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German Pages 56 [57] Year 1959
Joseph H. Kaiser, Der politische Streik
Der politische Streik Von
Prof. Dr. J oseph H. Kaiser
Zweite Auflage
DUNCKER & HUMBLOT I BERLIN
Alle Rechte vorbehalten Duncker & Humblot, Berlin Gedruckt 1959 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin SW 61 Printed in Germany
© 1959
Vorwort Die ordnende und stabilisierend·e Rolle der Interessenverbände ge· winnt im Wandel unserer politisrhen F·oll'IDen und im Lirht einer mamhe Erwartungen übertreffenden wirtsrhaftlirhen Konjunktur an Überzoogungskraft, die sich aurh in einigen staatsrerhtlirhen Betrarhtun.gen zögernd auszudrücken heginnt. Verbandsphobie und rhronique scandaleuse der Verbandsherrschaft geraten srhon in ihren Srhatten. Hie·r wird erneut eine Studie über den Streik, seine politisrhe und staatsrechtliche ·Bed·e utung, vorgelegt, an deren Gegenstand sirh erweis·e n kann, daß in dien Verbänden genuin Marht in Er:srheinung tritt, daß .sich angesirhts di.eser ihrer ·durch Organisation und Technisierung geprägten El'sch·einungsformen erneut die alte Frag·e des Umgangs mit d·er Macht stellt und daß Gesetzgeber und Rirhter auf diese Fr:age noch keine in jed·er Hinsicht zulänglirhe Antwort gefunden haben. Die erste Auflage die6er Schrift hat die Antrittsvorle&Ung wiedergeg·ehen, die ·der Ve.rfasser am 23. Februar 1954 an der Universität Bonn gehalten hat. Der Stil der akademischen Rede wurde aurh in der Vlo.rli.egenden Fassung beibehalten, obwohl die Lehre vom politischen Streik weiterentwickelt, in Einzelheiten korrigiert und auf einen größeren Schatz deutscher und ausländisrher Erfahrungen, Gesetze, Gerichtsurteile und Literatur gestützt wurde. Freiburg, im Oktober 1959
J.H.K.
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am den Erschütterungen des letzten Krieges und allem, was auf ihn folgte, suchen wir Hoffnung zu schöpfen aus der Tatsache des westdeutschen Wiederaufbaus. Alle Schichten haben durch schwere Arbeit an diesem - leider noch auf Westdeutschland beschränkten - Wiederaufstieg mitgewirkt, und unser ganzes Volk nimmt ihn gern als einen handgreiflichen Beweis dafür, daß wir, als Einzelne und als Nation, eine Chance ha-ben für die Zukunft. In dieser Zeit einer allgemeinen Restauration sind Streiks im allgemeinen nimt populär. Nichtsdestoweniger sind Streiks eine latente Gefahr und ein aktuelles staatsrechtliches Problem. In ihnen kommen nicht nur die realen und legitimen Interessen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern zum Austrag, sondern auch die spezifischen Interessen von hochentwickelten Organisationen, die Eigeninteressen der Gewerkschaftbürokratie und der Syndici, der großen Funktionärskörper mit all ihrem Eigenwicht\ der Machtgruppen mit der jeder Macht innewohnenden Tendenz zur Expansion. Im Arbeitskampf sind Streik und Aussperrung erlaubte Kampfmittel. Kampffreiheit bedeutet das Recht der Arbeiter zum Streik und das Recht ·der Arbeit·geber zur Aussperrung der Arbeitnehmer 1 Zur Frage der oligard:J.ischen Herrschaft in den Massenverbänden vgl. Franz L. Neumann, "Das Arbeitsrecht in der modernen Gesellschaft", Vortrag vor dem sozialpolitischen Ausschuß des Deutschen Gewerksd:J.aftsbundes, Recht der Arbeit, 4, 1951, S. 4. Ludwig Rosenberg hat im DGß.Auslandsdienst Nr. V/3 (März 1954) mit Red:J.t neben der Notwendigkeit der Massenorganisationen auch die in ihnen liegende Gefährdung der individuellen Existenz hervorgehoben: "Manchmal sd:J.eint es uns, als ob sie (die Organisationen) Roboter oder Riesen würden, die e i n e n e i g e n e n W i II e n und ein e i g e n e s L e b e n gewinnen und A m o k z u I a u f e n drohen und aus uns, die wir sie geschaffen haben, ihre Diener und ihre Objekte machen" (S. 2: Sperrung durch mich). Dazu vgl. auch die Einleitung meiner Schrift "Die Repräsentation organisierter Interessen", Berlin 1956, S. 14 ff.
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von den Produktionsmitteln. Beide, Streik und Aussperrung, sind zwei Seiten ·ein und derselben Sache und gehören untrennbar zusammen2. Gewiß ist ·die Aussperrung in ·der Praxis des Arbeitskampfes eine seltene Erscheinung. In Deutschland ereignete sich die letzte größ·ere Aussperrung in dem Eisenkonflikt des Jahres 1927. Was hier in dies·er staatsrechtlich·en Untersuchung jedoch über den politischen Streik gesagt wird, gilt entsprechend auch für die aus politischen Gründen verhängte Aussperrung. Beide haben das gleiche juristische Gewicht. Streik und Aussperrung sind die äußersten Konsequenzen des Verhältnisses von Arbeitge·bern und Arbeitnehmern, das durch die Möglichkeit des Arbeitskampfes seine besondere juristische und politische Note erhält und sich dadurch von allen anderen lnteressengegensätzen wie Stadt und Land, Landwirtschaft und Industrie usw. unterscheidet. Der Arbeitskampf hat aber auch tiefgreifende Wirkungen auf die Struktur der europäischen Nationalstaaten, deren entscheidende Leistung zu Beginn d·er Neuzeit darin bestand, den spätmittela·lterlichen Kampf der Gruppen und Stände auf ihrem Territorium unterdrückt zu haben; im Konfliktsfall trat die souveräne Entscheidungsmacht des Staates in Gestalt eines Dekrets, Gesetzes od·er Richterspruchs auf -den Plan, um den inneren Frieden zu wahren. E s i s t n u n e i n e r r e g e n d e s S c hau s p i e I z u sehen, wie sich innerhalb der rationalen, perfektionierten Rechtsordnung des modernen Staates ein Bereich geöffnet hat, in dem lnter·essen kollidieren, für deren Austrag die Rechtsordnung keine geeigneten Mittel bereit hält und deshalb d e n K a m p f z u 1 a s s e n m u ß. Das geltende Arbeitsrecht kann darum ·die Selbsthilfe in ·der Form des Arbeitskampfes nicht ausschließen, solange es jener liberalen Konzeption fo.Jgt 3 • Es rechnet 2 Art. 29 Abs. 5 der Hessismen Verfassung, der die Aussperrung für remtswidrig erklärt, ist darum wegen Verletzung des Gleimheitssatzes des Grundgesetzes (Art. 3) nimtig. Vgl. die Namweise bei Gerhard Willi Kleemann. Die verfassungsrechtlime Problematik der Aussperrung nam dem GG und den Länderverfassungen, Mainzer jur. Diss. 1955, S. 69, 73 ff. 3 Herbert Krüger hat zutreffend hervorgehoben, diese Selbsthilfe stehe unter dem selbstverständlichen Vorbehalt, daß der Staat jenen bisher ungeordneten Bereich ordnet und ein wirksames Verfahren zur Streikbeilegung
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vielmehr mit dem Bruch des Arbeitsfriedens und der damit eintretenden Gefährdung der Prosperität; es trifft darum aus·drücklieh Vorsorge für den Fall, daß die So·zialpartner sich im Streik duellieren, ja es enthält ganz bestimmte Regeln für dieses Duell von Arbeit und Kapital. Weil es den Streik nicht verhindern kann, ist das Arbeitsrecht ein unvollkommenes Recht und insofern, wie Dietrich Schindler ·e indrucksvoll gezeigt hat4 , eine klare, innerstaatliche Anazur Verfügung stellt {Streik und Aussperrung als Rechtfertigung des Arbeitsvertragsbruches, BB 1955, S. 614 ff.). Die Anerkennung des (in der Tradition der romanischen Länder ursprünglich anarchistisch aufgefaßten) Streiks durch die Rechtsordnung des "bürgerlichen" Staates kann auch eine disziplinierende und mäßigende Wirkung ausüben. Darauf hat Piero Calamandrei, Significato costituzionale del diritto di sciopero, Rivista Giuridica del Lavoro, 1952, Fascicolo 4-5, Separatabdruck S. 26 und passim, überzeugend hingewiesen. "La lotta precontrattuale non solo non e bandita, ma e utilizzata dallo Stato come mezzo di produzione giuridica per arrivare alla giusta composizione contrattuale del conflitto" (S. 19). Die italienische Verfassung von 1947 erkennt in Art. 40 das Streikrecht im Rahmen der Gesetze an; ähnlich schon die französische Verfassung von 1946 in Abs. 7 der Präambel; die französische Verfassung von 1958 hat es dabei belassen. Als ein Korrelat zur Kampffreiheit hat die aus dem Tarifvertragsrecht folgende {und auf die Dauer seiner Geltung begrenzte) Friedens· p f 1 ich t der Sozialpartner Anerkennung gefunden. Das Bundesarbeitsgericht hat das Verdienst dieser Klarstellung: "Eine andere Auffassung würde zur Vernichtung der freien sozialen Autonomie führen" (Urteil v. 31. Oktober 1958 in dem Rechtsstreit aus Anlaß des schleswig-holsteinischen Metallarbeiterstreiks 1956/57, Arbeitsrechtliche Praxis Nr. 2 zu § 1 TVG / Friedenspflicht, li, 5, e). Das Gericht hat auch betont, daß die Stellung der Sozialpartner in der Rechts- und Wirtschaftsordnung nicht nur Rechte sondern auch Verantwortung mit sich bringt (IV). Der Nachweis einer über den Tarifvertrag sachlich oder zeitlich hinausgehenden Friedenspflicht ist bisher noch nicht voll überzeugend gelungen; wichtige Ansätze bei G. Müller, Friedenspflicht, Betrieb 1959, S. 515; vgl. auch Rolf Dietz, Friedenspflicht und Arbeitskampfrecht, JZ 1959, S. 428, 431. Bulla hält den V ersuch der Erziehung des vertragsbrüchig gewordenen Sozialpartners (im entschiedenen Fall: der Gewerkschaft) zur Gesamtverantwortung für "ein echtes Anliegen einer führenden Rechtsprechung" (Der Begriff der " Kampfmaßnahme" im Arbeitskampfrecht, Betrieb 1959, S. 574) . - Rechtsfindung und -anwendung sind, meine ich, der Beruf des Richters in einer Lage, deren Schwierigkeit der Conseil d'Etat in einer Entscheidung über die Grenzen des Streikrechts einmal formuliert hat; s. unten Anm. 84 mit 81. 4 Werdende Rechte, Betrachtungen über Streitigkeiten und Streiterledigung im Völkerrecht und im Arbeitsrecht, Festgabe für Fritz Fleiner, Tübingen 1927, S. 114. Vgl. zu diesem Thema des Zwischen-Gruppen-Rechts auch J. L. Brierly, Die Zukunft des Völkerrechts, Zürich 1947, S. 75 ff.
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logie zum klassischen Völkerrecht, das den Krieg ·zulassen mußte. Der Streik, jeder Streik, gleicht darum dem Krieg, denn er ist wirklicher Kampf, eine echte A n a l o g i e z u m S c h a u s p i e l d e s K r i e g e s zwischen den Staaten, ein theatrum belli en miniature. Hier liegt der Ansatzpunkt für die juristische Definition des Streiks und auch des politischen Streiks. Lassen Sie mich aher zunächst bitte in ein paar Sätzen sagen, wie es rechtsgeschichtlich zu einer so eigenartigen und ·das Wesen des kontinentalen Nationistaales so radikal verändernden Einrichtung kam. Die V oraus1setzungen dafür schuf die bürgerliche Gesellschaft, die jünger ist als der Staat. Sie hob sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vom absolutistischen Staat ab und trat zu ihm in Gegensatz 5 , und seitdem beherrscht die Dialektik von Staat und Gesellschaft die Verfassungsentwicklung aller kontinental-euro· päischen Staaten. Die Gesellschaft, die sich gegenüber dem Staat entwickelt und zur Geltung gebracht hat, ist vor allem industrielle In der jüngeren arbeitsrechtlichen Literatur klingt die Analogie von Streik und Krieg zuweilen an, ohne daß ihre praktische und staatstheoretische Bedeutung voll gewürdigt werden; vgl. statt anderer Heinrich Hoeniger, Einige Gedanken zum Recht des Arbeitskampfes, Recht der Arbeit, 6, 1953, S. 205. - In dem Urteil des Arbeitsgerichts Göttingen vom 10. April 1952 (Arbeitsrechtliche Praxis, 1952, S. 486 ff.) wird mehrfach die Parallele von Krieg und Arbeitskampf gezogen: dieser sei ein Kampfzustand wie ein Krieg. Das Arbeitsgericht geht so weit, von der "dem Streik als Kampfhandlung innewohnenden eigenen Rechtsordnung" zu sprechen. Ein interessanter Vergleich zwischen Generalstreik und Krieg findet sich bei Georges Sorel in dem Kapitel über den politischen Generalstreik in seinen Reflexions sur la Violence, 11. Auß., Paris 1950, S. 246 ff. Vgl. auch Georges Ripert, Les forces creatrices du droit, Paris 1955, S. 112, 261. 5 "Dieser Prozeß wurde erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts abgesmlossen, da endgültig Staat und Gesellschaft als versmiedene Gegenstände er· faßt und zum Objekt besonderer Wissenschaften gemacht werden" (Otto Brunner, Land und Herrschaft, Brünn 1943, S. 128; vgl. auch Brunner, Adeliges Landleben und europäischer Geist, Salzburg 1949, S. 61 ff.). Paul ]oachimsen bemerkt zu diesem Vorgang: Die Entstehung der modernen Gesellschaft "ist daran gebunden, daß die alte berufsständische Gliederung, auf der der Staat des Mittelalters ruht, für einen bestimmten Bezirk des öffentlichen Lebens überwunden und durch ein Aggregat von Individuen ersetzt wird. Diesen Bezirk eben nennen wir Gesellsmaft, und die Überwindung der alten ständischen Gliederung ist das Werk des modernen Staates" (Zur historischen Psychologie des deutschen Staatsgedankens, Die Dioskuren, Jahrbuch für Geisteswissenschaften, I, 1922, S. 109; vgl. auch a.a.O., S. 119 ff.).
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Gesellschaft; sie bedeutet den Bereich der Wirtschaft, der nach liberaler Auffassung frei ist, d. h. eine prinzipiell staatsfreie und außerstaatliche Sphäre. Das freie Spiel der Kräfte gilt ·dort aurh für Angebot und Nachfrage der Ware Arbeit, und die Arbeitsmarktparteien sind berechtigt, mit ihrer Leistung zurückzuhalten, d. h. zu streiken oder auszusperren, wenn die Gegenleistung sie nicht befriedigt6. Das war nach ·dem liberalen Konzept ein rein wir ts c h a f t I i c h e r V o r g a n g7 , solange jedenfalls als er kaum an6 Die enge, grundsätzliche und praktische Beziehung zwischen Koalitionsrecht und Streikrecht brachte einer der ersten und hervorragendsten Kenner dieses Gebiets, Maxime Leroy, auf die Formel: "Der Zusammenschluß (zu einer Gewerkschaft) verhält sich zum Streik wie das Ultimatum zur Kriegserklärung" (Les Transformations de Ia Puissance Publique, Les Syndicats de Fonctionnaires, Paris 1907, S. 229). 7 In einem aufsehenerregenden Artikel "Zum politischen Streik" (Gewerkschaftliche Monatshefte 5, 1954, S. 1 ff.) hat Richard Schmid behauptet, es gäbe im Grunde genommen keinen unpolitischen Streik; die Grenze zwischen politischem und unpolitischem Streik sei auch früher nicht gezogen worden, vor allem nicht in dem Sinn, daß der eine verboten und der andere gestattet sein solle. Die Grenze sei auch kaum zu ziehen. "Das wäre vollkommen geschichtswidrig" (S. 1). Diese Auffassung steht zu den geschichtlichen Fakten in Widerspruch. Die Unterscheidung zwischen den Bereichen der unpolitischen Wirtschaft und der Politik, aus der die sog. Nachtwächterrolle des Staates resultierte, war dem liberalen 19. Jahrhundert so geläufig, daß sie keiner Nachweise bedarf. Sie war ein Axiom des französischen Syndikalismus ( vgl. Kaiser, "Die Repräsentation organisierter Interessen", S. 47, 51) und bestimmte auch das Verhältnis der deutschen Gewerkschaften zu den politischen Parteien. Selbst August Bebel, der die Machtmittel der Gewerkschaften gern zu politischen Zwecken eingesetzt hätte, betonte bezeichnenderweise in seiner Resolution zum politischen Massenstreik diesen Unterschied: "Die Gewerkschaften sind unumgänglich notwendig für die Hebung der Klassenlage der Arbeiter inner h a I b der bürge r I ich e n Gesellschaft", während die Sozialdemokratische Partei "den Kampf für die Hebung der Arbeiterklasse . . . a u f p o I i t i s c h e m G e b i e t zu führen hat" (Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, abgehalten zu Mannheim vom 23. bis 29. September 1906, Berlin 1906, S. 132). Jene Unterscheidung und die dementsprechend verschiedene Zielsetzung war der Ursprung heftiger Streitereien zwischen Gewerkschaften und SPD, von denen die Protokolle der Parteitage von Mannheim und Jena (1905) sowie das einschlägige Schrifttum jener Zeit voll sind. Zum politischen Streik hat der Fünfte Deutsche Gewerkschaftskongreß in Köln (1905) in seiner Resolution ausgeführt, daß auch im Kampf um die Verbesserung der Gesetze sich die Taktik nach den jeweiligen Verhältnissen zu richten habe: "Der Kongreß hält daher auch alle Versuche, durch die Propagierung des politischen Massenstreiks eine bestimmte Taktik festlegen zu
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wollen, für verwerflich; er empfiehlt der organisierten Arbeiterschaft, solchen Versuchen energisch entgegenzutreten. Den Generalstreik, wie er von Anarchisten und Leuten ohne jegliche Erfahrung auf dem Gebiet des wirtschaftlichen Kampfes vertreten wird, hält der Kongreß für undiskutabel; er warnt die Arbeiterschaft, sich durch die Aufnahme und Verbreitung solcher Ideen von der täglichen Kleinarbeit zur Stärkung der Arbeiterorganisation abhalten zu lassen" {abgedr. im Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der SPD in Mannheim, a.a.O., S. 137). Die Konferenz der Gewerkschaftsführer vom Februar 1906 gipfelte in der Forderung, daß die Gewerkschaften sich an politischen Streiks nicht offiziell beteiligen sollten (H. Laufenberg. Der politische Streik, Stuttgart 1914,
s. 79).
In diesen prononcierten Erklärungen des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes, die ohne Rücksichtnahme auf die SPD noch schärfer ausgefallen wären, kommt mit aller Deutlichkeit die Unterscheidung zwischen dem "Lohnstreik", der als Mittel des Arbeitskampfes kein Problem war, und dem politischen Streik zum Ausdruck, der damals auch als politischer Massenstreik, oder, unter dem Einfluß der syndikalistischen Generalstreiksideologie, einfachhin als Generalstreik bezeichnet wurde. Diese von Schmid bestrittene Unterscheidung war in der sozialdemokratischen Partei wie in den Gewerkschaften Allgemeingut, sogar in dem Sinne, daß ein politischer Streik die Grenze zur Illegalität übersdueiten würde {vgl. z. B. Heine-Berlin III auf dem Parteitag von Jena, 1905, Protokoll, Berlin 1905, S. 315; ferner unten Anm. 41 über die Beziehung von politischem Streik zur Revolution). Ohne sie wäre die auf den Parteitagen von Jena und Mannheim geführte leidenschaftliche Debatte um den politischen Streik {Protokoll Jena, S. 285-343; Protokoll Mannheim, S. 227-306) unverständlich. Die G e w e r k s c h a f t e n b e f ü r c h t e t e n d e n Mi ß b r a u c h ihres ureigenen Kampfmittels, des Streiks, du r c h d i e s o z i a I d e m o k r a t i s c h e P a r t e i zu politischen, revolutionären Zwecken. Die auf allen Kongressen und Parteitagen jener Jahre hervortretenden Spannungen zwischen Partei und Gewerkschaften sind hier in der Frage des politischen Streiks, zum offenen Gegensatz aufgebrochen, wenn sich auch Legien mit geringem Erfolg bemühte, nach außen eine Einheit von Partei und Gewerkschaften zu dokumentieren {Protokoll des Parteitages von Mannheim, S. 251 ff.; dieser Widerspruch zu seinen grundsätzlichen Ausführungen ist in der anschließenden Diskussion mehrfach bloßgelegt worden, z. B. durch Dissmann-Frankfurt {a.a.O., S. 265) und Gewehr-Eiherfeld {a.a.O., S. 271). Die Haltung Legiens zum politischen Streik zeigte sich unverhüllt in dem Hinweis, "das wir mehr als zwei Jahrzehnte in Deutschland in der Auffassung erzogen sind, die Auer so formuliert hat: ,Generalstreik ist Generalunsinn'" {a.a.O., S. 246). Die Unterscheidung zwischen Arbeitsstreik und "Streik zu politischen Zwecken" ist auch für Eduard Bernstein evident {Der Streik, sein Wesen und sein Wirken, Frankfurt o. J. [1906], S. 112 ff.), der erst von wenigen "bis jetzt vorliegenden, ja immer nur erst v e rein z e I t e n Beispielen politischer Massenstreiks" (S. 115; Sperrung durch mich) wußte. Wie kürzlich Wolfgang Abendroth in dem Vortrag "Streik- und Verfassungsrecht in der modernen Demokratie" {vgl. Bericht der Frankfurter Allgemeinen Ztg. vom 16. Juni 1954), so führt auch Bernstein die Geschichte des politischen
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dere als lokale Tragweite hatte, und die konsequente Trennung von Wirtschaft und Politik ermöglichte und rechtfertigte die Neutralität des Staates. Das Streikrecht ruht also, obgleich es ursprünglich auch sozialpolitisch motiviert war8 , auf liberalen Grundlagen. Sie best·eohen heute im wesentlichen jedoch nur noch als Fiktionen weiter. Die Wirtschaft ist nicht mehr ein staatsfreier Raum, sondern wird weitgehend vom Staat mitgestaltet und mitverantwortet. Jeder größere Streik ist auch nicht mehr nur ein rein wirtschaftlicher Vorgang, sondern wird ein Politicum, sobald seine Wirkungen nicht mehr nur die ArbeitStreiks zurück bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. Abendroth gelangt zu der Schlußfolgerung, daß "heute wie früher jeder Streik ein politischer Streik" sein müsse. Für Bernstein ergibt sich dagegen, daß die englischen Chartisten den politischen Streik Ende der 30er Jahre des 19. Jahrhunderts zuerst "propagiert, aber mit ganz unzulänglichen Mitteln ins Werk gesetzt und dadurch für lange Zeit dikreditiert" haben; erst ein halbes Jahrhundert später sei der Gedanke dann wieder aufgenommen worden (S. 112). Die Bedeutung des politischen Streiks als einer gegen den Staat gerichteten und deshalb vom Lohnstreik streng zu unterscheidenden Kampfmaßnahme wird von Bernstein schließlich im Schlußwort völlig außer Frage gestellt: "Und wie die gewerbliche Demokratie in ihrer Fortentwicklung den gewerblichen Streik, so wird auch die durchgeführte politische Demokratie den politischen Streik als Waffe entbehrlich machen" (S. 119). Der so bestimmte Begriff des politischen Streiks deckt sich weitgehend mit dem Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Bernstein unterscheidet davon den in einem weiteren Sinne, "mittelbar" politischen Streik, der etwa durch die Schlichtungsbemühungen von Behörden zu einem politischen Ereignis wird. Mit besonderer Schärfe und viel Sarkasmus hat schon Georges Sorel die Grenze zwischen dem s y n d i k a I i s t i s c h e n Generalstreik der Massen und dem v o n P a r t e i p o I i t i k e r n I a n c i e r t e n Generalstreik gezogen. Jener leitet die große proletarische Revolution ein: der "Streik der Politiker" dagegen befestigt nur deren Macht: sie benutzen ihn als eine "pression du dehors" auf das Parlament und blasen ihn ab, sobald sie einen neuen Pakt mit der Regierung unterzeichnet haben (a.a.O., S. 226). Darum handelt es sich für Sorel um zwei ganz verschiedene Streikbegriffe (S. 232), darum: "!'extreme opposition qui existe entre Ia greve generale proletarienne et celle des politiciens" (S. 228). 8 Goetz Briefs, Das Gewerkschaftsproblem gestern und heute, Frankfurt 1955, S. 60. - Über den Zusammenhang zwischen wirtschaftlichem Aufschwung um die Jahrhundertwende und der Entscheidung der Gewerkschaften für eine pragmatische Politik (Revisionismus) und gegen die marxistische Doktrin vgl. Briefs, Soziologische Voraussetzungen der Sozialpolitik im Wandel, in "Sinnvolle und sinnwidrige Sozialpolitik", Tagungsprotokoll Nr. 12 der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft, Ludwigsburg 1959, S. 27.
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geberseit·e treffen, sondern die gesamte Nation in Mitleidenschaft ziehen. Trotz·dem wahrt der Staat als die politische Organisationsform der Nation strikte N e u t r a I i t ä t. Hier drängt sich wieder der Vergleich des Streiks mit dem Krieg und des Arbeitsrechts mit dem klassischen Völkerrecht auf. Wie Kriegsrecht und Neutralitätsrecht nicht voneinander getrennt werden können, so entspricht dem Streikrecht der Gewerkschaften eine arbeitsrechtliche Neutralitätspflicht des Staates, die es ihm verbietet, gesetzlich gegebene Befugnisse so anzuwenden, ·daß damit der Waffengleichheit der Kampfpartner unbillig Abbruch getan würde. Diese Pflicht des Staates zur Neutralität hat sich in Vorschriften über Arbeitsplatzwechsel und dgl. niedergeschlagen9 und geht nach einer extremen Auffassung so weit, daß zur Zeit der Lebensmittelrationierung nach einer alliierten Verordnung Arbeitern auch während de.s Streiks während ·sie also weniger leisteten als die "Normalverbraucher" - trotzdem Schwerund Schwerstarbeiterzulagen gewährt wurd.e n10• 9 Vgl. § 23 KSdiG und §§51, 84 Ges. über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversidierung; Bulla, Neutralität der Arbeitsverwaltung im Arbeitskampf (Arbeitsvermittlung, Arbeitslosenunterstützung, Arbeitsplatz· wediselbesdiränkung), Redit der Arbeit, 4, 1951, S. 209 ff.; vgl. dazu audi die Entsdiließung des Bundesvorstandes des Deutsdien Gewerksdiaftsbundes für die britisdie Zone vom 6. August 1948 über Arbeitskämpfe, Arbeitsverpfliditung und Arbeitsplatzwediselverordnung, a.a.O., l, 1948, S. 95. 10 Anordnung der Alliierten Kommandantur Berlin v. 31. März 1948, Redit der Arbeit, l, 1948, S. 27. Der Zusammenhang von staatlicher Neutralität und Anerkennung des Arbeitskampfes durdi die staatlidie Reditsordnung ist von Forsthoff eingehend gewürdigt worden; vgl. Ernst Forsthoff und Alfred Hueck, Die politisdien Streikaktionen des Deutsdien Gewerksdiaftsbundes anläßlidi der parlamentarisdien Beratung des Betriebsverfassungsgesetzes in ihrer verfassungs- und zivilreditlidien Bedeutung, Zwei Reditsgutaditen, Heft 6 der Sdiriftenreihe der Bundesvereinigung der Deutsdien Arbeitgeberverbände, Köln 1952, S. 12 ff. Forsthoff bezieht sich mit Redit auf Carl Schmitt, Der Hüter der Verfassung, Tübingen 1931, S. 105 f., 143 f., und Otto Hartung, Der Streik, sein Begriff, seine Arten und die Voraussetzungen seiner Reditmäßigkeit, jur. Diss. Halle 1934, S. 52 ff. Diese konkrete und an zahlreimen Tatbeständen aufweisbare Neutralität des Staates im Arbeitskampf ist von Generalstaatsanwalt Fritz Bauer in einer gegen Forsthoff geführten Polemik bestritten worden; s. Politisdier Streik und Strafrecht, JZ, 1953, S. 651. Bauer begnügt sidi mit so vagen und nidit substantiierten Thesen wie der: es habe noch nie einen neutralen Staat gegeben; sie besitzen angesichts jener realen Tatbestände keine Überzeugungskraft.
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Wir wissen, ·daß es heute im Kriegsvölkerrecht ein hergebrachtes Neutralitätsrecht kaum noch geben kann, wenn man mit der Kriminalisierung und Pönalisierung des Krieges ernst macht. Wir wollen nun ,hier noch nicht die Frage untersuchen, ob die Analogie zwischen Völkerrecht und Arbeitsrecht so weit geht, daß man heute schon das End·e der staatlichen Neutralität gegenüber dem Streik ankündig·en oder postulieren kann. Die Frage stellt sich aber unabweisbar, sobald man den politischen Streik ins Auge faßt. In einigen deutschen Landesverfassungen ist ·der Streik ausdrücklich garantiert11• Das Grundgesetz schweigt ·darüber; die Forderung der Gewerkschaften, daß nur der von den Gewerkschaften ausgerufene und gebilligte Streik verfassungsrechtlich gewährleistet werde, fand im Parlamentarischen Rat keine Mehrheit, und über die Formulierung eines einschränkenden Vorbehalts gegen den politischen Streik konnte man sich nicht einigen12• Auf -der Ebene des Bundesrechts ist das Streikrecht somit weder bekräftigt noch verworfen. Es besteht kein subjektives Recht auf den Streik, sondern Streikfreiheit und Aussperrungsfreiheit im Rahmen des allgemeinen Verfassungs- und Gesetze·srechts. Dabei handelt es sich also nicht um ein Grund- und Freiheitsrecht im Sinne des liberalen Rechtsstaates, in dem Fl'eiheit die prinzipiell unbegrenzte Betätigungsmöglichkeit des Einzelnen bedeutet, sondern um ein Zugeständnis an Arbeitnehmerorganisationen und an spontan sich bildende Streikkollektive sowie an einzelne Arbeitgeber und deren Vereinigungen, soziale und in den Auswirkungen oft politische Macht auszuüben. Dieses Zugeständnis hat nicht den AbsoLutheitscharakter der individuellen Grundrechte, die in der Sphäre des Privaten beheimatet sind, sondern unterliegt staatlicher Normierun.g13• 11 Hessen, Art. 29; Rheinland-Pfalz, Art. 66; Bremen, Art. 52; Berlin, Art. 18. "Der Streik als Ausfluß einer natürlichen Handlungsfreiheit des Einzelnen (so Nipperdey, JZ 1949, Sp. 811) ist aber auch dort, wo verfassungsmäßige Bestimmungen fehlen, als Rechtsinstitution anzuerkennen" (LAG Freiburg, NJW 1953, S. 1278). 12 v. Mangoldt, Das Bonner Grundgesetz, Berlin-Frankfurt 1953, S. 85; v. Mangoldt-Klein, Das Bonner Grundgesetz, Berlin-Frankfurt 1957, S. 332. 13 V gl. Carl Schmitt, Verfassungslehre, 1928, S. 165, und Hans Huber, Die Koalitionsfreiheit, Zeitschr. des Hernischen Juristenvereins, Bd. 83, Januar 1947 (Separatabdruck), S. 3 und 13.
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Der Große Senat ·des Bundesarbeitsgerichtes hat in seinem umwälzenden Beschluß vom 28. Januar 1955 den Satz "Streik ist Kampf"14 "sozial adäquat" verdeutlicht: Streik und Aussperrung sind Kollektivaktionen1 S, denen die Bindungen des indivi,duellen Arbeitsvertrages nicht entg·egenstehen, d. h. der Streik ist an keine Kündigung gebunden, -die Aussperrung vermag das Arbeitsverhältnis fristlos aufzuheben. Diese Auffassung, die aus den Grundsätzen der Streikfreiheit und der Kampfparität abgeleitet ist und der bis dahin herrschenden Lehre entgegentritt, verdient Zustimmung16• Das Recht der Bundesrepublik bietet jedoch keine Grundlage dafür, daß jene auszeichnende Qualifikation des Streiks vom Großen Senat dem Gewerkschaftsstreik vorbehalten und anderen Streiks versagt wird. Das Gericht sucht dafür auch keine Stütze im geschriebenen Recht, in dies.em Punkt verzichtet es auf eine Auseinandersetzung mit dem Gleichheitsgrundsatz und entzieht sich den einer richterlichen Kognition naheliegenden Fragen der Legalität, indem es den Gewerkschaften ·das Monopo117 der Legitimitäe8 zuspricht19• Der Erste 14 Er findet sich in den Entscheidungsgründen Ziff. Il, 3 (Arbeitsremtl. Praxis Nr. 1 zu Art. 9 GG I Arbeitskampf). Zum Begriff der Kampfmaßnahme s. die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts v. 31. Oktober 1958 und das dazu oben, Anm. 3 Abs. 3, angef. Schrifttum. 15 Die Aussperrung ist Kollektivaktion, auch wenn sie von einem einzelnen Arbeitgeber ausgesprochen wird, "weil die andere Gruppe als soldie getroffen werden soll" (a.a.O., Ziff. Il, 2). 16 Der Große Senat distanziert sich ausdrücklich von dem Satz "Verbandsrecht geht vor Vertragsrecht, Verbandstreue geht vor Vertragstreue" (1, 5). Die Begründung jener Auffassung ist nicht in allen Teilen überzeugend. Vgl. die Kritik von Nikisch, Arbeitsrecht, 2. Auß., II, Tübingen 1959, S. 161 f.; Eduard Bötticher, Waffengleichheit und Gleimbehandlung der Arbeitnehmer im kollektiven Arbeitsrecht, Karlsruhe 1956, S. 7 ff. Auch in Frankreich und in Italien wird dem Streik von der herrsmenden Lehre heute nicht mehr die Wirkung des Arbeitsvertragsbruchs zugeschrieben. 17 Fritz Siebrecht legt dem Urteil nicht diese Bedeutung bei, sondern glaubt, das BAG habe keine Veranlassung gehabt, den gewerkschaftlichen Streik von dem wilden Streik abzuheben (Das Recht im Arbeitskampf, 2. Auß. Köln 1956, S. 28). Eine solche Selbstbeschränkung des Gerichts findet m. E. in den tragenden Sätzen des Urteils keinen Ausdruck. Das ist durch die unten Anm. 20 angef. Entscheidung des Ersten Senats des BAG klargestellt worden. - Siebrecht hält im übrigen den wilden, sozialadäquaten Streik zutreffend für rechtmäßig. 18 Das ist ein großes, in deutschen Gerichtsurteilen seltenes Wort. Es ist nicht klar ersichtlich, worauf der Große Senat seine These stützt. Seit Max Weber hat das Schrifttum und hat auch die geschichtliche Erfahrung
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zum Begriff der Legitimität einiges beigetragen. Es fällt nidtt leicht, deren Spuren im Urteil aufzuweisen. Man findet einen Hinweis auf die "soziologisdten Massencrsmeinungen der modernen sozialen und wirtsdtaftlidten Kämpfe" (1, 4), Arbeitnehmer und Arbeitgeber müßten seit je mit "kampfweisen Störungen auf Veranlassung und unter der Leitung der Sozialpartner" remneo (1, 3); schließlidt wird das "Prinzip der sozialen Adäquanz" als Prämisse juristisdter Folgerungen eingeführt ("sozial adäquat und damit nidtt widerredttlich") und darunter "alle Handlungen" subsumiert, "die sich innerhalb des Rahmens der gesdtichtlidt gewordenen sozialethischen (sie!) Ordnungen des Gemeinsdtaftslebens bewegen" (1, 6). (Die Beziehungen zwisdten sozialer Adäquanz und sozialethischen Ordnungen hat W elzel, Das deutsdie Strafredtt, 6. Auß.., Berlin 1958, S. 74, hervorgehoben.) Im Urteil scheint mir das Verhältnis von Ethik und Rechtsordnung nicht genügend geklärt. Bei HueckNipperdey wird aus dem Mangel der Sozialadäquanz die Redttswidrigkeit gefolgert (s. unten Anm. 22). Sodann heißt es, die Gewerkschaftsmitglieder hätten sich freiwillig dem ordnungsgemäßen Streikbesdtluß unterworfen und damit erklärt, daß sie sidt gegebenenfalls fügen würden; "Nichtorganisierte schließen sich weitgehend an . . . Bei den Arbeitgeberverbänden ist es genauso. Auch hier fügen sidt die Arbeitgeber .. ." . Die Erhebung der Kampfparteien zu "sozialethisdten Ordnungen" und empirische Feststellungen, gegen die im einzelnen mandies eingewandt werden könnte, reimen nicht aus, um eine juristisch relevante Legitimitätsvorstellung zu stützen und um den Streik einer gewerkschaftlidt nidtt organisierten Belegschaft als eine Aktion minderen Rechts anzusehen. Außerdem bleibt die Frage, die an den Beginn dieser Anmerkung zurückführt, inwieweit das Problem der Legitimität rechtskräftig durch ein Geridtt entsdtieden werden kann. Wird die ridtterliche Autorität hier nidtt zur Lösung von Aufgaben "entliehen", die herkömmlidt außerhalb ihres Vermögens liegen? Vgl. dazu Forsthoff, Die Umbildung des Verfassungsgesetzes, Festschrift für Carl Schmitt, Berlin 1959, S. 47, zur Frage wertmaterialer Sinnerfassung von Normen, und Werner Weber, Spannungen und Kräfte im westdeutsdien Verfassungssystem, 2. Aufi., Stuttgart 1958, S. 107 ff. Audt Carlo Schmid hat dazu treffende Bemerkungen gemadtt (Das Streikredtt in der Demokratie, in "Ridtter, Staatsanwälte und Gewerksdtaften", hgg. von dem Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen und vom DGB, Landesbezirk NRW, 1955, S. 58). 19 Philipp Hessel folgert daraus, nur der gewerksdtaftlidte Streik sei "anerkannt", der nidtt von der Gewerkschaft durchgeführte Streik sei sozial inadäquat wie der politisdte Streik (Das Bundesarbeitsgericht zum Arbeitskampfrecht, Köln-Deutz 1955, S. 34). Hessel hat diese Feststellung nicht nur im Sinn einer "sozialen" Diskriminierung des spontanen, sog. wilden Streiks einer Belegschaft zugunsten des gewerksdtaftlichen Streiks gemeint, dieser wird im Einklang mit dem Bundesarbeitsgericht audt redttlidt anders bewertet, nur auf diesen bestehe, wie der Verf. über jenes Urteil hinausgehend behauptet, "ein subjektives Redtt zum Streik" (a.a.O., S. 34). Hier werden ein (vom Verf. behauptetes) Individualrecht und die mit dem Begriff des subjektiven Rechts verbunde-
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Senat des Bundesarbeitsgerimts hat dieses Privileg bestätigt: ein ohne Aufruf der Gewe·rk1schaft ausg·ebrocheuer sozialadäquater Streik werde zu einem legitimen Streik im Sinne jenes Beschlusses des Großen Senats, wenn die Gewerkschaft ihn billige und ihn weiterzuführen erkläre20. Da das proletarische Bewußtsein und seine Klassenkampfideologie heute als Basis für ein solmes Monopol zu schwach sind, fragt es sich, ob jene Auszeichnung ständism-korporativ gemeint ist21. Selbst wenn e.s eine hoheitliche Verbandsgewalt solcher Art gäbe, könnte sie sich als solche, von ·der Revolution ausgenommen, nicht in Kampfmaßnahmen äußern. Der Verfassungsgeher hat jedenfalls trotz gewerkschaftlichen Drängens ·G ewerkschaften und Gewerksmaftsstreiks nicht privilegieren wollen. Art. 9 Abs. 3 GG garantie·r t in unserer vom Gleichheitssatz beherrschten Rechtsordnung allen Arbeitnehmern die gleichen Rechte zur Wahrung und Förderung ihrer Arbeitsbedingungen22. Darum ist die "Privilegierung des Gewerkschaftsstreiks bundesverfassungsrechtlich unzulässig" 23. Die Rechtsprechung ist .daran gebunden24. neo rechtsstaatlimen Garantien kollektivremtlim ausgemünzt. In "Probleme des Streikremts", BB 1951, S. 86, ging Hessel so weit, den wilden Streik für illegal zu erklären. 20 Urteil vom 5. September 1955, Arbeitsremtl. Praxis Nr. 3 zu Art. 9 GG I Arbeitskampf. 21 Dem kommt m. E. die von Gerhard Müller geäußerte Auffassung nahe, die Tarifpartner nähmen als "beliehene Verbände" funktionell eine Zwiscltenstellung zwisclten privaten Vereinen und Körpersmaften des öffentliclten Remts ein {Betrieb, 1959, S. 517). E. R. Huber hat die mit Tarifrnamt ausgestatteten Verbände der Sozialpartner zu den "beliehenen Verbänden" gereclmet, aber an ihrer privatremtlimen Natur festgehalten (Wirtsmaftsverwaltungsremt, 2. Aufl., li, Tübingen 1954, S. 380). 2 2 Dem werden Hueck-Nipperdey, Lehrbum des Arbeitsremts, li, 6. Aufl., Berlin 1957, S. 607, nimt ganz geremt. Dort werden zwar aum Belegschaften, deren Teile und jede größere, wenn aum unorganisierte Masse von Arbeitnehmern als möglime Träger eines Arbeitskampfes angeführt. Der von diesen nimttariffähigen Parteien geführte wilde Streik sei jedoclJ. n i c h t s o z i a I a d ä q u a t u n d d a h e r r e c h t s w i d r i g ; gegen ihn werden Notwehrhandlungen der Arbeitgeber zugelassen (S. 642, 643, 654). 23 E. R. Huber, a.a.O., S. 404. Soweit in Landesverfassungen ein Streikmonopol der Gewerkschaften anerkannt war, ist dieses wegen WiderspruclJ.s mit dem Grundgesetz entfallen.
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Für die rechtliche Würdigung eines Streiks, insbesondere eines politischen Streiks, ist e's darum unerheblich, ob er von einer Gewerkschaft oder von einer Gruppe Nichtorganisierter geführt wird. Das ausdrücklich anerkannte oder stillschweigend geduldete Recht hinsichtlich des Streiks betrifft nur den Streik als Mittel im Arbeitskampf. Für die Landesverfas.sungen ergibt sich das aus dem Zusammenhang ode·r aus dem Wortlaut, d·er den Streik als Mittel zur "Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen" (Art. 23 der 1953 außer Kraft getretenen württ.-badischen Verfassung von 1946) oder zur "Wiahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" (Art. 66 rheinl.-pfälzische und Art. 52 Bremer Verfassung) näher umschreibt. Darin war sich auch ·der Verfassungsgeber des Grundgesetzes einig. Von den Sozialdemokraten betonte der Abg. Zinn, daß "S t r e i k s z u p o l i t i ·s c h e n Z w e c k e n , auch wenn etwa Gewerkschaften dazu mißbraucht würden, . . . n i c h t u n t e r Audt der Wortlaut der §§ 49 II 3 BetrVG und 55 II 3 PersVG, die nur auf "Arbeitskämpfe tariffähiger Parteien" abheben, entspridtt nicht dem Grundgesetz. 24 Aus der Natur des Streikredtts kann nidtts anderes gefolgert werden. Ebenso E. R. Huber, a.a.O., S. 404. - Jeder Streik verlangt zwar ein Minimum an Organisation (Streikleitung), das aber audt ohne gewerkschaftliche Verbandsorganisation von einem größeren Teil oder der Gesamtheit einer Belegschaft spontan geschaffen werden kann, von einer Gruppe also, der, wie das Bundesarbeitsgeridtt mit Redtt sagt, der streikende Arbeitnehmer "durch seine Streikbeteiligung angehört" {1, 5). Zu der praktisdt widttigen Frage, wie groß eine Gruppe sein muß, damit ihr Ausstand als Streik gilt, hat Albert Ohl in seiner gedankenreimen Heidelberger jur. Diss. "Der politische Streik in verfassungsredttlicher Sidtt", 1955, S. 12, zutreffend ausgeführt, der Streik müsse eine wirksame Störung des Produktionsganges oder der Verwaltungstätigkeit herbeiführen können; es komme deshalb darauf an, weldte Positionen die Streikenden innehaben. Die Unzuträglidtkeiten sog. wilder Streiks sollen nidtt verkannt werden. Sie sind, wie namentlidt durdt ausländisdte Erfahrungen belegt wird, häufig nidtt überzeugend motiviert, heftig und mitunter verantwortungslos geführt, sdtwierig beizulegen und unverhältnismäßig in ihren Folgen. Ihre Zulassung mag politisdt riskant ersdteinen, soweit sie anardtisdten oder subversiven Kräften Raum bieten. Dem kann die Redttsordnung Redtnung tragen. Es geht aber zu weit, wenn Nikisch, a.a.O., II, S. 114, aus diesen Gründen den wilden Streik generell als illegitim ansieht. In der widttigen Frage der Solidarität der Arbeitnehmer während eines Streiks hat das Bundesarbeitsgeridtt zwisdten dem wilden Streik und dem Gewerksdtaftsstreik nidtt untersdtieden: in beiden Fällen besteht keine Verpßidttung, streikenden Arbeitnehmern durch Streikarbeit "in den Rücken zu fallen" (Urteil v. 25. Juli 1957, BB 1957, S. 965).
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Ver f a s s u n g s s c h u t z . . . stehen, weil sie dann nicht der Förderung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen dienen"25 • Di·e Rechtsordnung hat also einen bestimmten uud klar definierten Raum ausgespart, in dem Streik und Aussperrung zur Anwendung kommen dürfen und g·e schützt sind: nämlich das Beziehungsfeld zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, das einer Regelung durch Arbeits- und Tarifvertrag zugänglich ist. Als Adressat .dieser erlaubten Kampfmaßnahmen gilt ausschließlich der soziale Gegenspieler, "und zwar in der konkreten Ge.s talt, wie er der kämpfenden Partei od·e r deren Mitgliedern gerade gegenübersteht"2 6 • Auch der sekundäl'e Streik in der Form des Sympathiestreiks ist auf der arbeitsrechtlichen Ebene erlaubt27 • Denn Ideologie und Taktik des Streiks und der Aussperrung sind noch heute geprägt durch die keinesweg.s immer zutreffende Vorstellung einer einzigen und einheitlichen Arheitgeberfront, der eine geschlossene Gewerkschafts2 5 So referiert das Jahrb. d. öfftl. Rechts, N.F. Bd. I, 1951, S. 118, die Ausführungen Zinns. Hermann von Mangoldt berichtet, daß im Hauptausschuß des parlamentarischen Rates Bedenken gegen eine Fassung des Streikrechts bestanden, in der ein Streikrecht der Beamten und öffentlichen Angestellten sowie politische Streiks nicht ausdrücklich ausgeschlossen wurden. Die vorherrschende Auffassung sei gewesen, "daß das Recht zur gemeinschaftlichen Arbeitseinstellung - aber nur zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, nicht auch zu politischen Zwekken - anerkannt werden müsse" (Das Bonner Grundgesetz, Berlin-Frankfurt 1953, S. 82, 85. Mangoldt-Klein, S. 332. Zur Entstehungsgeschichte vgl. auch Wernicke zu Art.9 im Bonner Kommentar). Es ist darum unerfindlich, wie Fritz Bauer (Politischer Streik und Strafrecht, a.a.O., S. 651) dem Art. 9 Abs. 111 GG (" Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig") ein Recht zum Streik zur W ahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen auch gegenüber dem Staat entnehmen kann. Über die Diskussion des Streikrechts in der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen, die eine ausdrückliche Anerkennung des Streikrechts ablehnte, vgl. Karl Josef Partsch, Internationale Grundrechte der Arbeit, Recht der Arbeit, 4, 1951, S. 363. 26 Artbur Nikisch, Arbeitsrecht, l. Aufl., Tübingen 1951, S. 271; vgl. auch 2. Aufl., II, S. 88. 27 Heinrich Hoeniger, Einige Gedanken zum Recht des Arbeitskampfes, Recht der Arbeit, 6, 1953, S. 208; er betont, daß in den angelsächsischen Ländern die Meinung über den Sympathiestreik geteilt sei. - Zur Begriffsabgrenzung siehe unten.
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phalanx gegenübersteht. Das ist eine Nachwirkung d·er großen geschichtlichen Erfahrung des so leidenschaftlich geführten, wirtschaftlichen und noch mehr ideologischen Kampfes der Arbeiter gegen das Kapital28• In d'iesem Kampf haben die Waffen des Streiks und der Aussperrung ihren geschichtlichen Sinn und ihre Sanktion dunh das Recht. Sie dürfen sich aber nur gegen den anderen Sozialpartner wenden. Darum hat ·der Arbeitskampf hier die Fonn eines Duells. Er ist ausschließlich eine Angelegenheit d·er Arbeitsmarktparteien und wird unter den Augen des Staates und der Öffentlichkeit ausgetragen. Der Staat ist hier nach der überlieferten Auffassung nicht anders beteiligt, als daß er S·eine guten Dienste, die Möglichkeiten der V ennoittlung und Schlichtung, zur Verfügung stellt und sie allenfalls zu einem Höchstmaß, bis zur vennittelnden Tätigkeit des Regierungschefs, steigert. Vom Streik als Mittel des Arbeitskampfes unterscheidet sich der p o I i t i s c h e Streik nicht notwendig durch d·en Anlaß, noch durch das Motiv (obwohl dieses für die Frage der Verantwortlichkeit von Bedeutung .sein kann), auch nicht unbedingt durch die angewandten Mittel, und nicht einmal immer durch da,s Ziel, sondern primär durch den Adressaten. Der politische Streik richtet sich nicht oder nicht nur gegen ,die Arbeitgeherseite, sondern, ·direkt oder indirekt, gegen die Gesamtheit, gegen d.en Staat29 • Im politischen Streik wendet sich 28 Roman Schnur behauptet in einer Kritik an der I. Aufl. dieser Scluift, ich hätte den Streik mit der mittelalterlichen Fehde gleichgesetzt, und will daran " die schwierige Lage der heutigen Staatstheorie" und ihren " mehr oder weniger überholten Begriffsapparat" exemplifizieren (Arm. f. R. u. Soz.philosophie, 1956, S. 262). Die wortreime Polemik schlägt ins Leere; ich habe in der ganzen Schrift nirgends von mittelalterlicher Fehde gespromen, gesmweige denn den Streik mit ihr gleimgesetzt. 29 Smon vor dem ersten Weltkrieg betonte die holländisme Sozialistin Henriette Roland-Holst in ihrer Smrift "Generalstreik und Sozialdemokratie", der politisme Streik habe nicht den Zwetk, die Kapitalgruppen unmittelbar zu überwinden, sondern richte seine Spitze g e g e n d e n S t a a t ; er wolle n i c h t d i e G e s e 11 s c h a f t aufreiben, sondern die politismen Mamthaber zum W eimen bringen. Dieses besorge indirekt die hervorgerufene und mit der Ausbreitung des Streiks wachsende Gesellschaftskrise. "Der politische Streik ist eine nationale Erhebung . . . Der zentralisierte Staat fällt auseinander; jede Provinz, jeder Distrikt wird sich selbst überlassen" (angef. bei H. Laufenberg, Der Politische Streik, Stuttgart 1914,
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eine Interessengruppe, immer eine Minderheit, gegen das politische G.anze30, wobei es für den Begriff de.s politischen Streiks unerheblich ist, ob sie sich zu diesem Akt aus eigennützigen Motiven entschließt, oder ob sie, mit mehr oder weniger Redtt, vorgibt, die Belange der Allgemeinheit zu wahren. Die R i c h t u n g g e g e n ·d e n S t a a t ist ·das entsch·eidende Tatbestandsmerkmal ·des politischen Streiks. Lassen Sie mim dieses zunächst an zwei Beispielen aus unserer jüngsten V ergangenheil kurz erläutern. Das eine betrifft die Drohung mit .e inem politischen Streik, das andere einen tatsächlich durch· geführten politischen Streik. In beiden Fällen ridttete sich die Spitze der gewerkschaftlidten Maßnahmen gegen den Deutschen Bundestag. Im ersten Fall handelte ·es sich um das M i t b e s t i m m u n g s g e ,s e t z. Der Bundestag beriet eine Vorlage, ·deren lnh·alt von den V:ertretern der Arbeitgeher und der Gewerkschaften vereinbart war. Schon die Konferenzen der Sozialpartner hatten unter Streikdrud.: gestanden; das war eine durchaus legale Maßnahme, sogar dann nodt, als diese Verhandlungen unter Mitwirkung des Bundeskanzlers stattfanden. Denn .auch zu diesem Zeitpunkt war die Frage ·der Mitbestimmung bei Eisen und Kohle noch Gegenstand ·der autonomen Regelung durch die Sozialpartner, während in der Person des Bundeskamders der Staat seine guten Vermittlerdienste z.ur Verfügung stellte3 \ Das änderte sidt in dem Augenblick, als der aus den Beschlü.ssen ·der Sozialpartner hervorgegang-e ne Gesetzentwurf Gegenstand der parlamentarischen Beratung wurde. Audt während der Behandlung im Bundestag hielt der Deutsche Gewerkschaftsbund die Streikdrohung aufrecht: das war die Drohung mit einem politischen Streik32 • Das Parlament, durch die Androhung schwerer Nachteile für S. 57). Das ist eine bemerkenswert klare, auf der Trennung von S t a a t u n d G e s e ll s c h a f t beruhende Konzeption einer auf sozialdemokratischen Parteitagen oft und mit Zustimmung zitierten Autorin über den politischen Streik. 30 Dieser Gesichtspunkt der staatlichen Einheit wird von Gerhard Müller in seiner Argumentation gegen den politischen Streik vor dem Grundsatz der staatlichen Hoheit bevorzugt (Grundfragen des Streikrechts, Recht der Arbeit, 4, 1951, S. 249) . 31 V gl. den Schriftwechsel zwischen dem Bundeskanzler und dem Vor· sitzenden des DGB, DdA 1950, S. 461, und 1951, S. 15. 32 "Ein Streik, der sich gegen die verfassungsmäßigen Organe der politischen Willensbildung richtet, kann aber in der Tat nicht als ein Streik im Rechtssinne anerkannt werden. Dieses Argument des Bundeskanzlers läßt
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die deutsche Volkswirtschaft unter Druck ge.setzt, gab nach und erhob eilig das Kompromiß der Sozialpartner zum Gesetz. (Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Ei~en und Stahl erzeugenden Industrie, vom 21. Mai 1951, BGBI. I, S. 347.) Im zweiten F'all handelte es sich um das B e t r i e b s v e r f a s s u n g s g es e t z (verkünd-et am 14. Oktober 1952, BGBI. I, S. 681). Vor den abschließenden Verhandlungen des Bundestages über den ihm vorliegenden Entwurf erließ der Bundesvorstand des DGB am 12. Mai 1952 einen Aufruf, in dem es 1hieß: "Dieser Entwurf darf nicht Gesetz werden! Der Deutsche Gew-erkschaftsbund und die ihm angeschlossenen Gewerkschaften rufen Euch auf zum Kampf für ein fortschrittliches Betriebsverfa·ssungsrecht als Grundlage der demokratischen Ordnung in Wirtschaft und Verwaltung." Der Bundeskanzler hatte in einem Briefwechsel mit dem damaligen Vorsitzenden des DGB davor g·ewarnt, durch die organisierte Schädigung der Volks· wirtschaft ·durch Streiks der Parlamentsmehrheit den gewerkschaftlichen Willen aufzuzwingen, und hatte auf die damals bevorstehende Bundestagswahl von 1953 hingewie.s·en: Hier biete sich dem Deutschen Gewerkschaftsbund eine Möglichkeit, auf dem in unserer Verfassung vorges-ehenen Wege seine Auffassung über eine einheitliche und fortschrittHche Betriebsverfassung durchzusetzen 33• Harauf anwortete der Vo.rsitzende des DGB: sich nicht entkräften - es sei denn, man gäbe die Grundlagen unserer demokratischen Verfassung preis" (W. Grewe in der Glosse "Streik als politisches Kampfmittel?", AöR 76, 1950/51, S. 495). Selbst in dem für den Deutschen Gewerkschaftsbund aus Anlaß des Zeitungsstreiks von Schnorr v . Carolsfeld erstatteten Gutachten heißt es, daß es nicht zulässig wäre, "die gesetzgebenden Organe zu einer Handlung durch Druck auf ihre Willensentschließung zu bringen, durch Gewalt gegen sie selbst (etwa durch Einschließen des Parlamentsgebäudes) oder durch berechtigte Furcht vor Schäden der Allgemeinheit"; vgl. "Die Berechtigung gewerkschaftlicher Demonstrationen für die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in der Wirtschaft", Zwei Rechtsgutachten, erstattet von Wolfgang Abendroth und Ludwig Schnorr v. Carolsfeld, hrsgg. vom Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Düsseldorf, Februar 1953, S. 22. H. Laufenberg faßt ebenfalls den Streik, durch den der Gesetzgeber zu einer sozialpolitischen Maßnahme gedrängt werden soll ("Pressionsstreik"), als politischen Streik auf (a.a.O., S. 50, 238 f.). 33 Eduard Bernstein schloß seine 1906 angestellten Betrachtungen über den politischen Streik mit der Überzeugung, daß er in der politischen Demokratie als Waffe entbehrtim werde (a.a.O., S. 119).
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"Die Mitglieder der Gewerkschaften werden selbstverständlich von dieser Möglichkeit Gebrauch machen. Das aber kann den Deutschen Gewerksch·a ftsbund nicht hindern, zur Abwehr der jetzt drohenden Verschlechterung die Maßnahmen zu treffen, die er sachlich für geboten hält34." Nach .einem v.om DOB und den Industriegewerkschaften ausgearbeiteten Plan liefen nun Protestkundgebungen und sog. Schwerpunktstreiks an. Vom 27. bis 29. Mai verhinderte ein Streik das Erscheinen fa·st aller deutschen Zeitungen, der so dem Volk die Nachrichtenvermittlung ·durch die Presse für zwei Tage vorenthielt. Am 4. Juni beschloß der Bundesvorstand des DGB, im Zusammenhang mit dem Betriebsverfassungsgesetz keine Kampfhandlungen mehr stattfinden zu la·ssen; am 19. Juli 1952 wurde der Entwurf im wesentlichen in der vor den Streiks fertiggestellten Fassung angenommen. Der Zeitungsstreik führte zu zahlreichen Schadensersatzprozessen der Arbeitgeberverbände (denen die bestreikten Druckereien oder Verlag·e ihre Schadensersatzforderungen zediert hatten) gegen die Industriegewerkschaften, den Deutschen Gewerkschaftsbund und s·e ine Vorstandsmitglie·der35• In der weitaus überwiegenden Zahl der Fälle wurd·en die Beklagten zum Ersatz des entstandenen Schadens verurteilt, durchweg mit der Begründung, daß der Zeitung.sstreik als ein politischer Streik rechtswidrig gewesen sei36• Mit diesem Ergebnis, d. h. .in der Rechtswidrigkeit des politischen Streiks, stimmt die 34 Der Briefwechsel ist abgedruckt bei H. C. Nipperdey, Die Ersatz· ansprüclie für die Scliäden, die durcli den von den Gewerkschaften gegen das geplante Betriebsverfassungsgesetz geführten Zeitungsstreik vom 27. bis 29. Mai 1952 entstanden sind (Reclitsgutadlten), Köln 1953, S. 5 ff. Dort aucli die Gescliiclite der Streiks und der Verhandlungen. 35 Der eingetretene Scliaden war niclit sehr erheblidl, da die streikenden Arbeitnehmer in der Regel nur den Zeitungsdruck verweigerten und statt dessen zu Akzidenzdrucken eingesetzt wurden. Die eingeklagten Summen betrugen meist zwisclien 50 und 500 DM (Die Neue Ordnung, 7, 1953, S. 54). 36 Vgl. das eingehend begründete Urteil des LAG Frankfurt a. M. v. 20. Februar 1953, Reclit der Arbeit 1953, S. 195 ff.; ferner AG Marburg v. 28. August 1952, Betrieb 1952, S. 807 f.; LAG Frankfurt a. M., Urteil v. 29. April 1953, Reclit der Arbeit 1953, S. 354 ff.; LAG Düsseldorf, Urteil v. 13. Mai 1953, Reclit der Arbeit 1954, S. ll8 ff.; LAG Düsseldorf, Urteil vom 15. Juni 1953, Reclit der Arbeit 1954, S. ll7 f., und OLG Düsseldorf, Urteil v. 18. August 1953, S. 393 ff. Zum gleidten Ergebnis gelangt das abweidtend begründete Urteil des LAG Freiburg v. 13. April 1953, NJW 1953, S. 1278 ff., das den Zeitungsstreik für einen Demonstrationsstreik hält, der nidtt verfassungswidrig, jedoch privatrechtlich redttswidrig gewesen sei. Das
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gesamte Judikatur und juristische Literatur überein, mit wenigen Ausnahmen, .auf die ich nom eingehe und die zum Teil leider nur mit etwas leiroter Hand ge·schrieben sind. Es gibt also e·in klares Merkmal zrur Untersch•eidung des politischen Streiks vom Streik als einem erlaubten und durch ·die meisten Landesverfassung geschützten Mittel im Arbeitskampf. Die Frage des S t r e i k a d r e s s a t e n ist das maßgebliche Kriterium37 • Im Arbeitskampf wird der andere Sozialpartner angesprodten, während LAG Berlin, Urteil v. 17. August 1953, NJW 1954, S. 124 ff., verneint den politischen Charakter des Zeitungsstreiks mit Gründen, die nimt überzeu.pen können. 3 Dem stimmen zu: Albert Ohl, a.a.O., S. 21; Fritz Siebrecht, a.a.O., S. 16; Wolfgang Tillmann, Politismer Streik und Verfassung, Bonn 1958, s. 35. Horst Sehröder bezeimnet als politischen Streik jeden Streik, der, unabhängig von den Motiven der Streikenden, "als Reaktion eine hoheitlime Maßnahme irgendeines Staatsorganes erstrebt" (Streik und Strafremt, BB 1953, S. 1017). Diese Definition ist m. E. zu eng. Sie deen lnteTessengruppen v•oll"Zutragen. Im Hinhliclt auf die für und gegen den politischen Streik vorgehrachten Argumente seien jedoch einige wenige Bemerkungen zu jenem Thema gestattet. Das Landesarbeitsgericht Münch·en hat in einem Urteil vom
17. April 1953 ausgespromen, daß ·die Aufgaben der Gewerkschaften
aum das Gebiet der wr.irtschaftspolitisch·en Interessenvertretung gegen· über dem Staat, namentlich .g egenüber dem Gesetzgeber, erfassen; deshalb stände ihnen auch hier das Recht der Einflußnahme, der Einwirkung und der Demonstration zu92 • Diese Auffassung halte ich für richtig. Die anfangs von mir erwähnte Dialektik von Staat und Gesellschaft foro·e rt eine ständige, elastische und wirkungsvolle Repräsentation der gesellsch•a ftlichen Kräfte un•d Interessen gegenüber dem Staat. Ursprünglich war das Parlament das einzige RepräsentativOirgan der Gesellschaft; heute ist es zu einem Organ der staatlichen a.a.O., 3, 1952, S. 468 (Sperrung durclt miclt). Recltt der Arbeit, 6, 1953, S. 278. Den Ausführungen dieses Urteils zur Frage der Reclttmäßigkeit des politisclten Streiks vermag iclt jedoclt nicltt zuzustimmen. 91
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MadJ.t und Hernschaft geworden; es repräsentiert nidJ.t mehr ahsorptiv. Seihst die Parteien uud ihre Bürokratie sind heute funktionell, organisat()risch und auch soziologisch mehr oder weniger stark ausgeprägte EiuridJ.tungen der von der Gesellschaft zu unterscheidenden staatlichen Herr.schaft-sapparatur. Darum ist die organisierte lnteresseuwahrnehmung der Verhände gegenüber Staat und Öffentlichkeit zu ·ein.er neuen Art der Repräsentation geWio,rden. Es ist keine institutionelle, sondern eine faktische, außerparlamentarisch:e Repräsentation, wobei nicht sdJ.on die Vertretung eines einzelnen lnteres.s es, sondern erst das Zusammenspiel, die Konkurrenz und die Balance organisierter Interessen Repräsentation ist. Sie wird allein der Differeuziertheit und Mobilität unserer Gesellschaftsstruktur geredJ.t. Ich hahe dafür .an anderer Stelle den Terminus "Repräsentation organisierter lntere·siSen" vo,rgeschlagen und glaube, daß man den Gewerkschaften, den Arbeitgeherverbänden und den übrigen Interessengruppen keine würdigere Stellung in unserem Staatsaufhau zuweisen kann. Die erlaubten Mittel und Formen ·dieser Repräsentation sind vielfältig: ·s chriftlidJ.e und mündliche Vorstellungen, Expertisen, Beeinflussung der Öffentlichen Meinung, Demonstrationen, um nur di·e se zu nenueu. Eines ·i st sidJ.er: zu ihnen zählt nidJ.t der politisdJ.e Streik93, 93 Zu seiner Reclttfertigung wird von den Gutamtern der Gewerkscltaften und von der Gewerkscltaftspresse sehr oft noclt ein letztes Argument vorgebracltt, das Wolfgang Abendroth in seinem Naclttragsgutacltten vom 27. März 1953 folgendermaßen formulierte: Von den Arbeitgebern werde "unzweifelhaft in anderen, diesen Gruppen adäquaten Formen in vielfältiger Weise, teils durclt Beeinflussung der in der Presse zum Ausdruclt gelangenden öffentlichen Meinung, t eils durclt unmittelbare Einflüsse auf Ministerialbürokratie und Bundestagsfraktionen deren sozialer Gestaltungswille in bezug auf das zwisclten beiden Gruppen streitige Problem dem Staat und dem Parlament sehr nacltdrücltliclt zur Kenntnis gebracltt" (S. 5; vgl. auclt Gutacltten, S. 10). Demgegenüber, so wird impliziert, sei das den Gewerkscltaften adäquate Mittel der politisclte Streik. Die in solwen Darlegungen häufige Anspielung auf die F i n a n z m a c h t d e r A r b e i t g e b e r, die sich sehr leimt in politisclte Macht umsetzen lasse, hat mindestens in Deutschland angesicltts einer sehr respektablen F i n a n z m a c h t d e r G e w e r k s c h a f t e n , die siclt in den Banken für Gemeinwirtsmalt und ähnliclten Institutionen bis ins Arcltitektonisclte hinein darstellt, an Überzeugungskraft verloren. Die Einwirkungen der Gewerkscltaften ebenso wie die der Arbeitgeber auf die Organe des Bundes, der Länder und der Gemeinden können hier nicltt gemessen und gewogen und miteinander vergliclten werden. Daß auch die
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denn er raubt den politischen Instanzen die Freiheit der Entscheidung, wie sd10n AlfJ."ted Weber zugab. Damit würde d•as Sonderinteresse einer Minderheit über das All~eininteres.se siegen, und die Demokratie würde zu einer OHgarchie. Die ibezeidmete Struktur der modernen Demokratie kann man als lnteressenfö.deralismus bezeichnen. Wenn man unter diesem Gesimtspunkt nam einer historismen Analogie für den politismen Streik sumt, ·drängt sim der Vergleich mit dem Sezessionskrieg auf: beide sind ein Angriff auf die staatlime Einheit aus einem partikularen Interesse, dieiSer in der Fonn der mihitärismen Auseinandersetzung, jener in der Fonu des Arbeitskampfes. J ·e ·der p o I i t i s c h e S t r e i k i s t in n u c e e in e R e v o I u t i o n 94• Und jede RevoluGewerkschaften darin sehr aktiv und erfolgreich sind, wird niemand bestreiten. Vor allem aber verfügen die Gewerkschaften über ein legales, p o I i tisches Machtmittel von absoluter Durchschlagsk r a f t , dem die Arbeitgeber auch annähernd nichts Vergleichbares entgegenzustellen haben: die S tim m z e t t e I ihrer sechs Millionen Mitglieder. Auf diese Macht hat sich der Vorsitzende des DGB ausdrücklich gegenüber dem Bundeskanzler berufen (s. oben Anm. 34), und im Vertrauen auf diese Macht hielt Eduard Bernstein den politischen Streik in der politischen Demokratie für entbehrlich (s. oben Anm. 33). Den Gründen, aus denen das starke Engagement der Gewerkschaftsführung im Wahlkampf von den Mitgliedern am 6. September 1953 in so überraschendem Ausmaß desavuiert wurde, haben wir hier nicht nachzugehen. Anton Sabel sucht sie in dem V ersuch der Gewerkschaften, das Parlament einzuschüchtern (in dem Artikel "Um den politischen Streik", Soziale Ordnung, Nr. 3, März 1954). 94 Auf dem Parteitag der Sozialdemokratischen Partei in Jena, 1905, erklärte Legien in der Diskussion über den politismen Streik: "Kommt der Generalstreik, oder wie man ihn sonst nennen will, dann bedeutet das für mich den Anfang der Revolution.... Ziehen Sie nicht die nötige Schlußfolgerung, daß der Massenstreik der Anfang der Revolution ist, dann muten Sie der Arbeiterklasse etwas zu, was ich ihr unter keinen Umständen zumuten möchte" (Protokoll, S. 322 f.). Das Gespenst der Revolution beherrschte die gesamte Diskussion über den politischen Streik, so daß Bebel in seinem Schlußwort bemerkte: "eine Debatte, in der so viel von Blut und Revolution die Rede gewesen wäre, wie in der heutigen, habe ich noch nicht gehört" (a.a.O., S. 336). Auch aus dem Protokoll des Parteitags von Mannheim, 1906, lassen sim zahlreiche Belege dafür anführen. Bömelburg beispielsweise bekannte sich ausdrücldich zu der Meinung, daß der Massenstreik von der Revolution unzertrennliclt sei; schon auf dem Gewerkschaftskongreß in Köln habe er gesagt, "daß wir, wenn wir zur Revolution kommen, den Massenstreik an·
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tion wird .sich heute in .d.en hochiudustriallisierten Hemokratien unter anderem auch in der Form des politischen Streiks a·b spielen. Der wirklich große politische Streik steht, moralisch und juristisch, unter dem Recht der Revolution. Es ist in ·der Diskussion über den politisch·en Streik auch auf gewerkschaftsfreundlicher Seite zu wenig beam.tet worden, -daß es e!in R e c h t zu m p o I i t i s c h ·e n S t r e i k gibt, wie es ein Recht zur Rev:oJution gibt. Gewiß, man hat immer wieder gesagt, daß der politische Streik zur Verteidigung der Demokratie rechtmäßig ist, und hat ·dabei stereotyp auf den Generalstreik aus Anlaß des Kapp· Putsches im Jahre 1920 hingewiesen, obwohl e·r, wie wir sehen werden, gar nicht ein so eindeutiges und überzeugendes Beispiel ist. Urm den Streik zur Verteidigung ·der Demokratie philosophisch zu rechtfertigen, hat man auf die Lehre vom Widersbandsrecht zurückgegriffen. A:her dieser Boden •scheint mir noch zu •Schmal. Wer sich zur Volkssouveränität bekennt, die in Art. 20 GG als ein der Verfassungsänderung entzogener Grunds·atz niedergelegt ist, und wer d·i e Volkssouveränität nicht mit der Souveränität des Parlaments verwechselt, der wird nicht umhin können, d.en politischen Streik, wie die Revolution, nicht nur als Mittel zur Verteidigung, sondern auch als M i t t e I zur Gestaltung der Staat.s form anzuerkennen95, wenn wenden. In der Same selbst besteht heute nam meiner Auffassung eine Meinungsversmiedenheit nimt mehr, und sie hat aum wohl kaum geherrsmt" (a.a.O., S. 276). Rosa Luxemburg hat trotz ihrer in der Sozialdemokratismen Partei zuweilen kritisierten Anlehnung an die russischen Streiks der Jahrhundertwende dom das Wesen des politischen Streiks richtig dargestellt, als sie in einem 1910 gehaltenen Vortrag ausführte, der Massenstreik spiegele alle Stadien und Momente der Revolution; er sei "der lebendige Pulssmlag der Revolution und zugleich ihr mämtigstes Triebrad . . . die Bewegungsweise der proletarismen Masse, die Ersmeinungsform des proletarischen Kampfes in der Revolution" (Massenstreik, Partei und Gewerksmaften, Leipzig 1919, S. 30 f.). Zu Anfang hatte sie betont, daß sie unter Massenstreik ausschließlich den politischen Massenstreik verstehe (S. 10). Karl Kautsky differenzierte: "Die Möglimkeit der Revolution produziert den politismen Massenstreik. Und dieser kann dann eine wirklime Revolution produzieren ..." (Der politisme Massenstreik, Ein Beitrag zur Gesmimte der Massenstreikdiskussion innerhalb der deutsdien Sozialdemokratie, Berlin 1914, S. 298). 95 Dazu vgl. Alexander Graf zu Dohna, Die Revolution als Remtsbrum und Remtssmöpfung, Heidelberg 1923, S. 26 ff.; Oswald v. Nell-Breuning und Dr. Hermann Sacher, Beiträge zu einem Wörterhum der Politik, Heft II, Freiburg 1948, Sp. ll2 ff. Die in der Glosse " Sind politische Streiks
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alle übrigen Mittel wegen der Verhärtung der Herrschaftsverhältnisse versagen. Das Recht zum politischen Streik wi·e das Recht zur Revolution sind El'scheinungsfonnen des alten, primitiven Rechtes auf S e l b s th i l f e. Es .ist ·durch die Rechts- und Sozialordnung ·des modernen Staates fast ganz zurückgedrängt und durch das staatliche Verbot der Selbsthilfe wenn nicht abgelöst, so doch unter den Vorbehalt gestellt, daß sich niemand selbst Recht schaffen .darf, solange und soweit der Staat ihn schützt. Das ist die normale, durch .s taatliches Recht und Ge·setz nonnierte Situation. Wo immer abe.r ein Einzelner oder eine Gruppe des ·w irksamen staatlichen Schutzes entbehren, da und insorweit lebt das alte Recht auf Seihsthilfe wieder auf. Es wird zum Recht auf Revolution, wenn die Staatsunterworfenen gegen die Staatsgewalt selbst nur noch in der Besinnung auf die eigene Kraft Schutz suchen können. Die,s.es Recht zur Revolution ist ein primitives, aber nichtsdestoweniger ein unabdingbares und unzerstörbares Recht96 • Darin gründet das gute Recht der H e I d ·e n d e s p o I i t i s c h e n Streiks vom 17. Juni 1953 in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands und der streikenden und kämpfenden Revolutionäre des Oktober 1956 in Polen und Ungarn. Der politische Streik ist im Grunde ebenso illegal wie die Revolution und darum auch mit ihren Risiken behaftet. Im Falle des Gelingens hat der politische Streik die Absolution des Weltgeistes, zwar nicht für die etwa begangenen Verbrechen und Unmenschlichkeiten, aber für alle Gesetzwidrigkeiten, und die Illegalität fällt von ihm ab wie ein schmutziges Gewand. Im Falle des Mißlingens fällt auf die Streikenden die ganze Schwere des die bestehende Ordnung schützenden Rechts. Erfolg und Mißerfolg sind hier aber nur vorderberechtigt?" (Die Neue Ordnung, 7, 1953, S. 52 ff.) gestellte Frage wird für den Fall des S t a a t s n o t s t an d es bejaht, der aber nur möglich sei, "wenn keiner der verschiedenen Garanten der Verfassung, Parlament, Regierung, Präsident, V erfassungsgericht, gegebenenfalls die Wehrmacht, sich daf.egen erfolgreich durchsetzen kann oder will". 6 V gl. Hermann Weinkauf/, Über das Widerstandsrecht, Karlsruhe 1956; Maurice Hauriou, Precis de Droit Constitutionnel, Paris 1923, S. 286, Anm. Der wichtigen Frage nach dem " soziologischen Ort" des Widerstandes bin ich in Kap. IV, 3, meiner "Repräsentation organisierter Interessen" weiter nachgegangen. Herbert von Borch findet in seiner verdienstvollen Studie "Obrigkeit und Widerstand", Tübingen 1954, diesen Ort des Widerstandes in der Bürokratie.
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gründige Kategorien. Am Anfang der Französischen Revolut~on stand nicht die Frage nach ihrem Gelingen, sondern die berühmte Frage des Sieyes "Was ist der Dritte Stand?". Seine Antwort "Der Dritte Stand ist die Nation" hat die entscheidende Voraussetzung für das Recht der Französischen Revolution und aller anderen Revolutionen einschließlich des politischen Streiks ein für alle Mal gültig formuliert. Diese Voraussetzung .ist die I d e n t i t ä t d e r Re v o I u t i o n ä r e mit der N a t i o n. Der Dritte Stand stürmte die Bastille, weil er sich mit der französischen Nation eins wußte. Und so wußten sich auch die deutschen Revolutionäre von 1848 und die Helden des politischen Streiks vom 17. Juni 1953 in der sowjetischen Besatzungszone mit der deutschen Nation eins. Diese Identität ist die unabdingbare Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit des p.oJitischen Streiks wie der Revolution. Der Vergleich mit der Revolution enthebt mich im übrigen der Notwend·i gkeit, die schwere Verantwortung zu betonen, durch die sich je·de Gruppe vor der leichtherzig•en Identifizierung mit der Gesamtnation abschrecken lass·en sollte. Der Generalstreik aus Anlaß des K a p p - P u t s c h e s war in seiner ersten Phase ein politischer Stre,ik zur Verteidigung der Demokratie. Am 13. März 1920 iedelte das Reichskabinett angesichts der dDohenden Lage in Herlin nach Dresden über, und am gleichen Tage proklamierten die Gewerkschaften und die Sozialdemokratische Partei, später auch die Deutsche Demokratische Parte•i, den Generalstreik. Am 17. März trat Kapp zurück, und einen Tag später rief die sozialdemokratische Fraktion zum Abbruch des Generalstreiks auf und knüpfte daran die Warnung: "Der Generalstreik trifft bei längerer Dauer nicht nur die Hochverräter, .s ondern uns.ere eigene Front. Wir brauchen Kohlen und Brot zur Fortführung des Kampfes gegen die alten Mächte." Nachdem der Putsch niedergeschlagen war, hätte in der Tat nur ·eine beschleunigte Wiederaufnahme ·der Arbeit die entstandenen Schäden heilen und zur Befriedung beitragen können. Aber die Gewerks•chaften brach·en den Streik nicht ab, s•ond·ern stellten statt dessen den Regierungsparteien eine Reihe von Bedingungen. Sie fordert·en u. a., daß bei der hevor.stehend,en Neubildung de·r Regierungen im Reich und in Preußen die Personenfrage von den Parteien nach Ver50
ständigung mit den am Generalstreik beteiligten Gewerkschaften gelöst werde; daß ihnen (unter Wahrung der Rechte der Volksvertretung) e-in entscheidender Einfluß auf die Neuregelung der wirtschaftlichen uud sozialpolitischen Gesetzgebung eingeräumt werde; ferner schneHste Durchführung d,er Verwaltungsreform unter Mit· be,stimmung d·er gewerkschaftlichen Organisationen der Arbeiter, Angestellten und Beamten; d.en sofo·rtigen Ausbau der bestehenden und Schaffung neuer Sozialgesetze; schnelle Einführung eines freiheitlichen Beamtenrechts; .sofortilge Inangriffnahme der Sozialisierung der dafür reifen Wirtschaftszweige, Übernahme des Kohlen- und des KaHsyndikats auf das Reich; wirksame Erfassung und gegebenenfalls Enteignung der verfügbaren Lebensmittel; Sicherung der Erfüllung der Ablieferungsver· pflichtungen durch Gründung von Lieferungsverbänden; schließlich die Ersetzung der auf,ständischen Truppenverbände durch Verbände, die s·ich vor allem aus ·den Kreisen der organisie·rten Arbeite·r, Angestellten und Beamten rekrutieren sollten. Das war ·ein anspruchsvoUe.s Programm. Am 20. März kehrte die Reichsregierung wieder nach Berlin zurück, aber erst am 22. März empfahlen ·der Allgemeine Deutsche GeweTkschaftshund, die Gewerkschaftskommission und die freien Angestelltenverbände die Beendigung des Generalstreiks. In diesem Aufruf, fünf Tage nach dem Zusammenbruch des Putsches, ist von diesem Anlaß des Streiks mit keinem Wort mehr die Rede. Statt de.ssen wird als Ergebnis ·des Generalstreiks die Liste der Gewerks·chaftsforderung·en herausgestellt, und es heißt aus·drücklich: "Nachdem die Vertreter der Regierungsparteien sich v·erpflichtet ha·b en, für die Durchführung ... einzutreten ..., nachdem weiter ·die Reichsregierung die bindende Erklärung abgegeben hat, ... empfehlen wir, den Generalstreik mit Beginn des 23. März zu beendigen", also erst s·echs Tage nach dem Zusammenbruch des Putsches. Schließlich droht ·dieser Aufruf mit einem neuen Generalstreik für den Fall, d.aß "die Fo·rderungen d·er Gewerkschaften nicht erfüllt und ·die Zuge.ständnisse der Regierung
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gebrochen werden'm. Diese zweite, länger·e Phase des Generalstreiks war nicht mehr erin Streik zur Verteidigung der Demokratie, sondern ein Angriff "von links" auf ·die·S·e Demokratie, nachdem sie eben ·d urch den Staatsstreich "von rechts" auf das empfindlichste geschwächt war. Der Gene·r alstreik aus Anlaß des Kapp-Putsches ist in seiner zweiten Phase darum ein lehrreiches Beispiel eines rechtswidrigen politischen Streiks, eines Angriffsstreiks gegen die höchsten Organe der Demokratie98. In den Argumenten zur Rechtfertigung des politischen Streiks treten die liberale und die syndikalistische Wurzel der Streikideologie deutlich zutage. Die I i b e r a l e K o n s t r u k t i o n wird in zwei Gutachten von Wolfgang Abendroth und Ludwig Schnorr von Carolsfeld sichtbar, die von den Gewerkschaften aus Anlaß des Zeitungsstreiks bei den Gerichten vorgelegt wurden, bei denen Klagen auf Ersatz des entstandenen Schadens anhängig waren. Die beiden Gutachte·r wollen .b ei umkämpften arbe·itsrechtlichen Gesetzen dem Gesetzgeber nur die Funktion eines Schiedsmannes zugestehen, vor dem der Einsatz der Arbeitskampfmittel grundsätzlich keine andere Bedeutung habe und darum ebenso erlaubt sein müsse wie im no·r malen Arbeitskampf zwischen den Sozialpartnern 99• Hier ist der systema97 Die Dokumente sind abgedruckt bei Hermann Grote, Der Streik, Taktik und Strategie, Köln 1952, S. 46 ff. Herbert von Borch vertritt mit bemerkenswerten Gründen die Auffassung, daß der Kapp-Putsch primär nicht durch den Generalstreik, sondern durch den Widerstand der Ministerialbürokratie Preußens und des Reiches zusammengebrochen sei (a.a.O., S. 214 f.). 98 Wolfgang Hirsch-Weber, Gewerkschaften in der Politik, Von der Ma;senstreikdebatte zum Kampf um das Mitbestimmungsrecht, Bd. 13 der Schriften des Instituts für Politische Wissenschaft, Köln und Opladen 1959, hat dem Kapp-Putsch juristisch nur wenig ergiebige Ausführungen gewidmet (S. 26 ff.) und den defensiven Charakter des Generalstreiks hervorgehoben (S. 141), ohne sich mit einer Deutung zu befassen, die auch die (ebenfalls von Hirsch-Weber mitgeteilten) Forderungen der Streikführung zur Beurteilungsgrundlage macht. 99 Für diese erstaunliche Konstruktion erwartet man vergeblich eine nähere Begründung. Bei Abendroth heißt es: Nachdem der Versuch einer Einigung zwischen den Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften gescheitert war, "wurde es d e u t I ich, daß in Fragen des Betriebsverfassungsrechts das Parlament durch gesetzliche Regelung eine quasi schiedsrichterliche Entscheidung zwischen einander widersprechenden sozialen Kräften des Volkes zu treffen hatte". "Es oei in diesem Zusammenhang daran erinnert, daß in durch Schiedsmänner oder Schiedsgerichte beendeten sozialen
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tische Zusammenhang mit dem Staatsbild des Liberalismus offensichtlich. Wir finden einen ähnlichen Gedankengang bei John Stuart Mill in seinen Betrachtung·en über Representative Government aus dem Jahre 1861. Danach gibt es innerhalb -der modernen Gesellschaft immer zwei mächtige, im Idealfall gleich starke Parteien, d·ie sich ungefähr die Waage halten: Mill selbst sagt, daß in der industriellen Ge.sellschaft die Arbeitnehmer und Arbeitgeber diese heid.e n einander entgegenstehenden Gruppen sind. Die Folge dieser Konstellation ist, -daß ein s c h w a c h e r, neutraler Dritter, der Staat, imstande ist, als Vermittler und Schiedsrichter zwischen den gewaltigen Interessenblöcken zu fungieren. Der Optimismus Mills gründete sich auf die Annahme, daß in den ·b eiden sich gegenüberstehenden Interessengruppen eine kleine Zahl von gerechten und weitsichtigen Bürgern s.ich finden werde, die bereit sind, ihr Klasseninteresse dem Wohl des Ganzen unter~uordnen. Daran knüpft er die Erwartung, daß in einer Machtkämpfen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern allgemein derartige Demonstrationen der Macht bis zum Schiedsspruch und seiner Anerkennung stets als zulässig angesehen worden sind, wenn sie nicht durch besondere Vereinbarung der Parteien oder durch Gesetz ausgeschlossen wurden." AIs o seien derartige Machtdemonstrationen auch vor dem Gesetzgeber grundsätzlich nicht nur legitim, sondern auch legal, solange ihnen keine anderweitige gesetzliche Regelung entgegenstehe {Gutachten, a.a.O., 9). Schnorr v. Carolsfeld führt aus, die noch schwebenden Gegensätze in jenen fundamentalen Fragen mußten "irgendwie beseitigt werden. Der Staat übernahm d e s h a I b als Gesetzgeber eine Art Vermittlerrolle, indem er von sich aus durch Normsetzung eine Regelung des Ausgleichs der erwähnten Spannungen herbeizuführen trachtete". Ein Schiedsverfahren habe "n i c h t d a s R e c h t zu e r mit t eIn, nicht also die eigentlich durch Normen gewollte Ordnung aufzuhellen, sondern es hat nur einen m o du s v i v e n d i , eine Lösung für das zukünftige Verhalten der Gegner herbeizuführen, welche ungefähr der Machtsituation der Kämpfe entspricht, so daß zu hoffen ist, diese würden sich bei dem Spruch beruhigen". Nachdem die Rechtsordnung den Arbeitnehmern erlaubt habe, ihre Macht und Kraft im Streik darzutun, bestehe "keine Möglichkeit, zu begründen, warum ein solches Aufweisen der eigenen Stärke dann nicht gestattet sei, wenn das Parlament jene Rolle eines Schiedsmannes, von der eben die Rede war, übernommen hat". Diesen m. E. verfehlten Darlegungen über die Natur des Gesetzgebungsaktes fügt Schnorr v. Carolsfeld den zutreffenden und überaus wichtigen Satz an: "Voraussetzung ist allerdings, daß es bei diesem bloßen Aufzeigen der Macht verbleibt oder bei einem b I o ß e n A u f m e r k s a m m a c h e n auf die potentiellen Kräfte, über welche die Streikenden verfügen" {a.a.O., S. 21; Sperrungen durch mich).
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tO'lerahel verfaßt.en Gesellschaft s·ich am Ende ·doch Vernunft und Gerechtigkeit m e i .s t e n s werd.en zur Geltung bringen können100• Die Idee vom Staat als dem vermittelnden Makler, der gegenüber den Interessengruppen weder Superiorität noch Autorität besitzt, ist eine typisch liberale Ide·e aus dem 19. Jahrhundert. Wir wissen inzwischen, wohin diese Vorstellung vom schwachen und in jeder Lage neutralen Staat in der Weimarer Republik geführt hat, und es erhebt sich die Frage, ob uns heute ein hilfloser, von lnteres·s engruppen ge·d emütigter und mißhandelter Staat den der Nation von innen und außen d11ohenden Gefahren gewachsen erschcint. Danehen lebt in der Gewerkschaftsauffassung vom Streik, wie sie in den zitierten Formulierungen von Alfred Weber und Victor Agartz in so pointierter Form zum Ausdruck kam, das alte Feuer de.s S y nd i k a 1 i s m u s. Die.s•e große, vor allem in Frankreich und den anderen romanischen Ländern beheimatete Bewegung hatte als einziges unmittelbares Ziel die soziale Revolution. Die Frucht dieser Revo•lution ·sollte eine neue Ordnung der Ge,s ellschaft sein, in der die Syndikate, die Gewerkschaften, die maßgeblichen E·inrichtungen der Produktion und somit die Grundlage der Gesellschaftsverfassung sein sollten. Dti·e Revolution hat die Form der direkten Aktion. Dieser explosive Ausdruck verdeutlicht die syndikale Autonomie und bezeichn·et vor allem den Streik. Jeder Streik aber - und da•s ist die groß·e Intuition dieses Syndikalismus - kann sich in den Gene r a 1s t r e i k auswachsen. Er ist die soziale Revolution schlechthin. Die Lehre vom Generalstreik spielt hier die Rolle eines apokalyptischen Mythus, fast vergleichbar mit der urchristlichen Vision des Untergangs der heidnischen Welt und der Wiederkunft des Erlösers, in der Tat eine Säkularisation d·er christlichen Eschatologie. Der große Kirchenvater des Syndikalismus und Ideologe des Generalstreiks, Georges Sorel, zieht selbst diese Par:allele101 und be·schreiht die Wirkungen di·ese's Mythus auf die Arbeiter.schaft mit Bildern, die an die urchristlich·e Erwartung der Endzeit er>innern. Für ihn sammelt sich der .g anz·e Gehalt des Sozialismus in der Idee vom Generalstreik. Sie ist da.s entscheidende Kriterium, das die Arbeiterklasse von dem 100 " ••• mostly in the end carry their point". V gl. J ohn Stuart Mill, Considerations on Representative Government, 2. Aufl., London 1861, S. 128 ff. 101 Reflexions sur la Violence, 11. Aufl., Paris 1950, S. 177 f.
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übrigen Teoil der GeseHschaft trennt, die Kluft zwischen diesen he[den Lagern, zwischen denen es keine Verwechslung und keine Versöhnung gibt. Sie ist die "idee motrice", die Denken und Fühlen des Arbeiters beherrscht und .seinem Hoffen die Gewißheit der Erfüllung gibt. Ihr gegenüber haheon die parteipolitischen Kompromisse und d·as ganze parlamentarische Regime kein Gewicht102• Denn sie geh(}ren zu einer anderen, der bürgerlichen Welt. Diese .syndikalistische Idee vom Gen•eralstreik ist da·s Urbild je.det! politisch·e n Streiks und der Ausdruck eines gigantischen, berserkerhaften, .antJistaatlichen Affekts, eine.s Affekts gegen den nach .s yndikatistischer Auffa.ssung immer ßi{)lch bürgerlich·en Staat. Im Lichte der •syndikalistischen Idee vom Generalstreik erkenuen wir die ganze Größe und die ganze Gefahr des potitisch•en Streiks. Schon im Arbeitskampf ist der Streik kein Ordnungsmittel, wie er in d•er arbeitsrechtlichen Literatur t eilweise definiert wird, sondern ein Zeichen der Unordnung und des Ungenügens der staatlichen Rechtsor·dnung. Der politische Streik aber ist in nuce Revolution. Streik un·d Aussperrung sind Erscheinu111gsformen ·der Auseinandersetzung V{)ln Ka•pital und Arbeit, abe·r ihre symptomatisch·e Bed·e utung r:eicht weit über deu Bereich der Arlbeitsmarktparteien hinaus. Wü stehen h eute in einem allgemeinen Widerstreit der Interessen, in den nicht nur Klllpital und Arbeit, sond.ern ebenso Landwirtschaft und Industrie, Handel und Verkehrsgewerbe, freie Berufe, Kirch•en und viele and·ere Gruppen und Or:ganisationen verwickelt sind. So hat sich der Dualismus von Kapital und Arbeit in einen Pluralismus sozialer Gewalten entfaltet, ein alle demokratischen Länder kennzeichnender Vorgang, der noch fortschreitet . Die mo·derne Mas•sendemokratie kann auf den Impuls der Interessen und die Aktivität ·der lntere·ssengruppen nicht verzichten, d·enn sie •S·ind ein unabdingbares Element der Freiheit in einer sich zentralisierenden und mechanisierenden Demokrati·e. Wenn aber d·e r allgemeine Widerstreit der lntere•s.sen in groß.e n Arbe.i tskämpfen seine äußerste Zuspitzung erfährt, geht er gew•issermaßen in den solZialen Ausnahmezustand über, während ·der politische Streik und alle anderen, mit vergleichbarer Intensität und 102 a.a.O., S. 173 ff. Denn was für den Bürger das Parlament, das sind für den Arbeiter die Syndikate (Sorel, Les Illusions du Progres, 2. Aufl., Paris 1911, 136).
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Wirksamkeit gegen den Staat geführten Aktionen von lnteres•sengruppen uns schon in die Nähe des politisch·e n, d. h. staatsrechtlichen Ausnahmezustandes führen und tatsächlich dort hinein münden können. Von dem sozialen und von dem politischen Ausnahmezustand her fällt e•i n klärendes Licht auf den Interessenkampf als solchen, und es war der Sinn dieser kleinen Expedition in das vom Gesetzgeher no•ch kaum betretene Niemandsland des politischen Streiks, jenes Licht zu saJIDmeln und in den Dienst der Erkenntnis unserer Staats- und Gesellschaftsordnung zu stellen. Möge ein Strahl dieses Lichte's auch fallen auf die Lage des Rechtslehrers in unser.er Zeit, wie ich sie sehe: Während der Kampf der Intere•S•Senorganisationen den sozialen Bereich erfüllt, an der Bildung der Öffentlichen Meinung mitwirkt und sich in Parteien, Parlament und bis in die Ressorts der Exekutive fortsetzt, hütet der Lehrer der Rechte in seiner W·issen.schaft den letzten Hort eines integren Staatsgefühls und einer unverzichtbaren Staatsethik. Dabei wird er wie Odysseus zwis,chen den Drohungen von Skylla und Charybdis und den Verlockungen der Sirenen vom Mast seines Schiffes nicht weichen. Er wird sich nicht die Ohren verstopfen oder die Augen verschließen vor den Gegebenheiten unseres sozialen und politischen Lebens, sondern sich seiner bedrängenden Problematik mutig stellen. Das ist die Aufgabe, und das sei, vor diesem illustren Auditorium, auch mein Gelöbnis!
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