem Ausmaß die drei Größen Aufmerksamkeit, Expertise und Kontrollmotiv im gegebenen Kontext vorliegen und Rationalitätsengpässe bedingen. In einem

zweiten

Schritt

wird

analysiert,

inwiefern

Faktoren

vorliegen,

die

den

Rationalitätsengpässen entgegenwirken können. Diese Untersuchung stellt insofern eine notwendige Ergänzung dar, als sie eine genauere Einschätzung der Intensität der Rationalitätsengpässe ermöglicht. Zudem ermöglicht die Aufnahme der begrenzend wirkenden Faktoren in einem dritten Schritt zugleich, bei der sich anschließenden Instrumentenbeurteilung zu untersuchen, inwiefern diese an den Abhilfe schaffenden Größen ansetzen und somit einen positiven Wertbeitrag zur Rationalitätssicherung liefern.

330

Als Beispiel sei auf die sog. „sunk costs“ verwiesen.

331

Siehe exemplarisch von Nitzsch (2002), S. 46ff. Eine andere Erklärungsmöglichkeit bietet der kognitive Ansatz, der von einer Erfolgserwartung der Akteure ausgeht. Neuere Forschungsergebnisse unterstreichen aber zunehmend den hier verfolgten motivationalen Erklärungsansatz. Siehe hierzu nochmals Fußnote 235.

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

2.4.2.1

81

Aufmerksamkeit

Das akteursspezifische, begrenzte Maß an Aufmerksamkeit stellt den kapazitativen Rationalitätsengpass akteursbezogener Handlungen dar. In der Literatur sind unterschiedliche Bedeutungen des Begriffs der Aufmerksamkeit zu finden.332 Die vor dem Hintergrund der vorliegenden Arbeit relevante Begriffsbestimmung ist der kognitionspsychologischen Literatur entlehnt, die diese als „Grad bewusster Anstrengung, den ein Akteur aufbringt, um Reize wahrzunehmen“333 umschreibt und Aufmerksamkeit als Kapazität bzw. Ressourcenpotenzial zur bewussten Perzeption und Informationsverarbeitung charakterisiert.334 ZIMBARDO stellt das Wesen der Aufmerksamkeit bildhaft als „Brücke … über die einige Bestandteile der äußeren Welt – die ausgewählten Aspekte, auf die die Aufmerksamkeit konzentriert ist – in die subjektive Welt des Bewußtseins [sic!] gebracht werden“335 dar.336 Die Aufmerksamkeit stellt so ein quantitatives Merkmal der Antizipations-/Lernfähigkeit dar, das sich aber nur bedingt beobachten und somit messen lässt. Als eine Art Hilfsgröße wird Zeit, bzw. die faktische Zeitallokation herangezogen, die der Akteur auf eine bestimmte Sache

332

Posner unterscheidet drei verschiedene Bedeutungen. Vgl. Posner (1974), S. 121ff. sowie Carver/Scheier (1981), S. 34.

333

Schäffer (1999), S. 5 bzw. Schäffer (2001), S. 65. Siehe hierzu auch Langer (1989), S. 62; Zimbardo (1995),

334

Vgl. Schäffer (2001), S. 65; Caroli (2005), S. 49. In diesem Zusammenhang wurde auch die sog.

S. 252; Franck (1998), S. 28.

ressourcenbasierte Theorie der Aufmerksamkeit entwickelt. Siehe hierzu die Arbeiten von Knowles (1963); Moray (1969); Kahneman (1973); Norman/Bobrow (1975); Navon/Gopher (1979). Ein Überblick über Theorien der Aufmerksamkeit bietet Neumann (1996). 335

Zimbardo (1995), S. 226.

336

Ein ähnliches Bild prägt von Nitzsch, der diese mit der maximalen Übertragungsrate eines Computers vergleicht. Vgl. von Nitzsch (2002), S. 3. Siehe hierzu auch nochmals das wörtliche Zitat in Fußnote 325.

82

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

verwendet.337 Die Zeit stellt somit sowohl die Quelle als auch die Begrenzung der Aufmerksamkeit dar, da deren Knappheit in der Literatur unbestritten ist.338 Die Zeitknappheit und infolgedessen die begrenzte Aufmerksamkeit schlägt sich in Symptomen wie Stress und Hektik nieder;339 als Ursachen lassen sich vielerlei Faktoren anführen. Im Kontext der Unternehmensführung wird die Zeitknappheit der Unternehmensführung bspw. auf die funktionale Differenzierung als Organisationsprinzip in Großunternehmen und den damit einhergehenden Koordinations- sowie Konsensbedarf zurückgeführt,340 wohingegen in eigentümergeführten Klein- und mittelständischen Unternehmen (KMU) die Konzentrierung der Führungsaufgaben auf den Unternehmer allein als eine der wesentlichen Ursachen identifiziert wird.341 Zur Abhilfe werden in der Literatur ebenfalls zahlreiche Vorschläge unterbreitet, die allesamt in der zeitlichen Entlastung der handelnden Akteure münden, sei es nun durch die Verwendung von Anordnungen als primäres Koordinationsinstrument um langwierigen Kommunikationsprozessen zu begegnen,342 durch Fokussierung auf relevante Fragestellungen bspw. durch die Verwendung von Kennzahlen,343 oder durch Delegation von Aufgaben an weitere Mitarbeiter.344 In einer anschließenden Kontextanalyse zur Identifizierung potenzieller Rationalitätsengpässe gilt es also zu untersuchen, inwiefern der Kontext durch Begrenzungen in der

337

Vgl. Peters (1987), S. 414 und Schäffer (1999), S. 5 sowie Schäffer (2001), S. 65. Schäffer bezeichnet den Rückgriff auf die Größe Zeit als Messkriterium für die Aufmerksamkeit als „notwendige Bedingung und der am besten beobachtbare Indikator für eine entsprechende Allokation von Aufmerksamkeit“. (Schäffer (1999), S. 5 sowie Schäffer (2001), S. 65). Gleichzeitig sieht Schäffer darin die Ursache für die weitestgehend synonyme Verwendung der Begriffe Zeit und Aufmerksamkeit bei Simons. Vgl. Schäffer (1999), S. 5 sowie Simons (1995), S. 72 und Simons/Dávila (1998), S. 72.

338

Vgl. Luhmann (1968), S. 3ff.; Bleicher (1986), S. 80f.; S. Simon (1989), S. 70ff. sowie exemplarisch die

339

Vgl. Franck (1998), S. 49f.

340

Vgl. exemplarisch Luhmann (1968), S. 14ff.

341

Vgl. exemplarisch Sertl (1987), S. 307ff. oder Riklin (1987), S. 131. Dieser Aspekt wird in Abschnitt E1

342

Vgl. Weber (1980), S. 548ff.

343

Vgl. Weber/Schäffer (2000b), S. 5ff. sowie die dort angegebene Literatur.

344

Vgl. Simons (1995), S. 121; Mackenzie (1988), S. 149-172.

Übersicht bei Schäffer (1999), S. 4f.

weiter vertieft.

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

83

Aufmerksamkeit der handelnden Akteure bedingt durch zeitliche Knappheit charakterisiert ist. Sollten Faktoren wie starke zeitliche Beanspruchung in Routineaufgaben und Ablenkung der Attention von wesentlichen Fragestellungen im gegebenen Kontext in entsprechendem Maße vorzufinden sein, ist die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von durch diese Faktoren bestimmten Rationalitätsdefiziten als hoch einzustufen. Eine kritische Betrachtung des in Betracht gezogenen Controllinginstrumentes muss sich dann darauf richten, inwiefern es einen Beitrag zur Abhilfe durch zeitliche Entlastung bzw. Lenkung der Aufmerksamkeit auf die relevanten Fragestellungen liefert.

2.4.2.2

Expertise

Die akteursspezifische Expertise stellt den kognitionsbedingten Rationalitätsengpass akteursbezogener Handlungen dar. Sie ist ein qualitatives Merkmal akteursbezogener Antizipations-/Lernfähigkeit;345

ist

sie

346

doch 347

Wissensbasis“ , „reicher Erfahrungsschatz“

mit

Merkmalen

wie

„umfangreiche

und „professionellem Wissen“348 belegt.349

Dem Expertiseverständnis der wissenspsychologischen Betrachtungsweise der Expertiseforschung folgend, beschreibt die Expertise diejenige Wissensbasis, die einem Akteur zur Problembewältigung zur Verfügung steht.350 Diese Wissensbasis umfasst sowohl das Fach- als auch Methodenwissen.351 Fach- und Methodenwissen ergänzen einander; während Ersteres

345

Wie gezeigt wurde, ist die Antizipations-/Lernfähigkeit sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht begrenzt. Während die fehlende Aufmerksamkeit einen quantitativen Engpass darstellt, führt die Expertise eher zu qualitativen Begrenzungen.

346

Gruber/Mandl (1996), S. 584.

347

Gruber/Mandl (1996), S. 584.

348

Reimann (1998) S. 337.

349

Einen Überblick über weitere verschiedene Ausdrucksformen bzw. Merkmalen von Expertise sowie damit verbundenen empirischen Studien bietet Reimann (1998), S. 340.

350

Vgl. Gruber/Mandl (1996), S. 584. Die wissenspsychologische Betrachtung stellt nach Reimann den dominierenden Ansatz dar. Vgl. Reimann (1998), S. 337. In Abgrenzung dazu lässt sich die differentialpsychologische Betrachtungsweise unterscheiden, die die individuelle Spitzenleistung in den Mittelpunkt ihres Begriffsverständnisses stellt. Siehe zur Unterscheidung der beiden Betrachtungsweisen ausführlich Bromme (1992).

351

Vgl. Gruber/Mandl (1996), S. 586; Reimann (1998), S. 344. Frühere Arbeiten stellten nur auf das Methodenwissen ab. Vgl. Holyoak (1991), S. 301ff.

84

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

zur inhaltlichen Interpretation der Problemsituation dient, befähigt ihn Letzteres zur Aktivierung und Transformierung des situationsbezogenen Fachwissens.352 Die Wissensbasis bildet sich im Zeitablauf heraus; in der Expertiseforschung wird zur Bildung einer umfassenden Expertise ein Zeitraum von mehreren Jahren veranschlagt. Die Entwicklung umfasst dabei nach vorherrschender Meinung die drei Prozessstufen (1) Erwerb eines theoretischen Fachwissens, (2) Sammeln praktischer Erfahrung und (3) Integration von theoretischem Wissen und Erfahrungswissen.353 Expertise ist somit Ausdruck der akteursspezifischen Erfahrungs-, Handlungs- und Lernhistorien. Diese stellen wiederum gleichzeitig die begrenzenden Faktoren dar. Die rationalitätsbegrenzende Wirkung der Expertise bedarf ob ihres dualen Charakters einer differenzierten

Betrachtung.354

Dies

impliziert

aber

zweierlei

Arten

von

Rationalitätsbegrenzungen, die – zumindest teilweise – durch die akteursspezifische Expertise bedingt werden und nach REASON in Expertiseversagen und Expertisemangel differenziert werden können.355 Expertiseversagen tritt vornehmlich in schemabasierten, assimilativen Problemlösungsprozessen zutage und besagt, dass zwar genügend Expertise vorliegt, dies aber den Akteur zu vorschnellem Handeln verleitet. Er verlässt sich auf seine Expertise und hinterfragt die Problemsituation nicht ausreichend. Durch den damit einhergehenden Mangel an Aufmerksamkeit kommt es entweder zur Anwendung falscher Schemata oder zur falschen Anwendung der richtigen Schemata.356 Demgegenüber werden die Konsequenzen eines Expertisemangels, die insbesondere bei wissensbasierten, akkommodativen Problemlösungsprozessen auftreten,357 anhand des Vergleichs zwischen Experten und Laien besonders deutlich. Demnach verfügen Experten u.a. über bessere perzeptionelle Fähigkeiten, können besser zwischen relevanten und

352

Siehe hierzu ausführlicher die Ausführungen bei Reimann (1998), S. 347-351.

353

Vgl. Gruber/Mandl (1996), S. 601-608.

354

Vgl. bzgl. des dualen Charakters der Expertise insbesondere die Ausführungen in den Kapiteln B2.1.2.2 und B2.2.2.2. Ähnlich spricht Elbracht-Hülsenweh von einem „Dilemma der Notwendigkeit spezifischer Erfahrungen“ und der Gefahr von „restriktiven Konsequenzen“ (Elbracht-Hülsenweh (1985), S. 87).

355

Vgl. Reason (1990), S. 12ff.

356

Vgl. Reason (1990), S. 57f. Die Konsequenzen für den Rationalitätsgrad solchen Fehlverhaltens wurden eingehend in Kapitel B2.2.2.2 diskutiert.

357

Vgl. Reason (1990), S. 12f. sowie S. 57f.; Gruber/Mandl (1996), S. 603.

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

85

irrelevanten Problemattributen unterscheiden und Komplexität besser reduzieren, als dies bei Laien der Fall ist.358 GRUBER/MANDL kommen zu einer ähnlichen Einschätzung und schließen:

„Experten

sind

besser,

schneller,

fehlerfreier,

kontrollierter,

flexibler,

erinnerungsstärker, sie haben einen Wissensvorsprung, treffen hervorragende Problemlösungsentscheidungen, nehmen Problemreize besser wahr usw.“359 Die logische Konsequenz zur Überwindung expertisebedingter Rationalitätsengpässe ergibt sich somit aus einer Erweiterung der Wissensbasis.360 Neben einer Erweiterung im Zeitablauf durch konsequentes Lernen bietet sich dabei in erster Linie ein Einbeziehen des Wissens aller Organisationsmitglieder an.361 In einer anschließenden Kontextanalyse zur Identifizierung potenzieller Rationalitätsengpässe gilt es demnach zu untersuchen, inwiefern der Kontext durch mangelnde Expertise sowohl hinsichtlich des Methoden- als auch des Faktenwissens vorliegt. Sollten diese Faktoren im gegebenen Kontext in entsprechendem Maße vorzufinden sein, ist die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von durch diese Faktoren bestimmten Rationalitätsdefiziten als hoch einzustufen. Eine kritische Betrachtung des in Betracht gezogenen Controllinginstrumentes muss sich dann darauf richten, inwiefern es einen Beitrag zur Erweiterung der Wissensbasis liefert.

358

Insgesamt identifiziert Shanteau zehn Unterscheidungsmerkmale von Experten zu Laien. Neben den oben aufgeführten gehören dazu noch eine bessere Überzeugungskraft anderer von ihrer Expertise, ein besseres Fehlerverarbeitungsverhalten, eine größere Bereitschaft selektiver Problemhandhabung, ein größeres Vertrauen in ihre Fähigkeiten, eine kontinuierlichere Aktualisierung des Wissens, eine höhere Kreativität bei der

Findung

neuer

Problemlösungsmethoden

und

eine

schlechtere

Explizierung

ihrer

Problemlösungsmethoden. Vgl. Shanteau (1988) S. 209. 359

Gruber/Mandl (1996), S. 585. Siehe ähnlich Beach, der konstatiert: „Experts may well be experts because their training and past experience allow them to recognize situations and apply familiar frames to them. Once the situation is framed, the expert’s knowledge about what to expect and what has worked or not worked in the past can be brought to bear on the current problem.” (Beach (1997), S. 29 zitiert nach Kehrmann (2002), S. 72).

360

Dies gilt – wenn auch nur in eingeschränktem Maße – auch für die sich aus dem Expertiseversagen ergebenen Konsequenzen, so lange von keiner allzu großen Homogenität der Gruppe ausgegangen werden kann. Gruppeneffekte werden im nachfolgenden Kapitel B2.4.2.3 noch eingehender betrachtet.

361

Vgl. von Hayek (1969), S. 208ff.; Kehrmann (2002), S. 69ff. Siehe hierzu auch nochmals die Ausführungen in Kapitel B2.1.2.1.

86

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

2.4.2.3

Kontrollmotiv

Das Kontrollmotiv stellt den motivationsbedingten Rationalitätsengpass akteursbezogener Handlungen dar.362 Es zählt zu den wichtigsten psychologischen Basismotiven.363 Auch ihm haftet – ähnlich wie der Expertise – ein dualer Charakter an. Das dem Kontrollmotiv inhärente Sicherheitsbedürfnis364 veranlasst den Akteur einerseits zu Kontrollhandlungen und stellt somit eine wichtige Voraussetzung zur Verbesserung der akteursspezifischen Antizipations-/ Lernfähigkeit im Zuge von Lernprozessen dar. Andererseits sind mit dem Kontrollmotiv auch negative

Konsequenzen

verbunden.

Dies

ist

immer

dann

der

Fall,

wenn

das

Sicherheitsbedürfnis den Akteur dazu motiviert, sein Selbstbild entgegen der aus der irrtumbedingten Problemsituation erwachsenden Lernanforderung aufrechtzuerhalten. Anstatt der notwendigen Akkommodation des internen Modells wird es lediglich assimiliert, um es fälschlicherweise nicht in seiner Existenz zu bedrohen. Dieses Fehlverhalten kommt aber letztendlich einem Ausbleiben der Kontrolle gleich, mündet es doch in ein unzweckmäßiges, fehlerhaftes Lernverhalten, das gleichermaßen die zukünftige Handlungsfähigkeit des Akteurs einschränkt. Das durch das Kontrollmotiv bzw. Sicherheitsbedürfnis bedingte Fehlverhalten äußert sich neben den bereits diskutierten Phänomenen365 auch auf Gruppenebene in Form der Phänomene des „risky shift“ und des „Groupthink“.366 Mit dem Begriff des „risky shift“ wird

362

Vgl. hierzu nochmals Reason, der zwischen den kognitionsbedingten „errors“ und den motivationsbedingten „violations“ differenziert und konstatiert: „Both can be (and often are) present within the same action sequence, but they can also occur independently. One may err without commiting a violation; a violation need not involve error. … The boundaries between errors and violations are by no means hard and fast, either conceptually or within a particular accident sequence. What is certain, however, is that dangerous aberrations cannot be studied exclusively within either the cognitive or the social psychological traditions; both need to be integrated within a single framework.” (Reason (1990), S. 195).

363

Vgl. von Nitzsch (2002), S. 46. Von Nitzsch bezeichnet es sogar – neben dem Bedürfnis nach Dissonanzfreiheit, das im Rahmen der vorliegenden Arbeit im Zusammenhang mit dem Prinzip der Dynamik des Akteursmodell behandelt wurde – als das das Entscheidungsverhalten am meisten beeinflussende Motiv. Vgl. von Nitzsch (2002), S. 37. Langer bezeichnet das Bedürfnis nach Kontrolle als „basic to human functioning – regardless of who the person is or where he or she may be. When one’s belief in control is threatened, the result is severely incapacitating” (Langer (1989), S. 34); und Adler bezeichnet es als „an intrinsic necessity of life itself.” (Adler (1930) zitiert nach Schäffer (2001), S. 121).

364

Vgl. Schäffer (2001), S. 121.

365

Vgl. hierzu nochmals die Ausführungen in Kapitel B2.2.2.3.

366

Siehe hierzu implizit auch von Nitzsch (2002), S. 67ff.

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

87

das Phänomen einer gesteigerten Risikobereitschaft von Akteuren innerhalb einer Gruppe im Vergleich

zu

dieser

außerhalb

der

Gruppe

bezeichnet.367

Die

unterschiedlichen

Erklärungsansätze deuten einen Mangel kritischen Hinterfragens und ein Gefühl der Sicherheit durch die Zugehörigkeit zur Gruppe an, sei es nun aufgrund von Verantwortungsentlastung oder Bestätigung bereits bestehender Meinungen.368 Als „Groupthink“ werden gruppenspezifische Verhaltensweisen bezeichnet, die durch das Bemühen der Gruppenmitglieder um Einmütigkeit und zur Herstellung eines Konsenses anstelle eines kritischen Hinterfragens der Handlungssituation motiviert sind.369 Die entsprechenden Symptome, wie bspw. kollektive Anstrengungen, den eingeschlagenen Handlungspfad zu (schein-)rationalisieren oder Ausüben von Druck auf Gruppenmitglieder, die der kollektiven Meinung der Gruppe zuwiderlaufen370 lassen sich letzten Endes auf das Streben nach Aufrechterhaltung des kollektiven internen Modells und somit auch des akteursspezifischen Selbstbildes zurückführen. Sie erhöhen durch Fehlverhalten im Informationssuch- und Entscheidungsprozess die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Rationalitätsdefiziten.371 Im Rahmen einer Engpassanalyse stellt sich dabei die Frage nach den Entstehungs- und Kontextfaktoren bzw. Indizien, die auf einen Rationalitätsengpass schließen lassen. Die Stärke des Kontrollmotivs bedingt dabei letztlich das Ausmaß des Rationalitätsengpasses. Je stärker das Sicherheitsbedürfnis des einzelnen Akteurs ausgeprägt ist, desto unangenehmer wird er die Bedrohung seines internen Modells empfinden, desto stärker wird er versucht sein, diese

Bedrohung

abzuwehren.

Da 372

Kontrollbedürfnisses unterscheiden,

sich

aber

Individuen

in

der

Stärke

ihres

muss in einer Kontextanalyse individuell geprüft

367

Vgl. Wallach, et al. (1962), S. 75ff.

368

In der Literatur werden unterschiedliche Ansätze zur Erklärung des Phänomens des „risky shift“ angeführt. Hierzu gehört der Ansatz der Verantwortungsentlastung, die „Soziale-Wert-Hypothese“ und Ansätze, die auf das Informationsverhalten und die damit wechselseitige Bestätigung der Gruppenmitglieder abzielen. Vgl. im Überblick Auer-Rizzi (1998), S. 61ff.; Staehle (1999), S. 293.; Spieker (2003), S. 143f.

369

Vgl. Janis (1982), S. 244; Janis (1995), S. 392; Schulz-Hardt spricht in diesem Zusammenhang von einer „kollektiven Kritiklosigkeit“. Vgl. Schulz-Hardt (1997), S. 22. Die Theorie des Groupthink geht auf Janis zurück. Siehe hierzu insbesondere Janis (1972); Janis/Mann (1977) und Janis (1982).

370

Siehe zu den aufgeführten und weiteren Symptomen des Groupthink Janis (1982), S. 174ff.

371

Vgl. in ähnlich Weise Spieker (2003), S. 140ff.

372

Vgl. von Nitzsch (2002), S. 47.

88

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

werden, wie stark das Bedürfnis nach Kontrolle, das Sicherheitsbedürfnis oder im Gegenstück dazu die Risikobereitschaft der Akteure ausgeprägt ist.373 Auf Gruppenebene bietet JANIS beobachtbare Faktoren an, die das Auftreten von Groupthink begünstigen. Hierzu zählen eine starke Gruppenkohäsion, die Abhängigkeit und die Bedeutung der Zugehörigkeit der einzelnen Mitglieder zu der Gruppe manifestieren, eine Isolation der Gruppe, die ein kritisches Feedback von außen unterbindet, die Möglichkeiten der Beeinflussung der Gruppe durch einen formalen Führer oder Meinungsführer, das Fehlen eines standardisierten Informationssuch- und Informationsverarbeitungsprozesses, eine hohe Homogenität der Gruppe sowie in situativer Hinsicht der Faktor Stress.374 Da das dem Kontrollmotiv inhärente Sicherheitsbedürfnis letztendlich sowohl auf individueller, akteursspezifischer Ebene als auch auf Gruppenebene in ein Unterlassen des kritischen Hinterfragens der Problemsituation mündet, sollten Versuche zur Überwindung dieses Rationalitätsengpasses in erster Linie an dieser Stelle ansetzen. Hierzu bieten sich neben verschiednen Formen der Selbst- und Fremdkontrolle375 vor allem Faktoren an, die den von JANIS genannten kritischen Faktoren entgegenwirken, wie bspw. das Einführen standardisierter Informationsprozesse und die Verringerung der Homogenität der Gruppe. In einer anschließenden Kontextanalyse zur Identifizierung potenzieller Rationalitätsengpässe gilt es also zu untersuchen, inwiefern der Kontext durch Faktoren charakterisiert ist, die zu fehlerhaften Kontrollhandlungen oder gar einem Ausbleiben derselben führen. Sollten solche Faktoren im gegebenen Kontext in entsprechendem Maße vorzufinden sein, ist die Wahrscheinlichkeit

für

das

Auftreten

von

durch

diese

Faktoren

bestimmten

Rationalitätsdefiziten als hoch einzustufen. Eine kritische Untersuchung des in Betracht

373

Klassifizierungsversuche unterschiedlicher Persönlichkeitsdispositionen hinsichtlich des Kontrollmotivs nehmen ihren Ursprung in der medizinischen Forschung. Nach Glass weisen Menschen eines von Friedman/Roseman klassifizierten Typs A, der durch Leistungsorientierung gekennzeichnet ist und sich ständigem Zeitdruck und Widerständen ausgesetzt fühlt, ein ausgeprägtes Kontrollbedürfnis auf. Vgl. Friedman/Rosenman (1974); Glass (1977) sowie die Ausführungen bei von Nitzsch (2002), S. 47f. Eine allgemein gültige Analyse ist schon allein insofern nicht durchführbar, als bei der Befriedigung des Kontrollbedürfnisses nicht die tatsächliche, sondern die psychologische, wahrgenommene Kontrolle von Relevanz ist. Vgl. von Nitzsch (2002), S. 48.

374

Vgl. hierzu Janis (1982), S. 174ff. sowie m.w.N. die Ausführungen bei Spieker (2003), S. 141f.

375

Vgl. hierzu insbesondere Schäffer (1996); S. 108-138; Schäffer (2001), S. 125ff. und S. 180ff. sowie Kehrmann (2002), S. 65ff.

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

89

gezogenen Controllinginstrumentes muss sich dann darauf richten, inwieweit es einen Beitrag zu deren Überwindung, bspw. durch ergänzende Fremdkontrollhandlungen oder Bekämpfung einzelner, als besonders schwerwiegend identifizierter Faktoren liefert. Mit der Vorstellung der wesentlichen Faktoren der Rationalitätsengpässe ist somit ein Rahmen zur Identifizierung von potenziellen Rationalitätsdefiziten gelegt. Diese gilt es im Zuge einer Kontextanalyse den einzelnen Phasen des Führungszyklusses zur Ermittlung der jeweiligen Ausprägungsform der Antizipations-/Lernfähigkeit und der phasenspezifischen Zielsetzung

gegenüberzustellen

und

somit

Rückschlüsse

auf

kontextbedingte

Rationalitätsdefizite zu ziehen, die unter Zuhilfenahme von entsprechenden Instrumenten überwunden werden müssen.376

3

Die

Kontextspezifisches Verständnis von und Anforderungen an Controllinginstrumente Untersuchung

eines

spezifischen

Instrumentes

in

seiner

Eignung

als

Controllinginstrument bedingen an dieser Stelle wiederum zwei Teilfragen. Zum einen bedarf es zur Beantwortung der Frage, ob ein bestimmtes Instrument in einem spezifischen Kontext als Controllinginstrument geeignet ist, zunächst eines einheitlichen Verständnisses über den Begriff des Controllinginstrumentes an sich. Darüber hinaus resultiert aus der gegebenen Zielsetzung die Frage nach den Anforderungen, die ein Controllinginstrument zur Zielerreichung zu erfüllen hat. Der Beantwortung dieser beiden Fragestellungen widmen sich die nachfolgenden Kapitel 3.1 und 3.2.

376

An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass Weber explizit Abstand davon nimmt, Controllingaufgaben, verstanden als Rationalitätssicherungsaufgaben, lediglich Controllern zuzuweisen. „Als rein funktionales Konzept (Rationalitätssicherung als Handlung) macht der Ansatz – zwangsläufig – keine Aussagen zur Trägerschaft der Rationalitätssicherung (im Sinne einer Zuordnung der Aufgaben zu bestimmten Aufgabenträgern). Insbesondere wird nicht gefordert, dass Controlling an Controller gebunden ist.“ (Weber (2004), S. 470).

90

3.1

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

Kontextspezifisches Verständnis von Controllinginstrumenten

Die nähere Auseinandersetzung mit dem Begriff des Controllinginstrumentes offenbart eine auffallende Diskrepanz zwischen der Bedeutung des Controllinginstrumentariums für das Fachgebiet an sich und dem begrifflichen Verständnis desselben. Die Bedeutung des Controllinginstrumentariums spiegelt sich sowohl in qualitativer Hinsicht in Aussagen von Fachvertretern wider, wie etwa von Reichmann, der konstatiert, dass „die Aufgaben des Controlling in engem Zusammenhang mit dem verfügbaren Methodenpotential stehen“377 als auch in quantitativer Hinsicht in der Anzahl der Instrumentendiskussionen in der Controllingliteratur.378 Umso erstaunlicher erscheint es, dass in der Literatur kein einheitliches Begriffsverständnis über Controllinginstrumente vorliegt.379 Dieser Mangel tritt in unterschiedlicher Weise zutage, so zeigt sich, dass zwar eine Vielzahl von Monographien existiert, die bereits in ihrem Titel die Untersuchung eines bestimmten Instrumentariums als Controllinginstrument ankündigen, in den seltensten Fällen jedoch in solchen Arbeiten eine Definition des Begriffes „Controllinginstrument“ erfolgt.380 Darüber hinaus wird die Frage nach der Eigenständigkeit von Controllinginstrumenten immer wieder gestellt.381 Dieses Erstaunen relativiert sich jedoch, vergegenwärtigt man sich zum einen die Beziehung

377

Reichmann (1996), S. 570.

378

Der Anteil der Diskussionen von Instrumenten am Gesamtumfang deutschsprachiger Standardlehrbücher zum Controlling beträgt 53%, während er im Fall von Organisationslehrbüchern bei 21% liegt. Siehe hierzu und zu weiteren Auswertungen Wall (2002b).

379

So konstatieren Weber/Pritsch: „Es existiert keine allgemein anerkannte Aussage, was konkret unter einem Controlling-Instrument [sic!] zu verstehen ist, und vor allem, unter welchen Bedingungen ein beliebiges betriebswirtschaftliches Vefahren ein Controlling-Instrument [sic!] ist.“ (Pritsch/Weber (2001a), S. 172f.). Ähnliches stellt Amshoff fest: „Eine allgemeingültige Klassifikation von betriebswirtschaftlichen Instrumenten, der eine klar abgrenzbare Menge von controllingrelevanten Instrumenten entnommen werden könnte, konnte in der relevanten Literatur nicht nachgewiesen werden. Es wird argumentiert, dass eine solche Klassifikation kaum zu finden sei, da eine Vielzahl möglicher Einsatzkriterien und Ordnungsgesichtspunkte für eine Systematisierung existiere.“ (Amshoff (1993), S. 267). Siehe hierzu auch Habersam (1997), S. 84. Niedermayr konstatiert diesbezüglich: „In der Literatur ist das Spektrum dessen, was als Controllinginstrument angeführt wird, fast unübersehbar geworden.“ (Niedermayr (1994), S. 115).

380

Vgl. Pritsch (2000), S. 82; Pritsch/Weber (2001a), S. 175. Pritsch spricht in diesem Zusammenhang auch von einer „willkürliche[n] Instrumentendiskussion“ (Pritsch (2000), S. 81). Ebenso ist ein Verzicht auf eine solche Definition in einer Reihe von Lehrbüchern zu verzeichnen. Vgl. Schäffer/Steiners (2003), S. 2f.

381

Vgl. bspw. Schäffer/Steiners (2003), S. 10f; Küpper (2001), S. 24ff. Kappler kritisiert in diesem Zusammenhang „den Zustand eines ,ausgeborgten’ Instrumentenbauchladens, der sich auch noch dadurch definiert“ (Kappler (2002a), S. 188).

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

91

zwischen Konzeptionen und Theorien382 und zum anderen die Ermangelung eines einheitlichen Verständnisses des Begriffes des Instrumentes an sich. Für Letzteres, so SCHÄFFER/STEINERS lässt sich lediglich die „Interpretation von Instrumenten als Hilfsmittel zur

Realisierung

von

Handlungen“383

als

kleinsten

gemeinsamen

Nenner

der

384

unterschiedlichen Begriffsbestimmungen identifizieren.

Zur Überwindung dieses Problems wird oftmals eine nutzungszweckbasierte Abgrenzung vorgenommen. Diese Vorgehensweise geht der Frage nach dem Zweck der Nutzung eines Instrumentes nach und grenzt Controllinginstrumente von anderen Instrumenten durch deren Nutzung ab.385 Dieser Vorgehensweise folgend knüpfen SCHÄFFER/STEINERS an dem kleinsten gemeinsamen Nenner der Instrumentendefinitionen an und definieren Controllinginstrumente als: „Hilfsmittel, die zu Zwecken des Controlling genutzt werden. Sie unterstützen die Generierung

382

controllingrelevanter

Informationen

durch

generelle

Regelungen

zur

Scherm/Pietsch (2004), S. 6ff. Vor dem Hintergrund der Ermangelung einer allgemein anerkannten Controllingkonzeption, die die „Grundlinien einer Sachverhaltsgestaltung“ (Scherm/Pietsch (2004), S. 8) vorgibt, erscheint somit die mangelnde begriffliche Abgrenzung des Controllinginstrumentes trotz dessen Bedeutung als weniger verwunderlich. Wall geht dabei den umgekehrten Weg und versucht, die Definition der Controllingdisziplin über deren Instrumentarium herbeizuführen. Siehe hierzu Wall (2002b), S. 67ff. sowie ähnlich Reichmann (2001), S. 13. Mit Verweis auf die gegen dieses Vorgehen vorgebrachte Kritik erscheint dieses Vorgehen aber als nur bedingt zielführend. Zur Kritik vgl. bspw. Kappler (2002a), S. 170ff.; Schäffer/Steiners (2003), S. 13.

383

Schäffer/Steiners (2003), S. 3.

384

Siehe zu den unterschiedlichen Definitionen des Begriffes „Instrument“ den Überblick bei Schäffer/Steiners (2003), S. 3ff. sowie die dortigen Ausführungen zu der damit verbundenen Bedeutung für die Begriffsbestimmung des Controllinginstrumentes.

385

Dieses weitverbreitete Vorgehen lässt sich u.a. bei Schweitzer/Friedl finden. Sie zählen „zum ControllingInstrumentarium [sic!]… alle Methoden und Modelle, die der Erreichung der Controlling-Ziele [sic!] beziehungsweise der Controlling-Aufgaben [sic!] dienen“ (Schweitzer/Friedl (1992), S. 158). Ähnlich versteht Welge als Controllinginstrumente alle „Methoden, Verfahren und Techniken …, die zur Lösung von Controllingproblemen herangezogen werden können“ (Welge (1988), S. 338). Siehe ebenso Berens/Bertelsmann (2002), Sp. 285 und Dellmann (1992), S. 132. Eine Alternative zu dieser Vorgehensweise stellt die instrumentenbasierte Abgrenzung dar, die auf eine Abgrenzung der Klasse der Controllinginstrumente

von

der

Klasse

sonstiger

Führungsinstrumente

abzielt.

Siehe

hierzu

Schäffer/Steiners (2003), S. 10. Diese Vorgehensweise weist aber mehrere Problematiken auf. So setzte sie implizit voraus, dass eine klar abgrenzbare, eigenständige Klasse der Controllinginstrumente existiert. Diese Annahme erscheint in vielerlei Hinsicht jedoch nicht als gegeben. Kappler weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass er „keinerlei inhaltliche oder logische Möglichkeiten zur Monopolisierung bzw. Vereinnahmung irgendwelcher Managementinstrumente oder -methoden durch das Controlling“ (Kappler (2002b), S. 378) sieht.

92

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

Transformation von Daten (Input) in Controllinginformationen (Output) und lassen sich als externe Modelle charakterisieren.“386 Dieses Verständnis von Controllinginstrumenten impliziert jedoch zugleich, dass sowohl die nähere Begriffsbestimmung, was unter einem Controllinginstrument zu verstehen ist, wie auch die Beurteilung desselben nur im Rahmen der jeweils zugrunde gelegten Controllingkonzeption erfolgen kann bzw. muss.387 Dem Rationalitätssicherungsansatz folgend dienen Controllinginstrumente dem Zweck, eine rationale Führung sicherzustellen bzw. die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Rationalitätsdefiziten in der Führung zu verringern und können wie folgt definiert werden: „Controlling-Instrumente [sic!] sind solche betriebswirtschaftliche Methoden und Verfahren, die zur Bewältigung von ControllingAufgaben [sic!] eingesetzt werden …. Damit ist ein Instrument nicht qua status nascendi ein Controlling-Instrument [sic!], sondern wird zu einem solchen durch die Nutzung mit dem Ziel der Sicherstellung rationaler Führung.“388 Aus dieser Definition resultiert die Frage nach den Beurteilungskriterien eines solchen Instrumentes.

3.2

Kontextspezifische Anforderungen an Controllinginstrumente

Anknüpfend an die in Kapitel 3.1 beschriebene Diskrepanz zwischen der Bedeutung des Controllinginstrumentariums und der mangelnden begrifflichen Eindeutigkeit desselben, lässt sich ebenso ein Mangel an einem einheitlichen Bewertungsrahmen zur Beurteilung der Eignung von Controllinginstrumenten verzeichnen; eine Vielzahl der Diskussionen verzichtet sogar gänzlich auf ein Bewertungsschema.389 Die Bewertung eines Instrumentes in seiner Eignung als Controllinginstrument bedarf jedoch eines Kriterienkataloges, mit dessen Hilfe der Wertbeitrag des betrachteten Instrumentes zur Rationalitätssicherung der Führung

386

Schäffer/Steiners (2003), S. 14.

387

Dementsprechend

führen

bspw.

Schäffer/Steiners

die

unterschiedlichen

Klassifizierungen

von

Controllinginstrumenten auf die verschiedenen Controllingkonzeptionen zurück und interpretieren diese als Spezialfall der nutzungszweckbasierten Abgrenzung. Vgl. Schäffer/Steiners (2003), S. 15ff. 388

Schäffer/Weber (2004), S. 464.

389

Siehe hierzu Pritsch (2000), S. 97ff.

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

93

bewertet werden kann. Idealerweise besitzt ein Kriterienkatalog allgemeingültigen Charakter, nur so kann zum einen eine Vergleichbarkeit gewährleistet und zum anderen dem Vorwurf der Willkür der Instrumentendiskussion begegnet werden. Einen solchen Kriterienkatalog forderte und entwickelte bereits PRITSCH.390 Dieser soll in seiner grundlegenden Idee der aus der Effizienzforderung folgenden Untergliederung in eine kosten- und nutzenseitige Betrachtung übernommen, jedoch hinsichtlich einiger elementarer Punkte modifiziert werden. Die Kritik richtet sich dabei in erster Linie gegen die gewählte weitere Untergliederung des Kataloges. PRITSCH zählt bspw. die Voraussetzungen sowohl für die Implementierung als auch für Anwendung auf.391 Diese Zuordnung kann nur bedingt nachvollzogen werden, stellen diese Voraussetzungen doch nur in ihrer vollständigen Erfüllung einen Wertbeitrag dar, andernfalls begrenzen sie den Nutzen. Zudem fällt auf, dass PRITSCH seiner gewählten Gliederung des Katalogs im Rahmen seiner Instrumentendiskussion nicht stringent folgt. So bleibt bspw. eine Betrachtung der Kostenseite weitestgehend aus bzw. erfolgt zumindest nicht als eigenständiger Gliederungspunkt, so wie er eigentlich dem Kriterienkatalog zu entnehmen ist; viel eher werden Aspekte der Kostenseite in einzelnen Diskussionspunkten der Nutzenseite mit eingeflochten. Ein umfassender Überblick über die Kostenseite kann somit nur schwerlich erfolgen.392 Infolgedessen soll der Kriterienkatalog dahingehend modifiziert werden, als er in einem ersten Schritt um die Aspekte des Brutto- und Nettonutzens erweitert wird. Der Nettonutzen stellt den tatsächlichen Wertbeitrag eines Instrumentes zur Rationalitätssicherung im gegebenen Kontext dar und ergibt sich aus dem Bruttonutzen abzüglich aller das Instrument betreffenden Kosten. Diese differenzierte Betrachtung ermöglicht eine eindeutige Zuordnung der einzelnen Positionen. Werden auf der Nutzenseite alle wertstiftenden bzw. werterhöhenden Faktoren zum Bruttonutzen subsumiert, ergibt sich ein maximaler Nutzen, der durch das Ausmaß des Rationalitätsengpasses und dem theoretischen Potenzial zu dessen Verringerung durch die Verwendung des betrachteten Instrumentes bestimmt wird.393 Der

390

Vgl. Pritsch (2000), S. 79-88.

391

Vgl. Pritsch (2000), S. 83-88.

392

Auch dieser Kritikpunkt kann als Anzeichen für den Bedarf einer andersartigen Untergliederung und differenzierten Betrachtung des Kriterienkataloges gewertet werden.

393

Dieser Aspekt des maximalen Nutzens wird nachfolgend im Rahmen der Nutzenanalyse in Kapitel B3.2.1 aufgegriffen und erläutert.

94

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

maximale Nutzen wird nun durch verschiedene Faktoren begrenzt,394 die auf der Kostenseite zusammengefasst werden. Hierzu sollen auch Faktoren wie die Voraussetzungen für die richtige Anwendung oder die Operationalisierbarkeit gezählt werden. Ist die Operationalisierbarkeit bspw. nur bedingt erfüllt, so begrenzt sie den maximalen Nutzen, jedoch erhöht sie den maximal möglichen Nutzen nicht, wenn keinerlei Probleme in der Operationalisierung auftreten. Bevor anschließend die einzelnen Positionen der Kosten- und Nutzenseiten im Sinne eines allgemeingültigen Rahmens betrachtet werden, soll noch auf zwei weitere wesentliche Aspekte hingewiesen werden.395 Zum einen ist das effektive Potenzial eines Instrumentes zur Rationalitätssicherung nicht exogen gegeben, sondern kann – im Wesentlichen durch ein maximales Ausschöpfen des Bruttonutzens und eine Kostenminimierung – positiv beeinflusst werden. Möglichkeiten hierzu sollen im weiteren Verlauf der Arbeit aufgezeigt werden. Zum anderen sollte die Beurteilung eines Controllinginstrumentes immer dynamisch erfolgen, da in der Regel davon ausgegangen werden kann, dass sowohl die vollständige Nutzenentfaltung als auch die Minimierung der Kosten infolge von Lernprozessen erst über den Zeitablauf gewährleistet werden kann.

3.2.1

Nutzenanalyse

Die Unterscheidung in Brutto- und Nettonutzen aufgreifend, soll an dieser Stelle eine Betrachtung

derjenigen

Faktoren

erfolgen,

die

einen

positiven

Wertbeitrag

zur

Rationalitätssicherung der Führung stiften, also dem Bruttonutzen zugerechnet werden und somit den maximalen Wertbeitrag determinieren. Aus der getroffenen nutzungszweckbasierten Abgrenzung der Controllinginstrumente bestimmt sich der Nutzen, den ein solches Instrument stiften kann, aus seinem Wertbeitrag zur Sicherstellung der Rationalität der Führung. In Anlehnung an die Ausführungen zu den Rationalitätsengpässen zählen hierzu jegliche Maßnahmen und Faktoren, die die Wahrscheinlichkeit für das Entstehen von Rationalitätsdefiziten verringern, also den

394

Auf diesen Aspekt weist Pritsch implizit hin, umso verwunderlicher, dass er die wertbegrenzenden Faktoren

395

Siehe hinsichtlich der beiden nachfolgenden Aspekte weitestgehend die Ausführungen bei Pritsch (2000), S.

dennoch zur Nutzenseite zählt. Vgl. Pritsch (2000), S. 83-88.

87f.

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

95

Rationalitätsengpässen entgegenwirken. Daraus folgt schließlich, dass der maximale positive Wertbeitrag eines Controllinginstrumentes auf der einen Seite durch den Kontext, genauer gesagt die vorherrschenden Rationalitätsengpässe vorgegeben wird und zum anderen durch das theoretische Potenzial des Instrumentes zur Überwindung der Rationalitätsengpässe, also seine Engpassorientierung bestimmt wird.396 Es müssen folglich im Rahmen einer Nutzenanalyse zunächst umfassende Kenntnisse hinsichtlich der im gegebenen Kontext vorherrschenden Rationalitätsengpässe vorliegen. Von Bedeutung ist dabei unter Effizienz- und Effektivitätsaspekten nicht nur die Frage nach den Rationalitätsengpässen an sich, sondern auch nach deren Relevanz sowohl hinsichtlich des Führungszyklusses397 als auch in Bezug auf den inhaltlichen Gesamtzusammenhang des Unternehmens.398 Darauf aufbauend erfolgt dann eine Analyse des theoretischen Potenzials, das dem Instrument zur Überwindung oder Eingrenzung der Rationalitätsengpässe inhärent ist. Betrachtet werden hier nun Fragestellungen hinsichtlich der Möglichkeiten des Instrumentes, die akteursspezifischen Fähigkeiten, die einen relevanten, begrenzenden Faktor darstellen, zu verbessern. Sollte sich bspw. im Rahmen der Kontextanalyse herauskristallisiert haben, dass Mängel der Bewertungsfähigkeit wesentliche Rationalitätsengpässe bedingen, so muss in der sich anschließenden Instrumentendiskussion der Beitrag des Instrumentes zur Verbesserung der Bewertungsfähigkeit untersucht werden. Dabei gilt es nicht nur, den direkten Wertbeitrag, den das Instrument bspw. durch die einmalige Anwendung stiftet, zu ermitteln, sondern ebenfalls zu berücksichtigen, inwiefern die jeweilige Fähigkeit langfristig verbessert wird. Dies führt zu einer weiteren Unterscheidung, die es im Rahmen der Nutzenanalyse zu berücksichtigen gilt: die unterschiedlichen Nutzungsformen von Wissen.

396

Vgl. hierzu und zu den nachfolgenden Ausführungen auch in ähnlicher Weise Pritsch (2000), S. 83-86.

397

So könnte die Engpassanalyse zwar ergeben, dass aufgrund des gegebenen Kontextes in einer Tochtergesellschaft hohe Rationalitätsdefizite in der Willensbildung zu erwarten sind, die Willensbildung spielt aber im Gesamtkontext des Unternehmens eine nur untergeordnete Rolle, da die zu verfolgenden Ziele vom

Mutterkonzern

vorgegeben

werden.

Eine

Bekämpfung

der

in

der

Willensbildung

der

Tochtergesellschaft zu erwartenden Rationalitätsdefizite käme dann einer Ressourcenverschwendung gleich. 398

Ähnlich könnte eine Engpassanalyse ergeben, dass Rationalitätsdefizite bspw. hinsichtlich logistischer Fragestellungen des Unternehmens zu erwarten sind. Stellt die Logistik aber keinen kritischen Faktor im Unternehmenskontext dar, sollte zunächst eine Bekämpfung der Rationalitätsdefizite in anderen Bereichen erfolgen.

96

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

Der Einsatz von Instrumenten generiert Wissen. Dieses Wissen wird für unterschiedliche Verwendungszwecke genutzt. In der Forschungsliteratur wird zur Typisierung der möglichen Nutzungsformen von Wissen laut einer Studie von MENON/VARADARAJAN weitestgehend die Einteilung in instrumentelle, konzeptionelle oder symbolische Verwendung von Wissen gewählt.399 Übertragen auf den Einsatz bzw. den Nutzen von Instrumenten soll im Folgenden in Anlehnung an diese dreiteilige Typisierung der Nutzungsformen von Wissen von instrumenteller, konzeptioneller und symbolischer Nutzung der Instrumente gesprochen werden.400 Die instrumentelle Wissensverwendung wird mit der direkten Nutzung von Wissen und somit dem direkten Nutzen eines Instrumentes zur Problemlösung gleichgesetzt. Die Betonung liegt dabei meist auf dem Einsatz von Instrumenten zur Generierung von Informationen, die der Schließung von Informationslücken dienen.401 Ein enger Bezug zu Willensbildungsinstrumenten ist gegeben. Liegt der Einsatz eines Instruments in der direkten, entscheidungsund handlungsnahen Nutzung seiner Informationen, so wird von der instrumentellen Nutzung des Instruments gesprochen. Die indirekte Verwendung von Wissen, das mittels der Verwendung von Instrumenten generiert wird, wird als konzeptionelle Nutzung bezeichnet. Im Gegensatz zur instrumentellen Nutzung wird hier zwar Wissen erzeugt, dieses aber nicht direkt zur Lösung eines spezifischen Problems verwendet sondern der Erfahrungsbasis des Akteurs zugeführt.402 Die gewonnenen Informationen beeinflussen die Denkprozesse und das Situationsverständnis des

399

Vgl. Menon/Varadarajan (1992), S. 54ff.

400

Wie sich anschließend zeigen wird, handelt es sich bei der symbolischen Nutzung, im Gegensatz zur instrumentellen und konzeptionellen Nutzung von Instrumenten, um eine der ursprünglichen Intention entgegen gerichtete Verwendung. Aus diesem Grunde wird sie den wertmindernden Faktoren zugerechnet und erst in der Kostenanalyse berücksichtigt werden.

401

Siehe hierzu auch Menon/Varadarajan, die konstatieren: „In other words, a problem exists and the solution depends on research providing the information to fill the information gaps.” (Menon/Varadarajan (1992), S. 54).

402

Menon/Varadarajan bringen dies folgendermaßen zum Ausdruck: „Conceptual use … is less direct an more indirect than instrumental use. Thus, much of the use … can be considererd as developing the managerial knowledge base. Projects and studies commonly provide concepts, assumptions, models, and theories, which can enter into managers’ orientations towards priorities, the manner in which they formulate problems, the range of solutions they convey, and the criteria of choice they apply.” (Menon/Varadarajan (1992), S. 56).

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

97

Akteurs. Nomologisches Wissen wird gebildet. Der Akteur lernt mittels der gewonnenen Informationen. Der Wissensaufbau entspricht, im Gegensatz zur assimilativen Weise der instrumentellen Nutzung, einer Akkommodation und ist auf zukünftige Entscheidungen und Handlungsalternativen gerichtet. Unsicherheiten bzgl. einzelner Entscheidungsalternativen sollen langfristig und planmäßig reduziert werden. Das Ausmaß der kontextspezifischen Rationalitätsengpässe sowie der positive Wertbeitrag zur Überwindung dieser Rationalitätsengpässe sowohl in Form eines direkten als auch indirekten Nutzens geben in Summe den in der Praxis maximal ausschöpfbaren Wertbeitrag in Form des Bruttonutzens vor. Darauf aufbauend erfolgt eine Analyse derjenigen Faktoren, die dieses maximale Potenzial des Controllinginstrumentes eingrenzen könnten. Dies erfolgt in der sich anschließenden Kostenanalyse.

3.2.2

Kostenanalyse

Die Kostenanalyse dient der Ermittlung des tatsächlich realisierbaren Wertbeitrages eines Instrumentes, der als Nettonutzen bezeichnet wird und aus dem Bruttonutzen abzüglich aller Kosten resultiert. In diesem Zusammenhang werden unter Kosten all diejenigen Faktoren verstanden, die den maximal möglichen Bruttonutzen in seinem Ausmaß begrenzen und somit einen negativen Wertbeitrag stiften. Im Rahmen einer Kostenanalyse gilt es somit alle direkten und indirekten Kosten der Einführung und Anwendung des Instrumentes zu subsumieren.403 Zu den direkten Kosten der Einführung lassen sich all diejenigen Kosten rechnen, die im Rahmen der Einführung entstehen und sich weitestgehend monetär beziffern lassen, wie Schulungskosten und Kosten für spezifische Softwareprogramme. Ebenso lassen sich die Kosten der Operationalisierung hinzuzählen, die durch die Spezifizierung und Anpassung eines allgemeinen Instrumentes an die Bedürfnisse des jeweiligen Unternehmens entstehen. Als Beispiel lässt sich hier die Einführung von SAP R/3 nennen, bei der die jeweiligen Programmmodule auf die internen Gegebenheiten des Unternehmens angepasst werden müssen. Dementsprechend zählen zu den indirekten Kosten der Einführung insbesondere

403

Vgl. hierzu und zu der nachfolgenden Kostendiskussion in ähnlicher Weise Pritsch (2000), S. 87f.

98

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

Opportunitätskosten, die durch die Inanspruchnahme von personellen und zeitlichen Ressourcen entstehen. Zu den Kosten der Anwendung zählen einerseits wiederum direkte, monetäre Kosten, wie bspw.

Systemwartungskosten

und

Weiterbildungskosten

und

andererseits

indirekte

Opportunitätskosten, die im Zusammenhang mit der dauernden Nutzung des Instrumentes entstehen, wie eine starke zeitliche Bindung der Ressourcen in die dauernde Systempflege oder Anwendungsrisiken. Vor diesem Hintergrund sei auf die symbolische Nutzung von Wissen bzw. Instrumenten verwiesen. Von der instrumentellen und der konzeptionellen Nutzung unterscheidet sich die symbolische Nutzung von Wissen deutlich dahingehend, dass die Informationen nicht ihrem wahrheitsgemäßen

Zweck

entsprechend

eingesetzt,

sondern

über

ihre

eigentliche

Zwecksetzung hinaus verwendet werden, um bspw. bereits getroffene Entscheidungen zu rechtfertigen.404 Symbolische Nutzung löst sich folglich von der Verwendung von Informationen mit dem Ziel einer Entscheidungsfindung und zeigt den Einsatz von Informationen bspw. zur Beeinflussung anderer Entscheidungsträger auf. Da durch die symbolische Nutzung erhebliche Schäden verursacht werden können, soll sie den wertbegrenzenden Faktoren zugerechnet werden. Die Ausführungen haben verdeutlicht, dass unter Bezug auf die Kontextorientierung des Rationalitätssicherungsansatzes Controllinginstrumente in ihrer Eignung nur vor dem Hintergrund des jeweiligen Kontextes beurteilt werden können. Dies betrifft die nutzen- und die kostenseitige Betrachtung gleichermaßen. Abbildung 4 fasst die vorstehenden Überlegungen zusammen.

404

Menon/Varadarajan konstatieren: „However, research findings are sometimes distorted beyond their correct intent and used more symbolically. Research may be misused by taking conclusions out of their context and disclosing only those that confirm an executive’s predetermined positions, or by oversimplifying findings, and/or by consciously ignoring any accompanying caveats or assumptions that may weaken the findings” (Menon/Varadarajan (1992), S. 56).

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

99

Nutzen

Kosten

¦ Wertbeitrag aus instrumenteller und konzeptioneller Nutzung • Potential zur Überwindung der Rationalitätsdefizite/-engpässe • Erhöhung der Wahrscheinlichkeit rationaler Führung • Führungszyklusbezogen/ kritische Größe

¦ Wertbegrenzende Faktoren • Direkte und indirekte Kosten der

• Einführung – Anwendung (u.a. symbolische Nutzung)

Dynamische Betrachtung

Abbildung 4: Kriterienkatalog zur Beurteilung von Controllinginstrumenten

4

Zwischenfazit

Vorliegendes Kapitel B diente dem Aufspannen eines konzeptionellen Bezugs- und Analyserahmens. Dabei machte die Fülle der verschiedenartigen Controllingansätze die Auswahl einer geeigneten

Controllingkonzeption

notwendig.

Diesbezüglich

erwies

sich

der

Rationalitätssicherungsansatz nach WEBER/SCHÄFFER als zweckmäßig, soll heißen, dem Verwendungszusammenhang entsprechend. Dieser liegt gemäß dem eingangs skizzierten Forschungsvorhaben in der Erforschung der controllingrelevanten Besonderheiten junger Wachstumsunternehmen begründet. Der Rationalitätssicherungsansatz betont gerade diese Kontextabhängigkeit der Controllingfunktion und liefert somit Anhaltspunkte zur Erforschung sowohl der controllingrelevanten Merkmale junger Wachstumsunternehmen als auch der Controllinganforderungen in diesem spezifischen Kontext. Dem gewählten Controllingansatz entsprechend besteht die Controllingfunktion in der Rationalitätssicherung der Führung. Die Controllingnotwendigkeit manifestiert sich somit in den Rationalitätsdefiziten – verstanden als Lücke zwischen Sollrationalität und tatsächlich realisierter Rationalität – der Führung. Für den Verwendungszusammenhang der vorliegenden Arbeit ergibt sich somit die Notwendigkeit der Identifizierung der Rationalitätsdefizite im Führungskontext junger Wachstumsunternehmen. Zur Ableitung verallgemeinerungsfähiger Aussagen bedurfte es des Aufspannens eines Analyserahmens. Ein solcher wurde aus den drei Grundsäulen des

100

Controlling als konzeptioneller Bezugsrahmen

Rationalitätssicherungsansatz, ökonomischer

Akteure,

(2)

(1)

dem

dem

Grundmodell

spezifischen

einer

dynamischen

Rationalitätsverständnis

Theorie und

(3)

Führungshandlungen, erweitert um Erkenntnisse aus anderen Forschungsrichtungen wie den Kognitionswissenschaften, abgeleitet. Im Zuge dessen konnten die drei Faktoren Aufmerksamkeit, Expertise und Sicherheitsbedürfnis als rationalitätsbegrenzende Faktoren identifiziert werden. Es ergibt sich ein Schema, bestehend aus den beiden Dimensionen Rationalitätsengpassfaktoren

und

Zielsetzung

der

Führungshandlungen,

das

zur

Identifizierung der controllingrelevanten Besonderheiten eines Kontextes sowie zur Ableitung kontextspezifischer Controllinganforderungen genutzt werden kann. Eine solche Untersuchung wird für den Kontext junger Wachstumsunternehmen in Kapitel D vorgenommen. Die Controllinganforderungen bestimmen wiederum die Zweckmäßigkeit eines Controllinginstrumentes. Zur Beurteilung der Verwendung eines Controllinginstrumentes in einem spezifischen Kontext bedarf es eines zuvor definierten Kriterienkataloges. Gemäß dem Rationalitätssicherungsansatz sind Controllinginstrumente solche betriebswirtschaftliche Methoden und Verfahren, die zur Überwindung von Rationalitätsdefiziten beitragen. Auf Basis dieser Definition wurde ein Beurteilungsschema aufgestellt, das auf der obersten Ebene der Grundanforderung der Effizienz folgt: der Nutzen, den ein Instrument stiftet, muss größer sein, als die Kosten, die es verursacht. Somit muss die Überprüfung der Eignung des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen aus zweierlei Betrachtungswinkeln vorgenommen werden. Zum einen ist die explizite Identifizierung der Rationalitätsdefizite im Führungskontext junger Unternehmen notwendig. Diese bestimmen den maximalen Nutzen, den ein Instrument zu erfüllen vermag. Zum anderen bedarf es der expliziten Untersuchung des instrumentellen und konzeptionellen Nutzens des Realoptionsansatzes sowie der durch seine Anwendung verursachten Kosten. Die Basis für letztere Analyse wird im nachfolgenden Kapitel mittels der Darstellung der Grundidee und des Instrumentalcharakters des Realoptionsansatzes geschaffen.

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

101

C Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument Vor dem Hintergrund des eingangs skizzierten Forschungsziels dient das vorliegende Kapitel einer allgemeinen Vorstellung des Realoptionsansatzes. Die Vorstellung soll dabei zielgerichtet erfolgen,405 d.h. die Grundlage für eine in Kapitel F vorzunehmende Analyse des Wertbeitrages dieses Instrumentes zur Rationalitätssicherung der Führung in jungen Unternehmen schaffen. Demzufolge gilt es entsprechend der in Kapitel B3.2 geführten Diskussion der Anforderungen an ein Controllinginstrument, ein Verständnis dafür zu entwickeln, welches Wissen der Realoptionsansatz in instrumenteller, konzeptioneller und symbolischer Hinsicht generiert. Zu diesem Zwecke wird zunächst in Kapitel C1 der Grundgedanke des Realoptionsansatzes vorgestellt, bevor anschließend in Kapitel C2 unter Rückgriff auf die Theorie der Finanzoptionen, derer der Realoptionsansatz entlehnt ist, die wesentlichen Prinzipien der Optionspreistheorie betrachtet werden. Diese wurden ursprünglich von MYERS auf reale Handlungsalternativen übertragen und seither in verschiedenste Richtungen weiterentwickelt. In Kapitel C3 wird diese Übertragung des Optionskalküls ebenfalls vorgenommen, um die Verwendung des Ansatzes, seinen Instrumentalcharakter und die damit verbundenen Stärken und Schwächen zu diskutieren.

1

Handlungsspielräume als Bezugsobjekt

Akteuren stehen zur Realisierung ihrer Ziele verschiedene Handlungsalternativen zur Verfügung, zwischen denen sie aufgrund ihrer begrenzten Fähigkeiten eine Auswahl treffen

405

Die Thematik der Realoptionen wird in der Literatur aus den unterschiedlichsten Perspektiven beleuchtet. Diese auch nur in Ansätzen in der vorliegenden Arbeit zu berücksichtigen, wäre dem Zweck der Arbeit nicht dienlich. Infolgedessen wird teilweise eine verkürzte Darstellung gewählt. Für eine umfassende Diskussion des Realoptionsansatzes sei auf die Standardliteratur verwiesen. Zu empfehlen sind bspw. Cox/Rubinstein (1985); Hull (1998); Amram/Kulatilaka (1999a); Hull (1999); Trigeorgis (2000) sowie in der deutschsprachigen Literatur Hauck (1991); Kilka (1995) und Meise (1998).

K. H. Faaß, Der Realoptionsansatz als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen, DOI 10.1007/978-3-8350-9608-0_3, © Deutscher Universitäts-Verlag | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007

102

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

müssen.406 Dabei sind die meisten Auswahlentscheidungen durch ein gewisses Maß an Unsicherheit und Irreversibilität gekennzeichnet, die die Gefahr einer Fehlentscheidung bestimmen.407 Unsicherheit resultiert aus unvollkommenen Informationen sowohl über die Ausprägung zukünftiger Umweltzustände als auch über die Handlungskonsequenzen.408 ARROW bezeichnet Unsicherheit in diesem Zusammenhang als „negative measure of information“409. Die Ursachen der Unsicherheit liegen dabei sowohl in externen Faktoren, die weitestgehend durch die Komplexität und Dynamik unternehmensrelevanter Umweltfaktoren determiniert sind, als auch in internen Gegebenheiten des betrachteten Unternehmens begründet.410 Die Irreversibilität bedingt dazu das Ausmaß der Fehlentscheidung insofern, als sie Ausdruck dafür ist, dass Entscheidungen und deren Konsequenzen oftmals gar nicht oder zumindest nicht kurzfristig und nicht ohne außerordentlichen Aufwand revidiert werden können.411 Zu den Ursachen der Irreversibilität zählen die Spezifität von Investitionen, die Ineffizienz von Märkten für gebrauchte Realgüter und politische bzw. juristische Restriktionen.412 Angesichts des mit Unsicherheit und Irreversibilität einhergehenden Risikos einer Fehlentscheidung werden in der Literatur unterschiedliche Strategien diskutiert, wie diesen zu begegnen ist.413 Sie lassen sich in passive und aktive Strategien zur Überwindung von Unsicherheit und Irreversibilität einteilen. Passive Strategien stellen dabei die Risikomeidung,

406

Siehe hierzu auch nochmals die Ausführungen in Kapitel B2.1.1.

407

Vgl. a.V. Perridon/Steiner (1997), S. 98; Meise (1998), S. 6ff.

408

Vgl. Bamberg/Coenenberg (2002), S. 14ff. Unsicherheit bildet in der Entscheidungstheorie den Oberbegriff für Ungewissheit und Risiko. Liegt Unsicherheit vor, so hält der Entscheidungsträger mindestens zwei Zustände für möglich. Bei Ungewissheit, auch als Unsicherheit i.e.S. bezeichnet, kann der Entscheidungsträger keinerlei Wahrscheinlichkeitsurteil über das Eintreffen der möglichen Zustände treffen. Bei Entscheidungen unter Risiko kann der Entscheidungsträger den Situationen Wahrscheinlichkeiten über ihr Eintreten zuordnen. Vgl. Bamberg/Coenenberg (2002), S. 23; Laux (2002), S. 23. In der vorliegenden Arbeit sollen die Begriffe Unsicherheit und Risiko entsprechend dem Sprachgebrauch synonym verwendet werden.

409

Arrow (1985), S. 65.

410

Vgl. a.V. Welge (1985), S. 38.

411

Vgl. Perridon/Steiner (1997), S. 98; Meise (1998), S. 6ff.

412

Vgl. Dixit/Pindyck (1995), S. 109f.; Meise (1998), S. 10f.

413

Siehe hierzu ausführlich Meise (1998), S. 14ff.; Müller (2004), S. 24ff.

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

103

bspw. durch ausschließliches Agieren in stabilen Märkten oder die Verringerung kritischer Abhängigkeiten, bspw. durch Diversifikationsstrategien dar. Als aktive Strategien werden u.a. die verbesserte Antizipation, bspw. durch den Auf- und Ausbau eines betrieblichen Informationssystems sowie die Kontrolle, bspw. durch eine vertikale Integration der kritischen Größen, diskutiert. Der Aufbau bzw. das Nutzen von Handlungsflexibilitäten wird dabei als eine mögliche Mischform aktiver und passiver Strategien angesehen.414 Dabei zeigt sich, dass die Idee der aktiven Strategien sowie des Aufbaus und Nutzens von Handlungsflexibilitäten in einem Überwinden des „negative measure of information“ begründet liegt. Sie zielen allesamt auf die Generierung von Informationen ex-ante und expost ab und dienen dem Abbau von Unsicherheit. WILD konstatiert in diesem Zusammenhang: „Die

Grundfunktion

der

Information

besteht

darin,

daß

[sic!]

sie

den 415

Unbestimmtheitszustand des Informationsbesitzers verändert, sie reduziert Unsicherheit“ . Handlungsflexibilität wird als Grad der Reaktionsmöglichkeit verstanden und äußert sich in dem Vorliegen von Handlungsspielräumen,416 also in Möglichkeiten der flexiblen Reaktion auf unterschiedliche Umweltsituationen.417 Handlungsflexiblität manifestiert sich sowohl in einer verzögerten oder stufenweisen Entscheidungsfindung in Abhängigkeit der eintreffenden Informationen, als auch in der Einflussnahme auf die Vorteilhaftigkeit nach der Entscheidungsfindung. Sie umfasst das zur Verfügung stehende Potenzial, offensiv mit Unsicherheit umzugehen und darf insofern nicht nur als reaktive Anpassung auf Umweltveränderungen gesehen werden, sondern beinhaltet auch proaktive Elemente.418 Dieses Potenzial wird nicht nur quantitativ durch das Aktionsvolumen oder den Umfang der Handlungsmöglichkeiten

414

bestimmt,

sondern

auch

wesentlich

durch

die

Vgl. Meise (1998), S. 14ff. Die Vorteilhaftigkeit der jeweiligen Strategie lässt sich nur vor dem Hintergrund des jeweiligen Kontextes beurteilen. Da Realoptionen auf Handlungsflexibilitäten beruhen, wird die Diskussion an dieser Stelle fortgesetzt. Eine Untersuchung der Möglichkeiten junger Unternehmen, eine der Strategien einzuschlagen, wird in Kapitel E1.1 vorgenommen.

415

Wild (1982), S. 119. Siehe hierzu auch Schäffer (2001), S. 85f.

416

Vgl.

Meise

(1998),

S.

Handlungsspielmöglichkeiten

16. und

Die

Begriffe

dergleichen

der werden

Handlungsflexibilität, in

der

Handlungsspielräume,

deutschsprachigen

Literatur

zur

Realoptionstheorie synonym verwendet. Siehe hierzu bspw. die Verwendung der Begriffe bei Meise (1998); Peske (2002); Dimpfel (2004). So soll trotz der prinzipiellen Abgrenzungsmöglichkeiten der einzelnen Begriffe auch in dieser Arbeit verfahren werden. 417

Vgl. Laux (1993), S. 933.

418

Vgl. Aggarwal (1997), S. 26.

104

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

Handlungsgeschwindigkeit und die Handlungsbereitschaft. Das Ausmaß der Handlungsflexibilität wird folglich sowohl durch das Können als auch durch das Wollen der Akteure bestimmt.419 Die

Funktions-

bzw.

Wirkungsweise

der

Risikoreduzierung

durch

potenzielle

Handlungsspielräume lässt sich anhand von Abbildung 5 näher erläutern. Die Fläche unter der durchgezogenen Kurve kennzeichnet die Wahrscheinlichkeitsverteilung der aus einem Investitionsprojekt resultierenden Cash-Flows ohne das Vorliegen oder die Berücksichtigung von Handlungsmöglichkeiten, während die Fläche unter der gepunkteten Kurve die Wahrscheinlichkeitsverteilung derjenigen Cash-Flows markiert, die aus einem Projekt mit Handlungsspielraum resultieren. Die Möglichkeit, das Projekt bei einer negativen Entwicklung der Umweltfaktoren abzubrechen, begrenzt die negativen Cash-Flows auf die Höhe der bereits getätigten Investitionen. Die Möglichkeit, bei positiver Umweltentwicklung bspw. Folgeinvestitionen zu tätigen, wirkt sich positiv auf die potenzielle Höhe der Cash-

Wahrscheinlichkeit

Flows aus.

Cash-Flows Realoptionswert

Abbildung 5: Asymmetrische Risiko-Ertragsverteilung (in Anlehnung an: Trigeorgis (2000), S. 123)

Der Wertbeitrag der Flexibilität in Bezug auf die Reduzierung der Gefahr einer Fehlentscheidung wird deutlich. Der Realoptionsansatz versucht diese Flexibilität explizit zu

419

Vgl. Thielen (1993), S. 140ff.; Dimpfel (2004), S. 30f.

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

105

berücksichtigen420 und interpretiert Handlungsmöglichkeiten – nicht zuletzt aufgrund dieser in Abbildung 5 dargestellten asymmetrischen Risiko-Ertragsverteilung – als Optionen, genauer als Realoptionen. Es zeigt sich folglich, dass Unsicherheit über zukünftige Umweltzustände und Handlungsfolgen zu Fehlentscheidungen führen können. Die Konsequenzen solcher Fehlentscheidungen werden durch die Irreversibilität intensiviert. Sie können jedoch in Summe durch das Vorhandensein und Nutzen von Handlungsflexibilitäten, mittels derer auf das Auflösen von Unsicherheit reagiert wird, begrenzt werden. Die Höhe der Unsicherheit und das Flexibilitätspotenzial bestimmen den Optionscharakter einer Situation und zugleich den Wert der Handlungsflexibilität, wie in Abbildung 6 dargestellt. Die Bedeutung von Handlungsflexibilitäten steigt insofern mit dem Ausmaß an Unsicherheit, als ihnen in Form von Realoptionen eine asymmetrische Risikoverteilung inhärent ist.

Handlungsflexibilität Möglichkeit zu reagieren

Unsicherheit Wahrscheinlichkeit des Eintreffens weiterer Informationen niedrig

hoch

hoch

Moderater Wert der Flexibilität

Hoher Wert der Flexibilität

niedrig

Niedriger Wert der Flexibilität

Moderater Wert der Flexibilität

Abbildung 6: Wertbestimmung der Flexibilität (in Anlehnung an: Copeland/Keenan (1998), S. 46)

Welche Möglichkeiten zur näheren Quantifizierung der Handlungsflexibilität bestehen, wird im nachfolgenden Kapitel anhand der Theorie der Finanzoptionen näher betrachtet.

420

So unterscheiden sich zwei auf den ersten Blick ähnliche Investitionsprojekte in eine neue Produktionsanlage bspw. dahingehend, dass bei einem der Projekte die Möglichkeit besteht, stufenweise Kapazitätserweiterungen vorzunehmen oder aber die Produktionskapazität zu verringern. Wird diese Flexibilität nicht im Entscheidungsprozess berücksichtigt, kommt es zu Fehlentscheidungen.

106

2

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

Finanzoptionen als Ausgangspunkt

Die mit Handlungsflexibilitäten verbundene asymmetrische Risiko-Ertragsstruktur, die aus dem Recht und nicht der Verpflichtung einer Optionsausübung verbunden ist, lässt die Nähe zum Prinzip der Finanzoptionen erkennen. MYERS prägte daher den Begriff der Realoptionen bzw. der „real options“ indem er den Optionscharakter von Investitionsentscheidungen herausstellte und das Konzept der Optionspreistheorie auf reale Handlungsalternativen übertrug.421 So wurde letztendlich die Möglichkeit eröffnet, die den Entscheidungen inhärente Handlungsflexibilität wertmäßig zu erfassen. Aus zweierlei Gründen ist es für den weiteren Gang der Arbeit dienlich, sich zunächst mit den allgemeinen Grundlagen der Optionspreistheorie auseinanderzusetzen. Zum einen soll die Selektions- und Ordnungsfunktion, die Begriffe erfüllen422 genutzt werden. Ein Verständnis der Wesensmerkmale des Optionsbegriffes stellt die Grundlage seiner Übertragbarkeit auf andere Anwendungsbereiche dar423 und ist somit für die Verwendung der Erkenntnisse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument unerlässlich. Zur Schaffung eines solchen Verständnisses dient im Wesentlichen Kapitel C2.1. Zum anderen greift die Realoptionstheorie zur wertmäßigen Erfassung der Handlungsflexibilität auf die Erkenntnisse der Finanzoptionstheorie zurück.424 Aus diesem Grunde werden die finanzmathematischen Grundlagen zur Bewertung von Optionen in Kapitel C2.2 erläutert.

2.1

Prinzip und Funktionsweise der Finanzoptionen

Eine Option stellt eine vertragliche Vereinbarung zwischen einem Käufer und einem Verkäufer dar, die dem Käufer das Recht, jedoch nicht die Pflicht einräumt,

421

Vgl. Myers (1977), S. 147.

422

Vgl. Köhler (1969), S. 435ff.

423

Vgl. Grochla (1976), Sp. 414. In diesem Fall orientiert sich die Identifizierung optionsähnlicher Situationen an den entsprechenden Begriffsmerkmalen des Optionsbegriffes.

424

Vgl. insbesondere Vgl. Myers (1977), S. 147.

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

x eine

bestimmte

Menge

eines

Vermögensgegenstandes,

107

des

so

genannten

425

„Basisinstrumentes“ oder „Underlying“ (S)

x während der gesamten Optionslaufzeit (t) oder am Ende der Laufzeit (T) der Option426 x zu einem im Voraus vereinbarten Preis, dem „Ausübungspreis“ oder „Exercise Price“ (X) x im Falle einer Call-Option – kurz eines „Call“ (C) – zu kaufen x oder im Falle einer Put-Option – kurz eines „Put“ (P) – zu verkaufen.427 Das besondere Merkmal einer Option liegt in der asymmetrischen Risiko-Ertragsstruktur, also in einer asymmetrischen Verteilung von Gewinnchance und Verlustrisiko.428 Da die Option mit einem Recht und nicht einer Pflicht zur Ausübung verbunden ist, wird der Inhaber einer Option diese nur dann ausüben, wenn er aufgrund einer günstigen Wertentwicklung des der Option zugrunde liegenden Basisinstrumentes einen finanziellen Vorteil erzielen kann.429 In diesem Fall wird die Option als „in the money“ bezeichnet.430 Durch die Möglichkeit, im Falle

425

Börsengehandelte Optionen beziehen sich meist auf Aktien, Aktienindizes, Währungen und ausgewählte Futures-Kontrakte als Underlying. Daneben werden am so genannten „Over the counter market“ Optionen auf verschiedenste Underlying wie Währungen und Zinsinstrumente gehandelt. Vgl. hierzu a.V. Hull (1998), S. 4ff. sowie S. 174ff.

426

Kann die Option jederzeit ausgeübt werden, wird sie als eine „amerikanische“ Option bezeichnet; kann sie nur am Ende der Laufzeit ausgeübt werden, wird sie „europäische“ Option genannt. Siehe hierzu auch Kapitel C2.2.1.4.

427

Vgl. Black/Scholes (1973), S. 637.; Merton (1973), S. 141f.; Hull (1998), S. 3; Damodaran (2001), S. 354ff.

428

Vgl. Uszczapowski (1993), S. 94.

429

Gleichzeitig ist damit eine asymmetrische Beziehung zwischen den Vertragsparteien verbunden. Während der Käufer ein Recht im Sinne einer Wahlmöglichkeit zur Ausübung erwirbt, ist der Verkäufer hingegen verpflichtet, auf Verlangen des Käufers diesem das Basisinstrument zum vereinbarten Preis zu übergeben (Call) oder ihm den vereinbarten Preis für die Übergabe des Basisinstrumentes zu zahlen (Put). Vgl. hierzu Kruschwitz/Schöbel (1984b), S. 68; Zimmermann (1988), S. 15f.; Trautmann (1995), Sp. 1475.

430

Als „in the money“ wird ein Call (Put) bezeichnet, wenn zum Betrachtungszeitpunkt (t) der Wert des Basisinstrumentes (St) über (unter) dem Ausübungspreis (X) liegt, also im Falle eines Call St > X gilt bzw. im Falle eine Put St < X gilt. Vgl. hierzu a.V. Hull (1998), S. 177.

108

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

einer negativen Wertentwicklung des Basisinstrumentes431 die Option verfallen zu lassen, ist das Verlustrisiko auf den zum Erwerb der Option zu zahlenden Optionspreis – auch Optionsprämie genannt – begrenzt, wohingegen die Gewinnchancen nahezu unbegrenzt sind.432 Optionen kommen somit einem Versicherungsschutz gegen negative Wertentwicklung des Basisinstrumentes gleich.433 Dieser Sachverhalt wird in Abbildung 7 in Form von Gewinnund Verlustdiagrammen für die vier Basispositionen434 von Optionen in Abhängigkeit des

Break-EvenPunkt

Ausübungspreis (X)

Verlust

Gewinn

Gewinn

Wertes des Underlying zum Ausübungszeitpunkt dargestellt.

„out of the money“

Zone der verminderten Kosten

„in the money“

S Ausübungs preis (X)

Gewinn

Optionsprämie

Verlust

Verlust

Kurs des Underlying (S)

Call Long

„at the money“

Call Short

Short Put S Long Put Ausübungs preis (X)

Abbildung 7: Asymmetrisches Zahlungsprofil der vier Basispositionen (in Anlehnung an: Uszczapowski (1999), S. 53; Hull (1998), S. 174)

Der Wert eines Call (CT) bzw. eines Put (PT) am Ende der Laufzeit bzw. im Ausübungszeitpunkt (T) errechnet sich somit aus der Differenz zwischen dem Wert des

431

Analog zur Bezeichnung „in the money“ (vgl. Fußnote 430) wird im Falle der negativen Wertentwicklung des Basisinstrumentes die Bezeichnung „out of the money“ verwendet. Als „out of the money“ wird ein Call (Put) bezeichnet, wenn zum Betrachtungszeitpunkt (t) der Wert des Basisinstrumentes (St) unter (über) dem Ausübungspreis (X) liegt, also im Falle eines Call St < X gilt bzw. im Falle eine Put St > X gilt. Zusätzlich zu „in the money“ und „out of the money“ Optionen wird noch der Fall der „at the money“ Option unterschieden. Dieser liegt dann vor, wenn keine nennenswerte Differenz zwischen dem Wert des Basisinstrumentes und dem Ausübungspreis vorliegt. Vgl. hierzu a.V. Hull (1998), S. 177.

432

Vgl. a.V. Steiner/Bruns (1998), S. 268ff.

433

Vgl. Uszczapowski (1993), S. 94; Brenner/Subrahamanyam (1994), S. 25; Kruschwitz (1999), S. 264-294.

434

Als Basispositionen werden jeweils der Kauf eines Call oder Put, der als „long“ Position bezeichnet wird, und der Verkauf eines Call oder Put, der als „short“ Position bezeichnet wird, unterschieden. Vgl. a.V. Hull (1998), S. 4. Zur Verdeutlichung wurde für den Fall eines „Call Long“ eine ausführliche Darstellung und für die verbleibenden drei Positionen in Analogie eine verkürzte Darstellung gewählt.

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

109

Basisinstrumentes (S) und dem Ausübungspreis (X) und lässt sich mathematisch folgendermaßen ermitteln:435

CT

max^S  X ;0` bzw.

(Gl. 1)

PT

max^X  S ;0`

(Gl. 2)

Die Differenz zwischen dem Preis des Basisinstrumentes und dem Ausübungspreis wird als „innerer Wert“ oder „intrinsic value“ der Option bezeichnet, dem der Optionswert bei Ausübung exakt entspricht.436 Der einer Option gleichkommende Versicherungsschutz erfordert ebenfalls seinen Preis,437 so dass auf den Wert einer Option vor dem Verfallstag noch ein Zeitwert (Time Value) einwirkt.438 Dieser setzt sich aus den zwei Komponenten Spekulations- und der Zinskomponente zusammen. Diese Effekte führen dazu, dass der Wert einer Option vor dem Verfallstag über ihrem inneren Wert liegt439 und somit einen positiven Zeitwert besitzt.440 Die Höhe des Zeitwertes bestimmt sich bzgl. der Zinskomponente durch den risikolosen Zinssatz441 sowie bzgl. der Spekulationskomponente weitestgehend aus der Einschätzung der Marktteilnehmer über die zukünftige Wertentwicklung des Underlying und wird somit durch die Volatilität des Basisobjektes sowie die Restlaufzeit der Option

435

Vgl. Cox/Ross (1976a), S. 383.

436

Vgl. Merton (1973), S. 145; Hull (1998), S. 177.

437

Vgl. Kruschwitz (1999), S. 264-294.

438

Vor dem Verfallszeitpunkt setzt sich der Wert einer Option somit aus dem inneren Wert und dem Zeitwert additiv zusammen. Vgl. Trautmann (1995), Sp. 1476f.; Hull (1998), S. 177.

439

Bei Call-Optionen wirkt sich der Zeitwert sowohl bzgl. der Zins- als auch der Spekulationskomponente positiv auf den Optionswert aus, bei Put-Optionen wirkt hingegen die Spekulationskomponente positiv und die Zinskomponente negativ auf deren Wert. Siehe hierzu auch die Ausführungen in den Kapiteln C2.2.1.4 und C2.2.1.6.

440

Vgl. Uszczapowski (1999), S. 120. Dabei wird auch ein wesentlicher Unterschied zwischen Optionen des europäischen und des amerikanischen Typs deutlich. Während Optionen des europäischen Typs nur am Verfallstag selbst ausgeübt werden können, können Optionen des amerikanischen Typs jederzeit vor dem Verfallstag ausgeübt werden. Somit können letztere auf keinen Fall einen geringeren Wert aufweisen als europäische Optionen. Eine Option des amerikanischen Typs weist somit neben den Charakteristika, die auch europäische Optionen umschreiben, den Vorteil der jederzeit möglichen Ausübung auf. Vgl. Koch (1999), S. 62.

441

Vgl. hierzu die Ausführungen in Kapitel C2.2.1.6.

110

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

bestimmt.442 Je näher der Verfallstermin rückt, desto eher wird sich der Gesamtwert dem „inneren Wert“ annähern und der Zeitwert gegen Null tendieren.443 Somit können Ober- und Untergrenzen – wie in Abbildung 8 am Beispiel eines Call dargestellt – für den Optionswert festgelegt werden. Die untere Grenze entspricht dem „inneren Wert“ einer Option, die obere Grenze wird durch den Kurs des Underlying bestimmt. Innerhalb dieser Grenzen bewegt sich der Wert einer Option und wird vor Fälligkeit durch den Zeitwert determiniert.444

Optionswert Obergrenze

Untergrenze Zeitwert Innerer Wert

Optionswert

Kurs des Underlying (S) „out of the money“ „in the money“ Ausübungspreis (X) „at the money“

Abbildung 8: Obere und untere Grenze für Werte einer Call-Option (in Anlehnung an: Black/Scholes (1973), S. 638)

Die vorstehenden Ausführungen lassen bereits auf den zentralen Gedanken schließen, der hinter der Optionspreistheorie steht und in den folgenden Ausführungen noch eingehender betrachtet werden wird. Das Recht, jedoch nicht die Pflicht, zu handeln liefert einen Wertbeitrag, dessen Höhe im Zeitablauf variiert, oder wie BAECKER/HOMMEL es zum Ausdruck bringen: „[F]lexibility creates value“445. Dieses Recht muss gegen eine Prämie erworben werden und bedarf insofern einer Bewertung. Die Wertermittlung von Optionen ist Gegenstand der nachfolgenden Ausführungen.

442

Vgl. a.V. Hauck (1991), S. 94. Siehe hierzu auch die Ausführungen in Kapitel C2.2.1.2 und C2.2.1.4.

443

Da der Zeitwert im Zeitverlauf abnimmt, wird ihm eine „Wasting-Asset“-Eigenschaft beigemessen. Vgl. Uszczapowski (1999), S. 120.

444

Vgl. Black/Scholes (1973), S. 638f.

445

Baecker/Hommel (2004), S. 2.

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

2.2

111

Finanzmathematische Grundlagen zur Bewertung von Optionen

Ziel der Optionspreistheorie446 ist es, den Wert von Optionen zu ermitteln.447 Da die Realoptionsbewertung der Optionspreistheorie entlehnt ist, werden deren wesentliche Elemente nachfolgend betrachtet.448 Ausgangspunkt der Betrachtung bildet dabei in Kapitel C2.2.1 die Diskussion der den Wert einer Option beeinflussenden Faktoren. Zur Bewertung von Optionen kommen Bewertungsmodelle zum Einsatz. Diesen sind bestimmte Prinzipien der Bewertung inhärent. Da diese einen wesentlichen Teil der hinter den Bewertungsmodellen stehenden Ideen offen legen, werden diese zunächst in Kapitel C2.2.2 betrachtet, bevor in Kapitel C2.2.3 die Bewertungsmodelle an sich vorgestellt werden.

2.2.1

Werttreiber des Optionspreises

Der Wert einer Option vor dem Verfallstag wird von insgesamt sechs Faktoren beeinflusst,449 nämlich:450 x dem gegenwärtigen Kurs des Underlying (S) x dem Ausübungspreis (X)

446

Die Optionspreistheorie ist ein Fall der so genannten „Contingent Claims Analysis“ bzw. sie bildet deren Ausgangspunkt. Die „Contingent Claims Analysis“ zielt auf die Bewertung von Ansprüchen ab, deren Auszahlungen von dem Wert eines bestimmten Vermögensgegenstandes abhängig sind. Vgl. Mason/Merton (1985), S. 7; Kieschnick (1990), S. 16; Damodaran (2002), S. 22ff.

447

Die Wurzeln der Optionspreistheorie gehen auf Black/Scholes und Merton zurück. 1997 wurden Black und Merton für ihre Arbeiten mit dem Nobelpreis geehrt. Obwohl Finanzoptionen schon seit Jahrhunderten gehandelt werden, gelang es erst Black/Scholes und Merton im Jahre 1973 – das Jahr in dem Finanzoptionen zum ersten Mal an einer Börse, der Chicago Board Options Exchange, gelistet wurden – das erste analytische und vollständige Gleichgewichtsmodell zur Optionspreisbestimmung zu veröffentlichen und einer theoretischen befriedigenden und empirisch validen Bewertung von Optionen zugänglich zu machen. Einen historischen Überblick über die Theorie der Optionsbewertung bieten u.a. Mason/Merton (1985) S. 19; Trautmann (1995), Sp. 1475f. Ein Überblick über die historische Entwicklung des Optionsmarktes ist bei Hull (1998) S. 4-6 zu finden.

448

In Anbetracht der komplexen Thematik beschränken sich die folgenden Ausführungen jedoch auf eine problemorientierte Darstellung der Basisideen, die dem weiteren Verständnis der Arbeit dienlich sind.

449

Die Ausführungen in Kapitel C2.1 haben bereits deutlich gemacht, dass der Wert einer Option durch den Kurs und die Volatilität des Underlying, den Ausübungspreis, den Zeitfaktor und den risikolosen Zinssatz bestimmt wird. Vgl. hierzu insbesondere die Abbildung 7 und Abbildung 8.

450

Vgl. a.V. Cox/Rubinstein (1985), S. 33f.; Hull (1998), S. 194.

112

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

x der Länge des Zeitintervalls (t) bis zum Verfallstag (T) x der Volatilität des Underlying (ı) x dem Zinssatz (r) x und den Dividendenzahlungen (D)451 In welcher Form sich die einzelnen Variablen, die als Determinanten oder Werttreiber des Optionspreises bezeichnet werden, auf den Wert auswirken und in welche Richtung sie wirken, wird in den nachfolgenden Kapiteln näher betrachtet; nicht zuletzt, um sich mit Hinblick auf den Einsatz von Realoptionen der den Optionswert beeinflussenden Faktoren und ihrer Wirkungsweisen bewusst zu werden.452

2.2.1.1

Wert des Underlying

Der Vermögensgegenstand, der der Option zugrunde liegt, wird als Underlying oder Basisinstrument bezeichnet. Der Wert des Underlying bestimmt in Bezug auf den Ausübungspreis die Höhe des inneren Wertes einer Option.453 Veränderungen des Wertes des Underlying ziehen somit Änderungen im Wert der Option nach sich. Calls verbriefen das Recht, das Basisinstrument zu einem zuvor vereinbarten Preis zu erwerben. Folglich steigt der Wert des Call mit der Wertsteigerung des Basisinstrumentes und sinkt mit dessen Wertverlust. Puts hingegen stellen das Recht dar, das Basisinstrument zu einem zuvor vereinbarten Preis zu veräußern. Insofern ruft eine Wertveränderung des Basisinstrumentes den gegenläufigen Effekt auf den Wert des Put hervor. Steigt der Wert des Basisinstrumentes, so sinkt der Wert des Put und vice versa.

451

Daneben üben auch Steuern, Transaktionskosten und Marktstrukturen sowie weitere qualitative Einflussgrößen einen geringen Einfluss auf den Wert einer Option aus. Bspw. steigt bei einer freundlichen Markttendenz aufgrund gestiegener Nachfrage der Preis von Calls. Diese Effekte sind aber wegen ihrer geringen Wirkung sowie ihrer kurzlebigen Natur weitestgehend vernachlässigbar. Vgl. Cox/Rubinstein (1985), S. 38; McMillan (1986), S. 15; Perridon/Steiner (1997), S. 319.

452

Vgl. zu den Ausführungen in den Kapiteln C2.2.1.1-C2.2.1.6 die Standardliteratur zur Optionspreistheorie, wie bspw. Hauck (1991), S. 93-124; Hull (1998), S. 194-198; Damodaran (2001), S. 357f.

453

Siehe hierzu nochmals die Ausführungen in Kapitel C2.1.

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

2.2.1.2

113

Volatilität des Underlying

Die Volatilität des Underlying dient als Risikomaß und wird auf Basis der statistischen Maße Varianz und Standardabweichung des Underlying ermittelt.454 Dabei gilt, dass der Wert der Option umso höher ist, je höher die Volatilität des ihr zugrunde liegenden Underlying ist. Dies gilt sowohl für den Fall einer Call-Option, als auch für den Fall einer Put-Option. Diese zunächst nicht eingängige Vorstellung, dass ein erhöhtes Risiko positive Effekte bewirkt, lässt sich auf die zentrale Eigenschaft der asymmetrischen Risikoverteilung von Optionen zurückführen. Während der Käufer einer Option auf der einen Seite niemals mehr als den investierten Kaufpreis verlieren kann, stehen ihm auf der anderen Seite beträchtliche Gewinnpotenziale gegenüber, die um so höher ausfallen können, je stärker der Wert des Basisinstruments in die „richtige Richtung“ ausschlägt.455

2.2.1.3

Wert des Ausübungspreises

Der Wert des Ausübungspreises bestimmt letztendlich in Abhängigkeit des Wertes des Basisinstrumentes

zum

Ausübungszeitpunkt

den

inneren

Wert

der

Option.

Der

Ausübungspreis kann entweder im Vorhinein bekannt und für die gesamte Laufzeit konstant festgesetzt sein oder zeitabhängig angepasst werden.456 Er kann sich aber auch stochastisch entwickeln, bspw. als arithmetischer Durchschnitt einer bestimmten Anzahl von Kursen des Underlying,457 und steht somit zum Zeitpunkt des Optionskaufs noch nicht fest.458 Vor dem

454

Vgl. Hauck (1991), S. 98 m.w.N.; Perlitz, et al. (1999), S. 260. Einen Überblick über Prognoseverfahren zur Volatilitätsbestimmung und zu statistischen Berechnungsverfahren gibt Hauck (1991), S. 96-99.

455

Grundsätzlich lassen sich fünf Arten der Volatilität unterscheiden: die zukünftige, die historische, die vorhergesagte, die implizite und die saisonale Volatilität. Die zukünftige Volatilität ist in der Regel nicht bekannt und wird daher mit Rückgriff auf die historische Volatilität zu schätzen versucht. Diese wiederum wird mit Hilfe von Vergangenheitswerten ermittelt. Eine vorhergesagte Volatilität wird u.a. von darauf spezialisierten Servicefirmen geliefert. Die implizite Volatilität entspricht der in den Marktpreisen einer Option enthaltenen Volatilität und kann durch Einsetzen und Auflösen im Black/Scholes-Modell ermittelt werden. Die saisonale Volatilität erlaubt im Voraus Aussagen über die zukünftige Volatilität zu treffen, da bereits zum heutigen Zeitpunkt auf Grund von Vergangenheitswerten bekannt ist, dass z.B. für bestimmte natürliche Güter wie Getreide die Volatilität höher oder niedriger ist als in anderen Monaten. Vgl. hierzu Perlitz, et al. (1999), S. 260ff. m.w.N.

456

Vgl. Fischer (1978), S. 173.

457

Dies ist bei so genannten „asiatischen“ Optionen der Fall.

458

Vgl. Tompkins (1994), S. 481ff.; Thompson (1995), S. 272.

114

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

Hintergrund des in einem Call verbrieften Rechts, ein Underlying zu einem bestimmten Preis zu kaufen, wirkt sich ein hoher Ausübungspreis bzw. ein Ansteigen des Ausübungspreises negativ auf den Wert eines Call aus. Entsprechend bewirkt ein hoher Ausübungspreis bzw. ein Ansteigen desselbigen beim Vorliegen einer Put-Option das Gegenteil.

2.2.1.4

Laufzeit der Option

Die Wirkungsweise der Laufzeit einer Option ist auf den Wert von Call- und Put-Optionen gleichgerichtet. Die Länge der Laufzeit bestimmt die Möglichkeit einer positiven Wertentwicklung. Je mehr Zeit bis zum Verfallstag der Option verbleibt, desto höher sind die Chancen, dass sich der Wert des Underlying günstig entwickelt. Insofern wirkt sich die Verkürzung der Laufzeit negativ auf den Wert einer Option aus. Zusätzlich wirken sich im Falle eines Call die Barwerte der zum Zeitpunkt der Ausübung fälligen Zahlungen auf den Wert der Option aus. Wird ein Call ausgeübt, muss für das Übertreten des Underlying der Ausübungspreis bezahlt werden. Der Barwert des Ausübungspreises verringert sich für den Optionshalter mit steigender Laufzeit der Option.459

2.2.1.5

Dividendenzahlungen des Underlying

In der Regel kann bei Aktien ein Kursverfall nach der Dividendenauszahlung beobachtet werden. Daraus folgt, dass der Wert eines Call einer abnehmenden Funktion der Größe der erwarteten Dividendenzahlungen entspricht und der Wert eines Put analog einer steigenden Funktion der Größe der erwarteten Dividendenzahlungen gleichkommt. Eine andere, eventuell eingängigere Art, sich diese Funktionsweise zu vergegenwärtigen, stellt die Möglichkeit dar, sich die Dividendenzahlungen im Falle eines Call als Kosten der Verzögerung der Ausübung einer „in the money“ Option vorzustellen. Sobald eine „in the money“ Option ausgeübt wird, geht das Underlying, bspw. die Aktien, an den Ausübenden über und somit der Anspruch auf zukünftige Dividendenzahlung. Dividendenzahlungen kommen nicht dem Halter der Option, sondern dem Halter des Underlying zugute. Mit einer Verzögerung der Ausübung entfallen alle bis zur letztendlichen Optionsausübung ausgeschütteten Dividenden: Opportunitätskosten entstehen.460

459

Vgl. Damodaran (2001), S. 358.

460

Vgl. Damodaran (2001), S. 357.

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

2.2.1.6

115

Zinssatz

Opportunitätskosten entstehen ebenfalls durch das Zahlen des Kaufpreises einer Option, der im Vorhinein entrichtet wird. Die Höhe der Opportunitätskosten hängt wiederum von der Höhe des Zinssatzes und der Laufzeit der Option ab. Der risikolose Zinssatz,461 wirkt sich insofern auf den Wert einer Option aus, als der Ausübungspreis erst beim Ausüben des Call (Put) gezahlt (erhalten) wird. Der Barwert des Ausübungspreises sinkt mit einem Anstieg des risikolosen Zinssatzes und führt somit zu einem Anstieg des Wertes eines Call und zu einer Wertminderung des Put.462 Tabelle 5 fasst die eben diskutierten Wirkungsweisen der einzelnen Werttreiber auf einen Call und einen Put zusammen.

Werttreiber Wert des Underlying Volatilität des Underlying Wert des Ausübungspreises Laufzeit der Option Dividendenzahlungen Zinssatz

Auswirkungen des Anstiegs des Werttreibers auf den Wert eines Call Put steigt sinkt steigt steigt sinkt steigt steigt steigt sinkt steigt steigt sinkt

Tabelle 5: Überblick über die Wirkungsweisen der Werttreiber (in Anlehnung an: Damodaran (2001), S. 358)

2.2.2

Prinzipien der Bewertung

Durch die vorstehenden Ausführungen wurde ersichtlich, dass sich der Optionswert aufgrund des gleichzeitigen Einwirkens und der unterschiedlichen Wirkungsweisen der Determinanten nicht durch die alleinige Betrachtung einzelner Determinanten bestimmen lässt. Für eine genaue Bestimmung des Optionswertes bedarf es der Anwendung von Optionsbewertungsmodellen. Hierbei handelt es sich aufgrund der gleichzeitigen und zum Teil gegenläufigen

461

Als risikoloser Zinssatz wird meist der Zinssatz einer Nullcouponstaatsanleihe mit einer der Optionslaufzeit entsprechenden Laufzeit verwendet.

462

Im Falle eines Call kann der bis zum Ausübungszeitpunkt noch nicht aufgewendete Ausübungspreis, also die Investitionssumme noch zu dem nun höheren Zinssatz angelegt werden. Im Falle eines Put gilt das Gegenteil. Vgl. hierzu auch Damodaran (2001), S. 358.

116

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

Wirkungsweisen der Determinanten auf den Optionswert zumeist um komplexe Verfahren. Die Funktionsweise dieser Verfahren wird durch ein Verständnis für die dahinter stehenden grundlegenden Prinzipien der Bewertung leichter nachvollziehbar. Dieses Verständnis soll mittels einer kurzen Einführung in die Grundprinzipien der Optionsbewertung, dem Prinzip der Portfolioreplikation in Kapitel C2.2.2.1 und dem Prinzip der risikoneutralen Bewertung in Kapitel C2.2.2.2 gelegt werden.

2.2.2.1

Prinzip der Portfolioduplikation

Die grundlegende Schwierigkeit der Optionsbewertung liegt in der asymmetrischen Beziehung zwischen Optionswert und Wert des Underlying. Zur Lösung dieses Problems wird auf das Konzept der Portfolioduplikation zurückgegriffen.463 Demnach ist es möglich, die aus der Option resultierenden Zahlungsströme mittels des Basisinstrumentes und einer Kreditaufnahme zu replizieren und ein so genanntes „duplizierendes Portfolio“ zu konstruieren.464 Zielsetzung ist es dabei, das Portfolio so zusammenzusetzen, dass dessen Zahlungsströme

denen

der

zu

bewertenden

Option

entsprechen. 465

Kapitalmarkttheorien gebräuchlichen Annahme der Arbitragefreiheit

Aus

der

in

folgt dann, dass die

Option und das Duplikationsportfolio immer denselben Wert aufweisen.466 Auf diese Weise lässt sich der Optionswert aus den bekannten Werten des Underlying und der Anleihe ermitteln. Dieses grundlegende Prinzip der Optionspreisbewertung soll anhand des Beispiels eines europäischen Call auf eine Aktie mit einem Ausübungspreis (X) in Höhe von 90 EUR und einer Laufzeit (t) von einer Periode kurz verdeutlicht werden.467 Die dem Call zugrunde liegende Aktie wird im Zeitpunkt t0 zu einem Kurs (S) von 80 EUR gehandelt. Vereinfachend wird angenommen, dass der Wert der Aktie (S) am Ende der Periode (in t1) nur einen von

463

Vgl. a.V. Meise (1998), S. 60.

464

Dieses Prinzip geht auf Black/Scholes (1973) und Merton (1973) zurück. Vgl. u .a. Meise (1998), S. 60.

465

Unter Arbitragefreiheit wird das Fehlen jeder Möglichkeit zur Arbitrage, also dem risikolosen Erzielen von Gewinnen ohne Kapitaleinsatz bei Transaktionsabschluss, verstanden. Vgl. u.a. Hull (1998), S. 11f. und S. 52ff.

466

Vgl. Hull (1999), S. 424ff.

467

Vgl. nachstehend auch Meise (1998), S. 61ff.

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

117

zwei möglichen Werten annehmen kann. Dabei steigt der Aktienkurs S mit einer Wahrscheinlichkeit von q mit dem Faktor u auf uS=104 EUR und fällt mit einer Wahrscheinlichkeit von 1-q um den Faktor d auf dS=64 EUR. Da der Wert der Option im Ausübungszeitpunkt t1 von dem Wert, den S angenommen hat, abhängt, wird der Wert des Call parallel dazu den Wert Cu=14 EUR oder Cd=0 EUR annehmen. Abbildung 9 illustriert die Wertänderung des Call in Abhängigkeit der Kursänderung der ihm zugrunde liegenden Aktie. Cu = max(Su-X; 0) = 14

Su = 104 q

q

S = 80

C=?

1-q

1-q Cd = max(Sd-X; 0) = 0

Sd = 64

t=0

t=1

t=0

t=1

Abbildung 9: Wertänderung des Call in Abhängigkeit der Kursänderungen des Underlying (in Anlehnung an: Cox et al. (1979), S. 67; Cox/Rubinstein (1985), S. 171)

Zur Beantwortung der Frage nach dem Wert des Call im Zeitpunkt t0 wird ein Portfolio aus n Einheiten der Aktie S und der risikofrei verzinsten Anleihe (B) gebildet, das in beiden möglichen Umweltzuständen den Wert des Call exakt nachbildet, so dass die Rückflüsse des Portfolios mit denen der Option identisch sind. Der Barwert der Option C entspricht dann dem Barwert des Portfolios. Wie in Abbildung 10 dargestellt, gilt durch Gleichsetzen der Optionswerte mit den Werten des Duplikationsportfolios im Zeitpunkt t0 somit: C0

n˜S  B

und im Zeitpunkt t1: C1u bzw. C1 d

(Gl. 3) n ˜ uS  (1  r ) B

n ˜ dS  (1  r ) B

(Gl. 4)

(Gl. 5)

118

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument Cu = n·Su – (1+r)B q

C0 = n·S + B

1-q Cd = n·Sd – (1+r)B

t=0

t=1

Abbildung 10: Wertentwicklung des Portfolios (in Anlehnung an: Cox/Rubinstein (1985), S. 172)

Wird in dem gewählten Beispiel ein risikoloser Zinssatz von 10% angenommen, so müsste zur Vermeidung von Arbitragemöglichkeiten das Portfolio aus n = 0,35 Aktien und einer Anleihe in Höhe von 20,36 EUR gebildet werden. Daraus lässt sich der Wert des Call im Zeitpunkt t0 ermitteln, der sich auf 7,64 EUR beläuft. Durch Gleichsetzen der beiden Gleichungen 4 und 5 lassen sich allgemein gültige Formeln für die Parameter n und B bestimmen. Die Anzahl der Aktien n ergibt sich somit aus: n

C1u  C1d uS  dS

(Gl. 6)

Die Höhe der Kreditaufnahme ergibt sich aus: B

u ˜ C1d  d ˜ C1u (u  d )(1  r )

(Gl. 7)

Der Wert des Call in t0 lässt sich nun in allgemeiner Form durch Einsetzen der Parameter n und B in die Gleichung 3 ermitteln: C0

C1u  C1d u ˜ C1d  d ˜ C1u  ud (u  d )(1  r )

bzw.: C 0

º 1 ª (1  r  d ) (u  (1  r )) C1u  C1d » (1  r ) «¬ u  d (u  d ) ¼

(Gl. 8)

(Gl. 9)

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

2.2.2.2

119

Prinzip der risikoneutralen Bewertung

Aus der Annahme der Arbitragefreiheit und der Möglichkeit, ein Duplikationsportfolio zu konstruieren,468 erschließt sich das Prinzip der risikoneutralen Bewertung. Unter Rückgriff auf dieses Konzept kann die Optionsbewertung unabhängig von individuellen Risikopräferenzen und subjektiv geschätzten Eintrittswahrscheinlichkeiten erfolgen. Diese auf den ersten Blick nicht eingängige Annahme lässt sich letztendlich darauf zurückführen, dass der Wert der Option nicht in absoluten Werten, sondern in Bezug auf das der Option zugrunde liegende Underlying ermittelt wird, und die Wahrscheinlichkeiten der zukünftigen Wertbewegungen bereits in der Bewertung und damit auch in dem Preis des Underlying erfasst werden.469 Dies sei im Folgenden näher erläutert. An Gleichung 9 zur Ermittlung des aktuellen Optionswertes fällt bereits auf, dass der Wert der Optionen nicht von der Wahrscheinlichkeit einer Auf- bzw. Abwärtsbewegung des Basisobjektes abhängig ist. Durch folgende Substitution lässt sich die Gleichung übersichtlicher gestalten. Mit p

(1  r  d ) (u  d )

erhält man C 0 HULL

(Gl. 10)

p ˜ C1u  (1  p ) ˜ C1d (1  r )

bezeichnet

es

als

völlig

(Gl. 11) natürlich,

die

neu

eingeführte

Größe

p

als

Eintrittswahrscheinlichkeiten einer Aufwärts- oder Abwärtsbewegung zu interpretieren.470 Tatsächlich weist sie Charakteristika einer Wahrscheinlichkeit auf. So liegt sie im Intervall von Null bis Eins und ergänzt sich mit ihrem Gegenwert (1-p) stets zu eins.471 Überdies treten

468

Siehe hierzu nochmals die Ausführungen in Kapitel C2.2.2.1.

469

Vgl. Hull (1998), S. 236; Meise (1998), S. 63.

470

„Although we do not need to make any assumptions about the probabilities of up and down movements … it is natural to interpret the variable p … as the probability of an up movement in the stock price. The variable 1-p is then the probability of a down movement, and the expression pfu + (1-p)fd is the expected payoff from the option.” (Hull (1998), S. 237 [Hervorhebungen im Original]).

471

Vgl. Gibson (1991), S. 52.

120

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

p und (1-p) an jenen Stellen der Optionspreisformel auf, an denen Eintrittswahrscheinlichkeiten erwartet würden.472 Wird die Gleichung 11 nach dem risikofreien Zins (r) aufgelöst, zeigt sich darüber hinaus unmittelbar, dass die Rendite der Option in einer risikoneutralen Welt genau dem risikofreien Zins entspricht:473 r

p ˜ C1u  (1  p) ˜ C1d 1 C0

(Gl. 12)

Es sei also betont, dass p und (1-p) nicht die Ergebnisse subjektiver Einschätzungen der Investoren, sondern risikoneutraler Gleichgewichtsüberlegungen sind. Aus diesem Grunde werden p auch als pseudo-risikoneutrale Wahrscheinlichkeiten und (1-p) als pseudorisikoneutrale Gegenwahrscheinlichkeiten bezeichnet.474 Sie stellen diejenigen Werte dar, die die subjektiven Eintrittswahrscheinlichkeiten im Gleichgewicht annähmen, wenn sich alle Anleger risikoneutral verhielten.475 Ferner zeigt sich, dass in einer risikoneutralen Welt alle Finanztitel die Rendite des risikolosen Zinssatzes erwirtschaften; die Anleger fordern keine Risikokompensation.476 Der Optionswert lässt sich folglich auch ohne Kenntnis der Eintrittswahrscheinlichkeiten für eine positive bzw. negative Marktentwicklung bestimmen. Aus dem aktuellen Kurs und der angenommenen Wertentwicklung des Underlying sowie dem risikolosen Zinssatz lässt sich ein zukünftiger, erwarteter Wert der Option ermitteln, der wiederum mit dem risikolosen Zinssatz auf den aktuellen Gegenwartswert der Option abdiskontiert wird.477 Die Bewertung erfolgt somit losgelöst von den Präferenzen der Investoren, welche lediglich indirekt in aggregierter Form aller Einschätzungen der Investoren über den Kapitalmarkt mittels der Parameter u, d und r in die Bewertung einfließen.478 Die Annahme der Risikoneutralität

472

Vgl. Dimpfel (2004), S. 56.

473

Vgl. Hull (1998), S. 237.

474

Vgl. Gibson (1991), S. 57.

475

Vgl. Hull (1999), S. 198; Trigeorgis (2000), S. 76.

476

Vgl. Hull (1998), S. 237.

477

Vgl. Cox/Rubinstein (1985), S. 169ff.

478

Vgl. Cox/Rubinstein (1985), S. 168ff. Hull konstatiert diesbezüglich:: „Any security dependent on other traded securities can be valued on the assumption that investors are risk neutral.” (Hull (1998), S. 260).

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

121

bedeutet aber nicht, dass die Investoren tatsächlich risikoneutral sind, oder dass hier eine realitätsferne Vereinfachung getroffen wird. Wie gezeigt wurde, bedeutet dies lediglich, dass die Risikopräferenzen der Investoren keinen Einfluss auf den Wert der Option haben und somit auch keine Berücksichtigung finden müssen.479 Der enorme Vorteil und die Stärke des Prinzips der risikoneutralen Bewertung liegen in der Erkenntnis, dass erstens die erwarteten Renditen aller Finanztitel dem risikolosen Zins entsprechen und zweitens der risikolose Zins der angemessene, „richtige“ Zinssatz ist, den es als Diskontierungsfaktor einzusetzen gilt.480 Somit kann die Problematik der Bestimmung eines Kapitalkostensatzes, wie sie im Zusammenhang mit traditionellen Verfahren der Investitionsbewertung entsteht, umgangen werden.481

2.2.3

Bewertungsmodelle

Mit der Vorstellung der auf den Optionspreis einwirkenden Determinanten und der Herleitung der grundlegenden Prinzipien, die der Klasse der vollständigen Gleichgewichtsmodelle zugrunde liegen, sind die Grundsteine für eine Betrachtung der Bewertungsmodelle, die der exakten Ermittlung des Optionswertes dienen, gelegt worden.482

479

Vgl. Hull (1998), S. 260.

480

Vgl. Hull (1998), S. 260.

481

Vgl. hierzu a.V. Hommel/Lehmann (2001b), S. 115-123.

482

Prinzipiell lassen sich zwei Klassen von Bewertungsmodellen unterscheiden, die sog. ökonometrischen Modelle und die Gleichgewichtsmodelle. Ökonometrische Modelle zielen darauf ab, durch statistische Auswertung historischer Daten preisbildende Zusammenhänge aufzudecken. Somit sind sie eher auf die Erfassung empirischer Regelmäßigkeiten ausgerichtet als auf die Ableitung eines theoretisch „richtigen“ Optionspreises. Aus diesem Grunde sollen diese in der vorliegenden Arbeit nicht weiter berücksichtigt werden. Vgl. Perridon/Steiner (1997), S. 297f.; Eilenberger (1996), S. 312. Ein detaillierter Überblick über die Entwicklungsstufen der Optionspreistheorie ist bei Hauck (1991), S. 161-163 zu finden. Hauck bezeichnet ökonometrische Modelle auch als „a-posteriori-Modelle“ (Hauck (1991), S. 162) während Terstege von „Beschreibungs-“ anstelle von „Bewertungsmodellen“ (Terstege (1995), S. 32f.) spricht.

122

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

Gleichgewichtsmodelle basieren auf Hypothesen über den Aktienkursverlauf und der Annahme, dass Arbitragemöglichkeiten im Kapitalmarktgleichgewicht nicht existieren.483 Die vollständigen Gleichgewichtsmodelle484 zur Optionsbewertung lassen sich in die beiden Klassen der analytischen und der numerischen Verfahren unterteilen.485 Beide Verfahrensklassen nehmen in der Praxis der Finanz- und Realoptionsbewertung – wenn auch mit unterschiedlichen Akzentuierungen – eine zentrale Stellung ein und sollen aus diesem Grunde in den nachfolgenden Kapiteln jeweils mit Bezug auf ihre beiden wichtigsten Vertreter – dem Black/Scholes-Modell im Falle der analytischen Verfahren und dem Binomialmodell im Falle der numerischen Verfahren486 – vorgestellt werden. Abbildung 11 gibt einen Überblick zur Klassifizierung von Optionspreismodellen.487

483

Vgl. Hauck (1991), S. 164. Diese Bewertungsmodelle beruhen allesamt auf folgenden vereinfachten Annahmen bzgl. des Marktes und des Verhaltens der Marktteilnehmer: (1) Es liegt ein vollkommener Kapitalmarkt vor. (2) Der risikolose Zinssatz ist im Zeitablauf konstant oder zumindest in seiner Entwicklung bekannt. (3) Sollten Dividenden anfallen, so ist ihre Höhe und zeitliche Struktur bekannt. (4) Die Wertentwicklung des Underlying folgt einem bekannten stochastischen Prozess. (5) Die Kapitalmarktteilnehmer handeln rational und ziehen ein größeres Vermögen einem kleineren vor. Siehe hierzu a.V. Hauck (1991), S. 168ff.; Meise (1998), S. 60.

484

Während partielle Gleichgewichtsmodelle auf Annahmen über Zeit- und Risikopräferenzen der Marktteilnehmer beruhen und insofern keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben können, ermöglichen vollständige Gleichgewichtsmodelle hingegen eine präferenzunabhängige Ermittlung des Optionswertes. Da die Ermittlung des Diskontierungssatzes in Falle der partiellen Gleichgewichtsmodelle nicht aus einem vollkommenen Marktgleichgewicht erfolgt, kann sie als „willkürlich“ bezeichnet werden. Vgl. Perridon/Steiner (1997), S. 321. Zu den wichtigsten Vertretern der partiellen Gleichgewichtsmodelle zählen Sprenkle (1961) und Samuelson (1970). Vgl. Hauck (1991), S. 164; Meise (1998), S. 59. Die vollständigen Gleichgewichtsmodelle haben sich sowohl in der Wissenschaft als auch in der Praxis durchgesetzt (vgl. Meise (1998), S. 59) und sind aus diesem Grunde auch Gegenstand der weiteren Ausführungen der vorliegenden Arbeit.

485

Vgl. a.V. Hommel/Lehmann (2001b), S. 123.

486

Siehe hierzu a.V. Hommel/Lehmann (2001b), S. 124. Ernst/Häcker (2002), S. 38.

487

Die grau markierten Flächen geben dabei die Modellarten an, die im weiteren Verlauf der Arbeit betrachtet werden.

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

123

Optionspreismodelle

Ökonometrische Bewertungsmodelle

Gleichgewichtsmodelle

Partielle Gleichgewichtsmodelle

Vollständige Gleichgewichtsmodelle

Analytische Verfahren

Geschlossene Verfahren (Black/Scholes-Modell)

Methode der finiten Differenzen

Näherungsverfahren

Numerische Integration

Numerische Verfahren

Approximation der Differentialgleichungen

Simulationsverfahren (Monte-Carlo-Simulation)

Approximation des stochastischen Prozesses

Lattice-Ansätze (Binomialmodell)

Abbildung 11: Klassifizierung von Optionspreismodellen (in Anlehnung an: Hommel/Lehmann (2001b), S. 124)

2.2.3.1

Analytische Verfahren

Analytische Verfahren unterstellen einen direkten funktionalen Zusammenhang zwischen dem Optionswert und den Werten der Inputparameter und zeichnen sich dadurch aus, dass für bestimmte Probleme konkrete Bewertungsformeln abgeleitet werden.488 Da Aktienkurse, wie auch der Wert anderer Basisinstrumente, wie bspw. Rohstoffpreise oder Wechselkurse, in der Realität am Ende eines diskreten Zeitintervalls nicht nur zwei Werte annehmen können, werden im Rahmen der analytischen Verfahren die Wertveränderungen des Underlying als kontinuierlicher stochastischer Prozess modelliert.489 Aus der partiellen Differenzierung der Wertveränderungsgleichung, die eine funktionale Beziehung des Optionspreises zum Wert des Underlying sowie der Restlaufzeit abbildet, resultiert ein komplexes Gefüge von

488

Vgl. a.V. Hommel/Pritsch (1999b), S. 130.

489

Vgl. a.V. Damodaran (2001), S. 365; Hommel/Lehmann (2001b), S. 124. Als „stochastischer Prozess“ wird eine Variable bezeichnet, deren Wertausprägung sich im Zeitablauf zufällig verändert. Siehe hierzu bspw. Karlin/Taylor (1981). Ein Überblick über alternative stochastische Prozesse ist u.a. bei Dixit/Pindyck (1994), S. 59-92 zu finden.

124

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

Differentialgleichungen, dessen Auflösung unter Berücksichtigung der entsprechenden Nebenbedingungen zur Ableitung einer Bewertungsformel führt.490 Diese gibt den Wert eines Call als gewichtete Differenz zwischen dem erwarteten zukünftigen Wert des Underlying und dem Barwert des Basispreises, also den erwarteten Kosten durch die Ausübung des Optionsrechts zum Fälligkeitsdatum, an.491 Die wesentlichen Elemente und prinzipiellen Verfahrensweisen der analytischen Verfahren lassen sich an ihrem bekanntesten Vertreter, dem Black/Scholes-Modell beispielhaft illustrieren.492 Unter der Abbildung der Wertentwicklung des Underlying als geometrische Brown’sche Bewegung493 haben BLACK/SCHOLES die folgende Gleichung für einen europäischen Call ohne Dividendenzahlungen hergeleitet:494 SN (d1 )  Xe  rW N (d 2 )

C ( S , t , r ,V , T , X )

(Gl. 13)

mit d1

1 §S· ln¨ ¸  (r  V 2 )W 2 ©X¹ ;

(Gl. 14)

und d 2

d1  V W

(Gl. 15)

sowie W

T t .

(Gl. 16)

490

V W

Vgl. zur prinzipiellen Vorgehensweise Meise (1998), S. 70f.; Dimpfel (2004), S. 64f. Einen Überblick über verschiedene Randbedingungen gibt Sick (1995), S. 656.

491

Vgl. a.V. Damodaran (2001), S. 367.

492

Vgl. zu den nachfolgenden Ausführungen im Wesentlichen Black/Scholes (1973), S. 637-654; Hauck

493

Dieser stochastische Prozess ist durch konstanten Erwartungswert und Varianz der prozentuellen

(1991), S. 166-191; Kilka (1995), S. 53-55; Meise (1998), S. 70-73; Damodaran (2001), S. 365-371.

Veränderung des Basisobjektes gekennzeichnet. Vgl. Meise (1998), S. 70. Einen Überblick über Optionspreismodelle, die alternative Wertentwicklungsverläufe zugrunde legen, ist bei Cox/Ross (1976b), S. 145ff. zu finden. 494

Vgl. Black/Scholes (1973), S. 637ff. Die Black/Scholes-Formel lässt sich auf verschiedenartige Weise herleiten. Siehe für einen Überblick Meise (1998), S. 70 sowie die dort angegebene Literatur.

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

125

Analog kann der Wert eines europäischen Put mittels der „Call-Put-Parität“495 ermittelt werden und ergibt sich folgendermaßen: P

 S ˜ N (  d 1 )  X ˜ e  rW ˜ N (  d 2 )

(Gl. 17)

Zur Wertermittlung müssen dann lediglich die einzelnen Werte in die Formel eingesetzt werden, wobei N(…) die kumulative Normalverteilung, Xe-rIJ den Barwert des Ausübungspreises, (ı) die Standardabweichung der Wertentwicklung des Underlying bezogen auf ein Jahr, (r) den risikolosen Zinssatz und (IJ) die Restlaufzeit der Option darstellt.496 Die Formel lässt sich – dargestellt am Fall einer Call-Option – folgendermaßen interpretieren: Zum Laufzeitende (T) beträgt der Wert der Option (ST-X). Zur Berücksichtigung der Möglichkeit, dass sich die Ausübung des Call als unvorteilhaft erweist, werden (S) und (X) jeweils mit den Wahrscheinlichkeiten N(d1) und N(d2) gewichtet. Die partielle Differentiation nach den einzelnen Variablen ermöglicht die Ermittlung der Sensitivitätsmaße, die die Reaktion des Optionswertes auf infinitesimale Änderungen der abgeleiteten Werttreiber beschreiben.497 Das Prinzip der Portfolioduplikation ist dergestalt in der Formel abgebildet, als dass SN(d1) die Anzahl der Aktien des Duplikationsportfolios angibt und Xe-rtN(d2) die Höhe der Anleihe repräsentiert.498 Die dem Black/Scholes-Modell zugrunde liegende Idee wird in Abbildung 12 graphisch verdeutlicht.

495

Die „Put-Call-Parität“ stellt eine Gleichungsbeziehung zwischen dem Wert einer Call-Option des europäischen Typs mit einem bestimmten Ausübungspreis (X) und -zeitpunkt (T) und dem Wert einer PutOption des europäischen Typs mit demselben Ausübungspreis (X) und -zeitpunkt (T) dar: C+Xe-rT = P+ S. Zur Herleitung siehe bspw. Hull (1998), S. 203f.

496

Vgl. Damodaran (2001), S. 366f.

497

Vgl. Kruschwitz/Schöbel (1984a), S. 120f.; McMillan (1986), S. 407; Zimmermann (1988), S. 147; Perridon/Steiner (1997), S. 328-330.

498

Vgl. Brealy/Myers (2000), S. 606f.; Damodaran (2001), S. 367. Wie sich zeigt, enthält die Black/ScholesFormel nicht mehr den stochastischen Faktor (dS) sowie die erwartete Aktienrendite (ȝ). Dies bedeutet, dass letztendlich die subjektiven Risikopräferenzen der Investoren nicht mit in die Formel eingehen und eine präferenzfreie Bewertung möglich ist. Vgl. Hull (1999), S. 387. Siehe hierzu auch nochmals Kapitel C2.2.2.2. Siehe zur Interpretation des Black/Scholes-Modell ausführlich Hauck (1991), S. 187-191.

126

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

N(d1)

d1

Abbildung 12: Kumulative Normalverteilung zur Abbildung des Black/Scholes-Modells (in Anlehnung an: Damodaran (2002), S. 97)

Die Black/Scholes-Formel legt umso vernehmlicher die in Kapitel C2.2.1 diskutierten Wirkungsrichtungen der Werttreiber einer Call-Option offen.499 Es fällt jedoch auf, dass in der in Gleichung 13 abgebildeten ursprünglichen Black/Scholes-Formel Dividendenzahlungen keine Berücksichtigung finden, obwohl diese ebenfalls als Werttreiber identifiziert wurden.500 Diese lassen sich mittels einer geringfügigen Modifikation der Black/Scholes-Formel erfassen. Zur Berücksichtigung konstanter Dividendenrenditen į werden die Dividendenzahlungen über die Verringerung des Kurses des Basisinstrumentes um den Barwert der bis zum Verfallstag der Option gezahlten Dividenden erfasst. Somit ergeben sich die folgenden Formeln zur Berechnung des Wertes eines Call (C) bzw. eines Put (P):501 C

Se Gr ˜ N (d1 )  Xe  rW ˜ N (d 2 ) *

bzw. P

mit d

* 1

und d 2

*

*

(Gl. 18)

 Se Gr ˜ N (d1 )  Xe  rW ˜ N (d 2 )

(Gl. 19)

1 · §S· § ln¨ ¸  ¨ r  G  V 2 ¸W 2 ¹ ©X¹ ©

(Gl. 20)

*

*

V W d1  V W . *

499

Siehe hierzu Hauck (1991), S. 187-191; Kilka (1995), S. 51f.; Hull (1998), S. 258.

500

Vgl. hierzu nochmals Kapitel C2.2.1.5.

501

Vgl. zur grundlegenden Vorgehensweise Merton (1973), S. 151ff.

(Gl. 21)

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

127

Weiterer Erweiterungen bzw. Modifikationen bedarf es auch an anderen Stellen des Modells, wie bspw. zur Berücksichtigung der Möglichkeit der vorzeitigen Ausübung, wie sie bei Optionen des amerikanischen Typs gegeben ist. Dieses Problem kann nur teilweise gelöst werden; für die vorzeitige Ausübung eines amerikanischen Call schlägt BLACK eine Approximation vor.502 Eine Überwindung des Problems für amerikanische Puts lässt sich hingegen nicht finden; folglich können diese nicht unter Verwendung des Black/ScholesModells bewertet werden.503 Daneben löste die Feststellung systematischer Abweichungen in der Praxis von modelltheoretisch prognostizierten Werten eine Vielzahl von Weiterentwicklungen aus, bei denen die restriktiven Prämissen des Modells zum Teil aufgehoben wurden, nicht zuletzt um den Preis teilweise hochkomplexer Bewertungsformeln.504 An dieser Stelle bleibt festzuhalten, dass analytische Verfahren einerseits mittels ihrer vorgegebenen Bewertungsformel zur Optionsbewertung lediglich der Identifikation und des Einsetzens der Bewertungsparameter bedürfen und somit zu einer relativ einfachen Handhabbarkeit führen. Andererseits kommt es aufgrund der restriktiven Bedingungen zu Einschränkungen hinsichtlich der Einsetzbarkeit bzw. zu teilweise hochkomplexen Modellerweiterungen. Welche Implikationen daraus für deren Verwendbarkeit im Rahmen der Realoptionsbewertung resultieren, werden in Kapitel F2.3.1 diskutiert.

502

So kann diese nur unmittelbar vor der Dividendenzahlung optimal sein, so dass der Optionswert durch das Maximum europäischer Optionen mit den Dividendenterminen gleichkommenden Laufzeiten approximiert wird. Vgl. Black (1975), S. 61ff.

503

Die Einschränkung des optimalen Ausübungszeitpunkts unmittelbar vor einer Dividendenzahlung lässt sich hingegen weder auf amerikanische Puts übertragen, noch lässt sich eine andere vereinfachende Annahme treffen. Vgl. Meise (1998), S. 72.

504

Vgl. zu den systematischen Abweichungen Black (1975), S. 36-41 sowie zu den Weiterentwicklungen Smith (1976), S. 25-31. Einen Überblick über die prinzipiellen Weiterentwicklungen bieten Kilka (1995), S. 56-71

und

Damodaran

Weiterentwicklungen

mit

(2001), einem

S.

367-371.

derart

Jedoch

immensen

sind

die

größtenteils

Berechnungsaufwand

hochkomplexen

verbunden,

dass

eine

weiterführende Betrachtung der mit ihnen einhergehenden Verwendungsmöglichkeiten für den Zweck der vorliegenden Arbeit nicht geeignet erscheinen; so stellt die Nachvollziehbarkeit und Einsetzbarkeit in der Praxis eines der Hauptkriterien für die Praktikabilität des Realoptionsansatzes dar. Siehe hierzu Kapitel F2.3.1.

128

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

2.2.3.2

Numerische Verfahren

Das wesentliche Abgrenzungsmerkmal der numerischen Verfahren zur Optionsbewertung im Vergleich zu den vorgestellten analytischen Verfahren liegt in der Modellierung der Wertveränderung des Basisinstrumentes nicht als kontinuierlicher sondern als diskreter stochastischer Prozess.505 Inwiefern im Zusammenhang der numerischen Verfahren von „offenen Ansätzen“506 gesprochen wird, die eine flexible Anpassung der Lösungsverfahren an die Bewertungssituation ermöglichen, wird anhand des bekanntesten Vertreters der Modelle deutlich, die den stochastischen Prozess approximieren: dem Binomialmodell nach COX/ROSS/RUBINSTEIN.507 Die Wertermittlung der Option mittels des Binomialmodells erfolgt in drei Schritten: Zunächst wird dem Prinzip der Portfolioduplikation folgend die Laufzeit einer Option (t) in beliebig viele, gleich lange Subintervalle (n) der Länge h=t/n zerlegt, an deren Endpunkten sich der Wert des Underlying mit der Zustandswahrscheinlichkeit (p) um den Faktor (u) aufwärts auf den Wert (uS) oder mit der Zustandswahrscheinlichkeit (1-p) um den Faktor (d)

505

Diesbezüglich lässt sich eine Klassifikation der Vielfalt der numerischen Ansätze in Modelle vornehmen, die die partiellen Differentialgleichungen – mittels finiter Differenzen oder numerischer Integration – approximieren sowie solche, die den stochastischen Prozess an sich approximieren. Letztere lassen sich wiederum in Latticeansätze oder Simulationsverfahren differenzieren. Vgl. Kilka (1995), S. 71ff.; Hommel/Lehmann (2001b), S. 125f. Siehe hierzu auch nochmals Abbildung 11. Die Methode der finiten Differenzen basiert auf einer Zerlegung der entsprechenden zeitkontinuierlichen Differentialgleichung in mehrere diskrete Differentialgleichungen, die dann iterativ mittels eines Roll-Back-Verfahrens gelöst werden. Vgl. Brennan/Schwartz (1977), S. 449-462; Brennan/Schwartz (1978), S. 461-474; Kilka (1995), S. 75; Hull (1999), S. 234ff. Im Rahmen der numerischen Integration wird der Optionswert als Integral über den Wert des Basisinstrumentes am Fälligkeitstermin mit der entsprechenden Dichtefunktion dargestellt. Der Optionswert wird nun entweder auf Basis einer analytischen Lösung ermittelt oder – im Falle komplexerer Probleme – durch Zerlegung des Wertes des Underlying in diskrete Zustände. Vgl. Parkinson (1977), S. 21-36; Kilka (1995), S. 75f. Da die Eignung beider Methoden im Hinblick auf den Einsatz in der Realoptionsbewertung aufgrund Modellkomplexität und der mangelnden Transparenz als eher gering eingeschätzt wird, soll sich ihre Betrachtung auf den hier gewählten Umfang beschränken. Siehe zur Einschätzung der Eignung der beiden Methoden für die Realoptionsbewertung Pritsch (2000), S. 221-241 und Hommel/Lehmann (2001b), S. 125. Einen Überblick über die Entwicklungen der numerischen Methoden bieten bspw. Courtadon (1990).

506

In Abgrenzung zu analytischen Verfahren, die als „geschlossene Ansätze“ bezeichnet werden. Vgl. a.V.

507

Vgl. zu den nachfolgenden Ausführungen im Wesentlichen Cox, et al. (1979), S. 146-166; Hauck (1991), S.

Hommel/Lehmann (2001b), S. 124ff.

191-202; Meise (1998), S. 64-70.

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

129

abwärts auf den Wert (dS) bewegt. Der für das Binomialmodell typische Wertentwicklungsoder Binomialbaum – wie in Abbildung 13 dargestellt – entsteht.508

Mögliche Barwerte der Rückflüsse

1. Wertentwicklungsbaum 2. Optionspreisbaum

uuS uS S

udS dS ddS

Laufzeit

Wahrscheinlichkeitsverteilung der Barwerte

Abbildung 13: Binomialbaum (in Anlehnung an: Ernst/Häcker (2002), S. 39)

In einem zweiten Schritt wird – ausgehend von den Endpunkten des Baumes – den potenziellen

Wertausprägungen

des

Underlying

der

Ausübungspreis

der

Option

gegenübergestellt und die Vorteilhaftigkeit der Optionsausübungen in ihren Zahlungsströmen abgebildet. Diese werden dann abschließend in einem rekursiven Verfahren unter Anwendung des Prinzips der risikoneutralen Bewertung abdiskontiert und so der aktuelle Wert der Option ermittelt. Der Barwert des Call lässt sich folglich aus der Summe der mit den jeweiligen Eintrittswahrscheinlichkeiten509 multiplizierten möglichen Optionswerte über alle Perioden, die mit dem risikoneutralen Zins (r) über n Perioden abdiskontiert werden, ermitteln und in

508

Dabei zeigt sich, dass mit steigernder Anzahl von zunehmend kürzeren Intervallschritten die Baumstruktur zu einer beliebig großen Krone anwächst und sich die binomiale, diskrete Wahrscheinlichkeitsverteilung der Projektwerte der dem Black/Scholes-Modell zugrundeliegenden kontinuierlichen Verteilung annähert. Vgl. Cox/Rubinstein (1985), S. 196-208. Chance konstatiert diesbezüglich: „Indeed the Black-Scholes and the binomial models are not merely sisters; they are twin sisters, simply wearing different clothes.” (Chance (1999), S. 36f.).

509

Unter Rückgriff auf Gleichung 22 zeigt sich wiederum, dass der Optionswert nur von den Größen u, d, r, S und X abhängt, nicht aber von den Risikopräferenzen der Marktteilnehmer.

130

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

folgender allgemeinen Formel des Binomialmodells für beliebig viele Zeitintervalle zum Ausdruck bringen:510 ª ª º 1 n! º j C0 p ˜ (1  p ) n j max u j ˜ d n j ˜ S  X ;0 » ˜ «¦ « (1  r ) n ¬« ¬ j!(n  j )!»¼ ¼»

^

`

(Gl. 22)

Fallspezifische Anpassungen lassen sich direkt im Binomialbaum abbilden. So werden bspw. Dividendenzahlungen über die daraus resultierenden Wertminderungen des Underlying berücksichtigt. Die Werte des Underlying werden um die Höhe der Dividendenzahlung, die sich als Prozentwert des Underlying (į) ausdrücken lassen, modifiziert. Unter Berücksichtigung aller neu ermittelten Endwerte des Underlying wird, wie oben beschrieben, der Wert der Option rekursiv ermittelt.511 Das Binomialmodell wird wie die strukturähnlichen Trinomialmodelle, bei denen am Ende jedes Zeitintervalls zusätzlich zur Auf- und Abwärtsbewegung noch die Möglichkeit einer konstanten Wertentwicklung angenommen wird, zu den Lattice-Ansätzen gezählt, die sich generell durch die beschriebene, zeitdiskrete Approximation der Wertentwicklung des Underlying auszeichnen.512 Daneben besteht aber auch die Möglichkeit, die stochastische Wertentwicklung des Underlying durch Einsatz so genannter Simulationsverfahren, wie etwa die Monte-Carlo-Simulation, zu approximieren.513 Dabei wird nach der Modellierung des Anwendungsfalls auf einem zufallsgenerierten Weg die Wertentwicklung des Underlying simuliert, um nach mehrmaligen Simulationsdurchläufen auf die Dichtefunktion der Wahrscheinlichkeitsverteilung der Optionswerte am Fälligkeitstermin zu schließen. Der Optionswert wird wiederum durch Diskontierung des Erwartungswertes der Verteilung mit dem risikolosen Zins ermittelt.514

510

Dabei bezeichnet ujdn-jS den Wert des Basisobjektes im i-ten Zeitintervall mit j = Anzahl der positiven

n! pj (1 p)nj stellt eine binomiale Wahrscheinlichkeitsverteilung dafür dar, j ! ( n  j )! dass der Wert des Basisobjektes j Aufwärtssprünge (positive Wertentwicklungen) in n Schritten macht. Die

Wertentwicklungen;

Formel zu Bewertung europäischer Puts lässt sich analog ermitteln. 511

Vgl. Hull (1999), S. 353.

512

Vgl. Parkinson (1977), S. 21-36; Boyle (1988), S. 1-12; Kamrad (1995); S. 140-149; Hommel/Lehmann (2001b), S. 125f.

513

Vgl. a.V. Kilka (1995), S. 74; Hommel/Lehmann (2001b), S. 124f.

514

Vgl. insbesondere Boyle (1977), S. 323-338.

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

131

In der beschriebenen Flexibilität und der damit verbundenen Transparenz liegen die wesentlichen Vorteile der numerischen Verfahren im Allgemeinen begründet. Ihnen steht der Nachteil einer geringeren Genauigkeit im Vergleich zu den analytischen Methoden gegenüber, da sie den stochastischen Prozess lediglich approximieren. Die daraus resultierenden Implikationen für die Realoptionsbewertung werden in Kapitel F2.3.1 eingehender betrachtet.

3

Übertragung des Optionskalküls auf die reale Ebene

Die wesentlichen Grundlagen des Optionsgedankens sind gelegt, so dass sich dieser nun auf den realwirtschaftlichen Bereich übertragen lässt. Erste Versuche dieser Art sind bereits bei ARISTOTELES zu finden. So berichtet dieser, wie der Philosoph und Mathematiker THALES VON

MILET um 600 v. Chr. von den Eigentümern örtlicher Olivenpressen in Erwartung einer

reichhaltigen Olivenernte bereits im Frühjahr das Recht erwarb, die Maschinen in der Erntezeit zu einem vereinbarten festen Preis zu mieten. Als in der Erntezeit die Kapazitäten aufgrund einer hohen Ernte knapp wurden und die Nachfrage nach Olivenpressen stieg, konnte

THALES

VON

MILET die

Pressen

zu

dem

nun

gestiegenen

Marktpreis

515

weitervermieten.

Der Begriffsinhalt der Realoption wird an diesem Beispiel deutlich: Die Bezeichnung der Realoption – bzw. das Präfix „real“ – resultiert aus der Natur des der Option zugrunde liegenden Underlying, bei welchem es sich in der Regel um einen realen Vermögensgegenstand handelt,516 wie in diesem Fall um Olivenpressen. Dem Optionscharakter wird duch die Möglichkeit, die Pressen in der Zukunft zu einem vereinbarten Preis zu mieten, Ausdruck verliehen. Läge der Marktpreis der Pressen unterhalb des festgesetzten Preises, dann wären die Option sozusagen „out of the money“ und es würde von dieser Möglichkeit kein Gebrauch gemacht. Dabei bestimmt die Güte der Olivenernte über die damit verbundene Nachfrage nach Olivenpressen den Wert des der Option zugrunde liegenden Underlying. Die Ungewissheit über die Güte bestimmt das Ausmaß der Unsicherheit.517

515

Vgl. u.a. Copeland/Keenan (1998), S. 40f.

516

Vgl. Myers (1977), S. 163.

517

Vgl. Copeland/Keenan (1998), S. 40f.

132

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

So wie Finanzoptionen enthalten Realoptionen ein Wahlrecht – im Sinne von Realoptionen lässt sich noch deutlicher von einer Handlungsflexibilität sprechen – zu dessen Ausübung es unter der Annahme rational handelnder Akteure nur dann kommt, wenn dem Akteur dadurch ein Vorteil entsteht. Die Interpretation von Handlungsspielräumen als Optionen bildet den Kern der Realoptionstheorie.518 Jedoch stellt nicht jede Handlungsmöglichkeit eine Realoption dar. So beinhaltet die reine Wahlmöglichkeit zwischen zwei Investitionsprojekten noch keinen Optionscharakter. Dieser entsteht erst, wenn mit dem Ausüben des Wahlrechtes ein Vorteil mit dem Nichtausüben desselben aber kein Nachteil verbunden ist, und der Handlungsmöglichkeit somit eine asymmetrische Risiko-Ertragsstruktur inhärent ist.519 Zur Abgrenzung von Realoptionen von nicht werthaltigen Handlungsflexibilitäten wird nachfolgend zunächst in Kapitel C3.1 die Übertragung des Optionskalküls direkt vollzogen, indem die Analogie und die Grenzen der Analogie von Real- und Finanzoptionen aufgezeigt werden. Zur weiteren Konkretisierung der möglichen werthaltigen Handlungsspielräume werden in Kapitel C3.2 die unterschiedlichen Arten von Realoptionen klassifiziert. Diese Betrachtung leitet über auf Kapitel C3.3, das die Vorstellung des Instrumentalcharakters von Realoptionen zum Inhalt hat. Es dient somit explizit der Betrachtung der Wissensgenerierung, die prinzipiell sowohl in instrumenteller als auch in konzeptioneller Hinsicht zur Rationalitätssicherung verwendet werden kann. Aus anderer Richtung nähert sich Kapitel C3.4 dem gleichen Ziel. Die Betrachtung der Herausforderungen in der Anwendung wird vornehmlich zur Analyse der Begrenzung dieses Potenzials zur Rationalitätssicherung verwendet.

518

Vgl. a.V. Trigeorgis (2000), S. 1ff.; Baecker/Hommel (2004), S. 2.

519

Vgl. Ernst/Häcker (2002), S. 6.

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

3.1

133

Analogie und Grenzen der Analogie zwischen Finanz- und Realoptionen

Allgemein

werden

unter

Realoptionen

„zukünftige

Handlungsspielräume

und

Investitionsmöglichkeiten eines Unternehmens in Verbindung mit der Fähigkeit des Managements, operative Entscheidungen an veränderte Umweltbedingungen anzupassen“520 verstanden. Demgemäß umfassen Realoptionen sämtliche im Zusammenhang mit Investitionen stehenden Handlungs- bzw. Wahlmöglichkeiten des Entscheidungsträgers, die eine Wertkomponente bzgl. der Reaktion auf das Auflösen von Unsicherheiten beinhalten. Sie können sich sowohl auf die mit der Investition verbundene Optionskomponente als auch auf die Investitionsmöglichkeit an sich beziehen.521 Die grundsätzliche Analogie von Finanz- und Realoptionen hinsichtlich der RisikoErtragsstruktur lässt sich auf eine Entsprechung in der Wertbestimmung übertragen. Analog zu Finanzoptionen weisen Realoptionen stets einen positiven Wert auf, der durch die sechs – zu den Werttreibern der Finanzoptionen äquivalenten – Determinanten bestimmt wird.522 So entspricht der Wert des Underlying dem Barwert der künftigen, aus dem Investitionsprojekt resultierenden Zahlungsströme, wie bspw. die Einzahlungsüberschüsse einer Investition.523 Dabei bestimmt die Unsicherheit in Bezug auf die erwarteten Zahlungsströme die Volatilität des Basisinstrumentes. Sie wird aus der annualisierten Standardabweichung der zukünftigen Cash-Flows abgeleitet.524 Der Barwert aller anfallenden Investitionsausgaben lässt sich als Ausübungspreis interpretieren. Sie stellt die für die Optionsausübung und den damit verbundenem Erwerb (Call) oder Verkauf (Put) des Basisinstrumentes notwendigen Ausgaben dar.525

520

Hommel/Pritsch (1999b), S. 123 bzw. Pritsch (2000), S. 13f.

521

Vgl. Kilka (1995), S. 35; Hommel/Pritsch (1999b), S. 123f.; Brealy/Myers (2000), S. 514.

522

Vgl. Kester (1984), S. 156f.; Liebler (1996), S. 268; Leslie/Michaels (1997), S. 6ff.; Copeland/Antikarov (2001), S. 84ff.

523

Vgl. Meise (1998), S. 52; Ernst/Häcker (2002), S. 49.

524

Vgl. Leslie/Michaels (1997), S. 11; Meise (1998), S. 52.

525

Vgl. Ernst/Häcker (2002), S. 50.

134

Die

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

Laufzeit

einer

Realoption

entspricht

der

Zeitspanne,

während

der

die

Investitionsmöglichkeit besteht. Sie wird von mehreren Faktoren bestimmt, wie bspw. der Wettbewerbsintensität,

der

technologischen

Entwicklung

oder

durch

spezifische

Vertragsmerkmale.526 Besteht die Möglichkeit zur Optionsausübung während der gesamten Laufzeit, so resultiert der Wertbeitrag der zeitlichen Verlagerung der Ausübung aus der partiellen Auflösung der Unsicherheit.527 Gleichwohl entstehen durch den Entscheidungsaufschub oftmals Wertverluste, die dem Wertgewinn derselben entgegenstehen. Die hierzu zählenden Wertverluste entgangener Erträge – wie sie bspw. aus dem Markteintritt von Wettbewerbern oder Kosten für das Offenhalten der Option resultieren – können als Dividendenzahlungen interpretiert werden und sollten als solche in das Bewertungsmodell einfließen.528 Der risikofreie Zinssatz wird schließlich bei Realoptionen analog zu Finanzoptionen unter Rückgriff auf ein risikoloses Wertpapier identischer Laufzeit bestimmt.529

526

Vgl. Hommel/Pritsch (1999b), S. 124; Ernst/Häcker (2002), S. 50.

527

Siehe hierzu ausführlicher Kapitel F2.5.3. In diesem Fall handelt es sich um eine Option amerikanischen Typs. Siehe hierzu nochmals Kapitel C2.2.1.4.

528

Vgl. Ernst/Häcker (2002), S. 50f.; Wieland (2002), S. 122f.

529

Vgl. Hommel/Pritsch (1999a), S. 16; Ernst/Häcker (2002), S. 51.

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

135

Ausübungspreis

Laufzeit

Dividenden

Finanzoption

Risikofreier Zinssatz

Wert des Underlying

Volatilität des Underlying

Wertverlust des Underlying

Barwert der Investitionskosten

Laufzeit

Realoption

Barwert der erwarteten Zahlungsströme Unsicherheit des Kapitalwertes

Risikofreier Zinssatz

Abbildung 14: Analogie der Werttreiber von Finanz- und Realoptionen (in Anlehnung an: Meise (1998), S. 52; Hommel/Pritsch (1999b), S. 124)

Der in Abbildung 14 zusammengefasst dargestellten Analogie zwischen Finanz- und Realoptionen sind jedoch oftmals Grenzen gesetzt.530 Diese lassen sich in erster Linie sowohl auf eine mangelnde vertragliche Fixierung von Realoptionsrechten als auch auf den begrenzten Handel von Realoptionen zurückführen. Beide Aspekte für sich genommen resultieren in Schwierigkeiten hinsichtlich der exakten Bestimmung der einzelnen Parameter. Im Gegensatz zu den meist durch die Ausprägungen ihrer vertraglich festgelegten Merkmale charakterisierten

und

strukturierten

Finanzoptionen,

fußen

Realoptionen

nur

in

Ausnahmefällen531 auf vertraglich festgelegten Angaben.532 Dies hat mehrere Konsequenzen zur Folge. So müssen Realoptionen erst einmal als solche identifiziert werden, andernfalls liegen Schattenoptionen vor. Dies bedeutet, dass Realoptionen zwar existieren, aber nicht

530 531

Vgl. Spremann (1999), S. 409ff. Ausnahmefälle stellen bspw. auf Patente oder Lizenzen basierende Realoptionen dar. Siehe hierzu Ernst/Häcker (2002), S. 50.

532

Vgl. Pike (1997), S. 940.

136

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

erkannt und infolgedessen auch nicht genutzt werden können.533 Zudem existiert weder ein Optionsstillhalter, der zur korrekten Vertragserfüllung verpflichtet ist, noch stehen auf der anderen Seite dem Optionserwerber aufgrund von Wettbewerbern exklusive Ausübungsrechte zu.534 Die damit verbundenen Wettbewerbseffekte führen dazu, dass die Laufzeit von Realoptionen oftmals nicht exakt bestimmbar ist.535 Darüber hinaus weisen Realoptionen oftmals eine weitaus längere Laufzeit auf, als die sich typischerweise auf einige Monate erstreckenden Finanzoptionen.536 Daraus resultieren wiederum Schwierigkeiten in der Identifizierung eines risikofreien Wertpapiers mit äquivalenter Laufzeit.537 Als weiterer Effekt lässt sich eine erhebliche Unsicherheit bzgl. des Ausübungspreises ausmachen, der eben nicht vertraglich festgelegt ist, sondern sich auf die Summe der zum Zeitpunkt der Optionsbewertung oftmals noch nicht exakt bestimmbaren Investitionskosten beläuft.538 Weitere Grenzen der Analogie resultieren aus dem begrenzten Handel, sowohl in Bezug auf die Option an sich, als auch dem zugrunde liegenden Basisobjekt. Im Gegensatz zu Finanzoptionen, die als standardisierte Produkte an der Börse oder anderen vergleichbaren liquiden Märkten gehandelt werden, werden Realoptionen nur selten gehandelt. Wenn dies überhaupt der Fall ist, dann erfolgt der Handel eher an zumeist unvollkommenen und wenig liquiden Märkten.539 Als Gründe hierfür lassen sich die für Realoptionen typische hohe Unternehmensspezifität,540 die geringe Eigenständigkeit von Realoptionen541 sowie die auf der

533

Vgl. Bowman/Hurry (1993), S. 763.

534

Ausnahmen stellen hier wiederum Patente oder Lizenzen dar.

535

Vgl. allgemein McMillan (1986), S. 5; Lai/Trigeorgis (1995), S. 83; Busby/Pitts (1997b), S. 171. Grundfest/Huang fassen die Unterschiede folgendermaßen zusammen: „These real options differ from financial options in a variety of respects. … It can be observed, that real options have no underlying financial instruments that determine their price, and that the ,premia’ paid for a real option … are not collected by any entity that writes the real option. Real options thus are not zero sum instruments.” (Grundfest/Huang (1996), S. 8).

536

Vgl. Myers (1984), S. 135; Lai/Trigeorgis (1995), S. 83.

537

Vgl. Dimpfel (2004), S. 39.

538

Vgl. Busby/Pitts (1997b), S. 171; Pike (1997), S. 940.

539

Vgl. Trigeorgis/Kasanen (1991), S. 24; Kester (1993), S. 193.

540

Durch die hohe Unternehmensspezifität kann die Realoption nicht ohne weiteres an Dritte veräußert werden. Siehe hierzu auch Dimpfel (2004), S. 38.

541

Realoptionen bilden oftmals keine eigenständigen Projekte, sondern sind in einen übergeordneten Zusammenhang eingebettet. Siehe hierzu auch Dimpfel (2004), S. 38.

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

Vielfalt

der

unternehmerischen

137

Handlungsmöglichkeiten

beruhenden

mangelnden

Standardisierung von Realoptionen nennen. Folglich bietet sich für den Inhaber der Realoption kaum die Möglichkeit der Realisierung des Optionswertes durch den Verkauf derselben.542 Während

sich

Finanzoptionen

weitestgehend

auf

an

Börsen

gehandelte

Vermögensgegenstände wie Aktien, Währungen oder Anleihen beziehen, wird das Underlying von Realoptionen in der Regel nicht am Kapitalmarkt gehandelt.543 Oftmals entsteht das Basisinstrument sogar erst in dem Moment der Optionsausübung.544 Infolgedessen liegt zum einen zumeist kein Marktpreis für das Underlying vor.545 Zum anderen resultiert daraus die Schwierigkeit der Volatilitätsbestimmung. Anstatt auf historische Zeitreihen zurückgreifen zu können, muss auf die Volatilität eines mit dem Wert des Underlying vergleichbaren und korrelierten Vermögensgegenstands ausgewichen werden.546 Neben dieser unter Rückgriff auf Behelfskonstruktionen ermittelten Volatilität und dem nicht eindeutig festgelegten Ausübungspreis können darüber hinaus grundsätzlich alle weiteren Determinanten des Optionswertes eine Unsicherheitsquelle darstellen. Darin manifestiert sich ein weiteres Unterscheidungskriterium zu Finanzoptionen, die in der Regel nur über eine Unsicherheitsquelle, nämlich die Wertentwicklung des Basisinstrumentes, verfügen.547 Vielfältige Unsicherheitsquellen begründen ebenso wie Interdependenzen und Interaktionen zwischen einzelnen Realoptionen, komplizierte Dividendenstrukturen oder multiple Basisinstrumente eine oftmals festzustellende komplexe Struktur von Realoptionen.548

542

Vgl. Trigeorgis (1988), S. 163; Kester (1993), S. 193.

543

Vgl. Pinches (1998), S. 534.

544

Vgl. Sick (1995), S. 635.

545

Vgl. Trigeorgis/Kasanen (1991), S. 24.

546

Vgl. Teisberg (1995), S. 41. Zingales konstatiert in diesem Zusammenhang: „Their payoff is highly dependent upon the way the option is exercised; that is, it is endogenously determined rather than exogenously specified.” (Zingales (2000), S. 1637). Siehe hierzu auch ausführlich Ernst/Häcker (2002), S. 51-54.

547

Vgl. Hommel/Pritsch (1999a), S. 17. Hängt der Wert einer Option von mehreren stochastischen Größen ab, wird sie auch als exotische Option bezeichnet. Siehe hierzu bspw. Hull (1998), S. 189f.

548

Vgl. Kilka (1995), S. 116. Siehe hierzu u.a. Dimpfel (2004), S. 40.

138

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

Nicht zuletzt aufgrund dieser Komplexität kann die Annahme der Arbitragefreiheit, die für Finanzoptionsmärkte gelten mag, für Realoptionen nicht getroffen werden. Da dessen ungeachtet zum Erwerb einer Realoption analog zu Finanzoptionen eine Optionsprämie549 geleistet werden muss, bedarf es zur Entscheidung über die Erzeugung einer solchen Handlungsflexibilität folglich stets der Gegenüberstellung von Realoptionsprämie und Realoptionswert. Die konzeptionelle Analogie zwischen Finanz- und Realoptionen zur Bewertung von Realoptionen unter Rückgriff auf Optionspreismodelle greift nur dann, wenn sich für alle sechs Optionswerttreiber die wertentsprechenden realwirtschaftlichen Größen identifizieren und quantifizieren lassen. Wie gezeigt wurde, ist dies nicht immer in vollem Umfang gewährleistet.550 Eine Bewertung mit Hilfe der für Finanzoptionen entwickelten Standardmodelle ist dann oftmals nicht durchführbar. Vor dem Hintergrund der Grenzen der Analogie wird die Anwendbarkeit des Realoptionsansatzes in der Prasxis – insbesondere als reines Bewertungsinstrument – zumeist in Frage gestellt. Die Kritik der mangelnden Quantifizierungsmöglichkeiten und der hohen Anwendungskomplexität mündet oftmals in einer generellen Ablehnung des Ansatzes in der Unternehmenspraxis.551 Jedoch existieren auch Vorschläge zur Überwindung der Schwierigkeiten in großer Anzahl.552 In welchem Maße Anpassungen und Ergänzungen der Standardmodelle für eine Realoptionsbewertung unter Praxisaspekten dienlich sind, wird dabei weitestgehend von der zu lösenden Problemstellung bestimmt. Eine solche Betrachtung wird aus diesem Grunde in Kapitel F2.3 vor dem Hintergrund junger Unternehmen vorgenommen.553 Die Ausprägungsformen der Handlungsflexibilitäten an sich sind sehr vielfältig und werden im nachfolgenden Kapitel näher spezifiziert.

549

Diese entspricht der zur Erschließung der Handlungsflexibilität zu erbringende Gegenleistung.

550

Vgl. auch nochmals Meise (1998), S. 82ff; Hommel (1999), S. 24.

551

Vgl. a. V. Bowmann/Moskowitz (2001), S. 776; Adner/Levinthal (2004b), S. 75f. Emprische Untersuchungen zur Verwendung des Realoptionsansatzes in der Unternehmenspraxis sind u.a. bei Vollrath (2001), S. 45ff. und Peske (2002), S. 90ff. und zu finden.

552

Siehe hierzu später die Ausführungen in Kapitel F2.3.

553

Eine solche Betrachtung dient zugleich der Ermittlung der wertbegrenzenden Faktoren des Realoptionsansatzes.

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

3.2

139

Arten von Realoptionen

Ähnlich wie bei Finanzoptionen kann der Wertbeitrag der Handlungsflexibilität entweder in einem Absichern des Risikos oder in einem Abschöpfen positiver Wertentwicklungen bestehen. Jedoch zeigt sich, dass Handlungsmöglichkeiten sowie die damit verbundenen Optionsrechte zu deren Bewertung zunächst identifiziert werden müssen.554 Hierzu bieten sich Klassifikationsschemata an, die Realoptionsarten nach Merkmalsklassen unterscheiden.555 Es existieren zahlreiche Vorschläge zur Klassifizierung der Realoptionsarten.556 Aus Gründen der Übersichtlichkeit557 wird in der vorliegenden Arbeit dem Vorgehen bei COPELAND/KEENAN bzw. HOMMEL/PRITSCH gefolgt, die eine Unterteilung in Wachstumsoptionen, Lernoptionen und Versicherungsoptionen vornehmen.558

3.2.1

Wachstumsoptionen

Wachstumsoptionen eröffnen die Möglichkeit, die unternehmerische Wettbewerbsposition insofern zu verbessern, als sie auf die Schaffung zukünftiger Gewinnmöglichkeiten ausgerichtet sind.559 Der Optionswert leitet sich weniger aus unmittelbar durch das Projekt zu erzielende Cash-Flows ab, als aus der Schaffung zukünftiger Gewinnmöglichkeiten durch Sicherung kritischer Ressourcen, wie bspw. technologischem Know-how, F&E-Tätigkeiten

554

Vgl. a.V. Brealy/Myers (2000), S. 478.

555

Vgl. Hommel/Pritsch (1999b), S. 125.

556

So lassen sich bspw. zweiteilige Klassifikationen finden, wie bspw. die Unterteilung in strategische Wachstumsoptionen und Flexibilitätsoptionen bei Kilka (1995), S. 37 und Perlitz, et al. (1999), S. 256 oder Investitionsoptionen und Desinvestitionsoptionen bei Ernst/Thümmel (2000), S. 669. Daneben sind oftmals sechsfache Unterteilungen zu finden. Siehe hierzu bspw. Kilka (1995), 37-40; Trigeorgis sowie Amram/Kulatilaka unterscheiden sieben Kategorien. Siehe hierzu Trigeorgis (1993b), S. 204; Amram/Kulatilaka (1999b), S. 95ff. Meise unterteilt zunächst in drei Arten isolierter Optionen und diskutiert dann anschließend unterschiedliche Verbundoptionen. Vgl. Meise (1998), S. 95ff.

557

Pritsch weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die meisten Klassifizierungen nicht überschneidungsfrei sind. Zudem zeigt er, dass sich die wesentlichen, in der Finanzliteratur getroffenen Unterscheidungen in das dreiteilige Klassifikationsschemata von Hommel/Pritsch integrieren lassen und ihm somit den Charakter eines übergeordneten Strukturierungsrahmens verleiht. Vgl. Pritsch (2000), S. 141f.

558

Vgl. Copeland/Keenan (1998), S. 47ff.; Hommel/Pritsch (1999b), S. 125ff.; Pritsch (2000), S. 139ff.

559

Vgl. Hommel/Pritsch (1999b), S. 125f.; Pritsch (2000), S. 140.

140

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

oder einem Markennamen.560 Der Wert der Option resultiert somit aus einer ex-ante Flexibilität,

mit

Folgeinvestitionen

auf

positive

Entwicklungen

der

relevanten

561

Umweltfaktoren zu reagieren und so Gewinnpotenziale auszuschöpfen.

Als weitere Unterteilung ordnet PRITSCH den Wachstumsoptionen die in der Literatur existierenden Realoptionsarten der „Option to Grow/Innovate“ als qualitativ eigenständige Investitionen und die „Option to Expand“ als Expansion existierender Kapazitäten zu.562 Die „Options to Grow/Innovate“ beziehen sich in der Regel auf konzeptionell neuartige Projekte, die nur unter Rückgriff auf das durch die vorherigen Projekte erworbene Wissen realisiert werden können.563 „Options to Expand“ berücksichtigen die Möglichkeit, gegen Zahlungen einer Investitionssumme (I) die Kapazitäten um į % zu erweitern.564 Ähnlich unterteilen COPELAND/KEENAN die Wachstumsoptionen in (1) „Options to scale up“, die frühen Markteinsteigern die Möglichkeit eröffnen, kostengünstige Folgeinvestitionen zu tätigen, (2) „Options to switch up“, die durch ein schnelles und frühzeitiges Commitment in eine erste Generation einer bestimmten Technologie oder eines Produkt eine gute Ausgangsposition zum Wechsel auf nachfolgende Generationen bietet und (3) „Options to scope up“, die durch Investments in einen bestimmten Markt die Möglichkeit bieten, in anderen Märkten tätig zu werden.565 Diesen Arten von Optionen ist gemein, dass sie durch eine Investition an sich – während oder infolge des Investments – entstehen.566 Die Investition in das erste Projekt stellt die notwendige Voraussetzung für die Folgeprojekte dar bzw. eröffnet die Möglichkeit in solche zu investieren. Wachstumsoptionen berücksichtigen somit den strategischen Wert einer

560

Vgl. Kester (1984), S. 153ff., der den Begriff der Wachstumsoption grundlegend geprägt hat, sowie Kilka (1995), S. 40; Meise (1998), S. 110f.; Hommel/Pritsch (1999b), S. 125f.; Ottoo (2000), S. 24ff.; Pritsch (2000), S. 140.

561

Vgl. Hommel/Pritsch (1999b), S. 125f.; Pritsch (2000), S. 140; Peske (2002), S. 70.

562

Vgl. Pritsch (2000), S. 141.

563

Vgl. Kester (1984), S. 153ff; Hommel/Pritsch (1999b), S. 127.

564

Vgl. Trigeorgis/Mason (1987), S.19; ausführlich m.w.N. Meise (1998), S. 107ff.; Hommel/Pritsch (1999b), S. 126f.

565

Vgl. Copeland/Keenan (1998), S. 47f.

566

Vgl. Pritsch (2000), S. 141.

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

141

Anfangsinvestition, die den Ausgangspunkt für weitere Investitionsmöglichkeiten bietet.567 Die Möglichkeit einer Anfangsinvestition lässt sich somit im Sinne einer Wachstumsoption als Call-Optionen auf den Bruttoprojektwert dieser Investition sowie die damit geschaffenen zukünftigen Wachstumsoptionen interpretieren.568 Der Wert einer solchen Option beläuft sich zum Ausübungszeitpunkt auf max[ȖV-I; 0], wobei (Ȗ) den Prozentsatz angibt, um den der zugrunde liegende Projektwert (V) erhöht werden kann und (I) die Investitionssumme der Folgeprojekte bzw. der Expansion darstellt.569

3.2.2

Lernoptionen

Lernoptionen umfassen alle Möglichkeiten eine Entscheidung – sei es teilweise oder vollständig – aufzuschieben und aus weiteren Informationen zu lernen. Der Optionswert leitet sich insofern aus der Flexibilität ab, die weitere Entwicklung der entscheidungsrelevanten Faktoren abzuwarten und so Investitions- wie auch Desinvestitionsentscheidungen an die Auflösung bestimmter Unsicherheitsfaktoren zu koppeln.570 Während COPELAND/KEENAN unter Lernoptionen die „Option to Study/Start“ verstehen, die sie auf die Verzögerung einer Investition beziehen,571 ordnet PRITSCH dieser Kategorie die in der Literatur existierenden „Option to Wait“ und „Option to Stage Investment“ zu.572 Diese Kategorien unterscheiden sich letztlich lediglich hinsichtlich des Projektumfangs, der verzögert werden kann. Bei der ersten Kategorie bietet sich die Möglichkeit, die Aufnahme des Projektes in Summe zu verzögern, wohingegen sich die zweite Kategorie auf die Möglichkeit bezieht, das Projekt in Teilprojekte zu zerlegen, die dann stufenweise in

567 568

Vgl. Kester (1984), S. 153; Meise (1998), S. 110f. Vgl. Kester (1984), S. 153; Dementsprechend müssen Wachstumsoptionen als verbundene Optionen, sog. Compound-Options, interpretiert werden. Siehe hierzu ausführlich Meise (1998), S. 111ff.

569

Vgl. Hommel/Pritsch (1999b), S. 126f.; Pritsch (2000), S. 140.

570

Vgl. Hommel/Pritsch (1999b), S. 125.; Pritsch (2000), S. 140. Den Wert dieser Art von Flexibilität bringen Dixit/Pindyck treffend zum Ausdruck: „[W]aiting allows a seperate optimization in each of the contingencies …, whereas immediate action must be based on only the average …. This ability to tailor action to contingency … gives value to the extra freedom to wait.” (Dixit/Pindyck (1994), S. 98).

571

Vgl. Copeland/Keenan (1998), S. 48.

572

Vgl. Pritsch (2000), S. 141.

142

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

Abhängigkeit der weiteren Entwicklung der relevanten Faktoren durchgeführt werden können.573 Die Gemeinsamkeit dieser Arten von Optionen manifestiert sich in der Möglichkeit, den Investitionszeitpunkt in Abhängigkeit weiterer Informationen zu wählen; Lernoptionen existieren somit vor der Investition. Sie lassen sich als Call-Optionen mit der Payoffstruktur max[V-I; 0] interpretieren, wobei sich (I) je nach Art der Lernoption als Investitionssumme sowohl auf das Gesamtprojekt als auch auf Teilprojekte beziehen kann. (V) stellt entweder den Bruttobarwert der mit der gesamten Investition verbundenen Zahlungsströme dar, oder repräsentiert den Fortsetzungswert inklusive aller weiteren Optionen im Falle der stufenweisen Investitionen.574 In beiden Fällen jedoch lernt das Management durch Eintreffen weiterer Informationen, ob es sich lohnt, die Investition (I) zur Realisierung des Projektwertes (V) zu tätigen.575

3.2.3

Versicherungsoptionen

Versicherungsoptionen eröffnen die Möglichkeit, auf ungünstige Marktentwicklungen mit Desinvestitionsentscheidungen oder operativen Anpassungen zu reagieren und infolgedessen die negative Wertentwicklung eines Projektes zu begrenzen.576 Der Wert einer Versicherungsoption leitet sich dabei aus den Möglichkeiten ab, auf die veränderten Umweltbedingungen mit Reduktionen der Produktionsintensität zu reagieren, zwischen alternativen Technologien oder Produkten zu wechseln, ein Investitionsprojekt temporär oder permanent stillzulegen oder aber das Projekt bereits vor Fertigstellung abzubrechen. Dementsprechend ordnet Pritsch den Versicherungsoptionen die in der Literatur existierenden Unterscheidungen zwischen (1) „Option to Contract“, (2) „Switching Option“, (3) „Option to Shut Down“ und (4) „Option to Abandon“ zu.577

573

Vgl. Hommel/Pritsch (1999b), S. 126; Pritsch (2000), S. 141; Siehe zur weiteren Unterscheidung auch Kilka (1995), S. 38ff. sowie jeweils m.w.N. Meise (1998), S. 98ff.; Peske (2002), S. 67ff.

574

Vgl. Hommel/Pritsch (1999b), S. 126; Pritsch (2000), S. 140.

575

Vgl. Pritsch (2000), S. 140.

576

Vgl. Hommel/Pritsch (1999b), S. 126; Pritsch (2000), S. 140. Siehe hierzu auch nochmals Abbildung 5.

577

Vgl. Pritsch (2000), S. 141.

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

143

Eine „Option to Contract“ stellt das Gegenstück zur „Option to Expand“ dar.578 Entsprechend nimmt ihre Payoffstruktur die Form max[Ic - ȖV0; 0] an und stellt eine Put-Option auf die Reduzierung des Projektes um ȖV0 und der damit einhergehenden Verringerung der Investitionssumme um Ic dar.579 Eine „Switching Option“ muss als Verbund- bzw. Compound-Option interpretiert werden, die sich aus einer „Option to Abandon“ oder eine „Option to Shut Down“ auf das laufende Projekt und einer „Option to Expand“580 auf ein anderes Investitionsprojekt zusammensetzt.581 Dabei stellt eine „Option to Abandon“, die Möglichkeit dar, durch vorzeitigen Ausstieg aus dem Projekt die zugehörigen Aktiva (A) zu verkaufen. Insofern kann diese Art der Versicherungsoption als Put-Option auf den gegenwärtigen Kapitalwert des Projektes (V) interpretiert werden, deren innerer Wert max[A - V; 0] beträgt.582 Demgegenüber wird bei einer „Option to Shut Down“ die Produktionsmöglichkeit nicht vollständig aufgegeben und kann daher als Call-Option interpretiert werden, die das Recht einräumt, gegen Zahlung der variablen Kosten (cv) den operativen Zahlungsstrom (CF) der betrachteten Periode zu erwerben. Es kann somit die Zahlung in Höhe von max[CF - cv; 0] realisiert werden.583 In ähnlicher Weise unterteilen COPELAND/KEENAN die Kategorie der Versicherungsoptionen in (1) „Option to Scale Down“, die die Möglichkeit der teilweisen Reduzierung eines Projektes darstellt, (2) „Option to Switch Down“, die die Möglichkeit zu kostengünstigeren Formen zu wechseln beinhaltet und (3) „Option to Scope Down“, die die Möglichkeit der Reduzierung oder Aufgabe des Wirkungsbereiches darstellt.584

578

Siehe hierzu nochmals die Ausführungen in Kapitel C3.2.1.

579

Vgl. Trigeorgis/Mason (1987), S. 19; Kilka (1995), S. 39; Meise (1998), S. 109; Hommel/Pritsch (1999b),

580

Siehe hierzu nochmals die Ausführungen in Kapitel C3.2.1.

581

Vgl. Hommel/Pritsch (1999b), S. 127.

582

Vgl. Kilka (1995), S. 39; Trigeorgis (1996), S. 12; ausführlich m.w.N. Meise (1998), S. 104ff.;

S. 127.

Hommel/Pritsch (1999b), S. 126; Ernst/Häcker (2002), S. 10. 583

Vgl. Brennan/Schwartz (1985), S. 135ff.; Hommel/Pritsch (1999b), S. 126; Pritsch (2000), S. 141.

584

Copeland/Keenan unterscheiden somit in Summe sieben Grundarten von Realoptionen die sie aufgrund der Bezeichnung zu einem „7S framework“ zusammenfügen. Vgl. Copeland/Keenan (1998), S. 48.

144

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

Die Gemeinsamkeit der diversen Arten von Versicherungsoptionen manifestiert sich in ihrem Versicherungsschutz, d.h. der Möglichkeit, Verluste auf ein bestimmtes Maß zu begrenzen, die sich in der Regel während oder nach einer Investitionsphase bietet.585 Tabelle 6 fasst die vorstehende Diskussion der unterschiedlichen Arten von Realoptionen zusammen. RealWachstumsoptionen optionsart Flexibilitäts- ƒ Ex-ante Flexibilität, art mit Folgeinvestitionen auf positive Entwicklungen zu reagieren ƒ Schaffung zukünftiger Gewinnmöglichkeiten durch Sicherung kritischer Ressourcen Flexibilitäts- ƒ Option to grow/ arten in der innovate ƒ Option to expand Literatur

Unterteilung bei Copeland/ Keenan Zeitpunkt der Entstehung Beispiele

Lernoptionen

ƒ Flexibilität, Invesƒ Flexibilität auf titions- und Desnegative Marktentinvestitionsentwicklungen mit scheidungen teilDesinvestitionen oder weise oder volloperativen Anpasständig an Auflösung sungen zu reagieren ƒ Möglichkeit potenentscheidungsrelezielle Verluste zu vanter Faktoren zu begrenzen koppeln ƒ Option to wait ƒ Option to stage investment

ƒ Option to scale up ƒ Option to switch up ƒ Option to scope up

ƒ Option to study/start

ƒ Nach/während/durch das Investment

ƒ Vor dem Investment

ƒ Produktionsanlage mit Überkapazitäten und flexibler Nutzungsmöglichkeit ƒ Grundlagenforschung ƒ Schaffung eines Markennamens

ƒ In Einzelphasen gliederbare Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen ƒ Venture-CapitalFinanzierung ƒ Rechte zur Erschließung von Bauland

Tabelle 6: Arten von Realoptionen (in Anlehnung an: Hommel/Pritsch (1999b), S.125)

585

Vgl. Pritsch (2000), S. 141.

Versicherungsoptionen

ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ

Option to contract Switching option Option to shut down Option to abandon Option to scale down Option to switch down ƒ Option to scope down ƒ Während und nach dem Investment ƒ Plattforminvestitionen in der Automobil- und Chemieindustrie ƒ Ausstiegsoptionen aus einem LeasingVertrag

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

145

Dieses Klassifizierungsschema kann nun zur Identifikation der projektinhärenten Optionsrechte genutzt werden. In realwirtschaftlichen Betrachtungen wird sich dabei in der Regel zeigen, dass Projekte oftmals durch Kombinationen der vorstehenden Realoptionsarten charakterisiert sind und somit Compound-Options berücksichtigt werden müssen.586 Eines ist den unterschiedlichen Arten von Realoptionen jedoch gemein; so beinhalten sie in ihrem Kern allesamt die Möglichkeit, auf veränderte Rahmenbedingungen zu reagieren; künftige Entscheidungen auf Basis neuer, zusätzlicher Informationen zu treffen und auf das Auflösen von Unsicherheit zu reagieren.587 Im Rahmen welcher Problemstellungen diese Explizierung des Optionsrechtes von Bedeutung ist, wird in den folgenden Kapiteln betrachtet.

3.3

Instrumentalcharakter

Die Verwendung des Realoptionsansatzes wird mittlerweile in den unterschiedlichsten Anwendungsgebieten diskutiert, deren Grundstruktur sich in der Regel auf die Verwendung im ursprünglichen Sinne als Instrument der Investitions- oder Unternehmensbewertung sowie in der weitesten Ausprägung als Instrument der Unternehmenssteuerung zurückführen lässt. Durch Betrachtung dieser drei Grundverwendungsarten soll dabei sein Instrumentalcharakter herausgestellt werden, der später wesentliche Antworten hinsichtlich der Wissensgenerierung im Rahmen der Rationalitätssicherung liefert.

3.3.1

Ein

Investitionsbewertungsinstrument

Kernelement

unternehmerischen

Handelns

stellt

das

Treffen

von

Investitionsentscheidungen im Sinne einer Allokation knapper Ressourcen auf miteinander konkurrierende Mittel zur Zielerreichung dar. Investitionsrechenverfahren, die der Bewertung der Handlungsalternative dienen, bieten dabei eine Grundlage für eine ökonomisch sinnvolle

586

Vgl. Copeland/Keenan (1998), S. 48. Dieser Sachverhalt wird in Kapitel F2.3.3 näher betrachtet.

587

Aus diesem Grunde lassen sich auch Ansätze finden, alle Realoptionen als Warte- bzw. Lernoptionen zu klassifizieren. Siehe bspw. Ernst/Häcker (2002), S. 9; Ernst/Thümmel (2000), S. 669.

146

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

Auswahl

geeigneter

Investitionsprojekte.588

Sie

stellen

„entscheidungsunterstützende

Methoden insbesondere zur Bestimmung der Vorteilhaftigkeit einzelner Investitionsvorhaben … oder zur Auswahl von Investitionsobjekten im Falle des Bestehens mehrerer Investitionsmöglichkeiten“589 dar und bilden somit ein Element im gesamten Entscheidungsbzw. Willensbildungsprozess.590 Die Bedeutung und relative Vorteilhaftigkeit des Realoptionsansatzes in instrumenteller Hinsicht für die Investitionsrechnung tritt aus einem direkten Vergleich des Verfahrens mit anderen, traditionellen Verfahren der Investitionsrechnung zutage.591 Ausführliche Vergleichsanalysen des Realoptionsansatzes zu den traditionellen Investitionsrechenverfahren zeigen, dass das Konzept die Defizite der kapitalwertbasierten Verfahren überwindet, während es wesentliche Vorteile der einzelnen Verfahren zu kombinieren vermag.592 Unter dem Eindruck der Wertrelevanz der Flexibilität stellt Trigeorgis den Gesamtwert eines Projektes als Summe aus statischem Nettokapitalwert (NKW), also der Barwerte zukünftig aus dem Projekt resultierenden Cash-Flows abzüglich der Investitionssumme, und dem Wert

588

Vgl. Vollrath (2001), S. 45ff.; Hommel/Lehmann (2001b), S. 113. Detaillierte Ausführungen zum Investitionsbegriff und den prinzipiellen Verfahrensweisen der Investitionsrechenverfahren sind in Standardlehrbüchern zu finden wie bspw. Perridon/Steiner (1997); Brealy/Myers (2000); Kruschwitz (2000).

589

Eilenberger (1994), S. 146.

590

Vgl. Kruschwitz (2000), S. 6-8. Kruschwitz konstatiert in diesem Zusammenhang: „Investitionsrechnungen sind Mittel zum Zweck. Der Zweck besteht darin, Entscheidungen zu treffen, die dem Zielsystem … möglichst

gut

entsprechen.



Daraus

folgt,

daß

[sic!]

Investitionsentscheidungen

durch

Investitionsrechnungen nicht ersetzt, sondern immer nur vorbereitet werden können.“ (Kruschwitz (2000), S. 1). 591

Götze/Bloech weisen darauf hin, dass von einer generellen Überlegenheit optionspreistheoretischer Ansätze nicht ausgegangen werden kann. Vgl. Götze/Bloech (2002), S. 465. Kruschwitz konstatiert allgemein: „Es gibt keine Methode der Investitionsrechnung, die in allen Situationen die beste ist“ (Kruschwitz (2000), S. 6).

592

Ausführliche Analysen sind u.a. bei Kilka (1995), S. 5-33; Meise (1998), S. 22-44; Hommel/Pritsch (1999b), S. 121ff.; Pritsch (2000), S. 144ff. und Müller (2004), S. 79-106 zu finden. Aufgrund dieser umfangreichen Diskussion in der Literatur wird in der vorliegenden Arbeit eine verkürzte Darstellung gewählt.

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

147

der Entscheidungsflexibilität dar.593 Diese Betrachtungsweise lenkt die Aufmerksamkeit bereits auf einen der Hauptunterschiede zwischen traditionellen Investitionsrechenverfahren, wie dem internen Zinsfuß oder der NKW-Analyse, und dem Realoptionsansatz, der sich in einer Berücksichtigung von Handlungsflexibilitäten manifestiert. Traditionelle Investitionsrechenverfahren gehen von statischen Rahmenbedingungen aus, ihnen liegen gegebene, bekannte Eintrittswahrscheinlichkeiten und vorgegebene, feste Handlungsstrategien zugrunde und bieten somit keinerlei Möglichkeiten zur Berücksichtigung von Handlungsflexibilitäten.594 Auch die auf dem NKW aufbauenden Sensitivitätsanalysen und Monte-Carlo-Simulationen595 überwinden dieses Problem nur teilweise. Mit Hilfe der Sensitivitätsanalysen kann zwar der Einfluss einzelner Werttreiber auf den Projektwert identifiziert und somit u.a. maximale Wertgrenzen der Vorteilhaftigkeit eines Projektes bestimmt werden. Jedoch sind diesem Verfahren Grenzen hinsichtlich der Berücksichtigung einer größeren Anzahl gleichzeitig einwirkender Faktoren gesetzt, noch dazu, wenn zwischen diesen Faktoren Interaktionseffekte bestehen. Diese vermag hingegen die Monte-Carlo-Simulation abzubilden, jedoch verbleibt auch bei diesem Verfahren die den NKW-Verfahren inhärente Problematik der Bestimmung eines geeigneten Diskontierungssatzes.596 Beiden Erweiterungen – sowohl der Sensitivitätsanalyse als auch der Monte-Carlo-Simulation – ist darüber hinaus gemein, dass sie zwar eine Verbesserung der Abbildung von Unsicherheit gegenüber der alleinigen Verwendung des NKW-Verfahrens ermöglichen, jedoch keine explizite Berücksichtigung der Handlungsflexibilitäten ermöglichen.597

593

Vgl. Trigeorgis (2000), S. 130f. Hommel/Pritsch weisen darauf hin, dass diese Dartellungsweise nicht zu einer Fehlinterpretation des Realoptionsansatzes als Erweiterung des traditionellen Kapitalwertverfahrens führen darf. Der Realoptionswert schließt den statischen NKW mit ein. Vgl. Hommel/Pritsch (1999b), S. 127.

594

Vgl. Hommel/Pritsch (1999b), S. 127; Müller (2004), S. 101.

595

Hommel/Lehmann stellen in ihren Ausführungen dar, weswegen es sich hierbei um keine eigenständigen Bewertungsmethoden sondern letztlich um Erweiterungen des NKW-Verfahrens handelt. Vgl. Hommel/Lehmann

(2001b),

S.

116f.

Vgl.

zur

Bedeutung

und

Informationsgenerierung

der

Sensitivitätsanalyse und der Risikoanalyse ausführlich Müller (2004), S. 89ff. 596

Vgl. Hommel/Pritsch (1999b), S. 127f.; Hommel/Lehmann (2001b), S. 116ff. Vgl. zur Problematik der Bestimmung eines geeigneten Diskontierungssatzes allgemein Schwetzler/Darijtschuk (1999).

597

Vgl. Hommel/Lehmann (2001b), S. 119.

148

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

An dieser Stelle setzt das so genannte Entscheidungsbaumverfahren an, das die Handlungsflexibilitäten in Entscheidungs- und Ereignisbäumen abbildet. Diese werden unter Verwendung des so genannten Roll-back Verfahrens ausgehend von den Endpunkten der Bäume rekursiv gelöst, indem an den einzelnen Teilknoten die Erwartungswerte der jeweiligen Alternativen berechnet und auf den Entscheidungszeitpunkt abdiskontiert werden.598 Dieses Verfahren ist jedoch mit zunehmender Komplexität der Entscheidungssituation in seiner Übersichtlichkeit begrenzt und unterliegt wiederum der Problematik der Bestimmung eines korrekten Diskontierungsfaktors.599 Neben der expliziten Berücksichtigung von Handlungsflexibilitäten liegt somit ein weiterer Vorteil der Verwendung des Realoptionsansatzes zur Investitionsbewertung in der Überwindung des Problems der Wahl eines adäquaten Diskontierungsfaktors, das in dem Prinzip der Portfolioduplikation begründet liegt.600 In diesem Zusammenhang bezeichnet TRIGEORGIS das Realoptionsverfahren als „special, economically corrected version of decision tree analysis“601. Eng damit verbunden ist ein weiterer maßgeblicher Vorteil der Realoptionsmethode, der sich in seiner Marktorientierung expliziert. Diese resultiert aus dem Prinzip der risikoneutralen Bewertung und leitet sich aus der Ermittlung des Gegenwartswertes der zeit- und zustandsabhängigen Zahlungen über die Kursentwicklung des auf einem Markt gehandelten Basisinstrumentes ab.602 Zusammenfassend

lässt

sich

festhalten,

dass

die

relative

Vorteilhaftigkeit

des

Realoptionsverfahrens insbesondere in Situationen, die durch ein hohes Maß an Unsicherheit und Flexibilität gekennzeichnet sind, also einen hohen Optionscharakter aufweisen, zum Tragen kommt. Ob seines relativ hohen Nutzungsaufwandes603 ist jedoch ein Einsatz in Situationen, die diese Merkmale nicht aufweisen, unzweckmäßig. Die nachfolgende

598

Vgl. Bieg/Kussmaul (2000), S. 238ff.; Kruschwitz (2000), S. 301ff.

599

Vgl. Hommel/Pritsch (1999b), S. 127f.; Hommel/Lehmann (2001b), S. 116ff.

600

Vgl. Koch (1999), S. 34; Zimmermann (1998), S. 56. Siehe hierzu auch nochmals Kapitel C2.2.2.

601

Trigeorgis (1995), S. 18.

602

Vgl. Hommel/Pritsch (1999b), S. 128; Müller (2004), S. 101f.

603

Der hohe Nutzungsaufwand lässt sich schon aus den bisherigen Ausführungen erahnen und wird noch Gegenstand der nachfolgenden Betrachtungen in Kapitel C3.4 sein.

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

149

Abbildung 15 gibt ein Entscheidungsraster zur Auswahl eines der Situation angemessenen Investitionsrechenverfahren an die Hand.

Unsicherheit hoch

Flexibilität

niedrig

hoch

• Dynamische Kapitalwertmethode • Optionspreismethode

• Optionspreismethode

niedrig

• Statische Kapitalwertmethode (DCF, NPV)

• Sensitivitätsanalyse • Monte-Carlo-Simulation

Abbildung 15: Entscheidungsmatrix für die Methodenwahl (in Anlehnung an: Hommel/Lehmann (2001b), S. 121)

3.3.2

Die

Unternehmensbewertungsinstrument

Bewertungsfunktion

des

Realoptionsansatzes

ist

auch

im

Rahmen

von

Unternehmensbewertungen von Nutzen. Je nach Bewertungsanlass werden unterschiedliche Anforderungen an das zu verwendende Instrument gestellt.604 Dabei zeigt sich, dass sich die Verwendung des Realoptionsansatzes ob seiner expliziten Berücksichtigung und Bewertung von Handlungsflexibilitäten insbesondere in Früh- und Spätphasen der Unternehmensentwicklung anbietet. Das Unternehmen wird jeweils als Portfolio von Optionen betrachtet. Der Realoptionsansatz dient dann dazu, das zukünftige Erfolgspotenzial abzuschätzen bzw. zu beurteilen. In der Frühphase liefert der Realoptionsansatz einen hohen Erklärungswert, da ein Großteil der wertrelevanten Merkmale in dieser Phase aus Wachstumsoptionen besteht.605 Den einzigen Vermögenswert in dieser Phase stellt das Unternehmenskonzept dar. Dieses wird bspw. aus Sicht eines Kapitalgebers, der durch Bereitstellung von Finanzmitteln Ansprüche am zukünftigen Wert des Unternehmens erwirbt, als Call-Option auf den zukünftigen Wert

604

Vgl. Scholich/Wulff (2002), S. 564. Bewertungsanlässe sind bspw. M&A-Transaktionen, Börsengänge, Beteiligungen eines Venture-Capital-Gebers, bilanzielle und gesetzlich vorgeschriebene Anlässe. Siehe hierzu auch den Überblick bei Scholich/Wulff (2002), S. 564f.

605

Siehe hierzu auch später Kapitel F2.1.3.

150

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

der Geschäftstätigkeit interpretiert.606 In der späten Reife- bzw. frühen Degenerationsphase kann der Realoptionsansatz dabei durch Erfassung der Wertrelevanz von Versicherungsoptionen, insbesondere Flexibilitäts- und Abbruchoptionen, wertvolle Hinweise hinsichtlich notwendiger Restrukturierungs- und Desinvestitionsstrategien liefern.607 Die relative Vorteilhaftigkeit des Realoptionsansatzes im Vergleich zu anderen, traditionellen Unternehmensbewertungsverfahren, wie der DCF-Analyse, dem Ertragswertverfahren oder der Bewertung auf Basis von Multiples, kann dabei analog zu dem getroffenen Vergleich im Rahmen der Investitionsrechenverfahren erfolgen.608 Zum einen kommen solche Vergleiche zu dem Ergebnis, dass der Realoptionsansatz als Unternehmensbewertungsinstrument ähnlich zu seinen Stärken als Investitionsrechenverfahren die Vorzüge anderer Verfahren integriert und deren Schwächen überwindet, indem er (1) unternehmensspezifische Planungsszenarien berücksichtigt, (2) eine marktwertorientierte Bewertung ermöglicht und (3) Handlungsoptionen explizit einbezieht. Darüber hinaus wird zum anderen betont, dass er anderen Verfahren insofern überlegen ist, als er den Bewerter zur expliziten Auseinandersetzung mit den Planungsprämissen und zum Denken in Handlungsalternativen zwingt sowie die Chancen und Risiken des betrachteten Unternehmens transparent abbildet.609 Dennoch wird der Realoptionsansatz nicht als Paradigmenwechsel postuliert, sondern als ein zu den anderen Verfahren komplementärer Ansatz gesehen, der dann zum Einsatz kommen sollte, wenn das Bewertungsobjekt durch einen hohen Optionscharakter geprägt ist.610

606

Vgl. Hommel, et al. (2000), S. 426. Smith/Smith konstatieren in diesem Zusammenhang: „A new venture can be viewed most accurately as a portfolio of real options, some controlled by the entrepreneur and others controlled by outside investors.” (Smith/Smith (2000), S. 11). Dabei sollte nicht vergessen werden, dass gerade diese Art der Sichtweise als ein Grund für den Boom bzw. das Platzen der Spekulationsblase am Neuen Markt angesehen wird. Siehe hierzu auch Amram/Kulatilaka (1999a), S. 70.

607

Vgl. Wieland (2002), S. 151; Siegert, et al. (1997), S. 488.

608

Siehe hierzu nochmals C3.3.1. Siehe für ausführliche Vergleiche bspw. Brealy/Myers (2000); Damodaran (2001); sowie für eine Diskussion der unterschiedlichen Bewertungsinstrumente für junge Unternehmen Ernst/Häcker (2002), S. 17-35; Scholich/Wulff (2002); Schwetzler (2002); Wohlenberg (2002); Schwetzler (2003);. Eine Diskussion des Realoptionsansatzes zur Verwendung als Bewertungsinstrument in jungen Unternehmen findet sich u.a. bei Sahlman (1988); Trigeorgis (1993b); Willner (1995); Keeley/Punjabi (1996); Hommel/Baecker (2002).

609

Vgl. Ernst/Häcker (2002), S. 34; Scholich/Wulff (2002), S. 578.

610

Vgl. Ernst/Häcker (2002), S. 34.

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

3.3.3

151

Unternehmenssteuerungsinstrument

Neben der ursprünglichen Verwendung des Realoptionsansatzes als reines Bewertungsinstrument – sei es auf Projekt- oder Gesamtunternehmensebene – mehren sich die Forderungen, das Realoptionsverfahren als ganzheitliches Instrument der Unternehmenssteuerung einzusetzen.611 Die Grundidee beruht auf der These, dass sich Handlungsflexibilitäten eines Unternehmens mit Hilfe des Realoptionsansatzes erfassen, quantitativ bewerten und aktiv steuern lassen.612 Um den Realoptionsansatz zur Unternehmenssteuerung fruchtbar zu machen, wurden in der Literatur mehrerer Modelle entwickelt und überprüft, die sich in ihrer Grundstruktur auf die drei Phasen Realoptionen identifizieren, Realoptionen bewerten und Realoptionen managen zurückführen lassen.613 Zunächst müssen Realoptionen als solche identifiziert werden und anhand der wertrelevanten Charakteristika von der Vielfalt genereller – auch nicht werthaltiger – Handlungsalternativen abgegrenzt werden.614 Andernfalls handelt es sich um „Schattenoptionen“, die zwar existieren, aber weder erkannt noch bewusst genutzt oder gar gesteuert werden und infolgedessen nur einen Bruchteil ihres möglichen Wertes entfalten können.615 Die identifizierten Realoptionen

611

Vgl. Copeland, et al. (2000), S. 395; Kühn, et al. (2000), S. 55; Mun (2002), S. 1ff.; McGrath/Nerkar (2004), S. 2ff.

612

Vgl. Pritsch/Weber (2003), S. 144f.; Yao/Jaafari (2003), S. 54.

613

Siehe hierzu ausführlich Pritsch (2000), S. 201ff. Siehe ähnlich Peske (2002), S. 97, der dieses Modell auf den Gesamtunternehmenskontext anwendet und auf die drei Ebenen Projekt, Geschäftsbereich, Unternehmensebene überträgt. Alternative Darstellungen sind bspw. bei Meise (1998), S. 127 zu finden. Er stellt einen Prozess vor, der sich in fünf Phasen unterteilt: (1) Beschreibung des Entscheidungsproblems, (2) Identifikation der wichtigen Handlungsspielräume, (3) Interpretation als Realoption und Ermittlung der Modellparameter, (4) Wahl des Bewertungsansatzes und Ermittlung des Projektwertes sowie (5) Entscheidung über das Projekt und Ableitung der optimalen Strategie. Ein vierphasiges Modell ist bei Amram/Kulatikala zu finden. Sie unterscheiden (1) Frame the Application (2) Implement the Option Valuation Model (3) Review the Results und (4) Redesign. Vgl. Amram/Kulatilaka (1999a), S. 90ff. Ebenso unterscheiden Hommel/Pritsch in die vier Phasen (1) Bestimmung der Relevanz des Realoptionsansatzes, (2) Auswahl der Bewertungsmethode, (3) Durchführung der Bewertung und (4) Feinabstimmung. Vgl. Hommel/Pritsch (1999b), S. 122. Wieland unterscheidet in die vier Phasen (1) Identifizierung und Klassifizierung, (2) Bewertung, (3) Wertsteigerung und (4) Ausübung. Vgl. Wieland (2002), S. 159.

614

Wie in Kapitel C1 erläutert, stellt eine Alternative nicht per se eine Option dar.

615

Vgl. Bowman/Hurry (1993), S. 763f.

152

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

müssen anschließend bzgl. ihrer Werthaltigkeit quantifiziert werden; es gilt ihren Optionswert zu ermitteln. Im Management von Realoptionen liegt der eigentliche Unterschied zur Verwendung als reines Bewertungsinstrument. Im Gegensatz zu Finanzoptionen besteht bei Realoptionen die Möglichkeit – zumindest in einem gewissen Umfang – auf die einzelnen Werttreiber aktiv Einfluss auszuüben.616 Folglich umfasst das Management von Realoptionen nicht nur – wie im Fall von Finanzoptionen – das reaktive Ausüben des Optionsrechtes als Reaktion auf die Entwicklung der entsprechenden Umweltparameter, sondern enthält auch proaktive Elemente. Ferner hat die Unternehmensleitung die Möglichkeit der aktiven Einflussnahme auf das Realoptionsportfolio der Unternehmung an sich, bspw. durch den aktiven Aufbau neuer Optionen, und kann diese im Rahmen seiner Managementaktivitäten zielgerichtet ausnutzen.617 In diesem Zusammenhang wird der Realoptionsansatz im Lichte unterschiedlicher Theorien betrachtet. Die Diskussionen reichen dabei von den Möglichkeiten zur Integration in verschiedene Managementkonzepte wie bspw. in das Konzept des Shareholder Value oder des Ressource Based View,618 bis hin zur Ansicht als „eigenständige Managementphilosophie zur Rationalitätssicherung des unternehmerischen Entscheidungsverhaltens“619. Die Bedeutung des Realoptionsansatzes für strategische Entscheidungen verdeutlichen COPELAND/WEINER anhand der in Abbildung 16 dargestellten Vier-Felder-Matrix. Sie wird an den beiden Dimensionen „Ausmaß der Unsicherheit“ und „Einsatz von Flexibiltät“ aufgespannt. Hinter dieser Matrix steht die Überlegung, dass der Einsatz von Flexibilität mit Kosten verbunden ist, sei es durch den Erwerb von Optionen oder das Offenhalten derselben. Dementsprechend leiten sie die Empfehlung ab, jeweils mit dem Einsatz von Flexibilität auf das vorliegende Ausmaß an Unsicherheit zu reagieren. D.h. auf geringe Unsicherheit sollte mit wenig Flexibilität reagiert werden. Eine „Fokussierte Strategie“ ist anzustreben. Ein hoher Einsatz an Flexibilität käme in dieser Situation einer Ressourcenverschwendung bzw. einer

616

Diese Möglichkeit resultiert weitestgehend aus der mangelnden vertraglichen Fixierung.

617

Vgl. Pritsch (2000), S. 201ff.; Damisch (2002), S. 312ff.; Peske (2002), S. 172ff. Ein solches Prozessmodel wird in Kapitel F2 im Detail besprochen. Daher beschränken sich die Ausführungen an dieser Stelle auf den hier gewählten Umfang.

618

Vgl. Krolle/Oßwald (2003), S. 182; Adner/Levinthal (2004b); S. 74ff.; Adner/Levinthal (2004a), S. 120ff.; Kogut/Kulatilaka (2004), S. 102ff. McGrath, et al. (2004); S. 86ff.; Zardkoohi (2004), S. 111ff.

619

Baecker/Hommel (2002), S. 56; ähnlich Borison (2001), S. 3ff.

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

153

Verschwendung von Flexibilität gleich. Analog sollte im Fall hoher Unsichheit mit einem hohen Einsatz von Flexibilität reagiert werden. Es sollte eine „Flexible Strategie“ eingeschlagen werden. Auf ein hohes Ausmaß an Unsicherheit mit nur geringem Einsatz an Flexibilität zu antworten, käme einer „Gefährlichen Situation“ gleich.620

Einsatz von Flexibilität

Unsicherheit niedrig

hoch

hoch

Verschwendung von Flexibilität

Flexible Strategie

niedrig

Fokussierte Strategie

Gefährliche Situation

Abbildung 16: Matrix zum Flexibilitätsmanagement (in Anlehnung an: Copeland/Weiner (1990), S. 135)

Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, dass der Instrumentalcharakter des Realoptionsansatzes vornehmlich in Situationen mit hohem Optionscharakter, also solchen, die durch ein hohes Maß an Unsicherheit und Flexibilität gekennzeichnet sind, zum Tragen kommt. Vor der Verwendung des Ansatzes, ganz gleich in welchem Rahmen, sollte zunächst geprüft werden, inwieweit die vorliegende Situation durch ebensolche Merkmale charakterisiert ist.

3.4

Herausforderungen in der Anwendung

Trotz der vielfältigen, postulierten Anwendungsmöglichkeiten des Realoptionsansatzes bleiben stets Herausforderungen in seiner Anwendung bestehen, die es einerseits zur Nutzung seiner Stärken zu überwinden gilt und die andererseits zur Vermeidung einer Fehlanwendung klar zu identifizieren sind.621 Zur Komplettierung des Bildes gilt es abschließend diese

620

Vgl. Copeland/Weiner (1990), S. 134ff.

621

Baecker/Hommel konstatieren in diesem Zusammenhang: „While the real options method has distinct advantages over alternative approaches, it is no universal problem solver” (Baecker/Hommel (2004), S. 3).

154

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

Herausforderungen zu diskutieren.622 Die Betrachtung lässt sich dabei zweiteilen, in Faktoren, die die prinzipielle Anwendung fraglich machen und in Gefahren, die mit der Anwendung verbunden sind. Hinsichtlich der prinzipiellen Anwendung lassen sich bspw. Hinweise darauf finden, dass angesichts der Vielzahl von Bewertungsinstrumenten die Einführung einer weiteren Methodik auf Widerstand stößt.623 Eng damit verbunden ist die Frage nach der Diffusion des Ansatzes, die PRITSCH ausführlich anhand der „Innovation Diffusion Theory“ diskutiert und mit Bezug auf die NKW-Analyse darauf verweist, dass eine solche in der Regel mehrere Jahrzehnte in Anspruch nehmen kann.624 Zu Akzeptanzproblemen in der Praxis führen neben dem mit dem Realoptionsansatz verbundenen positiven Unsicherheitsverständnis625 im Wesentlichen die zum Teil beträchtlichen Anforderungen in der Anwendung. Diese nehmen ihren Ausgangspunkt in den Schwierigkeiten hinsichtlich der Bestimmung und Quantifizierung der Inputvariablen626 und münden letztlich aufgrund von realwirtschaftlichen Gegebenheiten627 in komplexe Optionsstrukturen. Deren Überführung in Bewertungsmodelle sind jedoch zumeist Grenzen hinsichtlich der Methodenkenntnissen der Entscheidungsträger gesetzt. Daher können diese

622

Die Diskussion des Ausmaßes der Anwendungshürden im Kontext junger, wachstumsorientierter Unternehmen wird im Rahmen der Analyse in Kapitel F3.2 durchgeführt. Sie dient vornehmlich der Kostendiskussion. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der angeführten Forschungsdefizite ist eine solche Analyse notwendig. So kann beurteilt werden, ob die gegen den Realoptionsansatz vorgebrachten Vorwürfe, die bisher zu einer kategorischen Ablehnung des Ansatzes als Controllinginstrument führten, ihre Berechtigung haben und insofern standhalten können.

623

Vgl. Rams (1999), S. 349.

624

Vgl. Pritsch (2000), S. 331-382. Pritsch zeigt in diesem Zusammenhang auf, dass die Diffusion des NKWAnsatzes knapp 30 Jahre beansprucht hat und wirft die Frage auf, ob dies im Fall des Realoptionsansatzes wiederum

von

Nöten

sein

wird.

Zwar

führt

er

neben

verbesserten

technologischen

und

ausbildungsbezogenen Voraussetzungen insbesondere die Fähigkeit zum organisationalen Lernen als potenzielle Gründe einer schnelleren Diffusion an, dennoch wird der Realoptionsansatz mittlerweile ebenfalls bereits seit mehr als 25 Jahren in der Literatur diskutiert. 625

Vgl. Busby/Pitts (1997a), S. 39.

626

Siehe hierzu nochmals die Ausführungen in Kapitel C3.1, sowie Hommel/Müller (1999); Hommel/Pritsch (1999a).

627

Hierzu zählt neben Wettbewerbs- und Interaktionseffekten die Tatsache an sich, dass realwirtschaftliche Handlungsspielräume oftmals exotische Realoptionsrechte darstellen. Siehe hierzu nochmals die Ausführungen in Kapitel C3.1, sowie Hommel/Müller (1999), S. 179f.

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

155

die Bewertung oftmals weder selber vornehmen noch nachvollziehen.628 Dieser Problematik verleiht THACKRAY treffend Ausdruck: „There is a limit to the amount of pure mathematics that a CEO can be expected to go for. And if the result is an incomprehensible number produced by a black box, then clearly options pricing is not going to win friends and influence the right people.”629 Gerade aus letzterem Punkt resultieren jedoch Gefahren in der Verwendung des Ansatzes. Die mangelnde Nachvollziehbarkeit der Bewertungsergebnisse für Dritte eröffnen den Projektverantwortlichen beträchtliche Potenziale einer symbolischen Verwendung des Ansatzes. Insbesondere negative Nettokapitalwerte lassen sich so unter Verweis auf Optionswerte oftmals positiv darstellen, ohne dass diese im Detail nachvollzogen werden.630 Zudem birgt die Komplexität der Methodik, sei es hinsichtlich der Datenanforderungen oder der Abbildungsstruktur die Gefahr, sich in einer Scheingenauigkeit bzw. Scheinrationalität zu verlieren.631 Sowohl die generellen Anwendungshürden als auch die mit der Nutzung verbundenen Gefahren gilt es zu überwinden, um sich die Vorteile des Realoptionsansatzes zu Eigen zu machen. Sie gilt es im Rahmen einer Kostenanalyse hinsichtlich ihres Vorliegens und ihrer Begrenzungsmöglichkeiten im Kontext junger Unternehmen zu diskutieren und das Ausmaß ihrer Wertbegrenzung zu beurteilen.632

4

Zwischenfazit

Die vorstehenden Ausführungen dienten im Wesentlichen der Bildung eines allgemeinen Grundverständnisses des Realoptionsansatzes. Hierbei handelt es sich um ein der Finanzoptionstheorie

entlehntes

Konzept

zur

Handlungsflexibilitäten.

628

Vgl. Hommel/Müller (1999), S. 180.

629

Thackray (1995), S. 20.

630

Vgl. Hommel/Müller (1999), S. 180.

631

Vgl. Hommel/Müller (1999), S. 180.

632

Eine solche Analyse wird in Kapitel F3.2 vorgenommen.

Erfassung

und

Bewertung

von

156

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

Das Nutzen von Handlungsflexibilitäten stellt eine Strategie dar, Fehlentescheidungen, die durch die beiden Merkmale Unsicherheit und Irreversibilität determiniert werden, zu begegnen. Handlungsflexibilität umfasst das zur Verfügung stehende Potenzial, offensiv – reaktiv und proaktiv – mit Unsicherheit umzugehen. Sie offenbart sich sowohl in einer stufenweisen oder verzögerten als auch in der ganz oder teilweise revidierten Entscheidungsfindung in Abhängigkeit der eintreffenden Informationen. Der Wert der Handlungsflexibilität manifestiert sich in einer asymmetrischen RisikoErtragsverteilung, d.h. dass durch das Nutzen der Handlungsflexibilität der Verlust bei negativer Entwicklung der Entscheidungsparameter auf einen bestimmten Wert begrenzt werden oder aber der Gewinn bei positiver Entwicklung der Entscheidungsparameter vergrößert werden kann. Aufgrund dieser Parallele zur Finanzoptionstheorie interpretiert der Realoptionsansatz Handlungsflexibilitäten als Optionen. Folglich werden Realoptionen als „zukünftige Handlungsspielräume und Investitionsmöglichkeiten eines Unternehmens in Verbindung mit der Fähigkeit des Managements, operative Entscheidungen an veränderte Umweltbedingungen anzupassen“633 definiert. Gemäß der oben beschriebenen Handlungsmöglichkeiten werden drei Arten von Realoptionen unterschieden: Wachstums-, Lern- und Versicherungsoptionen. Analog zur Finanzoptionstheorie wird der Wert einer Handlungsflexibilität bzw. Realoption durch sechs Werttreiber bestimmt: (1) den Wert des Underlying bzw. den Barwert der erwarteten Zahlungsströme, (2) die Volatilität des Underlying bzw. die Unsicherheit des Kapitalwertes, (3) den Wert des Ausübungspreises bzw. den Barwert der Investitionskosten, (4) die Laufzeit der Option, (5) Dividendenzahlungen des Underlying bzw. den Wertverlust des Underlying sowie (6) den Zinssatz. Der Analogie zur Finanzoptionstheorie sind aber auch Grenzen gesetzt. So müssen Realoptionen bspw. zunächst als solche identifiziert werden. Andernfalls liegen Schattenoptionen vor, die nicht genutzt werden können. Zudem bestehen oftmals Schwierigkeiten in der Bestimmung und Quantifizierung der Bewertungsparameter.

633

Hommel/Pritsch (1999b), S. 123 bzw. Pritsch (2000), S. 13f.

Der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument

157

Die Grenzen der Analogie zählen neben anderen Faktoren, wie bspw. den relativ hohen Anforderungen an Methodenkenntnisse und die damit einhergehende Gefahr der symbolischen Nutzung, zu den Herausforderungen in der Anwendung. Dennoch wird die Verwendung des Realoptionsansatzes in den unterschiedlichsten Anwendungsgebieten diskutiert. Sein Instrumentalcharakter manifestiert sich in drei Grundverwendungsarten: als Instrument der Investitionsbewertung, der Unternehmensbewertung und der Unternehmenssteuerung. Da das Aufrechterhalten und Nutzen von Flexibilität mit Kosten verbunden ist, sollte der Realoptionsansatz – gleich in welchem Verwendungszusammenhang – nur dann zur Anwendung kommen, wenn die Anwendungssituation durch ein hohes Maß an Unsicherheit geprägt ist und gleichzeitig ein entsprechendes Maß an Flexibilität zur Überwindung der Unsicherheit besteht. Situationen, die durch ein hohes Maß an Unsicherheit und Flexibilität geprägt sind, weisen einen hohen Optionscharakter auf. Hinsichtlich der Zielsetzung der Arbeit lässt sich an dieser Stelle konkludieren, dass der Realoptionsansatz als potenzielles Controllinginstrument in seiner Grundidee und seinem Instrumentalcharakter dargestellt ist. Zur Überprüfung der Eignung des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen, welche in Kapitel F vorgenommen wird, bedarf es der Klärung, welche Anforderungen an ein Controllinginstrument in jungen Unternehmen gestellt werden. Der nächste Schritt ist somit vorgegeben. Das sich anschließende Kapitel D widmet sich in Form einer Kontextanalyse der Abgrenzung des Untersuchungsobjektes und der Erarbeitung der Besonderheiten desselben. Dabei gilt es vor dem Hintergrund der Zielsetzung der Arbeit der Frage nach dem Optionscharakter junger Wachstumsunternehmen gesonderte Aufmerksamkeit zu schenken.

158

Kontextanalyse junger Wachstumsunternehmen

D Kontextanalyse junger Wachstumsunternehmen Gemäß dem zugrunde gelegten Controllingverständnis liegt die Notwendigkeit und Funktion des Controlling in dem spezifischen Kontext des jeweiligen Untersuchungsobjektes begründet. Der Zielsetzung der Arbeit entsprechend bedarf es zur Identifizierung der Controllingbesonderheiten und Controllinganforderungen junger Wachstumsunternehmen einer Kontextanalyse derselben. Eine solche wird im vorliegenden Kapitel vorgenommen. Dabei wird wie folgt vorgegangen: In der Literatur sind unterschiedliche Arten bzw. Verständnisse von jungen Unternehmen existent.634 Zur Schaffung eines einheitlichen Begriffsverständnisses ist zunächst eine in Kapitel D1 vorgenommene Abgrenzung des Untersuchungsobjektes „junge Wachstumsunternehmen“ nötig, bevor in Kapitel D2 die konstitutiven Merkmale junger Wachstumsunternehmen vorgestellt werden. Diese bestimmen die Besonderheiten dieser Unternehmen im Vergleich zu anderen Unternehmensklassen und bilden den Kontext derselben.

1

Abgrenzung des Untersuchungsobjektes

In der Literatur und im allgemeinen Sprachgebrauch existieren die unterschiedlichsten Bezeichnungen für junge Unternehmen, die teils synonym verwendet werden und sich teils auf verschiedenen Untergruppen der Klasse junger Unternehmen beziehen. Als Beispiele seien die Begriffe des „Start-Up“-Unternehmens, des jungen Technologieunternehmens (JTU), des jungen Wachstumsunternehmens, des „New Economy“-Unternehmens oder der KMU genannt.635 Damit einher gehen zumeist auch unterschiedliche Abgrenzungsmerkmale oder zumindest inhaltliche Verschiebungen in der Begriffsauffassung.636 Zur Schaffung eines

634

Siehe hierzu nachfolgend Kapitel D1.

635

Siehe hierzu Schefczyk/Pankotsch (2002), 21ff.

636

Siehe im Überblick Schefczyk/Pankotsch (2002), 23ff. sowie die dort angegebene Literatur.

K. H. Faaß, Der Realoptionsansatz als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen, DOI 10.1007/978-3-8350-9608-0_4, © Deutscher Universitäts-Verlag | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007

Kontextanalyse junger Wachstumsunternehmen

159

gemeinsamen Begriffsverständnisses wird infolgedessen zunächst eine Abgrenzung des dieser Arbeit zugrunde liegenden Untersuchungsobjektes „junge Wachstumsunternehmen“ benötigt. Eine erste Abgrenzungsmöglichkeit bietet die Unterscheidung der jungen Unternehmen nach der Art ihrer Gründung, die sich nach der Strukturexistenz, dem Grad der Selbstständigkeit und dem Innovationsgrad unterscheiden lässt.637 In Bezug auf die Strukturexistenz gilt es zu unterscheiden, ob zum Zeitpunkt der Gründung bereits ein Unternehmen oder Unternehmensstrukturen existieren, aus denen das neue Unternehmen hervorgeht, wie bspw. bei Fusionen, Übernahmen oder Umgründungen. Sollte dies der Fall sein, so liegt eine derivative Gründung vor, andernfalls eine originäre Gründung.638 Hinsichtlich des Grades der Selbstständigkeit können die beiden Fälle der selbstständigen und der unselbstständigen Gründung unterschieden werden. Erstere zeichnet sich durch einen unabhängigen Gründer und damit verbunden durch eine rechtliche Unabhängigkeit des Unternehmens von weiteren Institutionen aus. Letztere wird durch einen Angestellten eines übergeordneten Unternehmens im Rahmen seiner Aufgaben als solcher gegründet. Damit umfasst das Unternehmen keine rechtlich eigenständige Institution. Dies ist bspw. bei der Gründung von Tochtergesellschaften oder Filialniederlassungen durch einen damit betrauten Geschäftsführer der Fall.639 Bezüglich des Innovationsgrades werden innovativen Gründungen, deren Produkte oder Prozesse zumindest für das Unternehmen selbst als Neuheit aufgefasst werden können,640 von imitierenden Gründungen, deren Produkt oder Prozesse bereits am Markt von anderen Unternehmen angeboten werden, unterschieden.641 Eine Vielzahl der Gründungen im Einzelhandel oder der Gastronomie sind Beispiele für imitierende Gründungen.642

637

Vgl. Nathusius (2003), S. 21.

638

Vgl. Hommel/Knecht (2002), S. 7; Nathusius (2003), S. 21.

639

Vgl. Hommel/Knecht (2002), S. 6; Nathusius (2003), S. 21f.

640

Vgl. Schrader (1996), S. 744.

641

Vgl. Hommel/Knecht (2002), S. 8; Nathusius (2003), S. 21.

642

Vgl. Nathusius (2003), S. 21.

160

Kontextanalyse junger Wachstumsunternehmen

Wie Abbildung 17 mittels der grauen Schraffierung verdeutlicht, konzentriert sich die vorliegende Arbeit auf originäre, selbstständige und innovative Gründungen,643 da innovative Gründungen für das Forschungsfeld „Entrepreneurship“ von besonderem Interesse sind. Im Vergleich zu Existenzgründungen weisen Unternehmensgründungen eine wesentlich höhere Komplexität auf, die eine wissenschaftlich Untersuchung rechtfertigt.644 Die betrachteten Unternehmen entstehen somit „auf der grünen Wiese“, weisen einen hohen Innovationsgrad auf, sind als eigenständig zu bezeichnen und können somit nicht auf die Ressourcen eines übergeordneten Konzerns zurückgreifen und werden auch nicht von einem solchen beherrscht.

Derivative Gründungen

Originäre Gründungen

Unselbstständige Gründung

Fusion Übernahme Umgründung

Konzern- bzw. Betriebsgründung

Selbstständige Gründung

Betriebliche Existenzgründung

Unternehmensgründung

Abbildung 17: Gründungsarten (in Anlehnung an: Szyperski/Nathusius (1999), S. 27)

Mit der vorgenommenen Abgrenzung auf innovative Gründungen erfolgt gleichzeitig eine Fokussierung auf technologie- und wachstumsorientierte Unternehmen. So konstatieren HOMMEL/KNECHT, dass die Geschäftsmodelle innovativer Gründungsunternehmen „meist auf technologiebasierten Erfindungen, deren wirtschaftliche Verwertung das Unternehmens-

643

Diese werden in Abgrenzung zur Existenzgründung, bei denen die selbstständige Erwerbstätigkeit zur Existenzsicherung im Vordergrund steht, als Unternehmensgründungen bezeichnet. Hier steht die mit dem Unternehmen verbundene Geschäftsidee im Vordergrund. Vgl. Hommel/Knecht (2002), S. 5f.

644

Siehe hierzu Fallgatter (2002), S. 21f.

Kontextanalyse junger Wachstumsunternehmen

161

wachstum forcieren soll“645 fußen und stellen das Unternehmenswachstum neben der Gewinnerzielung als das wesentliche Ziel der Unternehmen heraus.646 Auch in dieser Arbeit sollen technologieorientierte Unternehmen im Betrachtungsmittelpunkt stehen. Jedoch sollen sie entgegen der in der Literatur synonym verwendeten Begriffe der Start-up-Unternehmen, High-Tech-Start-up oder JTU,647 hier als junge Wachstumsunternehmen bezeichnet werden, ohne den Technologiefokus zu vernachlässigen. Diese Bezeichnung wurde bewusst gewählt.648 So sollte der Schwerpunkt der Bezeichnung auf das Streben nach Wachstum gelegt werden, das für den weiteren Verlauf der Arbeit, insbesondere in Bezug auf die Merkmale der betrachteten Unternehmen, eine bedeutendere Rolle als die Technologieorientierung allein spielt.649 Für die weitere Betrachtung ist das Ziel des Wachstums dabei insofern von Relevanz, als die Handlungen der Unternehmungen durch dieses bestimmt sind.650 Dabei existieren in der Literatur unterschiedliche Auffassungen darüber, was unter Unternehmenswachstum zu verstehen ist. SCHYMANIETZ spricht in diesem Zusammenhang von einem „Meinungs-Tohuwabohu“651 und MÜNSTERMANN rät gar „die Interpretation des Wachstums als eine Grundentscheidung des jeweiligen Autors zu betrachten“652. Dies kommt

645

Hommel/Knecht (2002), S. 1.

646

Vgl. Hommel/Knecht (2002), S. 1-5. In der Regel erreichen imitierende Gründungen geringere Wachstumsraten als innovative Gründungen. Vgl. hierzu auch a.V. Achleitner/Bassen (2003b), S. 4.

647

Vgl. Hommel/Knecht (2002), S. 8.

648

Synonym werden in vorliegender Arbeit die Begriffe des „jungen Wachstumsunternehmens“, des „Wachstumsunternehmens“ und des „jungen Unternehmens“ verwendet.

649

Der Wachstumskomponente sollte durch die Begriffswahl ein stärkeres Gewicht verliehen werden als der Technologieorientierung.

650

Die Unternehmen selbst müssen sich aber noch nicht zwangsläufig im Wachstum befinden. Aus diesem Grunde ist eine eingehende Betrachtung so genannter „Lebenszyklusmodelle“ nicht von Nöten. Diese dienen in der Regel dazu, Unternehmen nach ihren Entwicklungsstadien zu klassifizieren und spezifische Merkmale sowie phasentypische Entscheidungssituationen zu analysieren. Eine solche Unterscheidung würde den Betrachtungsfokus der vorliegenden Arbeit zu sehr einschränken. An den Stellen, an denen eine phasenspezifische Betrachtung sinnvoll erscheint, wird gesondert darauf eingegangen. Überblicke über Phasenmodelle

sind

bei

Wippler

(1998),

Schefczyk/Pankotsch (2002), S. 22f. zu finden. 651

Schymanietz (1975), S. 1329.

652

Münstermann (1968), S. 727f.

S.

12f.;

Szyperski/Nathusius

(1999),

S.

30-34;

162

Kontextanalyse junger Wachstumsunternehmen

nicht

zuletzt

in

den

unterschiedlichen

Kriterien

zur

Quantifizierung

des

Unternehmenswachstums zum Ausdruck. Während bspw. ALBACH die Größen Anzahl der Beschäftigten, Umsatz, Eigenkapital, Summe der Investitionen und Jahresergebnis heranzieht,653 werden in jüngerer Zeit Kennziffern wie Marketingaufwendungen oder Höhe der F&E-Ausgaben betrachtet.654 Da die vorliegende Arbeit jedoch weder die Messung des Unternehmenswachstums zur Aufgabe hat, noch einer Einteilung der Unternehmen in entsprechende Wachstumsstadien bedarf, sondern lediglich die Identifizierung bzw. Berücksichtigung der sich aus der Wachstumsperspektive ergebenden Besonderheiten junger Wachstumsunternehmen erfordert, erscheint eine Interpretation des Unternehmenswachstums als positiver, qualitativer oder quantitativer Veränderungsprozess des Unternehmens655 hin zu einem etablierten Unternehmen als völlig ausreichend und zielführend. Damit ist die zu betrachtende Unternehmensklasse klar umrissen, von anderen Arten junger Unternehmen abgegrenzt und steht so einer näheren Betrachtung der ihr eigenen Merkmale als Basis der Kontextanalyse zur Verfügung.

2

Konstitutive Merkmale junger Wachstumsunternehmen

Mit Fokussierung der Betrachtung auf junge Wachstumsunternehmen verbleibt dennoch weiterhin die Frage, worin die Besonderheiten dieser Unternehmensspezies begründet liegen. Denn, wie WELSH/WHITE es zum Ausdruck bringen: „A small business is not a little big business”656. Eine Antwort auf diese Frage soll die nähere Betrachtung der Merkmale junger Unternehmen liefern. Auch wenn in der Literatur zur Abgrenzung junger Wachstumsunternehmen noch kein einheitliches Schema entwickelt wurde,657 lassen sich aus der Vielzahl der meist listenartigen

653

Vgl. Albach (1976), S. 683-696.

654

Ein Literaturüberblick zu den verschiedenen Messkriterien ist bei Ottoo (2000), S. 129 zu finden. Kurfess (1999), S. 30-39 gibt einen Überblick über Ergebnisse der empirischen Wachstumsforschung.

655

Ähnlich interpretieren Hahn (1970), S. 609; Küting (1978), S. 143; Bleicher (1999), S. 489; Hommel/Knecht (2002), S. 9 das Unternehmenswachstum.

656

Welsh/White (1981), S. 18.

657

Vgl. Achleitner/Bassen (2003b), S. 8f.

Kontextanalyse junger Wachstumsunternehmen

163

Merkmalsaufzählungen658 einige typische Charakteristika isolieren, über die in der Entrepreneurshipforschung

weitgehend

Einigkeit

besteht.

Diese

stellen

quasi

die

konstituierenden Merkmale dar; weitere Charakteristika lassen sich auf diese zurückführen bzw. sie werden durch diese bedingt.659 In der Literatur werden diese konstitutiven Merkmale oftmals als „liabilities“ bezeichnet;660 es handelt sich dabei um: x ein geringes Unternehmensalter – „liability of age/newness“ x eine geringe Größe – „liability of size/smallness“ x eine Unternehmerprägung – „Owner dominance and dependence“ x eine Wachstumsperspektive – „liability of adolescence/growth“ x ein hohes Maß an Unsicherheit – „liability of uncertainty“ Diese den Kontext junger Wachstumsunternehmen bestimmenden Merkmale sollen anschließend in ihren Ausprägungsformen und den sich daraus bedingten, weiterführenden Merkmalen zielführend betrachtet werden.661 Auch wenn die Diskussion der liabilities in der Regel im Zusammenhang mit den damit verbundenen Schwierigkeiten junger Unternehmen geführt wird, soll die nachfolgende Betrachtung zunächst wertfrei erfolgen. Der Frage, ob aus

658

Siehe bspw. Pohl (1997), S. 19-22; Mugler (1998), S. 19f.; Pleschak/Werner (1998), S. 1; Wippler (1998), S. 16; Egeln (2000), S. 12.

659

Aufgrund dieser nachgelagerten Wirkungsbeziehung wurde in der vorliegenden Arbeit die Bezeichnung der „konstitutiven Merkmale“ gewählt.

660

Vgl. Brüderl, et al. (1996), S. 60ff.

661

Die nachfolgenden Ausführungen nehmen ihren Ausgangspunkt in einer umfangreichen Literaturrecherche und einer intensiven Diskussion über die Merkmale junger Unternehmen, die in den vergangenen Monaten am Lehrstuhl Wirtschaftswissenschaften für Ingenieure und Naturwissenschaftler der RheinischWestfälischen Technischen Hochschule Aachen geführt wurde. Dabei fungierte ursprünglich ein Schema bestehend aus den Dimensionen „Struktur“, „Prozesse“, „Ressourcen“ und „Shared Values“, dem die einzelnen Determinanten junger Unternehmen gegenübergestellt wurden, als Diskussionsgrundlage. In der vorliegenden Arbeit wurden die wesentlichen Ergebnisse dieser Diskussion aufgegriffen und die einzelnen Merkmale junger Unternehmen in konstitutive und nachgelagerte Merkmale differenziert. Dabei werden die einzelnen Merkmale nicht mehr den jeweiligen Dimensionen der Diskussionsgrundlage zugeordnet, da damit eine weitere, komplexitätserhöhende Ebene in die Betrachtung gebracht werden würde, die für die weiterführende Untersuchung nur von untergeordneter Relevanz ist. Im Verlauf der Untersuchung zeigte sich, dass die meisten der nachgelagerten Merkmale durch mehrere der konstitutiven Merkmale bedingt werden. Um Doppelnennungen zu vermeiden, werden sie an der Stelle aufgeführt, von der die stärkste Bedingung angenommen wird.

164

Kontextanalyse junger Wachstumsunternehmen

den Charakteristika Vor- oder Nachteile bzw. Stärken oder Schwächen junger Wachstumsunternehmen resultieren, wird erst vor dem Hintergrund des Gesamtbildes nachgegangen. Zudem ist die Betrachtung idealtypisch zu verstehen, da sich in der Regel Verschiebungen zwischen den einzelnen Merkmalsausprägungen und ihrer Bedeutung für den Gesamtkontext ergeben, deren Resultat sich in verschiedenen Unternehmenstypen im Kontinuum zwischen jungen und etablierten Unternehmen manifestiert.662

2.1

Alter

Erstes wesentliches Merkmal663 junger Wachstumsunternehmen ist ein geringes Alter im Sinne der Dauer der wirtschaftlichen Existenz des Unternehmens.664 Der Begriff der „liability of newness“ wurde bereits in den 60er Jahren von STINCHCOMBE geprägt, der einen Zusammenhang zwischen zunehmendem Lebensalter von Unternehmen und abnehmendem Sterberisiko empirisch ermittelte.665 Dabei lässt sich allerdings kein definitives Unternehmensalter bestimmen, ab dem ein Unternehmen nicht mehr als jung oder bereits als etabliert bezeichnet werden kann.666 Dies ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass der Zeitraum der

662

Vgl. hierzu auch die Ausführungen bei Achleitner/Bassen (2002), S. 1193. Siehe zur Bedeutung dieser prozessualen Perspektive für junge Unternehmen bzw. das Forschungsgebiet des Entrepreneurship Fallgatter (2004), S. 27f.

663

Streng genommen ließen sich alle Merkmale junger Unternehmen auf ihr geringes Alter zurückführen.

664

Vgl. Hayn (2000), S. 15. Die Existenz des Unternehmens lässt sich in eine rechtliche und eine wirtschaftliche Existenz unterscheiden. Die rechtliche Existenz nimmt ihren Ausgangspunkt am Tag der Eintragung ins Handelsregister, während die wirtschaftliche Existenz sich auf die Aufnahme der Geschäftstätigkeit bezieht und bereits die Vorgründungsphase beinhalten kann. Siehe hierzu bspw. Hommel/Knecht (2002), S. 8f. Für die nähere Betrachtung der Merkmale junger wachstumsorientierter Unternehmen ist jedoch hauptsächlich die wirtschaftliche Existenz von Bedeutung.

665

Vgl. Stinchcombe (1965), S. 148ff. Die empirischen Ergebnisse konnten durch weitere Untersuchungen bestätigt werden. Vgl. hierzu Aldrich/Auster (1986), S. 175ff. und im Überblick Brüderl/Schüssler (1990), S. 531f.

666

In der Regel werden Unternehmen mit einem Alter bis zu fünf Jahren zu der Klasse der jungen Unternehmen gezählt. Oftmals – gerade in empirischen Studien – werden Unternehmen mit einem Alter von acht bis zwölf Jahren ebenfalls als „jung“ bezeichnet. Siehe m.w.N. Fallgatter (2004), S. 28.

Kontextanalyse junger Wachstumsunternehmen

165

Sterbeanfälligkeit stark durch die Branche, der das Unternehmen angehört, geprägt ist.667 Der Begründungszusammenhang für die erhöhte Sterbeanfälligkeit junger Unternehmen ist dabei sehr komplex und durch mehrere Merkmale gleichzeitig mittel- oder unmittelbar bedingt.668 STINCHCOMBE führt zwei wesentliche Gründe an. Zum einen bedarf es ob ihres jungen Alters und der damit verbundenen geringen Entwicklungsstufe zunächst intern einer Definition und eines Erlernens von Rollen, Aufgaben und Prozessen.669 Zum anderen sind junge Unternehmen zumeist dazu gezwungen, Beziehungen und Abhängigkeiten mit externen Partnern einzugehen,670 über die ihnen im Vorhinein nur begrenzt relevantes Wissen vorliegt.671 Daneben lassen sich weitere Merkmale identifizieren, die weitestgehend im direkten Zusammenhang mit der geringen Entwicklungsstufe bzw. dem geringen Alter des Unternehmens stehen. So nimmt die Gründung neuer Unternehmen oftmals ihren Ausgangspunkt in einer spezifischen Produktidee.672 Junge Wachstumsunternehmen verfügen in der Regel zunächst nur über ein Produkt, das sich meist noch in der Entwicklungsphase befindet. Neben dem damit verbundenen hohen Spezialisierungsgrad bzw. der geringen Produktdiversifizierung673 impliziert dieser Umstand, dass junge Wachstumsunternehmen bisher nur über begrenzte Möglichkeiten verfügten, Markterfahrungen zu sammeln, die Marktakzeptanz ihres Produktes zu testen und über einen nur geringen Bekanntheitsgrad in Bezug auf sämtliche Stakeholder verfügen.674 So zeigt sich bspw., dass junge Wachstumsunternehmen in der Anfangsphase

667

Vgl. Aldrich/Auster (1986), S. 175ff.

668

Aufschluss bringt wahrscheinlich erst die ganzheitliche Betrachtung dieser Unternehmensspezies.

669

Vgl. Stinchcombe (1965), S. 148ff; Aldrich/Auster (1986), S. 178.

670

Dies gilt in besonderem Maße für externe Kapitalgeber.

671

Vgl. Stinchcombe (1965), S. 148ff.

672

Hierin liegt weitestgehend die Unterscheidung zwischen Existenz- und Unternehmensgründungen begründet. Siehe hierzu nochmals Fußnote 643.

673

Vgl. Mintzberg (1979), S. 306; Montgomery (1994), S. 163-178; Mugler (1998), S. 20; Lee, et al. (1999), S. 299ff.

674

Vgl. Klandt (1999), S. 48; Szyperski/Nathusius (1999), S. 71; Gruber (2003), S. 601ff.

166

Kontextanalyse junger Wachstumsunternehmen

ihrer Geschäftstätigkeit nur über einen oder wenige Kunden verfügen.675 Dieser Aspekt spiegelt sich nicht zuletzt in niedrigen Umsatzzahlen wider.676 Zudem befindet sich das ganze Unternehmen im Aufbau. Neben den hierzu notwendigen hohen Anfangsinvestitionen,677 die sich unter Berücksichtigung der niedrigen Umsätze in negativen Cash-Flows678 und Verlusten niederschlägt,679 sind junge Unternehmen infolgedessen durch eine sich noch im Aufbau befindende Aufbau- und Ablauforganisation gekennzeichnet. Die Struktur kann als organisch bezeichnet werden; die Prozesse – insbesondere die Entscheidungsprozesse – sind kaum standardisiert und beinhalten selten repetitive Handlungen.680 Insgesamt mündet die kurze Unternehmenshistorie in einer quantitativ und qualitativ begrenzten Datenbasis, sowohl hinsichtlich unternehmensinterner Daten als auch in Bezug auf marktrelevante Informationen. So resultiert die erst geringe Existenz per se in einem begrenzten Umfang an vorliegenden Daten. Dieser wird durch die oben beschriebenen Merkmale – insbesondere die begrenzte Markterfahrung – weiter eingeschränkt. Zudem führt die mengenmäßig eingeschränkte Datenbasis unter Berücksichtigung der sich im Aufbau befindenden Unternehmung nur zu begrenzt repräsentativen Daten von geringem Aussageund Prognosegehalt.681

2.2

Größe

Der Begriff der „liability of size/smallness“, der sich auf die Bedeutung der geringen Unternehmensgröße für die Sterbeanfälligkeit von Unternehmen bezieht, lässt sich auf

675

Vgl. Gruber (2003), S. 601ff.; Jung (2004), S. 35.

676

Vgl. Achleitner/Bassen (2003b), S. 10.

677

Vgl. Hayn (2000), S. 18.

678

Vgl. Cornell/Shapiro (1988), S. 13.

679

Vgl. Roberts (1999b), S. 380; Gruber, et al. (2003), S. 34-37.

680

Vgl. Hayn (2000), S. 17.

681

Vgl. Hommel/Knecht (2002), S. 9. Bereits Schmalenbach wies auf die Bedeutung von Vergangenheitsdaten für die Ableitung von Prognosen hin. Vgl. Schmalenbach (1928), S. 9. Die Problematik der Repräsentativität der Daten wird, wie in Kapitel D2.4 zu sehen sein wird, durch die Wachstumsorientierung dieser Unternehmensspezies noch verschärft.

Kontextanalyse junger Wachstumsunternehmen

167

ALDRICH/AUSTER zurückführen.682 Auf Basis empirischer Untersuchungen identifizieren sie die folgenden drei Problembereiche junger Unternehmen, die vornehmlich durch deren geringe Größe683 und weniger durch das geringe Unternehmensalter an sich684 bestimmt sind:685 x wesentlich größere Schwierigkeiten in der Kapitalbeschaffung kleiner Unternehmen im Vergleich zu großen Unternehmen x ein

in

Relation

zu

den

vorhandenen

Ressourcen

kleiner

Unternehmen

unverhältnismäßig hoher, durch Gesetzgebung und Steuerregelungen verursachter Aufwand x in Ermangelung einer eigenen Personalabteilung sind die Unternehmer gezwungen, sich selbst um die Rekrutierung und Ausbildung ihrer Mitarbeiter zu kümmern. Energie, die sie in Kunden und Markt investieren sollten, geht verloren. Daneben können kleine Unternehmen nur selten Vollkaufleute einstellen. Das Übersehen finanzieller Schwierigkeiten ist die Folge. Von diesen von ALDRICH/AUSTER identifizierten Problembereichen abstrahiert, lässt sich folgern, dass junge Unternehmen bedingt durch ihre geringe Unternehmensgröße nur über

682

Vgl. Aldrich/Auster (1986), S. 180. Auf Basis ihrer empirischen Untersuchungen kommen Aldrich/Auster zu dem Ergebnis, dass die Unternehmensgröße eine noch bedeutungsvollere Rolle für die Überlebenswahrscheinlichkeit spielt, als das Alter. So zeigte sich, dass die Sterberate für Unternehmen mit weniger als 21 Mitarbeitern unabhängig vom Alter höher ist, als für alle anderen von Aldrich/Auster untersuchten Unternehmensgrößen. Vgl. Aldrich/Auster (1986), S. 173f. Siehe ähnlich Freeman, et al. (1983), S. 706f. Die empirischen Ergebnisse wurden wiederum durch weitere Untersuchungen bestätigt. Siehe hierzu Singh/Lumsden (1990), S. 176; Brüderl, et al. (1996), S. 35.

683

Vgl. Mugler (1998), S. 18ff. In einer empirischen Untersuchung des Beschäftigungseffektes junger Unternehmen in Oberbayern stellten Brüderl/Preisendörfer fesst, dass lediglich 12% der Unternehmen nach vier Jahren seit Gründung mehr als fünf Mitarbeiter haben. Siehe hierzu Brüderl/Preisendörfer (2000), S. 55. Siehe für ähnliche Ergebnisse in den USA Minniti/Bygrave (2003), S. 15.

684

Es handelt sich hierbei um Problembereiche, die auch mit zunehmendem Alter aber weiterhin geringer Größe bestehen bleiben.

685

Vgl. Aldrich/Auster (1986), S. 181ff.

168

Kontextanalyse junger Wachstumsunternehmen

begrenzte Ressourcen – meist in personeller und finanzieller Hinsicht – verfügen686 und demgemäß ob ihrer geringen Größe nicht von Skalen- oder Synergieeffekten profitieren können.687 Zudem zeigt sich, dass ihre organisatorische Ausdifferenzierung und die damit verbundene Abteilungsbildung in der Regel nur in geringem Maße entwickelt ist688 und sie – nicht zu letzt in der Konsequenz – durch eine flache Hierarchie gekennzeichnet sind.689 Eng mit letzterem Punkt verbunden sind die kurzen Kommunikations- und Entscheidungswege, die die Prozesse in jungen Unternehmen prägen690 und sich in einer deutlich höheren Flexibilität niederschlagen, als sie bei etablierten Unternehmen vorhanden ist. In diesem Zusammenhang wird oftmals auf eine in Wachstumsunternehmen vorzufindende hohe Mitarbeitermotivation und -identifikation hingewiesen,691 die durch unterschiedliche Faktoren bedingt ist. Genannt werden diesbezüglich die vorherrschende flache Hierarchie692 und die damit oftmals verbundene hohe Verantwortlichkeit des einzelnen Mitarbeiters sowie die Tatsache, dass sich in einem kleinen Unternehmen alle Mitarbeiter persönlich kennen.693

686

Vgl. Nooteboom (1993), S. 283ff.; Gruber (2003), S. 602. Die Begrenzung bezieht sich dabei auf nahezu alle Ressourcen des Unternehmens. Vgl. Küting (1980), S. 10; Engel (2002), S. 50ff. In der Literatur werden zumeist nur die Konsequenzen der finanziellen und personellen Begrenzungen diskutiert. Vgl. Achleitner/Bassen (2003b), S. 9.

687

Vgl. Nooteboom (1993), S. 283ff. Im Gegenteil wird in Zusammenhang mit jungen Unternehmen teilweise auf diametral entgegengesetzte betriebswirtschaftliche Zusammenhänge hingewiesen, wie bspw. sog. „Reverse Economies of Scale“, die den Effekt ansteigender Kostenbelastung bei zunehmender Produktionsmenge bezeichnen. Siehe hierzu Wieland (2002), S. 79.

688

Vgl. Sabisch (1999), S. 20f.; Grinnell (2003), S. 36.

689

Vgl. Mintzberg (1979), S. 306; Mintzberg (1996), S. 220; Grinnell (2003), S. 36.

690

Vgl. Churchill/Lewis (1983), S. 30ff.; Sabisch (1999), S. 20.; Gruber (2003), S. 602.

691

Vgl. Klandt (1999), S. 48; Jung (2004), S. 35.

692

Vgl. Mintzberg (1996), S. 220; Mintzberg (1979), S. 306;Grinnell (2003), S. 36.

693

Vgl. Carson (1985), S. 8; Mugler (1998), S. 20.

Kontextanalyse junger Wachstumsunternehmen

2.3

169

Unternehmerprägung

Ein weiteres wesentliches Charakteristikum junger Unternehmen ist – auch wenn es nicht direkt als liability bezeichnet wird – die starke Prägung durch den Unternehmer694 bzw. das Gründerteam.695 Die starke Unternehmerprägung lässt sich auf mehrere Faktoren zurückführen, bspw. auf die Personenidentität von Eigentum und Management696, auf eine im Vergleich zu angestellten Managern wesentlich stärkere Machtposition der Gründer697 oder auf die ideelle Bindung des Unternehmers an sein Unternehmen und die dahinter stehende eigene Produktidee.698 Die Unternehmerprägung schlägt sich dabei sowohl in einer Dominanz des Unternehmers („owner dominance“) in allen Bereichen des Unternehmens, als auch in einer Abhängigkeit des Unternehmens von der Person des Unternehmers bzw. dem Gründerteam („owner dependence“) nieder. So ist zumeist eine starke Einbindung und Einflussnahme des Unternehmers in sämtliche Bereiche und Aspekte des Unternehmens zu verzeichnen,699 die sich insbesondere in einer Zentrierung der Entscheidungsfindung700 und der Kontrolle701 widerspiegelt.

694

Zum Unternehmerbegriff siehe den Überblick bei Bretz (1991), 278-281 sowie Wolf/Haberstroh (2002), S. 129ff.

695

Siehe zu verschiedenen Definitionsansätzen des Begriffs Gründerteam den Überblick bei Wolf/Haberstroh

696

Vgl. Mugler (1998), S. 20; Richter (1999), S. 17; Pleitner (2001), S. 1145ff.; Drumm (2002), S. 193ff.

697

Vgl. Storey/Sykes (1996), S. 86.

698

Streng genommen stellt die starke Unternehmerprägung somit bereits die Konsequenz vorgelagerter,

(2002), S. 137.

konstitutiver Merkmale junger Unternehmen dar. Da die genannten Faktoren in die gleiche Richtung wirken, und zudem erst die Unternehmerprägung an sich das entscheidende Abgrenzungsmerkmal junger Unternehmen zu etablierten Unternehmen darstellt, unabhängig davon, worin sie ihren Ursprung nimmt, stellt sie ein konstitutives Merkmal dieser Unternehmensspezies dar. 699

Vgl. Schöllhammer/Kuriloff (1979), S. 178ff.; Carson (1985), S. 8; Stokes (2000a), S. 47.

700

Vgl. Kao (1989), S. 184; Stokes (2000a), S. 47; Drumm (2002), S. 194.

701

Vgl. Mintzberg (1996), S. 221.

170

Kontextanalyse junger Wachstumsunternehmen

Die Konsequenz dessen ist eine starke Abhängigkeit von den Fähigkeiten und der Motivation – dem Können und Wollen – der Unternehmer.702 In diesem Zusammenhang wird oftmals von dem Unternehmer als wichtigste Ressource des Unternehmens gesprochen.703 Aufgrund dieser hohen Bedeutung des Unternehmers widmen sich zahlreiche Studien der psychologischen Motivstruktur und den Fähigkeiten von Unternehmern. Dabei wird einerseits der Frage nachgegangen, worin sich ein Unternehmer von „Nicht-Unternehmern“ unterscheidet, sowie untersucht, welche Fähigkeiten einen erfolgreichen von einem erfolglosen Unternehmer unterscheiden.704 Diese Fragestellungen werden ebenfalls auf die Teamebene übertragen.705 Trotz der durchaus hohen Anzahl an Untersuchungen zu diesem Gebiet liegen bisher nur wenig gesicherte Aussagen vor. Weitestgehend Einigkeit herrscht über eine ausgeprägte Risikobereitschaft von Gründern. In diesem Zusammenhang werden sie gerne mit Aussagen wie „a person who typically is focused on opportunities and not so much on constraints“706 oder „[e]ntrepreneurs are value creators, investing today in hopes of generating cash flows [sic!] tomorrow“707 umschrieben. Hinsichtlich der Leistungsbereitschaft und der internen Kontrollüberzeugung wird Unternehmern zwar ebenfalls eine hohe Ausprägung zugesprochen, zugleich aber auf Abweichungen in den Untersuchungsergebnissen hingewiesen und die Frage nach der Unterscheidung zu „Nicht-Unternehmern“ aufgeworfen.708

702

Vgl. Kazanjian (1988), S. 264; Schefczyk/Pankotsch (2002), S. 32; Shane/Stuart (2002), S. 154.

703

Vgl. Carson (1985), S. 8f.; Hermann (1996), S. 142f; Bhidé (2000), S. 47; Hadjianolis (2000), S. 265ff. Aufgrund dieser starken Abhängigkeit von der Gründerpersönlichkeit wird der Gründungsfinanzierung der Charakter einer spezifischen Investition zugesprochen. Vgl. Hart/Moore (1994), S. 841-879. Die Bedeutung der Gründerpersönlichkeit bzw. der Teamzusammensetzung wird auch durch Kapitalgeber betont, die diesem Aspekt in der Mittelvergabe eine hohe Gewichtung geben. Siehe hierzu bspw. die empirischen Befunde bei MacMillan, et al. (1988); Knight (1994); Brettel, et al. (2001), S. 16; Brettel (2001), S. 30ff. Brettel (2004), S. 131ff. und S. 228ff.

704

Siehe für einen Überblick über empirische Studien bzgl. der Gründerpersönlichkeit exemplarisch Wolf/Haberstroh (2002); Gemünden/Konrad (2005); Salomo/Brinckmann (2005).

705

Einen Überblick über empirische Studien zu Entrepreneurial Teams bieten Mellewigt/Späth (2005).

706

Petty/Bygrave (1993), S. 132.

707

Sahlman (1999), S. 239.

708

Siehe hierzu exemplarisch die Ausführungen bei Wolf/Haberstroh (2002), S. 132; Gemünden/Konrad (2005), S. 11ff.; Salomo/Brinckmann (2005), S. 39ff. jeweils m.w.N.

Kontextanalyse junger Wachstumsunternehmen

171

Hinsichtlich der Kompetenzen von Unternehmern wird zwar durchweg auf eine positive Wirkung der Ausbildung und Fachkompetenz, der Branchen- und Managementerfahrung sowie der sozialen Kompetenz auf den Unternehmenserfolg hingewiesen, jedoch besteht Uneinigkeit hinsichtlich der Wirkungsintensität.709 Zudem kann in der Regel nicht von dem Vorliegen dieser Fähigkeiten ausgegangen werden.710 Im Gegenteil wird oftmals auf mangelnde betriebswirtschaftliche Kompetenz von Gründern insbesondere technologieorientierter Unternehmen, wie sie im Betrachtungsfokus der vorliegenden Arbeit stehen, hingewiesen.711 Auf Teamebene besteht zudem bspw. Uneinigkeit hinsichtlich der Wirkung der Heterogenität der Gruppe auf den Unternehmenserfolg. Positive Wirkung wird ihr in Bezug auf ein kritisches Hinterfragen, eine höhere Anzahl an überdachten Handlungsalternativen und eine höherer Innovationskraft zugesprochen; negative Wirkungen jedoch lassen sich aufgrund von Reibungen im Entscheidungsprozess und einer hohen Fluktuationsrate ausmachen.712 Aufgrund der Personenidentität von Eigentum und Management kann dabei das Wollen des Wachstumsunternehmens im Sinne eines Akteurs höherer Ordnung weitestgehend mit dem Wollen des Unternehmers gleichgesetzt werden. An oberster Stelle steht dabei die positive Wertentwicklung des Unternehmens bzw. das Wachstumsziel.713 Daneben sind weitere Präferenzen wie der Wunsch nach Selbstständigkeit, das Sammeln unternehmerischer Erfahrungen oder die so genannte „on the job consumption“714 zu beobachten. Das Können

709

Siehe hierzu exemplarisch die Ausführungen bei Wolf/Haberstroh (2002), S. 132; Gemünden/Konrad (2005), S. 11ff.; Salomo/Brinckmann (2005), S. 39ff. jeweils m.w.N.

710

Für die vorliegende Betrachtung ist dabei von Relevanz, welche Auswirkungen die Existenz bestimmter Faktoren oder eben ein Mangel an diesen Faktoren auf den Rationalitätsgehalt des Führungskontextes hat. Dies wird im Verlauf der Arbeit weiter untersucht.

711

Vgl. Amit, et al. (1993), S. 825; Reitmeyer (2000), S. 40; implizit Weber (2002), S. 35; Atherton (2003), S. 1384.

712

Siehe hierzu m.w.N. die Ausführungen bei Wolf/Haberstroh (2002), S. 139f.

713

Siehe hierzu nochmals Kapitel D1.

714

Der Begriff „on the job consumption“ stellt dabei die Möglichkeit des Unternehmers dar, den persönlichen Konsum über die positive Wertentwicklung des Unternehmens zu stellen, bzw. persönliche Ziele zu verfolgen, die der Unternehmensentwicklung nicht dienlich sind.

172

Kontextanalyse junger Wachstumsunternehmen

des Wachstumsunternehmens wird aufgrund der „Owner dominance/dependence“ stark durch das Können des Unternehmers geprägt, zudem aber durch korporative Fähigkeiten ergänzt.715

2.4

Wachstumsorientierung

Mit der Eingrenzung des Untersuchungsobjektes auf junge Wachstumsunternehmen ist die Wachstumsorientierung als weiteres konstitutives Merkmal gelegt. Wachstum im Sinne eines qualitativen und quantitativen Veränderungsprozesses als oberstes Ziel des Unternehmens716 stellt insofern ein konstitutives Merkmal dar, als das Unternehmen sowohl in seinem Handeln durch das Ziel zu wachsen, als auch durch den Wachstumsprozess an sich in seinem Wesen geprägt ist. Der Wachstumsprozess an sich geht im Wesentlichen mit einer Ausweitung der Geschäftstätigkeit – sei es in Bezug auf eine regionale Ausdehnung, eine Erweiterung der Produktpalette oder schlicht eine breitere Kundenbasis, die es zu bedienen gilt – einher und schlägt sich neben steigenden Umsatzzahlen vornehmlich in einer wachsenden Zahl an Mitarbeitern nieder. Organisatorische Veränderungen, sowohl in Bezug auf die Aufbau- als auch die Ablauforganisation, setzen unbewusst ein oder werden aktiv eingeleitet. Die Einführung formaler Strukturen sowie die Institutionalisierung von Prozessen stellen weitere Herausforderungen an das Management junger Unternehmen. Sie müssen zusätzlich zu den täglichen Geschäftsvorfällen bewältigt werden und erfordern ein außerordentliches Maß an Aufmerksamkeit von Seiten der Gründer.717 Diese Herausforderungen können in so genannte Wachstumskrisen münden und das Unternehmen in seiner Existenz bedrohen.718 BRÜDERL/SCHÜSSLER prägten hierfür den Begriff der „liability of adolescence“.719 Dabei zeigt sich, dass eine Vielzahl der Wachstumsunternehmen bereits unmittelbar nach der Gründung

715

Vgl. m.w.N. Brettel (2004), S. 95ff.

716

Siehe hierzu nochmals die Ausführungen in Kapitel D1.

717

Vgl. Churchill/Lewis (1983), S. 30ff.; Kazanjian (1988), S. 264f.; Kazanjian/Drazin (1990), S. 137ff:; Gruber (2003), S. 602. Siehe zur Auswirkung des Wachstums auf die Organisation Roberts (1999a), S. 361376; Roberts (1999b), S. 377-391.

718

Vgl. Greiner (1972), S. 37-46; Churchill/Lewis (1983), S. 30ff.; Robey/Sales (1994), S. 326-359; Roberts (1999a), S. 361ff.

719

Vgl. Brüderl/Schüssler (1990), S. 530ff. Siehe auch Fichman/Levinthal (1991), S. 442ff.

Kontextanalyse junger Wachstumsunternehmen

173

ein überproportionales, quantitatives Wachstum aufweisen,720 so dass insgesamt unter Betrachtung der kurzen Zeitspanne, in der sich der Prozess vollzieht, diese Unternehmen durch einen extremen Wandel gekennzeichnet sind und ein weiteres Mal die Repräsentativität der wenigen vorliegenden Daten in Frage gestellt werden muss.721 Während die Merkmale eines deutlichen, sich intern vollziehenden Wandels in all seinen Ausprägungsformen im Wesentlichen auf den Wachstumsprozess an sich zurückzuführen ist, muss die Betrachtung der sich aus der Wachstumsorientierung bedingenden Merkmale im Prinzip noch aus einer weiteren Perspektive erfolgen. Denn schon allein aus der Bestrebung zu wachsen ergeben sich einige Besonderheiten von und für Wachstumsunternehmen, die von erheblicher Bedeutung sein können.722 Neben den durch das geringe Unternehmensalter bedingten Ingangsetzungsinvestitionen führt das Bestreben zu wachsen zu erheblichen, wachstumsbedingten Erweiterungsinvestitionen.723 Da das realisierbare Investitionsvolumen sowie die Wachstumsgeschwindigkeit maßgeblich von den zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln determiniert wird,724 weisen junge Unternehmen einen erhöhten Kapitalbedarf auf.725 Jedoch ist diese Unternehmensgruppe in der Regel durch einen negativen Leistungssaldo726 gekennzeichnet, so dass das benötigte

720

Vgl. Almus/Nerlinger (2000), S. 1-12.

721

Siehe hierzu bereits die Ausführungen in Kapitel D2.1.

722

Aufgrund des generellen Bestrebens zu wachsen, spielt für den weiteren Gang der Untersuchung eine Unterscheidung, ob sich das Unternehmen bereits im Wandel befindet oder erst noch ein Wandel angestoßen wird, keinen Unterschied. Es gilt lediglich zu berücksichtigen, dass ein Wachstum angestrebt wird und bei positivem Verlauf der Geschäftentwicklung ein solcher Wandel einsetzen wird und daher die damit verbundenen Aspekte nicht vernachlässigt werden dürfen.

723

Vgl. Churchill/Lewis (1983), S. 34.

724

Siehe zum Zusammenhang zwischen Investitionsvolumen und zur Verfügung stehenden Zahlungsströmen bspw. Gertler/Gilchrist (1994), S. 309-340; Lamont (1997), S. 1345-1363. Bzgl. des Einflusses der Zahlungsströme auf die Wachstumsgeschwindigkeit vgl. Hayn (2000), S. 30.

725

Hayn weist dabei explizit daraufhin, dass der hohe Finanzmittelbedarf junger wachstumsorientierter Unternehmen nicht nur durch „die relativ hohen Ingangsetzungs- und Anfangsinvestitionen in der Anlaufphase, sondern … maßgeblich auch durch die mit dem enormen Unternehmenswachstum einhergehenden Erweiterungsinvestitionen verursacht“ (Hayn (2000), S. 9) wird.

726

Der Leistungssaldo wird aus der Differenz von Leistungseinzahlungen und Leistungsauszahlungen gebildet. Siehe hierzu u.a. Franke/Hax (1994), S. 10. Siehe bzgl. des negativen Vorzeichens des Leistungssaldos auch nochmals die Ausführungen in Kapitel D2.1.

174

Kontextanalyse junger Wachstumsunternehmen

Finanzierungsvolumen Wachstumsunternehmen

die auf

Innenfinanzierungsmöglichkeiten externe

Finanzierungsquellen

übersteigt angewiesen

und

junge 727

sind.

Die

spezifischen Merkmale junger Unternehmen verwehren diesen oftmals den Zugang zu klassischen externen Finanzierungsformen, wie bspw. der Kreditfinanzierung durch Banken. Viel eher muss zur Überwindung der Finanzierungsschwierigkeiten neben Familie und Freunden sowie so genannte Business Angels, die zumeist in der Anlaufphase unterstützend wirken, insbesondere auf Venture-Capital-Geber zurückgegriffen werden.728 Des Weiteren zeigt sich, dass sich junge Unternehmen nicht nur bzgl. der relativen Höhe des Finanzbedarfs und der Möglichkeit zu dessen Deckung von etablierten Unternehmen unterscheiden, sondern dass sie auch Besonderheiten hinsichtlich des zeitlichen Auftretens und der Verwendungsquellen des wachstumsbedingten Finanzbedarfs aufweisen. So hebt bspw. OTTOO die Ungewissheit über den Kapitalbedarf junger Wachstumsunternehmen hervor und spricht in diesem Zusammenhang von einer „volatility in capital requirements“729. Die Ungewissheit resultiert dabei weitestgehend aus dem relativ hohen Anteil an Investitionen in immaterielle Vermögensgegenstände730 bzw. in Forschung und Entwicklung (F&E), deren absolute Höhe sowie der Zeitpunkt des Auftretens im Vorhinein nur bis zu einem gewissen Grad abzusehen ist.731 Dabei ist der relativ hohe Anteil der Investitionen in F&E wiederum ein Ausdruck des kontinuierlichen Innovationsbedarfs bzw. der Wachstumsorientierung an

727

Vgl. Hayn (2000), S. 9. Sahlman fasst den Zusammenhang zwischen Wachstumsbestreben und der Abhängigkeit von externen Finanzierungsquellen folgendermaßen zusammen: „Growth in sales must be supported by growth in assets. … In turn, growth in assets must be supported by increase in stockholders’ equity through retained earnings, stock sales or increase in external liabilities. High growth rates may require … to rely heavily on external funding.” (Sahlman (1999), S. 240f.).

728

Vgl. Brettel (2002), S. 355ff.; Hochgesand (2002), S. 370ff. Siehe grundlegend zur Thematik der Finanzierung junger Wachstumsunternehmen Brettel, et al. (2005).

729

Ottoo (2000), S. 92.

730

Siehe zum relativ hohen Anteil der Investitionen in immaterielle Vermögensgegenstände bspw.

731

Der Unterschied zu etablierten Unternehmen liegt dabei einerseits in der Struktur der Investitionstätigkeit als

Achleitner/Bassen (2003b), S. 12; Gruber, et al. (2003), S. 27ff.

auch in den Finanzierungsquellen begründet. Während der relative Anteil an Investitionen in F&E bei etablierten Unternehmen in der Regel weitaus geringer als bei jungen Unternehmen ist und somit auch die Unsicherheit geringer ist, stehen etablierten Unternehmen zudem durch ihre Selbstfinanzierungskraft und ihren leichteren Zugang zum Finanzmarkt ganz andere Möglichkeiten zum Abfangen dieser Unsicherheit zur Verfügung. Vgl. Ottoo (2000), 92.

Kontextanalyse junger Wachstumsunternehmen

175

sich.732 Während in der Literatur oftmals der hohe Anteil an F&E-Aufwendungen mit einem kontinuierlichen Innovationsbedarf zur Realisierung des Wachstumspotenzials in Verbindung gebracht wird,733 weist OTTOO darüber hinaus auf die Bedeutung der F&E-Investitionen zur Schaffung einer führenden Wettbewerbsposition hin.734 Mit der Wachstumsorientierung gehen nicht nur begrenzte finanzielle Ressourcen einher, sondern auch die Ressource Zeit wird zu einem kritischen Faktor.735 Die Branchendynamik und der damit einhergehende Innovationsdruck verleiht First-Mover-Vorteilen und FastFoller-Strategien eine besondere Bedeutung;736 das Unternehmen ist ob seinems Wachstumsbestrebens und der geforderten Innovationskraft einem permanenten Zeitdruck ausgesetzt.

2.5

Unsicherheit

Wie den vorstehenden Kapiteln D2.1 – D2.4 bereits zu entnehmen ist, sind junge Wachstumsunternehmen

durch

ein

Unsicherheitsmoment

gekennzeichnet.737

Dieses

unterscheidet sich sowohl in der Intensität als auch in der Wirkungsweise deutlich von der Art der Unsicherheit, der etablierte Unternehmen ausgesetzt sind, so dass mit der „liability of uncertainty“ ein weiteres konstitutives Merkmal gegeben ist. Diese Unsicherheit wird sowohl unternehmensintern als auch durch die Unternehmensumwelt bestimmt. Dabei zeigt sich, dass das spezifische, interne Unsicherheitsmoment junger Unternehmen weitestgehend aus einer Kombination ihrer wesentlichen Charakteristika resultiert. Altersbedingt verfügen junge Unternehmen nur über geringe Informationen oder Erfahrungen

732

Gerade in Bezug auf die so genannten JTUs wird der hohe Anteil von F&E-Aufwendungen am Umsatz und der hohe Anteil von F&E-Beschäftigten an der Gesamtbeschäftigtenzahl sowie eine gute Ausstattung mit F&E-Technik als eines der charakterisierenden Merkmale dieser Unternehmen genannt. Siehe hierzu Pleschak/Werner (1998), S. 1.

733

Siehe hierzu bspw. Szewczyk, et al. (1996), S. 105ff.; Kulicke (1993), S. 14.

734

Vgl. Ottoo (2000), S. 93 Unter Bezug auf F&E-Aufwendungen stellt er die Bedeutung von Investitionen für die Wettbewerbsposition dar: „ [C]apital expenditures are a necessary price to pay to acquire the monopoly rents” (Ottoo (2000), S. 128).

735

Vgl. Schäffer/Weber (2003), S. 223.

736

Vgl. Schrader (1996), S. 743-758; Liebermann/Montgomery (1998), S. 1111-1125.

737

Vgl. Gruber (2003), S. 602 sowie die Kapitel D2.1 - D2.4.

176

Kontextanalyse junger Wachstumsunternehmen

hinsichtlich der Marktakzeptanz ihres Produktes. In diesem Zusammenhang wird jungen Unternehmen ein experimenteller Charakter zugesprochen, da bzgl. der Vorteilhaftigkeit einer neuartigen Ressourcenkombination zur Befriedigung eines spezifischen Bedürfnisses, das gegebenenfalls noch geweckt werden muss, keinerlei Informationen vorliegen.738 Diese Unsicherheit wird dahingehend verstärkt, als es sich zumeist um außergewöhnliche, völlig neuartige Produkte oder Verfahren handelt, die zudem einen hohen technologischen Bezug aufweisen und oftmals noch Unsicherheiten bzgl. Kosten- und Produktionsfunktion bzw. der technologischen Realisierbarkeit bestehen.739 Auch im Zeitablauf wird sich der Grad der Unsicherheit nur bedingt auflösen; durch die wachstumsbedingte

endogene

Entwicklungsdynamik

und

die

damit

einhergehende

permanente Veränderung der internen Ressourcenkombinationen740 kommen zunächst weitere Unsicherheitsmomente hinzu. Der in diesem Zusammenhang bestehende relativ hohe Anteil an F&E-Aufwendungen ist neben anderen Faktoren, wie bspw. die Schwierigkeiten bzgl. der Selbstfinanzierungskraft und des Zugangs zu externen Kapitalquellen, ein weiteres Anzeichen für die interne finanzielle Unsicherheit junger Unternehmen. Sie sind somit einer extrem hohen Unsicherheit über den Geschäftserfolg ausgesetzt.741 Die Beantwortung der Frage der Marktakzeptanz wird zudem durch die externe Unsicherheit, der sich junge Unternehmen in der Regel ausgesetzt sehen, weiter erschwert. Eine Betrachtung des Unternehmensumfeldes junger Unternehmen zeigt, dass diese oftmals in Branchen

tätig

sind,

die

eine

deutlich 742

Unternehmensumfeld etablierter Unternehmen.

höhere

Dynamik

aufweisen

als

das

Die höhere Dynamik liegt dabei zu einem

Großteil in der hohen Innovationsausrichtung und Innovationskraft der sich in der Branche befindlichen Unternehmen begründet.743 Zudem müssen sich die Branchen zunächst noch formieren; Beziehungen zu Lieferanten und Kunden müssen erst aufgebaut werden,

738

Vgl. Starr/MacMillan (1990), S. 81; Atherton (2003), S. 1384; Gruber (2003), S. 602.

739

Vgl. Amit, et al. (1993), S. 825.

740

Vgl. Schäffer/Weber (2001b), S. 6f.; Achleitner/Bassen (2003b), S. 9.

741

Siehe hierzu nochmals Kapitel D2.4.

742

Vgl. Tushman/Anderson (1986), S. 459ff.; Siegel, et al. (1993), S. 169ff.; Aldrich/Fiol (1994), S. 649ff.; Pleschak/Werner (1998); 1; Wippler (1998), S. 16; Schäffer/Weber (2001b), S. 6f.; Achleitner/Bassen (2003b), S. 4 und S. 10.

743

Vgl. Hommel/Knecht (2002), S. 10.

Kontextanalyse junger Wachstumsunternehmen

177

Wettbewerber sind oftmals noch nicht bekannt, die Wettbewerbskräfte sind an sich instabil, marktrechtliche Spielregeln müssen noch definiert werden.744 Selbst wenn sich Wachstumsunternehmen in bereits bestehenden Branchen ansiedeln kann dies zu einer Steigerung der Dynamik und somit zum Einbringen eines erhöhten Unsicherheitsmomentes führen. So führen die neuartigen Geschäftsmodelle dieser Unternehmen zu einer Veränderung der Umfeldstruktur, Marktbedingungen und marktrechtliche Spielregeln werden modifiziert, nicht selten kommt es zu einem Wandel ganzer Industrien.745 Zusammenfassend zeigt sich, dass die Merkmale „geringes Alter“, „geringe Größe“, „Unternehmerprägung“ und „Wachstumsperspektive“ in ein hohes endogenes und exogenes Unsicherheitsmoment münden, durch das junge Wachstumsunternehmen determiniert werden und das sie von etablierten Unternehmen unterscheidet.

3

Zwischenfazit

Vorstehendes Kapitel D diente der Abgrenzung des Untersuchungsobjektes junge Wachstumsunternehmen sowie der Herausarbeitung ihrer Besonderheiten, die letztendlich eine gesonderte Betrachtung begründen. Der Fokus der Arbeit liegt dabei auf der Untersuchung originärer, selbstständiger und innovativer Unternehmensgründungen, deren wesentliche Zielsetzung neben der Gewinnmaximierung in einem hohen Unternehmenswachstum besteht. Die betrachtete Unternehmensklasse ist durch die konstitutiven Merkmale (1) geringes Alter, (2) geringe Größe, (3) Unternehmerprägung und (4) Wachstumsperspektive charakterisiert. Diese vier konstitutiven Merkmale münden mit ihren jeweiligen bestimmten Merkmalen in eine hohe interne und externe Unsicherheit. Diese stellt das fünfte konstitutive Merkmal junger Wachstumsunternehmen dar. Wird zusammenfassend ein Vergleich zwischen jungen und etablierten Unternehmen gezogen, so zeigt sich, dass sich die Besonderheiten junger

744

Vgl. u.a. van Geldern/Frese (2000), S. 170; Stuart, et al. (1999), S. 316; Tushman/Anderson (1986), S. 441. Ottoo verweist diesbezüglich auf einen signifikant niedrigeren Herfindhal-Hirschman-Index bei Wachstumsunternehmen als bei etablierten Unternehmen. Vgl. Ottoo (2000), S. 101f. Dieser Index dient als Maß für die Branchenkonzentration. Ein niedriger Wert wird als wettbewerbsintensives Branchenumfeld gedeutet.

745

Vgl. Hommel/Knecht (2002), S. 1f.

178

Kontextanalyse junger Wachstumsunternehmen

Unternehmen in zwei wesentlichen – sowohl positiven als auch negativen – Aspekten manifestieren. Auf der einen Seite sind junge Unternehmen im Vergleich zu etablierten Unternehmen aufgrund ihrer konstitutiven Merkmale erheblichen Schwierigkeiten ausgesetzt, die letztlich in das Merkmal der hohen Unsicherheit münden. Auf der anderen Seite besitzen junge Unternehmen aber einen entscheidenden Vorteil gegenüber etablierten Unternehmen, der vornehmlich in ihrer geringen Größe begründet liegt: ihre hohe Flexibilität. Der Nachteil der hohen Unsicherheit und der Vorteil der hohen Flexibilität münden letztendlich in der Konklusion eines hohen Optionscharakters als wesentliches Differenzierungsmerkmal junger Unternehmen zu etablierten Unternehmen.746 Der Bedeutung dieses Aspekts wird in den nachfolgenden Kapiteln weiter vertiefend Beachtung geschenkt. Nachstehende Abbildung 18 fasst die Ergebnisse der Kontextanalyse zusammen.

Geringes Alter

Geringe Größe

Unternehmerprägung

Wachstumsperspektive

• Geringe Diversifizierung • Hoher Spezialisierungsgrad • Geringer Bekanntheitsgrad • Geringes marktseitiges Vertrauen • Begrenzte Kundenbasis • Geringe Umsätze, negative Cash Flows, geringe bzw. keine Gewinne • Hohe Aufbauinvestitionen • Organische Struktur • Geringe Standardisierung • Quantitativ und qualitativ begrenzte Daten/Wissensbasis

• Geringe organisatorische Ausdifferenzierung/ Abteilungsbildung • Begrenzte personelle Ressourcen • Begrenzte finanzielle Ressourcen • Keine Skalen- oder Synergieeffekte • Flache Hierarchie • Kurze Kommunikationsund Entscheidungswege • Hohe Flexibilität • Hohe Mitarbeitermotivation/identifikation

• Hohe Abhängigkeit von der Person (Können und Wollen) des Unternehmers bzw. des Unternehmerteams auf allen Ebenen • Zentralisation der Willensbildung und Kontrolle • Geringes betriebswirtschaftliches Methodenwissen

• Zeitdruck • Starker Wandel auf allen Ebenen/hohe Dynamik • Hoher, mit Unsicherheit behafteter Finanzbedarf • Wagniskapitalfinanzierung • Überproportionale F&EAufwendungen • Weitere Einschränkung der Datenrepräsentativität

Hohe Unsicherheit • Interne Unsicherheit • Externe Unsicherheit

Hoher Optionscharakter

Abbildung 18: Konstitutive Merkmale junger Wachstumsunternehmen

746

Aus diesem Grunde bezeichnet bspw. Wieland den Optionscharakter als ein weiteres konstitutives Merkmal von Wachstumsunternehmen. Siehe hierzu Wieland (2002), S. 92ff. Der hohe Optionscharakter kommt wie vorstehend bereits angedeutet durch den hohen F&E-Anteil zum Ausdruck. Siehe hierzu Szewczyk, et al. (1996), S. 105-110. Mitchell/Hamilton fassen dies wie folgt zusammen: „[T]hese expenditures are not so much directed toward an investment as they are toward the creation of an option“ (Mitchell/Hamilton (1988), S. 17).

Kontextanalyse junger Wachstumsunternehmen

179

Mit der vorgenommenen Kontextanalyse ist der letzte Baustein zur Identifizierung der controllingrelevanten Merkmale junger Wachstumsunternehmen sowie zur Ableitung der Anforderungen an ein Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen gelegt worden. Unter Rückgriff auf die Erkenntnisse aus Kapitel B werden diese beiden Schritte im sich anschließenden Kapitel E gegangen.

180

Erkenntnisobjekt Controlling in jungen Wachstumsunternehmen

E Erkenntnisobjekt Controlling in jungen Wachstumsunternehmen Gemäß dem in Kapitel B3.2 aufgestellten Kriterienkatalog zur Beurteilung von Controllinginstrumenten wird der maximale Nutzen, den ein solches Instrument stiften kann, durch das Ausmaß der kontextspezifischen Rationalitätsdefizite und dem theoretischen Potenzial des Instrumentes zu deren Überwindung bestimmt. Um diesen Abgleich zwischen dem Rationalitätssicherungspotenzial des Realoptionsansatzes und den potenziellen Rationalitätsengpässen junger Wachstumsunternehmen vornehmen zu können, müssen letztere zunächst identifiziert werden. Diese Identifikation ist mit der Beantwortung der Forschungsfrage 1 nach den controllingrelevanten Besonderheiten junger Wachstumsunternehmen gleichzusetzen. Somit geben die in Kapitel A1 identifizierten Forschungsdefizite den weiteren Gang der Untersuchung vor. Mit den vorstehenden Betrachtungen ist nun die Grundlage zur Untersuchung des Erkenntnisobjektes Controlling in jungen Wachstumsunternehmen gelegt worden. Um dabei zu einer möglichst hohen, allgemeingültigen Aussagenqualität zu gelangen, wird folgendes Vorgehen gewählt: Gemäß der Controllingfunktion Rationalitätssicherung der Führung gilt es zunächst die Implikationen der in Abschnitt D2 bestimmten Besonderheiten junger Wachstumsunternehmen für den Führungszyklus abzuleiten. Zu diesem Zwecke werden die Ergebnisse der Kontextanalyse dem in Kapitel B2.4 aufgespannten Analyserahmen zur Identifizierung der kontextspezifischen Rationalitätsengpässe gegenübergestellt. Die Ergebnisse dieser Untersuchung werden in Kapitel E2 hinsichtlich der controllingrelevanten Merkmale junger Wachstumsunternehmen ausgewertet, die einerseits die Notwendigkeit eines spezifischen Controlling begründen und die es andererseits bei der Ableitung der Anforderungen an ein Controlling bzw. Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen zu berücksichtigen gilt. Forschungsfrage 1 wird beantwortet. Die Ableitung der Anforderungen an ein Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen wird in Kapitel E3 vorgenommen. Dies erfolgt wiederum durch Auswertung der Ergebnisse der Implikationenanalyse und unter Auswertung der identifizierten controllingK. H. Faaß, Der Realoptionsansatz als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen, DOI 10.1007/978-3-8350-9608-0_5, © Deutscher Universitäts-Verlag | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007

Erkenntnisobjekt Controlling in jungen Wachstumsunternehmen

181

relevanten Besonderheiten junger Wachstumsunternehmen. Ein Anforderungskatalog an Controllinginstrumente im Kontext junger Wachstumsunternehmen wird aufgestellt und Forschungsfrage 2 beantwortet.

1

Ableitung der Implikationen für die Führungsrationalität

Vorliegendes Kapitel E1 stellt den ersten von drei zu gehenden Schritten im Rahmen der Analyse des Erkenntnisobjektes Controlling in jungen Wachstumsunternehmen dar. Es zielt vornehmlich auf die Identifikation der Rationalitätsengpässe im Führungskontext junger Wachstumsunternehmen ab. Hierzu findet das in Abschnitt B2.4 entwickelte Schema Anwendung. Demgemäß werden die vorstehend diskutierten Merkmale junger Wachstumsunternehmen in den nachfolgenden Kapiteln E1.1 – E1.3 den einzelnen Phasen des Führungszyklus gegenübergestellt. Aus dieser Gegenüberstellung lassen sich dann unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Kapitels B2.4.2 Aussagen hinsichtlich der in jungen Unternehmen vorherrschenden Rationalitätsengpässe treffen. Gleichermaßen dient diese Gegenüberstellung der Identifizierung von Vorteilen junger Unternehmen, die entweder die Merkmale, die für das Auftreten von Rationalitätsengpässen sprechen, direkt in ihrer Wirkung abschwächen oder aber als Stärken junger Unternehmen genutzt werden können, um diese zu überwinden.747 Auch hierzu soll das in Kapitel B2.4 entwickelte Schema genutzt werden, zeigte es doch direkt Anhaltspunkte zur Überwindung der Rationalitätsengpässe auf. Zudem gibt der Kriterienkatalog zur Beurteilung der Eignung von Controllinginstrumenten vor, aus Effizienz- und Effektivitätsgründen zu untersuchen, inwiefern die betrachtete Führungszyklusphase eine kritische Größe im Gesamtzyklus darstellt. Eine solche Betrachtung schließt das jeweilige Kapitel ab. Aufgrund der geringen gesicherten Erkenntnisse über die controllingrelevanten Merkmale junger Wachstumsunternehmen748 sind die nachfolgenden Ausführungen als prämissenabhängige, auf Plausibilitätsüberlegungen basierende Hypothesen zu interpretieren, denen

747

Wie die Ausführungen in Kapitel B3.2 gezeigt haben, bedarf es für eine Kosten-Nutzen-Analyse eines Instrumentes ebenfalls einer Analyse der Stärken des Betrachtungsobjektes um so zu ermitteln, ob sich das zu untersuchende Instrument diese Stärken zur Bewältigung der Probleme – im vorliegenden Fall der Rationalitätsengpässe – zu eigen macht.

748

Siehe hierzu nochmals Kapitel A1.

182

Erkenntnisobjekt Controlling in jungen Wachstumsunternehmen

Erkenntnisse aus anderweitigen, zumeist empirischen Untersuchungen im Bereich Entrepreneurship, eine umfassenden Analyse der allgemeinen Entrepreneurshipliteratur aber auch Diskussionen mit Gründungserfahrenen zugrunde gelegt wurden.

1.1

Implikationen für die Willensbildung

Werden die in Kapitel D2 zuvor dargestellten Merkmale junger Unternehmen dem idealtypische Prozess der Willensbildung, so wie er in Kapitel B2.3.2 vorgestellt wurde, gegenübergestellt, so zeigt sich, dass dieser an wesentlichen Punkten maßgeblich durch die Besonderheiten junger Unternehmen beeinflusst wird. Wird diese Gegenüberstellung unter den in Kapitel B2.4.2 vorgestellten Aspekten der Aufmerksamkeit, Expertise und Kontrolle durchleuchtet, lassen sich Aussagen hinsichtlich der kontextspezifischen Rationalitätsengpässe in dieser Phase des Führungszyklusses ableiten. Dieses Vorgehen entspricht dem in Kapitel B2 aufgespannten Analyserahmen und lässt sich wie in Abbildung 19 dargestellt

Merkmale junger Wachstumsunternehmen (Kapitel D2) A us pr äg un (K g d ap er ite En l B gp 2. ass 4. 2) fak to re n

visualisieren.

Idealtypischer Prozess der Willensbildung (Kapitel B2.3.2)

Abbildung 19: Schematische Vorgehensweise zur Ableitung der Implikationen für die Willensbildung

Ausgangspunkt der Betrachtung bildet dabei das fehlende Datenwissen, das den gesamten Willensbildungsprozess – also sowohl hinsichtlich der Problemidentifikation, der Informationsgenerierung, der Alternativenentwicklung und -bewertung als auch der Entscheidung

Erkenntnisobjekt Controlling in jungen Wachstumsunternehmen

183

an sich – in bedeutendem Maße negativ beeinflusst. Dem Entscheidungsträger fehlen relevante Informationen,749 auf die er seine Entscheidungsfindung stützen kann. Es mangelt an Erkenntnissen über Wirkungsweisen, Ursache- und Wirkungsbeziehungen der relevanten Einflussfaktoren und Handlungsalternativen;750 insbesondere das nomologische Wissen ist aufgrund der Neuheit des Produktes, der Märkte und des Unternehmens an sich noch begrenzt.751 Die Prognose- und Bewertungsfähigkeit ist in Ermangelung einer geeigneten Informationsbasis zunächst erheblich eingeschränkt.752 Zur Überwindung des Daten- bzw. Informationsproblems können nun Suchprozesse angestoßen werden.753 Im Kontext junger Unternehmen ist jedoch zu erwarten, dass solche Suchprozesse in zweierlei Hinsicht – nämlich sowohl durch interne Merkmale des Unternehmens an sich als auch durch externe Bedingungen – geprägt werden. Interne Merkmale, wie die begrenzten personellen aber auch finanzielle Ressourcen754, die starke Einbindung der Gründer in alle Bereiche und Belange des Unternehmens, sowie der insgesamt enorme Zeitdruck tragen dazu bei, dass die Aufmerksamkeit bzw. die Kapazität zur

749

Das fehlende Datenwissen ist dabei sowohl auf die kurze Unternehmenshistorie als auch auf die fehlende kaufmännische Ausbildung zurückzuführen. Dabei kann, wie in Kapitel B2.2.2.1 erörtert, nach dem hier vorliegenden Rationalitätsverständnis noch nicht von einem Rationalitätsdefizit gesprochen werden, wenn zur Entscheidungsfindung Daten in nur begrenztem Umfang vorliegen. Ein Rationalitätsdefizit entsteht erst, wenn die Informationen vorlägen oder beschaffbar wären, die Beschaffung und/oder Nutzung aber unterlassen wird. Die Entstehungsmöglichkeiten dieses Rationalitätsengpasses im Kontext junger Unternehmen werden nachfolgend diskutiert.

750

Vgl. Weber, et al. (2000), S. 238ff.

751

Vgl. Atherton (2003), S. 1384f.

752

Vgl. Liekweg (2003), S. 183ff. und S. 282.

753

Siehe hierzu nochmals die Ausführungen in Kaptitel B2.3.2.

754

Denkbar ist bspw., dass nicht ausreichend finanzielle Mittel für Marktforschungsaktivitäten zur Verfügung stehen.

184

Erkenntnisobjekt Controlling in jungen Wachstumsunternehmen

Informationsgenerierung und -verarbeitung und somit letztendlich die Perzeptionsfähigkeit erheblich eingeschränkt ist.755 Des Weiteren ist anzunehmen, dass sowohl die geringe Standardisierung als auch die geringe organisatorische Ausdifferenzierung ebenfalls einen negativen Einfluss auf die Perzeptionsfähigkeit im Sinne einer Informationsgenerierung ausübt. Die geringe Standardisierung hat zur Folge, dass nicht geregelt ist, wann welche Informationen von wem generiert und an wen weitergegeben werden,756 während die geringe organisatorische Ausdifferenzierung in Verbindung mit wenig spezialisierten Mitarbeitern dazu führen kann, dass relevante Informationen gar nicht wahrgenommen werden. Diese Problematik sollte allerdings in ihrem Ausmaß durch die geringe Unternehmensgröße und die damit verbundenen kurzen und informellen Kommunikationswege begrenzt, sowie durch die hohe Mitarbeitermotivation und -identifikation abgefangen werden. Diese Annahme hat nur so lange Bestand, wie trotz des hohen Zeitdrucks die Kommunikation innerhalb des Unternehmens gewährleistet ist.757 Externe Faktoren wie die hohe Dynamik und Komplexität der Umwelt – u.a. bedingt durch sich neu formierende Märkte – erschweren weiterhin die Perzeption der relevanten Umweltfaktoren, wie bspw. Wettbewerberverhalten, politische Rahmenbedingen oder technologische Weiterentwicklungen und somit den Aufbau ontologischen Wissens. Zudem ist ob des geringen Verständnisses der Wirkungsweisen und der Neuheit der Situation oftmals nicht ersichtlich, welches die relevanten Faktoren sind, die es zu beachten gilt. Der Überwindung des Aufmerksamkeitsproblems mittels Konzentration auf die relevanten Faktoren sind somit Grenzen gesetzt.

755

Vgl.

zum

Einfluss

des

Zeitdrucks

und

der

geringen

personellen

Ressourcen

auf

den

Informationsgenerierungsprozess Liekweg (2003), S. 185f. sowie insbesondere zur Rolle der Unternehmereinbindung a.V. Kieser/Kubicek (1992), S. 105; Hamer (1987), S. 58. Siehe zur Bedeutung der begrenzten Ressourcen für die Informationsbeschaffung in jungen Unternehmen und den damit verbundenen Begrenzungen

der

Reduzierung

der

Unsicherheit

Atherton

(2003),

S.

1385.

Vgl.

zu

den

Bestimmungsfaktoren der Perzeptionsfähigkeit nochmals Kapitel B2.1.1.1. 756

Siehe zur Bedeutung der mangelnden Standardisierung im Rahmen der Willensbildung Aldrich/Auster (1986), S. 178; Hunsdiek/May-Strobl (1986), S. 88; Busenitz/Barney (1997), S. 14f.

757

An dieser Stelle sollte dennoch nicht voreilig der Schluss gezogen werden, dass es sich bei der mangelnden Standardisierung um einen Nachteil junger Unternehmen handelt. Es sind damit in Abhängigkeit des Entwicklungsstadiums auch viele Vorteile verbunden. Siehe hierzu bspw. Mintzberg/McHugh (1985), S. 165.

Erkenntnisobjekt Controlling in jungen Wachstumsunternehmen

185

Selbst wenn Informationen in ausreichendem Maße generiert wurden oder bereits vorliegen, bedingen die Merkmale junger Unternehmen weiterführende Schwierigkeiten in deren Verarbeitung. Als einer der wesentlichen Faktoren lässt sich hier oftmals die mangelnde kaufmännische Erfahrung der Akteure nennen,758 die sich in einem geringen Methodenwissen hinsichtlich Analyse-, Prognose- und Bewertungsverfahren manifestiert. Eingeschränkte Kenntnisse über betriebswirtschaftliche Analyseverfahren haben zur Folge, dass insbesondere im Rahmen des Informationsbeschaffungsprozesses und der Prognose759 erforderliche Analysen nicht durchgeführt werden. Notwendige Erkenntnisse über relevante Zusammenhänge bleiben verborgen, oftmals werden weniger quantitative Informationen über Einflussfaktoren, deren statistische Verteilung und Wirkungsweisen generiert, als möglich.760 Die Informationsbasis ist für weitere Prognosen und Entscheidungen maßgeblich eingeschränkt. Die Folgen limitierter Prognose- und Bewertungsverfahren können einerseits im Rahmen der Prognose zu wenig Reflexion und andererseits die fehlerhafte Anwendung von Entscheidungskriterien zur letztendlichen Entscheidungsfindung sein.761 Prinzipiell könnte auch der Fall denkbar sein, dass mangelnde betriebswirtschaftliche Kenntnisse dazu führen, dass zu viel Reflexion in der Entscheidungsfindung zum Einsatz kommt, was ebenfalls als von der Zweck-Mittel-Rationalität abweichendes Verhalten gewertet werden kann.762 Jedoch kann im Kontext junger Wachstumsunternehmen die Wahrscheinlichkeit hierfür als gering gewertet werden; Zeitdruck und Arbeitsbelastung des Unternehmers wirken dem entgegen. Die Faktoren Zeitdruck und Arbeitsbelastung können wiederum die Prognose- und Bewertungsfähigkeit junger Unternehmen dahingehend einschränken, als betriebswirt-

758

Vgl. Hamer (1987), Kapitel 10; Weber, et al. (2000), S. 218 und 223f.

759

Infolgedessen haben die mangelnden betriebswirtschaftlichen Kenntnisse wiederum einen negativen Einfluss auf die Perzeptions- und Prognosefähigkeit. Wie allerdings bereits die Ausführungen in Kapitel B2.3.2 dargelegt haben, ist der Informationsbeschaffungsprozess nicht klar als eine bestimmte Phase abgegrenzt, die den anderen Phasen vorgelagert ist, sondern läuft meist parallel dazu ab.

760

Vgl. Hamer (1987), Kapitel 10; Weber, et al. (2000), S. 218 und 223f.; Weber/Liekweg (2001), S. 470ff.; Liekweg (2003), S. 265.

761

Siehe zum falschen Einsatz von quantitativen Entscheidungskriterien Weber, et al. (2000), S. 47 und 89ff.; Weber/Liekweg (2001), S. 484.

762

Siehe hierzu nochmals die Ausführungen in Kapitel B2.2.2.

186

Erkenntnisobjekt Controlling in jungen Wachstumsunternehmen

schaftliche Kenntnisse, selbst wenn sie in ausreichendem Maße vorhanden sind, nicht zum Einsatz kommen. Der Branchendynamik wird, wie empirische Ergebnisse zeigen, durch eine relativ häufige Planung Rechnung getragen.763 Bzgl. des Planungsausmaßes und der Planungsqualität bleiben an dieser Stelle jedoch die in Summe diskutierten Schwierigkeiten junger Unternehmen im Willensbildungsprozess bestehen. Der duale Charakter der Expertise764 kommt auch im Kontext junger Wachstumsunternehmen zum Tragen. Zwar wurde gezeigt, dass Expertise, verstanden als Erfahrung, insbesondere im Zusammenhang mit der Verwendung von Heuristiken gerade in neuartigen Situationen, wie sie zweifelsohne im Falle junger Wachstumsunternehmen gegeben sind, verheerende Folgen haben kann.765 HAMEL konstatiert diesbezüglich: „The terrain is changing so fast that experience is becoming irrelevant and even dangerous.”766 Dennoch zeigt sich an dieser Stelle, dass mangelnde Expertise hinsichtlich betriebswirtschaftlicher Methodenkenntnisse zu erheblichen Einschränkungen der Antizipationsfähigkeit führen.767 Zur Erweiterung der Wissensbasis bietet sich neben kontinuierlichem Lernen768 kurz- und mittelfristig die Erweiterung der Wissensbasis durch Einbeziehen des Wissens weiterer Akteure an, sei es intern im Sinne eines korporativen Akteurs oder extern durch Unterstützungsleistung Dritter.769 Intern wird die Einbeziehung des Wissens weiterer Akteure zwar durch die kurzen und effizienten Kommunikationswege begünstigt, ist aber ob der geringen personellen Ressourcen begrenzt. Das Einbeziehen externen Wissens wird

763

Vgl. Freise, et al. (2002), S. 330ff.

764

Siehe hierzu nochmals die Ausführungen in Kapitel B2.4.2.2.

765

Siehe hierzu nochmals die Ausführungen in Kapitel B2.2.2.2.

766

Hamel (1996) S. 74.

767

Dieser Aspekt spiegelt sich u.a. in den Auswahlkriterien von Kapitalgebern wieder. Diesbezüglich wird im Rahmen der Beteiligungswürdigkeitsprüfung der kaufmännischen Erfahrung des Managements eine hohe Bedeutung beigemessen. Siehe hierzu Brettel (2001); Brettel (2004), S. 228ff.; Hochgesand (2002), S. 383.

768

Dieser Aspekt wird in Kapitel E1.3 vertieft.

769

Siehe hierzu Kapitel B2.1.2.1 sowie B2.4.2.2.

Erkenntnisobjekt Controlling in jungen Wachstumsunternehmen

187

maßgeblich durch das Netzwerk des Gründers770 und die Involvierung des Kapitalgebers bestimmt.771 Diese bringen wiederum eine besondere Komponente in den Willensbildungsprozess. So wird zum einen in der Literatur regelmäßig auf die betriebswirtschaftliche und nicht zu letzt rationalitätssichernde Unterstützungsleistung der Business Angels und Venture-Capital-Geber – wenn auch in unterschiedlicher Akzentuierung – hingewiesen.772 Zum anderen entsteht durch die Finanzierungsform eine teilweise Trennung von Eigentum und Leitungsmacht, die nicht unerhebliche Konsequenzen für die motivationale Komponente des Willensbildungsprozesses haben kann. Während die Interessensdivergenzen innerhalb des Führungsteams aufgrund der hohen Motivation und Identifikation der Unternehmer mit ihrem Unternehmen als gering angesehen wird,773 können beachtliche Unterschiede zwischen den Interessen der Unternehmer und denen der renditeorientierten Venture-Capital-Geber existieren.774 Diesem Potenzial wird bereits in der Vertragsgestaltung Rechnung getragen. Mittels des Instruments der so genannten „Staging-Finanzierung“775 und mittels bestimmter Befugnisregelungen776 wird versucht, Problemen wie bspw. der „on-the-job-consumption“

770

Vgl. Autio (1994), S. 270.

771

Siehe exemplarisch zu den Beiträgen der Business Angels in ihren Beteiligungen die Ergebnisse bei Brettel, et al. (2000) S. 179.

772

Siehe exemplarisch die empirischen Befunde bei Brettel, et al. (2000); Brettel (2001); Achleitner/Engel (2001).

773

Vgl. Liekweg (2003), S. 267.

774

Zwar wird prinzipiell davon ausgegangen, dass auch der Unternehmer das oberste Ziel der Unternehmenswertmaximierung anstrebt. Jedoch können weitere persönliche Präferenzen hinzukommen, die die oberste Zielsetzung überlagern. Siehe hierzu nochmals Kapitel D2.3 sowie ausführlich Brettel, et al. (2001), S. 7ff.; Hochgesand (2002), S. 370ff.

775

Das Wachstumsunternehmen erhält in diesem Fall das benötigte Investitionsvolumen nicht in Summe, sondern in gestaffelter Form. Die jeweiligen Teilauszahlungen sind dabei an sog. Meilensteine („milestones“) gekoppelt; die jeweils nächste Finanzierungsrunde wird nur bei Erreichen des jeweiligen milestones eingeleitet.

776

Als Beispiele lassen sich hier ein Vetorecht für besonders bedeutsame Managemententscheidungen, Mitbestimmungsrecht für den Verkauf von Anteilen oder Liquiditätspräferenzen nennen. Siehe hierzu ausführlich Reißig-Thust, et al. (2004).

188

Erkenntnisobjekt Controlling in jungen Wachstumsunternehmen

entgegenzuwirken

und

auf

Seiten

der

Unternehmer

Anreize

zur

permanenten

777

Unternehmenswertsteigerung zu schaffen.

Dabei sollte das Potenzial des „Risk Shift“ nicht unterschätzt werden; Trennung von Eigentum und Leistungsmacht sowie Anreize zur permanenten Unternehmenswertsteigerung können den Unternehmer dazu verleiten, riskantere Entscheidungen zu treffen als im Falle des alleinigen Eigentums;778 solche werden durch Gruppenphänomene weiter gefördert.779 Die Aussage eines Unternehmers „[i]f the business goes under, I’ll be sorry; but it’s not that big a deal. I can do something else“780 steht dabei exemplarisch für diese Verhaltensannahme. Informationsasymmetrien, die u.a. aus der Neuheit des Unternehmens und der innovativen, spezifischen Leistung sowie aus der hohen Dynamik des Unternehmens und dessen Umfeld resultieren, begünstigen dieses Verhalten weiterhin. Im gesamten Führungsprozess erfährt die Intuition – so zeigen empirische Ergebnisse – aufgrund der starken Unternehmerprägung, der Zentralisation der Entscheidungen und den zuvor diskutierten mangelnden betriebswirtschaftlichen Methodenkenntnissen eine starke Gewichtung.781 Das Wissen über relevante Einflussfaktoren liegt dabei oftmals in den Köpfen des Unternehmerteams verteilt vor. Zwar wird dies teilweise durch Kommunikation expliziert; die geringe Unternehmensgröße trägt hierzu positiv bei. Meist findet es jedoch im Willensbildungsprozess nur implizit Anwendung.782 Fehlende Techniken zur Explizierung des implizit vorhandenen Wissens haben zur Folge, dass Einflussfaktoren nicht im Umfang des Möglichen und Nötigen analysiert werden, oder gar ob der Intransparenz des intuitiven Entscheidungsprozess gänzlich übersehen werden.783 Eine Reduzierung der Unsicherheit wird

777

Siehe

zur

Überwindung

von

Informationsasymmetrien

zwischen

Venture-Capital-Gebern

und

Wachstumsunternehmen insbesondere Brettel, et al. (2001) sowie zur Beziehung zwischen Venture-CapitalGebern und Gründungsunternehmen allgemein Reißig-Thust (2004). 778

Inwiefern es sich hierbei um Rationalitätsengpässe handelt, ist im Einzelfall zu überprüfen. Dieses Verhalten könnte ebenso von den Venture-Capital-Gebern bewusst gewollt sein oder zumindest in Kauf genommen werden.

779

Siehe hierzu Kapitel B2.2.2.3.

780

van den Veen, et al. (1984), S. 94.

781

Vgl. Weber, et al. (2001b), S. 14ff.

782

Vgl. Ruhnka/Young (1991), S. 121ff.; Schäffer (1996), S. 94; Weber/Liekweg (2001), S. 482.

783

Vgl. Weber, et al. (2000), S. 58ff. und 78ff.; Hamer (1990), S. 50ff. m.w.N.

Erkenntnisobjekt Controlling in jungen Wachstumsunternehmen

wiederum

verhindert.

Darüber

hinaus

gewinnen

189

individual-

und

insbesondere

gruppenpsychologische Verzerrungen an dieser Stelle an Bedeutung. Die mangelnde Explizierung des Wissens verhindert das Aufdecken von Verzerrungen wie sie in Kapitel B2.2.2 diskutiert wurden.784 Der Willensbildungsprozess wird jedoch auch positiv durch die Merkmale junger Unternehmen beeinflusst. Diesbezüglich sei insbesondere auf die aus der geringen Unternehmensgröße resultierende flache Hierarchie und die kurzen Kommunikationswege hingewiesen. Zwar ist die Zentralisierung der Entscheidungen in hohem Maße für die zeitliche Belastung der Entscheidungsträger ursächlich. In Kombination mit den kurzen Kommunikationswegen übt sie jedoch durchaus einen positiven Einfluss auf den Willensbildungsprozess aus. So kann zum einen von einer schnellen, reibungslosen Bündelung aller Informationen an der entscheidungskritischen Stelle ausgegangen werden.785 Die

Gefahr,

dass

im

Unternehmen

vorhandene

Informationen

nicht

bis

zum

Entscheidungsträger vordringen und dieser die Interaktionseffekte nicht berücksichtigen kann, wird somit vermindert. Dieser Effekt wird durch die geringe Diversifizierung des Unternehmens weiter begünstigt. Zum anderen besitzt das Unternehmen somit eine schnelle Reaktionsmöglichkeit, die als eine der wesentlichen Stärken dieser Unternehmensspezies anzusehen ist.786 Werden die Merkmale junger Unternehmen dem letztendlichen Ziel der Willensbildung, zu einer Entscheidung hinsichtlich der Zweck-Mittel-Relation zu gelangen, gegenübergestellt, so zeigt sich, dass jungen Wachstumsunternehmen im Vergleich zu etablierten Unternehmen ein wesentlich breiteres Entwicklungsspektrum offen steht. Dies gilt nicht nur in Bezug auf die Ergebnisentwicklung, sondern insbesondere auch hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Alternativen, die zur Zielerreichung ausgewählt werden können. Dieser Aspekt wird sowohl durch die geringe Reputation,787 als auch durch das oftmals noch unausgereifte Produkt bzw.

784

Weber/Liekweg konstatieren diesbezüglich: „In den meisten Fällen sind die Erwartungsfehler dem entscheidenden Unternehmer nicht bewußt bzw [sic!] die Erwartungsbildung wird nicht in Frage gestellt (da eine entsprechende Selbstkontrolle durch eine Gruppe oder einen Fremdkontrolle, erzwungen durch eine Hierarchie, nicht vorhanden sind).“ (Weber/Liekweg (2001), S. 484).

785

Vgl. Hamer (1987), S. 133ff.; Liekweg (2003), S. 264.

786

Vgl. Mintzberg (1979), S. 305ff.; Schefczyk/Pankotsch (2002), S. 24.

787

Jungen Unternehmen ist noch kein Weg vorgegeben, sie können noch auf der „grünen Wiese“ planen.

190

Erkenntnisobjekt Controlling in jungen Wachstumsunternehmen

die Technologie788 determiniert. Die Fragestellungen, auf deren Beantwortung die Willensbildung ausgerichtet ist, werden dabei durch das oberste Ziel der Gewinnmaximierung bzw. dem Wachstumsbestreben789 aufgeworfen. Zu den relevanten Fragestellungen zählen dabei bspw. solche nach der geographischen Expansion, der zu bedienenden Endmärkte bzw. Kundenbasis, oder dem optimalen Markteintrittszeitpunkt. An dieser Stelle kann somit der bereits in Kapitel D3 konstatierte hohe Optionscharakter junger Wachstumsunternehmen nochmals unterstrichen werden. Der hohen Unsicherheit, der junge Unternehmen ausgesetzt sind steht auf der anderen Seite eine hohe Flexibilität gegenüber. Diese manifestiert sich sowohl in den flexiblen Reaktionsmöglichkeiten aufgrund kurzer Kommunikations- und Entscheidungswege, als auch in den zur Verfügung stehenden Handlungsalternativen.790 Dem unbegrenzten Wollen stehen auf der anderen Seite begrenzte Ressourcen bzw. ein begrenztes Können gegenüber. Diese zwingen nicht nur zur Priorisierung der Alternativen, sondern lassen den Entscheidungsprozess zu einem kritischen Faktor hinsichtlich der Geschäftsentwicklung

werden.

Fehlentscheidungen

können

aufgrund

der

geringen

finanziellen Ressourcen im Gegensatz zu etablierten Unternehmen kaum abgefangen werden und bedingen oftmals das Ende der wirtschaftlichen Existenz.791 Die Gefahr einer Fehlentscheidung ist dabei nicht nur angesichts der beschriebenen Begrenzungen der Antizipations-/Lernfähigkeit und der angesprochenen motivationalen Verschiebungen, sondern insbesondere vor dem Hintergrund des ausgeprägten Unsicherheitsmomentes und der Spezifität des Unternehmens als besonders hoch einzuschätzen. An dieser Stelle lässt sich festhalten, dass die Willensbildung von großer Relevanz für die Unternehmensentwicklung ist und eine kritische Größe im Führungszyklus darstellt. Die Summe der Wirkungsweisen intern und extern bedingter Merkmale lassen jedoch auf eine erheblich begrenzte Perzeptionsfähigkeit im Führungskontext junger Wachstumsunternehmen schließen. Weiter wird die Antizipationsfähigkeit durch mangelnde Expertise, insbesondere verstanden als kaufmännisches Methodenwissen, eingeschränkt.

788

Oftmals haben junge Unternehmer im Rahmen eines Forschungsprojektes eine Technologie entwickelt.

789

Siehe hierzu nochmals Kapitel D1.

790

Siehe zu den Dimensionen der Handlungsflexibilität nochmals Kapitel C1.

791

Siehe bspw. Lee, et al. (1999), S. 299ff.

Hinsichtlich der letztendlichen Verwendung besteht jedoch noch Unklarheit.

Erkenntnisobjekt Controlling in jungen Wachstumsunternehmen

1.2

191

Implikationen für die Willensdurchsetzung

Aussagen hinsichtlich der Wirkungsweise der Merkmale junger Unternehmen auf die Führungsrationalität im Rahmen der Willensdurchsetzung lassen sich prinzipiell durch die bereits in Kapitel E1.1 vorgenommene Vorgehensweise gewinnen. Auch hier werden, wie in Abbildung 20 dargestellt, die drei Dimensionen „Merkmale junger Wachstumsunternehmen“, „Führungshandlungen“ – in diesem Fall die Willensdurchsetzung – und „Engpassfaktoren“

Merkmale junger Wachstumsunternehmen (Kapitel D2) A us pr äg un (K g d ap er ite En l B gp 2. ass 4. 2) fak to re n

gegenübergestellt.

Idealtypische Formen der Willensdurchsetzung (Kapitel B2.3.3)

Abbildung 20: Schematische Vorgehensweise zur Ableitung der Implikationen für die Willensdurchsetzung

Zur Untersuchung der Implikationen der Merkmale junger Unternehmen auf die Willensdurchsetzung müssen zweierlei Blickwinkel unterschieden werden. Willensdurchsetzung, verstanden als Reduzierung bestehender Freiheitsgrade, beinhaltet zum einen eine Ziel- und Mittelkonkretisierung und zum anderen die Weitergabe des gebildeten Willens an die mit der weiteren Konkretisierung oder der Ausführung des gebildeten Willens betrauten Akteure.792 Wird der zugrunde liegende Prozess betrachtet, so beinhaltet die Willenskonkretisierung die gleichen Elemente wie die Willensbildung an sich, allerdings auf einer tiefer liegenden Aggregationsstufe.793 Folglich gelten weitestgehend die gleichen Aussagen bzgl. der

792

Siehe hierzu nochmals Kapitel B2.3.3.

793

Siehe hierzu nochmals Kapitel B2.3.3.

192

Erkenntnisobjekt Controlling in jungen Wachstumsunternehmen

Herausforderungen aber auch den Stärken junger Wachstumsunternehmen. Es ist anzunehmen, dass die in Kapitel E1.1 identifizierten Begrenzungen der Perzeptions-, Prognose- und Beurteilungsfähigkeit die Willenskonkretisierung in ähnlicher Weise eingrenzen wie die Willensbildung an sich. Gerade die Problematiken des mangelnden Daten- und Faktenwissens sowie der geringen betriebswirtschaftlichen Erfahrung, sei es aufgrund geringer betriebswirtschaftlicher Kenntnisse oder aufgrund der Neuheit der Situation, erschweren das Ableiten geeigneter Maßnahmen und deren Beurteilung hinsichtlich ihrer Eignung zur Zielerreichung.794 Die Gefahr von Fehlentscheidungen ist vor dem Hintergrund der Unsicherheit einerseits und der Spezifität des Unternehmens andererseits als besonders hoch einzuschätzen.795 Die geringe Größe, die flache Hierarchie, die Zentralisation der Entscheidungen bzw. die damit verbundene Bündelung der Information beinhalten zudem die Gefahr der Informationsüberlastung der Unternehmer. Dies kann zur Folge haben, dass wichtige, werthaltige Handlungsalternativen übersehen werden. Während in großen Unternehmen komplexe Entscheidungen in einzelne, handhabbare Entscheidungen unterteilt und delegiert werden können, verbleiben diese in jungen Unternehmen zum einen durch die starke Unternehmerprägung an sich, aber auch aufgrund der mangelnden personellen Ressourcen beim Unternehmer selbst. Eine Konzentration oder auch Reduktion der Betrachtung auf offensichtliche, „gewöhnliche“ Strategien zur Vermeidung weiterer Komplexität kann daraus hervorgehen.796 Die begrenzten Möglichkeiten der zeitlichen Entlastung und der Erweiterung der Wissensbasis mittels Delegation treten an dieser Stelle deutlich zutage. Demgegenüber wird diese Problematik in zweierlei Hinsicht im Kontext junger Unternehmen ein Stück weit eingegrenzt. Zum einen wird durch die Zentralisation der Entscheidungen die Beurteilung der einzelnen abgeleiteten Maßnahmen in Bezug auf ihre Interaktionseffekte im Vergleich zu großen, etablierten Unternehmen erheblich erleichtert.797 Die Gefahr der mangelnden

Abstimmung

der

einzelnen

Maßnahmen

aufeinander

und

möglicher

794

In jungen Wachstumsunternehmen fehlt oftmals eine klare Ziel-Mittel-Funktion. Siehe hierzu

795

Siehe hierzu nochmals die Ausführungen in Kapitel C1.

796

Vgl. Liekweg (2003), S. 272ff. m.w.N.

797

Vgl. Hamer (1990), S. 57; Weber/Liekweg (2001), S. 484; Liekweg (2003), S. 288f.

Sorensen/Stuart (2000), S. 84f.; Fallgatter (2002), S. 63ff.

Erkenntnisobjekt Controlling in jungen Wachstumsunternehmen

193

gegenläufiger Effekte ist somit eingeschränkt. Zum anderen ist allein schon ob der geringen Unternehmensgröße und der geringen Diversifizierung in jungen Unternehmen die Komplexität als weitaus geringer einzuschätzen, als dies in etablierten Unternehmen der Fall ist. Positiv wirken sich die Merkmale junger Unternehmen zudem auf die Weitergabe des gebildeten Willens im Sinne eines Datentransformationsprozess aus. Hier ist die geringe Unternehmensgröße insbesondere aufgrund der flachen Hierarchie und der schnellen und effizienten Kommunikationswegen als wesentliche Stärke junger Unternehmen anzusehen. Der gebildete Wille kann schnell und direkt mittels persönlicher Weisung an die auszuführenden Stellen weitergegeben werden, wenn er nicht sogar von Seiten des Unternehmerteams selbst ausgeführt wird. Neben dem Vorteil der schnellen Reaktionsmöglichkeit ist somit die Gefahr von Reibungsverlusten in der Kommunikation – schon allein aufgrund der geringen Schnittstellenanzahl innerhalb des Unternehmens – als gering einzuschätzen. Mit Einschränkungen dieses Vorteils ist allerdings dann zu rechnen, wenn aufgrund des Zeitdrucks, der allgemeinen Arbeitsüberlastung und des starken internen Wandels die Effizienz der Kommunikation gefährdet ist. Zusätzlich zu Datenverlusten infolge mangelhafter Kommunikationswege besteht prinzipiell die

Gefahr

der

Opportunismus.

798

willentlichen

Veränderung

des

gebildeten

Willens

infolge

von

Diese Gefahr kann in Wachstumsunternehmen ebenfalls als gering ange-

sehen werden. Die hohe Motivation und Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen, die Koordinationsmechanismen der Selbstabstimmung und der persönlichen Weisung, die persönliche Beziehung zwischen den Mitarbeitern und dem Unternehmerteam, sowie die innerhalb des Unternehmens als gering anzusehenden Informationsasymmetrien leisten in Summe einen positiven Beitrag zur Vermeidung von Opportunismus innerhalb des Unternehmens.799 Darüber hinaus werden Mitarbeiter oftmals am Erfolg des Unternehmens beteiligt,800 nicht zuletzt um dieses Potenzial weiter einzugrenzen.

798

Siehe hierzu nochmals Kapitel B2.3.2.

799

Vgl. Alchian/Demsetz (1972), S. 790; Hamer (1987), S. 160ff.; Weber, et al. (2000), S. 90f.; Weber/Liekweg (2001), S. 481.

800

Siehe hierzu bspw. von Einem (2002), S. 163ff.

194

Erkenntnisobjekt Controlling in jungen Wachstumsunternehmen

Das

zu

den

Problematiken

der

Willenskonkretisierung

zusätzliche

Potenzial

für

Rationalitätsengpässe in der Willensdurchsetzung aufgrund mangelhafter Kommunikationskanäle oder Opportunismus ist im Kontext junger Unternehmen in Summe als gering einzuschätzen. Es zeigt sich, dass die bereits in der Phase der Willensbildung identifizierten Begrenzungen, insbesondere die der begrenzten Aufmerksamkeit und der geringen Expertise, im Rahmen der Willensdurchsetzung intensiviert werden. Jedoch sind die damit verbundenen Problemfelder von der Art her die gleichen wie die der Willensbildung an sich. Es sind somit keine weiteren andersartigen Effekte oder Hinweise zu finden, die die Willensdurchsetzung zu einer kritischen Engpassgröße im Rahmen des gesamten Führungszyklus werden lassen. Es ist davon auszugehen, dass Maßnahmen zur Rationalitätssicherung der Führung im Rahmen der Willensbildung auch positive Effekte auf die Willensdurchsetzung haben werden, da es sich im Wesentlichen um die gleiche Art von Engpässen nur auf einer anderen Ebene handelt.801

1.3

Implikationen für die Kontrolle

Der in Kapitel B2.4 aufgespannte Analyserahmen findet ähnlich der Vorgehensweise in den Kapiteln E1.1 und E1.2 auch zur Ableitung der Implikationen der Besonderheiten junger Unternehmen für die Führungszyklusphase der Kontrolle – so wie sie in Kapitel B2.3.4 idealtypisch beschrieben wurde – Anwendung. Diese in Abbildung 21 visualisierte Untersuchung dient letztendlich der Identifizierung der in dieser Phase vorzufindenden Rationalitätsengpässe.

801

Die Willensdurchsetzung bedarf dementsprechend in den nachfolgenden Untersuchungen keiner gesonderten Betrachtung.

195

Merkmale junger Wachstumsunternehmen (Kapitel D2) A us pr äg un (K g d ap er ite En l B gp 2. ass 4. 2) fak to re n

Erkenntnisobjekt Controlling in jungen Wachstumsunternehmen

Idealtypische Kontrollformen (Kapitel B2.3.4)

Abbildung 21: Schematische Vorgehensweise zur Ableitung der Implikationen für die Kontrolle

Kontrolle, verstanden als Lernprozess, dient dem Aufbau von Wissen, das die Basis für ein erneutes Durchlaufen weiterer Führungszyklen bildet. In Kapitel B2.3.4 wurde die Bedeutung der Aufmerksamkeit für die Kontrolle herausgestellt. Insofern gelten hier weitestgehend die gleichen Annahmen und Aussagen, wie sie im Rahmen der Diskussion der Merkmalsimplikationen für die Willensbildung getroffen wurden. Die starke Unternehmerprägung – in diesem Fall die Zentrierung der Kontrollprozesse – impliziert wiederum, dass der Kontrollprozess und damit die Lernfähigkeit des Unternehmens wesentlich von den Fähigkeiten des Unternehmers bestimmt werden. Verallgemeinernd lässt sich daraus auf der einen Seite der Vorteil der Informationskonzentrierung, wie auf der anderen Seite der Nachteil der potenziellen Informationsüberlastung ableiten. Die mangelnde Standardisierung und die nur rudimentär vorhandenen betriebswirtschaftlichen Systeme tragen dazu bei, dass Ergebnisanalysen von vornherein unterbunden werden bzw. ein Anstoßen von Kontrollprozessen verhindert wird.802 Die Expertise nimmt auch hier wieder eine steuernde Funktion ein. Zum einen lenkt sie die Aufmerksamkeit auf die relevanten, zu kontrollierenden Faktoren. Ein mangelndes betriebs-

802

Vgl. Liekweg (2003), S. 292.

196

Erkenntnisobjekt Controlling in jungen Wachstumsunternehmen

wirtschaftliches Methodenwissen schränkt die Analysemöglichkeiten ein; notwendige, aufschlussreiche Analysen werden fehlerhaft oder gar nicht durchgeführt.803 Die Analysemöglichkeit ist zudem abermals durch das Merkmal der mangelnden Datenverfügbarkeit geprägt, aufgrund dessen die Vergleichsmöglichkeiten im Sinne von SollIst-, oder anderen Kontrollformen begrenzt sind. Die Aussagekraft der wenigen möglichen Analysen ist dabei sowohl aufgrund der kurzen Unternehmenshistorie und der damit verbundenen

Datenmenge,804

geringen

als

auch

in

Anbetracht

der

Markt-

und

Unternehmensdynamik und der damit verbundenen mangelnde Beständigkeit der Analysen wesentlich eingeschränkt. Zudem wurde in Kapitel B2.4.2.3 die Bedeutung des Sicherheitsbedürfnisses als motivationale Komponente der Kontrollhandlungen herausgestellt. Verallgemeinernd wird Unternehmern

eine

hohe

interne

Kontrollüberzeugung

zugesprochen.805

Unter

Berücksichtigung der Ausführungen zu den Merkmalen eines hohen Sicherheitsbedürfnisses806 lässt sich auf das Vorliegen eines solchen schließen. Dies äußert sich zum einen in der Zentralisation der Kontrolle, führt jedoch auch zu der Vermutung einer höheren Wahrnehmungsabwehr gegenüber Faktoren, die die internen Modelle des Unternehmers gefährden könnten. Inwieweit solche Wahrnehmungsverzerrungen vorliegen, lässt sich nur im Einzelnen prüfen. Aufgrund der relativ hohen Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer solchen darf sie aber bei den weiteren Betrachtungen nicht außer Acht gelassen werden. Die Selbstkontrolle kann und sollte durch eine Fremdkontrolle ergänzt werden. Sie wird in der Regel durch die Kapitalgeber wahrgenommen. Der von den Kapitalgebern gestiftete Wertbeitrag kann zum einen in Form einer Unterstützungsleistung zum Tragen kommen.807

803

Diesem Fall des mangelnden Methodenwissens ist wiederum der Fall zwar vorhandenen Methodenwissens, aber mangelhaft durchgeführter Analysen aufgrund von Zeitdruck und Überlastung der handelnden Akteure innerhalb des Unternehmens gleichzusetzen.

804

Die geringe Datenmenge und die damit verbundene begrenzte Aussagekraft kann sich hierbei sowohl auf die Länge der Zeitreihen als auch die Breite der zur Verfügung stehenden Daten beziehen.

805

Siehe hierzu nochmals die Ausführungen in Kapitel D2.3.

806

Siehe hierzu nochmals die Ausführungen in Kapitel B2.4.2.3.

807

Art und Umfang der Unterstützungsleistung fällt dabei je nach Kapitalgeber sehr unterschiedlich aus. Siehe hierzu nochmals Kapitel E1.1 sowie ausführlich Sahlman (1990), S. 473ff.; Brettel (2004), S. 255ff.; ReißigThust (2004).

Erkenntnisobjekt Controlling in jungen Wachstumsunternehmen

197

Bereits ein kritisches Hinterfragen kann diesbezüglich entlastend und wissensgenerierend wirken und so dem Übersehen von Einflussfaktoren oder ganzen Handlungsalternativen entgegenwirken. Zudem können sie zum Aufbau betrieblicher Kontrollsysteme beitragen.808 Zum anderen fordern die Kapitalgeber selbst Daten und Fakten hinsichtlich der Entwicklung ihres Portfoliounternehmens.809 Der geringe Bekanntheitsgrad und das damit verbundene geringe marktseitige Vertrauen lässt in diesem Zusammenhang die Kontrollkosten erheblich ansteigen. In der Regel wird bereits in den Finanzierungsverträgen die Art und der Umfang der Reportingleistung festgehalten.810 Das junge Unternehmen wird somit gezwungen, bestimmte Daten bereitzustellen und zu analysieren. Der Kontrolle kommt insofern eine anregende und weitestgehend rationalitätssichernde Funktion zu. Jedoch weisen verschiedene Studien auf nicht unerhebliche Schwierigkeiten des Reporting hin. So ist damit zumeist nicht nur ein relativ hoher, zusätzlicher Aufwand für das junge Unternehmen verbunden, sondern auch die Aussagekraft der angeforderten Informationen angezweifelt. KOLLMANN bemängelt die überwiegend vergangenheitsorientierten Finanzgrößen und die geringe Erfassung immaterieller Vermögensgegenstände,811 während HOMMEL/RITTER/WRIGHT auf die nur unzureichende zeitgerechte Information über Unternehmensschwierigkeiten hinweisen.812 Die Kritik richtet sich zunehmend gegen die Zweckmäßigkeit der Meilensteinregelungen. Sie verleiten zu kurzfristigem Handeln; die langfristige Wertentwicklung des Unternehmens wird nicht zur Genüge berücksichtigt.813

808

Vgl. Achleitner/Engel (2001), 76ff.; Achleitner/Bassen (2003b), S. 6. Siehe hierzu auch nochmals die Ausführungen in Kapitel E1.1. Wenn auch die empirischen Ergebnisse verschiedener Studien auf unterschiedliche Ausprägungsformen in Art und Umfang der Unterstützungsleistung schließen lassen, so lässt

dennoch

die

betriebswirtschaftliche

Ausrichtung

der

Kapitalgeber

auf

Kenntnisse

und

Unterstützungsmöglichkeiten im Aufbau betrieblicher Kontrollsysteme schließen, die potenziell eingebracht und wahrgenommen werden können. 809

Business Angels lassen sich regelmäßig, meist in jährlichen oder halbjährlichen Abständen, Informationen über die Geschäftsentwicklung zukommen. Hierzu zählen Umsatzzahlen, Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung oder Berichte über Investitionsvorhaben. Siehe hierzu ausführlich Brettel (2004), S. 255ff. Siehe zur Reportingleistung bei Venture-Capital-Gebern bspw. Stahl (2003); Nietzer (2003).

810

Siehe hierzu Achleitner/Bassen (2003b), S. 5ff.

811

Vgl. Kollmann (2005), S. 157ff. und S. 163ff.

812

Vgl. Hommel, et al. (2003), S. 11.

813

Vgl. Hoffmann/Hölzle (2004), S. 233f.

198

Erkenntnisobjekt Controlling in jungen Wachstumsunternehmen

Zudem werden die Möglichkeiten der Fremdkontrolle insbesondere aufgrund der Spezifität der Geschäftsidee, der zumeist eine neuartige Technologie zugrunde liegt, durch Informationsasymmetrien zwischen Gründern und Kapitalgebern erschwert und begrenzt. Diesen wird durch entsprechende Vertragsgestaltungen Rechnung getragen.814 Die Relevanz der Kontrolle für den gesamten Führungszyklus und letztendlich die Geschäftsentwicklung kommt dabei durch Unterteilung der Betrachtung in ihre beiden Komponenten, die verhaltenssteuernde und wissensgenerierende Funktion zum Ausdruck. Innerhalb des Unternehmens, bezogen auf die Mitarbeiter, wird die Notwendigkeit einer verhaltenssteuernden Kontrolle als gering eingeschätzt; die in der Regel zu beobachtende hohe Mitarbeitermotivation sowie die Beteiligung der Mitarbeiter am Geschäftserfolg minimiert das Risiko für opportunistisches Verhalten.815 Jedoch kommt in Bezug auf die Unternehmensgründer der Fremdkontrolle durchaus eine verhaltenssteuernde Wirkung zu. Wie die Ausführungen zu den Implikationen der Merkmale junger Unternehmen auf die Willensbildung gezeigt haben, besteht die Gefahr individual- und gruppenpsychologischer Verzerrungen, die durch mangelnde Explizierung des Wissens, Groupthink und der teilweisen Trennung von Kapital und Leistungsmacht begünstigt werden.816 Der wissensgenerierenden Funktion der Kontrolle kommt insbesondere angesichts der hohen Unsicherheit eine bedeutende Rolle im Führungskontext junger Unternehmen zu. Die vorstehenden Diskussionen der Implikationen der Merkmale junger Unternehmen auf die Willensbildung und -durchsetzung haben dabei die zum Teil erheblichen Begrenzungen der Antizipations-/Lernfähigkeit verdeutlicht. Sowohl die durch die Dynamik bedingte externe Unsicherheit als auch die interne Unsicherheit, die aufgrund mangelnder Expertise in ihrem Ausmaß intensiviert werden, stellen die Notwendigkeit zu lernen heraus. Aus dynamischer

814

Siehe hierzu nochmals Kapitel E1.1. Siehe hierzu ausführlich Reißig-Thust, et al. (2004).

815

Siehe hierzu nochmals die Ausführungen in Kapitel E1.2.

816

Siehe hierzu nochmals die Ausführungen in Kapitel E1.1. Der Bedarf einer Fremdkontrolle erwächst im Kontext junger Wachstumsunternehmen somit weniger aus der Gefahr des Opportunismus als aus individual- und gruppenspezifischen Verzerrungen. Auf Aspekte der Fremdkontrolle als Vorbeugen vor oder Reaktion auf Opportunismus soll daher an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden.

Erkenntnisobjekt Controlling in jungen Wachstumsunternehmen

199

Perspektive muss die Wissensbasis sowie die Antizipations-/Lernfähigkeit im Ganzen verbessert werden, will das Unternehmen langfristig am Markt Bestand haben.

2

Ableitung der controllingrelevanten Merkmale junger Wachstumsunternehmen

Der

zweite

Schritt

im

Rahmen

der

Untersuchung

des

Controlling

in

jungen

Wachstumsunternehmen dient der Beantwortung der Forschungsfrage 1 nach den controllingrelevanten Besonderheiten junger Unternehmen. Zu diesem Zwecke werden die vorstehenden Erkenntnisse zu den Implikationen der Merkmale junger Unternehmen für deren Führungskontext im Gesamtzusammenhang ausgewertet. Daraus lassen sich dann die controllingrelevanten Merkmale junger Unternehmen identifizieren. Werden die Diskussionen der Implikationen in Summe betrachtet, so zeigt sich, dass die Aufmerksamkeit einen, wenn nicht sogar den wesentlichen Engpass der Führungsrationalität im Kontext junger Wachstumsunternehmen darstellt. Sie ist aufgrund der Zentralisation der Entscheidungen und der Kontrolle, die in eine Informationsüberlastung münden können, erheblich begrenzt und wird gerade durch das Unsicherheitsmoment und Wachstumsbestreben besonders gefordert. Das Übersehen elementarer Zusammenhänge und werthaltiger Alternativen können die Folge sein. Die mangelnde Expertise hinsichtlich betriebswirtschaftlicher Methodenkenntnisse verstärkt die mit der begrenzten Aufmerksamkeit einhergehenden Problematiken dahingehend, dass aufschlussreiche

Analysen

und

Prognosen

nicht

durchgeführt

werden.

Ursache-

Wirkungsbeziehungen bleiben weiterhin verborgen, die Aufmerksamkeit kann nicht auf wesentliche Faktoren gelenkt werden, Unsicherheit wird nicht abgebaut. Anhaltspunkte zur Alternativenbewertung fußen weniger auf reflexionsgeleitete Analysen als auf Intuition. Individual- und gruppenpsychologische Verzerrungen, insbesondere bzgl. der Schätzung von Wahrscheinlichkeiten und der Situationsbewertung gewinnen an Bedeutung. Dennoch darf ob der Neuheit der Situation nicht vergessen werden, dass ein zu ausgeprägtes Rekurrieren auf die Expertise in Form bereits gesammelter Erfahrungen auch Gefahren mit sich bringt, da sie bspw. die Aufmerksamkeit zu sehr auf Erkennungs- und Erklärungsmuster lenkt, die in dieser Form nicht vorliegen.

200

Die

Erkenntnisobjekt Controlling in jungen Wachstumsunternehmen

prinzipiell

anzunehmende

hohe

Ausprägung

des

Kontrollmotivs

bzw.

des

Sicherheitsbedürfnisses spielt insbesondere vor dem Hintergrund der hohen Lernanforderung im Kontext junger Unternehmen eine bedeutende Rolle. Ist es Ausdruck einer Zentralisation der Kontrolle und gehen damit Lernhandlungen einher, ist dies durchaus positiv zu werten. Führt sie aber zu einem Unterlassen der Kontrolle bzw. einer Überlastung des Unternehmensleiters, so hat dies verheerende Konsequenzen für die dynamische Fortentwicklung des Unternehmens. Werden die drei Rationalitätsengpässe in ihrer unterschiedlichen Gewichtung nun der dreistufigen Betrachtung der Rationalitätsbegrenzungen817 gegenübergestellt, so lassen sich Aussagen bzgl. der potenziellen Rationalitätsdefizite im Führungskontext junger Unternehmen treffen. Das Auftreten von Rationalitätsdefiziten aufgrund begrenzter menschlicher Verarbeitungskapazitäten, so wie sie im Konzept der Bounded Rationality Berücksichtigung finden, ist im Führungskontext junger Unternehmen anzunehmen. Zwar wurde gezeigt, dass eine solche Art der Begrenzungen in der Natur der Akteure begründet liegt und dementsprechend nach dem hier zugrunde gelegten Rationalitätsverständnis nicht als irrational gelten muss. Jedoch zeigen die

Ausführungen,

dass

in

Folge

begrenzter

Aufmerksamkeit

von

Seiten

der

Entscheidungsträger und aufgrund mangelnder Expertise der Gründer der Entscheidungsfindungsprozess in Bezug auf die implizit oder explizit zur Verfügung stehenden Informationen, deren Generierung und Auswertung weit hinter dem objektiv Möglichen und Nötigen zurückbleibt. Infolgedessen kann dies im Sinne des hier zugrunde gelegten Rationalitätsverständnisses als Rationalitätsdefizit gewertet werden. Das Ausmaß dieses Rationalitätsdefizits kann durch die entsprechende Problemrepräsentation begrenzt oder intensiviert werden. Die Wahrscheinlichkeit begrenzter Rationalität aufgrund unangemessener Problemrepräsentation ist im Führungskontext junger Unternehmen ebenfalls als hoch einzuschätzen. Sie nimmt ihren Ausgangspunkt in der Aufmerksamkeit, die zur Folge hat, dass wesentliche Bestimmungsfaktoren und Zusammenhänge nicht erkannt werden und dementsprechend in der Abbildung der Problemsituation keine Berücksichtigung finden.

817

Siehe hierzu nochmals Kapitel B2.2.2.

Erkenntnisobjekt Controlling in jungen Wachstumsunternehmen

201

Gelenkt wird die Aufmerksamkeit u.a. durch die Expertise. In Form vergangener Erfahrungen die in seinem internen Modell gespeichert sind, kann die Expertise zwar wertvolle Verkürzungen zur Verfügung stellen. Der duale Charakter der Expertise zeigt sich jedoch darin, dass sie gerade in neuartigen Handlungssituationen zu irrtumsbedingten Hypothesen verleiten kann. Zwar könnte somit gefolgert werden, dass sich die mangelnde Expertise in jungen Unternehmen aufgrund der Neuartigkeit der Situation und der ausgeprägten Branchendynamik positiv auf den Rationalitätsgrad auswirkt. Jedoch ist anzunehmen, dass der Entscheidungsträger dennoch versuchen wird, auf Basis vergangener Erfahrungen aus anderen Bereichen zu Hypothesen hinsichtlich der Handlungssituation zu gelangen. Die Gefahr einer unangemessenen Problemrepräsentation aufgrund der Verwendung falscher Schemata ist somit gegeben. Dies gilt insbesondere insofern, als er aufgrund mangelnder betriebswirtschaftlicher Kenntnisse auf intuitive Entscheidungsfindungen zurückgreifen wird. Hier wiederum zeigt sich, dass eine geringe Expertise in Form mangelnder betriebswirtschaftlicher Kenntnisse zu einer unangemessenen Problemrepräsentation führen kann, da Ursache-Wirkungsbeziehungen falsch oder gar nicht abgebildet werden, Wahrscheinlichkeiten auf Basis individual- und gruppenpsychologischer Verzerrungen geschätzt werden, und Unsicherheit im Hinblick auf die Handlungsalternativen nicht abgebaut wird. An dieser Stelle wird wiederum die Notwendigkeit zu lernen, um das Rationalitätspotenzial in dynamischer Hinsicht zu verbessern, ersichtlich. Dynamische Rationalitätsdefizite, wie sie durch ein Kontrollversagen bedingt werden, sind im Führungskontext junger Unternehmen nicht auszuschließen. Dies lässt sich zum einen auf das potenziell hohe Sicherheitsbedürfnis und der damit einhergehenden Wahrnehmungsabwehr auf Seiten des Unternehmers zurückzuführen. Zum anderen werden dynamische Rationalitätsdefizite wiederum durch den Engpass der Expertise und insbesondere dem Engpass der Aufmerksamkeit begünstigt. Die begrenzte Aufmerksamkeit verhindert das Erkennen wichtiger Signale. Mangelnde Analysefähigkeiten und eine begrenzte Wissensbasis aufgrund quantitativ begrenzter Daten und eingeschränkter Repräsentativität derselben unterbinden eine sinnvolle Kontrolle und somit ein zielgerichtetes Lernen. Dynamische Rationalitätsdefizite sind die Folge. Es lässt sich somit schlussfolgern, dass mit erheblichen Rationalitätsengpässen aufgrund einer begrenzten Aufmerksamkeit, einer mangelnden Expertise und unterlassenen Kontroll-

202

Erkenntnisobjekt Controlling in jungen Wachstumsunternehmen

handlungen zu rechnen ist. Die hierfür ursächlichen Merkmale begründen die Notwendigkeit eines Controlling junger Wachstumsunternehmen; es handelt sich folglich um die controllingrelevanten Merkmale. Somit zeigt sich, dass von den in Kapitel D2 identifizierten und in Abbildung 18 zusammengefassten Merkmalen junger Wachstumsunternehmen die folgenden Merkmale eine erhebliche Controllingrelevanz aufweisen: (1) die geringe Standardisierung, (2) die quantitativ und qualitativ begrenzte Daten-/Wissensbasis, (3) die begrenzten personellen und finanziellen Ressourcen, (4) die Zentralisation der Willensbildung und der Kontrolle, (5) das geringe betriebswirtschaftliche Methodenwissen, (6) der Zeitdruck, (7) die hohe Dynamik und (8) die hohe Unsicherheit. Forschungsfrage 1 ist somit beantwortet und steht als Ausgangspunkt zur Ableitung der Anforderungen an ein Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen – folglich der Beantwortung von Forschungsfrage 2 – zur Verfügung.

3

Ableitung der Anforderungen an Controllinginstrumente junger Wachstumsunternehmen

Der dritte und abschließende Schritt im Rahmen der Analyse des Erkenntnisobjektes Controlling in jungen Wachstumsunternehmen dient der Beantwortung der Forschungsfrage 2 nach den Anforderungen an ein Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen. Die Erkenntnisse aus den beiden vorangegangenen Kapiteln bilden hierzu die Basis. So sind die Rationalitätsengpässe, die in Kapitel E1 anhand der Implikationenuntersuchung identifiziert wurden, der Ansatzpunkt der Controllingfunktion, die ein Controllinginstrument im Sinne der Überwindung der Rationalitätsdefizite zu erfüllen hat. Die in Kapitel E2 abgeleiteten controllingrelevanten Merkmale gilt es bzgl. der Ableitung der Anforderungen zu berücksichtigen. Sie stellen die Notwendigkeit für die kontextspezifische Ausrichtung des Controlling dar, geben die Controllingfunktion vor und setzen zugleich den Rahmen der möglichen Ansatzpunkte zur Überwindung der Rationalitätsengpässe fest. Wie die Ausführungen in den Kapiteln E1 und E2 ergeben haben, lassen die controllingrelevanten Merkmale junger Wachstumsunternehmen und die damit verbundenen Ausprägungsformen der drei Rationalitätsengpassfaktoren Aufmerksamkeit, Expertise und Kontrollmotiv auf eine erhöhte Wahrscheinlichkeit des Auftretens statischer und dynamischer

Erkenntnisobjekt Controlling in jungen Wachstumsunternehmen

203

Rationalitätsbegrenzungen in der Willensbildung und -konkretisierung sowie in der Kontrolle schließen. Aus der Definition eines Controllinginstrumentes818 folgt, dass ein solches zur Überwindung der kontextspezifischen Rationalitätsdefizite bzw. -engpässe beitragen und an den führungszyklusbezogenen kritischen Größen ansetzen muss. Somit lassen sich die folgenden vier Grundanforderungen an ein Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen ableiten: Grundanforderung 1: Das Controllinginstrument muss zur Erhöhung der Aufmerksamkeit beitragen. Grundanforderung 2: Das Controllinginstrument muss zur Verbesserung der Expertise beitragen. Grundanforderung 3: Das Controllinginstrument muss in der Willensbildung Unterstützung leisten. Grundanforderung 4: Das Controllinginstrument muss in der Kontrolle Unterstützung leisten.819 Unter Berücksichtigung der Besonderheiten junger Unternehmen, die den Rahmen der Möglichkeiten zur Erfüllung der Anforderungen vorgeben, kommt es zu weiteren Spezifizierungen der Anforderungen.

818 819

Siehe hierzu nochmals Kapitel B3.1. Zur Verdeutlichung sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass sich die Anforderungen nach Erhöhung der Aufmerksamkeit und Verbesserung der Expertise auf die Willensbildungs- und Kontrollfähigkeiten bzw. auf die Antizipations- und Lernfähigkeit an sich beziehen. Es geht hierbei um die Überwindung zweier Engpassfaktoren. Die Anforderungen nach der Unterstützungsleistung in der Willensbildung und Kontrolle beziehen sich auf die kritischen Phasen des Führungszyklus. Es geht hierbei um die Unterstützungsleistung, die das Instrument in der jeweiligen Phase selbst leisten kann. Prinzipiell könnte hier auch von Willensbildungs- und Kontrollinstrumenten gesprochen werden. Zudem haben die Ausführungen zuvor gezeigt, dass dynamische Rationalitätsbegrenzungen auf ein Unterlassen der Kontrolle, sei es aufgrund eines überhöhten Sicherheitsbedürfnisses oder aufgrund anderer unternehmensbezogender Faktoren wie mangelnde betriebswirtschaftliche Kenntnisse oder eine geringe Standardisierung, zurückzuführen sind. Die Ausführungen in den Kapiteln B2.2.2.3 und B2.4.2.3 haben diesbezüglich gezeigt, dass diese Rationalitätsbegrenzungen mit einer Verbesserung der Kontrolle überwunden werden können. Der „Verbesserung“

des

Sicherheitsbedürfnisses

bzw.

Kontrollmotivs,

das

aufgrund

seiner

individualpsychologischen Struktur von Extern nur bedingt beeinflussbar ist, wird somit durch die Verbesserung der Kontrolle bzw. der Anforderung nach einer Unterstützungsleistung in der Kontrolle begegnet. Es bedarf keiner gesonderten Berücksichtigung.

204

Erkenntnisobjekt Controlling in jungen Wachstumsunternehmen

Wie die Ausführungen in Kapitel B2.4.2.1 gezeigt haben, bestehen zur Erhöhung der Aufmerksamkeit prinzipiell die zwei Möglichkeiten der Delegation oder der Konzentration auf die wesentlichen Faktoren. Im Kontext junger Unternehmen zeigt sich jedoch, dass aufgrund der Zentralisation der Entscheidungen und der mit der geringen Größe einhergehenden geringen personellen Ressourcen kaum Möglichkeiten zur Delegation gegeben sind. Die Entlastung des Gründers und somit die Erhöhung seiner Aufmerksamkeit mittels Delegation ist folglich im Kontext junger Unternehmen eingeschränkt und gemäß der Unternehmerdominanz oftmals nicht erwünscht. Die Konzentration auf die relevanten Faktoren ist aufgrund der hohen Unsicherheit schwierig. Wie gezeigt wurde, liegen oftmals keinerlei Kenntnisse hinsichtlich der entscheidungsrelevanten Wirkungsweisen und Faktoren vor. Die Anforderung der Erhöhung der Aufmerksamkeit kann dementsprechend vor dem Hintergrund der Merkmale junger Wachstumsunternehmen wie folgt konkretisiert werden: x Das Controllinginstrument muss zur Identifizierung der relevanten Faktoren beitragen. x Das Controllinginstrument muss zur Konzentration auf diese beitragen. Hinsichtlich der Anforderung der Verbesserung der Expertise gilt es zwei Aspekte zu untersuchen. Einerseits umfasst diese Anforderung die Verbreiterung der Wissensbasis als Antwort auf die Möglichkeit des Expertisemangels. Andererseits bezieht sie sich auf das Herausbilden und die Verwendung der „richtigen“ Expertise, die in Form von in internen Modellen gespeichertem Handlungs- und Erfahrungswissen maßgeblich die Abbildung der Handlungssituation beeinflusst und insofern als Antwort auf die Möglichkeit des Expertiseversagens gewertet werden kann.820 Wie die Ausführungen in Kapitel E2 gezeigt haben, spielen im Kontext junger Unternehmen beide Aspekte eine wichtige Rolle und müssen folglich bei der Anforderung nach der Verbesserung der Expertise Berücksichtigung finden. Zur Überwindung expertisebedingter Rationalitätsengpässe bietet sich zudem die Erweiterung der Wissensbasis entweder durch eine Erweiterung im Zeitablauf durch konsequentes Lernen oder durch Einbeziehen des Wissens Dritter an.821 Auch diese Möglichkeiten werden wiederum durch die Besonderheiten junger Wachstumsunternehmen

820

Siehe hierzu nochmals Kapitel B2.4.2.2.

821

Siehe hierzu nochmals Kapitel B2.4.2.2.

Erkenntnisobjekt Controlling in jungen Wachstumsunternehmen

205

determiniert. So zeigten die Diskussionen der Besonderheiten junger Wachstumsunternehmen,822 dass ein Lernen oftmals aufgrund der verschiedenen, die Kontrollphase als Basis des Lernprozesses beeinflussenden Faktoren nur in begrenztem Umfang stattfindet. Dieser Aspekt wird demgemäß im Rahmen der Diskussion der Unterstützungsleistung in der Kontrolle weiter vertieft. Das Gelernte wird wiederum in Form interner Modelle bewahrt. Um die Wahrscheinlichkeit der Verwendung eines der Handlungssituation unangemessenen internen Modells zu verringern, muss das Controllinginstrument das Herausbilden und die Verwendung eines der Situation junger Unternehmen gerecht werdenden internen Modells unterstützen. Es bedarf eines internen Modells, das das Erfassen und Abbilden neuartiger, durch Unsicherheit, Dynamik und einen hohen Optionsgehalt geprägter Handlungssituationen unterstützt. In Bezug auf die Erweiterung der Wissensbasis durch Einbeziehen des Wissens aller Organisationsmitglieder zeigt sich, dass das Wissen oftmals verteilt vorliegt und nicht in ausreichendem Maße expliziert wird. Die Erweiterung der Wissensbasis bleibt so oftmals intern hinter dem objektiv Möglichen zurück. Jedoch sind der Erweiterung der Wissensbasis intern auch durch die begrenzten personellen Ressourcen Grenzen gesetzt. Zusätzlich sollte zur Erweiterung der Wissensbasis auf das Einbinden externen Wissens zurückgegriffen werden. Dies ist jedoch durch die starke Unternehmerprägung und damit insbesondere durch den hohen Anteil der Intuition am gesamten Führungsprozess sowie durch die Spezifität der Geschäftsidee erschwert. Zur Erweiterung der Wissensbasis muss das Controllinginstrument an diesen Punkten ansetzen. Die Anforderung an das Controllinginstrument zur Verbesserung der Expertise können somit wie folgt spezifiziert werden: x Das Controllinginstrument muss zur kurz- und mittelfristigen Erweiterung der Wissensbasis durch Einbindung interner und externer Akteure die Explizierung des Wissens anregen. x Das Controllinginstrument muss das Herausbilden und die Verwendung eines internen Modells unterstützen, das der Situation junger Wachstumsunternehmen, die durch Unsicherheit, Dynamik und einen hohen Optionsgehalt geprägt ist, gerecht wird. Die Willensbildung stellt insofern eine kritische Engpassgröße im gesamten Führungszyklus dar, als die Gefahr, Fehlentscheidungen zu treffen im Kontext junger Unternehmen besonders

822

Siehe hierzu nochmals Kapitel D2.

206

Erkenntnisobjekt Controlling in jungen Wachstumsunternehmen

hoch ist und diese kaum revidiert oder in ihrer Wirkung abgefangen werden können.823 Eine Unterstützungsleistung im Sinne der Rationalitätssicherung der Führung erfüllt das Controllinginstrument dann, wenn es zur Minimierung der Wahrscheinlichkeit des Treffens von Fehlentscheidungen beiträgt. Die Unsicherheit stellt diesbezüglich das konstitutive Element dar und muss überwunden werden. Aus Effizienz- und Effektivitätsgründen sollte sich das Wachstumsunternehmen hier seinen Optionsgehalt zu Nutze machen. Dabei zeigt sich, dass eine unterlassene Nutzung des dem Wachstumsunternehmen inhärenten Optionsgehaltes, der sich sowohl hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Anzahl der Handlungsalternativen, als auch gerade in Bezug auf die flexible und rasche Reaktionsmöglichkeit manifestiert, nicht nur einer Verschwendung von Ressourcen und bedrohlichen Situation gleichkommt,824 sondern dem Unternehmen kaum eine andere Strategie zur Überwindung von Unsicherheit zur Verfügung steht.825 Der hohe Spezialisierungsgrad und die geringe Diversifizierung schließen die Möglichkeit der Risikominderung durch Diversifizierungsstrategien aus. Zudem bestehen für junge Unternehmen ob ihrer Größe kaum Möglichkeiten aktiv auf den Markt einzuwirken.826 Eine Nichtbeachtung der Flexibilität käme somit einer irrationalen Handlung im Sinne der ZweckMittel-Rationalität gleich. Zudem existieren weitere Aspekte, die das Entstehen von Rationalitätsdefiziten im Rahmen der Willensbildung begünstigen.827 Im Rahmen seiner Unterstützungsleistung muss das Controllinginstrument auch zur Überwindung dieser beitragen. Hierzu zählen der mit der Unternehmerprägung einhergehende hohe Anteil der Intuition im Willensbildungsprozess828 sowie die begrenzte Prognose- und Bewertungsfähigkeit aufgrund der Unkenntnis von

823

Siehe hierzu nochmals Kapitel E1.1.

824

Siehe hierzu nochmals Abbildung 16.

825

Siehe zu den potenziellen Strategien zur Überwindung der Unsicherheit nochmals Kapitel C1. Dabei werden die passiven Strategien nachfolgend nicht betrachtet, da diese nicht mit dem Wachstumsziel junger Unternehmen vereinbar sind.

826

Vgl. Aldrich/Fiol (1994), S. 647ff.; Zimmerman/Zeitz (2002), S. 414; Atherton (2003), S. 1385.

827

Nicht nocheinmal explizit erwähnt werden hierbei die Aspekte die aus den Engpassfaktoren der Aufmerksamkeit und Expertise resultieren. Siehe hierzu auch nochmals die Erläuterungen in Fußnote 819.

828

Hieraus leitet sich wiederum die Anforderung nach der Explizierung des Wissens ab. Da diese Anforderung aber bereits im Rahmen der Anforderung nach der Verbesserung der Expertise Berücksichtigung fand, wird sie hier nachstehend nicht erneut abgeleitet.

Erkenntnisobjekt Controlling in jungen Wachstumsunternehmen

207

Ursache-Wirkungsbeziehungen sowie begrenzter Datenverfügbarkeit einerseits und der durch die hohe Dynamik bedingte mangelnde Aussagefähigkeit derselben andererseits.829 Auch in diesem Kontext geben die Besonderheiten junger Unternehmen wiederum den Rahmen vor, innerhalb dessen das Controllinginstrument eine Unterstützungsleistung erbringen kann. So wird es aufgrund der geringen Unternehmenshistorie kaum möglich sein, weitere unternehmensbezogene Daten zu generieren. Der Verbesserung der Prognose- und Bewertungsfähigkeit sind somit an dieser Stelle Grenzen gesetzt. Die Unkenntnis von Ursache-Wirkungsbeziehungen liegt wiederum einerseits in der Neuheit der Situation und andererseits in der Komplexität derselben begründet. Die Neuheit der Situation ist wiederum konstitutiv, sie wird das Erkennen von Ursache-Wirkungsbeziehungen stets negativ beeinflussen. Sofern diese aber durch die Komplexität der Situation verdeckt sind, lassen sie sich zumindest teilweise durch Analysen und eine der Situation entsprechenden Abbildung der Handlungssituation aufdecken.830 Auch die Dynamik gehört zu den wesentlichen Merkmalen junger Wachstumsunternehmen. Sie ist ihnen inhärent und lässt sich nicht unterbinden. Das Controllinginstrument kann insofern nur eine Unterstützungsleistung wahrnehmen, wenn es dazu beiträgt, die Prognose- und Bewertungsfähigkeit durch Abbildung der Dynamik und durch Offenlegung von Ursache-Wirkungsbeziehungen zu verbessern. Zusammenfassend lässt sich die Anforderung an das Controllinginstrument nach einer Unterstützungsleistung im Rahmen der Willensbildung im Kontext junger Wachstumsunternehmen wie folgt spezifizieren: x Das Controllinginstrument muss zur Erfassung und Bewertung von Flexibilität beitragen.

829

Siehe zur Bedeutung dieser Faktoren für die Rationalität von Führungshandlungen allgemein nochmals die Ausführungen in Kapitel B2.2 und B2.3 sowie im Kontext junger Unternehmen die Ausführungen in Kapitel E1.1. Dabei sei an dieser Stelle nochmals betont, dass das Vorliegen von Merkmalen wie einer hohen Intuition oder begrenzten Prognose- und Bewertungsfähigkeit nicht per se zum Auftreten von Rationalitätsdefiziten führen müssen. Erst wenn diese Faktoren hinter einem objektivem Maße zurückbleiben, soll heißen, dass bspw. Analysen, die zum Offenlegen von relevanten UrsacheWirkungsbeziehungen führen würden, nicht durchgeführt werden, entstehen dadurch Rationalitätsdefizite. Zur Wirkungsweise der oben genannten Faktoren auf den Rationalitätsgehalt in jungen Unternehmen siehe nochmals ausführlich die Kapitel E1.1 und E2.

830

Der Aspekt des Abbildens der Handlungssituation wird bereits durch den Punkt der Verbesserung der Expertise abgedeckt.

208

Erkenntnisobjekt Controlling in jungen Wachstumsunternehmen

x Das

Controllinginstrument

muss

zur

Verbesserung

der

Prognose-

und

Bewertungsfähigkeit durch Offenlegung von Ursache-Wirkungsbeziehungen und Abbildung der Dynamik beitragen. Die Kontrolle stellt insofern eine kritische Engpassgröße im gesamten Führungszyklus dar, als sie die Basis für die hohe Lernanforderung darstellt und aufgrund verschiedentlicher Merkmale

erheblich

Komponente

der

eingeschränkt Kontrolle

gruppenpsychologischer 831

Bedeutung.

vor

Verzerrungen

wird. dem

Zudem

gewinnt

Hintergrund

bedingter

die durch

potenzieller

verhaltenssteuernde individual-

Rationalitätsdefizite

und an

Eine Unterstützungsleistung im Sinne der Rationalitätssicherung der Führung

erfüllt das Controllinginstrument so dann, wenn es zur Minimierung der Wahrscheinlichkeit der Unterbindung einer Kontrolle beiträgt. Diesbezüglich gilt es beide Formen der Kontrolle, die der Selbst- und die der Fremdkontrolle zu untersuchen. Über die beiden Engpassfaktoren Expertise und Aufmerksamkeit hinaus832 ist oftmals eine mangelnde Standardisierung ursächlich für das Ausbleiben einer Kontrolle. Zur Überwindung dieser Kontrollhürde müssen wiederum die Merkmale junger Unternehmen berücksichtigt werden. So besteht nur bedingt die Möglichkeit eine Standardisierung einzuführen; die Forderung nach einer Standardisierung entspräche nicht dem Wesen junger Unternehmen. Viel eher muss das Instrument, will es eine Controllingfunktion im Kontext junger Unternehmen wahrnehmen, zur Kontrolle anregen. Es müssen Impulse von dem Instrument selbst ausgehen. Zudem spielt auch im Rahmen der Kontrolle, wie bereits in der Willensbildung, die Dynamik eine zentrale Rolle. Wie gezeigt wurde kommt es gerade oftmals aufgrund der geringen Aussagefähigkeit bspw. von Zeitreihenvergleichen zu einem Unterlassen der Kontrolle, da sie von Seiten der Gründer für wenig sinnvoll erachtet wird. Um die Aussagefähigkeit der Kontrolle zu erhöhen, muss auch diese wiederum die Dynamik berücksichtigen. Das Datenwissen sollte auf die Erfassung des Entwicklungspotenzials sowohl der Branche als auch des Unternehmens, bspw. durch Erfassung immaterieller Vermögensgegenstände ausgerichtet sein.

831

Siehe hierzu nochmals die Ausführungen in Kapitel E1.3.

832

Nicht nocheinmal explizit erwähnt werden hierbei die Aspekte die aus den Engpassfaktoren der Aufmerksamkeit und Expertise resultieren. Siehe hierzu auch nochmals die Erläuterungen in Fußnote 819.

Erkenntnisobjekt Controlling in jungen Wachstumsunternehmen

209

Die Anforderung nach einer Verbesserung der Kontrolle durch eine Fremdkontrolle rekurriert weitestgehend auf die verhaltenssteuernde Komponente der Kontrolle, die Rationalitätsdefiziten aufgrund von einzel- oder gruppenpsychologischen Verzerrungen entgegen wirken soll. Auch hier gilt es wiederum die Besonderheiten junger Unternehmen zu berücksichtigen. Hier spielen zusätzlich zur bereits erwähnten Problematik der durch die Spezifität der Produktidee bedingten Informationsasymmetrien zwei weitere Aspekte eine Rolle. Zum einen sollte aufgrund der anzunehmenden zeitlichen Restriktion von Seiten der Kapitalgeber und zum anderen aufgrund des zusätzlichen Aufwands auf der Seite des Wachstumsunternehmens die Effizienz der Fremdkontrolle sichergestellt sein. Zudem wurde auf die Mängel in der von den Kapitalgebern erforderten Informationen hingewiesen.833 Zur Erhöhung der Effektivität der Fremdkontrolle sollten die angeforderten Kontrollgrößen das Wesen des Unternehmens besser erfassen. Auch hier gilt es die Entwicklungsdynamik abzubilden. Somit wird nicht nur der Wertbeitrag der Fremdkontrolle an sich erhöht, sondern auch eventuelle Vorbehalte auf der Seite des Wachstumsunternehmens hinsichtlich der Einblicknahme Dritter abgebaut. Die Anforderung nach einer Unterstützungsleistung im Rahmen der Kontrolle kann somit zusammenfassen wie folgt spezifiziert werden: x Das Controllinginstrument muss Impulse senden, die zur Selbstkontrolle und somit zum Lernen anregen. x Das Controllinginstrument muss das Entwicklungspotenzial bspw. durch Berücksichtigung und Bewertung immaterieller Vermögensgegenstände erfassen. x Das Controllinginstrument muss eine effektive und effiziente Fremdkontrolle ermöglichen. Tabelle 7 fasst die Anforderungen zusammen, die an Controllinginstrumente gestellt werden, um in Summe die Wahrscheinlichkeit für das Entstehen von Rationalitätsdefiziten im Führungskontext junger Wachstumsunternehmen zu begrenzen. Wenige Instrumente werden alle Anforderungen abdecken. Der Beantwortung der Frage, inwieweit der Realoptionsansatz in der Lage ist, die Anforderungen zu erfüllen und infolgedessen als Controllinginstrument in Wachstumsunternehmen zum Einsatz kommen sollte, widmet sich die nachfolgende Analyse in Abschnitt F.

833

Siehe hierzu nochmals Kapitel E1.3.

210

Erkenntnisobjekt Controlling in jungen Wachstumsunternehmen

Grundanforderungen

Zu berücksichtigende Merkmale

Erhöhung der Aufmerksamkeit

ƒ Zentralisation der Willensbildung und geringe personelle Ressourcen unterbinden die Möglichkeit der Delegation

Spezifizierte Anforderungen Das Controllinginstrument muss…

… zur Identifizierung der relevanten Faktoren beitragen … zur Konzentration auf die relevanten Faktoren beitragen

ƒ Aufgrund der hohen Unsicherheit und der damit verbundenen Unkenntnis der relevanten Faktoren ist eine Konzentration auf diese schwierig

Verbesserung der Expertise

ƒ Das intern im Unternehmen vorhandene Wissen wird oftmals nicht ausreichend expliziert und allen zugänglich gemacht

… zur Erweiterung der Wissensbasis durch Einbindung interner und externer Akteure die Explizierung des Wissens anregen

… das Herausbilden und die Verwendung eines internen Modells unterstützen, das der Situation junger Wachstumsunternehmen, die durch Unsicherheit, Dynamik und einen ƒ Das Einbinden externer Akteure hohen Optionsgehalt geprägt ist, gerecht wird zur Erweiterung der Wissensbasis wird aufgrund des hohen Innovationsgrades bzw. der hohen Spezifität der Geschäftsidee erschwert ƒ Der Erweiterung der Wissensbasis sind innerhalb des Unternehmens aufgrund der geringen personellen Ressourcen Grenzen gesetzt

Erkenntnisobjekt Controlling in jungen Wachstumsunternehmen

211

Grundanforderungen

Zu berücksichtigende Merkmale

Spezifizierte Anforderungen Das Controllinginstrument muss…

Unterstützung der Willensbildung

ƒ Ein hoher Spezialisierungsgrad schließt die Diversifizierung als Möglichkeit zur Reduzierung der Unsicherheit aus

… zur Erfassung und Bewertung von Flexibilität beitragen

ƒ Die geringe Größe schließt die Möglichkeit der aktiven Einflussnahme auf den Markt als Möglichkeit der Reduzierung der Unsicherheit aus

… zur Verbesserung der Prognose- und Bewertungsfähigkeit durch Offenlegung von Ursache-Wirkungsbeziehungen und Abbilden der Dynamik beitragen

ƒ Die hohe Flexibilität ist die einzige zweck-rationale Möglichkeit zur Überwindung der Unsicherheit ƒ Eine Generierung weiterer unternehmensbezogener Daten aufgrund der kurzen Historie ist nur bedingt möglich ƒ Die Aussagenqualität der Daten ist durch die Dynamik eingeschränkt ƒ Die Neuheit der Situation beeinflusst das Erkennen von Ursache-Wirkungsbeziehungen negativ

Unterstützung der Kontrolle

ƒ Eine Standardisierung entspricht nicht dem Wesen junger Wachstumsunternehmen

… Impulse senden, die zur Selbstkontrolle und somit zum Lernen anregen

ƒ Die Entwicklungsdynamik und begrenzte Datenbasis erschweren Aussagen von Zeitreihenvergleichen

… das Entwicklungspotenzial bspw. durch Berücksichtigung und Bewertung immaterieller Vermögensgegenstände erfassen

ƒ Zeitliche Restriktionen und zusätzlicher Aufwand führen zu weiteren Problemfeldern der Fremdkontrolle

… eine effektive und effiziente Fremdkontrolle ermöglichen

Tabelle 7: Anforderungen an Controllinginstrumente junger Wachstumsunternehmen

212

4

Erkenntnisobjekt Controlling in jungen Wachstumsunternehmen

Zwischenfazit

Vorstehendes Kapitel E diente der Untersuchung des Erkenntnisobjektes Controlling in jungen Wachstumsunternehmen. Hierbei ging es im Wesentlichen um die Beantwortung zweier Forschungsfragen, die ihren Ursprung in den eingangs identifizierten Forschungslücken des Forschungsgebietes des „Entrepreneurial Controlling“ haben. So bedarf es zur letztendlichen Überprüfung der Eignung des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen – und somit zur Erfüllung der Zielsetzung vorliegender Arbeit – einer Festlegung der Anforderungen, die an Controllinginstrumente im Kontext junger Wachstumsunternehmen gestellt werden. Um diese jedoch aus den controllingrelevanten Besonderheiten junger Unternehmen ableiten zu können, bedarf es zunächst der Identifizierung

derselben.

Diese

Aufgabenstellungen

lassen

sich

in

den

beiden

Forschungsfragen 1 nach den controllingrelevanten Merkmalen junger Wachstumsunternehmen

und

der

Forschungsfrage

2

nach

den

Anforderungen

an

ein

Controllinginstrument im Kontext junger Wachstumsunternehmen formulieren. Die Klärung dieser beiden Forschungsfragen war vornehmliches Ziel des vorliegenden Kapitels. Der Erkenntnisgewinn lässt sich wie folgt zusammenfassend darstellen. Ihren Ausgangspunkt nahm die Untersuchung in der Analyse der Implikationen der Merkmale junger Wachstumsunternehmen auf die Rationalität der Führungshandlungen. Hierzu fand der in Kapitel B2.4 aufgespannte Analyserahmen Anwendung. Dabei zeigte sich, dass die Merkmale junger Wachstumsunternehmen zu solchen Ausprägungsformen der beiden Engpassfaktoren Aufmerksamkeit und Expertise führen, die auf eine hohe Wahrscheinlichkeit für die durch sie bedingte Rationalitätsdefizite schließen lassen. Zudem konnten die beiden Führungszyklusphasen der Willensbildung und Kontrolle als kritische Engpassgrößen des Führungszyklusses identifiziert werden. Auf Basis dieser Untersuchung ließen sich dann die controllingrelevanten Merkmale aus der Menge der Charakteristika junger Unternehmen isolieren. Hierbei handelt es sich um: (1) eine geringe Standardisierung, (2) eine quantitativ und qualitativ begrenzte Daten-/Wissensbasis, (3) begrenzte personelle und finanzielle Ressourcen, (4) die Zentralisation der Willensbildung und der Kontrolle, (5) ein geringes betriebswirtschaftliches Methodenwissen, (6) den Zeitdruck, (7) die hohen Dynamik und (8) die hohe Unsicherheit. Somit lässt sich konstatieren, dass Forschungsfrage 1 beantwortet wurde.

Erkenntnisobjekt Controlling in jungen Wachstumsunternehmen

213

Mit Vorliegen der Ergebnisse der Implikationendiskussion sowie der Antwort auf Forschungsfrage 1 konnte nun die Beantwortung der Forschungsfrage 2 nach den Anforderungen an ein Controllinginstrument im Kontext junger Unternehmen vorgenommen werden. Die Basisanforderungen bestehen dabei aus einer Erhöhung der Aufmerksamkeit, einer Verbesserung der Expertise sowie einer Unterstützungsleistung im Rahmen der Willensbildung und Kontrolle. Diese lassen sich unter Berücksichtigung der Besonderheiten junger Unternehmen – wie in Tabelle 7 zusammengefasst – näher spezifizieren und letztlich in den folgenden Anforderungen zusammenfassen. Das Controllinginstrument muss: x zur Identifizierung der relevanten Faktoren beitragen x zur Konzentration auf die relevanten Faktoren beitragen x zur Erweiterung der Wissensbasis durch Einbindung interner und externer Akteure die Explizierung des Wissens anregen x das Herausbilden und die Verwendung eines internen Modells unterstützen, das der Situation junger Wachstumsunternehmen, die durch Unsicherheit, Dynamik und einen hohen Optionsgehalt geprägt ist, gerecht wird x zur Erfassung und Bewertung von Flexibilität beitragen x zur Verbesserung der Prognose- und Bewertungsfähigkeit durch Offenlegung von Ursache-Wirkungsbeziehungen und Abbildung der Dynamik beitragen x Impulse senden, die zur Selbstkontrolle und somit zum Lernen anregen x das

Entwicklungspotenzial

bspw.

durch

Berücksichtigung

und

Bewertung

immaterieller Vermögensgegenstände erfassen x eine effektive und effiziente Fremdkontrolle ermöglichen. Somit lässt sich konstatieren, dass Forschungsfrage 2 beantwortet wurde. Der mit der Beantwortungen der beiden Forschungsfragen einhergehende Erkenntnisgewinn lässt sich dabei anhand einiger Vergleiche, zum einen zu den Ergebnissen vorheriger Arbeiten zum Themengebiet des „Entrepreneurial Controlling“ und zum anderen in Bezug auf etablierte Unternehmen, darlegen.

214

Erkenntnisobjekt Controlling in jungen Wachstumsunternehmen

Der Unterschied zu vorherigen Arbeiten834 zum Themengebiet des „Entrepreneurial Controlling“ lässt sich anhand Abbildung 22 verdeutlichen. Dort wird der „Dreisprung“ des Erkenntnisgewinns visualisiert. Wie oben beschrieben wurden hierzu unter Anwendung des konzeptionellen Analyserahmens zunächst aus den Besonderheiten junger Unternehmen die controllingrelevanten Merkmale junger Wachstumsunternehmen herausgearbeitet. In einem nächsten Schritt wurden aus diesen unter dem Aspekt der Rationalitätssicherung der Führung die Anforderungen an ein Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen abgeleitet. Dabei wurde im Rahmen der Spezifizierung der Anforderungen auch jeweils der Schritt „zurück“ zu den Merkmalen junger Unternehmen gegangen. Dies bedeutet, dass die Merkmale

junger

Unternehmen

einerseits

die

Notwendigkeit

einer

spezifischen

Controllingfunktion vorgeben; aus ihnen resultiert eine bestimmte Anforderung, die das Controllinginstrument erfüllen muss. Andererseits geben sie gleichzeitig den Rahmen der Möglichkeiten zur Erfüllung der Controllingfunktion vor. Beide Aspekte fanden in der Ableitung der Anforderungen Berücksichtigung.

Konzeptioneller Bezugsrahmen des Controlling als Rationalitätssicherung der Führung

Anforderung der Rationalitätssicherung der Führung

Notwendigkeit der kontextspezifischen Ausrichtung des Controllinginstrumentes

Merkmale junger Wachstumsunternehmen

Controllingrelevante Merkmale junger Wachstumsunternehmen

Anforderungen an Controllinginstrumente junger Wachstumsunternehmen

Rahmen der Möglichkeiten zur Überwindung der Rationalitätsengpässe

Abbildung 22: „Dreisprung“ des Erkenntnisgewinns

Im Vergleich zu anderen Arbeiten des Themengebietes „Entrepreneurial Controlling“ zeigt sich, dass nur in wenigen Arbeiten einer dieser Schritte vorgenommen wurde und dass bisher

834

Siehe zu den nachfolgenden Ausführungen im Wesentlichen die Ergebnisse der Literaturanalyse in Kapitel A1.

Erkenntnisobjekt Controlling in jungen Wachstumsunternehmen

215

in keiner der Arbeiten alle drei Schritte gegangen wurden.835 Neben der Überwindung der im Rahmen der Problemstellung diskutierten Problemfelder, die gerade aus dem partiellen Unterlassen dieser Schritte resultieren, lässt sich der Erkenntnisgewinn in einem Vergleich der Ergebnisse aufzeigen. So zeigt sich, dass bspw. einige Arbeiten aus dem Merkmal der Unternehmerprägung die Anforderung der Zentralisierung und Einfachheit ableiten.836 Diese Anforderungen sind nicht grundsätzlich falsch, sie lassen nur einige Punkte außer acht. So wird u.a. nicht berücksichtigt, dass aus der Anforderung der Zentralisierung eine weitere zeitliche Belastung des Unternehmers und eine weitere Forcierung der Verwendung von Intuition resultieren kann und somit letztlich die Wahrscheinlichkeit der Entstehung von Rationalitätsdefiziten erhöht anstatt vermindert wird. Zudem ist die Anforderung nach Einfachheit vor dem Hintergrund des geringen betriebswirtschaftlichen Methodenwissens zwar teilweise nachzuvollziehen. Es werden jedoch dabei zwei Aspekte venachlässigt. Zum einen ist nicht geklärt, ob ein einfaches Instrument die zum Teil komplexen Aufgabenstellungen in jungen Unternehmen bewältigen kann und zum anderen wird die Möglichkeit der Einbindung des Wissens Dritter vernachlässigt. Somit bleibt kritisch zu hinterfragen, ob die Anforderung der Einfachheit nicht von vornherein die Möglichkeit der Verwendung eines Instrumentes, das den Unternehmer befähigt, komplexe Ursache-Wirkungsbeziehungen offenzulegen und Unsicherheiten abzubilden – Anforderungen die vor dem Hintergrund der Rationalitätsdefizite aufgrund unangemessener Problemrepräsentation einen hohen Stellenwert einnehmen – unterbindet. Es muss an dieser Stelle die Frage nach der Rationalität bzw. Effektivität der Verwendung eines Instrumentes gestellt werden, das zwar einfach anzuwenden ist, dessen Wertbeitrag aber eventuell hinter dem objektiv Möglichen zurückbleibt. Der Erkenntnisgewinn, der insbesbesondere mit dem Gehen des dritten Schrittes, also der Bezugnahme auf den durch die Merkmale junger Unternehmen vorgegebenen Rahmen zur Überwindung der Ratinalitätsdefizite, einhergeht, lässt sich an zwei Beispielen verdeutlichen. Durch die explizte Überprüfung der allgemeinen Möglichkeiten zur Überwindung eines Rationalitätsengpasses an den Merkmalen junger Unternehmen konnten nicht nur die

835

Siehe hierzu im Wesentlichen die Literaturauswertung in Kapitel A1.

836

Siehe bspw. Achleitner/Bassen (2002); Achleitner/Bassen (2003a); Arnaout/Gleich (2003); Stahl (2003); Voigt, et al. (2003).

216

Erkenntnisobjekt Controlling in jungen Wachstumsunternehmen

Anforderungen spezifiziert, sondern gleichzeitig sichergestellt werden, dass die Anforderung mit den Merkmalen junger Unternehmen konform geht. Als ein Beispiel lässt sich die Frage nach den Möglichkeiten der Erhöhung der Aufmerksamkeit durch Delegation oder Konzentration nennen. Arbeiten, die diesen letzten Schritt der Berücksichtigung des vorgegebenen Rahmens nicht gehen, leiten daraus die Anforderung nach der Delegation der Controllingfunktion ab, ohne dabei zu berücksichtigen, dass dies im Kontext junger Unternehmen aufgrund der geringen personellen Ressourcen nur bedingt möglich ist.837 Ein anderes Beispiel sind Arbeiten, die zwar in der geringen Standardisierung ein controllingrelevantes Merkmal erkennen, jedoch bei der Ableitung der Anforderung die Merkmale junger Unternehmen unberücksichtigt lassen, und somit letztlich die dem Charakter junger Unternehmen nicht entsprechende Anforderung der Standardisierung stellen.838 Es lässt sich somit an dieser Stelle konstatieren, dass solche Arbeiten zwar die Notwendigkeiten eines spezifischen Controlling aus den Merkmalen junger Unternehmen folgern, diese dann aber bei der Ableitung der Anforderungen unberücksichtigt lassen und somit letztlich Anforderungen an das Controlling stellen, die sich nicht oder nur unwesentlich von denen etablierter Unternehmen unterscheiden. Dabei zeigt sich jedoch, dass gerade die aus den Merkmalen junger Unternehmen resultierende Controllingnotwendigkeit und die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zur Erfüllung der Controllingfunktion oftmals denen etablierter Unternehmen diametral entgegen stehen, wie sich am Beispiel der Erhöhung der Expertise zeigen lässt. Während sich diesbezüglich in jungen Unternehmen die Frage nach der Erweiterung der Wissenbasis stellt und die Weitergabe des Wissens aufgrund der kurzen Kommunikationswege unproblematisch ist, stellt sich in etablierten Unternehmen oftmals eher die Frage, wie das breite, über die ganze Organisation verstreute Wissen an alle relevanten Stellen weitergegeben werden kann.839 Ein anderes Beispiel ist die Erhöhung der Aufmerksamkeit. Zwar müssen sich etablierte Unternehmen auch hier immer wieder die Frage nach den relevanten Faktoren zur Konzentration auf dieselben stellen. Jedoch erweist sich diese Fragestellung aufgrund des stabileren Marktumfeldes in der Regel als weniger diffizil als im Kontext junger

837

Siehe bspw. Voigt, et al. (2003) sowie ähnlich Nietzer (2003).

838

Siehe bspw. Lück/Henke (2003).

839

Vgl. a.V. Laux/Liermann (2003), insbesondere S. 188ff.

Erkenntnisobjekt Controlling in jungen Wachstumsunternehmen

217

Unternehmen. Ihnen bietet sich auf der anderen Seite zur Erhöhung der Aufmerksamkeit genau die Möglichkeit, die in jungen Unternehmen nicht zur Verfügung steht, nämlich die der Delegation.840 Mit den vorstehenden Vergleichsbeispielen lässt sich somit konstatieren, dass mit der Beantwortung der Forschungsfragen 1 und 2 ein wesentlicher Beitrag zur „Entrepreneurial Controlling“-Forschung geleistet wurde. Mit der Beantwortung der Forschungsfrage 2 liegen nun allgemeine Beurteilungskriterien und Gestaltungsregeln für ein Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen vor. Im sich anschließenden Kapitel F wird der Realoptionsansatz nun dahingehend in seiner Eignung als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen überprüft.

840

Siehe zu Fragestellungen der Delegation a.V. Laux/Liermann (2003), S. 225.

218 Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen

F Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen Dem eingangs skizzierten Forschungsziel folgend dient das vorliegende Kapitel der Analyse, inwiefern der Realoptionsansatz zur Verwendung als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen geeignet ist und dementsprechend einen Wertbeitrag zur Rationalitätssicherung der Führung im Kontext junger Unternehmen zu leisten vermag. Hierzu findet das in Kapitel B3.2 aufgestellte Schema zur Beurteilung der Eignung von Instrumenten zur Rationalitätssicherung Anwendung. Die entsprechenden Vorarbeiten wurden geleistet. Zu einer umfassenden Analyse bedarf es eines Struktur- und Denkmodells, das die Vorgehensweise zur Anwendung des Realoptionsansatzes und die dadurch generierten Wertbeiträge zur Überwindung der Rationalitätsengpässe aufzeigt. Die Auswahl und Vorstellung eines solchen Denkmodells steht den weiteren Schritten voran und wird in Kapitel F1 vorgenommen. Die Analyse des Bruttonutzens, den der Realoptionsansatz zur Überwindung der Rationalitätsengpässe im Kontext junger Unternehmen zu leisten vermag, erfolgt in Kapitel F2. Dem Beurteilungsschema folgend wird der Bruttonutzen aus allen Faktoren bestimmt, die einen Beitrag dazu stiften, Rationalitätsengpässe zu überwinden. Dementsprechend wird im Rahmen der Bruttonutzenanalyse untersucht, in welchem Umfang durch Anwendung des Realoptionsansatzes ein Wertbeitrag zur Überwindung der identifizierten Rationalitätsengpässe im Kontext junger Unternehmen generiert wird. Zentrales Element dieses Kapitels stellt die Überprüfung der in Kapitel E3 aufgestellten Anforderungen an ein Controllinginstrument im Kontext junger Wachstumsunternehmen dar. Dieser Bruttonutzen kann zumeist nicht im vollen Umfang realisiert werden, da ihm Kosten im Sinne wertmindernder Faktoren gegenüberstehen. Eine solche Kostenanalyse wird in Kapitel F3 vorgenommen.

K. H. Faaß, Der Realoptionsansatz als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen, DOI 10.1007/978-3-8350-9608-0_6, © Deutscher Universitäts-Verlag | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007

Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen 219

Im anschließenden Kapitel F4 wird dann durch Gegenüberstellung der Kosten und Nutzen eine Gesamtbeurteilung vorgenommen und der durch den Realoptionsansatz gestiftete Nettonutzen zur Rationalitätssicherung ermittelt.

1

Auswahl und Vorstellung eines Denkmodells

Kapitel B diente der allgemeinen Vorstellung der Idee und der Grundlagen des Realoptionsansatzes. Nun soll dieser hinsichtlich seiner Eignung als Controllinginstrument untersucht werden. Hierzu bedarf es einer näheren Betrachtung, welche Art von Wissen er durch seine Verwendung generiert, welche Informationen er dem Anwender liefert und wie die Anwendung des Instrumentes zur Rationalitätssicherung beitragen kann. Aufschluss liefert dabei eine Betrachtung der Vorgehensweise in der Anwendung. In der Literatur wurden verschiedenartige Prozessmodelle entwickelt, die aufzeigen, wie der Realoptionsansatz als Instrument Verwendung finden kann. Ein solches Modell soll nachfolgend als Denkrahmen genutzt werden. Wie in Kapitel C3.3.3 ausgeführt, lassen sich die meisten der Prozessmodelle zur Operationalisierung der Realoptionstheorie auf die drei Schritte Identifikation, Bewertung und Management von Realoptionen zurückführen. Aufgrund der folgenden drei Gründe soll ein solches Modell auch der nachfolgenden Betrachtung zugrunde gelegt werden. Das vornehmliche Motiv liegt in seiner Operationalisierung des Realoptionsansatzes als Unternehmensführungsinstrument begründet. Wie gezeigt wurde, stellt sowohl die Willensbildung als auch die Kontrolle eine wesentliche Engpassgröße im Führungskontext junger Unternehmen dar.841 Der Kriterienkatalog zur Beurteilung von Controllinginstrumenten fordert aus Effizienz- und Effektivitätsgründen, zur Rationalitätssicherung an eben solchen Phasen anzusetzen, die eine kritische Größe darstellen. Die Verwendung eines reinen Bewertungsmodells würde die Möglichkeit, den Wertbeitrag des Realoptionsansatzes in der Kontrolle zu analysieren, von vornherein unterbinden. Damit einher geht das zweite Argument für die Verwendung dieses Prozessmodells. So integriert es explizit die konzeptionelle Nutzung des Realoptionsansatzes, während andere

841

Siehe hierzu nochmals Kapitel E1.

220 Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen

Modelle den Schwerpunkt auf die instrumentelle Nutzung legen.842 Wie die Ausführungen in Kapitel B3.2 zu den Anforderungen der Controllinginstrumente gezeigt haben, bedarf es der expliziten Analyse beider Aspekte zur Beurteilung des Wertbeitrages zur Rationalitätssicherung. Zudem stellen HUNGENBERG

ET

ALII diesen dreiphasigen Zyklus dem idealtypischen

Entscheidungsprozess im strategischen Management gegenüber und zeigen auf, dass die Phase Identifikation von Realoptionen der Phase der strategischen Analyse entspricht, die Bewertungsphase der Strategieformulierung und -auswahl gegenübergestellt werden kann und das Management von Realoptionen der Strategieimplementierung entspricht.843 Diese Phasen lassen sich auch dem Führungszyklus i.e.S. und dem Führungszyklus i.w.S. zuordnen. Die Perzeption entspricht dabei der Wahrnehmung bzw. Identifizierung der Realoptionen. Die Prognose und Bewertung lassen sich der Überprüfung der Optionsanalogie, der Ermittlung der wertrelevanten Faktoren und der Durchführung der Bewertung an sich gegenüberstellen. Der Führungszyklus i.w.S. beinhaltet zudem die Willensdurchsetzung und Kontrolle im Sinne eines Managements der Realoptionen. Somit stellt es ein mit dem Grundverständnis des Rationalitätssicherungsansatzes kompatibles Vorgehen dar. Die Kompatibilität zum Akteursmodell, die Berücksichtigung der instrumentellen und konzeptionellen

Sichtweise

sowie

seine

Operationalisierung

als

Instrument

der

Unternehmensführung begründen die Eignung des dreistufigen Modells als Denk- und Strukturierungsrahmen der nachfolgenden Analyse.

2

Nutzenanalyse

Dem

in

Kapitel

B3.2

aufgestellten

Kriterienkatalog

zur

Beurteilung

von

Controllinginstrumenten folgend wird der Bruttonutzen, den ein Instrument zur Rationalitätssicherung leisten kann, durch das Ausmaß der Rationalitätsengpässe einerseits und das Potenzial zu deren Verringerung durch Einsatz des entsprechenden Instrumentes andererseits bestimmt. Demgemäß werden die einzelnen nachfolgenden Analyseschritte, die es zum weiteren Erkenntnisgewinn zu gehen gilt, vorgegeben. Zunächst werden die einzelnen Stufen

842

Vgl. Pritsch (2000), S. 202f.

843

Vgl. Hungenberg, et al. (2005), S. 17; ähnlich Peske (2002), S. 94.

Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen 221

des als Denkrahmen fungierenden Prozessmodells – wie in Abbildung 23 dargestellt – in ihrem Ziel und Inhalt in den Kapiteln F2.1, F2.3 und F2.5 vorgestellt. Aus dieser Betrachtung lässt sich der jeweilige instrumentelle und konzeptionelle Nutzen der einzelnen Schritte ableiten. An dieser Darstellung werden dann die in Abschnitt D2 identifizierten Merkmale junger Unternehmen, die einen Einfluss auf den Rationalitätsgehalt des Führungskontextes ausüben, gespiegelt. Somit lässt sich der Wertbeitrag des jeweiligen Schrittes bzw. die Bedeutung des Prozessmodells im Ganzen zur Rationalitätssicherung im Kontext junger Unternehmen ableiten. Diese Analyse wird in den sich jeweils an die Vorstellung der einzelnen Schritte anschließenden Kapiteln F2.2, F2.4, F2.5 und F2.7 vorgenommen.

1

2

Identifizieren 1. Erfassung potentieller Realoptionen 2. Überprüfung der Optionsanalogie 3. Priorisierung der Realoption

Bewerten 1. Auswahl eines Bewertungsmodells 2. Bestimmung der Bewertungsparameter 3. Durchführung der Bewertung

3 Managen

1. Analyse der Werttreiber 2. Ableitung und Auswahl von Wertsteigerungsmaßnahmen 3. Festlegung der Ausübungsstrategie

Abbildung 23: Prozessmodell des Realoptionsansatzes (in Anlehnung an: Pritsch (2000), S. 202)

Die folgenden Ergebnisse basieren im Wesentlichen auf einer umfassenden Auswertung der Realoptionsliteratur sowie auf Plausibilitätsüberlegungen. Zur zielgerichteten Unterstützung des Forschungsprozesses wurde zudem das dreistufige Prozessmodell mit einem Gründungsteam hinsichtlich ihrer Geschäftsidee durchgesprochen. Hierbei handelt es sich um ein Unternehmen, das eine Technologie zur Herstellung von Brennstoff aus biogenen Feststoffen entwickelt hat. Zur Illustration der nachstehenden Aussagen werden einige Ergebnisse der Diskussion als Beispiele angeführt; es wird zur Kennzeichnung jeweils von dem „Beispielunternehmen“ gesprochen. Diese Beispiele dienen jedoch lediglich der Verdeutlichung der Aussagen und erheben nicht den Anspruch einer empirischen Überprüfung. Aus Gründen der Vertraulichkeit muss auf eine vollständige Darstellung der Ergebnisse

222 Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen

verzichtet werden. So werden jeweils nur Teilausschnitte der Ergebnisse präsentiert sowie auf eine Angabe von Zahlenmaterial verzichtet.

2.1

Ziel und Inhalt der Identifikationsphase

Ziel des ersten Prozessschrittes, der Identifizierung, ist die Umwandlung von so genannten Schattenoptionen in Realoptionen.844 Daher gilt es zunächst, wie in Kapitel F2.1.1 dargestellt, die dem Unternehmen potenziell zur Verfügung stehenden Realoptionen zu erfassen. Jedoch liegt der Zweck dieser Phase nicht in dem alleinigen Erkennen der Realoptionen begründet, viel eher gilt es, diese zu bewerten und zu nutzen. Aus diesem Grunde bedarf es zudem der Überprüfung der Optionsanalogie sowie einer Priorisierung der identifizierten Realoptionen, um diese einer sich anschließenden Bewertung zugänglich zu machen. Diese beiden Teilschritte werden in den Kapiteln F2.1.2 und F2.1.3 dargestellt.

2.1.1

Erfassung potenzieller Realoptionen

Den Ausgangspunkt der Identifizierung von Realoptionen bildet die systematische Erfassung der dem Unternehmen inhärenten Handlungsflexibilitäten. Hierzu bietet es sich an, mit Hilfe strategischer Analysetools, wie bspw. der Wertschöpfungskette von PORTER,845 die Ressourcenbasis des Unternehmens anhand der in Kapitel C3.2 vorgestellten Klassifikationsmerkmale auf die Existenz von Handlungsspielräumen hin zu untersuchen und sie in die entsprechende Kategorie der Lern-, Wachstums- oder Versicherungsoptionen einzuordnen.846 PESKE hat zudem einen Fragenkatalog entworfen, der die systematische Identifizierung von Realoptionen auf Projekt-, Geschäftsbereichs- und Unternehmensebene fördern soll.847

844

Siehe hierzu nochmals die Ausführungen in Kapitel C3.3.3.

845

Vgl. Eube (2000), S. 381f. Siehe zur Wertschöpfungskette von Porter grundlegend Porter (2000), S. 93ff.

846

Vgl. Pritsch (2000), S. 203; Baecker/Hommel (2002), S. 57; Damisch (2002); S. 278.

847

Auf Einzelprojektebene handelt es sich dabei um die folgenden vier Fragen: (1) Welche Handlungsmöglichkeiten des untersuchten Investitionsprojektes lassen sich identifizieren? (2) Weisen diese Handlungsmöglichkeiten den Charakter einer Realoption auf? (3) Welchen Realoptionskategorien lassen sich die identifizierten Realoptionen zuordnen? (4) Welche Interaktionseffekte existieren zwischen den einzelnen identifizierten Realoptionen? Siehe hierzu ausführlich Peske (2002), S. 112-116.

Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen 223

Vereinfachend gilt es zunächst, die Realoptionen isoliert zu betrachten, bevor in einem nächsten Schritt Interaktionseffekte zwischen den einzelnen Realoptionen berücksichtigt werden. Zu Interaktionseffekten, also Wechselwirkungen sowohl auf Einzelprojektebene als auch auf Unternehmensebene,848 kommt es immer dann, wenn sich die einzeln betrachteten Realoptionen auf das gleiche Underlying beziehen und es somit zu Überschneidungen des Ausübungsbereichs kommt.849 Ein Beispiel wäre die Möglichkeit zur Verringerung der Produktionskapazität bei negativer Entwicklung der Nachfrage oder die komplette Stilllegung der Produktion. Beide Optionen beziehen sich auf das gleiche Underlying, ihre Ausübungsbedingung, die negative Entwicklung unterscheidet sich letztendlich nur in der Höhe des Entscheidungskriteriums. Wird jedoch die Option zur Stilllegung ausgeübt, verliert die Option zur teilweisen Kapazitätsreduzierung ihren Wert. Aufgrund von Interaktionseffekten hat das gesamte Optionsportfolio eines Unternehmens in der Regel einen geringeren Wert als die Summe der einzelnen Realoptionen. Eine Vernachlässigung solcher wechselseitigen Wirkungsweisen könnte erhebliche Abweichungen in der Wertermittlung und letztendlich im Management der Optionen zur Folge haben.850 In diesem Zusammenhang zeigt sich, dass aufgrund der Gefahr von unsicherheitsbedingten Fehlentscheidungen einerseits und der hohen Branchendynamik andererseits, das frühzeitige Erkennen von Realoptionen und das Steuern derselben gerade bei jungen Unternehmen von außerordentlicher Wichtigkeit sind. Daher ist es unerlässlich, das Identifizieren von Realoptionen auch auf die Suche nach neu zu erschließenden Handlungsflexibilitäten auszurichten. Die Ausrichtung solcher Suchanstrengungen, die wiederum durch Rückgriff auf das Klassifikationsschema geleitet werden können, ist im Wesentlichen von der jeweiligen Handlungssituation und dem Unternehmenskontext geprägt.851 Jungen Unternehmen bieten

848

Vgl. Mason/Merton (1985), S. 35. So ist bspw. einerseits vorstellbar, dass einem Investitionsprojekt an sich unterschiedliche Handlungsflexibilitäten inhärent sind, die sich in ihrer Werthaltigkeit gegenseitig beeinflussen. Ebenso können die einzelnen Projekte unterschiedliche Wirkungen auf den Erfolg einzelner Geschäftsbereiche haben. Vgl. hierzu ausführlich Peske (2002), S. 107ff.

849

Andernfalls können die Realoptionen als von einander unabhängig betrachtet und bewertet werden. Siehe hierzu ausführlich Tomaszewski (1999), S. 143ff.; Trigeorgis (2000), S. 143f.

850

Vgl. Trigeorgis (2000), S. 227; Farag (2003), S. 575. Die Wirkungsweise und Bewertung von Interaktionseffekten wird in Kapitel F2.3.3 näher betrachtet.

851

Die Bedeutung der einzelnen Realoptionstypen für Wachstumsunternehmen wird in Kapitel F2.1.3 diskutiert.

224 Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen

sich solche Fragestellungen bspw. im Rahmen von Investitionsvorhaben unterschiedlichster Art oder bzgl. der Markteintrittstrategien an. Die Diskussion mit dem Beispielunternehmen fand diesbezüglich vor dem Hintergrund verschiedener anstehender, zum Teil dependenter Entscheidungen statt. So stellt sich im Rahmen der Markteintrittsstrategie die Frage nach möglichen zu bedienenden Märkten. Hierbei bieten sich primär die Möglichkeiten852 des Grillmarktes, des privaten sowie industriellen Heizmarktes als auch des Strommarktes an. Eng damit verbunden ist die Frage nach der Investition in eine Produktionsanlage. Hier bieten sich die Möglichkeiten des Baus einer Pilotanlage mit zunächst geringen Kapazitäten, des Baus einer kompletten Anlage mit hohen Kapazitäten sowie die Möglichkeit der Lizensierung. Eng mit der Frage nach den Investitionsmöglichkeiten verbunden ist wiederum die Frage nach den Finanzierungsmodellen. Als zu betrachtende Alternativen wurden die Möglichkeiten der Eigenfinanzierung, die Finanzierung mittels Business Angels oder Venture-Capital-Geber sowie die Finanzierung durch einen strategischen Investor sowohl auf Seiten der Rohstofflieferanten als auch auf Seiten potenzieller Abnehmer identifiziert. Durch Kombination der jeweiligen Alternativen der Markteintrittsstrategie, der Investitions- und der Finanzierungsmöglichkeiten bieten sich dann noch weitere Alternativen.853 Mit den vorstehenden Fragestellungen lassen sich sodann aus optionstheoretischer Sicht zwei unterschiedliche Betrachtungswinkel einnehmen. Hierbei handelt es sich zum einen um die Sichtweise des Unternehmens und zum anderen um die eines potenziellen Kapitalgebers. Während sich aus Sicht des Unternehmens vornehmlich die Fragestellungen des Markteintritts und der Investition als Optionen betrachten lassen, werden potenzielle Kapitalgeber das Unternehmen an sich als Option interpretieren. Nachstehende Tabelle 8 stellt exemplarisch Beispiele für die unterschiedlichen Sichtweisen zusammen.

852

Es wird hierbei bewusst der Begriff der Möglichkeit, oder nachstehend auch der der Alternative verwendet, da es sich bei einigen der Alternativen, wie in Kapitel F2.1.2 zu sehen sein wird, nicht per se um Handlungsalternativen handelt, die im Sinne einer Realoptionen zur Überwindung relevanter Unsicherheiten geeignet sind.

853

Zudem zeigt sich, dass sich einige der Alternativen von vornherein gegenseitig ausschließen. So ist bspw. der Bau einer kompletten Anlage aufgrund der damit verbundenen hohen Investitionskosten nicht durch eine alleinige Eigenfinanzierung zu bewerkstelligen.

Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen 225

Potenzielle Realoptionen Sichtweise des Unternehmens Genehmigung zum Anlagenbau Erschließung der Möglichkeit zum Anlagenbau Flexibilität im Anlagenbau Möglichkeit des Baus einer Pilotanlage Möglichkeit des Baus einer kompletten Anlage Möglichkeit der Lizensierung Markenaufbau in einem der potenziellen Märkte Erschließung von Wachstumsmöglichkeiten Aufbau von Vertriebspartnerschaften Möglichkeit zur Erschließung des Marktzugangs Möglichkeit zur Vereinbarung fester Abnahmemengen Aufbau von Lieferantenpartnerschaften Absicherung gegen Rohstoffverknappung Sichtweise des strategischen Investors (Lieferantenseite) Erschließung neuer Verwendungsmöglichkeiten Zugang zu neuen Märkten Sichtweise des strategischen Investors (Abnehmerseite) Absicherung gegen Strompreis-/Ölpreisschwankungen

Realoptionskategorie

Modellierung

Wachstumsoption

Calloption

Lernoption Wachstumsoption Versicherungsoption

Calloption Calloption Putoption

Wachstumsoption

Calloption

Wachstumsoption Versicherungsoption

Calloption Putoption

Versicherungsoption

Putoption

Wachstumsoption Wachstumsoption

Calloption Calloption

Versicherungsoption

Putoption

Tabelle 8: Optionsbeispiele aus zwei Betrachtungswinkeln

Die identifizierten Handlungsspielräume gilt es anschließend auf ihre Optionsanalogie hin zu überprüfen.

2.1.2

Überprüfung der Optionsanalogie

Das Überprüfen der Optionsanalogie stellt gewissermaßen einen abschließenden Schritt der reinen Erfassung der Handlungsflexibilität sowie einen vorbereitenden Schritt auf die Priorisierung der näher zu betrachtenden Realoptionen dar. Sie dient der Abgrenzung werthaltiger Handlungsalternativen, die „echte“ Realoptionen darstellen, von solchen „Scheinoptionen“, denen keine Handlungsoption bzw. keine asymmetrische RisikoErtragsstruktur zugrunde liegt und die Gefahr von Überbewertungen und Fehlentscheidungen mit sich bringen.854 Ausgangpunkt der Überprüfung bildet eine intensive Auseinandersetzung mit den beiden – den Optionscharakter einer Situation bestimmenden – Größen der Flexibilität und der Unsicherheit.855

854

Siehe hierzu auch insbesondere Adner/Levinthal (2004b) sowie Adner/Levinthal (2004a), S. 124.

855

Siehe hierzu auch nochmals Abbildung 6.

226 Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen

Während sich ein Großteil der Diskussionen auf eine rein qualitative Bestimmung des Ausmaßes der Flexibilität beschränkt,856 versuchen andere Autoren857 bereits quantitative Elemente mit einzubeziehen. Sie plädieren für die Entwicklung bestimmter Richtwerte, die bspw. den NKW des Ausübungspreises und den NKW der Erschließungskosten zueinander in Beziehung setzen.858 Prinzipiell, so wurde in Kapitel D2.5 gezeigt, sind Wachstumsunternehmen durch ein hohes – sowohl intern als auch extern bedingtes – Unsicherheitsmoment gekennzeichnet. Aus der Finanzoptionstheorie resultiert generell ein positives Unsicherheitsverständnis.859 Dieses wurde weitestgehend durch die traditionelle Realoptionsliteratur übernommen. Jedoch wird in jüngerer Zeit eine differenzierte Unsicherheitsbetrachtung postuliert.860 Aus realoptionstheoretischer Sicht sollten dabei zweierlei Aspekte betrachtet werden. Zum einen

gilt

es

über

die

Unsicherheitsquellen

zu

ermitteln,

welche

Form

der

Wahrscheinlichkeitsverteilung zugrunde liegt. Zum anderen gilt es den Prozess der Unsicherheitsauflösung zu betrachten.861 Den Ursprung nehmen diese Überlegungen in der Tatsache, dass mit dem Aufrechterhalten und Ausnutzen von Flexibilität Kosten verbunden sind. Diese lohnt es aber nur aufzuwenden, so lange dadurch die spezifische Unsicherheit auch überwindbar ist. Während bei Finanzoptionen die Unsicherheit prinzipiell in seiner negativen Auswirkung durch das Optionsrecht begrenzt werden kann, ist dies bei Realoptionen nicht immer gegeben. Dies lässt sich an der Form der Wahrscheinlichkeitsverteilung des unsicheren Parameters

856

Siehe hierzu bspw. Peske, der die Diskussion der Flexibilität durch die Frage: „Weisen diese Handlungsmöglichkeiten den Charakter einer Option auf?“ (Peske (2002), S. 112) abdeckt. Siehe weiter exemplarisch McGrath/MacMillan (2000), S. 38ff.

857 858

Hierzu zählen bspw. Luehrman (1998b); Rams (1998); Damisch (2002); Hungenberg, et al. (2005). Hinter dieser Maßzahl steht die Überlegung, dass der Ausübungspreis eine gewisse Bedeutung gegenüber den Erschließungskosten aufweisen sollte. Andernfalls wäre die Verzögerung der Investition von nur geringem Wert. Vgl. Hungenberg, et al. (2005), S. 27. Siehe für die Ableitung weiterer solcher Richtwerte exemplarisch Luehrman (1998b), S. 56ff. Siehe auch Damisch (2002), S. 283ff.

859

Siehe hierzu nochmals die Ausführungen in Kapitel C2.2.1.2, die darlegen, weswegen aus optionspreistheoretischer Sicht ein Mehr an Unsicherheit positiv zu interpretieren ist.

860

Siehe hierzu Pritsch (2000), S. 213, der u.a. auf die zum Teil widersprüchlichen Aussagen der Literatur hinweist.

861

Siehe hierzu weitestgehend Pritsch (2000), S. 214ff.

Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen 227

erkennen. Nicht alle in realen Handlungssituationen gegebenen Unsicherheiten sind durch ein „upside-“ und ein „downside-Potential“ gleichermaßen gekennzeichnet; ebenso lassen sich nicht alle Unsicherheiten in ihrer negativen Entwicklung durch eine Handlungsflexibilität begrenzen. Das Zulassungsrisiko in der Medikamentenentwicklung beinhaltet bspw. kein „upside-Potential“. Bei Erhalt der Zulassung bleibt der Projektwert konstant, wird die Zulassung nicht gewährt, fällt er sofort auf null.862 Ähnlich verhält es sich mit Patentzulassungen. Sie stellen in der Regel für junge Wachstumsunternehmen eine Unsicherheit dar. Bei einigen der Unternehmen sinkt der Unternehmenswert im Falle einer Nichterteilung des Patentes direkt auf Null. Durch eine höhere Unsicherheit der Patenterteilung lässt sich der Unternehmenswert zudem nicht erhöhen. Nur wenn durch eine gegebene Handlungsflexibilität die symmetrische Risiko-Ertragsstruktur in eine rechtsschiefe Verteilung umgewandelt werden kann, beeinflusst die vorliegende Unsicherheit in ihrem Ausmaß den Optionscharakter einer Situation. Die betrachteten Unsicherheitsfaktoren sind somit letztendlich für eine Realoptionsbetrachtung nur dann von Relevanz, wenn ihr mit Handlungsflexibilitäten begegnet werden kann bzw. wenn bei einer positiven Entwicklung die Realoption ausgeübt und bei einer negativen Entwicklung auf die Ausübung verzichtet wird.863 Im Falle des betrachteten Beispielunternehmens stellt das Peis-Leistungsverhältnis des Brennstoffes, das sowohl durch den unsicheren Wirkungsgrad der Produktionsanlage als auch die Rohmaterialqualität bestimmt wird, eine solche Unsicherheitsquelle dar. In Abhängigkeit des Peis-Leistungsverhältnisses wird das Produkt für unterschiedliche Märkte interessant.864 Mit Lernoptionen im Sinne einer stufenweisen Kapazitätserweiterung kann bspw. auf das Auflösen dieser Unsicherheit reagiert werden, indem mit der Produktion auf einer kleineren Anlage zunächst Informationen über das Preis-Leistungsverhältnis gesammelt werden. Die Unsicherheit hat somit positive Auswirkungen auf den Projektwert. Damit sind jedoch noch nicht alle die Unsicherheit betreffenden Fragen beantwortet. Auch der Prozess der Unsicherheitsauflösung spielt hinsichtlich der Überwindungsmöglichkeiten von Unsicherheit eine Rolle. Während sich Produktmarktunsicherheiten und Wettbewerbs-

862

Siehe hierzu Pritsch (2000), S. 214.

863

Vgl. Damisch (2002), S. 287ff.; ähnlich Eisenführ/Weber (2003), S. 20.

864

Je besser die erzielten Wirkungsgrade sind, desto interessanter wird das Produkt für unterschiedliche Anwendungen. Die Wirkungsgrade werden maßgeblich von den Inputfaktoren beeinflusst. Hierüber liegen noch keine gesicherten Erkenntnisse vor.

228 Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen

unsicherheiten in der Regel kontinuierlich im Zeitablauf auflösen, sind für das Auflösen technischer Unsicherheiten zumeist weitere Investitionen notwendig. In beiden Fällen ist es nur lohnenswert, in den Aufbau von Handlungsflexibilitäten zu investieren, so lange zu erwarten ist, dass sich die Unsicherheit vor dem Fälligkeitstermin zumindest in weiten Teilen auflöst. So erweist sich die „Option to Wait“ als vorteilhaft, wenn das Auflösen der Unsicherheit weitestgehend eine Funktion der Zeit ist. Eine „Option to Stage Investment“ bietet sich nur dann an, wenn das Auflösen der Unsicherheit durch die vorgelagerten, stufenweisen Investitionen erreicht werden kann.865 Im Falle des Beispielunternehmens zeigt sich bspw., dass es zum Bau einer Anlage einer Genehmigung bedarf. Die Dauer des Genehmigungsverfahrens hängt u.a. von der Größe der Anlage ab. Zudem kann das Genehmigungsverfahren durch das Liefern anlagenspezifischer Erfahrungswerte positiv beeinflusst werden. Dies spricht für den Bau einer Pilotanlage mit der Möglichkeit zur späteren Kapazitätserweiterung. Muss jedoch die Entscheidung über die Kapazitätserweiterung vor Erhalt der Genehmigung gefällt werden, bzw. müssen hierfür bereits erhebliche Investitionen getätigt werden, erweist sich die Option zu Lernen als wertlos. Die relevante Unsicherheit kann hiermit nicht überwunden werden. Allgemeingültige Aussagen zu den Unsicherheitsquellen, den zugrunde liegenden Wahrscheinlichkeitsverteilungen des unsicheren Parameters und dem Prozess der Unsicherheitsauflösung lassen sich kaum treffen. Dies zeigt sich nicht zuletzt in den teilweise widersprüchlichen Aussagen in der Literatur, die sich auf unterschiedliche Annahmen zurückführen lassen.866 Zur Bestimmung der relevanten Unsicherheitsfaktoren und den damit einhergehenden diskutierten Parametern bieten sich unternehmensinterne Workshops und Interviews an, die durch Instrumente der strategischen Analyse geleitet werden sollten.867 In der betrieblichen Praxis treten in der Regel eine Vielzahl von Unsicherheitsfaktoren parallel auf.868 Dies gilt für den Kontext junger Unternehmen in besonderem Maße.869 Zur

865

Siehe hierzu exemplarisch Pritsch (2000), S. 215f.

866

Siehe hierzu Pindyck (1993); Reinhardt (1997); Huchzermeier/Loch (1999) sowie die Diskussion bei Pritsch (2000), S. 213ff.

867

Siehe hierzu bspw. Hungenberg, et al. (2005), S. 28.

868

Siehe für einen Überblick exemplarisch McGrath/MacMillan (2000), S. 35ff.; Friedl (2003b), S. 380ff.

869

So wurden bei dem Beispielunternehmen allein auf Basis einer ersten Bestandsaufnahme mehr als sechs Unsicherheitsfaktoren identifiziert.

Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen 229

Komplexitätsreduktion sollte eine Konzentration auf die Unsicherheitsquellen erfolgen, von denen die stärkste Cash-Flow-Relevanz anzunehmen ist.870

2.1.3

Priorisierung der Realoptionen

Der die Identifizierung abschließende Schritt der Priorisierung dient dem Zweck, die knapp bemessenen Ressourcen – in diesem Fall insbesondere die Managementressourcen – effizient einzusetzen.871 Dieser Schritt ist, wie die Ausführungen in Kapitel E1 gezeigt haben, gerade im Kontext junger Unternehmen von hoher Relevanz. Erste Indikationen werden hierzu allgemein aus dem vorherigen Schritt geliefert. So kann anhand der Diskussion der Flexibilitäten und Unsicherheiten abgeschätzt werden, welche Optionen von besonderer Wertrelevanz sind. Wie Abbildung 6 gezeigt hat, sind nur solche Handlungsflexibilitäten von hohem Wert, bei denen die Unternehmensführung auch wirklich über das entsprechende Handlungspotenzial verfügt und gleichzeitig ein hohes Maß an Unsicherheit vorliegt. Das Offenhalten von Flexibilität in Situationen mit geringer Unsicherheit käme einer Ressourcenverschwendung gleich, sowie eine Situation mit hoher Unsicherheit und geringen Handlungsflexibilitäten einer extrem riskanten Situation entspräche.872 Weitere Indikatoren zur Priorisierung der weiter zu betrachtenden Realoptionen können dabei strategische Überlegungen liefern. Aufbauend auf den vorherigen Überlegungen lassen sich Aussagen zur relativen Bedeutung von Realoptionen in jungen Wachstumsunternehmen treffen. Die Betrachtungen beziehen sich dabei auf die einem Wachstumsunternehmen bereits inhärenten Optionen wie auch auf die Relevanz der Optionen mit Hinblick auf das neu zu erschließende Handlungspotenzial gleichermaßen. Generell wird im Kontext junger Wachstumsunternehmen schon allein aufgrund ihres Wachstumsbestrebens den Wachstumsoptionen die höchste Relevanz beigemessen.873 In diesem Zusammenhang konstatiert WILLNER: „[E]ntrepreneurs are primarily managers of

870

Vgl. Copeland/Antikarov (2001), S. 236ff.; Hungenberg, et al. (2005), S. 28.

871

Vgl. Hungenberg, et al. (2005), S. 29 und ähnlich Eube (2000), S. 379f.

872

Siehe hierzu auch nochmals Abbildung 16.

873

Siehe hierzu Amram/Kulatilaka (1999a), S. 143ff.; Ottoo (2000), S. 10ff.; Trigeorgis (2000), S. 5ff.; Wieland (2002), S. 80ff.

230 Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen

growth options.“874 Dennoch sollte an dieser Stelle eine differenzierte Betrachtung der Relevanz der Realoptionskategorien erfolgen. Zum einen zeigten die vorstehenden Betrachtungen, dass der Optionscharakter junger Unternehmen nicht nur auf dem Wachstumsbestreben allein basiert. Er ist ebenso eine Antwort auf die aus den begrenzten Ressourcen resultierende Notwendigkeit und der aus der Flexibilität resultierenden Möglichkeit zur Überwindung der das Unternehmen prägenden Unsicherheit. Zudem bewegen sich Wachstumsunternehmen auf einem Kontinuum zwischen jungen und etablierten Unternehmen. Aus den Merkmalsverschiebungen kann durchaus eine Verschiebung in der Gewichtung der Optionsrelevanz resultieren. Eine Konzentration auf Wachstumsoptionen allein könnte somit wertmindernde Konsequenzen haben. Zu einer allgemeinen Betrachtung bietet sich hiernach eine Unterteilung des Wachstumsprozesses in die drei Phasen der (1) Ideen- und Planungsphase, (2) Gründungs- und Bewährungsphase sowie der (3) Wachstumsund Konsolidierungsphase an.875 Mit nachfolgender Betrachtung soll somit ein Rahmen zur Priorisierung von Optionen aus strategischer Sicht an die Hand gegeben werden. Die Ideen- und Planungsphase ist weitestgehend durch Planungsaktivitäten und die Akquisition personeller und finanzieller Ressourcen gekennzeichnet. Ein Markteintritt erfolgte zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Somit stehen dem Unternehmen in dieser Phase zweifelsohne lediglich Wachstumsoptionen zur Verfügung, denen immaterielle Vermögensgegenstände, wie bspw. Patente, als Basisinstrument zugrunde liegen. In der Gründungs- und Bewährungsphase kommt es nun zum Markteintritt. Das Unternehmen bietet sein Produkt am Markt an und erste Umsätze werden generiert. Auch in dieser Phase ist zu erwarten, dass aufgrund des hohen Wachstumsbestrebens Wachstumsoptionen eine dominierende Position einnehmen. Zudem ist der Wert aus eventuellen Versicherungsoptionen in dieser Phase als äußerst gering einzuschätzen. Der Erlös aus Stilllegungen der Produktion bspw. wird einen solch geringen Wert aufweisen, dass eine weitere Betrachtung aus Realoptionsaspekten nicht stattfinden sollte. Aufgrund der zumeist umfangreichen anstehenden Erweiterungsinvestitionen in dieser

874

Willner (1995), S. 237.

875

Siehe hierzu und nachfolgend ähnlich Witt (2003), S. 130-133. Aus Gründen der Vertraulichkeit soll an dieser Stelle nicht näher auf die strategische Bedeutung der Realoptionen des Beispielunternehmens eingegangen werden.

Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen 231

Phase und der gleichzeitig weiterhin bestehenden hohen Unsicherheit könnten Lernoptionen an Bedeutung gewinnen. Sie kommen bspw. in Form von stufenweisen Investitionen zum Ausdruck, welche über die „Option to Stage Investment“ wertmäßig erfasst werden. Jedoch stehen den meisten Investitionsüberlegungen in dieser Phase hohe Wettbewerbskräfte entgegen. Es ist somit jeweils zu prüfen, inwiefern die positiven Effekte einer Investitionsverzögerung durch zusätzliche Informationen die negativen Effekte durch Wettbewerbswirkungen überwiegen.876 Die Wachstums- und Konsolidierungsphase bildet gewissermaßen den Übergang zum etablierten Unternehmen. In dieser Phase stehen weiterhin Wachstumsbestrebungen im Vordergrund. Fragestellungen hinsichtlich der Erschließung neuer Märkte sind von besonders hoher Relevanz. Somit werden auch in dieser Phase Wachstumsoptionen eine wesentliche Rolle spielen. Jedoch können aus der Entwicklung des Unternehmens mittlerweile weitere potenzielle Basisinstrumente geschaffen worden sein, die Lern- und Wachstumsoptionen eine wachsende Bedeutung zumessen. So kann sich das Unternehmen eventuell aufgrund eines gefestigten Kundenstamms oder eines Markennamens erlauben, bei der Einführung neuer Produkte von Warte- und Wechseloptionen Gebrauch zu machen. Zudem können aufgrund der wachstumsbedingten Kapazitätserweiterungen nun Versicherungsoptionen durchaus an Bedeutung gewinnen. Das Unternehmen sollte sich also nicht immer unreflektiert bei der Suche und Priorisierung von Optionen auf Wachstumsoptionen konzentrieren. Tabelle 9 gibt einen Überblick über die Relevanz von Realoptionen nach Gründungsphase und Beispiele für Basisinstrumente.

876

Siehe zu diesem Trade-Off auch ausführlicher die Diskussion in Kapitel F2.5.3.

232 Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen

Gründungsphase

Basisinstrument

Realoptionskategorie

Ideen- und Planungsphase

Patente

Wachstumsoptionen

Gründungs- und Bewährungsphase

Humankapital

Wachstumsoptionen

Technisches Know-how

Wachstumsoptionen

Kunden

Wachstumsoptionen

Wachstums- und Konsolidierungsphase

Lernoptionen Akquisitionskenntnisse

Wachstumsoptionen Lernoptionen

Marken

Wachstumsoptionen Lernoptionen Versicherungsoptionen

Produktionskapazitäten

Wachstumsoptionen Lernoptionen Versicherungsoptionen

Tabelle 9: Relevanz von Realoptionstypen nach Gründungsphasen (in Anlehnung an: Witt (2003), S. 133)

2.2

Wertbeitrag der Identifikationsphase

Werden die Erkenntnisse und Informationen, die die einzelnen Teilschritte der Identifikationsphase liefern, aus dem Blickwinkel der Rationalitätssicherung der Führung junger Unternehmen betrachtet, so zeigt sich, dass diese erste, weitestgehend qualitativ ausgerichtete Phase bereits wertvolle Beiträge zur konzeptionellen Nutzung des Realoptionsansatzes liefert. Bereits mit dem ersten Teilschritt, der Identifizierung von potenziellen Realoptionen, wird ein wesentlicher Schritt zur Erhöhung der Zweck-Mittel-Rationalität geliefert. Dieser Schritt dient in erster Linie der Umwandlung von Schattenoptionen, also Optionen, die im Unternehmen implizit vorhanden sind oder sich diesem anbieten, in Realoptionen. Ein Unterlassen dieser Umwandlung käme gerade im Kontext junger Unternehmen einer Ressourcenverschwendung gleich. Das Unternehmen würde die ihm zur Verfügung stehenden Mittel, die sich bei jungen Unternehmen insbesondere in ihrer Flexibilität und dem Vorhandensein von Wachstumsoptionen ausdrücken, nicht zur Zielerreichung einsetzen. Zudem würde es die für die Überlebenschancen eminent wichtigen Flexibilitäten sukzessive aufgeben.

Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen 233

Mit dem Überprüfen der Optionsanalogie wird die Aufmerksamkeit des Entscheidungsträgers auf die für junge Unternehmen konstitutiven Faktoren der Unsicherheit und Flexibilität gelenkt. Der Entscheidungsträger wird geradezu gezwungen, sich sowohl mit den Ursachen der Unsicherheit und deren Auflösungsprozess, als auch dem Ausmaß der ihm zur Verfügung stehenden Handlungsmöglichkeiten auseinanderzusetzen. Die Betrachtung der Unsicherheitsquellen ist dabei im Kontext junger Unternehmen allein schon deswegen von Relevanz, als sie prinzipiell einer hohen und teilweise auf den ersten Blick nicht näher zu spezifizierenden Unsicherheit ausgesetzt sind. Diese Situationsanalyse entzerrt das komplexe Bild ihrer Handlungssituation. Die Komplexitätsreduktion erfolgt dabei über ein qualitatives Verständnis der relevanten Faktoren. Die Gefahr des Übersehens oder Ausblendens wichtiger Faktoren und damit die Gefahr einer unangemessenen Problemrepräsentation aufgrund einer fehlerhaften Komplexitätsreduktion wird minimiert. Diese Bestandsaufnahme liefert bereits erste Beiträge zur Erhöhung der Prognose- und Bewertungsfähigkeit durch eine dezidierte Auseinandersetzung mit den für junge Unternehmen situationsspezifischen Faktoren. So zeigte sich bspw. im Rahmen der Diskussionen mit dem Beispielunternehmen, dass die beiden ursprünglich näher in Betracht gezogenen Handlungsalternativen des Markteintritts auf dem Grillmarkt oder auf dem privaten Heizungsmarkt, im Prinzip keine „echten“ Alternativen darstellen. Beide Entscheidungen sind mit beträchtlichen Unsicherheiten behaftet, die die Gefahr einer Fehlentscheidung in sich bergen. Durch eine dezidierte Analyse der Unsicherheiten, deren Quellen und Auflösungsprozesse, zeigte sich, dass weder die Handlungsmöglichkeit des Markteintritts in den Grillmarkt noch die in den privaten Heizungsmarkt die primären Unsicherheiten der technischen Unsicherheit, die sich im vorliegenden Fall primär auf Fragestellungen der Skalierbarkeit richtet, und die der Produktakzeptanz zu überwinden vermögen. In beide Märkte müsste direkt mit hohen Angebotesmengen eingetreten werden. Zudem bestehen in beiden Märkten hohe Unsicherheiten bzgl. der Produktakzeptanz. Die Handlungsalternative einer strategischen Abnehmerpartnerschaft, die sich auf Basis einer reinen DCF-Analyse zunächst als weniger attraktiv als die der beiden anderen Absatzmärkte darstellt, erweist sich diesbezüglich als wesentlich attraktiver. Sie bietet zum einen die Möglichkeit zunächst in eine günstigere Pilotanlage zu investieren, um so Fragestellungen der technischen Realisierbarkeit sowie der Produktqualität zu beantworten. Gleichzeitig bietet sie die Möglichkeit die Unsicherheit der Marktakzeptanz zu überwinden, indem feste Abnahmemengen vereinbart werden. In Abhängigkeit der mit der Pilotanlage generierten Informationen lassen sich dann Entscheidungen bzgl. weiterer Investitionen bspw. in weitere

234 Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen

kleine Anlagen oder eine große Anlage treffen. Zudem werden durch die Entscheidung für eine

strategische

Partnerschaft

keine

signifikanten

Flexibilitäten

aufgegeben.

Die

Möglichkeiten, später in den Grillmarkt oder den Heizungsmarkt einzutreten, bestehen weiterhin, eine Annahme, die im umgekehrten Fall nicht zwingend Bestand hat. So ist anzunehmen, dass durch die Entscheidung für einen der beiden Märkte die Flexibilität, in den anderen Markt einzutreten, stückweise aufgegeben würde.877 Durch die Priorisierung weiter zu analysierender Realoptionen wird ein wesentlicher Wertbeitrag zur optimalen Verwendung der begrenzten Ressourcen geliefert. Diese erste Möglichkeit der Fokussierung ist ob der geringen personellen und finanziellen Ressourcenausstattung junger Unternehmen für diese von hoher Bedeutung. Das Unternehmen verfällt nicht der „Chaosfalle“, die aufgrund der Forderung nach Erhalt der Flexibilität eine reale Bedrohung darstellt. Sie lenkt die Aufmerksamkeit und den Ressourceneinsatz auf weiter zu verfolgende werthaltige Handlungsstränge.

2.3

Ziel und Inhalt der Bewertungsphase

Das Ziel des zweiten Schrittes des Prozessmodells ist es, die identifizierten Realoptionen in ihrer Werthaltigkeit quantitativ zu bewerten, also den Optionswert zu ermitteln. Hierzu bedarf es zunächst eines geeigneten Bewertungsmodells. Nach welchen Kriterien ein solches Modell auszuwählen ist, wird in Kapitel F2.3.1 näher betrachtet. Zudem müssen die Werttreiber bestimmt werden. Welche Vorgehensweisen sich hierzu anbieten, wird in Kapitel F2.3.2

877

So ist anzunehmen, dass die Vorstellung, ihre Wohnungen mit dem gleichen Produkt zu heizen, das sie auch zum Grillen verwenden, bei den meisten privaten Haushalten zunächst auf Widerstand stoßen würde. Hohe Marketingausgaben wären zur Überwindung der Widerstände nötig. Zudem bleibt weiterhin das Problem bestehen, dass beide Märkte jeweils direkt mit hohen Mengen beliefert werden müssten. Diese Kapazitäten liegen aber vorerst nicht vor.

Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen 235

diskutiert. Sind die Parameter und das Modell bestimmt, lässt sich die Bewertung, wie in Kapitel F2.3.3 beschrieben, letztendlich durchführen.878

2.3.1

Auswahl eines Bewertungsmodells

Im Rahmen der Optionsbewertung finden Bewertungsmodelle – meist numerische oder analytische Verfahren – Anwendung.879 Aufgrund der situationsspezifischen Vor- und Nachteile der verschiedenen Modelle bedarf es zunächst einer Auswahl eines geeigneten Verfahrens. Dieser Auswahl ist nach Möglichkeit ein objektiver Kriterienkatalog zugrunde zu legen. In der Literatur werden diesbezüglich unterschiedliche, meist sehr ähnliche Kriterien diskutiert.880 Aus Sicht der Rationalitätssicherung im Kontext junger Unternehmen erweisen sich dabei die Kriterien der (1) Handhabbarkeit im Sinne geringer Wissens- und Technologieanforderungen, (2) die Abbildungsgenauigkeit hinsichtlich der Erfassung der gegebenen Handlungssituation, (3) die Anpassungsfähigkeit des Modells in Bezug auf sich rasch ändernde Umweltbedingungen und (4) die Transparenz des Modells als zielführend. In der einfachen Handhabbarkeit liegt der wesentliche Vorteil des Black/Scholes-Modells begründet. So erfordert seine Verwendung zur Realoptionsbewertung lediglich die Identifikation der Bewertungsparameter und deren Einsetzen in die vorgegebene Lösungsformel, die in vielen Computerprogrammen integriert ist. Genau in diesem Punkt manifestiert sich ein wesentlicher Nachteil des Binomialmodells. Zwar lassen sich unter Anwendung eines solchen einfache Handlungssituationen relativ problemlos

878

mit

Hilfe

von

Tabellenkalkulationsprogrammen

und

praxisorientierten

Zur konkreten Ausgestaltung des Bewertungsprozesses existieren in der Realoptionsliteratur zahlreiche theoretische und empirische Diskussionen. Da es das Ziel der vorstehenden Betrachtung ist, eine Vorstellung über das generierte Wissen und den Erkenntnisgewinn aus den einzelnen Teilschritten zu erlangen, sollen hier nicht alle bewertungsspezifischen Einzelheiten im Detail betrachtet werden, sondern eine Beschränkung auf die Skizierung des hierfür notwendigen Vorgehens erfolgen. Zur vertiefenden Diskussion sei in auf die Standardliteratur, wie bspw. Amram/Kulatilaka (1999a); Copeland/Antikarov (2001); Meise (1998) verwiesen.

879

Siehe hierzu nochmals die Ausführungen in Kapitel C2.2.3.

880

Siehe bspw. Hommel/Müller (1999), S. 182ff.; Pritsch (2000), S. 236ff. Die Kriterienkataloge unterscheiden sich dabei zumeist in der Anzahl und der Aggregationsstufe der verwendeten Kriterien.

236 Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen

Leitfäden881 abbilden und bewerten, jedoch erfordern komplexere Situationen zumeist wesentlich höhere Methodenkenntnisse wie bspw. die Verwendung von Programmiersprachen.882 Gerade reale Handlungssituationen erfordern gleichwohl die Erfassung und Bewertung solch komplexer Situationen.883 Dabei schlägt der Vorteil des Black/Scholes-Modells bzw. der Nachteil des Binomialmodells schnell ins Gegenteil um. So sind der Verwendung des Black/Scholes-Modells aufgrund seiner restriktiven Annahmen in komplexen Handlungssituationen enge Grenzen gesetzt. Die Abbildungsgenauigkeit ist in erheblichem Maße eingeschränkt. Zwar wird versucht, dieses Problem durch verschiedenste technische Ergänzungen zu überwinden. Die Erweiterungen des Black/Scholes-Modell erreichen jedoch schnell eine Komplexität und einen damit einhergehenden Schwierigkeitsgrad, der den des Binomialmodells um ein Weites übertrifft. Die Stärke des Binomialmodells liegt wiederum in der Abbildungsgenauigkeit. Mit Hilfe der Binomialbäume lässt sich die Bewertungssituation genau erfassen und abbilden. Anpassungen, wie sie etwa aus dem Vorliegen von dividendenähnlichen Zahlungen oder aufgrund der Ausübungsmöglichkeit des Optionsrechts während der gesamten Laufzeit erforderlich werden, lassen sich relativ einfach vornehmen. Eng damit verbunden sind die Ausprägungsformen der beiden verbleibenden Kriterien der Anpassungsfähigkeit und der Transparenz. Sollten sich wertrelevante Faktoren, seien sie unternehmensexterner oder unternehmensinterner Art, in wesentlichem Umfang verändern – ein Sachverhalt, der im Kontext junger Unternehmen durchaus anzunehmen ist – bedarf es einer Anpassung des Bewertungsmodells. Binomialmodelle erweisen sich diesbezüglich wiederum als sehr flexibel, während

881 882

Siehe hierzu bspw. Copeland/Antikarov (2001), S. 208ff.; Mun (2002), S. 215ff. Vgl. Pritsch (2000), S. 238. Zudem ist das Black/Scholes-Modell in solchen recht einfachen Situationen dem Binomialmodell aufgrund seiner höheren Präzision überlegen. Der stochastische Prozess wird – wie in Kapitel C2.2.3.2 gezeigt wurde – bei der Verwendung numerischer Verfahren lediglich approximiert und liefert somit ungenauere Ergebnisse.

883

So haben die Ausführungen zur Analogie und den Grenzen der Analogie zwischen Finanz- und Realoptionen gezeigt, dass einige Modellannahmen, die für die Bewertung von Finanzoptionen weitestgehend plausibel sein mögen, sich für Realoptionen als nahezu realitätsfern erwiesen. Siehe Kapitel C3.1.

Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen 237

analytische Verfahren die Angleichung komplexer Formeln oder gar die Verwendung eines neuen Modells erfordern. Anpassungen lassen sich somit nur schwer vornehmen; dies gilt nicht nur für das Black/Scholes-Modell und seine Erweiterungen, sondern für die Mehrheit der analytischen Verfahren. Auch hinsichtlich der geforderten Transparenz im Sinne einer Offenlegung der Bewertungssituation erweisen sich Binomialmodelle als vorteilhaft. Während sie die Handlungssituation in Binomialbäumen abbilden und somit die getroffenen Annahmen transparent machen, findet die Wertermittlung unter Verwendung analytischer Verfahren in der Black-Box der Bewertungsformel statt. Aufgrund der Trivialisierung der Bewertungssituation werden Ursache-Wirkungsbeziehungen weder aufgedeckt noch nachvollzogen. Die nachstehende Abbildung 24 fasst die Erfüllung der Auswahlkriterien der einzelnen Bewertungsmodelle graphisch zusammen.884

Vollständige Gleichgewichtsmodelle

Analytische Verfahren

Numerische Verfahren Approximation der Differentialgleichung

Geschlossene Verfahren (Black/ScholesModell)

Näherungsverfahren

Numerische Integration

Methode der finiten Differenzen

Approximation des stochastischen Prozesses

SimulationsLattice-Ansätze verfahren (Binomial-Modell) (Monte-CarloSimulation)

1 2 3 4

1

Transparenz Nicht erfüllt

2

Anpassungsfähigkeit/Vielseitigkeit In geringem Umfang erfüllt

3

Implementierungsmöglichkeit

Zum Teil erfüllt

4

Wissensvoraussetzungen

Zum Großteil erfüllt

Vollständig erfüllt

Abbildung 24: Erfüllung der Auswahlkriterien der Bewertungsmodelle im Überblick (in Anlehnung an: Pritsch (2000), S. 236)

884

Zu den weiteren in der Abbildung dargestellten Modellen siehe ausführlich Pritsch (2000), S. 234ff.

238 Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen

Aufgrund der überwiegenden Vorteile wird zumeist eine ausschließliche Verwendung des Binomialmodells postuliert.885 Dennoch sollten die Überprüfung der Anwendungsvoraussetzungen und die Gewichtung der Beurteilungskriterien den Ausgangspunkt jeder Realoptionsbewertung bilden.

2.3.2

Bestimmung der Bewertungsparameter

In einem nächsten Schritt gilt es die in das Bewertungsmodell einfließenden Bewertungsparameter zu bestimmen. In erster Linie handelt es sich hierbei um die sechs Werttreiber einer Option. Zudem bedarf es einer – in Abgrenzung zu Finanzoptionen – inhaltlichen Erweiterung um Wettbewerbseffekte.886 HOMMEL/PRITSCH bezeichnen diesen Schritt der Parameterbestimmung als „[d]ie zentrale Herausforderung bei der Anwendung eines Optionspreisverfahrens“887. So haben die Ausführungen in Kapitel C3.1 gezeigt, dass der Analogie von Real- und Finanzoptionen Grenzen gesetzt sind, die es zur Quantifizierung der Inputfaktoren zu überwinden gilt. Dabei zeigt sich, dass sich diese Hürden um so leichter überwinden lassen, je eher der Rückgriff auf Kapitalmarktdaten ermöglicht wird. Dies drückt sich u.a. in der weiten Verbreitung des Realoptionsansatzes in rohstoffnahen Branchen aus. Der Wert des entsprechenden Basisinstrumentes wird dann über Multiplikatoren mit dem Vergleichswert, bspw. eines an der Börse gehandelten Rohstoffes, in Beziehung gesetzt. Dies beinhaltet nicht nur den Vorteil, dass der Wert des Basisinstrumentes aus Marktdaten abgelesen werden kann, sondern dass zugleich oftmals aktuelle Spot- und Futures-Preise zur Verfügung gestellt werden.888 Zwar lassen die jüngsten Entstehungen neuer Börsen wie bspw. die Energiebörse „European Energy Exchange“ auf eine weitere Verbreitung des Realoptionsansatzes hoffen. Jedoch ist dieser Bezug zum Kapitalmarkt nicht immer gegeben. Gerade bei hoch innovativen Projekten

885

Siehe Ernst/Häcker (2002), S. 25.

886

Daran zeigt sich zugleich, dass die beiden Schritte „Auswahl eines Bewertungsmodells“ und „Bestimmung der Bewertungsparameter“ nicht sequenziell sondern parallel oder zumindest iterativ ablaufen sollten.

887

Hommel/Pritsch (1999b), S. 130.

888

Vgl. Hommel/Pritsch (1999b), S. 131.

Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen 239

entsteht das Basisobjekt erst mit Ausübung des Optionsrechtes. In diesem Fall wird zur Ermittlung des Projektwertes der Rückgriff auf Schätzungen der durch das Projekt generierten freien Cash-Flows bzw. deren risikoadjustierten Barwertes notwendig. Aufgrund der damit verbundenen Unsicherheiten sowohl hinsichtlich der geschätzten Cash-Flows als auch der zur Barwertberechnung verwendeten Kapitalkosten sollte in diesem Fall mit Bandbreiten als Inputfaktor gearbeitet werden.889 Zur Volatilitätsbestimmung stehen prinzipiell die drei Möglichkeiten der Messung historischer Volatilitäten, der Messung impliziter Volatilitäten und der Simulationen der Cash-Flows zur Verfügung.890 Auch hier erweist sich der Kapitalmarkt als wichtiger Informationslieferant. Bei Existenz eines vergleichbaren Wertgegenstandes bzw. eines „Twin Security“ können historische Volatilitäten ermitteln werten. Sollten sogar Optionen auf dieses gehandelt werden, lassen sich die impliziten Volatilitäten ermitteln. Andernfalls muss wiederum auf Schätzungen zurückgegriffen werden. Hierzu bieten sich Monte-CarloSimulationen der Wertentwicklung des Basisinstrumentes an.891 Wie die Ausführungen zu den Grenzen der Analogie zwischen Finanz- und Realoptionen gezeigt haben, ist in der Regel aufgrund der mangelnden vertraglichen Fixierung nicht davon auszugehen, dass die Laufzeit der Option exogen vorgegeben ist. Wettbewerbseffekte haben zur Folge, dass keine exklusiven Rechte vorliegen und das Unternehmen nicht alleiniger Optionshalter ist.892 Dadurch kann es zu Verkürzungen der Optionslaufzeit bis hin zum Erlöschen des Optionsrechtes kommen, da Wettbewerber eventuell zwischenzeitlich von ihrem Optionsrecht Gebrauch machen. Zudem wirken sich Wettbewerbseffekte auch auf den Projektwert an sich aus, bspw. in Form von Wertminderungen durch wettbewerbsbedingte technologische Veränderungen oder Marktanteilseinbußen.893 Vor dem Hintergrund der Bedeutung von First-Mover-Advantages ist die Berücksichtigung von Wettbewerbseffekten

889

Vgl. Hommel/Pritsch (1999b), S. 131.

890

Siehe hierzu auch nochmals Kapitel C2.2.1.2.

891

Vgl. Hommel/Pritsch (1999b), S. 131. Umfassende Beispiele zur Vorgehensweise sowie zur Erklärung der Standardsoftware sind bei Mun (2002), S. 109ff. und S. 295ff. zufinden.

892

In diesem Zusammenhang wird auch von „shared options“, also gemeinsam gehaltenen Optionen, gesprochen. Siehe hierzu Trigeorgis (1988), S. 154f.

893

Vgl. Trigeorgis (1991), S. 143ff.

240 Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen

insbesondere im Kontext junger Wachstumsunternehmen von hoher Relevanz.894 Der Reduktion des Optionswertes durch Wettbewerbseffekte und den damit verbundenen Überlegungen zu einer frühzeitigen Ausübung des Optionsrechts steht der Wert der Unsicherheitsauflösung durch Verzögerung der Ausübung gegenüber. Welche der beiden Effekte dominiert, hängt weitestgehend von der Stärke der Wettbewerbswirkungen ab.895 Es entsteht also ein Trade-Off zwischen der Sicherung einer führenden Marktposition und dem Verlust an Flexibilität.896 Zur Modellierung solcher Wettbewerbseffekte wird verstärkt auf spieltheoretische Überlegungen zurückgegriffen.897 Bzgl. der Parameterbestimmung können sie dann in der Bestimmung der Optionslaufzeit Berücksichtigung finden, wie auch durch die Erhöhung des Ausübungspreises oder dividendenähnliche Anpassungen der Wertentwicklung des Underlying.898 Ist die Laufzeit bestimmt worden, erweist sich die Ermittlung des Zinssatzes als unproblematisch. Hierzu wird der Zinnsatz einer der Optionslaufzeit entsprechenden Nullcouponstaatsanleihe verwendet.899 Zur Ermittlung des Ausübungspreises bedarf es der Ermittlung aller die Option betreffenden Investitionsausgaben. Hierzu gilt es bspw. auch Markteintrittsbarrieren zu berücksichtigen, die einer Erhöhung des Ausübungspreises entsprechen. Der Gegenwartswert aller Investitionsausgaben entspricht dann dem Ausübungspreis. Mit Vorliegen aller sechs Werttreiber lässt sich nun die Bewertung an sich vornehmen.

894

Siehe hierzu nochmals Kapitel E1.1, sowie Wieland (2002), S. 167.

895

Vgl. Trigeorgis (1996), S. 149f.

896

Vgl. Trigeorgis (1996), S. 134ff. Oder anders ausgedrückt müssen somit bei der Ausübungsentscheidung Opportunitätskosten durch Wettbewerbseffekte gegen Opportunitätskosten durch Informationsverzicht aufgewogen werden. Vgl. Koch (1999), S. 119.

897

Siehe bspw. Crasselt/Tomaszewski (1998), S. 22ff. Siehe allgemein zur Verbindung spieltheoretischer Überlegungen und dem Realoptionsansatz Huisman, et al. (2004).

898

Siehe im Überblick zu den Möglichkeiten zur Berücksichtigung von Wettbewerbseffekten Tomaszewski (1999), S. 153ff. Einen Überblick über Modellierungsmöglichkeiten der Wettbewerbseffekte analog zu Dividendenzahlungen gibt Kilka (1995), S. 120ff. Siehe zu der Interpretation von Wertverlusten als Dividendenzahlungen und deren Wirkungsweisen nochmals Kapitel C2.2.1.5.

899

Siehe hierzu nochmals Kapitel C2.2.1.6.

Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen 241

2.3.3

Durchführung der Bewertung

Sind alle bewertungsrelevanten Parameter bestimmt, kann die eigentliche Bewertung mit Hilfe des zu verwendenden Bewertungsmodells vorgenommen werden. Im Rahmen dieses dritten, die Bewertung abschließenden Teilschrittes sind zudem Feinabstimmungen des ermittelten Wertes vorzunehmen. Hierbei handelt es sich um die Berücksichtigung von Interaktionseffekten sowie die Durchführung von Sensitivitätsanalysen.900 Wie die Ausführungen zu den Realoptionsarten gezeigt haben, treten Realoptionen oftmals in Kombinationen auf. Dies zeigt sich besonders deutlich im Vorliegen von Verbundoptionen, bei denen durch Ausüben der Option eine neue Option geschaffen wird. Der Wert der einzelnen Option wird aber durch das Bestehen solcher Interaktionseffekte je nach Richtung und Wirkungsweise der Interaktion beeinflusst. Die Werte der einzelnen Optionen können dabei nicht einfach aufaddiert werden. So verändert bspw. die stufenweise Erweiterung des Projektumfangs den Barwert desselben und somit das Underlying für alle nachfolgenden, sich ebenfalls auf dieses Projekt beziehenden Optionen. Im Falle eines nachfolgenden Put hätte die Erhöhung des Underlying eine Senkung der Ausübungswahrscheinlichkeit zur Folge, während die Ausübungswahrscheinlichkeit nachfolgender Calls erhöht wird.901 Demgemäß sind diese Interaktionseffekte abzubilden und Wertanpassungen der einzelnen Optionen vorzunehmen. Grundsätzlich gilt diesbezüglich, dass der zusätzliche Wertbeitrag einer einzelnen Realoption umso geringer ausfällt, je mehr Optionen bereits in der Bewertung Berücksichtigung gefunden haben. Da die Wirkungsweisen solcher Interaktionseffekte oftmals sehr komplex sind und dementsprechend zu umfangreichen Modellerweiterungen führen,902 erfolgt in der Praxis oftmals eine Konzentration auf die wichtigsten Effekte. Zudem wird meist mit den grundsätzlichen Wirkungstendenzen gearbeitet.903 Die Stärke und Richtung der Interaktionseffekte wird dabei prinzipiell durch (1) die Anordnung bzw. Reihenfolge der interagierenden Realoptionen, (2) den Realoptionstyp, (3)

900

Vgl. Hommel/Pritsch (1999b), S. 132.

901

Siehe hierzu nochmals Kapitel C2.2.1.1. Siehe ebenfalls Trigeorgis (1993a), S. 7.

902

Siehe hierzu exemplarisch Lucke (2001).

903

Siehe hierzu und nachfolgend grundlegend Trigeorgis (1993a), S. 1-20; Kulatilaka (1995), S. 121ff.; Perlitz, et al. (1999), S. 255ff.; Tomaszewski (1999), S. 198ff.

242 Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen

die Wahrscheinlichkeit der gemeinsamen Ausübung und (4) den inneren Wert der Option bestimmt.904 Hinsichtlich

der

Reihenfolge

der

interagierenden

Realoptionen

wird

zwischen

rückwärtsgerichteter und vorwärtsgerichteter Interaktion unterschieden. Bei rückwärtsgerichteter Interaktion steigert die bloße Existenz einer nachgelagerten Realoption den Wert des Underlying der vorgelagerten Option.905 Infolgedessen steigt der Wert eines vorgelagerten Call bzw. sinkt der Wert eines vorgelagerten Put. Bei vorwärtsgerichteter Interaktion beeinflusst die Ausübung einer vorgelagerten Realoption den Wert des Underlying der ihr nachgelagerten Realoptionen und übt wiederum entsprechend des Typs der nachgelagerten Realoption eine Wertveränderung derselben aus. Die Richtung der Interaktion, also die Frage ob der Gesamtwert über oder unterhalb der Summe der Einzelwerte liegt, hängt von dem Typ der ersten Option ab. Im Falle eines Put ist die Interaktion in der Regel negativ. Zum einen sinkt der Wert des Put bei rückwärtsgerichteter Interaktion in jedem Fall. Zum anderen verringert ein Put die Wahrscheinlichkeit der Ausübung späterer Optionen auf den vollen Wert des Basisobjektes. Im Falle einer Abbruchoption verfallen nachgelagerte Optionen sogar gänzlich.906 Ist die erste Option ein Call gilt der gegenteilige Effekt.907 Die Wirkungsrichtungen vor- bzw. nachgelagerter Option in Abhängigkeit des Optionstyps sowie die Richtung der Interaktionseffekte sind in nachfolgender Tabelle 10 zusammengestellt.

904

Vgl. Tomaszewski (1999), S. 198ff.

905

Vgl. Trigeorgis (1993a), S. 8.

906

Selbst im Falle eines späteren Put, dessen Wert durch den vorherigen Put steigt, ist dabei von einem geringeren Gesamtwert auszugehen. Siehe hierzu ausführlich Meise (1998), S. 121.

907

Auch hier sinkt zwar der Wert eines nachfolgenden Put. Dennoch kann von einem höheren Gesamtwert ausgegangen werden. Siehe hierzu Meise (1998), S. 121.

Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen 243

Reihenfolge der Optionen Rückwärtsgerichtete Interaktion 1. Option 2. Option

Vorwärtsgerichtete Interaktion

Art der Interaktion

Negativ

Put

Put

Put sinkt

Put steigt

Call

Call

Call steigt

Call steigt

Positiv

Put

Call

Put sinkt

Call sinkt

Negativ

Call

Put

Call steigt

Put sinkt

Positiv

Tabelle 10: Wirkungsrichtungen vor- bzw. nachgelagerter Optionen

Der Optionsgesamtwert hängt zudem von der Stärke des Interaktionseffektes ab. Diese ist wiederum von der Wahrscheinlichkeit der gemeinsamen Optionsausübung bzw. der Wahrscheinlichkeit abhängig, dass es zur Ausübung beider Optionen kommt. Sie wird durch den zeitlichen Abstand und den Optionstyp beeinflusst. Optionen unterschiedlichen Typs werden unter verschiedenartigen Bedingungen ausgeübt. Die Wahrscheinlichkeit einer gleichzeitigen Ausübung bei nahezu gleichzeitigem Fälligkeitstermin ist dabei gering, da entweder die Bedingungen für das Ausüben des Put oder des Call gegeben sind. Ist die Wahrscheinlichkeit der gemeinsamen Ausübung gering, ist auch die Wirkungsstärke gering. Die nachfolgende Tabelle 11 gibt einen Überblick über die Wahrscheinlichkeit der gemeinsamen Ausübung und der damit verbundenen Interaktion in Abhängigkeit des zeitlichen Abstandes und des Optionstyps.908 Zeitlicher Abstand

Realoptionsart

Wahrscheinlichkeit der gemeinsamen Ausübung

Wirkungsintensität

Gering

Gleich

Hoch

Hoch

Gering

Verschieden

Gering

Gering

Hoch

Gleich

Gering

Gering

Hoch

Verschieden

Hoch

Hoch

Tabelle 11: Wirkungsintensität in Abhängigkeit der Wahrscheinlichkeit einer gemeinsamen Ausübung (in Anlehnung an: Meise (1998), S. 125)

Zudem weisen Optionen, die weit „out of the money“ sind, geringe Interaktionen auf, während bei Optionen, die weit „in the money“ sind, von hohen Interaktionseffekten auszugehen ist.909

908

Vgl. Trigeorgis (1993a), S. 3ff. Siehe zur Verdeutlichung auch nochmals das oben angeführte Beispiel der Option der Stilllegung und der gleichzeitigen Möglichkeit zur Reduzierung der Produktionskapazitäten.

909

Vgl. Meise (1998), S. 122.

244 Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen

Zur Erfassung der Interaktionseffekte erweisen sich die Lattice-Verfahren wiederum als vorteilhaft. In einzelnen Teilschritten können Wertauf- oder Wertabschläge im Binomialbaum abgebildet und der Optionswert dementsprechend angepasst werden.910 Abgeschlossen werden sollte jede Realoptionsbewertung mit der Durchführung von Sensitivitätsanalysen. Insbesondere vor dem Hintergrund der Bandbreitenschätzungen im Zuge der Quantifizierung einiger Parameter gewinnen Analysen der Wirkungselastizität, d.h. der wertmäßigen, prozentualen Änderung der Zielgröße als Reaktion auf die prozentuale Änderung eines Einflussfaktors, an Bedeutung. Sie dienen nicht nur der Identifizierung von Ursache-Wirkungsbeziehungen sondern vor allem der Minimierung des Einflusses subjektiver – und damit rationalitätsbegrenzender – Annahmen. Diese sollten im Zuge dessen entsprechend visualisiert und kommuniziert werden.911 Der Realoptionswert an sich sollte dementsprechend auch als Bandbreite und nicht als exakter Wert dargestellt werden. In Summe kann an dieser Stelle somit festgehalten werden, dass die Grenzen der Analogie zwischen Finanz- und Realoptionen keineswegs zu einer Ablehnung der Übertragung der Finanzoptionstheorie auf Handlungsflexibilitäten bzw. der Realoptionstheorie an sich führen müssen. Die entsprechende Anpassungen und Erweiterungen in den Bewertungsmodellen können durchaus zu einer unter Praxisaspekten sinnvollen Lösung führen. Selbst für den durchaus plausiblen Fall, dass es nicht möglich sein sollte, für alle relevanten Werttreiber Äquivalente zu identifizieren und zu quantifizieren, muss nicht völlig auf eine Anwendung der Realoptionstheorie verzichtet werden. Solange die Bewertungsparameter, also das Basisobjekt, der Ausübungspreis und die Laufzeit, ermittelt werden können, lässt sich der Wertkorridor durch eine Wertober- und Wertuntergrenze beschreiben.912 Sollte zudem die Identifikation der Bewertungsparameter nicht möglich sein, besteht ferner die Möglichkeit, über die reine Identifikation der Realoption an sich in Verbindung mit einer Werttreiberbetrachtung913 zu einem qualitativen Ergebnis zu gelangen. Vor diesem

910

Die Vorgehensweise entspricht dabei prinzipiell der im Rahmen der Berücksichtigung von Dividenden vorgestellten Vorgehensweise. Siehe hierzu Kapitel C2.2.1.5 sowie das Kapitel C2.2.3. Vgl. ebenso zur Vorgehensweise Hommel/Pritsch (1999b), S. 133.

911

Beispiele sind bei Amram/Kulatilaka (1999a), S. 103f. zu finden.

912

Siehe hierzu nochmals die Abbildung 8. Siehe für Beispiele auch Hull (1998), S. 199ff.

913

Siehe hierzu nochmals Tabelle 5. Meise spricht in diesem Zusammenhang von komparativer Statik der Optionspreistheorie. Vgl. Meise (1998), S. 86.

Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen 245

Hintergrund kommt MEISE zu folgendem Ergebnis: „Die Frage nach der Anwendbarkeit des Realoptionsansatzes hat daher keine absolute, sondern eine graduelle Antwort“914.

2.4

Wertbeitrag der Bewertungsphase

Die Bewertungsphase stellt das instrumentelle Kernstück des Realoptionsansatzes als Bewertungsinstrument dar. Wie sich zeigte, kann die Bewertung sowohl quantitativ als auch qualitativ erfolgen. Dabei stiftet diese Phase sowohl einen instrumentellen als auch einen konzeptionellen Nutzen. Bereits bei der Auswahl eines Bewertungsmodells ist ein umfassendes Verständnis der Bewertungssituation von Nöten. Sie zwingt den Anwender zu einer intensiven Auseinandersetzung mit der Bewertungssituation. Es bedarf einer über die Unsicherheits- und Flexibilitätsbeurteilung der Identifizierungsphase hinausgehenden Vorstellung – zumindest qualitativer Art – der relevanten situationsspezifischen Faktoren. Im Rahmen der Diskussionen mit dem Beispielunternehmen wurden so bspw. im Zuge der Quantifizierungsund

Qualifizierungsbemühungen

der

einzelnen

Werttreiber,

insbesondere

der

Investitionskosten, offene Punkte identifiziert, die es zu klären gilt. Der Wertbeitrag des gewählten Modells lässt sich wiederum nach den analytischen und numerischen Verfahren unterscheiden. Während analytische Verfahren zeitliche Vorteile in der Verwendung mit sich bringen, liefern numerische Verfahren wie das Binomialmodell in erster Linie konzeptionelle Vorteile. Das Aufstellen eines Binomialbaums erfordert die Abbildung der Handlungssituation, schafft Transparenz für alle am Entscheidungsprozess Beteiligten und zwingt vor allem die Gründer zur Explizierung ihres Wissens. Auch hier wurden im Rahmen der Diskussionen mit dem Beispielunternehmen beim Aufstellen eines ersten, vorläufigen Binomialbaumes weiterer Klärungsbedarf identifiziert, der in einen abzuarbeitenden Fragenkatalog überführt wurde. Die Bestimmung der Bewertungsparameter vertieft das Verständnis über die relevanten Faktoren nun auch in quantitativer Hinsicht, selbst wenn diese nur in Form von Bandbreiten bestimmt werden können. Hier wird der bewertende Akteur wiederum gezwungen, seine

914

Meise (1998), S. 86.

246 Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen

Informationsgrundlage zur Prognose und Bewertung explizit zu erweitern. Sofern der Rückgriff auf Kapitalmarktdaten möglich ist, wird dem Bewertenden eine objektive Datenbasis an die Hand gegeben, die seine Prognose- und Bewertungsfähigkeit qualitativ verbessert. Die im Rahmen der Parameterbestimmung notwendigen Wettbewerbsanalysen sind gerade im Kontext junger Unternehmen von außerordentlicher Bedeutung. Während etablierte Unternehmen in der Regel ihre Wettbewerber zumindest kennen und zum Großteil von stabilen Wettbewerbskräften umgeben sind, sind junge Unternehmen einer extrem hohen Dynamik des Wettbewerbs ausgesetzt. Oftmals liegen den Unternehmen vor Beginn der Untersuchung

keinerlei

Informationen

über

Wettbewerber

an

sich915

und

deren

Verhaltensweisen vor. Durch die notwendigen Wettbewerbsanalysen werden die Gründer nicht nur dazu veranlasst, ihre potenziellen Wettbewerber zu bestimmen; durch spieltheoretische Überlegungen gewinnen sie auch eine Vorstellung über die Konsequenzen derer Verhaltensweisen. Im Rahmen der Diskussionen mit dem Beispielunternehmen zeigte sich, dass bereits allein durch die Diskussion der Unsicherheitsfaktoren neue Wettbewerber identifiziert wurden. So ergab die Diskussion, dass nicht nur die Preise für traditionelle Brennstoffe wie Heizöl oder Gas, die alternativ zu dem neuen Brennstoff verwendet werden können sowie der Marktanteil auf dem Brennstoffmarkt eine relevante Unsicherheit darstellen, sondern auch der Rohstoffmarkt als Beschaffungsmarkt mit bedeutenden Unsicherheiten behaftet ist. Diese resultieren aus den derzeit hoch volatilen Rohstoffpreisen und der breiten Rohstoffnachfrage aus verschiedenen Branchen, wie bspw. der Papier- und Werkstoffindustrie, Herstellern von Holzpellets oder Biomassekraftwerkbetreibern. Andere Unternehmen, die ebenfalls biogene Feststoffe als Rohstoffe verwenden, werden somit zu nicht zu vernachlässigenden Marktteilnehmern. Durch die Auswahl des Bewertungsmodells und der Bestimmung der Bewertungsparameter in Summe wird der Bewertende geradezu zu einer Situationsanalyse gezwungen, die durch die vorgegebene Suche nach den Bewertungsparametern seine Aufmerksamkeit auf die relevanten Faktoren lenkt und ihm den strukturierten Aufbau ontologischen Wissens ermöglicht.

915

Erfahrene Grünungsberater berichten davon, dass Gründer auf die Frage nach ihren Wettbewerbern zumeist antworten, es gäbe keine Wettbewerber.

Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen 247

Mit der Durchführung der Bewertung an sich wird dem Gründer ein rationales Entscheidungskriterium an die Hand gegeben. Dies gilt insbesondere sofern Marktdaten zur Verfügung stehen. Zudem dienen die im Anschluss an die reine Bewertungstätigkeit durchgeführten Sensitivitätsanalysen als wichtige Informationsquellen der Prognose. Ebenso wie die Berücksichtigung von Interaktionseffekten legen sie Ursache-Wirkungsbeziehungen frei, die vorher in diesem Maße nicht erkennbar waren und tragen so zur Verbesserung des nomologischen Wissens bei. Der Wertbeitrag dieser Bewertungsphase kann somit nach der instrumentellen und konzeptionellen Nutzung näher spezifiziert werden. In instrumenteller Hinsicht wird mit der Verwendung des Realoptionsansatzes bzw. der Bewertungsphase an sich eine Verbesserung der Bewertungsfähigkeit insofern erreicht, als den handelnden Akteuren ein Instrument an die Hand gegeben wird, das die gerade im Kontext junger Unternehmen dominierenden Faktoren der Unsicherheit und Flexibilität zu berücksichtigen und bewerten vermag. PRITSCH/WEBER fassen den instrumentellen Wertbeitrag wie folgt zusammen: „Eine Verbesserung der Rationalität in der Willensbildung durch die instrumentelle Anwendung entsteht zunächst dadurch, dass die Bewertungsfähigkeit der Akteure in solchen Situationen verbessert wird, in denen alternative Bewertungsverfahren versagen.“916 In konzeptioneller Hinsicht trägt die Bewertungsphase im Kontext junger Unternehmen mit jedem Teilschritt zu einer Verbesserung der Prognose- und Bewertungsfähigkeit bei, indem durch die Lenkung der Aufmerksamkeit auf die situationsspezifisch relevanten Faktoren sowie die Offenlegung von Ursache-Wirkungsbeziehungen der Aufbau des ontologischen und nomologischen Wissens quantitativ und qualitativ verbessert wird.

916

Pritsch/Weber (2001b), S. 22.

248 Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen

2.5

Ziel und Inhalt der Managementphase

Im abschließenden Schritt des Prozessmodells, der Managementphase, manifestiert sich nicht nur ein wesentlicher Unterschied zwischen Real- und Finanzoptionen, sondern insbesondere auch die Bedeutung des Realoptionsansatzes als Unternehmenssteuerungsinstrument. Den Ausgangspunkt des Managements der Wertsteigerung bildet dabei die Analyse der Werttreiber – wie sie in Kapitel F2.5.1 betrachtet wird. Sie liefert wichtige Informationen über die Hebelwirkungen, an denen die Überlegungen hinsichtlich potenzieller Maßnahmen zur Wertsteigerung ansetzen sollten. Diese gilt es zu bewerten und zu priorisieren. Überlegungen hierzu werden in Kapitel F2.5.2 angestellt. Wesentliche Faktoren, die es hinsichtlich der letztendlichen Optionsausübung zu beachten gilt, werden im abschließenden Kapitel F2.5.3 diskutiert.

2.5.1

Analyse der Werttreiber

Ausgangspunkt der Managementbemühungen sollte insbesondere aus Effizienz- und Effektivitätsgründen eine Analyse der Werttreiber bilden. Erste wichtige Anhaltspunkte hierfür liefern bereits die im Rahmen der Bewertung durchgeführten Sensitivitätsanalysen. Sie zeigen auf, welchen Einfluss eine Erhöhung oder Verringerung der einzelnen Werttreiber auf den Gesamtwert ausübt. Aufgrund von wechselseitigen Abhängigkeiten der Werttreiber untereinander wird vereinzelt vorgeschlagen, diese Sensitivitätsanalysen durch Szenarioanalysen zu ergänzen.917 Auf Basis der Wirkungsanalysen sollte anschließend eine Hierarchisierung der Werttreiber vorgenommen werden, bei der zusätzlich zu der Sensitivität des jeweiligen Werttreibers auf den Realoptionswert die Möglichkeit der Beeinflussung durch das Management Berücksichtigung finden sollte.918 Diese Möglichkeiten der Einflussnahme hängen in erster Linie von den Fähigkeiten der handelnden Akteure und den zur Verfügung stehenden Ressourcen ab. Prinzipiell werden diese Möglichkeiten eher im direkten Einflussbereich des Unternehmens zu finden sein wie bspw. in das Basisinstrument oder den Ausübungspreis betreffenden CashFlows als in exogen bestimmten Faktoren wie dem Wettbewerberverhalten. Dies gilt für junge

917

Siehe hierzu bspw. Hungenberg, et al. (2005), S. 37.

918

Siehe hierzu Leslie/Michaels (1997), S. 14ff.

Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen 249

Unternehmen aufgrund ihrer Größe sowie der damit verbundenen geringen Marktmacht in besonderem Maße. Im Falle des Beispielunternehmens konnte die Produktqualität als eine relevante Unsicherheit, die in hohem Maße durch das Unternehmen selbst beeinflussbar ist, identifiziert werden. Die Ergebnisse der Werttreiberanalyse lassen sich, wie in Abbildung 25 exemplarisch

Sensitivität auf den Realoptionswert

dargestellt, in einer Hierarchisierungsmatrix zusammenfassen.

Basiswert

Primäre Werttreiber

Unsicherheit Sekundäre Werttreiber

Wertverlust Nachrangige Werttreiber

Ausübungspreis Laufzeit Beeinflussbarkeit durch das Management

Abbildung 25: Matrix zur Hierarchisierung der Realoptionswerttreiber (in Anlehnung an: Damisch (2002), S. 370)

2.5.2

Ableitung und Auswahl von Wertsteigerungsmaßnahmen

Das Ableiten von Maßnahmen zur Wertsteigerung sollte nun der aufgestellten Hierarchie entsprechend an den Werttreibern, die den höchsten Wirkungserfolg versprechen, ansetzen. Im Falle der durch das Unternehmen positiv beeinflussbaren Unsicherheit der Produktqualität bei dem betrachteten Beispielunternehmen wurden diesbezüglich die Maßnahmen der Sicherung des Zugangs zu bestimmten Rohstoffen als einer der wesentlichen die Produktqualität beeinflussenden Faktoren sowie die Maßnahme des Durchführens weiterer Tests und des Produzierens an sich, zum Erzielen von Lerneffekten, abgeleitet.

250 Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen

Unterstützend kann hier bspw. auf die hinter den einzelnen Parametern stehenden Werttreiberbäume zurückgegriffen werden. Solche sind in Abbildung 26 exemplarisch für die einzelnen Werttreiber einer Wachstumsoption dargestellt.919

Wirtschaftliche Barrieren - Exklusivnutzung von Vertriebskanälen

Technologische Barrieren - Einzigartige Prozesse

- Erhöhung der Preise - Erhöhung der Menge

Ausübungsbarrieren

Reduktion der Investitionskosten

Reduktion der Wertverluste

Verlängerung der Laufzeit

Erhöhung der zukünftigen Cash Flows

Realoption

Risikofreier Zinssatz PolitischRechtliche Barrieren - Patente - Lizenzen

Erlöse

Kosten

Erhöhung der Volatilität

Produktunsicherheit

Prozessunsicherheit

Ressourcen unsicherheit

Abbildung 26: Betrachtung werterhöhender Maßnahmen (in Anlehnung an: Hungenberg et al. (2005), S. 39)

In diesem Zusammenhang werden oftmals Maßnahmen zur Erhöhung des Risikos bzw. der Unsicherheit als vorteilhaft postuliert. Vor dem Hintergrund der im Rahmen der Identifizierungsphase geführten Diskussion zu den Unsicherheitsquellen bedarf dieser Aspekt jedoch einer differenzierteren Betrachtung. Unsicherheitserhöhende Maßnahmen sollten sich nur auf Unsicherheitsquellen beziehen, bei denen sich die Auswirkungen negativer Entwicklungen begrenzen lassen und zu erwarten ist, dass sich die Unsicherheit zumindest in Teilen vor dem Verfallszeitpunkt der Option auflöst. Nur bei ihnen bietet sich dem Unternehmen die Möglichkeit, zu reagieren und sich vor negativen Wertentwicklungen zu schützen. Verheerende Auswirkungen hätte die Erhöhung der Unsicherheit bspw. bei solchen

919

Allgemeingültige Aussagen lassen sich hierzu nicht treffen, da diese Maßnahmen sowohl von der Art der Option, als auch insbesondere den Fähigkeiten des Unternehmens abhängig sind.

Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen 251

Unsicherheitsquellen, die zwar über ein „downside-“, nicht jedoch über ein „upside-Potential“ verfügen.920 Den so entwickelten Maßnahmenkatalog gilt es im Sinne einer „long list“ abschließend hinsichtlich der Realisierungsmöglichkeiten der einzelnen Maßnahmen zur Wertsteigerung zu überprüfen und diese dementsprechend in ihrer Umsetzung zu priorisieren. Zu beachten sind hierbei das interne Ressourcenpotenzial bzw. die Fähigkeiten des Unternehmens sowie externe Faktoren wie bspw. rechtliche Bestimmungen. Generell sollte hier ein Abgleich zwischen den Kosten zur Wertsteigerung und dem erwarteten Nutzen stattfinden. Die im Anschluss an diese Prüfung und Priorisierung verbleibenden Maßnahmen sollten dann im Sinne einer „short list“ in einem Maßnahmenkatalog zusammengetragen und der operativen Umsetzung zugänglich gemacht werden.

2.5.3

Festlegung der Ausübungsstrategie

Mit den vorstehenden Analysen sind prinzipiell die wesentlichen Aussagen hinsichtlich des Optionswertes und der Möglichkeiten zu dessen Steigerung gegeben. Letztlich entfaltet eine Realoption ihren Wert jedoch erst durch deren Ausübung.921 Da es sich bei Realoptionen in der Regel um Optionen des amerikanischen Typs handelt – sie also jederzeit bis zum Verfallszeitpunkt ausgeübt werden können – verbleibt in diesem Zusammenhang noch die Frage des optimalen Ausübungszeitpunktes. Dieser wird neben Wettbewerbseffekten922 weitestgehend durch den inneren Wert der Option und durch die verbleibende Unsicherheit bestimmt. Diese beiden Faktoren hat LUEHRMAN in zwei Dimensionen einer Matrix – wie in Abbildung 27 dargestellt – aufgespannt, die durch Einsortieren der betrachteten Realoptionen Handlungsempfehlungen zu deren Ausübungszeitpunkt geben soll.923

920

Siehe hierzu nochmals Kapitel F2.1.2.

921

Andernfalls entsteht durch ein Verfallenlassen der Option ein Verlust in Höhe der Erschließungskosten, der Optionsprämie.

922

Siehe zur Bedeutung von Wettbewerbseffekten für den optimalen Zeitpunkt der Bewertung nochmals

923

Vgl. Luehrman (1998b), S. 52ff; Luehrman (1998a), S. 91ff. Ähnliche Überlegungen sind bei Trigeorgis

Kapitel F2.3.2.

(1991), S. 148ff. zu finden.

252 Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen

Innerer Wert

Verbleibende Unsicherheit

negativ

positiv

hoch

Feld 3 Realoption vielleicht später ausüben

Feld 2 Realoption später ausüben

niedrig

Feld 4 Realoption jetzt aufgeben

Feld 1 Realoption jetzt ausüben

Abbildung 27: Entwicklungsrahmen von Realoptionen (in Anlehnung an: Luehrman (1998a), S. 91f.; Hungenberg et al. (2005), S. 42)

Während sich der innere Wert, wie auch bei Finanzoptionen, aus der Differenz des NKW des Basisinstrumentes und dem des Ausübungspreises ergibt, fasst LUEHRMAN unter der verbleibenden Unsicherheit durch multiplikative Verknüpfung die Laufzeit, eventuelle dividendenähnliche Wertverluste und das Risiko in Form der Volatilität zusammen. Wettbewerbseffekte werden indirekt über die Laufzeit berücksichtigt. Während in „Feld 1“ und „Feld 2“ die Realoptionen über einen positiven inneren Wert verfügen und ein Ausüben somit prinzipiell vorteilhaft wäre, verfügen die Optionen in „Feld 3“ und „Feld 4“ noch über einen negativen inneren Wert; ein Ausüben zum jetzigen Zeitpunkt wäre also mit Wertverlusten verbunden. Ein negativer innerer Wert bedeutet aber nicht, dass die Optionen aufgegeben werden sollten, da während der Laufzeit prinzipiell die Möglichkeit einer positiven Wertentwicklung besteht. Während bei Optionen des „Feldes 3“ aufgrund der hohen verbleibenden Unsicherheit die Wahrscheinlichkeit für eine positive Wertentwicklung als relativ hoch angesehen werden kann, ist das Auftreten neuer, wertvoller Informationen bei Optionen des „Feldes 4“ relativ gering. Sie sollten somit sofort aufgegeben werden, um nicht weitere wertvolle Ressourcen in sie zu investieren. Dahingegen sollte bei Realoptionen des „Feldes 3“ der Zeitfaktor ausgenutzt und über ein Ausüben zu einem späteren Zeitpunkt nachgedacht werden. Auch bei Optionen, die sich im „Feld 1“ befinden, ist das Auftreten neuer, den Wert der Option positiv beeinflussender Informationen aufgrund der geringen verbleibenden Unsicherheit als gering einzustufen. Sie sollten aufgrund ihres positiven inneren Wertes sofort ausgeübt werden. Dahingegen besteht bei Optionen, die sich in „Feld 2“ befinden, ob der hohen Unsicherheit die Möglichkeit, dass sich der Wert weiterhin positiv

Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen 253

entwickelt; auch hier sollte der Zeitfaktor wieder genutzt und das Ausüben noch abgewartet werden. Auf Basis dieser Diskussion ergab sich im Falle des Beispielunternehmens, dass Zeit ein zunehmend kritischer Faktor ist. Daraus wurden diejenigen Realoptionen identifiziert, die sich möglichst schnell realisieren lassen und denen zugleich eine wesentliche Möglichkeit zur Überwindung der technischen Unsicherheiten inhärent ist. Für diese Optionen wurde dann der weitere Informations- und Handlungsbedarf identifiziert. Die knappen Managementressourcen sollten sich nun auf diese Optionen konzentrieren, ohne dabei die weiteren Optionen langfristig aufzugeben. Zudem sollte das Management von Realoptionen sich nicht nur auf die Beeinflussung des Wertes der einzelnen Option an sich konzentrieren, sondern die aktive Steuerung des Optionsportfolios mit einbeziehen. Im Falle des Beispielunternehmens sollten bspw. sowohl die strategischen Partner als auch das Unternehmen selbst die Möglichkeit von Versicherungsoptionen, die beide Parteien im Falle einer ungünstigen Entwicklung vor Verlusten schützt, in Betracht ziehen. Hierbei handelt es sich im Wesentlichen um vertraglich festgelegte Ausstiegs- bzw. Abbruchoptionen. Diese letzte Phase schließt das Prozessmodell somit ab und leitet mit dem Kreieren neuer Optionen zugleich ein erneutes Durchlaufen des Zyklus ein.

2.6

Wertbeitrag der Managementphase

Die abschließende Managementphase stellt die Bedeutung des Realoptionsansatzes als ganzheitliches Instrument der Unternehmenssteuerung heraus. Sie beinhaltet dabei sowohl konzeptionelle als auch instrumentelle Elemente. Ein wesentlicher Wertbeitrag zur Rationalitätssicherung im Kontext junger Unternehmen wird dabei bereits durch die Analyse der Werttreiber geschaffen. Sie trägt durch Offenlegung der Ursache-Wirkungsbeziehung zu einer Verbesserung der Prognosefähigkeit und des situationsspezifischen Verständnisses in Summe bei. Gleichzeitig bildet sie die Basis einer Konzentration auf die wesentlichen Werttreiber. Die Erhöhung der Aufmerksamkeit wird ermöglicht.

254 Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen

Der Sicherstellung der Zweck-Mittel-Rationalität wird im Teilschritt der Ableitung und Auswahl von Wertsteigerungsmaßnahmen besonders Ausdruck verliehen. Auf Basis der vorherigen Analysen wird den Akteuren nun die Möglichkeit gegeben, die zur Verfügung stehenden Mittel mit der gegebenen Zielsetzung auf der Grundlage fundierter Informationen abzugleichen. Durch die Verwendung von Werttreiberbäumen wird nicht nur der Prozess strukturiert, sondern auch das in den Köpfen verteilte Wissen expliziert und visualisiert und somit allen beteiligten Akteuren gleichermaßen zugänglich gemacht. Durch das Festhalten der abgeleiteten Maßnahmen in einem Maßnahmenkatalog wird zudem sichergestellt, dass alle handelnden Akteure von den gleichen Voraussetzungen ausgehen. Gleichzeitig wird so die Möglichkeit des Nachhaltens und Kontrollierens gegeben. Ähnlich verhält es sich mit dem Festlegen der Ausübungsstrategie. Eine Matrix, wie sie in Abbildung 27 dargestellt ist, dient in erster Linie der instrumentellen Nutzung zur Ermittlung des optimalen Ausübungszeitpunktes. Sie ist in zweierlei Hinsicht gerade für junge Unternehmen von Bedeutung. Zum einen eröffnet sie die Möglichkeit der Priorisierung der Handlungsalternativen als Antwort auf die begrenzten Ressourcen junger Unternehmen; zum anderen vermag sie eine Antwort auf die Frage des Trade-Off zwischen der Sicherung einer führenden Marktposition und dem Verlust an Flexibilität zu geben. Diese ist gerade aufgrund der hohen Wettbewerbsdynamik einerseits und der begrenzten Ressourcen andererseits für Wachstumsunternehmen von immenser Wichtigkeit. Zugleich wird auch an dieser Stelle durch die Visualisierung der Entscheidungskriterien die Möglichkeit zum Nachhalten und Steuern der weiteren Maßnahmen gegeben. Mit der Betrachtung dieser abschließenden Phase wird deutlich, dass der Realoptionsansatz durchaus mehr Antworten zu geben vermag als ein reines Bewertungsinstrument. Diesem Aspekt soll im anschließenden Kapitel durch die Betrachtung des Wertbeitrages in Summe gesondert Beachtung geschenkt werden.

2.7

Wertbeitrag des Zyklus in Summe

Zur Untersuchung des Wertbeitrages, den der Realoptionsansatz in Summe zu leisten vermag, bietet sich wiederum eine Unterscheidung in den instrumentellen und konzeptionellen Wertbeitrag an.

Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen 255

In instrumenteller Hinsicht liegt der zentrale Wertbeitrag des Realoptionsansatzes zur Rationalitätssicherung in einer Erhöhung der Bewertungsfähigkeit in Situationen, die durch Unsicherheit einerseits und Flexibilität andererseits gekennzeichnet sind, also einen hohen Optionscharakter aufweisen.924 Die explizite Erfassung und Beurteilung der Unsicherheit und Flexibilität ist dabei, wie gezeigt wurde, insbesondere für junge Unternehmen von hoher Relevanz, da sie einerseits von einer hohen Unsicherheit umgeben sind und ihnen andererseits oftmals nur ein flexibles Verhalten zur Überwindung dieser Unsicherheit zur Verfügung steht. Zudem bietet der Realoptionsansatz durch das Prinzip der risikoneutralen Bewertung und seiner

Marktorientierung

durch

Rückgriff

auf

Kapitalmarktdaten

eine

qualitative

Verbesserung der Bewertungsfähigkeit gegenüber anderen Bewertungsinstrumenten. Dies zeigt sich nicht zu letzt in der damit verbundenen Minimierung der subjektiven und damit potenziell irrationalen Bewertungsannahmen. Selbst wenn ein Rückgriff auf Kapitalmarktdaten nur bedingt möglich ist, zwingt der Ansatz in weiten Teilen zur Explizierung des Wissens und ermöglicht so das Offenlegen begrenzter Rationalität, sowohl hinsichtlich fehlerhafter Bewertungsannahmen als auch hinsichtlich opportunistischen Verhaltens. Auch dies trägt zur qualitativen Verbesserung der Bewertungsfähigkeit bei.925 Des Weiteren liefert die Verwendung des Realoptionsansatzes quantitative und qualitative Anhaltspunkte zur direkten Entscheidung – und damit der instrumentellen Verwendung – hinsichtlich Fragen der Priorisierung und des optimalen Ausübungszeitpunktes.

924

Demgemäß konstatieren Smith/McCardle: „In practice, managers often took flexibilities into account informally and intuitively and incorporating flexibility would make a project more or less attractive depending on how the results of the analysis compared to these intuitive evaluations … In general, these kinds of options are difficult to value intuitively, and one benefit of modeling flexibility is that it improves the accuracy of these valuations and makes them more consistent across different managers.” (Smith/McCardle (1999), S. 5).

925

Auf die Bedeutng von Modellen allgemein zur Bewerkstelligung dieser Aufgabe weisen Warren, et alii im Zusammenhang mit einem Simulationstool hin: „As has been described … decision makers often use implicit (mental) models of how their organization works for their own decision making. Because these models are not necessarily written down or explicitly articulated, they are difficult to examine. This inhibits building consensus amongst a management team about what is the appropriate model of the organization and what assumptions can be made. … Irrespective of the accuracy of this model, it can serve as an objective basis for understanding and debate, where particular points can be changed to suit the perceived reality of the organization.” (Warren, et al. (1998), S. 94).

256 Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen

Auf Fragen der Priorisierung vermag der Realoptionsansatz in zweierlei Hinsicht eine Antwort zu geben. Hinsichtlich der zu verfolgenden Realoption ermöglicht er auf Basis einer qualitativen Analyse bereits im Anschluss an die Identifikationsphase eine Priorisierung der weiter zu betrachtenden Realoptionen und trifft somit eine Vorauswahl. Diese wird im Rahmen der Bewertungstätigkeit weiter eingeschränkt. Je nach Datenlage wird anhand quantitativer oder qualitativer Analysen die Priorisierung konkretisiert und eine Entscheidung bzgl. der zu verfolgenden Handlungsalternative getroffen, ohne dabei zugleich die für junge Unternehmen wichtige Flexibilität aufzugeben. Zum anderen ermöglicht der Realoptionsansatz aufgrund der Werttreiberanalysen im Rahmen der Managementphase eine Priorisierung der Wertsteigerungsmaßnahmen und gibt somit eine fundierte Antwort auf die begrenzten Ressourcen junger Unternehmen. Über die Durchführung qualitativer und quantitativer Analysen hinsichtlich des optimalen Ausübungszeitpunktes vermag der Realoptionsansatz in instrumenteller Hinsicht stichhaltige Anhaltspunkte zur stufenweisen Entscheidung über Investitionsvorhaben zu geben. Diese können darüber hinaus für die Festlegung der Meilensteinvereinbarungen in der Vertragsgestaltung mit Venture-Capital-Gebern zugrunde gelegt werden. Soll der konzeptionelle Wertbeitrag ermittelt werden, den der Realoptionsansatz leistet, so gilt es zu analysieren, welche Erkenntnisse durch seine Nutzung generiert und der Erfahrungsbasis des Akteurs zugeführt werden können, inwiefern es durch seine Verwendung zu einer Stärkung der Wissensbasis kommt und inwieweit er die Denkprozesse in einem dem Situationsverständnis dienlichem Maße beeinflusst. Diesbezüglich zeigte sich durch die Teilschrittbetrachtung, dass an unterschiedlichen Stellen des Prozesses wichtige Erkenntnisse über situationsspezifische Werttreiber, UrsacheWirkungsbeziehungen und das Wettbewerberverhalten gewonnen werden können, die nicht nur der direkten Entscheidungsfindung dienen, sondern die akteursspezifische Wissensbasis in Summe stärken. Darüber hinaus wird dem Akteur über den sequenziellen Entscheidungsprozess explizit die Möglichkeit gegeben, die Entwicklung bestimmter Parameter abzuwarten, zu beobachten, Rückschlüsse zu ziehen und somit zu lernen. Diese Erkenntnisse erweitern seine Erfahrungsbasis und dienen sowohl als Wissensbasis zukünftiger Entscheidungen als auch der Steuerung seiner Denkprozesse. Der Realoptionsansatz fördert dabei explizit ein Denken in

Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen 257

Optionen. Die Gefahr des Übersehens wichtiger, werthaltiger Alternativen, wie sie im Kontext junger Unternehmen durchaus gegeben sind,926 wird minimiert. Wurde gezeigt, dass erfahrungsgeleitetes Handeln gerade in neuartigen Handlungssituationen mit hohen Risiken verbunden ist, so unterstützt der Realoptionsansatz durch seine dynamische Betrachtungsweise eine dem Kontext junger Unternehmen dienliche Denkweise.927 Die explizite Erfassung der Flexibilität und die sequenziellen Entscheidungsprozesse ermöglichen nicht nur ein Überwinden der Unsicherheit, sonder eröffnen insbesondere ein Umdenken beim Auftreten neuer umweltrelevanter Informationen. Ein starres Festhalten an eingeschlagenen Entscheidungswegen wird vermieden; die Gefahr von „sunk costs“ wird minimiert. Langfristig gesehen kann der Realoptionsansatz zu einer dem Kontext junger Unternehmen gerecht werdenden Mustererkennung und der entsprechenden Komplexitätsreduktion beitragen. Er bildet das für Wachstumsunternehmen richtige interne Modell heraus. Wenn BETTIS/HILL konstatieren, dass „[i]n the new competitive landscape such analyses are similar to trying to photograph a constellation of comets“928, so lässt sich im übertragenen Sinne feststellen, dass der Realoptionsansatz dem Akteur mittels seines internen Modells die richtige Brille zur Betrachtung der „Kometenkonstellation“, zur dynamischen Betrachtungsund Handlungsweise aufsetzt. Die vorstehende Analyse zeigt, dass der Realoptionsansatz im Kontext junger Unternehmen insbesondere in konzeptioneller Hinsicht wertvolle Beiträge zur Rationalitätssicherung leisten kann. Diesem Nutzen stehen jedoch wertmindernde Kosten gegenüber. Diese gilt es nun zu spezifizieren, um so letztendlich den Nettonutzen des Realoptionsansatzes zur Rationalitätssicherung im Führungskontext junger Unternehmen zu ermitteln.

926

Siehe hierzu nochmals Kapitel E1.1.

927

Hommel/Lehmann fassen dies folgendermaßen zusammen: „Der Realoptionsansatz bietet ein neues mentales Modell, das Denken in Optionen, und gleichzeitig ein Kommunikationsinstrument, um die Einflüsse von Unsicherheit und Flexibilität auf den Projektwert zu untersuchen.“ (Hommel/Lehmann (2001a), S. 20).

928

Bettis/Hitt (1995), S. 13.

258 Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen

3

Kostenanalyse

Nachdem im vorstehenden Abschnitt der potenzielle Wertbeitrag, den der Realoptionsansatz zur Rationalitätssicherung im Führungskontext junger Unternehmen zu leisten vermag, analysiert wurde, gilt es nun zu überprüfen, in welchem Umfang dieser Wertbeitrag realisiert werden kann, bzw. durch welche Faktoren er gegebenenfalls in seinem Ausmaß begrenzt wird. Hierzu dient die nachfolgende Kostenanalyse. Entsprechend dem im Kapitel B3.2.2 aufgestellten Schema zur Kostenanalyse müssen dabei sowohl direkte als auch indirekte Kosten mit in die Betrachtung einbezogen werden. Diesem Schema folgt auch die nachstehende Untersuchung. Während in Kapitel F3.1 die direkten Kosten, die in Verbindung mit der Nutzung des Realoptionsansatzes entstehen, betrachtet werden, soll in Kapitel F3.2 das Ausmaß der indirekten Kosten der Nutzung bestimmt werden. Letztere werden weitestgehend mit den Schwierigkeiten der Verwendung des Realoptionsansatzes in Verbindung gebracht. Dementsprechend soll im Rahmen dieser Analyse überprüft werden, inwiefern diese Anwendungshürden im Kontext junger Unternehmen Gültigkeit haben.

3.1

Direkte Kosten

Zu den direkten Kosten zählen Kosten, die in direkter Verbindung zur Einführung oder der Nutzung des Instrumentes stehen und sich monetär beziffern lassen. Zur direkten Verwendung des Realoptionsansatzes bedarf es oftmals lediglich eines Tabellenkalkulationsprogramms oder gar eines Taschenrechners, in denen die Black/ScholesFormel mittlerweile oftmals integriert ist. Auch zur Verwendung numerischer Verfahren wie des

Binomialmodells

kann

zumeist

auf

die

entsprechenden

Standardprogramme

zurückgegriffen werden.929 Zudem erweisen sich spezifische Softwareprogramme, die Sensitivitäts- und Szenarioanalysen unterstützen, als hilfreich. Eventuell fallen weitere Gebühren für Schulungen oder Kosten für Literatur an. Umfangreiche Computerprogramme, oder gar die modulare Anpassung derselben, sind nicht nötig.

929

Siehe hierzu auch nochmals die Ausführungen in Kapitel C2.2.3.

Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen 259

Die direkten Kosten der Einführung und Anwendung des Realoptionsansatzes belaufen sich somit auf einem relativ niedrigen Niveau. Dies erweist sich gerade angesichts der geringen finanziellen Ressourcenausstattung junger Unternehmen als vorteilhaft.

3.2

Anwendungshürden im Kontext

Im Rahmen der allgemeinen Diskussion des Realoptionsansatzes wurden verschiedene Punkte als potenzielle Anwendungshürden identifiziert.930 Im Rahmen der Kostenanalyse sollen diese nun vor dem Hintergrund junger wachstumsorientierter Unternehmen diskutiert werden, um so das Ausmaß ihrer wertbegrenzenden bzw. wertreduzierenden Wirkung einzuschätzen.931

3.2.1

Einführung eines weiteren Ansatzes

Die Wahrscheinlichkeit einer prinzipiellen Ablehnung des Realoptionsansatzes aufgrund der negativen Einstellung gegenüber der Einführung eines weiteren Ansatzes kann im Kontext junger Unternehmen als gering angesehen werden. So existieren in der Regel kaum standardisierte Verfahren oder Systeme, in die der Ansatz integriert werden müsste oder die er ersetzten sollte. So ist im Gegenteil gerade im Zuge des Wachstumsprozesses ein Mangel an Verfahren zu verzeichnen, der die Einführung eines Ansatzes notwendig macht.932

3.2.2

Positives Unsicherheitsverständnis

Die Frage, inwiefern das positive Unsicherheitsverständnis, das dem Realoptionsansatz zugrunde liegt, zu einem generellen Ablehnen des Ansatzes im Kontext junger Unternehmen führt, ist wahrscheinlich in hohem Maße von der Person der Unternehmer und deren Einstellungen abhängig.

930

Siehe hierzu nochmals Kapitel C3.4.

931

Siehe hierzu nochmals Kapitel B3.2.

932

Siehe hierzu auch nochmals die Ausführungen in Kapitel D2.

260 Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen

Einen Anhaltspunkt, um eine weitestgehend allgemeingültige Antwort zu treffen, könnte die Risikoneigung der Unternehmer liefern. Da diesen in der Regel eine hohe Risikofreude zugesprochen wird, kann dieser Punkt verallgemeinernd als wenig kritisch angesehen werden. Ein weiterer Aspekt, der diese These stützen könnte, sind die in Kapitel F2.1.2 geführten Diskussionen, die zeigen, dass nicht von einer grundsätzlichen werterhöhenden Wirkung der Unsicherheit ausgegangen werden sollte. In Summe kann somit zwar nicht generell von einer Irrelevanz dieses Punktes ausgegangen werden, jedoch verdichten sich die Anzeichen, dass nur eine geringe Wahrscheinlichkeit der prinzipiellen Ablehnung des Ansatzes aufgrund seines intuitiv nicht sofort eingängigen positiven Unsicherheitsverständnisses zu erwarten ist.

3.2.3

Grenzen der Analogie

Als eine der größten Anwendungshürden erweisen sich die Grenzen der Analogie zwischen Finanz- und Realoptionen. Zwar zeigten die vorstehenden Diskussionen, dass mit unterschiedlichen Hilfskonstruktionen diese Grenzen überwunden werden können und eine aus Praxisperspektive durchaus dienliche Bewertung der Handlungsflexibilitäten erreicht werden kann. Dennoch muss festgestellt werden, dass im Kontext junger Unternehmen auch diese Hilfskonstruktionen begrenzt sind. Dies liegt zu einem Großteil in der Neuheit des Unternehmens an sich bzw. in der Innovation des Produktes begründet. So zeigt sich, dass die Konstruktion eines Duplikationsportfolios insbesondere bei innovativen Bewertungsobjekten mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist. Aufgrund der zumeist nur imaginären Existenz des Underlying und der Innovation des Basisobjektes an sich lässt sich oftmals kein risikostrukturäquivalenter, gehandelter Vermögensgegenstand zur Bewertung identifizieren. Zudem tritt die Datenproblematik bei jungen Unternehmen insbesondere im Bereich der Volatilitätsermittlung zutage,933 da weder eine historische oder implizite Volatilität ermittelt, noch auf vergleichbare Marktwerte zurückgegriffen werden kann. Prognostizierte Schätzungen werden erforderlich, wodurch jedoch der Vorteil der Marktwertorientierung und Risikoneutralität des Ansatzes weitestgehend verloren geht. Individuelle, subjektive Schätzungen fließen nun mit in die Bewertung ein.

933

Löhr bezeichnet dies als „eine der Achillesfersen für die praktische Anwendung“ (Löhr (1999), S. 659).

Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen 261

Dem kann nur entgegengesetzt werden, dass in diesem Fall auch das CAPM an seine Grenzen stößt, da hier ebenfalls die Existenz einer „Twin Security“ unterstellt wird.934 Nach LÖHR lassen sich prinzipiell gegen die Anwendung des Realoptionsansatzes in nicht börsennotierten Unternehmen ähnliche Vorbehalte wie gegen die Verwendung des CAPM vorbringen.935 Zudem lässt sich, wie WIELAND konstatiert, in diesem Fall keine marktwertorientierte Bewertung durchführen.936 „Dies ändert jedoch nichts an der Fruchtbarkeit des Leitgedankens.“937 Durch die Eröffnung neuer Börsen besteht die Hoffnung, dass sich zumindest weitere mögliche Anwendungsfelder etablieren.938

3.2.4

Komplexität der Modelle

Als ein weiterer Punkt, der die prinzipielle Anwendung des Realoptionsansatzes in Frage stellt, werden seine zumeist hohen Anforderungen an die Methodenkenntnisse angeführt, die oftmals Entscheidungsträger vor seiner Verwendung zurückschrecken lässt. Dieser Punkt bedarf einer differenzierten Betrachtung. So liegen die Komplexität der Modelle und die damit verbundenen hohen Anforderungen an die Methodenkenntnisse zu einem Großteil in Interaktionseffekten begründet. Die geringe Unternehmenskomplexität junger Wachstumsunternehmen erweist sich hier als vorteilhaft. Es ist daher zu erwarten, dass Interaktionseffekte längst nicht so ausgeprägt sind wie bspw. in Großkonzernen, bei denen sich die Wechselwirkungen nicht nur auf ein Projekt beziehen, sondern ebenfalls zwischen einzelnen Geschäftsbereichen und Unternehmensebenen Berücksichtigung finden müssen.939 Dieser Aspekt der geringen Komplexität wirkt sich dabei

934

„Finding such a security is regarded as no more difficult than finding a security with a beta similar to that of the project, as required in applying the CAPM to capital budgeting.” (Willner (1995), S. 222).

935

Vgl. Löhr (1999), S. 660.

936

Vgl. Wieland (2002), S. 156.

937

Löhr (1999), S. 660.

938

Vgl. Peske (2002), S. 98.

939

Das Durchlaufen eines komplexen dreistufigen Prozesses, wie er bspw. bei Peske für die Projekt-, Geschäftsbereichs- und Unternehmensebene beschrieben ist, wird im Rahmen junger Unternehmen nur selten erforderlich sein. Das Argument der komplexen Wirkungsweise und damit einhergehenden Schwierigkeit in der Identifikation wird damit entkräftet. Siehe bzgl. des dreistufigen Prozesses Peske (2002), S. 107ff.

262 Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen

sowohl auf die Identifikation als auch auf die Bewertung von Optionen positiv aus. Infolgedessen ist zu erwarten, dass diese Hürde in jungen Unternehmen etwas niedriger ausfällt als zunächst angenommen. Zudem werden hinsichtlich der optimalen Bewertungskomplexität, die sich in erster Linie auf die Detailgenauigkeit der Abbildung der Handlungssituation bezieht, unterschiedliche Meinungen vertreten. So konstatieren BUSBY/PITTS: „The bigger and more important the investment, the more complex valuation models are justified, because the cost of using them pales by comparison with the potential cost of the project. Alternatively the opposite view could be taken, that big important decisions should not become muddled, indistinct or confused, and sophisticated mathematics should be avoided.”940 Im Rahmen der Modellauswahl wurde vor dem Hintergrund der Rationalitätssicherung im Führungskontext junger Unternehmen die Anforderung der Detailgenauigkeit zugunsten der Transparenz zurückgestellt. Hinsichtlich der Methodenkenntnisse an sich wurde zwar im Rahmen der Kontextanalyse herausgestellt, dass diese eine der wesentlichen Problemfaktoren in jungen Unternehmen ist. Jedoch sollte dieser Punkt in Hinblick auf die Anforderungen des Realoptionsansatzes wiederum differenziert betrachtet werden. So zielen die geäußerten Bedenken zumeist auf die mathematischen Anforderungen des Ansatzes, denen sich betriebswirtschaftliche Entscheidungsträger ausgesetzt sehen. Mit Hinblick auf die zumeist über einen technischen oder naturwissenschaftlichen Hintergrund verfügenden Entscheidungsträger in jungen Unternehmen könnte unterstellt werden, dass selbst wenn die Methodenkenntnisse noch nicht vorliegen, sowohl das nötige Grundwissen zum Nachvollziehen der jeweiligen Berechnungen vorhanden ist als auch der Widerstand zur Erlernung der Methodik an sich weitaus geringer ist, als dies in anderen Kontexten gegeben sein mag. Darüber hinaus wird in der Entrepreneurshipliteratur der Vorschlag unterbreitet, zur Überwindung des Problems der methodischen Kenntnisse auf die Unterstützung des VentureCapital-Gebers zurückzugreifen.941 So ergab eine empirische Studie von BASSEN/GRÖNE, dass

940

Busby/Pitts (1997a), S. 39.

941

Siehe hierzu bspw. Achleitner/Bassen (2003b), S. 5f.

Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen 263

ca. 72% der Venture-Capital-Geber mit dem Realoptionsansatz vertraut sind.942 Soweit diese Möglichkeit der Einbindung des Venture-Capital-Gebers gegeben ist, sind mit dieser Erweiterung der Wissensbasis durch Dritte sogar über die reine Bewertungstätigkeit hinaus weitere

Vorteile

verbunden.

So

gibt

der

Realoptionsansatz

eine

gemeinsame

Diskussionsgrundlage vor. In der Realoptionsliteratur wird auch von der „Option language“ gesprochen.943 Er strukturiert die Diskussion und gewährt dem Venture-Capital-Geber zugleich ein tieferes Verständnis des Geschäftsmodells. Die Möglichkeiten der Fremdkontrolle können verbessert und Informationsasymmetrien abgebaut werden.

3.2.5

Symbolische Verwendung

Die symbolische Verwendung des Realoptionsansatzes stellt im Rahmen junger Unternehmen gerade vor dem Hintergrund der Problematik einer instrumentellen, quantitativen Nutzung eine ernstzunehmende Gefahr dar. Kommt es zu einer rein qualitativen, auf subjektiven Schätzwerten basierenden Anwendung, lassen sich Ergebnisse prinzipiell schnell im Sinne des mit der Bewertung betrauten Akteurs manipulieren. Aufgrund der Modellkomplexität und der Neuheit des Produktes bzw. des Unternehmens an sich lassen sich diese für Dritte kaum nachvollziehen. Jedoch stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, inwiefern ein externer Berater, der mit der Verwendung des Realoptionsansatzes vertraut ist und zur Unterstützung hinzugezogen wird, ein Interesse an einer symbolischen Verwendung des Realoptionsansatzes hat. Ist der Berater zudem noch finanziell an dem Unternehmen beteiligt, ist davon auszugehen, dass er jede Annahme die von Seiten der Unternehmensgründer getroffen wird, kritisch hinterfragen und auf ihre Werthaltigkeit hin überprüfen wird. Die Gefahr einer symbolischen Verwendung kann somit zwar nicht vollkommen entkräftet werden, kann aber für den Fall, dass finanziell beteiligte Berater im Bewertungsprozess hinzugezogen werden, als vermindert angesehen werden. Nichtsdestominder sollte diese

942

Hierzu wurden im Januar 2002 282 Venture-Capital-Gesellschaften im deutschsprachigen Raum schriftlich zum Einsatz von Controllinginstrumenten in Early-Stage-Unternehmen befragt. Die Rücklaufquote betrug 23,1%. Siehe hierzu Bassen/Gröne (2003), S. 293ff.

943

Siehe hierzu bspw. Amram/Kulatilaka (1999a), S. 49ff.

264 Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen

Fragestellung bei jeder Verwendung des Realoptionsansatzes präsent sein und kritisch hinterfragt werden. Diese kostenseitige Betrachtung kann nun zur Ermittlung des Nettonutzens, der von der Verwendung des Realoptionsansatzes zur Rationalitätssicherung in jungen Unternehmen ausgeht, genutzt werden.

4

Gesamtbeurteilung

Auch wenn diverse der allgemein gegen den Realoptionsansatz vorgebrachten Kritikpunkte im Zuge der Kostenbetrachtung vor dem Hintergrund junger Wachstumsunternehmen in ihrer Relevanz und ihrem Ausmaß abgemildert werden konnten, bleiben durchaus einige Punkte offen,

die

zu

Einschränkungen

des

Wertbeitrages

des

Realoptionsansatzes

als

Controllinginstrument in jungen Unternehmen führen können. Dabei zeigt sich, dass die direkten Kosten verhältnismäßig gering ausfallen und somit keinen kritischen Faktor in der Anwendung darstellen. Durch Gegenüberstellung der verbleibenden indirekten Kosten und des Bruttonutzens soll nun der Nettonutzen des Realoptionsansatzes im Sinne einer Gesamtbeurteilung ermittelt werden. Zur Ermittlung des Bruttonutzens, den ein potenzielles Controllinginstrument zur Erfüllung der Controllingfunktion leistet, gilt es im Sinne des Rationalitätssicherungsansatzes den konzeptionellen und instrumentellen Nutzen des Instrumentes zur Überwindung der Rationalitätsdefizite zu ermitteln.944 Es wird durch Auswertung der Ergebnisse der Kapitel F2.1 bis F2.7 untersucht, inwiefern der Realoptionsansatz die in Kapitel E3 gestellten Anforderungen an ein Controllinginstrument für junge Wachstumsunternehmen zu erfüllen vermag.945

944

Siehe hierzu nochmals Kapitel B3.2.1. Demgemäß bildet das Ausmaß, in dem das betrachtete Instrument mittels

seines

instrumentellen

und

konzeptionellen

Wertbeitrages

die

Anforderungen

an

ein

Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen erfüllt, den Bruttonutzen. 945

Die nachstehende Diskussion der Anforderungenerfüllung durch den Realoptionsansatz stellt eine zusammenfassende Auswertung der Kapitel F2.1 bis F2.7 dar. Für eine ausführliche Diskussion des Wertbeitrages sei auf die entsprechenden Kapitel verwiesen.

Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen 265

x Das Controllinginstrument muss zur Identifizierung der relevanten Faktoren beitragen. Die Identifizierung der relevanten Faktoren und die damit einhergehende Erhöhung der Aufmerksamkeit aufgrund einer Konzentration auf dieselben stellt eine der wesentlichen Stärken des Realoptionsansatzes dar.946 Dabei zeigt sich, dass bereits im Rahmen der rein qualitativen

Identifizierungsphase

ein

erheblicher

Beitrag

zur

Erhöhung

der

Perzeptionsfähigkeit geleistet werden kann. Der handelnde Akteur wird gezwungen, sich mit den beiden relevanten Faktoren der Unsicherheit und der Flexibilität intensiv auseinanderzusetzen. Er bildet sich ein Urteil über die Quellen derselben, über den Auflösungsprozess der Unsicherheit und das Ausmaß der Flexibilität. Im Rahmen der Bewertungsphase wird der Identifizierung- und Priorisierungsprozess über die Werttreiberdiskussion

und

die

Durchführung

von

Sensitivitätsanalysen

sowohl

in

quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht vorangetrieben. Das Ableiten und Priorisieren von Maßnahmen zur Wertsteigerung im Zuge der Managementphase ermöglicht zudem eine Identifizierung der relevanten Werthebel. Die Aufmerksamkeit wird weiter verbessert. x Das Controllinginstrument muss zur Konzentration auf die relevanten Faktoren beitragen. Da sich im Rahmen der Merkmalsdiskussion gezeigt hat, dass eine zeitliche Entlastung des Akteurs in Form von Delegation kaum realisierbar ist, repräsentiert die Anforderung nach der Konzentration auf die relevanten Faktoren die Zeitkomponente der Erhöhung der Aufmerksamkeit. In diesem Zusammenhang lässt sich konstatieren, dass der Realoptionsansatz durchaus mit einem hohen Aufwand in der Anwendung verbunden ist. Die damit einhergehende zeitliche Beanspruchung der Führungsakteure stellt mit Sicherheit eine der kritischen Faktoren im Führungskontext junger Unternehmen dar. Gleichwohl stellt er kein Instrument dar, das im täglichen Geschäft zum Einsatz kommt. Viel eher sollte er im Rahmen von Workshops in Planungsphasen angewendet werden. Dementsprechend bietet er durchaus Möglichkeiten zur zeitlichen Entlastung. Im Rahmen der Managementphase können bspw. kritische Größen identifiziert werden, die es zu beobachten

946

Pritsch konstatiert diesbezüglich: „Genau dies ermöglicht der Realoptionsansatz, indem er aufzeigt, auf welche ökonomischen Parameter es wirklich ankommt.“ (Pritsch (2000), S. 193).

266 Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen

gilt und an die entsprechende Maßnahmen gekoppelt werden. Diese können in Form von Kennzahlen oder die dargestellten Visualisierungsmöglichkeiten abgebildet werden und folglich einen Signalcharakter einnehmen. Eine effiziente Beobachtungsmöglichkeit und somit zeitliche Entlastung im täglichen Geschäft wird geboten, auch wenn diese Faktoren die zeitliche Restriktion nur bedingt aufzulösen vermögen. x Das Controllinginstrument muss zur kurz- und mittelfristigen Erweiterung der Wissensbasis durch Einbindung interner und externer Akteure die Explizierung des Wissens anregen. In diesem Zusammenhang lässt sich konstatieren, dass sich ein Hauptkritikpunkt, der allgemein gegen das Realoptionsverfahren vorgebracht wird, nämlich seine hohen Anwendungsvoraussetzungen, durchaus als vorteilhaft erweisen kann. So ermöglicht er nicht nur die Einbindung Dritter, sondern zwingt förmlich zur Hinzuziehung externen Wissens. Die „Option language“ verbessert die gemeinsame Kommunikationsbasis. Das Denkmodell gibt dabei mit jeder einzelnen Phase Anhaltspunkte zur Explizierung des Wissens in gemeinsamen Diskussionen. Annahmen können nicht mehr alleine und intuitiv getroffen werden, sondern werden in Diskussionen ausgetauscht und plausibilisiert. Dieser Effekt tritt auch dann ein, wenn der Realoptionsansatz rein qualitativ und in konzeptioneller Hinsicht verwendet wird.947 Die verschiedenen Visualisierungsmöglichkeiten, wie bspw. der Binomialbaum, leisten weitere Unterstützung zur Explizierung des Wissens und der Möglichkeit, die Wissensbasis durch Einbezug Dritter zu erweitern. Auf einen Aspekt der insbesondere im Kontext junger Wachstumsunternehmen vor dem Hintergrund heterogener Gründerteams von besonderer Relevanz ist, weist PRITSCH hin. Er stellt die Bedeutung der „Option language“ als gemeinsame Sprache und des „Option thinking“ als gemeinsames internes Modell zur Überwindung von Kommunikationsproblemen zwischen Akteuren mit unterschiedlichem Ausbildungshintergrund heraus: „Die Kapitalmarktorientierung sowie die Nähe zu Finanzoptionen verknüpft die mentalen Modelle der Finanzleute und Controller mit denen der

947

Boer konstatiert in diesem Zusammenhang: „The options approach … has been subject of seminal thinking, and while possibly too complex for quantitative decision-making, may be extremely useful in creating robust technical strategies.“ (Boer (1998), S. 52).

Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen 267

Naturwissenschaftler, die Chancen und neue wissenschaftliche Möglichkeiten vor Augen haben.“948 x Das Controllinginstrument muss das Herausbilden und die Verwendung eines internen Modells unterstützen, das der Situation junger Wachstumsunternehmen, die durch Unsicherheit, Dynamik und einen hohen Optionsgehalt geprägt ist, gerecht wird. Zur Überprüfung der Verwendung eines der Situation junger Unternehmen gerecht werdenden internen Modells sowie zur Verbesserung der Fähigkeit zur adäquaten Abbildung der Handlungssituation, gilt es den konzeptionellen Wertbeitrag des Realoptionsansatzes zu untersuchen.

Dabei

zeigt

sich,

dass

der

Akteur

durch

die

Verwendung

des

Realoptionsansatzes zum Denken in Optionen angeregt wird. Er konzentriert sich zunehmend auf die relevanten Faktoren seiner Umwelt, die sich in der Unsicherheit und Flexibilität manifestieren. Die Handlungssituation wird durch Anwendung des Realoptionsansatzes strukturiert durchdacht und auf ihren Optionsgehalt und Ursache-Wirkungsbeziehungen hin untersucht.949 Der Realoptionsansatz hilft dem Akteur dabei, die für den Kontext junger Unternehmen richtige Sichtweise einzunehmen, er bietet ihm den „richtigen“ Filter in Form des damit verbundenen internen Modells an.950 x Das Controllinginstrument muss zur Erfassung und Bewertung von Flexibilität beitragen. Über die Bewertung der Flexibilität und der expliziten Erfassung der Unsicherheit vermag der Realoptionsansatz den Optionsgehalt junger Wachstumsunternehmen wie kein anderer zu erfassen und somit Möglichkeiten zur Überwindung der Unsicherheit aufzuzeigen. Dies ist die grundlegende Idee und Aufgabe des Realoptionsansatzes.

948

Pritsch (2000), S. 193.

949

Smith/Cardle weisen diesbezüglich daraufhin, dass der Wert von Finanz- bzw. Rechenmodellen, in diesem Fall des Optionsansatzes, oftmals weniger im Rechenergebnis selbst als im Prozess der Modellierung liegt: „A … more important benefit ist hat in attempting to model projects flexibilities we often identify new options and strategies.“ (Smith/McCardle (1999), S. 5).

950

Diesbezüglich konstatiert Pritsch: „Die Nutzung des Realoptionsansatzes ermöglicht es, über den Hayekschen Prozeß der Mustererkennung zu einem besseren Verständnis der Entscheidungssituation und bestimmter Wirkungszusammenhänge zu gelangen“ (Pritsch (2000), S. 193).

268 Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen

MÜLLER konstatiert in diesem Zusammenhang: „Die Realoptionsmethodik ist gerade durch die explizite Berücksichtigung der Flexibilität, einem der wichtigsten Erfolgsfaktoren der KMU, und der Einbeziehung bisher lediglich intuitiv erfassbarer Zusammenhänge für einen Einsatz in dieser Unternehmensgruppe prädestiniert.“951 Dennoch kann die Antwort, in welchem Umfang er diese Anforderung zu realisieren vermag nur eine graduelle sein. Nicht immer sind die Voraussetzungen einer quantitativen Bewertung gegeben. Es verbleibt dann nur die Möglichkeit einer qualitativen, instrumentellen und konzeptionellen Anwendung. x Das

Controllinginstrument

muss

zur

Verbesserung

der

Prognose-

und

Bewertungsfähigkeit durch Offenlegung von Ursache-Wirkungsbeziehungen und Abbildung der Dynamik beitragen. Der Realoptionsansatz trägt im Wesentlichen zur Verbesserung der Bewertungsfähigkeit im Kontext junger Unternehmen bei. Er vermag die relevanten Faktoren wertmäßig zu erfassen und dem Entscheidungsträger somit ein der Situation gerecht werdendes Entscheidungskalkül an die Hand zu geben, das explizit die Dynamik erfasst. Der wesentliche Unterschied des Realoptionsansatzes im Vergleich zu anderen Bewertungsinstrumenten manifestiert sich dabei gerade in der für junge Wachstumsunternehmen so bedeutenden Berücksichtigung der Flexibilität und dynamischen Entwicklung der Umweltparameter.952 HOMMEL/LEHMANN konstatieren im diesbezüglich im Vergleich zu traditionellen Verfahren, die zumeist ein starres Entscheidungsszenario zugrunde legen: „Hier bietet sich der Realoptionsansatz als Lösung

an,

da

er

in

der

Lage

ist,

projektinhärente

Unsicherheiten

und

Handlungsflexibilitäten zu erfassen und damit Unternehmen und Projekte im New Economy Bereich als das zu bewerten, was sie eigentlich sind: Optionsrechte auf im Entstehen

951

Müller (2004), S. 100. Er führt weiter diesbezüglich aus: „Im Rahmen empirischer Untersuchungen zur Beziehung von Unsicherheit und Investitionstätigkeit in KMU wurde festgestellt, dass gerade in den kleinen Unternehmen eine steigende Unsicherheit eine stagnierende Investitionstätigkeit zur Folge hat. Je kleiner diese Unternehmen sind, desto größer ist dieser Einfluss. Damit werden die Notwendigkeit des Einsatzes und die Bedeutung der Realoptionsmodelle für diese Unternehmensgruppe zusätzlich motiviert.“ (Müller (2004), S. 100). Siehe zum Zusammenhang zwischen Unternehmensgröße, Unsicherheit und Investitionstätigkeit Ghosal/Loungani (1999).

952

Siehe zu einem solchen Vergleich der Bewertungsinstrumente auch nochmals die Ausführungen in den Kapiteln C3.3.1 und C3.3.3.

Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen 269

begriffene Zukunftsmärkte.“953 Jedoch gelten hier wiederum die Einschränkungen hinsichtlich der qualitativen Bewertungsmöglichkeiten. Zudem wird dem Akteur durch das Schema des Ansatzes an sich wie bspw. der Werttreiberund Wettbewerberanalyse ein Instrument gegeben, die relevanten Faktoren strukturiert zu erfassen. Dies hat positive Auswirkungen auf die Antizipationsfähigkeit in Summe. LESLIE/MICHAELS weisen in diesem Zusammenhang auf die Vorteile in der Erfassung der Handlungssituation durch die Berücksichtigung realitätsnaher Risikostrukturen im Gegensatz zu

„Best-Case/Worst-Case“-Szenarien

der

NKW-Methode.954

Zudem

verleihen

die

geforderten Sensitivitäts- und Szenarioanalysen dem Entscheidungsträger ein vertiefendes Verständnis hinsichtlich der Entwicklungsmöglichkeiten und der Auswirkungen der Veränderung einzelner Parameter auf den Gesamtwert. Seine Prognosefähigkeit wird nicht nur durch die zur Verfügung stehenden Analysetechniken sondern insbesondere auch durch das hinzugewonnene Wissen im Zeitablauf gestärkt. x Das Controllinginstrument muss Impulse senden, die zur Selbstkontrolle und somit zum Lernen anregen. Eines der Charakteristika des Realoptionsansatzes ist die ihm inhärente sequenzielle Entscheidungsfunktion. Er ermöglicht, ganz gleich, ob es sich um Wachstums-, Lern- oder Versicherungsoptionen handelt, weitere neue Informationen abzuwarten und Entscheidungen in Abhängigkeit der Entwicklung der relevanten Parameter zu treffen. Durch Anwendung des Realoptionsansatzes werden dabei – wie die Ausführungen in den Kapiteln F2.1 bis F2.5 gezeigt haben – Grenzwerte identifiziert an denen Handlungsnotwendigkeiten entstehen. Hat ein Akteur eine Realoption in ihrem Wesen erfasst und sich dazu entschlossen, den damit einhergehenden Wert zu nutzen, wird er bestrebt sein, die Entwicklung der relevanten

953

Hommel/Lehmann (2001a), S. 15f.

954

Vgl. Leslie/Michaels (1997), S. 19.

270 Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen

Faktoren zu beobachten, Rückschlüsse zu ziehen und dementsprechend zu handeln und zu lernen. Er wird zur Selbstkontrolle angeregt.955 x Das

Controllinginstrument

muss

das

Entwicklungspotenzial

bspw.

durch

Berücksichtigung und Bewertung immaterieller Vermögensgegenstände erfassen. Mit dem Realoptionsansatz steht ein Instrument zur Verfügung, das explizit die Erfassung des Entwicklungspotenzials sowohl des Unternehmens als auch der Branche ermöglicht. Über die reine Bewertungstätigkeit an sich sowie die damit einhergehenden Sensitivitätsanalysen gibt er dabei Hinweise auf die negativen und positiven Entwicklungstendenzen und zeigt die kritischen Parameter derselben auf. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist in diesem Zusammenhang mit der Erfassung immaterieller Vermögensgegenstände wie bspw. der Bewertung von Patenten als Basisobjekt gegeben. x Das Controllinginstrument muss eine effektive und effiziente Fremdkontrolle ermöglichen. Im

Zusammenhang

mit

der

Fremdkontrolle

kommen

wiederum

die

hohen

Anwendungsvoraussetzungen zum Tragen, die trotz erheblicher Komplexitätsreduktionen auch im Kontext junger Unternehmen gegeben sind. Es muss festgestellt werden, dass die hohen Anforderungen der Methodik einen hohen zeitlichen Anspruch haben. Hier gelten ähnliche Aussagen wie die bereits im Rahmen der Konzentration auf die wesentlichen Faktoren getroffenen. Im Rahmen des Planungsprozesses kann es in zeitlich begrenzten Workshops zur Anwendung des Ansatzes kommen. Der Ansatz selbst gibt dabei einen Diskussions- und Analyserahmen vor. Die Explizierung des Wissens wird gewährleistet. Die implizit getroffenen Annahmen werden offen gelegt. Gleichzeitig kann konstatiert werden, dass die hohen Anforderugen zur direkten Zusammenarbeit mit dem Venture-Capital-Geber

955

Im Zusammenhang der mit dem Realoptionsansatz verbundenen Kontroll- bzw. Lernfunktion konstatiert Friedl: „Für junge Unternehmen ist diese Funktion besonders bedeutsam, da sie in der Regel noch keine standardisierten Verfahren zur Kontrolle der Investitionstätigkeit implementiert haben und gleichzeitig die hohe Unsicherheit eine häufige Revision der ursprünglichen Planung notwendig macht.“ (Friedl (2003a), S. 250).

Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen 271

oder anderen dritten Parteien zwingen und positive Effekte hinsichtlich der Rationalitätssicherung einleiten.956 Durch die Visualisierungsmöglichkeiten, sei es durch den Binomialbaum, Werttreiberbäume oder die Ausübungsmatrix, wird die Kommunikationsplattform verbessert. Informationsasymmetrien können verringert und potenziell opportunistisches Verhalten reduziert werden. Zugleich

kann

die

Meilensteinfestlegung

auf

fundierten

und

aufgrund

des

Diskussionsprozesses für beide Seiten nachvollziehbaren Annahmen getroffen werden. FRIEDL konstatiert diesbezüglich: „Damit unterstützt er eine bessere Anpassung von Finanzierungsbedingungen an unternehmensspezifische Gegebenheiten.“957 Somit können die angesprochenen Mängel der Zweckmäßigkeit der Meilensteinregelung überwunden werden.958 Die Grundidee der Staging-Finanzierung lässt sich dabei im Prinzip auf die Realoptionslogik zurückführen.959 Der Venture-Capital-Geber investiert stufenweise; er wartet jeweils die Entwicklung

des

Unternehmens

ab

und

trifft

seine

Entscheidung

über

weitere

Finanzierungsrunden in Abhängigkeit der eintreffenden Informationen. Demgemäß existieren erste Ansätze, die Empfehlungen zur Berücksichtigung des Realoptionsansatz im Rahmen der Gestaltung von Finanzierungsverträgen geben.960 In Summe wird so die Qualität der Fremdkontrolle erhöht und die Effizienz und Effektivität derselben gesichert. Die vorstehende Analyse zeigt, dass der Realoptionsansatz im Kontext junger Unternehmen insbesondere in konzeptioneller Hinsicht wertvolle Beiträge zur Rationalitätssicherung zu leisten vermag. Konzeptioneller und instrumenteller Nutzen bilden in Summe den

956

Pritsch diskutiert in diesem Zusammenhang den potenziellen Beitrag des Realoptionsansatzes zur Sicherung der Rationalität in Gruppenentscheidungsprozessen. Da es sich hierbei aber im Wesentlichen einerseits um die bereits im Rahmen der Anforderung der Erweiterung der Wissensbasis genannten Punkte hinsichtlich der Explizierung der inutitiven Annahmen handelt und andererseits um die Nutzung der Kapitalmärkte zur Rationalitätssicherung, eine Voraussetzung die im Kontext junger Unternehmen nur in eingeschränktem Maße erfüllt wird, sollen dieser nachstehend keine gesonderte Berücksichtigung finden. Siehe hierzu Pritsch (2000), S. 195.

957

Friedl (2003a), S. 251.

958

Siehe hierzu nochmals die Ausführungen in den Kapiteln E1.1 und E3.

959

Siehe hierzu ausführlich Brachtendorf (2004), S. 87-106.

960

Siehe bspw. Sahlman (1988); Neher (1999), S. 255-274; Friedl (2002).

272 Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen

Bruttonutzen. Diesem stehen jedoch, wertmindernde Kosten gegenüber, die sich im Wesentlichen in einem hohen zeitlichen Aufwand und Anspruch in der quantitativen Anwendung des Ansatzes manifestieren. Durch eine Gegenüberstellung des Bruttonutzens und der Kosten lässt sich der Nettonutzen ermitteln, den der Realoptionsansatz als Controllinginstrument im Kontext junger Unternehmen zu leisten vermag. In Abbildung 28 ist diese Gegenüberstellung dargestellt, sie fasst die vorstehenden Diskussionen zum Umfang der Erfüllung der Anforderungen und dem Ausmaß der Kosten zusammen. Nutzen

Kosten

¦ Wertbeitrag aus instrumenteller und konzeptioneller Nutzung zur Erfüllung der Anforderungen: • Identifizierung der relevanten Faktoren • Voll erfüllt • Konzentration auf die relevanten Faktoren • Zum Teil erfüllt • Erweiterung der Wissensbasis durch Einbindung interner und externer Akteure/Explizierung des Wissens • Voll erfüllt • Herausbilden und die Verwendung eines internen Modells unterstützen, das der Situation junger Wachstumsunternehmen gerecht wird • Voll erfüllt • Erfassung und Bewertung von Flexibilität • Voll erfüllt (mit Einschränkungen in der rein qualitativen Bewertung) • Verbesserung der Prognose- und Bewertungsfähigkeit durch Offenlegung von Ursache-Wirkungsbeziehungen und Abbildung der Dynamik • Voll erfüllt (mit Einschränkungen in der rein qualitativen Bewertung) • Sendung von Impulse, die zur Selbstkontrolle und somit zum Lernen anregen • Voll erfüllt • Erfassung des Entwicklungspotenzials bspw. durch Berücksichtigung und Bewertung immaterieller Vermögensgegenstände • Voll erfüllt (mit Einschränkungen in der rein qualitativen Bewertung) • Unterstützung einer effektiven und effizienten Fremdkontrolle • Zum Teil erfüllt

¦ Wertbegrenzende Faktoren • Hoher zeitlicher Aufwand • Hohe Anwendungsaufwand insbesondere der quantitativen Nutzung

Dynamische Betrachtung

Abbildung 28: Nettonutzen des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument junger Wachstumsunternehmen

Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen 273

Wie sich aus der vorstehenden Betrachtung zeigt, erfüllt der Realoptionsansatz zu einem Großteil die Anforderungen, die an ein Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen gestellt werden. Es lassen sich dabei zwei wesentliche Schlussfolgerungen ziehen: Zum einen zeigt sich, dass der Realoptionsansatz über seine reine Funktion als Willensbildungsinstrument durchaus wertvolle Unterstützung im Rahmen der Kontrolle leisten kann. Er regt zum Lernen an und zeigt gleichermaßen relevante Kontrollgrößen auf. Er erfüllt somit die generell geforderte Engpassorientierung, indem er in beiden kritischen Größen des Führungszyklusses einen Wertbeitrag leistet. Zum anderen zeigt sich, dass die Schwierigkeiten, die hinsichtlich der Anwendung des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument im Kontext junger Unternehmen verbleiben, sich im Wesentlichen gegen die quantitativ instrumentelle Verwendung der Bewertungsfunktion richten. Der qualitativ instrumentelle und insbesondere der konzeptionelle Wertbeitrag bleiben bestehen. Der Kriterienkatalog gibt zudem eine dynamische Beurteilung des betrachteten Instrumentes vor. Der Realoptionsansatz vermag dabei sicherlich seine Kosten nicht durch eine einmalige Verwendung im Rahmen einer einfachen Investitionsentscheidung zu überwinden. Zu seiner vollen Entfaltung wird er erst durch eine mehrfache, dauerhafte Verwendung kommen; dies gilt in besonderem Maße für die konzeptionelle Nutzung. Selbst wenn eine quantitative, instrumentelle Bewertung nicht möglich ist, gibt er ein Schema an die Hand, dessen konzeptioneller Wertbeitrag insbesondere durch die Erhöhung der Aufmerksamkeit und Verbesserung der Expertise immens wichtig ist. Es kann somit mit BAECKER/HOMMEL geschlossen werden, dass der Realoptionsansatz kein universelles „Allheilmittel“ ist,961 und dennoch ein generelles Ablehnen des Ansatzes aufgrund der Anwendungshürden nicht die Alternative sein sollte. „Ignoring such potential sources of value seems equally inappropiate“962. Eine Vernachlässigung dieses Wertes käme im Kontext junger Unternehmen im Sinne der Zweck-Mittel-Rationalität sogar einem irrationalen Verhalten gleich. Das Mittel der Flexibilität, die eine der wesentlichen

961

Vgl. Baecker/Hommel (2004), S. 3.

962

Baecker/Hommel (2004), S. 4.

274 Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen

Fähigkeiten junger Unternehmen darstellt, würde nicht zur Überwindung der Unsicherheit eingesetzt werden. Das dem jungen Unternehmen inhärente Mittel der Wachstumsoptionen würde nicht zur Erreichung der Zielsetzung – zu wachsen – genutzt werden.

5

Zwischenfazit

Vorstehendes Kapitel F diente der Beantwortung der Forschungsfrage 3 nach der Eignung des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument im Kontext junger Wachstumsunternehmen. und somit letztlich der Erfüllung der Zielsetzung der vorliegenden Arbeit. Hierzu wurde einerseits untersucht, welchen Nutzen der Realoptionsansatz mittels seiner Anwendung zur Überwindung der Rationalitätsengpässe im Kontext junger Wachstumsunternehmen stiftet und durch welche Kosten er andererseits in seinem Nutzen begrenzt wird. Zu diesem Zwecke wurde ein Denkmodell ausgewählt, das die Ermittlung des Wertbeitrages des Realoptionsansatzes in seiner Ganzheit ermöglicht und kompatibel zu dem Grundverständnis des Rationalitätssicherungsansatzes ist. Es handelt sich hierbei um ein Prozessmodel, bestehend aus den drei Phasen der Identifizierung, der Bewertung und des Managements von Realoptionen. Anhand dieses Denkmodells wurde zunächst über eine Betrachtung der Ziele und Inhalte der einzelnen Phasen des Modells der Wertbeitrag, den der Ansatz durch seine Anwendung sowohl in instrumenteller als auch in konzeptioneller Hinsicht zu leisten vermag, analysiert. Dieser Nutzenanalyse schloss sich eine kostenseitige Betrachtung des Realoptionsansatzes an. Die gegen seine Anwendung vorgebrachten Kritikpunkte wurden vor dem Hintergrund des Anwendungskontextes junger Unternehmen bewertet. Mittels eines Vergleichs der Kosten und Nutzen wurde zusammenfassend das Effektivitätsund Effizienzkriterium überprüft. So wurde zum einen untersucht, in welchem Ausmaß der Realoptionsansatz die an das Controllinginstrument gestellten Anforderungen zu erfüllen vermag und zum anderen verglichen, ob der Nutzen die Kosten übersteigt. Dabei zeigte sich, dass der Realoptionsansatz in hohem Maße die Anforderungen an ein Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen zu erfüllen vermag. Dieser maximale Nutzen wird jedoch durch erheblich Schwierigkeiten insbesondere in der quantitativen instrumentellen Anwendung begrenzt. Es verbleibt ein hoher Nutzen in der

Wertbeitragsanalyse des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen 275

qualitativen und konzeptionellen Verwendung, dessen Wert sich insbesondere in dynamischer Hinsicht über die langfristige und dauerhafte positive Beeinflussung des internen Modells manifestiert. Aus der damit einhergehenden Beantwortung der Forschungsfrage 3 lässt sich somit die Forderung nach einer nutzenmaximierenden, rationalitätssichernden Anwendung des Realoptionsansatzes anstelle eines kategorischen Ablehnens des Ansatzes allein aufgrund der mit der quantitativen Anwendung verbundenen Schwierigkeiten ableiten. Im Rahmen der nachfolgenden Implikationendiskussion werden Möglichkeiten einer solchen Verwendung des Ansatzes aufgezeigt.

276

Implikationen

G Implikationen Die Ergebnisse der vorstehenden Untersuchung haben sowohl praktische als auch theoretische Implikationen. Nachstehendes Kapitel widmet sich diesbezüglich vornehmlich der Betrachtung der Implikationen für die Praxis. Die Implikationen für die Forschung werden im abschließenden Kapitel H im Rahmen des Ausblicks zum weiteren Forschungsbedarf diskutiert. Die praktischen Implikationen der vorstehenden Ergebnisse ergeben sich in erster Linie aus dem umfassenden Wertbeitrag, den der Realoptionsansatz im Sinne der Rationalitätssicherung der Führung im Kontext junger Wachstumsunternehmen leisten kann. Dieser resultiert im Wesentlichen aus seiner konzeptionellen Nutzung. Diesbezüglich liefert er durch die Erhöhung der Aufmerksamkeit und der Bereitstellung des „richtigen“ internen Modells wichtige Erkenntnisse sowohl für die Willensbildung als auch die Kontrolle. Diesem Bruttonutzen stehen Kosten gegenüber, die sich insbesondere in den Schwierigkeiten der quantitativen, instrumentellen Nutzung und der Gefahr einer Chaosfalle durch die rein qualitative Verwendung des Ansatzes manifestieren. Wie gezeigt wurde, sollten diese ob des immensen Wertbeitrages nicht zu einer prinzipiellen Ablehnung des Realoptionsansatzes führen. Viel eher gilt es im Sinne einer Nutzenmaximierung zu prüfen, inwiefern der Wertbeitrag des Bruttonutzens maximiert oder die Kosten minimiert werden können. Aufgrund des identifizierten hohen konzeptionellen Wertbeitrages sollte genau an dieser Stelle angesetzt werden. Die nachfolgenden Punkte sind dabei als erste Überlegungen zur Fruchtbarmachung

des

Wachstumsunternehmen

Realoptionsansatzes zu

verstehen.

Sie

als

Controllinginstrument

stellen

allesamt

in

jungen

Maßnahmen

der

Rationalitätssicherung dar und werden demgemäß anhand der idealtypischen Phasen eines Rationalitätssicherungsprozesses betrachtet. Dieser bewegt sich entlang der von WEBER getroffenen Unterscheidung der drei Rationalitätsebenen, der Input-, der Prozess- und der Outputrationalität.963 Abbildung 29 dient der Orientierung.

963

Siehe hierzu und zur nachfolgenden Prozessbetrachtung ausführlich Weber (2004), S. 479ff.

K. H. Faaß, Der Realoptionsansatz als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen, DOI 10.1007/978-3-8350-9608-0_7, © Deutscher Universitäts-Verlag | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007

Implikationen

277

Prüfung des Realoptionsansatzes Stellen vor seiner Anwendung (Inputrationalität) Vermeidung einer Vermeidung von Vermeidung von mangelnden Eignung des Könnensdefiziten Wollensdefiziten Realoptionsansatzes Realoptionsansatz für das zu lösende Problem grundsätzlich adäquat?

Intervention

Anwendungsprämissen des Realoptionsansatz hinreichend gegeben?

Realoptionsansatz den beteiligten Akteuren hinreichend bekannt?

Anwendungsprämissen des Realoptionsansatzes den beteiligten Akteuren hinreichend bekannt? Stellen

Rationalitätsdefizit erkannt

Realoptionsansatz vor Opportunismus der beteiligten Akteure geschützt?

Anwendungsprämissen hinreichend vor Opportunismus der beteiligten Akteure geschützt?

Rationalität gesichert

Stellen Prüfung des Realoptionsansatzes in seiner Anwendung (Prozessrationalität) Ausreichendes Wissen Wissen und Information richtig Anwendungsprozess des (Basiswissen und Information) im Modell verarbeitet? Realoptionsansatzes entspricht generierbar? dem Soll-Ablauf? Stellen Intervention

Rationalitätsdefizit erkannt

Rationalität gesichert

Prüfung des Ergebnisses Stellen (Outputrationalität) Ergebnis entspricht methodisch den Soll-Anforderungen? Intervention

Ergebnis entspricht inhaltlich den Soll-Anforderungen? Stellen

Ergebnis hält Plausibilitätschecks stand?

Rationalitätsdefizit erkannt Rationalität gesichert

Abbildung 29: Idealtypische Phasen eines Rationalitätssicherungsprozesses (in Anlehnung an: Weber (2004), S. 481)

An oberster Stelle der Rationalitätssicherungsmaßnahmen steht mit der Überprüfung der Inputrationalität die Prüfung der Modell- bzw. Instrumentenauswahl. Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, dass der Instrumentalcharakter des Realoptionsansatzes vornehmlich in Situationen mit hohem Optionscharakter, die durch ein hohes Maß an Unsicherheit und Flexibilität gekennzeichnet sind, zum Tragen kommt. Vor der Verwendung des Ansatzes sollte daher zunächst geprüft werden, inwieweit die gegebene Situation durch eben solche Merkmale charakterisiert ist. Aus der Komplexität des Ansatzes folgt, dass der Realoptionsansatz im Kontext junger Wachstumsunternehmen mitnichten für die tägliche Anwendung geeignet ist. Seine Stärken liegen viel eher in der Unterstützung strategischer Entscheidungen. Diesbezüglich sollte er im Rahmen von Workshops bspw. zur Vorbereitung weiterer Finanzierungsrunden genutzt

278

Implikationen

werden.

Potenzielle

Einsatzmöglichkeiten

bieten

sich

im

Kontext

junger

Wachstumsunternehmen insbesondere im Zusammenhang mit Markteintrittsstrategien, bspw. aus geographischer, aus technologischer oder aus zeitlicher Perspektive. Hier liegen zudem zahlreiche Beispiele vor, die einen Analogieschluss erlauben. Prinzipiell sollte es bereits in frühen Entwicklungsstadien des Unternehmens zu einer Verwendung des Ansatzes kommen. Vor dem Hintergrund der Bedeutung von Wachstumsoptionen für diese Unternehmensklasse kommt gerade dem Kreieren neuer Optionen in den frühen Unternehmensphasen eine wichtige Bedeutung zu. In diesen ersten Schritt sind zudem zusätzlich zur Überprüfung der Optionsanalogie die Könnens- und Wollensdefizite der am Bewertungs- und Entscheidungsprozess beteiligten Akteure mit einzubeziehen. Gegebenenfalls sind im Sinne der Inputrationalität externe Berater hinzuzuziehen. Folgende Fragestellungen sollten bspw. zur Sicherung der Inputrationalität gestellt werden: x Ist der Realoptionsansatz für das zu lösende Problem grundsätzlich adäquat? x Sind die Anwendungsprämissen des Realoptionsansatzes hinreichend gegeben? x Ist die Entscheidungssituation durch einen hohen Optionscharakter geprägt? x Ist die Realoptionsmethodik den beteiligten Akteuren hinreichend bekannt? x Sind die Anwendungsprämissen der Realoptionsmethodik den beteiligten Akteuren hinreichend bekannt? x Gibt es eventuell die Möglichkeit, Könnensdefizite in der Anwendung des Ansatzes durch das Hinzuziehen externer Akteure zu überwinden? x Sind sowohl der Realoptionsansatz als auch die Anwendungsprämissen ausreichend vor einer symbolischen Verwendung geschützt? Sind alle Fragestellungen der Modelleignung und Anwendungsprämissen kritisch hinterfragt worden, ist die Inputrationalität als gesichert anzusehen. Kommt es anschließend zu einer Anwendung des Realoptionsansatzes, muss die Prozessrationalität im Einzelnen sichergestellt werden.

Implikationen

279

Der Sicherstellung der Prozessrationalität kann im vorliegenden Fall das Prozessmodell zur Operationalisierung des Realoptionsansatzes gegenübergestellt werden. Diesbezüglich sollte zur Nutzenmaximierung vor jeder einzelnen Phase überprüft werden, ob diese noch sinnvoll durchführbar ist und in welchem Umfang, also rein qualitativ oder quantitativ, sie durchgeführt werden sollte. Wie gezeigt wurde, leistet der Realoptionsansatz bereits in der Identifikationsphase durch die Identifizierung und Priorisierung der Optionen wertvolle Beiträge zur Rationalitätssicherung der Führung junger Unternehmen. Ein Auslassen dieser Phase allein aufgrund der Gewissheit, dass sich eine anschließende quantitative Bewertung nicht bewerkstelligen ließe, käme ebenso einem irrationalen Verhalten gleich wie die Durchführung einer zwanghaften, scheinrationalen Bewertung. Diese würde sowohl durch die fehlerhaften und gefährlichen Ergebnisse, als auch durch den erheblichen – in diesem Fall – nutzlosen Zeitaufwand, der mit dieser Phase verbunden ist, zu erheblichen Nutzeneinbußen führen. In der Identifikationsphase an sich sollte im Sinne der Rationalitätssicherung eine Konzentration auf die Überprüfung der Optionsanalogie und die Priorisierung der Optionen erfolgen. Erstere trägt dabei sowohl zur Nutzenmaximierung bei, da sie wesentliche Erkenntnisse hinsichtlich der wertbestimmenden Parameter der Unsicherheit und Flexibilität liefert, als auch zur Kostenminimierung, da sie die weitere Betrachtung von Scheinoptionen ausschließt. Die Priorisierung trägt insofern zur Nutzenmaximierung bei, als sie zur optimalen Verwendung der begrenzten Ressourcen dient. Die Bewertungsphase ist sowohl durch ein hohes nutzen- als auch ein hohes kostenseitiges Potenzial gekennzeichnet. Bei der Modellauswahl ist dabei insbesondere aus Aspekten der Rationalitätssicherung auf die maximale Erfüllung der dargelegten Kriterien zu achten. Diese sollten situationsspezifisch überprüft werden. Erfordert die Situation bspw. lediglich die Plausibilisierung einer bereits intuitiv getroffenen Entscheidung und sind die Bewertungsparameter vorhanden, sollte auf die Transparenz zugunsten der Effizienz in der Verwendung verzichtet werden und das Black/Scholes-Modell zum Einsatz kommen. In den meisten Situationen wird sich jedoch gerade aufgrund der Merkmale junger Unternehmen die Verwendung eines Binomialmodells anbieten. Es leistet – wie gezeigt – wesentliche Beiträge zur Transparenz der Handlungssituation und somit einen maßgeblichen Wertbeitrag zur Rationalitätssicherung.

280

Implikationen

Hinsichtlich der Quantifizierung und Qualifizierung der Bewertungsparameter sollten aus Aspekten der Nutzenmaximierung ähnlich des Informationswertkriteriums der Wertbeitrag zusätzlicher Informationen, in diesem Fall genauerer Analysen, gegen die Kosten der Informationen, in diesem Fall der Aufwand der Informationssuche, abgewogen werden. Aus Rationalitätssicherungsaspekten muss an dieser Stelle auf die Gefahr einer Scheinrationalität weiterer Analysen hingewiesen werden, ebenso wie auf die Gefahr, aufgrund einer rein qualitativen Bewertung der Chaosfalle oder einer symbolischen Nutzung zu verfallen. Zur Überwindung der mit der rein qualitativen und konzeptionellen Nutzung verbundenen Kosten sollten insbesondere die Visualisierungsmöglichkeiten zur Explizierung intuitiver Annahmen genutzt werden. Diese ermöglichen auf Seiten Dritter die schnelle und effiziente Überprüfung der zugrunde gelegten Annahmen. Die Managementphase bietet wiederum erhebliches Nutzenmaximierungspotenzial. Die Hürden und Gefahren der Bewertungsphase wurden an diesem Punkt weitestgehend überwunden. Nun sollten die Ergebnisse optimal genutzt werden und sowohl der Willensbildung als auch der Kontrolle zur Verfügung gestellt werden. Durch beide Verwendungsmöglichkeiten maximiert sich der Wertbeitrag des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument. Zur Nutzenmaximierung im Rahmen der Willensbildung sollten Betrachtungen von Werttreiberbäumen zum Einsatz kommen. Sie strukturieren den Prozess und stellen weitestgehend sicher, dass keine wichtigen Werthebel übersehen werden. Zudem zwingen sie zur Explizierung des Wissens aller Beteiligen und ermöglichen so eine optimale Ausschöpfung der Wissensbasis. Auch dies ist als prozessrational anzusehen. Zur Nutzenmaximierung im Rahmen der Kontrolle sollten die abgeleiteten Maßnahmen auf jeden Fall in Maßnahmenkatalogen festgehalten und über die angesprochenen Möglichkeiten der Visualisierung einer effizienten Nutzung zur Verfügung gestellt werden. So wird verhindert, dass werthaltige Entscheidungen und Maßnahmen in Vergessenheit geraten oder dass die Entwicklung wichtiger Entscheidungsparameter aus den Augen verloren geht. Dies käme einer Ressourcenverschwendung und somit irrationalem Verhalten im Sinne der ZweckMittel-Rationalität gleich. Folgende Fragestellungen dienen als Orientierung zur Sicherung der Prozessrationalität:

Implikationen

281

x Welche Unsicherheiten liegen vor? x Welche Flexibilitäten bestehen? x Können mit diesen Flexibilitäten die Unsicherheiten überwunden werden? x Handelt es sich hierbei um „echte“ Realoptionen oder um Scheinoptionen? x Welche Optionen sollten näher betrachtet werden? x Ist das Durchlaufen der nächsten Phase sinnvoll? x In welchem Umfang soll die nächste Phase durchlaufen werden? x Liegt ausreichendes quantitatives und/oder qualitatives Wissen zur Anwendung des Ansatzes vor oder kann es generiert werden? x Können die Inputparameter qualitativ bestimmt werden? x Können die Inputparamter quantifiziert werden? x Lassen sich plausible Bandbreiten für die Werte der Inputparameter bestimmen? x Sollen weitere Such- und Analyseanstrengungen unternommen werden? x Lässt sich ein Binomialbaum aufstellen? x Welches Bewertungsmodell sollte angewendet werden? x Liegen Möglichkeiten zur Einflussnahme auf die Werttreiber vor? x Wie können die Ergebnisse nachgehalten werden? x Entspricht die Vorgehensweise dem Soll-Ablauf? x Sind alle relevanten Faktoren berücksichtigt worden? Hinsichtlich der Outputrationalität sollte abschließend explizit überprüft werden, inwiefern die getroffenen Annahmen Plausibilitätsüberprüfungen standhalten. Sie wird im Wesentlichen durch die Feinabstimmung der Bewertung sowie die Sensitivitätsanalysen im Rahmen der Managementphase gewährleistet. Zur abschließenden Sicherung der Outputrationalität sollten bspw. folgende Fragen gestellt werden:

282

Implikationen

x Entspricht das Ergebnis methodisch bspw. hinsichtlich der Genauigkeit den SollAnforderungen? x Entspricht das Ergebnis inhaltlich den Soll-Anforderungen? x Hält das Ergebnis Plausibilitätschecks stand? Zusammenfassend lässt sich somit konstatieren, dass der Realoptionsansatz zur Entfaltung seines Wertbeitrages weniger in der reinen Investitionsbewertung Anwendung finden sollte, als

viel

eher

als

ganzheitliches,

konzeptionell

genutztes

Denkmodell,

dass

die

Aufmerksamkeit auf die relevanten Faktoren lenkt, die das Unternehmen beeinflussende Unsicherheit erfasst und bewertet und Möglichkeiten zur rationalen Überwindung dieser Unsicherheiten aufzeigt.

Fazit und Ausblick

283

H Fazit und Ausblick Die Zielsetzung der vorstehenden Untersuchung lag in der Analyse der Eignung des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument für junge Unternehmen. Zur Erfüllung dieser Zielsetzung mussten zunächst einige Vorarbeiten geleistet werden. Aus Ermangelung eines einheitlichen Controllingverständnisses bedurfte es in Kapitel B zunächst der Auswahl eines geeigneten Controllingansatzes. Auf Basis eines kritikgeleiteten Vergleichs

wurde

der

Rationalitätssicherungsansatz

nach

WEBER

der

Arbeit

als

konzeptioneller Bezugsrahmen zugrunde gelegt. Die wesentliche Stärke des Ansatzes liegt in seiner integrativen und kontextspezifischen Ausrichtung begründet. Gerade die Kontextspezifität war dabei für seine Auswahl ausschlaggebend, denn nichts anderes macht die Erforschung des Controlling in jungen Unternehmen notwendig, als dass durch sie ein besonderer Kontext gegeben ist. Dieser Ansatz vermochte so einen Analyserahmen für die weitestgehend noch unerforschten controllingrelevanten Merkmale junger Unternehmen zur Verfügung zu stellen. Jedoch musste der Ansatz diesbezüglich zunächst in einigen Elementen konkretisiert werden. Es bedurfte einer näheren Spezifizierung des zugrunde gelegten Rationalitätsverständnisses sowie des Aufstellens eines Analyserahmens, der die Ermittlung von Rationalitätsdefiziten vor dem Hintergrund allgemeingültiger Aussagen ermöglicht. Hierzu wurde auf Erkenntnisse verschiedener Forschungsrichtungen, im Wesentlichen der der Kognitionswissenschaften, zurückgegriffen. Gemäß dem Rationalitätssicherungsansatz besteht die Controllingfunktion in einer Rationalitätssicherung der Führung, in einem Überwinden und Vermeiden von Rationalitätsdefiziten. Rationalitätsdefizite manifestieren sich dabei in einer Lücke zwischen Sollrationalität und realisierter Rationalität. Ausgangspunkt der Betrachtung der der Sollrationalität entgegenstehenden Rationalitätsdefizite bildete dabei das Konzept der „Bounded Rationality“, das auch dem Rationalitätssicherungsansatz inhärent ist. Jedoch stellen Begrenzungen der menschlichen K. H. Faaß, Der Realoptionsansatz als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen, DOI 10.1007/978-3-8350-9608-0_8, © Deutscher Universitäts-Verlag | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007

284

Fazit und Ausblick

Informationsverarbeitungskapazität nicht zwangsläufig ein Rationalitätsdefizit dar. Der Akteur vermag durchaus rational innerhalb seines begrenzten Modells zu handeln. Zu Rationalitätsdefiziten kommt es demnach erst, wenn es aufgrund der akteursspezifischen Wahrnehmungen, die ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit erfordern und durch die im internen Modell des Akteurs gespeicherte Expertise gelenkt wird, zu einer fehlerhaften Problemrepräsentation kommt. Die dadurch bedingten Rationalitätsdefizite ließen sich in ihrem Ausmaß begrenzen, käme es aus dynamischer Sicht zu einer Anpassung der internen Modelle. Zwar ist der Akteur aufgrund seines unbegrenzten Wollens bestrebt, diese kontinuierlich zu verbessern. Dennoch steht diesem ein Sicherheitsbedürfnis entgegen, das Anpassungen, bewusst oder unbewusst, unterbindet. Dynamische Rationalitätsdefizite entstehen. Über diese dreistufige Spezifizierung der Rationalitätsdefizite wurden die Aufmerksamkeit, die Expertise und das Sicherheitsbedürfnis als rationalitätsbegrenzende Faktoren identifiziert. Je nach vorliegender Ausprägungsform erhöhen sie die Wahrscheinlichkeit für das Entstehen von Rationalitätsdefiziten und stellen somit einen Rationalitätsengpass dar. Über die Betrachtung der Rationalitätsengpässe einerseits und die Zielsetzungen der Führungshandlungen andererseits wurde so ein Rahmen für Kontextanalysen aufgespannt. Gleichzeitig galt es den Begriff des Controllinginstrumentes näher zu spezifizieren. Gemäß dem gewählten Controllingansatz sind hierunter alle Methoden und Verfahren zu verstehen, die zur Überwindung von Rationalitätsdefiziten beitragen. Auf Basis dieser Definition wurde ein Kriterienkatalog zur Beurteilung von Controllinginstrumenten aufgestellt. In einem nächsten Schritt wurde der Realoptionsansatz als eben ein solches potenzielles Controllinginstrument in seinen Grundzügen vorgestellt. Der Realoptionsansatz ist ein der Optionspreistheorie der Finanzoptionen entlehntes Instrument zur Bewertung von Handlungsflexibilitäten. Die Diskussion in Kapitel C diente im Wesentlichen der Schaffung eines gemeinsamen Verständnisses der grundlegenden Idee und der Erfassung seines Instrumentalcharakters. Dabei wurde ein gesondertes Augenmerk auf seine instrumentelle, konzeptionelle und symbolische Nutzung gelegt. In Kapitel D wurde dann die Kontextanalyse vorgenommen. Ausgangsbasis bildete eine umfassende Diskussion der konstitutiven Merkmale junger Unternehmen, anhand derer die Besonderheiten dieser Unternehmensklasse herausgearbeitet wurde. Im Rahmen dieser

Fazit und Ausblick

285

Betrachtung zeigte sich, dass ihnen ein hoher Optionscharakter als weiteres konstitutives Charakteristikum inhärent ist. Auf Basis der Ergebnisse der Kapitel B und D konnte nun in Kapitel E eine Anlyse des Erkenntnisobjektes Controlling in jungen Wachstumsunternehmen vorgenommen werden. Hierzu wurden zunächst die Implikationen der Merkmale junger Wachstumsunternehmen auf die jeweilige Führungszyklusphase untersucht. Dabei zeigte sich zum einen, dass sowohl die Willensbildung als auch die Kontrolle kritische Größen des Führungszyklusses im Kontext junger Unternehmen darstellen. Zum anderen zeigte die Analyse, dass in erheblichem Umfang Merkmalsausprägungen vorliegen, die zu einer begrenzten Aufmerksamkeit und letztlich dadurch bedingten Rationalitätsdefiziten führen. Expertisebedingte Rationalitätsdefizite manifestieren sich im Wesentlichen in mangelnden Methodenkenntnissen. Anhand dieser Analyse konnte die Beantwortung der Forschungsfrage 1 nach den controllingrelevanten Merkmalen junger Wachstumsunternehmen vorgenommen werden. Die auf diesen Ergebnissen basierende, weiterführende Betrachtung zeigte, dass Maßnahmen zur Rationalitätssicherung

insbesondere

an

einer

Erhöhung

der

Aufmerksamkeit

und

Verbesserung der Expertise ansetzten sollten, sowie Unterstützungsleistungen im Rahmen der Willensbildung und Kontrolle erforderlich sind. Auf Basis dieser Erkenntnisse konnte nun ein umfassender Katalog der Anforderungen an ein Controllinginstrument in jungen Unternehmen aufgestellt werden und Forschungsfrage 2 beantwortet werden. Damit wurden die notwendigen Vorleistungen zur letztendlichen Analyse der Eignung des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen – und somit zur Beantwortung der Forschungsfrage 3 – erbracht. Diese wurde in Kapitel F vorgenommen und erfolgte in mehreren Schritten. Zunächst wurden anhand eines Prozessmodells die einzelnen Schritte im Rahmen der Anwendung des Realoptionsansatzes vorgestellt. So konnten beispielhaft allgemeingültige Aussagen über den Erkenntnisgewinn in jedem einzelnen Teilschritt sowie den Nutzen des Modells in Summe getroffen werden. Die umfassende Untersuchung konzentrierte sich nicht nur auf den Wertbeitrag der instrumentellen, quantitativen Anwendung des Ansatzes sondern berücksichtigte explizit vor dem Hintergrund der Schwierigkeiten einer quantitativen Verwendung den Wertbeitrag einer qualitativen und konzeptionellen Anwendung. Somit ließen sich die ganzheitlichen Auswirkungen der Anwendung des Realoptionsansatzes auf die Aufmerksamkeit und die Expertise sowie die Unterstützungsleistung im Rahmen der Willensbildung und Kontrolle

286

Fazit und Ausblick

ermitteln. Diese Betrachtung diente im Wesentlichen der Ermittlung des durch den Realoptionsansatz gestifteten Bruttonutzen im Sinne einer Erfüllung der Anforderungen an ein Controllinginstrument im Kontext junger Unternehmen. Diesem wurde dann eine kontextspezifische

Kostenanalyse

gegenüber

gestellt

und

letztendlich

in

einer

Gesamtbetrachtung der Nettonutzen des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen ermittelt. Es zeigte sich, dass der Realoptionsansatz einen Großteil der Anforderungen an ein Controllinginstrument für junge Unternehmen zu erfüllen vermag. Insbesondere durch seine konzeptionelle Nutzung leistet er bedeutende Beiträge zur Überwindung der Rationalitätsengpässe junger Wachstumsunternehmen. Bereits in der Identifikationsphase stiftet er einen wesentlichen Nutzen zur Erhöhung der Aufmerksamkeit und somit der Verbesserung der Perzeptionsfähigkeit. In der Bewertungsphase wird in erster Linie die Bewertungsfähigkeit dahingehend verbessert, dass nun ein Instrument zur Verfügung steht, das die für junge Unternehmen bestimmenden Faktoren der Unsicherheit und Flexibilität qualitativ oder quantitativ zu bewerten vermag. Hierin ist er anderen Bewertungsinstrumenten überlegen. In der Managementphase werden schließlich wichtige Erkenntnisse über die wesentlichen Werttreiber und Werthebel gewonnen. Sie stellen nicht nur eine Verbesserung der Willensbildungsfähigkeit dar, sondern liefern wichtige Anhaltspunkte für die Kontrolle. Sie leiten zum Lernen an. Die Schwierigkeiten in der quantitativen, instrumentellen Verwendung des Realoptionsansatzes lassen sich jedoch auch im Kontext junger Unternehmen nur zum Teil ausräumen. Wie gezeigt wurde, käme jedoch ein kategorisches Ablehnen des Ansatzes allein aufgrund dieser Anwendungshürden im Kontext junger Wachstumsunternehmen einem irrationalen Handeln gleich. „For a rapidly growing company, the primary role of finance should be to preserve the growth options that are its principal source of value.”964 In der Konsequenz wurden in Kapitel G im Rahmen der Implikationenbetrachtung Ansätze zur Fruchtbarmachung dieses immens wichtigen Wertbeitrages – insbesondere der konzeptionellen Nutzung – des Realoptionsansatzes in der betriebswirtschaftlichen Praxis junger Unternehmen aufgezeigt. Sie stellen Maßnahmen der Rationalitätssicherung dar.

964

Cornell/Shapiro (1988), S. 21.

Fazit und Ausblick

287

Der geleistete Wertbeitrag der vorstehenden Untersuchung liegt dabei nicht nur in der umfassenden Beantwortung der für den Kontext junger Unternehmen relevanten Forschungsfrage, sondern auch in einzelnen Teilschritten der Arbeit. Die resultierenden Erkenntnisse stehen nun weiterführenden Forschungsfragen zur Verfügung. So

wurde

mit

der

Spezifizierung

des

Rationalitätsbegriffs

des

WEBER’SCHEN

Controllingansatzes und dem Aufspannen eines Analyserahmens zur Untersuchung der kontextspezifischen Rationalitätsdefizite ein wesentlicher Wertbeitrag in der Controllingdiskussion geleistet. Mit der Durchführung der Kontextanalyse wurde der Vorteil dieses Ansatzes herausgestellt. Er erhebt zu Recht den Anspruch einer integrativen und kontextspezifischen Sichtweise. Seine Stärke liegt in der Erforschung und Untersuchung neuartiger Situationen bzw. Überprüfung gegebener Situationen auf die controllingrelevanten Besonderheiten. Der aufgespannte Analyserahmen steht nun weiteren Kontextanalysen zur Verfügung. Nachfolgende Arbeiten sollten diesen nutzen und sich nicht nur bei der Auswahl des Rationalitätssicherungsansatzes als zugrunde gelegtes Controllingverständnis auf die Kontextspezifität berufen, ohne dabei das Kontextspezifische des Betrachtungsobjektes herauszustellen. So würde die allgemeine Controllingdiskussion an Präzision gewinnen. Mit der Untersuchung des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument in jungen Unternehmen wurde ein ums andere Mal die Stärke des Realoptionsansatzes herausgestellt und ein weiteres potenzielles Einsatzgebiet identifiziert. Diesen durchaus beachtlichen Beiträgen, die der Realoptionsansatz zur Rationalitätssicherung in jungen Unternehmen zu leisten vermag, stehen weiterhin Schwierigkeiten hinsichtlich der quantitativ instrumentellen Verwendung gegenüber. Die vorliegende Arbeit kann so als Plädoyer für weitere Forschungsanstrengungen in diesem Bereich verstanden werden. Diesbezüglich ist insbesondere die Realoptionsforschung gefordert, die Möglichkeiten der aktiven und reibungslosen Nutzung weiterzuentwickeln. Eine Spezifikation der Modelle hinsichtlich der branchen- und kontextspezifischen Anforderungen erweist sich hier als viel versprechend. Dementsprechend sollten die Realoptions- und Entrepreneurshipforschung Hand in Hand gehen. Erste Anhaltspunkte bietet die vorstehende Untersuchung über die Merkmals- und Implikationenbetrachtung. Als einer der nächsten Schritte würde sich nun aus forschungstheoretischer Perspektive eine empirische Untersuchung der konkreten Ausgestaltung und der Erfolgswirkung der Ver-

288

Fazit und Ausblick

wendung des Realoptionsansatzes als Controllinginstrument mit Hilfe von Fallstudien anbieten. Diesbezüglich sollten auf jeden Fall zwei Aspekte Berücksichtigung finden. Erstens wurde gezeigt, dass die Anwendungsmöglichkeiten bzw. die Anwendungshürden des Realoptionsansatzes stark branchenabhängig sind. Um sich des Vorwurfs der einseitigen Betrachtung zu erwehren, sollte bei der Auswahl der Untersuchungsobjekte auf eine möglichst breite Streuung der Branchenzugehörigkeit geachtet werden. Zweitens sollten aufgrund des hohen Wertbeitrages, der von der konzeptionellen Nutzung zu erwarten ist, Langzeitstudien durchgeführt werden. Es ist anzunehmen, dass eine einmalige Überprüfung einen nur geringen Erkenntnisfortschritt generieren würde. Es ist schon jetzt zu erwarten, dass wiederum auf die Schwierigkeiten in der quantitativ instrumentellen Nutzung hingewiesen würde, ohne dabei jedoch konkrete Anhaltspunkte zur vertiefenden Überprüfung des konzeptionellen Nutzens zu erhalten. Nichtsdestominder ist der wesentliche geleistete Wertbeitrag der vorliegenden Untersuchung der Erkenntnisfortschritt im „Entrepreneurial Controlling“. Über die umfassende Merkmalsbetrachtung und der anschließenden theoriegeleiteten Ableitung der controllingrelevanten Merkmale und Anforderungen konnten zwei elementare Forschungsfragen beantwortet werden. Es liegen nun Erkenntnisse über die controllingrelevanten Merkmale sowie über Beurteilungskritierien und Gestaltungsregeln für ein Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen vor, die eine fundierte Basis für weitere Untersuchungen bieten. Mit der Untersuchung des Realoptionsansatzes als potenzielles Controllinginstrument für junge Wachstumsunternehmen wurde eine erste Antwort auf die Frage nach geeigneten Controllinginstrumenten gegeben und beispielhaft gezeigt, wie eine solche Untersuchung eines Modells im Anwendungszusammenhang durchgeführt werden kann. Gleichwohl kann an dieser Stelle nur eine absolute Aussage getroffen werden; Aussagen bzgl. der relativen Vorteilhaftigkeit des Ansatzes im Vergleich zu anderen Instrumenten lassen sich an dieser Stelle nicht treffen. Selbst wenn bereits Untersuchungen zu weiteren Instrumenten durchgeführt

wurden,

so

weisen

diese

weitestgehend

die

eingangs

diskutierten

Forschungsdefizite auf. Eine Vergleichbarkeit ist nicht gewährleistet. Zur Ermittlung des komparativen Wertvorteils des Realoptionsansatzes sollten nun weitere Untersuchungen anderer Instrumente vorgenommen werden. Sie können den vorstehenden Anforderungskatalog nutzen. Ebenso kann dieser zur Entwicklung neuer oder Anpassung bestehender

Fazit und Ausblick

289

Instrumente, die den spezifischen Besonderheiten junger Unternehmen gerecht werden, genutzt werden. Somit bleibt abschließend festzuhalten, dass mit vorliegender Arbeit das eingangs gesetzte Forschungsziel erreicht wurde und Antworten auf sowie Anstoß für weitere Fragestellungen gegeben wurden. Sie erhebt somit nicht den Anspruch endgültiger Wahrheit sondern integriert sich in ein lebendiges Forschungsprogramm. Ein Grundstein zur Erforschung des weitestgehend

unbestellten

Feldes

des

„Entrepreneurial

Controlling“

wurde

gelegt.

Literaturverzeichnis

291

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K. H. Faaß, Der Realoptionsansatz als Controllinginstrument in jungen Wachstumsunternehmen, DOI 10.1007/978-3-8350-9608-0, © Deutscher Universitäts-Verlag | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007

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