Der Konventsentwurf für einen Vertrag über eine Verfassung für Europa: Eine britische Sicht [1 ed.] 9783428523917, 9783428123919

Am 18. Juli 2003 übergab der Präsident des Konvents zur Zukunft der Europäischen Union dem Präsidenten des Europäischen

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German Pages 339 Year 2007

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Der Konventsentwurf für einen Vertrag über eine Verfassung für Europa: Eine britische Sicht [1 ed.]
 9783428523917, 9783428123919

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Schriften zum Europäischen Recht Band 127

Der Konventsentwurf für einen Vertrag über eine Verfassung für Europa Eine britische Sicht

Von Andre-Tobias Hupka

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

ANDRE-TOBIAS HUPKA

Der Konventsentwurf für einen Vertrag über eine Verfassung für Europa

Schriften zum Europäischen Recht Herausgegeben von

Siegfried Magiera und Detlef Merten

Band 127

Der Konventsentwurf für einen Vertrag über eine Verfassung für Europa Eine britische Sicht

Von Andre-Tobias Hupka

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Bayreuth hat diese Arbeit im Jahre 2005 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D 703 Alle Rechte vorbehalten # 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0937-6305 ISBN 978-3-428-12391-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Seit Fertigstellung der Arbeit im Jahr 2005 ist das Ratifikationsverfahren durch zwei ablehnende Referenden in Frankreich und den Niederlanden ins Stocken geraten. Insbesondere in Großbritannien ist die Entscheidung über die Ratifikation bis auf weiteres ausgesetzt. Nach dem Vorsitz Österreichs und Luxemburgs bemüht sich nun die deutsche Ratspräsidentschaft, dem Verfassungsvertrag neues Leben einzuhauchen. In die Arbeit flossen Erfahrungen aus einem Auslandsaufenthalt in Großbritannien ein. So habe ich das besondere Verhältnis der oftmals als „Europamuffel“ verrufenen Briten zur Europäischen Union verstehen gelernt. Mit dieser Arbeit möchte ich auch ein wenig mehr Verständnis für britische Positionen schaffen, können doch sogar „vorbildliche“ Europäer hieraus noch vieles lernen. Besonderen Dank schulde ich meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Peter Häberle, für seinen unermüdlichen Beistand und Unterstützung nicht nur in fachlicher Hinsicht. Dank seiner zeitnahen Betreuung war es möglich, dieses hochkomplexe und ständigen Veränderungen unterworfene Thema in angemessener Zeit zu bearbeiten. Herrn Prof. Rudolf Streinz danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens und seine vielen Anregungen auch über die große Entfernung zwischen München und Bayreuth hinweg. Danken möchte ich weiterhin meinen lieben Eltern, ohne deren ideelle und vor allem finanzielle Unterstützung die Arbeit nicht hätte vollendet werden können. Ebenso gebührt Dank meinen Großeltern Irmgard und Günther Hupka, deren unumstößlicher Rückhalt mir immer sicher war. Leider blieb mein Wunsch unerfüllt, daß mein Großvater die Früchte seiner Unterstützung noch hätte erleben können. Sabine Göbel gilt als meiner lieben und fürsorglichen Partnerin Dank für ausdauernde und gründliche Korrekturarbeiten, besonders aber auch für so manche Entbehrungen. Auch danke ich meinen vielen Freunden und Weggefährten, deren freundschaftliche Verbundenheit mir das Arbeiten an vielen Tagen vereinfacht hat. Hervorheben möchte ich in diesem Zusammenhang meine Freunde André Wehner und Dirk Schneider für Ihre Korrekturen und konstruktiven Anregungen. Osnabrück, im Februar 2007

Andre-Tobias Hupka

Inhaltsübersicht Erster Teil Einleitung

23

A. Die Idee einer Europäischen Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

I. Frühere Einigungsbemühungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24

II. Verfassungsfähigkeit und Verfassungsnotwendigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

III. Verfassung oder Verfassungsvertrag – Föderalisten und Intergouvernementalisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

52

B. Die Konventsidee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

I. Die ursprüngliche Konventsidee nach amerikanischem Vorbild – Constitutional Conventions in den USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

II. Die „europäische“ Konventsidee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

III. Die Konventsmethode in Ergänzung zu Regierungskonferenzen . . . . . . . . . . . . .

62

IV. Exkurs: Der Konvent zur Erarbeitung einer Europäischen Grundrechte-Charta

67

C. Der (Verfassungs-)Konvent zur Zukunft Europas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

I. Die Vorgeschichte zum Verfassungskonvent – der „Post-Nizza-Prozeß“ . . . . . .

69

II. Aufgabenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

III. Zusammensetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

72

IV. Arbeitsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

V. Die britischen Konventsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75

Zweiter Teil Das Vereinigte Königreich in Europa – Verfassung und Geschichte im europäischen Kontext

76

A. Kultureller und rechtlicher Hintergrund des britischen Konstitutionalismus . . . . . . . .

76

I. Die historische Rolle Großbritanniens in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

II. Die Britische Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80

III. Einfluß der „Devolution“ – Britische Angst vor „Ausbluten“ zwischen Europa und den eigenen Regionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109

10

Inhaltsübersicht

B. Britische Europapolitik im geschichtlichen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 I. Die britische Nachkriegspolitik bis zu den Römischen Verträgen – Churchills „Drei-Sphären-Politik“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 II. Die erfolglosen Beitrittsgesuche – die Öffnung Großbritanniens nach Europa

122

III. Der Beitritt Großbritanniens zu den Europäischen Gemeinschaften – Überwindung des französisch-britischen Konfliktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 IV. Die Minderheitsregierungen unter H. Wilson – Neuverhandlung der Mitgliedschaft und Referendum über den Verbleib in der EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 V. Großbritannien unter M. Thatcher – Europa im Griff der „Iron Lady“ . . . . . . . . 129 VI. Die Regierung J. Major – Maastricht und das britische „opt-out“ . . . . . . . . . . . . . 135 VII. Europapolitik im Zeichen von „New Labour“ – die Regierung T. Blair . . . . . . . 141 VIII. Zusammenfassung: Gründe für das besondere Verhältnis Großbritanniens zur Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 Dritter Teil Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit aus britischer Sicht

151

A. Die demokratische Legitimation in der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 I. Das demokratische Defizit der Union – fehlende Legitimation der Unionsorgane? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 II. Das demokratische Defizit als Geburtsfehler der europäischen Integration? – Grenzen für eine Parlamentarisierung der Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 III. „Britische“ Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 B. Die Verfassungsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 I. Die politische Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 II. Die verfassungsrechtliche Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 III. Die verfassungspolitische Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 IV. Exkurs: Der Verfassungsentwurf „Dashwood“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 C. Die Konventsmethode als Alternative zur Vorbereitung von Regierungskonferenzen 183 I. Die Einstellung gegenüber dem Verfassungskonvent . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 II. Die demokratische Legitimation des Konvents . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 III. „Praktische“ Bedenken gegenüber einer Institutionalisierung des Konvents . . 185 IV. „Symbolische“ bzw. „emotionale“ Bedenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 V. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189

Inhaltsübersicht

11

D. Der Status der EU-Grundrechtecharta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 I. Die Entstehung der EU-Grundrechtecharta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 II. Die Charta aus „britischer“ Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 III. Die Inkorporation der Charta in eine Europäische Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . 195 IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 E. Institutionelle Reformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 I. Die Rolle der nationalen Parlamente – „Watchdog“ im Dienste des Subsidiaritätsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 II. Die doppelt-qualifizierte Mehrheit – Beschränkung des Einstimmigkeitsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 III. Ein „Mr. Europa“ für die Union? – Präsident versus Außenminister . . . . . . . . . . 232 F. Die zukünftige Kompetenzordnung in der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 I. Das Kompetenzverteilungssystem auf dem Prüfstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 II. Die Kompetenzverteilung im Konventsentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 III. Der Vorrang des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 IV. Britische „Red-Tape-Issues“ in den Einzelpolitiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 V. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 G. Volkes Stimme in Europa – Ein Referendum über den Verfassungsvertrag? . . . . . . . . 260 I. Volksabstimmungen als Elemente direkter Demokratie in Großbritannien . . . . 262 II. Ein Referendum über die Verfassung für die EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 Vierter Teil Zusammenfassung und Ergebnis

271

Anhang A: Reden zur Europäischen Einigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 Anhang B: Dokumente zur Europäischen Einigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 Sachwortregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323

Inhaltsverzeichnis Erster Teil Einleitung

23

A. Die Idee einer Europäischen Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

I. Frühere Einigungsbemühungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24

1. Der Europagedanke vor 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

a) Vom Mittelalter bis zur Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

b) Die Französische Revolution und das Europa Napoleons . . . . . . . . . . . . .

25

c) Vom Wiener Kongreß bis zum ersten Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

d) Die Zeit zwischen den Weltkriegen – „Einigung oder Untergang“ . . . .

27

2. Der Europagedanke nach 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

a) Von Zürich 1946 bis Rom 1957 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

b) Von den Europäischen Gemeinschaften zur Europäischen Union . . . . .

34

II. Verfassungsfähigkeit und Verfassungsnotwendigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

1. Verfassungsfähigkeit der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

a) Relativierung des Staatsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39

b) Das kulturwissenschaftliche Verfassungsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

c) Die Verträge als „Verfassung“ der Europäischen Union? . . . . . . . . . . . . .

42

2. Verfassungsnotwendigkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45

a) Eine Europäische Verfassung als Integrationsfaktor . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45

b) Das erfüllte Integrationsprogramm der EG von einst – neue Paradigmen für die Europäische Union der Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46

c) Eine Europäische Verfassung für mehr Transparenz . . . . . . . . . . . . . . . . . .

47

d) Notwendige umfassende Reformen hinsichtlich der Osterweiterung der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

48

e) Demokratisierung der Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51

Inhaltsverzeichnis

13

III. Verfassung oder Verfassungsvertrag – Föderalisten und Intergouvernementalisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

52

1. Die Frage nach der Finalität der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

52

2. Geschichtliche Entwicklung der Integrationskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53

3. Die Position der Einzelstaaten – föderalistische und konföderalistische „Traditionen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59

B. Die Konventsidee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

I. Die ursprüngliche Konventsidee nach amerikanischem Vorbild – Constitutional Conventions in den USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

II. Die „europäische“ Konventsidee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

III. Die Konventsmethode in Ergänzung zu Regierungskonferenzen . . . . . . . . . . . . .

62

1. Das Vertragsänderungsverfahren gemäß Art. 48 EUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

2. Die Mitgliedstaaten als „Herren der Verträge“ – Der Luxemburger Kompromiß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

3. Das Einstimmigkeitsprinzip als „Bremse“ der Integration . . . . . . . . . . . . . . . .

64

4. Die alternative Konventsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

IV. Exkurs: Der Konvent zur Erarbeitung einer Europäischen Grundrechte-Charta

67

C. Der (Verfassungs-)Konvent zur Zukunft Europas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

I. Die Vorgeschichte zum Verfassungskonvent – der „Post-Nizza-Prozeß“ . . . . . .

69

II. Aufgabenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

III. Zusammensetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

72

IV. Arbeitsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

V. Die britischen Konventsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75

Zweiter Teil Das Vereinigte Königreich in Europa – Verfassung und Geschichte im europäischen Kontext

76

A. Kultureller und rechtlicher Hintergrund des britischen Konstitutionalismus . . .

76

I. Die historische Rolle Großbritanniens in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

14

Inhaltsverzeichnis II. Die Britische Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80

1. Geschriebene und ungeschriebene Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80

2. Elemente der Britischen Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

81

a) Statutes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

81

b) Common Law . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82

c) Custom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

83

3. Grundlegende Prinzipien der Britischen Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

83

a) Parliamentary Sovereignty . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

84

aa) Parliamentary Sovereignty nach Dicey – der orthodoxe Ansatz . .

84

bb) Aufweichungstendenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

(1) Der Union with Scotland Act 1706 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

(2) Das Schrumpfen des British Empire durch Verlust ehemaliger Kolonien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

86

(3) Mitgliedschaft in der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Der European Communities Act 1972 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Das Verhältnis zwischen nationaler Rechtsprechung und EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Die Factortame-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

87 87

(4) Der Human Rights Act 1998 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

(5) Konsequenzen für die Bedeutung der Sovereignty of Parliament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Factortame versus Parliamentary Supremacy . . . . . . . . . . . . (b) „Maastricht“ in britischer Lesart – Thoburn v. Sunderland City Council . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88 90

97 97 99

b) Rule of Law und Separation of Powers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 c) Accountability und Responsibility . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 aa) Collective Responsibility . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 bb) Individual Responsibility . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 cc) Auswirkungen durch den europäischen Einigungsprozeß . . . . . . . . 107 d) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 III. Einfluß der „Devolution“ – Britische Angst vor „Ausbluten“ zwischen Europa und den eigenen Regionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 1. Die Idee des „Devolution“-Konzepts in Großbritannien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 2. Geschichtlicher Hintergrund der Idee der Devolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110

Inhaltsverzeichnis

15

3. „Devolution“ im europäischen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 a) Der intergouvernementalistische Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 b) Die Vertreter „überlappender Souveränitäten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 c) Devolution im Zeichen der europäischen Einigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 B. Britische Europapolitik im geschichtlichen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 I. Die britische Nachkriegspolitik bis zu den Römischen Verträgen – Churchills „Drei-Sphären-Politik“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 II. Die erfolglosen Beitrittsgesuche – die Öffnung Großbritanniens nach Europa

122

III. Der Beitritt Großbritanniens zu den Europäischen Gemeinschaften – Überwindung des französisch-britischen Konfliktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 IV. Die Minderheitsregierungen unter H. Wilson – Neuverhandlung der Mitgliedschaft und Referendum über den Verbleib in der EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 V. Großbritannien unter M. Thatcher – Europa im Griff der „Iron Lady“ . . . . . . . . 129 VI. Die Regierung J. Major – Maastricht und das britische „opt-out“ . . . . . . . . . . . . . 135 VII. Europapolitik im Zeichen von „New Labour“ – die Regierung T. Blair . . . . . . . 141 VIII. Zusammenfassung: Gründe für das besondere Verhältnis Großbritanniens zur Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 Dritter Teil Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit aus britischer Sicht

151

A. Die demokratische Legitimation in der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 I. Das demokratische Defizit der Union – fehlende Legitimation der Unionsorgane? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 1. „Prozessuale“ und „Soziale“ Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 2. Das „Vektorenmodell“ der Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 3. Aspekte eines demokratischen Defizits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 II. Das demokratische Defizit als Geburtsfehler der europäischen Integration? – Grenzen für eine Parlamentarisierung der Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 III. „Britische“ Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 B. Die Verfassungsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 I. Die politische Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166

16

Inhaltsverzeichnis II. Die verfassungsrechtliche Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 1. Prozessuale Hindernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 2. Materiellrechtliche Hindernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 III. Die verfassungspolitische Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 1. Der Verfassungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 2. Verfassungsbedürftigkeit / -fähigkeit der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 IV. Exkurs: Der Verfassungsentwurf „Dashwood“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182

C. Die Konventsmethode als Alternative zur Vorbereitung von Regierungskonferenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 I. Die Einstellung gegenüber dem Verfassungskonvent . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 II. Die demokratische Legitimation des Konvents . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 III. „Praktische“ Bedenken gegenüber einer Institutionalisierung des Konvents . . 185 IV. „Symbolische“ bzw. „emotionale“ Bedenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 V. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 D. Der Status der EU-Grundrechtecharta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 I. Die Entstehung der EU-Grundrechtecharta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 II. Die Charta aus „britischer“ Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 III. Die Inkorporation der Charta in eine Europäische Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . 195 1. Die Optionen des Konvents für eine Einbeziehung der Charta . . . . . . . . . . . . 196 2. Britische Vorbehalte gegen eine Übernahme der Charta in den Vertrag – die Bedeutung der „horizontalen Bestimmungen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 3. Die EU als EMRK-Mitglied? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 E. Institutionelle Reformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 I. Die Rolle der nationalen Parlamente – „Watchdog“ im Dienste des Subsidiaritätsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 1. Nationale Parlamente im Unionsgefüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208

Inhaltsverzeichnis

17

2. Westminster in Europa – Parlamentarische Einflußnahme im Vereinigten Königreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 3. COSAC und Assises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 4. Die nationalen Parlamente im Konventsentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 a) Kontrolle der nationalen Regierungen als vorrangige Aufgabe der einzelstaatlichen Parlamente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 b) Öffnung der Beschlußfassung in Rat und Kommission . . . . . . . . . . . . . . . 214 c) Subsidiaritätskontrolle durch die nationalen Parlamente . . . . . . . . . . . . . . 215 5. Die Rolle der Parlamente in britischer Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 a) COSAC als „Zweite Kammer“ des EP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 b) Veto-Recht der nationalen Parlamente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 c) „Gelbe“ oder „Rote“ Karte? – Der Frühwarnmechanismus zum Subsidiaritätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 6. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 II. Die doppelt-qualifizierte Mehrheit – Beschränkung des Einstimmigkeitsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 1. Rechtsetzungsverfahren im Rat nach bisheriger Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . 221 2. Entwicklung der Abstimmungsregeln im Rat seit Gründung der Gemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 3. Neue Wege bei der Mehrheitsabstimmung im Rat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 a) Das bestehende Mißverhältnis zwischen Stimmenzahl und repräsentierter Bevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 b) Die doppelt-qualifizierte Mehrheit – Der Ausweg aus der Krise? . . . . . 225 c) Die doppelt-qualifizierte Mehrheit im Konventsentwurf . . . . . . . . . . . . . . 227 4. Die britische Haltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 5. Die sog. „Passerelle“ – Flexible Vertragsrevision versus Marginalisierung der nationalen Parlamente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 6. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 III. Ein „Mr. Europa“ für die Union? – Präsident versus Außenminister . . . . . . . . . . 232 1. Die Ratspräsidentschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 a) Die Ratspräsidentschaft im bisherigen System der Verträge – Probleme und Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 2 Hupka

18

Inhaltsverzeichnis b) Die Diskussion um den Ratspräsidenten – „Doppelhut“ versus „Doppelspitze“, Aufgabe der Rotation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 c) Die Ratspräsidentschaft im Konventsentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 d) Die britische Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 2. Der Europäische Außenminister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 a) Der Europäische Außenminister im Konventsentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . 239 b) Ein Europäischer Außenminister für Großbritannien? . . . . . . . . . . . . . . . . 240 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242

F. Die zukünftige Kompetenzordnung in der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 I. Das Kompetenzverteilungssystem auf dem Prüfstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 II. Die Kompetenzverteilung im Konventsentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 III. Der Vorrang des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 1. Der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 2. Der Gemeinschaftsrechtsvorrang in der britischen Judikatur . . . . . . . . . . . . . 249 3. Die Vorrangwirkung im Konventsentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 IV. Britische „Red-Tape-Issues“ in den Einzelpolitiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 1. Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 2. Ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 V. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 G. Volkes Stimme in Europa – Ein Referendum über den Verfassungsvertrag? . . . . 260 I. Volksabstimmungen als Elemente direkter Demokratie in Großbritannien . . . . 262 II. Ein Referendum über die Verfassung für die EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 Vierter Teil Zusammenfassung und Ergebnis

271

Anhang A: Reden zur Europäischen Einigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 I. Winston Churchill: Rede an die akademische Jugend in Zürich (19. 09. 1946)

275

Inhaltsverzeichnis

19

II. Margaret Thatcher: Rede im Europa-Kolleg in Brügge (20. 09. 1988) . . . . . . . . 277 III. Tony Blair: Rede in der Polnischen Börse in Warschau (06. 10. 2000) . . . . . . . . 284 Anhang B: Dokumente zur Europäischen Einigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 I. Erklärung von Laeken zur Zukunft der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 II. Wahlbeteiligung bei Europawahlen zwischen 1979 und 2004 . . . . . . . . . . . . . . . . 301

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 Sachwortregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323

2*

Abkürzungverzeichnis ABl.

Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften

Abs.

Absatz

A.C.

Appeal Cases

All ER

All England Law Reports

BGBl.

Bundesgesetzblatt

BGH

Bundesgerichtshof

BIC

British-Irish Council

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

C.A.

Court of Appeal

CAP

Common Agricultural Policy (vgl. GAP)

CFSP

Common Foreign and Security Policy (vgl. GASP)

Cm

Command Paper

C.M.L.R.

Common Markets Law Review

CONV

Dokumente des Konvents zur Zukunft Europas

COREPER

Ausschuß der ständigen Vertreter des Ministerrates

Co.Rep.

Coke Reports

COSAC

Conférenece des Organes Spécialisés en Affaires Communautaires

EAG

Europäische Atomgemeinschaft

ECA

European Communities Act

ECU

European Currency Unit

EEA

Einheitliche Europäsche Akte

EFTA

European Free Trade Association

EG

Europäische Gemeinschaft(en)

EGKS

Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl

EGMR

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

EGV

Vertrag über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft

EHRR

Sammlung der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte

EMRK

Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten

EP

Europäisches Parlament

EPG

Europäische Politische Gemeinschaft

ESVP

Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik

Abkürzungverzeichnis EU

Europäische Union

EuG

Europäischer Gerichtshof erster Instanz

EuGH

Europäischer Gerichtshof

EUV

Vertrag über die Gründung der Europäischen Union

EVG

Europäische Verteidigungsgemeinschaft

EWG

Europäische Wirtschaftsgemeinschaft

EWS

Europäisches Wechselkurssystem

EWU

Europäische Währungsunion

EZB

Europäische Zentralbank

EZBS

Europäisches Zentralbanksystem

GAP

Gemeinsame Agrarpolitik

GASP

Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik

GATT

General Agreement on Tariffs and Trade

GRCh

Charta der Grundrechte der Europäischen Union

HC Deb

Debatten des House of Commons

HL

House of Lords

HL-Deb

Debatten des House of Lords

h. M.

herrschende Meinung

HRA

Human Rights Act 1998

i. allg.

im allgemeinen

IGC

Intergovernmental Conference

i. S. d.

im Sinne des / der

i.S.e.

im Sinne eines / einer

i.ü.

im übrigen

i.V.m.

in Verbindung mit

IWF

Internationaler Währungsfonds

KB

King’s Bench

MEP

Mitglied des Europäischen Parlaments

MP

Member of Parliament

m. w. N.

mit weiteren Nachweisen

NATO

North Atlantic Treaty Organisation

N / SMC

North / South Ministerial Council

21

OEEC

Organisation for European Economic Cooperation

para.

Paragraph

PJZS

Polizeiliche und justitielle Zusammenarbeit in Strafsachen (vgl. auch ZBJI)

PM

Prime Minister

PPER Act

Political Parties, Elections and Referendums Act 2000

QBDC

Queen’s Bench Division Cases

QMV

Qualified Majority Vote

22

Abkürzungverzeichnis

Rs.

Rechtssache

S.

Seite (i.V.m. Literaturangaben) Satz

s.

siehe (i.V.m. Literaturangaben) Section

S.C.

Court Session Cases, Scotland

sch.

Schedule

Slg. EuGH

Sammlung der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes

Spstr.

Spiegelstrich

ss.

Subsection

UAbs.

Unterabsatz

UEF

Union Européenne des Fédéralistes

UEM

United Europe Movement

v.a.

vor allem

Vgl.

vergleiche

VVE

Vertrag über eine Verfassung für Europa

VVE a.F.

Entwurf des Konvents zur Zukunft Europas über einen Vertrag über eine Verfassung für Europa v. 18. Juli 2003

WLR

Weekly Law Reports

ZBJI

Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres (vgl. auch PJZS)

z. T.

zum Teil

Erster Teil

Einleitung Am 18. Juli 2003 übergab der Konvent zur Zukunft Europas unter der Leitung seines Präsidenten Valérie Giscard d’Estaing dem Präsidenten des Europäischen Rates in Rom den „Entwurf eines Vertrages über eine Verfassung für Europa“1. Dieses Dokument, bestehend aus vier Teilen mit insgesamt 458 Artikeln, bildete die Grundlage für die Regierungskonferenz zur Reform der europäischen Verträge im Dezember 2003 bis Juni 2004. Die Regierungschefs übernahmen darin im wesentlichen die Konventsvorschläge unverändert. „Im Kontext der Europäischen Integration ist neben „Federation“ der Begriff „Constitution“ wie (wohl) kaum ein anderer ein Reizwort für britische Ohren. Im Vorfeld – und auch während der Arbeiten des Konvents selbst – spielt die Position Großbritanniens daher eine besondere Rolle. Die Ursachen dafür liegen tief verwurzelt im britischen Verhältnis zu Europa allgemein, in der nationalen Verfassung, sowie in der langfristigen politischen und kulturellen Entwicklung. Ziel dieser Arbeit ist es, diese Hintergründe und ihre Bedeutung für die Bewertung des Verfassungsentwurfs aus britischer Perspektive aufzuzeigen. Dazu wird der Blick zunächst auf die Geschichte der Europäischen Integration gelenkt, bevor der politische und verfassungsrechtliche Hintergrund Großbritanniens erläutert wird. Abschließend findet anhand ausgewählter Regelungsgebiete eine Bewertung der Ergebnisse des Verfassungskonvents aus britischer Sicht statt.

A. Die Idee einer Europäischen Verfassung Die Idee einer Europäischen Verfassung ist tatsächlich weit älter als die Europäische Union2 selbst. Noch vor Beginn des Integrationsprozesses, der mit Gründung 1 Grundlage dieser Arbeit bildete der Entwurf des Konvents in der am 18. Juli 2003 in Rom dem italienischen Ratspräsidenten überreichten Fassung. Im Hinblick auf den endgültigen Text, wie er am 29. 10. 2004 beschlossen wurde, ist die Arbeit insbesondere an die durchlaufende Numerierung angepaßt worden. Soweit nicht ausdrücklich auf die Konventsfassung Bezug genommen ist (VVE a.F), wird der Entwurf als Verfassungsvertrag (VVE) widergegeben. 2 Die Europäische Union besteht als solche erst seit dem Maastrichter Vertrag vom 7. Februar 1992, in dem die drei Europäischen Gemeinschaften der EGKS, EAG und EWG als

24

1. Teil: Einleitung

der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) bzw. mit Unterzeichnung der Römischen Verträge 1957 begonnen hatte, ja sogar weit vor den ersten Plänen zur Neuordnung der europäischen Staatenwelt gab es zahlreiche Visionen von einem geeinten Europa unter einer gemeinsamen Verfassung. Diese Einigungsideen reichen z. T. weit in die Vergangenheit Europas zurück.3 Entwürfe einer europäischen Verfassung als Grundordnung für die in den EG organisierten Staaten wurden jedoch erst spät artikuliert. Nachdem aber der einheitliche Markt in der EG verwirklicht war und sich die Wirtschaftsunion als erfolgreiches Modell bewährt hatte, wurden erste konkretere Gedanken einer Verfassung laut. Doch erst nach vielen früheren gescheiterten oder enttäuschten Visionen, zu einem Zeitpunkt, in dem der als ursprünglich primär zu wirtschaftlichen Zwecken gegründete Staatenbund sich anschickt, auch politisch und gesellschaftlich enger zusammen zu wachsen, scheint die Zeit gekommen zu sein für diesen letzten Schritt.

I. Frühere Einigungsbemühungen Um sich mit den Arbeiten des Verfassungskonvents zu einer gemeinsamen europäischen Verfassung auseinandersetzen zu können, erscheint es unumgänglich, einen zumindest kurzen Blick auf die doch sehr lange Geschichte der europäischen Einigung zu werfen. Mithin kann auch dieser historische Kontext hilfreich sein, sich über Ziele und Beweggründe der europäischen Einigungsbewegung klar zu werden. Der historische Vergleich kann darüber hinaus auch Blickwinkel liefern, die in neuerer Zeit vielleicht aus den Augen verloren wurden. Da sich das vom Verfassungskonvent auszuarbeitende Dokument im wesentlichen auf das bestehende Vertragswerk der Europäischen Gemeinschaften stützt – ein wesentliches Ziel der Arbeit des Konvents soll ja gerade die Vereinfachung des Vertragstextes sein – erscheint es sinnvoll, die Erörterung der europäischen Idee zwischen Entwicklungen vor 1945 und danach aufzuteilen. Zugleich markiert dieser Zeitpunkt eine Zäsur in der europäischen Einigung. Galt es davor, hierüber Frieden zu sichern und ein ausgewogenes Mächteverhältnis – zumeist aus hegemonialen Motiven heraus – aufrechtzuerhalten, wurde nach 1945 schnell deutlich, den Frieden auch ohne eine solche Einigung aufrechterhalten zu können. Die europäische Idee konnte sich daher über die reine Friedenssicherung und unabhängig von nationalen hegemonialen Machtbestrebungen hinaus entwickeln. Das Hauptaugenmerk der historischen Betrachtung muß sich mit Sicherheit auf letzteren Zeitraum beziehen, weshalb die Darstellung der Vorgeschichte keinerlei sogenannte „erste Säule“ der Europäischen Union in ein einheitliches Vertragsgefüge überführt wurden (EUV). Aus Vereinfachungsgründen wird im folgenden dennoch lediglich auf den Begriff der Europäischen Union (EU) zurückgegriffen. Soweit Vorgänge vor 1992 betroffen sind, ist die EU als „die europäischen Gemeinschaften“ (EG) zu lesen. 3 Vgl. dazu W. Loth, Der Weg nach Europa, S. 9 ff. Eine Übersicht über einzelne Einigungsvorschläge findet sich bei R. H. Foerster, Europa, S. 325 ff.

A. Die Idee einer Europäischen Verfassung

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Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann (und soll) und nur einige wenige bedeutende Daten herausgreifen und skizzieren wird. 1. Der Europagedanke vor 1945 Die europäische Idee i. S. d. Bewußtseins, daß Europa staaten- und völkerübergreifend eine Einheit darstellt, kann bis weit in die griechisch-römische Kultur zurückverfolgt werden.4 Als geistige Antriebskräfte wirkten hier Humanismus und Christentum über Jahrhunderte hinweg.5 Mit dem internationalistischen Sozialismus trat im 19. Jahrhundert eine weitere Triebfeder hinzu. a) Vom Mittelalter bis zur Aufklärung Die christlich geprägte Kaiseridee des Mittelalters führte insbesondere im Rahmen der Auseinandersetzungen über die kontroversen Deutungen der „ZweiSchwerter-Lehre“ zu praktischem Denken und Handeln in einem europäischen Kontext.6 Mit dem Überkommen der religiös bestimmten Einheit des Abendlandes7 nach der Reformation ging der europäische Gedanke aber keinesfalls verloren. Vielmehr schöpfte er Motivation aus Bedürfnissen nach politisch-organisatorischen Verbindungen, sei es aus dem Wunsch nach „Ewigem Frieden“ heraus, sei es aus notgedrungenen taktischen Erwägungen zur Abwehr äußerer Bedrohungen (etwa die Türkengefahr des 17. Jahrhunderts).8 b) Die Französische Revolution und das Europa Napoleons Die Französische Revolution trug mit dem „Verbrüderungsgedanken“ eine neue Idee zur europäischen Einigung bei: Mit dem Grundsatz „Freiheit, Gleichheit, BrüDazu D. Kienast, Auf dem Wege zu Europa. Hierzu näher G. Lottes, Formationsprinzipien der Europäischen Geschichte, S. 134 ff. 6 Hier ergibt sich ein interessanter Bezug bis in die Neuzeit: alljährlich werden mit dem Aachener Karlspreis hervorragende Verdienste für die europäische Integration ausgezeichnet. Dem Preis liegt die Rückerinnerung an Karl den Großen zugrunde, dessen Reich (768 – 814 n.Chr.) in seiner geographischen Ausdehnung in großen Teilen der europäischen Sechsergemeinschaft von 1953 – 1973 entsprach. Zur Europaidee im Mittelalter weiter R. Hiestand, „Europa“ im Mittelalter. 7 Dazu R. Gerst, Föderalismus in Europa, S. 21 ff. 8 Besonders im 17.-18. Jahrhundert kamen zahlreiche Vorschläge aus Frankreich und England, die allerdings wenig Einfluß auf die praktische Politik auszuüben vermochten. Vgl. etwa M. Sully, Grand dessein, 1617; W. Penn, An Essay towards the Present and Future Peace of Europe, 1693; J. Bellers, Some Reasons for a European State, 1710; J.J. Rousseau, Projet pour la Paix Perpetuelle, 1760, J. Bentham, Plan for a Universal and Perpetual Peace, 1843; dazu jeweils R. H. Foerster, Europa. Eine weitere Übersicht findet sich bei R. Gerst, Föderalismus in Europa, S. 14 ff. und D.W. Urwin, The Community of Europe, S. 2 ff. 4 5

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derlichkeit“ waren alle Völker Europas gemeint, nicht nur das französische.9 Der Aufstieg Napoleons in Frankreich führte zunächst zur Bildung von insgesamt drei Koalitionen, um die gefürchtete „Universalmonarchie“ abzuwehren.10 In Napoleon setzten dagegen viele seiner Anhänger ihre Hoffnungen auf ein geeintes Europa.11 Nach der Niederlage Napoleons im Rußlandfeldzug 1814 kam die Idee eines Europäischen Staatenbundes auf.12 Im Rahmen einer „Heiligen Allianz“ (England, Frankreich, Preußen, Österreich, Rußland) gelang es schließlich, die nach den Eroberungen Napoleons überworfene Staatenordnung Europas wieder herzustellen und die monarchische Grundordnung gegen „revolutionäre Umtriebe“ dauerhaft zu sichern. Hieraus sollte sich später das „Europäische Konzert“ entwickeln, dem immer wieder auf dem Konferenzwege gelang, einzelstaatliche Interessen zum Wohle eines gesamteuropäischen Gleichgewichtes auszugleichen. c) Vom Wiener Kongreß bis zum ersten Weltkrieg Auf dem Wiener Kongreß 1815 wurde als wichtigstes Ergebnis der Deutsche Bund gegründet, der in sich sämtliche Fürstentümer Deutschlands, sowie den österreichischen Kaiser, den König der Niederlande und den Dänemarks vereinigte. Nach seinem Selbstverständnis war der Deutsche Bund ein völkerrechtlicher Verein souveräner Staaten, der aber nach außen als eine politische Einheit auftrat. Gleichzeitig zum Wiener Kongreß erschien 1814 der „Entwurf eines Europäischen Staatenbundes“ von Karl Christian Friedrich Krause13 und die Schrift C. H. SaintSimons und A. Thierrys „de la réorganisation de la société européenne ou de la nécessite et des moyens de rassembler les peuples de l’Europe en un seul corps politique en conservant à chacun son indépendaner nationale“14. In letzterem verband sich zum ersten Mal der soziale Gedanke mit dem europäischen. Vgl. R. H. Foerster, Europa, S. 220 ff. Eingehender H. Molitor, Europa unter und gegen Napoleon. 11 Vgl. etwa J. Eschassérieaux, Europas politische Lage zu Anfange des 19ten Jahrhunderts und beym Schlusse des Definitivfriedens, Leipzig 1802; J. Gondon, Du droit public et du droit des gens, ou principes d’association civile et politique, suivis d’un projet de paix perpétuelle. 3 Bde., Paris 1808, der bereits konkrete Vorstellungen von einer europäischen Gesetzgebung im Rahmen eines europäischen Institutionengefüges äußerte. Auf deutscher Seite sind A.E. Zinserling, Système fédératif des anciens mis en parallèle avec celui des modernes, Heidelberg, Straßburg 1809, und N. Vogt, Historische Darstellung des Europäischen Völkerbunds, 1808, zu nennen. 12 K.Ch.F. Krause, Entwurf eines europäischen Staatenbundes als Basis des allgemeinen Friedens und als rechtliches Mittel gegen jeden Angriff wider die innere und äußere Freiheit Europas, in: Deutsche Blätter, hrsg. v. F.A. Brockhaus, Bd. 4, Nr. 142 (113 ff.), Nr. 145 (S. 172 ff.), Nr. 147 (S. 205 ff.), Nr. 151 (S. 264 ff.), Nr. 152 (S. 283 ff.), Leipzig-Altenburg 1814. 13 Ebda. 14 C. H. des Saint-Simon / A. Thierry, De la réorganisation de la société européenne ou de la nécessite et des moyens de rassembler les peuples de l’Europe en un seul corps politique en conservant à chacun son indépendaner national, Paris 1814. 9

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Mit aufkommender Industrialisierung der europäischen Staaten paarte sich die Notwendigkeit der Bildung internationaler Organisationen. Die zunehmende Erreichbarkeit der europäischen Staaten untereinander ließ den Raum merklich zusammenschrumpfen. So wurden v.a. in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zahlreiche internationale Organisationen gegründet, deren Höhepunkt wohl mit den Haager Friedenskonferenzen 1899 / 1907 erreicht worden war.15 Allerdings waren diese Bündnisse eher aus nationalen Erwägungen motiviert und weniger auf die Schaffung eines „Vereinten Europas“ gerichtet. Das europäische Gleichgewicht geriet dann mit der Einigung Italiens 1859 / 1870 sowie vor allem Deutschlands 1871 neuerdings unter Druck, und das „Europäische Konzert“ löste sich in Teilallianzen auf, die schließlich in die Bildung der Kontrahenten der Achsen- und Mittelmächte im ersten Weltkrieg mündete. Mit den dort angerichteten Schäden „gingen in Europa die Lichter aus“ (Lord Grey). d) Die Zeit zwischen den Weltkriegen – „Einigung oder Untergang“ Nach der Überwindung der absoluten Monarchien in Europa und dem Anwachsen des Nationalismus erfuhr die europäische Idee einen Tiefpunkt in ihrer historischen Entwicklung. Zwar entstanden aus der Angst vor einem Übergreifen der russischen Oktoberrevolution und der amerikanischen Vormachtstellung regelrechte Untergangsszenarien. Jedoch gab es keine übernationale (schon gar nicht verwandtschaftliche) Verbindung der Monarchien mehr, um hier Einigkeit zu schaffen. Der Parole „sich einigen oder untergehen“ folgend, entwickelten sich zahlreiche Initiativen, die auf eine Einigung Europas gerichtet waren. Sie blieben angesichts des zunehmenden Nationalstaatsprinzips aber in der politischen Praxis nur bedingt erfolgreich: Der Gründung des Völkerbundes 1919 stand die Versailler „Friedenspolitik“ gegenüber, die eher auf Revanchismus und Niederhaltung des Gegners als auf gegenseitige Aussöhnung gerichtet war.16 Indem er das Selbstbestimmungsrecht der Völker, die Souveränität und Gleichheit der Staaten betonte und zu seinen Grundpostulaten machte, wirkte er mehr zur Trennung der Nationen hin.17 Zudem schien durch diesen lockeren Zusammenschluß ein engeres Bündnis in Europa überflüssig zu sein. Bereits 1918, also noch vor Gründung des Völkerbundes, wurde daher Vgl. Th. Oppermann, Europarecht, § 1 Rn. 8. Th. Oppermann, Europarecht, § 1 Rn. 9. Da der Völkerbund zunächst auch an die Friedensverträge gekoppelt war und Deutschland nicht in ihn aufgenommen wurde, erkannte die deutsche Bevölkerung in ihm auch nicht das Friedensinstrument, als das er gedacht war, sondern nur einen weiteren Teil des Versailler Vertragswerkes zur Unterdrückung des Besiegten. Innerhalb Deutschlands traf der Völkerbund daher eher auf Ablehnung. Vgl. dazu R. H. Foerster, Europa, S. 296. 17 Vgl. R. H. Foerster, Europa, S. 296. 15 16

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durch Attilio Cabiati und Giovanni Agnelli dem lockeren Völkerbundzusammenschluß die Idee einer europäischen Föderation mit eigener Verfassung vorgeschlagen.18 Gegen die Unzulänglichkeit des Völkerbundes für eine europäische Einigung richteten sich die Ideen R. Coudenhove-Kalergis, der mit seinem Paneuropäischen Manifest (1923) über die Bildung einer paneuropäischen Zollunion die Gründung der „Vereinigten Staaten von Europa“ anstrebte.19 Mit der Zusammenarbeit Aristide Briands und Gustav Stresemanns, die als Anfang der deutsch-französischen Aussöhnung über den Locarno-Pakt (1925) und die Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund (1926) wirkte, erschien eine europäische Einigung erstmals real möglich und kulminierte vorerst im Briand-Plan für eine Europäische Föderation.20 Nach dem Tod Stresemanns und der Weltwirtschaftskrise gerieten diese Ideen vorerst aber in den Hintergrund und wurden mit dem Rückfall in den extremen Nationalismus des italienisch / deutschen Faschismus weit zurückgeworfen.21 Die Ideologie von der deutschen („Herren“)Rasse als Hegemonialvolk und Ordnungsmacht für Europa pervertierte die Idee einer europäischen Einigung aufs schändlichste.22 Für ein geeintes Europa gleichberechtigter Staaten, wie von früheren Verfechtern der europäischen Idee noch vertreten, konnte hier kein Platz sein. Erst mit dem Zusammenbruch der Mittelmächte und der Besetzung Deutschlands konnte der Wiederaufbau Europas beginnen, der gerade aufgrund der geschichtlichen Erfahrungen aus zwei Weltkriegen unter dem Vorzeichen eines Staatenbündnisses gleichberechtigter europäischer Staaten erfolgen sollte. 2. Der Europagedanke nach 194523 In einer Gesamtschau der Visionen zu einem geeinten Europa wird eines deutlich: Wie ein roter Faden zieht sich der Wunsch nach Frieden und dessen Sicherung als eigentlicher Beweggrund der europäischen Idee durch die Geschichte. In den überwiegenden Vorschlägen zu einem geeinten Europa tritt immer wieder der Gedanke der Friedenssicherung in den Vordergrund. Durch die Überwindung der gesellschaftlichen Unterschiede, unter anderem genährt durch den „Flickenteppichcharakter“ der europäischen Landkarte, sollte den Visionären nach der dauerhafte Friede teils in einem Einheitsstaat oder aber in einem Staatenbündnis gesichert werden.24 Eben diese Idee ist es auch, die der Gründung der Europäischen Gemeinschaften nach 1945 zunächst zugrunde lag. G. Agnelli / A. Cabiatti, Federazione europea o lega delle Nazioni?, Rom 1918. R. N. Coudenhove-Kalergi, Paneuropa, Wien 1923, S. 25 u. 150 ff. 20 L’organisation d’un régime d’union fédérale européenne v. 17. Mai 1930. Im Internet: http: //www.unog.ch/library/archives/french/memo.htm. 21 Th. Oppermann, § 1 Rn. 11. 22 Zur nationalsozialistischen „Europaidee“ näher R. H. Foerster, Europa, S. 310 ff. 23 Einen ausführlicheren Überblick bieten etwa B. Boyce, The Democratic Deficit of the European Community, S. 466 ff., und besonders W. Loth, Der Weg nach Europa. 24 Vgl. etwa I. Kant, Zum ewigen Frieden, 1795. 18 19

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a) Von Zürich 1946 bis Rom 1957 Die Erkenntnis, daß übermäßiger Nationalismus Europa innerhalb eines halben Jahrhunderts gleich in zwei Weltkriege gestürzt hatte, machte es notwendig, die kriegführenden Staaten in ein supranationales Bündnis einzubinden, um jedwede weitere Aggression im Keim zu ersticken. Waren auch erste Motive wohl eher die Schaffung von Instrumenten, die in der Lage wären, die deutsche Kriegsindustrie, insbesondere aber die Schwerindustrie im Ruhrgebiet, zu überwachen, ja sogar zu steuern, setzte sich doch mit absehbar dauerhafter Spaltung Europas der Frieden wieder als das Hauptargument durch. Stalins „Eiserner Vorhang“ machte es notwenig, den westlichen, nichtkommunistischen Teil Europas zu einen, um dem sowjetischen Ostblock auf weltpolitischer Ebene ein Gegengewicht bieten zu können. Es war W. Churchill, der in seiner Zürcher Rede am 19. September 1946 von „einer Art Vereinigte Staaten von Europa“ sprach.25 Entscheidend dabei würde eine deutsch-französische Aussöhnung sein, ohne die ein solches Projekt von Anfang an zum Scheitern verurteilt wäre: „We must build a kind of United States of Europe. In this way only will hundreds of millions of toilers be able to regain the simple joys and hopes which make life worth living. [ . . . ] I am now going to say something that will astonish you. The first step in the re-creation of the European Family must be a partnership between France and Germany. In this way only can France recover the moral and cultural leadership of Europe. There can be no revival of Europe without a spiritually great France and a spiritually great Germany.“26

In den folgenden Jahren nahmen zahlreiche nicht-staatliche Organisationen, die sich dem europäischen Gedanken verschrieben hatten, ihre Arbeit auf.27 Im wesentlichen aus den Widerstandsbewegungen entwickelt, hatten sie – anders als W. Churchill – einen einheitlichen Föderalstaat vor Augen, der sich ganz im Gegensatz zu britischen Plänen eines gegen den Ostblock gerichteten Bündnisses in Richtung eines libertären Sozialismus entwickeln sollte. W. Churchill nutzte seinen Einfluß auf die Europapolitik über die von ihm 1947 gegründete United Europe Movement (UEM), um den ehrgeizigen Plänen der Föderalisten – seit Dezember 1947 in der Union Européenne des Fédéralistes (UEF) organisiert – entgegenzutreten. In Gründung der „Europäischen Bewegung“ gelang es Duncan Sandys, ein Schwiegersohn Churchills, einige Europa-Bewegungen in quasi „feindlicher Über25 Abgedruckt in Auszügen bei C. Gasteyger, Europa zwischen Spaltung und Einigung, S. 39 f. Zu den Plänen bzw. Vorstellungen W. Churchills für die Nachkriegsordnung in Europa vgl. M. Beloff, Britain and European Union, S. 51 ff. 26 W. Churchill, Speech to the Academic Youth, Zürich am 19. September 1946 (vollständiger Wortlaut im Anhang). 27 Zu denken ist hier insbesondere an die Europa-Union (1946), aus der dann die europäischen Föderalisten hervorgingen (1946), sowie dem britischen United Europe Movement (1947), dem Conseil Francais pour l’Europe und der Parlamentarierunion (1947), in der die Paneuropa-Union aufging. Vgl. dazu auch F. Niess, Europäische Begriffsverwirrungen, S. 1105 ff.

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1. Teil: Einleitung

nahme“ aufzusaugen.28 In umfassender Koordinierung dieser Einzelbestrebungen kam es dann 1948 zum Europa-Kongreß in Den Haag, wovon wichtige Impulse für die Gründung des Europarates (1949) ausgingen., in dem jedoch die Unionisten unter Sandys und Churchill den Ton angaben und den ehrgeizigen Plänen der UEF unter H. Brugmanns endgültig eine Absage erteilte. Dieses internationale Komitee der Bewegung für die Einheit Europas benannte sich 1948 um und bildete fortan als „Europäische Bewegung“ die Dachorganisation der verschiedenen Europaverbände.29 Der ursprünglich private Impetus für die Einigung Europas war auf die Politik übergegangen.30 Das allgemeine Europabewußtsein, welches sich nach dem Krieg ausgebildet hatte, führte, von der sowjetischen Machtübernahme in der Tschechoslowakei und der Berlin-Blockade beeindruckt, zu konkreteren Schritten hin zu einem europäischen Einigungswerk. Die Erkenntnis, daß die europäische Wirtschaft stärker geschwächt war als ursprünglich angenommen, machte es erforderlich, den nationalen Protektionismus und den weiteren Reparationstransfer von Deutschland an die kriegsgeschädigten Staaten einzudämmen. Um der Ausdehnung des sowjetischen Einflußbereiches entgegenzuwirken, war es unumgänglich, auch zumindest den westlichen Teil Deutschlands in den Wiederaufbau mit einzubeziehen. 31 Der – insbesondere französischen – Sorge eines unkontrollierten Wiederaufstiegs Deutschlands sollte dadurch begegnet werden, den Wiederaufbau durch ein europäisches Lenkungsorgan zu koordinieren. 1948 wurde als Folge des Marshall-Planes (1947) auf wirtschaftlicher Ebene die Organisation für Europäische Wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC) gegründet.32 Auf allgemeinpolitischer Ebene gründete sich 1949 der Europarat als Gremium dauerhafter staatenübergreifender Zusammenarbeit. Insbesondere die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte (1950) dokumentiert dessen Bekenntnis zu den Grundwerten parlamentarischer Demokratie und des Rechtsstaates.33 Aufgrund der vielschichtigen Partikularinteressen war der Europarat allerdings bereits in seinem Gründungszustand unfähig, Churchills Idee von den „Vereinigten Staaten von Europa“ zu verwirklichen.34 Problematisch erwies sich hier schon der Gegensatz zwischen Frankreich, das zu weitgehenden Integrationsschritten bereit F. Niess, Europäische Begriffsverwirrungen, S. 1107 f. Hierzu ausführlich W. Loth, Der Weg nach Europa, S. 52 ff.; F. Niess, Europäische Begriffsverwirrungen, S. 1109 ff. 30 F. Niess, Europäische Begriffsverwirrungen, S. 1110. 31 Zu den Motiven für eine engere Kooperation der Westeuropäischen Staaten näher in P.J. Kapteyn / P. Ver Loren van Themaat, Introduction to the Law of the European Communities, S. 2 ff.; A. Arnull, European Union Law, S. 3 ff. 32 Näher in W. Loth, Der Weg nach Europa, S. 48 ff.; C. Gasteyger, Europa zwischen Spaltung und Einigung, S. 54 ff. 33 Ausführlich zum Europarat Th. Oppermann, Europarecht, § 2. s. ferner auch R. Streinz, Europarecht, Rn. 57a f. sowie P. Häberle, Europäisches Verfassungsrecht, S. 59 ff. 34 Vgl. Th. Oppermann, Europarecht, § 1 Rn. 18. 28 29

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war, und Großbritannien auf der anderen Seite, das in einer engeren Bindung an Kontinentaleuropa eine Gefahr für seine Interessen im Commonwealth erkannte und eher zurückhaltend agierte.35 Da eine gemeinsame europäische Zollunion damit nur schwer vereinbar erschien, mußten die Briten zwangsläufig Abstand gewinnen. Anstelle einer Europäischen Föderation bevorzugten sie daher eher die Integration in den Commonwealth36: „There is no reason why a regional organization of Europe should in any way conflict with the world organization of the United Nations. [ . . . ]There is already a natural grouping in the western hemisphere. We British have our own Commonwealth of Nations. These do not weaken, on the contrary they strengthen, the world organization. They are in fact its main support.“37

Großbritannien befand sich daher in einer schwierigen Situation, denn seit Churchills Rede in Zürich sah es sich auf der anderen Seite immerhin als eine Art Schutzpatron für das kontinentale Europa: „Great Britain, the British Commonwealth of Nations, mighty America and I trust Soviet Russia – for then indeed all would be well – must be the friends and sponsors of the new Europe and must champion its right to live and shine.“38

Die zunehmende Bedrohung seitens der Sowjetunion mit ihrem weit ausgreifenden Machtanspruch über Europa verhinderte letztlich einen vollständigen Rückzug aus der Europaidee. Britisches Engagement für die europäische Integration war gefordert, jedoch mußte eine so enge Verbindung mit dem Kontinent verhindert werden, die das Empire bei einem Scheitern des Projektes mit in den Untergang hineingezogen hätte.39 Das Hauptaugenmerk richtete sich somit weniger auf die wirtschaftliche als die politische Stabilisierung Europas, um einer Expansion des sowjetischen Einflußbereiches entgegenzuwirken. Trotz entscheidender Anstöße für die europäische Einigung stellte sich der Europarat damit eher als „wolkiges Phänomen“40 dar. Aus diesem Grund suchte der französische Außenminister Robert Schumann auf weniger „ehrgeizigen“ Pfaden eine Montanunion zu verwirklichen, in der, auf die Idee Jean Monnets zurückgehend, die Gesamtheit der französischen und deutschen Stahlproduktion unter Kontrolle einer Zentralbehörde (Hohe Behörde) gestellt würde.41 Dieser sogenannte Dazu später mehr in Teil 2. Nach W. Churchills Vorstellung gab es drei Hauptinteressen britischer Außenpolitik: Die Beziehungen zu den Commonwealth-Staaten, die Sonderbeziehungen zu den USA und an dritter (!) Stelle die Beziehungen zum Kontinent; vgl. dazu F. Gilbert / D.C. Large, The End of the European Era, S. 422. 37 W. Churchill, Speech to the Academic Youth, Zürich am 19. September 1946 (vollständiger Wortlaut im Anhang). 38 W. Churchill, Speech to the Academic Youth, Zürich am 19. September 1946 (vollständiger Wortlaut im Anhang). 39 Vgl. W. Loth, Der Weg nach Europa, S. 76 f. 40 Vgl. H. Schulze, Phoenix Europa, S. 459. 35 36

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„Schumann-Plan“ verfolgte mehrere Ziele: Zum einen suchte er, eine europäische Einigung auf eher zu realisierender Ebene zu verwirklichen. Das Scheitern der Zollunion gab hier entscheidende Anstöße. Zum anderen sollte das supranationale Element, das dem Europarat noch fehlte, in der Montanunion Umsetzung finden. Schließlich war die französische Position durch die Gründung der Bundesrepublik Deutschland unter Zugzwang geraten. Der britische Vorstoß zur Aufstellung eines eigenen deutschen Truppenkontingents tat sein übriges. Aus französischer Perspektive drohte somit ein erneutes Erstarken Deutschlands, das sich eventuell sogar zur Herbeiführung der deutschen Einheit mit der Sowjetunion verbünden könnte. Über die Montanunion konnte es aber gelingen, die deutsche Stahlindustrie – und damit den wesentlichen Rüstungsfaktor – unter Kontrolle zu halten und zugleich den amerikanischen Vorgaben – Deutschland so schnell wie möglich wirtschaftlich wiederaufzubauen – folgen zu können.42 Darüber hinaus sollte die Montanunion allerdings auch die „erste Etappe zur Europäischen Föderation“ bilden.43 Da es der britischen Administration nicht gelang, auf dem Verhandlungswege einem solchen Zusammenschluß das supranationale Element zu nehmen, weigerte sie sich, einem solchen System beizutreten.44 Neben der Befürchtung, diese Organisation würde die eigene Kohleproduktion behindern, bereitete die Angst vor einer Einschränkung des Handels mit den Commonwealth-Staaten ein wesentliches Hindernis für einen Beitritt.45 Die Montanunion bzw. die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) umfaßte bei ihrer Gründung am 15. April 1951 daher nur Frankreich, Italien, Deutschland und die Benelux-Staaten. Die Briten sahen sich dagegen immer noch mehr dem Commonwealth verbunden46 und leiteten damit eine langwährende Trennung von den Staaten Kontinentaleuropas ein.47 Mangelndes Selbstbewußtsein der kontinentaleuropäischen Staaten, auch ohne britische Beteiligung ein supranationales westeuropäisches Bündnis zu schaffen, verhinderte auch forthin größere Fortschritte in den übrigen europäischen Institutionen hin zu einer Integration Westeuropas. So scheiterte das Vorhaben, im Rahmen der OEEC, einzelne Wirtschaftssektoren über die Errichtung eines Modernisierungsfonds zu liberalisieren, vorerst am britischen Widerstand gegen eine supraR. Schumann, Erklärung über eine Montanunion, S. 680. Vgl. W. Loth, Der Weg nach Europa, S. 69; A. Arnull, European Union Law, S. 3 ff. 43 R. Schumann, Erklärung über eine Montanunion, in: Europa. Dokumente zur Frage der europäischen Einigung, hrsg. v. Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, II, S. 680. 44 Dazu bei W. Loth, Der Weg nach Europa, S. 83. 45 F. Gilbert / D.C. Large, The End of the European Era, S. 393. 46 Vgl. Statement der Labour-Party, v. 31. Mai 1950, „European Unity“, zit. nach: C. Church, D. Phinnemore: European Union and European Community, London, 1994, S. 34. 47 Vgl. F. Gilbert / D.C. Large, The End of the European Era, S. 393; W. Loth, Der Weg nach Europa, S. 76 ff. 41 42

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nationale Wirtschaftsintegration über den Montanbereich hinaus.48 Ebenfalls stieß der Plan, im Europarat Mehrheitsentscheidungen in Fragen der Menschenrechte, der Wirtschaftspolitik und der europäischen Sicherheit zu etablieren, auf wenig Gegenliebe. Angesichts der Ankündigung, sich aus dem Europarat zurückzuziehen, gaben die meisten Abgeordneten dieses Vorhaben wieder auf.49 Die vermeintlich wachsende Bedrohung Westeuropas durch die Sowjetunion – zusätzlich geschürt durch den Koreakrieg – unterstrich die Forderung nach einer Wiederbewaffnung Westdeutschlands. Um jedoch ein neues militärisches Erstarken Deutschlands und damit eine weitere Bedrohung Westeuropas zu verhindern, sollten diese Streitkräfte in ein westliches Verteidigungsbündnis integriert werden. Motiviert durch die anfänglichen Erfolge der Montanunion kam somit 1952 der Plan zur Gründung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) auf.50 Als größter Stolperstein erwies sich jedoch die Frage der Truppenstärke und eigenem deutschen Kommando. 1954 scheiterte dieses ehrgeizige Projekt am Widerstand der französischen Nationalversammlung, die u. a. den Rückzug amerikanischer Truppenpräsenz in Europa fürchtete.51 Die militärische Integration Deutschlands erfolgte statt dessen im Rahmen der 1949 gegründeten NATO. Ebenfalls von wenig Erfolg gekrönt, mißglückte 1954 auch die Europäische Politische Gemeinschaft (EPG). Um dem mit der EVG zu schaffenden EuropaHeer eine politische Autorität zu geben, sollte in einem weiteren Schritt europäischer Integration eine neue supranationale Organisation geschaffen werden. Dieses Vorhaben scheiterte allerdings zunächst an unüberwindbaren Gegensätzen von Befürwortern einer reinen politischen Zusammenarbeit (Frankreich) und solchen einer weitergehenden wirtschaftlichen Zusammenarbeit in Form einer Zollunion (Niederlande) und endgültig mit Aufgabe der EVG, mit der es so eng verbunden war.52 Diese Rückschläge vermochten indes keinesfalls den Weg zu einer engeren europäischen Einigung zu stoppen. Um nach dem Scheitern der politischen Einigung unter Hinzuziehung einer Europa-Armee erneute Impulse ohne größere Widerstände geben zu können, ging von der Hohen Behörde zunächst die Idee aus, die Montanunion auf weitere Industriezweige auszuweiten. Insbesondere die Atomenergie bot sich als Hoffnungsträger an. Um aber die Bundesrepublik dauerhaft an den Westen binden zu können, wurde eine Wirtschaftsunion als unumgänglich angesehen. Die Außenministerkonferenz von Messina 1955 führte schließlich über Vgl. W. Loth, Der Weg nach Europa, S. 88. Vgl. W. Loth, Der Weg nach Europa, S. 89. 50 Dazu A. Arnull, European Union Law, S. 4 f. 51 Vgl. W. Loth, Der Weg nach Europa, S. 105 ff.; Th. Oppermann, Europarecht, § 1 Rn. 17, P. J. Kapteyn / P. Ver Loren van Themaat, Introduction to the Law of the European Communities, S. 9 ff. Mehr zur EVG bei D.W. Urwin, The Community of Europe, S. 60 ff. 52 Vgl. W. Loth, Der Weg nach Europa, S. 97 ff.; A. Arnull, European Union Law, S. 6 f.; D.W. Urwin, The Community of Europe, S. 64 f. 48 49

3 Hupka

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den Spaak-Bericht 1956 zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG) im Rahmen der Römischen Verträge von 1957.53 Zwar normierten diese Verträge jeweils selbständige Organisationen, doch waren sie eng miteinander verbunden, denn gleichzeitig mit den Verträgen zu EAG und EWG schlossen die Mitgliedstaaten ein Abkommen über gemeinsame Organe der EG54. Folgerichtig führte dann auch der „Fusionsvertrag“ 196555 zur Zusammenlegung der beiden wichtigsten Organe der EG, Kommission und Rat, zu jeweils einem einheitlichen Organ.56 b) Von den Europäischen Gemeinschaften zur Europäischen Union Mit den Römischen Verträgen wurde eine Entwicklung in Gang gesetzt, die aufgrund der fortschreitenden sektoralen Integration der Mitgliedstaaten Sachzwänge erzeugen sollte, an deren Ende die Wirtschaftsgemeinschaft schließlich in einer unauflöslichen politischen bzw. bundesstaatlichen Verbindung stehen sollte.57 Was hinsichtlich dieser Visionen unterschätzt wurde, waren politische Sonderentwicklungen innerhalb der Mitgliedstaaten, die hin und wieder den Prozeß der fortschreitenden Integration bremsen oder gar zeitweilig ganz aufhalten konnten. Da die europäische Integration auf dem politisch-voluntativen Element aufbaute, vermochten die Römischen Verträge dieser Entwicklung nichts entgegenzusetzen. Den Visionen von den „Vereinigten Staaten von Europa“ setzte der französische Staatspräsident De Gaulle sein Verständnis vom „Europa der Vaterländer“ entgegen.58 Danach lehnte er es ab, Europa weiter in Richtung eines föderativen Bündnisses zu entwickeln, sondern setzte statt dessen auf eine verstärkte Zusammenarbeit der nationalen Regierungen. Die hierauf basierenden, nach dem französischen Chefdeligierten benannten „Fouchet-Pläne“ scheiterten an dem Mißtrauen anderer EWG-Staaten, diese könnten zu einer Herabstufung der EWG führen. Früchte trug in dieser Hinsicht nur der deutsch-französische Elysee-Vertrag der als Ausfluß der Fouchet-Pläne wichtige Impulse in der deutsch-französischen Aussöhnung geben konnte.59 Zu dieser Entwicklung vgl. D.W. Urwin, The Community of Europe, S. 43 ff. Abkommen über gemeinsame Organe für die Europäischen Gemeinschaften vom 25. März 1957 (BGBl. II, S. 1156). Zur Entwicklung A. Arnull, European Union Law, S. 8 f. u. 22 ff. 55 Vertrag zur Einsetzung eines gemeinsamen Rates und einer gemeinsamen Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 8. April 1965 (BGBl. II, S. 1454). 56 Zu der Organisationsstruktur der EG vgl. näher M. Hilf, Die Organisationsstruktur der Europäischen Gemeinschaften, S. 16 ff. sowie A. Arnull, European Union Law, S. 21 ff. 57 Vgl. Th. Oppermann, Europarecht, Rn. 24. Bekannt wurde diese Entwicklung auch als sog. „Spill-Over-Effekt“, E.B. Haas, The Uniting of Europe, S. 283 ff. 58 Dazu D.W. Urwin, The Community of Europe, S. 101 ff. 59 Vgl. Th. Oppermann, Europarecht, Rn. 27. 53 54

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Wie ein „Europa der Vaterländer“ in der Praxis aussehen sollte, demonstrierte De Gaulle in den folgenden Jahren im Zusammenhang mit dem Aufnahmebegehren Großbritanniens in die EWG. Nachdem sich die EWG entgegen britischer Vorstellungen positiv zu entwickeln schien, versuchte der Inselstaat vergeblich (1963 und 1967), Aufnahme in die Wirtschaftsgemeinschaft zu erhalten.60 Jedesmal scheiterten diese Versuche an einem französischen Veto, das – unabhängig von den anderen Mitgliedern geäußert – dem Inselreich vorläufig die Fähigkeit absprach, sich dauerhaft den Regeln des gemeinsamen Marktes unterwerfen zu können.61 De Gaulles Vorstellungen von einer dauerhaften franko-germanischen Hegemonie über Europa vertrugen sich nicht mit der Aufnahme ökonomisch starker Staaten wie Großbritannien oder auch Schweden.62 Erst im dritten Anlauf 1973 wurde Großbritannien Mitglied der EWG.63 Aber auch intern zeichnete sich deutlich ab, als es 1965 zu einer ernsten Verfassungskrise der EWG kam. Über die sog. „Politik des leeren Stuhls“ erzwang Frankreich durch den „Luxemburger Kompromiß“ ein Festhalten an dem Einstimmigkeitsprinzip bei Entscheidungen im Rat.64 Hatte es Frankreich somit unter De Gaulle geschafft, weitere entscheidende integrierende Schritte zu verhindern und Großbritannien von den EG fernzuhalten, blieben diese Schritte für den europäischen Einigungsprozeß eher destruktiv, da die übrigen Mitgliedstaaten die französische Doktrin vom „Europa der Vaterländer“ nicht übernahmen. Erst mit dem Scheiden De Gaulles aus der Regierungsverantwortung konnten auf der Haager Gipfelkonferenz von 1969 neue Fortschritte gemacht werden. Die EG gab sich eine neue Finanzverfassung und vereinbarte, die Schaffung einer Wirtschafts- und Währungsunion zu prüfen.65 Ähnlich dem späteren Delors-Plan 60 Wesentlich für ein Umschwenken der britischen Europapolitik dürfte aber wohl auch der Regierungswechsel 1956 gewesen sein: Fürchtete noch die Labour-Regierung den Verlust gerade erst errungener Vorteile für die „Arbeiter-Klasse“, insbesondere dem Kündigungsschutz, sowie die Erschwerung der angestrebten Verstaatlichung der Stahl- und Kohleindustrie unter einer europäischen supernationalen Organisation, standen für die Konservativen die Stärkung eben dieses Industriezweiges im Vordergrund. Schließlich verlor das Argument der funktionierenden Beziehungen zum Commonwealth mit der steigenden Zahl unabhängiger Staaten an Gewicht. Mit der Suez-Krise von 1956 und speziell dem (für Großbritannien überraschenden) Umschwenken der amerikanischen China-Politik zielte die neue Politik der britischen Regierung unter Edward Heath ab 1970 zudem auf eine engere Zusammenarbeit mit Kontinentaleuropa und einem Lockern der britisch-amerikanischen Beziehungen, wodurch auch der zweite, die Beziehungen zu Europa überlagernde Interessenschwerpunkt entfiel. Dazu ausführlich in F. Gilbert / D.C. Large, The End of the European Era, S. 421 ff. und S. 483 f. 61 De Gaulle sprach in diesem Zusammenhang auch von dem „Inselstaat, ausgerichtet auf die See“. 62 A. Volle, Der mühsame Weg Großbritanniens nach Europa, S. 463. 63 Dazu mehr unten in Teil 2 unter B.III. 64 Dazu mehr unten unter B.III.2.; s. auch D.W. Urwin, The Community of Europe, S. 113 ff. 65 Vgl. G. Hitzler, Die Europäische Union, S. 24.

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1. Teil: Einleitung

sah eine so eingesetzte Kommission eine dreistufige Entwicklung vor, die 1978 schließlich in das Europäische Wechselkurssystem (EWS) und die Schaffung einer Europäischen Währungseinheit (European Currency Unit = ECU) mündete. Im Rahmen der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA)66 vom 17. Februar 1986 bzw. 28. Februar 1986 bekräftigten die Mitgliedstaaten der EG die Vertiefung der bestehenden Systeme und die Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion. Die fortan tagende Delors-Kommission verabschiedete 1989 ihren Bericht, in der die Verwirklichung der Währungsunion in drei Etappen vorgeschlagen wurde. Nach der Liberalisierung des Kapitalverkehrs (erste Stufe) 1990 und der engeren Abstimmung der gemeinsamen Wirtschafts- und Währungspolitiken (zweite Stufe) 1994 wurde die Währungsunion mit der Einrichtung der Europäischen Zentralbank (EZB) und dem Europäischen Zentralbanksystem (EZBS) und der Einführung des EURO als Gemeinschaftswährung 1999 bzw. als offiziellem Zahlungsmittel 2001 verwirklicht.67 Zur Absicherung der einheitlichen Währungspolitik wurde auf Druck des deutschen Finanzministers Th. Waigel 1997 der Europäische Stabilitätsund Wachstumspakt68 vereinbart, der über einen Sanktionsmechanismus die Einhaltung der sog. „Maastricht-Kriterien“ 69 sicherstellen soll. ABl. L 1987 / 169, 1. Näher A. Arnull, European Union Law, S. 14 ff. Vgl. näher G. Hitzler, Die Europäische Union, S. 25 f. Am 3. Mai 1998 fällte der Europäische Rat in Brüssel in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs nach Art. 121 Abs. 4 EGV die Entscheidung über den Kreis der an der dritten Stufe der WWU teilnehmenden Staaten. Auf Grundlage der Empfehlung des EWI, der Stellungnahme der Kommission, Art. 121 Abs. 1 EGV, sowie EP und ECOFIN-Rates, Art. 121 Abs. 2 EGV bestätigte er insgesamt elf Staaten die Teilnahmefähigkeit an der Endstufe der WWU. Ausgenommen Griechenland und Schweden, das über die Nichtanpassung des Zentralbanksystems quasi „freiwillig“ auf eine Teilnahme verzichtet, hatten alle Mitgliedstaaten die Konvergenzkriterien zum Eintritt in die dritte Stufe erfüllt. Dänemark und Großbritannien optierten gemäß ihres Sonderstatus für eine Nichtteilnahme. Die britische Labour-Regierung unter Blair will den Eintritt von dem Ergebnis eines Referendums abhängig machen, dessen Termin zur Zeit unbekannt ist, angesichts derzeitiger mehrheitlicher Ablehnung in der Bevölkerung aber wohl vorerst auch unwahrscheinlich ist – vgl. zuletzt The Guardian v. 7. 5. 2003, „Cabinet Ministers ,in dark‘ on Treasury view of joining euro“, im Internet: http: //www.guardian. co.uk/euro/story/0,11306,950807,00.html. 68 Formal gesehen besteht der Pakt aus drei Elementen: der Entschließung des Europäischen Rates über den Stabilitäts- und Wachstumspakt (Amtsblatt Nr. C 236 vom 02 / 08 / 1997 S. 0001 – 0002), der Verordnung (EG) Nr. 1466 / 97 des Rates vom 7. Juli 1997 über den Ausbau der haushaltspolitischen Überwachung und der Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitiken (Amtsblatt Nr. L 209 vom 02 / 08 / 1997 S. 0001 – 0005) und der Verordnung (EG) Nr. 1467 / 97 des Rates vom 7. Juli 1997 über die Beschleunigung und Klärung des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit (Amtsblatt Nr. L 209 vom 02 / 08 / 1997 S. 0006 – 0011). Auf der Tagung des Europäischen Rates vom 22. / 23. März 2005 haben die Finanzminister eine politische Einigung über die Verbesserung der Umsetzung des Stabilitäts- und Wachstumspakts erzielt – dazu FAZ v. 22. März 2005, „Die Schuldenunion“ und „Experten sehen Freibrief für Schlendrian“. 69 Dies sind die Konvergenzkriterien gem. Art. 121 Abs. 1 S. 3 SpStr. 1 – 4 EGV: eine Inflationsrate von weniger als 1,5% über der der drei Mitgliedstaaten mit der höchsten Preisstabilität, einer Staatsverschuldung, die sich zumindest einem Referenzwert von 60% des 66 67

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Auf politischer Ebene setzte der zunehmende „Spill-Over-Effekt“ – zurückgehend auf die Ausweitung von Kompetenzen in neue Bereiche –neue Impulse und trieb 1976 die längst überfällige Demokratisierung der EG zumindest ein Stück weit voran, als die nach Art. 138 Abs. 3 EWG geforderte Direktwahl des Europäischen Parlamentes verwirklicht wurde. Freilich blieb das Parlament in seiner Funktion vorwiegend beratend. Der unbefriedigenden Situation des Europäischen Parlamentes,70 der Zunahme von Tätigkeitsfeldern sowie der Aufnahme neuer Staaten – ab 1973 zählte die EG mit den neuen Mitgliedern Großbritannien, Irland und Dänemark nunmehr neun Staaten; 1981 kamen Griechenland71 und 1986 Spanien und Portugal hinzu72 – sah sich das bestehende Vertragswerk nur schwerlich gewachsen, so daß ein Reformdruck entstand, der schließlich in die EEA mündete, die als weiterer Meilenstein auf dem Weg in die Europäische Union wesentliche Schritte unternahm.73 Die EEA gab damit entscheidende Anstöße für die weitere Einigung, die 1992 im Vertrag von Maastricht (EU-Vertrag)74 gipfelte, der die in der EEA beabsichtigte Gründung der Europäischen Union (EU) zum Inhalt hatte. Basierend auf den EG als den „Drei Pfeilern“ der EU, wurden die Europäischen Gemeinschaften auf ein neues einheitliches Vertragswerk gestellt. Entwickelte sich die wirtschaftliche Einigung rasant weiter, blieb die politische dennoch weit hinter der Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion gemäß dem „EGV-Fahrplan“ (Art. 102a ff.) zurück.75 BIP nähert, einer Nettokreditaufnahme von nicht mehr als 3% des BIP und eine dauerhaft erreichte Konvergenz der Zinssätze und Teilnahme am Wechselkursmechanismus. 70 Ursprünglich als Kontroll- und Beratungsorgan konzipiert, konnte das EP in zahlreichen Vertragsreformen seine Rechte ausweiten (so z. B. die Verträge v. 22. 4. 1970 und 22. 7. 1975, ABl. L 1971 / 2 und 1977 / 359; Einheitliche Europäische Akte (EEA) v. 28. 2. 1986, ABl. L 1987 / 169; „Haushaltsverfahren“ v. 30. 6. 1982, ABl. C 1982 / 194; Vertrag über die Europäische Union v. 7. 2. 1992, ABl. C 1992 / 191). So verfügt es heute über informierende und sanktionierende Kontrollrechte. Primär bezieht sich die Kontrolle auf die Kommission, obgleich das Parlament in Abstimmung mit den Organen seine Kontrolle auf den Rat ausgedehnt hat. Zu einem „vollwertigen“ Parlament fehlen dem EP Initiativrechte, die im wesentlichen der Kommission vorbehalten sind, und die Befugnis für die abschließende Beschlußfassung, die beim Rat liegt. Beschlüsse des EP werden mit einfacher Mehrheit gefaßt. Ausnahmen sind je nach Rechtssetzungsverfahren vorgesehen. Zudem reflektiert die bestehende Verteilung der Sitze im EP nicht die Bevölkerungsstärken der Mitgliedsländer (A. Kirman / M. Widgrén, Voting in the European Union, S. 425). Beispielsweise repräsentieren die Abgeordneten Luxemburgs 200 000 Wähler, wohingegen in Deutschland 8 Mio. Wähler einen Abgeordneten bestimmen. Die Wahlen zum EP sind laut EGV geheim und frei, aber es fehlt das z. B. in Deutschland in Art. 38 GG verankerte Prinzip der Gleichheit der Wahl. 71 Dazu P. Dagtoglou, Die Süderweiterung der Europäischen Gemeinschaft – der Beitritt Griechenlands. 72 Zu den Erweiterungen der EG / EU vgl. A. Arnull, European Union Law, S. 9 ff.; C.-D. Ehlermann, Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft, Rechtsprobleme der Erweiterung, der Mitgliedschaft und der Verkleinerung. 73 Dazu Th. Opermann, Europarecht, Rn. 39 ff. 74 ABl. C 1992 / 244, 1. 75 Seit 1970 arbeiteten die Mitgliedstaaten auf der Grundlage des Davignon-Berichts zunächst informell auch auf politischer Ebene zusammen – seit dem Scheitern der EVG ein

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1. Teil: Einleitung

Da mit der „EFTA-Erweiterung“ um Finnland, Österreich und Schweden die Union weiter angewachsen war, sich bereits viele osteuropäische Staaten für einen Beitritt zu interessieren begannen und eine wirtschaftliche Union ohne Fortschritte in der politischen Union nicht für dauerhaft lebensfähig gehalten wurde, hielt man eine weitere Regierungskonferenz für notwendig, die über die notwendigen Reformen beraten sollte. Die entscheidenden Reformen, die die EU für die Aufnahme weiterer Staaten bis hin zu einer Union der 20 oder der 30 befähigen sollte, unterblieben jedoch, so daß der Amsterdamer Vertrag sich im wesentlichen durch eine Stärkung der Position des Europäischen Parlamentes auszeichnet.76

II. Verfassungsfähigkeit und Verfassungsnotwendigkeit Die Frage nach der Notwendigkeit einer Verfassung kann nicht allein danach beantwortet werden, ob es einer Verfassung bedarf, weil eine solche bislang nicht existent sei. Immerhin wird überwiegend angenommen, die Europäische Union habe eine Verfassung in Form der bestehenden Gemeinschaftsverträge (bislang noch in der Fassung des Vertrags von Nizza).77 Aus diesem Grunde ist zu erörtern, inwieweit die Europäische Union gerade heute (d. h. innerhalb des sog. „PostNizza-Prozesses“) eine (neue?) Verfassung benötigt. Zuvor soll jedoch zunächst das Augenmerk auf die Verfassungsfähigkeit der Europäischen Union gerichtet werden.

1. Verfassungsfähigkeit der Europäischen Union Die Verfassungsfähigkeit der Europäischen Union ist stark abhängig von dem zugrunde gelegten Verfassungsverständnis. Sollen Verfassungsverständnisse erläutert werden, um der Europäischen Union eine „Verfassungsfähigkeit“ zu bescheinigen, darf das Augenmerk sich gerade nicht auf allein deutsche Verständnisse richten, sondern muß vielmehr über die Grenzen hinweg gemeineuropäische Verfasweiterer Fortschritt auf eine politische Union zu. Über die sich in den 80’er Jahren entwikkelnde Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ), die über die EEA eine Institutionalisierung erfuhr, entwickelte sich die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) als sog. „zweite Säule“ der Europäischen Union des Vertrages von Maastricht, vgl. G. Hitzler, Die Europäische Union, S. 26 f. Bedauerlicherweise wurde jedoch versäumt, diese positive Entwicklung im Vertrag von Amsterdam fortzusetzen und die GASP im Gegensatz zu Teilen der PJZS nicht aus der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit heraus in die überstaatliche zu überführen. 76 Näher A. Arnull, European Union Law, S. 17 f. 77 Bejahend etwa P. Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 198; eine Übersicht über die unüberschaubaren Literatur zu diesem Thema findet sich bei G. Nicolaysen, Der Streit zwischen dem deutschen Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof, S. 94 (FN 12).

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sungsverständnisse einfangen. Angesichts des hohen Stellenwertes deutscher Verfassungstheorien78 liegt das Hauptaugenmerk zunächst auf diesen.79 a) Relativierung des Staatsbegriffs Nach klassischem Verständnis war der Begriff der Verfassung immer eng an den des Staates geknüpft,80 ja wird geradezu dem Staat „präkonstitutionelle Bedeutung“ beigemessen.81 Unter dieser Prämisse könnte der Europäischen Union die Verfassungsfähigkeit nur zuerkannt werden, wenn sie zugleich als Staatsgebilde anzusehen ist. Dies wird teilweise mit Blick auf die klassische Drei-ElementeLehre (G. Jellinek) abgelehnt.82 Doch muß hinterfragt werden, ob dies zu Recht geschieht. Nach klassischem Verständnis ist die Staatsqualität eines Gemeinwesens von den Faktoren Staatsgebiet, Staatsgewalt und Staatsvolk abhängig.83 Unter dem Eindruck der sich ständig verstärkenden europäischen Integration muß diese Lehre jedoch relativiert werden, kann sie in ihrer Absolutheit keinen Geltungsanspruch mehr erhalten.84 So erfüllen die Staaten der Europäischen Union schon selbst nicht mehr in vollem Umfang die Kriterien der klassischen drei Elemente: Mit der Einführung von Unionsbürgerschaft (Art. 17 EGV), Übertragung zentraler Rechtssetzungsbefugnisse, Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor nationalem (auch Verfassungs-!)Recht, der Schaffung von den Mitgliedstaaten unabhängiger Institution, sowie nicht zuletzt mit der Übertragung der Währungshoheit verfügen die Mitgliedstaaten schon nicht mehr über eine eigene unbegrenzte Staatsho78 Für einen Überblick s. P. Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 6; I. Pernice, Europäisches und nationales Verfassungsrecht, S. 163 ff.; K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 61 ff., 70 ff. 79 Zum englischen Verständnis weiter untern in Teil 3 unter B.III.1. 80 Genannt seien v.a. die Ansätze in der Weimarer Klassik von R. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 189: „Die Verfassung ist die Rechtsordnung des Staates, genauer des Lebens, in dem der Staat seine Lebenswirklichkeit hat, nämlich seines Integrationsprozesses“ (Verfassung als Integration), C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 3: „Das Wort ,Verfassung‘ muß auf die Verfassung des Staates begrenzt werden“. Aus der heutigen Literatur vgl. allein J. Isensee, HStR I, § 13 Rn. 1: „Verfassung ist nicht zu verstehen ohne Staat. Dieser ist ihr Gegenstand und ihre Voraussetzung“. 81 Kritisch P. Häberle, Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, S. 815 ff. 82 Vgl. etwa D. Grimm, Ohne Volk keine Verfassung, S. 4; P. Kirchhof, Zu schnelle Vereinheitlichung gefährdet Europa, S. 14; J. Isensee, Europa – die politische Erfindung eines Erdteils, S. 123; F. Ossenbühl, Maastricht und das Grundgesetz, S. 634; U. di Fabio, Der neue Art. 23 des Grundgesetzes, S. 202 ff. 83 Vgl. R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 48 ff. 84 Zur Relativierung des Staatsbegriffs, P. Häberle, Europa – Eine Verfassungsgemeinschaft?, S. 105, sowie J.H.H. Weiler, Der Staat „über alles“, JöR 44, S. 91 ff., insbes. S. 130 ff.; E. Klein, Auf dem Weg zum „europäischen Staat“; A. Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, S. 103 ff. u. 163 f.; I. Pernice, Die Notwendigkeit institutioneller Reformen, S. 15 f.; M. Kotzur, Grenznachbarschaftliche Zusammenarbeit in Europa, S. 254 ff.

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1. Teil: Einleitung

heit. Seit Inkrafttreten des Schengener Abkommens erfährt die staatliche Hoheitsgewalt auch im Hinblick auf das Staatsgebiet Relativierungen, als eine vollumfängliche Kontrolle der Ein- und Ausreise nicht mehr stattfinden.85. Auf der anderen Seite muß seit Einführung der Unionsbürgerschaft hinterfragt werden, ob nicht bereits von einem „Europäischen Volk“ gesprochen werden darf.86 Wenn auch nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung, so verfügt die Europäische Union doch über eine eigene Hoheitsgewalt. Die Mitgliedstaaten haben infolge der voranschreitenden Integration mehr und mehr Souveränitätsrechte an die Union abgegeben. Hiernach ist die Union in der Lage, für die Bürger der Mitgliedstaaten unmittelbar geltendes Recht zu setzen.87 Damit aber verliert die Union den Charakter eines bloß völkerrechtlichen Zusammenschlusses, denn Entscheidungen auf völkerrechtlicher Ebene bedürfen der Ratifikation in den jeweiligen Staaten, um dort Geltung beanspruchen zu können. Auf der anderen Seite besitzt die EU keine sog. Kompetenz-Kompetenz, also die Fähigkeit, ihren Zuständigkeitsbereich ausweiten zu können. Sie ist dazu immer noch auf die einseitige Ermächtigung durch die Mitgliedstaaten angewiesen.88 Sieht sich der Staatsbegriff in seiner Absolutheit also hinsichtlich der Mitgliedstaaten notwendig relativiert, darf er auch für das rechtliche Gebilde „Europäische 85 Vgl. dazu jeweils die folgenden Rechtsquellen: Übereinkommen zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen vom 14. Juni 1985: GMBl. 1986, S. 79 ff. ; Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen vom 19. Juni 1990 (Schengener Durchführungsübereinkommens – SDÜ): BGBl. II 1993, Seite 1013 ff. ; Gesetz zum Schengener Übereinkommen vom 19. Juni 1990 betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen vom 15. Juli 1993: BGBl. II 1993, Seite 1010 ff.; Bekanntmachung über das Inkrafttreten des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen vom 14. Juni 1985: BGBl. II 1994, Seite 631 ff.; Vertrag von Amsterdam vom 02. 10. 1997 (BGBl. 1998 II S. 386). 86 Sehr weitgehend hier A. Augustin, Das Volk der Europäischen Union. 87 Vgl. Art. 249 Abs. 2 EGV: „Die Verordnung hat allgemeine Geltung. Sie ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat“. Nach der grundlegenden Entscheidung des EuGH im Fall van Gend en Loos (EuGH Rs. 26 / 62, Van Gend en Loos, Slg. 1963, 1) haben die Verträge auch für die Bürger unmittelbare Geltung: „Die Europäische Gemeinschaft stellt eine neue Rechtsordnung des Völkerrechts dar, zu deren Gunsten die Staaten, wenn auch in begrenztem Rahmen, ihre Souveränitätsrechte eingeschränkt haben; eine Rechtsordnung, deren Rechtssubjekte nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch die Einzelnen sind.“. 88 Auch die Existenz des Art. 308 EGV ändert daran nichts, da ein Tätigwerden auch hier nur im Rahmen des gemeinsamen Marktes und nur zur Verwirklichung der Vertragsziele möglich ist. Zur Frage der eigenen Hoheitsgewalt auch D. Grimm, Braucht Europa eine Verfassung?, S. 25 ff.

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Union“ nicht in aller Absolutheit durchgehalten werden. Zumindest in einem eingeschränkten Rahmen kann daher von der Union doch wenigstens als einem dermaßen staatsähnlichen Gebilde gesprochen werden, daß ihr die Verfassungsfähigkeit mit einem pauschalen Hinweis auf die Drei-Staatselemente-Lehre zu Unrecht abgesprochen würde. In diesem Zusammenhang beginnt sich der Verfassungsbegriff verstärkt vom Staatsbegriff zu lösen, wird zunehmend auch dem supranationalen Verband grundsätzliche Verfassungsfähigkeit zuerkannt.89 Fraglich ist aber bereits, inwieweit die Staatsqualität eines Gemeinwesens überhaupt notwendige Voraussetzung für eine Verfassung darstellt. Der moderne Verfassungsstaat heutiger Prägung stellt nicht den Staat sondern die Verfassung in sein Zentrum. Diese aber soll nicht um des Staates sondern des Menschen Willen da sein. Allein die fehlende Staatsqualität kann daher nicht als Grund für die Verneinung der Verfassungsfähigkeit herangezogen werden.90 Schließlich zeigt sich im internationalen Vergleich ein eher zufälliger Zusammenhang von Staat und Verfassung speziell in der deutschen Staatsrechtslehre: Großbritannien sieht seine – ungeschriebene – Verfassung als Prozeß der politischen Selbstorganisation, die amerikanische Verfassung bezieht sich auf die Gesellschaft, für Frankreich ist die Nation eng mit dem Verfassungsbegriff verzahnt.91 Der Vorbehalt, Europa fehle die Staatlichkeit zur Verfassungsfähigkeit, muß daher relativiert betrachtet werden.92 b) Das kulturwissenschaftliche Verfassungsverständnis Das kulturwissenschaftliche Verfassungsverständnis ermöglicht es, den – zumindest in der deutschen Lehre – vom Staat geprägten Verfassungsbegriff vom klassischen Staatsverständnis zu lösen. Danach ist Verfassung „Ausdruck eines kulturellen Entwicklungszustandes“ und nicht bloß technisch gesehen juristischer Text. In der Verfassung spiegeln sich somit Erfahrungen und Erlebnisse eines Volkes wider, die sich selbst durch die – von der Präambel einmal abgesehen – juristisch-technischen Sprache nicht hinwegleugnen lassen.93 Wie bereits durch die in vielen Verfassungen enthaltenen Präambeln anklingend, ist Verfassung sowohl Spiegelbild 89 Vgl. S. Hobe, Bedingungen, Verfahren und Chancen europäischer Verfassunggebung, S. 3; W. Hertel, Supranationalität als Verfassungsprinzip, S. 59 ff.; I. Pernice, Europäisches und nationales Verfassungsrecht, S. 158 f.; R. Arnold, Begriff und Entwicklung des Europäischen Verfassungsrechts, S. 867. 90 P. Häberle, Europa, eine Verfassungsgemeinschaft?, S. 103; R. Arnold, Begriff und Entwicklung des Europäischen Verfassungsrechtes, S. 858. 91 Näher I. Pernice, Europäisches und nationales Verfassungsrecht, S. 156 ff.; A. Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, S. 95 ff. 92 Für eine Verfassungsfähigkeit der EU vgl. statt vieler außerdem R. Arnold, Begriff und Entwicklung des Europäischen Verfassungsrechts, S. 856; Th. Oppermann, Vom Nizza-Vertrag 2001 zum Europäischen Verfassungskonvent 2002 / 2003, S. 2. 93 P. Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 187.

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1. Teil: Einleitung

kultureller Leistungen und Verarbeitung von Vergangenheit, sowie Ausdruck von Hoffnungen und Erwartungen.94 Für die Verfassungsbildung sei somit weit mehr Kultur leitend als der Staat.95 Unabhängig von der Staatsqualität der Europäischen Union ist damit eine Verfassungsbildung möglich, denn eine gemeinsame Kultur kann ihren Mitgliedern wahrlich nicht abgesprochen werden, besteht auch im einzelnen Uneinigkeit, wie weit diese reicht – etwa in der Unionsfähigkeit der Türkei.96 Überdies ermöglicht das kulturwissenschaftliche Verfassungsverständnis eine Loslösung von der ökonomischen Orientierung der europäischen Integration. Seit ihrer Gründung stand als wesentliche Triebfeder der europäischen Integration der einheitliche Binnenmarkt im Vordergrund. Nach der Verwirklichung dieses Zieles durch den Vertrag von Maastricht stellen sich neue Aufgaben für die europäische Integration, benötigt sie neue Motivationsquellen. Hier könnte die gemeinsame (Rechts)Kultur einen entscheidenden Part übernehmen. c) Die Verträge als „Verfassung“ der Europäischen Union? Auch EuGH und BVerfG gehen von der Verfassungsfähigkeit der EU aus, wenn sie in ihrer Judikatur bereits eine bestehende Verfassung voraussetzen – wenn wohl auch nur im materiellen Sinne.97 Jede Ausübung von Hoheitsgewalt in einem Gemeinwesen bedarf der Konstituierung und Ausgestaltung. Die Regeln, nach denen sich diese richten, könnten mithin als „Verfassung“ umschrieben werden.98 Da die Union unzweifelhaft – wenngleich quasi stellvertretend für die Mitgliedstaaten – Hoheitsgewalt ausübt, bedarf sie auch einer Verfassung. Dieses Verfassungsverständnis setzt eine Absonderung vom klassischen Verfassungsbegriff bzw. vom Begriff der Verfassung im formellen Sinne voraus.99 Es darf sich, wie gezeigt, zum einen nicht nur am Staat orientieren sondern muß Vgl. dazu P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, S. 920 ff. P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, S. 620 ff.; M. Kotzur, Grenznachbarschaftliche Zusammenarbeit in Europa, S. 9 ff., m. w. N. 96 Zur jüngsten Entscheidung der Kommission über die Empfehlung zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen, FAZ v. 7. Oktober 2004, „Die EU-Kommission empfiehlt Beitrittsverhandlungen mit der Türkei“, sowie den „Regelmäßigen Bericht über die Fortschritte der Türkei auf dem Weg zum Beitritt“ der Europäischen Kommission v. 6. Oktober 2004, (SEK (2004) 1201); im Internet: http: //europa.eu.int/comm/enlargement/report_2004/pdf/ rr_tr_2004_de.pdf. 97 Vgl. EuGH Slg. 1993, I-1093; Slg. 1991, I-6102; Slg. 1990, I-3372; Slg. 1986, 1365; Slg. 1977, 758; BVerfGE 22, 293 (296). 98 D. Tsatsos, Bemerkungen zur Gegenwartsfunktion der Verfassung, S. 57 ff. Vgl. auch K. Hesse, Grundzüge, Rn. 10; M. Kotzur, Ein nationaler Teilbeitrag, S. 259. 99 Zum Verfassungsverständnis weiter W. Hertel, Supranationalität als Verfassungsprinzip, S. 29 ff.; sowie J. Schwarze, Verfassungsentwicklung in der Europäischen Gemeinschaft, S. 17 ff. und A. Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, S. 51 ff. und J. Isensee, Staat und Verfassung, Rn. 136 ff. zur Unterscheidung zwischen formeller und materieller Verfassung. 94 95

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gewisse Modifizierungen für die EU erfahren. Die EU und ihre Mitgliedstaaten bilden ein einziges Verfassungsgefüge, welches in dieser Weise etwas vollkommen Neuartiges darstellt. Da die Mitgliedstaaten aufgrund ihrer Bindung an die Verträge nicht mehr unabhängig von „Brüssel“ eigenes Recht setzen können, auf der anderen Seite die Union keine eigene Kompetenz-Kompetenz besitzt, sind Mitgliedstaaten und EU gewissermaßen in einer „Verfassungsgemeinschaft“ eingebunden.100 Z. T. ist in diesem Zusammenhang von den nationalen Verfassungen nur noch als „Teilverfassungen“ die Rede.101 An dieser Stelle ist jedoch eine Feststellung unumgänglich: Wird in diesem Zusammenhang immer wieder von „Verfassung“ gesprochen, handelt es sich dabei nicht um eine solche im klassischen Sinne, als einem Dokument, das sich ein Volk in freier Selbstbestimmung gegeben hat, um sein Zusammenleben zukünftig verbindlich zu regeln. Die nationalen Verfassungen der Mitgliedstaaten gehen allesamt auf einen verfassungsgebenden Akt des Staatsvolkes zurück, wenngleich häufig durch dessen Parlamente, quasi in Stellvertreterrolle.102 Setzt man für eine Verfassung im formellen Sinne ihre höchste Geltung vor jedem Recht voraus, das Fehlen ihrer Rückführbarkeit auf eine Normerzeugungsregel,103 so lassen sich die europäischen Verträge hier nicht einordnen. Der derzeit diskutierte und vom Konvent ausgearbeitete „Verfassungsentwurf“ wurde vom Rat der Europäischen Union im Oktober 2004 einstimmig, wie es das Vertragsänderungsverfahren vorsieht (dazu unten mehr), beschlossen. Die Rechtsgrundlage für den Abschluß eines solchen Dokumentes liegt jedoch in den nationalen Verfassungen verankert, die – wie etwa das deutsche Grundgesetz in Art. 23 Abs. 1 – die Grundlage für den Abschluß derartiger Verträge bilden. Entsprechend ist auch anschließend zur Wirksamkeit der „Verfassung“ die Ratifikation nach dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten notwendig. Diese soll bis zum Herbst 2006 erfolgt sein. Es handelt sich somit nicht um einen originären verfassungsgebenden Akt sondern um den Abschluß eines völkerrechtlichen Vertrages.104 In dieser Form bleiben die Mitgliedstaaten tatsächlich „Herren der Verträge“. Dieses Dokument ist demnach auch nicht auf einen pouvoir constitutant eines Unionsvolkes, sondern auf den nationalen pouvoir constituée der Bevölkerung in den Mitgliedstaaten zurückzu100 Zum Begriff der „Verfassungsgemeinschaft“ P. Häberle, Europa – eine Verfassungsgemeinschaft?, sowie I. Pernice, Multilevel Constitutionalism and the Treaty of Amsterdam, S. 703 ff., 708 ff. 101 Vgl. P. Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 37 ff. 102 Auf die Bundesrepublik Deutschland trifft dies in zweifacher Weise zu: Das GG vom 23. Mai 1949 litt bereits an dem „Geburtsfehler“ eines fehlenden Referendums. Nach der deutschen Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 trat die DDR dem Geltungsbereich des GG einfach bei, anstelle den Alternativweg des Art. 149 GG zu gehen. 103 So J. Isensee, Staat und Verfassung, Rn. 136. 104 So auch U. Hufeld, Europäische Verfassunggebung, S. 314 f. Dementsprechend trägt der Verfassungsentwurf auch den Titel „Vertrag über eine Verfassung für Europa“; die Bezeichnung als „Verfassungsentwurf“ ist daher terminologisch zumindest irreführend.

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1. Teil: Einleitung

führen.105 Wenn EuGH und BVerfG dennoch von einer Unionsverfassung sprechen, ist demnach auch nicht eine solche im klassischen Sinne gemeint und sollte auch nicht in Bezug auf den Konventsentwurf von einer solchen gesprochen werden. Das Dokument wird inhaltlich alle Elemente aufweisen, wie sie „standardmäßig“ in Verfassungen im klassischen Sinne zu finden sind: Der Entwurf öffnet mit einer Präambel, er enthält „Staatszielbestimmungen“ 106, Kompetenzen der Organe werden abgegrenzt107, es gibt Regeln zur Rechtsetzung in der Union108, vermittelt durch die EU-Grundrechtecharta – die nunmehr als Teil einer Verfassung zu unmittelbar geltendem Recht erhoben würde – regelt ein Grundrechts-Katalog das Verhältnis zwischen der Union und ihren Bürgern109. Dagegen fehlt die unmittelbare, auf den Willen eines „Europäischen Volkes“ rückführbare Legitimation.110 Es kann somit lediglich ein materieller, d. h. auf den Inhalt des Dokumentes bezogener, Verfassungsbegriff Anwendung finden.111 Die immer wieder vorgebrachte Kritik, die Verträge der EU könnten nicht als „Verfassung“ angesehen werden,112 ist insofern also berechtigt. Wird im folgenden der Begriff der „Verfassung“ gebraucht, soll hier auch nicht von einer solchen im klassischen formellen Sinne, sondern in ihrer Besonderheit als grundlegende Rechtsquelle, als primäres Gemeinschaftsrecht im Sinne einer materiellen Verfassung die Rede sein.113 Nicht mehr (aber auch nicht weniger) beabsichtigte der Konvent zur Zukunft Europas der Regierungskonferenz als Grundlage zur Reform der Verträge zu machen. Ist diese Eingrenzung vorgenommen, kann weiter hinterfragt werden, ob ein solcher Schritt derzeit notwendig ist, oder ob nicht eine „schlichte“ Vertragsrevision oder evtl. sogar das Festhalten am Status Quo ausreichen würde.

105 Zur Kritik an einem allzu leichtfertigen Übergehen dieses Charakteristikums D. Grimm, Braucht Europa eine Verfassung?, S. 32. Aus diesem Grund ist der Konvent zur Zukunft Europas auch nicht als verfassunggebende Versammlung, etwa nach dem Vorbild der Philadelphia Convention von 1787, der französischen Assemblée nationale constituante von 1789 oder dem Parlamentarischen Rat von 1949 anzusehen. 106 Vgl. Art. I-3 VVE: Die Ziele der Union. 107 Titel IV von Teil 1 VVE. 108 Titel V von Teil 1 VVE. 109 Teil 2 VVE. 110 D. Grimm, Braucht Europa eine Verfassung?, S. 50 ff. 111 Für die Anwendbarkeit eines so verstandenen Verfassungsbegriffs auch P. Müller-Graff, Europäische Verfassungsordnung, S. 208 f. 112 V.a. D. Grimm, Braucht Europa eine Verfassung? und ders., Die größte Erfindung unserer Zeit, in: FAZ v. 16. Juni 2003, S. 35; C. Koenig, Ist die Europäische Union verfassungsfähig?, S. 8; R. Scholz, Erfolgsbilanz und Balanceverlust, S. 30. 113 Nach D. Grimm, Braucht Europa eine Verfassung?, S. 31 ff.

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2. Verfassungsnotwendigkeit? Kann daher mit EuGH, BVerfG und einem Großteil der juristischen Literatur von einer bestehenden Verfassung ausgegangen werden, stellt sich sogleich die Frage, inwiefern es einer neuen Verfassung bedarf. Warum eine Verfassung revidieren, die sich in über 50 Jahren europäischer Integration, wenn auch mit vereinzelten Modifizierungen, durchaus bewährt zu haben scheint? Die Gründe, die gerade zu diesem Zeitpunkt für eine (neue) Verfassung für die Europäische Union sprechen, sind zahlreich und vielschichtig. Je nach Motivationsaspekt lassen sie sich in verschiedene Kategorien einordnen.114 a) Eine Europäische Verfassung als Integrationsfaktor Nicht zuletzt mit der Integrationslehre von R. Smend ist die integrierende Funktion von Verfassungstexten bekannt.115 Das Wort vom „Verfassungspatriotismus“ (D. Sternberg) soll sich quasi auf die europäische Ebene durchschlagen und so den Prozeß der europäischen Integration, sich auf die Bevölkerungsebene übertragend, abschließen. Der Plan, der Europäischen Union eine Verfassung zu geben, stellt sich im Kontext zunehmender Europaskepsis in der Bevölkerung damit gewissermaßen als „Flucht nach vorn“ dar. Der Erosion des Europagedankens soll hiermit entgegengewirkt werden. Nach einer Umfrage des Eurobarometers im Frühjahr 2003 sprachen sich rund 63% der befragten Deutschen für eine gemeinsame Europäische Verfassung aus. Überraschend dabei war jedoch der nur sehr rudimentäre Kenntnisstand der Befragten. So wurden in derselben Umfrage sieben Wissensfragen zu Verfassung und Konvent gestellt. Die häufigste Antwort blieb dabei ein „weiß nicht“.116 Noch negativer fiel dieselbe Umfrage in Großbritannien aus. Danach war 75% der Briten die Existenz des Konvents und seine Aufgabenstellung vollkommen unbekannt.117 So vielschichtig die Gründe hierfür sein mögen, die größte Herausforderung der Europäischen Union in der näheren Zukunft wird auch sein, in der Bevölkerung eine „Europäische Öffentlichkeit“ zu schaffen, bzw. die bereits bestehende auszuweiten.118 Die Schaffung Europäischer Symbole könnte dieses Anliegen entsprechend fördern.119 Der EURO ist als ein solches anzusehen, eine gemeinsame Verfassung könnte ein weiteres sein.120 114 Umfassende Begründungen finden sich weiter bei J. Habermas, Why Europe needs a Constitution; K. Hänsch, Europa in Form bringen. Vgl. schließlich die Erklärung von Laeken v. 14. / 15. Dezember 2001 im Anhang. 115 R. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 136 ff. 116 Vgl. A. Rother, Viel Zustimmung, wenig Wissen, im Internet: http: //www.heute.t-online. de/ZDFheute/artikel/23/0,1367,POL-0 – 2051863,00.html. 117 The Guardian v. 26. Juli 2003, The British are conventionally ignorant of EU blueprint, im Internet: http: //politics.guardian.co.uk/eu/story/0,9061,1006365,00.html. 118 Dazu P. Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 163 ff.

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1. Teil: Einleitung

b) Das erfüllte Integrationsprogramm der EG von einst – neue Paradigmen für die Europäische Union der Zukunft Die Zielvorgaben der ursprünglichen Verträge von 1957 können im wesentlichen als abgearbeitet angesehen werden: Die Wirtschaftsunion ist im gemeinsamen Binnenmarkt verwirklicht, mit wenigen Ausnahmen (Großbritannien, Schweden, Dänemark) gilt gleiches auch für die Währungsunion; trotz Scheiterns des EVG-Projektes muß der Friede – wenn auch wohl auf die Mitgliedstaaten der EU beschränkt – in Europa als gesichert und dauerhaft angesehen werden.121 Nunmehr, da ein nie dagewesener Stand der europäischen Integration erreicht ist, steht die Gemeinschaft an einem Scheideweg: Nach der Aufnahme neuer Mitgliedstaaten aus Mittel- und Osteuropa stellt sich nicht nur das Problem der Integration dieser Staaten in die Gemeinschaft der 15. Es steht auch die Reform- und Handlungsfähigkeit des Ganzen auf dem Spiel. Die Union muß sich die Frage nach ihren Zielen neu stellen. Der Aspekt des Wirtschaftlichen muß, wenn nicht schon längst, so doch aktuell, in den Hintergrund rücken. So sehr die Europäische Union auf der Vereinheitlichung des Marktes basiert und so sehr die Integrationswilligkeit der Mitgliedstaaten vom Ökonomismus her geprägt ist, darf doch nicht übersehen werden, daß der Markt nicht das Maß aller Dinge sein darf und nicht sein kann, sondern der Mensch.122 Nachdem über die wirtschaftliche Integration ein relativ homogenes Wohlstandsniveau innerhalb der Union verwirklicht ist, sind die Voraussetzungen geschaffen, dem wirtschaftlichen Wohlstand politische und soziale Homogenität folgen zu lassen. Hierbei kann die Besinnung auf die gemeinsamen kulturellen Wurzeln, das gemeinsame kulturelle Erbe, helfen. Jedoch darf dies nicht dahingehend mißverstanden werden, die Politiken in sämtlichen Bereichen zu vereinheitlichen und „auf Brüssel zu konzentrieren“. Nein, Europa ist durch „nationale und regionale Vielfalt“ und Gemeinsamkeit gekennzeichnet. Es gilt lediglich, zentrale, fundamentale Aussagen in einem „Europäischen Chor“ zu äußern, der, nach innen in verschiedene Stimmlagen untergliedert, dennoch nach außen harmonisch im Gleichklang zu vernehmen ist. Im Rahmen der Friedenssicherung haben die Beispiele der Krise im Kosovo und vor allem zuletzt in der Frage der Beteiligung an der Befreiung des Iraks123, deutliche Defizite der Außendarstellung der Union offen gelegt. Mehr denn je ist es notwendig, Europa mit einheitlicher Stimme spre119 A. Rother, Viel Zustimmung, wenig Wissen, im Internet: http: //www.heute.t-online.de/ ZDFheute/artikel/23/0,1367,POL-0 – 2051863,00.html. Im VVE bereits vorgesehen: Art. I-8, Die Symbole der Europäischen Union. 120 Zu den Voraussetzungen einer Identitätsbildung auf europäischer Ebene vgl. E. Pache, Europäische und nationale Identität. 121 Nach H. / W. Wallace, Policy-Making in the European Union, S. 52 f., stellt die Friedenssicherung nach wie vor eines der Hauptargumente für die europäische Kooperation dar. 122 P. Häberle, Europa – Eine Verfassungsgemeinschaft?, S. 100 f. 123 Kritisch: R. Streinz, Wo steht das Gewaltverbot heute?, S. 219 ff.

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chen zu hören, benötigt die EU das von den Amerikanern in der Person H. Kissingers so schmerzlich vermißte „Telefon“. Pläne für ein Amt eines Europäischen Außenministers124 mögen hier Fortschritte bringen, helfen jedoch ohne den politischen Konsens in den Mitgliedstaaten wenig. Nach den Ideen der Vordenker für das europäische Projekt sollte eine Föderation geschaffen werden, die Frieden schaffen und dauerhaft sichern sollte. Nachdem das erste Ziel mit Blick auf die Mitgliedstaaten der EU – inzwischen glücklicherweise auch um Staaten des ehemaligen Ostblocks erweitert – als erreicht angesehen werden kann, ist Friedenssicherung im Angesicht blutiger Konflikte, wie etwa im Kosovo, dringlicher denn je.125 Die Entwicklungen um den Befreiungskrieg im Irak haben das europäische Konzert auf verteidigungspolitischer Ebene in Dissonanzen verwickelt. Das wirtschaftliche und soziale Projekt muß darum um das verteidigungspolitische erweitert werden, welches seit den Petersberger Beschlüssen aus dem Jahr 1992 bereits weite Fortschritte gemacht hat.126 Angesichts eines anscheinend – wenngleich erst in ferner Zukunft – angestrebten Türkeibeitritts127 könnte dies die größte Herausforderung für die zukünftige Union darstellen, wenn diese dann an Staaten wie Syrien, Irak, Iran, Georgien und Armenien grenzen wird. c) Eine Europäische Verfassung für mehr Transparenz Mit Anerkennung der Integrationsfunktion von Verfassungen stellt sich die Frage, inwiefern das bestehende Vertragswerk diese Funktion erfüllen kann. Hierbei springt die gewaltige Breite des „EU-Verfassungsrechts“ ins Auge: Beschränken sich geschriebene Verfassungen auf einheitliche, abschließende Texte, gliedert sich das Europäische Primärrecht in eine unübersehbare Zahl von Einzeldokumenten. Neben die grundlegenden Verträge der Europäischen Gemeinschaften treten gleichberechtigt der Unionsvertrag von Maastricht, in seiner geltenden Fassung vom Vertrag von Nizza, sowie zahlreiche Einzeldokumente und -abkommen. Diesen förmlich undurchdringlichen Dschungel zu lichten, stellt eine so anspruchsvolle Aufgabe dar, die bestmöglich nur durch eine Totalrevision zu erreichen ist.128 Allein ein transparenter Verfassungstext, mit dem auch der „einfache Bürger“ umgehen und ihn verstehen kann, mag die Integrationsfunktion zu erfüllen, kann Dazu mehr in Teil 3 unter E.III.2. Vgl. J. Habermas, Why Europe needs a Constitution, S. 7. 126 Dazu auch später noch in Teil 3 unter F.IV.1. 127 Regelmäßiger Bericht über die Fortschritte der Türkei auf dem Weg zum Beitritt v. 6. Oktober 2004 (SEK(2004) 1201); im Internet: http: //europa.eu.int/comm/enlargement/ report_2004/pdf/rr_tr_2004_de.pdf. 128 Den Aspekt der Transparenz betonend auch H. Suchocka, Reflexionen über die Idee einer Europäischen Verfassung, S. 152 f., insbes. S. 159. 124 125

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1. Teil: Einleitung

einen gewissen „Verfassungspatriotismus“ kreieren. Die Verträge sind längst nicht mehr „einfach nur“ Völkervertragsrecht mit Bindungswirkung zwischen den „hohen Vertragsparteien“. Die unmittelbare Anwendbarkeit von Primärrecht auf Private Dritte ist schon relativ früh vom EuGH festgestellt worden.129 Die Verträge mögen sich somit primär an die Mitgliedstaaten richten, Geltung beanspruchen sie aber auch für Dritte (vertikale Drittwirkung des Primärrechts). Auch die Gemeinschaftsgrundrechte – wenngleich vor Verkündung der Grundrechtecharta nicht schriftlich fixiert, so doch vom EuGH aus den einzelstaatlichen Grundrechten entwickelt und als subjektive Rechte des Einzelnen anerkannt130 – durchbrechen deutlich den Rahmen des typischerweise nur an die Staaten adressierten Völkerrechts. Richtet sich das Europäische Primärrecht (also quasi die Verfassung der EU) nicht mehr nur an die Mitgliedstaaten, liegt der letzte Schritt nicht mehr fern, ein einheitliches Dokument der „Europäischen Verfassung“ zu verabschieden.

d) Notwendige umfassende Reformen hinsichtlich der Osterweiterung der Europäischen Union Die Osterweiterung der EU zum 1. Mai 2004 produzierte schon rein wirtschaftlich Anpassungsnotwendigkeiten der Verträge, besonders hier im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Weiter ergaben sich aber auch institutionelle Konsequenzen, die eine Vertragsrevision erforderlich machten. Mit einer weiteren bloß zahlenmäßigen Anpassung an die veränderten Umstände ist dies jedoch nicht zu bewältigen.131 Bei bisheriger Verteilung von Stimmgewichten und Abstimmungsmacht bestand ein Ungleichgewicht zwischen den kleinen und den großen Mitgliedstaaten in der EU: Gemessen an ihrer Bevölkerungszahl verfügten kleine Länder über ein höheres Stimmgewicht pro Einwohner.132 Zudem reflektierte die bestehende Verteilung der Sitze im Europäischen Parlament nicht die Bevölkerungsstärken der Mitgliedsländer.133 Beispielsweise repräsentierten die Abgeordneten Luxemburgs 200 000 Wähler, wohingegen in Deutschland 8 Mio. Wähler einen Abgeordneten bestimmten. Die Wahlen zum EP waren schon laut EGV geheim und frei, aber es fehlte noch immer das z. B. in Deutschland in Art. 38 GG Ständige Rspr. seit C-26 / 62 (van Gend en Loos), EuGH Slg. 1963-I, 1. Für einen Überblick vgl. R. Streinz, Europarecht, Rn. 354 ff. 131 K. Hänsch, Europa in Form bringen, S. 208 f. 132 So besaß z. B. Luxemburg als kleinster Mitgliedstaat im Ministerrat genauso viel Gewicht, wie die Bundesrepublik Deutschland als bevölkerungsmäßig größtes Land in der EU. Aufgrund fehlender Proportionalität ändert sich hieran auch nichts im Verfahren der Mehrheitsentscheidung. Zwar erhielt Luxemburg dann nur noch ein Fünftel des Stimmgewichtes der Bundesrepublik Deutschland (gem. Art. 205 Abs. 2 EGV hat dann Luxemburg 2, die Bundesrepublik Deutschland 10 Stimmen), pro Einwohner machte das im Rat für Luxemburg dann aber ein Verhältnis von 0,2 Einwohnern (bei 0,4 Mio. Einwohnern), für die Bundesrepublik Deutschland von 8,1 (!) (bei 80,6 Mio. Einwohnern) pro Stimme aus. 133 A. Kirman / M. Widgrén, Voting in the European Union, S. 425. 129 130

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verankerte Prinzip der Gleichheit der Wahl.134 Mit den Osteuropäischen Beitrittskandidaten wurden bevölkerungsmäßig (von Polen einmal abgesehen) eher kleine Staaten aufgenommen, die das Problem verschärfen konnten. Heikel ist auch, daß die bevölkerungsreichen Länder der EU (D, GB, F, I, E, PL, NL, GR, B, P) dann rund 87% der EU-Bevölkerung stellen, aber bei qualifizierter Mehrheitsregel im Rat keine erfolgreiche Koalition bilden können, da die verbleibenden Länder über eine ausreichende Sperrminorität verfügen.135 Dagegen würde eine Koalition ohne Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Schweden zwar nur 52% der EU-Bevölkerung repräsentieren, aber eine ausreichende Mehrheit bei qualifizierter Mehrheitsfindung innehaben. Im Rahmen der europäischen Integration werden immer mehr Kompetenzen von den Mitgliedstaaten auf die EU übertragen,136 so daß die Aufgabenbereiche zunehmen, in denen die einzelnen Interessen der Länder miteinander in Konkurrenz treten. Demnach steigt das Konfliktpotential mit der Übertragung von nationalen Kompetenzen auf die EU an.137 Unabhängig von der Osterweiterung ist festzustellen, daß sich bereits allein durch den weitgehenden Kompetenzausbau die Entscheidungskosten durch gewachsenes Funktionsstörungspotential und erschwerter Entscheidungsfindung erhöht haben. Indem weitere Länder aufgenommen wurden, verstärkte sich die Interessenheterogenität im Rat.138 Die Schwierigkeit, innerhalb der EU zu gemeinsamen Entscheidungen zu gelangen, nimmt zu, je mehr Mitglieder sich in ihr organisieren, je mehr Probleme diese einbringen, je größer die Interessenunterschiede zwischen den Mitgliedern sind und je zahlreicher die auf die Union übertragenen Kompetenzen verteilender Natur sind. Ohne eine Änderung der Mehrheitsregeln und / oder Reduzierung der Entscheidungsinhalte im Rat, wäre somit die Entscheidungsfindung erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht worden. Trotz der fortschreitenden Expansion der Europäischen Union besteht sie in ihrem Organisationsapparat fast immer noch in der ursprünglichen Struktur. Neben strukturellen Konsequenzen, etwa der Änderung der Agrarpolitik, stehen auch Änderungen in der Organisationsstruktur bzw. Wege der Beschlußfassung im Raume. Bei den vergangenen Erweiterungen 1973, 1982 / 86 und 1995 wurde die Aufnahme neuer Mitglieder lediglich durch Fortschreibung der alten Regelungen vollzogen. Die bestehenden Institutionen setzten sich also nach Regeln zusammen, die ursprünglich für eine Union mit den sechs Gründungsmitgliedern geschaffen wurden. Mittlerweile sind sie bei 15 Mitgliedern „überdehnt“. Aus diesem Grund verursachte schon allein die Osterweiterung einen faktischen Druck, das bestehende Vertragswerk zu reformieren. Statt ursprünglich sechs sind heute 27 Staaten in den 134 135 136 137 138

Vgl. K. Hänsch, Vertiefung der Gemeinschaft und gesamteuropäische Identität, S. 395. S. auch J. B. Donges u. a., Osterweiterung der Europäischen Union, S. 72. Vgl. M. Leschke, Zur institutionellen Ausgestaltung der Europäische Union, S. 106. Vgl. J. M. Buchanan / G. Tullock, The Calculus of Consent, S. 77 f. A. Kirman / M. Widgrén, Voting in the European Union, S. 424.

4 Hupka

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1. Teil: Einleitung

Organen der Europäischen Union vertreten. Selbst die praktische Lösung von „Verbundentscheidungen“, mit denen die Mitgliedstaaten quasi in Paketen mehrere Entscheidungen miteinander verknüpften und auf diese Weise Verhandlungsspielraum eröffneten, würde mit einer derart erweiterten EU nicht mehr funktionieren. Ohne durchgreifende Reformen steht die EU somit an der Grenze ihrer Handlungsfähigkeit, sofern diese nicht bereits überschritten ist. Die Mitgliedstaaten haben sich in Nizza auf eine Änderung der Abstimmungsregeln geeinigt – wenngleich bezweifelt werden darf, ob die beschlossenen Reformen ausreichend sind. Über die Frage der zukünftigen Kompetenzverteilung wurde dagegen noch keine Einigung erzielt und auf einen späteren Zeitpunkt vertagt. In Laeken erst wurde dann der Konvent mit der Lösung auch dieses Problems betraut.139 Dermaßen tiefgreifende Veränderungen lassen sich zwar nicht nur aber vor allem auch mit einer Verfassungsdebatte verbinden und bieten damit Motivation genug für einen Europäischen Verfassungsvertrag. Am Ende all dieser Beweggründe stehen jedoch immer noch die Mitgliedstaaten, die – zumindest noch formal – als „Herren der Verträge“140 über das Letztentscheidungsrecht für einen möglichen Verfassungsvertrag verfügen. Im Rahmen des Reformprozesses ist es jedoch von geradezu fundamentaler Bedeutung, daß sich die Verantwortlichen über die Finalität des Projektes „Europäische Union“ im Klaren sind. Erfreulicherweise zeichnen sich aber diesbezüglich erste Tendenzen ab, wenn im Rahmen der Konventsberatungen erstmals der Begriff der Nachbarpolitik eingeführt wurde.141 Anstatt geradezu selbstverständlich davon auszugehen, die Union jedem „europäischen Staat“ zu öffnen, werden damit Gedanken offenbar, die auf eine territoriale Begrenzung gerichtet zu sein scheinen.142 Auch wenn es gelingen sollte, die Arbeitsweise der Organe dahingehend anzupassen, daß sie auch mit 27 Staaten funktionsfähig bleiben, so gibt es auch hier eine gewisse Grenze, jenseits derer eine Union, die auf Supranationalität gebaut ist, ihre Handlungsfähigkeit einzubüßen droht. Deutlich muß daher gesagt werden, wer zukünftig noch in den Kreis der Mitgliedstaaten einzubeziehen sein wird und welchen Zweck die Union haben soll.143 Deutlicher als bisher wird sich in der AntErklärung von Laeken, v. 14. / 15. Dezember 2001 im Anhang. Krit. U. Everling, Sind die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft noch Herren der Verträge?, in: FS Mosler, 1983, 173 ff.; I. Pernice, in: H. Dreier (Hrsg.), GrundgesetzKommentar, Bd. 2, 1998, Art. 23 Rn. 21; ablehnend P. Häberle, Europa – Eine Verfassungsgemeinschaft?, S. 107. 141 So in Titel VIII VVE: „Die Union und ihre Nachbarn“. 142 Vgl. Art. I-57 VVE. 143 Dies wird bislang bedauerlicherweise vermieden. In Art. I-58 VVE (Kriterien und Verfahren für den Beitritt zur Union) heißt es: „Die Union steht allen europäischen Staaten offen, die die in Artikel I-2 genannten Werte achten und sich verpflichten, ihnen gemeinsam Geltung zu verschaffen“, womit keine wesentliche Neuerung zum bestehenden Art. 49 EUV 139 140

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wort auf diese Frage zeigen, inwieweit der ursprüngliche Gedanke, das supranationale Gebilde schrittweise durch einen sich immer stärker beschleunigenden Sog, durch „spill-overs“ in eine Föderation zu überführen, noch Geltung beanspruchen kann.

e) Demokratisierung der Union Von jeher wird über ein Demokratiedefizit in der EU diskutiert, welches sich in einer fehlenden unmittelbaren demokratischen Legitimation der tatsächlichen Entscheidungsträger in der EU äußert.144 Die Vertreter im Rat der EU, die, wenngleich mittlerweile in bestimmten Bereichen auch nur mit Zustimmung des EP, über alle Rechtsakte der EU zu befinden haben, können nur mittelbar auf den Volkswillen zurückgeführt werden. Die einzigen direkt gewählten Vertreter sitzen dagegen im EP, das immer noch keinem Vergleich mit nationalen Parlamenten standhält. „Europhoristen“ nach könnte eine (dann allerdings „echte“, d. h. materielle) Verfassung für Europa dieses Defizit beseitigen, indem das EP, quasi an die nationalen Parlamente angelehnt, zu einem vollwertigen Legislativorgan auf-, der Rat dagegen gleichzeitig zu einer zweiten Länderkammer abgewertet würde.145 Zu Recht wird einer solchen Lösung allerdings vorgehalten, sie könnte das Demokratiedefizit eher verstärken als abbauen.146 Der wesentliche Faktor zur Verwirklichung eines funktionierenden Parlamentarismus auf europäischer Ebene liegt in der mangelnden Informationsvermittlung zwischen EP und Europäischer Bevölkerung. Dieses Problem ist allerdings nicht durch gesteigerte Berichterstattungen zu leisten. derartige Berichte würden nur wieder auf das nationale Interesse abgestellt sein. Auch der Bürger würde die Entscheidungen im EP anhand ihrer Auswirkungen auf seine Nation beurteilen. Eine wirkliche europäische Öffentlichkeit, im Sinne eines grenzüberschreitenden Kommunikationszusammenhangs, gibt es dagegen ebensowenig, wie es ein europäisches Parteiensystem gibt. Mit Fortbestehen der Sprachbarrieren in Europa (bisher 11, seit der Osterweiterung 20 offiziellen Sprachen) fehlt es bereits schon an der grundlegenden Voraussetzung für das Entstehen einer so verstandenen Öffentlichkeit.147 gegeben ist. Das Problem, welche Staaten noch zum Kreis der antragsberechtigten „europäischen Staaten“ gehören, wird umgangen. 144 Aus der auch in Großbritannien reichhaltigen Literatur vgl. P. Craig / G. de Burcá, EU Law, S. 167 ff. m. w. N. Im deutschen Kontext s. die Nachweise bei P. Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 307 ff. 145 So z. B. angedeutet in der „Humboldt-Rede“ J. Fischers v. 12. Mai 2005und deutlich im „Plädoyer für eine Europäische Verfassung“ vor dem EP am 4. April 2001. 146 D. Grimm, Braucht Europa eine Verfassung?, S. 45 m. w. N. 147 Dagegen sieht J. Habermas hierin kein unüberwindbares Hindernis; ders., Why Europe needs a Constitution, S. 20 f. 4*

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1. Teil: Einleitung

Würde dann aber das EP mit parlamentarischen Vollrechten ausgestattet, führte dies zu einer Zentralisierung der Entscheidungskompetenzen an einer Stelle, an der die demokratische Legitimation gerade schwächer ist als derzeit beim Rat; denn der politische Verantwortungszusammenhang würde im EP unterbrochen werden. Im Rat dagegen sitzen Vertreter, die zumindest mittelbar durch einen solchen Zusammenhang legitimiert sind. Der Demokratisierungsgedanke kann daher nur begrenzt als Motivationsfaktor für eine Verfassung für Europa herangezogen werden. Jedoch sollten die übrigen Hauptfaktoren ein ausreichendes Gewicht bilden, um die Notwendigkeit einer Vertragsrevision in Form der Verabschiedung einer Verfassung für Europa zu belegen. Die Frage, die sich hier anschließen muß, geht wiederum dahin, welche Charakterzüge ein solches Dokument tragen soll. Geht es nach den sog. Föderalisten, wird die Verfassung EP und Kommission in ihren Positionen stärken und somit das zwischenstaatliche Element der EU schwächen. Die sog. Intergouvernementalisten dagegen streben eine Stärkung des Rates und der nationalen Parlamente an, um auf diese Weise die zunehmende Aufgabenverlagerung auf die europäische Ebene zu verlangsamen.148 Stellvertretend für diese beiden Denkschulen könnte es sich bei der ersten Variante um eine Verfassung mit starken materiellen Zügen eines Bundesstaates handeln, bei der zweiten Variante würde es sich eher um einen Verfassungsvertrag handeln, in dem das Zwischenstaatliche Betonung fände.

III. Verfassung oder Verfassungsvertrag – Föderalisten und Intergouvernementalisten 1. Die Frage nach der Finalität der Europäischen Union Die Frage nach einer Verfassung der Europäischen Union ist eng verknüpft mit dem Ziel europäischer Integration. Da der Begriff einer Verfassung nach klassischem Verständnis eng an den Staatsbegriff gekoppelt war, sollte ursprünglich mit dem Akt der Verfassunggebung zugleich der Schritt zur Eigenstaatlichkeit der Europäischen Union überschritten werden. Die Vorstellung von einem europäischen Superstaat als „Vereinigte Staaten von Europa“ ist, je nach Denkschule, Wunschvorstellung oder Schreckensvision. Beides ist jedoch nicht neu sondern reicht bis in die Vorphase zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 1957 zurück. Klammert man diejenigen Staaten einmal aus, die sich gegen jedweden Zusammenschluß auf europäischer Ebene aussprechen, können im wesentlichen zwei Gruppen gebildet werden. Beide sprechen sich für eine enge Zusammenarbeit der Staaten Europas aus, um Frieden, Sicherheit und Prosperität herzustellen, bzw. zu erhalten; jedoch soll dieses Ziel auf unterschiedlichen Wegen realisiert werden. 148 Dazu sogleich im folgenden Abschnitt und bei L. Gerken, Eine Garantie der Subsidiarität, in: FAZ v. 14. Juni 2003, S. 13.

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Während diese über einen Akt der Verfassunggebung eine Föderation der Staaten Europas anstreben, liegt es im Interesse jener, eine dauerhafte Zusammenarbeit sicherzustellen, jedoch die Eigenstaatlichkeit der Mitgliedstaaten zu wahren. Nach ihren jeweiligen Zielen lassen sich die beiden Gruppen daher in Föderalisten, den Befürwortern eines Europäischen „Superstaates“, und Unionisten (heute auch Intergouvernementalisten), den Befürwortern eines „Europas der Vaterländer“, unterscheiden.149

2. Geschichtliche Entwicklung der Integrationskonzepte Bereits über die Pläne Coudenhove-Kalergis150 und seiner Paneuropa-Union waren erste Gedanken zu einer Gründung der „Vereinigten Staaten von Europa“ laut geworden, womit sich die Idee nach einer Eigenstaatlichkeit eines europäischen Gebildes verband, in dem die Staaten Europas grundsätzlich als „Bundesstaaten“ aufgingen. Diese Idee wurde in der Zeit des Zweiten Weltkrieges wieder aufgegriffen bzw. weiterentwickelt. In die USA geflüchtet, suchte Coudenhove-Kalergi dort Unterstützung für seine ehrgeizigen Nachkriegspläne. In Europa selbst übernahmen die nationalen Widerstandsbewegungen eine führende Rolle; unter ihnen besonders engagiert taten sich die Italiener hervor.151 Die Ideen Altiero Spinellis, in seinem „Ventotene Manifesto“ im Juli 1941 aus dem Gefängnis geschmuggelt, führten im August 1943 gar zur Gründung einer Europäischen Föderalisten-Bewegung (Movimento Federalista Europeo), deren erklärtes Ziel die Knüpfung internationaler Kontakte zu anderen Gruppen im Ausland war.152 Als Resultat einer Konferenz in Genf im Juli 1944 stellte das maßgeblich von Spinelli beeinflußte Dokument die Forderung nach einem föderalen Europa mit einer geschriebenen Verfassung auf. Ähnliche Ergebnisse zeitigte eine weitere Konferenz des Französischen Komitees für eine Europäische Föderation in Paris im März 1945. Auch deren Veröffentlichung trug die Handschrift Spinellis.153 Schon 1940 bot W. Churchill den Franzosen die Bildung einer „Franco-British Union“ an, ein Angebot, das zunächst zurückgewiesen und mit dem militärischen Zusammenbruch Frankreichs dann auch hinfällig wurde. 1946 rief er dann in seiner bekannten Züricher Rede zur Gründung einer „Art von Vereinigte Staaten von Europa“ auf.154 Diese Föderation stellte sich jedoch nicht als die Einigung Europas dar, wie sie sich die Widerstandsbewegungen im Krieg noch vorgestellt hatten. Vgl. dazu auch B. Boyce, The Democratic Deficit of the European Community, S. 467 f. Vgl. dazu Teil A.I.1.d). 151 Vgl. D. W. Urwin, The Community of Europe, S. 8. 152 Näher D. W. Urwin, The Community of Europe, S. 8 ff. und W. Loth, Der Weg nach Europa, S. 13 ff. 153 D. W. Urwin, The Community of Europe, S. 11. 154 Dazu in Teil A.I.2.a). 149 150

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1. Teil: Einleitung

Durch den „Eisernen Vorhang“ getrennt, sah Churchill den vornehmlichen Auftrag dieses Bündnisses in der Verteidigung der „Freien Welt“ gegen den im Vordringen begriffenen Sowjet-Imperialismus, während die Europäischen Föderalisten eine Staatsbildung jenseits des Ost-West-Konfliktes weiter vor Augen hatten.155 Diese beiden Ansätze standen sich zukünftig als zwei unterschiedliche Visionen von einem zukünftigen geeinten Europa gegenüber. Sie führten schließlich 1956 nach Scheitern der EVG sogar zu einer Spaltung der Europäischen Föderalistenbewegung in zwei Lager: Fortan sahen die „Föderalisten“ die Einigung Europas nur durch die Schaffung einer Föderation als möglich an, während die „Pragmatiker“ sich vorerst mit zwischenstaatlicher Kooperation und vordringlicher Liberalisierung eines gemeinsamen Marktes zufrieden geben wollten.156 Davon zu unterscheiden ist eine weitere Gruppierung, die sich in ihrer Zielvorstellung allerdings grundlegend unterscheidet. Statt eines europäischen Bundesstaates sollte zwar eine Einigung Europas erfolgen, dies jedoch nicht als föderaler Staat, sondern als enge Kooperation souveräner Nationalstaaten in Form einer Union der Völker Europas.157 Mit der Machtergreifung der tschechoslowakischen Kommunisten im Mai 1948 und der sich verfestigenden Sowjetherrschaft in Mittel- und Osteuropa scheiterten die Pläne derjenigen Föderalisten, die eine europäische Föderation errichten wollten. Hier setzte sich mit Errichtung des Europarates die pragmatische Konzeption Churchills durch. Fortan konkurrierte diese Position alleine mit der der Unionisten. Bestand zumindest insofern Einigkeit über die Schaffung eines supranationalen Zusammenschlusses, war unter den unterschiedlichen Gruppierungen umstritten, auf welchem Wege sich dieses Ziel verwirklichen lassen sollte. Die Vertreter eines europäischen Bundesstaates hingen einer funktionalistischen Theorie nach, der zufolge die europäische Einigung durch schrittweise Teilintegration zu erreichen sei. Vom Gebiet der Wirtschaftspolitik her sollten durch die schrittweise Übertragung von Hoheitsrechten Sachzwänge erzeugt werden, die nur durch eine fortschreitende Integration unter Übertragung weiterer Hoheitsrechten auf die europäischen Organe aufgefangen werden können.158 Diese sog. „Spill-Over-Effekte“ würden 155 So ließ die 1946 gegründete Union Européenne des Fédéralistes (UEF) etwa im April 1947 verlauten: „ . . . absolute Gegnerschaft gegen jede Blockbildung. Diese Feststellung ist um so bemerkenswerter, als der Kreuzzug, den verschiedene Stars der internationalen Politik, wie Churchill, van Zeeland usw., seit einiger Zeit für die Bildung eines exklusiven Westblocks ausgeht. Dieser Art von Föderalismus gegenüber definierten die in Amsterdam versammelten Delegierten Europa als eine ,offene Gesellschaft‘“, zitiert nach C. Gasteyger, Europa zwischen Spaltung und Einigung, S. 30. 156 Vgl. http: //www.eurplace.org/orga/uef/origineng.htm, sowie C. Gasteyger, Europa zwischen Spaltung und Einigung, S. 31. 157 Näher C. Gasteyger, Europa zwischen Spaltung und Einigung, S. 30 ff. m. w. N. 158 Stellvertretend E.B. Haas, The Uniting of Europe, 283 ff.; vgl. auch S. Hix, The Political System of the European Union, S. 14 f.

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ab einem bestimmten Integrationsgrad, dem sog. „Point of no Return“, einen Automatismus erreicht haben, an dessen Ende der einheitliche europäische Staat stehen sollte. Ab diesem Punkt wäre ein Zurückfallen der Nationalstaaten unter die bisher erreichte Schwelle der Integration nicht mehr möglich, ohne daß sie erheblichen Schaden für ihre nationalen Märkte und Systeme davontrügen.159 Nach der Stagnation des Integrationsprozesses in den sechziger Jahren erhielt der intergouvernementale Ansatz der Unionisten Auftrieb, wonach der Fortgang der europäischen Integration von dem Willen der Nationalstaaten abhängt, die sich insbesondere in Schlüsselbereichen wie innerer Sicherheit oder Verteidigungspolitik die nationale Kontrolle vorbehielten. Von einem Sachzwang zu weiterer Übertragung von Souveränitätsrechten auch über den wirtschaftlichen Bereich hinaus konnte keine Rede sein. Aus dieser Sichtweise resultiert daher eine „logic of diversity“ und damit die Aufgabe der Idee von einem europäischen Bundesstaat.160 Als wesentliche Kritik an dem funktionalistischen Integrationsansatz wurde vor allem vorgetragen, er unterschätze die Resistenzfähigkeit und die Funktionen des Nationalstaates.161 Quasi seit Beginn der Integrationsbemühungen nach Ende des Zweiten Weltkrieges fuße der Einigungsprozeß auf dem großen Irrtum, den Nationalstaat bereits überwunden zu haben. Neben der Einsicht, Frieden und wirtschaftliche Prosperität in Europa nur unter dem Dach eines einheitlichen Bundesstaates verwirklichen zu können, stellte sich die Realität nach Wiederbegründung der Nationalstaaten gänzlich anders dar. Der wesentliche Grund dafür ist die grundlegend verschiedene Funktionsweise von Staaten als souveränen, eigenständigen Völkerrechtssubjekten gegenüber den Europäischen Gemeinschaften als grundsätzlich (noch immer) im Völkerrecht zu verortender Staatenbund. Garantiere das staatliche, geschlossene System eine höchste Zentralgewalt, fehle diese im internationalen System, welches daher vielmehr anarchisch funktioniere.162 Die Lehren, die nach dem erkannten Scheitern des funktionalistischen Ansatzes gezogen wurden, beschränkten sich auf die Ausweitung der wirtschaftlichen Integration auch auf die Gründung einer Währungsunion. Das Ziel der föderativen Union wurde dabei aber im Auge behalten, ohne die Verfahrensregeln zu ändern, die allerdings noch auf den funktionalistischen Ansatz zugeschnitten waren. Es fand eine Übertragung der staatlichen Systeme auf die Union statt. In der Vorstellung sollte dabei dem Grundsatz der Gewaltenteilung entsprechend das Parlament die Legislativfunktion, der Rat eine Art zweite Kammer, der Gerichtshof die Judikativfunktion und die Kommission die Exekutive übernehmen.163 Dieses Modell hing jedoch sehr stark von Vgl. J. Schwarz, Der Aufbau Europas, S. 32. Zur Darstellung der beiden Hauptströmungen vgl. S. Hix, The Political System of the European Union, S. 14 ff. 161 J. Schwarz, Der Aufbau Europas, S. 21; E. Klein, EuR 1987, S. 109. 162 J. Schwarz, Der Aufbau Europas, S. 22. 163 So auch wieder reaktiviert in den Reden J. Fischers in Berlin v. 12. Mai und J. Raus im EP v. 4. April 2001. 159 160

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1. Teil: Einleitung

der Aufgabe nationaler Souveränität ab, zu der es aber an entsprechender Bereitschaft fehlte. Allein die Tatsache, daß der Rat in seiner Bedeutung gewann, Parlament und Kommission dagegen zunächst verloren, macht dies deutlich. Erst mit dem Vertrag von Amsterdam und der damit verbundenen Übertragung neuer Rechte auf das Parlament, hier insbesondere dem Mitentscheidungsverfahren und der Wahl der Kommission, schien man sich auf das eigentliche Ziel zurückzubesinnen. Da aber zugleich mit Blick auf die anstehende Osterweiterung über notwendige institutionelle Reformen keinerlei Einigung erreicht werden konnte,164 stellt sich erneut die Frage, ob über die Gefährdung der Handlungsfähigkeit der Union mit einer Mitgliederzahl von 25 (jetzt sogar 27), faktisch nicht schon wieder ein Hinauszögern der finalen Integration im Sinne eines Bundesstaates beabsichtigt war. Die Schwächen des Funktionalismus erkennend, versuchte der Ende der sechziger Jahre aufkommende sog. „Neo-Funktionalismus“ den intergouvernementalen Ansatz in seine Überlegungen einzubeziehen. 165 Er berücksichtigt also auch subjektive, traditionelle oder auch irrationale Vorstellungen und schwächt damit das im Funktionalismus noch so überschätzte wirtschaftliche Nutzenkalkül als treibende Kraft der Integration ab.166 Erkannt wurde vielmehr, daß über wirtschaftliche Sachzwänge alleine die politische Einigung, die 1954 in Form der EPG erst gescheitert war, nicht zu erreichen war. Notwendig wurde vielmehr das aktive Vorantreiben der Integrationsbemühungen in zentrale politische Funktionsbereiche der Mitgliedstaaten hinein. Als ein Ergebnis dieses neuen Ansatzes kann der 2002 erfolgreich abgeschlossene Plan zur Errichtung der Europäischen Währungsunion angesehen werden.167 Erst nachdem auf diesem Wege weitgehender Konsens der Mitgliedstaaten in den zentralen Politikbereichen verwirklicht wurde, könnte der Weg frei sein für den letzten Schritt der Errichtung einer europäischen Föderation.168 164 Eine Reform der institutionellen Regelungen im Vertrag von Maastricht war bereits für die Reformdebatte in Amsterdam vorgesehen, wurde dann jedoch auf ein weiteres Treffen verschoben, welches schließlich 1999 in Nizza stattfinden konnte. Die dortigen Reformvorschläge scheiterten vor allem am Widerstand der französischen Ratspräsidentschaft, die als einziges der 14 Mitglieder der Konferenz gegen den Kompromiß stimmte. Das sich anschließende „Geschacher“, in dem jedes Mitglied versuchte, für sein Land das vermeintlich „Beste“ herauszuholen, brachte nur wenig Erfolg im Hinblick auf die so notwendigen Reformen; als wichtigste Ansatzpunkte seien genannt: Neuverteilung der Kommissionsposten, Überarbeitung der Zuständigkeiten der EU, Ausweitung des Mehrheitssystems für Abstimmungen im Rat, Einführung der sog. „doppelt-qualifizierten Mehrheit“. Vgl. auch The Independent v. 12. 12. 2002: This Chaotic Compromise is a Prelude to the Task of Reforming the EU. 165 Vgl. die Beratungen zur Haager Gipfelkonferenz 1969, der Pariser Gipfelkonferenzen 1972 und 1974, abgedruckt bei J. Schwarz, Der Aufbau Europas. Zur Theorie selbst E. B. Haas, The Uniting of Europe, S. 283 ff.; A. Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, S. 192 ff. 166 J. Schwarz, Der Aufbau Europas, S. 40. 167 Vollendet war diese mit Einführung des EURO als offizieller Währung bereits 1999, wenngleich bis zur Einführung des EURO-Bargeldes auch nur als „Buchgeld“.

A. Die Idee einer Europäischen Verfassung

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3. Die Position der Einzelstaaten – föderalistische und konföderalistische „Traditionen“ Schon allein aus historischen Gründen tut sich die Bundesrepublik Deutschland seit Beginn der europäischen Integration im Rahmen der Römischen Verträge leicht mit der Methode der föderativen Vereinigung Europas unter Regie des neofunktionellen Ansatzes. Anderen Staaten fällt dies besonders schwer. Ein Blick durch Geschichte und politische Gliederung des Kontinents kann erklären, woher derartige Ressentiments kommen. Unter den bisher 15 Mitgliedstaaten fanden sich neben Deutschland lediglich zwei weitere, föderalistisch organisierte Staaten: Österreich und auch Belgien.169 Mit Italien und besonders Spanien treten daneben zwei Staaten mit einem ausgeprägten Regionalismus, als „kleinem Bruder“ des Föderalismus.170 In Großbritannien ist mit dem Prozeß der „Devolution“ eine Entwicklung angestoßen worden, die in die Ausprägung einer Regionalstruktur oder vielleicht sogar einer Föderalstruktur enden könnte.171 Andere Staaten dagegen, allen voran Frankreich, in dem erst in neuester Zeit Regionalisierungstendenzen zu erkennen sind, haben sich ihrer zentralistischen Tradition nicht entledigen können. Naturgemäß tun sich diese Staaten schwer mit der Idee einer föderalen Einheit Europas. In den Staaten des ehemaligen Ostblocks bleibt dagegen abzuwarten, welche Entwicklungen die ehemals zentralistisch und auf die Sowjetunion ausgerichteten Staatsordnungen nehmen werden. Angesichts der gerade erst wiedergewonnenen Souveränität dürften sich diese Staaten mit der Übertragung zentraler Souveränitätsrechte oder gar einer Bundesstaatsbildung eher schwer tun. In Staaten wie dem Vereinigten Königreich kommt erschwerend hinzu, daß „Federalism“ dort in einem anderen Kontext verstanden wird. Hiernach wird gerade nicht die nach dem deutschen Verständnis von den Prinzipien der Eigenstaatlichkeit und Subsidiarität geleitete Bedeutung des Föderalismus zugrunde gelegt, sondern eher die Subordination unter eine obere Zentralgewalt. Nicht ohne Grund wurde daher das „F-Wort“ auf britischen Wunsch hin aus den Maastricht-Verträgen und auch aktuell aus dem Entwurf für eine Europäische Verfassung ausgeklammert.172 Verblüffend an der Entwicklung in Großbritannien muß dabei anmuten, daß die beiden großen Parteien ihre Europapositionen quasi getauscht zu haben scheinen: Waren es zu Beginn der europäischen Einigungsbemühungen in den NachkriegsJ. Schwarz, Der Aufbau Europas, S. 40. Zur Föderalisierung Belgiens vgl. P. Peeters, The Fifth Belgian State Reform. 170 Vgl. P. Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 193. 171 Dazu später mehr in Teil 2 unter A.III.3.; ausführlich M. Mey, Regionalismus in Großbritannien. 172 Vgl. z. B. The Guardian v. 29. 10. 2002, „Hain Rejects Federal Advances“, im Internet: http: //politics.guardian.co.uk/eu/story/0,9061,821449,00.html; und später auch in: The Guardian v. 7. 2. 2003, „UK Rails at F-Word in Draft EU Document“, im Internet: http: //politics. guardian.co.uk/eu/story/0,9061,890683,00.html. 168 169

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1. Teil: Einleitung

jahren die Sozialisten, die wegen der Furcht, eine europäische Einigung könnte Rückschritte in Bezug auf den Traum der Sozialistischen Internationalen bedeuten, erbitterte Gegner eines solchen Projektes waren, sind es heute die konservativen Tories, denen eine verstärkte Integration ein Dorn im Auge ist.173 Während die beiden großen Parteien allerdings die Integration in ein europäisches Staatenbündnis föderaler Prägung ablehnen, stehen die Liberalen selbst einer Föderation von „Vereinigten Staaten von Europa“ offen gegenüber. „Echte“ Europa-Befürworter findet man hauptsächlich dort.174 Die grundsätzliche Haltung Großbritanniens spiegelt dagegen dessen Selbstverständnis eines souveränen Zentralstaates wider. Ähnliches läßt sich über Frankreich sagen, dessen Bemühungen um eine Europäische Union zumindest am Anfang eher egoistisch und national orientiert waren. So ging es nicht so sehr darum, einen europäischen Staat zu schaffen, sondern vielmehr darum, eine erneute militärische Übermacht Deutschlands zu verhindern.175 Besonders deutlich wurde diese Haltung, als sich über die Politik des „leeren Stuhls“ die Idee des französischen Staatspräsidenten Ch. de Gaulle von einem „Europa der Vaterländer“ durchzusetzen schien. In dieser Konzeption war kein Platz für einen europäischen Bundesstaat. Französischer Tradition folgend, hielt sie an der Wahrung der nationalen Souveränität Frankreichs fest. Aufgrund der geschichtlich wie gesellschaftlich tief verwurzelten Tradition der „Grande Nation“ erscheint es aus Sicht französischer Politik quasi unmöglich, an einer europäischen Bundesstaatsbildung teilzuhaben.176 Französische Außenpolitik war und ist vielmehr von nationalstaatlicher Interessenpolitik geleitet, nach der Zugeständnisse nur erfolgen, wenn sie aus nationalstaatlichen Gesichtspunkten vernünftig erscheinen.177 So lassen sich denn auch die verweigernde Haltung des französischen Ratspräsidenten J. Chirac in Nizza im Dezember 2000178 sowie auf dem Gipfel im Juni 2003 zum Agrarkompromiß179 erklären. 173 Vgl. etwa The Independent v. 28. 8. 2002, „Tories Condemn Straw’s Proposal for an EU-Constitution“; vgl. sonst (zur Position von Labour) S. George, An Awkward Partner, S. 18 f. und K. Featherstone, Socialist Parties and European Integration, S. 41 ff. 174 Vgl. dazu den Beitrag von D. Prag, Eine Verfassung für die Europäische Union?, S. 12: „Labour ist jetzt die Europäische Partei“. 175 Vgl. H. Schauer, Nationale und Europäische Identität, S. 12. 176 Zur geschichtlichen Entwicklung vgl. H. Schauer, Nationale und europäische Identität, S. 3 ff. 177 Symptomatisch dafür bereits Äußerungen Ch. de Gaulles im März 1944: „Damit aber der erneuerte alte Kontinent bei den Gegebenheiten unserer Zeit entsprechendes Gleichgewicht finden kann, müssen hier unseres Erachtens gewisse Gruppierungen vorgenommen werden, allerdings – wohlgemerkt – ohne daß irgend jemands Souveränität beeinträchtigt werden darf.“ Ähnlich ließ er 1960 verlauten: „Es ist eine Schimäre zu glauben, man könnte etwas Wirksames schaffen und die Völker etwas billigen, was außerhalb oder über dem Staat stehen würde.“ Im krassen Gegensatz dazu öffnete das deutsche Grundgesetz vom 23. Mai 1949 in seinem Art. 24 den Bund bereits einer überstaatlichen Vereinigung: (Abs. 1) „Der Bund kann durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen“. Vgl. auch J. Schwarz, Der Aufbau Europas, S. 24, und H. Schauer, Nationale und europäische Identität, S. 8 ff.

A. Die Idee einer Europäischen Verfassung

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4. Fazit Hatten somit die geistigen Väter der europäischen Einigung noch die Bildung eines europäischen Bundesstaates vor Augen gehabt, entwickelte sich die tatsächliche politische Praxis unter den Mitgliedstaaten deutlich anders. Die Zielsetzung der Integration, ob Bundesstaat oder Staatenbund, wurde dabei nie offen diskutiert, schwebte aber stets latent im Raum. J. Schwarz spricht zuweilen gar von einem „historischen Mißverständnis“.180 Heute kann davon ausgegangen werden, daß in der politischen Realität auf Seiten der Föderalisten nur noch der funktionalistische, supranationale Ansatz überlebt hat. Es mag zwar noch vereinzelte Gruppierungen geben, die anhaltend von einer Bundesstaatsbildung durch kreativen Akt, sprich Verabschiedung einer europäischen Verfassung, ausgehen, in der politischen Wirklichkeit spielen sie jedoch keinerlei Rolle. Vielmehr soll sich nach Vorstellung der Funktionalisten der europäische Bundesstaat als Neuerung quasi aus sich selbst heraus entwickeln, ohne in vorgefertigte Schemata staatlicher Zustände gepreßt zu werden.181 Als integrationspolitische Gegensätze stehen sich somit im Europa des 21. Jahrhunderts noch die funktionalistischen Föderalisten und die intergouvernementalen Konföderalisten gegenüber. Von Beginn der europäischen Einigung nach Ende des Zweiten Weltkrieges an konkurrierten das eher deutsche Integrationskonzept eines europäischen Bundesstaates und das eher an französischen Interessen orientierte Staatenbundkonzept miteinander. Mit Aufnahme neuer Staaten, die das staatenbündische Modell bevorzugten, allen voran Großbritannien – zu dessen rechtlicher Tradition näher in Teil 2 der Arbeit – und z. T. auch Dänemark (jeweils 1973), verschoben sich die Machtbalancen im Rat auf Seiten der Gegner des Föderalismusmodells.182 Trotz

178 Allgemein wurde von Seiten aller Vertreter der Mitgliedstaaten beklagt, die französische Ratspräsidentschaft orientiere sich zu sehr an nationalen Interessen. Insbesondere stand die französische Weigerung der Erhöhung der deutschen Stimmen im Rat als Anerkennung der erhöhten Bevölkerungszahl nach 1990 in der Kritik. Dazu in The Guardian v. 11. Dezember 2000, „Hit the Road Jacques“, im Internet: http: //www.guardian.co.uk/elsewhere/journalist/ story/0,7792,409911,00.html; sowie M. Wiegel in: FAZ v. 7. Dezember 2000, „Innenpolitik hat Vorrang“. 179 Die Reform der gemeinsamen Agrarpolitik stand zunächst nicht auf der Agenda des Reformgipfels, wurde jedoch schnell akut, nachdem der französische Staatspräsident J. Chirac aufgrund „lebenswichtiger nationaler Interessen“ die Verhandlungen, die innerhalb der Kommission in Luxemburg geführt wurden, mit seinem „Veto“ stoppte. Erst nach zähem Ringen konnte schließlich unter großen Zugeständnissen an die französische Seite ein Kompromiß ausgearbeitet werden. Vgl. Die WELT v. 20. Juni 2003: „Chirac stoppte Verhandlungen über EU-Agrarreform“, im Internet: http: //www.welt.de/data/2003/06/20/121964.html; FAZ v. 27. Juni 2003: „Die EU ordnet ihre Agrarpolitik neu“ sowie The Guardian v. 26. Juni 2003: „EU agrees CAP reform deal“, im Internet: http: //politics.guardian.co.uk/eu/story/ 0,9061,985332,00.html. 180 J. Schwarz, Der Aufbau Europas, S. 24. 181 H. Boldt, Die Europäische Gemeinschaft, S. 149.

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1. Teil: Einleitung

(oder gerade wegen) des Konventsentwurfes für die EU kommt man wohl nicht umhin anzuerkennen, daß eine Föderation der „Vereinigten Staaten von Europa“ in weiter Ferne liegt. Denn so sehr die föderative Einigung Europas vielfach betont worden ist183, in der politischen Wirklichkeit wird sie zumindest nicht konsequent weiterverfolgt. Dies schlägt sich auch in der Arbeit des Konvents nieder, dessen selbst gestellte Aufgabe von der Ausarbeitung einer „Verfassung für Europa“ sich schnell zur Ausarbeitung eines „Verfassungsvertrages“ wandelte. Vor allem aufgrund des britischen Widerstandes noch vor Beginn der eigentlichen Konventsarbeit nach Abschluß der sog. ersten „Aufwärmphase“ wurde dem Dokument mit Betonung des Zwischenstaatlichen durch die Einfügung des Wortes „Vertrages“ der brisante Beigeschmack einer Verfassung für einen europäischen Bundesstaat genommen.

B. Die Konventsidee I. Die ursprüngliche Konventsidee nach amerikanischem Vorbild – Constitutional Conventions in den USA Der Begriff des Konvents entstammt dem lateinischen convenire, was ungefähr im Sinne von „zusammen kommen“ oder „sich zusammen finden“ übersetzt werden kann.184 Der Konvent ist demzufolge gleichbedeutend mit „Zusammenkunft“ und „Versammlung“. Gleichwohl in Aufsätzen immer wieder betont wird, daß die Wiege der Konventsidee in der Arbeit des außerordentlich erfolgreichen Grundrechte-Konvents unter Führung von Roman Herzog zu suchen ist185, trifft dies doch nur auf die europäische Dimension der Konventsidee zu. Frühere Verfassungskonvente gab es z. B. in Deutschland mit dem Verfassungskonvent von Herrenchiemsee (1948) und in Frankreich mit dem Nationalkonvent (1789). Aber schon vorher finden sich prominente Beispiele in der Nordamerikanischen Verfassungsgeschichte. Weltruhm hatte dort der Philadelphia Konvent erlangt, doch stellte auch er lediglich eine Fortsetzung der bereits zur Übung gewordenen Conventions dar.186 Die ursprüngliche Idee des Konvents findet sich in der Empfehlung des Kontinentalkongresses an die Provinzkongresse von 1775 wieder, 182 Eine Gegenüberstellung der nationalen Vorstellungen und Europakonzeptionen findet sich für die Länder Deutschland, Frankreich und Großbritannien bei H. Schauer, Nationale und europäische Identität. 183 Vgl. etwa die Humboldt-Rede J. Fischers v. 12. Mai 2000. 184 Aus lat. conventus „Zusammenkunft, Versammlung“ zu convenire „zusammenkommen“ – Das Große Fremdwörterbuch: Herkunft und Bedeutung der Fremdwörter, Dudenverlag, Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich, 2003. 185 Vgl. beispielhaft J. Meyer / S. Hartleif, Die Konventsidee, S. 368. 186 So die „Constitutional Conventions“ in Delaware (1776) und New Hampshire (1778). Vgl. J. Heideking, Die Verfassung vor dem Richterstuhl, S. 107 f.

B. Die Konventsidee

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„to call a full and free representation of the people, and that the representatives, if they think it necessary, establish such a form of government, as in their judgement will best produce the happiness of the people.“187

Der tragende Gedanke hinter der Konventsidee ist somit in der Bildung eines Komitees zu sehen, das als gewähltes Repräsentativorgan über die ausreichende demokratische Legitimation verfügt, eine Verfassung für alle Bürger auszuarbeiten, die als zukünftiges „fundamental law“ auch über dem „statutory law“ der Parlamente stehen wird.

II. Die „europäische“ Konventsidee Im Gegensatz zum amerikanischen Vorbild wurde der Konvent zur Zukunft Europas nicht einberufen, um über die Verabschiedung einer Vollverfassung für Europa zu beraten.188 Auch fehlte ihm eine direkte demokratische Legitimationskette zum Volk, zählte er zu seinen Mitgliedern doch z. T. Vertreter, die von nationalen Regierungen und nicht vom Volk bestimmt wurden. Dieses Defizit konnte der Konvent jedoch im wesentlichen durch zwei Umstände wettmachen: Erstens besaß die „Fraktion“ der Parlamentarier ein starkes Gewicht. Über die Bestellung durch das jeweils nationale (oder auch das europäische) Parlament verfügen diese somit zumindest über eine indirekte demokratische Legitimation. Zum anderen wurde die Arbeit des Zukunfts-Konvents in bisher nicht bekannter Weise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.189 Über Internet konnten seine Sitzungen teilweise sogar per sog. „livestream“ in Bildübertragung verfolgt werden.190 Zudem gibt es eine Internet-Homepage, auf der sich interessierte Bürger jederzeit über Zusammensetzung, Aufgabenstellung, aktuelle Entwicklungen informieren, sowie aktuelle Sitzungsprotokolle abrufen konnten. Auf dieser Homepage ist außerdem ein Bürgerforum eingerichtet worden, das nach dem eigenen Verständnis des Konvents in zwei Richtungen funktionieren soll: Einerseits bot es interessierten Bürgern eine Gelegenheit, Fragen an die Konventsmitglieder direkt stellen zu können. Andererseits sollten aber auch Konventsmitglieder die Möglichkeit erhalten, in direktem Kontakt mit der Öffentlichkeit Anregungen und Kritik an der Arbeit aufzunehmen und sofort umsetzen zu können. Das Forum stand zudem „allen Organisationen offen, welche die Gesellschaft repräsentieren (Sozialpartner, Wirtschaftskreise, Nichtregierungsorganisationen, Hochschulen usw.).“ Diese Gruppen sollten regelmäßig über die Arbeit des Konvents direkt unterrichtet werden, so daß auch ihre Beiträge in die Debatte einfließen können. Insbesondere konnten sie „nach 187 188

Zit. nach J. Heideking, Die Verfassung vor dem Richterstuhl, S. 108. Gleichwohl sich der Konvent selbst diese Aufgabe vorgab. Dazu mehr sogleich unter

C.II. 189 Gem. der Erklärung von Laeken sind „seine [i.e. der Konvent] Erörterungen und sämtliche offiziellen Dokumente [ . . . ] für die Öffentlichkeit zugänglich.“ 190 Im Internet: http: //europarl.telemak.com.

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1. Teil: Einleitung

vom Präsidium festzulegenden Modalitäten zu besonderen Themen gehört oder konsultiert werden“. Auf diese Art und Weise geschah gerade das Gegenteil zum Vorbild des Philadelphia Konvents, der hinter verschlossenen Türen unter Ausschluß der Öffentlichkeit tagte, um seine Arbeit nicht durch Vorabveröffentlichungen dem Druck der Öffentlichkeit auszusetzen und damit zu gefährden.191 Dem Konvent erhielt damit auf dem Papier Gelegenheit, das demokratische Defizit – gemessen an dem Idealbild der Konventsidee des Kontinentalkongresses – auszugleichen. Auch in Fortentwicklung des Konvents-“Experimentes“ beim Grundrechte-Konvent192, ist hier eine wirkliche Innovation und zugleich ein großer Schritt hin zu mehr Transparenz im europäischen Institutionengefüge getan. Die „Warnschüsse“ in Richtung Brüssel bei den vorangegangenen Europawahlen,193 scheinen ihre Wirkung nicht verfehlt zu haben.

III. Die Konventsmethode in Ergänzung zu Regierungskonferenzen 1. Das Vertragsänderungsverfahren gemäß Art. 48 EUV Gemäß Art. 48 EUV wird das Vertragsänderungsverfahren durch den Vorschlag eines Mitgliedstaates oder der Kommission eingeleitet. Danach entscheidet der Rat über die Einberufung einer Konferenz durch Abgabe einer Empfehlung nach Anhörung des Europäischen Parlaments oder auch der Kommission. Der Präsident des Rates wird dann eine solche Konferenz einberufen, auf der die Änderungsvorschläge diskutiert und beschlossen werden. Dieses Verfahren stellt ein einheitliches Konzept für die Änderung der Einzelverträge des EGV, EAGV, EGKSV und EUV, zugehörige Dokumente (v.a. Protokolle) eingeschlossen, dar. Bis zur „Vertragsvereinheitlichung“ mit dem Maastrichter Vertrag von 1992 waren in den einzelnen Verträgen eigene Bestimmungen enthalten, die nun in Art. 48 EUV in einem einheitlichen Verfahren zusammengefaßt worden sind. 2. Die Mitgliedstaaten als „Herren der Verträge“ – der Luxemburger Kompromiß Größere Vertragsänderungen, die, soweit man die Verträge auf Verfassungsrang erheben will, Verfassungsänderungen gleich kommen, sind den Mitgliedstaaten als Vgl. J. Heideking, Die Verfassung vor dem Richterstuhl, S. 117. Zu dessen Arbeitsweise und Zusammensetzung vgl. auch den Exkurs unter IV. 193 Die Wahlbeteiligung lag im europäischen Durchschnitt bei gerade einmal 49,4%, in manchen Staaten (z. B. Großbritannien mit 24% oder Niederlande mit 29,9 %) sogar deutlich darunter. Seit 1979 hat damit die Wahlbeteiligung konstant abgenommen (63% 1979). 191 192

B. Die Konventsidee

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den „Herren der Verträge“194 anheim gestellt. „Kleinere“ Änderungen, etwa die Änderung der Zahl der Kommissionsmitglieder oder Änderung der Zahl der Richter und Generalstaatsanwälte sind zum Teil in eigenen Artikeln geregelt, ohne daß es einer Regierungskonferenz bedarf.195 In der Vergangenheit stellten denn auch Regierungskonferenzen die Ausnahme dar. Die prominentesten Beispiele, von Beitrittskonferenzen einmal abgesehen, datieren daher auch aus neuerer Zeit: Die Einheitliche Europäische Akte (EEA) von 1986, der Vertrag von Maastricht (1992), der Vertrag von Amsterdam (1997) und der Vertrag von Nizza (2001). Noch 1985 hatte Kommissionspräsident Jacques Delors bemerkt, daß derartige Konferenzen nicht alle fünf oder zehn Jahre und bis 2000 keine weitere stattfinden sollte. Tatsächlich wurden es dann drei.196 Ursprünglich eine Ausnahme, haben in der Vergangenheit Regierungskonferenzen quasi eine Institutionalisierung erfahren.197 Eine Vertragsrevision kann gemäß Art. 48 EUV nur durch einstimmigen Beschluß der Regierungsvertreter Als „Herren der Verträge“ erfolgen, der zudem der Ratifikation gemäß den jeweiligen einzelstaatlichen Verfassungsbestimmungen bedarf. Diese Letztverantwortungsposition der Mitgliedstaaten wurde von Frankreich immer stark betont, zu einer ernsten Krise führte sie allerdings, als Mitte 1965 die französische Regierung, vordergründig wegen behaupteter Nichteinhaltungen von Absprachen im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik, die Arbeit des Ministerrates durch permanente Abwesenheit stark behinderte (sog. „Politik des leeren Stuhls“).198 Die Krise wurde durch den sog. Luxemburger Kompromiß 1966 beigelegt, als „bei Beschlüssen, die mit Mehrheit auf Vorschlag der Kommission gefaßt werden können, sehr wichtige Interessen eines oder mehrerer Partner auf dem Spiel stehen, [ . . . ] sich die Mitglieder des Rates innerhalb eines angemessenen Zeitraumes bemühen, zu Lösungen zu gelangen, die von allen Mitgliedern des Rates unter Wahrung ihrer gegenseitigen Interessen und der Interessen der Gemeinschaft gemäß Art. 2 des Vertrages angenommen werden können.“

Der entscheidende Teil des Kompromisses bestand allerdings darin, „daß bei sehr wichtigen Interessen die Erörterung fortgesetzt werden muß, bis ein einstim194 Inwieweit dies noch der Wirklichkeit entspricht, muß ernsthaft bezweifelt werden. Dazu U. Everling, Sind die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft noch Herren der Verträge?, in: FS Mosler, 1983, S. 173 ff.; I. Pernice, in: H. Dreier (Hrsg.), GrundgesetzKommentar, Bd. 2, 1998, Art. 23 Rn. 21. P. Häberle, Europa – Eine Verfassungsgemeinschaft?, S. 118, bestreitet dies ausdrücklich: „Die Mitgliedstaaten der EU sind längst nicht mehr die vielzitierten „Herren der Verträge“. Sie befinden sich unumkehrbar in einer Verfassungsgemeinschaft, sind einander nicht mehr „Ausland‘“. 195 Vgl. Art. 213, 222 EGV. 196 Dazu B.P.G. Smith, Constitution Building, S. 209. 197 H. / W. Wallace, Policy-Making in the European Union, S. 524. 198 Vgl. R. Streinz, Die Luxemburger Vereinbarung.

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1. Teil: Einleitung

miges Einvernehmen erzielt worden ist“. Dieses „Agreement to disagree“199 ermöglichte es einem Vertreter im Rat, auch bei Entscheidungen, die eigentlich nicht dem Einstimmigkeitsprinzip unterliegen, eine einstimmige Entscheidung zu „erzwingen“. Bis zur Haager Gipfelkonferenz der Regierungschefs der EG-Staaten Ende 1969 führte dieser Kompromiß zu einem Stillstand in der weiteren Entwicklung der EG.200 Nun betraf der Luxemburger Kompromiß gerade nur solche Entscheidungen, bei denen keine Einstimmigkeit vorgesehen ist und gerade nicht Beschlüsse auf Regierungskonferenzen zur Vertragsrevision. Anhand dieses Beispiels läßt sich jedoch eindrucksvoll demonstrieren, wie durch das Einstimmigkeitserfordernis die Europäische Union in ihrer weiteren Entwicklung nachhaltig gehemmt werden konnte. Waren es zur Zeit der „Politik des leeren Stuhls“ gerade sechs Mitgliedstaaten, sind es heute siebenundzwanzig Regierungschefs, die sich auf einen Kompromiß bei Verfahren nach Art. 48 EUV einigen müssen.

3. Das Einstimmigkeitsprinzip als „Bremse“ der Integration Bei Einstimmigkeitsentscheidungen wird bei zunehmender Heterogenität der Mitgliederinteressen das Beibehalten des Status Quo, also praktischer Stillstand in der EU, wahrscheinlicher. Sieht man Stillstand als Rückstand an, verliert die Gemeinschaft also unabhängig von den Entscheidungskosten allein durch diese Entwicklung. Eine Überwindung des Status Quo wird hingegen wieder wahrscheinlicher, werden Entscheidungen nicht isoliert, sondern in „Paketen“ getroffen. Hiernach haben Verbundentscheidungen mehr Chancen auf Verabschiedung als Kompromisse.201 Die Mitgliedstaaten werden damit zu strategischem Verhalten animiert. Trotz grundsätzlicher Befürwortung eines Abstimmungsergebnisses eröffnet sich die Möglichkeit, bei Abstimmungen, in denen es auf eine Stimme ankommt, diese durch das Herbeiführen einer Verbundentscheidung zu „erkaufen“. Nach dem Prinzip „manus lavat manum“ ist es dann möglich, ein sonst nicht mehrheitsfähiges Ergebnis zu erzielen.202 A. Kirman und M. Widgrén führen deutlich vor Augen, wie in der EU das Zustandekommen von Verbundentscheidungen erklärt werden kann.203 Das hat dazu geführt, daß derartig geführte Regierungskonferenzen nahezu in „Basare“ ausarteR. Lahr, Die Legende vom Luxemburger Kompromiß, S. 223 ff. Vgl. dazu Th. Oppermann, Europarecht, § 1 Rn. 30. 201 A. Kirman / M. Widgrén, Voting in the European Union, S. 441. 202 Als die Wirtschafts- und Finanzminister der Europäischen Union über die Empfehlung zur Teilnahme bestimmter Staaten an der dritten Stufe der Währungsunion abzustimmen hatten, wurde der Vorwurf laut, der ECOFIN-Rat hätte sich die Entscheidung, auch Italien und Belgien mit in die „Eurozone“ aufzunehmen, in der Weise abtrotzen lassen, als diese ohne ihre Teilnahme nicht für den Start der dritten Stufe der Währungsunion gestimmt hätten. 203 Vgl. A. Kirman / M. Widgrén, Voting in the European Union, S. 435 ff. 199 200

B. Die Konventsidee

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ten, bei denen jeder Vertreter durch sein „Vetogewicht“ versuchte, nationale Interessen so weit als möglich auf europäischer Ebene durchzusetzen.204 In „Nächten der langen Messer“ verlieren sich die Beteiligten der Regierungskonferenzen somit immer wieder in unnötigen Verhandlungsmarathons, die nicht selten erst in den frühen Morgenstunden ihr Ende finden und eher nach körperlicher Fitneß als nach Verhandlungsposition entschieden werden.205 Bereits nach dem Verhandlungsmarathon im Zusammenhang mit dem Vertrag von Amsterdam wurden erste Zweifel an dem bestehenden System geäußert.206 Die Regierungskonferenz in Nizza bestätigte diese Zweifel noch einmal nachdrücklich, doch änderte sich nichts.207

4. Die alternative Konventsmethode Da die Regierungskonferenz als solche im Vertragsänderungsverfahren außer Frage steht, wurde vielfach über Möglichkeiten nachgedacht, den Verhandlungsvorgang zu beschleunigen und der eigentlichen Sacharbeit somit mehr Raum zu geben.208 Wurden schon bei früheren Gelegenheiten Expertenzirkel oder Gremien „Weiser Männer“209 mit der Vorbereitung einzelner Projekte betraut, besann man sich im Rahmen der Konferenz von Laeken auf das Beispiel des Konvents, das schon einmal erfolgreich Schule machen konnte, als unter dem Vorsitz des ehemaligen Bundespräsidenten und Bundesverfassungsrichters Roman Herzog ein Konvent die Charta der Europäischen Grundrechte ausarbeitete, die von den Vertretern der Mitgliedstaaten auf der Regierungskonferenz in Nizza feierlich proklamiert 204 Zu diesem Problem und der generellen Ineffektivität des Rates im Vertragsänderungsverfahren vgl. näher P. Schoutheete, The European Council, S. 40 ff. (43). Überwiegende nationale Interessen in den Organen der Europäischen Union prangert auch der Konventspräsident Giscard d’Estaing in seiner Eröffnungsrede an: „Nach Maastricht waren die Verhandlungen über die letzten Verträge schwierig, und diese wurden den anfangs gesetzten Zielen nicht gerecht: Bei den Beratungen in den Organen erlangten oft die nationalen Interessen Vorrang über die gemeinsamen europäischen Belange.“ Und später: „[ . . . ] Regierungskonferenzen [ . . . ] hatten aber den Charakter diplomatischer Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten, bei denen jeder durchaus legitim danach trachtet, für sich selbst möglichst viel herauszuholen, ohne das Ganze im Auge zu haben.“ (http: //register.consilium.eu.int/pdf/de/02/cv00/ 00004d2.pdf). 205 Zur Kritik am bestehenden Verfahren vgl. insbes. B.P.G. Smith, Constitution Building, S. 208. 206 Agence Europe, 19. Juni 1997; The Independent v. 12. Dezember 2000, „This chaotic compromise is a prelude to the bigger task of reforming the EU“. 207 Zweifel wurden zuvorderst vom Britischen Premierminister Blair geäußert, der im Zusammenhang mit der Konferenz von einem „Zirkus“ sprach; The Independent v. 12. Dezember 2000, „Blair calls for change after Nice ,circus‘“. 208 Zum Ganzen B.P.G. Smith, Constitution Building, S. 208 f. 209 Vgl. z. B. im Vorfeld der Regierungskonferenz in Nizza den „Bericht der drei Weisen“, R. v. Weizsäcker / J.-L. Dehaene / D. Simon, Die institutionellen Auswirkungen der Erweiterung. Bericht an die Europäische Kommission (18. Oktober 1999), abgedruckt in: F. Loth, Entwürfe einer europäischen Verfassung, S. 227 ff.

5 Hupka

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1. Teil: Einleitung

worden war.210 Diesem Beispiel folgend tagte der „Konvent zur Zukunft Europas“ und erarbeitete ein Dokument, das als Basis für die Regierungskonferenz 2003 / 2004 gedient hat. Die Einberufung des Konvents kommt einer Kapitulation des bisherigen Ratsystems gleich, in dem auf intergouvernementaler und gerade nicht auf supranationaler Ebene Vertragsänderungen herbeizuführen waren.211 In gewisser Weise scheint sich über die Osterweiterung ein Sachzwang ergeben zu haben, der als „SpillOver“ nunmehr die Übertragung der Reformfragen auf die „supranationale Ebene“ notwendig gemacht hat.212 Zweifach (in Amsterdam und Nizza) an der Frage der institutionellen Änderungen gescheitert, mußten die Staats- und Regierungschefs sich der wesentlichen inhaltsbestimmenden Funktion begeben und sie dem Konvent zur Entscheidung übertragen. Die Regierungskonferenz 2003 / 2004 – beinahe erneut an der Frage der Abstimmungsregeln gescheitert – widerstand der Versuchung, das Konventspaket in weiten Teilen wieder „aufzuschnüren“ und übernahm die Vorschläge in der Unterzeichnung am 29. Oktober 2004 fast unverändert.213 Nunmehr sind die Mitgliedstaaten an der Reihe, bis 2006 den Verfassungsvertrag zu ratifizieren und damit dem Konvent zum endgültigen Erfolg zu verhelfen. Spektakulär an der Konventsmethode ist, wie die Regierungschefs als „Herren der Verträge“ das Heft aus der Hand geben und einem Gremium die Aufgabe der Vertragsrevision übertragen, in dem es keine rein „nationale“ Gruppe gibt.214 Zuweilen wird für die Konstitutionalisierung eines Gemeinwesens als entscheidend vorausgesetzt, daß wesentliche Entscheidungen, insbesondere solche im Bereich ABl. C 2000 / 364, 1. Vgl. L. Gerken in: FAZ v. 14. 6. 2003. Symptomatisch auch die Äußerungen des Britischen Premiers T. Blair nach Ende der Verhandlungen in Nizza: „As far as Europe is concerned, we cannot do business like this in the future“, vgl. The Guardian v. 12. Dezember 2000, „Belgian Hero Broke Deadlock“, im Internet: http: //www.guardian.co.uk/uk_news/story/ 0,3604,410132,00.html. Ähnlich auch der Kommissionspräsident R. Prodi: „Pluralistischere Methoden zur Vorbereitung der Gipfel nötig“, vgl. FAZ v. 10. Januar 2001, „Prodi: Aus Nizza lernen“. 212 Natürlich verbleibt es für die Vertragsreform beim völkerrechtlichen Prinzip. Welchen Inhalt die Reform erhält, wird aber nunmehr faktisch einem Gremium überantwortet, welches sich aus Vertretern nationaler wie supranationaler Gremien zusammensetzt. 213 Vgl. CIG 87 / 2 / 04 Rev 2; im Internet: http: //ue.eu.int/uedocs/cmsUpload/cg00087re02.de04.pdf. 214 Wenngleich der Rat die entscheidenden Entscheidungen offenbar in die Hände des Konvents gelegt hatte, tat er dieses nicht ohne gewisse „Sicherheitsvorkehrungen“, um der gerufenen Geister Herr zu bleiben. Für den Präsidentenposten wurde mit Giscard d’ Estaing eine vermeintlich eher integrationskritische Person ausgewählt, um die Reformideen des Konvents von Beginn an im Rahmen zu halten. Der Zeitraum für die Arbeit des Konvents war sehr begrenzt und ließ kaum Spielraum für eine grundlegende Reform der Verträge. Schließlich sollten die fest umrissenen Fragestellungen das Arbeitsprogramm des Konvents auf enge Reformkomplexe beschränken. Die Konventsidee erhielt hierdurch ihre eigene Note, die sie letztlich auch entscheidend von den in ihrer Arbeitsweise unbegrenzten Verfassungskonventen von Philadelphia oder Herrenchiemsee abhob. 210 211

B. Die Konventsidee

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einer „Verfassungsänderung“ nicht mehr einstimmig getroffen werden, sondern per Mehrheitsvotum.215 Erst hier zeigt sich, ob sich die verschiedenen Mitglieder des Gemeinwesens als Teil eines Ganzen begreifen, in dem sie die Entscheidungen auch von ihnen nicht persönlich gewählten Repräsentanten als für sich verbindlich einstufen. Genau dieser Schritt wird aber hier mit dem Verfassungskonvent vollzogen, für den vier Grundprinzipien in mehr oder weniger stark ausgeprägter Form charakteristisch sind: Es gelten Mandatsgleichheit (mit Durchbrechung durch nicht stimmberechtigte Mitglieder aus den Beitrittsländern) und Öffentlichkeit (durchbrochen durch die Existenz des „geheim“ tagenden Präsidiums); die Arbeit war gekennzeichnet von Argumentsstärke und Überzeugungskraft seiner Mitglieder in enger Verbindung mit dem Konsensprinzip.216 Danach gab es kein Veto-Recht eines einzelnen Mitglieds mehr; aus dem Konsensverfahren folgt, daß bis zur Erreichung eines Gesamtkonsenses die Probleme ausgetragen werden. Zugleich werden hier nun aber Entscheidungen von Verfassungsrang mehrheitlich durch Personen getroffen, die nicht derselben Nationalität des jeweils Betroffenen angehören.217 Der Konvent scheint hiermit – trotz der bestehenden Gefahr einer Revidierung durch die Regierungskonferenz – ein Indikator für das Zusammenwachsen Europas bzw. die Entstehung eines europäischen demos zu sein. Gegenüber der Regierungskonferenz 2003 / 2004 hat er sich insoweit behaupten können, als „sein“ Entwurf beinahe unbeschadet Bestätigung gefunden hat. Nunmehr steht die „Feuertaufe“ in den Ländern bevor, in denen eine Volksabstimmung über den Verfassungsentwurf geplant ist.218

IV. Exkurs: Der Konvent zur Erarbeitung einer Europäischen Grundrechte-Charta Das Europäische Konventsmodell ist erstmalig in Gestalt des Konvents zur Erarbeitung einer Europäischen Grundrechte-Charta in Erscheinung getreten.219 Auf dem Kölner Gipfel am 3. / 4. Juni 1999 wurde seine Einsetzung durch den Rat der Europäischen Union beschlossen. In seinem Beschluß zur Erarbeitung einer EuroJ.H.H. Weiler, A Constitution for Europe?, S. 565. Dazu näher S. Hölscheidt, Europäischer Konvent, Europäische Verfassung, nationale Parlamente, S. 6 ff. 217 So stellen Frankreich mit 13 und Großbritannien mit 12 Mitgliedern die größten „nationalen“ Gruppen im Konvent. Dies bedeutet aber auch, daß bei 105 stimmberechtigten Mitgliedern die Entscheidungen mehrheitlich, d. h. aus französischer Sicht immerhin 92, durch „Nicht-Franzosen“ getroffen werden. 218 Bislang sind Abstimmungen in Spanien, Frankreich, Niederlande und Luxemburg durchgeführt worden; vgl. FAZ v. 23. April 2004, „Letzte hohe Hürde“; v. 22. Februar 2005, „Ja zur Hörensagen-Verfassung“; v. 30. Mai 2005, „Der ,politische Unfall‘“; v. 2. Juni 2005, „Ein klares ,Nee‘ zur EU-Verfassung“. 219 Ausführlich zur Erarbeitung der Grundrechtecharta aus britischer Sicht bei F.G. Jacobs, The EU-Charter of Fundamental Rights. 215 216

5*

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1. Teil: Einleitung

päischen Grundrechte-Charta wurde die Einsetzung eines Gremiums vereinbart, daß gerade nicht ausschließlich aus Regierungsvertretern bestehen sollte: „Der Europäische Rat ist der Auffassung, daß ein Entwurf einer solchen Charta der Grundrechte der Europäischen Union von einem Gremium ausgearbeitet werden sollte, das aus Beauftragten der Staats- und Regierungschefs und des Präsidenten der Europäischen Kommission sowie Mitgliedern des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente besteht. Vertreter des Europäischen Gerichtshofs sollten als Beobachter teilnehmen. Vertreter des Wirtschafts- und Sozialausschusses, des Ausschusses der Regionen und gesellschaftlicher Gruppen sowie Sachverständige sollten angehört werden. Das Sekretariat soll vom Generalsekretariat des Rates wahrgenommen werden.“220

Den Namen „Konvent“ gab sich das Gremium unter dem Vorsitz von Bundespräsident a.D. Roman Herzog erst auf seiner zweiten Arbeitssitzung am 1. Februar 2000. Bevor er seine Arbeit am 17. Dezember 1999 aufgenommen hatte, wurden noch auf dem Gipfel von Tampere im Oktober 1999 weitere Bestimmungen, insbesondere in Bezug auf die Öffentlichkeit seiner Arbeiten, beschlossen.221 Die Arbeit des Konvents fand denn auch in breitem und bis dahin ungekanntem Maße unter den Augen der interessierten Öffentlichkeit statt. Neben der Möglichkeit, sämtliche vom Konvent erarbeiteten Dokumente via Internet abrufen zu können, begleiteten Podiumsdiskussionen und Kolloquien unter Beteiligung von Konventsmitgliedern die Arbeit des Gremiums. An seinem Tagungsort in Brüssel fand gar ein ganztägiges öffentliches Hearing statt, ähnliches wurde auf nationaler Ebene in den Mitgliedstaaten veranstaltet. Erste Entwürfe nebst Kommentaren von Wissenschaftlern, Lobbyisten und Konventsmitgliedern selbst wurden dem Konvent zugeleitet.222 Während der Arbeit des Konvents wurden außer der Abstimmung über die Namensgebung keine weiteren getroffen. Statt dessen sollte nach dem Beschluß von Tampere der Gesamttext ohne förmliches Votum vorgelegt werden.223 Dieses soge220 Anhang IV der Schlußfolgerungen von Köln, Beschluß des Europäischen Rates zur Erarbeitung einer Charta der Grundrechte der Europäischen Union, abgedruckt unter http: // europa.eu.int/council/off/conclu/june99/june99_de.htm. 221 Vgl. Anlage zu den Schlußfolgerungen von Tampere, Zusammensetzung und Arbeitsverfahren des Gremiums zur Ausarbeitung des Entwurfs einer EU-Charta der Grundrechte sowie einschlägige praktische Vorkehrungen entsprechend den Schlußfolgerungen von Köln, abgedruckt unter http: //europa.eu.int/council/off/conclu/oct99/oct99_de.htm# annex. 222 So etwa die Entwürfe von A. Duff, „A Model Constitution for a Federal Union of Europe“ v. 3. September 2002 (234 / 02), R. Badinter, „Une Constitution Européenne“ v. 30. September 2002 (CONV 317 / 02), A. Dashwood, „Draft Constitutional Treaty on the European Union“ v. 14. Oktober 2002 (CONV 345 / 1 / 02). Für eine Zusammenfassung dieser und weiterer Entwürfe vgl. P. Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 600 ff. 223 Vgl. Anlage zu den Schlußfolgerungen von Tampere, Zusammensetzung und Arbeitsverfahren des Gremiums zur Ausarbeitung des Entwurfs einer EU-Charta der Grundrechte sowie einschlägige praktische Vorkehrungen entsprechend den Schlußfolgerungen von Köln, abgedruckt unter http: //europa.eu.int/council/off/conclu/oct99/oct99_de.htm#annex.

C. Der (Verfassungs-)Konvent zur Zukunft Europas

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nannte Konsensverfahren erwies sich als außerordentlich praktikabel, sprachen sich bei den Abschlußarbeiten doch nur vereinzelte Mitglieder gegen den Entwurf aus und wurde der Entwurf einstimmig auf der Konferenz von Nizza von den Staats- und Regierungschefs angenommen und feierlich proklamiert.224

C. Der (Verfassungs-)Konvent zur Zukunft Europas I. Die Vorgeschichte zum Verfassungskonvent – der „Post-Nizza-Prozeß“ Die Arbeit zur Einsetzung des Verfassungskonvents begann streng genommen auf der Konferenz von Nizza, nachdem keine endgültige Einigung bezüglich einvernehmlich notwendiger Reformen erzielt werden konnte.225 So wurde nach einem alternativen Reformkonzept fieberhaft gesucht. Dieser anschließende, in der Literatur fortan als „Post-Nizza-Prozeß“ bezeichnete Zeitabschnitt 226 führte dann mit dem Gipfel von Laeken zur Einsetzung des Konvents zur Zukunft Europas. Die eigentliche Geschichte kann allerdings noch weiter zurück verfolgt werden, quasi in einen „Prae-Nizza-Prozeß“. Der Vertrag von Nizza mit seinen Änderungen im institutionellen Gefüge der EU schließt unmittelbar an den Vertrag von Amsterdam227 an, der wiederum als Fortschreibung des Vertrags von Maastricht angesehen werden kann. Diese „Fortschreibungen“ rühren daher, daß die jeweiligen Abschlußdokumente tatsächlich keine wirklichen Abschlüsse im Sinne von Zäsuren setzten, sondern vielmehr unklar gebliebene Punkte einfach aufgeschoben und auf die Agenda einer später einzuberufenden Konferenz gesetzt wurden. Als sog. „left-overs“ verblieben so v.a. die institutionellen Reformen nach Amsterdam, namentlich die Neuverteilung der Stimmengewichte im Rat. Die Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen sowie eine Neuverteilung der Kommissionsposten. Wenngleich die Aufteilung in einen Prae- und einen Post-Nizza-Prozeß eine Zäsur suggeriert, reiht sich doch auch Nizza in diesen Prozeß fortwährender Vertagung ein. Die Entscheidung für die J. Meyer / S. Hartleif, Die Konventsidee, S. 370. Zum Ergebnis der Regierungskonferenz s. J.A. Usher, Goals of Institutional Reform, S. 184 ff. 226 R. Prodi, The time has come for a properly structured debate on the future of Europe, Rede des Kommissionspräsidenten vor dem EP v. 17. Januar 2001: „This is all the more true if we consider the decisive issue of what has come to be called ,Post-Nice‘, or put more clearly the debate on the ,future of the Union‘“. Vgl. ansonsten etwa H. Schneider, Der PostNizza-Prozeß; W. Loth, Der Post-Nizza-Prozeß und die Römischen Verträge; P. Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 60. 227 Genauer: Das Protokoll über die Institutionen im Hinblick auf die Erweiterung der Europäischen Union. 224 225

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1. Teil: Einleitung

Einberufung einer neuen Regierungskonferenz zur Vorbereitung der Osterweiterung der Europäischen Union, mit deren Vorbereitung der Konvent zur Zukunft der Europäischen Union betraut wurde, fiel nämlich bereits im Vorfeld bzw. während der Konferenz von Nizza. Bereits hier sollten die notwendigen Schritte zur Vorbereitung der Erweiterung der Union getroffen werden.228 Die zu diesem Zeitpunkt bisher längste Regierungskonferenz zeigte sich in Bezug auf die Verabschiedung notwendiger Reformen als unzureichend. In zentralen Streitfragen, vor allem aber der Aufgabe, der Union ein neues institutionelles Gleichgewicht zu geben, erzielte die Konferenz gar keine oder aber nur unzureichende Ergebnisse.229 Die Klärung dieser Streitfragen wurde somit einmal mehr auf eine zukünftige Konferenz vertagt. Die Erklärung Nr. 23 des Vertrages von Nizza230 benennt unter Punkt 5 vier zentrale Fragen, die in dem der Konferenz folgenden Prozeß behandelt werden sollten. Dies sind die Überarbeitung der Abgrenzung der Kompetenzen der Union, der Status der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, eine Vereinfachung der Verträge (wenngleich zu diesem Zeitpunkt noch ohne die Absicht einer inhaltlichen Änderung) und die Rolle der nationalen Parlamente. Zwar wurde von Seiten der Vertragsparteien bekräftigt, der Weg zur Osterweiterung der EU wäre geebnet.231 Angesichts der fehlenden Reformen v.a. im Bereich der Kompetenzabgrenzung sowie der Frage der Finanzierung der Erweiterung stellt das Abschlußdokument abermals nur einen weiteren Schritt hin zur fortschreitenden Reform der Union. Dies kann zum einen angesichts des Charakters der EU als sich weiter fortentwickelndem Gebilde als selbstverständlich angesehen werden. Es zeigt aber auch eine beginnende (bzw. sich fortsetzende) Institutionalisierung der Regierungskonferenz als „Reformkonferenz“ an.232 Wieder einmal wurden notwendige Reformen auf die lange Bank einer weiteren, in der Zukunft einzuberufenden Konferenz geschoben. Die auf die Konferenz von Nizza folgende Entwicklung sollte nunmehr also in einen Prozeß vertiefender Reflexion über die Zukunft der EU führen. Der Vertrag bestimmt dazu in der Schlußakte (Erklärung Nr. 23)233: 1. . . . 2. . . .

228 Vgl. Erklärung Nr. 23 zur Schlußakte zum Vertrag von Nizza, BT-Drucks. 14 / 6146 v. 25. 05. 2001, S. 40. 229 Vgl. auch J. Shaw, What’s in a Convention?, S. 10 f. 230 BT-Drucks. 14 / 6146 v. 25. 05. 2001, S. 40. 231 Vgl. Erklärung Nr. 23 zur Schlußakte zum Vertrag von Nizza, BT-Drucks. 14 / 6146 v. 25. 05. 2001, S. 40. 232 EEA 1987 / 88, Maastricht 1992, Amsterdam 1997, Nizza 2000, Brüssel 2004. 233 Erklärung Nr. 23 zur Schlußakte zum Vertrag von Nizza, BT-Drucks. 14 / 6146 v. 25. 05. 2001, S. 40.

C. Der (Verfassungs-)Konvent zur Zukunft Europas

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3. Nachdem die Konferenz somit den Weg für die Erweiterung geebnet hat, wünscht sie die Aufnahme einer eingehenderen und breiter angelegten Diskussion über die Zukunft der Europäischen Union [ . . . ], an der alle interessierten Seiten beteiligt sind: Vertreter der nationalen Parlamente und der Öffentlichkeit insgesamt, das heißt Vertreter aus Politik, Wirtschaft und dem Hochschulbereich, Vertreter der Zivilgesellschaft usw. . . . 4. Im Anschluß an einen Bericht für seine Tagung in Göteborg im Juni 2001 wird der Europäische Rat auf seiner Tagung in Laeken / Brüssel im Dezember 2001 eine Erklärung annehmen, in der geeignete Initiativen für die Fortsetzung dieses Prozesses enthalten sein werden. ...

II. Aufgabenstellung Die angerufene „breiter angelegte Diskussion“ erwies sich jedoch als fruchtbarer als nach der ursprünglichen Idee der Verfasser der Erklärung Nr. 23 wohl angenommen. Unter der schwedischen und belgischen Ratspräsidentschaft erweiterte sich die „Einkaufsliste“ von Nizza. Die Diskussion führte von den angesprochenen 4 Punkten in ein tiefer ansetzendes Reformvorhaben. Die Diskussion über eine Vereinfachung der Verträge – damals wohlgemerkt noch ohne eine beabsichtigte inhaltliche Änderung – weitete sich dahin aus, die Verträge umfassend, also auch inhaltliche Änderungen eingeschlossen, zu reformieren.234 Mit dem Gipfel von Laeken hat der Europäische Rat ein Tor aufgestoßen hin zu einem beschleunigten Integrationsprozeß, der in der Ausarbeitung einer europäischen Verfassung seinen Höhepunkt finden sollte. Die Aufgabenstellung für den Konvent bestand gemäß der Erklärung von Laeken darin, „die wesentlichen Fragen zu prüfen, welche die künftige Entwicklung der Union aufwirft“. Dabei gibt die „Erklärung zur Zukunft der Union“ vier Fragenkomplexe vor: – die bessere Verteilung und Abgrenzung der Zuständigkeiten in der Europäischen Union, – die Vereinfachung der Instrumente der Union, – mehr Demokratie, Transparenz und Effizienz in der Europäischen Union und – der Weg zu einer Verfassung für die Europäische Union für die Europäischen Bürger.

Jede dieser vier Fragen wird dabei noch einmal in mehreren Einzelfragen präzisiert. Dem Konvent kam dabei die Rolle zu, ein Abschlußdokument auszuarbeiten, in dem verschiedene Optionen mit Angabe, welche Unterstützung sie jeweils innerhalb des Konvents gefunden haben, oder – soweit ein Konsens erreicht werden konnte – Empfehlungen enthalten sind. Für eine Vertragsänderung (und nichts weiter würde eine Europäische Verfassung für den Reformprozeß der EU bedeuten) ist immer noch die Ratifizierung durch die Mitgliedstaaten Voraussetzung, Art. 48 EUV.235 Der Konvent besaß also kein Mandat, ein endgültiges und verbindliches 234

Vgl. Erklärung von Laeken v. 14. / 15. Dezember 2001 im Anhang.

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1. Teil: Einleitung

Dokument auszuarbeiten. Das Abschlußdokument mußte daher dem Rat zur endgültigen Entscheidung vorgelegt werden.

III. Zusammensetzung Entsprechend dem in der Erklärung von Laeken geäußerten Wunsch setzte sich der Konvent aus den „Hauptakteure[n] der Debatte über die Zukunft der Union“ zusammen. Dazu gehörten im Einzelnen: – je ein Vertreter der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten (15), – je zwei Vertreter der nationalen Parlamente (30), – 16 Vertreter des Europäischen Parlaments, – 2 Vertreter der Europäischen Kommission – sowie je ein Regierungsvertreter und zwei Parlamentsvertreter aus den Beitrittsländern (13+26).

Letzteren wurde dabei mit Rücksicht auf den Kompromiß, zu dessen Übernahme die Beitrittskandidaten verpflichtet sein würden, der Sitz im Konvent eingeräumt. Um jedoch zu verhindern, daß eine grundlegende Reform durch entgegenstehende Positionen dieser Vertreter verhindert werden könnte, wurde ihnen im Gegensatz zu den übrigen Mitgliedern kein Stimmrecht eingeräumt. Zu diesen beratenden Mitgliedern gesellten sich noch Mitglieder mit Beobachterstatus aus den anderen Institutionen, und zwar – 3 Vertreter des Wirtschafts- und Sozialausschusses, – 3 Vertreter der Europäischen Sozialpartner – sowie 6 Vertreter des Ausschusses der Regionen – und der Bürgerbeauftragte.

Der Präsident des EuGH und der Präsident des Europäischen Rechnungshofes konnten sich auf Einladung des Konvents äußern. Dem Präsidium des Konvents gehörten insgesamt 12 Mitglieder an. Zum Präsidenten wurde der ehemalige französische Staatspräsident Valérie Giscard d’Estaing ernannt; die ehemaligen Staatspräsidenten Italiens236 und Belgiens, Guili235 Ein Vergleich des Konvents mit anderen Verfassungskonventen der Weltgeschichte ist daher mit Vorsicht zu genießen. Zu weit (und wohl erst recht auch zu optimistisch) ging daher auch die Bezeichnung des Konvents als „Europäisches Philadelphia“ (V. Giscard d’ Estaing). 236 Über die Bestellung eines zweiten italienischen Vertreters für den Konvent herrschte zunächst Streit. Nach einer mündlichen Abmachung zwischen der belgischen und der italienischen Regierung sollten die beiden Vizepräsidenten zugleich als Regierungsvertreter gezählt werden. Die Idee dahinter war, daß die ohnehin im Präsidium stark repräsentierten Regierungen nicht auch noch durch einen weiteren Staatenvertreter im Konvent repräsentiert sein soll-

C. Der (Verfassungs-)Konvent zur Zukunft Europas

73

ano Amato und Jean-Luc Dehaene zu Vizepräsidenten. Zu ihnen gesellten sich neun weitere Persönlichkeiten als Repräsentanten der nationalen Regierungen, die während der Tätigkeit des Konvents den Vorsitz im Rat innehatten, sowie jeweils Vertreter der nationalen Parlamente, des EP und zwei Vertreter der Kommission. Die Beitrittsländer waren mit einem Mitglied mit beratender Funktion vertreten. Im Gegensatz zum Grundrechte-Konvent, dem lediglich aufgegeben war, mit den Beitrittskandidaten einen „regen Gedankenaustausch“ zu pflegen,237 waren die Beitrittsländer an den Beratungen hier direkt beteiligt.

IV. Arbeitsweise Nachdem sich der Konvent konstituiert hatte, gab das Präsidium unter Giscard d’Estaing die Agenda aus. Ursprünglich „lediglich“ als Reformkonvent geplant, reichten dessen Pläne weiter. Folglich begnügte sich der Reformkonvent nicht mehr länger mit der Aufgabenstellung, wie sie in der Erklärung von Laeken niedergelegt war. Anstatt einzelne reformbedürftige Bereiche der Verträge auszuleuchten und Reformvorschläge zu unterbreiten, gab sich der Konvent fortan die Aufgabe, eine Totalrevision der Verträge zu erarbeiten, die in ein einziges Dokument, eine Verfassung oder auch einen Verfassungsvertrag für die Europäische Union münden sollte. Fortan verstand sich der Reformkonvent somit hauptsächlich als „Verfassungskonvent“.238 Um dieses ehrgeizige Ziel in der knappen Zeit von etwa eineinhalb Jahren erreichen zu können, plante das Präsidium die Arbeitsweise in drei wesentlichen Schritten. Nach einer ersten Phase des Zuhörens, in der jedem Konventsmitglied die Gelegenheit gegeben wurde, sich im Plenum zu äußern, folgten in Phase zwei die Bildung von Arbeitsgruppen (Reflexion) und in einer dritten die Ausarbeitung der Texte für das Verfassungsdokument (Redaktion). Zwar wurde insbesondere die erten. Aufgrund der unklaren schriftlichen Abfassung wurde im Ergebnis dann doch nicht an dieser Abmachung festgehalten und Gianfranco Fini wurde als weiterer Vertreter in den Konvent berufen. Nicht zuletzt aufgrund der politischen Einstellung Finis regte sich starker Widerstand der anderen EU-Staaten gegen die Nominierung eines zweiten Vertreters Italiens im Konvent, der nach Rücktrittsdrohungen Amatos jedoch aufgegeben wurde. Vgl. dazu W. Hummer, Vom Grundrechte-Konvent zum Zukunfts-Konvent, S. 334 ff. 237 Vgl. Anlage zu den Schlußfolgerungen von Tampere, Zusammensetzung und Arbeitsverfahren des Gremiums zur Ausarbeitung des Entwurfs einer EU-Charta der Grundrechte sowie einschlägige praktische Vorkehrungen entsprechend den Schlußfolgerungen von Köln, A.vi), abgedruckt unter http: //europa.eu.int/council/off/conclu/oct99/oct99_de.htm# annex. 238 Rede von Giscard d’Estaing zur Eröffnung des Konvents v. 26. Februar 2002 (CONV 04 / 02, Anlage 4). 239 So etwa auch S. Hölscheidt, Europäischer Konvent, Europäische Verfassung, nationale Parlamente, S. 12. 240 Hierzu P. Birkinshaw, A Constitution for the European Union?, S. 59 f.

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1. Teil: Einleitung

ste Phase immer wieder als überflüssig und zeitraubend kritisiert239, angesichts der Größe des Plenums war sie dennoch unumgänglich, um den Mitgliedern, die ja aus den unterschiedlichsten Staaten und von unterschiedlichsten Staatsebenen (Regierungsvertreter, Parlamentsabgeordnete, Beobachter etc.) stammen, Gelegenheit zu geben, sich aneinander zu gewöhnen. Erst nach dieser Phase der „Selbstfindung“ war es möglich, Arbeitsgruppen zu bilden, die über den weiteren Zeitraum effektiv zusammenarbeiten konnten. Im Hinblick auf den Konvent zur Zukunft Europas wurde die Rolle des Präsidiums kritisch beäugt. Aufgrund der Größe des Konvents mit immerhin 105 Mitgliedern (mit den Beobachtern sogar 118 im Plenum) und aufgrund des Konsensprinzips, nach welchem jedweder Entschluß nach Möglichkeit einstimmig zu fassen war, nahm das Präsidium unter Giscard d’Estaing eine Schlüsselrolle in der Vorbereitung der Sitzungen ein.240 Hier wurden somit die wesentlichen Entscheidungen getroffen, über die im Plenum dann anschließend tiefergehend diskutiert werden konnte. Sobald die jeweiligen Arbeitsgruppen ihren Bericht vorgelegt hatten, übernahm folgend das Präsidium mit seinem Sekretariat, die entsprechenden Vorschläge in einen einheitlichen Entwurf zu gießen. Das so gewonnene Ergebnis kehrte anschließend wiederum ins Plenum zur Diskussion zurück, in welcher aber aufgrund der knapp bemessenen Redezeit kaum Gelegenheit zu konstruktiver Kritik möglich war. Auf diese Weise erhielten die Vorschläge des Präsidiums ungleich mehr Gewicht.241 Zuweilen wurde dem Präsidenten gar vorgeworfen, in selbstherrlicher Manier bestimmte Punkte eigenmächtig durchzusetzen, unabhängig von den Vorschlägen aus dem Plenum, die zuweilen mehrheitlich in eine andere Richtung gingen.242 Die Umstände, unter denen zwischen den Mitgliedstaaten um die Person des Vorsitzenden gerungen wurde, scheint dessen im Hinblick auf das Endergebnis zentrale und einflußreiche Rolle zu bestätigen. Kritisch erscheint damit, daß der eigentliche Konventsprozeß nicht im öffentlich tagenden Plenum stattfand, sondern vielmehr erneut – wie sonst schon von den Regierungskonferenzen gewohnt – hinter verschlossenen Türen im geheimen und kleinen Kreis. Das Wort des „Sekretariats“ erreicht damit eine gefährliche Nähe zu seinem Ursprung im verschwiegenen „secretarius“ bzw. dem englischen „secret“. Die eigentliche Konventsidee könnte daher in diesem Punkt als konterkariert angesehen werden.243

241 Kritisch hier bereits D. Göler, Der Gipfel von Laeken, S. 101, der die Befürchtung äußert, das Präsidium könne sich zu einer Art „Mini-Konvent“ entwickeln. 242 So etwa E. Brok, der den Präsidenten als „autistisch“ bezeichnete, vgl. FAZ v. 24. April 2003. Hierzu noch D. Göler / H. Marhold, Die Konventsmethode, S. 321; G. Towler, The Convention on a European Constitution, S. 1 f. Zu den Verfahrensregelungen vgl. euobserver.com v. 26. Februar 2002, „Fight over rules of procedure of EU Convention“, im Internet: http: // www.euobserver.com/?aid=5320. Nach eingehender Kritik am Präsidium war schon kurz nach Eröffnung des Konvents eine Änderung der Geschäftsordnung erfolgt, vgl. CONV 3 / 02 Art. 6 Abs. 7 gegenüber der Fassung in CONV 9 / 02.

C. Der (Verfassungs-)Konvent zur Zukunft Europas

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V. Die britischen Konventsmitglieder Nach der Erklärung von Laeken wurde das Verfahren, nach welchem die nationalen Konventsmitglieder berufen werden sollten, in der Entscheidungsgewalt der Mitgliedstaaten belassen. Während die Benennung des Europaministers im Außenministerium, P. Hain, als Regierungsvertreter unspektakulär verlief, ergaben sich Schwierigkeiten bei der Auswahl der Vertreter des Parlaments. Hier offenbarten sich Differenzen zwischen dem Ausschuß für äußere Angelegenheiten und den European Scrutiny Select Committees. In seinem 5. Report zum Konvent zur Zukunft Europas verlangte das European Srcutiny Committee, daß die Vertreter per Abstimmung des Hauses aus dem Kreis der Ausschußmitglieder gewählt werden sollten.244 Der Ausschuß für äußere Angelegenheiten forderte dagegen die Besetzung mit Mitgliedern verschiedener Parteien als Vertretern des Parlaments und nicht der Regierung. Diese sollten aber erst nach ausgiebiger Beratung mit allen Teilen des Parlaments, besonders aber dem Ausschuß für äußere Angelegenheiten, bestimmt werden.245 Nachdem sich die Regierung zunächst mit ihrer Zustimmung zu diesen Vorschlägen bedeckt hielt („Consultations are taking place and we are sympathetic to the views expressed to us“)246, wurden schließlich nach Beratungen u. a. mit dem Whips Office und dem Oppositionsvorsitzenden Nominierungen ausgesprochen, die zuvor durch jeweiligen Beschluß der beiden Häuser des Parlaments abgesegnet worden waren. Danach berief die Regierung Frau G. Stuart aus dem Ausschuß für äußere Angelegenheiten und Herrn D. Heathcoat-Amory als ehemaligen Außenminister aus der Opposition als Vollmitglieder des Konvents. Zu ihnen gesellten sich als stellvertretende Mitglieder aus dem Oberhaus die Lords Tomlinson (ehemals Mitglied der Fraktion der Europäischen Sozialisten im EP) und Maclennan of Rogart (ehemals MEP für die Liberaldemokraten). Als britische Mitglieder saßen damit im Konvent Sir J. Kerr (Generalsekretär im Konventspräsidium), P. Hain (Regierung), P. Baroness Scotland of Asthal (stellvertretend für die Regierung), G. Stuart (HC, Labour), D. Heathcoat-Amory (HC, Conservatives), Lord J. Edward Tomlinson (stellvertretend, HL, Labour), Lord R.A. Ross Maclennan of Rogart (stellvertretend, HL, Liberal Democrats), A.N. Duff (EP, Liberal Democrats), T.J. Robert Kirkhope (EP, Conservatives), L. McAvan (EP, Labour), A. (The Earl of) Stockton (stellvertretend, EP, Conservatives), N. MacCormick (stellvertretend, EP, Scottish National Party). 243 Vgl. hierzu auch die Entscheidung des Europäischen Ombudsmannes im Fall der Beschwerde 1795 / 2002 / IJH; im Internet: http: //www.euro-ombudsman.eu.int/decision/en/ 021795convention.htm. 244 HC 152-v (2001 – 02). 245 FAC First Special Report v. 10. Januar 2002, HC 509, im Internet: http: //www.publications.parliament.uk/pa/cm200102/cmselect/cmfaff/509/50902.htm. 246 HC Deb. v. 8. Januar 2002, Sp. 407.

Zweiter Teil

Das Vereinigte Königreich in Europa – Verfassung und Geschichte im europäischen Kontext A. Kultureller und rechtlicher Hintergrund des britischen Konstitutionalismus Um das Verhalten der britischen Mitglieder im Konvent über die Zukunft Europas sowie mehr oder auch weniger kritische Stimmen auf nationaler Ebene verstehen und einordnen zu können, ist es erforderlich, näher auf den Hintergrund und das Selbstverständnis des britischen Verfassungsrechts einzugehen. Dies erscheint umso verständlicher, als sich das britische Verfassungsrecht allein schon von dem Kontinentaleuropäern eher bekannten geschriebenen Verfassungstexten unterscheidet – ein einheitliches Verfassungstextdokument gibt es auf den britischen Inseln nicht. Da sich in Verfassungen nicht aber nur juristische Technik sondern auch gesellschaftliches Selbstverständnis, Erfahrungen und Kultur eines Volkes widerspiegeln,1 ist dies umfassend zu leisten. Im Rahmen einer Arbeit, die sich mit der Beurteilung der Arbeit eines europäischen Gremiums befaßt, kann dies allerdings nicht in der Weise geschehen, wie es eigentlich erforderlich wäre. Der Verfasser beschränkt sich daher bewußt auf einige ausgewählte Bereiche. Nach einem kurzen Überblick über die historisch-politische und geographische Rolle des Vereinigten Königreichs in Europa werden dann ausgewählte zentrale Verfassungsprinzipien dargestellt. Diese weisen bei enger Betrachtungsweise Berührungspunkte mit dem europäischen Einigungsprozeß auf und haben schon im bisher „absolvierten“ Programm europäischer Union zu nicht immer nur graduellen Veränderungen im nationalen britischen Verfassungsrecht geführt. Diese Punkte sind es, die letztlich für eine Beurteilung der Arbeiten an einer europäischen Verfassung aus britischer Perspektive elementar sind. Nur so ist es möglich, der britischen Sicht in verfassungspolitischem Hinblick gerecht zu werden. Dies gilt vor allem für die jüngste Entwicklung des Königreiches seit Beitritt zu den EG im Jahre 19732.

Vgl. P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, S. 83 ff. Der Beitritt zu den Europäischen Gemeinschaften wurde später 1975 noch zusätzlich durch Referendum bestätigt. 1 2

A. Hintergrund des britischen Konstitutionalismus

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I. Die historische Rolle Großbritanniens in Europa Im Gegensatz zur deutschen Reichseinigung 1871 besteht das Vereinigte Königreich als Nationalstaat westfälischer Prägung bereits seit vielen Jahrhunderten und kann zumindest mit der Reichseinigung durch den Treaty of Union 1707 als solcher angesehen werden. „Deutsche“ Bestrebungen, v.a. nach der Teilung 1949, waren stets darauf gerichtet, die „deutsche Nation“ in einem Staat zu einen. Im Zuge der Reichseinigung 1871 standen sich so die „großdeutsche“ und die „kleindeutsche“ Lösung gegenüber, wie später auch nach Ende des Ersten Weltkriegs. Nach dem Zweiten Weltkrieg äußerte sich dies in der Problematik der deutschen Frage im geteilten Deutschland. Wurde von ostdeutscher Seite immer wieder beharrlich die Zweinationen-Lösung propagiert, hielt Westdeutschland die Theorie von einer Nation in zwei Staaten aufrecht.3 Umgekehrt vereint der Staat „Großbritanniens“ mehrere unterschiedliche Nationen. Hieraus folgt eine stark an Gedanken der „Civil Society“ orientierte Sichtweise für die Gründe demokratischer Legitimation. Objekt ist primär die Zugehörigkeit zu einem Staatswesen, nicht die zu einer bestimmten Ethnie.4 Dementsprechend schwierig erscheint es aus einer derartigen Sichtweise, Hoheitsrechte an eine überstaatliche Ebene abzugeben; denn einer Übertragung der Befugnisse müßte eine Verlagerung der Legitimation von den nationalen Parlamenten zum EP folgen. Ein Vorgang, der sich aus dem britischen Blickwinkel stark verfestigter und integrierter Nationalität nur schwer bewerkstelligen läßt.5 Die Insellage des Königreiches prädestinierte es für die Errichtung eines weltumspannenden Handelsnetzes, das heute noch in Form des Commonwealth of Nations fortbesteht. Der politische wie auch der wirtschaftliche Horizont waren daher immer weltweit ausgerichtet. In letzter Konsequenz reihten sich auch die Interessen im kontinentalen Europa hier ein, denn Europa war aus britischer Sicht auch nie mehr als ein Teil der Welt.6 Unter diesen Vorzeichen konnte sich daher auch keine „Europhorie“ wie besonders in Deutschland entwickeln. Die Rolle eines „Global Players“ verhinderte, sich auf „provinzielle“ europäische Belange zu konzentrieren. Im Gegensatz zu den Nationen auf dem Festland unterlag das Königreich auf der Insel nicht ständiger Bedrohung durch Nachbarstaaten und konnte sich vornehmlich seinen Interessen in Übersee zuwenden. Erst wenn die nationale Sicherheit bedroht schien, schaltete sich das Empire in die europäische Machtpolitik ein.7 Im Gegensatz dazu suchten die beiden Großmächte auf dem Festland – Deutschland und Frankreich – ihre eigenen Vorteile in einer europäischen Integra3 Zur Deutschlandfrage vgl. R. Bernhardt, Die deutsche Teilung und der Status Gesamtdeutschlands, S. 321 ff. 4 J. Hayward, France and the United Kingdom, S. 149. 5 Vgl. J. Hayward, France and the United Kingdom, S. 148 f. 6 Vgl. K.-D. Schwarz, Englands Probleme mit Europa, S. 15 f. 7 Immer noch instruktiv dazu M. Wight, Power Politics, S. 14 ff.

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tion. Nach dem Überkommen des Nationalstaates durch das Ende des nationalsozialistischen Regimes ebnete allein die europäische Integration den Weg hin zur wirtschaftlichen wie politischen Rehabilitation. Frankreich erstrebte seinerseits ökonomische Vorteile, mehr aber noch die Sicherung vor einer erneuten Besatzung durch den Nachbarn. Großbritanniens nationale Sicherheit dagegen war vor dem Zweiten Weltkrieg seit Napoleon keiner ernstzunehmenden Bedrohung mehr ausgesetzt und das Commonwealth bot reichlich Spielraum für eine prosperierende Wirtschaft. Englands Rolle im Wiederaufbau Europas und der damit verbundenen Beteiligungen war von zwiespältigen Motivationen geprägt.8 Wie schon Jahrhunderte zuvor waren die jeweiligen Machthaber des Inselreiches immer bestrebt, die Unabhängigkeit vom europäischen Festland aufrechtzuerhalten, um die eigenen Interessen, die in den überseeischen Beziehungen des Empire lagen, verfolgen zu können. Diese Politik wurde mit Paktsystemen verfolgt, durch welche ein Gleichgewicht zwischen den Kontinentalmächten aufrechterhalten werden sollte (sog. „balanceof-power-Politik“).9 Je nach Machtbalance unterstützte das Königreich mal die eine, mal die andere Seite; es galt, sich den Rücken für die eigenen Interessen im überseeischen Bereich freizuhalten. Im Wege eines traditionellen „divide et impera“ gelang es dem Königreich, eine gewaltsame europäische Einigung durch eine einzige hegemoniale Nation zu verhindern. Dies geschah etwa, um die Napoleonische Hegemonie über Europa zu brechen oder auch die Bedrohungen durch Deutschland in den beiden Weltkriegen zu beseitigen.10 Der Rückzug der Amerikaner aus Europa und dem internationalen System in der Zeit zwischen den Weltkriegen ermöglichte Großbritannien, die Rolle einer Schutzmacht über Europa weiterhin auszuüben; ja drängte es geradezu in diese Rolle hinein. Das Scheitern der britischen Bemühungen, diese Rolle auszufüllen, sich insbesondere deutschen Großmachtplänen entgegenzustellen, führte schließlich in den Zweiten Weltkrieg. Unter diesem Vorzeichen sind daher auch die Bemühungen Großbritanniens nach dem Ende des Krieges zu sehen, die USA in Europa zu halten.11 Diese Politik verfolgte auch W. Churchill, als er auf der Konferenz von Zürich die Errichtung „einer Art Vereinigte Staaten von Europa“ propagierte, für sein Land selbst dabei aber – entgegen oftmals falscher Interpretationen – eher die Rolle einer Schutzmacht als außenstehenden Garanten für ein Mächtegleichgewicht vorsah.12 Für die Wiederherstellung des ehemaligen Gleichgewichts der 8 Dazu mehr schon im ersten Teil der Arbeit. Einen umfassenderen geschichtlichen Überblick, insbesondere unter Einschluß der früheren Geschichte (ab 13. Jh.), bietet M. Beloff, Britain and European Union, S. 11 ff. 9 Vgl. auch M. Wight, Power Politics, S. 56 f. Symptomatisch in diesem Zusammenhang die Rede Lord Palmerstones: „England hat keine ewigen Freunde oder Feinde, sondern nur ewige Interessen“, Rede im House of Commons v. 1. August 1848, Parliamentary Debates, Third Series, Vol. 97, Col. 122. 10 Vgl. S. George, An Awkward Partner, S. 12 ff. 11 S. George, An Awkward Partner, S. 14.

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Kräfte auf dem Kontinent stand die Aussöhnung der Erbfeinde Deutschland und Frankreich im Zentrum. Aufgrund dieser Grundsätze verhielt sich Großbritannien auch sehr zurückhaltend, was die Pläne einer Wirtschaftsgemeinschaft anbelangte. Erst mit dem Erstarken des Sowjet-Imperialismus bestand wieder eine Gefahr, die das europäische Gleichgewicht nach Osten zu verlagern drohte, so daß ein Einschreiten der letzten europäischen Großmacht erforderlich schien.13 Mit dem Zerfall des Empire, begleitet von der Suez-Krise, schwächten sich die Interessen Großbritanniens ab, die zuvor gegen eine Integration in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft sprachen. W. Churchill ordnete ehemals die britische Interessenpolitik als den Schnittpunkt der „drei Kreise“ Commonwealth, “special relationship“ zu den Vereinigten Staaten und Europa ein.14 Entfielen erstere durch die politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen, verblieb als letzter Europa. Nunmehr gewannen die Befürworter einer Aufnahme des Vereinigten Königreichs in den Kreis der sechs Mitglieder der EWG an Bedeutung, bis schließlich auch formell ein vorläufiger Schlußstrich mit dem Aufnahmeantrag unter der Regierung MacMillan gezogen wurde, der jedoch nun seinerseits auf Bedenken der neuen französischen Regierung unter Ch. de Gaulle traf.15 Die „englische Krankheit“, die zu ökonomischem Niedergang geführt hatte und im deutlichen Gegensatz zur prosperierenden EWG stand, bedrohte das Mächtegleichgewicht erneut und drängte dazu, sich der Sechsergemeinschaft anzuschließen.16 Sind diese Entwicklungen auch mehr politischer denn rechtlicher Natur, so dürfen sie doch nicht aus dem Auge verloren werden, um einzelne britische Vorbehalte würdigen zu können. Festzuhalten bleiben grundlegende Prinzipien, die sich durch die Geschichte des Vereinigten Königreiches hindurchziehen. Es sind dies die Sicherheit Großbritanniens und des Friedens in Europa, die Erhaltung der nationalen (wie parlamentarischen) Souveränität und Identität, sowie die Nationalstaatlichkeit Großbritanniens, als einziger Garantie für die Wahrung britischer Interessen.17 Ihre Vereinbarkeit 12 Vgl. M. Beloff, Britain and European Union, S. 54; R. Jowell / G. Hoinville, An Unconscionable Time Deciding, S. 6 f. 13 Hierin unterschied sich jedoch die britische Position grundlegend in der Frankreichs. Wollte dieses eine Stärkung Deutschlands, notfalls auch unter der Bedingung einer Wiederbewaffnung, hatte jenes eigene Pläne, die auf eine dauerhafte Schwächung der deutschen Bedrohung hinwirkten. 14 Vgl. etwa A. Forster, Euroscepticism in Contemporary British Politics, S. 11. 15 Dazu bereits im ersten Teil und ausführlicher in M. Beloff, Britain and European Union, S. 51 ff. 16 Zudem wirkte sich der Luxemburger Kompromiß aus britischer Sicht positiv aus, da hierdurch die Gefahr eines Handelns entgegen britischer Interessen beseitigt schien. 17 Vgl. K.-D. Schwarz, Englands Probleme mit Europa, S. 15; auch A. Forster, Euroscepticism in Contemporary British Politics; sowie M. Jachtenfuchs, Die Konstruktion Europas, S. 122 ff.

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mit der Arbeit des Verfassungskonvents dürfte auch heute noch das britische Abstimmungsverhalten beeinflussen.

II. Die Britische Verfassung Waren es zuvor politische und geschichtliche Entwicklungen, die in ihrer Bedeutung für das Verhältnis des Vereinigten Königreiches zu dem Projekt eines geeinten Europas erwogen wurden, soll im folgenden der Blick wieder verschärft auf rechtliche Aspekte geworfen werden. Es wird daher die besondere Eigenart der britischen Verfassung näher beleuchtet.18

1. Geschriebene und ungeschriebene Verfassung Im Gegensatz zu den meisten anderen Staaten der Erde besitzt das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nord-Irland19 keine geschriebene Verfassung als einheitliches Dokument.20 Diese Tatsache führte denn auch immer wieder zu der vieldiskutierten Frage, ob das Vereinigte Königreich überhaupt eine Verfassung besitze.21 In gewisser Weise ähnelt die Diskussion dabei der über eine bereits bestehende Europäische Verfassung.22 Eine geschriebene Verfassung im formellen Sinn als einem kohärenten Gesetzestext mit erhöhter Geltungskraft besaß das Land lediglich in der kurzen Zeitspanne des Regimes unter Oliver Cromwell mit dem „Instrument of Government (1653)“.23 Versuche, ein solches Dokument im Wege der Verfassungsreform zu erarbeiten24, gab es immer wieder, jedoch war diesen wenig Erfolg beschieden.25 Dementsprechend muß bei der Interpretation der britischen Sicht einer europäischen Verfassung bedacht werden, daß aus britischem Verständnis heraus eine Verfassung weder zwingend in einem kohärenten Dokument zusammengefaßt sein Einen umfassenden Überblick gibt P. Birkinshaw, British Report, S. 205 ff. Im Gegensatz zum allgemeinen Sprachgebrauch lautet so die korrekte völkerrechtliche Bezeichnung des Staates. In diesem finden sich die drei Nationen von England, Wales und Schottland sowie Nordirlands wieder. Näher O.H. Phillips / P. Jackson / P. Leopold, Constitutional and Administrative Law, S. 16 f. 20 Andere Staaten ohne geschriebene Verfassung i.S.e. eines einheitlichen Dokuments sind Burundi (mit Ausnahme der Verfassung von 1992, aufgehoben per Dekret 1996), Israel, Kanada und Neuseeland. 21 Grundlegend A.V. Dicey, Introduction to the Study of Law of the Constitution, S 1 ff. 22 Dazu in Teil 1 A.II.1.c). 23 Näher J. Hatschek, Englische Verfassungsgeschichte, S. 337 ff. 24 Vgl. etwa Lord Hailsham, The Dilemma of Democracy; O.H. Phillips, Reform of the Constitution. 25 S. O.H. Phillips / P. Jackson / P. Leopold, Constitutional and Administrative Law, S. 18. 18 19

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muß, noch ein solches Dokument in einem verfassunggebenden Akt durch Referendum oder ein repräsentatives Rechtsetzungsorgan verabschiedet werden muß. Es gibt weiterhin nach diesem Verständnis grundsätzlich kein das einfache Recht in seinem Rang überragendes Verfassungsrecht. Die britische Verfassung ist vor diesem Hintergrund auch als „politische Verfassung“ bezeichnet worden,26 was angesichts vieler ungeschriebener und auch nicht vor Gerichten durchsetzbarer Regeln, sog. Conventions, nur allzu plausibel anmutet.

2. Elemente der Britischen Verfassung Die „Verfassung“ des Vereinigten Königreichs setzt sich aus zahlreichen Einzeldokumenten nebst Gewohnheitsrecht zusammen. Folgende Rechtsquellen können dabei systematisch unterschieden werden: Parlamentsgesetze (Statutes), Richterrecht (Common Law) und gewohnheitsrechtlich anerkannte Verfassungsgrundsätze (Custom). a) Statutes Für das Zustandekommen eines Parlamentsgesetzes ist die Zustimmung der beiden Parlamentskammern, also Unterhaus (House of Commons) und Oberhaus (House of Lords), notwendig sowie die abschließende Verabschiedung durch den Monarchen (Royal Assent); sog. Verfahren der / des Queen / King in Parliament.27 Als wichtige Beispiele für Gesetze, die verfassungsrechtliche Grundsätze und Prinzipien enthalten, sind folgende zu nennen: Act of Settlement 1700, Parliament Act 1911 und 1949, Crown Proceedings Act 1947, Laying of Documents before Parliament (Interpretation) Act 1948, Royal Assent Act 1967 sowie der Supreme Court Act 1981 und der British Nationality Act 1981. Weitere wichtige Grundsätze sind in „Quasi-Gesetzen“ enthalten, die nicht nach oben genannten Verfahren zustande gekommen waren. An erster Stelle stehen hier die Magna Charta 1215 und der Bill of Rights 1688. Andere Beispiele bilden der Union with Scotland Act 1706 und das Westminster Statut von 1931.28 26 J.A.G. Griffith, The political Constitution; ders., The Common Law and the political Constitution. 27 Entsprechend lautet auch die Eingangsformel von Gesetzen: „Be it as it enacted by the Queen’s most Excellent Majesty, by and with the advice and consent of the Lords Spiritual and Temporal, and the Commons, in this present Parliament assembled, and by the authority of the same, as follows. . . .“ (Abweichungen ergeben sich für besondere Gesetze, z. B. sog. Private Acts); vgl. O.H. Phillips / P. Jackson / P. Leopold, Constitutional and Administrative Law, S. 73. 28 Neuerdings wird auch formal zwischen Verfassungsgesetzen und einfachen Gesetzen unterschieden; dazu näher unter 3 a)bb)(5)(b).

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Von eher untergeordneter Rolle, jedoch nicht zu vernachlässigen, sind ferner einzelne Rechtsetzungsakte aufgrund delegierter Rechtsetzungsbefugnis (Subordinate Legislation). Hier werden aus unterschiedlichen Gründen einzelne Minister, der Monarch oder lokale Gebietskörperschaften durch das Parlament zur Rechtsetzung ermächtigt. b) Common Law Wie im gesamten angloamerikanischen Rechtskreis spielen auch für das britische Verfassungsrecht zentrale Gerichtsentscheidungen (Judicial Precedents) eine herausragende Bedeutung. Das Verhältnis zwischen Staat und Bürger (sog. Civil Liberties) – einem Bereich der im deutschen Grundgesetz durch die Grundrechte geregelt wird – ist fast ausschließlich durch das Common Law bestimmt.29 Da es im Vereinigten Königreich wegen des absoluten Vorrangs des Parlaments (dazu später mehr) kein Verfassungsgericht gibt, ergeben sich diese Entscheidungen überwiegend aus den Sammlungen der sog. Queen’s Bench Division, die über den finanziellen Ausgleich durch Eingriffe in persönliche Rechte sowie Fälle von habeas corpus, certiorari, prohibition und mandamus entscheidet. Weitere Quellen sind Entscheidungen des Court of Appeal und des House of Lords als zuständige Rechtsmittelinstanzen. In Rechtsmittelsachen von überseeischen Territorien entscheidet das Privy Council. Zu beachten ist dabei das Prinzip des Precedent, wonach die Entscheidungen der höheren Gerichte zwingend auch die der unteren binden.30 Als wichtige Entscheidungen sind zu nennen: Case of Proclamations (1610)31, Ashby v. White (1703)32, Campbell v. Hall (1774)33, Att.-Gen. v. Wilts United Dairies (1922)34, Ridge v. Baldwin (1964)35 oder auch In re Mc.C (A Minor) (1985)36.

29 Neuerdings bestimmt der Human Rights Act 1998 die Vereinbarkeit von Gesetzen mit den Rechten und Grundsätzen der EMRK; näher dazu unter 3.a)bb)(4). 30 Bis in die 60’er Jahre hinein war sogar das House of Lords als oberster Instanz an seine eigenen Entscheidungen gebunden. Dagegen können die oberen Gerichte die Entscheidungen der unteren abändern, sog. „Overruling“. Dazu und zu dem Prinzip des Precedent insgesamt vgl. M. Zander, The Law-Making Process, S. 194 ff. 31 (1610) 12 Co.Rep. 74 (keine Befugnis des Königs, per „Proclamation“ Straftaten zu kreieren). 32 Ld.Raym. 983 (ubi jus ibi remedium). 33 (1774) 1 Cowp. 204 (keine vorrangige Gesetzgebung in Kolonien mit eigenem Repräsentativorgan). 34 91 L.J.K.B. 897 (keine Steuererhebung ohne Parlamentsermächtigung). 35 [1964] A.C. 40, HL (audi alteram partem). 36 [1985] A.C. 528, HL (Immunität von Richtern, privilegierte Position der Obergerichte).

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c) Custom Soweit noch nicht durch gerichtliche Bestätigung in das Common Law überführt, gelten weiterhin gewohnheitsrechtlich anerkannte Rechtsgrundsätze zu den Rechtsquellen des Verfassungsrechts. Als solche gelten diejenigen Regeln, die (1) von denen, die in ihren Regelungsbereich fallen, als verpflichtend betrachtet werden, (2) einen fest umrissenen Inhalt haben, (3) vernünftig sind, (4) von nicht mehr datierbarem Ursprung und (5) in ununterbrochener Existenz sind.37

Das Merkmal des nicht datierbaren Ursprungs wird im allgemeinen dabei nicht sehr streng angelegt. So gelten viele Vorschriften und Gebräuche des Parlaments als Custom, obwohl diese z. T. auf die Zeit Edward I. (um 1272 – 1307) zurückgeführt werden können. Die Vorrechte des Monarchen, sog. Royal Prerogative, galten lange Zeit als Custom, jedoch sind sie mittlerweile ins Common Law überführt worden. Entgegen dem allgemeinen Grundsatz, daß Bücher von Rechtsgelehrten keinerlei Aussagekraft vor Gericht haben, gibt es einige wenige Ausnahmen. Die ergibt sich aus der Schwierigkeit, das geltende Recht in früheren Zeiten zu ergründen, da es hierfür keinerlei Aufzeichnungen mehr gibt. Es handelt sich dabei auch ausschließlich um Bücher von Autoren aus der Zeit vor dem 19. Jahrhundert. Unter ihnen finden sich Werke von Fitzherbert38, Brooke39, Coke40, Littleton41, Glanville42, Hale43 und Blackstone44.

3. Grundlegende Prinzipien der Britischen Verfassung Sind nun die Rechtsquellen der Verfassung (kurz) umrissen, soll nachfolgend auf Prinzipien eingegangen werden, die sich als fundamental für die britische Verfassung darstellen. Die Souveränität des Parlaments (Sovereignty of Parliament), das Rechtsstaatsprinzip (Rule of Law), keine strenge Gewaltenteilung (Separation 37 Vgl. O.H. Phillips / P. Jackson / P. Leopold, Constitutional Law and Administrative Law, S. 20. 38 Abridgment (1516), Natura Brevium (1543). 39 Abridgment (1568). 40 Institutes of the Laws of England (1628 – 1644). 41 Tenures (um 1470). 42 Tractatus de Legibus et Consuetudinibus Angliae (um 1189). 43 History of the Pleas of the Crown (60 Jahre nach dem Tod des Autors 1736 veröffentlicht). 44 Commentaries on the Laws of England (1765 – 1769), 16. Aufl. 1825.

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of Powers) und schließlich die Verantwortung und Abrufbarkeit der Regierung vor dem Parlament (Responsibility und Accountability). a) Parliamentary Sovereignty Als das wohl herausragendste Prinzip der britischen Verfassung mag das der Parliamentary Sovereignty oder auch Parliamentary Supremacy gelten. Richterrechtlich mehrfach bestätigt, ist dieses Prinzip dem Common Law zuzuordnen.45 Danach gilt grundsätzlich, daß es kein dem Parlament übergeordnetes Rechtsetzungsorgan gibt, aber auch kein dem Parlament vorgehendes Recht. In letzter Konsequenz bedeutet dies auch das Fehlen einer dem Parlamentsgesetz übergeordneten Rechtsinstanz.46 Dieses Prinzip mag denn auch die logische Konsequenz für die ungeschriebene Verfassung sein, schließt es doch dem Parlamentsrecht vorrangiges Recht – und damit eine Verfassung – aus. Im Prinzip vollzog sich damit ein Übergang von der absoluten Souveränität des Monarchen zur absoluten Souveränität des Parlaments. Zu beachten ist dabei jedoch, daß mit der Parlamentssouveränität nicht die absolute Souveränität des Parlaments i.S.e. Verfassungsorgans, d. h. dem House of Commons, gemeint ist, sondern nur der absolute Vorrang jedweden Rechtsetzungsaktes, der das Verfahren der sog. Queen in Parliament47 durchlaufen hat. Es geht somit um das Parlament als besonderer Institution in der Ausprägung, die zur formell gültigen Rechtsetzung erforderlich ist. Zwar sind die tatsächlichen Ursprünge der Parlamentshoheit wohl im Bill of Rights Act 1688 zu suchen.48 Zugesprochen wird die Ausformulierung des Prinzips aber immer wieder der Person A.V. Diceys.49 In neuerer Zeit ist das Prinzip in seiner reinen Ausprägung immer wieder Einschränkungen unterworfen gewesen, weshalb es in seiner Geltung zuweilen sogar angezweifelt worden ist.50 Ein kurzer Überblick soll diese Entwicklung verdeutlichen: aa) Parliamentary Sovereignty nach Dicey – der orthodoxe Ansatz51 In der Konzeption Diceys hat die Parliamentary Sovereignty zwei Ausprägungen, die als die jeweilige Kehrseite derselben Medaille zu verstehen sind: In seiner O.H. Phillips / P. Jackson / P. Leopold, Constitutional and Administrative Law, S. 47. Deutlich nach de Lolme: „Parliament can do anything except make a man into a woman and a woman into a man“. I. Jennings geht sogar noch darüber hinaus: „if Parliament enacted that all men should be women, they would be women so far as the law is concerned“; vgl. ders., The Law and the Constitution, S. 170. 47 Dazu mehr oben unter 2.a). 48 C. Munro, Studies in Constitutional Law, S. 128. 49 A.V. Dicey, Introduction to the Study of the Law of the Constitution, S. 39 f. 50 Lord Bingham, Dicey Revisited, S. 45 f.; The Economist v. 14. Oktober 1995, S. 28. 51 Ausführlicher zu der Entwicklung der Doktrin sowie zu den theoretischen Ansätzen Dicey’s in: P. Malanczuk, Region und unitarische Struktur in England, S. 60 ff. 45 46

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positiven Ausprägung ist das Parlament in keiner Weise Beschränkungen unterworfen; es kann daher umfassend gesetzgeberisch tätig werden. In negativer Ausgestaltung gibt es keine Institution, die in der Hierarchie über dem Parlament stehen würde, seine Entscheidungen anzweifeln oder gar übergehen kann.52 So muß etwa jedes Gesetz von den Gerichten, ohne Verfassungsmäßigkeitsprüfung ausgelegt und angewandt werden.53 Hier liegt auch der Grund, weshalb es keine geschriebene Verfassung gibt. Eine solche könnte nur durch ein Parlamentsgesetz erlassen werden. Da aber zukünftige Parlamente nicht durch ihre Vorgänger gebunden werden können, wäre jedes Gesetz, das in der Zukunft gegen diese „Verfassung“ verstoßen würde, als „Verfassungs“-änderung oder gar -aufhebung zu interpretieren. bb) Aufweichungstendenzen Im Laufe der Geschichte ist das Prinzip durch die verschiedensten Entwicklungen immer wieder in Frage gestellt worden. So wurde angezweifelt, ob durch den Zusammenschluß Englands und Schottlands zu Großbritannien und die zugehörige Verschmelzung der beiden Parlamente die Theorie in ihrer orthodoxen Interpretation bereits scheitern muß und wurde im Schrumpfen des British Empire ein unumkehrbarer Machtverlust des Parlaments gesehen. Herausforderungen neuester Zeit begegnet die Theorie in Gestalt des Beitritts des Vereinigten Königreichs zur Europäischen Union und zuletzt dem Human Rights Act 1998 (HRA). (1) Der Union with Scotland Act 1706 Neben anderen Bestimmungen sah der Union with Scotland Act 1706 vor, daß „no alteration be made in laws which concern private right except for evident utility of the subjects within Scotland“.54

Durch die Verschmelzung der beiden Parlamente, wurde argumentiert, hätten beide aufgehört zu existieren. Das neu entstandene Parlament sei dafür an die Regelungen des Union with Scotland Act 1706 gebunden.55 Tatsächlich war der Act in der Folgezeit zahlreichen Änderungen unterworfen, so daß heute kaum noch eine seiner Bestimmungen in Kraft ist.56 Zwar waren die Gerichte immer wieder mit der Frage der Gültigkeit der Reformen befaßt, jedoch weigerten sie sich im A.V. Dicey, Introduction to the Study of the Law of the Constitution, S. 39 f. Eine begrenzte Prüfung wird nun durch den Human Rights Act 1998 eröffnet. Dazu mehr unter bb)(4). 54 Artikel XVIII; abgedruckt in: M. Sunkin / G. Phillipson, Public Law, S. 8 – 11. 55 Näher M. Mey, Regionalismus in Großbritannien, S. 98 f. m. w. N. 56 So wurde etwa die konfessionelle Bindung der Hochschullehrer abgeschafft, Regelungen in Bezug auf das schottische Gerichtssystem und die Presbyterian Church verändert sowie eine Reform der Kommunalverwaltung durchgeführt. 52 53

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Hinblick auf die Parlamentssouveränität beharrlich, an den getroffenen Bestimmungen zu rütteln,57 so daß die Theorie Diceys dadurch nicht in Zweifel gezogen werden konnte. (2) Das Schrumpfen des British Empire durch Verlust ehemaliger Kolonien Durch fortgesetzte Unabhängigkeitsbestrebungen britischer Kolonien schrumpfte auch der Einflußbereich des Parlaments, zuletzt etwa in Gestalt der Unabhängigkeit Hongkongs 1997. Teilweise geschah dies gegen den Willen des Königreichs, etwa im Fall der Declaration of Independence 1776 in den USA. Andererseits jedoch „entließ“ das Königreich von sich aus die Kolonien in die Unabhängigkeit, so geschehen etwa im Fall Nigerias durch den Nigeria Independence Act 1960. Lag es im ersten Fall nicht in der Macht des Parlaments, seinen Einflußbereich aufrechtzuerhalten 58, kommt der zweite der Bindung aller zukünftigen Parlamente an diesen Entschluß gleich, da für sie der Einflußbereich unwiederbringlich verloren scheint. Das Westminsterstatut von 1931 sieht in den Fällen, in denen ein Dominion der Krone eigene Legislativgewalt erhält, für die zukünftige Gesetzgebung eine Interpretationsregel dahingehend vor, daß diese sich nicht mehr auf die „entlassenen“ Kolonien beziehen soll. Jedoch wurde damit zum einen nur eine Regel festgeschrieben, die ohnehin bis dahin schon als Convention praktiziert wurde. Zum anderen beendete dies keinesfalls die Fähigkeit des Parlaments, sich per ausdrücklicher Bestimmung die Gesetzgebungskompetenz wieder anzueignen.59 57 Beispielhaft etwa Lord President Cooper in: MacCormick v. Lord Advocate [1953] SC 396, 411: „This at least is plain, that there is neither precedent nor authority of any kind for the view that the domestic courts of either Scotland or England have jurisdiction to determine whether a governmental act [ . . . ] is or is not conform to the provisions of a Treaty, least of all when that treaty is one under which both Scotland and England ceased to be independent states and merged their identity in an incorporating union.“ 58 Im Fall Rhodesiens etwa hielten die Gerichte den entsprechenden Southern Rhodesia Act 1965, mit dem das Parlament versuchte, die Gesetzgebungsgewalt über die frühere Kolonie zurückzugewinnen, aufrecht; Dhlamini v. Carter 1968 (2) SA 464. 59 Das Statute of Westminster 1931 bezieht sich tatsächlich nur auf die Übergabe der Legislativgewalt an ein Dominion. Nach 1947 spielte sich jedoch die Praxis ein, auch die Exekutivgewalt zu übergeben und damit einen vollständig souveränen neuen Staat zu schaffen. In der Beurteilung der Gerichte machte dies jedoch keinen Unterschied; Sir Robert Megarry V.-C. in: Manuel v. Att.-Gen. [1983] Ch. 77, 88: „Plainly once statute has granted independence to a country the repeal of the statute will not make the country dependent once more; what is done is done is not undone by revoking the authority to do it. [ . . . ] But if Parliament then passes an Act applying to such a country I cannot see why that Act should not be in the same position as an Act applying to what has always been a foreign country, namely, an Act which the English courts will recognise and apply but one which the other country will in all probability ignore . . . “.

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Tatsächlich würden wohl britische Gerichte auch solche Parlamentsentscheidungen respektieren, die darauf abzielten, derartige Entwicklungen umzukehren. So wäre es in der Theorie durchaus denkbar, daß per Parlamentsgesetz das Vereinigte Königreich die Gesetzgebungsgewalt etwa über Kanada wieder für sich beanspruchte. So sehr dies in der Praxis wohl kaum als realistisch anmuten mag, spielt es in der Theorie jedoch eine große Rolle, da hierdurch Diceys Ansicht bestätigt scheint.60 (3) Mitgliedschaft in der Europäischen Union (a) Der European Communities Act 1972 Einer größeren Herausforderung hatte sich das Prinzip dagegen in Gestalt des Beitrittsgesetzes zu den Europäischen Gemeinschaften konfrontiert gesehen. Für die Geltung von Gemeinschaftsrecht innerhalb des Vereinigten Königreiches bedurfte es eines Parlamentsgesetzes, da nach der geltenden Verfassung der Abschluß der Verträge als Exekutivakt allein noch keinerlei Wirkung für die nationale Rechtsordnung entfaltet.61 Überdies bilden hier nach dem dualistischen Rechtssystem nationales und internationales Recht keine Einheit. Auch nach Ratifizierung internationaler Verträge sind diese daher noch nicht Bestandteil des nationalen Rechts, sondern bedürfen einer besonderen gesetzlichen Umsetzung. Diese Funktion erfüllt der European Communities Act 1972 (ECA). In Absatz 2(1) heißt es: „All such rights, powers, liabilities, obligations and restrictions from time to time created or arising by or under the Treaties, and all such remedies and procedures from time to time provided for by or under the Treaties, as in accordance with the Treaties are without further enactment to be given legal effect or used in the United Kingdom shall be recognised and available in law, and be enforced, allowed and followed accordingly; and the expression ,enforceable in Community right‘ and similar expressions shall be read as referring to one to which this subsection applies.“

Bezüglich früheren nationalen Rechts ergibt sich damit ein Verdrängungseffekt durch mit diesem nicht zu vereinbarenden bestehenden Gemeinschaftsrecht. Da diese Verdrängung auf einem Parlamentsgesetz beruht, ist dies mit Diceys Ansatz ohne weiteres zu vereinbaren. Ein anderes Problem stellt die Umsetzung sekundären Gemeinschaftsrechts dar. Nach Art. 249 EGV besitzen nur Verordnungen unmittelbare Wirkung für die Mitgliedstaaten. Richtlinien bedürfen dagegen einer nationalen Umsetzung.62 Streng 60 Deutlich in diesem Punkt British Coal Corporation v. The King, [1935] A.C. 500, 520; sowie Lord Denning M.R. in Blackburn v. Attorney-General [1972] C.M.L.R. 882, CA: „We have all been brought up to believe that, in legal theory, one Parliament cannot bind another and that no Act is irreversible. But legal theory does not always march alongside political reality. [ . . . ] Freedom once given cannot be taken away.“ 61 Case of Proclamations (1610) 12 Co.Rep. 74; Bill of Rights 1688, Art. 4. Vgl. auch P. Craig / G. De Búrca, EU-Law, S. 280 f.

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genommen wäre aber aufgrund der dualistischen Theorie für die Geltung aller Gemeinschaftsrechtsakte im nationalen Rahmen jeweils die einzelne Überführung in nationales Recht notwendig. Eine solche Praxis hätte sich jedoch mit der Arbeitsbelastung des Parlaments sowie mit dem Gedanken europaweiter Rechtsvereinheitlichung nicht vertragen. Auch hierfür trifft Absatz 2(1) die entsprechenden Vorkehrungen („created or arising by or under the Treaties“). Der ECA schuf hiermit etwas vollständig Neues und aus Sicht des dualistischen Ansatzes auch noch nie Dagewesenes. Für den orthodoxen Ansatz ergibt sich hier aber ein gravierender Konflikt: Die europäischen Institutionen treten als Gesetzgeber quasi gleichberechtigt bzw. sogar vorrangig neben das Parlament.63 Mit dem orthodoxen Ansatz Diceys scheint dies unvereinbar. (b) Das Verhältnis zwischen nationaler Rechtsprechung und EuGH Problematischer erscheint dagegen die Frage, wie die britischen Gerichte mit zukünftiger Gesetzgebung umzugehen haben. Nach dem orthodoxen Ansatz sind sie gehalten, jedwedes Parlamentsgesetz ohne Einschränkung umzusetzen. Was aber, wenn sie auf eine mit Gemeinschaftsrecht unvereinbare nationale Bestimmung stoßen sollten? Von der Warte des EuGH erscheint die Antwort eindeutig: Aufgrund des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts ist entweder die betreffende Regelung gemeinschaftskonform auszulegen oder, falls dies nicht möglich ist, die Gemeinschaftsregelung vorrangig anzuwenden.64 Vom britischen Standpunkt aus ist dies nicht eindeutig, da die Gerichte von der These der Sovereignty of Parliament aus zur Anwendung jedes Act of Parliament verpflichtet sind, ohne daß sie – etwa durch Auslegung – vom Gesetzeswortlaut abweichen dürften. Sollten sich also spätere Parlamente nicht an die Bestimmungen des ECA gebunden fühlen, wären sie gezwungen, jedem Parlamentsgesetz zur Durchsetzung zu verhelfen, auch wenn dieses im Einzelfall einmal im Widerspruch zu den Verträgen stehen sollte.65 Mit der Ansicht des EuGH wäre dies absolut unvereinbar. Absatz 2(4) des ECA gibt daher den Gerichten eine Auslegungsregel an die Hand, nach der 62 Daran ändert im Grunde genommen auch der VVE nichts; vgl. Art. I-33 Abs. 1 UAbs. 3: Das Europäische Rahmengesetz ist ein Gesetzgebungsakt, der für jeden Mitgliedstaat, an den es gerichtet ist, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich ist, jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel überläßt. 63 Die Frage gewinnt noch weiter an Brisanz, bedenkt man, daß neuere nationale Rechtsvorschriften in den meisten Staaten der Europäischen Union zum überwiegenden Teil entweder indirekt (über Richtlinien) oder sogar direkt (über Verordnungen) ihren Ursprung auf europäischer Ebene tragen. 64 Rs. 6 / 64 (Costa / ENEL), EuGH Slg. 1964, 1141; Rs. C 106 / 77 (Simmenthal), EuGH Slg. 1978, S. 629. Der EuGH scheint hier über die Ansicht des BVerfG hinaus sogar von einem Geltungsvorrang auszugehen; s. R. Streinz, Europarecht, Rn. 197. 65 Das entsprechende Gericht würde dem European Communities Act 1972 widersprechende Gesetze als diesen abändernde bzw. aufhebende Gesetze behandeln, sog. implied

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„ . . . any enactment passed or to be passed [by this parliament]. . . shall be construed and have effect subject to the foregoing provisions of this section; . . .“

Da die britischen Gerichte über Jahrhunderte hinweg das Prinzip der Parlamentssouveränität beachtet und über den reinen Wortlaut hinaus so gut wie keine Gesetzesauslegung praktiziert hatten, mußten sie sich naturgemäß schwer tun mit der ihnen nun übertragenen Aufgabe, nationale Gesetze an gemeinschaftsrechtlichen Regelungen zu messen, letzten Endes das Parlament also nicht mehr als die alleinige und höchste Autorität anzuerkennen. Anschaulich wurde dies im Fall Macarthys v. Smith66, als zum ersten Mal ein bestehender Konflikt zwischen einem nationalen Gesetz und Gemeinschaftsrecht auftrat. Lord Denning führte dazu aus: „[ . . . ] If on close investigation it should appear that our legislation is deficient or is inconsistent with Community law by some oversight of our draftsmen then it is our bounden duty to give priority to Community law.[ . . . ] Thus far I have assumed that our Parliament, whenever it passes legislation, intend to fulfil its obligations under the Treaty. If the time should come when our Parliament deliberately passes an Act with the intention of repudiating the Treaty or any provision in it or intentionally acting inconsistent with it and says so in express terms then I should have thought that it would be the duty of our courts to follow the statute of our Parliament.“

Die Lösung des vermeintlichen Widerspruchs wurde also einmal mehr in einer Überwindung des Implied Repeal durch die Annahme gesucht, das Parlament werde den ECA nur ausdrücklich zurückziehen wollen.67 Ähnlich wie im Fall des Westminsterstatuts wird hier quasi dem Parlament ein redaktionelles Versehen in die Hand gelegt, sollten sich Unvereinbarkeiten ergeben. Dieser Ansicht wurde im betreffenden Fall allerdings nicht gefolgt. Nach der Mehrheit der Richter im Court of Appeal konnte die EuGH-Rechtsprechung keinen Einfluß auf die Auslegung nationalen Rechts haben. Statt dessen müsse bei einem Konflikt zwischen nationalem und Gemeinschaftsrecht letzterem der Vorrang gebühren und die nationale Bestimmung dahinter zurücktreten: „I do not think that it is permissible, as an aid to construction, to look at the terms of the Treaty. If the terms of the Treaty are adjudged in Luxembourg to be inconsistent with the provisions of the Equal Pay Act 1970, European Law will prevail over that municipal legislation. But such a judgment in Luxembourg cannot affect the meaning of the English statute.“68 repeal. Vgl. Ellen Street Estades Ltd. v. Minister of Health [1934] 1 KB 590; danach verdrängt ein späteres Gesetz ein früheres insoweit, als dieses Bestimmungen trifft, die dem früheren Gesetz widersprechen. 66 [1979] 3 All ER 325. 67 Tatsächlich kündigte die parlamentarische Labour Opposition in Gestalt H. Wilsons im Februar 1972 an, den European Communities Act 1972 aufzuheben, sollte sie als zukünftige Regierung nicht in der Lage sein, die Beitrittsbedingungen neu zu verhandeln. Ausdrücklich wurde dabei auf die Supremacy of Parliament Bezug genommen; The Times v. 5. Februar 1972. 68 Macarthys v. Smith [1979] All ER 325, 335 f.

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2. Teil: Das Vereinigte Königreich in Europa

Nur wenig später sollte sich dennoch der Ansatz Lord Dennings durchsetzen, als das House of Lords einen ähnlichen Fall zu entscheiden hatte und dabei die Entscheidung des Court of Appeal überstimmte.69 Von nun an würden demnach die Gerichte einen Act of Parliament lieber bis zur Sinnentstellung auslegen, als ihn zu übergehen, was sich auch besser mit ihrer traditionellen Rolle vertrug. Diese Vorgehensweise spiegelte daher auch nicht etwa die Anerkennung unbedingten Vorrangs von Gemeinschaftsrecht wider. Sie ist lediglich die Konsequenz des Abs. 2(4) des ECA, der nicht die unmittelbare Geltung von Gemeinschaftsrecht, sondern eher die gemeinschaftskonforme Auslegung nationaler Gesetzgebung sicherstellen soll.70 Deutlich wurde dies, als der EuGH mit seiner Rechtsprechung zur verspäteten oder fehlerhaften Umsetzung von Richtlinien nunmehr auch die Sicherstellung der Geltung nur mittelbar geltenden Gemeinschaftsrechts verlangte.71 Für einen solchen Fall verneinte das House of Lords zunächst eine entsprechende Auslegung: „[ . . . ] Section 2(4) of the European Communities Act 1972 does not in my opinion enable or constrain a British court to distort the meaning of a British statute in order to enforce against an individual a Community directive which has no direct effect between individuals. Section 2(4) applies and only applies where Community provisions are directly applicable. [ . . . ]“72

Bald jedoch würden die Gerichte hiervon abweichen, indem sie einen Konflikt zwischen nationalem und Gemeinschaftsrecht durch gemeinschaftskonforme Auslegung der nationalen Bestimmung ausgleichen.73 Entscheidend dabei ist jedoch, daß in diesen Konstellationen nationales Recht zur Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Bestimmungen erlassen wurde. In den übrigen Fällen verweigerte die nationale Rechtsprechung nach wie vor diesen Ansatz. Zudem ist diese Vorgehensweise von dem Willen beseelt, Konflikte zwischen Gemeinschaftsrecht und nationalen Bestimmungen durch gemeinschaftskonforme Rechtsauslegung letzterer zu vermeiden. Fraglich war jedoch, wie die Gerichte reagieren würden, sollte einmal ein derartiger Konflikt hierdurch nicht zu lösen sein. (c) Die Factortame-Rechtsprechung Diese Frage erwies sich u. a. als kritisch in der Serie der sog. FactortameFälle74. Vordergründig erreichte die Auseinandersetzung zwischen EuGH und briVgl. Garland v. British Rail Engineering Ltd. [1980] 2 A.C. 751. Dazu P.Craig / G. de Búrca, EU Law, S. 283 ff. 71 Vgl. Rs. C-14 / 83 (Von Kolson), EuGH Slg. 1984, 1891, und C-196 / 89 (Marleasing) EuGH Slg. 1990, I-4135. 72 Duke v. GEC Reliance Ltd. [1988] AC 618. 73 So praktiziert in Litster v. Forth Dry Dock & Engineering Co. Ltd. [1989] 55 C.M.L.R.; Pickstone v. Freemans plc [1989] A.C. 66, HL. 69 70

A. Hintergrund des britischen Konstitutionalismus

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tischen Gerichten einen Höhepunkt, als das House of Lords die Frage zu klären hatte, ob Gemeinschaftsrecht auch in der Weise über nationales Recht zu stellen wäre, daß letzteres aufgrund Anwendungsvorrangs vollständig hinter die gemeinschaftsrechtliche Regelung zurücktreten müsse. Spanische Fischer versuchten gemeinschaftsrechtliche Fischfangquoten zu umgehen, indem sie ihre Schiffe in England registrieren ließen. Um dieser Praxis zu begegnen, wurde der Merchant Shipping Act 1988 erlassen, der die Registrierung von Schiffen im Vereinigten Königreich nur noch dort ansässigen Fischern erlaubte. Nach Ansicht der Kläger lag hierin ein Verstoß gegen gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen. Gerügt wurde u. a. eine Verletzung der Art. 52, 58 und 221 EGV. Zur Klärung der Vereinbarkeit des Merchant Shipping Act mit diesen Gemeinschaftsregeln wurde das Verfahren ausgesetzt und der Fall mit entsprechender Fragestellung dem EuGH gem. Art. 248 EGV vorgelegt. Um der Gefahr finanzieller Verluste zu begegnen, beantragten die Kläger für die Dauer des Verfahrens vor dem EuGH einstweiligen Rechtsschutz. Unter Hinweis auf den Crown Proceedings Act 1947 sah sich das House of Lords jedoch außerstande, gegen den gesetzgeberischen Willen des Parlaments zu handeln75. Es legte daraufhin auch diese Entscheidung dem EuGH mit der Frage vor, ob die entsprechende gesetzliche Regelung mit Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, bzw. ob es eine gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung gibt, nach der den Klägern entsprechender Rechtsschutz unter Mißachtung der nationalen Vorschriften zu gewähren sei. Der EuGH bestätigte diese Ansicht. Danach haben die Gerichte nationale Regelungen außen vor zu lassen, sollten diese das einzige Hindernis für einstweiligen Rechtsschutz für die Durchsetzung unmittelbar geltenden Gemeinschaftsrechts sein.76 Die Entscheidung des EuGH begegnete z. T. heftiger Kritik77 und verschärfte die Auseinandersetzung um die Frage, inwiefern die Souveränität des Parlaments noch der Wirklichkeit entspräche und – falls dies nicht der Fall sei – inwiefern dieses grundlegende Prinzip überhaupt aufgegeben werden könne.78 Das 74 Factortame Ltd. v. Secretary of State for Transport [1990] 2 A.C. 85; Factortame v. Secretary of State for Transport (No. 2) [1991] 1 All ER 70; Rs. C-213 / 89 (Factortame), EuGH Slg. 1990, I-2433; Rs. C-221 / 89, EuGH Slg. 1991 I-3905. 75 Lord Bridge, [1990] 2 A.C. 85, 143: „If the applicants fail to establish the rights they claim before the European Court, the effect of the interim relief granted would be to have conferred on them rights directly contrary to Parliament’s sovereign will and correspondingly to have deprived British fishing vessels, as defined by Parliament, of the enjoyment of a substantial proportion of the United Kingdom quota of stocks of fish protected by the common fisheries policy. I am clearly of the opinion that, as a matter of English law, the court has no power to make an order which has these consequences.“ 76 Rs. C-213 / 89 (Factortame), EuGH Slg. 1990, I-2433. Dazu auch P. Craig / G. de Búrca, EU Law, S. 237 ff. 77 Z. B. der Konservative MP Richard Sheppard: „We have had, for the first time in our national history, the imposition of a ruling that overrides the sovereignty of the British people.“ Vgl. weiterhin P. Craig / G. de Búrca, EU Law, S. 308 ff.

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2. Teil: Das Vereinigte Königreich in Europa

House of Lords setzte in nächster Instanz – unbeeindruckt von dieser Kritik – das Urteil entsprechend um und gewährte besagten vorläufigen Rechtsschutz.79 Fraglich war, ob und wie dies mit der traditionellen Sicht des Prinzips der Sovereignty of Parliament vereinbar ist. Da das im Fall betroffene Gesetz aus dem Jahr 1947 stammt, ergaben sich hier keinerlei Schwierigkeiten, da selbst nach der traditionellen Ansicht des Implied Repeal jedes spätere Gesetz ein früheres, damit nicht in Einklang stehendes, verdrängt. Der ECA regelt die Aufnahme von Gemeinschaftsrecht in das nationale Recht des Vereinigten Königreichs. Damit verbunden war aber auch die Frage nach der Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz. Durch den ECA wurde die entsprechende Bestimmung, die diesen Rechtsschutz versagte, verdrängt.80 Die Brisanz der Entscheidung ist daher auch weniger in der Ermächtigung als solcher zu sehen, auf dem Feld einstweiligen Rechtsschutzes Gemeinschaftsrecht Vorrang einzuräumen, auch wenn durch den EuGH noch keine eindeutige Entscheidung im Hinblick auf die Unvereinbarkeit nationalen Rechts mit Gemeinschaftsrecht vorliegt. Augenmerk ist vielmehr auf die Vereinbarkeit eines nach dem ECA erlassenen Gesetzes mit Gemeinschaftsrecht zu richten. Die Auslegungsregel des Implied Repeal, welche in engem Zusammenhang mit der traditionellen Sicht der Supremacy of Parliament steht, fand hier also gerade keine Anwendung mehr.81 Entscheidend ist aber noch mehr, daß im Gegensatz zu vorherigen Verfahren die Gerichte nicht mehr nur gehalten waren, nationales Recht im Lichte von Gemeinschaftsrecht gemeinschaftsrechtskonform auszulegen – den Fall, daß das Parlament ausdrücklich gegen gemeinschaftsrechtliche Regelungen verstoßen will, einmal außen vorgelassen. Die Gerichte waren vielmehr sogar angewiesen, im Wege des Anwendungsvorrangs nationales Recht außer Acht zu lassen, sollte es der Durchsetzung gemeinschaftsrechtlicher Regelungen entgegenstehen.82 Im Ergebnis blieb die absolute Parlamentssouveränität auf der Strecke. Mit dieser Rechtsprechung trat nicht nur ein gleichberechtigter Gesetzgeber neben das Parlament, sondern die nationalen Gerichte sollten sogar im Konfliktfall das Westminster Parlament gegenüber dem europäischen Gesetzgeber ignorieren.83

78 P. Craig, Sovereignty of the United Kingdom Parliament after Factortame; T.R.S. Allan, Parliamentary Sovereignty: Law, Politics, And Revolution; H.W.R. Wade, Sovereignty – Revolution or Evolution?; K. Armstrong, United Kingdom – Divided on Sovereignty? 79 Factortame v. Secretary of State for Transport (No. 2) [1991] 1 All ER 70, 107 f. 80 Näher P. Craig, Sovereignty of the United Kingdom Parliament after Factortame, S. 248. 81 P. Craig, Britain in the European Union, S. 76. 82 Factortame v. Secretary of State for Transport (No. 2) [1991] 1 All ER 70, 107 f. 83 In späterer Rechtsprechung zeigte sich sogar, daß die Gerichte nunmehr ihre ihnen vom EuGH übertragene Aufgabe der Kontrolle nationaler Gesetzgebung auf ihre Vereinbarkeit mit Gemeinschaftsrecht annahmen. Im Gegensatz zur „Prae-Factortame“-Rechtsprechung versuchte etwa das House of Lords nicht mehr, durch gemeinschaftskonforme Auslegung Konflikte zu vermeiden, sondern nahm die Factortame-Rechtsprechung als unmittelbare

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Die Doktrin des Implied Repeal hatte in Bezug auf den ECA 1972 keinerlei Geltung mehr, sondern wurde vielmehr durch die Prinzipien des EuGH überwunden.84 Darüber hinaus wurde sie in Bezug auf dieses Gesetz sogar umgekehrt, als jedwede mit europäischem Recht unvereinbare Rechtsetzung nicht zur Anwendung kommen dürfe.85 Der traditionelle Ansatz der Parliamentary Sovereignty erweist sich in diesem Kontext als nicht mehr haltbar.86 (4) Der Human Rights Act 1998 Ähnliche Schwierigkeiten traten im Zusammenhang mit dem HRA auf.87 Nach eingehenden Reformdiskussionen hatten sich die führenden politischen Kräfte im Vereinigten Königreich dazu durchgerungen, die Europäische Menschenrechtskonvention als unmittelbar geltendes Recht in nationales Recht zu überführen. Dabei setzte sich der Vorschlag einer Inkorporation der Konvention gegenüber dem Modell eines Bill of Rights durch.88 Von dem traditionellen Ansatz Diceys ausgehend, konnte ein effektiver Menschenrechtsschutz im Vereinigten Königreich nicht garantiert werden. Solange das Parlament mit legislativer Omnipotenz an kein Gesetz gebunden ist, erscheint jegliche Bindung an Menschenrechte sinnlos; wie sollte diese Bindung auch erreicht werden? Über Jahrhunderte hinweg schien der britische Untertan gegen gesetzgeberische Willkür einzig und allein durch moralische, soziale und politische Zwänge geschützt gewesen zu sein.89 Insbesondere das Konzept der Rule of Law sollte es in der traditionellen Sicht dem Parlament verwehren, grundlegende Rechtsgrundlage zum Anlaß, gemeinschaftsrechtswidrige Bestimmungen von vornherein zu übergehen; vgl. R. v. Secretary of State for Employment, ex parte Equal Opportunities Commission [1995] 1 A.C. 1; sowie P. Craig, Britain in the European Union, S. 74 f. 84 Vgl. auch D. Oliver, Constitutional Reform in the UK, S. 84. Wohl nicht ganz zu Unrecht erhob daher auch LJ Laws im Fall Thoburn v. Sunderland City Council [2002] 3 WLR 247 den European Communities Act 1972 in den Stand einer Constitutional Statute, also einem Gesetz mit Verfassungsrang, welches nur durch den ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers geändert oder aufgehoben werden könne; a. a. O., S. 280 f. 85 Im Fall der Nichtanwendung des Merchant Shipping Act 1988 sahen sich die Gerichte gezwungen, eine bisher unbekannte Rechtsfigur in Gestalt des Begriffs „disapplied“ zu schaffen. 86 Vgl. P. Craig, Report on the United Kingdom, S. 210. 87 Ausführlich zur Entwicklungsgeschichte des Human Rights Act 1998 sowie der grundsätzlichen Frage zum Verhältnis zwischen britischer Verfassung und dem Menschenrechtsschutz Lord Lester of Herne Hill, Human Rights and the British Constitution; D. Oliver, Constitutional Reform in the UK, S. 111 ff. 88 Zu den einzelnen Modellen sogleich mehr. 89 So A.W. Bradley, The Sovereignty of Parliament, S. 51. Nach A.V. Dicey sind dem Parlament faktisch zweierlei Grenzen gesetzt – in externer Hinsicht durch die Möglichkeit des zivilen Ungehorsams, in interner Hinsicht durch den durch Ethik und Moral bestimmten Charakter der Parlamentarier; ders., Introduction to the Study of the Law of the Constitution, S. 76 ff.

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2. Teil: Das Vereinigte Königreich in Europa

Rechte des Individuums zu übergehen, die über Jahrhunderte hinweg durch das Common Law entwickelt wurden. Dieses Prinzip kann daher als einzige (rechtliche) Grenzziehung für die ansonsten unbeschränkbare Macht der Supremacy of Parliament angesehen werden.90 Mit dem Beitritt des Vereinigten Königreichs zur Europäischen Menschenrechtskonvention 195191 verschärfte sich das Bedürfnis nach einem auch formellen Schutz elementarer Menschenrechte. Im Jahre 1975 fiel zum ersten Mal eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) gegen das Vereinigte Königreich.92 In den Folgejahren wurden weitere Fälle vor den EGMR in Straßburg gebracht, in denen das Königreich Partei war.93 Obwohl nach der Rechtsprechung des EGMR die Mitgliedstaaten in ihrer Entscheidung frei waren, wie sie den Schutz der verbrieften Rechte national umsetzten94, wuchs die innerstaatliche Kritik an der Situation des nationalen Rechts, das weder die Konvention in innerstaatliches Recht inkorporiert hatte,95 noch formelle Rechtsbehelfe zum Menschenrechtsschutz bot.96 Ein gewisser Schutz der Konventionsrechte erfolgte vielmehr durch die nationalen Gerichte unter Zuhilfenahme des Common Law,97 welches ja auch nach traditioneller Sicht die beste Garantie für fundamentale Rechte bot.98 Nach dem Regierungswechsel im Jahre 1997 verabschiedete das Parlament mit den Stimmen von Labour und Liberal Democrats den HRA, der die

90 So gesehen gibt es von diesem Standpunkt aus auch keinerlei Menschen- oder Bürgerrechte im Vereinigten Königreich. In der Verfassungstheorie ist daher auch nicht von Rights, sondern lediglich von (Residual) Liberties die Rede; Freiheiten also, die nach Abzug der Rechte, von denen der Souverän bzw. das Parlament Gebrauch gemacht haben, übrigblieben. Salopp ausgedrückt ist dem britischen Untertan nur das erlaubt, was nicht verboten ist (im Gegensatz etwa zur deutschen Grundrechtsdogmatik, nach der dem Bürger zunächst grenzenlose Freiheit gewährt ist, die durch entgegenstehende Rechte anderer oder aber gerechtfertigte Eingriffe von staatlicher Seite beschränkt wird; also prinzipiell nur das verboten ist, was nicht erlaubt ist). 91 Dazu E. Wicks, The U.K. Government’s Perception of the ECHR, S. 438 ff. 92 Golder v. United Kingdom, (1975) 1 EHRR 524. 93 A.W. Bradley, The United Kingdom before the Strasbourg Court 1975 – 1990. 94 Swedish Engine-Drivers’ Union v. Sweden (1967) 1 EHRR 617, 631; Republic of Ireland v. UK (1978) 2 EHRR 25, 104. 95 Dies erfolgte erst mit Inkrafttreten des Human Rights Act im Oktober 2000. 96 M. Hunt, Using Human Rights Law in English Courts, S. 347. Ein Überblick findet sich ferner bei A.W. Bradley / K.D. Ewing, Constitutional and Administrative Law, S. 479 ff. 97 Beispielhaft; R. v. Secretary of State for the Home Department, ex parte Brind [1991] 1 A.C. 696 (Rundfunkfreiheit); Guerra v. Baptiste [1996] AC 397 (Todesstrafe). Für Furore sorgte die sog. „Spycatcher“-Affäre im Zusammenhang mit der Publizierung vertraulicher Informationen. Dazu: Attorney-General v. Guardian Newspapers Ltd. [1987] 1 WLR 1248 (HL) und Attorney-General v. Guardian Newspapers Ltd. (No.2) [1990] 1 AC 109. Vgl. i.Ü. I. Loveland, Constitutional Law, S. 576 ff.; A.W. Bradley / K.D. Ewing, Constitutional and Administrative Law, S. 479 ff. 98 A.V. Dicey, Introduction to the Law of the Constitution, S. 195; dazu mehr unter 3.b).

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Umsetzung der Europäischen Menschenrechtskonvention in nationales Recht vorsah. Die Umsetzung derartiger Forderungen überschreitet aber in zwei wesentlichen Punkten die Grenzen der Sovereignty of Parliament: Zum einen müßten den Gerichten effektive Mittel zur Gewährung von Rechtsschutz an die Hand gegeben werden. In Rechtsordnungen, in denen Menschenrechtsschutz über eine geschriebene Verfassung garantiert wird, ist dies häufig das Instrument der Normverwerfung.99 Was die Auslegung von Gesetzen betrifft, ist dies auch im britischen Verfassungsrecht anerkannt; eine Normverwerfungskompetenz wird den Gerichten aber nicht zuerkannt, da dies der uneingeschränkten Parlamentssouveränität widersprechen würde. Zum anderen wird der Menschenrechtsschutz in Staaten mit einer geschriebenen Verfassung durch deren Vorrang – etwa in Form eines Grundrechtskatalogs – vor anderen Rechtsakten, insbesondere aber auch dem Parlamentsgesetz, garantiert.100 Auch dem steht das britische Verfassungsverständnis entgegen, kann doch kein Parlament durch seine eigene Gesetzgebung an späterer, dieser widersprechender Rechtsetzung gehindert werden. Mit diesen Hindernissen hatten sich die Befürworter einer Inkorporation der EMRK auseinanderzusetzen. Folgende drei Modelle standen sich schließlich gegenüber: 1. Inkorporation durch einen „Interpretation Act“, nach dem jedes Gesetz im Lichte der EMRK auszulegen ist, selbst wenn im Einzelfall der Wortlaut einer Vorschrift eindeutig sein sollte.101 Da die Gesetzesanwendung in Form der Auslegung mit der Sovereignty of Parliament ohne weiteres zu vereinbaren ist, hätten sich bei dieser Lösung keine verfassungsrechtlichen Probleme ergeben. Auf der anderen Seite entspräche dies aber nur einer halbherzigen Umsetzung, da das Parlament an späterer, der EMRK widersprechender Rechtsetzung, nicht gehindert würde. 2. Weitreichender ist das Modell, nach dem die Gerichte ermächtigt würden, die EMRK direkt anzuwenden und dabei entgegenstehende Normen außer Acht zu lassen. Für spätere Rechtsnormen geht das Modell wiederum von einem „Interpretation Act“ aus.102 Auch hier ergeben sich keine Konflikte mit der Parlamentssouveränität. 99 In Deutschland kann das BVerfG im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG) etwa den Verstoß eines Gesetzes gegen Grundrechte feststellen und anschließend für nichtig erklären, § 95 Abs. 3 S. 1 BVerfGG: Wird der Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz stattgegeben, so ist das Gesetz für nichtig zu erklären. 100 Für die Bundesrepublik Deutschland in Art. 1 Abs. 3 GG. 101 A.W. Bradley, Sovereignty of Parliament – in Perpetuity?, S. 102. 102 Diese Lösung findet sich z. B. auch in der Hong Kong Bill of Rights Ordinance von 1991; dazu J. Allan, A Bill of Rights for Hong Kong, S. 175.

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3. Schließlich sollten die Gerichte in die Position versetzt werden, jedwede Gesetzgebung zu übergehen, die mit der EMRK nicht vereinbar ist. Dies solle für frühere wie für spätere Rechtsetzung gelten, mit Ausnahme von den Gesetzen, die ausdrücklich einen Verstoß gegen die Konvention vorsähen. Diese Lösung wurde am kontroversesten diskutiert, da sie am stärksten mit den Rechten des Parlaments kollidierte.103 Der HRA beruht auf keinem dieser drei Modelle, weist aber die meisten Berührungspunkte mit der zweiten Lösung auf. In s. 3(1) wird zunächst eine strenge Interpretationsregel für jegliche Art von Gesetzgebung festgeschrieben, an die jede Form der Rechtsanwendung gebunden ist: „So far as it is possible to do so, primary legislation and subordinate legislation must be read and given effect in a way which is compatible with the Convention rights.“

Noch gewichtiger erscheint dagegen s. 10. Diese Vorschrift trifft Vorsorge für solche Rechtsakte, die trotz der strengen Auslegungsregel nicht mit der EMRK in Einklang zu bringen sind. Danach erhalten die Gerichte zwar keine Verwerfungskompetenz104, jedoch können die obersten Gerichte eine „Declaration of Incompatibility“ abgeben, nach der die Regierung ermächtigt, aber nicht verpflichtet wird, in einer Art „Schnellverfahren“ entsprechende Änderungen des Gesetzes vorzunehmen. Der HRA umgeht somit das Problem, das Prinzip der Parlamentssouveränität noch weiter zu beschneiden. Angesichts der vorhergehenden Feststellungen zu den Konsequenzen der europäischen Integration erscheint diese Lösung unbefriedigend. Kann festgestellt werden, daß sich die Parliamentary Supremacy längst nicht mehr in Reinkultur aufrechterhalten läßt, hätte der Schutz elementarer Rechte des Individuums nicht zurückstehen sollen. Andererseits hat sich das Parlament für die politische Praxis weiterer zentraler Privilegien begeben und den Gerichten ein – zumindest politisch gesehen – faktisches Normüberprüfungsinstrument in die Hand gegeben, welches nur selten Abhilfe versagen dürfte.105 Es wird sich zeigen, ob nicht vielleicht das Recht der Regierung, nach einer Declaration of Incompati103 So z. B. die Schlußfolgerung des House of Lords Select Committee on a Bill of Rights: „There is no way a Bill of Rights could protect itself from encroachment, whether express or implied, by later acts. The most that such a Bill could do would be to include an interpretation provision which insured that . . . so far as a later Act could be construed in a way that was compatible with a Bill of Rights, such a construction would be preferred to one that was not.“ Vgl. Select Committee on a Bill of Rights, Report v. 24. Mai 1978, HL 176 (1977 – 78), para. 26. 104 In dem Weißbuch der Regierung wurde dies mit der herausragenden Bedeutung der Parlamentary Sovereignty für die britische Verfassung begründet. Danach entspräche es weder dem Willen der Gerichtsbarkeit, eine entsprechende Kompetenz zu erlangen, noch sei es der politische Wille des Landes, die Judikative in einen Konflikt mit der allmächtigen Legislative zu stürzen. Vgl. dazu das White Paper, „Rights Brought home: the Human Rights Bill“, Cm 3782 (1997), para. 2.14. 105 So auch A.W. Bradley, The Sovereignty of Parliament, S. 55.

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bility entsprechende Änderungen vorzunehmen, durch die Herausbildung einer Convention nicht sogar in eine Pflicht auswachsen wird. Einmal mehr stellt die britische Verfassung damit ihren politischen Charakter unter Beweis, so daß die von der Labour-Regierung eingeschlagene Richtung – im verfassungsrechtlichen Kontext – als konsequent angesehen werden kann. Im Ergebnis kann daher durchaus eine weitere Schwächung im über Jahrhunderte hinweg so stabilen Bauwerk der Sovereignty of Parliament erblickt werden. Wurde die erste Schwächung verfassungsrechtlich durch den EuGH mit Unterstützung der nationalen Gerichte auf Grundlage des ECA geschlagen, folgt sie aus dem HRA auf faktisch-politischem Weg. (5) Konsequenzen für die Bedeutung der Sovereignty of Parliament Bleibt festzustellen, daß sich die Bedeutung der Parlamentssouveränität in jüngster Zeit insbesondere durch den europäischen Integrationsprozeß gewandelt hat. Es stellt sich dann die Frage nach den Konsequenzen für das britische Verfassungsverständnis, bildet jenes Prinzip doch einen tragenden Pfeiler der Verfassung.106 (a) Factortame versus Parliamentary Supremacy Durch die Factortame-Rechtsprechung wurde der Vorrang des Gemeinschaftsrechts festgestellt, eine Tatsache, die sich mit der traditionellen Ansicht Diceys nicht mehr vereinbaren läßt.107 Unklar ist daher, wie – falls überhaupt – der Grundsatz der Sovereignty of Parliament veränderbar ist, und wie dies vonstatten gehen kann. Im wesentlichen stehen sich dabei zwei Ansätze gegenüber, die beide von einer grundsätzlichen Reformfähigkeit der Doktrin ausgehen, aber dennoch verschiedene Wege beschreiten. Für die Traditionalisten wird die Frage nach der Bestimmung des „Souveräns“ durch die Gerichte gelöst, denn bei dem Prinzip der Parliamentary Sovereignty handele es sich tatsächlich um eine Auslegungsregel bei der Gesetzesanwendung durch die Justiz.108 Danach sei für das Zustandekommen eines Act of Parliament allein entscheidend, ob das fragliche Dokument das Verfahren der „Queen in Parliament“ durchlaufen habe. Der Grundsatz der Sovereignty of Parliament entziehe 106 Für P. Craig, Report on the United Kingdom, S. 210, stellte sie lange Zeit das Haupthindernis für die Akzeptanz von Gemeinschaftsrecht in Großbritannien dar. 107 Zwar wird zuweilen überlegt, ob auch weiterhin das Parlament souverän verbleibt, da es ihm freistehe, ausdrücklich gegen Gemeinschaftsrecht zu handeln; vgl. etwa J. Laws, Law and Democracy, S. 89. Dies verträgt sich zum einen aber nicht mit dem Prinzip des Implied Repeal, zum anderen ist mehr als fraglich, ob die Gerichte einem Rechtsakt Geltung verleihen würden, der ausdrücklich einen Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht vorsieht, während es weiterhin der erklärte Parlamentswille ist, als Mitglied in der Europäischen Union zu verbleiben; P. Craig, Report on the United Kingdom, S. 210. 108 Vgl. H.W.R. Wade, The Basis Of Legal Sovereignty, S. 187 ff.

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sich dabei jeglicher Modifizierung durch das Parlament selbst. Jegliche Änderung sei daher als revolutionärer Akt aufzufassen, die Factortame-Rechtsprechung stelle sich damit technisch gesehen als Revolution dar. Die Rückführung des Anwendungsvorrangs von Gemeinschaftsrecht auf den Beitritt Großbritanniens und dessen Übernahme gemeinschaftsrechtlicher Regelungen durch den ECA 1972 komme einer Bindung aller zukünftigen Parlamente an dieses eine Gesetz gleich. Dies stehe aber gerade im Widerspruch zu der klassischen Bedeutung der Sovereignty of Parliament, nach der kein Parlament an frühere Rechtsetzungsakte gebunden sein kann. Für die Anhänger des „neuen Weges“ dagegen ist das Parlament selbst das maßgebende Organ. Danach sind die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Parlamentsgesetzes teilweise im Common Law begründet; seit dem Parliaments Act 1911 aber auch im Statute Law. Da das Common Law aber grundsätzlich einer Änderung durch Act of Parliament zugänglich ist, dürfe sich das Parlament für die Voraussetzungen der Gültigkeit eines Gesetzes selbst Regelungen auferlegen, die auch spätere Parlamente binden würde. Das Parlament kann also solche Regeln ändern, die Form und Verfahren der Gesetzgebung betreffen.109 Nach dieser Ansicht bezieht sich die Rückführung des Anwendungsvorrangs auf den ECA 1972 im Rahmen der Urteilsbegründung in den Factortame-Fällen lediglich auf formelle Aspekte der Rechtsetzung. Danach ist das Parlament solange an den ECA 1972 gebunden, bis es durch Gesetz in eindeutiger Weise bestimmt, von einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung abweichen, bzw. gegen vertragliche Bestimmungen verstoßen zu wollen. Da aber formelle Aspekte für das Zustandekommen eines Act of Parliament nicht von der Parlamentssouveränität erfaßt werden, wären die Urteile in den Factortame-Fällen ohne weiteres mit dem Verfassungsgrundsatz zu vereinbaren. Ein „dritter Weg“ vermißt in der Art und Weise der Argumentation beider zuvor genannten Ansichten ein normatives Element, welches die absolute und unbeschränkbare Souveränität zu rechtfertigen mag.110 Nach dieser Ansicht kann eine legislative Allmacht des Parlaments nur auf Rechtsgrundsätze gestützt sein, die ihrerseits einer normativen Überprüfung standhalten müssen. Umgekehrt kann somit eine Beschränkung dieser legislativen Allmacht nur aufgrund einer normativen Wertung gewonnen werden.111 Genau hier greife die Factortame-Rechtsprechung eines Lord Bridge ein, der die Prinzipien der legislativen Omnipotenz gegen normative Gründe abzuwägen scheint, die sich aus der Mitgliedschaft in der Europäischen Union ergeben. Nach seinem vertragsorientierten Ansatz hätte sich das Parlament mit dem Beitritt zu den Europäischen Gemeinschaften selbst die Bürde geltenden europäischen Rechts auferlegt, wonach aber schon vor dem Beitritt Großbritanniens der Vorrang gemeinschaftsrechtlicher Regelungen anerkannt war: 109 Vgl. R.F.V. Heuston, Essays in Constitutional Law, S. 6 ff.; I. Jennings, The Law and the Constitution, S. 151 ff.; G. Marshall, Constitutional Theory, S. 40 ff. 110 Vgl. P. Craig, Britain in the European Union, S. 79. 111 P. Craig, Britain in the European Union, S. 79.

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„[ . . . ] If the supremacy within the European Community of Community Law over the national law of member states was not always inherent in the EEC Treaty it was certainly well established in the jurisprudence of the Court of Justice long before the United Kingdom joined the Community. Thus, whatever limitation of its sovereignty Parliament accepted when it enacted the European Communities Act 1972 was entirely voluntary.“112

Es ist nicht Ziel dieser Arbeit, eine lückenlose Diskussion der Interpretationsmöglichkeiten der Factortame-Entscheidung, noch eine vollständige Auseinandersetzung mit der Bedeutung der Parliamentary Supremacy zu liefern.113 Ausschlaggebend für die vorliegende Analyse bleiben jedoch die tiefgreifenden konstitutionellen Umwerfungen, die sich aus dem EU-Beitritt des Vereinigten Königreichs ergeben haben. Ob diese sich in einer stillen Revolution, ausgefochten durch Gerichte, oder aber durch eine „neue Sicht“ alter, traditioneller Prinzipien erklären lassen, kann hier dahingestellt bleiben. Wichtig ist allein, daß sich, wann immer die Übertragung neuer Hoheitsrechte auf die europäische Ebene ansteht, dieselben Fragen wieder neu zu stellen scheinen. (b) „Maastricht“ in britischer Lesart – Thoburn v. Sunderland City Council Vergleichbar der Diskussion auf Ebene des Grundgesetzes in Deutschland114 wird hier wohl zu fragen sein, in welchen Bereichen das britische Parlament eine weitere Übertragung zentraler Hoheitsbefugnisse verkraften kann, ohne eine Aushöhlung seiner Macht bis hin zur vollständigen Herabsetzung auf die Ebene eines Regionalparlaments zu erleiden. Im Gegensatz zur Situation des deutschen Grundgesetzes, in welchem Art. 23 Abs. 1 S. 3 i.V.m. 79 Abs. 3 GG Grenzen für die Übertragung von Hoheitsbefugnissen zieht, fehlt es auf britischer Seite an einer entsprechenden Regelung. Daß das allgemeine Prinzip der Parlamentssouveränität hierfür ungeeignet ist, haben die bisherigen Entwicklungen im Zusammenhang mit dem europäischen Einigungsprozeß bereits bewiesen (vgl. oben die FactortameRechtsprechung). Im wesentlichen wohl die Einführung des HRA und die damit einhergehende Aufwertung der Rolle der Gerichte115 im Vereinigten Königreich hat einen Umdenkprozeß über das Verhältnis von Gerichten und Parlament in Gang gesetzt, in dessen Kontext sich eine neuere Entscheidung des Court of Ap112

Lord Bridge, Factortame v. Secretary of State for Transport (No. 2) [1991] 1 AC 603

(658). 113 Für einen aktuellen Diskussionsstand vgl. den Überblick bei P.C. Oliver, Sovereignty in the Twenty-First Century. 114 Vgl. hierzu die Ausführungen des BVerfG zu „Maastricht“, BVerfGE 89, 155 (172): „Art. 38 GG schließt es im Anwendungsbereich des Art. 23 GG aus, die durch die Wahl bewirkte Legitimation von Staatsgewalt und Einflußnahme auf deren Ausübung durch die Verlagerung von Aufgaben so zu entleeren, daß das demokratische Prinzip, soweit es Art. 79 Abs. 3 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 und 2 GG für unantastbar erklärt, verletzt wird“. 115 Dazu Lord Irving, The Impact of the Human Rights Act, S. 313 ff.

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2. Teil: Das Vereinigte Königreich in Europa

peal116 einreiht. Sie gibt neue Anhaltspunkte über die Reichweite der Übertragung von Hoheitsrechten auf die europäischen Institutionen.117 Sir John Laws befaßt sich hierin u. a. mit der Frage des Verhältnisses von nationalem Recht zu Gemeinschaftsrecht. Danach beruhe die Grundlage der Gemeinschaftssouveränität auf der Übertragung der Einzelsouveränitäten durch die Mitgliedstaaten. Für das Vereinigte Königreich bedeute dies eine Übertragung durch den ECA, einem (konstitutionellen) Parlamentsgesetz also – nicht dagegen durch den Beitrittsvertrag zur EG selbst. Dieses Parlamentsgesetz basiere selbst aber auf der ultimativen Souveränität des Parlaments, welche daher die „Legal Foundation“ für die Gemeinschaftssouveränität bilde. Die ultimative Souveränität des Parlaments könne jedoch nicht auf die europäische Ebene übertragen werden, denn auch dieser Akt könne nur auf Basis derselben aufbauen. Eine endgültige Entleerung der Parlamentssouveränität hieße dagegen, zukünftige Parlamente auch in materieller Hinsicht an die konkrete Entscheidung zu binden. Daher könne durch eine einfache Rücknahme des ECA ein Austritt des Königreiches aus der EG vollzogen werden – was das Parlament gebe, könne es auch wieder nehmen. Ähnlich dem BVerfG in seiner MaastrichtEntscheidung118 fährt Laws fort über die Beziehungen zwischen europäischem und nationalem Recht: „In the event, which no doubt would never happen in the real world, that a European measure was seen to be repugnant to a fundamental or a constitutional right guaranteed by the law of England, a question would arise whether the general words of the 1972 Act were sufficient to incorporate the measure and give it overriding effect in domestic law.“119

In einer neueren Entscheidung geht das Gericht darüber hinaus und wagt die Prognose: „In its present state of evolution, the British system may be said to stand at an intermediate stage between parliamentary supremacy and constitutional supremacy.“120

In ähnlicher Weise wie das BVerfG zuvor, sieht sich die britische Gerichtsbarkeit demnach maßgeblich an die nationale Verfassung gebunden. Sollte also ein europäischer Akt – was als unwahrscheinlich vorausgesetzt wird – mit nationalen „Grundrechten“ nicht im Einklang stehen, gilt das Hauptaugenmerk dem nationalen ECA 1972 und nicht dem Vorrang des Gemeinschaftsrechts. Die Gerichte behalten sich damit vor, über die Grenzen der Souveränitätsübertragung zu befinden. Über den genauen Verlauf dieser Grenzen, etwa durch eine Bestimmung, was 116 Thoburn v. Sunderland City Council [2002] 4 All ER 156 (QBDC). Dazu D. Campell / J. Young, The metric martyrs and the entrenchment jurisprudence of Lord Justice Laws. 117 Nach M. Elliot, Parliamentary Sovereignty Under Pressure, S. 551, findet diese Entscheidung die langersehnte (und bereits in Factortame vermißte) Klarstellung des Verhältnisses zwischen nationalem und Unionsrecht. 118 BVerfGE 89, 155. 119 Thoburn v. Sunderland City Council [2002] 4 All ER 156 (QBDC) para. 69. 120 International Transport Roth GmbH v. Secretary of State for the Home Department, Q.B. 728, 71 (C.A. 2003).

A. Hintergrund des britischen Konstitutionalismus

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ein „fundamental or constitutional right“ ausmacht, schweigt sich die Entscheidung aus. Es bleibt damit abzuwarten, bis ein solcher Fall „which would never happen in the real world“ doch einmal eintritt. b) Rule of Law und Separation of Powers Zwar könnte das Prinzip der Rule of Law kurz und knapp mit dem deutschen „Rechtsstaatsprinzip“ übersetzt werden, jedoch ist der englische Begriff ebensowenig klar umrissen wie das deutsche Korrelat.121 Generell wurden mit Dicey122 drei Kategorien unterschieden. Zunächst darf nach diesem Prinzip niemand gegen seinen Willen gezwungen werden, in materieller oder körperlicher Hinsicht Nachteile zu erleiden, außer zur Bestrafung aufgrund eines Verstoßes gegen ein Strafgesetz.123 Daneben bedeutet die Rule of Law aber auch die Gleichheit vor dem Gesetz, namentlich den Vorrang von Gesetz und Recht auch vor Funktionsträgern im Verfassungsgefüge.124 In einer dritten Ausprägung bildete das Common Law den gegenüber einer geschriebenen Verfassung überlegenen Grund für den individuellen Schutz fundamentaler Rechte, wie etwa der Meinungsfreiheit oder Freiheit der Person.125 In heutiger Ausprägung findet sich z. T. eine andere Kategorisierung: Es handele sich dabei einerseits um eine philosophische Betrachtung der Gesellschaft, wonach der Vorrang von Gesetz und Recht (Law and Order) im Gegensatz zu Anarchie, Krieg und ständiger Feindschaft trete.126 In seiner Ausprägung als rechtliches Prinzip sei die Regierung an das Gesetz gebunden, dürfe also in keiner Weise gegen ein Gesetz handeln. In strittigen Fällen sei durch die Gerichte festzulegen, was das Gesetz verlangt – in Abgrenzung zur reinen Willkürherrschaft, in der die Grenzen durch die Exekutive selbst gesetzt werden. Schließlich umfasse die Rule of Law eine weite politische Konzeption, nach der zu beurteilen sei, welche Ausprägung einzelne gesetzliche Regelungen haben sollten, gleich, ob sie materielle Fragen betreffen (Substance), oder aber prozessualer Art (Procedure) sind. Hierbei liegt das entscheidende Gewicht auf Prinzipien, die in jahrhundertealter Tradition entwikkelt wurden, selbst wenn im einzelnen einmal umstritten sein kann, welche Bedeutung ihnen zukommt.127 121 Danach zählen zum Rechtsstaatsprinzip gleich mehrere Aspekte. Allgemein verortet wird das Prinzip in Art. 20 Abs. 3 GG, wonach die Staatsgewalten an Gesetz und Recht gebunden sind. Nach allgemeiner Ansicht erschöpft sich seine Bedeutung nicht allein in Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes. Vgl. K. Hesse, Grundzüge, Rn. 183 ff. m. w. N. 122 A.V. Dicey, Introduction to the Study of the Law of the Constitution, S. 188 f. Vgl. auch P. Birkinshaw, British Report, S. 217 f. Zu modernen Ansichten s. F.A. Hayek, Der Weg zur Knechtschaft; H. Jones, The Rule of Law and the Welfare State; J. Jowell, The Rule of Law Today, S. 57 ff. 123 A.V. Dicey, Introduction to the Study of the Law of the Constitution, S. 188. 124 A.V. Dicey, Introduction to the Study of the Law of the Constitution, S. 193. 125 A.V. Dicey, Introduction to the Study of the Law of the Constitution, S. 195 f. 126 Vgl. A.W. Bradley / K.D. Ewing, Constitutional and Administrative Law, S. 105.

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Je nachdem also, in welcher Kategorie der Begriff gebraucht wird, kann er unterschiedliche Deutungen erfahren. Im Rahmen dieser Arbeit soll das Augenmerk auf den rechtlichen Aspekt gelegt werden. Hiernach lassen sich wiederum mehrere Ausprägungen unterscheiden. Ähnlich dem deutschen Rechtsstaatsprinzip zählen dazu im wesentlichen die Grundsätze der Rechtsklarheit, der Rechtssicherheit, das Verbot des Einzelfallgesetzes, die Wahrung einer unabhängigen Gerichtsbarkeit, die Unschuldsvermutung, der freie Zugang zu den Gerichten.128 Nach dem Prinzip der Gewaltenteilung (Separation of Powers), stehen die drei Staatsgewalten der Exekutive, Legislative und Judikative in einem ausgeglichenen Verhältnis der Checks and Balances zueinander. Kein Verfassungsorgan soll allein alle drei Gewalten in sich vereinen dürfen.129 Zu beachten gilt es hierbei, daß eine Trennung der Gewalten in Reinkultur weder beabsichtigt noch Tatsache ist. So gibt es zahlreiche Überschneidungen, die in umfassender Form nicht dargestellt werden können.130 Hingewiesen sei auf folgende Aspekte der Gewalten: die sog. Law Lords des House of Lords erfüllen – noch131 – judikative Aufgaben (als Richter der obersten Gerichtsinstanz) und legislative Aufgaben (als Mitglieder des House of Lords als Oberhaus des Parlaments). Hinzukommt, daß (bislang) der Vorsitzende des House of Lords, der Lord Chancellor, zugleich einen Kabinettsrang in der Regierung ausübt.132 In der Weise, wie sich das Common Law durch Rechtsprechung entwickelt, werden die Gerichte rechtsbildend, also legislativ tätig. Schließlich sieht eine Constitutional Convention sogar vor, daß die Mitglieder des Kabinetts sowie ministeriale Beamte zugleich als gewählte Abgeordnete im

127 Vgl. A.W. Bradley / K.D. Ewing, Constitutional and Administrative Law, S. 108. Beispielhaft erwähnt sei die Frage, ob der Grundsatz der Rule of Law, nach dem die Auslegung der Gesetze den Gerichten obliege, immer noch gewahrt wäre, sollten die Gerichte zur Interpretation auf parlamentarische Berichte zurückgreifen (abgedruckt in den offiziellen Parlamentsberichten „Hansard“); hierzu Pepper v. Hart [1993] A.C. 593. 128 C. Turpin, British Government and the Constitution, S. 87 ff.; A.W. Bradley / K.D. Ewing, Constitutional and Administrative Law, S. 106 f. 129 Ch.-L. Montesquieu, Vom Geist der Gesetze (de l’esprit des lois), XI. Buch Kap. 4. In einem Atemzug damit zu nennen ist J. Locke, The Second Treatise of Government. Ansätze finden sich auch bereits in der Antike bei Aristoteles’ Polis. 130 Diese veranlaßte den früheren Lord Chancellor Lord Hailsham zu der Feststellung, bei der britischen Verfassung handele es sich um eine gewählte Diktatur („elective dictatorship“). 131 Zur Reform des House of Lords vgl. A. le Sueur, Comment: New Labour’s next (surprisingly quick) step in constitutional reform, und zuletzt Th. Gutschker, FAZ v. 19. Februar 2004: „Berater oder Kontrolleure“. 132 Diese Doppelfunktion wird nun aufgegeben. Nach Reformplänen der Regierung wird in Zukunft ein Department for Constitutional Affairs eingerichtet. Die Funktion des obersten Gerichts soll einem eigenen „Supreme Court“ übergeben werden, dessen Mitglieder aber nach ihrem Ausscheiden als „Experten“ Mitglieder im House of Lords werden können. Dazu im Einzelnen das Weißbuch der Regierung „The House of Lords – Completing the Reform“, Cm. 5291 (Nov. 2001), insbes. para. 81; ferner A. le Sueur, Comment: New Labour’s next (surprisingly quick) step in constitutional reform.

A. Hintergrund des britischen Konstitutionalismus

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Parlament sitzen, wobei die größere Zahl aus dem britischen Unterhaus zu beziehen ist.133 c) Accountability und Responsibility Gemäß Art. 63 Abs. 1 GG wird der Bundeskanzler vom deutschen Bundestag gewählt. Hieraus und aus der Existenz des konstruktiven Mißtrauensvotums nach Art. 67 GG bzw. der Vertrauensfrage nach Art. 68 GG wird deutlich, daß der Bundeskanzler (und mit ihm das gesamte Bundeskabinett) vom Vertrauen des deutschen Bundestages abhängen. Hiermit korrespondiert zugleich die Pflicht, dem Parlament Rede und Antwort zu stehen, Art. 43 Abs. 1 GG. Gemäß Art. 65 S. 1 GG trägt der Bundeskanzler die Verantwortung für die Richtlinien der Politik. Innerhalb ihres jeweiligen Ressorts sind die Bundesminister eigenverantwortlich, Art. 65 S. 2 GG. Auch nach britischem Verfassungsverständnis ist die Regierung vom Vertrauen im Parlament, hier dem House of Commons, abhängig. Ein Premierminister, der sich nicht mehr auf eine Mehrheit im Parlament stützen kann, muß zurücktreten und ggf. sogar den Weg für Neuwahlen ebnen, indem er den Monarchen um Parlamentsauflösung ersucht.134 Da es keinen einheitlichen Verfassungstext gibt, finden sich die entsprechenden Regelungen nur in einer Zusammenschau unterschiedlicher Rechtsquellen wieder. Mehrere Ausprägungen der Prinzipien der Parlamentsverantwortung müssen dabei unterschieden werden. Aufgrund der Gesetzesbindung der Regierung (Legal Responsibility), darf kein Minister des Kabinetts gegen das Gesetz handeln. Sämtliches Handeln der Regierung fällt unter die vollständige Überprüfbarkeit der Gerichte (Judicial Review). Im Vergleich zum bundesdeutschen Verfassungsrecht fällt die offensichtliche Parallele zur Vorrangwirkung des Gesetzes auf, der auch die Bundesregierung als Organ der Exekutive unterfällt. Als Ausdruck eines rechtsstaatlichen Verständnisses kann dieser Grundsatz daher auch dem Konzept der Rule of Law zugerechnet werden. Das Prinzip der Accountability bzw. der Responsibility bezieht sich eng verstanden allein auf das Verhältnis zwischen Regierung und Parlament. Nach dieser Convention umfaßt das Begriffspaar die Regierungsverantwortung gegenüber dem Parlament.135 Vereinzelt werden die Begriffe der Responsibility und Accountability nebeneinander gebraucht.136 Danach wird zwischen der Pflicht des Ministers, dem Parla133 Aufgrund des House of Commons Disqualification Act 1975 und dem Ministerial and other Salaries Act 1975 ist hierfür eine Höchstzahl von maximal 95 vorgesehen. 134 Zur Parlamentsauflösung durch den Monarchen vgl. C. Turpin, British Government and the Constitution, S. 203 ff.; A.W. Bradley / K.D. Ewing, Constitutional and Administrative Law, S. 265 ff. 135 Im Ganzen D. Woodhouse, Ministerial Responsibility. 136 Zurückzuführen ist dies auf einen Versuch des Kabinett-Sekretärs Sir Robin Butler, durch diese Unterscheidung Minister davor zu bewahren, für kleinste Fehler gleich auf wel-

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ment über sämtliche Vorgänge in seinem Ressort Aufklärung zu schulden (responsible to s. o. = (engl.) jdm. verantwortlich sein), und der Verantwortungsübernahme für Fehlverhalten unterschieden (to account for s.th. = (engl.) für etw. die Verantwortung übernehmen).137 Die Übergänge zwischen Responsibility und Accountability sind allerdings so fließend, daß nur sehr schwer im Einzelfall eine klare Abgrenzung möglich erscheint.138 Z. T. werden daher auch beide Begriffe synonym gebraucht,139 weshalb im Rahmen dieser Arbeit zwischen ihnen nicht genauer unterschieden werden soll.140 Das Prinzip der Parlamentsverantwortung wiederum wird in zwei Ausprägungen diskutiert. Je nach dem, ob das gesamte Kabinett zur Verantwortung gezogen werden soll oder aber nur der einzelne Ressort-Minister, wird nochmals zwischen Collective und Individual Responsibility differenziert. aa) Collective Responsibility Mit Herausbildung des britischen Parlamentarismus kam das Kabinettsprinzip, welches zugleich die Schwächung des Monarchen nach sich zog. Ergebnis dieser Entwicklung ist das heutige politische System Großbritanniens, wonach zwar die Queen als Staatsoberhaupt das Land regiert. Die ursprünglich nur zur Durchsetzung königlicher Erlasse benötigten Minister sind es faktisch jedoch, die – wenngleich im Namen des Monarchen – die Regierungsverantwortung tragen. Ursprünglich trugen sie die Last königlicher Erlasse, die vom Parlament hinterfragt werden konnten; heute ist unter der Collective Responsibility die gemeinsame Verantwortung der Regierung als Ganzes vor dem Parlament zu verstehen. Mit anderen Worten: das Kabinett steht als homogene Einheit hinter der Regierungspolitik und muß sich auch als diese Einheit dem Parlament gegenüber verantworten.141 cher Ebene in ihrem Ressort verantwortlich gemacht zu werden. Danach sollte sich Accountability auf die verfassungsrechtliche Pflicht des Ministers beziehen, für Verfehlungen einstehen zu müssen. Derartige Verfehlungen lagen dabei jedoch im wesentlichen im Bereich der persönlichen Federführung des Ministers. Responsibility dagegen sollte allgemein verstanden werden als die persönliche Verwicklung in Vorgänge oder Entscheidungen in einem Sinne, daß ihre Folgen dem Minister persönlich zum Vorwurf gemacht werden könnten; HC 27-II (1993 – 94). Diese Position wurde durch das Public Service Committee später als offensichtliche (und damit überflüssige) Klarstellung kommentiert, da niemand einen Minister für persönliche Verfehlungen einzelner Beamter auf unteren Ebenen verantworten wolle; HC 313-I (1995 – 96), para. 21. 137 Vgl. A.W. Bradley / K.D. Ewing, Constitutional and Administrative Law, S. 113. 138 A.W. Bradley / K.D. Ewing, Constitutional and Administrative Law, S. 128. Zu weiteren Bedeutungen bzw. Begriffsverwendungen in der akademischen Literatur vgl. auch C. Harlow, Accountability in the European Union, S. 6 ff. 139 Vgl. C. Turpin, Ministerial Responsibility, S. 134. 140 Auf die europäische Ebene transferiert, hat sich in jüngster Zeit jedoch immer mehr der Begriff der Accountability etabliert (dazu später mehr). Soweit daher die europäische Ebene angesprochen ist, wird vorzugsweise der Begriff der Accountability Verwendung finden – zumal es zu diesem Wort keine Entsprechung im Deutschen gibt. Vgl. auch C. Harlow, Accountability in the EU, S. 7 f.

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Tritt ein Minister in seiner offiziellen Position auf, versteht sich sein Handeln als repräsentativ für die gesamte Regierung. Sollte sich hiergegen Widerstand oder Kritik im Parlament regen, wird sich nach den Regeln dieser Convention die Regierung nicht hinter die alleinige Verantwortung des Ministers zurückziehen.142 Tatsächlich steht und fällt also auch hier – ähnlich der deutschen Grundgesetzordnung – die Regierung mit dem Premierminister. Die Collective Responsibility bezieht sich dabei auf solche Angelegenheiten, die in den Ministerien aufgrund einer Kabinettsentscheidung getroffen werden. Da aufgrund der nichtöffentlichen Kabinettssitzungen im Einzelfall z. T. nur schwer nachvollziehbar ist, ob eine Entscheidung ihren Ursprung im Ministerium selbst oder aber im Kabinett hat, stellt sich eine Collective Responsibility v.a. in solchen Fällen ein, in denen ein Handeln über den Fachbereich des Ministers hinaus von Bedeutung für die Gesamtregierungspolitik bzw. das gesamte Königreich ist.143 Hier stellt sich häufig der Premierminister persönlich den Parlamentsfragen, auch wenn der Einzelminister die unmittelbare Verantwortung dafür zu tragen hat. Im Einzelfall kommt es dabei auch einmal zu Kabinettsumbildungen, mit denen sich der Premier gegen eine Collective Responsibility zu wehren weiß.144 bb) Individual Responsibility Die Verantwortung des einzelnen Ministers für Regierungshandeln ergibt sich nicht nur aus der Abhängigkeit zum Vertrauen in den Premierminister. Parallel neben der Gesamtverantwortung der Regierung existiert – quasi als Ableger – eine individuelle Verantwortung des Ministers gegenüber dem Parlament. Für Fragen im Bereich seines Ministeriums ist der einzelne Minister allein verantwortlich. Im Rahmen der Aufgabendiversifikation moderner Regierungen hat insbesondere diese Ausprägung der Ministerial Responsibility mit dem Wandel der Kabinettsregierung hin zu einer ministerial geprägten Regierung einen Bedeutungszuwachs erfahren. Viele Aufgaben, die in vergangener Zeit noch kollektiv vom Kabinett wahrgenommen wurden, haben sich auf die Ministerien verlagert und werden dort in Eigenregie erfüllt.145 Im Rotationsverfahren wechseln sich die einzelnen Minister in Fragestunden des House of Commons ab.146 Dabei haben sie dem Parlament über die Vorgänge A.W. Bradley / K.D. Ewing, Constitutional and Administrative Law, S. 116 f. Ein prominentes Beispiel bietet die Krise um den Finanzminister N. Lamont nach dem Austritt Großbritanniens aus dem Europäischen Wechselkurssystem im Jahre 1992. Hier versuchte die Regierung unter Premier J. Major zunächst den Minister zu halten, indem das Ausscheiden nicht auf eine verfehlte Finanzpolitik, sondern auf die Gesamtregierungsverantwortung zurückgeführt wurde vgl. 212 HC Deb., 24. Sept. 1992. 1993 folgte dann schließlich doch noch der Rücktritt Lamonts. 143 Vgl. C. Turpin, Ministerial Responsibility, S. 117. 144 So etwa im Fall des angeschlagenen Finanzministers N. Lamont, der 1993 aus der Regierung Major ausschied. 145 Vgl. C. Turpin, Ministerial Responsibility, S. 118 m. w. N. 141 142

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in ihrem Ressort Rede und Antwort zu stehen. Zwar gibt es kein effektives Verfahren, mit dem ein Minister zu einer Auskunft gezwungen werden kann.147 Aus dem Gesamtcharakter der Verfassung – insbesondere dem der Conventions – ergibt sich hier aber eine faktische bzw. politische Sanktionierung. Gegenseitige Rücksichtnahme – insbesondere im Hinblick auf die Möglichkeit zukünftigen Rollentausches – sowie eine verantwortungsvolle Amtsführung durch den Speaker, dem Parlamentspräsidenten, und den Leader of the House148 als Regierungsmitglied tragen dazu bei.149 Für evtl. Fehler oder sogar Mißwirtschaft in ihren Ressorts sind die Minister persönlich verantwortlich. Soweit das Parlament Mißstände in Bezug auf die Arbeit des Ministers beanstandet, bzw. aufdeckt, stellt sich auch hier die Frage nach Konsequenzen. Umstritten ist dabei, inwiefern sich aus der britischen Verfassung eine Constitutional Convention herleiten läßt, nach der ein Minister gezwungen ist, aufgrund seines Fehlverhaltens von seinem Amt zurückzutreten. 150 Gleichwohl sich in der Parlamentsgeschichte nur wenige Beispiele anführen lassen, ist es dem Parlament grundsätzlich möglich, einen einzelnen Minister aus der Regierung „herauszuschießen“, ein Vorgehen, welches nach dem deutschen Grundgesetz allenfalls durch politischen Druck, keinesfalls aber durch ein „destruktives“ Mißtrauensvotum erreicht werden könnte. Wohl nicht zuletzt aufgrund der Rücktritte während des 19. Jahrhunderts151 wurde der Zwang zum Rücktritt bei Verfehlungen des Ministers als Constitutional Convention ausgelegt. Dem wird jedoch die politische Situation in der Mitte des vorletzten Jahrhunderts entgegengehalten. Vor 1867 waren Mehrheitsregierungen und Parteidisziplin nicht so stark entwickelt wie heute. Erst nach 1867 führte insbesondere die Ausprägung der Parteiräson dazu, das Instrument der Censure Motion in ihrer Wirkung abzuschwächen. Der Erfolg einer solchen Maßnahme wurde unberechenbarer, zudem wußten betroffene Regierungen von diesem ZeitA.W. Bradley / K.D. Ewing, Constitutional and Administrative Law, S. 121. Aus dem Verfahrensrecht des Parlaments ergibt sich die formelle Möglichkeit zur Durchsetzung eines derartigen Anspruchs, in der Praxis spielt dies jedoch – wohl nicht zuletzt aufgrund der starken Stellung der Regierungspartei im Unterhaus – keine Rolle; vgl. C. Turpin, Ministerial Responsibility, S. 136 f. 148 Ein eindrucksvolles Beispiel bietet die Rede des konservativen Sir Geoffrey Howe v. 13. November 1990 (HC Deb., vol. 18, col. 463), in der er die damalige konservative Premierministerin M. Thatcher mit starken Worten angriff und ihre Europapolitik als „europhobic background noise“ scharf kritisierte, vor deren Hintergrund der Schatzkanzler Schwierigkeiten haben müsse, von seinen europäischen Kollegen ernst genommen zu werden. Nur wenig später führte die sich an diese Rede anschließende Entwicklung zum Rücktritt Thatchers als Parteivorsitzende und Premierministerin. 149 C. Turpin, Ministerial Responsibility, S. 137. 150 C. Turpin, British Government and the Constitution, S. 453 f. 151 Lord John Russell (1855), Lord Ellenborough (1858), Robert Lowe (1864), Lord Westbury (1865), Spencer Walpole (1867); vgl. S.E. Finer, The Indvidual Responsibility of Ministers. 146 147

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punkt an ein solches „Mißtrauensvotum“ zu ihren Gunsten auszunutzen, indem sie die Abstimmung quasi als „Vertrauensfrage“ auf die gesamte Regierung erstreckten.152 Dementsprechend schwächte sich auch der politische Druck auf in die Kritik geratene Minister ab. Vor 1867 konnte das Parlament über die Androhung einer Censure Motion Rücktritte quasi erzwingen. Die Rücktritte in dieser Zeit sind daher vor diesem Hintergrund zu sehen. Aufgrund der Dominanz der Regierungspartei im Parlament erweist sich dieses Instrument auf den zweiten Blick nur als wenig effektives Mittel.153 In der politischen Praxis wird daher ein Rücktritt eines Ministers nur aufgrund politischen Drucks zu erreichen sein. Je nach Art des Fehlverhaltens und je nach unmittelbar persönlicher Verantwortung kann es daher einer Opposition gelingen, einen Minister dermaßen unter Druck zu setzen, daß er sich schließlich selbst genötigt sieht, sein Amt zur Verfügung zu stellen. Entscheidend für den Erfolg dieser Politik wird dabei auch sein, inwieweit es gelingt, dem Minister das Vertrauen und die Unterstützung seiner Partei zu entziehen, insbesondere das seiner Kabinettskollegen, namentlich des Premiers, sowie der Backbencher in der Regierungsfraktion. Ob nun aus diesen Gewohnheiten eine Convention ableitbar ist oder nicht, soll an dieser Stelle dahinstehen, die entscheidende Rolle spielt hier das enge Verhältnis zwischen Parlament und Regierung. Zumindest der Theorie nach ist das Parlament damit in der Lage, sich jederzeit über sämtliche Vorgänge, Pläne und Politiken in den Ministerien bzw. dem Kabinett in seiner Gesamtheit zu informieren und entsprechenden Einfluß zu gewinnen.154 Die Vormachtstellung des Parlaments spiegelt sich daher auch in diesem Prinzip wieder. cc) Auswirkungen durch den europäischen Einigungsprozeß Da das Prinzip der Ministerial Responsibility eng mit dem der Parliamentary Sovereignty verknüpft ist, stellt sich auch hier die Frage, welche Auswirkungen 152 So praktiziert etwa 1978 im Fall des Schatzkanzlers D. Healey als in einer Abstimmung über die Halbierung seiner Bezüge zu beschließen war; HC Deb., vol. 951, col. 1129, 14 June 1978. ein ähnliches Prozedere ergab sich in der Abstimmung über die Ratifikation des Maastricht-Vertrages, als die sog. Backbencher in den Reihen der konservativen Regierungsfraktion dem Premierminister J. Major die Gefolgschaft versagten. Dieser sah sich somit gezwungen, die Ratifikation mit der Vertrauensfrage zu verknüpfen, woraufhin der Widerstand aufgegeben wurde. 153 Aus diesem Grund wird bereits die Existenz einer Convention zum Rücktrittszwang bezweifelt; s. C. Turpin, British Government and the Constitution, S. 454. 154 In der politischen Praxis ist indessen die hegemoniale Rolle der Regierungspartei im Parlament zu beachten. Eine „echte“ i.S.e. kritischen Parlamentskontrolle der Regierung findet daher hauptsächlich durch die Abgeordneten der Oppositionspartei(en) sowie allenfalls der sog. Backbencher statt; C. Turpin, Ministerial Responsibility, S. 134 f. Z. T. wird dagegen argumentiert, der europäische Einigungsprozeß hätte einen Graben quer durch alle Parteien gezogen, wonach sich – zumindest in europäischen Belangen – keine Partei mehr auf ihre Mehrheit im Parlament verlassen könne, vgl. nur I. Loveland, Britain and Europe, S. 681 f.

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sich durch den europäischen Einigungsprozeß ergeben haben bzw. ergeben. Der Grundkonzeption nach verfügt das Parlament – wenngleich in Reinkultur nur in der Theorie – über umfassende Kontrollrechte und -mittel über die Regierungsmitglieder, im Kollektiv wie als einzelner Minister. Für den Entscheidungsfindungsprozeß auf europäischer Ebene zeichnet sich eine deutliche Abschwächung der Effektivität der Kontrollinstrumente ab. Zwar kann das Parlament im nationalen Rahmen das Verhalten der Regierung unmittelbar beeinflussen, eine Abstimmung im Ministerrat der EU kann auf diese Weise – insbesondere im Fall von Mehrheitsentscheidungen – nur begrenzt beeinflußt werden.155 Für politische Fehlentwicklungen trägt nun auch nicht mehr die nationale Regierung allein die Verantwortung. Im Falle von Mehrheitsentscheidungen kann die Kontrolle vollständig versagen, sollte der jeweilige Fachminister von seinen europäischen Kollegen überstimmt werden. Bezüglich Einstimmigkeitsentscheidungen ist die besondere Verhandlungssituation und das „Schnüren“ sog. „Verbundentscheidungen“ zu beachten. Hier kann es die jeweilige Situation erfordern, über Kompromisse Fortschritte in bestimmten Bereichen über Rückschritte in anderen zu „erkaufen“. Folgerichtig muß die Reichweite, mit der die Regierung zur Verantwortung gezogen werden kann, eingeschränkt werden.156 d) Fazit Für die weitere Untersuchung stehen die drei fundamentalen Prinzipien der britischen Verfassung im Spannungsfeld zur europäischen Integration. Jedwede Reform der Verträge muß sich daher daran messen lassen, inwiefern sie Berührungen zu diesen Maximen aufweist. Für die Parlamentssouveränität bedeutet dies insbesondere die Rolle der nationalen Parlamente bei der Rechtsetzung sowie die Übertragung weiterer Hoheitsrechte. In Belangen der Ausübung exekutiver Funktionen – etwa durch Rat und Kommission – ist deren Kontrolle durch Parlamente und / oder unabhängige Organe von Bedeutung. Aufgrund der stärkeren Verbindung zwischen Regierungsvertretern und (Westminster-)Parlament sind Einflußgewinne des Rates daher wohl am ehesten zu verkraften. Die Rule of Law erweist sich insbesondere im Hinblick auf die Korruptionsvorwürfe gegen die Santer-Kommission oder auch den Umgang mit der BSE-Krise als relevant.

C. Turpin, Ministerial Responsibilty, S. 145. In diesem Sinne der Zweite Bericht des Landwirtschaftsausschusses (1980 – 81), HC 361, para. 9: „[ . . . ] since the United Kingdom is a member of the European Community, the Ministry should not take all the blame [ . . . ] for every aspect of policy“. 155 156

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III. Einfluß der „Devolution“ – Britische Angst vor „Ausbluten“ zwischen Europa und den eigenen Regionen Alle bisherigen Erwägungen dürfen jedoch nicht die Besonderheit des Vereinigten Königreichs als unitaristischen, multinationalen Staat überspielen. Unter seinem Dach vereinigt sich die Nation der Engländer mit der keltischen Peripherie aus Walisern, Schotten und Nordiren. Im letzten Jahrhundert haben sich insbesondere in Bezug auf Nordirland starke Kräfte entfaltet, an denen die Nationalstaatlichkeit des ehemaligen Empire zu zerbrechen drohte.157 Aber auch losgelöst von der Brisanz des Nordirland-Konfliktes verstärkten sich Forderungen nach einer gewissen Eigenständigkeit bis hin zur Eigenstaatlichkeit der angegliederten Nationen.158 Eine vollständige Auseinandersetzung über die Thematik ist im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich aber auch nicht erforderlich.159 Im folgenden soll daher lediglich nach einer Begriffserläuterung ein kurzer historischer Abriß über die Entwicklung der Devolution gegeben werden, bevor das Konzept zur europäischen Integration ins Verhältnis gesetzt wird. 1. Die Idee des „Devolution“-Konzepts in Großbritannien Mit dem britischen Regionalismuskonzept, sollte im Rahmen der Devolution (= (engl.), Abgabe von Macht an eine untere, spez. lokale oder regionale Administration)160 eine asymmetrische Machtdezentralisation unter Berücksichtigung der sich durch die absolute Parlamentssouveränität ergebenden Besonderheiten innerhalb des Vereinigten Königreiches sichergestellt werden.161 Die Asymmetrie ergibt sich dabei aus den unterschiedlichen Anforderungen, die die jeweiligen Regionen aufgrund ihrer geschichtlichen und politischen Besonderheit an die Reichweite der übertragenen Hoheitsgewalt stellen. Insbesondere die Nordirlandfrage stellt sich dabei als Hauptproblem für eine gleichmäßige und -wertige Machtübertragung dar.162 Die Devolution tritt damit als britischer Sonderweg neben das Begriffspaar von Föderalismus und dessen „kleineren Bruder“163 Regionalismus. Bauen letztere auf dem Grundprinzip der Subsidiarität auf, sprich einer grundsätzlich eigenverant157 Zum Nordirlandkonflikt im speziellen vgl. Ch. McCrudden, Northern Ireland and the British Constitution, S. 323 ff. 158 Eine Übersicht der Argumente zur Devolution findet sich bei D. Oliver, Constitutional Reform, S. 243 f. Zur Entwicklung der Einzelnationen näher s. noch M. Mey, Regionalismus in Großbritannien. 159 Hierzu vgl. daher M. Mey, Regionalismus in Großbritannien, der sich insbesondere auch den geschichtlichen und kulturellen Besonderheiten der einzelnen Regionen widmet. 160 Oxford Compact Dictionary&Thesaurus. 161 S. 5(6) Northern Ireland Act 1998; S. 28(7) Scotland Act 1998; vgl. auch A. Evans, UK Devolution and EU Law, S. 475. 162 A. Evans, UK Devolution and EU Law, S. 475 f. 163 P. Häberle, Europäische Rechtskultur, S. 249.

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wortlichen Aufgabenerledigung auf unterster Ebene, geht das Konzept der Devolution von umgekehrten Vorzeichen aus: hier werden keine originären Aufgaben eigenverantwortlich wahrgenommen, es findet vielmehr eine Aufgabendelegation von der oberen Ebene auf die untere statt, im Sinne einer organisatorischen Entlastung des Zentralparlaments in Westminster. Auch geht mit der Aufgabenübertragung keine Souveränitätsübertragung einher; vielmehr werden die Aufgaben unter dem Regime des Westminsterparlaments erledigt und können jederzeit vom Parlament den Regionen wieder entzogen werden.164 Diese Konsequenz ergibt sich logisch bereits aus der Bedeutung der Parlamentssouveränität für den britischen Konstitutionalismus.

2. Geschichtlicher Hintergrund der Idee der Devolution Die Idee der Devolution rührt von der Gründungsgeschichte der Republik Irland her. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden verstärkt Stimmen nach einer zumindest teilweise gewährten Autonomie in den nationalen Territorien von Irland, Wales und Schottland laut.165 Diese gehen auf ein Konglomerat unterschiedlicher, ineinander wirkender Beweggründe zurück. Unter diesen trat vornehmlich die Einsicht hervor, das weltumspannende Empire könne ohne ein gewisses Maß an Selbstverwaltung in den Einzelterritorien nicht aus sich selbst heraus erhalten werden. Der zunehmenden Zentrifugalkräfte in den Territorien sollte durch eine Dezentralisierung begegnet werden und somit den Zusammenhalt stärken. Im Zusammenhang mit diesem Argument steht die gewünschte Entlastung des Westminsterparlaments. Aus der Perspektive der Parliamentary Sovereignty konnte es für die Führung des Empire aufgrund der Zentralstellung des Westminsterparlaments im britischen Machtgefüge kein anderes Parlament geben. Mit der Größe aber auch den Entfernungen ergaben sich zwangsläufig Schwierigkeiten, für jeden Teil des Reiches effektiv handeln zu können. Ein begrenztes Maß an Selbstverwaltung in den Teilterritorien sollte hierfür Abhilfe schaffen.166 Eine zentrale Bedeutung in der Diskussion nahm die Lösung der Irlandfrage ein und in Verbindung mit ihr das Problem mit Nordirland (Ulster). Vor allem 164 Deutlich in diesem Zusammenhang das „Memorandum on Understanding“, Cm 4444, para. 13; vgl. i.Ü. M. Mey, Regionalismus in Großbritannien, S. 149 (Schottland) und 207 (Wales). 165 Zur Geschichte der Unabhängigkeitsbestrebungen vgl. näher M. Mey, Regionalismus in Großbritannien, S. 84 ff. (Schottland), S. 181 ff. (Wales) und S. 242 ff. (Nordirland). 166 Dazu ein Schreiben des Liberalen H.H. Asquith an einen Vertreter der imperialistischen Liberalen Lord Rosebury vom 11. August 1889: „[ . . . ] continued centralisation [at Westminster] means congestion, decay & ultimately death; devolution is essential to free activity and permanent vitality [ . . . ] It is only from this point of view that (as I think) H[ome] R[ule] can be shown to be both imperial (in the true sense) & democratic.“ in: Rosebury Papers, National Library of Scotland, box 19, zitiert nach P. Jalland, United Kingdom Devolution 1910 – 14.

A. Hintergrund des britischen Konstitutionalismus

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die Frage nach der Repräsentation durch die irischen Parlamentarier in Westminster war nur schwer lösbar. Durch ihre Mitgliedschaft wirkten sie unmittelbar an der Rechtsetzung für innere Angelegenheiten Großbritanniens mit. Mit einem Ausschluß aus dem Parlament ergäbe sich auf der anderen Seite – ähnlich der Amerikafrage – eine fehlende Repräsentation der irischen Bevölkerung („no taxation without representation“). Um Ungerechtigkeiten zu vermeiden, sollte die irische Frage jedoch nicht isoliert betrachtet werden, sondern durch die Beteiligung der anderen Gebiete im Vereinigten Königreich die Devolution auch auf Wales und Schottland erstreckt werden. Aus der Home Rule for Ireland wurde so die Home Rule all round, ein Begriff der synonym mit dem der Devolution oder auch – wenngleich nicht im deutschen Sinne – dem des Federalism verwandt wurde.167 Erst 1914 verabschiedete das Parlament nach zwei zuvor gescheiterten ähnlichen Versuchen168 den Government of Ireland Act. Mit ihm sollte ein Gesamtparlament für Irland eingerichtet werden, Irland selbst sollte jedoch im Vereinigten Königreich verbleiben. Die Souveränität des Westminsterparlaments wurde formell bestätigt. Aufgrund der Kriegsjahre sowie der sich zuspitzenden Nordirlandfrage kam er jedoch nie zur Anwendung. Aus dem sogenannten Osteraufstand (Easter Rising) am Ostermontag 1916 (24. April) durch die Irische Republikanische Bruderschaft konnte die katholische, nationalistische Partei Sinn Fein gestärkt hervorgehen und gewann bei den folgenden Parlamentswahlen (1918) 73 der 105 Sitze für das Westminsterparlament. Anstatt ihre Sitze im Parlament in London anzunehmen, gründeten ihre Mitglieder am 21. Januar 1919 die erste irische Versammlung (Dail Eireann), bekräftigten die Erklärung von 1916 und wählten eine neue Regierung. Dies führte zum Ausbruch des Anglo-Irischen Unabhängigkeitskrieges, der 1922 mit Inkrafttreten der Irischen Verfassung endete. Zuvor jedoch setzte sich eine Speaker’s Conference ein, um ohne Vorbehalte Maßnahmen einer „Federal Devolution“ zu erarbeiten, die 1920 mit dem Government of Ireland Act 1920 den vorherigen Act aus dem Jahre 1914 ersetzte und für das Gebiet Irlands die Einrichtung von zwei Parlamenten vorsah: Eines würde für die nördlichen sechs Provinzen (Ulster) Antrim, Armagh, Down, Londonderry (mehrheitlich protestantisch) und Fermanagh und Tyrone (mehrheitlich katholisch) tagen, das andere für den überwiegend katholischen Süden. Mit Inkrafttreten der Irischen Verfassung von 1922 verblieb Irland als sog. „Free State“ zwar formell im Vereinigten Königreich, stellte de facto jedoch einen unabhängigen Staat dar, was 1937 durch die erneuerte Verfassung bekräftigt wurde, als sich das Land auch formell von der 167 Vgl. auch B. Hadfield, The United Kingdom as a Territorial State, S. 591 ff.; P. Jalland, United Kingdom Devolution 1910 – 14, S. 757 ff. 168 Die vorherigen zwei Government of Ireland Bill 1886 und 1893 erhielten nie den Royal Assent, da die liberale Mehrheit im britischen Unterhaus durch die konservative, unionistische Mehrheit im Oberhaus überstimmt werden konnte. Erst mit Verabschiedung des Parliament Act 1911 konnte die liberale Regierung auch gegen den Willen des Oberhauses Gesetze durchsetzen.

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2. Teil: Das Vereinigte Königreich in Europa

britischen Krone verabschiedete und zur Republik Irland wurde. Der mehrheitlich protestantische Norden verblieb im Vereinigten Königreich – mit den bekannten Konsequenzen, die auch heute noch fortwirken.169 Mit Gründung der Republik Irland entschärfte sich die Problematik einer Home Rule all round zunächst, da die Unabhängigkeit Schottlands oder Wales niemals zur Disposition stand. Nach der Entmachtung der Liberalen im Jahr 1931 verlor sich zudem der Impetus von Regierungsseite her, umfassende Verfassungsreformen zu verwirklichen. Die nunmehr die Tagespolitik bestimmenden Parteien der Conservatives und Labour legten weniger Wert auf eine Gestaltung des Königreichs durch Veränderung auf Verfassungsebene. Besonders die Labour-Partei verlegte sich mehr auf die Gestaltung der Gesellschaft anstatt der Rechtsordnung; für die Conservatives stellte sich als Unionisten ohnehin nie die Frage nach einer verstärkten Selbstverwaltung in den Territorien. Parallel zu dieser „Quasi-Lähmung“ des Devolution-Prozesses erzielten Parteien wie die Schottische Nationalpartei (SNP) bzw. die walisische Nationalpartei Plaid Cymru Stimmengewinne in den jeweiligen Gebieten. An Bedeutung gewann für Wales dabei vor allem die Sprachenfrage. Hier lag schließlich auch das ursprüngliche Anliegen von Plaid Cymru, die sich für die Anerkennung des Gaelischen in Wales einsetzten. Hier gelang mit dem Welsh Courts Act 1942 ein entscheidender Durchbruch.170 Aus schottischer Sicht gewann die Auseinandersetzung um das Verhältnis der englisch-schottischen Union erneut Gewicht: Der Treaty of Union 1707 vereinigte durch die Geburt Großbritanniens Schottland mit England.171 Von 1603 an wurden beide Nationen unter einer Krone regiert, jedoch besaßen die Schotten noch ein eigenes Parlament. Nach dessen Auflösung übernahm das Parlament in Westminster fortan die Gesetzgebung auch für Schottland. Argumentierten zahlreiche englische Verfassungsrechtler, das schottische wäre im englischen Parlament unter Aufnahme all seiner Regelungen und verfassungsrechtlichen Bestimmungen aufgegangen, wurde insbesondere von schottischer Seite immer wieder eingewandt, es habe sich bei der Verschmelzung der Parlamente um eine Fusion und nicht um einen „Take-Over“ gehandelt.172 Mit dem Fall MacCormick v. Lord Advocate173 erlebte dieser Streit eine Renaissance. Zwar wurde hier nicht der Treaty of Union 1707 als solcher angegriffen, in 169 Die nordirische Bevölkerung in den vier protestantischen Counties Antrim, Armagh, Down und Londonderry befürwortet als sog. Unionistenbewegung die Zugehörigkeit zum Vereinigten Königreich, während die katholische Minderheit sich in der Nationalistenbewegung für eine Vereinigung mit der Republik Irland ausspricht. 170 Aufgrund dieser Bestimmung ist es walisischen Bürgern uneingeschränkt erlaubt, vor Gericht in walisischer Sprache auszusagen. 171 Vertiefend P. Malanczuk, Region und unitarische Struktur in Großbritannien, S. 34 ff.; M. Mey, Regionalismus in Großbritannien, S. 84 ff. 172 Zusammenfassend P. Malanczuk, Region und unitarische Struktur in Großbritannien, S. 86 ff. 173 1953 SC 396.

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seinem Urteil lieferte das Gericht jedoch neuen Sprengstoff für die Frage, wie das Zusammengehen der Parlamente zu begreifen sei: „ [ . . . ] Considering that the Union legislation extinguished the Parliaments of Scotland and England and replaced them by a new Parliament, I have difficulty in seeing why it should have been supposed that the new Parliament of Great Britain must inherit all the peculiar characteristics of the English Parliament but none of the Scottish Parliament, as if all that happened in 1707 was that Scottish representatives were admitted to the Parliament of England. That is not what was done.“174

Begleitet wurde diese Auseinandersetzung zudem von der Stärkung des Secretary for Scotland, der, ursprünglich nur faktisch teilnehmendes Mitglied in Kabinettsberatungen, vollwertigen Kabinettsstatus erlangte. Zugleich fand eine Verlegung des für die öffentliche Verwaltung für Schottland verantwortlichen Ministeriums (Scottish Office) nach Edinburgh statt.175 Weiterhin setzte sich innerhalb des Westminsterparlaments eine Gruppe der schottischen Abgeordneten zu einem Scottish Grand Committee zusammen, um fortan solche Gesetzesvorlagen in zweiter Lesung zu erörtern, die einen schottischen Bezug aufweisen. Diese Vorlagen wurden fortan in zwei schottischen Ausschüssen in der Ausschußphase des Gesetzgebungsprozesses gelesen. Bis in die 60’er Jahre geriet die jeweils regierende Partei somit zunehmend unter Druck, bis im Mai 1968 die konservative Partei (aus der Opposition heraus) die Einrichtung eines Verfassungskomitees verlangte, um Möglichkeiten einer Devolution für Schottland und Wales zu ergründen. Die daraufhin eingesetzte KilbrandonKommission bekam den Auftrag „to examine the present functions of the central legislature and government in relation to the several countries, nations and regions of the United Kingdom; to consider [ . . . ] whether any changes are desirable in those functions or otherwise in present constitutional and economic relationships.“176

Als die Kommission im Oktober 1973 ihren Bericht vorlegte, hatten sich entscheidende Entwicklungen ergeben, die die Frage nach regionaler Selbstverwaltung wieder in den Hintergrund treten ließ. Zum einen war der Beitritt Großbritanniens zur Europäischen Gemeinschaft erfolgt. Zum anderen waren die Conservatives 1970 unter Verlusten der SNP und Plaid Cymru in die Regierung zurückgekehrt und versagten nunmehr den eigenen Vorschlägen aus ihrer Oppositionszeit MacCormick v. Lord Advocate 1953 SC 411. Der Secretary of State for Scotland steht im Rang eines Kabinettsministers und ist Leiter des Scottish Office in Schottland, welches den Kern der Verwaltungsstruktur in Schottland darstellt. Zur Verwaltung eines bestimmten Landesteils wurde dieses System zunächst in Schottland eingeführt und später auch auf Wales ausgedehnt. Dieses System der administrative Devolution unterscheidet sich damit entscheidend durch das der legislative Devolution, durch welche in Nordirland die Verwaltung durch ein eigenes gewähltes Parlament wahrgenommen wird. Näher, insbesondere mit geschichtlichem Hintergrund in: P. Malanczuk, Region und unitarische Struktur in Großbritannien, S. 147 ff. 176 Cm. 5460 (Oktober 1973). 174 175

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die Umsetzung. Erst 1974 gelangte das Thema mit dem Wahlsieg Labours erneut – diesmal sogar mit liberaldemokratischer Unterstützung aus der Koalition – auf die Tagesordnung, bevor es unter M. Thatcher ab 1979 wieder in den Hintergrund rükken sollte. Bis dahin hatte die „LibLab-Koalition“ aber bereits zwei Referenden initiiert, die, begleitet von zahlreichen White Papers, als Voraussetzung für das Inkrafttreten des Scotland Acts 1978 und Wales Act 1978 im März 1979 scheiterten. Erst achtzehn Jahre später, nach dem Sieg von Labour unter T. Blair, hatten erneute Volksabstimmungen zur Einführung eines schottischen Parlaments sowie einer walisischen Versammlung im September 1997 Erfolg.177 3. „Devolution“ im europäischen Kontext Bereits zuvor wurden die Konsequenzen des europäischen Einigungsprozesses auf das Verfassungsgefüge im Vereinigten Königreich dargestellt. Dabei stand vor allem die zentrale Rolle der Parlamentssouveränität im Vordergrund. In der Weise, wie sie Verluste in ihrer Bedeutung hinzunehmen hat, werden auch die mit ihr im Zusammenhang stehenden Prinzipien beeinflußt. Nicht anders verhält es sich mit dem Prinzip der Devolution, soll doch hierdurch eine schonende Aufgabenübertragung auf Regionalebene stattfinden, ohne die Sovereignty of Parliament in ihrem Sinn zu entleeren. Immerhin droht auf diesem Weg, daß die bislang beim omnipotenten Westminster-Parlament konzentrierte Macht in zwei Richtungen abwandern könnte, bzw. bereits im Abwandern begriffen ist: nach „oben“, auf die supranationale Ebene in der EU, und nach „unten“, auf die subnationale Ebene, in den Lokalparlamenten in Schottland, Wales und – mit Einschränkung in zumindest zeitlicher Sicht – Nordirland. Ein weiteres Prinzip des Britischen Konstitutionalismus, der unitarische Charakter des Vereinigten Königreiches, befindet sich damit in fortscheitender Auflösung.178 177 Zu beachten ist dabei die Begleitung durch eine Verfassungskommission für Schottland, deren Ergebnis die Grundlage bildete für den Scotland Act 1998, in dem Stellung, Arbeitsweise und Kompetenzen des schottischen Parlaments festgelegt sind. Zu Details vgl. M. Mey, Regionalismus in Großbritannien, S. 135 ff. 178 Die „Mutter aller Ängste“ der Konservativen Partei greift somit gleich in zwei Dimensionen um sich. In Bezug auf die Lokalparlamente droht eine faktische Bundesstaatsbildung auf nationaler Ebene. Parallel zu der Bewegung der Devolution, die ihren Anfang mit der Gründung der Irischen Republik nahm und sich Ende der 60’er Jahre erneut zu Wort meldete, begann ein Prozeß fortschreitenden Souveränitätsverlustes auf die supranationale Ebene in der Europäischen Union. Gemessen an der Fülle der Kompetenzen, die seit Gründung der Gemeinschaften in Rom 1957 auf die supranationale Ebene verlagert wurden und die mit Ratifikation des Verfassungsvertrages fortgeschrieben würde, sowie Elementen wie der Unionsbürgerschaft, den Grundfreiheiten, der Währungsunion, der Existenz eines (nunmehr verbindlichen) Grundrechtskataloges und des Schengenabkommens, bildet sich zumindest faktisch bereits jetzt eine Europäische Union mit unbestreitbar föderalem Charakter heraus. Gleich zwei Föderationen sind somit im Entstehen begriffen, an denen das Vereinigte Königreich unmittelbar beteiligt ist.

A. Hintergrund des britischen Konstitutionalismus

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Zwei unterschiedliche „Schulen“ haben sich herausgebildet, die je nach Grundkonzeption das Spannungsfeld zwischen Aufgabenübertragung nach „oben“ im Wege der europäischen Integration und nach „unten“ im Wege der Devolution unterschiedlich beurteilen. a) Der intergouvernementalistische Ansatz Aus Sicht der sog. Intergouvernementalisten stellt die europäische Integration ein Hindernis für eine schrittweise Dezentralisierung in einem zentralistischen Staat dar. Nach dieser Ansicht werden zwei Aspekte der Souveränität unterschieden:179 Die äußere Unabhängigkeit (State Sovereignty) wird durch die EU-Mitgliedschaft beschränkt, da Hoheitsrechte an die europäischen Institutionen abwandern; die innere Souveränität (Parliamentary Sovereignty) unterteilt sich wiederum in einen formalen und einen effektiven Aspekt. Formal gesehen besteht die innere Souveränität in dem Gesetzesvollzug durch die Gerichte.180 Effektiv betrachtet, erhält die Regierung, solange sie von einer Mehrheit im Parlament getragen ist, Unterstützung durch die nationalen Gerichte bei der Umsetzung ihrer Politiken. Im europäischen Kontext ist nun einerseits die Bindung der Gerichte an europäisches Recht, s. 2(2) ECA181, andererseits die Möglichkeit der Einflußnahme der Regierung auf die europäische Rechtsetzung im Ministerrat zu beachten. Solange die Regierung im Ministerrat in der Lage ist, die Rechtsetzung in ihrem Sinne zu beeinflussen, wird durch das Instrument der gerichtlichen Bindung an den ECA die innere Souveränität in ihrer effektiven Ausprägung gestärkt. Im Verhältnis zu den nationalen Ebenen gewinnt damit die Zentralregierung Unabhängigkeit und wird in die Lage versetzt – je nach Abstimmungsmacht im Ministerrat – ihren Einfluß auf die regionale Ebene zu verstärken, denn die Regionalparlamente sind an die Vorgaben europäischen Rechts gebunden. Für Bereiche, die das Verhältnis zur EU und ihren Institutionen betreffen, besitzen die Regionalparlamente keine Kompetenz. Entsprechende Gesetzgebungsakte sind nichtig; s. 6(2) Northern Ireland Act 1998, s. 29(2) Scotland Act 1998, s. 106(7) Government of Wales Act 1998. Vergegenwärtigt man sich die Aufgabenbereiche, die im Wege der Devolution auf die Regionalebene verlagert werden, verstärkt sich dieser Eindruck: So haben schätzungsweise 80% aller „devolved“ Bereiche einen europäischen Einschlag,182 werden letzten Endes also doch wieder von der Zentralgewalt (zumindest mit-)bestimmt.183 Durch die Hinnahme von Verlusten für die State Sovereignty wird somit 179 Zu dieser Unterscheidung genauer in N. MacCormick, On Sovereignty and Post-Sovereignty, S. 127. 180 Dazu schon unter A.II.3.a). 181 Dazu oben unter A.II.3.a)bb)(3). 182 Developments in the European Union, January-June 2000, Cm. 4922, S. 39; White Paper on European Governance, COM (2001) 428, Report 4 C, S. 14 und 21. 183 Z. B. Wirtschaftliche Entwicklung, Landwirtschaft, Fischerei, Umweltpolitik, Erziehung und (Aus-)Bildung.

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indirekt die effektive Parliamentary Sovereignty gestärkt. Das Ergebnis ist ein „Paradox der Schwäche“184, nach dem die Zentralgewalt an Einfluß gewinnt, je mehr Aufgaben sie an die europäischen Institutionen abgibt. b) Die Vertreter „überlappender Souveränitäten“ Im Gegensatz zum Intergouvernementalismus ist nach diesem Ansatz nicht davon auszugehen, daß die Mitgliedstaaten der Europäischen Union Souveränitäten, i.S. eines Aufgebens übertragen, sondern vielmehr miteinander teilen. In der Weise, wie den Regionen durch die EU-Verträge eine Rolle für die gemeinsame Aufgabenerfüllung im Hinblick auf die Gemeinschaftsziele zugewiesen wird, erfahren diese zu einem gewissen Grade eine Teilsouveränität. In letzter Konsequenz werden Souveränitäten damit nicht mehr hierarchisch ausgeübt, sondern es findet eine Überlappung statt, die z. T. auch als „Multi-Level-Constitutionalism“ bezeichnet wird.185 Dies kann aber nur dort Geltung beanspruchen, wo den Regionen Aufgaben zugewiesen werden. Für die Verlagerung von Kompetenzen auf die europäischen Institutionen ist damit entscheidend, inwieweit diesem „Zuständigkeitsverlust“ im nationalen Gefüge ein „Zuständigkeitsgewinn“ auf europäischer Ebene entgegensteht. Zugleich ergibt sich für diese Entscheidung ein Legitimationsproblem, so daß die Einbeziehung der Regionen aus Legitimationsgesichtspunkten wünschenswert ist. Da aber nur regionale Organe diese „europäische“ Mitbestimmung ausüben können, folgt hieraus zugleich ein Druck auf die britische Zentralgewalt, an dem Konzept der Devolution festzuhalten. c) Devolution im Zeichen der europäischen Einigung Aus einer intergouvernementalistischen Perspektive läßt sich feststellen, daß sich mit zunehmender Souveränitätsübertragung auf die europäischen Institutionen die Zentralgewalt in London schrittweise – wenngleich im Konzert mit den übrigen Mitgliedstaaten – Kompetenzen von der regionalen Ebene „zurückerobert“. Da insbesondere im Gegensatz etwa zum bundesdeutschen Föderalismusmodell eine Mitwirkung der Regionen auf europäischer Ebene ähnlich Art. 23 Abs. 2 bis 5 GG nicht existiert, drohen den Regionen in Großbritannien mit zunehmender Integration weitreichende Machtverluste. Um einer solchen „Aushöhlung“ der Ziele der Devolution zu begegnen, stehen auf nationaler Ebene vor allem zwei Instrumente zur Verfügung. Konkordate über die Koordination von Angelegenheiten europäischer Politik dienen wechselseitiger Information und Konsultation zwiE. Grande, Das Paradox der Schwäche. I. Pernice, Multilevel Constitutionalism and the Treaty of Amsterdam; im ganzen vgl. N. MacCormick, Beyond the Sovereign State. 184 185

A. Hintergrund des britischen Konstitutionalismus

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schen der Regierung und den Regionen, soweit die Mitwirkung des Vereinigten Königreiches im Ministerrat der EU betroffen ist. Sie sollen auf diesem Wege eine einheitliche nationale Linie sichern. Problematisch daran erscheint allerdings, daß diese Konkordate rechtlich keinerlei Bindungswirkung besitzen.186 Sie lassen sich somit auf das Maß politischer Zugeständnisse reduzieren, an die die Regierung im „Ernstfall“ jedoch in keiner Weise gebunden ist. Des weiteren existieren Übereinkünfte des British-Irish Council (BIC) und dem North / South Ministerial Council (N / SMC). Die Einrichtungen des BIC und des N / SMC gehen auf das Belfast Übereinkommen vom 10. April 1998 zurück (sog. „Good-Friday-Agreement“). Aufgabe des N / SMC ist es, „die wechselseitige Konsultation, Kooperation und Aktion auf der irischen Insel zu entwickeln“. Es setzt sich aus Vertretern der Nordirischen Exekutive und der Regierung der Republik Irland zusammen. Über die Identifikation und Koordination von Problemen, die grenzüberschreitend beide Teile der Insel betreffen, soll auf diesem Wege jedweder Auseinandersetzung vorgebeugt werden. Das BIC setzt sich zusammen aus Regierungsvertretern des Vereinigten Königreichs, der Republik Irland, Vertretern der Regionen aus Schottland, Wales, Nord-Irland sowie der Isle of Man und der Channel Islands. Dieses Gremium dient in erster Linie dem Informationsaustausch sowie der Vorbereitung von Entscheidungen im wechselseitigen Interesse.187 Da die Arbeit in diesen Gremien nicht von den Ausnahmeregelungen in Bezug auf Europapolitik betroffen ist,188 besteht zumindest die Möglichkeit, daß Entscheidungen, die auf dieser Ebene getroffen werden, einmal von der Vorgabe der Gesamtnationalpolitik abweichen. Auf der anderen Seite fehlen Regelungen, die die Umsetzung getroffener Entscheidungen auf EU-Ebene, etwa im Ministerrat, sicherstellen könnten. Einmal mehr wird die zentralistische Ausrichtung des britischen Verfassungsgefüges deutlich. Das „letzte Wort“ in Bezug auf europäische Angelegenheiten spricht wiederum die Zentralregierung im Ministerrat. Ohne Reformen entweder auf nationaler oder europäischer Ebene – sei es durch direkte Einbindung in den Ministerrat oder aber durch die Einräumung privilegierter Klagerechte vor dem EuGH / EuG189 – wird der Prozeß der Devolution somit weitere Aushöhlungen erfahren, je mehr Kompetenzen auf die europäische Ebene abwandern. 186 Vgl. das Memorandum of Understanding, Teil I, para. 2 zum Concordat on Coordination of European Policy von 1999 (Cm 4444); im Internet: http: //www.cabinetoffice.co.uk/ cabsec/Previous%20 years/1999/memorandum/cm4444.pdf. 187 Mehr zu den Gremien bei A. Evans, UK Devolution and UK Law, S. 483 ff.; M. Mey, Regionalismus in Großbritannien, S. 245 f. 188 Sch. 2, para. 3(b) zum Northern Ireland Act 1998. 189 Bisher bietet sich für die Regionen nur eine Repräsentation durch die Regierung als privilegiert Klagebefugtem im Nichtigkeitsverfahren nach Art. 230 Abs. 2 EGV oder aber die Klage nach Art. 230 Abs. 4 EGV als nicht-privilegiert klagebefugter juristischer Person des öffentlichen Rechts. Als Probleme aus diesem Vorgehen ergeben sich zum einen die Abhängigkeit von der „Gunst“ der Regierung, zum anderen der eingeschränkte Kreis angreifbarer Maßnahmen und der Nachweis unmittelbarer und individueller Betroffenheit – im Kontext der Regionen wird mangels direkter Adressierung hauptsächlich der Weg über die sog. Plau-

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Soll diesen Machtverlusten entgegengewirkt werden, bieten sich v.a. zwei Möglichkeiten: entweder eine Mitsprache in Fragen der europäischen Integration wird sichergestellt, etwa in Form einer dem Art. 23 Abs. 2 bis 5 GG ähnlichen Vorschrift, oder aber die Regionen erhalten direkt auf europäischer Ebene Mitwirkungsmöglichkeiten, etwa durch eine eigene Vertretung im Institutionengefüge. Letzteres wurde im Rahmen der Konventsarbeiten erörtert und soll hier noch nicht vorweggenommen werden. Entscheidend ist aus britischer Perspektive, daß sich über beide Lösungsansätze föderale Elemente, quasi über die Hintertür der europäischen Integration aufzudrängen scheinen. Das Modell einer effektiven und vollwertigen Devolution unter Beibehaltung der Prinzipien von Unitarismus und allumfassender Parlamentssouveränität scheint mit dem europäischen Integrationsprozeß daher zumindest auf den ersten Blick nur schwer vereinbar, eine schleichende Föderalisierung des Vereinigten Königreichs damit denkbar. Im Ergebnis könnte dies ein weiterer Beleg für den Rückzug des Zentralstaats im europäischen Kontext sein.190

B. Britische Europapolitik im geschichtlichen Kontext Bevor anhand der gefundenen Ergebnisse eine Beurteilung der Konventsarbeit stattfinden kann, soll vorher noch eine Übersicht gegeben werden, die das britische Interesse auf einzelnen politischen Feldern im Rahmen der europäischen Einigung verdeutlichen wird. Insbesondere wegen des Selbstverständnisses der britischen Verfassung als einer „politischen Verfassung“ kann eine Beurteilung aus britischer Perspektive nicht losgelöst von langfristigen politischen Zielen erfolgen. Wurde zuvor eine grob strukturierte Übersicht über grundlegende „britische“ Interessen in Europa gegeben, sollen nun Einzelfragen europäischer Politik erörtert werden. Im Hinblick auf den Gesamtprozeß der europäischen Integration kann hier nicht der Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden. Eine Zusammenfassung der britischen Haltung bezüglich des europäischen Integrationsprozesses muß aufgrund der komplexen Zusammenhänge in diesem Rahmen kürzer ausfallen. Das sich wandelnde Europabild in Großbritannien ist eben als Resultat verschiedener lokaler wie globaler Entwicklungen zu sehen. Eine vollständige Abhandlung würde in eine weltumspannende Geschichtsschreibung ausufern, so daß sich der Verfasser hier und da auf Hinweise auf entscheidende Entwicklungen innerhalb wie außerhalb des vereinigten Königreiches beschränken wird.191 Die folgenden mann-Formel zu gehen sein –, der im Einzelfall aufgrund restriktiver Handhabung des EuG nur schwer zu erbringen sein kann; vgl. A. Ewans, UK Devolution and EU Law, S. 487 f. 190 Zum Rückzug des Nationalstaates klassischer Prägung vgl. P. Häberle, Europäische Rechtskultur, S. 248 ff. 191 Ähnlich verhält es sich mit dem wandelnden Bild innerhalb des britischen Parteienspektrums. Zu den Grundpositionen bzw. politischem und weltanschaulichem Hintergrund vgl. M. Jachtenfuchs, Die Konstruktion Europas, S. 130 ff.

B. Britische Europapolitik im geschichtlichen Kontext

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Abschnitte sollen daher einen Überblick über das sich wandelnde Europabild und dessen Motivation aus britischer Sicht geben.192 Dabei kann eine solche Analyse nicht allein auf die wechselnden Regierungen bezogen sein, da sich die Grenzlinien zwischen „Europa-Euphorie“ und „Europa-Skeptizismus“193 quer durch die beiden großen Parteien ziehen und sich aufgrund der sehr differenzierten Positionen auch nicht immer klar kategorisieren lassen.194

I. Die britische Nachkriegspolitik bis zu den Römischen Verträgen – Churchills „Drei-Sphären-Politik“ Auf britische Vorbehalte und Motivationen auf dem Weg zur Gründung der EGKS 1951 wurde bereits im ersten Teil der Arbeit eingegangen. Es sei daher an dieser Stelle nur daran erinnert, daß sich in diesem Zeitabschnitt die britischen Interessen vornehmlich noch auf den Commonwealth und weniger auf den europäischen Einigungsprozeß bezogen. Das britische Empire verstand sich selbst eher als Schutzmacht denn als Motor einer europäischen Staatsbildung. Ganz im Zeichen der „balance-of-power-Politik“195 stellte sich die deutsch-französische Aussöhnung als zentrales Anliegen britischer Außen- und Sicherheitspolitik dar.196 In der „Drei-Sphären-Politik“ W. Churchills197, stand Europa erst an dritter Stelle. Vorrang dagegen nahm die Sonderbeziehung zu den USA ein, die aus britischer Perspektive zur Ausfüllung ihrer neuen Rolle als Supermacht Führung benötigte.198 Dieses Verständnis eines „an-die-Hand-nehmens“ erkannte in den amerikanischen Plänen, Großbritannien in eine Europäische Gemeinschaft zu integrieren, einen Irrtum, der als psychologische Barriere auf dem Weg in eine europäische Integration wirkte.199 Als weiteres Hindernis stellte sich die „zweite Sphäre“ des Commonwealth dar. Angesichts des ausgereiften Handels mit den Staaten der 192 Einen umfassenden Überblick bieten dagegen z. B. M. Camps, Britain and the European Community (für die Jahre 1955 – 63) sowie S. George, An Awkward Partner; M. Beloff, Britain and European Union und A. Forster, Euroscepticism in Contemporary British Politics. 193 Zur Begriffsklärung vgl. A. Forster, Euroscepticism in Contemporary British Politics, S. 1 ff. 194 So kann weder die britische Haltung schlechthin noch die Europagegnerschaft in Großbritannien pauschal als „europa-skeptisch“ bezeichnet werden. Zu den z. T. unübersichtlichen Nuancierungen vgl. A. Forster, Euroscepticism in Contemporary British Politics, und M. Jachtenfuchs, Die Konstruktion Europas, S. 130. 195 Dazu unter C.I. 196 Vgl. K.-D. Schwarz, Englands Probleme mit Europa, S. 20. 197 S. dazu bereits Teil 1. 198 Zu dieser Special Relationship vgl. auch K.-D. Schwarz, Englands Probleme mit Europa, S. 22 ff.; K.O. Morgan, Labour in Power, S. 391; D.W. Urwin, The Community of Europe, S. 31 ff. 199 S. George, An Awkward Partner, S. 15. 200 K.O. Morgan, Labour in Power, S. 391 f.

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Commonwealth-Gemeinschaft und der Abhängigkeit vieler britischer Firmen hiervon – immerhin gingen 40% aller Exporte und Re-Exporte in Staaten des Commonwealth gegenüber 25% nach Westeuropa200 – bestanden allein schon aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten wenig Notwendigkeiten für eine engere Beziehung zu den kontinentaleuropäischen Staaten. Im Gegenteil wurden engere Beziehungen zu den stark kriegsgeschwächten kontinentaleuropäischen Staaten als gefährlich für den prosperierenden Handel im Commonwealth gesehen.201 Aber auch in gesellschaftlicher Hinsicht gab es aus den Reihen der Bevölkerung wenig Erwärmendes für die europäische Idee. Das Empire hatte in der viktorianischen Zeit einen nicht zu unterschätzenden Integrationsfaktor dargestellt, den der Commonwealth in Teilen aufrechterhielt. Schon über die schulische Erziehung waren diese Ideen fest im Bewußtsein der Bevölkerung verankert. Schließlich besaßen auch nicht wenige verwandtschaftliche Beziehungen in Übersee, vor allem nach Australien, Neuseeland, Kanada und Südafrika. Nicht nur strategische sondern auch gesellschaftliche Gründe sprachen daher wenig für eine Integration in ein europäisches Staatenbündnis.202 Diese Beweggründe spiegelten sich in der britischen Europapolitik, die eine europäische Einigung grundsätzlich befürwortete; eine britische Beteiligung unter supranationalen Gesichtspunkten wurde jedoch in jedweder Hinsicht abgelehnt. Ziel britischer Außenpolitik in dieser Zeit war es, ein besonderes Verhältnis zu den USA aufrechtzuerhalten, auf der anderen Seite daher aber auch eine Blockbildung in Europa zu verhindern, die den Status der USA als Weltmacht einzuschränken geeignet wäre. Besonders mißtrauisch wurden die französischen Bemühungen beäugt, auf europäischer Ebene eine Art „dritte Kraft“ zwischen den Supermächten USA und Sowjetunion aufzubauen.203 Unter diesen Vorzeichen entwickelte sich auch das Verhältnis zum sog. „Schuman-Plan“204. Angesichts der Pläne, auf supranationaler Basis die Kohle- und Stahlproduktion teilnehmender Staaten zu vereinheitlichen, konnte die britische Labour-Regierung nur mit Ablehnung reagieren.205 Zum einen tat man sich – im Gegensatz zu den durch den Krieg in ihrer Souveränität beeinträchtigten Staaten auf dem Kontinent – schwer damit, nationale Souveränität abzugeben, zum anderen war es gerade erst erfolgreich gelungen, die nationale Stahl- und Kohleproduktion zu verstaatlichen.206 Auch Vorbehalte aus dem Außenministerium, durch ei-

201 S. George, An Awkward Partner, S. 15. Diese Politik erfuhr auch keine Änderungen unter der neuen Regierung Bevin; vgl. D.W. Urwin, The Community of Europe, S. 32. 202 Zu gesellschaftlichen Aspekten vgl. A. Marwick, Mentalitätsstrukturen und soziokulturelle Verhaltensmuster, S. 116 ff.; zum Commonwealth vgl. F. Ansprenger, Erbe des Empire, S. 405 ff. 203 S. George, An Awkward Partner, S. 18 f.; K.O. Morgan, Labour in Power, S. 419. 204 Dazu in Teil 1 unter A.I.2.a). 205 Vgl. auch M. Beloff, Britain and Europe, S. 55. 206 Zu britischen Vorbehalten gegen die EGKS s. auch K.O. Morgan, Labour in Power, S. 420 f.

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nen Beitritt könnte die Verwirklichung einer „Dritten Kraft“ verhindert werden, konnten sich nicht durchsetzen. Dessen Aufmerksamkeit wurde durch die Koreakrise ohnehin bald von der europäischen Bühne abgelenkt; der Einfluß auf die Regierung in Europafragen schwand. Diese Einstellung veränderte sich zunächst auch nicht bis zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften 1957. Im Rahmen des sog. Messina-Prozesses traten erneut die gegensätzlichen Vorstellungen von einer europäischen Kooperation hervor.207 Durch die Bedrohung, außerhalb eines einheitlichen europäischen Zolltarifsystems zu stehen, war die britische Regierung unter Zugzwang geraten. Sie ging nun ihrerseits in die Offensive und unterbreitete einen eigenen Vorschlag.208 Während sich jedoch die Mitgliedstaaten der EGKS weitgehend darüber einig waren, durch die Gründung weiterer Gemeinschaften immer mehr Hoheitsrechte auf eine supranationale Ebene zu verlagern und so den Integrationsprozeß auf neue Gebiete ausdehnten, schlug Großbritannien unter Premier A. Eden einen anderen Weg ein. Im Gegensatz zur angepeilten EWG sollte eine einheitliche Handelszone gegründet werden, die nur den Wegfall der Binnenzölle innerhalb der Gemeinschaft zum Ziel hatte. Weder sollten entsprechende Hoheitsrechte auf supranationale Eben gehoben werden, noch sollte ein gemeinsamer Außenzolltarif gegenüber Drittstaaten gelten; ein Projekt, das die ohnehin zu diesem Zeitpunkt belasteten Beziehungen zum Commonwealth sowie die Special Relationship zu den USA gefährdet hätte.209 Insbesondere vor dem Hintergrund der Suez-Krise (1956) und der damit einhergehenden Verschlechterung der anglo-französischen Beziehungen scheiterte der britische Vorstoß am Widerstand Frankreichs und Deutschlands.210 Bis in die 60er Jahre hinein verlor Großbritannien entscheidend an Einfluß auf die europäische Politik und sah sich in die Defensive gedrängt; sein Heil in der Flucht zur EFTA suchend.211

207 Dazu M. Camps, Britain and the European Community, S. 93 ff. Von zwei unterschiedlichen Europa-Konzeptionen ist auch bereits die Rede bei M. Beloff, Britain and Europe, S. 4 f. 208 A European Free Trade Area, United Kingdom Memorandum to the Organisation for European Economic Co-operation, Cm. 72 v. Februar 1957. Vgl. auch M. Camps, Britain in the European Community, S. 110 f. 209 Vgl. dazu Absatz 14 des White Paper (Cm. 72 v. Februar 1957) sowie S. George, An Awkward Partner, S. 27; M. Camps, Britain and the European Community, S. 115; M. Beloff, Britain and Europe, S. 57. 210 Zur Suez-Krise und ihren Auswirkungen auf die britische Politik vgl. W.R. Louis / R. Owen, Suez 1956. 211 M. Camps, Britain and the European Community, S. 505.

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II. Die erfolglosen Beitrittsgesuche – die Öffnung Großbritanniens nach Europa Erst mit Zerfall des Imperiums und Rückzug des amerikanischen Interesses aus Europa wurden Stimmen nach einem Beitritt Großbritanniens zur – mittlerweile – erfolgreichen EG laut. Bereits in den 50er Jahren kamen nationale Ökonomen zu der Einsicht, daß die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die Großbritannien zu durchleiden hatte, nicht allein auf nationalen Problemen beruhten, sondern auch zu einem nicht unbeachtlichen Teil auf der einseitigen Handelsorientierung Großbritanniens in den Commonwealth. In einer Zeit, in der das größte Wachstum im Welthandel zwischen industrialisierten Staaten zu verzeichnen war, durfte sich das Inselreich nicht vor dem westeuropäischen Markt verschließen.212 Zudem bereiteten die Pläne der Sechsergemeinschaft, die Integration über den Handel hinaus auf politischen Feldern auszudehnen, Sorgen im Hinblick auf das Verhältnis zu den USA. Eine funktionierende EWG, die sich auch auf die politische Ebene ausdehnen würde, hätte Großbritannien aus seiner Sonderrolle zum amerikanischen Partner schnell verdrängen können.213 Insbesondere die Vorschläge de Gaulles die politische Einigung voranzutreiben und auch auf Bereiche wie die Verteidigung auszudehnen, alarmierten die politisch Verantwortlichen und sahen die Rolle der USA für die Verteidigung Europas über das NATO-Bündnis gefährdet. Auf der anderen Seite rückte de Gaulles Vorstellung von der Idee eines „europäischen Superstaates“ ab und nahm damit britischen Vorbehalten die Brisanz. Gleichzeitig sah die Regierung unter H. Macmillan eine zukünftige prosperierende transatlantische Partnerschaft nur durch den EG-Beitritt zu verwirklichen.214 Mit auslösender Faktor für das offizielle Beitrittsgesuch mag schließlich auch der Ausschluß Südafrikas aus dem Commonwealth gewesen sein, welcher gegen den Willen Großbritanniens erfolgte, das immer noch die Führungsrolle innerhalb der Gemeinschaft beanspruchte.215 Insgesamt konnten die Zweifel an einer Vollmitgliedschaft nicht vollständig aus dem Weg geräumt werden und innerparteilicher Druck216 übte mitentscheidenden Einfluß auf den Premierminister aus, der in einem nur „halb212 Vgl. S. George, An Awkward Partner, S. 28 f.; M. Camps, Britain and the European Community, S. 274 ff. 213 S. George, An Awkward Partner, S. 29. 214 Das Interesse an einem Beitritt aus amerikanischer Sicht lag dabei in der Vorstellung, die britische Seite könnte die Entwicklung der EG in eine Hochtarifzone, die sich gegenüber dem Welt-, bzw. amerikanischen Markt abschotten würde, verhindern. Zu den transatlantischen Gesprächen über einen EG-Beitritt Großbritanniens vgl. etwa M. Camps, Britain and the European Community, S. 336 f. 215 Nach dem sog. „Sharpeville Massaker“ im März 1960 mehrten sich Stimmen innerhalb der asiatischen und schwarzafrikanischen Mitgliedsländer nach einem Ausschluß Südafrikas, während sich Großbritannien auf die traditionelle Position berief, innere Angelegenheiten der Commonwealth-Mitglieder berührten nicht die anderen Mitgliedsländer. 1961 erfolgte schließlich der Ausschluß Südafrikas. Näher F.S. Northedge, Britain and the EEC, S. 28. 216 Zu den Gegenpositionen vgl. auch M. Beloff, Britain and European Union, S. 67 ff.

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herzig“ gefaßten Entschluß in vorsichtigen Tönen eine Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs in der EWG beantragte. Der damalige Chef-Unterhändler E. Heath formulierte diesen 1961 wie folgt: „ [ . . . ] as a result of a thorough assessment over a considerable period of the needs of our own country, of Europe and of the Free World as a whole [ . . . ] we desire to become full, wholehearted and active members of the European Community in its widest sense and to go forward with you in the building of a new Europe.“217

Diese zurückhaltende Begeisterung in der Antragserklärung mag wohl auch den Grund für die ablehnende Haltung de Gaulles geliefert haben, der als wesentliches Argument für das unilaterale Veto fehlende Bereitschaft zur Übernahme der gemeinsam geschaffenen Bedingungen sowie die große Nähe zu den USA hervorhob.218 Tatsächlich standen einem Beitritt Großbritanniens wohl eher nationale Interessen entgegen, bedrohte doch dieser die Vormachtstellung Frankreichs innerhalb der EG.219 Obgleich diese Ablehnung innerhalb der Conservatives die Bereitschaft zum Beitritt vergrößern konnte, war es an der neu gewählten Labour-Regierung, die den nächsten Anlauf wagte. Nach ihrem knappen Wahlsieg 1964 konzentrierte sich das Kabinett unter H. Wilson jedoch zunächst auf die Innenpolitik, da ein Beitrittsgesuch aufgrund innerparteilicher Ressentiments sich als „heißes Eisen“ hätte erweisen können.220 Im Hinblick auf die anstehenden Wahlen besann sich die Regierung schließlich aber doch noch auf eine erneute Beitrittskandidatur zur EG, stellten doch die Liberalen und die Konservativen jeweils ein pro-europäisches Wahlprogramm auf. Überdies sah sich der Premier angesichts wachsender wirtschaftlicher Probleme zu Zugeständnissen an seinen Wirtschaftsminister G. Brown genötigt, um sich dessen weiterer Unterstützung zu versichern.221 Unter der BedinZitiert nach R. Jowell / G. Hoinville, An Unconscionable Time Deciding, S. 8 f. Anlaß hierfür mag dagegen wohl die Übereinkunft zwischen MacMillan und Kennedy über die Lieferung von Polaris-Raketen an Großbritannien gewesen sein. Vgl. die Pressekonferenz des französischen Staatspräsidenten v. 14. Januar 1963, abgedruckt in: Europa-Archiv 18 (1963) Dokumente, S. D 87 ff. 219 Vgl. S. George, An Awkward Partner, S. 35 ff.; R. Jowell / G. Hoinville, An Unconscionable Time Deciding, S. 9. M. Beloff betont die Bedeutung der deutsch-französischen Beziehungen, die durch den Freundschaftsvertrag v. 22. Januar 1963 eine neue Ebene erreicht hatten und die de Gaulle in seiner Position bestärkt haben mag, in Deutschland einen Partner gegen eine anglo-amerikanische Vormacht gefunden zu haben; vgl. ders., Britain and European Union, S. 66. 220 Von Seiten des linken Flügels der Partei stellte sich die EG als konservativer, kapitalistischer, katholischer Block dar, der ihren Ideen einer „dritten Kraft“ eine deutliche Absage erteilt hatte. Auf Seiten des rechten Flügels bereiteten die Beziehungen zu Amerika Sorgen. Vgl. S. George, An Awkward Partner, S. 36 f. Deutlich in dieser Hinsicht eine Fernsehansprache des Vorgängers Wilsons als Labour-Vorsitzender H. Gaitskell v. 21. September 1962: „ [ . . . ] we become no more than ,Texas‘ or ,California‘ in the United States of Europe. It means the end of a thousand years of history“; abgedruckt bei M. Beloff, Britain and European Union, S. 69. 217 218

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gung, die zentralen Interessen Britanniens und des Commonwealth zu berücksichtigen, sprach H. Wilson die Bereitschaft Großbritanniens zum Beitritt in die Sechsergemeinschaft aus.222 Erneut erwies sich jedoch als entscheidendes Hindernis die Position de Gaulles, der – wie schon bei der zuvor gescheiterten Bewerbung – die Insellage Großbritanniens sowie dessen besondere Beziehungen zum Commonwealth und vor allem den Vereinigten Staaten betonte.223 Es zeichnete sich abermals ab, daß an einen Beitritt nicht zu denken war, solange Frankreich durch de Gaulle regiert würde.

III. Der Beitritt Großbritanniens zu den Europäischen Gemeinschaften – Überwindung des französisch-britischen Konfliktes Nach dem Rücktritt de Gaulles 1969224 nutzte die Regierung die Gunst der Stunde zur Fortsetzung der Beitrittsverhandlungen. Überraschenderweise blieb es jedoch dem neuen konservativen Premier E. Heath überlassen, diese zu vollenden.225 In seiner Person trat erstmals – und bis zur Wahl T. Blairs auch das einzige Mal – ein britischer Politiker an die Spitze des Staates, der sich vollkommen der europäischen Idee verschrieben hatte.226 Dementsprechend legte auch das Wahlprogramm von 1970 großen Wert auf die Sicherung des Erfolges der Beitrittsverhandlungen. Diese erwiesen sich auch nach Wegfall der französischen Fundamentalopposition durch de Gaulle als nicht unkompliziert. So ergaben sich auf britischer Seite Schwierigkeiten mit der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP), ein Erbe, das sich bis in die jüngste Zeit hin auswirken sollte.227 Die Schwierigkeiten mit den Beziehun221 Vgl. A.F. Havighurst, Britain in Transition, S. 521; R. Jowell / G. Hoinville, An Unconscionable Time Deciding, S. 10 f. Zu den weiteren Umständen des Meinungsumschwungs innerhalb des Kabinetts vgl. M. Beloff, Britain and European Union, S. 71 ff. 222 Vgl. die Rede H. Wilsons vor dem britischen Unterhaus v. 2. Mai 1967, abgedruckt in: Europa-Archiv 22 (1967) Dokumente, S. D 246 ff. 223 Vgl. die Pressekonferenz de Gaulles v. 16. Mai 1967, abgedruckt in: Europa-Archiv 22 (1967) Dokumente, S. D 249 ff. 224 Zu den Umständen des Rücktritts s. R. Jowell / G. Hoinville, An Unconscionable Time Deciding, S. 11. 225 Obgleich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen schlecht standen, der Regierung aber aus verfassungsrechtlicher Sicht noch wenigstens ein weiteres Jahr geblieben wäre, rief Wilson zu Neuwahlen auf; zu den näheren Umständen der Parlamentswahl im Juni 1970 vgl. A.F. Havighurst, Britain in Transition, S. 537 ff. 226 E. Heath hatte sich bereits in seiner ersten Parlamentsrede 1950 leidenschaftlich gegen die Erklärung C.R. Attlees zum Verzicht auf eine EGKS-Mitgliedschaft gewandt und für einen Beitritt zur EG eingesetzt, wirkte später in J. Monnets Aktionskomitee für die Vereinigten Staaten von Europa mit und verhandelte als Chef-Unterhändler der Macmillan-Administration über das erste Beitrittsgesuch. Vgl. S. George, An Awkward Partner, S. 49.

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gen zum Commonwealth waren weitgehend ausgeräumt, als entscheidendes Hindernis sollte sich jedoch die finanzielle Frage darstellen. Noch unter der Politik des leeren Stuhls228 war es der EG nicht gelungen, neue zufriedenstellende Regelungen zum EG-Budget zu beschließen. Nach der französischen Ablehnung, Großbritannien an den Verhandlungen zu beteiligen, wurde ein System vereinbart, unter dem die britische Seite – gemessen an ihrem Bruttosozialprodukt – große Zugeständnisse hätte machen müssen.229 Wie schon durch Äußerungen de Gaulles angekündigt, führte kein Weg an bilateralen Verhandlungen zwischen dem Vereinigten Königreich und Frankreich vorbei. In diesem Sinne gelang in einem Treffen zwischen E. Heath und G. Pompidou, das gegenseitige Mißtrauen230 zu beseitigen; damit war der Weg geebnet für einen Beitritt zum 1. Januar 1973.231 Bereits in der Zeit kurz danach zeigte sich Großbritannien aber als „komplizierter“ Partner für die ursprünglichen Mitgliedstaaten. So versuchte die Regierung unter E. Heath in sehr selbstbewußter Weise, nationale Interessen in der Gemeinschaft durchzusetzen, widerstrebte aber dem – mittlerweile üblichen – Brauch, diese Ziele mit Zugeständnissen in „Package-Lösungen“ zu erreichen.232 Zudem schienen alte Befürchtungen de Gaulles wieder aktuell zu werden, die Briten würden die Rolle eines „trojanischen Pferdes“ für die USA spielen, indem sie eine weltoffenere Rolle der EG zu erreichen suchten. Wie auch immer sich dieses Verständnis aus der imperialen Geschichte des Landes erklären ließe, es trug nicht dazu bei, das Vertrauen der sechs Gründungsstaaten in den

227 s. etwa The Guardian v. 10. Februar 2004, „Brown attacks Brussels ,waste‘“, und 23. Mai 2004, „Brown begins assault on EU farm subsidies“. 228 Dazu in Teil 1 unter A.I.2.b) und B.III.2. 229 Näher dazu S. George, An Awkward Partner, S. 52 ff. 230 Wohl noch unter dem Eindruck der Zeit de Gaulles hegte die französische Seite Zweifel an dem Willen Großbritanniens, eine Mitgliedschaft nicht nur zu dem Zweck zu erstreben, die Eigenständigkeit Europas den USA gegenüber zu untergraben. Von britischer Seite fürchtete man erneut Ausflüchte, um ein französisches Veto über das Beitrittsgesuch zu rechtfertigen. Dazu mehr in S. George, An Awkward Partner, S. 54 f. 231 Spannungen ergaben sich für die Abstimmung im Unterhaus über den European Communities Act 1972, nachdem sich bereits in früheren Abstimmungen über den Beitritt zur EWG Abweichler in den Reihen der Conservatives offenbarten. Konnte hier die Regierung noch auf die Unterstützung aus den Reihen der Opposition zählen, unterlag die Abstimmung über den European Communities Act 1972 einer strengen Parteidisziplin, so daß die Regierung nicht auf Unterstützung zählen konnte. Mit einer Mehrheit von 309 zu 301 Stimmen wurde der European Communities Bill schließlich gebilligt. S. dazu auch A.F. Havighurst, Britain in Transition, S. 552 ff.; M. Beloff, Britain and European Union, S. 76 ff. 232 So strebte die Regierung etwa eine gemeinsame Außenpolitik, insbesondere im Hinblick auf die nächste GATT-Verhandlungsrunde und eine Reform der GAP an, weigerte sich aber entschieden, Plänen für eine Währungsunion sowie die Harmonisierung der europäischen Energiepolitik seinen Segen zu geben, obgleich diese aus der Sicht der Sechs als durchaus kompatibel zu den eigenen Vorschlägen erschienen.

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neuen Partner zu stärken. Unter den folgenden Labour-Regierungen sollten sich diese Schwierigkeiten verstärken.

IV. Die Minderheitsregierungen unter H. Wilson – Neuverhandlung der Mitgliedschaft und Referendum über den Verbleib in der EG H. Wilson fand nach seiner Rückkehr in die Downing Street (1974) ein zerstrittenes Land und eine nicht minder zerstrittene Partei vor. Die konservative Regierung Heath hatte die Gewerkschaften gegen sich aufgebracht und das Land entzweit.233 Die Wahl Wilsons wurde u. a. durch diese Entwicklungen möglich, trauten es die Wähler einem Labour-Regierungschef zu, die Aussöhnung mit den Gewerkschaften zu erreichen. Innerhalb der Partei tat sich ein Graben auf zwischen den EG-Befürwortern auf der eher sozialdemokratischen Seite und den Gegnern auf der Partei-Linken. Erneut wurden Bedenken geäußert, die Souveränität des Landes und des Parlaments stünden auf dem Spiel, da sich Großbritannien auf dem Weg in eine europäische Provinz befinde. Auch wenn diesen Bedenken entgegengehalten wurde, ein Austritt aus der Gemeinschaft sei jederzeit möglich, so daß innere wie äußere Souveränität gesichert wären, hielten sich Zweifel an der Praktikabilität eines solchen Vorgehens.234 Verkompliziert wurde die Lage zudem durch die fehlende eigene Mehrheit im Parlament in den ersten zwei Regierungsjahren. Um den „Spagat“ zu vollbringen und Partei wie Bevölkerung wieder zu einen, spielte Wilson die nationale Karte im Rahmen seiner Europapolitik aus. Mit Hinweis auf die unakzeptablen Bedingungen, unter denen sein Vorgänger den Beitritt in die EG erreicht hatte, strebte er eine Neuverhandlung der Beitrittsbedingungen an. Das Ergebnis sollte dann per Referendum durch die Bevölkerung bestätigt werden.235 Ziel dieses Vorgehens war weniger, die neuen Bedingungen britischer EG-Mitgliedschaft zu legitimieren, auch beabsichtigte die Regierung zu keinem Zeitpunkt, das Land wieder aus der Gemeinschaft zu führen.236 Vielmehr suchte sie auf diesem Weg die Europagegner auszumanövrieren und zugleich die europäische Integration der Bevölkerung näher zu bringen und für sie akzeptabler zu gestalten.237 Dementsprechend begannen die Vgl. A.F. Havighurst, Britain in Transition, S. 554 ff. Vgl. M. Beloff, Britain and European Union, S. 81. 235 Der Aspekt eines Referendums konnte zu jenem Zeitpunkt gar nicht überbewertet werden. Stellte sich jenes doch als wichtiges Novum in dem ansonsten doch so zentral regierten Land dar. Ausführlich über das Referendum von 1975, seinen Hintergrund und die Folgen für die britische Politik wie Verfassung in: Ph. Goodhart, Full-hearted Consent. 236 M. Beloff, Britain and European Union, S. 79. 237 Die Begeisterung für Europa hielt sich in jenen Jahren sehr stark in Grenzen: Die Zahl der Befürworter einer EWG-Mitgliedschaft lag im Januar 1963 bei 44% gegenüber 22% im März 1970; dazu J. Spencer, Movements in the Public Mood, S. 18 ff. Vgl. auch A. Forster, 233 234

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Vorbereitungen des Referendums auch schon vor Ende der Verhandlungen. Dabei zeigte sich die stärkste Opposition in den eigenen Reihen von Labour. Bei der Parlamentsabstimmung über die neuverhandelten Bedingungen konnte die Partei keine eigene Mehrheit sichern, sondern mußte sich auf die Stimmen der Liberals und der Conservatives unter ihrer neuen Vorsitzenden M. Thatcher stützen.238 In dem sich anschließenden Referendum folgten die Wähler im wesentlichen der Vorgabe „ihrer“ Parteien, so daß sich eine klare Mehrheit von 67,2% für einen Verbleib in der EG ergeben konnte.239 Großbritannien verzichtete auf einen Austritt aus der EG. Angesichts des anhaltenden innerparteilichen Drucks, sah sich Wilson allerdings genötigt, von der Politik nationaler Interessen nicht abzuweichen. Das Verhältnis zwischen Großbritannien und den anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft blieb daher gespannt. Dies äußerte sich etwa im Verhalten der Anti-Europäer in den Reihen des Kabinetts, die sich im Ministerrat zuweilen nur schwer umgänglich zeigten.240 Aber auch auf den Seiten der Integrations-Befürworter wurde hart verhandelt, wenn nationale Interessen betroffen schienen.241 Die europäische Einstellung Großbritanniens wurde so erneut von nationaler Politik bestimmt, gleichwohl mit dem positiven Ausgang des Referendums ein Ende dessen erwartet worden war. Nach dem Rücktritt Wilsons 1976 übernahm J. Callaghan die Regierungsgeschäfte und führte das Land durch die Einführung direkter Wahlen des Europäischen Parlaments sowie die Einführung des EWS, beides Projekte, mit denen sich erneut nationale Ressentiments verbanden. Die Europawahlen wurden insbesondere von Seiten der Partei-Linken heftig kritisiert und gipfelte in einer Resolution des linksdominierten Exekutivkomitees der Partei, das sich gegen direkte Wahlen aussprach. Anstatt im EP einen Verbündeten gegen das Demokratiedefizit der EG zu suchen, wurden direkte Wahlen und die damit verbundene Aufwertung des Parlaments als weiterer schmerzlicher Souveränitätsverlust gebrandmarkt. In der Euroscepticism in Contemporary British Politics, S. 48; A. Volle, Großbritannien in der Europäischen Gemeinschaft, S. 318 f. 238 Vgl. M. Beloff, Britain and European Union, S. 80 f. 239 Ph. Goodhart, Full-hearted Consent, S. 181. Besonders auffällig ist, daß die Umfragewerte selten in einer solchen Weise eine klare Befürwortung der EG ergaben; in den Umfragen fiel die Befürwortung vom Herbst 1975 (50%) bis zum Frühjahr 1978 auf 29% und damit den niedrigsten Stand in der Gemeinschaft. Zu den Umfragewerten vgl. The Independent v. 15. Juni 1989; A. Volle, Großbritannien in der Europäischen Gemeinschaft, S. 326. M. Beloff weist auf die mangelnde Information der Wählerschaft durch die Pro-Fraktion hin, insbesondere in Bezug auf die beabsichtigte Wirtschafts- und Währungsunion; vgl. ders., Britain and European Union, S. 82 f. 240 T. Benn etwa, brüstete sich zuweilen damit, einmal ein Treffen der Energieminister dadurch verzögert zu haben, daß er sich zuvor auf einem Regionaltreffen der Labour-Partei aufgehalten habe. The Economist, 27. Dezember 1975. 241 So etwa im Fall der Begrenzung der Emissionen in Flußläufen, der Begrenzung von Lenkzeiten für LKW-Fahrer durch die Einführung eines Tachographen („spy in the cab“) oder der Frage der regionalen Strukturfonds, vgl. S. George, An Awkward Partner, S. 97 f.

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Frage der Währungsunion hatte Callaghan seine Vorstellungen über die Stabilisierung der Weltwirtschaft in einem eigenen Fünf-Punkte-Plan öffentlich gemacht.242 Dieser rückte bestehende Institutionen, besonders den IWF, in den Vordergrund und gab sich kritisch im Hinblick auf die Kreation eines neuen europäischen Instrumentes. Dennoch erklärte er sich einverstanden mit der Einsetzung der „Drei Weisen“, in deren Kreis er K. Couzens entsandte, der bereits an Callaghans FünfPunkte-Programm mitgewirkt hatte und als kritisch gegenüber regionalen (sprich europäischen) denn globalen Lösungsansätzen galt.243 Als Konsequenz trat Großbritannien zwar dem EWS bei, blieb aber dem Europäischen Wechselkurssystem fern.244 Mit der ersten Übernahme der Ratspräsidentschaft 1977 erlangte die Regierung die Gelegenheit, der Reputation des Landes als „europäischer Bremse“ entgegenzutreten. Unter den europäischen Partnern hatte sich die Ansicht herausgebildet, daß Großbritannien zu sehr darauf bedacht war, nationale Positionen um jeden Preis zu verteidigen, ohne sich für deren Durchsetzung Verbündete unter den Mitgliedern zu suchen und so das „europäische Spiel“ zu spielen, das aus gegenseitigem Geben und Nehmen besteht, und dessen Spielregeln sich unter den europäischen Partnern in den Jahren der Abstinenz des Königreiches durchgesetzt hatten.245 Nachdem erneut großes Gewicht auf nationale Interessen gelegt wurde und die Vertreter im Rat daraus auch keinen Hehl machten, erwiesen sich die sechs Monate britischer Ratspräsidentschaft mehr als nur ernüchternd für die europäischen Partner. Der Sechs-Punkte-Plan Callaghans zur britischen Europapolitik, vorgestellt anläßlich des Labour-Parteitags 1977, betonte erneut das Verhältnis zu den USA, einem Punkt, der wiederholt geeignet war, Mißtrauen am britischen Engagement in Sachen Integration zu hegen. Auch versagte er dem Europäischen Parlament weitere Zugeständnisse,246 versuchte eine Demokratisierung der EG durch die Stärkung des nationalen Parlaments zu erreichen. Zudem warb er für die teilweise Öffnung der Ratssitzungen für die Öffentlichkeit. Nationale Interessen, etwa im Bereich der Fischerei- und Agrarpolitik wurden kompromißlos verhandelt.247 Die Verärgerung in den anderen Mitgliedstaaten wurde vollendet durch die Befürwortung der geplanten Süderweiterung aus der Erwägung heraus, dies würde den Integrationsgrad in der EG verwässern und „die Gefahr einer überzentralisierten, überbürokratisierten und überharmonisierten EG“ entschärfen.248 Die LabourA. Volle, Großbritannien in der Europäischen Gemeinschaft, S. 321. Näher S. George, An Awkward Partner, S. 126 ff. 244 M. Beloff, Britain and European Union, S, 89. 245 A. Volle, Großbritannien in der Europäischen Gemeinschaft, S. 321 f. 246 Aus britischer Sicht wurde v.a. das Argument mangelnder demokratischer Kontrolle, die nur von den nationalen Parlamenten ausgeübt werden könnte und eine unerwünschte Stärkung der EG-Bürokratie zu Felde geführt; näher dazu bei A. Volle, Großbritannien in der Europäischen Gemeinschaft, S. 325 f. 247 Dazu in A. Volle, Großbritannien in der Europäischen Gemeinschaft, S. 323 ff. 248 Vgl. The Times v. 1. Oktober 1977. 242 243

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Regierung unter J. Callaghan hinterließ der neuen Regierung M. Thatchers damit ein recht gestörtes Verhältnis zu den europäischen Partnern.

V. Großbritannien unter M. Thatcher – Europa im Griff der „Iron Lady“ Mit dem Machtwechsel in Großbritannien 1979 verband sich einmal mehr die Hoffnung nach einer Entspannung der Beziehungen innerhalb der EG.249 Vieles gab dazu Anlaß, allem voran etwa die harte Kritik der Conservatives an der Europapolitik der Regierung Callaghan, aber auch die Berufung pro-europäischer Minister ins Kabinett und nicht zuletzt auch die Beteiligung an europäischen Parteienzusammenschlüssen (EVP) – auf Labour-Parteitagen wurde indessen regelmäßig ein EG-Austritt propagiert. Diese Hoffnungen wurden allerdings jäh erstickt, als die neue Premierministerin auf der Konferenz in Dublin 1979 über eine Reduzierung der britischen Netto-Beiträge an die Gemeinschaft kompromißlos zu verhandeln begann („I want my money back“).250 Die Ursache hierfür war somit – symptomatisch für die britische Europapolitik – auf nationaler Ebene zu suchen. Großbritannien befand sich inmitten einer wirtschaftlichen Krise. Ähnlich verhielt es sich mit den öffentlichen Haushalten, deren Stabilisierung sich die Regierung auf die Fahnen geschrieben hatte. Gleich ihren Vorgängern versuchte auch sie die Popularitätseinbußen im nationalen Kontext auf internationaler Ebene zu kompensieren. Bis zum Falkland-Krieg (1982), in dem sich die Regierung Thatcher auf internationaler Ebene etablieren konnte, mußte Europa erneut als „Sündenbock“ für national mißbilligte Maßnahmen herhalten.251 Die Frage des GemeinschaftsBudgets sollte die Agenda der EG für einige Jahre beschäftigen, während sie Großbritannien weiter in die Isolation führte und der Premierministerin den Titel der „Iron Lady“ einbrachte.252 Mit der beginnenden Finanzkrise der EG im Vorfeld der geplanten Süderweiterung (1982), bot sich der britischen Seite eine offene Flanke, über die eine zufriedenstellende Regelung – zumindest aus britischer Sicht – gefunden werden sollte. Auf der anderen Seite sah sie sich plötzlich mit Plänen zur Stärkung der Institutionen der EG, für eine weitere Aufwertung des EP sowie Ausdehnung der qualifizierten Mehrheit im Rat Beschluß gefaßt werden könnte. Allem voran stand schließlich noch der Entwurf des Altföderalisten A. Spinelli für eine Europäische Vgl. A. Volle, Großbritannien in der Europäischen Gemeinschaft, S. 327 f. Immerhin zahlte Großbritannien als höchster Nettozahler (bereits 1977 schon 1,6 Mrd. DM gegenüber 1979 dann 2,267 Mrd. DM), obgleich es gemessen am BSP an siebter Stelle der OECD-Länder lag und nur einen Anteil von 5% am Welthandel trug. Dazu A. Volle, Großbritannien in der Europäischen Gemeinschaft, S. 325 m. w. N. 251 S. George, An Awkward Partner, S. 144 ff. 252 Dazu S. George, An Awkward Partner, S. 148 ff.; A. Volle, Großbritannien in der Europäischen Gemeinschaft, S. 331. 249 250

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Verfassung253 auf der Agenda, der im Februar 1984 vom EP gebilligt wurde und mit dem sich Europa entscheidend in eine föderale Richtung bewegen sollte – einem aus britischer Sicht unhaltbaren Kurs. Es wurde somit abermals erforderlich, sich an die Spitze des europäischen Reformprozesses zu setzen, der mit dem „Relaunch“, angetrieben durch den Genscher-Colombo-Plan, auf dem Stuttgarter Gipfel 1983 begonnen hatte. Hierbei stellte sich jedoch die weiterhin offene Frage des Budgets als hinderlich heraus, stand die britische Haltung doch einer geschlossenen Front der Gründungsmitglieder entgegen.254 Mit der Ankündigung des französischen Staatspräsidenten F. Mitterand vor dem EP am 24. Mai 1984, ein „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ zu etablieren, falls es keine Einigung im Hinblick auf einen neuen Unionsvertrag geben würde,255 übte Frankreich weiter Druck auf die britische Seite aus. Die Angst des Außenministeriums, wiederum ins Hintertreffen zu geraten, wurde konkret. In einem „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ würde es Großbritannien endgültig unmöglich sein, seine Vorstellungen einer internationalen Handelsunion zu verwirklichen und die so gefürchtete Föderalisierung Europas aufzuhalten. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund wurde es möglich, auf der Konferenz von Fontainebleau (1984) doch noch eine Einigung zu erzielen. Jedoch markierte dies nicht das Ende der Ressentiments zwischen der britischen Insel und dem Kontinent. Als für das Jahr 1984 die Gemeinschaftsmittel auszulaufen drohten, blockierte Großbritannien zunächst einen Nachtragshaushalt. Die Regierung Thatcher war dem Prinzip der Haushaltsdisziplin dermaßen verschrieben, daß zunächst jeglicher Kompromiß ausgeschlossen schien, bis der Nachtrag in der Höhe halbiert und eine Einigung in Bezug auf die Ausgaben der EG in kürzester Zeit in Aussicht gestellt wurde. In dieser Folge wurde auf dem Gipfel in Dublin im Dezember 1984 schließlich das Ausgabensystem grundlegend reformiert.256 Eine weitere, für die konservative Regierung Thatchers entscheidende Frage betraf die institutionelle Reform der EG. Auch hier trafen unterschiedliche Denkrichtungen aufeinander. Während v.a. von den Altmitgliedern eine institutionelle Stärkung der Organe der EG gefordert wurde, um auf diesem Wege den Integrationsprozeß zu beschleunigen und den Weg zu einer „Europäischen Politischen Union“ zu ebnen, hatten für die Neumitglieder Großbritannien, Dänemark und Irland praktische Fortschritte Vorrang.257 So sollte zunächst unter Betonung des Dazu A. Spinelli, Das Verfassungsprojekt des Europäischen Parlaments, S. 231 ff. Der Konflikt gipfelte mit der Drohung Thatchers, die Beiträge für 1984 zurückzuhalten; vgl. S. George, An Awkward Partner, S. 155. 255 Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, 5 – 1984, 3.4.1. 256 Vgl. S. George, An Awkward Partner, S. 159 ff. 257 Aus britischer Sicht verband sich mit dem Begriff der „Union“ ein unklares Gebilde. So wurde er z. T. als „deutsche Rhetorik“ abgetan, der nationale Begeisterung für den Einigungsprozeß schüren solle, andererseits provozierte er Assoziationen mit dem Treaty of Union 1707 mit Schottland, einer Konstruktion, die auf europäischer Ebene vollkommen unakzeptabel war. A. Volle, Großbritannien in der Europäischen Gemeinschaft, S. 335. 253 254

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wirtschaftlichen Aspektes der gemeinsame Binnenmarkt vollendet werden. Institutionelle, und damit formelle bzw. verfahrensrechtliche Fragen stellten sich dabei eher als hinderlich dar, boten sie doch den gefährlichen Nährboden einer weiteren, insbesondere auch politischen, Vertiefung der Gemeinschaft. Diese Position wurde in dem auf der Konferenz von Fontainebleau vorgestellten Positionspapier258 verdeutlicht und konsequent in dem darauffolgenden Reformprozeß vertreten. Abermals drohte Großbritannien als Hauptverfechter dieser Politik ins europäische Abseits gedrängt zu werden, stand es doch für eine Minderheit in der EG, deren institutionelle Vorbehalte den Integrationsprozeß zu lähmen drohte. Diese Position wurde dem Grunde nach auch bis zur Regierungskonferenz von Luxemburg 1985 nicht aufgegeben, jedoch setzte allmählich ein „Umdenkprozeß“ ein, der die Vertreter Großbritanniens dazu bewog, nicht auf Maximalforderungen zu beharren. In der resultierenden EEA konnten die Briten unter Zugeständnissen einen Teil ihrer wichtigsten Positionen erhalten.259 So wurde der Widerstand an der Rhetorik über eine „Europäische Union“ aufgegeben, die am Ende einer Vertragsrevision stehen sollte.260 Auch akzeptierte man den Einschluß des EWS in diese Revision. Auf der anderen Seite ließ sich eine umfassende Erweiterung der Kompetenzen des EP verhindern sowie die Ausweitung der Mehrheitsabstimmung im Rat in Grenzen halten.261 Insgesamt hatte die Gemeinschaft damit – zumindest aus nationaler Sicht – doch noch einen „britischen“ Kurs eingeschlagen; rechtzeitig zur Übernahme der Ratspräsidentschaft für das erste Halbjahr 1986.262 Die britische Agenda sah für die Ratspräsidentschaft drei Hauptziele vor, die in dem weiteren Ausbau des Binnenmarktes, der Liberalisierung des Luftverkehrs (in diesem Zusammenhang darf die geplante Privatisierung der British Airways nicht außer Acht gelassen werden) und einer Flexibilisierung des Arbeitsmarktes bestanAbgedruckt in: Europa-Archiv 15 (1984), S. D 434 ff. Eine Übersicht bietet A. Volle, Großbritannien in der Europäischen Gemeinschaft, S. 337 f. 260 In der Präambel heißt es: „Von dem Willen beseelt, das von den Verträgen zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften ausgehende Werk weiterzuführen und die Gesamtheit der Beziehungen zwischen deren Staaten [ . . . ] in eine Europäische Union umzuwandeln, . . .“; die britische Fassung gebraucht dagegen den Begriff der „unity“ als Betonung des Prozeßcharakters, vgl. M. Butler, Europe, S. 166. 261 Die zentralen Fragen aus britischer Sicht, v.a. Steuerpolitik, Freizügigkeit des Personenverkehrs, Gesundheitspolitik und Arbeitnehmerschutz wurden vom Mehrheitsprinzip ausgenommen. Vor dem Hintergrund der nationalen Politik erscheint besonders der letzte Punkt verständlich, bemühte sich die Regierung Thatcher doch gerade um eine Einschränkung der Arbeitnehmerrechte, insbesondere was die Einflußnahme der Gewerkschaften betraf. 262 Zum Prozeß im Vorfeld der EEA vgl. S. George, An Awkward Partner, S. 176 ff. M. Thatcher gestand später ein, mit der Zustimmung zur EEA einen schweren Fehler gemacht zu haben und durch Irreführung zur Unterzeichnung gebracht worden sei: „The Single European Act contrary to my intentions and my understanding of the formal undertakings given at the time had provided new scope for the European Commission and the European Court to press forward in the direction of centralization“, vgl. dies., The Path to Power, S. 473. 263 S. George, An Awkward Partner, S. 186. 258 259

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den.263 Insbesondere der letzte Aspekt provozierte Widerstand v.a. aus den Reihen der europäischen Arbeitnehmervertretungen. Ein neuer Streitpunkt zwischen Großbritannien und anderen Mitgliedstaaten tat sich auf: die soziale Dimension des Binnenmarktes. Versuchte die britische Seite angestrengt, jedwede Erwähnung der „sozialen Partner“ aus Beschlüssen und Resolutionen herauszuhalten, bemühten sich v.a. Staaten wie die Bundesrepublik Deutschland und Italien, die soziale Dimension zu betonen. Diese Gegensätze offenbarten sich insgesamt im Hinblick auf das Unionsprojekt für 1992. Auch hier sperrte sich die britische Regierungschefin gegen jede soziale Komponente des Vorhabens. Mehr Differenzen wurden aber im Bereich des EWS ausgetragen.264 Die deutsch-französischen Pläne, über die Schaffung einer einheitlichen Währung und Konzentration der Währungspolitik in einer einzurichtenden Europäischen Zentralbank den freien Binnenmarkt weiter voranzutreiben, stießen auf harte Gegenwehr aus Downing Street No. 10.265 Hatten bereits die vorigen Entwicklungen einen Schatten auf die britischen Beziehungen zu den übrigen Mitgliedstaaten geworfen, stand die britische Premierministerin einmal mehr isoliert in der EG da, zumal die sog. Westland-Affäre ihr übriges getan hatte, um eine grundsätzlich europafreundliche Politik in London vermissen zu lassen.266 Mit Aufnahme der Tätigkeit der Delors-Kommission (1985) begann ein Prozeß, der die früheren Vorstellungen eines „Spill-Over“ bei weitem übertroffen haben mag, mit dem sich aber auch das Verhältnis zwischen England und der EG verschärfen sollte. Mit den Personen Thatcher und Delors erhielten die sich gegenüberstehenden Ide(ologi)en eine persönliche Note. Auf der einen Seite stand die „Iron Lady“, die aus ihrer Ablehnung eines geeinten Europas, das über einen Bin-

264 Immerhin konnte Großbritannien 1990 für den Wechselkursverbund gewonnen werden, nachdem die Premierministerin durch Rücktrittsdrohungen ihres Außenministers G. Howe und ihres Schatzkanzlers N. Lawson zum Einlenken bewegt werden konnte; vgl. M. Beloff, Britain and European Union, S. 102. 265 Die kompromißlose Haltung der Premierministerin führte schließlich sogar zu einem Zerwürfnis mit ihren Schatzkanzlern, denen sie fortgesetzt jedwede währungspolitische Intervention untersagte, um das britische Pfund innerhalb der Schwankungsbreiten des EWS zu halten. Ähnlich erging es dem britischen Kommissionsmitglied Lord Cockfield, der nach engagierter Befürwortung einer Steuerharmonisierung im Gemeinschaftsgebiet in seiner Heimat in Ungnade fiel und nach Ablauf seiner Amtszeit keine erneute Nominierung erhielt; vgl. S. George, An Awkward Partner, S. 190 f.; D.W. Urwin, The Community of Europe, S. 236 f. 266 Aufgrund sinkender Auftragslage geriet der einzige britische Helikopter-Hersteller Westland in Zahlungsschwierigkeiten und stand 1986 vor dem Konkurs. Einem Konsortium europäischer Konzerne, unter ihnen auch Messerschmidt-Bölkow-Blohm, stand ein Angebot des amerikanischen Mutterkonzerns UTC des Helikopter-Unternehmens Sikorsky entgegen. Obwohl ein Verkauf an ein amerikanisches Unternehmen die Kooperation in europäischen Projekten gefährdet hätte, unternahm die Regierung keinerlei Anstrengungen, den Verkauf an das europäische Konsortium zu fördern, machte im Gegenzug sogar Zugeständnisse an Westland, die den Verkauf an UTC bevorzugten.

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nenmarkt hinausginge, keinen Hehl machte;267 ihr gegenüber verband sich mit J. Delors ein Kommissionspräsident, der, in den Fußstapfen eines W. Hallsteins wandernd, Europa auf seinem Integrationsprozeß voranbrachte wie kaum ein anderer.268 Besonders die Rede Delors vor dem EP im Juli 1988 enthielt Stellungnahmen, die auf Seiten Thatchers mit bissiger Rhetorik beantwortet wurden. Die Betonung der sozialen Dimension einer Europäischen Union mit der Forderung, die sozialen Standards in den Mitgliedstaaten dürften durch den voranschreitenden Binnenmarktprozeß nicht unterschritten werden, mit der Aufforderung, die sozialen und gesundheitlichen Standards zu verbessern und mit dem Zugeständnis europaweiter Tarifpartnerschaft griff er geradewegs nach den „roten Tüchern“ einer Arbeitsmarktpolitik der Prägung Thatchers.269 Die Antwort ließ daher auch nicht lange auf sich warten. In ihrer berühmten Rede vor Studenten des Europa-Kollegs in Brügge führte sie im September 1988 u. a. aus.: „I am the first to say that on many issues the countries of Europe should try to speak with a single voice. [ . . . ] But working more closely together does not require powers to be centralized in Brussels or decisions to be taken by an appointed bureaucracy. [ . . . ] We have not successfully rolled back the frontiers of the state in Britain, only to see them recognised at a European level, with a European super-state exercising a new dominance from Brussels.“270

Unter dem Vorwurf, die Kommission habe ihre Befugnisse mißbraucht, bzw. überschritten, um die EG in eine mehr föderalistische Richtung zu steuern, betonte sie die Notwendigkeit europäischer Kooperation, plädierte aber für einen stärker konföderalistischen Ansatz europäischer Integration. Auf dem Parteitag der Conservatives in Brighton im folgenden Oktober ging sie dann sogar soweit, die Konzepte Delors als einen sozialistischen Angriff auf die liberalen Grundsätze der Römischen Verträge zu bezeichnen: „Today, that founding concept is under attack from those who see European Unity as a vehicle for spreading socialism. We haven’t worked all these years to free Britain from the paralysis of socialism only to see it creep through the back door of central control and bureaucracy in Brussels.“271

Unter den Vorzeichen einer engagierten Europapolitik, die ihren Höhepunkt in der Unterzeichung der EEA fand, stellte sich die Brügge-Rede als ein Wendepunkt dar: Hatte die Regierung in der Entwicklung zuvor noch versucht, die europäische Einigung durch konstruktive Politik im „britischen“ Sinne beeinflussen zu können, 267 Ein eindrucksvolles Beispiel hierfür bietet ein BBC-Interview v. 27. Juli 1988 (abgedruckt in: Europa-Archiv 16 (1988), S. D 454 ff.): „One of the reasons we went into Europe was to have a very much larger market for our goods . . .“. 268 D.W. Urwin, S. 240 ff. 269 Vgl. Journal der Europäischen Gemeinschaften, Anhang, Debatten des Europäischen Parlaments, 1988 – 9, no. 2 – 367 / 140. 270 Abgedruckt im Anhang. 271 The Independent v. 15. Oktober 1988.

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markierte die Brügge-Rede eine Hinwendung zu einer europaskeptischen, integrationsfeindlichen Politik. Konnte eine zunehmende Föderalisierung Europas auf konstruktivem Wege nicht aufgehalten werden, sollten nunmehr die destruktiven Elemente überwiegen. Mit diesem Schwenk isolierte sie nun aber nicht mehr nur Großbritannien sondern auch sich als Person vom Kontinent. Denn im selben Monat traten diesen konservativen europakritischen Tönen mit H. Kohl, W. Martens, R. Lubbers und J. Santers gleich vier weitere konservative Regierungschefs in einer gemeinsamen Erklärung entgegen. In dieser forderten sie die Einsetzung einer europäischen Zentralbank, eine gemeinsame Sicherheitspolitik, europäische Richtlinien für soziale Standards und Arbeitnehmerrechte. Eine Regierungskonferenz sollte ferner einberufen werden, die verfassungsrechtliche und einfachrechtliche Fragen beraten sollte, die zur Errichtung einer Europäischen Union notwendig seien. Hatte die Brügge-Rede noch die erreichten Ziele in der EEA angegriffen, wurden sie durch diese Erklärung nunmehr von der anderen Seite her aufgekündigt, indem sie über die EEA hinausgingen. Auch die erneute Nominierung von J. Delors für eine weitere Amtszeit durch die übrigen Mitgliedstaaten stellte eine eindeutige Positionierung in der Auseinandersetzung zwischen der britischen und der kontinentaleuropäischen Europakonzeption dar. Auf diesem Wege bewegten sich somit auch die Positionen der christdemokratischen Parteien und der der Conservatives auseinander. Im Vorfeld der Wahlen zum EP 1989 verlor die Partei zunehmend an Unterstützung durch die Wählerschaft und mußte sich folgerichtig dem klaren Wahlsieger Labour geschlagen geben; Mißerfolge bei den Kommunalwahlen folgten.272 Mit dem Wahlkampf zu den Europawahlen hatte bereits innerhalb der Regierung ein Entfremdungsprozeß begonnen, der die Partei in zwei Lager gespalten hatte. Seit ihrer Brügge-Rede mußte sich die Premierministerin zunehmend Kritik auch aus den eigenen Reihen gefallen lassen. Mit der Konferenz von Madrid 1989 mäßigte sich der europakritische Ton, ohne jedoch in der Sache nachzugeben. Auch weiterhin isolierte sich die Regierung – nicht zuletzt aufgrund des Verhaltens der Premierministerin – auf europäischer Ebene v.a. im Bereich der Sozial-Charta und der mit der Frage der Wiedervereinigung Deutschlands (1990) immer akuter werdenden politischen Union.273 Neue Zweifel an einer Förderung der politischen Union und der damit verbundenen neuen Übertragung von Hoheitsrechten wuchsen mit der Factortame-Entscheidung 274. Das „Projekt“ der Mitgliedschaft des Vereinigten Königreiches in der EWG war offenbar unterschätzt worden. Eine zunehmende Entfremdung zwischen der Premierministerin und ihrem Kabinett in Fragen der GAP und der EWU führten die „Iron Lady“ zunächst auch 272 Die sinkende Popularität ist nicht zuletzt wohl auch mit der Einführung der Kopfsteuer als Kommunalabgabe verbunden, einer Maßnahme, die innerhalb des Kabinetts schon umstritten war und mit der auch heute noch die Person M. Thatchers v.a. in Verbindung gebracht wird. Zu den Details vgl. S. George, An Awkward Partner, 235 f. 273 Die jeweiligen Abstimmungen ergingen mit einer Stimmenmehrheit von 11 zu 1. Näher S. George, An Awkward Partner, S. 216 ff. 274 Dazu oben unter A.II.3.a)bb)(3)(c).

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innerhalb ihres Kabinetts in die Isolation275 und schließlich zu ihrem Rücktritt im September 1990.276 Nachdem sie in der Wahl zum Parteivorsitz ihren Konkurrenten M. Heseltine nicht im ersten Wahldurchgang besiegen konnte, trat sie als Parteivorsitzende und Premierministerin zurück, auf ihre Kabinettskollegen bauend, eine Wahl Heseltines zum neuen Parteivorsitzenden zu verhindern. Es lag schließlich an J. Major, unter Thatcher zuletzt Schatzkanzler, diese Rolle auszufüllen.

VI. Die Regierung J. Major – Maastricht und das britische „opt-out“ Am Anfang der Regierungszeit J. Majors (1990) versuchte die Regierung – wie schon viele vor ihr – die Beziehungen zum Festland zu verbessern. Der halsstarrige Politikstil Thatchers hatte die britische Position in Europa isoliert. Major war bemüht, die Fehltritte seiner Vorgängerin wieder gut zu machen.277 Aber auch bilaterale Beziehungen waren gespannt; so brachten etwa skandalträchtige Äußerungen u. a. über die geplante Währungsunion die britisch-deutschen Beziehungen auf einen Tiefpunkt in der Nachkriegsgeschichte.278 In dem Weißbuch zu den Entwicklungen in Europa und wiederholt in einer Rede vor der CDU in Deutschland stellte J. Major Großbritannien die Aufgabe „to help build and shape the future Europe – and to do so with enthusiasm. We need to be right at the heart of the Community, working closely with our partners, if we are to do that.“279

Ein derartiger Versuch lag etwa in der Aussöhnung mit dem Europäischen Sozialkommissar V. Papandreou über die Frage der sozialen Aspekte europäischer Politik. Die fortgesetzte Weigerung Großbritanniens, Arbeitnehmerrechte anzuerkennen, die über die Gewährung einheitlicher Gesundheits- und SicherheitsstanHierzu ausführlicher M. Beloff, Britain and European Union, S. 104 ff. In einer Fragestunde im Anschluß des Berichts der Premierministerin über die Konferenz von Rom gab sie zu verstehen, daß sie nicht den Sterling und die Befugnisse des Hauses (das Parlament) an Europa preisgeben werde (Hansard, 6. Serie 178 [30. Oktober 1990], col. 873), eine Aussage, die unmittelbar den Rücktritt ihres Stellvertreters Sir Geoffrey Howe zur Folge hatte, der seinerseits zu seinem Rücktritt erklärte, wie schwierig es mit dem Benehmen von Mrs. Thatcher wäre, britischen Einfluß auf die zukünftige Politik in Europa zu gewinnen; vgl. The Independent v. 2. November 1990. 277 K.D. Schwarz, Englands Probleme mit Europa, S. 43. 278 So äußerte sich etwa N. Ridley, Staatsekretär für Handel und Industrie, über die geplante Währungsunion als „a German racket designed to take over the whole of Europe“. Im selben Interview beschrieb er Frankreich als „acting like poodles to the Germans“; vgl. The Spectator v. 14. Juli 1990. In einem internen Memorandum, welches versehentlich an die Öffentlichkeit gelang, beschrieb Ch. Powell, enger Berater Thatchers in außenpolitischen Angelegenheiten, typische deutsche Charakteristiken, welche auch Aggressivität und Pöbelei beinhalteten; vgl. The Independent on Sunday v. 16. Juli 1990. 279 Developments in the European Community, July-December 1990 (Cm. 1457), iii. 275 276

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dards am Arbeitsplatz hinausgingen, führte auf diesem Gebiet jedoch zu wenig Erfolgen. Die Verhandlungen über die geplante Europäische Union bildeten ein weiteres Feld, in dem die britische Regierung dem Kontinent hätte entgegen kommen können. Insgesamt gestalteten sich die Verhandlungen zumindest aus britischer Sicht erfreulich; so gelang es z. B. zu verhindern, der Union ein „federal goal“ zu geben. Die Formulierung wurde daher abgewandelt und in das bekannte Ziel der immer engeren Union umformuliert. Die sensiblen Bereiche der GASP und der ZBJI wurden als „zweite“ und „dritte“ Säule dem intergouvernementalen Bereich zugeordnet und hielten damit vitale britische Interessen aufrecht. Einen weiteren Konfliktherd bot die EWU, insbesondere im Kontext einer „Tournee“ Thatchers durch die Vereinigten Staaten, mit der sie Geld für ihre Stiftung zu sammeln hoffte und sich vehement gegen eine gemeinsame Währung aussprach. Ein Vorschlag J. Delors, der britischen Seite ein „opt-out“ zu gewähren, erwies sich als hervorragender Kompromiß und wurde – trotz vehementer Kritik aus der eigenen Partei und nicht zuletzt von Mitgliedern der sog. „Brügge-Gruppe“ wie M. Thatcher oder N. Ridley – von Regierungsseite her angenommen. Gleichwohl wurde die Klausel mehrheitlich kritisch beäugt, bezog sie sich doch ausschließlich auf Großbritannien und hielt damit die Sonderrolle des Landes in Europa aufrecht, eine Rolle, die die Regierung doch so angestrengt zu verlieren suchte. Dies wurde noch verstärkt durch die Weigerung Großbritanniens, die Mehrheitsabstimmung auf soziale Bereiche hin auszudehnen. Diese Weigerung führte schließlich zum Ausschluß der Sozial-Charta aus dem Vertrag. Die übrigen Mitgliedstaaten verpflichteten sich statt dessen in einem Zusatzprotokoll auf weitere Fortschritte in sozialen Fragen, wohingegen Großbritannien keine über die Verpflichtungen aus den Römischen Verträgen hinausgehenden Pflichten traf. J. Major hatte somit als Erfolge gleich zwei „opt-outs“ vorzuweisen, die jedoch erneut mit dem Stigma des europäischen Spielverderbers versehen waren.280 Auf der anderen Seite führten u. a. Zugeständnisse zur Erweiterung der Bereiche, auf die die qualifizierte Mehrheit ausgedehnt wurde sowie die Ausweitung der Rechte des EP dazu, daß sich die Regierung national vor die Aufgabe gestellt sah, die erreichten Ziele zu verteidigen. In seiner Rede an das Parlament v. 11. Dezember 1991 wies J. Major daher auch auf den Ausschluß der Sozial-Charta, auf das „opt-out“ in Bezug auf die Währungsunion, die Wahrung der Intergouvernementalität von GASP und ZBJI, die Integration des Subsidiaritätsprinzips in den Vertragstext und nicht zuletzt auf die bevorstehende Erweiterung der EU hin, die zur „Verwässerung“ der föderalen Elemente beitragen würde.281 Die Regierung versuchte auf diese Weise, auch in der Bevölkerung den Eindruck zu erwecken, daß sich der Vertrag von Maastricht als im wesentlichen den Intergouvernementalismus stärkendes Werk darstellt, während es gelungen war, auf der supranationalen Ebene 280 281

Hierzu näher bei S. George, An Awkward Partner, S. 240 ff. Hansard, 6. Serie 200 (11. Dezember 1991), col., 859 ff.

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von Sozial-Charta und Währungsunion ein „opt-out“ zu sichern. Im Zuge des Ratifikationsprozesses mit dem zunächst ablehnenden Referendum in Dänemark im Juni 1992 und in dessen Zuge europaweit zunehmender anti-europäischer Ressentiments282 sahen sich die Regierungschefs auf einer Konferenz in Lissabon im Juni des Jahres genötigt anzukündigen, daß alle bestehenden Rechtsnormen in der EU auf eine Modifizierung hin geprüft werden sollen.283 Hier nun erhielt die britische Regierung Rückendeckung für ihre schon früher immer wieder geäußerten Warnungen vor zunehmendem Zentralismus in Brüssel. Innerparteilich wuchs jedoch der Druck auf den Premier, Neuverhandlungen des Maastricht-Vertrages anzustrengen, der in den Augen der Euroskeptiker – allen voran M. Thatcher – zu viele föderale Elemente enthielt. Hierzu trug wohl auch die zunehmende Bereitschaft Großbritanniens bei, in bestimmten Fragen Verhandlungsbereitschaft zu zeigen, in denen zuvor noch jegliche Einigung auf europäischer Ebene kategorisch ausgeschlossen worden war.284 Trotz der insgesamt erfolgreichen britischen Präsidentschaft im zweiten Halbjahr 1992 – so wurde eine Einigung im Rahmen von GATT, die Verabschiedung eines neuen Budgets und der Binnenmarkt vollendet – brachte die Folgezeit Entwicklungen mit sich, durch die sich die Regierung zunehmend genötigt sah, den europaoffenen Kurs zu korrigieren. Durch den Ausschluß der britischen Währung aus dem EWS geriet zum einen die nationale Wirtschaftspolitik Majors aus dem Ruder, zum anderen nährte es Argumente der Europagegner – an exponierter Stelle insbesondere M. Thatcher. Vorwürfe an die Deutsche Bundesbank, sie hätte notwendige Maßnahmen zur Stützung des britischen Pfundes unterlassen, schwächten zudem die Verhandlungsposition auf europäischer Ebene, da sie erneut das mittlerweile restaurierte anglo-deutsche Verhältnis unter Druck setzte.285 Deutlich wurde diese Kehrtwende auf dem Parteitag im September 1993, auf dem Major der Partei versprach, einen Europawahlkampf unter dem Vorsatz der Bekämpfung Brüsseler Zentralisierung zu führen, gefolgt von einem Artikel, in dem er die Ziele der britischen Regierung auf europäischer Ebene offenlegte.286 Hierin sprach er sich u. a. gegen ein supranationales Europa aus, hielt die Kommission dazu an, anstelle von abstrakten Konzeptionen konkrete Ziele praktisch anzugehen, appellierte an die Wettbewerbsfähigkeit Europas und strebte eine engere S. George, An Awkward Partner, S. 246. Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, 6 – 1992, 1.1. 284 Als Beispiel mögen hier etwa die Zustimmung zur Arbeitszeitrichtlinie im April 1992 oder auch die Zustimmung des britischen Schatzkanzlers N. Lamont zu einem Mindestniveau der nationalen Mehrwertsteuer von 15 % zählen. Zwar erreichte die britische Seite bedeutende Zugeständnisse auf diesen Feldern, entscheidend ist jedoch, daß bislang jegliche Bereitschaft zu einer europäischen Lösung abgelehnt wurde; vgl. auch S. George, An Awkward Partner, S. 253. 285 Vgl. S. George, An Awkward Partner, S. 250 ff.; auch K.D. Schwarz, Englands Probleme mit Europa, S. 43. 286 The Economist v. 25. September 1993, „Raise your Eyes, there is a Land Beyond“. 282 283

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Verflechtung zwischen europäischer Verteidigungspolitik und der NATO an.287 Die auffällige Ähnlichkeit zu Forderungen der früheren Premierministerin, wie sie etwa in der Brügge-Rede geäußert wurden, ist augenfällig und symptomatisch dafür, wie erneut nationale Zwänge einen europaoffenen Kurs einer britischen Regierung in die Schranken wiesen. Diese Entwicklung drängte das Königreich erneut aus der angestrebten Position „im Herzen Europa“ heraus. Die Zusicherung der Regierung an die Backbencher in der Fraktion, die Ratifikation des MaastrichtVertrages nicht vor Veröffentlichung des Ergebnisses des neueren dänischen Referendums zu beginnen288, sowie die knappe Mehrheit von gerade einmal 3 Stimmen im Unterhaus bei der Abstimmung über die erneute Vorlage des Ratification Bill erzeugten zunehmenden Unmut unter den anderen Mitgliedstaaten. Die Schwäche der britischen Regierung im nationalen Kontext wurde offenbar;289 die Ratifikation betreffend wurden Absprachen nicht eingehalten. Fortan bestimmte somit erneut die nationale Politik das Verhältnis Großbritanniens zur Europäischen Gemeinschaft und ihren Reformen. In den Fokus der Auseinandersetzung geriet so auch die bevorstehende EFTA-Erweiterung und die Ausweitung der qualifizierten Mehrheitsabstimmungen im Rat. Hier sah sich die Regierung schließlich unter dem Eindruck einer scheiternden Erweiterung gegenüber nationalem Druck aus den Reihen der Opposition und der eigenen „Europa-Skeptiker“ genötigt, einem Kompromiß zuzustimmen, der national jedoch als erneute Niederlage Majors gegenüber der EU verstanden wurde.290 Eine weitere folgte im Europawahlkampf 1994. Hier standen sich Regierung und Opposition mit entgegengesetzten Programmen gegenüber. Unter dem Motto „A Strong Britain in a Strong Europe“ begaben sich die Conservatives erneut in die Fußstapfen M. Thatchers, während auf Seiten von Labour für mehr Kooperation mit den Institutionen der EU geworben wurde. Das Ergebnis der Wahl fiel deutlich aus und bescherte der Regierung eine herbe Niederlage, in der die Conservatives fast die Hälfte ihrer Sitze im EP einbüßten (nunmehr 18 gegenüber 32 vorher). Bestrebt, den politischen Schaden zu begrenzen, zeigte sich Major in der im Juni 1994 folgenden Nominierung des Kommissionspräsidenten unnachgiebig und stellte sich gegen die Kandidatur J.L. Dehaenes, der die Nachfolge Delors antreten sollte. Als alleiniges Mitglied der EU unterstützte er vielmehr den britischen Kandidaten Brittan und gab zu erkennen, auch bei vollständiger Isolation Ebda. Die Ratifikation des Vertrages verzögerte sich schließlich bis in den Mai 1993 und wurde schließlich auch noch durch eine Klage in Frage gestellt, die die Verfassungsmäßigkeit des Vertrages anzweifelte. Im Rahmen des parlamentarischen Prozesses büßte die Regierung dabei eine herbe Niederlage ein, als ein Änderungsantrag der Labour-Fraktion über die Abstimmung des Sozial-Protokolls Erfolg hatte. Der Premier-Minister sah sich dadurch genötigt, durch die Vertrauensfrage eine Niederlage abzuwenden und die „Hinterbank-Rebellen“ wieder auf Kurs zu bringen; vgl. S. George, An Awkward Partner, S. 253 f. 289 K.D. Schwarz, Englands Probleme mit Europa, S. 43. 290 Näher S. George, An Awkward Partner, S. 258 f. 287 288

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in dieser Frage Dehaene keine Zustimmung zu geben. Begründet wurde dieses Vorgehen keinesfalls mit persönlichen Aversionen. Statt dessen wurde vorgebracht, der belgische Kandidat passe nicht in das britische Konzept der Deregulation; zudem wäre er nicht in dem bisher üblichen Verfahren wechselseitiger Konsultation vorgeschlagen sondern durch einen Alleingang der französischen und deutschen Regierung erkoren worden.291 Tatsächlich läßt sich wohl aber nicht übersehen, daß diese harte und unnachgiebige Haltung in den Reihen der EuropaSkeptiker bzw. der Backbencher unter den Conservatives auf Wohlwollen hoffen konnte.292 In seiner Rede in Leiden im September 1994 schließlich ging der Premier so weit, die europäische Integration in ihrer Homogenität in Frage zu stellen. Soweit Mitgliedstaaten gewillt und in der Lage wären, in der Integration weiter voran zu schreiten als andere, sollte ihnen dies ermöglicht werden. Dieses neue Prinzip, welches im Hinblick auf die Einheitswährung bereits praktiziert wurde, sollte jedoch von den Bereichen des Binnenmarktes, internationaler Verpflichtungen und des Umweltschutzes ausgenommen werden. Die Ausbildung eines Kerneuropas293 bzw. eines Europas konzentrischer Kreise294 lehnte er jedoch kategorisch ab.295 Im Vorfeld der Regierungskonferenz zur Revision des Maastricht-Vertrages legte die Regierung ihre Positionen in einem Weißbuch dar, nicht zuletzt wohl auch auf Druck der Euroskeptiker in den eigenen Reihen angesichts einer durch verlorene Nachwahlen deutlich geschrumpften Parlamentsmehrheit (von ursprünglich 21 auf 1 Sitz im April 1996).296 Föderalistischen Aspirationen in der EU sollte durch dieses Dokument eine Absage erteilt werden. So forderte die Regierung darin die weitere vertragliche Absicherung des Subsidiaritätsprinzips, Absicherungen gegen mißbräuchlichen Einsatz von Richtlinien, die Reduzierung der EURechtsakte, eine Stärkung der nationalen Parlamente sowie die Einschränkung der Befugnisse des EuGH297 und lehnte dagegen die Einführung der qualifizierten Mehrheit innerhalb der zweiten und dritten Säule der EU298 sowie die Integration 291 Mit dieser Haltung stand Großbritannien nicht allein, regte sich doch auch in Ländern wie den Niederlanden, Portugal und Spanien Unmut über die Art und Weise dieser deutschfranzösischen Kooperation. 292 Vgl. S. George, An Awkward Partner, S. 261. 293 W. Schäuble / K. Lamers, Reflexionen über die Europäische Politik; dazu auch der Namensartikel in: FAZ v. 4. Mai 1999, S. 10, „Europa braucht einen Verfassungsvertrag“. 294 E. Balladur in: Le Figaro v. 30 August 1994. 295 J. Major, Europe: A Future That Works. 296 Auffällig ist bereits der gewählte Titel, der schon in sich eine eindeutige Absage an eine „Ever closer Union“ enthält: A Partnership of Nations: The British Approach to the Europan Union Intergovernmental Conference 1996, London 1996, abgedruckt bei K.D. Schwarz, Englands Probleme mit Europa, S. 102 ff. Zum Meinungsspektrum unter den Conservatives vgl. K.D. Schwarz, Englands Probleme mit Europa, S. 45 f. 297 A Partnership of Nations, Nr. 20 ff. 298 A Partnership of Nations, Nr. 27, 38 ff., 48 ff.

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der WEU ab.299 Ohne auf die Gefahr einer Lähmung der EU einzugehen, proklamiert das Weißbuch die Notwendigkeit, am Einstimmigkeitsprinzip festzuhalten: There is no question of weakening this national safeguard at the IGC.300 Für die spätere Untersuchung ist die Betonung der Stärkung der nationalen Parlamente von Bedeutung301: Aufgrund der zunehmenden Bürgerferne – zurückzuführen auf eine geringe Wahlbeteiligung bei den Europawahlen und das im Vergleich zum nationalen Parlament ungünstige Zahlenverhältnis von Abgeordneten zu Bürgern – sollte nach Ansicht der Regierung die Rolle der nationalen Parlamente im EU-Entscheidungsprozeß gestärkt werden.302 Anstatt über eine Kontrolle in post-legislativer Tätigkeit, sollten diese nunmehr direkt in den Entscheidungsprozeß eingebunden werden, indem sie in die Lage versetzt würden, schon im Entwurfsstadium europäischer Rechtsetzung einzugreifen.303 Die Regierungskonferenz selbst verkomplizierte sich durch den Ausbruch der Rinderseuche BSE (Bovine Spongiform Encephalopathy) in Großbritannien und der Erklärung der Regierung, der Verzehr von verseuchtem Rindfleisch könnte unter gewissen Umständen im menschlichen Körper die Creutzfeld-Jakob-Krankheit hervorrufen.304 Im März 1996 erließ die Kommission ein generelles ExportVerbot für britisches Rindfleisch. Trotz fortgesetzter Maßnahmen zur Eindämmung der Krankheit wurde das Verbot nicht aufgehoben, was schließlich J. Major veranlaßte anzukündigen, keiner Maßnahme zuzustimmen, die Einstimmigkeit erfordere, bis das Verbot aufgehoben werde, sowie den Fortschritt in der Regierungs299 A Partnership of Nations, Nr. 43 ff. Insbesondere in Fragen der WEU bestanden große Differenzen zwischen der britischen und der französischen Haltung. Schwebte der britischen Seite die Idee vor, im Rahmen der WEU gemeinsame Missionen über die NATO-Infrastruktur durchzuführen, standen dem deutsch-französische Pläne eines „Euro-Korps“ gegenüber, welchem etwa Frankreich in Person A. Lamassoures ein europäisches Außenministerium zur Seite stellen wollte. Insbesondere die Erfahrungen mit dem sich zersetzenden Jugoslawien führten jedoch zu einer Reduzierung dieser Forderungen. Keinesfalls sollten französische Truppen unter die Befehlsgewalt überstaatlicher europäischer Institutionen gestellt werden. Mit dem Regierungswechsel in Frankreich verband sich u. a. auch ein Wechsel der französischen Position im Hinblick auf die NATO. Trat noch Mitterand vehement für eine von der NATO unabhängige Entwicklung europäischer Verteidigungskapazität ein, sprach sich Chirac für eine zunehmende Re-Integration Frankreichs in die Kommandostruktur der NATO aus. Begleitet von britischer Unterstützung für die französische Entscheidung, Atomwaffentests im Pazifik durchzuführen, verbesserte sich das britisch-französische Verhältnis. Zum Ganzen S. George, An Awkward Partner, S. 267 f. 300 A Partnership of Nations, Nr. 22. 301 Dieses Ziel verfolgte auch die Regierung Blair im Umfeld der Arbeiten des Konvents zur Zukunft Europa; dazu später mehr in Teil 3 unter E.I.5. 302 Bereits seit den 80er Jahren beschäftigen sich zwei Ausschüsse im Parlament mit europäischen Themen: The Select Committee on European Legislation und The Lords Select Committee on the European Communities. Dazu später auch in Teil 3 unter E.I.2. 303 A Partnership of Nations, Nr. 33 ff. 304 Vgl. z. B. The Times v. 6. Juli 1990, „Doctors ,fail to diagnose‘ diseases linked to BSE“.

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konferenz nicht weiter voranzutreiben.305 Im Juni 1996 wurde auf der Konferenz in Florenz der Konflikt beigelegt, hinterließ jedoch ein weiter beschädigtes Ansehen des britischen Premiers bei den europäischen Partnern, verstärkte dafür aber auf der anderen Seite zunehmend den Druck der Europa-Skeptiker in den eigenen Reihen.306 Der Wahlkampf zu den Unterhauswahlen 1997 wurde entgegen Bestrebungen aus den Reihen der Europa-Skeptiker nicht im europäischen Kontext geführt. Vorherrschend wurden vielmehr Anschuldigungen an konservative MPs laut, parlamentarische Fragen gegen Bezahlung gestellt zu haben. Auch die sich zunehmend verschlechternden Umfragen konnten den Premier hier nicht zu einem Umsteuern bewegen, zumal auch die Opposition auf diesem Gebiet in nur wenigen Punkten von der Regierungslinie abwich.307 Mit einem überwältigenden Sieg konnte Labour unter der Führung T. Blairs die Wahl schließlich für sich entscheiden.

VII. Europapolitik im Zeichen von „New Labour“ – die Regierung T. Blair Der Regierungswechsel 1996 brachte eine neue Annäherung an den europäischen Kontinent mit sich. Erklärtes Ziel der Regierung Blair war, in Europa im Konzert der „großen drei“ Frankreich, Deutschland und Großbritannien, wieder gestaltend mitzuwirken, anstatt sich durch Maximalforderungen ins Abseits zu manövrieren.308 Einer Haltung, die zwischen einem pro-europäischen und einem pro-amerikanischen Kurs unterscheiden will, setzt die Regierung auch in diesem Bereich einen „dritten“ Weg entgegen, der beides miteinander vereinbaren soll. HC-Deb., 6. Serie 278 (21. Mai 1996), Sp. 99 – 100 und 103. S. George, An Awkward Partner, S. 271. 307 Vgl. The Future of the European Union. Report on Labour’s position on preparation for the Intergovernmental Conference 1996, Labour, Conference 95, abgedruckt bei K.D. Schwarz, Englands Probleme mit Europa, S. 146 ff. Die Partei spricht sich dort vehement gegen ein föderales Europa aus, befürwortet eine strengere Implementierung des Subsidiaritätsprinzips, eine Stärkung der nationalen Parlamente und hält im Bereich der Verteidigung an einem Bekenntnis zur NATO fest. Bemerkenswerte Unterschiede ergeben sich dagegen – erwartungsgemäß – im Bereich der Sozial-Charta. 308 Vgl. A. Volle, Der mühsame Weg Großbritanniens nach Europa, S. 470. Deutlich dazu der Artikel T. Blairs in der FAZ v. 30. Juni 1998: „ [ . . . ] haben sich Großbritanniens Beziehungen zur Europäischen Union seit der Wahl im Mai vorigen Jahres verändert. Die Zeiten, in denen man sich 14:1 gegenüberstand, sind vorüber. [ . . . ] Es mag ungewöhnlich erscheinen, eine Verbesserung unserer Beziehungen zur EU als Errungenschaften des Ratsvorsitzes zu verbuchen. Aber wer die oft unerquicklichen Auseinandersetzungen der letzten 20 Jahre verfolgt hat, wird das ohne große Erklärung verstehen. Ich bin überzeugt, daß wir Europa jetzt etwas mehr bieten können. Der Ratsvorsitz hat unterstrichen, daß eine andere politische Generation in Großbritannien die Macht übernommen hat, eine Generation, die keinen Widerspruch zwischen einem konstruktiven Engagement in Europa und der Förderung nationaler Interessen sieht.“ 305 306

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2. Teil: Das Vereinigte Königreich in Europa

Ohne die besonderen transatlantischen Beziehungen aufzugeben, will sich die neue Regierung in Europa plazieren: „Viel zu lange hat die britische Ambivalenz gegenüber Europa uns in Europa bedeutungslos gemacht und infolgedessen weniger wichtig für die Vereinigten Staaten. Wir haben uns schließlich von der falschen Vorstellung getrennt, daß wir zwischen zwei divergierenden Wegen wählen müßten – der transatlantischen Beziehung oder Europa.“309

Einen innerparteilichen Kurswechsel vollzog das sog. Schröder-Blair-Papier vom 8. Juni 1999.310 In diesem bekennen sich die beiden Regierungschefs in klarer Sprache zur Marktwirtschaft, in der die Märkte frei von staatlicher Behinderung – wohl aber unter staatlicher Einflußnahme – die zentrale Steuerungsfunktion einnehmen. In harter Selbstkritik wird eine Abkehr von überkommenen klassischen sozialdemokratischen Mitteln und Instrumenten propagiert. So dürfe etwa Gerechtigkeit nicht mit Gleichheit verwechselt werden. Insbesondere ruft das Papier aber auch – unter Einbeziehung anderer europäischer Staaten – zu einem stärkeren deutsch-britischen Erfahrungsaustausch auf und bemüht sich damit um eine Aussöhnung der beiden Staaten, deren Beziehungen zueinander noch unter J. Major größeren Spannungen unterworfen waren.311 Emsig bemühte man sich, die Befürwortung der Osterweiterung nicht als eine willkommene Verwässerung der EU darzustellen, sondern als „bewegende Herausforderung für das nächste Jahrhundert“.312 Jedoch mußten sich alle Stimmen enttäuscht sehen, die nunmehr einen vollständigen Kurswechsel in der britischen Europapolitik erwartet hätten.313 Zwar hatte sich die Partei in der Opposition von einer fundamentalen EuropaGegnerschaft entfernt und wurde unter der Führung T. Blairs aus den ideologischen Zwängen herausgeführt.314 In der Sache verband sich mit den Ideen von New Labour unter T. Blair aber keinesfalls eine vollständige Öffnung in die EU. Im Verlauf der Verhandlungen des Amsterdamer Gipfels (1997) wurde deutlich, wie sehr sich der Regierungswechsel mehr auf das Verhandlungsklima als auf Verhandlungspositionen der britischen Seite auswirkte. Im Gegensatz zu der „alles-odernichts“-Taktik der Conservatives zeigte sich New Labour kooperativ und gewillt, konstruktiv mitzuarbeiten. Im Ergebnis erwiesen sich die britischen Verhandlungsführer dann aber doch als „knochenhart“,315 so daß insbesondere durch britischen 309 Rede des britischen Premiers vor dem Economic Club in Chicago v. 22. April 1999, abgedruckt in deutscher Übersetzung in: Internationale Politik 9 / 1999, S. 74 ff. (75 f.). 310 In Ausschnitten abgedruckt in deutscher Übersetzung in: Internationale Politik 8 / 1999, S. 86 ff. 311 Dazu oben im vorigen Abschnitt. 312 R. Cook, in: FAZ v. 16. Juni 1997, „Die Beschäftigung muß Vorrang haben“. 313 Ein Überblick über die Positionen zur Europapolitik New Labours findet sich bei M. Jachtenfuchs, Die Konstruktion Europas, S. 145 ff. 314 Dazu deutlich die Erklärung im „Schröder-Blair-Papier“, abgedruckt in: Internationale Politik, 8 / 1999, S. 86 ff. (86 f.).

B. Britische Europapolitik im geschichtlichen Kontext

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Widerstand die Ergebnisse bescheiden ausfielen. Zwar gelang es, dem EP durch eine Ausweitung des Mitentscheidungsverfahrens (Art. 251 EGV) weitere Befugnisse zu gewähren, auch wurde zugesichert, zu den nächsten Wahlen zum EP das Verhältniswahlrecht in Großbritannien einzuführen. Das – schon im Wahlkampf – erklärte Ziel der Unterzeichnung des Sozialprotokolls wurde eingelöst und zusammen mit der französischen Regierung unter L. Jospin ein Beschäftigungskapitel in den Vertrag von Amsterdam eingefügt.316 Im Bereich der Ausweitung des Mehrheitsprinzips ging der britische Premier sogar über deutsche Forderungen hinaus, indem Bereiche wie etwa Umwelt, Forschung und Soziales hierin eingeschlossen sein sollten. Für den Bereich der GASP beharrte Großbritannien weiterhin auf dem Einstimmigkeitsprinzip und stellte sich ebenfalls einer Verschmelzung von WEU und EU entgegen, um einer möglichen Schwächung der NATO im Vorhinein zu begegnen. Allerdings war man zu Zugeständnissen bereit und reduzierte das Vetorecht auf „vital issues“. Im Hinblick auf eine gemeinsame Währung zeigte sich die neue Regierung offener, indem sie durch die Übertragung der alleinigen Verantwortung für die Gestaltung der Zinspolitik auf die britische Zentralbank (Bank of England) eine der Voraussetzungen für einen Beitritt des Landes zur Euro-Zone geschaffen hatte. Auch die Verhandlungsführung in der Zeit der britischen Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 1998 hinterließ einen positiven Eindruck, als an dem Fahrplan zur dritten Stufe der Währungsunion festgehalten wurde, wenngleich ohne britische Beteiligung.317 In der Sache nämlich blieb sie ebenso unnachgiebig wie ihre Vorgänger. Allein die Rhetorik änderte sich: statt einen Beitritt kategorisch auszuschließen, wurde er nunmehr an gewisse Bedingungen geknüpft, die sich die Regierung vorbehielt, als erfüllt anzusehen.318 Im Kern wird auch hier eine weitere Integration von nationalen Interessen abhängig gemacht. Zwar soll dies nicht aus politischer Motivation heraus verfolgt werden, eine nationale Interessenorientierung ist es 315

FAZ v. 20. Mai 1997, „Uneinigkeit vor dem europäischen Sondergipfel in Noord-

wijk“. 316 Überhaupt lag hierin wohl der größte Unterschied zur vorherigen Regierung der Conservatives. Europa wurde nunmehr verstanden als Mittel, umfassende Reformen im sozialen Bereich durchzuführen. In diesen Kontext reiht sich daher auch die britisch-spanische Initiative für einen europäischen Sozialgipfel ein, der in Form eines Sondergipfels über Wirtschaftsreformen in Lissabon im März 2000 Wirklichkeit wurde. Hierzu die Rede des britischen Premiers vor dem Unterhaus v. 27. März 2003, abgedruckt in deutscher Übersetzung in: Internationale Politik 6 / 2000, Dokumente, S. 111. 317 H. Kastendiek / K. Rohe / A. Volle, Länderbericht Großbritannien, S. 472. 318 Dies sind a) die Kompatibilität von Wirtschafts- und Finanzkreisen mit denen in der Euro-Zone, um unter zentral-europäisch gesetzten Zinsraten leben zu können, b) eine ausreichende Flexibilität, auf Probleme reagieren zu können, c) die Schaffung besserer Bedingungen für Firmen, die in Großbritannien investieren wollen, d) die Schaffung keinerlei Nachteile für die „City of London“ und e) die Schaffung von mehr Wachstum, Stabilität und Arbeitsplätzen durch Einführung des EURO. Dazu The Guardian v. 29. September 2000, „The Five Tests“, Im Internet: http: //www.guardian.co.uk/euro/story/0,11306,607400,00. html.

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2. Teil: Das Vereinigte Königreich in Europa

dennoch, wird eine Zustimmung doch davon abhängig gemacht, wie weit sie dem wirtschaftlichen Interesse des Landes förderlich ist. Ähnlich verhält es sich mit der Zielvorstellung der Union. Jede Regierung hatte in der Vergangenheit den intergouvernementalistischen Ansatz betont; T. Blair machte hiervon keine Ausnahme, wenngleich mit deutlichem Abstand zu Forderungen aus den Reihe der Conservatives, die EU auf den reinen Binnenmarkt zu reduzieren.319 So wurde auf dem EU-Gipfel in Cardiff (Juni 1998) zum Abschluß der britischen Ratspräsidentschaft etwa zugestanden, politische Reformen voranzutreiben und einer größeren Bürgernähe der EU zuzuarbeiten.320 Einem europäischen Superstaat wurde jedoch eine klare und eindeutige Absage erteilt: „Europe is a Europe of free, independent sovereign nations, who choose to pool that sovereignty in pursuit of their own interests and the common good, achieving more together than alone. The EU will remain a unique combination of the inter-governmental and the supranational. Such a Europe can, in its economic and political strength, be a superpower; a superpower, but not a superstate.“321

Beinahe wohl folgerichtig beharrte daher auch die neue Regierung auf einer Absicherung des Subsidiaritätsprinzips, welches noch auf Betreiben der Vorgängerregierung in den Vertrag von Maastricht mit aufgenommen worden war. Durch eine Mitwirkung der nationalen Parlamente auf europäischer Ebene sollte es auch institutionell abgesichert werden. Zwar wurden Forderungen nach einer Art „Zweite Kammer“ zum EP dementiert, jedoch an einem eigenen Organ der Repräsentanten der nationalen Parlamente festgehalten.322 Erklärte Ziele waren „effizientere und transparentere Institutionen, eine Reform veralteter Politiken und die energische Bekämpfung von Verschwendung und Betrug“.323 Diese Effizienz wird allerdings auch auf die EU selbst ausgedehnt. Ähnlich wie schon M. Thatcher zuvor, richtete sich das Augenmerk auf einen sparsamen und effizienten Umgang mit EU-Mitteln: „There is no pot of Gold in Brussels“.324 Einhergehend damit wurde auch eine grundlegende Reform der GAP angestrebt – nicht zuletzt durch die Osterweiterung motiviert. Die Krise im Kosovo (1999) führte den europäischen Partnern die Unzulänglichkeiten einer gemeinsamen europäischen Verteidigungspolitik vor Augen. Vor den 319 Vgl. etwa die Rede T. Blairs in Warschau am 6. Oktober 2000, abgedruckt in: M. Rosenbaum (Hrsg.), Britain and Europe, S. 189 ff. 320 Vgl. Abs. 27 ff. und 37 ff. der Schlußfolgerungen des Rates der Europäischen Union, abgedruckt in: Internationale Politik 9 / 1998, S. 91 ff. (94 ff.). 321 Rede des britischen Premiers T. Blair in Warschau v. 6. Oktober 2000, abgedruckt in Auszügen in: M. Rosenbaum (Hrsg.), Britain and Europe, S. 189 ff. (191). 322 Vgl. Interview des britischen Außenministers R. Cook v. 13. 8. 1998, abgedruckt in: Internationale Politik 9 / 1998, S. 122 ff. 323 Schröder-Blair-Papier, abgedruckt in: Internationale Politik 8 / 1999, S. 86 ff. (91). 324 So etwa der britische Staatsminister für Auswärtiges und Commonwealth-Angelegenheiten D. Henderson in: The British Presidency of the EU and British European Policy, Diskussionspapier C7 1998 des ZEI, im Internet: http: / / www.zei.de.

B. Britische Europapolitik im geschichtlichen Kontext

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Toren der EU spielte sich ein menschenunwürdiges Szenario ab, zu dessen Lösung sich keine gemeinsame europäische Linie finden ließ. Es bedurfte einmal mehr der Hilfe aus Übersee, um das Regime des Diktators Milosevic zu beenden. Als Konsequenz auf diese Vorgänge folgte ein verstärktes Bemühen um eine gemeinsame Verteidigungspolitik. Abermals stellte sich für die Partner in der EU die Frage einer stärkeren Kooperation bzw. gar einer Einbindung der WEU in die EU. Wieder stand die EU vor der Frage der Stärkung der eigenen militärischen Zusammenarbeit. Seit jeher unterschieden sich hier die Positionen Frankreichs und Großbritanniens deutlich: Dieses trat für eine stärkere europäische Verteidigung, losgelöst von dem transatlantischen Bündnis ein, jenes überprüfte kritisch jedweden Fortschritt auf dem Wege der militärischen Integration darauf, inwiefern er das NATOBündnis schwächen oder in Frage stellen würde.325 Eine stufenweise Integration der WEU in die EU war 1996 auf der NATO-Ministerratstagung in Berlin geschaffen worden,326 scheiterte dann aber an britischem Widerstand auf der Amsterdamer Konferenz 1997. Gemeinsam mit dem französischen Regierungschef J. Chirac wurde in St. Malo im Dezember 1998 der Wunsch geäußert, der europäische Rat möge „den schrittweisen Ausbau einer gemeinsamen Verteidigungspolitik im Rahmen der GASP beschließen“ und signalisierte damit eine Abkehr von der bisherigen starren britischen Haltung.327 Der britische Verteidigungsminister G. Robertson betonte allerdings die Bedeutung der NATO für die Territorialverteidigung, deren Grundstein sie bleiben müsse. Auf der anderen Seite warnte er trotz Gelegenheiten, „bei denen das Bündnis als ganzes nicht engagiert ist und es relevant ist, als Europäer zu handeln“, vor einer Duplizierung der Potentiale der NATO. Auffallend an der Rede ist jedoch wiederum eine sehr pragmatische Herangehensweise an den Reformprozeß, die bereits früheren britischen Regierungen zu eigen gewesen ist: „Ich bin daher besonders erfreut, daß die Diskussionen im großen und ganzen die enge und sterile Institutionendebatte vermieden haben, die so oft dieses Thema dominiert hat. Ein institutionelles Herumdoktern wird nur wenig lösen, und die Debatte hat sich auf die wirklichen Probleme konzentriert. Es ist der politische Wille, zusammen mit Handlungsfähigkeit, der zählt, und nicht so sehr die Art und Weise, wie sie miteinander verbunden sind. Zu einer Krise kann man kein Organigramm schicken.“328

In der Aufstellung einer 60.000 Mann starken schnellen Eingreiftruppe, beschlossen auf dem Gipfel von Helsinki im Dezember 1999, fand diese Reform vorerst ein Ende. Vgl. hierzu die Ausführungen in den vorigen Abschnitten. Vereinbart wurden Einsätze, die nicht unter Art. 5 NATO-Vertrag fallen und die von einer Staatengruppe durchgeführt werden können, die nicht alle EU-Mitglieder umfaßt; vgl. Internationale Politik 10 / 1996, S. 87 ff. (89 f.). 327 Vgl. Internationale Politik 2 – 3 / 1999, S. 127. 328 Rede des britischen Verteidigungsministers G. Robertson, zum fünfzigjährigen Bestehen des Atlantischen Bündnisses am 10. März 1999 vor dem Royal United Services Institute in London, abgedruckt in deutscher Übersetzung in: Internationale Politik 10 / 1999, S. 88 ff. (90). 325 326

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2. Teil: Das Vereinigte Königreich in Europa

Mit den heranrückenden Parlamentswahlen verband sich jedoch abermals eine gewisse Ernüchterung auf dem Kontinent über das britische Engagement im europäischen Reformprozeß.329 Durch den Eintritt der „EURO-Staaten“ in die dritte Stufe der EWU mit der Einführung des „EURO“ als offizieller Währung 1999 und ab 2002 auch als offiziellem Zahlungsmittel stellte sich für die britische Seite erneut die Frage nach einem Beitritt.330 Von einem Referendum über die Einführung des EURO in Großbritannien, wie es noch von Blair zuvor gefordert worden war, vernahm die Öffentlichkeit nichts mehr. Einmal mehr sollte diese Entscheidung auf die Zeit nach den Parlamentswahlen verschoben werden und die Erfüllung der fünf Kriterien abgewartet werden. Die Vorbereitungen zur Konferenz von Nizza im Dezember 2000, auf der die sog. „Left-Overs“ von Amsterdam sowie der Status der Grundrechtecharta geklärt werden sollten, standen unter dem Schatten der „Causa Österreich“331 mit der Beschlußfassung, keine bilateralen Treffen mit der österreichischen Seite mehr zu vereinbaren. Die Rede des deutschen Außenministers J. Fischer an der HumboldtUniversität in Berlin über „Die Finalität der europäischen Integration“, provozierte gerade in Großbritannien Widerspruch.332 Die weitgehend europakritisch bis feindlich eingestellte Regenbogen-Presse (sog. „Tabloids“) übte gepaart mit der ohnehin von Europa-Skeptikern dominierten Opposition zunehmend Druck auf den britischen Premier aus, der sich unversehens dazu gedrängt sehen mußte, seinen Vorgängern gleich die nationale Trumpfkarte in den Verhandlungen auszuspielen. Unter diesem Eindruck stellte der Premier „sein“ Modell Europas vor. Bevor irgendein Reformprozeß in Gang gesetzt werden könne, müsse sich Europa über seine Ziele klar werden; dieses aber nur im Rahmen der Vorstellungen seiner Bürger. Dem Modell der Conservatives von einem Europa als Freihandelszone, setzte er das Europa eines Superstaates gegenüber. Beide Versionen würden dem Urteil des Bürgers nicht gerecht und seien daher zu verwerfen. Die Vorstellung einer einfachen Freihandelszone scheitere an der Notwendigkeit zunehmender Koordination der Wirtschaftspolitiken angesichts der zunehmenden Dominierung der Welt durch politische Machtblöcke. Aber auch der Superstaat verfehle das Ziel einer realistischen Vision: „Ein Thema in Europa ist die demokratische Legitimation – das sogenannte Demokratiedefizit. Aber wir können Stunden damit verbringen, eine perfekte Form europäischer Demokratie zu konzipieren, ohne zu einem befriedigenden Ergebnis zu gelangen. Tatsache Vgl. dazu etwa S. Goulard, Die Quadratur des Dreiecks, S. 25 f. Außer Großbritannien blieb auch Dänemark gestützt auf eine „opt-out“-Klausel dem Unternehmen fern; Schweden verzichtete auf eine Teilnahme, indem die notwendigen Reformen des Zentralbankwesens unterlassen wurden. Dazu bereits schon in Teil 1 unter A.I.2.b). 331 P. Häberle, VVdStRL 60, S. 404. 332 Dazu die Reaktion von Seiten der Conservatives (F. Maude): „Joschka Fischer has spectacularly blown the lid off Europe’s superstate agenda“, vgl. The Guardian v. 13. 5. 2000, „Berlin minister’s federal EU vision“ und v. 7. 7. 2000, „Vision of US-style president stirs up Europe debate“. 329 330

B. Britische Europapolitik im geschichtlichen Kontext

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ist, daß die primären Quellen demokratischer Legitimation in Europa die direkt gewählten und repräsentativen Institutionen der Nationen Europas sind – die nationalen Parlamente und Regierungen. [ . . . ] Die EU wird eine einmalige Kombination aus Intergouvernementalem und Supranationalem bleiben.“333

Anstelle eines einheitlichen Verfassungsdokumentes (dazu mehr noch im folgenden) solle eine politische Erklärung die Abgrenzung nationaler und europäischer Kompetenzen verdeutlichen. Zur Durchsetzung müsse ein neues Organ, bestehend aus Vertretern der nationalen Parlamente, berufen sein. Könne eine nationale formelle Verfassung durch ein Verfassungsgericht überprüft werden,334 müsse dies auf europäischer Ebene, auf der es diese nicht gibt, eine solche „Zweite Kammer“ des EP tun.335 Einer verstärkten Zusammenarbeit, die über den Vertrag von Amsterdam unter strengen Voraussetzungen eingeführt worden war und über deren Vereinfachung bzw. Ausweitung in Nizza neu verhandelt werden sollte, sprach T. Blair grundsätzlich seine Unterstützung nicht ab. Jedoch beharrte er deutlich auf der Verhinderung eines „Kerneuropas“ oder gar eines „Mehrklassen-Europas“. Einer Ausdehnung oder Flexibilisierung der bestehenden, in Amsterdam eingeführten Regelungen, erteilte die Regierung daher auch eine Absage, nicht zuletzt aus der Argumentation heraus, daß die gerade erst eingeführten Regelungen noch nicht zur Anwendung gekommen waren.336 Die Konferenz von Nizza im Dezember 2000 schließlich bewegte den britischen Premier dazu, in Reformfragen in die Offensive zu gehen. Gegen die französische Präsidentschaft gewandt, plädierte er für mehr effizientere Entscheidungsfindung und für ein Ende des „travelling circus“.337 Gleich einer nationalen Regierung müsse der Rat ein Jahresprogramm aufstellen und in den für die europäische Politik zentralen Fragen die Ziele und Ideen formulieren. Durch die Einbindung des Kommissionspräsidenten in den Rat solle dabei dem Vorwurf begegnet werden, mit dieser Politik könne die Rolle der Kommission als „Motor der Integration“ untergraben werden.338 Wie jedes andere Land – Frankreich als den Vorsitz führen333 Rede des britischen Premierministers T. Blair in der Warschauer Börse v. 6. Oktober 2000, abgedruckt in Auszügen in deutscher Übersetzung in: Internationale Politik 2001, Band 1, Heft 2 S. 73 ff.(76). 334 Hier ergibt sich eine interessante Parallele zu den Plänen einer nationalen Verfassungsreform, durch die u. a. auch ein Verfassungsgericht eingerichtet werden soll. Hierzu näher A. le Sueur, Comment: New Labour’s next (surprisingly quick) step in constitutional reform). 335 Rede des britischen Premierministers T. Blair in der Warschauer Börse v. 6. Oktober 2000, abgedruckt in Auszügen in deutscher Übersetzung in: Internationale Politik 2001, Band 1, Heft 2 S. 73 ff. (78 f.). 336 Vgl. das Weißbuch der Regierung (Cm. 4595) v. Februar 2000, IGC: Reform for Enlargement, S. 25; im Internet: http: //www.fco.gov.uk. 337 Vgl. The Independent v.12. 12. 2000, „Blair calls for change after Nice ,circus‘“. 338 So bereits auch schon die Forderungen in seiner Rede in Warschau, abgedruckt in: Internationale Politik 2001, S. 73 ff. (78).

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2. Teil: Das Vereinigte Königreich in Europa

des Land eingeschlossen – versuchte aber auch die britische Regierung, die aus einem nationalen Blickwinkel betrachtet besten Entscheidungen zu erreichen.339 Dem Premier wurde von der Opposition vorgeworfen, über die Zustimmung zu einer Ausweitung des Mehrheitsprinzips sowie die Einführung eines „Euro-Korps“ und der Grundrechtecharta einen europäischen Superstaat auf Raten herbeizuführen. Andererseits konnten ihm aus britischer Sicht auf der Habenseite der Stimmenzuwachs im Ministerrat (von vorher 10 auf nunmehr 29), die Beibehaltung des Veto-Rechts in den Bereichen der Steuer- und Sozialpolitik, gegenüber der Ausweitung des Mehrheitsprinzips für Industriepolitik und das Dienstleistungsgewerbe zugute gehalten werden.340 Gestärkt durch den Wahlsieg von 2001 trat die Regierung in den Post-Nizza-Prozeß ein, mit einem europapolitischen Wechsel war der Sieg jedoch nicht verbunden. Die Regierung hielt weiterhin an ihrer intergouvernemental-souveränitätswahrenden Haltung fest. Blair stand damit immer noch für ein Europa als „Supermacht aber nicht Superstaat“. Das Kabinett strebte eine Stärkung der Rolle der nationalen Parlamente und Regierungen unter Schwächung der Rolle der Kommission und EP an. In den Bereichen Kriminalitätsbekämpfung, Außen- und Verteidigungspolitik sollte die intergouvernementale Säulenstruktur beibehalten werden. Statt eines vereinfachten Einzeldokumentes – etwa in Form einer Verfassung für Europa – sollten die bestehenden Verträge vereinfacht werden.341

VIII. Zusammenfassung: Gründe für das besondere Verhältnis Großbritanniens zur Europäischen Union Insgesamt kristallisieren sich mehrere Punkte heraus, vor deren Hintergrund allein britische Europapolitik verstanden werden kann. Das – im Vergleich zum Kontinent – besondere politische System starker parlamentarischer Mehrheiten der Regierungen versetzt den Premier in die Lage, ohne langwierige oder komplizierte Verhandlungen die Tagespolitik zu bestimmen. Die meisten Regierungen der kontinentalen Mitgliedstaaten sind dagegen auf Verhandlungen mit Koalitionspartnern angewiesen. In dieser „Tradition“ war es somit den kontinentalen Staaten ein leichtes, sich an den Verhandlungsprozeß im Rat zu gewöhnen und die besondere politische Kultur des Gebens und Nehmens zu entwickeln. Die britischen Premierminister waren nur rudimentär an diese Kultur gewöhnt und mußten sich schwer tun mit der europäischen Methode. Hinzu kam eine eklatante Schwäche, nationale Interessen in europakonformer bzw. auf Europa bezogen 339 340 341

Vgl. auch D. Kyaw, Weichenstellungen des EU-Gipfels von Nizza, S. 6. The Independent v. 12. Dezember 2000. Vgl. B. Neuss, Die Krise als Durchbruch, S. 14 f.

B. Britische Europapolitik im geschichtlichen Kontext

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politisch korrekter Weise zu äußern. M. Thatcher offenbarte diese Schwächen par excellence. Erst später, nachdem ein gewisser Lernprozeß eingesetzt hatte, konnte Großbritannien auch auf diesem Gebiet punkten und rückte enger in die Staatengemeinschaft auf.342 Ein weiteres Problem ergibt sich aus der global orientierten britischen Haltung, die nur selten den Blick auf das europäische Festland richtete, gepaart mit einer instinktiven Kooperation mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Viele Bürger sind in einer Zeit aufgewachsen, in dem der Commonwealth wie selbstverständlich ihr Leben prägte. Der weitaus überwiegende Teil der Einwanderer seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs stammt aus diesen Ländern. So bestehen noch heute viele verwandtschaftliche Beziehungen in Länder des Commonwealth – mehr als zu solchen der EU.343 Gleichzeitig schien jeder Versuch, die EU in föderale Bahnen zu lenken, als ein Versuch, die US-Hegemonie in der kapitalistischen Welt anzugreifen und den europäischen Binnenmarkt in protektionistischer Weise gegen den Rest der Welt abzuschotten.344 Mit der Abwendung Amerikas von europäischen Belangen nach dem Ende des kalten Kriegs in den 90ern erhielt diese britische Haltung keinerlei Unterstützung von amerikanischer Seite mehr, so daß sich auch J. Major stärker dem Kontinent zuwenden konnte, als es noch seine Vorgängerin tat.345 Schließlich sind nationale Einstellungen und europäische Politik für britische Regierungen nur schwer miteinander zu vereinbaren. Aufgrund der Erfahrungen im Empire und Zweiten Weltkrieg, die zu Beginn der Mitgliedschaft noch viele Briten teilten, hatten es Premiers nicht immer leicht, das Land nach Europa zu öffnen. Erst jetzt, da der überwiegende Teil der Wählerschaft keine eigenen Erinnerungen hieran hat und für den die Mitgliedschaft in der EU zum normalen Alltag gehört, scheint sich auch das Verhältnis des Landes insgesamt zur EU zu entspannen.346 Überdies ergaben sich wirtschaftliche Schwierigkeiten in dem Anpassungsprozeß an die EG, der nach dem Beitritt 1973 folgte. So stellte sich die GAP von jeher als ein zentrales Problem für britische Regierungen dar. Für den „ewigen“ Vorwurf des Demokratiedefizits in der EU muß das britische Demokratieverständnis beachtet werden. Hier folgt die demokratische Kultur Großbritanniens im Prinzip dem Modell des Westminster-Parlaments. Im Gegensatz zur nationalen finden sich auf europäischer Ebene keine direkt dem Volk verantwortlichen Repräsentanten mehr. Nach britischem Verständnis sind jedoch S. George, An Awkward Partner, S. 278. Zum Commonwealth und dem Einwanderungsproblem s. F. Ansprennger, Erbe des Empire, S. 405 ff.; vgl. auch J. Schwarz, Englands Probleme mit Europa, S. 32 ff. 344 S. George, An Awkward Partner, S. 280. 345 Ähnlich vor ihm bereits die Regierung unter E. Heath in den 70ern. 346 Vgl. auch S. George, An Awkward Partner, S. 276. 342 343

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2. Teil: Das Vereinigte Königreich in Europa

Verantwortlichkeit und demokratische Rechenschaft für die Demokratie fundamental (s. o.). Kommission und Ministerrat sind aber nicht direkt gewählt und dem Bürger auch nicht verantwortlich.

Dritter Teil

Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit aus britischer Sicht1 Der Verfassungsentwurf des Konvents zur Zukunft der Europäischen Union wirft in vielen Bereichen Aspekte auf, die aus einem britischen Blickwinkel als problematisch bis unüberwindbar erscheinen mögen. Der Bericht des House of Lords Select Committee on the Constitution nennt allein 15 Punkte, in denen sich Probleme in der Vereinbarkeit mit der britischen Verfassung ergeben können.2 Neben verfassungsrechtliche treten zusätzlich politische Bedenken, etwa im Bereich einer europäischen Verteidigungspolitik. Allem voran stellt sich bereits die prinzipielle Frage nach einer europäischen Verfassung als solcher.3 Insgesamt wurde der Entwurf des Konvents von britischer Seite aber als positiver Ausgangspunkt für die sich anschließenden Verhandlungen in der Regierungskonferenz bezeichnet: „The Convention outcome was a good result for the UK, reflecting the active and constructive role we took. The Government will seek to build on this in the IGC.“4

Grundprinzip der britischen Position im Reformprozeß war dabei immer wieder die Heranführung der EU an ihre Bürger. Angesichts von Umfragewerten, auch 1 Sofern im folgenden Abschnitt „britische“ Ansichten von offizieller Seite dargestellt werden, beziehen sich diese Ausführungen lediglich auf die Position der Regierung Blair, soweit nicht ausdrücklich auf Nichtregierungskreise verwiesen wird. Eine umfassende Würdigung unter Berücksichtigung aller Strömungen im politischen Spektrum würde hier den Rahmen der Arbeit sprengen. Die Einschätzung des Verfassers beruht daher auf solchen Positionen, die für diese Regierung akzeptabel erschienen. Der Erfolg der Verfassung in Großbritannien wird aber letzten Endes vom Ausgang des angekündigten Referendums abhängen (dazu später mehr); die Auffassungen der Regierung müssen daher nicht für den endgültigen Ausgang entscheidend sein. 2 House of Lords Select Committee on the Constitution, 9th Report (The Future of Europe: Constitutional Treaty – Draft Articles 1 – 16), HL 168 (2002 – 03), S. 7 f. 3 Die folgende Diskussion orientiert sich an solchen Aspekten, die im Gegensatz zur vorigen Fassung der Verträge aus britischer Sicht Probleme aufwerfen mögen. Eine vollständige Analyse und Diskussion des Verfassungsentwurfs wird dagegen nicht stattfinden. Vgl. hier dann W. Obwexer, Der Entwurf eines Verfassungsvertrages für Europa, M. Dougan, The Convention’s Draft Constitutional Treaty, sowie J. Schwarze (Hrsg.), Der Verfassungsentwurf des europäischen Konvents, Verfassungsrechtliche Grundstrukturen und wirtschaftsverfassungsrechtliches Konzept, Baden-Baden, 2004. 4 Weißbuch „A Constitutional Treaty for the EU“ (Cm 5934), para. 41.

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

gerade im britischen Königreich, ist dies eine dringende Fragestellung, die sich wohl nicht zuletzt auf das Problem der demokratischen Legitimation der EU zurückführen läßt.5

A. Die demokratische Legitimation in der EU Als Wirtschaftsgemeinschaft geplant, entwickelte die EU im Laufe der Zeit ein Eigenleben, in dem die anfangs supranationale Gemeinschaft immer mehr Kompetenzen erfuhr und sich auf diese Weise stark einem Staatengebilde annäherte. Es ist diese Entwicklung, der die Union Maastrichter und heutiger Prägung ihre Eigenheit verdankt, aufgrund derer sich die Wissenschaft so schwer tut, eine eindeutige Kategorisierung vorzunehmen.6 Zusammen mit der Entfremdung der Gemeinschaft von einem reinen völkerrechtlichen Bündnis zur Koordinierung der Wirtschaftspolitiken entwickelte sich die Rückführung der politischen Entscheidungen auf die Bevölkerung des Unionsgebietes stark zeitverzögert. Die Legitimation, die den Unionsorganen zukommt, ist nicht wie in den Nationalstaaten eine direkte, sondern eine indirekte – v.a. über die nationalen Parlamente vermittelt. Dies gilt in besonderem Maße für den Rat. Die Kommission dagegen leitet ihre Legitimation vom direkt gewählten EP ab. Weder Rat noch Kommission sind daher dem europäischen Bürger gegenüber direkt verantwortlich. Eine unmittelbare demokratische Verbindung zu den Bürgern kann mithin lediglich das EP vorweisen. Aber selbst dieses „Privileg“ ist keine originäre Selbstverständlichkeit, sondern über einen langen Reformprozeß über Jahrzehnte hinweg entwickelt worden.7 In einer Bilanz der Einflußnahmemöglichkeiten des Parlaments erscheint die Brisanz des demokratischen Defizits gering: Es übt Kontrolle über die Kommission aus,8 es ist seit Amsterdam in großen Teilen an der Gesetzgebung beteiligt (Mitentscheidungsverfahren, Art. 251 EGV) und bestimmt über den Haushalt der Union.

5 Zuletzt hat sich dieses Bild gebessert. Nach einer Eurobarometer-Umfrage befürworten etwa 49 % aller Briten die Verabschiedung einer europäischen Verfassung. Vgl. The Guardian v. 11. Dezember 2004, „Half of Britons say yes to EU“; im Internet: http: //politics.guardian. co.uk/eu/story/0,9061,1371471,00.html. 6 Angefangen vom Gebilde sui generis, dem „Staatenverbund“ (BVerfGE 89,155), der „Europäischen Unionsgrundordnung“ (D. Tsatsos, Die Europäische Unionsgrundordnung), bis zur „Verfassungsgemeinschaft“ (P. Häberle, Europa als werdende Verfassungsgemeinschaft) bzw. zum „Verfassungsverbund“ (I. Pernice, Europäisches und nationales Verfassungsrecht). 7 So findet eine direkte Wahl der Europarlamentarier erst seit 1979 statt, eine Wahlrechtsangleichung gibt es erst seit den Wahlen 1999. 8 Deutlich hier die Einflußnahme auf die Wahl des Kommissars R. Buttiglione; dazu FAZ v. 30. 11. 2004, „Buttigliones Fall“.

A. Die demokratische Legitimation in der EU

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Effektiv gesehen müssen diese Möglichkeiten aber relativiert werden. So ist zwar die Kommission vom Vertrauen des EP abhängig, ein Mißtrauensvotum kann sich allerdings immer nur auf die Kommission als Ganzes beziehen. Auch steht dem Recht der Abberufung kein „reales“ Ernennungsrecht gegenüber. Das EP muß formal der Benennung des Kommissionspräsidenten durch die Regierungen der Mitgliedstaaten zustimmen, Art. 214 Abs. 2 UAbs. 1 EGV. Der so benannte Kommissionspräsident stellt sich anschließend einem Zustimmungsvotum im EP, Art. 214 Abs. 2 UAbs. 2 S. 1 EGV. Die Initiative und der maßgebliche Einfluß auf die Person des Kommissionspräsidenten liegt daher bei den Regierungen der Mitgliedstaaten. Das EP trifft damit keine wirkliche Auswahl, von einer „Wahl“ i.e.S. durch das EP kann somit nicht gesprochen werden.

I. Das demokratische Defizit der Union – fehlende Legitimation der Unionsorgane? Besonders mit den „Evolutionssprüngen“ der EEA und dem Vertrag von Maastricht, der die eigentliche EU aus der Taufe hob, übernahm die EU mehr und mehr Kompetenzen, die auch in sensible Bereiche der staatlichen Souveränität vordrangen (besonders die Einführung einer gemeinsamen Währung!).9 Die Ausdehnung der Zusammenarbeit in den Bereichen Sozialpolitik, Beschäftigung, Asyl, Einwanderung, Polizei, Justiz, Außenpolitik sowie zu einer gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik taten ihr übriges. Die Besorgnis der Kläger im MaastrichtUrteil offenbarte die Sorge der Zivilgesellschaft, einen Verlust an demokratischer Einflußnahme auf politische Entscheidungen zu erleiden. Das BVerfG antwortete mit einer Absage, gab aber zu erkennen, daß sich der Bundestag nicht aller Entscheidungsgewalt zugunsten der Gemeinschaftsorgane entledigen dürfe.10 Der Euro-Beschluß11 bestätigte diese Rechtsprechung, dient aber als weiteres Beispiel für das Mißtrauen gegenüber den europäischen Institutionen. Insbesondere die Umstände, die zum Rücktritt der Santer-Kommission 1999 führten, trübten das ohnehin schon skeptische Bild in der Bevölkerung weiter. Zunehmende Frustration und konstant fallende Wahlbeteiligungen ließen schließlich auch die politisch Verantwortlichen aufhorchen. Symptomatisch ist dabei auch das (zunächst) gescheiterte Referendum über den Vertrag von Nizza in Irland im Juni 2001.12 Mit der Post-Nizza-Debatte wurde ein wichtiger Stein ins Rollen gebracht, der über die Erklärung von Laeken endlich die Frage nach dem demokratischen 9 Vgl. auch A. Arnull, The European Union’s Accountability and Legitimacy Deficit, S. 5 ff. Aus der unüberschaubaren Literatur zum Demokratiedefizit in der EU vgl. P. Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 307 f. m. w. N. 10 BVerfGE 89, 155, 182 ff. 11 BVerfGE 97, 350. 12 Vgl. A. Arnull, The European Union’s Accountability and Legitimacy Deficit, S. 1.

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

Defizit der Union als zentralen Aspekt dem Europäischen Konvent mit ins Aufgabenheft schrieb.13

1. „Prozessuale“ und „Soziale“ Legitimation Die Frage nach demokratischer Legitimation läßt sich in Anlehnung an M. Weber grundsätzlich in einen prozessualen (formalen) und einen sozialen (substantiellen) Aspekt einteilen. Prozessual gesehen verlangt Legitimation, daß alle Erfordernisse des Rechts bei Errichtung einer Körperschaft oder Institution beachtet wurden. Danach müssen sich innerhalb der EU alle Entscheidungen in demokratischer Findung auf den Willen der Völker zurückführen lassen.14 In sozialer Hinsicht versteht sich Legitimation dagegen in einer empirischen Dimension, d. h. in der Akzeptanz des Systems bzw. der Entscheidungen, die in ihm getroffen werden. Auf der Grundlage prozessualer Legitimation ist daher soziale Legitimation gegeben, wenn die Entscheidungen oder Institutionen nicht nur auf demokratischen Prinzipien aufbauen, sondern auch auf den tatsächlichen Willen der Bevölkerung zurückführbar sind, mithin allgemein akzeptiert werden.15 Danach sind die Regeln, nach denen etwa das EP gewählt wird, Ausdruck prozessualer Legitimation. Die geringen Wahlbeteiligungen der vergangenen Wahlen drücken dagegen eine eher geringe soziale Legitimation aus.16 Beides wieder übereinzubringen, kann auch über eine Änderung der formalen Variablen, also der institutionellen Regeln im Vertragstext, angestrebt werden. Das Kräftegleichgewicht zwischen den einzelnen Institutionen ist danach zu bemessen, inwieweit es Entscheidungen wieder näher an den einzelnen Unionsbürger heranrückt. Begleitet werden sollten derartige Schritte unbedingt durch Maßnahmen, die auch auf sozialer Ebene ansetzen. Erforderlich ist mithin auch eine tatsächliche Öffnung der Politik nicht nur „auf dem Papier“. Solange sich nationale Regierungen für mißliebige Entscheidungen dadurch entschuldigen, daß sie die Verantwortung nach „Brüssel“ abschieben, tragen sie wesentlich zur Entfremdung der Bürger von der Union bei. 13 A. Arnull, The European Union’s Accountability and Legitimacy Deficit, S. 9. Dazu auch schon in Teil 1 unter C.II. 14 J.H.H. Weiler, The Constitution of Europe, S. 80. 15 J.H.H. Weiler, The Constitution of Europe, S. 80 f. Zuweilen werden drei Elemente als unentbehrliche Voraussetzungen der Legitimität eines liberalen demokratischen Gemeinwesens genannt: die Fähigkeit, Bedürfnisse und Werte der Bürger zu treffen, öffentliche Kontrolle durch politische Gleichheit und ein gewisser Grad an Identifikation; vgl. C. Lord / D. Beetham, Legitimizing the EU, S. 444. In dem ersten und letzten Punkt spiegeln sich jedoch lediglich zwei Unterelemente der sozialen Legitimation, in dem zweiten Punkt die prozessuale Legitimation wider, so daß in diesem Rahmen auf die Unterschiede nicht weiter eingegangen werden soll. 16 1979 63% (32,2%), 1984 61% (32,6%), 1989 58,5 % (36,2%), 1994 56,8% (36,4%), 1999 49,8% (24 %), 2004 45,7 % (38,38 %) (in Klammern jeweils die Wahlbeteiligung für Großbritannien); Quelle: Europäisches Parlament; im Internet: http: //www.elections2004. eu.int/ep-election/sites/de/results1306/turnout_ep/turnout_table.html.

A. Die demokratische Legitimation in der EU

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Je nachdem, welche Entscheidungen auf EU-Ebene getroffen werden, läßt sich die Frage nach demokratischer Legitimation in einen neuen Kontext einteilen. Zum einen gibt es die grundlegenden Fragen im Unionsprimärrecht, wie der einer Vertragsrevision. Hier stellt sich die Frage nach der Beteiligung der jeweiligen Organe, v.a. aber auch nach einer direkten Mitwirkung der Bevölkerung mittels Referendums. Diese Frage interessiert an dieser Stelle nur am Rande und wird daher andernorts ausführlicher betrachtet.17 Weiter gibt es die „alltäglichen“, Sekundärrecht setzenden Entscheidungen, die bisher in Form von Verordnungen, Richtlinien, Entscheidungen etc. getroffen wurden. Es sind gerade diese Handlungsformen, die den Bürger unmittelbar betreffen, da sie entweder direkt als Verordnung oder aber indirekt durch nationale Umsetzung – in Form etwa eines Gesetzes – das für ihn geltende Recht umgestalten. Aufgrund der unübersehbaren Vielzahl unterschiedlicher Instrumente und deren formeller Voraussetzungen waren diese für den „normalen“ Bürger als Laien nicht mehr durchschaubar.18 Auch schienen die demokratischen Repräsentanten zunehmend an Einfluß auf die alltägliche politische Gestaltung des Gemeinwesens zu verlieren. Tatsächlich ist mittlerweile die Mehrheit der nationalen Gesetze als Umsetzung von sekundärem Unionsrecht zu begreifen.19 In engem Zusammenhang mit diesen Fragen steht schließlich das Problem der demokratischen Repräsentation20, welches weniger ein grundsätzliches als vielmehr ein Einzelproblem darstellt. Aufgrund der Mischform der Union durchzieht das Unionsprimärrecht sowohl das völkerrechtliche Prinzip der Gleichberechtigung der Völkerrechtssubjekte als auch das demokratische Prinzip der gleichen Repräsentation der Unionsbürger. Hierdurch haben sich mit zunehmender Erweiterung Verzerrungen ergeben, durch welche ein unterschiedliches Niveau an Repräsentation in den Organen der EU entstanden ist. Auch diese Frage hängt aber als „Effizienz“ der demokratischen Legitimation mit dem demokratischen Defizit eng zusammen. Denn die grundsätzliche Einwirkungsmöglichkeit auf Entscheidungen nimmt um so stärker ab, je dünner das Glied zwischen Repräsentiertem und Repräsentant wird, je mehr Bürger auf einen einzelnen Repräsentanten kommen. Das demokratische Gewicht der Unionsbürger ist insofern zugunsten der kleinen EUStaaten verschoben. s. dazu Abschnitt 7. Dem trägt die Erklärung von Laeken Rechnung, wenn sie mehr Transparenz der Verträge fordert. s. auch N.K. Riedel, Der Konvent zur Zukunft Europas, S. 242; S. Magiera, Zur Kompetenzneuordnung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten, S. 271 f.; M. Dougan, The Convention’s Draft Constitutional Treaty, S. 2. Zum Problem i. allg. auch Ch. Trüe, Das System der EU-Kompetenzen, S. 391 ff. 19 Geschätzt geht ungefähr 70 % der bundesdeutschen Rechtsetzung auf europäische Vorgaben zurück. In den Jahren 1994 – 98 hat sich der deutsche Bundestag mit etwa 2.070 europapolitischen Vorgängen befaßt (ggü. 13 in den Jahren 1957 – 61!); vgl. C. Giering, Europapolitik im Bundestag. 20 Hierzu näher P. Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 311 ff.; H. Hasso-Hofmann, Repräsentation. 17 18

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

Prozessual gesehen genießen die europäischen Institutionen Legitimation. Ihre Entscheidungsmacht beruht auf Regeln, die durch demokratische Entscheidungsfindungsprozesse zustande gekommen sind (Ratifikation der Verträge) und sich nach demokratischen Regeln (Abstimmungen) bemessen. Aus allgemeinen europaweiten Wahlen hervorgegangen, repräsentiert das EP die Völker Europas. Problematisch erscheint aber, daß diese Völker in unterschiedlicher Zahl darin vertreten sind. Kein Volk hat für sich genommen eine Mehrheit in diesem Gremium. Unabhängig von staatenübergreifend gebildeten Fraktionen (die Abgeordneten sitzen nicht nach Nationen sondern nach Parteibindungen geordnet), besteht damit das Bewußtsein, daß Entscheidungen in diesem Gremium von Vertretern anderer Nationen getroffen werden. Ähnlich verhält es sich im Rat, sofern in Mehrheitsabstimmungen entschieden wird. Damit eine Minderheit in einem Gemeinwesen die Entscheidungen einer Mehrheit zu akzeptieren bereit ist, müssen sich beide Gruppen auf gemeinsame Grundwerte und Einstellungen zurückführen lassen. Es muß mit anderen Worten für die Minderheit möglich sein, zur Mehrheit zu werden.21 Sofern sich aber die Bevölkerungen in Europa noch nicht als einheitliches „europäisches Volk“ begreifen, werden die Institutionen nicht als primär demokratisch legitimiert anerkannt werden, wird folglich auch deren soziale Legitimation gering bleiben.22 Als Lösungsmöglichkeit bieten sich verschiedene Optionen an, die in der Erklärung von Laeken angedacht und in den Diskussionen im Konvent entsprechend untersucht wurden. Die Legitimation von Entscheidungen kann entweder durch eine Rückführung der Zuständigkeiten auf die nationale Ebene erhöht werden. Von einem integrationsfreundlichen Standpunkt aus stellt dies natürlich die am wenigsten wünschenswerte Alternative dar. Zweitens ließen sich die nationalen Parlamente stärker in die Entscheidungsprozesse auf europäischer Ebene einbeziehen. Drittens könnten die EU-Organe durch Stärkung der repräsentativen Elemente aufgewertet werden. So könnte das EP endgültig als gleichberechtigter Partner neben den Rat treten. Denkbar wäre eine „echte“ Wahl der Kommission durch das EP. Weiterhin ist an eine Direktwahl eines Europäischen Präsidenten zu denken. Schließlich eröffneten europäische Referenden eine unmittelbare demokratische Legitimierung von Entscheidungen. Die dritte Gruppe von Maßnahmen ginge am weitesten und würde die Union de facto zu einem Staat unter Herabstufung der Mitgliedstaaten aufwerten.

2. Das „Vektorenmodell“ der Legitimation Um sich über die demokratische Legitimation der EU und ihrer Organe klar zu werden, können verschiedene Modelle unterschieden werden, die sich in ein Vek21 Vgl. K. Hesse, Grundzüge, Rn. 143; P. Häberle, Europäische Rechtskultur, S. 300; T.C. Hartley, Constitutional Problems of the European Union, S. 20. 22 So auch J.H.H. Weiler, The Constitution of Europe, S. 84 f.

A. Die demokratische Legitimation in der EU

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torenraster einordnen lassen. Die Legitimation ist damit in fünf Typisierungen zu unterscheiden.23 (1) In Ausprägung einer indirekten Legitimation basiert die Union auf der Legitimation ihrer Mitgliedstaaten.24 In einer „Principal-Agent“-Betrachtung führen die Organe der EU ihre Legitimität auf die Zwecke der Mitgliedstaaten zurück, die durch sie erreicht werden sollen.25 Die Autonomie der Organe sei damit nicht Ausprägung ihrer Unabhängigkeit, sondern Mittel zum Zweck für die Mitgliedstaaten.26 Diese Sichtweise verteidigt die intergouvernementalen Elemente im EU-Vertrag. (2) Föderale Legitimation kann die Union erst voll erhalten, wenn sie in einem Bundesstaat etwa nach amerikanischem oder bundesdeutschen Vorbild aufgeht. Um willkürliche Machtausübung zu verhindern, sei es erforderlich, im Institutionengefüge der Union „Checks and Balances“ einzufügen, die eine Machtkonzentration im Rat aufzubrechen geeignet sind. Konsequenterweise werden die Rollen von Kommission und EP in diesem Modell gestärkt.27 (3) Technokratische Legitimation besitzt die Union v.a. in Institutionen wie der Kommission oder der EZB. Danach werden bestimmte Aufgaben in die Hände unabhängiger Institutionen gelegt, deren Aufgabe es ist, bestimmte Ziele mit maximierter Effizienz zu erreichen.28 (4) Prozedurale Legitimation soll eine Verselbständigung der technokratischen Elemente verhindern, die sich nur allzu oft einer demokratischen Kontrolle entziehen könnten. Die Legitimität einer Handlung hängt damit von der Beachtung bestimmter formaler Kriterien wie Transparenz, Begründung, Interessenabwägung etc. ab.29 (5) Korporative Legitimation schließlich wird erreicht durch die Einbeziehung der Gruppen, die von einer bestimmten Entscheidung abhängig oder von deren Auswirkungen betroffen sind. Dieses Prinzip liegt daher z. B. dem Wirtschaftsund Sozialausschuß zugrunde.30 Zusätzlich lassen sich die Vektoren in ihrer Wirkung in „Input“ und „Output“ unterscheiden. So basiert etwa die indirekte Legitimation auf der Autorisation der Nach P. Magnette, Will the EU be more legitimate after the Convention?, S. 22 ff. H. Wallace, Deepening and Widening; vgl. aus deutscher Sicht auch D. Grimm, Braucht Europa eine Verfassung? 25 M. Pollack, Representing Diffuse Interests. 26 A. Moravcsik, The Choice for Europe; A.S. Milward, The European Rescue of the Nation-State. 27 Vgl. etwa J. Habermas, Why Europe needs a Constitution. 28 G. Majone, Nonmajoritarian Institutions; A. Moravcsik, In Defence of the Democratic Deficit. 29 G. Majone, Nonmajoritarian Institutions. 30 P. Magnette, European Governance and Civic Participation. 23 24

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

Mitgliedstaaten als Input und produziert als legitime Outputs folgerichtig die Präferenzen dieser Staaten. Mit anderen Worten: Solange sich die Ergebnisse in den Entscheidungsprozessen der EU auf die einzelstaatlichen Präferenzen zurückführen lassen, kann die EU als legitim angesehen werden. Dagegen liegen die Inputs der technokratischen Legitimation in der Expertise der Organe, die solange als legitimiert betrachtet werden, wie diese Expertise sich in Effizienz als Output niederschlägt.31 Innerhalb der EU finden sich alle Typen der obigen Vektoren wieder. Sie wirken dabei in verschiedenen Bereichen mehr oder weniger stark.32 Dem Konvent lag es nunmehr anheim, zwischen ihnen ein neues Gleichgewicht zu finden, das sowohl unter den Vertretern im Konvent selbst als auch in der anschließenden Regierungskonferenz Zustimmung finden könnte. Welcher Ansatz dabei den Vorzug erhält, hängt von den jeweiligen Präferenzen ab. So vertreten EP und Kommission einen stärker föderalen (von Seiten der Kommission eventuell auch technokratisch beeinflußten) Ansatz. Die föderale Idee wird aber auch von einigen wenigen Mitgliedstaaten befürwortet, allen voran der Bundesrepublik Deutschland. 3. Aspekte eines demokratischen Defizits Eine Einschätzung des Defizits ist stark von dem zugrundegelegten Demokratieverständnis abhängig.33 Das demokratische Defizit in der EU äußert sich in vielfältiger Weise auf unterschiedlichen Ebenen. Je nach zuzuordnendem Vektor wird der eine oder andere Aspekt deutlicher hervorgehoben. Unabhängig hiervon können jedoch die folgenden Aspekte als demokratisch unbefriedigend empfunden werden. Zum einen erscheint problematisch, daß ein Großteil der Entscheidungen von Organen mit primär exekutiven Charakter getroffen werden. So findet zwar (im Vergleich zu den „Jugendstunden“ des EP) seit den Vertragsänderungen der EEA, Maastricht und besonders Amsterdam mehr und mehr eine parlamentarische Beteiligung im Rahmen des Mitentscheidungsverfahrens statt. Im Grundsatz übt jedoch der Rat immer noch den maßgeblichen Einfluß aus; bedeutender ist darüber hinaus aber auch das fehlende Initiativrecht des EP. Die Einrichtung des Komitologieverfahrens erscheint besonders brisant, soweit es sich auf Bereiche bezieht, in denen das EP nicht im Rahmen des Mitentscheidungsverfahrens beteiligt wurde.34 Im Gegensatz zum direkt gewählten EP sind die Mitglieder im Ministerrat und Europäischen Rat ihren nationalen Parlamenten verantwortlich, deren Kontrolle sie sich zuweilen erfolgreich zu entziehen wissen.35 Vgl. näher P. Magnette, European Governance and Civic Participation, S. 4. P. Magnette, European Governance and Civic Participation, S. 7 ff. 33 Dazu P. Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 307 f. 34 R. Streinz, Europarecht, Rn. 454. Dazu auch die Sonderausgabe des European Law Journal v. 1997 (Heft 3). 31 32

A. Die demokratische Legitimation in der EU

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Weiter ergeben sich aufgrund dieser Strukturen Schwierigkeiten für einen parlamentarischen Umbau der Entscheidungsprozesse insgesamt. Überhaupt mangelt es den Entscheidungen schon aufgrund fehlender parlamentarischer Beteiligung an Transparenz. Angesichts des weit ausgreifenden Komitee-Wesens in den Organen des (Minister-)Rates (besonders COREPER und seine Untergliederungen) aber auch der Kommission (Stichwort: Komitologie)36 wird dies noch verschärft, da schätzungsweise lediglich 20 % aller Entscheidungen überhaupt noch direkt im Rat gefällt werden.37 Schließlich fehlt es in der EU an einer aktiven Einbeziehung der europäischen Bürger. Statt dessen ist mit Sorge ein zunehmender Lobbyismus zu beobachten. Dementsprechend besitzt die Union auf Bürgerebene wenig bis keine Präsenz, woraus eine mangelnde Identifizierung mit der EU resultiert.38 Erschwert wird eine Einbeziehung durch die Vielzahl verschiedener Entscheidungsprozesse – allein über 20 verschiedene Rechtsetzungsakte stehen den europäischen Institutionen zur Verfügung – und verstärken die mangelnde Durchschaubarkeit europäischer Politik.39 Insgesamt wird festgestellt, daß die Instrumente der EU für die intergouvernementale Verhandlungsführung und Vertragspolitik geeignet sind, jedoch vor den anstehenden Notwendigkeiten, die sich durch supranationale und transnationale Entscheidungsfindungen ergeben, kapitulieren.40 Aufgrund einer solchen – wenngleich oberflächlichen – Analyse ergeben sich folgende mögliche Reformansätze: eine stärkere Parlamentarisierung der Entscheidungsprozesse, die Öffnung dieser für die Öffentlichkeit sowie insgesamt eine stärkere Einbeziehung des Bürgers in Entscheidungen der EU. Je nach politischer Richtung können diese Vorgaben entweder durch eine Stärkung der Unionsorgane, hier besonders des EP (d. h. stärkere Föderalisierung) oder Stärkung der nationalen Parlamente (d. h. Betonung des supranationalen Charakters) erreicht werden.41 Für die letztgenannte Option bietet sich zudem eine Öffnung der supranationalen Elemente der EU an, namentlich die Öffentlichkeit von Ratssitzungen und Auflösung des Säulenmodells.42 35 C. Harlow, Accountability in the EU, S. 32. Zur Kritik am Rat vgl. noch weiter F.C. Mayer, Nationale Regierungsstrukturen und europäische Integration, S. 112 ff. m. w. N. 36 Dazu die Entscheidung des EuGH, C-302 / 87 (Komitologie), Slg. EuGH 1988, 5615, und House of Lords Select Committee on the European Union, 3rd Report (Delegation of Powers to the Commission: Reforming Comitology), HL 23 (1998 / 99), sowie näher C. Harlow, Accountability in the EU, S. 67 ff. 37 M. van Schendelen, The Council decides, S. 37. Hierzu auch J. Habermas, Why Europe needs a Constitution, S. 24. 38 Vgl. S. Douglas-Scott, Constitutional Law of the European Union, S. 131; J. Habermas, Why Europe needs a Constitution, S. 15, und bereits B. Boyce, The Democratic Deficit of the European Community, S. 458. 39 C. Harlow, Accountability in the EU, S. 31 f. 40 J. Habermas, Why Europe needs a Constitution, S. 14. 41 Zu einer Diskussion dieser und anderer Möglichkeiten s. auch B. Boyce, The Democratic Deficit of the European Union, S. 471 ff.

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

II. Das demokratische Defizit als Geburtsfehler der europäischen Integration? – Grenzen für eine Parlamentarisierung der Union Aufgrund der obigen Befunde stellt sich die Frage, inwiefern ein gewisses Maß fehlender demokratischer Legitimation dem System der EU-Institutionen inhärent ist.43 Ein Grundmaß mangelnder Legitimation könnte somit erforderlich sein, um den fehlenden Staatscharakter der EU auszugleichen. Anhaltend wird davor gewarnt, Repräsentationsformen und Begrifflichkeiten von der Ebene des Nationalstaates unreflektiert auf die EU zu übertragen.44 In der Folge könnten sich hieraus dann aber Grenzen für die Ausweitung der Rechte des Parlaments ergeben. Der Hauptgrund für die untergeordnete Rolle, die etwa das EP in der Bevölkerung spielt, wird hier nicht auf die fehlenden Mitwirkungsmöglichkeiten in der EU zurückgeführt. Es seien primär nicht die desillusionierten Einstellungen, die Politik auf europäischer Ebene nicht beeinflussen zu können, die zu niedrigen Wahlbeteiligungen oder auch Reaktionen wie im irischen Referendum 2001 führten. Vielmehr müsse die fehlende Bürgernähe der Kompetenzbereiche der EU als verantwortlicher Faktor herangezogen werden.45 In letzter Konsequenz bedeutete dies, daß eine gesteigerte Mitwirkungsbereitschaft der Unionsbürger nicht allein durch gesteigerte Mitwirkungsmöglichkeiten erreichbar ist, sondern zudem die Ausweitung der Kompetenzen der EU weiter vorangetrieben werden muß. Anders gewendet: solange nicht weitere – bürgerzentrale – Kompetenzen auf Unionsebene verlagert werden, kann es auch keine weiteren Mitwirkungsmöglichkeiten geben. Andernfalls werde nur weitere politische Unzufriedenheit Einkehr halten.46 Auch wegen des fehlenden Parteiensystems ist der Versuch, die EU allein über eine Stärkung des EPs zu demokratisieren, zum Scheitern verurteilt.47 Aufgrund der unterschiedlichen Geschichte, insbesondere der verschiedenen Wege zur Demokratie und der unterschiedlichen Traditionen besitzen die Mitgliedstaaten verschiedene Parteiensysteme. Zur Funktionsfähigkeit eines Parlaments gehören 42 Zu Möglichkeiten über eine stärkere Parlamentarisierung der EU hinaus und deren Problemen vgl. C. Lord / D. Beetham, Legitimizing the EU, S. 449 ff. 43 Die Literatur über das Problem eines demokratischen Defizits ist indes uferlos. Beispielhaft genannt seien B. Boyce, The Democratic Deficit of the European Community; A. Moravcsik, In Defence of the Democratic Deficit; N. Walker, Sovereignty in Transition; J.H.H. Weiler, The Constitution of Europe, A. Arnull, The European Union’s Accountability and Legitimacy Deficit. 44 Vgl. nur I. Pernice, Europäisches und nationales Verfassungsrecht; A. Moravcsik, In Defence of the Democratic Deficit, S. 605. 45 A. Moravcsik, In Defence of the Democratic Deficit, S. 616. 46 A. Moravcsik, In Defence of the Democratic Deficit, S. 616. Zu Bedenken aus deutscher Sicht, insbesondere im Hinblick auf verfassungsrechtliche Grenzen im GG vgl. R. Streinz, Europarecht, Rn. 282. 47 M. Beloff, Britain into Europe, S. 88.

A. Die demokratische Legitimation in der EU

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aber auch in ihm vertretene Parteien, die sich zumindest über den Großteil des repräsentierten Gebiets erstrecken und sich durch eine gewisse Homogenität auszeichnen. Durch die Verschiedenheit der jetzigen Parteien ist dies für die nähere Zukunft aber nicht zu erwarten48, weshalb sich unabhängig von der Größe des Unionsgebietes keine durchgreifende Demokratisierung der EU ergeben wird.49 Entsprechend ernüchternd fällt daher auch eine Analyse der Europawahlen aus: Anstatt Abgeordnete für eine europäische Politik zu legitimieren, dienen die Wahlen zumeist als Stimmungstests für nationale Parteien, sei es als Bestätigung oder aber auch „Abstrafung“ einer nationalen Regierung. Europäische Belange spielen in den Wahlen dagegen nur selten eine Rolle.50 Unter diesen Vorzeichen erscheint es vorerst eher erstrebenswert, die Lösung dieses Problems auf anderem Wege zu versuchen und nicht das EP mit Kompetenzen zu „überladen“, was der Ausbildung einer europäischen Identität eher kontraproduktiv denn förderlich sein könnte.51 Eine solche Möglichkeit liegt in einer stärkeren Einbindung der nationalen Parlamente, einer Idee, die sich bereits in den leitenden Gedanken im Maastricht-Urteil des BVerfG52 findet. Sie wurde wesentlich von britischer Seite propagiert und vom Rat in Laeken aufgegriffen.

III. „Britische“ Legitimation Die britische Haltung läßt sich relativ klar in die erste Kategorie der indirekten Legitimation im Legitimationsraster einordnen. Sie weist aber auch starke prozedurale Einschläge auf, soweit es um die Eindämmung der Brüsseler Bürokratie geht: „ [ . . . ] we recognise the need for internal reform to tackle the bureaucracy that still snarls up the EU’s institutions. We want to see greater transparency and accountability. That is in the interests of all the EU’s citizens, not just ours.“53

Das britische Augenmerk des demokratischen Defizits in der EU richtet sich damit primär auf die Aspekte der Transparenz und der Verbindungen zwischen politisch Verantwortlichen und Regierten, namentlich mit dem britischen Begriff 48 Von der Ausnahme der Gründung einer Europäischen Partei der GRÜNEN im Frühjahr 2004 einmal abgesehen. Dazu FAZ v. 21. 02. 2004, „Gründungskongreß der ,Europäischen Grünen Partei‘“. 49 M. Beloff, Britain into Europe, S. 88. 50 Nach P. Häberle „im Grunde verdeckte nationale Wahlen mit nationalen Themen und nationalen Adressaten“ (Hervorhebungen im Original), Europäische Verfassungslehre, S. 8. Eine Ausnahme mag hier die Thematisierung eines EU-Beitritts der Türkei durch die CDU / CSU im Vorfeld der Wahlen zum EP im Mai 2004 darstellen. 51 Zweifel meldet hier auch R. Streinz an; vgl. ders., Europarecht, Rn. 282. 52 BVerfGE 89, 155 (184 ff.). 53 Rede des britischen Premier T. Blair im European Research Institute in Birmingham v. 28. 11. 2002.

11 Hupka

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

der Accountability verbunden. Dieser bezieht sich, je nach Interpretationsmuster, vor allem auf die Schaffung eines Systems, in dem politische Entscheidungsträger zur Beachtung des öffentlichen Wohls – besonders durch Wahlen – gezwungen werden können.54 Eine Legitimation durch Effizienz wird dagegen für die Herstellung dieser Verhältnisse als ungeeignet empfunden.55 Vom britischen Konzept der Accountability her, verstanden als die direkte Verbindung zwischen Regierenden und Regierten, ergibt sich damit v.a. eine mangelnde direkte Kontrolle der politisch Verantwortlichen in der Brüsseler Administration. Während die nationalen Regierungen in der Weise als „accountable“ angesehen werden, wie sie sich in wiederkehrenden Wahlen dem Vertrauen der Wähler stellen und in der alltäglichen Arbeit dem Parlament gegenüber Rede und Antwort stehen müssen, wird dieses Element auf europäischer Ebene schmerzlich vermißt.56 Das Westminsterparlament kann Minister der britischen Regierung im Ernstfall bis zum Rücktritt bewegen; diese Möglichkeit besitzt das EP in einer so weitreichenden Konsequenz nicht.57 Zwar ist die Kommission als Initiator von Gesetzgebungsakten von dessen Vertrauen abhängig; dies bezieht sich aber nur auf die Kommission als Ganzes. Außerdem kann das EP deren Zusammensetzung nur sehr begrenzt beeinflussen. In Beziehung zum Rat als der entscheidenden Schaltzentrale der EU besteht dagegen mehr ein kollegiales Verhältnis als Co-Legislative denn eines der Checks and Balances. Folgerichtig erkennt demnach auch das House of Lords die folgenden Aspekte des demokratischen Defizits:58 – „Uncertainty over the destiny of the EU, and a feeling that people have no control over that destiny through the democratic process – The decline of parliamentary sovereignty- people are looking less and less to Parliament to redress their grievance – The feeling that „Brussels“ is a remote and alien administration – The shortcomings of European administration – The problem of building support for international institutions, in his view ,the most serious and the most interesting‘ aspect of the democratic deficit. ,It is a puzzle that desperately needs a solution. The depth of feeling evident in the muddled movement against globalisation shows the fragility of institutions that do not have democratic underpinning‘.“

Die Laekener Erklärung rückt den Bürger in den Mittelpunkt. Vorrangiges Ziel ist danach, ihm die EU und ihre Institutionen näher zu bringen. Als „StellschrauC. Harlow, Accountability in the EU, S. 6. M. Everson, Accountability and Law in Europe, S. 136. 56 F. Vibert, Developing a Constitution, S. 174. 57 Als Ausnahme sei an dieser Stelle auf den Rücktritt der Santer-Kommission verwiesen. 58 House of Lords European Union Committee, 7th Report (A Second Parliamentary Chamber for Europe: an Unreal Solution to Some Real Problems), HL 48 (2001 – 02). 54 55

A. Die demokratische Legitimation in der EU

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ben“ dafür nennt der Rat v.a. Mittel, die das Verhältnis der Organe untereinander sowie zu den nationalen Parlamenten betreffen: „Die Europäische Union bezieht ihre Legitimität aus den demokratischen Werten, für die sie eintritt, den Zielen, die sie verfolgt, und den Befugnissen und Instrumenten, über die sie verfügt. Das europäische Projekt bezieht seine Legitimität jedoch auch aus demokratischen, transparenten und effizienten Organen. Auch die einzelstaatlichen Parlamente leisten einen Beitrag zu seiner Legitimierung. In der im Anhang zum Vertrag von Nizza enthaltenen Erklärung zur Zukunft der Union wurde darauf hingewiesen, daß geprüft werden muß, welche Rolle ihnen im europäischen Aufbauwerk zukommt. In einem allgemeineren Sinne ist zu fragen, welche Initiativen wir ergreifen können, um eine europäische Öffentlichkeit zu entwickeln. Als Erstes stellt sich gleichwohl die Frage, wie wir die demokratische Legitimation und die Transparenz der jetzigen Organe stärken können – eine Frage, die für die drei Organe gilt.“59

Noch vor der eigentlichen Erklärung von Laeken hatte die Regierung Blair ebenfalls den Bürger in das Zentrum der politischen Aufmerksamkeit gestellt: „More than ever before, we need to engage our citizens in that debate. Europe has to be about more than a conversation between élites. It must connect with its citizens and be as responsive to their priorities as the national governments of the member states.“60 „Just as important as what the EU does is how it does it. Most people will support European action where it can deliver benefits Member States acting alone cannot. But they will only support such action if is taken forward in a way which respects their own interests and national identities, and takes account of their own views. We need to find ways to make the EU more responsible, more accountable and more flexible. And we need to ensure that European citizens feel real ownership of the EU’s activities.“61

Entscheidender Ansatzpunkt bleibt dabei aus britischer Sicht die Betonung von Transparenz und Effizienz in der EU. Nach dieser Ansicht fußt die primäre demokratische Legitimation in den nationalen Parlamenten: „There are issues of democratic accountability in Europe the so-called democratic deficit. But we can spend hours on end, trying to devise a perfect form of European democracy and get nowhere. The truth is, the primary sources of democratic accountability in Europe are the directly elected and representative institutions of the nations of Europe national parliaments and governments.“62

59 Anlage I zu den Schlußfolgerungen des Europäischen Rates (Laeken) v. 14. / 15. Dezember 2001, SN 300 / 1 / 01 REV 1, S. 19; im Internet: http: //ue.eu.int/ueDocs/cms_Data/ docs/pressdata/de/ec/68829.pdf. 60 J. Straw, A Europe for its Citizens, Vorlesung des britischen Außenministers im Royal Institute of International Affairs v. 27. Juli 2001, London, im Internet: http: //www.fco.gov.uk/ servlet/Front?pagename=OpenMarket/Xcelerate/ShowPage&c=Page&cid=1007029391647&a =KArticle&aid=1013618411732. 61 T. Blair, A People’s Europe, Mitteilung des britischen Premiers im Rahmen des Europäischen Diskussionsforums zur Zukunft der Europäischen Union v. 3. April 2001, im Internet: http: //europa.eu.int/futurum/documents/speech/sp030401_en.htm.

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

Die Regierung Blair reiht sich damit in die traditionelle Grundhaltung britischer Europapolitik ein, was um so verständlicher wird, je mehr man sich die britische Orientierung vergegenwärtigt, nach der die demokratische Legitimation eines Gemeinwesens in einer bürgerorientierten, weniger aber in einer ethnisch orientierten Betrachtung zu finden ist.63 Aufgrund seiner Geschichte ist das Vereinigte Königreich stark am Begriff eines Staates orientiert, in dem verschiedene Nationen geeint sind – ganz anders als etwa Deutschland, dessen Staatlichkeit bei weitem nicht so weit zurück zu verfolgen ist, und in dem stärker die Nation im Vordergrund steht, welche es durch den Staat zu einen galt.64 Die Arbeit des Konvents wird daher auch daran zu messen sein, inwiefern sie in dem oben geschilderten „Legitimationskonglomerat“ Lösungen gefunden hat, die die Union in eine indirekt legitimierte, intergouvernementale Richtung führt. Eine Überwindung des Demokratiedefizits durch die weitere Übertragung wesentlicher Hoheitsaufgaben auf die EU wird dagegen eher auszuschließen sein. So richtet sich das britische Augenmerk auch weniger auf eine stärkere direkte Einbeziehung des Bürgers in Entscheidungsprozesse auf europäischer Ebene. Vielmehr soll diese Aufgabe von den nationalen Repräsentanten im Parlament übernommen werden. Nach britischem Verfassungsverständnis geht die Staatsgewalt nicht wie etwa in der Bundesrepublik Deutschland „vom Volke aus“, Art. 20 Abs. 2 GG, sondern vom insoweit absolut souveränen Parlament.65 Insofern erscheint es dann aber nur konsequent, für eine Legitimationssteigerung der EU nicht beim EP sondern dem nationalen Souverän anzusetzen. Soweit es den Mitgliedern im Rat bislang gelungen war, sich der nationalen parlamentarischen Kontrolle in EU-Angelegenheiten zu entziehen,66 soll nunmehr eine direkte Einbeziehung der nationalen Parlamente dies verhindern oder zumindest eindämmen helfen. Aus dem Blickwinkel des britischen Prinzips der Accountability erscheint die Arbeit des Konvents unbefriedigend.67 Der Konvent läßt hier eine ausgiebige Behandlung des Problems schmerzlich vermissen. Allgemein werden die Neuerungen in Teil I der Verfassung unter der Überschrift „Das demokratische Leben der Union“ als unzureichend empfunden, den Bürger näher an die Union zu führen.68 So unterschätze etwa der Entwurf in Art. I-46 VVE die Notwendigkeit für die 62 Rede des britischen Premierministers T. Blair in der Warschauer Börse v. 6. Oktober 2000. 63 J. Hayward, France and the United Kingdom, S. 149. 64 Ausführlich zu diesem Vergleich, insbesondere mit Parallelen zu Frankreich J. Hayward, France and the United Kingdom, S. 145 ff. 65 Dazu bereits oben unter A.II.3.a). 66 C. Harlow, Accountability in the EU, S. 32. 67 Die Literatur ist an Masse wie an Zahl der Vorschläge zur Verbesserung indes überwältigend. Zu einem Überblick s. C. Harlow, Accountability in the EU. 68 The Economist v. 21. Juni, 2003, S. 9. Vgl. auch House of Commons European Scrutiny Committee, 24th Report (The Convention on the Future of Europe and the Role of National Parliaments) HC 63-xxiv (2002 – 03), para. 72.

B. Die Verfassungsfrage

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nationalen Parlamente und Parlamentarier, sich durch Prozesse wie der parlamentarischen Kontrolle und anderer Wege die Entwicklungen in der Union zu vergegenwärtigen.69 Gewichtiger seien dagegen Vorschriften, nach denen den Bürgern unmittelbare Rechte verliehen werden, da sich in ihnen erst die Annäherung der Union an ihre Belange offenbare. Bedeutend sind aus dieser Perspektive daher die Einrichtung des Bürgerbeauftragten in Art. I-49 VVE oder auch der Bürgerinitiative in Art. I-47 VVE, deren Effektivität allerdings davon abhängig sei, wie stark er im wesentlichen Lobby-Gruppen und Interessenverbänden zuspiele. Positiv hervorgehoben werden schließlich auch die Vorschriften zur Transparenz der Organe in Art. I-50 VVE.70 Unter den vom Präsidium eingesetzten Arbeitsgruppen fand sich keine, die sich ausnahmslos mit Aspekten der Erhöhung der demokratischen Legitimation befaßte. Angesichts der Vorgänge, die im Vorfeld der Konferenz von Nizza die Santer-Kommission zum Rücktritt bewogen, ein doch recht erstaunlicher Vorgang.71 Auf der anderen Seite ergeben sich Fragen nach der Legitimation der EU und ihrer Erhöhung aus vielen unterschiedlichen Bereichen, so daß eine eigene Arbeitsgruppe wohl auch keine befriedigenden Verbesserungsvorschläge hätte machen können, da sie dann gleichfalls als „Oberarbeitsgruppe“ die Ergebnisse der übrigen Gremien vorweggenommen hätte oder aber schon an der Aufgabenstellung gescheitert wäre. Von diesem Standpunkt aus konnte sich der Konvent daher mit dieser Frage gar nicht isoliert befassen, sondern mußte sie an die jeweiligen Arbeitsgruppen als eine von vielen Zielvorgaben weitergeben. Ob die Union sich an den Bürger annähert, ist daher auch erst aus der Zusammenschau der Einzelergebnisse im Gesamtentwurf zu ersehen.

B. Die Verfassungsfrage Unabhängig von der konkreten Form des Endprojektes der EU und der damit einhergehenden Legitimationsformen stellte sich aber alleine schon die grundsätzliche Frage, ob die EU auf eine neue Grundlage – auf ein Verfassungsfundament – gestellt werden sollte, um sie auf diese Weise näher an den Bürger zu führen. Gleichwohl die Verträge in der britischen Fassung der EuGH-Entscheidung zu „Les Verts“72 bereits als „Constitutional Charta“ bezeichnet worden sind, wurden 69 House of Lords Select Committee on the European Union, 41st Report (The Future of Europe: The Convention’s Draft Constitutional Treaty), HL 169 (2002 – 03), para. 244. 70 House of Lords Select Committee on the European Union, 41st Report (The Future of Europe: The Convention’s Draft Constitutional Treaty), HL 169 (2002 – 03), para. 245 f. 71 A. Tomkins, The draft Constitution of the EU, S. 576 f. 72 Dazu bereits oben in Teil 1 unter A.II.1.c).

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

sie in Großbritannien nicht sogleich als „Constitution“ übernommen. Nach wie vor stellt sich die Frage, ob eine solche Verfassung für Europa überhaupt möglich bzw. erstrebenswert ist. An dieser Stelle sei an die grundlegenden Charakteristika der britischen Verfassung erinnert.73 Vergegenwärtigt man sich dabei die ungeschriebene Verfassung und deren dadurch bedingten eher materiellen als formellen Charakter, erscheint es einfacher, Bedenken von britischer Seite gegen das Verfassungsprojekt für Europa aufzunehmen. In einem Land, in dem unter einer Verfassung im Prinzip jedwede Regelung verstanden wird, die in einem Staatswesen die Organe der öffentlichen Gewalt einrichtet und deren Beziehungen zueinander regelt,74 wird der Begriff einer „europäischen“ Verfassung sofort Assoziationen zu einem Staatswesen wecken, das zumindest dem eigenen in seiner Bedeutung in nichts nachsteht. Von einem solchen Standpunkt aus, bedeutet dies, die Staatswerdung zu vollziehen und damit die so lange gerühmte Eigenständigkeit und Unabhängig der britischen Insel vom Rest Europas zu verlieren. Fraglich ist, inwiefern diese Überlegungen auch im 21. Jahrhundert unter einer New Labour Regierung eines T. Blair zutreffen, und inwiefern die Verfassungsrechtswissenschaft ihnen Nachdruck verleihen kann. Nach einem Blick auf die politische Dimension der Verfassungsfrage wird diese auf verfassungsrechtlicher und -politischer Ebene formuliert.

I. Die politische Dimension Die Frage nach einer Verfassung wurde wahrscheinlich in keinem Land so leidenschaftlich diskutiert wie in Großbritannien (sowohl im nationalen wie im europäischen Kontext). In einem Land, das seit vielen hundert Jahren in Abstinenz einer geschriebenen Verfassung mit Stolz auf seine Unabhängigkeit blickt, ist dies wohl auch nicht weiter verwunderlich. Schon zum EG-Beitritt 197375 wurde argumentiert, die Parlamentssouveränität stelle das größte Hindernis dar und müsse der EG geopfert werden. Auch begleitete diese Argumentation den Wahlkampf der Parteien zum Referendum 1975.76 Bereits im Vorfeld des Verfassungsentwurfs des EP im Jahr 1984 wurden Vorbehalte gegen das Verfassungsprojekt auf die parlamentarische und nationale Souveränität gestützt und auch in der konservativen „Rebellion“ im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Maastricht Bill 1992 wiederholt.77 Auch anläßlich einer Tagung der Stiftung Europa-Kolleg in Hamburg im November 1983 wurde die Parlamentssouveränität in britischen Beiträgen abermals als Stolperstein für eine europäische Verfassung vorgebracht.78 Daneben Dazu in Teil 2 unter A.II. Zu einem britischen Verfassungsverständnis sogleich unter III.1. 75 Dazu Teil 2 unter B.III. 76 Hierzu ausführlicher Ph. Goodhart, Full-hearted Consent; zur Frage nach einem Referendum auf europäischer Ebene später unter G. 77 Dazu D. Baker / A. Gamble / S. Ludlam, Whips or Scorpions?, S. 153 f. 73 74

B. Die Verfassungsfrage

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jedoch erscheinen als weitere Hinderungsgründe aus britischer Sicht der Stolz und das Vertrauen in die Art und Weise der Ernennung britischer Richter, welche nicht geändert werden sollte, sowie das Vertrauen in einen lückenlosen Menschenrechtsschutz trotz ausdrücklicher Regelungen.79 Unbestritten dabei blieb allerdings die Vorstellung, daß sich diese Ansichten mit der Zeit ändern könnten, und damit auch für Großbritannien die Vorstellung von einer europäischen Verfassung nicht mehr so fern liegt wie zu diesem Zeitpunkt. Seit diesen Ausführungen haben auf britischer Seite viele Entwicklungen stattgefunden, die tatsächlich auf einen Wechsel der Einstellungen hindeuten: In den Factortame-Fällen wurde die Parlamentssouveränität in nicht unbeträchtlicher Weise geschwächt. Mit dem HRA ist der Menschenrechtsschutz in Großbritannien kodifiziert worden. Der Prozeß der Devolution hat den Einheitsstaat in Frage gestellt. Schließlich – aber wohl nicht endlich – sind Reformen im Gang, die auf eine Änderung des Gerichtssystems hindeuten.80 In der aktuellen Diskussion, welche den Verfassungsentwurf des Konvents begleitet – sofern man von einer Diskussion sprechen kann, da eine solche wohl hauptsächlich nur in intellektuellen Kreisen stattfindet81 – wurde jedoch nicht mehr nur auf die parlamentarische sondern v.a. auch auf die nationale Souveränität abgehoben. Die Unabhängigkeit der britischen Nation sei gar bedroht, wenn sich die Regierung an einem Verfassungsprojekt für Europa beteiligen würde.82 Derartige Stimmen griffen dabei Vorbehalte auf, die schon vorher immer wieder von Seiten der politisch Verantwortlichen vernommen werden konnten – am deutlichsten sei hier an die Politik in Zeiten Thatchers erinnert.83 In Großbritannien sind Vorbehalte gegenüber einer Verfassung für Europa nie verstummt, sondern es schwebte zu jeder Vertragsrevision das gefürchtete „C“-Wort im Raum. Instinktiv wehrte sich die britische Seite daher immer gegen solche Vertragsrevisionen, die einer Stärkung der supranationalen Ebene gleichgekommen wären. Auch der neue Regierungschef Blair erteilte daher, trotz seiner Annährung an die europäischen Partner, Forderungen nach einer Verfassung zunächst eine deutli78 So die Ausführungen des Richters am House of Lords, Lord Bridge of Harwich, Attempts towards a European Constitution in the light of the British legal system, in: Schwarze / Bieber, Eine Verfassung für Europa, S. 115 ff. und Sir G. Slynn, ebda., S. 121 ff. 79 Sir G. Slynn, ebda., S. 121. 80 Vgl. A. le Sueur, Comment: New Labour’s next (surprisingly quick) step in constitutional reform. 81 Nach einer Umfrage des Eurobarometers hatten 75% aller Briten nicht einmal Kenntnis davon, daß es einen Konvent gibt, der eine Verfassung für Europa ausarbeitet; The Guardian v. 26. Juli 2003: „The British are conventionally ignorant of EU blueprint. 82 Vgl. allein Berichte wie etwa in „The Sun“ v. 15. Mai 2003: „Blair is about to sign away 1,000 years of British sovereignty“ (S. 6); „the biggest change to our way of life since the Normans landed in 1066“ (S. 8); „Britain would lose the identity which makes it stand apart from Europe and, indeed, the rest of the world“ (S. 8). 83 Dazu unter D.I.5.

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

che Absage. Wohl indirekt auch als Antwort auf die Rede J. Fischers in Berlin führte der Premier in Warschau aus: „ [ . . . ] In der Praxis vermute ich, daß angesichts der ungeheuren Vielfalt und Komplexität der EU deren Verfassung – genau wie die britische – sich weiterhin in einer Anzahl verschiedener Verträge, Gesetze und Präzedenzfälle finden wird. Vielleicht können die Briten es sich leichter als andere Nationalitäten vorstellen, daß bei einem Gebilde, das so dynamisch ist wie die EU, eine Debatte über eine Verfassung nicht unbedingt zu einem rechtsverbindlichen Einzeldokument namens Verfassung führen muß.“84

An dieser Haltung hat sich auch bis zur Verabschiedung des Konventsentwurfes wenig geändert, auch wenn mit der Rede J. Straws in Den Haag im Februar 2002 eine gewisse Kehrtwendung eingeleitet wurde.85 Ungeachtet der Befürchtungen aus Oppositionskreisen, eine europäische Verfassung ergäbe nur einen Sinn, wenn sie als Grundlage eines europäischen Superstaates diene,86 erklärte er sich im Namen der Regierung mit der Ausarbeitung einer Verfassung für Europa einverstanden: „My own view is that we shouldn’t get hung up about the labels. Yes, most countries are founded on single-text, written constitutions. But just because an entity has a constitution doesn’t make it a state. Many organisations, including the Labour Party, have constitutions. It’s the substance that matters, not the name.“87

Diese Einstellung wird jedoch abermals vor dem Hintergrund einer „pragmatischen“ Europapolitik der Regierung Blairs zu sehen sein, indem sich die Regierung auf europäischer Ebene nicht ins Abseits begeben will, sondern konstruktiv mit den anderen Partnern verhandeln möchte. Auch mögen Umfrageergebnisse eine Rolle gespielt haben, nach deren überraschenden Ausgang sich immerhin 47% der Briten für eine Verfassung aussprachen, bei immerhin nur 6 % Gegenstimmen.88 Der Wechsel bezieht sich daher auch mehr auf den formellen Aspekt als den inhaltlichen. An der grundlegenden Haltung hatte sich dadurch nämlich nur wenig verändert. Die britische Regierung hält demnach weiter an ihrem Widerstand gegen eine europäische Föderation fest und wehrt sich auch insbesondere gegen Formulierungen, die an diesem Endziel festhalten. So soll die Verfassung lediglich der Transparenz dienen, indem sie grundlegende Aspekte der EU festlegt, allem voran die 84 Rede des britischen Premierministers in der Warschauer Börse v. 6. Oktober 2000, abgedruckt in Auszügen in deutscher Übersetzung in: Internationale Politik 2001, Band 1, Heft 2, S. 73 ff. (78). 85 Im Internet: http: //www.fco.gov.uk/servlet/Front?pagename=OpenMarket/Xcelerate/ ShowPage&c=Page&cid=1007029391647&a=KArticle&aid=1014918160874. 86 Siehe dazu auch F. Vibert, Developing a Constitution, S. 177. 87 Im Internet: http: //www.fco.gov.uk/servlet/Front?pagename=OpenMarket/Xcelerate/ ShowPage&c=Page&cid=1007029391647&a=KArticle&aid=1014918160874. 88 The Independent v. 28. August 2002, „Analysis: Trust and accountability remain key in framing of a new Europe“.

B. Die Verfassungsfrage

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Absicherung des Subsidiaritätsprinzips durch ein eigenes Kontrollorgan sowie eine genauere Abgrenzung der Kompetenzen zwischen den Staaten und der EU-Ebene. Eine so verstandene Verfassung stellte sich damit aus britischer Sicht mehr als eine „Tidying-up-exercise“ bzw. eine „Charta of Competences“ dar.89 Im Oktober 2002 präsentierte die britische Regierung hierzu einen Entwurf, der von einer Gruppe von Verfassungsrechtsprofessoren aus Cambridge unter Leitung des Verfassungsrechtlers A. Dashwood im Auftrag der Regierung ausgearbeitet worden war.90 Nur wenige Tage später folgte am 28. Oktober der Entwurf des Präsidiums als Strukturplan für eine künftige Verfassung.91 Den größten Widerstand gab es hier gegen die Verwendung des Wortes „föderal“ in jedwedem Kontext. Im Gegensatz zum deutschen Verständnis einer Föderation, in der Dezentralisation und Autonomie der Föderalstaaten betont werden,92 liegt dem britischen Verständnis ein hoher Grad an Zentralisation und Regulierung zu Grunde.93 Daher wurde die ursprüngliche Fassung des Art. I-1 VVE a.F. („dem Wunsch der Völker und Staaten Europas, ihre Zukunft gemeinsam zu gestalten, wird mit dieser Verfassung eine Union [mit der Bezeichnung . . . ] gegründet, in deren Rahmen die Politiken der Mitgliedstaaten aufeinander abgestimmt werden und die in föderaler Weise bestimmte gemeinsame Zuständigkeiten wahrnimmt“) abgeändert, indem das Wort „föderal“ gestrichen wurde.94 Großbritannien soll damit weiterhin Teil in einem Europa souveräner Nationalstaaten bleiben, während trotz der unbestrittenen Fortschritte der europäischen Integration von den Anfängen der EG hin zur EU die Gründung einer Föderation auf Grundlage eines völkerrechtlichen Vertrages verneint wird.95 Kritisch beäugt wurden auch bereits alle Vorschriften, die in irgendeiner Weise zur Errichtung eines europäischen „Superstaates“ dienlich sein könnten. Ent89 Vgl. auch The Independent v. 27. August 2002, „Straw calls for EU constitution to appease sceptics“, und v. 28. August 2002, „Analysis: Trust and accountability remain key in framing of a new Europe“; The Guardian v. 28. August 2002, „Straw stirs Tory wrath on European ,rulebook‘“. 90 Beitrag 122, CONV 345 / 1 / 02 REV 1; im Internet: http: //european-convention.eu.int. Zu einer Diskussion dieses Beitrags vgl. P. Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 609 ff. Einen kurzen Überblick vermittelt sogleich der Exkurs unter IV. 91 CONV369 / 02; im Internet: http: //european-convention.eu.int. Darstellung bei P. Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 602 ff. 92 Vgl. P. Häberle, Europäische Rechtskultur, S. 257 ff., insbes. S. 263 f. 93 House of Lords Select Committee on the Constitution, 9th Report (The Future of Europe: Constitutional Treaty – Draft Articles 1 – 16), HL 168 (2002 – 03). 94 Vgl. P. Birkinshaw, A Constitution for the European Union?, S. 67 f. 95 Deutlich hierzu noch einmal die Rede des Premiers in Birmingham zur Eröffnung des European Research Institutes am 23. November 2001: „Wir haben eine Vision für Europa – als Union von Nationen, die enger zusammenarbeiten, nicht als föderaler Superstaat, der die Konturen der nationalen Identität verschwimmen läßt. Dies ist die richtige Vision für Europa. Wir sollten soviel Selbstvertrauen haben, daß wir um Unterstützung dafür werben können.“ Abgedruckt in: Internationale Politik, 2001, Band 1, Heft 1, S. 103 – 109.

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

rüstung begegnete einer der Vorschläge des Konventspräsidiums in dem Vorentwurf v. 28. Oktober 2002 für die Bezeichnung der Union als „Vereinigte Staaten von Europa“.96 Auch Formulierungen nach einer „immer engeren Union“ provozierten Widerspruch. Ablehnend verhielt man sich auch insbesondere in Bezug auf Art. I-1 des Entwurfes. Hiernach „ . . .begründet diese Verfassung die Europäische Union . . .“. Diese Formulierung stellt einen Unterschied zu der bisherigen Formulierung in Art. 1 EUV und im eigenen Vorschlag dar: „ . . . gründen die hohen Vertragsparteien untereinander eine Europäische Union . . .“ (Hervorhebungen im Original). Angedeutet wird hier etwas, das einem Bruch mit der bisherigen völkervertraglichen Tradition der Verträge gleichzukommen scheint. Es sind nicht mehr die Mitgliedstaaten als Vertragsparteien, die eine Union begründen, sondern ein Dokument, eine Verfassung. Die Verfassung wird damit in ihrem Status nicht unerheblich aufgewertet. Sie hat nicht mehr wie bisher „nur“ derivativen Status sondern wirkt originär. Wenngleich durch die Beteuerungen beruhigt, einen Verfassungsvertrag, aber keine „echte“ europäische Verfassung im formellen wie materiellen Sinne schaffen zu wollen, zogen Passagen wie diese das Hauptaugenmerk der britischen Konventsmitglieder auf sich. In jedem Fall galt es, die Errichtung eines europäischen Staates unter einer Verfassung – quasi „durch die Hintertür“ – zu verhindern. Wohlwollend wurden daher die Formulierungen in der Präambel aufgenommen, die an die Idee eines Europas der Völker erinnern: „In der Gewißheit, daß die Völker Europas, wiewohl stolz auf ihre nationale Identität und Geschichte . . .“; „In der Gewißheit, daß Europa, ,in Vielheit geeint‘, ihnen die besten Möglichkeiten bietet, unter Wahrung der Rechte des Einzelnen und im Bewußtsein ihrer Verantwortung . . .“.97 Mit Genugtuung reagierte man auf die Formulierungen in der Endfassung, die etwa in der geänderten Fassung des Art. I-1 VVE die Union nunmehr auf die Mitgliedstaaten zurückführt, sowie das im Art. I-11 VVE erstmals ausdrücklich erwähnte Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung nebst – zumindest angedeutetem – Kompetenzkatalog.98 Gleichfalls bedeutend mag das in der Verfassung erstmals ausdrücklich vorgesehene Austrittsrecht der Mitgliedstaaten auf Zuspruch stoßen. Hier werden nicht nur diejenigen Kräfte Rückhalt finden, die Großbritannien am liebsten aus der EU herausführen wollen, sondern auch die eher gemäßigten Skeptiker bis hin zu den Befürwortern einer weiteren Integration. Durch die Erwähnung eines Austrittsrechtes wird klargestellt, daß es sich bei der EU nicht um ein Staatsgebilde handeln wird, denn hier wäre ein Austritt einer Sezession gleichzusetzen. Es verbleibt damit bei der „Herrschaft“ der Nationalstaaten und 96 Art. I-1 des Vorentwurfs, CONV 369 / 02. Dazu die britische Reaktion: „There is not a cat in hell’s chance of it being called the United States of Europe. If anything, it will be called the European Union.“ Vgl. The Guardian v. 29. Oktober 2002, „Giscard unveils draft for ,United Europe‘“; im Internet: http: //politics.guardian.co.uk/eu/story/0,9061,821353,00. html. 97 Präambel VVE, CONV 850 / 03. 98 Weißbuch „A Constitutional Treaty for the EU“ (Cm 5934), para. 55.

B. Die Verfassungsfrage

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damit auch bei der Herrschaft von Westminster, denn hier liegt ja nach britischem Verständnis die eigentliche Legitimation der EU. Das britische Mißtrauen wird um so verständlicher, je mehr man sich mit der Rechtsprechung des EuGH aus britischer Sicht auseinandersetzt. Dies allein könnte einen ganzen Band füllen, so daß eine ausführliche Betrachtung hier unterbleiben soll.99 Hingewiesen sei nur auf die Rolle, die der EuGH in der Geschichte der europäischen Integration eingenommen hat. Durch eine bewußt mal weite, mal restriktive Interpretation gelang es dem Gericht, auf Umwegen den zuweilen ins Stocken geratenen Prozeß wieder neu zu entfachen. Mit einem britischen Verständnis von Rechtsprechung ist dies nur schwer zu vereinbaren. Nach den dort geltenden Regeln findet eine Normenauslegung kaum statt. Gemäß der Doktrin der Parlamentssouveränität sind die Gerichte an den strikten Wortlaut einer Vorschrift gebunden, so daß etwa eine teleologische Interpretation nicht stattfinden kann, ja verboten ist.100 Aus britischer Sicht gesehen, hat der EuGH mehrfach seine Kompetenzen überschritten und hat damit die Verträge zu etwas instrumentalisiert, was in Großbritannien in dieser Reichweite nie erwünscht war.101 Teilweise wurde sehr plakativ festgestellt, daß sich viele im Königreich – eingeschlossen die für die Abstimmung zum ECA 1972 verantwortlichen Parlamentarier – erst sehr spät darüber klar wurden, zu welchem Projekt das Land 1973 beigetreten war.102 Weiteren Sprengstoff lieferten die Bestimmungen über den Vorrang des Gemeinschaftsrechts. Wenn auch dieses Prinzip spätestens mit der Entscheidung im Fall Costa / ENEL103 zum unverrückbaren Erbe der europäischen Familie gehört, bereitete doch die explizite Nennung im Verfassungsentwurf Schwierigkeiten. Zwar wurde mit der Factortame-Rechtsprechung der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts unzweideutig umgesetzt, die Frage nach dem absoluten Geltungsvorrang war bislang aber von den Gerichten nicht direkt adressiert worden. Der Fall, daß ein Parlament willentlich entgegen europäischen Rechts handeln könnte, gilt bislang als höchst problematisch und in seinen Konsequenzen noch nicht einschätzbar.104 Aufgrund der Rechtsprechung des EuGH und der Formulierung des ECA 1972 standen dem Parlament hier auch noch alle Mittel und Wege offen; die gewählte Formulierung im VVE unterstreicht jedoch ein für allemal den Geltungsvorrang von Unionsrecht.105 99 Dazu vgl. etwa G. de Burca / J.H.H. Weiler, The European Court of Justice; P. Birkinshaw, British Report, S. 258 ff. 100 Vgl. M. Zander, The Law-Making Process, S. 109 ff. 101 Anschaulich dazu P. Birkinshaw, British Report, S. 258 f. m. w. N. 102 Etwa D. Nicol, EC Membership and the Judicialisation of British Politics, S. 116 u. 176 f. Dazu auch schon früher in Teil 2 unter B.III. 103 Rs. C 6 / 64, EuGH Slg. 1964, 1251 / 1269. 104 Vgl. D. Oliver, Constitutional Reform in the UK, S. 84. 105 Dazu später mehr unter F.III.3.

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

In Fragen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) sollen in Zukunft die Mitgliedstaaten von solchen Handlungen Abstand nehmen, die den Regelungen der Gemeinschaft hinderlich sein könnten, bzw. die die damit verfolgten Ziele gefährden könnten.106 Gerade in Bezug auf die „gemeinsame“ Politik in der Frage des Irak-Krieges wird hierin ein tiefes Mißtrauen der britischen Seite gegenüber den europäischen Partnern deutlich. Wenig überraschend ist daher die ablehnende Haltung gegenüber der gewählten Formulierung.107 Die Verfassungsidee wurde somit auch von britischer Seite immer wieder in die Nähe des Staatsbegriffs gerückt108 und ähnelte damit der deutschen Diskussion, in der auch als wesentliches Argument gegen ein europäisches Verfassungsdokument immer wieder das Fehlen eines homogenen europäischen Staatsvolkes beklagt wird.109 Gleichzeitig offenbaren sich hier allerdings auch britische Ängste vor einer weiteren Schwächung des Westminster-Parlaments. Nach traditioneller Sicht gibt es keine Instanz, die in der Lage ist, dem Willen des Parlaments entgegenzutreten.110 Eine europäische Verfassung, die in ihrem Anspruch nach Suprematie über nationales Recht somit auch dem nationalen Gesetzgeber Schranken setzt, steht damit in unmittelbarem Widerspruch zu traditionellen Vorstellungen der Sovereignty of Parliament.111 Dabei spielt es auch keine Rolle, wenn bereits in der Rechtsprechung des EuGH weit vor Beitritt des Vereinigten Königreiches zur EG der Vorrang des Gemeinschaftsrechts festgestellt worden war.112 Auch die Tatsache, daß die Verträge bereits in der Rechtsprechung des EuGH als „Verfassungsurkunde der Gemeinschaft“ bezeichnet worden sind,113 ist für diese Diskussion nur wenig fruchtbar. Mit der Verabschiedung eines Dokumentes namens „Verfassung“ wird eine symbolische Schwelle überwunden, die aus britischer Sicht die Staatswerdung Europas immer wahrscheinlicher werden läßt und damit das „souveräne“ Parlament in Westminster auf die Stufe einer „local Assembly“ herabzuwürdigen droht. Deutliche Worte fand hierzu die konservative Opposition in Person des damaligen Vorsitzenden I.D. Smith: „This is a change to the way we are governed as profound as anything that has happened in 1,000 years of British history. In particular, Tony Blair is reversing the Glorious RevoluArt. I-16 Abs. 2 VVE. Zur GASP s. unter F.IV.1. 108 So etwa R. Kuper, Democratization: A constitutionalizing Process, S. 159 f. Vgl. auch J.H.H. Weiler, A Constitution for Europe, S. 567. 109 Vgl. nur D. Grimm, Braucht Europa eine Verfassung? Im Gegensatz zu manchen deutschen Positionen besteht aber in der britischen Haltung nicht einmal der Wunsch nach der Schaffung eines solchen; es soll statt dessen an der Idee des „Europas der Völker“ festgehalten werden. 110 Dazu näher schon in Abschnitt C.III.1.a). 111 So auch deutlich P. Craig, EU Law and National Constitutions, S. 10. 112 Vgl. auch die Ausführungen Lord Bridges in Factortame v. Secretary of State for Transport (No. 2) [1991] 1 AC 603 (658). Dazu schon in Teil 2 unter A.II.a)bb)(5). 113 C-294 / 83 EuGHE 1986, 1339 (1365 f.) – „Les Verts“; EuGH 1996, I-1759 (1789) – EMRK-Gutachten. 106 107

B. Die Verfassungsfrage

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tion of 1688 when sovereignty was established in the people of the United Kingdom and incorporated in the name of the ,Queen in Parliament‘. He’s about to do away with both Queen and Parliament [ . . . ]“.114

Auch provoziert allein die Tatsache, daß es Großbritannien seit Jahrhunderten an einer geschriebenen Verfassung fehlt, Widerspruch. Konflikte auf Verfassungsebene werden seit jeher politisch ausgetragen. Es bedarf keines Verfassungsgerichts, um Rechtsfrieden herzustellen. Im Gegenteil: in der einzigen Zeit, in der das Land auf Grundlage einer geschriebenen Verfassung regiert wurde, nämlich während der revolutionären Jahre unter den Militärdiktaturen Oliver und Richard Cromwells (1649 – 1660), erfuhren seine Bürger die Rechtfertigung einer diktaturähnlichen Herrschaft durch die sogenannten Instruments of Government (1653 – 1660). Deren Überwindung fand durch die Abschaffung des republikanischen Regimes (!) und einer Restauration der Monarchie statt – wenngleich diese durch das v.a. durch die „Glorious Revolution“ (1688) gestärkte Parlament nunmehr unter anderen Vorzeichen stand. Obgleich wohl nur wenigen Briten die negativen Erfahrungen der Cromwell-Ära gegenwärtig sein werden, so dürfte sich eine instinktive Abneigung gegen eine geschriebene Verfassung bzw. das Bewußtsein, auch durch eine Verfassung nicht vor Machtmißbrauch geschützt zu sein, in breiten Bevölkerungsschichten nicht hinwegdeuten lassen.115 Der Symbolismus eines Dokumentes namens „Verfassung“ sollte daher nicht unterschätzt werden. Auf emotionaler Seite gibt es einen weiteren Einwand gegen eine verstärkte europäische Integration: So, wie die in weiten Teilen ungeschriebene Verfassung viele Bereiche des politischen und gesellschaftlichen Zusammenlebens ungeregelt beläßt, verhält es sich auch mit anderen Dingen auf einfachrechtlicher Ebene. Hier kommt ein gewisser „britischer“ Pragmatismus zum Vorschein, der eben nur solche Dinge gesetzlich regelt, die unbedingt der Regelung bedürfen. So erklärt sich z. B. auch, daß es ein wirkliches Verwaltungsrecht im Königreich bis vor kurzem noch nicht gegeben hat. Dessen Ausbildung ist daher auch eher der Gerichtsbarkeit als dem gesetzgeberischen Willen zu verdanken.116 Eine ungebremste „Brüsseler Regelungswut“ setzt daher dem Willen auf der Insel, weitere Zuständigkeiten auf europäischer Ebene zu „poolen“117, enge Grenzen. Dieses Unbehagen wird weiter 114 Rede vor dem Kongreß für Demokratie v. 7. November 2003, „Rally for a Referendum“; im Internet: http: //www.conservatives.com/tile.do?def=news.story.page&obj_id =78478&speeches=1. Vgl. auch schon die Rede in Prag, „A new Europe“, v. 7. Juli 2003; im Internet: http: //www.conservatives.com/tile.do?def=news.story.page&obj_id=6618&speeches =1. 115 Von einem – erfolglosen – Verfassungsentwurf 1992 einmal abgesehen. Vgl. zu dieser Einschätzung und geschichtlichem Hintergrund J. Hatschek, Englische Verfassungsgeschichte, S. 337 ff. 116 Zur geschichtlichen Entwicklung und Funktionen des Verwaltungsrechts in England vgl. A.W. Bradley / K.D. Ewing, Constitutional and Administrative Law, S. 697 ff. 117 Der Wortgebrauch spiegelt auch hier das britische Unbehagen einem Souveränitätsverlust gegenüber wider: statt – wie im deutschen Sprachgebrauch etwa üblich – von einer Kompetenzübertragung auf die europäische Ebene zu reden, ist im britischen Sprachgebrauch

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

dadurch verstärkt, daß im Gegensatz zu den nationalen Gremien eine demokratische Kontrolle der gesetzgebenden Unions-Organe vermißt wird. Dem EP werden dabei ungeachtet der in den letzten Jahren immer weiter verstärkten Rechte nur wenige Einflußmöglichkeiten zugetraut. Dies hat sich wiederholt in einer besonders geringen Wahlbeteiligung bei den Europawahlen bestätigt.118 Von diesen grundsätzlichen Positionen einmal abgesehen rangieren Zuspruch und Ablehnung einer Verfassung je nach deren Inhalt. In Abhängigkeit davon, ob sich mehr integrationistische119 – etwa durch die Stärkung der supranationalen Elemente bzw. der Rolle der Kommission – oder aber intergouvernementale Ansätze120 – so z. B. durch eine stärkere Abgrenzung der Kompetenzen zwischen Union und Mitgliedstaaten, Reduzierung der Abstimmungen mit qualifizierter Mehrheit oder auch Stärkung der nationalen Parlamente – finden lassen, erfährt die Idee mehr im „europhilen“ oder im Lager der Euroskeptiker Zuspruch.121

II. Die verfassungsrechtliche Dimension Neben der politischen bzw. gesellschaftlichen Frage, ob eine Verfassung erstrebenswert ist, bzw. welchen Inhalt sie haben sollte, stellt sich auch die Frage nach rechtlichen Grenzen für eine europäische Verfassung. Es ist daher zu fragen, ob die britische Verfassung einer tieferen Integration des Königreiches in die Europäische Union entgegensteht bzw. die Regierung hindert, einem „Vertrag über eine Verfassung für Europa“ zuzustimmen. Interessant sind hier prozessuale und inhaltliche Fragen. Letztere sollen an dieser Stelle nur prinzipiell angesprochen werden, um den folgenden Ausführungen zu Einzelproblemen des Verfassungsentwurfs nicht vorzugreifen. 1. Prozessuale Hindernisse Unabhängig von seinem Inhalt wird der Entwurf des Konvents zur Zukunft Europas sich mit in die Reihe der Verträge von Rom über die EEA, Maastricht, mehr das „Poolen“ der Souveränitäten i.S.e. „Zusammenschließen“ oder auch „Zusammenfassen“, gebräuchlich und impliziert daher weniger einen Machtverlust als ein „Transfer“. 118 Zu diesen „gefühlsmäßigen“ Vorbehalten vgl. auch W. v. Simson, Traditionelle britische Vorbehalte auf dem Weg zu einer europäischen Verfassung. 119 Vgl. etwa den Verfassungsentwurf des Konventsmitglieds A. Duff, A Model Constitution for a Federal Union of Europe, v. 3. September 2003, Beitrag 82, CONV 234 / 02; im Internet: http: //european-convention.eu.int. 120 Vgl. etwa den Verfassungsentwurf der European Constitutional Group, A basic „Constitutional“ Treaty for the European Union, v. 8 Juni 2003. 121 Diese Lager können nicht nach Parteizugehörigkeit eingeordnet werden; die jeweiligen Anhänger rekrutieren sich vielmehr aus dem gesamten Parteienspektrum. Illustrierend hier M. Jachtenfuchs, Die Konstruktion Europas. Zu britischen Positionen vgl. auch D. Thym, Der britische Beitrag zur europäischen Verfassungsdiskussion.

B. Die Verfassungsfrage

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Amsterdam und Nizza einreihen. Anders als daher etwa eine Staatsverfassung wird zur Wirksamkeit des Verfassungsentwurfs nicht eine europäische Volksabstimmung notwendig sein. Das Inkrafttreten der Verfassung folgt vielmehr den Regeln über die Verabschiedung internationaler Verträge.122 Die Umsetzung internationaler Verträge erfolgt in Großbritannien nach einem dualistischen Ansatz.123 Hiernach stellen nationales und internationales Recht zwei voneinander streng zu trennende Rechtssysteme dar. Zwar besitzt die Krone als „Prerogative“ die Befugnis, internationale Verträge zu schließen, ohne daß es zu deren Ratifikation einer Parlamentszustimmung bedürfte. Abweichend von diesem Grundsatz schreibt der European Parliamentary Elections Act 2002 aber eine Zustimmung des Parlaments vor Ratifikation durch die Regierung vor, soweit die Befugnisse des EP durch die beabsichtigte Vertragsänderung Zuwachs erfahren. Der Konventsentwurf sieht einen solchen Machtzuwachs des EP vor – hingewiesen sei allein schon auf die Ausdehnung des Mitentscheidungsverfahrens von bisher 37 auf ca. 80 Fälle. Aus diesem Grund ist die Zustimmung des Parlaments erforderlich, bevor die Regierung den Verfassungsvertrag ratifizieren kann. Aus der Parlamentssouveränität folgt allerdings, daß allein durch die Ratifikation nicht nationales Recht verändert werden kann. Völkerrechtliche Verträge bedürfen daher zu ihrer Geltung im nationalen Recht der Umsetzung durch Act of Parliament.124 Für den Beitritt zur EG im Jahre 1973 sowie für alle Vertragsänderungen – gleich ob EEA, Vertrag von Maastricht, Amsterdam oder auch Nizza – übernimmt diese Funktion der ECA 1972. Die Umsetzung von Vertragsrevisionen wird dabei durch Fortschreibung des Schedule I im Anhang des ECA erreicht. Auch die Überführung der Verfassung in nationales Recht würde diesem Muster folgen, indem der Verfassungsvertrag Aufnahme in Schedule I erfahren würde. Eine vieldiskutierte Zustimmung der Bevölkerung mittels nationalem Referendum, wie sie jetzt auch von Regierungsseite her angekündigt wurde,125 ist zur Inkraftsetzung des neuen Vertrages aus juristischer Sicht dagegen nicht erforderlich. 122 Die Verabschiedung einer vollwertigen Verfassung Europas durch ein europaeinheitliches Referendum ist bislang weder gewollt noch geplant. Selbst Stimmen, nach denen ein europäisches Referendum erfolgen sollte, negieren nicht den völkerrechtlichen Charakter des Konventsentwurfes. Vgl. dazu auch I. Pernice, Die neue Verfassung der Europäischen Union, S. 23; ders., Multilevel constitutionalism in the European Union, S. 529. 123 Dazu T. Hartley, Constitutional Problems of the European Union, S. 134 f. 124 Eine gesonderte Ratifikation ist für die internationale Verpflichtung dagegen nicht erforderlich. Dazu A.W. Bradley / K.D. Ewing, Constitutional and Administrative Law, S. 62; P. Birkinshaw, British Report, S. 211. Anders hingegen nach dem sog. monistischen Ansatz, nach welchem nationales und internationales Recht zwar verschiedene, aber nicht unbedingt streng voneinander abzugrenzende Rechtsordnungen darstellen. In der Bundesrepublik Deutschland etwa ist daher zur Geltung internationalen Rechts im Bundesgebiet die Ratifikation durch den Bundestag erforderlich, internationale Verträge erhalten damit aber bereits allein verbindliche Geltung mit Rang einfachen Bundesrechts; beachte hierzu Art. 25 GG: Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind Bestandteil des Bundesrechts. Zur Verbandsund Organkompetenz des Bundes vgl. Art. 32 Abs. 1, 59 Abs. 2 GG.

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

2. Materiellrechtliche Hindernisse In Anbetracht einer vertiefenden Integration stellen sich Fragen in materiellrechtlicher Hinsicht gleich zweifach. Zum einen könnte die britische Verfassung die Übertragung weiterer Hoheitsrechte verbieten. Die Grenzen einer solchen Übertragung sind jedoch (bislang) nicht klar formuliert worden. Im Gegensatz etwa zum bundesdeutschen Grundgesetz kennt die britische Verfassung keine dem Art. 79 Abs. 3 GG (in Bezug auf die Übertragung weiterer Hoheitsrechte gelten nach Art. 23 Abs. 1 S. 3 die Art. 79 Abs. 2 und 3 entsprechend) vergleichbare Regelung.126 Von einem juristischen Standpunkt aus gesehen kann das omnipotente Parlament inhaltlich jedes Gesetz erlassen. Der Sinn und die Zweckmäßigkeit eines solchen Schrittes sind dagegen politische Fragen und in diesem Kontext daher von untergeordneter Bedeutung.127 Mit der Entscheidung im Fall „Thoburn“128 wird jedoch davon auszugehen sein, daß auch in der britischen Verfassung dem Parlament in Fragen der Souveränitätsübertragung Grenzen gezogen werden können. Trotz der Bezeichnung „Verfassung“ handelt es sich um einen Vertrag, dessen Inhalt und Änderung vom Willen der Mitgliedstaaten weiter abhängig ist. Der Konventsentwurf ändert in dieser Hinsicht nichts am bestehenden Recht. Eine Übertragung der ultimativen Souveränität kann somit im Grundsatz ausgeschlossen werden. Inwiefern jedoch einzelne inhaltliche Bestimmungen diese Grenze erreichen, ist eine Frage des Einzelfalls und den folgenden speziellen Abschnitten vorbehalten. Probleme ergeben sich jedoch gerade aufgrund der Parlamentssouveränität für die Fortgeltung einer solchen Übertragung. Die Betrachtung der FactortameRechtsprechung hat die hiermit zusammenhängenden Probleme aufgezeigt.129 Heikel in diesem Kontext erweisen sich daher insbesondere Regelungen, die den Vorrang EU-Rechts vor nationalem Recht festschreiben. Auch für den Fall, daß das Parlament diese Regelung akzeptierte, wäre weiterhin unklar, ob spätere Parlamente – zumindest rechtlich – an diese Entscheidung gebunden sind.130 Die Positionen zu diesem Streitpunkt wurden an anderer Stelle dargestellt und sollen hier lediglich als Anmerkung dienen.131 Ohnehin würden sich diese Probleme erst stellen, sollte ein späteres Parlament gewillt sein, von diesen Bestimmungen abzuweichen. Schließlich hat sich Großbritannien bereits durch den ECA 1972 dem acquis communautaire angeschlossen, welcher u. a. ja auch die EuGH-Rechtsprechung 125 Rede des britischen Premiers vor dem britischen Unterhaus v. 20. April 2004, im Internet: http: //www.labour.org.uk/tbeuconstitution/. Vgl. auch FAZ v. 20. April 2004. Hierzu später noch mehr. 126 Dazu auch schon in Abschnitt C.III.1.b)ee). 127 P. Craig, EU-Law and National Constitutions, S. 3 f. 128 Vgl. Teil 2 unter A.II.3.a)bb)(5)(b). 129 Teil 2 unter A.II.3.a)bb). 130 Vgl. auch P. Craig, EU-Law and National Constitutions, S. 4. 131 Teil 2 Abschnitt A.II.3.a)bb)(5).

B. Die Verfassungsfrage

177

zum Prinzip vom Vorrang des Gemeinschaftsrechts beinhaltet, so daß dieses Problem nicht speziell mit der Arbeit des Verfassungskonvents im Zusammenhang steht, sondern unabhängig davon das Verhältnis Großbritanniens zur EU überhaupt betrifft. Festzuhalten bleibt daher, daß sich in Bezug auf die Verfassungsfrage als solche keine rechtlichen Hindernisse in der britischen Verfassung finden lassen, die über das bereits bestehende – und bislang in der nationalen Judikatur noch nicht vollständig geklärte – Problem der Bindung zukünftiger Parlamente an Entscheidungen ihrer Vorgänger hinausgehen. Inwiefern einzelne Hoheitsrechtsübertragungen den Befugnisrahmen des Parlaments überschreiten, ist nicht so sehr eine Frage des Prinzips als des Inhalts. Einem „Vertrag über eine Verfassung für Europa“ steht die britische Verfassung mithin nicht prinzipiell im Wege.

III. Die verfassungspolitische Dimension Gleichwohl umstritten ist die Frage nach dem europäischen Verfassungsprojekt in der verfassungs- und europarechtlichen Literatur. Im Unterschied zur politischen Ebene finden hier aber keine wirtschaftlichen oder ideellen Maßstäbe Anwendung. In verfassungsrechtlicher Dimension wird die Verfassungsbedürftigkeit der EU je nach zugrundegelegtem Verfassungsbegriff untersucht.132

1. Der Verfassungsbegriff Die Frage nach dem richtigen Verfassungsbegriff ist auch für die britische Sicht entscheidend. Danach werden v.a. zwei unterschiedliche Ausprägungen unterschieden.133 In einem weiten Verständnis ist die Verfassung das Recht, welches die Regierung einsetzt und ihre wesentlichen Organe, deren Verfaßtheit und Befugnisse regelt. Jedes Rechtssystem hat hiernach solche Regeln und somit auch eine Verfassung.134 Zuweilen tritt dabei noch die Garantie von Rechten an die Regierten hinzu.135 In einem engeren Verständnis werden einer Verfassung darüber hinaus noch weitere Eigenschaften zugewiesen, die je nach Ansicht differieren können 132 s. insbesondere P. Craig, Constitutions, Constitutionalism, and the European Union; J.H.H. Weiler, A Constitution for Europe? (aus amerikanischer Sicht); S. Douglas-Scott, Constitutional Law of the European Union, Kap. 15 (S. 515 ff.). 133 K. Wheare, Modern Constitutions, Kap. 1; J. Raz, On the Authority and Interpretation of Constitutions, S. 152 ff.; G. Marshall, The Constitution, S. 29 f.; P. Craig, Constitutions, Constitutionalism, and the European Union, S. 126 f. 134 Vgl. J. Raz, On the Authority and Interpretation of Constitutions, 152 f. 135 Das Oxford Companion to Law definiert daher eine Verfassung als „the basic principles and laws of a nation state, or social group that determine the powers and duties of the government and guarantee certain rights to the people“.

12 Hupka

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

und nicht unumstritten sind. Zentral treten dabei aber insbesondere die folgenden hervor.136 Eine Verfassung legt zunächst die Hauptorgane der Regierung fest und grenzt deren Befugnisse ab137, sie ist in diesem Sinne konstitutiv („constitutive“) und stimmt mit dem weiten Begriff überein. Daneben sind Verfassungen von gewisser Dauerhaftigkeit („stable“) für die Grundordnung des Gemeinwesens und dienen damit als stabiler Rahmen für die politischen und rechtlichen Einrichtungen des Staates. Verfassungen sind übergeordnetes Recht („Superior Law“) und gehen anderen Rechtsvorschriften im Rang vor. Außerdem seien Verfassungen in einem oder wenigen Dokumenten niedergeschrieben („canonical Formulation“). Zudem werden sie durch prozedurale Vorschriften abgesichert, indem „einfache“ Rechtsvorschriften für mit der Verfassung unvereinbar erklärt werden können; Verfassungen seien demnach justiziabel („justiciable“). Mit dem Argument der Dauerhaftigkeit in engem Zusammenhang steht die erschwerte Abänderbarkeit von Verfassungen. Sie sind einer Änderung durch die Regeln, denen das einfache Recht unterliegt, entzogen („entrenched“). Zwar ist eine Änderung nicht von vornherein ausgeschlossen, jedoch unterliegt eine solche strengen Anforderungen. Schließlich und endlich drücken Verfassungen die gemeinsame Grundhaltung einer Gemeinschaft über die Art und Weise, in der ihre Gesellschaft regiert werden solle, aus. Sie enthalten daher Regelungen zu Themen wie Demokratie, Föderalismus, bürgerlichen und politischen Rechten, über die in der betreffenden Gemeinschaft Einigkeit herrscht und die die Basis des Zusammenlebens bilden („common ideology“). Je nach Regierungsform und staatlicher Organisation enthalten sämtliche Verfassungen diese Eigenschaften in mehr oder weniger starker Ausprägung.138 2. Verfassungsbedürftigkeit / -fähigkeit der EU Ebenso wie in der generellen Diskussion in Teil 1 der Arbeit stellt sich auch aus britischer Sicht die Frage nach der Verfassungsbedürftigkeit der EU in Abhängigkeit von der Verfassungseigenschaft der Verträge.139 Weitestgehend ist diese nunmehr auch in der britischen Literatur je nach dem zugrundegelegten Verfassungsverständnis mehr oder weniger anerkannt.140 Unproblematisch zu bejahen ist dies Nach J. Raz, On the Authority and Interpretation of Constitutions, S. 153 f. In einem föderalen System findet darüber hinaus auch eine Kompetenzabgrenzung statt, indem der föderalen oder regionalen Ebene bestimmte Aufgaben und Befugnisse zugeschrieben werden. 138 J. Raz, On the Authority and Interpretation of Constitutions, S. 154. 139 Dazu unter A.II.1. 140 Etwa bei P. Craig, Constitutions, Constitutionalism, and the European Union, S. 129; P. Birkinshaw, British Report, S. 285; J.H.H. Weiler, The Constitution of Europe, S. 9 (aus amerikanischer Sicht); A. Dashwood, The constitution of the European Union after Nice. Anders dagegen bzw. zumindest starke Zweifel äußernd noch P. Pescatore, International Law and Community Law, S. 167 f.; D. Wyatt, New Legal Order, S. 148; T. Hartley, Constitutional 136 137

B. Die Verfassungsfrage

179

aus einer weiten Sicht; für die engere Auffassung ist entscheidend, welches Gewicht auf den Einzelaspekt gelegt wird.141 Kritisiert wird die Zersplitterung der konstitutionellen Vorschriften in den Verträgen und die daraus folgende schwierige Unterscheidbarkeit von den übrigen Regelungen. Auch gebe es kein Dokument, in dem die verfassungsrechtlichen Bestimmungen mit den Weiterentwicklungen durch den EuGH verbunden würden. Eine Verfassung, die den obigen Anforderungen genügt, gibt es daher als kohärentes Dokument (noch) nicht.142 Das in Großbritannien vorherrschende liberale Verfassungsverständnis erzeugt zudem Widerstand gegen kontinentale Ansätze zur Formulierung von Verfassungsaufträgen, wie sie insbesondere im Bereich sozialer Grundrechte schon bei den Arbeiten zur Grundrechtecharta angestrebt waren.143 Je nach Verfassungsbegriff wird also die Verfassungsbedürftigkeit der EU unterschiedlich beurteilt. Ähnlich der deutschen Diskussion ist im Lager der Verfassungsgegner der Einwand stark verbreitet, eine Verfassung sei abhängig von der Staatswerdung der EU. Solange es in Europa kein einheitliches Staatsvolk, keinen „europäischen“ demos gibt, könne sich Europa auch keine Verfassung geben (nondemos-Theorie).144 Andere gehen von der Eigenständigkeit der EU innerhalb des traditionellen Gefüges von internationalem Recht und nationaler Verfassungsordnung aus. Soweit auf dieser Grundlage den Verträgen eine Art Verfassungsrang zukommt, stehe einer weiteren Integration auf dieser Basis nichts entgegen. Parallel zur deutschen Debatte145 gibt es auch in der britischen Literatur Ansätze, die Frage nach einer Verfassung von der Frage der Staatswerdung Europas zu trennen.146 So werden zwar Ideen nach einem europäischen Superstaat – wenn nicht endgültig, so doch zumindest vorerst – Absagen erteilt, jedoch nicht die nach einer „Verfassung“ auf Grundlage eines „Multilevel-Constitutionalism“ oder auch „Multilevel-Governance“147, auch „Mixed Commonwealth“ (MacCormick)148. Problems of the EU, S. 138 f. R. Kuper erkennt für die EU eine „treaty-based constitution“, bezieht den Begriff der „constitution“ dann aber auf den Staatsbegriff und macht die Verfassunggebung daher von der Voraussetzung eines einheitlichen europäischen Volkes abhängig; s. ders., Democratization: A constitutionalizing Process, S. 159 f. 141 Exemplarisch vgl. P.Craig, Constitutions, Constitutionalism, and the European Union. 142 P. Craig, Constitutions, Constitutionalism, and the European Union, S. 135. 143 D. Oliver, Constitutional Reform, S. 81. s. auch unten D. 144 So R. Kuper, Democratization: A constitutionalizing Process, S. 159 ff., D. HeathcoatAmory, The European Constitution, S. 8. Aus deutscher Sicht vgl. D. Grimm, Braucht Europa eine Verfassung?; sowie die Ausführungen in Teil 1.A.II.1.c). 145 Richtungsweisend hier I. Pernice, Europäisches und nationales Verfassungsrecht. Vgl. auch schon in Teil 1 Abschnitt A.II.1. 146 P. Birkinshaw, British Report, S. 284 ff.; P. Craig, Constitutions, Constitutionalism, and the European Union, S. 137; S. Douglas-Scott, Constitutional Law of the European Union, S. 523. 147 Dazu etwa D. Thym, Constitutional Theory and the Post-Nice-Process, S. 157 ff.; S. Douglas-Scott, Constitutional Law of the European Union, S. 520 f. Mit dieser Idee 12*

180

3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

Tatsächlich könnte sich auf diesem Wege die im britischen Verständnis fehlende „Volkssouveränität“ mit der dort herrschenden „Parlamentssouveränität“ verknüpfen lassen. Die Vorstellung voneinander unabhängiger, wenngleich verschiedener konstitutioneller Ebenen scheint hier als Brückenbauer geeignet: Einerseits wird auf nationaler Ebene an der Parlamentssouveränität festgehalten, bleiben die Bürger demnach „Untertanen“. Auf der anderen – europäischen – Seite dagegen besteht volle „Volkssouveränität“, werden die Untertanen zu Bürgern aufgewertet, wird das britische „subject“ zum europäischen „citizen“. Durch die Schaffung der europäischen Unionsbürgerschaft wird diese Konzeption ebenfalls gestützt, denn diese tritt selbständig neben die nationale Staatsangehörigkeit.149 Allerdings wird auch davor gewarnt, eine europäische Verfassung quasi „über Nacht“ aus der Taufe zu heben. Wegen des sich weiterentwickelnden Integrationsgrades könne eine Verfassung lediglich permanent provisorisch sein und niemals Endprodukt.150 Aufgrund eines fehlenden europäischen demos wäre sie daher auch nicht Ausdruck der Interessen und Vorlieben eines europäischen Volkes, sondern vielmehr die Fortschreibung des gemeinsamen demokratischen Inputs der europäischen Bürger.151 Erneut taucht damit das Hindernis eines fehlenden europäischen Volkes und einer daraus folgenden europäischen Öffentlichkeit auf. Hiergegen wird – dem Konzept der „post-nationalen Konstellation“ (Habermas) folgend – eingewandt, die Finalität einer europäischen Verfassung müsse nicht zwingend einen europäischen demos voraussetzen. Vielmehr könnte die Notwendigkeit von Kompetenzverlagerungen auf die europäische Ebene in Bereichen, in denen der einzelne Nationalstaat alleine nicht mehr agieren kann, als Katalysator durch das Medium einer Verfassung wirken, um auf lange Sicht ein europäisches „Staatsvolk“ zu schaffen.152 Die Konstitutionalisierung Europas sei daher nicht Endpunkt der Ausprägung eines europäischen demos, sondern ihr Ausgangspunkt. Der Verfassungsstaat wäre hier vielmehr als Prozeß zu verstehen und nicht als statisches Gebilde.153 Vielerorts werde ein gemeinsamer demos formal erkannt, seine soziale angefreundet hat sich wohl auch die britische Regierung; vgl. dazu die Rede des Außenministers J. Straw in London v. 27. 07. 2001: „We need to challenge the false notion that we cannot be British and European at the same time. [ . . . ] Europe simply provides a further layer of identity. It need not challenge or subvert the other loyalties which exist“, im Internet: http: // www. fco.gov.uk/servlet/Front?pagename=OpenMarket/Xcelerate/ShowPage&c=Page&cid= 1007029391647&a=KArticle&aid=1013618411732. 148 N. MacCormick, Democracy and Subsidiarity, S. 137. 149 Art. 17 Abs. 1 S. 3 EGV: „Die Unionsbürgerschaft ergänzt die nationale Staatsbürgerschaft, ersetzt sie aber nicht.“; Art. I-10 Abs. 1 S. 2 VVE: „Die Unionsbürgerschaft tritt zur nationalen Staatsbürgerschaft hinzu, ohne diese zu ersetzen.“ 150 D. Oliver, Constitutional Reform, S. 80. 151 R. Kuper, Democratization: A constitutionalizing Process, S. 165. 152 P. Craig, Constitutions, Constitutionalism, and the European Union, S. 139. 153 J.H.H. Weiler, A Constitution for Europe?, S. 566 f., zieht gar Vergleiche mit dem Institut der Ehe, welche an ihrem Anfang noch nicht von der tiefen Zuneigung, Loyalität und

B. Die Verfassungsfrage

181

und politische Realität dagegen verkannt. In einem solchen Fall stelle sich eine solche Föderation als zunehmend instabil dar, wie Beispiele in Kanada (Provinz Quebec) oder auch Spanien (Baskenland) belegen. Einen demos über eine Verfassung zu schaffen, sei daher mit Risiken behaftet, zumindest soweit man ihn als unbedingte Voraussetzung für ein europäisches Staatswesen begreife, was für Europa aber gerade nicht gelte. Anstatt der Volkssouveränität als einem demokratischen Gemeinwesen innewohnenden Prinzips, könne für Europa statt dessen eine „constitutional Tolerance“ als Grundprinzip angenommen werden. Eine Toleranz, die sich darin ausdrücke, daß die einzelnen Völker Europas Entscheidungen als für sie bindend akzeptieren, obgleich diese nicht auf eine Mehrheit „ihres“ Gemeinwesens zurückgehen, sondern auf ein gemischtes, ja vielleicht sogar von ihnen mehrheitlich verschiedenes.154 Dem Grunde nach geht es also auch in der britischen Literatur um die Frage, was eine Verfassung, bzw. was ihren eigentlichen Inhalt ausmacht. Einigkeit besteht darin, daß die Verfassung die Regeln eines Gemeinwesens umfaßt, die von diesem als verbindlich anerkannt werden. Zu klären bleibt dagegen, ob dieses Gemeinwesen vor der Konstitutionalisierung bestehen muß, über die Verfassung also quasi einen gesellschaftlichen Auftrag formuliert, oder ob ein solches Gemeinwesen auch durch eine Verfassung erst zum Entstehen gebracht werden kann.155 Auch auf der akademischen Seite wird daher eine Verfassung für Europa im Grundsatz nicht abgelehnt. Es wird vielmehr auf die Rechtsprechung des EuGH zur Verfassungseigenschaft der Verträge156 zurückgegriffen. Jedoch wird auch hier immer wieder betont, daß aufgrund der fehlenden Staatsqualität der EU ein solches Dokument bislang nur als Verfassung sui generis i.S.e. System of Government vorliegt – so, wie auch die Union als Gebilde sui generis betrachtet werden müsse.157 Die Befürwortung einer Verfassung (oder Ablehnung) ist damit auch hier wiederum von den jeweiligen Vorstellungen und Zielen abhängig und kann damit nicht in eindeutiger Weise beschrieben werden. Einigkeit besteht insoweit, daß die EU spätestens mit der Osterweiterung an ihre institutionellen Grenzen gestoßen und eine grundlegende Reform der Verträge notwendig geworden ist. Aufgrund der Tiefe der Reformen insbesondere im institutionellen Bereich sei inzwischen ein Verfassungsdokument notwendig, über dessen Inhalt aber alles andere als Konsens besteht.158 Hervorgehoben wird zudem der symbolische Wert einer Verfassung, über den ein solches Dokument nicht nur ein demokratisches Defizit bekämpfen könnte, sondern Europa auch ideell wieder ein Stück näher an seine Gemeinschaftlichkeit geprägt ist, wie sie es nach vielen Jahren gemeinsamer Lebenspartnerschaft sein wird. 154 J.H.H. Weiler, A Constitution for Europe?, S. 567 f. 155 S. Douglas-Scott, Constituting Europe, S. 97. 156 Rs. C-294 / 83 (Les Verts / Parlament), Slg. EuGH 1986, 1339. 157 D. Oliver, Constitutional Reform in the UK, S. 79. 158 J.H.H. Weiler, A Constitution for Europe?, S. 564.

182

3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

Bürger führen könnte.159 Zu Bedenken wird aber gegeben, daß eine solche Verfassung sich zunächst auf die Festschreibung von institutionellen Regeln beschränken würde, ohne dabei grundlegende Prinzipien zu nennen, denen dieses institutionelle Gerüst zu dienen bestimmt ist.160 Es solle vielmehr – nach amerikanischem Vorbild – der umgekehrte Prozeß eingeleitet werden, indem eine Verfassung die EU auf grundlegende Prinzipien verpflichtete, zu deren Erreichung sich dann quasi selbständig effektive Instrumente herausbilden würden; oder zumindest beide Prozesse parallel verfolgt werden. Sowohl auf politischer wie auf wissenschaftlicher Seite hat damit aber immerhin eine Bewegung stattgefunden, in der von der „Tabuisierung“ des Verfassungsprojektes abgerückt und sich konkreteren Plänen geöffnet wurde.161 Die Entscheidung für oder gegen den Verfassungsentwurf ist damit nicht mehr so sehr prinzipieller Natur – wie die Verfassungsfrage in der Vergangenheit – sondern hängt wesentlich vom Inhalt des konkreten Dokumentes ab, welcher die weitere Untersuchung bestimmen soll. Charakteristisch für die Debatte im Königreich ist damit inzwischen nicht mehr, ob es eine Verfassung für die EU geben soll, sondern mehr, ob sie mit einem großen oder kleinen „C“ zu schreiben ist.162

IV. Exkurs: Der Verfassungsentwurf „Dashwood“ Einen Eindruck von britischen Verfassungsvorstellungen für Europa vermittelt der Entwurf der britischen Regierung vom 16 Oktober 2003. Dieser, als „Verfassungsvertrag“ überschriebene, Entwurf betont die Souveränität der Einzelstaaten schon im Text. Über die Natur der Union bestimmt Art. 1 etwa: The Union shall be established as a constitutional order of sovereign States. The Member States have chosen in some measure to exercise their sovereignties in common, through the institutions of the Union, under the conditions laid down by this Treaty. In so combining their sovereignties, for defined purposes and within defined limits, the Member States maintain their national identities. The institutions of the Union, when acting pursuant to powers conferred by this Treaty, shall respect the national identities of the Member States, their cultural and linguistic diversity and their traditions.

159 S. Douglas-Scott, Constituting Europe, S. 97 f.; vgl. auch S. Boyron, Drafting a Constitution, S. 191. 160 F. Vibert, Developing a Constitution, S. 182. 161 J.H.H. Weiler, A Constitution for Europe?, S. 563, zieht hier den drastischen Vergleich zu der Diskussion über eine europäische Verfassung im Vorfeld des Vertrags von Maastricht. Vgl. auch I. Pernice, The European Constitution, S. 3 f. 162 Unbestritten ist weitestgehend, daß es eine „European constitution“ gibt. Fraglich bleibt nunmehr, ob diese dermaßen reformbedürftig ist, daß sie in einer „European Constitution“ enden soll, die die europäische Integration weiter vorantreibt und insbesondere die supranationalen Elemente in den bisherigen Verträgen stärkt und den Bürger, etwa über die Einbindung der EU-Grundrechtecharta, mehr Rechte zugesteht als bislang.

C. Die Konventsmethode als Alternative

183

Deutlich schließt hieran auch die Regelung in Art. 23 an, nach welcher die Union eigene Rechtspersönlichkeit besitzt, dies aber die Souveränität der Mitgliedstaaten in keiner Weise beeinflussen soll. Systematisch fällt auf, daß die EU-Charta nicht unmittelbar, sondern (nur) durch Verweis einbezogen wird. Auch hebt der Entwurf die Eigenständigkeit der Außenund Sicherheitspolitik hervor, indem die betreffenden Vorschriften keine Aufnahme in das eigentliche Verfassungsdokument finden sollen. Ebenso wie die Wirtschafts- und Sozialpolitik sind sie einem Zusatzdokument („Act“) vorbehalten. Beachtung verdient die Aufzählung fundamentaler Prinzipien. Hierzu zählt neben dem Subsidiaritätsprinzip gerade auch das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung. Während der Grundsatz der Subsidiarität durch ausführliche und detaillierte Regelungen ausgestaltet ist, wird das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung durch Regelungen flankiert, die der Union keine immanenten oder ableitbaren Rechte zuerkennt. Nur ausdrücklich (!) zugewiesene Aufgaben dürfen demnach durch die Union wahrgenommen werden. Spektakulär mutet die Normierung eines Austrittsrechtes an, welches unabhängig von der Zustimmung von Unionsorganen oder anderer Mitgliedstaaten besteht. Insgesamt ist der Entwurf „Dashwood“ nach britischer Lesart mit einem kleinen „C“ zu schreiben. Er bringt im wesentlichen eine Neuordnung und Vereinfachung der Verträge mit sich, ohne aber besondere Neuerungen anzubringen. In ihm enthaltene Innovationen verfolgen stark einen intergouvernementalen Kurs, wie aus der Betonung der einzelstaatlichen Parlamente und besonders der Normierung des Austrittsrechtes ersichtlich ist.

C. Die Konventsmethode als Alternative zur Vorbereitung von Regierungskonferenzen Die Ausarbeitung des Verfassungsentwurfs erfolgte durch den Konvent zur Zukunft Europas. In den Verträgen in ihrer bisherigen Fassung finden sich über den Konvent keinerlei Vorschriften. Dennoch wurde, nachdem sich bereits der Konvent zur Ausarbeitung einer EU-Grundrechtecharta bewährt hatte, in Laeken erneut auf dieses Mittel zurückgegriffen. Zukünftig, so sieht es der Entwurf vor, soll der Konvent nunmehr auf eine vertragliche Grundlage gestellt werden und jeder Vertragsrevision vorgeschaltet werden, Art. IV-443 Abs. 2 VVE, sofern nicht der geringe Umfang der Änderungen dies entbehrlich macht. Gemäß Art. IV-443 Abs. 2 UAbs. 2 VVE kann hier der Europäische Rat mit einfacher Mehrheit nach Zustimmung des Europäischen Parlaments beschließen, den Konvent nicht einzuberufen. Gemäß Art. IV-443 Abs. 2 S. 3 VVE beschließt der Konvent über die vorgeschlagenen Änderungen im Konsensverfahren; dieses wird damit als erfolgreiche Verhandlungsmethode aus den beiden Konventen zur EU-Grundrechtecharta und zur Zukunft Europas übernommen. Wie schon zuvor wird der Konvent jedoch in der

184

3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

Reichweite seiner Arbeit von dem ihm gestellten Auftrag abhängen. Es bleibt abzuwarten, ob der Rat in Zukunft die Fragestellungen bzw. die Änderungsvorschläge enger fassen wird, um nach den Erfahrungen des Verfassungskonvents eine Ausweitung des Aufgabenbereichs zu verhindern und die „gerufenen Geister“ besser unter Kontrolle halten zu können.

I. Die Einstellung gegenüber dem Verfassungskonvent Wohl insbesondere motiviert durch das mögliche Ergebnis einer Verfassungsurkunde und dem schwächeren nationalen Einfluß auf die Arbeiten gehörte die britische Vertretung nicht zu den Befürwortern des Konvents zur Zukunft Europas. Nachdem die Einrichtung jedoch nicht verhindert werden konnte, besann man sich auf das übliche Spiel, nicht durch radikale Obstruktion ein Gesamtergebnis zu torpedieren, in dem sich am Ende keine britischen Ideen wiederfinden. Durch konstruktive Mitarbeit sollte das Ergebnis des Konvents in seiner praktischen Bedeutung bewußt klein gehalten werden und die Beratungen unter britischem Einfluß an Effektivität einbüßen.163 In den Vordergrund rückte dabei das Ziel, das Ergebnis der Konventsarbeiten möglichst „klein“ zu halten, d. h. die Ausarbeitung eines Verfassungsdokuments weitmöglichst zu verhindern. In jedem Fall sollte es dem Konvent nicht gelingen, ein kohärentes Verfassungsdokument unter einer umfassenden Revision der bestehenden Verträge auszuarbeiten. Vielmehr schwebte der britischen Seite ein Optionenkatalog vor, auf dessen Ergebnis bei einer Regierungskonferenz die „genehmsten“ Lösungen erarbeitet bzw. unterstützt werden könnten.164

II. Die demokratische Legitimation des Konvents Bereits die Art und Weise der Einrichtung des Konvents selbst sollte als ein Mehr an Transparenz in der EU zu begreifen sein.165 Im Gegensatz zu früheren Reformkonferenzen wurde nicht mehr hinter verschlossenen Türen verhandelt, sondern der Kreis für die interessierte Öffentlichkeit geöffnet. In formeller Hinsicht mangelt es dem Konvent an demokratischer Legitimation, wurden seine Vertreter nicht direkt gewählt, sondern von den jeweiligen Regierungen bzw. Organen bestimmt. Mit der Übermacht der parlamentarischen Vertreter

163 Vgl. A. Duff, An early afterword, S. 123; D. Thym, Der britische Beitrag zur europäischen Verfassungsdiskussion, S. 359. 164 A. Duff, An early afterword, S. 123. Dies stellte wohl auch im allgemeinen die Position einiger Regierungsvertreter dar, während v.a. die nationalen Parlamente nebst EP ein einheitliches Dokument befürworteten; vgl. D. Göler, Der Gipfel von Laeken, S. 102. 165 So zumindest der erklärte Wille der Staats- und Regierungschefs; vgl. die Erklärung von Laeken (im Anhang abgedruckt).

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im Konvent ergibt sich jedoch wieder eine mittelbare demokratische Legitimation, denn diese Mitglieder sind immerhin direkt vom Volk gewählte Repräsentanten. In sozialer Hinsicht hatte der Konvent aber zumindest theoretisch die Möglichkeit, eine stärkere Legitimation aufzubauen als es durch Regierungskonferenzen möglich war. Zum einen standen, in passiver Hinsicht, der interessierten Öffentlichkeit die Dokumente und Verhandlungen offen. Zum anderen waren, in aktiver Hinsicht, Bürger und Interessengruppen eingeladen, sich über das Zukunftsforum an den Reformdebatten zu beteiligen. In der Praxis muß die Bilanz insgesamt aber negativ ausfallen, bedenkt man den niedrigen Bekanntheitsgrad des Konvents in der Bevölkerung, ganz zu schweigen von dem Ergebnis seiner Arbeiten.166 Die Beiträge im Forum beschränkten sich hauptsächlich auf Anregungen und Vorschläge von Interessengruppen bzw. akademischen Zirkeln, die eigene Verfassungsvorschläge über dieses Medium einbrachten.167 Die fehlende Resonanz in Presse und (damit?) in der öffentlichen Diskussion insgesamt ist wohl nicht zuletzt auf den juristisch-technischen Inhalt der Beratungen und in diesem Rahmen vorgebrachten Argumentationen zurückzuführen.168 Hier offenbart sich dann auch der Nachteil des deliberativen Modells: die Entkoppelung von der Politik, die vielfach gerade durch verschärfte Rhetorik in der Lage ist, Interesse einer breiten Öffentlichkeit zu erregen.169 Darüber hinaus wurde vereinzelt Kritik an der Zusammensetzung des Konvents geübt. So seien Parlamentarier nicht unbedingt mit dem notwendigen Expertenwissen ausgestattet, über Fragen der Verfassunggebung zu beraten. Auch sollten Gremien, die von den Ergebnissen abhängig sind, wie etwa das EP, nicht an der Ausarbeitung sie betreffender Regelungen beteiligt werden.170

III. „Praktische“ Bedenken gegenüber einer Institutionalisierung des Konvents Aufgrund der starken Stellung des Parlaments in der britischen Politik und der starken Bindung der Regierung in ihrem Handeln an das Parlament wird in Groß166 The Guardian v. 26. 7. 2003, „The British are conventionally ignorant of EU blueprint“. Auch die erneut niedrige Wahlbeteiligung in den Wahlen zum EP, die auf die Arbeit des Konvents im Jahr 2004 folgten, bestätigt dieses Ergebnis. Noch deutlicher wird dies, betrachtet man sich die Wahlergebnisse, die erneut einen nationalen Einschlag erkennen lassen. Fast in jedem Land wurden die Wahlen dazu genutzt, mit unliebsamen Regierungen „abzurechnen“. 167 Dazu die Diskussion bei P. Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 600 ff. 168 P. Magnette spricht hier gar von einem Paradoxon der Deliberation; vgl. ders., Will the EU be more legitimate after the Convention?, S. 32 f. 169 Man beachte nur die Resonanz auf die Rede des italienischen Ministerpräsidenten S. Berlusconi und der sich anschließenden „Redeschlacht“ mit dem SPD-Europaabgeordneten M. Schulz anläßlich der Übernahme der Ratspräsidentschaft durch die Republik Italien; vgl. FAZ v. 3. Juli 2003. 170 Dazu F. Vibert, Developing a Constitution, S. 177.

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

britannien immer ein gewisses Unbehagen existieren, soweit Entscheidungen getroffen werden, die sich in letzter Konsequenz nicht auf das Parlament oder auf die von ihm abhängige Regierung zurückführen lassen.171 Aus diesem Selbstverständnis heraus findet ja auch nach britischer Auffassung das Handeln der EU letztlich seine wirkliche Legitimation nicht im europäischen Parlament, sondern v.a. in den nationalen Parlamenten und Regierungen. Das direkt gewählte EP kann hier keine wirkliche Abhilfe schaffen, haben doch die nationalen MEPs nur einen sehr eingeschränkten Einfluß. Von zentraler Bedeutung für die Beschlußfassung auf europäischer Ebene ist daher der (Minister-)Rat, denn nur hier findet nach britischem Verständnis die direkteste Verbindung zwischen Bürger und politisch Verantwortlichen statt: „Although democratic legitimacy should reside in many different parts of the EU’s structures, democratic accountability does lie first and foremost with the Council. People expect their Head of Government and Ministers to look after their interests, and will hold them to account in their national Parliaments, national media and national elections.“172

Die mitgliedstaatlichen Regierungen werden aus diesem Verständnis heraus nach wie vor als die „Herren der Verträge“ angesehen. Danach erscheint es logisch, jedwede Änderung der Verträge in diesen Händen zu belassen und im Verfahren der Regierungskonferenz zu verabschieden. Durch die Einschaltung eines Konvents besteht dagegen die Gefahr, vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden, die nur noch schwer überwunden werden könnten, soweit der Gesamterfolg dabei nicht gefährdet werden soll.173 Die Regierung konnte hier aus den Erfahrungen lernen, die im Zusammenhang mit der Verabschiedung der EU-Grundrechtecharta in feierlicher Proklamation in Nizza gesammelt werden konnten. Dort ließen sich die Folgen noch durch die Unverbindlichkeit des Dokumentes begrenzen; ähnliches kann bei einer Vertragsrevision nicht gelingen. Auch aus diesem Grund wird wohl von britischer Seite das Ziel verfolgt worden sein, zwischen der Präsentation der Ergebnisse durch den Konvent und der beschließenden Regierungskonferenz so viel Zeit wie möglich verstreichen zu lassen und das Ergebnis als bloße „Diskussionsgrundlage zu begreifen, mithin eine faktische „Bindungswirkung“ eines Konventsentwurfs zu verhindern.174 171 Für die Verfassungsrealität beansprucht dies aufgrund der stabilen Mehrheit der Regierungspartei und damit politisch starken Position von Regierung und Ministern im Parlament nur eingeschränkt Geltung. 172 J. Straw, Reforming Europe: New Era, New Questions, Rede in Den Haag v. 21. Februar 2001. 173 Diese Schwierigkeit hat sich gezeigt, nachdem im Dezember 2003 die Verabschiedung des Konventsentwurfs am Widerstand Deutschlands, Frankreichs, Spaniens und Polens gescheitert war. Aufgrund der mangelnden Kompromißbereitschaft der „Großen“ Frankreich und Deutschland den „Kleinen“ Spanien und Polen gegenüber konnte keine Einigung erzielt werden. Nachdem das Paket des Konvents wieder „aufgeschnürt“ wurde, entstanden viele unterschiedliche Gruppierungen, die nach gewohntem Schema versuchten, die nationalen Positionen so teuer wie möglich zu verkaufen. Als ein Beispiel mag hier allein nur die Frage nach einem Gottesbezug in der Präambel dienen. Zu den Umständen des Scheiterns der Regierungskonferenz s. die „editorial comments“ im C.M.L.R. 2004, S. 1 ff.

C. Die Konventsmethode als Alternative

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Verstärkend kommt dabei hinzu, daß im Gegensatz zu den Beratungen bei einer Vertragsrevision nach Art. 48 EUV, aufgrund des Konsensprinzips kein wirkliches Veto-Recht der Mitglieder des Konvents besteht. Soweit also britische Vertreter im Konvent ihren nationalen Interessen Nachdruck verleihen wollten, konnten sie durch Obstruktion alleine keinen positiven Einfluß auf das Ergebnis nehmen. Sie waren auf konstruktive Mitarbeit und notfalls auf das Schmieden von „Bündnissen“ unter den Konventsmitgliedern angewiesen, wollten sie sich nicht selbst ausgrenzen.175 Vorausgesetzt, ein Konvent würde in Zukunft auf den Verfahrensregelungen des Giscard-Konvents aufbauen (was zu erwarten wäre), bestehen von britischer Seite Befürchtungen, ein Dokument vorgesetzt zu bekommen, in dem sich mehrheitlich „fremde“ Interessen widerspiegeln und das schlimmstenfalls bei einer Regierungskonferenz nur noch auf einer „take it or leave it“ Basis diskutiert werden könnte. Als weiteres Hindernis für die Einbindung des Konvents wird zuweilen eine fortgesetzte Verkomplizierung des Institutionengefüges genannt.176 Da die Arbeit des Konvents auf eine Vereinfachung der Verträge und der Entscheidungsmechanismen ausgerichtet war, könnte paradoxerweise die Existenz dieses Gremiums allein schon das Ergebnis untergraben. Mit ihm wird ein neues Organ zu den bisherigen hinzugefügt, welches allerdings nur zeitweise, eben im Falle der Anbahnung von Vertragsrevisionen, tagen würde. Es setzt sich aus Vertretern von über 32 (mit dem Beitritt der osteuropäischen Staaten sogar über 52) verschiedenen Institutionen zusammen (25 nationale Regierungen, 25 Parlamente, EP, Rat und Kommission). Der Konvent wäre hier als neues Organ bereits aus Gesichtspunkten der Bürgernähe und Transparenz angreifbar. Jedoch müssen derartige Erwägungen zurücktreten, führt man sich die Vorteile der Konventsmethode vor Augen: Durch die Schaffung eines Bürgerforums hat sich der Konvent zur Zukunft Europas einen besonderen Legitimationsrang erarbeitet, der weit über die geheimen „Kuhhandel“ der Regierungskonferenzen hinausgeht. Er bietet kein Verhandlungsforum, in dem die Vertreter mithin auch nicht darauf bedacht sein werden, in nationalen Kategorien denkend für ihr Land das jeweils vorteilhafteste erreichen zu müssen. Eine Gruppenbildung wird wesentlich erschwert bzw. stark ausdifferenziert, so daß Einzelinteressen weniger in den Vordergrund rücken können. Schließlich wirkt sich gerade die Zusammensetzung des Konvents vorteilhaft aus: über die Vertreter des EP und der nationalen Parlamente entsteht eine viel stärkere Rückbindung an den 174 Symptomatisch für die fortdauernde „Herrenideologie“ auf britischer Seite sind etwa Formulierungen im Weißbuch „A Constitutional Treaty for the EU“ (Cm 5934), para. 35: „As in complex negotiations, each participant will have to make compromises in order to agree a package acceptable to all. Each participating Government will have its own objectives. There will be different perspectives and lively debate.“ Zuvor (para. 32) wird darauf hingewiesen, daß das Ergebnis des Konvents „a good basis“ für die Verhandlungen der Regierungskonferenz bildet; eine Basis, mehr aber auch nicht. 175 Zur Berücksichtigung verschiedener Optionen vgl. Art. 6 Abs. 4 GO des Konvents (CONV 9 / 02). 176 L. Hoffmann, The Convention on the Future of Europe, S. 88 f.

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

Bürger als durch Regierungskonferenzen möglich ist. Auch erfahren die nationalen Parlamente hier eine nicht unwesentliche Aufwertung, können sie doch erstmals noch vor einer Ratifizierung Einfluß auf das Ergebnis von Vertragsrevisionen nehmen. Schon hier erfüllt sich ein zentrales Anliegen der britischen Seite. Aufgewogen mit diesen Vorteilen, müssen dann Bedenken hinsichtlich einer möglichen Verkomplizierung zurückstehen.177 Gerade aus einem pragmatischen Ansatz heraus, wird daher die Konventsidee als bahnbrechende Innovation Unterstützung finden müssen. Vor dem Hintergrund der britischen Presse sowie des Verhaltens von britischen Repräsentanten bei Regierungskonferenzen in der Vergangenheit (man erinnere sich nur an M. Thatcher) erscheint als großer Vorteil, daß die Vertreter des Konvents aufgrund der nur vorübergehenden Tagungszeit in keinem Abhängigkeitsverhältnis stehen, wie die Mitglieder eines permanenten Gremiums. Erst recht findet keine „Heimatschelte“, wie etwa für die Regierungen nach den bisherigen Vertragsänderungsverfahren, statt. Vergegenwärtigt man sich noch einmal, wie sehr Europapolitik im nationalen Kontext mißbraucht worden ist178 (und zuweilen noch wird), ergibt sich auch hier ein deutlicher Pluspunkt für das Konventsmodell.179

IV. „Symbolische“ bzw. „emotionale“ Bedenken Unabhängig von diesen „praktischen“ Erwägungen ist weiterhin der Begriff des „Konvents“ bzw. „Convention“ zu betrachten. Diese bewußt im Hinblick auf die Vorbilder des Philadelphia Konvents, des Nationalkonvents in Frankreich oder auch des Verfassungskonvents von Herrenchiemsee von der „Herzog-Kommission“ gewählte Formulierung wird gerade aufgrund ihrer Parallelität Abwehr provozieren, soweit eine Staatenwerdung der EU verhindert werden soll. Nach den Erfahrungen im Rahmen der EuGH-Rechtsprechung, die quasi als „Katalysator“ für eine stärkere Integration gerade in den Jahren des Stillstands in der EU gesorgt hat, werden von der Insel aus alle Schritte besonders mißtrauisch beäugt, die auch nur im entferntesten eine Staatswerdung zu implizieren drohen. Die Besetzung des Konventsvorsitzes mit dem ehemaligen französischen Staatspräsidenten Valéry Giscard d’Estaing und damit einer bekanntermaßen „integrationsoffenen“ Person sowie dem 1994 aufgrund seiner zu föderalen Ansichten für das Amt des Kommissionspräsidenten am britischen Widerstand gescheiterten Jean Luc Dehaene als Vizepräsident muß ebenfalls als Provokation aus britischer Sicht betrachtet werden. Hier mag die Besetzung des Generalsekretärs des Konvents mit dem Briten Sir John Kerr beschwichtigend gewirkt haben.

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So L. Hoffmann, The Convention on the Future of Europe, S. 89 ff. Vgl. Abschnitt B. Dazu noch einmal L. Hoffmann, The Convention in the Future of Europe, S. 91.

C. Die Konventsmethode als Alternative

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V. Fazit Im Sinne einer effektiveren und rascheren Vorbereitung der Regierungskonferenzen muß trotz der geschilderten Bedenken die Konventsmethode vor einem pragmatischen Hintergrund eigentlich im Sinne der Regierung Blair liegen, schafft sie doch Abhilfe für den von ihm so gescholtenen „travelling circus“ und bietet eine Möglichkeit, Verhandlungen aus „Sackgassen“ herauszuhalten. In diesem Zusammenhang ist daher wohl auch die Zustimmung der Regierung zur Einberufung des Konvents um Giscard d’Estaing zu sehen, die politischen Zwänge, sich nicht erneut ins Abseits drängen zu lassen, einmal außen vor gelassen. Die Mitwirkung nationaler Parlamentarier nebst Regierungsvertretern im Rat mag zudem die Befürchtung abgeschwächt haben, als Zauberlehrling der in den Konvent berufenen Geister nicht mehr Herr zu sein. Auch ist aus britischer Sicht die Erklärung von Laeken hier hilfreich, das Ergebnis des Konvents „nur“ als Ausgangspunkt für die Beratungen der Regierungskonferenz zu nehmen.180 Die Möglichkeit des Rates, über eine bewußt enge Aufgabendefinition auch in Zukunft das Ergebnis in eine entsprechende Richtung lenken zu können, beläßt die eigentliche und zentrale Entscheidungsgewalt dabei weiter in den Händen des Rates. So wird ein angeforderter Optionenkatalog zu einem eng umrissenen Problem, z. B. der Neugewichtung der Stimmen im Rat, weit weniger Bindungswirkung ausstrahlen als der Entwurf für die Grundrechtecharta oder gar der Entwurf für eine umfassende Verfassung für die EU.181 Aus intergouvernementaler Sicht ist dies eine positive Regelung, denn in Art. IV-443 Abs. 3 VVE beläßt es der Konvent bei der bisherigen Praxis und hält an den Mitgliedstaaten als – zumindest formal gesehen – „Herren der Verträge“182 fest. Daß sich die Konventsmethode abermals als Vorbereitungsinstrument für eine Regierungskonferenz bewährt hat, wird letztlich die britischen „Pragmatiker“ zum Einlenken bewogen haben. Zweifellos erscheint der Konvent als effektives Instrument, die Verhandlungen auf den Regierungskonferenzen besser vorzubereiten und die Entscheidungsfindung dabei so effizient wie möglich zu gestalten. Eine Regierung, die sich der Steigerung von Effizienz, Demokratisierung und Transparenz der EU verschrieben hat,183 kann daher aus rationalen Gründen dem bisherigen Verfahren des Beratens hinter verschlossenen Türen gegenüber einer Institutionalisierung der Konventsmethode nicht den Vorzug gewähren. In den Bewertungen Vgl. die Erklärung von Laeken (im Anhang). Die Stärken dieser Entwürfe – und damit auch ihr Erfolgswert – lagen gerade in der Ausarbeitung eines zusammenhängenden Gesamtwerkes, das sich auf einen breiten Konsens stützen konnte. Den Regierungsvertretern war mithin jedweder Ansatz zu einem „Rosinenpicken“ genommen, sollte die Arbeit des Konvents nicht insgesamt in Frage gestellt werden. 182 Zur Problematik dieses Begriffs vgl. bereits Teil 1 A.II.2.d); sowie P. Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 218 f. 183 Vgl. das Weißbuch „A Constitutional Treaty for the EU“ (Cm 5934), para. 25. 180 181

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

über den Konventsentwurf tauchen daher auch keinerlei Bedenken oder Gegenvorschläge zu einer Institutionalisierung des Konvents auf.184

D. Der Status der EU-Grundrechtecharta I. Die Entstehung der EU-Grundrechtecharta185 Unter den Aufgaben, die die Erklärung von Laeken dem Verfassungskonvent aufgab, befand sich auch die Frage nach dem rechtlichen Status der europäischen Grundrechtecharta. Die Charta wurde nach Initiative des Rates von Köln im Juni 1999 und Tampere im Oktober 1999 auf der Konferenz von Nizza am 7. Dezember 2000 feierlich durch EP, Rat und Kommission proklamiert.186 Im Zuge der Annäherung der EU samt ihrer Institutionen an die Bevölkerung sollten in einem einheitlichen Dokument die EU-Grundrechte erfaßt werden, wie sie bislang durch die Rechtsprechung des EuGH187 entwickelt wurden und im einzelnen in den Vertragstexten nicht ausdrücklich Erwähnung fanden:188 „Die Wahrung der Grundrechte ist ein Gründungsprinzip der Europäischen Union und unerläßliche Voraussetzung für ihre Legitimität. Die Verpflichtung der Union zur Achtung der Grundrechte hat der Europäische Gerichtshof in seiner Rechtsprechung bestätigt und ausgeformt. Im gegenwärtigen Entwicklungsstand der Union ist es erforderlich, eine Charta dieser Rechte zu erstellen, um die überragende Bedeutung der Grundrechte und ihre Tragweite für die Unionsbürger sichtbar zu verankern.“189

Diese Forderung des Rates von Köln wurde durch den Konvent aufgegriffen und als Ergebnis seiner Arbeiten in eine Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) umgesetzt.190 Weiterhin berücksichtigt die Charta wirtschaftliche 184 Weder im Weißbuch „A Constitutional Treaty for the EU“ (Cm 5934), noch in der Stellungnahme des Außenministeriums gegenüber dem Parlament (Prospects for the EU in 2004, Cm 6174) wird die Konventsmethode einer weiteren Prüfung unterzogen. 185 Umfassend zur Entstehung der Charta und Diskussionsverläufen im Konvent N. Bernsdorff / M. Borowsky, Protokolle. Aus der unüberschaubaren Literatur vgl. ferner Th. Schmitz, Die EU-Grundrechtecharta aus grundrechtsdogmatischer und grundrechtstheoretischer Sicht; A. von Bogdandy, Grundrechtsgemeinschaft als Integrationsziel?; Ch. Callies, Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union; M. Schröder, Wirkungen der Grundrechtscharta. 186 ABl. C 364 v. 18. 12. 2000, S. 1 – 22. 187 Vgl. Rs. C-29 / 69 (Stauder), Slg. EuGH 1969, 419; Rs. C-4 / 73 (Nold) Slg. EuGH 1974, 491. 188 Lediglich Art. 6 Abs. 2 EUV gibt hier in Nachzeichnung der früheren EuGH-Rechtsprechung Anhaltspunkte: „Die Union achtet die Grundrechte, wie sie in der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben.“ 189 Anhang IV der Schlußfolgerungen des Rates von Köln.

D. Der Status der EU-Grundrechtecharta

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und soziale Rechte, wie sie in der Sozial-Charta von 1961 und der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer von 1989 Erwähnung finden. Die Charta galt bislang nicht als bindendes Vertragsrecht, da sie nicht in den offiziellen Kanon der Vertragstexte übernommen wurde, sondern diente als „soft law“ dem EuGH als Hilfe bei der Durchsetzung des europäischen Grundrechtsschutzes.191 Aufgrund der Regelung der Beziehungen zwischen Bürger und EU im Über- / Unterordnungsverhältnis wurde sie zuweilen als Vorbote einer Konstitutionalisierung der EU bzw. eines Staatswerdungsprozesses gesehen und provozierte so besonders im Vereinigten Königreich z. T. heftige Auseinandersetzungen.192 Im Rahmen dieser Arbeit soll keine vollständige Analyse der Grundrechtecharta aus britischer Perspektive gegeben werden.193 Vielmehr interessiert an dieser Stelle die grundsätzliche Position zu einer Einbindung der Charta in den europäischen Verfassungsvertrag. Da hierbei frühere Positionen nicht außer Acht gelassen werden können / sollen, wird dennoch in kurzen Stichworten die britische Position zur Verabschiedung der EU-Grundrechtecharta skizziert.194

II. Die Charta aus „britischer“ Perspektive Wiederholend kann an dieser Stelle auf die obige Feststellung zurückgegriffen werden, daß einem Land wie Großbritannien Schritte nicht leicht fallen, die eine zunehmende Integration des Landes in der EU nach sich ziehen oder die gar auf eine Verabschiedung einer Verfassung für einen „Staat Europa“ abzielen. Eben an diesen Kriterien mußte sich auch die Grundrechtecharta messen lassen. Wird für eine Staatsverfassung als typisch („unbritisch“) anerkannt, daß sie über die reine Aufteilung staatlicher Macht auf einzelne Institutionen auch die Regelung des Verhältnisses zwischen Regierenden und Regierten zum Inhalt hat,195 ergibt sich für die Grundrechtecharta der notwendige Aspekt, der den Verträgen der EU bislang gefehlt hat.196 Neben dem offensichtlich völkerrechtlichen Charakter wurde den 190 Vgl. dazu die Präambel der Charta: „ . . . Diese Charta bekräftigt [ . . . ] die Rechte, die sich vor allem aus den gemeinsamen Verfassungstraditionen und den gemeinsamen internationalen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten, aus dem Vertrag über die Europäische Union und den Gemeinschaftsverträgen [ . . . ] ergeben . . .“. 191 Nach P. Häberle „ein Stück lebender, europäischer Verfassung“, Europäische Verfassungslehre, S. 159. Zu einem Überblick vgl. ebda. S. 634 ff. 192 So etwa der Vorwurf der Konservativen, die Charta verrate britische Interessen, The Times v. 3. Oktober 2000, „Britain approves charter of rights“. Vgl. auch The Times v. 2. Oktober 2000, „Fresh ro brews over European rights Bill“. 193 Für einen Überblick über Entstehung und Inhalt der Charta aus einer britischen Perspektive vgl. S. Fredman / Ch. McCrudden / M. Freedland, An E.U. Charter of fundamental rights; Lord Goldsmith, A Charter of Rights, Freedoms and Principles; E. Wicks, Declaratory of Existing Rights? 194 Ausführlicher J. Meyer, Der Grundrechtekonvent. 195 Dazu oben in Teil 1 unter A.II.1.

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

Verträgen zwar auch früher schon Geltung für das Individuum zuerkannt.197 Diese Rechte wurden nunmehr aber auch schriftlich fixiert. Für jeden Gegner einer schrittweisen Föderalisierung der EU wurde die Charta daher besonders mißtrauisch beäugt. Im Lager der Euroskeptiker galt sie gar als das „Trojanische Pferd“ der Föderalisten, um mit ihrer Hilfe schrittweise die Staatswerdung der EU zu beschleunigen.198 Entsprechend groß war daher der Widerstand aus Großbritannien gegen die Erarbeitung der Charta, trotz starker Annäherungen, die während der Verhandlungen seit ihrer Initiierung stattgefunden hatten.199 Bei einer Einschätzung britischer Positionen zur Grundrechtecharta darf hingegen nicht die mangelnde „Grundrechtskultur“ im Königreich außer Acht gelassen werden. Es fehlt in Großbritannien ein Grundrechtskatalog bzw. Bill of Rights.200 Bis zur Verabschiedung des HRA201 gab es in Großbritannien kein Gesetz, das die durch die EMRK garantierten Rechte und Freiheiten auf nationaler Ebene garantiert hätte.202 Nach britischem Verständnis besitzen denn auch die Bürger des Landes als „Untertanen Ihrer Majestät“ lediglich verbleibende Civil Liberties, private Freiheiten also, die in Negativabgrenzung nach Abzug der königlichen Vorrechte (Prerogatives) verbleiben. Einen abschließenden schriftlichen Katalog dieser Civil Liberties gibt es bis zum heutigen Tage nicht; die Freiheiten finden sich vielmehr in einer Vielzahl höchstrichterlicher Entscheidungen wieder.203 Mögen sich daher deutsche Bundesbürger im Zuge der Solange-Rechtsprechung des BVerfG204 ohne schriftlichen Grundrechtekatalog der EU schutzlos ausgeliefert sehen, stellen ungeschriebene Grundrechte für den britischen Bürger keine Besonderheit dar. Die Entwicklung der europäischen Grundrechte durch den EuGH kann hier mit der Entwicklung der Civil Liberties durch das Common Law verglichen werden205 So auch House of Lords Select Committee on the European Union, 41st Report (The Future of Europe: The Convention’s Draft Constitutional Treaty), HL 169 (2002 – 03), para. 252: „Any constitution needs a bill of rights and the Charter is the Convention’s choice for the Union“. 197 Rs. 26 / 62 (van Gend en Loos), Slg. EuGH 1963, 1; Rs. 6 / 64 (COSTA), Slg. EuGH 1964, 1251). 198 Vgl. Daily Mail v. 12. Oktober 2000, „Blair to sign away rights in Charter“. 199 J. Meyer, Der Grundrechtekonvent, S. 181. 200 Die Bill of Rights von 1689 kann hier nicht vergleichsweise herangezogen werden, da sie über das bloße Petitionsrecht hinaus keine der GRCh vergleichbaren Grundrechte enthält. 201 Dazu vgl. bereits Abschnitt A.II.1.b)dd). 202 Überdies darf nicht vergessen werden, daß selbst durch den Human Rights Act 1998 ein derartiger Katalog nicht geschaffen wurde. Vielmehr bediente sich hier der britische Gesetzgeber dem europäischen Vorbild und konstatiert, daß jedwede Rechtsetzung in Vereinbarkeit mit den in der EMRK garantierten Rechten ausgelegt und angewandt werden muß, s. 3 ss. 1 Human Rights Act 1998. Ähnlich Art. 6 Abs. 2 EUV findet also auch hier ein Verweis auf die EMRK statt, ohne die dortigen Rechte im Wortlaut zu übernehmen. 203 Ausführlich I. Loveland, Constitutional Law, S. 517 ff. Allerdings finden sich nunmehr die meisten Rechte im Human Rights Act 1998 wieder. 204 BVerfGE 37,271 (Solange I), 73, 339 (Solange II). 196

D. Der Status der EU-Grundrechtecharta

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und ist daher aus britischer Sicht auch nichts ungewöhnliches oder unbefriedigendes. In diesem Lichte erscheint es daher auch weniger überraschend, wenn sogar vereinzelt von einem zu weitgehenden Schutz der Bürger in der EU geschrieben wurde – den Bürgern ermangele es weniger an verbrieften Rechten als an deren Durchsetzung durch eine Menschenrechtspolitik: „The real Problem of the Community is the absence of a human rights policy with everything this entails: a Commission, a Directorate-General, a budget and a horizontal action plan for making those rights already granted by the treaties and judicially protected [ . . . ] effective.“206

Hinzutritt, daß der HRA über die in der EMRK gewährten Rechte keine weiteren Rechte abdeckt. Großbritannien hielt damit den Grundrechtsschutz auf einem absoluten Mindestmaß und verzichtete auf einen umfassenden Grundrechtskatalog wie etwa in den kontinentalen Verfassungsordnungen, allen voran dem deutschen Grundgesetz oder den bundesdeutschen Länderverfassungen, der neuen Bundesverfassung der Schweiz oder deren Kantonen. Die Grundrechtecharta geht hier aber deutlich über die EMRK hinaus und gewährt in Kodifizierung der gemeineuropäischen Grundrechte ein „Maximum“. Hinzu kommen zahlreiche „soziale Grundrechte“, wenngleich deren Gleichrangigkeit mit den „klassischen“ problematisch erscheint.207 Die britische Regierung war daher auch von Anfang an dagegen, der Charta bindenden Rechtsstatus einzuräumen: „The Government’s view is that the charter should make the fundamental rights which already exist, and which are applicable at Union level, more visible to the Union’s citizens. It should take the form of a political statement, rather than a legal text to be incorporated into the Treaties“.208

Sie befürchtete eine Abschwächung der Bedeutung der EMRK des Europarates. Favorisiert wurde daher – ganz im Gegensatz zu Deutschland209 – eine politische Erklärung, die lediglich den bestehenden Grundrechtsschutz in der EU klarstellen sollte.210 Bereits bei Verabschiedung der Charta in Nizza drang die britische Seite daher auf eine Absicherung ihres Gehalts durch sog. „horizontale Bestimmungen“, die verhindern, daß über die in den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen und der EMRK genannten Rechte weitere hinzutreten.211 Über Art. 52 Abs. 2 GRCh konnte eine Ausweitung der unionsvertraglich verankerten Grundfreiheiten verhinF.G. Jacobs, The EU-Charter of Fundamental Rights, S. 277. J.H.H. Weiler, Does the European Union Truly Need a Charter of Rights?, S. 96. 207 s. auch F.G. Jacobs, The EU-Charter of Fundamental Rights, S. 280 f.; J. Meyer, Der Grundrechtekonvent, S. 183 f. 208 HC Deb v. 30. November 1999, Sp. 81W. 209 Vgl. FAZ v. 10. Januar 2000. 210 Cm 4595 Februar 2000. 211 Vgl. Lord Goldsmith, A Charter of Rights, Freedoms and Principles, S. 393. 205 206

13 Hupka

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

dert werden. Vor dem Hintergrund, daß die EMRK in Großbritannien erst im Oktober 2000 in Kraft getreten ist, kann nachvollzogen werden, wie peinlich genau manch britischer Vertreter im Konvent darauf bedacht war, die Reichweite der Charta darüber hinaus nicht auszuweiten, obgleich dies der Kölner Rat mit seinem Mandat ermöglicht hatte.212 Mißtrauisch wurde auch darauf gedrungen festzustellen, daß die Charta keine der in den Verträgen geregelten Kompetenzen auszuweiten bestimmt ist und keine neuen Kompetenzen für die Union begründet.213 Insbesondere dieser Punkt hatte zuvor in Großbritannien Ängste geweckte, die Charta könnte als Werkzeug zur Ausweitung der Unionskompetenzen dienen. Aufgrund der zahlreichen „sozialen Grundrechte“ befürchtete man schließlich eine Reglementierung des britischen Arbeitsrechts nach kontinentalem Vorbild, wenngleich diese mit der Reduzierung dieser Grundrechte auf „Principles“ zurückgedrängt werden konnte.214 Parallel zur fehlenden Grundrechtskultur fehlen dem britischen System auch entsprechende Absicherungen des Grundrechtsschutzes. So gibt es in Großbritannien kein oberstes Verfassungsgericht. Das House of Lords übt vielmehr eine oberste Fachgerichtsbarkeit aus, vergleichbar etwa in Deutschland dem BGH. Verstöße gegen fundamentale Individualrechte können neuerdings zwar aufgrund des HRA gerügt werden, jedoch kann eine sich daran anknüpfende Declaration of Incompatibility nur auf Rechtsakte des Parlaments bezogen werden;215 ein Tribut an die nach wie vor zentrale Stellung der Parliamentary Sovereignty im britischen Verfassungsrecht. Einzelne Verstöße durch die Verwaltung etwa konnten bisher nur vor den einfachen Gerichten unter Gesichtspunkten der verwaltungsrechtlichen Rechtsbehelfe gerügt werden.216 Der HRA eröffnet neuerdings die Möglichkeit, sich neben Akten der gesetzgebenden Gewalt auch gegen andere Akte der öffentlichen Gewalt zu wehren, s. 6, 7 HRA. Allen Rechtsschutzmöglichkeiten, die der HRA gewährt, ist jedoch ihre Zurückhaltung gegenüber Eingriffen in die Rechte des Parlaments gemeinsam.217 Ein der deutschen Verfassungsbeschwerde ähnlicher bei einem Verfassungsgericht zentralisierter Rechtsbehelf existiert nicht. Vielmehr ist die Gerichtsbarkeit als Institution aufgerufen, die in der EMRK gewährten Rechte zu achten. Als Konsequenz hieraus ist damit Abhilfe in theoretisch jeder J. Meyer, Der Grundrechtekonvent, S. 183 m. w. N. Zu den Diskussionen im Konvent vgl. auch M. Borowsky in: Meyer, Art. 51 Rn. 2 ff.; Art. 52 Rn. 2 ff.; Art. 53 Rn. 2 ff. 214 Vgl. auch Lord Goldsmith, A Charter of Rights, Freedoms and Principles, S. 395 f. 215 s. 4 HRA. Damit geht der britische Gesetzgeber gerade nicht den amerikanischen Weg, wonach verfassungswidrige Gesetze durch den Supreme Court übergangen werden dürfen (Marbury vs. Madison 1 Cranch 137 (1803)). 216 Zu diesen vgl. I. Loveland, Constitutional Law, S. 405 ff., 435 ff. u. 469 ff. 217 Für die Gesetzesüberprüfung gibt es „nur“ eine Rüge an den parlamentarischen Gesetzgeber; im Falle sonstiger Rechtsverletzungen ist Abhilfe nicht für die Fälle vorgesehen, in denen die jeweilige Behörde aufgrund einer EMRK-widrigen Rechtsgrundlage gehandelt und keine andere Handlungsalternative besaß. 212 213

D. Der Status der EU-Grundrechtecharta

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Fachinstanz des britischen Gerichtssystems möglich. Die Idee eines obersten Verfassungsgerichts, welches zentral als „Hüter der Verfassung“ den Individualrechtsschutz gegenüber der öffentlichen Gewalt gewährt, ist dem britischen System – zumindest bislang218 – fremd. Zwar hat die Charta keinerlei direkten Grundrechtsschutz, etwa im Wege einer europäischen Verfassungsbeschwerde normiert; die zentrale Rolle des EuGH bei der Überprüfung der Einhaltung der in der Charta gewährten Rechte erscheint in diesem Licht dennoch befremdlich. Durch die feierliche Proklamation der Charta erhielt diese keinen Status unmittelbar bindenden Rechts. Dies mag der entscheidende Grund gewesen sein, weshalb sich auch die britische Seite letztendlich mit diesem Dokument abfinden konnte.219 Der EuGH durfte sich nicht einmal auf die Charta als Auslegungshilfe beziehen, da ihre Aufnahme in den Kanon der Grundrechtsquellen in Art. 6 Abs. 2 EUV verhindert werden konnte. In Art. 51 statuiert die Charta noch einmal (deklaratorisch), daß keinerlei neue Kompetenzen oder Aufgaben für die Union begründet werden und der Geltungsbereich sich auf die Union beschränkt und Mitgliedstaaten nur in Ausführung von Unionsrecht bindet. Aus britischer Perspektive blieb die Charta damit ein deklaratorisches Dokument, eine „Tidying-up-exercise“ – wenngleich mit brisantem symbolischem Wert.220 Vor diesem Hintergrund ist die Einbeziehung der Charta in den Verfassungstext zu sehen.

III. Die Inkorporation der Charta in eine Europäische Verfassung Mit Erweiterung der bisherigen Vertragstexte auf eine „Verfassung“ stellte sich auch die Frage nach einem lückenlosen Grundrechtsschutz der Unionsbürger im Bereich der von der Union ausgeübten Hoheitsgewalt. Dieser Schutz wurde bislang durch den EuGH in Heranziehung der Grundrechte, wie sie der EMRK und den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeinen Rechtsgrundsätzen entnommen werden können, geleistet. Indem die EU im außenpolitischen Bereich vielfach die Forderung erhebt, Partnerstaaten müßten die unveräußerlichen Menschenrechte unbedingt achten, bzw. auch nach innen hin die Beachtung dieser Rechte durch die Mitgliedstaaten fordert, Art. 49 EUV, stellt sich aber insgesamt die Frage, inwiefern es sich die Union leisten kann, diesen Anspruch an sich selbst lediglich durch ein deklaratorisches Dokument zu erfüllen. 218 Zu den Plänen über die Einrichtung eines Supreme Courts im Wege der Reform des House of Lords s. A. le Sueur, Comment: New Labour’s next (surprisingly quick) step in constitutional reform). 219 Bereits in den Arbeiten des Herzog-Konvents bemühten sich die britischen Vertreter um eine Begrenzung der Verbindlichkeit, vgl. N. Bernsdorff / M. Borowski, Protokolle, S. 164 f. 220 Vgl. auch J. Meyer, Der Grundrechtekonvent, S. 182 f.

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

Die nunmehr dem Konvent in Laeken gestellte Aufgabe, den zukünftigen Status der Charta zu überprüfen, bot die Möglichkeit, diesen durch eine Einbeziehung in den Verfassungsvertrag erheblich aufzuwerten. Der Gefahr einer Änderung des Textes wurde früh begegnet, indem eine Einbeziehung ohne größere textliche Modifikationen erfolgen sollte. Diese hätten wohl auch wenig Vorteile versprochen, auf der anderen Seite aber den seinerzeit mühsam erkämpften Kompromiß in Frage gestellt.221

1. Die Optionen des Konvents für eine Einbeziehung der Charta Die Einbeziehung der Charta in den Verfassungstext wurde im Rahmen der Konventsarbeiten in der Arbeitsgruppe 2 des Konvents diskutiert. Nachdem grundsätzliche Einigkeit über die prinzipielle Einbeziehung bestand, kam es im wesentlichen nur noch auf die Art und Weise an. Die diskutierten Möglichkeiten reichten dabei von einer Angliederung der Charta an die Verträge in Form einer feierlichen Erklärung von einer Einbeziehung durch Ergänzung des Art. 6 EUV, Bezugnahme im Vertrag oder dessen Präambel bis zu deren Aufnahme in Form eines Protokolls oder aber eigenen Teils in der Verfassung.222 Der Konvent entschied sich im Ergebnis für die Einbeziehung der Charta ohne weitergehende inhaltliche Änderungen in Teil II der Verfassung. Der Verfassungsvertrag sieht nunmehr einen dreifachen Grundrechtsschutz in Art. I-9 VerfE vor. Das Hauptaugenmerk liegt dabei gem. Abs. 1 auf der GRCh. Sie wurde in den zweiten Teil der Verfassung – fast wortgleich – übernommen. Zudem strebt die Gemeinschaft gem. Abs. 2 einen Beitritt zur EMRK an. Schließlich soll in Abs. 3 die Beibehaltung der Grundrechte als allgemeine Rechtsgrundsätze der Mitgliedstaaten und der EMRK sicherstellen, daß sich Fortentwicklungen in den Mitgliedstaaten und der EMRK auch auf Unionsebene fortsetzen können.223

2. Britische Vorbehalte gegen eine Übernahme der Charta in den Vertrag – die Bedeutung der „horizontalen Bestimmungen“ Da der Charta nunmehr der gleiche Rang wie allen anderen Bestimmungen in der Verfassung zukommt, erweist sich die britische Haltung als brisant. Das Hauptargument für die Zustimmung zur Proklamation der Charta gilt nun nicht mehr: Sie würde in jedem Fall bei Inkrafttreten der Verfassung zu unmittelbar geltendem A. Arnull, From Charta o Constitution, S. 777. Diskussionspapier der Arbeitsgruppe 2 vom 31. Mai 2002; CONV 72 / 02. Zu den Inkorporationsmöglichkeiten vgl. auch G. de Búrca, Fundamental Rights and Citizenship, S. 16 ff., ferner CONV 378 / 02, CONV 601 / 03 und CONV 674 / 03. 223 CONV 528 / 03, S. 13. 221 222

D. Der Status der EU-Grundrechtecharta

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Unions-Primärrecht. Noch 2001 verlautbarte die britische Regierung in einem Weißbuch über die französische Ratspräsidentschaft: „The Charter is not legally binding, but simply a political declaration. [ . . . ] The status of the Charter will be one of the issues for widespread consultation and discussion as part of the „Future of Europe“ debate preparing for the next IGC in 2004. [ . . . ] We will continue to argue that a declaratory Charter is the best way to raise the visibility of rights and not risk any clouding of legal certainty.“224

In den Verhandlungen über die EU-Grundrechtecharta zeigte sich die britische Seite daher erneut als schwieriger Gesprächspartner, fand jedoch teilweise in den Vertretern Irlands, der skandinavischen Länder, Niederlande und Lettland Unterstützung, als deren Regierungsvertreter im Konvent sich zunächst gegen eine bedingungslose Inkorporation der Charta in die Verträge aussprachen und sich bis zur vollständigen Verabschiedung der Verfassung die Methode der Einbeziehung vorbehielten.225 Aus verfassungsdogmatischer Hinsicht interessant ist die aus britischer Sicht – man beachte in diesem Punkt den englischsprachigen Text – immer noch undurchsichtige Sprache.226 Wurde der Text in Deutschland für seine klare und einfache Sprache gelobt,227 stellen sich in der englischen Fassung zuweilen Probleme ein, die auf den, verglichen mit britischen Gesetzen, allgemein gehaltenen Wortlaut zurückzuführen sind.228 Hingewiesen wird überdies auf die zahlreichen Limitierungen der gewährten Rechte, gerade im Bereich der sozialen Grundrechte bereits aufgrund immanenter Schrankenziehung (z. B. Art. II-87 VVE: „ . . . in den Fällen und unter den Voraussetzungen [ . . . ], die nach dem Gemeinschaftsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten vorgesehen sind“) bzw. aufgrund der generellen Schrankenziehung in Art. II-112 Abs. 1 VVE, in der eine Einschränkung aufgrund Gesetzes möglich ist. Auch wenn dies vereinzelt in der Literatur auf Bedauern stoßen sollte,229 von einem politische Standpunkt aus gesehen dürfte jedwede Abschwächung der Chartarechte auf Wohlwollen stoßen, garantieren sie doch eine Abwertung des nunmehr verbindlichen Charakters.230 Dieser, nach britischer Ansicht „unpräzise“ Wortlaut war es dann aber auch in letzter Konsequenz, der für britische Mitglieder eine Zustimmung zu einer unveränderten Aufnahme der Charta erschwerte: 224 Developments in the European Union, July–December 2000, The French Presidency, Cm 5205, S. 8, Juli 2001, im Internet: http: //www.fco.gov.uk/Files/KFile/DevelopmentsintheEUJulyDecember2000,0.pdf (Hervorhebung durch den Verfasser). 225 Vgl. die gemeinsame Position im Beitrag 292 (CONV 659 / 03); im Internet: http: // european-convention.eu.int. 226 Vgl. etwa S. Douglas-Scott, Constitutional Law of the European Union, S. 476. 227 Vgl. nur P. Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 637. 228 So etwa auch Lord Goldsmith, A Charter of Rights, Freedoms and Principles, S 396 f. 229 So S. Douglas-Scott, Constitutional Law of the European Union, S. 477. 230 Gleichwohl werden die Vorkehrungen für eine Einschränkung von den Verfassungsgegnern als zu hoch eingeordnet; s. D. Heathcoat-Amory, The European Constitution, S. 17.

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

„The challenge is to find ways to give our citizens legal certainty and clarity in relation to the Charter’s ambiguous or conflicting texts.“231

Problematisch aus dieser Sicht sind damit auch die Replikationen der bereits im bisherigen Vertragstext vorhandenen (und in den neuen Teil III übernommenen) Bestimmungen – z. B. der Grundfreiheiten. Nach Ansicht der Arbeitsgruppe waren diese Replikationen unumgänglich,232 aus Gründen der Klarheit hätten sie jedoch unterbleiben sollen, zumal – zumindest im Rahmen der Grundfreiheiten – eine Vorschrift wie die des Art. 52 Abs. 2 GRCh hinfällig geworden wäre.233 Ähnlich verhält es sich auch mit der Präambel, die auf Wunsch des Konvents234 in den Vertrag übernommen wurde. Angesichts der „Präludien-Wirkung“235 einer Präambel ist deren Positionierung mitten in einem Verfassungsdokument recht eigenartig. Besonders im Zusammenhang mit der Überschreibung des Teils II mit „Charta der Grundrechte“ entsteht somit der Eindruck, die Charta bilde einen eigenen, abgeschlossenen Teil des Gesamtdokumentes. Der Wille des Konvents, einen einheitlichen Verfassungstext zu schaffen, wird aber auf diese Weise konterkariert. Denn die einzelnen Teile präsentieren sich dadurch als eigenständige und in sich abgeschlossene Elemente, die lediglich der Übersichtlichkeit dienend hintereinander aufgereiht sind. Vom Inhalt her hätte der Präambeltext ohne weiteres auch in die Gesamtpräambel vor Teil I Aufnahme finden können, ohne sie dabei grundlegend ihrer Funktion zu berauben.236 Aus einem britischen Blickwinkel ergibt sich hieraus jedoch eine glückliche Fügung: Zum einen kann der Eindruck eines kohärenten Verfassungstextes wenigstens im ersten Eindruck getrübt werden. Zum anderen finden sich in der Präambel wichtige Hinweise auf die bloße Klarstellungsfunktion der Charta in Bezug auf die bestehenden subjektiven Rechte in der EU.237 Nachdem die Charta bei ursprünglicher Verabschiedung in ihrem Bestand nicht eingeschränkt werden konnte, wurde ihre Reichweite damals durch den rechtlich unverbindlichen Status zumindest teilweise eingeschränkt. Mit der nun drohenden Einbeziehung in das Gesamtprojekt würde dieses Ergebnis aber zunichte gemacht. Ohne letzte Klarheit über die Reichweite der Einzelbestimmungen in der Charta neuer Fassung, konnten aber auch keine Aussagen darüber getroffen werden, in welcher Weise und Reichweite sich rechtliche Konsequenzen für das nationale Recht ergeben würden.238 Die Einbeziehung der Charta sollte damit von deren tats. etwa den Brief P. Hains an das Konventspräsidium v. 12. Mai 2003; CONV 736 / 03. CONV 354 / 02 S. 6. 233 A. Arnull, From Charta to Constitution, S. 778 f. 234 CONV 354 / 02 S. 9. 235 Zu Präambeln allgemein vgl. P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, S. 920 ff.; im europäischen Kontext, ders., Europäische Verfassungslehre, S. 277 ff.; A.-Ch. Kulow Präambel des EG-Vertrages. 236 A. Arnull, From Charta to Convention, S. 784. 237 HC Deb. v. 20. Juni 2003, Vol. 649, cols 1115 – 1117. 238 Brief P. Hains an den Konventsvorsitz v. 12. Mai 2003, CONV 736 / 03. 231 232

D. Der Status der EU-Grundrechtecharta

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sächlicher Reichweite abhängig gemacht werden. Die Durchsetzung inhaltlicher Änderungen, um die nach britischer Ansicht fehlende Präzision des Textes zu verbessern, scheiterte am Widerstand der Mehrheit der übrigen Konventsmitglieder. Von britischer Seite aus wurden daher immer wieder Vorstöße gemacht, den Wirkungskreis der Charta soweit wie möglich einzuengen und eine Ausdehnung auf die Mitgliedstaaten zu verhindern.239 Zunächst bestand die britische Seite darauf, die Charta nicht in den Verfassungstext selbst zu integrieren.240 Statt dessen wurde eine „Protokollösung“ favorisiert,241 was aus einem britischen Blickwinkel einem tragbaren Kompromiß entsprochen hätte. Da auch die Protokolle verbindliches Recht setzen, hätte eine solche Lösung zwar lediglich symbolische Bedeutung. Jedoch hätte gerade dieser symbolische Aspekt den völkerrechtlichen Charakter des Verfassungsvertrages nach außen hin retten helfen können, indem die bedeutungsvolle Aufladung dieses Dokumentes durch einen Rechte-Katalog verhindert worden wäre.242 Die Position der britischen Vertreter in der Arbeitsgruppe des Konvents über den rechtlichen Status der Charta kann daher an sich schon als großer Durchbruch empfunden werden, denn der bedingungslose Widerstand gegen eine Einbeziehung in den Verfassungsvertrag und der damit folgenden Konsequenz rechtlicher Verbindlichkeit wurde prinzipiell aufgegeben.243 Auf der anderen Seite können Gefahren der Marginalisierung der Charta gerade aufgrund der symbolischen Bedeutung eines „Abschiebens“ in ein Protokoll nicht außer Acht gelassen werden.244 Außerdem erscheint aus Sicht des eigentlichen – auch von der Regierung Blair anvisierten – Ziels, die Verfassung klar und verständlich zu machen, eine solche Lösung nicht wünschenswert, ist es doch gerade auch die Vielzahl der Protokolle, die das EUVertragsrecht so schwer zugänglich und verständlich machen. Eine solche Lösung wäre daher nur denkbar gewesen, hätte der Vertragstext insgesamt kurz und prägnant gehalten werden können, was angesichts der über 400 Artikel mehr als unrealistisch erachtet werden muß.245 Vgl. auch House of Lords Select Committee on the European Union, 41st Report (The Future of Europe: The Convention’s Draft Constitutional Treaty), HL 169 (2002 – 03), para. 252 ff. 240 Diesen Widerstand teilte Großbritannien (wenngleich führend) mit Staaten wie Irland, Schweden und den Niederlanden. Näher E. Wicks, Declaratory of Existing Rights? 241 CONV 779 / 03, S. 6. 242 Bereits P. Craig, Constitutions, Constitutionalism and the European Union, S. 142, weist auf die Spannung zwischen sinnlosem Verzicht auf die Charta als solcher und einer vollständigen Einbeziehung hin. 243 Vgl. auch J. Shaw, What’s in a Convention?, S. 61. Das House of Lords Select Committee on the European Union, 41st Report (The Future of Europe: The Convention’s Draft Constitutional Treaty), HL 169 (2002 – 03) verlangte sogar für den Fall, daß die Charta keine Einbindung erfahren würde, entsprechende Vorkehrungen zu treffen, um die Ziele von Laeken, insbes. die Verdeutlichung des Grundrechtsschutzes für den Bürger, anderweitig zu erreichen; vgl. ebda. para. 258 a.E. 244 G. de Búrca, Fundamental Rights and Citizenship, S. 17. 239

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

Allerdings erreichten die (Regierungs-)Vertreter von der Insel eine mehrfache „Absicherung“. Zum einen wurden die „horizontalen Bestimmungen“ bestätigt, die zum Ziel hatten, im Falle der rechtlichen Verbindlichkeit die verbrieften Rechte in Reichweite und Wirkung einzuschränken. Gleichwohl wurden von Seiten der „Euroskeptiker“ Vorwürfe laut, die Regierung betreibe hier „Schadensbegrenzung“, anstatt den Fehler der Zustimmung zur Charta als solcher wieder gut zu machen, indem eine Einbeziehung in die Verträge mit aller Macht verhindert würde.246 Diese „horizontalen Vorschriften“ sollen nach britischem Verständnis den Inhalt der verbrieften Rechte regeln, die in irgendeiner Weise in zweifacher Nennung auftauchen, so etwa für die Rechte aus den vertraglich gewährten Grundfreiheiten (Art. II-112 Abs. 2 KonvE), den EMRK-Rechten und Grundfreiheiten (Art. II-112 Abs. 3 KonvE) und den Grundrechten, wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben (II-112 Abs. 4 KonvE). Im Gegensatz zur bisherigen Situation erlangen diese Bestimmungen nunmehr ein deutlich höheres Gewicht. Aufgrund des rein politischen Charakters der Charta konnten EuGH und nationale Gerichte nur subsidiär auf die Charta als Orientierungshilfe zurückgreifen247 und waren insbesondere an der Anwendung solcher Bestimmungen gehindert, die über die nationalen Verfassungsüberlieferungen oder die EMRK hinausreichen.248 Mit Übernahme in den Verfassungsvertrag rücken diese Bestimmungen nunmehr in den Mittelpunkt. Dementsprechend besorgt reagierten daher britische Stimmen auf eine Übernahme der Charta „eins zu eins“ in den Vertrag.249 Sofern der neue Text Abweichungen insbesondere in Bezug auf die EMRK (und damit dem nationalen Grundrechtsschutzniveau in Großbritannien) enthält, sollte verhindert werden, daß sich für die Mitgliedstaaten durch die Einbeziehung der Charta neue Pflichten ergeben. Was zuweilen als Innovationen des Grundrechte-Konvents gerühmt wurde,250 begründet aus einer solchen Sicht daher eher Anlaß zur Sorge. Mit besonderem Argwohn begegnet dabei (ausgerechnet) die Labour-Regierung den Vorschriften zu den sog. sozialen Grundrechten. Ihre Ausdehnung auf die Mitgliedstaaten, so

So B. de Witte, Simplification and Reorganization of the European Treaties, S. 1280. D. Heathcoat-Amory, The European Constitution, S. 19. 247 Einen Überblick über die Anwendung der Charta bietet S. Douglas-Scott, Constitutional Law of the European Union, S. 474. 248 Zu denken ist hier z. B. an die Beschränkung der Biomedizin in Art. 3 Abs. 2 GRCh, des Schutzes personenbezogener Daten in Art. 8 GRCh oder auch des Rechts auf eine gute Verwaltung in Art. 41 GRCh und auf Zugang zu Dokumenten in Art. 42 GRCh. Zum Recht auf gute Verwaltung s. auch Lord Millet, The Right to Good Administration in European Law. 249 Vgl. etwa die Arbeitspapiere 04 und 16 von Baroness Scotland of Asthal zur Arbeitsgruppe II v. 9. Juli (WGII-WD 004) und 13. September 2002 (WGII-WD 016); im Internet: http: //www.european-convention.eu.int. 250 Vgl. etwa P. Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 522; J. Schwarze, Ein pragmatischer Verfassungsentwurf, S. 561, spricht von einer „durchaus gelungenen Synthese klassischer Freiheits- und Gleichheitsrechte und moderner sozialstaatlicher Garantien“. 245 246

D. Der Status der EU-Grundrechtecharta

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wird befürchtet, könnte das – im Vergleich zum Kontinent – besonders liberale Arbeits- und Sozialrecht in Großbritannien, auf dem nach Ansicht der Regierung der Wohlstand und das Wirtschaftswachstum fußt, ausgehebelt werden.251 Problematisch an der Vielzahl der Bestimmungen, die sich weder auf einheitliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten noch in sonstiger Hinsicht in einem der für die Charta grundlegenden Rechtsquellen zurückführen lassen, ist dabei die Bedeutung, die den horizontalen Bestimmungen beigemessen wird. Für letztgenannte Bestimmungen existierten allerdings keine weiteren Absicherungen als der Kommentar des Präsidiums und Art. II-111 Abs. 2 VVE, nach welchem die Charta keine neuen Kompetenzen für die Union begründen soll. Heikel erscheint hier gerade die Rolle des EuGH. Bei einer Einbeziehung der Charta käme ihm die Aufgabe zu, über Status (Grundrecht oder Prinzip), Reichweite und Beschränkungen der Einzelbestimmungen zu befinden. Die Frage nach einer befürchteten Ausweitung von Individualrechten läge damit nicht mehr in der Macht des Westminsterparlaments sondern beim Gerichtshof in Straßburg – in doppelter Hinsicht eine Provokation für das traditionelle britische Verfassungsverständnis: die Gewähr individueller Rechte läge nicht innerhalb des britischen Kompetenzkreises sondern innerhalb der EU-Institutionen und sie läge nicht bei einem demokratisch gewählten Parlament, sondern bei einem Gericht.252 Soweit sich die Mitgliedstaaten in einem Bereich bewegen, in dem der Vertrag eine Beschränkung von Rechten erlaubt, stellt sich die Frage, ob dem EuGH dennoch eine Entscheidungskompetenz zukommt, das generelle Prinzip der Achtung der Charta-Rechte durch die Mitgliedstaaten zu überwachen.253 Art. 51 Abs. 1 GRCh setzt der Rechtsprechung des EuGH hier Grenzen und verhindert, daß die Union durch die Charta zu einer Menschenrechtsgemeinschaft ausgebaut wird.254 Eine Schlüsselfunktion für die Rolle des EuGH kommt aber nunmehr der Entscheidung zu, inwieweit eine nationale Regelung sich im Anwendungsbereich von Gemeinschaftsrecht bewegt. Im ERT-Fall255 äußerte sich der EuGH u. a. dazu, wann 251 The Times v. 19. Mai 2004, „EU Charter must not dilute labour laws, im Internet: http: //www.timesonline.co.uk/article/0„13509 – 1115733,00.html; The Guardian v. 14. Juni 2004, „Britain on Course to Retain Red Lines“, im Internet: http: //politics.guardian.co.uk/eu/ story/0,9061,1238109,00.html. Kritisch vor diesem Hintergrund ist bereits die Entscheidung des EuGH v. 26. Juni 2001 über die Unvereinbarkeit von britischen Urlaubsregelungen mit Gemeinschaftsrecht zu sehen. Insbesondere die (vom EuGH nicht übernommene) Feststellung des Generalstaatsanwalts A. Tizzano zur Unvereinbarkeit mit Art. 31 Abs. 2 GRCh gab Anlaß zu britischen Sorgen; Rs. C-173 / 99 (BECTU) EuGH Slg. 2001 I-4881. 252 Baroness Scotland of Asthal, Arbeitspapier 4, S. 2. 253 Aus der Rechtsprechung insoweit von Bedeutung C-159 / 90 (Grogan) EuGH Slg. 1991, I-4685; C-260 / 89 (ERT) EuGH Slg. 1991, I-2925; C-368 / 95 (Familiapress) EuGH Slg. 1997, I-3689; C-60 / 00 (Carpenter) EuGH Slg. 2002, I-6279. 254 Aus Gründen des fehlenden Mandats und mangelnder Accountability und Legitimacy auch nicht wünschenswert. Vgl. A. Arnull, From Charta to Constitution, S. 781 f. 255 Rs. C-260 / 89 (ERT) EuGH Slg. 1991, I-2925. Vgl. auch Rs. C-299 / 95 (Kremzow) EuGH Slg. 1997, I-2629, Rn. 15.

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

das Gericht eine nationale Regelung an Vorschriften der EMRK messen kann. Für solche Regelungen, die nicht im Rahmen des Gemeinschaftsrechts ergangen sind, verneint es diese Frage.256 Dagegen behielt sich der EuGH noch das alleinige Entscheidungsrecht vor, sobald eine nationale Regelung in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fällt. Inwiefern dies gegeben sein soll, sobald eine Regelung Auswirkungen auf Bereiche hat, die auch in die Unionskompetenz fallen, ist fraglich. Hiermit befaßte sich bereits die britische Judikatur z. B. im Fall First City Trading: „This is a deep question, it concerns the depth of the Community’s bite. [ . . . ] The fact that a legal problem has arisen as a result of the adoption of Community rules is in my view, not sufficient to entail that the solution adopted for that problem by the national authorities must necessarily respect fundamental rights applying in the Community legal order.“257

Im Fall Carpenter258 beschäftigte sich der EuGH erneut mit der Auslegung nationaler Bestimmungen im Lichte der EMRK. In diesem Fall sollte eine eingereiste Philippinin nach Ablauf ihres Aufenthaltsrechtes abgewiesen werden, da gegen sie Vorwürfe des Verstoßes gegen Einwanderungsbestimmungen erhoben wurden. Nach ihrer Heirat in England stellte sich dann aber die Frage, ob sich eine Ausweisung nachteilig auf das Familien- und Erwerbsleben ihres Ehemannes auswirken würde, dessen Beruf durch häufige Aufenthalte im EU-Ausland unter den Schutz der Arbeitnehmerfreizügigkeit bzw. Niederlassungsfreiheit falle.259 In der Entscheidung der britischen Behörden, Frau Carpenter auszuweisen, erkannte der Gerichtshof eine mittelbare Verletzung der Grundfreiheiten ihres Mannes u. a. aus Art. 49 EGV. Zusätzlich ergebe sich eine Verletzung der Rechte aus Art. 8 Abs. 1 EMRK, weshalb eine Ausweisung unverhältnismäßig und damit unrechtmäßig wäre.260 Schließlich konnte die Einbeziehung der Erläuterungen als Hilfestellung für den EuGH bei Anwendung der Charta erreicht werden. Da auch die Erläuterungen Teil der Arbeit des Konvents sind, wurde somit dem Vorbehalt begegnet, der EuGH als Gericht würde im wesentlichen den Anwendungsbereich der Charta bestimmen und damit den Willen des Konvents mit seinen (mehr oder weniger) demokratisch legitimierten Vertretern im Einzelfall übergehen. Die sprachlich geänderte Präambel der Charta in Teil II weist auf die Bedeutung der Erläuterungen hin; danach „erfolgt die Auslegung der Charta durch die Gerichte der Union und der Mitgliedstaaten unter gebührender Berücksichtigung der Erläuterungen, die unter der Leitung des Präsidi256 257

Rs. C-260 / 89 (ERT) EuGH Slg. 1991, I-2925, Rn. 42s. R. v. Min. of Agriculture ex parte First City Trading [1997] 1 CMLR 250, para. 24

u. 35. 258 Rs. C-60 / 00 (Carpenter) EuGH Slg. 2002, I-6279, insbes. Rn. 76 ff. Eingehender A. Tryfonidou, Mary Carpenter v. Secretary of State for the Home Department. 259 Dazu bereits die Vorentscheidung in Rs. C-370 / 90 (Singh) EuGH Slg. 1992, I-4265. 260 Darüber hinaus könne sich die Ehefrau selbst auf die entsprechende Richtlinie für die Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen innerhalb der Gemeinschaft berufen.

D. Der Status der EU-Grundrechtecharta

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ums des Konvents zur Ausarbeitung der Charta formuliert und unter der Verantwortung des Präsidiums des Europäischen Konvents aktualisiert wurden.“

In einem neuen Abs. 7 heißt es nun in Art. II-112: „Die Erläuterungen, die als Anleitung für die Auslegung der Charta der Grundrechte verfaßt wurden, sind von den Gerichten der Union und der Mitgliedstaaten gebührend zu berücksichtigen.“

Inwiefern diese Rechnung aufgehen wird, muß die zukünftige Handhabung der Charta durch den EuGH zeigen. Es wäre nicht das erste Mal, daß der EuGH aus britischer Sicht seine Kompetenzen überschreitet.261 3. Die EU als EMRK-Mitglied? Für den Beitritt der EU zur EMRK sah der Konventsentwurf ergänzende Regeln in seiner ursprünglichen Fassung des Art. III-325 Abs. 9 VVE a.F. vor. Danach war für einen Beschluß über die Aufnahme von Verhandlungen bzw. einen Beitritt – in Abweichung vom Regelverfahren – Einstimmigkeit im Ministerrat erforderlich. Hintergrund war auch der britische Widerstand gegen einen pauschalen Beitritt der EU zur EMRK, der sich bereits in dem vor dem EuGH angestrengten Gutachten auf Initiative von Großbritannien, Frankreich, Irland, Portugal, Spanien und Niederlande äußerte.262 Diese Sichtweise wurde mittlerweile entsprechend entschärft und von britischer Seite kein grundsätzlicher Widerstand mehr gegen einen Beitritt formuliert.263 Nach der Endfassung des Verfassungsentwurfs, wie er von den Staats- und Regierungschefs im Oktober 2003 beschlossen wurde, ist das Erfordernis des einstimmigen Beschlusses nunmehr auch weggefallen. Unklar dagegen sind die Auswirkungen, die ein solcher Beitritt auf die Charta haben würde.264 Aufgrund der unterschiedlichen Rechtsprechung der beiden europäischen Gerichtshöfe EuGH und EGMR und der z. T. voneinander abweichenden Schutzniveaus werden schwer bis nicht zu lösende Konflikte befürchtet.265 Auf der anderen Seite ist mit Einbeziehung der Charta in die Verfassung eine Steigerung der Rechtsprechung in Grundrechtsfragen zu erwarten. Um diese Gefahr der 261 Diese Besorgnis wurde bereits durch das House of Lords angemeldet. Vgl. dazu House of Lords Select Committee on the European Union, 41st Report (The Future of Europe: The Convention’s Draft Constitutional Treaty), HL 169 (2002 – 03), para. 257 a.E.: „We also question how far the efficacy of the provisions of the commentary will withstand the development of case law by the ECJ.“ s. dazu auch oben Teil A.III.1.b)cc)(3). 262 Gutachten des EuGH 2 / 94, EuGH Slg. 1996, I-1759. 263 So die Äußerungen der Regierung im Parlament, HL-Deb., Vol. 649, Sp. 1118, 20. Juni 2003. Zu einer Diskussion über den Beitritt der EU zur EMRK aus britischer Sicht vgl. F.G. Jacobs, The EU-Charter of Fundamental Rights, S. 289. 264 House of Lords Select Committee on the European Union, 41st Report (The Future of Europe: The Convention’s Draft Constitutional Treaty), HL 169 (2002 – 03), para. 259 f. 265 s. D. Heathcoat-Amory, The European Constitution, S. 19.

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

Rechtsunsicherheit durch eine Duplizierung der EMRK-Rechte in der Charta nicht noch zu verstärken, kommt Art. II-112 Abs. 3 VVE eine besondere Rolle zu.266 Fraglich bleibt indessen die Rolle der Rechtsprechung des EGMR, so daß ein Beitritt zur EMRK von dieser Warte aus sogar eher wünschenswert erscheint.267 Aber auch aus Sicht einer Stärkung des Grundrechtsschutzes in der EU wäre ein Beitritt erstrebenswert, öffnete er doch die Union der externen richterlichen Überprüfung.268 Sicherlich könnten sich dann Befürchtungen realisieren, die EU bzw. die Rolle des EuGH könnte hierdurch marginalisiert werden.269 Prozedurale Vorteile werden dagegen insofern erwartet, als sich der EGMR in Zukunft auf durch den EuGH aufbereitete Sachverhalte stützen könnte, da dieser vorrangig mit Grundrechtssachverhalten innerhalb der EU befaßt wäre.270

IV. Fazit Von größter Bedeutung auch in politischer Dimension ist die Frage nach der Reichweite der Charta. Im Brennpunkt des britischen Interesses stehen damit die sogenannten „horizontalen Bestimmungen“ in den Art. II-111 ff. VVE. Insbesondere ist wohl Art. II-111 VVE dahingehend auslegungsbedürftig, was unter der „Durchführung des Rechts der Union“ durch die Mitgliedstaaten zu verstehen ist. Nach einer weiten Interpretation durch den EuGH fällt damit eine nationale Regelung in den Ausübungsbereich des Gemeinschaftsrechts, wenn sie sich auf die Grundfreiheiten ihrer Bürger auswirkt. Hiernach scheinen sich dann aber die Befürchtungen einiger Skeptiker zu bewahrheiten, über die Hintertür des Verfassungsvertrages ergäbe sich für das Vereinigte Königreich ein weiterer wesentlicher Souveränitätsverlust durch eine De-facto-Bindung des Parlamentes an die Grundrechtecharta. Denn die möglichen Berührungspunkte auch in Bereichen der ausschließlichen Kompetenz der Mitgliedstaaten erscheinen in diesem Lichte uferlos.271 Das Verbot, über die Grundrechtecharta neue Kompetenzen für die Union zu begründen, Art. II-112 Abs. 2 VVE, könnte auf diese Weise unterlaufen werden. Da in den Bereichen der Umsetzung von Unionsrecht auch die Mitgliedstaaten an die Charta gebunden sein werden, ist kritisch anzumerken, daß für diese Bereiche im Vereinigten Königreich ein höherer Grundrechtsstandard eingeführt wird, als 266 In dieser Frage hatte sich bereits das Herzog-Konventsmitglied Lord Goldsmith immer wieder dafür eingesetzt, die Rechte in der GRCh nach Möglichkeit inhaltsgleich mit denen der EMRK zu formulieren; vgl. N. Bernsdorff / M. Borowsky, Protokolle. 267 A. Arnull, From Charta to Constitution, S. 786. 268 A. Arnull, From Charta to Constitution, S. 786. 269 Vgl. CONV 116 / 02, S. 18. Derartige Befürchtungen wurden schon anläßlich des Gutachtens des EuGH geäußert, 2 / 94, EuGH Slg. 1994, I-1781. 270 A. Arnull, From Charta to Constitution, S. 786 f.; vgl. auch Art. 35 Abs. 1 EMRK. 271 So z. B. D. Heathcoat-Amory, The European Constitution, S. 18.

E. Institutionelle Reformen

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dies unter dem Regime des HRA der Fall ist. Können Gerichte nach diesem lediglich Declarations of Incompatibility abgeben, werden sie künftig solche Vorschriften, die der Umsetzung von Unionsrecht dienen, aufgrund von Verstößen gegen die Charta für nichtig erklären können.272 Angesichts des Ziels, in der EU einen einheitlichen Grundrechtestandard unter Verdeutlichung der gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten herzustellen, ist dies aber eine Folge, die als Konsequenz der Mitgliedschaft in der EU hinzunehmen ist. Bei der Umsetzung des Unionsrechts ist es wichtig, in allen Mitgliedstaaten einen einheitlichen Schutz der individuellen Rechte zu gewährleisten. Gewichtig waren daher die Anstrengungen, über eine entsprechende Absicherung der „horizontalen Bestimmungen“ den Gerichtshof an einer solchen Handhabung der Unionsgrundrechte zu hindern. Soweit dies nicht über eine entsprechende Um- / Neuformulierung der betreffenden Vorschriften erreicht werden konnte, wurden die Erläuterungen des Konvents mit in den Anwendungsbereich einbezogen. Nach dem auf der Regierungskonferenz in Brüssel am 18. Juni 2004 vereinbarten und am 29. Oktober in Rom unterzeichneten Kompromiß müssen die europäischen und nationalen Gerichte bei Auslegung der Charta die Erläuterungen berücksichtigen, Art. II-112 Abs. 7 VerfE. Inwiefern diese Vorkehrungen den EuGH tatsächlich in seiner integrationsoffenen Vertragsauslegung bremsen, wird insbesondere in Großbritannien mit großer Aufmerksamkeit verfolgt werden.273

E. Institutionelle Reformen Im Vorfeld des Erweiterungsprozesses ergaben sich für die institutionelle Struktur der Union Änderungsanreize, die auf eine drohende Entscheidungs- und Handlungsunfähigkeit zurückzuführen waren. Das institutionelle Gefüge – im wesentlichen das Dreigestirn von Parlament, Kommission und Ministerrat – hatte seit Gründung der EG keine wesentlichen Änderungen erfahren. Lediglich dem EP wurden fortgesetzt von einer Revision zunächst immer wieder neue bzw. erweiterte Rechte eingeräumt. Auf diese Weise wurden bis zuletzt Entscheidungen nach Abstimmungsregeln getroffen, die ursprünglich einmal für die sechs Gründungsmitglieder entworfen waren. Nach den Erweiterungsprozessen der EU 1973, 1982, 1986 und 1996 offenbarten sich bereits erste Schwierigkeiten in der Entscheidungsfindung. Die bevorstehende Osterweiterung der EU von 15 auf 25 Mitglieder setzte nunmehr einen neuen Impetus, der Reformen im institutionellen Geflecht unumgänglich machte. Diese Notwendigkeit wurde von den Regierungschefs be272 House of Lords Select Committee on the Constitution, 9th Report (The Future of Europe: Constitutional Treaty – Draft Articles 1 – 16), S. 31 (Gutachten von S. DouglasScott). 273 Aus dieser Sicht optimistisch M. Ruffert, Schlüsselfragen der Europäischen Verfassung, S. 175 f.

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

reits in den Verhandlungen über den Amsterdamer Vertrag erkannt. Weitreichende Reformen blieben jedoch aus und wurden auf die folgende Regierungskonferenz in Nizza vertagt. Mangels Einigungsfähigkeit blieben diese Fragen abermals als „leftovers“ ungelöst und sollten in dem sich anschließenden Post-Nizza-Prozeß behandelt werden. Aber auch in ideeller Hinsicht entwickelte sich Reformdruck. Zwar war die Union in wirtschaftlicher wie in politischer Hinsicht unumstritten ein Erfolg. Der Wohlstand innerhalb des Unionsgebietes hatte sich nicht nur merklich erhöht, auch wurde insbesondere nach der Süderweiterung ein weitgehend einheitliches Lebensniveau in den einzelnen Mitgliedstaaten erreicht; in politischer Hinsicht ist die Frage nach einem erneuten Krieg zwischen den in der Union zusammengeschlossenen Mitgliedstaaten mehr als zu einem Theorem verkommen. Eine verfassungsmäßige Betrachtung könnte dagegen dieses Bild trüben. Der Konventspräsident V. Giscard d’Estaing bemerkte daher in seiner Eröffnungsrede: „Wenn wir scheitern, tragen wir noch bei zur derzeitigen Unklarheit um das europäische Einigungswerk, das – wie wir wissen – nach der laufenden Erweiterungsrunde kein effizientes und für die Öffentlichkeit verständliches System für die Lenkung der Geschicke unseres Kontinents wird bieten können. Was in den vergangenen fünfzig Jahren aufgebaut wurde, würde an seine Grenzen stoßen und liefe Gefahr, auseinander zu brechen. [ . . . ] Die Entscheidungsmechanismen sind so kompliziert geworden, daß sie für die Öffentlichkeit unverständlich sind.“274

Soweit man als wichtige Kriterien einer Verfassung Autorität, Demokratie, Effektivität und Kontrolle i.S.e. Accountability ansieht, müßte das europäische Verfassungsprojekt gar als bislang gescheitert erkannt werden: einer ineffizienten parlamentarischen Überwachung stehen mangelnde Transparenz der (oftmals geheimen) Entscheidungsfindungsprozesse sowie eine mangelnde Bürgerbeteiligung gegenüber.275 Folgerichtig übernahm die Erklärung von Laeken diese Frage mit in den Aufgabenkatalog für den Konvent zur Zukunft Europas. Neben der zahlenmäßigen Anpassung der Institutionen standen aber auch die Effizienzsteigerung der Arbeiten der Organe sowie die Steigerung der demokratischen Legitimation, Fragen der Modifikation der Abstimmungsregeln und – v.a. auf britische Initiative – die Rolle der nationalen Parlamente auf der Agenda des Konvents.276 Insgesamt sollte die Arbeit des Konvents zu einem Ausgleich des Gleichgewichts zwischen großen und kleineren Mitgliedstaaten führen. Dies wurde mit der zahlenmäßigen Überrepräsentation kleinerer EU-Staaten in den Institutionen notwendig – insbesondere aufgrund der Zunahme an kleineren und mittleren Staaten CONV 4 / 02, S. 13. A. Tomkins, The draft Constitution of the EU, S. 573; S. Douglas-Scott, Constitutional Law of the EU, S. 131. Vgl. auch bereits die Ausführungen oben unter C.I.1.c). 276 Zur Arbeit des Konvents hier vgl. auch K. Hänsch, Der Konvent – unkonventionell. 274 275

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durch die Osterweiterung. Ein Ausgleich zwischen dem Völkerrechtsprinzip, wonach grundsätzlich alle Staaten in den Gremien der EU gleichberechtigt sind, und dem Demokratieprinzip, nach dem alle Bürger der EU gleich repräsentiert sein sollen, ist dabei wegen der besonderen Stellung der EU mit ihren supranationalen und intergouvernementalen Strukturen in Reinkultur unmöglich. Für den Konvent stellte sich somit die Aufgabe, das Pendel im Verfassungsgefüge zwischen Völkerrechtsprinzip (Stärkung des Rates unter Anwendung des Einstimmigkeitsprinzips) und Demokratieprinzip (doppelt-qualifizierte Mehrheit im Rat bei Stärkung des EP und Kommission) neu zu justieren und der EU damit ein neues Gepräge zu verleihen. Um mit seiner Arbeit an der Regierungskonferenz und den nationalen Ratifikationsprozessen nicht zu scheitern, mußte ein Kompromiß zwischen diesen beiden Prinzipien gefunden werden, der sowohl für eher integrationsoffene Staaten wie Deutschland aber auch für eher integrationskritische Staaten wie Großbritannien akzeptabel erscheint.

I. Die Rolle der nationalen Parlamente – „Watchdog“ im Dienste des Subsidiaritätsprinzips Seit Bestehen des EPs, besonders seit der Umbenennung der Versammlung in Parlament, hat dieses in den jeweiligen Vertragsreformen mehr und mehr Kompetenzen und Einflußmöglichkeiten an sich ziehen können.277 Gleichwohl hat dies nicht einen weiteren Rückgang in der Wählerbeteiligung verhindern können. Statt dessen erleiden die Wahlen zum EP fortgesetzt niedrige Beteiligungen.278 Mit einem Ausbau der Kompetenzen des EP allein läßt sich daher wohl nicht das demokratische Defizit der Union beseitigen – zumindest solange nicht die Schaffung eines europäischen Bundesstaates gewünscht ist. Vermehrt drang daher (besonders britische) Stimmen nach einem Ausbau der Rolle der nationalen Parlamente durch.279 Dagegen kann argumentiert werden, nationale Parlamente ließen sich schwieriger unter Kontrolle halten als die Repräsentanten im Rat. Das eigentliche demokratische Defizit würde damit nicht aufgrund einer fehlenden bzw. zu langen Legitimationskette zu den Entscheidungsträgern in der EU bestehen, sondern auf nationaler Ebene. Durch eine stärkere Anbindung der Ratsmitglieder an die nationale Kontrolle, etwa durch spezielle Ausschüsse (so z. B. in Großbritannien) oder eine den Ratstreffen vorgelagerte „Instruktion“ der Repräsentanten (so im skandinavischen Raum – besonders streng hier Dänemark),280 könnte ein ebenso gutes, 277 Für einen Überblick vgl. A. Moravcsik, In Defence of the Democratic Deficit, S. 612, sowie C. Harlow, Accountability in the EU, S. 92 ff. 278 Von im EU-Durchschnitt 63% (1979) auf 45,7% (2004); dazu die Tabelle im Anhang. 279 Dazu bereits oben unter C.1.a).

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

wenn nicht besseres, Maß an demokratischer Kontrolle installiert werden. Der „schwarze Peter“ wäre hierbei wieder den Mitgliedstaaten zugespielt, die in ihren nationalen institutionellen Ordnungen für entsprechende Einrichtungen zu sorgen hätten.281 Historisch bedingt wird die EU-Politik – wie in den meisten EU-Staaten – der Außenpolitik zugeordnet, obgleich die EU-Staaten einander schon längst nicht mehr Ausland sind.282 Aufgrund der Royal Prerogative ist die Außenpolitik im Vereinigten Königreich eine Domäne der Exekutive und damit dem Parlament weitestgehend entzogen. Eine parlamentarische Kontrolle der Europapolitik findet damit unter erschwerten Bedingungen statt.283 Ein weiteres Hindernis bietet die Sprachbarriere in der EU, die – gerade in Staaten mit europäischen Minderheitensprachen – den nationalen Parlamenten den Zugang zu wichtigen Dokumenten oftmals verkompliziert.284 In der Erklärung von Laeken wird diesem Umstand Rechnung getragen und dem Konvent aufgetragen, die Rolle der nationalen Parlamente zu überprüfen: „Sollen sie [die Parlamente] in einem neuen Organ – neben dem Rat und dem Europäischen Parlament – vertreten sein? Sollen sie eine Rolle in den Bereichen europäischen Handelns spielen, in denen das Europäische Parlament keine Zuständigkeit besitzt? Sollen sie sich auf die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen der Union und den Mitgliedstaaten konzentrieren, indem sie beispielsweise vorab die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips kontrollieren?“

1. Nationale Parlamente im Unionsgefüge Da die Organe der EU den nationalen Parlamenten gegenüber nicht verantwortlich sind, waren die nationalen Regierungen der Mitgliedstaaten in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten immer mehr in der Lage, sich über ihren Einfluß im Ministerrat der Gemeinschaften der nationalen parlamentarischen Überwachung zu entziehen.285 Die einzige Möglichkeit der nationalen Parlamente bestand folglich in einer verstärkten Kontrolle der nationalen Regierungen als den Mitgliedern 280 Zu den institutionellen Vorkehrungen in den Mitgliedstaaten W. Wessels / A. Maurer / J. Mittag (Hrsg.), Fifteen into one? The European Union and its Member States; C. Harlow, Accountability in the EU, S. 86 f. m. w. N. 281 So A. Moravscik, In Defence of the Democratic Deficit, S. 612 f. 282 P. Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 38. 283 C. Harlow, Accountability in the EU, S. 86. 284 Vgl. C. Harlow, Accountability in the EU, S. 92. 285 Vgl. etwa J. Hayward, France and the United Kingdom, S. 156. Exemplarisch demonstrierte dies G. Schröder mit seiner Position zur Aufhebung des Waffenembargos gegen China (trotz gegenteiligen Bundestagsbeschlusses durch die überwältigende Mehrheit der Parlamentarier); s. FAZ v.15. 04. 2005, „Schröder und Fischer in der China-Politik Seite an Seite“.

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von Rat und Ministerrat. Im Verhältnis zwischen Bundesregierung und Bundestag und -rat regelt dies Art. 23 Abs. 2 u. 3 GG im Verein mit dem Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union286 bzw. von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union287. In Großbritannien übernehmen diese Funktionen Resolutionen des Parlaments.288 Historisch gesehen hat neben der Rolle des EP auch die Bedeutung der einzelstaatlichen Parlamente einen Zuwachs erfahren. Anfänglich galt ihre Mitwirkung am europäischen Entscheidungsprozeß als innere Angelegenheit der Mitgliedstaaten und war dort auf die Kontrolle der mitgliedstaatlichen Regierung beschränkt. Ein Mitspracherecht der Parlamente hätte sich wohl auch mit dem System der EG als einer überwiegend intergouvernementalen und auf wenige Aufgaben beschränkten Gemeinschaft nur schwer vertragen. Mit dem von der EEA eingeleiteten Prozeß und Gründung der EU durch den Vertrag von Maastricht änderte sich dies jedoch und mit Ausweitung des Aufgabenbereichs schrumpfte die Bedeutung der intergouvernementalen Elemente. Konnten die Parlamente noch in Fragen, die im Rat einstimmig entschieden werden mußten, Abweichungen von nationalparlamentarischen Positionen deutlich hervorheben und damit öffentlichkeitswirksam ihrer Kontrollfunktion nachkommen, schrumpfte diese Möglichkeit mit Zunahme der Mehrheitsentscheidungen. Die im Rat vertretenen Regierungen konnten sich somit stärker einer parlamentarischen Überwachung entziehen. Dem Rechnung tragend fanden die nationalen Parlamente Berücksichtigung in einer dem Vertrag von Maastricht beigefügten „Erklärung zur Rolle der einzelstaatlichen Parlamente in der Europäischen Union“ und einer „Erklärung zur Konferenz der Parlamente“. Im Vertrag von Amsterdam schließlich fanden sie Aufnahme in das „Protokoll (Nr. 9) über die Rolle der nationalstaatlichen Parlamente in der Europäischen Union“. Trotz Festschreibung bestimmter, v.a. auf Aspekte der Information bezogener Rechte der Parlamente gehen die Vertragsparteien in der Präambel zum Protokoll aber weiterhin davon aus, „daß die Kontrolle der jeweiligen Regierungen durch die einzelstaatlichen Parlamente hinsichtlich der Tätigkeit der Union Sache der besonderen verfassungsrechtlichen Gestaltung und Praxis jedes Mitgliedstaats ist“.

Besonders im Falle von Mehrheitsentscheidungen im Rat oder bei Kompromißabstimmungen über Paketlösungen wird diese Kontrollmöglichkeit aber immer noch selbst in Systemen ausgeprägter parlamentarischer Einflußnahme wie des dänischen Folketings (Europaudvalget)289 stark eingeschränkt. Gesetz v. 12. März 1993 (BGBl. I S. 311), BGBl. III 170 – 2. Gesetz v. 12. März 1993 (BGBl. I S. 313), BGBl. III 170 – 3. Zu erwähnen ist an dieser Stelle auch die Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Länder über die Zusammenarbeit in Angelegenheiten der Europäischen Union v. 29. Oktober 1993 (Bundesanzeiger Nr. 226 v. 2. 12. 1993 S. 10425). 288 Dazu sogleich unter 2. 286 287

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Formal gesehen stärker ist die Rolle der Parlamente bei der Umsetzung von Unionssekundärrecht in nationales Recht. Gemäß Art. 249 EGV sind Richtlinien für den Mitgliedstaat, an den sie gerichtet sind, nur hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich. Soweit es also um die Umsetzung von Richtlinien in nationales Recht geht, genießen die Parlamente als den zentralen Legislativorganen in den Mitgliedstaaten einen gewissen Spielraum für „die Wahl der Form und der Mittel“. Diese Freiheit ist aber abhängig von dem durch die Richtlinie belassenen Raum, dessen Reichweite sich nach den Prinzipien der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit richtet, Art. 5 EGV. Sofern zu bestimmten Maßnahmen die Annahme durch die Mitgliedstaaten gemäß ihren verfassungsgemäßen Bestimmungen vorausgesetzt wird (so bei Vertragsänderungen oder aber in den im Vertrag besonders bestimmten Fällen wie Art. 22, 190, 269 EGV) haben die einzelstaatlichen Parlamente den größten Einfluß, der jedoch unter dem jeweils mehr – besonders bei von den Mitgliedstaaten beschlossenen Vertragsänderungen – oder weniger starken Ratifikationsdruck steht.290 Unabhängig davon fehlt einer solchen Entscheidung dann aber immer noch der Einfluß auf inhaltliche Veränderungen.

2. Westminster in Europa – Parlamentarische Einflußnahme im Vereinigten Königreich Gemäß Art. 23, 24, 59 GG ist bei der Ratifikation internationaler Verträge – zu denen auch die Europäischen Verträge zählen – die Zustimmung des Bundestages einzuholen. Im Vereinigten Königreich dagegen gehört der Abschluß solcher Verträge zur Royal Prerogative. Eine Zustimmung des Parlaments ist daher entbehrlich.291 Lediglich in den Fällen, in denen sich Konsequenzen für die innerstaatliche Rechtsordnung ergeben, ist eine Umsetzung in nationales Recht durch Parlamentsgesetz notwendig; dies folgt aus dem Grundsatz der Parlamentssouveränität. Die Wirksamkeit der internationalen Verpflichtungen, die sich aus dem völkerrechtlichen Vertrag ergeben wird davon aber nicht berührt (dualistische Theorie)292. Konsequent zu Ende geführt ist damit das Parlament jedweder Einflußnahme auf die Europapolitik der Regierung beraubt, da diese immer noch der Außenpolitik zuzurechnen ist. Soweit es um die Umsetzung europäischen Rechts in nationales Recht geht, bliebe dem Parlament damit nur die Möglichkeit bewußter Obstruktion, was aber den Bruch von Unionsrecht zur Folge haben würde mit den 289 Dazu im Detail in W. Wessels / A. Maurer / J. Mittag (Hrsg.), Fifteen into one? The European Union and its Member States. 290 S. Magiera, Die Arbeit des europäischen Verfassungskonvents und der Parlamentarismus, S. 580. 291 Hingewiesen sei lediglich noch einmal auf den European Parliamentary Elections Act 2002; vgl. Abschnitt B.II.1. 292 Dazu S. Schieren, Nationale Parlamente als Legitimationsgrund europäischer Politik?, S. 344 f. m. w. N.

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sich daraus ergebenden Konsequenzen von Strafzahlungen bis zur Mitgliedschaftssuspendierung. Durch die Verlagerung von mehr und mehr Kompetenzen auf die Ebene der EU entstand hier die Gefahr einer Umgehung der Parlamentssouveränität. Um dieser Gefahr zu begegnen, stehen dem Parlament, über die üblichen Methoden der Anfragen an die Regierung hinaus,293 verschiedene Instrumente zur Verfügung. Ihnen zugrunde liegt das Prinzip der sogenannten Scrutiny Reserve. Danach muß, bevor ein Minister einer Maßnahme des Rates seine Zustimmung gibt, dem Parlament Gelegenheit gegeben worden sein, das betreffende Dokument zu sichten und dazu Stellung zu beziehen.294 Hierzu verfügen die beiden Häuser des Parlaments über unterschiedliche Committees. Mit Beitritt in die EG wurde als Teil des britischen Unterhauses das Select Committee on European Legislation (heute European Scrutiny Committee) eingerichtet. Dessen Hauptaufgaben bestehen darin, die politische und / oder rechtliche Bedeutung von Dokumenten der EU einzuschätzen295, eine detaillierte Analyse oder auch Expertise über EU-Dokumente zu geben, die Vorgänge im Rat und besonders die Verhandlungspositionen der nationalen Minister und deren Ausgang zu beobachten, die rechtlichen, prozeduralen und institutionellen Entwicklungen in der EU mit Auswirkungen für das Vereinigte Königreich und das Parlament im Auge zu behalten und in Zusammenarbeit mit den entsprechenden House of Lords Committees die Funktionsweise des Scrutiny Systems sowie die Beachtung von Parlamentsentscheidungen durch die Regierung sicherzustellen. In fast zwei Drittel der Fälle wird das betreffende Dokument unkommentiert belassen. Im übrigen stehen dem Committee mehrere Möglichkeiten offen: es kann die Punkte vorbringen, die von Bedeutung erscheinen, den Fall an eines der drei (bis 1998 zwei) European Standing Committees weiterverweisen oder die Beratung im Plenum anraten. Mit dieser Entscheidung ist die Arbeit dieses Committees beendet. Darüber hinaus teilt es einmal in der Woche den Fachausschüssen den Umfang der europäischen Rechtsetzung mit. Select Committee wie Standing Committees können Gutachten einholen und Anhörungen durchführen, insbesondere können sie Fachminister vorladen. Über diese üblichen Befugnisse hinaus ist das Select Committee zudem in der Lage, Einschätzungen anderer Committees einzuholen. 293 Außen- und Innenminister sind verpflichtet, vor jeder Sitzung des Ministerrats vor dem Ausschuß für Äußere bzw. Innere Angelegenheiten zu erscheinen. Vor den Sitzungen des Rates der Europäischen Union findet zweimal im Jahr eine generelle Aussprache im Parlament statt. 294 Resolutionen des House of Commons v. 30. Oktober 1980, 24. Oktober 1990 und 17. November 1998. Dies gilt auch für Abstimmungen zu Änderungen, die im Rahmen des Mitentscheidungsverfahrens durch das EP eingebracht werden. 295 Hierzu zählen auch Fragen der EWG, obgleich das Vereinigte Königreich bislang noch nicht an dieser teilnimmt.

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

Die Standing Committees gliedern sich nach Themengebieten geordnet in drei Committees auf. Ihre Aufgabe besteht darin, die vom Select Committee vorgelegten Dokumente für Debatten im Plenum aufzubereiten. Hierzu stehen die jeweiligen Fachminister Rede und Antwort. Das Ergebnis der Beratungen wird dann an das Unterhaus weitergeleitet, gefolgt von einem Antrag, über welchen regulär ohne weitere Debatte entschieden wird. Mit dieser Abstimmung ist die Arbeit der Standing Committees abgeschlossen. Mit der Scrutiny Reserve hat sich die Regierung damit praktisch ihrer Prerogative in der Außenpolitik begeben. Danach liegen außenpolitische Entscheidungen, zu denen auch (noch) EU-Angelegenheiten zählen, im alleinigen Kompetenzbereich der Regierung, die stellvertretend für die Krone tätig wird. Allerdings ist die Srutiny Reserve nicht als festgeschriebenes Recht zu sehen sondern eher als ein „self-restraint“ der Regierung und kann auch wohl nicht als constitutional convention bezeichnet werden. Dies wurde bereits deutlich, als sich die Regierung Major 1996 genötigt sah, die Ratifikation des Amsterdamer Vertrages notfalls unter Gebrauch ihrer Royal Prerogative durchzusetzen – ohne Beteiligung des Parlaments.296 Auch das britische Oberhaus überwacht die Tätigkeit der europäischen Organe. Im House of Lords European Communities Committee werden – wie im Unterhaus – Rechtsakte auf ihre politische und rechtliche Bedeutung untersucht. Der Schwerpunkt liegt hier eher in der Untersuchung bestimmter Vorschläge oder Themen im Detail, so daß die Anzahl der ausgewählten Dokumente im Vergleich zum House of Commons Select Committee deutlich geringer ausfällt. Ziel dieser detaillierten Untersuchungen ist die Erarbeitung von Vorschlägen für eine Debatte im Plenum. Ein Großteil der Arbeit wird dabei zwischen fünf bis sechs Sub-Committees aufgeteilt. Die Committees von Ober- und Unterhaus ergänzen sich und treten in ausgewählten – wenn auch seltenen – Fällen zu gemeinsamen Sitzungen zusammen.297 Im Ergebnis treffen jedoch die Einschränkungen für die Möglichkeiten der Beeinflussung europäischer Politik, die in Bezug auf die nationalen Parlamente gemacht wurden, auch auf das britische Westminster-Parlament zu. Insbesondere Verbundentscheidungen sowie Entscheidungen über Änderungen im Rahmen des Mitentscheidungsverfahrens entziehen sich weitgehend einer Kontrolle durch die Parlamente. Auf der anderen Seite gilt es hier aber zu bedenken, daß eine vorherige Abstimmung in den Parlamenten der (nunmehr 25) Mitgliedstaaten das Problem der Entscheidungsunfähigkeit des Rates wohl eher verstärken würde.

296 Dazu P. Birkinshaw / D. Ashiagbor, National Participation in Community Affairs, S. 502. 297 Ausführlicher das Factsheet L 11 (Legislation Series) v. September 2003 des House of Commons Information Office (European Communities Legislation); im Internet: http: // www.parliament.uk/documents/upload/l11.pdf.

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3. COSAC und Assises In der Erklärung Nr. 14 zum Vertrag von Maastricht wurden EP und die nationalen Parlamente zu einer Konferenz der Parlamente aufgerufen, der sog. „Assises“. Das einzige Treffen im November 1990 im Vorfeld der Regierungskonferenz zum Maastricht-Vertrag blieb jedoch ergebnis- und folgenlos. Erfolgreicher verlief dagegen das Projekt der „Konferenz der Europaausschüsse der nationalen Parlamente und des Europäischen Parlamentes“ (COSAC)298, die im Mai 1989 von den Präsidenten der nationalen Parlamente ins Leben gerufen wurde, um die Rolle der einzelstaatlichen Parlamente gegenüber den Gemeinschaften zu stärken. Seit ihrer ersten Tagung im November 1989 in Paris bringt sie seither jeweils sechs Abgeordnete aus den Europaausschüssen jedes Parlaments mit ebenfalls sechs Vertretern des EP zusammen. COSAC ist ein rein beratendes Organ ohne Mitbestimmungsrechte auf Unionsebene und ohne Bindungswirkung seiner Beschlüsse für die nationalen Parlamente. In dem Protokoll zum Amsterdamer Vertrag über die Rolle der einzelstaatlichen Parlamente fand COSAC erstmals formelle Anerkennung, wenngleich darin die rein beratende Funktion unterstrichen wird. Der Einfluß der COSAC ist jedoch begrenzt und reduziert sich zuweilen auf die Erörterung der politischen Schwerpunkte der jeweiligen Ratspräsidentschaft, anstatt den Einfluß der Parlamente auf europäischer Ebene stärken zu können.299

4. Die nationalen Parlamente im Konventsentwurf Von Seiten der britischen Regierung sehr begrüßt, befaßte sich der Konvent ausgiebig mit der Frage der Stärkung der nationalen Parlamente. Dabei wurde die Frage nach der Einrichtung einer Zweiten Kammer früh verworfen.300 Allgemein setzte sich die Ansicht durch, daß die Rolle der nationalstaatlichen Parlamente primär in der Überwachung ihrer jeweils nationalen Regierungen und damit der Vertreter im Rat besteht.301 Zudem wurde bezweifelt, ob eine solche Kammer zu mehr Transparenz und Bürgernähe führen könnte.302 Ohne die einzelstaatlichen verfassungsrechtlichen Regelungen zu beeinflussen, sollte aber dennoch die Einbeziehung der Parlamente auf EU-Ebene erleichtert werden. Es wurden daher Lösun298 Conférenece des Organes Spécialisés en Affaires Communautaires; im Internet: http: // www.cosac.org. 299 So die Einschätzung des House of Lords European Union Committee, 7th Report (A Second Parliamentary Chamber for Europe: an Unreal Solution to Some Real Problems), HL 48 (2001 – 02), para. 70 ff. Besonders kritisch zur Rolle COSACS auch K. Pöhle, Das Demokratiedefizit der EU und die nationalen Parlamente, S. 81 ff. 300 CONV 128 / 02; 204 / 02. 301 Vgl. den Schlußbericht der Arbeitsgruppe IV, CONV353 / 02, para. 6. 302 So auch S. Magiera, Die Arbeit des europäischen Verfassungskonvents und der Parlamentarismus, S. 580.

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

gen anvisiert, die auf eine stärkere Transparenz der Entscheidungsmechanismen in Rat und Kommission abzielen, sowie den nationalen Parlamenten die Hauptrolle in einer Art „Frühwarnmechanismus“ zuweisen. a) Kontrolle der nationalen Regierungen als vorrangige Aufgabe der einzelstaatlichen Parlamente In seinen Empfehlungen für den Konvent rät die Arbeitsgruppe IV zu der Rolle der einzelstaatlichen Parlamente davon ab, von europäischer Seite her den nationalen Parlamenten Vorschriften zur besseren Überwachung der nationalen Regierungen zu machen. Statt dessen setzt sie auf eine verbesserte Koordinierung der nationalen Vorkehrungen, die von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat z. T. deutlich voneinander abweichen und auch in unterschiedlichem Maße ausgenutzt werden. Diese Funktion soll nach Willen der Mitglieder dieser Gruppe von COSAC übernommen werden, die den angemessenen Rahmen für die Koordination der partikularen Bemühungen bieten würde.303 Dem folgend hat auch die 28. COSAC in Kopenhagen bereits im Januar 2003 die sogenannten „Kopenhagener parlamentarischen Leitlinien“ verabschiedet, in denen „wünschenswerte Mindeststandards für die Beziehungen zwischen Regierungen und Parlamenten bei Gemeinschaftsangelegenheiten“ festgelegt sind.304 b) Öffnung der Beschlußfassung in Rat und Kommission Ausgehend von diesen Erwägungen untersuchte die Gruppe Möglichkeiten, die Kontrolle durch die Parlamente von europäischer Ebene her zu erleichtern. So empfahl sie, die Tätigkeit des Rates in seiner gesetzgeberischen Funktion öffentlich zu machen. Auch sollten politische Koordinierung und andere Aktivitäten nach Möglichkeit der Öffentlichkeit zugänglich sein, Abweichungen müßten begründet werden. Zudem sollten Protokolle der Beratungen der Kommission innerhalb von zehn Tagen zusammen mit der Übermittlung an Regierung und EP auch den einzelstaatlichen Parlamenten übermittelt werden (bisher lag dies in der Verantwortung der nationalen Regierungen).305 Um den Zeitraum von sechs Wochen zwischen der Zuleitung der Dokumente und entsprechender Beschlußfassung im Rat nicht zu unterlaufen, wird angemahnt sicherzustellen, daß im Rat keine „vorläufige“ Einigung erzielt wird, damit die nationalen Positionen der Parlamente mit einbezogen werden können. Einer Verschleppung des Gesetzgebungsprozesses sei aber zu begegnen, indem eine vorherige Unterrichtung durch die Kommission gestattet sei, auf die hin eine erste 303 304 305

CONV 353 / 02, para. 9 ff. ABl. 2003 / C 154 / 01. CONV 353 / 02, para. 8.

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Stellungsnahme des Rates erreicht werden könne. Lediglich bei Einlegung eines nationalen Vorbehaltes durch ein Parlament, solle der jeweilige Minister an der Abstimmung verhindert sein.306 c) Subsidiaritätskontrolle durch die nationalen Parlamente Das Subsidiaritätsprinzip wird im allgemeinen dahingehend verstanden, Aufgaben auf der kleinsten möglichen Einheit wahrzunehmen und sie erst dann nach „oben“ zu verlagern, wenn dies auf „unterer“ Ebene nicht mehr möglich ist.307 Verankerung hat das Prinzip zusammen mit dem der Verhältnismäßigkeit in Art. 5 EGV gefunden (vorher bereits in Art. 3b). Die Einhaltung dieser Prinzipien liegt primär in der Verantwortung der Unionsorgane. Die nationalen Parlamente spielen aber eine entscheidende Rolle, soweit es die Beratung und Kontrolle der nationalen Regierungen anbelangt, frühzeitig zu entscheiden, welche Aufgaben auf nationaler (oder gar subnationaler) Ebene zu erfüllen sind und welche von den Gemeinschaften wahrgenommen werden müssen.308 Um neben der Ex-ante-Überwachung durch die Parlamente die Einhaltung des Prinzips sicherzustellen, sollten die Parlamente in die Lage versetzt werden, auch eine nachträgliche Kontrolle anstrengen zu können. Hier erzielte die Arbeitsgruppe Einigkeit, keine neuen Gremien einzuführen, sondern in einem prozeßorientierten Ansatz die Parlamente in ein „Frühwarnsystem“ einzubeziehen, welches auf die frühzeitige Überprüfung für die Einhaltung des Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzips gerichtet ist. Aufgrund dieser Annahmen hat der Konvent ein neues „Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit“ eingeführt. Dieses sieht die Unterrichtung der Parlamente der Mitgliedstaaten über Gesetzgebungsvorschläge der Kommission vor, in der diese ausführlich über die Einhaltung der Prinzipien der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit Rechenschaft ablegen muß, Ziff. 4. Innerhalb von sechs Wochen können dann sämtliche einzelstaatlichen Parlamente (einschließlich jeder Kammer oder jedes Parlaments der Mitgliedstaaten, also auch des deutschen Bundesrates309) den Präsidenten des EP, dem Ministerrat oder der Kommission darlegen, ob und warum sie das Vorhaben für mit den genannten Prinzipien nicht vereinbar halten, Ziff. 5. Diese StellungnahCONV 353 / 02, para. 17. Zurückgehend auf Papst Pius XI. (Enzyclica Quadragesimo Anno, 1931). Zum Prinzip der Subsidiarität P. Häberle, Das Prinzip der Subsidiarität aus der Sicht der vergleichenden Verfassungslehre. 308 CONV 353 / 02 para 22. 309 Trotz der abweichenden Rechtsprechung des BVerfG, welches den Bundesrat nicht als „Zweite Kammer“ anerkennt, ist nach einem weiten Verständnis für das Verfahren des Frühwarnmechanismus der Bundesrat stimmberechtigt; zu dem erweiterten Begriff der Zweiten Kammer vgl. Th. Groß, Zwei-Kammer-Parlamente in der EU, S. 31 f. 306 307

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

men müssen dann von den genannten Organen Berücksichtigung finden. Soweit mindestens ein drittel der Parlamente dem Vorhaben widerspricht, muß die Kommission ihren Vorschlag überprüfen und gegebenenfalls ändern oder zurückziehen. Im Falle von Entscheidungen im Bereich des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, genügt hierbei bereits ein viertel der Parlamente, Ziff. 6. Damit dieser Mechanismus effektiv greifen kann, ist die Kommission verpflichtet, ihre Vorschläge gleichzeitig an Regierungen und Parlamente zu übermitteln, Ziff. 3. Im Rahmen der Konventsarbeiten war zunächst umstritten, welche Gewichtung die Stimmen der jeweiligen Parlamente haben würden. Da einige Staaten mit mehr, manche mit weniger oder gar keinen Einzelparlamenten ausgestattet sind, wäre es hier zu Mißverhältnissen gekommen, die dadurch ausgeglichen wurden, daß jedes Land mit einem Einkammernsystem 2 Stimmen gegenüber einer für jede Kammer in Zweikammernsystemen besitzt., Ziff. 6. Gemäß Ziff. 7 des Protokolls entscheidet der EuGH über solche Klagen, die von einem Mitgliedstaat – evtl. auch stellvertretend für ein nationales Parlament – nach Art. III-365 VVE auf die Verletzung des Subsidiaritätsprinzips gestützt werden. Da diese Möglichkeit im Rahmen des schon bestehenden Verfahrens der Nichtigkeitsklage nach Art. 230 EGV möglich ist, bietet das Protokoll hier nicht bahnbrechend neues.310 Immerhin werden nun aber die Mitgliedstaaten zu „Prozeßstandschaftern“ ihrer Parlamente erhoben. Auch ist es den nationalen Rechtsordnungen überlassen, Regeln für die Klageerhebung festzulegen, so daß sich letztlich doch ein quasi indirektes Klagerecht ergeben kann. Zudem wird dem Ausschuß der Regionen ausdrücklich ein solches Recht zugebilligt, soweit es sich um Gesetzgebungsakte handelt, für die eine Anhörung des Ausschusses vorgesehen ist (bisher keine Nennung in Art. 230 EGV). 5. Die Rolle der Parlamente in britischer Betrachtung311 Um ihre Kontrollfunktion über die nationalen Regierungen effektiv ausüben zu können, ist die Versorgung der Parlamente mit Informationen entscheidend. Je später das Parlament Kenntnis von Vorgängen im Rat erhält, desto schwieriger kann es gegenüber dem jeweiligen Minister Empfehlungen oder gar Anweisungen ausgeben. Im Vorfeld der Reformen im Amsterdamer Vertrag gab es für die britischen Committees immer wieder Anlaß zur Klage über die Weiterleitung von Informationen, besonders von offiziellen Textfassungen, entweder von den europäischen Institutionen selbst oder aber durch die Regierung – wenngleich diese dadurch zugleich ihre Verpflichtung aus den Parlamentsresolutionen verletzte.312 Diese 310 Zusammenfassend S. Magiera, Die Arbeit des europäischen Verfassungskonvents und der Parlamentarismus, S. 580. 311 s. noch S. Hölscheidt, Die neuen Bundesländer und der Parlamentarismus in der EU, S. 330 ff.

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Aspekte versuchte das Amsterdamer Protokoll zu verbessern, jedoch liegt danach die Verantwortung für die Weiterleitung von Gesetzgebungsvorschlägen der Kommission immer noch bei den nationalen Regierungen. Danach werden die Vorschläge der Kommission „rechtzeitig zur Verfügung gestellt, so daß die Regierung jedes Mitgliedstaats dafür Sorge tragen kann, daß ihr einzelstaatliches Parlament sie gegebenenfalls erhält“. Zwischen der Verabschiedung der Vorschläge und der Beschlußfassung sollen wenigstens 6 Wochen liegen – entsprechend den Vorkehrungen im Protokoll zum Amsterdamer Vertrag – die in der Praxis aber leider häufig unterschritten wird.313 Zur Erfüllung der Kontrollfunktion – als einer Hauptaufgabe des Parlaments – sind aber der generelle Informationszugang und die Zeitspanne bis zur Mitteilung an das Parlament von ausschlaggebender Bedeutung.314 Im Hinblick auf das Thema der Accountability eröffnet sich hier ein wichtiges Feld für Reformen. a) COSAC als „Zweite Kammer“ des EP Bereits im Rahmen der Verhandlungen von Amsterdam kam der Vorschlag nach einem Ausbau der COSAC zu einer zweiten Kammer als dem Repräsentationsorgan der nationalen Parlamente auf. Dieser Vorschlag scheiterte jedoch an dem Widerstand der Befürworter des nicht-institutionellen Charakters der COSAC, in der gerade ihre Stärke liege.315 Angestoßen von den Vorschlägen J. Fischers in seiner Rede in der Berliner Humboldt-Universität316 wurden weit im Vorfeld der Arbeiten des Konvents erneut Stimmen laut, die die Einrichtung einer Zweiten Kammer forderten.317 Während der deutschen Seite dabei aber eher die Umwandlung des Ministerrates in eine „Staatenkammer“ vorschwebte318, wurden von der britischen Insel andere Ideen vernommen: 312 House of Commons Committee on European Legislation, 27th Report (The Scrutiny of European Business), HC 51-xxvii (1995 – 96). Vgl. auch P. Birkinshaw, British Report, S. 251. 313 House of Commons Committee on European Legislation, 27th Report (The Scrutiny of European Business), HC 51 xxvii (1995 – 96), para. 219 – 228. 314 Vgl. House of Commons European Scrutiny Committee, 24th Report (The Convention on the Future of Europe and the Role of National Parliaments), HC 63-xxiv (2002 – 03), para. 7. 315 So v.a. die Position des Deutschen Bundestages; vgl. die Entschließung des Bundestages und Bericht des EU-Ausschusses v. 3. 2. 1997, BT-Drs. 13 / 6891. 316 J. Fischer, Vom Staatenverbund zur Föderation – Gedanken über die Finalität der europäischen Integration, Rede am 12. Mai 2000 in der Humboldt-Universität in Berlin; im Internet: http: //www.europa-digital.de/aktuell/dossier/f ischer/rede1205.shtml. 317 Darunter auch mit sehr konkreten Vorstellungen der französische Senat; vgl. ders., Une deuxième Chambre Européenne, Senate report Nr. 381 2000 – 2001. 318 Vgl. J. Rau, Plädoyer für eine Europäische Verfassung, Rede vor dem Europäischen Parlament am 04. April 2001; im Internet: http: //www.bundespraesidialamt.de/top/dokumente/Rede/ix_35625.htm.

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

„I also believe that the time has now come to involve representatives of national parliaments more on such matters, by creating a second chamber of the European Parliament. A second chamber’s most important function would be to review the EU’s work, in the light of this agreed Statement of Principles [Verhältnismäßigkeit und Subsidiarität].“319

Hiergegen wurden verschiedene Argumente vorgebracht. So wurde befürchtet, eine solche Kammer könne ihrer Aufgabe nicht gerecht werden, da ihre Mitglieder sich aus den nationalen Parlamenten rekrutieren würden und somit einer starken Doppelbelastung ausgesetzt wären. Gleichfalls wurde bezweifelt, daß eine derartige Kammer das demokratische Defizit beheben könne, da sie lediglich dem ohnehin schon unübersichtlichen Organgeflecht ein weiteres hinzufügen würde, dessen Mitglieder wiederum nicht unmittelbar demokratisch legitimiert wären. Auch sie gingen nicht aus unmittelbaren Wahlen hervor sondern würden durch die nationalen Parlamente aus ihrem Kreis bestimmt werden. Schließlich wurde gar die Ernsthaftigkeit dieses Vorschlags angezweifelt, da eine solche Kammer auch dem Ziel dienen könne, die Entscheidungsprozesse in der EU zu verlangsamen und somit das europäische Projekt zu gefährden.320 In der Tat ist dieser britische Vorstoß wohl auch eher als Antwort auf die deutschen Vorschläge zu einer Verfassung für Europa zu sehen und als Versuch, die Initiative an sich zu ziehen.321 b) Veto-Recht der nationalen Parlamente Vereinzelte Stimmen, setzten sich gar für ein Veto-Recht der nationalen Parlamente ein. Danach hätte jedweder Rechtsakt in der Union der Zustimmung aller nationalen Parlamente bedurft. Anders gewendet hätten die mitgliedstaatlichen Parlamente ein Veto-Recht gewonnen, Gesetzgebung auf europäischer Ebene zu blockieren. Aus Gesichtspunkten der Effektivität sind derartige Vorschläge aber bereits als absurd abzutun und fanden auch weder in den Äußerungen der Parlamentskammern noch der Regierung Zustimmung.322

319 Rede des britischen Premiers T. Blair in Warschau v. 6. Oktober 2000 (im Anhang abgedruckt). 320 Zur Kritik vgl. besonders House of Lords European Union Committee, 7th Report (A Second Parliamentary Chamber for Europe: an Unreal Solution to Some Real Problems), HL 48 (2001 – 02), para. 29 – 39. 321 Dies legen auch die Erfahrungen des House of Lords in dieser Frage nahe, vgl. House of Lords European Union Committee, 7th Report (A Second Parliamentary Chamber for Europe: an Unreal Solution to Some Real Problems), HL 48 (2001 – 02), para. 22. 322 House of Commons European Scrutiny Committee, 33rd Report (Democracy and Accountability in the EU and the Role of National Parliaments), HC 152-xxxiii-I (2001 – 02), para.121; House of Commons European Scrutiny Committee, 3rd Special Report (Democracy and Accountability in the EU and the Role of National Parliaments, Government Observations), HC 1257 (2001 – 02), para. 26.

E. Institutionelle Reformen

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c) „Gelbe“ oder „Rote“ Karte? – Der Frühwarnmechanismus zum Subsidiaritätsprinzip Nachdem sich die Forderung nach einer Zweiten Kammer nicht durchsetzen konnte, betrachtete die Regierung die Pläne zu einer prozessualen Absicherung des Subsidiaritätsprinzips mit großem Wohlwollen. Regierung wie Parlament befürworteten die Vorschläge des Konvents, brachten in gewisser Hinsicht aber auch darüber hinausgehende Vorschläge ein: Neben dem sog. „Yellow-Card-System“ wurde zusätzlich ein „Red-Card-System“ propagiert.323 Danach sollte die Kommission gezwungen werden, im Falle einer Ablehnung durch Zweidrittel der Parlamente das Vorhaben zurückzuziehen. Dieser Vorschlag wurde aber aufgrund der Befürchtung, das europäische Gesetzgebungsverfahren zu stark auszubremsen, nicht aufgegriffen. Die konservative Seite legte dies als Niederlage für die nationalen Parlamente aus: „The promised new role as a real counterweight to the centralising tendency in Europe has turned out to be a missed opportunity. It is certainly not the breakthrough in national parliamentary powers claimed by the British Government.“324

Ebenso konnte sich der Vorschlag, den nationalen Parlamenten direkt ein eigenes Klagerecht zum EuGH einzuräumen, nicht durchsetzen.325

6. Fazit Insgesamt könnte eine Bilanz der Konventsarbeit eher nüchtern ausfallen. Angesichts der fehlenden Konsequenz, mit der der EuGH bislang dem Subsidiaritätsprinzip zur Durchsetzung verholfen hatte, wäre aus britischer Sicht eine stärkere institutionelle Verankerung wünschenswert gewesen. Eine genaue Auflistung der Kompetenzen, etwa am Beispiel des deutschen GG orientiert, hätte hier eine Möglichkeit geboten.326 Das neue Protokoll zur Subsidiarität geht manchem hier nicht weit genug.327 Gerade aufgrund der britischen Forderungen nach einer Stärkung der Position der nationalen Parlamente erscheint die vom Konvent gewählte Lösung dennoch als befriedigend und wurde folgerichtig auch als „groundbreaking“ angenommen.328 Danach gehen die nationalen Parlamente aus der Verfassungsreform gestärkt hervor. Erstmals wird ihnen auf Unionsebene ein Stimmrecht eingeräumt. So der Vorschlag des britischen Konventsmitglieds G. Stuart, CONV 540 / 03. D. Heathcoat-Amory, The European Constitution, S. 13. 325 CONV 540 / 03. 326 Zur Frage der Kompetenzen vgl. weiter unten unter F. 327 A. Tomkins, The draft Constitution of the EU, S. 575 f. M. Dougan, A ,Tidying-Up Exercise‘ That Needs Some Tidying-Up Of Its Own, S. 6 328 Vgl. HL-Deb v. 7. Januar 2003, Sp. 981. 323 324

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

Angesichts der Gefahr einer Marginalisierung des „Yellow-Card-Verfahrens“ durch die bloße Existenz schärferer Sanktionen, ist dieses Ergebnis wohl auch aus rechtspolitischen Gründen zufriedenstellend. So hätte allein die Existenz der „Red-Card“ die Kommission dazu bewegen können, sich über Proteste der nationalen Parlamente hinwegzusetzen. Aufgrund der näheren Begründungspflicht für einen solchen Beschluß ist wohl auch der Willkür ein entsprechender Riegel vorgeschoben. Da die „Red-Card“ nur im Falle einer Zweidrittelmehrheit zum Tragen kommen sollte, ist ohnehin fraglich, ob sich die Kommission einer solch überwältigenden Mehrheit entgegenstellen könnte – der Sanktionsmechanismus ist demnach gleichfalls ein politischer. Angesichts der Tatsache, daß auch von britischer Seite aus immer wieder die Überprüfung des Subsidiaritätsprinzips als primär politisches Problem bezeichnet worden ist,329 erscheint dies auch sachgerechter. Die Vorwürfe von konservativer Seite, hier wäre eine Chance vertan worden, greifen daher deutlich zu weit. Gerade aus britischer Perspektive gesehen, sollte Vertrauen in politische Sanktionsmechanismen gelegt werden, sind sie es doch, die in der Verfassung des Vereinigten Königreiches im wesentlichen den willkürlichen Machtmißbrauch verhindern.330 Außerordentlich begrüßt wird auch der verbesserte Informationsfluß von den Unionsorganen, speziell der Kommission, zu den nationalen Parlamenten. Hierdurch sei eine ausreichende Kontrolle der Regierungen sichergestellt und größere Nähe zwischen Union und Bürgern – mit den Parlamenten als Katalysator – herstellbar.331 Mit besonderer Genugtuung dürfte die – von britischer Seite geforderte – Anpassung des Art. I-50 Abs. 2 und Art. I-24 Abs. 6 VVE aufgenommen worden sein, nach der der Ministerrat öffentlich tagt, „wenn er über Entwürfe zu Gesetzgebungsakten berät oder abstimmt“ (in der Vorversion „berät und beschließt“).332 Schließlich wird auch in der Möglichkeit der Parlamente, vermittelt durch die Regierung als Stellvertreter ein Klagerecht eingeräumt zu bekommen, eine ausreichende Absicherung erkannt.333 Zwar liegt die Ausübung dieses Rechtes nicht allein in der Verantwortung der Parlamente sondern ist von der Ausübung durch die Regierungen abhängig. Gerade hier werden aber vitale britische Interessen 329 House of Commons European Scrutiny Committee, 2nd Special Report (The Convention on the Future of Europe and the Role of National Parliaments), HC 1176 (2002 – 03), para. 9. 330 Kritisch dagegen M. Dougan, A ,Tidying-Up Exercise’ That Needs Some Tidying-Up Of Its Own, S. 6. Vgl. Auch Teil 2 unter A.II.1. 331 Vgl. die Antwort der Regierung auf den 11th Report des House of Lords, HL 70 (2002 – 03). 332 Vgl. House of Commons European Scrutiny Committee, 24th Report (The Convention on the Future of Europe and the Role of National Parliaments), HC 63-xxiv (2002 – 03), para. 13, sowie House of Commons European Scrutiny Committee, 2nd Special Report (The Convention on the Future of Europe and the Role of National Parliaments: Government Observations on the Committee’s Report), HC 1176 (2002 – 03), para. 5. 333 Antwort der Regierung auf den 11th Report des House of Lords, HL 70 (2002 – 03).

E. Institutionelle Reformen

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gewahrt: Auf der einen Seite besteht die Möglichkeit, die Durchsetzung des aus britischer Sicht so wichtigen Subsidiaritätsprinzips auch prozessual abzusichern. Andererseits wird die Ausübung dessen in die Hände der Mitgliedstaaten gelegt, ohne dabei zwingende Regelungen vorzuschreiben. Der Verfassungsentwurf wahrt damit die nationale Souveränität und respektiert das nationale Verhältnis zwischen Parlament und Regierung. Den nationalen Parlamenten werden damit insgesamt Mittel an die Hand gegeben, die auf der europäischen Ebene so schmerzlich vermißte Accountability wiederherzustellen. Das House of Lords ging daher sogar soweit, festzustellen, daß „ [ . . . ] the balance of power in the European Union is going to shift from the Commission in favour of the Member States if the proposals here are adopted“334

Gemessen an dem, was sich die britische Regierung für den Post-Nizza-Prozeß und die Regierungskonferenz 2003 / 04 vorgenommen hatte, ist dies ein positiver Ausgang.

II. Die doppelt-qualifizierte Mehrheit – Beschränkung des Einstimmigkeitsprinzips Die Frage nach der Gewichtung der einzelnen Stimmen im Rat war immer wieder Hauptstreitpunkt auf den Reformkonferenzen der Staats- und Regierungschefs. Zuletzt erst war eine Einigung über den Verfassungsentwurf unter der italienischen Ratspräsidentschaft im Dezember 2003 bereits an diesem Punkt gescheitert.335 Die Regeln, mit denen im Rat als dem für Gesetzgebung in der EU maßgeblichen Organ Beschlüsse gefaßt werden, variieren in Abhängigkeit des jeweils einschlägigen Rechtssetzungsverfahrens und wurden seit Bestehen der Römischen Verträge immer wieder verändert. Angesichts der Osterweiterung der EU um 10 neue Mitglieder sah sich auch der Verfassungskonvent mit der brisanten Aufgabe konfrontiert, die Regeln für die Abstimmung im Rat zu reformieren. 1. Rechtsetzungsverfahren im Rat nach bisheriger Rechtslage Je nach Gesetzgebungsverfahren gelten für die Abstimmung im Rat unterschiedliche Abstimmungsregeln. Die Anwendung der Verfahren im Einzelnen wird dabei in den jeweiligen Kompetenzbestimmungen festgelegt. Der EGV unterscheidet danach das Anhörungsverfahren, das Verfahren der Zusammenarbeit (Art. 252), das Mitentscheidungsverfahren (Art. 251) und das Verfahren der Zustimmung, die sich durch eine unterschiedliche Tragweite der Beteiligung des EP unterscheiden. 334 House of Lords Select Committee on the European Union, 21st Report (The Future of Europe: Constitutional Treaty – Draft Articles on the Institutions), HL 105, para. 11. 335 FAZ v. 15. 12. 03, „Gescheitert“.

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

Im Rahmen der PJZS und der GASP finden aufgrund des intergouvernementalen Charakters andere Abstimmungsregeln Anwendung, nach denen hauptsächlich einstimmige Beschlüsse gefaßt werden.336 (1) Im Anhörungsverfahren entscheidet der Rat auf Initiative der Kommission nach – jeweils gesondert vorgeschriebener – Anhörung von EP, Wirtschafts- und Sozialausschuß oder Ausschuß der Regionen mit der in der jeweiligen Kompetenznorm vorgeschriebenen Mehrheit. Vorwiegend sind hier einstimmige Beschlüsse erforderlich (Ausnahmen gelten besonders im Agrarbereich, Art. 37 Abs. 2 UAbs. 3 EGV). Bei Abweichungen von Vorschlägen der Kommission ist zwingend Einstimmigkeit erforderlich, Art. 250 Abs. 1 EGV. (2) Komplizierter gestaltet sich das Verfahren der Zusammenarbeit gem. Art. 252 EGV. Auf Vorschlag der Kommission findet zunächst eine erste Lesung im EP statt, auf die, sofern im Einzelnen vorgesehen, die Anhörung von Wirtschafts- und Sozialausschuß bzw. Ausschuß der Regionen folgt. Anschließend legt der Rat mit qualifizierter Mehrheit einen gemeinsamen Standpunkt fest (einstimmig bei Abweichung vom Kommissionsvorschlag), auf den eine zweite Lesung durch das EP folgt. Nach Zustimmung kann der Rat mit qualifizierter Mehrheit den Rechtsakt erlassen.337 Lehnt es ihn ab, kann der Rat nur einstimmig beschließen, Art. 252 lit. c UAbs. 2. Schlägt das EP Änderungen vor, gehen diese zurück an die Kommission zur Beratung. Nimmt die Kommission die Änderungen an, kann der Rat mit qualifizierter Mehrheit annehmen oder einstimmig davon abweichen. Übernimmt die Kommission keine Änderungen, muß der Rat einstimmig entscheiden. (3) Nach dem Verfahren der Mitentscheidung können Rechtsakte nur noch mit Zustimmung des EP in Kraft treten. Auch hier leitet die Kommission das Verfahren ein; je nach Norm werden Wirtschafts- und Sozialausschuß bzw. Ausschuß der Regionen angehört. Stimmen dann EP und Rat nach erster Lesung überein, erläßt der Rat den Rechtsakt mit qualifizierter Mehrheit. Schlägt das EP Änderungen vor, kann der Rat auch diese mit qualifizierter Mehrheit annehmen oder seinen Standpunkt dem EP zuleiten, Art. 251 Abs. 2 UAbs. 1, 3. SpStr. Billigt das EP in zweiter Lesung diesen Vorschlag, gilt der Rechtsakt in der Form dieses Beschlusses als erlassen, Art. 251 Abs. 2 UAbs. 2 lit. a. Bei ablehnendem Beschluß gilt der Rechtsakt als gescheitert, Art. 251 Abs. 2 UAbs. 2 lit. b. Nimmt das Parlament Änderungen vor, werden diese Rat und Kommission zugeleitet, Art. 251 Abs. 2 UAbs. 2 lit. c. Nach Stellungnahme durch die Kommission kann der Rat mit qualifizierter Mehrheit diesen Vorschlag erlassen; soweit die Kommission Änderungen widersprochen hat, ist Einstimmigkeit erforderlich. Finden nicht alle Änderungen Zuspruch kann der Rat den Vermittlungsausschuß anrufen, welcher mit der qualifizierten Mehrheit der Vertreter des Rates und einfacher Mehrheit der Vertreter des EP einen gemeinsamer Entwurf erarbeiten soll. Danach können das EP in dritter Lesung mit absoluter Mehrheit und der Rat – auch bei Ablehnung des Kommis336 337

Dazu näher R. Streinz, Europarecht, Rn. 422 ff. H. M., vgl. R. Geiger, Art. 252 EGV, Rn. 4.

E. Institutionelle Reformen

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sionsvorschlags, Art. 250 Abs. 1 – mit qualifizierter Mehrheit diesen gemeinsamen Entwurf verabschieden. Wird der Entwurf nicht durch den Vermittlungsausschuß oder eines der beiden Organe gebilligt, ist der Rechtsakt gescheitert. (4) Von heute eher nur noch untergeordneter Bedeutung ist das Zustimmungsverfahren. Durch den Vertrag von Amsterdam sind hier die meisten Bestimmungen vom Verfahren der Zustimmung auf das Mitentscheidungsverfahren umgestellt worden. Der Rat entscheidet hier nach Zustimmung des Parlaments, sowie nach Anhörung von Wirtschafts- und Sozialausschuß und Ausschuß der Regionen einstimmig, z. B. Art. 161 EGV. Anwendung findet das Verfahren im wesentlichen noch im Bereich der WWU gemäß Art. 105 Abs. 6 EGV.338 Wie gezeigt spielen Abstimmungen mit qualifizierter Mehrheit bisher hauptsächlich in den Verfahren der Zusammenarbeit, besonders aber der Mitentscheidung eine Rolle. Die qualifizierte Mehrheit im Rat ist dabei erreicht, wenn nach entsprechender Stimmengewichtung eine Mehrheit von ungefähr zwei Drittel der Stimmen erreicht worden ist, Art. 205 EGV. Die Anzahl der Stimmen eines Mitgliedstaates richtet sich dabei nach einem Verteilungsschlüssel, der den Staaten in Abhängigkeit ihrer Bevölkerungsgröße eine bestimmte Anzahl von Stimmen zuweist, Art. 205 Abs. 2 EGV.

2. Entwicklung der Abstimmungsregeln im Rat seit Gründung der Gemeinschaften Zwischen 1958 und 1965 wurden die meisten Entscheidungen einstimmig beschlossen. Durch die Erweiterung der Kompetenzen (und später v.a. des Mitgliederkreises) motiviert, wurde in einzelnen Fällen zu Mehrheitsentscheidungen übergegangen. Dies erwies sich jedoch als problematisch, nachdem die französische Regierung durch die „Politik des leeren Stuhls“ de facto eine Rückkehr zur Einstimmigkeit über den Luxemburger Kompromiß erzwungen hatte.339 Den Durchbruch brachte hier die EEA 1987, in der die Reichweite der Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit um die Bereiche des Binnenmarktes und neu erschlossener Kompetenzen der EG erweitert wurde; so etwa transeuropäische Netzwerke, Bildung und Gesundheit. Auch auf die Bereiche Umwelt und die EWU fanden die Mehrheitsregeln Anwendung. Der Vertrag von Maastricht führte dies mit Einführung des Mitentscheidungsverfahrens fort. Außerdem wurden erstmals auch die Bereiche der intergouvernementalen Säulen der GASP und PJZS erfaßt, indem dem Rat die Möglichkeit eröffnet wurde, in einzelnen Fällen – einstimmig – zu bestimmen, Entscheidungen zukünf338 Überwiegend kommt aber auch hier das Verfahren der Zusammenarbeit zum Tragen, Art. 99 Abs. 5, 102 Abs. 2, 103 Abs. 2, 106 Abs. 2 EGV. 339 Dazu näher oben in Teil 1 unter B.III.2.

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

tig mit qualifizierter Mehrheit zu treffen. Die Konferenzen von Amsterdam und Nizza weiteten diese Bereiche weiter aus. Die Zunahme von Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit ist maßgeblich auf die Beteiligung des Parlaments an der Entscheidungsfindung zurückzuführen. Wie oben dargelegt, findet die qualifizierte Mehrheit besonders im Falle der Mitentscheidung Anwendung. Nach dem Verfassungsentwurf soll künftig dieses Verfahren die Regel bei der Beschlußfassung in der EU darstellen. Damit nehmen die Bereiche, in denen zukünftig mit Mehrheit entschieden wird, noch stärker zu.

3. Neue Wege bei der Mehrheitsabstimmung im Rat Soweit Einstimmigkeit erforderlich ist, besitzt jedes Mitgliedsland ein VetoRecht, welches aber bei Mehrheitsabstimmungen aufgrund der Zahlenverhältnisse – selbst im Falle der großen Staaten – nur noch im Verein mit anderen Mitgliedstaaten ausgeübt werden kann. Dadurch bedingt erlangen die Stimmgewichtungen im Rat maßgebliche Bedeutung. a) Das bestehende Mißverhältnis zwischen Stimmenzahl und repräsentierter Bevölkerung Durch den Beitritt neuer Staaten wurden die Zahlen für die Stimmgewichtung im Rat immer wieder angepaßt, die zugrundeliegenden Regeln jedoch im Grundsatz nicht geändert. Mit zunehmenden Erweiterungen wurde so die absolute Stimmenmacht der größeren Staaten mehr und mehr geschwächt, so daß immer mehr ein Mißverhältnis zwischen der Zahl der Stimmen und der dadurch repräsentierten Bevölkerung entstand.340 Das ursprüngliche System der Stimmengewichtung war darauf getrimmt, die Unterschiede zwischen den großen drei und den kleineren drei Staaten der Gründungsmitglieder auszugleichen. Hiernach konnte maximal einer der großen Staaten (Deutschland, Frankreich oder Italien) überstimmt werden, während die großen Staaten alleine keine Beschlüsse fassen konnten. Mit Beitritt Spaniens und Portugals 1986 verschoben sich die Verhältnisse, so daß bereits zwei große Staaten überstimmt werden konnten. Dieser Trend wurde mit der EFTA-Erweiterung fortgesetzt, der auf britisches Betreiben schließlich zu dem „Ionnania-Kompromiß“ führte. Dieser sieht eine Abweichung von der Regel vor, nach der für Mehrheitsabstimmungen eigentlich schon 62 der 87 Stimmen ausreichend waren, so daß: „der Rat beschlossen hat, falls Mitglieder des Rates, die über insgesamt 23 bis 25 Stimmen verfügen, ihre Absicht erklären, sich einem Beschluß des Rates, für den eine qualifizierte Mehrheit erforderlich ist, zu widersetzen, alles in seiner Macht stehende zu tun, um innerhalb einer vernünftigen Zeit und unbeschadet zwingender, durch die Verträge und durch 340

A. Kirman / M. Widgrén, Voting in the European Union, S. 425.

E. Institutionelle Reformen

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das abgeleitete Recht vorgeschriebener Fristen [ . . . ] eine zufriedenstellende Lösung zu finden, die mit mindestens 68 Stimmen angenommen werden kann.“341

Durch die Ausweitung der Abstimmungen mit qualifizierter Mehrheit – besonders nach der EFTA-Erweiterungsrunde mit den Änderungen durch den Vertrag von Amsterdam – hat sich mit der Zeit dieses Mißverhältnis immer weiter verstärkt. Bereits in Amsterdam war abzusehen, daß bei unveränderter Fortführung des Abstimmungssystems in einer EU mit 28 Mitgliedstaaten eine Gruppe von Staaten Mehrheitsentscheidungen treffen könnte, die nicht einmal die Hälfte der EU-Bevölkerung repräsentierte. Mit der Osterweiterung um zehn, vornehmlich kleinere, Staaten, wurde deutlich, daß eine reine Fortschreibung der Zahlenverhältnisse die Union entweder in eine Sackgasse manövrieren oder aber das demokratische Defizit noch verstärken würde. Es sind diese Gewichtungen, die in Reformkonferenzen immer wieder zu den größten Kontroversen geführt haben. Nach dem Vertrag von Nizza besitzen die großen Staaten (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien) jeweils 29 (zuvor 10) Stimmen, gefolgt von den Staaten mittlerer Größe (Spanien, Polen) mit jeweils 27 (zuvor 8) Stimmen. Die übrigen Mitgliedstaaten erhalten danach ein Stimmengewicht zwischen 13 (zuvor 5) (Niederlande) und 4 (zuvor 2) bzw. 3 für den kleinsten Staat (Malta). Diese neuen Regeln waren aber alleine nicht in der Lage, das Mißverhältnis zwischen Stimmenzahl und repräsentierter Bevölkerung zu beseitigen. Bereits in Nizza wurden daher Alternativen für die Mehrheitsbestimmung im Rat erörtert. Nachdem keine endgültigen befriedigenden Entscheidungen herbeigeführt werden konnten, befaßte sich die Debatte im Post-Nizza-Prozeß mit dieser Thematik, die schließlich Eingang in die Arbeit des Verfassungskonvents gefunden hatte.342 Wie der Widerstand der Mitgliedstaaten zur Regierungskonferenz im zweiten Halbjahr 2003 zeigte, war es auch gerade dieser Punkt, der das Verfassungsprojekt beinahe zum Scheitern gebracht hätte.343 b) Die doppelt-qualifizierte Mehrheit – Der Ausweg aus der Krise? Schon zur Regierungskonferenz 1996 – 1997 im Vorfeld des Amsterdamer Vertrages stand im Rahmen institutioneller Reformen eine Neuverteilung der Stimmgewichte im Rat bei Mehrheitsentscheidungen an. Hier konnten auf der Konferenz 341 Erklärung der zwölf Mitgliedstaaten der Europäischen Union zur Frage der Beschlußfassung in einem erweiterten Ministerrat, angenommen am 27. März 1994 in Ioannina, abgedruckt in gekürzter Fassung in: Europa-Archiv 9 / 1994, S. D 320. 342 Zur Debatte im Post-Nizza-Prozeß s. auch D. Göler, Der Gipfel von Laeken, S. 103 f. 343 Aufgrund des Festhaltens von Polen und Spanien an den Stimmengewichtungen und Abstimmungsregeln aufgrund der in Nizza gefundenen Formel weigerten sich v.a. die Regierungschefs von Deutschland und Frankreich, die Formulierungen im Verfassungsentwurf dahingehend abzuändern, so daß es auf der Konferenz im Dezember 2003 keine Einigung gab; s. auch den Namensartikel des britischen Europaministers D. MacShane in: The Guardian v. 18. Dezember 2003, „No Smell of a Deal“.

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

keine befriedigenden Lösungen gefunden werden; die Frage wurde auf eine Folgekonferenz vertagt.344 Als schon in Nizza vorgeschlagenes Instrument setzte sich der Konvent mit einer doppelt-qualifizierten Mehrheit auseinander. Danach tritt zu dem Erfordernis der besonderen Mehrheit der Stimmen zusätzlich die Mehrheit der durch die Stimmen repräsentierten Bevölkerung hinzu. Ziel dabei ist es, ein ausgewogenes Maß zu finden, in dem hinter jeder möglichen Mehrheits-Koalition im Rat eine ausreichende Anzahl repräsentierter Bürger steht. Auf diese Weise könnte so das Völkerrechtsprinzip in optimaler Weise mit dem Demokratieprinzip gekoppelt werden. Eine Einigung in Nizza konnte dennoch nur mühselig erreicht werden. Dem Vorwurf ausgesetzt, kleinere Mitgliedstaaten übervorteilen zu wollen, konnte die französische Ratspräsidentschaft nur schwer eine Neuverteilung der Stimmgewichte erreichen, die allen Teilnehmern genehm war. Als besonders hinderlich stellte sich das Beharren Frankreichs auf eine paritätische Stimmgewichtung mit Deutschland heraus – ungeachtet der um rund 20 Mio. Einwohner größeren Bevölkerung. Um gleichzeitig die Bedeutung der vier großen Staaten hervorzuheben, wurden deren Stimmgewichte im Vergleich zu vorher fast verdreifacht (jeweils 29 zu 10). Umgekehrt konnten die kleineren Staaten ihre Stimmenzuwächse nur etwas mehr als verdoppeln (10 zu 4 bzw. 13 / 12 zu 5). Spanien hat mit einer Steigerung um mehr als das Dreifache den größten Erfolg in dieser Hinsicht zu verbuchen (27 zu 8) – ein Umstand, der die scharfe Auseinandersetzung um eine Änderung dieser Zahlen durch die Konferenz in Brüssel Ende 2003 erklärbar macht.345 Die Einführung dieses neuen Schlüssels wurde von den großen Mitgliedstaaten mit Befriedigung aufgenommen, während sich kleinere Staaten benachteiligt fühlten und den gefundenen Kompromiß sogar zu blockieren drohten, um ein Primat der großen Vier zu verhindern.346 Durch Ermittlung der relativen Abstimmungsstärke – gemessen an dem prozentualen Anteil der Stimmen im Vergleich zur Gesamtstimmenzahl – wird aber deutlich, daß dieser Vorwurf nur insoweit berechtigt ist, als er sich auf eine Union mit 15 Mitgliedstaaten bezieht. Durch die Osterweiterung veränderte sich nämlich nur die Gesamtstimmenzahl. Der Stimmenanteil für den einzelnen Mitgliedstaat blieb hingegen konstant. Auf diese Weise wurde vom Rat ein realer Stimmenverlust der großen Staaten antizipiert, die aufgrund der hohen Gewichtung prozentual am meisten an Einfluß einzubüßen hatten.347 344 Zur Diskussion der doppelt-qualifizierten Mehrheit vgl. J.-P. Hix, Das institutionelle System im Konventsentwurf, S. 83 m. w. N. 345 J. Schwarze wirft hier die Frage auf, ob dieses Stimmengewicht im Vergleich zu den übrigen Staaten nicht zu großzügig ausgefallen ist, ders., Ein pragmatischer Verfassungsentwurf, S. 551. Zu den Auseinandersetzungen und den dort diskutierten unterschiedlichen Modellen vgl. J.-P. Hix, Das institutionelle System im Konventsentwurf, S. 84 f. 346 So der belgische Premier G. Verhofstadt, vgl. HC Research Paper 01 / 49 v. 1. Mai 2001, S. 15. 347 Zu dieser Frage und zu den entsprechenden Vorkehrungen in Nizza allgemein vgl. J.A. Usher, Goals of Institutional Reform, S. 184 ff.

E. Institutionelle Reformen

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Mit wachsender Gesamtstimmenzahl wird es durch diesen Verlust der großen Mitgliedstaaten aber auch immer schwerer, eine qualifizierte Mehrheit im Rat zu verhindern. Um das Übergehen der größeren Staaten zu verhindern, wurde das System der doppelt-qualifizierten Mehrheit (seit 1. 11. 2004)348 eingeführt. Danach kann bei einer Abstimmung, in der eine qualifizierte Mehrheit erreicht wird, jeder Mitgliedstaat verlangen, festzustellen, daß die abgegebenen Stimmen die Mehrheit der EU-Bevölkerung repräsentieren, Art. 205 Abs. 4 EGV. Neben einer Mehrheit von ca. 73% der Stimmen349 ist dann zusätzlich die Mehrheit von 62% der Bevölkerung erforderlich. c) Die doppelt-qualifizierte Mehrheit im Konventsentwurf Im Verfassungsentwurf ist für künftige Entscheidungen des Rates die qualifizierte Mehrheit als für Abstimmungen regulärer Modus vorgesehen, Art. I-23 Abs. 3.350 Gemäß Art. I-25 Abs. 1 VVE wird künftig auf eine Stimmenwägung der Mitgliedstaaten vollständig verzichtet. Statt dessen zählt die Stimme jedes Mitgliedstaats grundsätzlich gleich. Um den Unterschieden in den Bevölkerungsstärken der Länder Rechnung zu tragen, muß die Mehrheit der Mitgliedstaaten mindestens drei Fünftel der Bevölkerung der Union entsprechen. Entscheidet der Rat nicht auf Initiative der Kommission oder des Europäischen Außenministers, beträgt diese Mehrheit zwei Drittel der Mitgliedstaaten, Art. I-25 Abs. 2 VVE. Dies gilt etwa im Bereich von Justiz und Inneres, wenn der Rat aufgrund einer Initiative der Mitgliedstaaten beschließt, im Bereich der GASP, wenn der Rat auf eigene 348 In Nizza wurde als Starttermin der 1. 1. 2005 vorgesehen. Mit Abschluß der Beitrittsverträge zur Osterweiterung wurde der Termin auf den 1. 11. 2004 vorverlegt, Art. 12 Abs. 1 lit. a der Akte über die Bedingungen des Beitritts und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge. 349 Die „Erklärung zur Schwelle für die qualifizierte Mehrheit und zur Zahl der Stimmen für die Sperrminorität in einer Erweiterten Union“ sieht dazu folgendes vor: „Wenn bei Inkrafttreten der neuen Stimmengewichtung (1. Januar 2005) noch nicht alle Bewerberstaaten, die in der Tabelle in der Erklärung zur Erweiterung der Europäischen Union aufgeführt sind, beigetreten sind, wird die Schwelle für die qualifizierte Mehrheit entsprechend dem Beitrittsrhythmus erhöht, wobei von einem Prozentsatz unterhalb des derzeitigen Prozentsatzes ausgegangen wird, der bis zu einem Höchstsatz von 73,4% ansteigt. Wenn alle vorstehend genannten Bewerberstaaten beigetreten sind, wird in einer solchen Union mit 27 Mitgliedstaaten die Sperrminorität auf 91 Stimmen erhöht, und die Schwelle für die qualifizierte Mehrheit, die aus der Tabelle in der Erklärung zur Erweiterung der Europäischen Union hervorgeht, wird automatisch entsprechend angepaßt“; ABl. C 80 / 85 v. 10. 03. 2001. Gemäß der Akte über die Bedingungen des Beitritts und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge liegt die qualifizierte Mehrheit in der EU-25 bei 72,27 % (232 von 321 Stimmen). 350 Andere, besondere Mehrheiten sind in Art. III-343 Abs. 2 VVE (einfache Mehrheit) sowie in Art. III-395 Abs. 1 VVE (Einstimmigkeit bei Abweichung von Vorschlägen der Kommission) vorgesehen. Eine Besonderheit gilt mit der 4 / 5-Mehrheit gem. Art. I-59 Abs. 1 VVE für den Beschluß des Rates zur Feststellung einer Verletzung der in Art. I-2 genannten Werte durch einen Mitgliedstaat.

15*

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

Initiative beschließt, bei Beschlüssen auf Grundlage einer Empfehlung der Kommission oder EZB im Bereich der Wirtschafts- und Währungspolitik, im Falle der Aussetzung der Rechte einer Mitgliedstaates sowie bei unterschiedlichen Ernennungen. Gemäß Abs. 3 treten diese Bestimmungen jedoch erst im November 2009 nach den Wahlen zum EP in Kraft. Bis dorthin verbleibt es bei den Regelungen des Vertrags von Nizza.

4. Die britische Haltung Die Haltung der Regierung über Regelungen zu Mehrheitsabstimmungen läßt sich als sehr pragmatisch einstufen. Sie ist davon abhängig, ob die Position des Königreiches im Rat gestärkt wird, oder ob vitale britische Interessen entgegen einzelstaatlichen Interessen im Rat (oder umgekehrt solche von nationaler Bedeutung gegen die britische Stimme) durchgesetzt werden können: „More QMV351 is essential to push through our solutions to Europe-wide problems in key areas, such as asylum and immigration. But there are areas on which we would not be prepared to move from unanimity. We would not agree to any changes on foreign policy, defence, taxation or social security which threatened the national interest.“352

Zu unterscheiden gilt es daher zunächst zwischen dem Mehrheitsmodus als solchem und zur Ausweitung dieses Modus auf andere Entscheidungsfelder, in denen bislang Einstimmigkeit erforderlich gewesen ist. Die Regierung ist grundsätzlich positiv zu der Neuerung der doppelten Mehrheitserfordernisse eingestellt: „The Government remain content with the Nice system of voting. For all of its complications, it was the product of lengthy negotiations and agreed as part of a broader package. But we will consider any new proposal on its merits, looking for a balance between the ease with which legislation can be passed and blocked.“353

Wesentlich differenzierter liegt dagegen die Haltung in Bezug auf die einzelnen Politikfelder, in denen diese Abstimmungsregel gelten soll. Mit der Einführung des Mitentscheidungsverfahrens wird die doppelt-qualifizierte Mehrheit zur Regel. Damit bezieht sich dieses Mehrheitserfordernis grundsätzlich auf alle Bereiche des früheren EGV. Zusätzlich ist aber mit dem Verfassungsentwurf darüber hinaus die Abschaffung der Säulenstruktur der EU beabsichtigt. Dann fallen auch die Entscheidungen im Bereich der PJZS und GASP unter die Mehrheitsabstimmungen. Zwar ist eine solche doppelt-qualifizierte Mehrheit wesentlich schwieriger zu erhalten als etwa noch unter den Maastricht-Regeln. Sie nimmt dennoch grundsätzlich jedem Mitgliedstaat das Veto-Recht und ermöglicht, daß er in einzelnen Fällen durch die anderen Mitglieder im Rat überstimmt wird. Gemeint ist „Qualified Majority Vote“ = (engl.) qualifizierte Mehrheit. Schriftliche Antwort des Europaministers D. MacShane im House of Commons, HC Deb 8. Juli 2003, Sp. 733W, para. 12. 353 Weißbuch „A Constitutional Treaty for the EU“ (Cm 5934), S. 33. 351 352

E. Institutionelle Reformen

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Diese Tatsache hat sich die konservative Opposition im Vereinigten Königreich immer wieder zunutze gemacht und darauf hingewiesen, die Regierung sei bereit, die Souveränität des Landes aufzugeben.354 Nicht zuletzt derartige Äußerungen aus dem Lager des politischen Gegners aber auch langfristige, traditionelle britische Politik dürften daher die Regierung dazu bewogen haben, in bestimmten Bereichen sog. „red Tapes“ abzustecken, in deren Bereich keinerlei Mehrheitsabstimmung geduldet würde: „ [But] we will insist that unanimity remain for Treaty change; and in other areas of vital national interest such as tax, social security, defence, key areas of criminal procedural law and the system of own resources (the EU’s revenue-raising mechanism). Unanimity must remain the general rule for CFSP, as proposed in the final Convention text.“355

5. Die sog. „Passerelle“ – Flexible Vertragsrevision versus Marginalisierung der nationalen Parlamente Schwerer wogen auch die Bedenken des Parlaments gegen die sog. „Passerelle“ in dem früheren Art. I-24 Abs. 4 VVE a.F. Hiernach würde der Europäische Rat ermächtigt, nachträglich durch einstimmigen Beschluß Bereiche oder Einzelfälle in Teil III der Verfassung, in denen der Ministerrat Gesetze oder Rahmengesetze nach einem bestimmten Rechtssetzungsverfahren beschließt, dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren (Mitentscheidung) zuzuführen. Hierfür war ein Prüfungszeitraum von sechs Monaten sowie die Anhörung und Unterrichtung der nationalen Parlamente vorgesehen. Ähnlich konnten Bereiche in Teil III, in denen der Rat einstimmig beschließt, durch einstimmigen Beschluß des Europäischen Rates der qualifizierten Mehrheitsabstimmung zugeführt werden. Hierfür hatte der Konvent die Übermittlung der Initiative wenigstens vier Monate vor der Beschlußfassung vorgesehen. Die Kommission hatte eine Flexibilisierung der Vertragsrevision ausdrücklich befürwortet und war dabei sogar unter die Einstimmigkeitsschwelle für derartige Beschlüsse gegangen.356 Dagegen wurde in den Berichten der beiden Häuser des britischen Parlaments diese „Passerelle“ dahingehend kritisiert, daß sie die Rolle der nationalen Parlamente gefährden könnte: Sie käme einer De-facto-Änderung der Verfassung gleich, an der jedoch die Parlamente nicht durch Ratifikation beteiligt wären. Außerdem sei diese Klausel bedenklich im Hinblick auf die Verantwortbarkeit der EU sowie das Vertrauen der Bürger in den Bestand der Verfassungsartikel.357 Auch die Regierung wandte sich strikt gegen jede Klausel, die 354 So etwa die Nachrichten auf der Conservatives Website v. 21. Juni 2004, „Blair’s EU constitution deal is bad for Britain“, im Internet: http: //www.conservatives.com/news/article. cfm?obj_id=107396&CFID=1503353&CFTOKEN=13419091. 355 Weißbuch „A Constitutional Treaty for the EU“ (Cm 5934), para. 66. 356 Stellungnahme der Kommission zum Verfassungsentwurf v. 17. September 2003 (IP / 1261 / 03), S. 13.

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

geeignet wäre, die Rolle der nationalen Parlamente zu unterminieren.358 Immerhin würde der Rat sich eines Teils seiner Entscheidungsgewalt begeben, sollten einzelne Abstimmungsregeln zum Mitbestimmungsverfahren geändert werden. Die Regierungskonferenz strich die entsprechenden Bestimmungen aus dem Verfassungsentwurf in Teil I. Statt dessen wurde in Teil IV (Übergangs- und Schlußbestimmungen) eine ähnliche Klausel eingefügt, die allerdings ausdrücklich solche Entscheidungen davon ausnimmt, die militärische oder verteidigungspolitische Bezüge aufweisen. Zudem muß die Initiative den nationalen Parlamenten zugeleitet werden, denen innerhalb dieser Frist ein Veto-Recht eingeräumt wird. In beiden Fällen muß das EP der Übertragung zustimmen (was in Fällen der Erweiterung seiner Rechte wohl häufig der Fall sein dürfte), Art. IV-444 Abs. 3 UAbs. 2 VerfE. 6. Fazit Mit der Festlegung der doppelt-qualifizierten Mehrheit ist es dem Konvent gelungen, ein gerechtes Entscheidungssystem zu finden, welches gleichzeitig auch die Legitimität der Union sichern hilft, die nicht nur auf die Gesamtheit der Mitgliedstaaten baut, sondern auch auf die Völker Europas.359 Vor dem Hintergrund einer verstärkten Demokratisierung der EU und ihrer Entscheidungsprozesse ist dies ein willkommenes Ergebnis, welches auf Wohlwollen in den britischen Institutionen stößt: „A dual majority clearly enhances the democratic accountability of the Union by providing a calculation for the weighting of votes which includes both population and states. The dual majority is accordingly welcome.“360

Dennoch hat die Regierungskonferenz im Juni 2004 die entsprechenden Vorschriften geändert und einen neuen Kompromiß zwischen solchen Regeln, die eher grundsätzlich die kleineren Mitgliedstaaten bevorzugten und denen, die für die größeren Mitgliedstaaten vorteilhaft sind, hergestellt. Allein dies verdeutlicht die Brisanz besonders der Gewichtung der Stimmen bei Mehrheitsentscheidungen. Nach den veränderten Regeln bedarf es nun einer Mehrheit von 55% der Mitgliedstaaten, deren Bevölkerung mindestens 65% der Unionsbevölkerung ausmacht, Art. I-25 Abs. 1 VVE. Zusätzlich gilt ein Mindesterfordernis von vier MitgliedHouse of Lords Select Committee on the European Union, 41st Report (The Future of Europe: The Convention’s Draft Constitutional Treaty), HL 169 (2002 – 03), para. 177 f. 358 Weißbuch „A Constitutional Treaty for the EU“ (Cm 5934), para. 62. Ähnlich auch die Kritik bei J. Schwarze, Ein pragmatischer Verfassungsentwurf, S. 552. 359 Vgl. insoweit auch Art. I-1 Abs. 1 S. 1 VVE. Zu bemerken ist dabei die Formulierung: „Bürgerinnen und Bürger der Staaten Europas“ (anstelle etwa Bürgerinnen und Bürger Europas“)! 360 House of Lords Select Committee on the European Union, 41st Report (The Future of Europe: The Convention’s Draft Constitutional Treaty), HL 169 (2002 – 03), para. 183. 357

E. Institutionelle Reformen

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staaten für eine Sperrminorität, so daß etwa Deutschland, Frankreich und Großbritannien als die drei größten Staaten allein Entscheidungen nicht blockieren können (obwohl sie über die ausreichende Bevölkerung verfügen würden). Enthaltungen werden hier anders als in der Fassung des Konventsentwurfs nicht berücksichtigt, Art. I-25 Abs. 3. Nach der gemeinsamen Erklärung der Mitgliedstaaten zum Verfassungsentwurf hat die Regierungskonferenz Regeln für die Anwendung der Bestimmungen entworfen, die stark an den Luxemburger bzw. den Ioannina Kompromiß erinnern. Erklären hiernach Mitglieder des Rates, die mindestens drei Viertel des Bevölkerungsanteils oder mindestens drei Viertel der Anzahl der Mitgliedstaaten vertreten, die für die Bildung einer Sperrminorität erforderlich sind, daß sie die Annahme eines Rechtsakts durch den Rat mit qualifizierter Mehrheit ablehnen, wird die Frage vom Rat erörtert. Dabei wird er „ [ . . . ] im Verlauf dieser Erörterungen alles in seiner Macht Stehende tun, um innerhalb einer angemessenen Zeit und unbeschadet der zwingenden Fristen, die durch das Recht der Union vorgeschrieben sind, eine zufrieden stellende Lösung für die von den Mitgliedern des Rates gemäß Artikel 1 vorgebrachten Anliegen zu finden.“361

Diese Lösung setzt de facto die Regelungen des Art. I-25 außer Kraft und trägt damit nicht gerade der besonders von britischer Seite so geforderten Transparenz Rechnung. So war bereits die vom Konvent vorgeschlagene Lösung der doppeltqualifizierten Mehrheit dem Laien nur schwer verständlich zu machen. Nunmehr findet sich die in der Praxis angewandte Lösung überhaupt nicht mehr im Vertragstext wieder. Dies ist – nicht nur aus britischer Sicht – zu bedauern. Aufgrund der zahlreichen Partikularinteressen – unter den ihrer Größe nach dann doch wieder sehr heterogenen Mitgliedstaaten – und der Einstimmigkeitsregel mit der daraus resultierenden Verhandlungssituation war aber eine anderweitige Lösung kaum zu erzielen. Insofern ist wohl der Verhandlungsleitung der irischen Ratspräsidentschaft zu verdanken, daß das Verfassungsprojekt an dieser Frage nicht gescheitert ist. Ebenfalls begrüßenswert ist die Änderung des Passerelle-Verfahrens, welches nun nationale Parlamente wie EP in die Entscheidung mit einbezieht.362 Unter dem Aspekt der Stärkung der Rolle der Parlamente wäre es danach auch sinnwidrig gewesen, diese durch den Frühwarnmechanismus zum Subsidiaritätsprinzip zu stärken, ihre Rolle aber im Fall der vereinfachten Vertragsänderung wiederum zu untergraben. Die Regierung ist sich den selbst gesteckten Zielen hier treu geblieben. Aus Gesichtspunkten der Praktikabilität hätte wohl auf die Passerelle auch nicht verzichtet werden können.

Art. 2 im Entwurf eines Beschlusses des Rates über die Anwendung des Artikels I-25. So schon gefordert von A. Arnull in: House of Lords Select Committee on the Constitution, 9th Report (The Future of Europe: Constitutional Treaty – Draft Articles 1 – 16), HL 168 (2002 – 03), S. 25. 361 362

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

III. Ein „Mr. Europa“ für die Union? – Präsident versus Außenminister Mit der Erweiterung der EU auf 25 Staaten mit einer Gesamtbevölkerung von fast 500 Mio. Einwohnern, wuchsen auch Reformbestrebungen, der Union ein „Gesicht“ zu verleihen und ihr auf diesem Wege aus der Anonymität in den Köpfen der Menschen herauszuhelfen. Fraglich war, inwiefern der EU ein Präsident oder Außenminister vorstehen sollte.363 1. Die Ratspräsidentschaft a) Die Ratspräsidentschaft im bisherigen System der Verträge – Probleme und Kritik Wichtigstes Entscheidungsorgan in der Europäischen Union ist der Rat. Gem. Art. 202 EGV ist in den Europäischen Gemeinschaften der Rat für die Verwirklichung der Ziele der Verträge verantwortlich. Hierzu koordiniert er die Wirtschaftspolitiken der Mitgliedstaaten, besitzt Entscheidungsbefugnis und überträgt der Kommission Befugnisse zur Durchführung der von ihm erlassenen Rechtsakte. Da er sich aus den jeweiligen Fachministern der Mitgliedstaaten zusammensetzt, wird er auch allgemein als „Ministerrat“ bezeichnet. Je nach Fachgebiet tagt der Rat in unterschiedlicher Besetzung (für Wirtschafts- und Finanzfragen etwa als ECOFIN, für Verkehr als Rat der Verkehrsminister etc.), ist jedoch immer als einheitliches Gremium anzusehen. Jeder Mitgliedstaat übt für jeweils sechs Monate die Ratspräsidentschaft aus, Art. 203 UAbs. 2 EGV, in der er die Treffen des Rates in Brüssel und Luxemburg organisiert und den Vorsitz führt. Der Vorsitz vertritt den Rat nach außen, insbesondere im Verhältnis zu den übrigen Organen, aber auch international in enger Zusammenarbeit mit dem Generalsekretär des Rates als hohem Vertreter für die GASP, indem er stellvertretend für die EU in den internationalen Organisationen, Konferenzen und Foren auftritt. Derzeitig folgt abwechselnd immer einem kleinen Mitgliedstaat ein großer. Aufgrund der Osterweiterung um mehrheitlich kleinere Staaten wird dieses Prinzip jedoch unter Druck geraten. Der Ratsvorsitz übt zugleich auch den Vorsitz im Europäischen Rat aus, der bislang nur eine institutionelle Verankerung im EUV gefunden hat. Gemäß Art. 4 EUV gibt er „der Union die für ihre Entwicklung erforderlichen Impulse und legt die allgemeinen politischen Zielvorstellungen für diese Entwicklung fest“. Darüber hinaus hat er in der Vergangenheit praktisch auch die unzureichend erfüllte Funktion des Rates für Allgemeine Angelegenheiten an sich gezogen, die Fachministerräte zu koordinieren und übte faktisch eine Entscheidungsfunktion im Hinblick auf solche Aspekte aus, über die im Rat kein Konsens gefunden werden konnte.364 Er 363 364

Vgl auch I. Pernice, Multilevel Constitutionalism in the EU, S. 527. J.-P. Hix, Das institutionelle System im Konventsentwurf, S. 91.

E. Institutionelle Reformen

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setzt sich aus den europäischen Staats- und Regierungschefs sowie dem Kommissionspräsidenten zusammen. Er tritt mindestens zweimal jährlich zusammen.365 Kritisch wird dem Europäischen Rat vorgeworfen, sich zu einer Art obersten Beschlußfassungsorgan der Gemeinschaft entwickelt zu haben, welches eine intergouvernementale Parallelstruktur zu den supranationalen Einrichtungen geschaffen habe. Besonders problematisch erscheinen in Bezug auf demokratische Kontrolle die nichtöffentlichen Beratungen und die fehlende Kontrolle durch den EuGH (vgl. Art. 46 EUV), so daß sich die nationalen Regierungen über dieses Gremium wesentlich der Kontrolle der nationalen Parlamente entzogen haben.366 Auch das Rotationsprinzip für den Ratsvorsitz ist in den letzten Jahren zunehmend unter Druck geraten. Von internationaler Seite her erscheint unbefriedigend, daß die Union auf dem internationalen Parkett keinerlei ständige Vertretung besitzt, ausländischen Regierungen mithin ein konstanter Ansprechpartner fehlt. Da sich die Union zunehmend auch auf Gebieten der Außen- und Sicherheitspolitik engagiert, hat sich dieses Problem mit der Zeit verschärft. „Innenpolitisch“ gesehen steht der Rat vor einer Marginalisierung seiner Politik, da durch die Osterweiterung mit zehn neuen Mitgliedstaaten die Heterogenisierung der Partikularinteressen vorangetrieben wurde. Angesichts dieser Entwicklung gerät besonders die Ratspräsidentschaft unter Druck. Ihre Funktion ist immerhin, aktiv im institutionellen Dreieck aus Rat, Parlament und Kommission eine vermittelnde Rolle zu spielen sowie durch die Ausarbeitung von Kompromißvorschlägen zwischen den Mitgliedstaaten ausgleichend zu wirken. Das sechsmonatige Rotationsverfahren stellt sich in diesem Kontext als großes Hindernis heraus.367 b) Die Diskussion um den Ratspräsidenten – „Doppelhut“ versus „Doppelspitze“, Aufgabe der Rotation? Um dem Reformdruck zu begegnen, zählte von Beginn der Beratungen des Konvents an eine Neuorganisation der Institutionen zu seinen Aufgaben. Angesichts der hierzu schon in Nizza schwierigen Verhandlungen und der deutlichen Unterschiede, in denen sich im Konvent die Herkunft seiner Mitglieder widerspiegelte, wurden die Beratungen nicht in eine eigene Arbeitsgruppe verlagert, sondern sollten nach Abschluß der zweiten Phase der Arbeiten im Plenum erörtert werden. Von allen Seiten vielfach beschworen, wurde dabei der Erhaltung der „institutionellen Balance“ eine Schlüsselfunktion eingeräumt.368

Näher P. Schoutheete / H. Walace, The European Council, S. 9. Hierzu F.C. Mayer, Macht und Gegenmacht in der Europäischen Verfassung, S. 70 f. Ausführlicher ferner P. Schoutheete / H. Walace, The European Council, S. 5. 367 Vgl. auch die Begründung im britisch-spanischen Vorschlag für eine Reform der Institutionen (sog. „Blair-Aznar-Papier“), CONV 591 / 03, S. 4. 365 366

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

Pläne des britischen Außenministers J. Straw nach der Einrichtung einer Art „Team-Präsidentschaft“, in welcher sich die Vorsitzenden der unterschiedlichen Ratsformationen aus allen Mitgliedstaaten rekrutieren würden, hatten keine Gegenliebe finden können. Jeder dieser Vorsitzenden hätte über eine bestimmte Zeit, etwa 2 Jahre, für eine höhere Kontinuität sorgen und die Konsultationen zwischen den Institutionen verbessern sollen. Die einzelnen Vorsitzenden hätten sich dann nach dem gewohnten Rotationsprinzip abgewechselt, die notwendige Koordinierung der Gesamtarbeit hätte der Gesamtheit der Vorsitzenden als Team oblegen.369 Der sog. „ABC-Vorschlag“370 entfachte zu diesem Thema eine lebhafte Debatte. Hiernach sollte ein Präsident des Europäischen Rates quasi als „Mister Europa“ die EU nicht nur mit „einer Stimme“ sondern auch mit „einem Gesicht“ versehen. Ihm sollten dabei die wesentlichen Aufgaben des derzeitigen Ratsvorsitzes übertragen werden. Mit der Verstetigung des Ratsvorsitzes war zudem beabsichtigt, die Vorbereitung und Leitung des Europäischen Rates effizienter zu gestalten. Dieser Vorstoß traf in den kleineren Staaten, besonders in den Benelux-Staaten, auf wenig Gegenliebe.371 Befürchtet wurde wohl insbesondere die im Vergleich zu vorher stärkere Betonung des intergouvernementalen Elements und eine Konkurrenz zum Posten des Kommissionspräsidenten. Zudem drohte eine Dominanz der größeren Mitgliedstaaten, die sich mit der Aufgabe der Gleichberechtigung durch die Einführung eines gewählten Präsidenten automatisch einstellen würde.372 Es wurden auch Befürchtungen laut, diese Lösung fördere die Errichtung eines Direktoriums der großen Mitgliedstaaten.373 368 Vgl. nur CONV 489 / 03; 591 / 03. Kritisch B. Scholl, Die neue institutionelle Architektur der EU , S. 205. 369 J. Straw, Reforming Europe: New Era, new Questions, Rede in Den Haag v. 21. Februar 2002, im Internet: http: //www.fco.gov.uk/servlet/Front?pagename=OpenMarket/Xcelerate/ ShowPage&c=Pa ge&cid=1007029391647&a=KArticle&aid=1014918160874. 370 Benannt nach den Anfangsbuchstaben der Namen der Initiatoren Aznar, Blair und Chirac; vgl. J. Chirac, Une Europe forte, une Europe humaine et dynamique, une Europe démocratique et efficace, Rede in Straßburg v. 6. März 2002, im Internet: http: //www.chiracaveclafrance.net/PDFArticle/Strasbourg.pdf, sowie CONV 591 / 03. 371 Vgl. nur W. Van de Voorde, Plädoyer für das Rotationsverfahren. 372 W. Van de Voorde, Plädoyer für das Rotationsverfahren, S. 322. 373 Vgl. Ph. de Schoutheete, Die Debatte des Konvents über den Europäischen Rat, S. 479; W. Van de Voorde, Plädoyer für das Rotationsverfahren, S. 323; s. auch T. Blair, Zur Zukunft Europas, Rede in Cardiff v. 28. November 2002, abgedruckt in Auszügen in: Internationale Politik 1 / 2003, S. 94 ff. Dem ähnlich gelagert wehrten sich auch die kleineren EU-Staaten etwa gegen eine Abkehr vom gleichberechtigten Rotationsprinzip bei der Besetzung der Kommissare. Dieser Befürchtung könnte zwar entgegengehalten werden, im Gegensatz zu den Ratsmitgliedern repräsentierten die Kommissare nicht ihr Land und sollen auch nicht speziell in dessen Interesse handeln, Art. 213 Abs. 2 EGV. Empirisch belegen ließe sich dies sogar beispielhaft an der Auseinandersetzung zwischen M. Thatcher und dem britischen Kommissar Lord Cockfield (dazu oben in Teil 2 unter B.V). Andererseits zeigt sich hier ein wichtiger Aspekt sozialer Legitimation; nämlich die Reichweite, bis zu der der einzelne Bürger bereit ist, Entscheidungen von Kommissaren fremder Nationalitäten als für sich verbind-

E. Institutionelle Reformen

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Als im Oktober 2002 das Konventspräsidium den ersten Verfassungsentwurf als Strukturplan präsentierte, schien bereits die Einrichtung eines dauerhaften Präsidenten des Europäischen Rates besiegelt gewesen zu sein.374 „Art. 15 bis“ dieses Entwurfs sieht die Wahl eines solchen Präsidenten sowie dessen Aufgabenbereich und Amtsdauer vor. Dieser Vorschlag provozierte prompt Widerspruch von Seiten der Benelux-Staaten, die ihrerseits mit eigenen Vorstellungen im Dezember aufkamen, worin sie grundsätzlich an der Gleichberechtigung aller Mitgliedstaaten durch das Rotationsprinzip festhielten.375 Der Konflikt zwischen kleinen und großen sowie föderalistischen und intergouvernementalistischen Vertretern war somit offenbart. Eine Fortsetzung fand die Auseinandersetzung mit dem „Deutsch-Französischen Beitrag für den Europäischen Konvent zum institutionellen Aufbau der Union“.376 Darin legten sich Frankreich und Deutschland aber erstmals endgültig auf die sogenannte „Doppelspitze“ fest – im Gegensatz zu der insbesondere von J. Fischer geforderten „Doppelhutlösung“, nach der die Präsidentschaft der Union die Ämter des Ratsvorsitzenden und des Kommissionspräsidenten in sich vereinen sollte. Diese Lösung wurde v.a. auch von britischer Seite als „Europäischer Kaiser“ gebrandmarkt.377 Die nun vorgesehene Wahl eines Europäischen Ratsvorsitzenden auf bis zu 5 Jahre mit der Möglichkeit einer Ernennung von Vizepräsidenten stieß dagegen auf britisches Wohlwollen, fand jedoch wiederum Ablehnung bei den Benelux-Staaten. Diese befürchteten hier die Errichtung einer Parallel-Struktur zur Kommission. Nach wie vor sahen sie die Gefahr der Marginalisierung der kleineren EU-Staaten nicht gebannt.378 Diesen Vorwürfen sollte der britisch-spanische Vorstoß entgegenkommen, in welchem die Wahl eines Vorsitzenden mit fest umschriebenen Aufgaben unter Berücksichtigung der Gleichheit der Mitgliedstaaten favorisiert wurde.379 Für die Präsidentschaft im Ministerrat würde am Rotationslich anzuerkennen. Die Benennung eines Kommissars pro Mitgliedstaat gibt daher auch kleinen Mitgliedstaaten das Gefühl, „mitzubestimmen“ und vermittelt eine wichtige Legitimationskette von den Institutionen (besonders der nicht direkt gewählten Kommission) zu den Bürgern. Schließlich wurde daher ein gemischtes System aus stimmberechtigten und nicht stimmberechtigten Kommissaren (als Kompromiß zwischen Effektivität und Repräsentanz) vereinbart. 374 Vgl. CONV 369 / 02. 375 CONV 457 / 02, S. 5. 376 CONV 489 / 03. 377 Vgl. Daily Telegraph v. 3. Januar 2003, „British Outburst on ,EU-Kaiser‘ upsets Germans“, im Internet: http: //www.portal.telegraph.co.uk/news/main.jhtml;sessionid=NCKYCY ZADVRSFQFIQM GCM5OAVCBQUJVC?xml=/news/2003/01/03/weu03.xml; The Guardian v. 10. Januar 2003, „Don’t mention the ,Kaiser‘“, im Internet: http: //politics.guardian.co.uk/eu/ comment/0,9236,872068,00.html. 378 Vgl. Daily Telegraph v. 21. Januar 2003, „Smaller Nations fear Franco-German Plan for a Euro-President“, im Internet: http: //www.portal.telegraph.co.uk/news/main.jhtml;sessionid =NCKYCYZADVRSFQFIQMGCM5OAVCBQUJVC?xml=/news/2003/01/21/weu21.xml (letzter Zugriff 15. 09. 2004). 379 CONV 591 / 03.

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

prinzip festgehalten, jedoch sollte ein Team aus mehreren Vorsitzenden aus verschiedenen Mitgliedstaaten einzelne Fachministerräte leiten.380 c) Die Ratspräsidentschaft im Konventsentwurf Mit der Aufnahme des Europäischen Rates in den Verfassungsentwurf wertet der Konvent dieses – zunächst von H. Schmidt und V. Giscard d’Estaing in den 70’ern als „Kamingespräch“ initiierte – Gremium verfassungstechnisch auf. Ihm wird im Art. I-19 Abs. 1 VVE Organstellung (man beachte die Nennung an zweiter Stelle nach dem EP!) und gemäß Art. I-21 Abs. 4 VVE Beschließungsrecht eingeräumt, jedoch ausdrücklich nach Abs. 1 S. 2 die Gesetzgebungsfunktion vorenthalten. Er setzt sich aus den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten sowie den Präsidenten von Rat und Kommission zusammen, Art. I-21 Abs. 2 VVE. Durch die formelle Einbeziehung in das Institutionengefüge gelten damit aber die allgemeinen Vorschriften für die übrigen Organe auch für den Europäischen Rat – so besonders die Grundsätze der begrenzten Einzelermächtigung und der Transparenz, Art. I-19 Abs. 2 und Art. I-50 VVE. Der Kontrollverlust über den Europäischen Rat der letzten Jahrzehnte wird somit zumindest teilweise wieder eingefangen. Der Verfassung sieht ferner die Wahl eines Präsidenten des Europäischen Rates auf 21/2 Jahre mit qualifizierter Mehrheit vor. Eine einmalige Wiederwahl soll zulässig sein, Art. I-22 Abs. 1 VVE. Der Präsident darf gemäß Abs. 3 kein einzelstaatliches Amt innehaben, also insbesondere nicht aus dem Kreis der Staats- und Regierungschefs gewählt werden. Damit wird das Amt auch äußerlich vom bisherigen Rotationsprinzip gelöst und verhindert Konfliktsituationen, wie sie z. B. noch im Rahmen der französischen Ratspräsidentschaft auf der Konferenz von Nizza deutlich geworden sind. Beibehalten wird dagegen das Rotationsprinzip für den Vorsitz im Ministerrat, allerdings mit der Änderung, daß ein einheitlicher Vorsitz durch einen Mitgliedstaat allein nicht mehr zwingend erforderlich ist. Möglich ist gem. Art. I-24 Abs. 4 VVE die Aufteilung zwischen mehreren Mitgliedstaaten für die unterschiedlichen Formationen – mit Ausnahme des Vorsitzes für „Auswärtige Angelegenheiten“, der von dem Europäischen Außenminister wahrgenommen wird.381 Ausgeschlossen ist dagegen nicht die Möglichkeit eines parallel ausgeüb380 Zu den einzelstaatlichen Positionen in dieser Frage vgl. weiter B. Scholl, Die neue institutionelle Architektur der EU, S. 205 f., sowie besonders zu einem Vergleich zwischen dem deutsch-französischen und dem britisch-spanischen Vorschlag M. Jopp / S. Matl, Perspektiven der deutsch-französischen Konventsvorschläge, S. 100 f. 381 Dazu hatte die Regierungskonferenz in einem „Entwurf eines Beschlusses des Europäischen Rates über die Ausübung des Vorsitzes im Ministerrat“ schon im Dezember 2003 (im Juli 2004 endgültig beschlossen) die Aufteilung zwischen Formationen von jeweils drei Mitgliedstaaten vorgesehen, die über einen Zeitraum von 18 Monaten alle 6 Monate innerhalb der unterschiedlichen Formationen rotieren. Die Konferenz hat sich damit also die britischen Vorschläge für einen „Team-Vorsitz“ zu eigen gemacht. Dazu und evtl.

E. Institutionelle Reformen

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ten europäischen Amtes. Der Entwurf läßt damit sozusagen „durch die Hintertür“ die nachträgliche Umsetzung der „Doppelhutlösung“ zu, indem Kommissionspräsident und Ratspräsident in Personalunion geführt werden können. Um den Befürchtungen der kleineren Mitgliedstaaten entgegenzukommen382, wurde auf die Möglichkeit der Ernennung von Vizepräsidenten verzichtet (statt dessen wird auf das Generalsekretariat des Rates zurückgegriffen, Art. III-341 Abs. 4 VVE)383, sowie der Aufgabenkreis sehr eng begrenzt. In Abs. 2 sind danach die folgenden Aufgaben umrissen: Führung des Vorsitzes und Leitung der Beratungen des Europäischen Rates, Sorge für die angemessene Vorbereitung dieser Beratungen in Zusammenarbeit mit dem Kommissionspräsidenten auf Grundlage der Arbeiten des Rates (Allgemeine Angelegenheiten), Hinwirken auf Zusammenhalt und Konsens im Europäischen Rat und Berichterstattung im EP. Zusätzlich zu diesen Aufgaben nimmt er gemäß Abs. 3 „unbeschadet der Zuständigkeiten des Außenministers der Union die Außenvertretung der Union in Angelegenheiten der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik wahr“. Schließlich wurde in einer Erklärung zur Auswahl der Personen u. a. für das Amt des Präsidenten festgelegt, daß bei Besetzung der Posten „die geographische und demographische Vielfalt der Union und ihrer Mitgliedstaaten geachtet werden muß“.384

d) Die britische Sicht Die Vorschläge des Konvents wurden von britischer Seite positiv aufgenommen, spiegeln sie doch im wesentlichen ihre Vorstellungen wider: „The Government supports the proposals made by the Convention for a full-time European Council Chair, which would give its work greater continuity and coherence. We believe that reform is essential to enable the enlarged EU to work effectively.“385 „Above all the Treaty provides for the reforms in the working of the EU necessary if it is not to fall into gridlock with 25 members. It reforms the system of the 6-monthly rotating Presidency to provide greater continuity and coherence in a Union of 25; and replaces it with a full time Chairman of the European Council who will serve for up to five years. This is crucial in placing the power to set Europe’s agenda in the hands of Europe’s intergovernmental body.“386

organisatorischen Problemen J.-P. Hix, Das institutionelle System im Konventsentwurf, S. 86 f. 382 Vgl. M. Dougan, The Convention’s Draft Constitutional Treaty, S. 780. 383 Dazu näher J.-P. Hix, Das institutionelle System im Konventsentwurf, S. 97 f. 384 Erklärung Nr. 3 zu den Artikeln I-22, I-27 und I-28; CIG 87 / 04 v. 6. August 2004 (auf Initiative der Benelux-Staaten; CIG 53 / 03 v. 24. November 2003). 385 Antwort des Europaministers D. MacShane im House of Commons, HC Deb 8. Juli 2003, Sp. 733W, para. 14. 386 Bericht des britischen Außenministers J. Straw vor dem House of Commons v. 21. Juni 2004, im Internet: http: //www.number-10.gov.uk.

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

Kritisch wurde allerdings die Formulierung in der englischen Version betrachtet („President“), da hierdurch erneut ein vermeintliches Element einer Staatswerdung der EU verwirklicht würde: der Ratspräsident könnte danach auch als „Staatspräsident“ angesehen werden.387 In den britischen Vorschlägen war daher auch immer nur die Rede von einem Vorsitzenden („Chairman“), um von vornherein keine Assoziationen zu wecken.388 Auffällig ist daher auch die Wortwahl im Weißbuch der Regierung zur Vorbereitung der Regierungskonferenz 2003, die immerhin die Einführung des Präsidentenamtes als die wichtigste Neuerung im Konventsentwurf hervorhebt: „The most important institutional proposal in the Convention package, which the UK strongly supports, is for a full-time Chair of the European Council.“389

Die Überschrift zu der Fassung des Konvents in Art. I-21 spiegelte diese Befürchtungen wieder und sprach von dem „European Council Chair“; dies wurde in der endgültigen Fassung jedoch nicht beibehalten: Art. I-22 VVE ist nunmehr mit „The European Council President“ überschrieben.390 Weiter wurde empfohlen, aus Gründen der Accountability die Berichte des Rates den nationalen Parlamenten formal vorzulegen. Zudem sollte die ursprüngliche Fassung wiederhergestellt werden, in welcher die Inkompatibilität von Präsident und anderen europäischen Ämtern vorgesehen war.391 Änderungen durch die Regierungskonferenz hat dies aber nicht zur Folge gehabt.

2. Der Europäische Außenminister Vor dem Hintergrund der innereuropäischen Debatte über eine Beteiligung an militärischen Handlungen der USA zur Befreiung des Iraks – die zu der Herausbildung der Allianzen des „alten“ und „neuen“ Europas (C. Powell) und die GASP zumindest in dieser Hinsicht ad absurdum geführt haben – sollten Maßnahmen ergriffen werden, um die Effektivität und Kohärenz der GASP zu verbessern.392 Auf den von der deutsch-französischen Initiative eingebrachten Vorschlag zur Reform der Institutionen geht die Einrichtung eines Europäischen Außenministers 387 Vgl. House of Lords Select Committee on the European Union, 41st Report (The Future of Europe: The Convention’s Draft Constitutional Treaty), HL 169 (2002 – 03), para. 149. 388 So im britisch-spanischen Vorschlag, CONV 591 / 03; zuletzt die Stellungnahme des Premiers T. Blair vor dem House of Commons v. 21. Juni 2004, im Internet: http: //www. labour.org.uk/tbeuconstitutionstatement. 389 Weißbuch „A Constitutional Treaty for the EU“ (Cm 5934), para. 50 (Hervorhebung durch den Verfasser). 390 Vgl. noch die Änderungsvorschläge v. 9. Mai 2003, CONV 709 / 03, S. 9. 391 House of Lords Select Committee on the European Union, 41st Report (The Future of Europe: The Convention’s Draft Constitutional Treaty), HL 169 (2002 – 03), para. 152 bzw. 156. 392 Vgl. M. Dougan, The Convention’s Draft Constitutional Treaty, S. 779.

E. Institutionelle Reformen

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zurück.393 Um Befürchtungen einer Eindämmung des Einflusses der Kommission zu begegnen, sollte dieser Posten als Gegengewicht zum Präsidenten des Europäischen Rates geschaffen werden. Seine Stellung ergibt sich weitestgehend aus der Zusammenlegung der Ämter des Hohen Vertreters für die GASP und des Kommissars für die Außenbeziehungen. a) Der Europäische Außenminister im Konventsentwurf Der Konventsentwurf spiegelt den deutsch-französischen Vorschlag weitestgehend wider. Danach erhält der Außenminister eine Schlüsselstellung als „kleiner Doppelhut“ von Rat und Kommission für die GASP und der Verteidigungspolitik – im Gegensatz zur Verschmelzung von Kommissionspräsident und Präsident des Europäischen Rates als „großem Doppelhut“. Die Ernennung des Außenministers erfolgt gem. Art. I-28 Abs. 1 durch den Europäischen Rat mit qualifizierter Mehrheit mit Zustimmung des Kommissionspräsidenten. Unter dem „Hut“ des Rates führt er gemäß Art. I-28 Abs. 3 VVE den Vorsitz im Rat „Auswärtige Angelegenheiten“ und verstetigt, losgelöst vom Rotationsprinzip für den Ratsvorsitz, in diesem Bereich zumindest personell die Unionspolitik. Aufgrund eigener Vorschläge trägt er nach Art. I-28 Abs. 2 zur Festlegung der GASP und Verteidigungspolitik bei und führt diese im Auftrag des Ministerrates durch. Auch vertritt er den Standpunkt der Union in internationalen Organisationen und auf Konferenzen, Art. III-296 Abs. 2. Auf Seiten der Kommission ist er als einer der Vize-Präsidenten für die Außenbeziehungen zuständig (Art. I-28 Abs. 4) und verfügt gemäß Art. I-40 Abs. 6 VVE über ein Vorschlagsrecht im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik. Unterstützung für seine Arbeiten findet der Europäische Außenminister durch einen neuen „Europäischen Auswärtigen Dienst“. Dieser würde aus Beamten des Generalsekretariats des Ministerrats, der Kommission und abgestelltem Personal der nationalen Diplomatien gebildet.394 Fraglich ist, ob der Außenminister im Falle eines Mißtrauensvotums durch das Parlament gemeinsam mit seinen Kommissionskollegen zurücktreten muß. Aufgrund seiner Mitgliedschaft in dem Gremium als Vize-Kommissionspräsident spricht einiges dafür. Art. I-26 Abs. 8 VVE sieht vor: „Wird ein solcher Mißtrauensantrag angenommen, so müssen die Mitglieder der Kommission geschlossen ihr Amt niederlegen.“

Da der Europäische Außenminister aber für die Zusammensetzung der Kommission gesondert genannt wird, folgte aus dem ursprünglichen Wortlaut des Art. I-25 Dazu schon oben unter E.III.1.b). Vgl. Erklärung über die Einrichtung eines Europäischen Auswärtigen Dienstes, ABl. 2003 C 169, S. 99. 393 394

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

Abs. 5 VVE a.F. ein solches Rücktrittsrecht nicht zwangsläufig.395 Außerdem legte Art. I-27 Abs. 1 S. 2 VVE a.F. nahe, daß der Außenminister durch dasselbe Verfahren abberufen wird, nach dem er ernannt wird: durch Abstimmung im Europäischen Rat mit Zustimmung des Konventspräsidenten. Auch bestimmte Art. I-27 Abs. 3 S. 3 VVE a.F., daß der Außenminister ausschließlich im Hinblick auf seine Zuständigkeiten in der Kommission den Verfahren unterliegt, die für die Arbeitsweise der Kommission gelten. Dagegen wurde aber auch der Kommissionspräsident nicht gesondert in Art. I-25 Abs. 5 a.F. genannt, obgleich seine Verpflichtung zum Rücktritt außer Frage steht. Ebenso wie für den Europäischen Außenminister waren die Bestimmungen in der Systematik dem Art. 25 VVE a.F. nachgeordnet. Das Recht des Europäischen Rates, das Mandat des Außenministers zu beenden, folgte wohl nur folgerichtig aus dessen Doppelfunktion. Es ist zu interpretieren als zusätzliche Möglichkeit, den Außenminister abzusetzen, und sollte neben die Absetzung der Kommission durch das Parlament treten. Daher bildete es eine besondere Regelung in Abgrenzung lediglich zu Art. I-26 Abs. 3 UAbs. 2 a.F., nach der ansonsten der Kommissionspräsident den Außenminister nach alleiniger Bestimmung zum Rücktritt bewegen konnte. Der Hinweis in Art. I-27 Abs. 3 S. 3 VVE a.F. bezog sich nur auf die Verfahrensregelungen der Kommission und meinte damit wahrscheinlich die Vorschriften im dritten Teil der Verfassung bzw. die Geschäftsordnung, wozu aber Regeln über ihre Abberufung nicht zu zählen sind.396 Für diese Interpretation spricht nunmehr die Formulierung in der Endfassung des Rates in Art. I-26 Abs. 8 VVE. Danach hat der Außenminister im Falle des Mißtrauensvotums „sein im Rahmen der Kommission ausgeübtes Amt“ niederzulegen. b) Ein Europäischer Außenminister für Großbritannien? In dem Amt eines Europäischen Außenministers sieht die britische Regierung Vorteile für eine bessere Koordinierung der Außenpolitik auf Unionsebene. Auf der anderen Seite werden aber auch Schwierigkeiten aufgezeigt, die auf die Klarstellung des Verhältnisses zur Kommission zielen und die Frage nach der Verantwortlichkeit des Ministers aufwerfen. In letztem Punkt drängte die Regierung zunächst auch auf eine Verankerung des Amtes im Rat unter Ablehnung der „Doppelhutlösung“, beschränkte sich später dann darauf sicher zu stellen, daß dieser Posten in einem ausreichenden Verantwortungsverhältnis zu den Mitgliedstaaten steht.397 Mit der Möglichkeit der Abberufung durch den Europäischen Rat sollte Anders hier M. Höreth / C. Janowski, Die Organe der Union, S. 51. Zur Bindung des Außenministers an das Kollegialitätsprinzip vgl. noch W. Obwexer, Der Entwurf eines Verfassungsvertrages für Europa, S. 218. 397 Weißbuch „A Constitutional Treaty for the EU“ (Cm 5934), para. 52. 395 396

E. Institutionelle Reformen

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diesen Bedenken ausreichend Rechnung getragen worden sein, auch wenn dieses Recht nur mit Zustimmung des Kommissionspräsidenten ausgeübt werden kann. Besonders hier mögen sich Befürchtungen äussern, die auf eine eigenmächtige Politik durch die Person des Außenministers gerichtet sind – besonders vor dem Hintergrund der gespaltenen Ansichten über eine Beteiligung am Befreiungskrieg im Irak ist dies plausibel nachzuvollziehen. Da aber Entscheidungen zur GASP und Verteidigungspolitik nach wie vor überwiegend einstimmig zu fassen sein werden, sollten sich diese Befürchtungen ausräumen lassen. Auch wurde von Parlamentsseite die Frage aufgeworfen, ob durch die Einrichtung des Außenministers als Kommissionsmitglied ein Mitgliedstaat „durch die Hintertür“ einen weiteren Kommissionsposten erringen könnte.398 Dieses Problem dürfte sich schon durch die gemeinsame Erklärung der Mitgliedstaaten zur Besetzung der Posten von Kommissionspräsident, Ratspräsident und Außenminister erledigt haben. Hiernach müssen die nationalen und geographischen Besonderheiten beachtet werden.399 Die Tatsache, daß ein Mitgliedstaat bereits einen Kommissar stellt, dürfte hierbei eine gewichtige Rolle spielen. Zudem bestimmt der Verfassungsentwurf in Art. I-26 Abs. 5, daß die erste nach den Bestimmungen des Verfassungsvertrages benannte Kommission einschließlich des Außenministers aus je einem Staatsangehörigen eines jeden Mitgliedstaats besteht. Für die Zeit danach (bei Einführung des Rotationssystems) stellt Abs. 6 UAbs. 2 lit. b) sicher, daß kein Staat mehr als einen Mandatsträger in die Kommission entsendet. Mit Argwohn wird die Machtfülle des Amtes betrachtet. Gewichtig hier ist die Sorge, der Außenminister könnte das Recht zur Kommandierung nationaler Truppen besitzen.400 Der Konventsentwurf sieht dafür aber nach Art. III-309 Abs. 2 VVE einstimmige Beschlüsse des Ministerrates für jedwede Art von Truppeneinsätzen vor. Der Außenminister sorgt unter Aufsicht des Rates und „im ständigen Benehmen mit dem Politischen und Sicherheitspolitische Komitee für die Koordinierung der zivilen und militärischen Aspekte dieser Missionen“. Insgesamt zieht der Außenminister seine Entscheidungsmacht auch wesentlich aus der des Rates. Da er die Außenpolitik in seinem Auftrag ausführt, wird er wohl an Beschlüsse gebunden sein. Die Reichweite der Befugnisse könnte damit durch die Festlegung genereller strategischer Entscheidungen durch den Europäischen Rat von vornherein beschränkt werden. Die strategische Ausrichtung der GASP liegt also weiter in den Händen das Rats und damit der Mitgliedstaaten, was aus britischer Perspektive nur zu begrüßen ist.401 Euphorie sollte dennoch zurückhal398 House of Lords Select Committee on the European Union, 23rd Report (The Future of Europe: Constitutional Treaty – Draft Articles on External Action), HL 107 (2002 – 03), para. 8. 399 Erklärung Nr. 3 zu den Artikeln I-22, I-27 und I-28; CIG 87 / 04 v. 6. August 2004. 400 House of Lords Select Committee on the European Union, 23rd Report (The Future of Europe: Constitutional Treaty – Draft Articles on External Action), HL 107 (2002 – 03), para. 8.

16 Hupka

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

tend geäußert werden, da sich aufgrund des Einstimmigkeitserfordernisses im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik britische Vorstellungen nicht immer durchsetzen lassen könnten. Ohne generelle Entscheidungen des Rates wächst hier aber auch wieder der Handlungsspielraum des Außenministers. Schwierigkeiten könnten sich aus der doppelseitigen Verantwortbarkeit gegenüber Rat und Kommission ergeben. Dem wird aber damit begegnet, daß der Außenminister in Fragen seines Verantwortungsbereichs vom Kollegialitätsprinzip entbunden ist, Art. I-28 Abs. 4 S. 4. Diese Tatsache mag denn auch dafür sprechen, daß der Außenminister mehr in den Kreis des Rates einzubeziehen ist als in den des Kommissionskollegiums. Aus einer solchen Lesart würde dann der Rat im Vergleich zur Kommission gestärkt aus dem Verfassungsentwurf hervorgehen.402 In der Praxis dürfte hier aber viel von den Persönlichkeiten des Ratspräsidenten und des Außenministers abhängen, die insgesamt auch das Zusammenspiel dieses „Dreigestirns“ bestimmen werden.

3. Fazit Die Forderung nach einer konsequenten Verwendung des Begriffs „Chairman“ für den Ratsvorsitz hat sich nicht durchgesetzt. Es ist aber zu erwarten, daß von britischer Seite aus das Wort des „Präsidenten“ vermieden wird. Schwerwiegender mag sich der Verzicht auf die Inkompatibilitätsregelung herausstellen. Faktisch ist damit die (vom Konvent auch beabsichtigte) Möglichkeit eröffnet, Kommissionspräsident und Ratspräsident in Personalunion zu führen,403 was gerade die von britischer Seite so gefürchtete Machtakkumulation in Form des „EU-Kaisers“ zur Folge hätte. Da wegen des Erfordernisses (nur) der qualifizierten Mehrheit der britische Ratsvertreter kein Veto-Recht haben würde, ist diese „Doppelhutlösung“ von hier aus alleine auch nicht zu verhindern. Dennoch bleibt die Regierung in diesem Punkt optimistisch: „We would have preferred to have explicit separation of those two posts. I do not believe that, in practice, they will merge. The institutional balance between the Council and the Commission is absolutely fundamental to the proper operation of the EU, and, for a variety of reasons, member states would not accept that they should merge into one position.“404

401 So auch House of Lords Select Committee on the European Union, 23rd Report (The Future of Europe: Constitutional Treaty – Draft Articles on External Action), HL 107 (2002 – 03), para. 9. 402 House of Lords Select Committee on the European Union, 23rd Report (The Future of Europe: Constitutional Treaty – Draft Articles on External Action), HL 107 (2002 – 03), para. 9. 403 Vgl. J.-P. Hix, Das institutionelle System im Konventsentwurf, S. 95. 404 Sitzung des House of Commons Standing Committee zur Regierungskonferenz, v. 10. November 2003, Sp. 56 ; im Internet: http: //www.publications.parliament.uk/pa/cm 200203/cmstand/other/st031110/31110s04.htm.

E. Institutionelle Reformen

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Es bleibt abzuwarten, inwiefern die Verfassungsgegner in der Kampagne zum Referendum diesen Punkt für sich auszunutzen wissen, um Ängste vor einem übermächtigen Europa zu schüren. Angesichts der beschränkten Außenvertretungsbefugnis des Präsidenten der Europäischen Union stellen sich Fragen im Zusammenspiel mit den Posten des Außenministers und des Kommissionspräsidenten, mit deren Bereichszuständigkeit sich hier Konflikte ergeben könnten.405 In Fragen der Außenvertretung der Union hätte sich das bisherige Problem des fehlenden bzw. nicht kontinuierlichen Ansprechpartners damit nur teilweise gelöst, als sich insoweit die Zahl der möglichen Ansprechpartner auf drei reduziert.406 Für das britische Oberhaus bleiben immer noch Fragen offen, die auf eine genauere Abgrenzung der Posten untereinander abstellen, insbesondere was die Verortung des Initiativrechts anbelangt und damit die leitende Funktion für die Außenpolitik.407 Der Verfassungsentwurf kann auf diese Fragen keine endgültigen Antworten geben, so daß auch hier die Ämter ihr besonderes Gepräge durch den jeweiligen Inhaber erhalten werden. Unglücklicherweise bietet gerade dieses für die britische Politik immer schon sensible Feld viel Spielraum für die Gegner der Verfassung. Es wird aufgrund des im einzelnen eher offen gehaltenen Verfassungsentwurfs den Befürwortern schwer fallen, Vorwürfe von Seiten der Gegner nach einer Einschränkung der Außenpolitikbefugnisse vollständig und glaubwürdig aus dem Weg zu räumen. Diese werden allerdings mit der weiteren Entleerung der Parlamentsmacht und der fehlenden Kontrolle Großbritanniens über seine Außenpolitik argumentieren und Ängste schüren, die gerade nach der Blockbildung zur Irak-Frage verstärkt aufkeimen konnten. Der deutsch-französische Vorstoß gegen die Politik der USA dürfte hier insofern viel Vertrauen gekostet haben. Sollte es aber nicht gelingen, derart geschürte Ängste auszuräumen, besteht die Gefahr eines Scheiterns des Verfassungsprojektes in dem – vorläufig zurückgestellten – Referendum.

405 Ein anschauliches Beispiel dazu bietet J.-P. Hix, Das institutionelle System im Konventsentwurf, S. 97 (FN 83). Hiernach besteht die Gefahr von Repräsentationsproblemen im Kontakt mit außereuropäischen Fachministern auf Ebene der Koordination von GASP einerseits und ZBJI andererseits (am Beispiel koordinierter Terrorismusbekämpfung mit den USA). Die Gefahr von Rivalitäten erkennt auch J. Schwarze, Ein pragmatischer Verfassungsentwurf, S. 549. 406 Kritisch daher hier auch B. Scholl, Die neue institutionelle Architektur der EU, S. 210. 407 House of Lords Select Committee on the European Union, 23rd Report (The Future of Europe: Constitutional Treaty – Draft Articles on External Action), HL 107 (2002 – 03), para. 10.

16*

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

F. Die zukünftige Kompetenzordnung in der Europäischen Union I. Das Kompetenzverteilungssystem auf dem Prüfstand In Bezug auf eine erhöhte Transparenz der EU rückten nicht nur die Entscheidungsfindungsverfahren in den Focus der Reformer, auch die Frage nach den zuständigen Gremien verlangte Abhilfe. Eine Vielzahl unterschiedlicher Entscheidungsfindungsprozesse differierte zuweilen sehr stark in ihrem prozessualen Ablauf innerhalb der beteiligten Organe – je nach Kompetenzbereich (Stichwort: Säulenstruktur). Von einer für den Bürger nachvollziehbaren Politik konnte daher bislang nicht die Rede sein. Die Reichweite der Kompetenzzuweisung durch die Verträge bewegt sich zwischen den beiden Polen der Integration und der Kooperation. Je stärker der Integrationsgrad, um so weitgehender sind dabei die Ermächtigungen der Gemeinschaftsorgane zu autonomer Rechtsetzung.408 Unterschieden wird im allgemeinen zwischen ausschließlicher, geteilter, konkurrierender und paralleler Kompetenz, ohne daß diese Unterscheidung sich in den Verträgen in so eindeutiger Form wiederfinden ließe.409 Dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung nach dürfen Union und Gemeinschaften nur dort tätig werden, wo ihnen explizit durch Vertrag die Befugnis übertragen wurde, Art. 5 EUV. In den Verträgen sind die Unions- und Gemeinschaftskompetenzen jedoch unübersichtlich über viele verschiedene Artikel und Rechtsquellen (die einzelnen Verträge, die aber als einheitliche Rechtsordnung verstanden werden)410 verteilt. Deren Grenzen wurden – besonders im Falle der Harmonisierungskompetenzen – immer wieder extensiv durch die Gemeinschaftsorgane genutzt und sind auch Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten vor dem EuGH gewesen.411 Der Europäische Rat von Laeken stellte daher die Frage, „ [ . . . ] wie gewährleistet werden kann, daß die neu bestimmte Aufteilung der Zuständigkeiten nicht zu einer schleichenden Ausuferung der Zuständigkeiten der Union oder zu einem Vordringen in die Bereiche der ausschließlichen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten und – wo eine solche besteht – der Regionen führt.“412

Näher Ch. Trüe, Das System der EU-Kompetenzen, S. 397 ff. Grundlegend R. Streinz, Europarecht, Rn. 128 ff.; ferner S. Magiera, Zur Kompetenzneuordnung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten, S. 276 f.; H.-J. Blanke, Die Zuständigkeiten der Union, S. 225 ff. 410 Vgl. Th. Oppermann, Europarecht, Rn. 474 ff. 411 Insbesondere die Art. 95 und 308 EGV rückten dabei immer wieder in den Vordergrund. Aus der jüngeren Rechtsprechung wohl mit populärstes Beispiel ist der Streit um die Tabakwerberichtlinie (RL 2001 / 37 / EG v. 05. Juni 2001, ABl. Nr. L-134 S. 26), Rs. C-376 / 98 EuGH Slg. 2000 I-8419 ff. 412 Erklärung des Rates von Laeken, SN 300 / 1 / 01, Anlage I, S. 22. 408 409

F. Kompetenzordnung in der Europäischen Union

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Insbesondere eine Reform der Art. 94, 95 und 308 EGV wurde dabei von dem Rat angeregt, um die vermeintliche Ausuferung des Mißbrauchs dieser Vorschriften einzudämmen. 413 Das Kompetenzverteilungssystem ist bislang von dem Bedürfnis getragen, die Prinzipien von Flexibilität und Präzision zu vereinbaren. Aufgrund der Vertragsreformen finden sich zwei Arten der Kompetenzzuweisung, die diese Prinzipien widerspiegeln: Nach dem funktionellen Ansatz weisen die Verträge Befugnisse zur Erreichung bestimmter Ziele vor und versetzen die Gemeinschaft so in die Lage, auf veränderte Anforderungen schnell und flexibel reagieren zu können.414 Nach dem materiellen Ansatz werden Befugnisse in eng umgrenzten Sachbereichen übertragen.415 Diese Form der Hoheitsrechtsübertragung wurde zumeist dann gewählt, wenn neue Aufgaben der EG übertragen wurden bzw. wenn vom Einstimmigkeitsprinzip zur Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit übergegangen wurde. Aufgrund der Relevanz eines Sachbereichs für eine Zielvorgabe in den Verträgen sind jedoch potentiell alle Sachbereiche für die Gemeinschaftsorgane erreichbar; besonders der Gebrauch der Harmonisierungskompetenz für den gemeinsamen Binnenmarkt in Art. 95 EGV hat sich in der Vergangenheit als problematisch erwiesen.416 Danach ist eine ausschließliche Zuweisung von Kompetenzen entweder an die Gemeinschaften oder die Mitgliedstaaten kaum mehr möglich. Diese wird vielmehr im Verein zwischen den Mitgliedstaaten und den Unionsorganen ausgeübt.417 Besonders durch das Problem sich vielfach überschneidender Kompetenzen sind die Vertragsbestimmungen damit weder für den Bürger transparent noch in der Praxis handhabbar.418 Die Unterscheidung in den Verträgen nach Sachbereichs- oder Zielzuweisung führt in Anbetracht der mehrheitlich in den Bereich der konkurrierenden ZustänVgl. dazu CONV 47 / 02, para. 4b). Extrembeispiele hierfür sind die Art. 94, 95 und besonders 308 EGV. 415 Beispiele hierfür sind besonders die Politiken im Titel IV des dritten Teils des EGV (Visa, Asyl, Einwanderung und andere Politiken betreffend den freien Personenverkehr). 416 Anschaulich die Entscheidung des EuGH zur Tabakwerberichtlinie, Rs. C-376 / 98 EuGH Slg. 2000 I-8419 ff. Vgl. auch die RL 93 / 7 / EWG über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern, die, gestützt auf die Binnenmarktkompetenz, die Kulturpolitik der Mitgliedstaaten berührt (und für die Gemeinschaftsgesetzgebung ausdrücklich verboten ist!). 417 Eine Folge der dadurch verschwimmenden Zuständigkeitsgrenzen ist die vielfache Schuldzuweisung für unliebsame Rechtsakte „nach Brüssel“ durch nationale Regierungen; vgl. Ch. Trüe, Das System der EU-Kompetenzen, S. 402. 418 Die Frage, auf welche Einzelkompetenz sich ein Handeln der Gemeinschaft stützt, kann dabei nicht dahingestellt bleiben, weil häufig Unterschiede in der Reichweite der Ermächtigung bestehen (beispielsweise können z. T. Verordnungen mit unmittelbarer Wirkung, z. T. nur Richtlinien mit Zielverbindlichkeit erlassen werden). Hierzu im speziellen Ch. Trüe, Das System der EU-Kompetenzen, S. 397 ff. Zur Kritik am bestehenden System vgl. auch CONV 47 / 02. 413 414

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

digkeit fallenden Kompetenzen dazu, daß eine Abgrenzung zwischen Union und Mitgliedstaaten in feinsten graduellen Abschichtungen besteht, nach denen bislang nur schwer erkennbar ist, wer in welcher Reichweite die eigentliche Rechtssetzungsgewalt besitzt.419 Um diese Fragen auch für den Laien durchschaubarer zu gestalten, ist eine stärkere und klarere Abgrenzung der Zuständigkeiten von Union und Mitgliedstaaten notwendig. Folglich übernahm die Erklärung von Laeken die Frage nach „eine[r] bessere[n] Aufteilung und Festlegung der Zuständigkeiten in der Europäischen Union“ in ihr Aufgabenpapier für den Post-Nizza-Prozeß. Als dem Integrationsprozeß immanent420 fand die Frage nach den Kompetenzabgrenzungen bereits in der Vergangenheit wiederholt starke Beachtung.421 Mit zunehmendem Integrationsgrad und der damit verbundenen Zunahme der SpillOver-Effekte ergaben sich immer neue Zwänge zur Verlagerung weiterer Hoheitsrechte von der nationalen auf die europäische Ebene. Mit der offenen Frage nach der Finalität der Union blieb auch die Grenzziehung für die weitere Übertragung von Hoheitsrechten auf die Union unklar. 1992 wurde durch den Vertrag von Maastricht erstmals mit Kodifikation des Subsidiaritätsprinzips ein Leitgedanke für die Kompetenzwahrnehmung durch die Union aufgenommen. Folgerichtig soll für die Neujustierung der Kompetenzen neben den Erwartungen und Bedürfnissen der Bürger das Subsidiaritätsprinzip Richtschnur sein.422 Für die zukünftige Kompetenzordnung standen sich verschiedene Lösungswege gegenüber.423 Der Konvent entschied sich letztlich aber gegen eine generelle Reform in Abkehr des Systems der begrenzten Einzelermächtigung durch einen starr formulierten Kompetenzkatalog. Aufgrund von Erfahrungen in föderalen Systemen mit derartigen Abgrenzungen, hätte dies die Union wohl auch über kurz oder lang vor ernsthafte Probleme geführt – ein solcher Katalog bietet nicht ausreichend Flexibilität, um den sich immer rascher ändernden Anforderungen gerecht zu werden.424 Auch besteht die Gefahr, eine gegengerichtete Zielsetzung der Handlungen von Union und Mitgliedstaaten anzudeuten, wohingegen sich dieses Verhältnis eher durch gegenseitige Einflußnahme, gegenseitiges Geben und Nehmen charakterisieren läßt, als Kooperations- denn als Konkurrenzverhältnis.425 Schließlich 419 Zu den Kategorien dieser Abstufung vgl. Ch. Trüe, Das System der EU-Kompetenzen, S. 404 ff. 420 S. Magiera, Zur Kompetenzneuordnung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten, S. 269. 421 s. G. de Búrca / B. de Witte, The Delimitation of Powers between the EU and its Member States, S. 203 ff. 422 Vgl. insoweit die Erklärung von Laeken (abgedruckt in Anhang B). 423 Vgl. auch D. Thym, Der britische Beitrag zur europäischen Verfassungsdiskussion, S. 361. 424 Vgl. insoweit J.H.H. Weiler, A Constitution for Europe?, S. 574; Ch. Trüe, Das Kompetenzsystem der EU, S. 423; S. Magiera, Zur Kompetenzordnung zwischen EU und den Mitgliedstaaten, S. 271.

F. Kompetenzordnung in der Europäischen Union

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würde eine eindeutige und letztverbindliche Einordnung der Zuständigkeiten das über Jahre hinweg evolutiv gewachsene Ergebnis unzähliger Verhandlungsrunden und zäher Kompromisse gefährden, wenn nicht gar eine Annahme durch die Regierungskonferenz – ganz zu schweigen durch die nationalstaatlichen Parlamente oder gar Volksabstimmungen – aussichtslos gestalten.

II. Die Kompetenzverteilung im Konventsentwurf Mit Auflösung der Säulenstruktur der EU und der daraus folgenden Eingliederung der GASP und ZBJI in die erste Säule der EG findet – mit Ausnahme des EURATOM-Vertrags – die Vereinheitlichung des europäischen Primärrechts auch textlich ihre Vollendung. Im Konventsentwurf wird dem Kompetenzsystem weiterhin das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung zugrunde gelegt, Art. I-11 Abs. 1 und Art. III-115 VVE. Neu ist in diesem Zusammenhang der ausdrückliche (wenngleich nur deklaratorische) Hinweis, daß alle nicht zugewiesenen Aufgaben bei den Mitgliedstaaten verbleiben, Art. I-11 Abs. 2 S. 2 VVE.426 Die Ausübung der Kompetenzen durch die Union findet unter Beachtung der Prinzipien der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit statt, Art. I-11 Abs. 3 bzw. 4 VVE.427 Die Verteilung der Kompetenzen im Konventsentwurf erfolgt nach Art. I-12 VVE in drei Gruppen. Sie gliedert sich danach in eine Auflistung ausschließlicher (Art. I-12 Abs. 1 i.V.m. Art. I-13 VVE) und geteilter (Art. I-12 Abs. 2 i.V.m. Art. I-14 VVE) Kompetenzen sowie von Koordinierungs- Ergänzungs- und Unterstützungskompetenzen (Art. I-12 Abs. 5 i.V.m. Art. I-17 VVE) in Teil I und Detailbestimmungen im Teil III des Entwurfs. Der Konvent folgt damit wesentlich den in Literatur und Rechtsprechung entwickelten Kompetenzen in den bisherigen Verträgen. Das System ähnelt dabei stark dem des bundesdeutschen GG, welches in den Art. 70 ff. nach ausschließlicher und konkurrierender (bis zur Föderalismusreform auch noch Rahmengesetzgebungskompetenz) unterscheidet. Suggerieren die Bestimmungen im ersten Teil des Entwurfs eine klare Abgrenzung der Zuständigkeiten, belassen es die Regelungen im dritten Teil weitgehend bei dem bisherigen System der verstreuten Einzelbestimmungen, da sie im wesentlichen von dem System des EGV übernommen wurden.428 Die einfache und leicht verständliche Aufteilung der Kompetenzen wird damit in Teil III nicht nur unterlaufen sondern täuscht sogar eine Vereinfachung vor, die es so nicht gibt. Während So S. Weatherill, Competences, S. 46. Aus oben genannten Gründen wurde hier auf eine genaue Aufzählung der Kompetenzen, die bei den Mitgliedstaaten verbleiben, verzichtet. Vgl. auch S. Weatherill, Competence, S. 51 f. 427 Dazu bereits schon unter E.I.4.c). 428 Kritisch daher Ch. Trüe, Das System der EU-Kompetenzen, S. 413; Th. Oppermann, Vom Nizza-Vertrag 2001 zum Europäischen Verfassungskonvent 2002 / 2003, S. 147. 425 426

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

die Aufteilung in Teil 1 nach Sachbereichen erfolgt, findet sich in Teil 3 das alte System von Sachbereichs- und Zielbestimmungen wieder, welches im wesentlichen eine gemeinsame Kompetenzausübung von Mitgliedstaaten mit der Union beinhaltet. Eine Aufteilung nach ausschließlicher und konkurrierender Kompetenz ist diesem aber systemfremd. Der Konvent hat sich damit nicht von dem grundlegenden Prinzip der Flexibilität lösen wollen, was angesichts der Osterweiterung auf 25 Mitgliedstaaten nur allzu vernünftig angesehen werden muß, da bei zu exakter Festlegung der Kompetenzen auf veränderte Herausforderungen nur mit einer Vertragsrevision reagiert werden könnte.429 Bedauerlich fällt aber die mehr oder weniger unveränderte Übernahme der Binnenmarktkompetenz ins Auge. Zumindest eine Klarstellung i. S. d. Schwerpunkttheorie des EuGH wäre wünschenswert gewesen, um auch hier für mehr Transparenz zu sorgen. Immerhin ist mit der Neuformulierung des Art. 308 EGV eine gewisse Einschränkung insoweit gelungen, als daß darauf gestützte Vorschriften für solche Fälle keine Harmonisierung der nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften enthalten dürfen, in denen dies durch die Verfassung ausdrücklich ausgeschlossen ist, Art. I-18 Abs. 3 VVE.

III. Der Vorrang des Unionsrechts 1. Der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts Um dem Gemeinschaftsrecht den Rang von „gemeinschaftlichem“ Recht zukommen lassen können, muß dieses in allen Mitgliedstaaten mit gleicher Rechtskraft und in gleicher Ausprägung Geltung beanspruchen können. Obgleich die Verträge selbst dafür keine ausdrückliche Grundlage bieten, sind sich Literatur und Rechtsprechung daher im Ergebnis einig, daß dem Gemeinschaftsrecht eine Vorrangwirkung gegenüber dem nationalen Recht zukommen muß.430 Aufgrund der begrenzten Rechtsprechung des EuGH kann diesem keine Verwerfungskompetenz für nationale Rechtsnormen zukommen.431 Gleichwohl ist er im Ergebnis in der Lage, die Unvereinbarkeit von nationalem Recht mit Gemeinschaftsrecht festzustellen, so daß entgegenstehendes nationales Recht im Gemeinschaftskontext keine Geltung beanspruchen kann (im nationalen Kontext dagegen schon).432 Im ErgebVgl. auch CONV 88 / 02. Vgl. R. Streinz, Europarecht, Rn. 219. Für eine Übersicht über die unterschiedlichen Begründungsansätze ebda. Rn. 180 ff. 431 Rs. 273 / 82 (Jongeneel Kaas / Niederlande), EuGH Slg. 1984, 483 / 500, Rn. 6. 432 Als Konsequenz hieraus kann sich im Kontext der Grundfreiheiten das Problem der sogenannten „Inländerdiskriminierung“ ergeben, wodurch EG-Ausländer in bestimmten Sachverhalten besser behandelt werden müssen als Inländer, wenn bestimmte nationale Vorschriften aufgrund des Anwendungsvorrangs von Gemeinschaftsrecht für den grenzüberschreitenden Fall keine Anwendung beanspruchen können. Anders dagegen die Lehre vom Geltungsvorrang, wonach nationales Recht durch einen Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht 429 430

F. Kompetenzordnung in der Europäischen Union

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nis werden damit auch die nationalen Gerichte und Behörden ermächtigt, entgegenstehendes nationales Recht außer Acht zu lassen, selbst wenn ihnen eine derartige Verwerfungskompetenz nach der nationalen Rechtsordnung – wie in der Bundesrepublik – nicht zukommt.433 Neben dem Primärrecht wird seit frühester Rechtsprechung durch den EuGH auch dem sekundären Gemeinschaftsrecht Vorrang vor nationalem Recht anerkannt.434 Unterschiedlich sind jedoch die Begründungsansätze für die Vorrangwirkung des Gemeinschaftsrechts.435 Während das BVerfG von einer Vorrangwirkung aufgrund verfassungsrechtlicher Ermächtigung ausgeht,436 vertritt der EuGH eine Vorrangwirkung kraft Eigenständigkeit, wonach sich die Gemeinschaftsverträge von ihrer völkerrechtlichen Grundlage gelöst und damit eine neue, eigenständige Rechtsordnung begründet hätten. Daraus folge im Ergebnis der Anwendungsvorrang, den jede Rechtsordnung für sich beanspruchen würde. Im Ergebnis ist der Unterschied in der Begründung besonders deshalb wichtig, weil sich aus einem Vorrang kraft verfassungsrechtlicher Ermächtigung Grenzen für die Übertragung von Hoheitsrechten ergeben können (aus Sicht des EuGH dagegen nicht).

2. Der Gemeinschaftsrechtsvorrang in der britischen Judikatur Wie gezeigt werden konnte, taten sich die Gerichte aufgrund der Doktrin der Sovereignty of Parliament und des dualistischen Verständnisses im Völkerrecht von Anfang an sehr schwer mit der Umsetzung der Vorrangwirkung von Gemeinschaftsrecht.437 An dieser Stelle soll nur die neueste Rechtsprechung in den Fällen Thoburn v. Sunderland City Council438 und International Transport Roth GmbH v. Secretary of State for the Home Department439 in Erinnerung gerufen werden. Nach diesen Urteilen geht die britische Judikatur – ähnlich dem BVerfG – auf Abstand zu einer Vorrangwirkung kraft Eigenständigkeit.440 Es behält sich gar die nichtig wird; dazu ausführlicher R. Streinz, Europarecht Rn. 682 ff. bzw. Rn. 200 (zu Anwendungs- und Geltungsvorrang). 433 Rs. 103 / 88, EuGH Slg. 1989, 1839 / 1871, Rn. 31. 434 Rs. 6 / 64 (Costa / ENEL), EuGH Slg. 1964, 1141. Die Probleme, die dieser Grundsatz für eine Rechtsordnung wie die britische, die auf dem absoluten Primat des Parlaments ausgeht, mit sich bringt, wurden bereits an anderer Stelle erörtert (vgl. Teil 2, A.II.3.a)bb)(3). 435 Eine nähere Auseinandersetzung mit dieser Thematik verbietet sich an dieser Stelle. Verwiesen sei auf die umfangreiche Literatur; dazu die Nachweise bei R. Streinz, Europarecht, nach Rn. 225. 436 BVerfGE 75, 223 (244). 437 Für diesen Anpassungsprozeß sei auf Teil 2, A.II.3.a)bb)(3) verwiesen; vgl. ferner T.C. Hartley, Constitutional Problems of the EU, S. 138 f.; P. Craig / G. de Burcá, EU Law, S. 280 ff. 438 [2002] 4 All ER 156 (QBDC). 439 Q.B. 728, 71 (C.A. 2003).

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

Entscheidung darüber vor, einen Verstoß von Gemeinschaftsrecht gegen nationale Verfassungsbestimmungen festzustellen. Revolutionär erscheint besonders die Idee des „Verfassungsgesetzes“, in dessen Kategorie der ECA eingeordnet wird. Sowohl von Politik441 als auch Jurisprudenz442 und Verfassungswissenschaft443 wird damit eine Loslösung der EU von ihrer völkerrechtlichen Grundlage nicht akzeptiert. Vielmehr wird, unabhängig von den dogmatischen Begründungen, die Grundlage für die Übertragung von Hoheitsrechten in der Parlamentssouveränität gesehen und damit auch die Basis für die Vorrangwirkung des Gemeinschaftsrechts.444 Die Vorrangwirkung fußt demnach auch nach britischem Verständnis auf einer verfassungsrechtlichen Ermächtigung des Gesetzgebers, für die es nach britischem Recht allerdings keinerlei konkrete Grenzen (vergleichbar etwa dem Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG) gibt, gleichwohl die britischen Gerichte in besagten Entscheidungen die Verletzung von nationalen „Constitutional Rights“ als mögliche Grenzziehung ansehen. Zweifelsohne wäre aber wohl eine vollständige Aufgabe der Souveränität als verfassungswidrig einzustufen, da sie zukünftigen Parlamenten die Möglichkeit der Rückführung von Hoheitsrechten auf die nationale Ebene durch Zurücknahme des ECA nehmen würde. Wichtig für eine Positionierung des Vereinigten Königreiches zum Verfassungsentwurf ist daher, daß es in der britischen Verfassung absolute Grenzen für die Übertragung von Hoheitsrechten gibt und daß der Grund für die Vorrangwirkung des Gemeinschaftsrechts nicht in der Gemeinschaftsrechtsordnung selbst zu suchen ist, sondern vielmehr in einem willentlichen Akt des Parlaments (genauer: dem ECA 1972), mit dessen Rücknahme auch die Vorrangwirkung ihr Ende finden würde.445

440 Das BVerfG unterschiedet für die Vorrangwirkung zwischen Vorrang gegenüber nationalem, einfachen Recht und gegenüber nationalem Verfassungsrecht. Während der Vorrang für den ersten Fall uneingeschränkt anerkannt wird, BVerfGE 31, 145 (174), behält es sich für den zweiten Fall eine Überprüfung vor, wenn ein wirksamer Grundrechtsschutz durch den EuGH nicht mehr gewährleistet wird, BVerfGE 73, 339 (2. Leitsatz). 441 Deutlich hier das Vorwort T. Blairs zum Weißbuch „A Constitutional Treaty for the EU“ (Cm 5934): „The Convention text spells out that the EU is a Union of nation States and that it only has those powers which Governments have chosen to confer upon it. It is not and will not be a federal superstate.“ 442 Vgl. die zuvor zitierten Entscheidungen. 443 Sowohl die Anhänger des „alten“ wie des „neuen“ Wegs sehen die Union nicht als vom Völkerrecht losgelöste Rechtsordnung an und beharren auf der Souveränität des Parlaments. Die Unterschiede liegen vielmehr in der jeweiligen Interpretation der Factortame-Rechtsprechung; vgl. dazu Teil 2, A.II.3.a)bb)(5). 444 Vgl. die diskutierten Ansätze bei P. Craig, United Kingdom Sovereignty after Factortame, S. 251 f. 445 Vgl. T.C. Hartley, Constitutional Problems of the EU, S. 179.

F. Kompetenzordnung in der Europäischen Union

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3. Die Vorrangwirkung im Konventsentwurf Mit dem Auftrag an den Konvent in der Erklärung von Laeken, die Vertragstexte übersichtlicher und verständlicher zu machen, mußte sich dieser zwangsläufig mit den ungeschriebenen Regeln des Vertragsrechts auseinandersetzen. Als vom EuGH herausgearbeitetes Prinzip gehörte hier zweifelsohne auch der Vorrang von Gemeinschaftsrecht dazu. Folgerichtig statuiert nunmehr Art. I-6 VVE: „Die Verfassung und das von den Organen der Union in Ausübung der ihnen zugewiesenen Zuständigkeiten gesetzte Recht haben Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten.“

Die Rechtsprechung des EuGH wird somit in den Verfassungstext des Konvents rezipiert und erhält erstmals eine textliche Ausprägung.446 Aus britischer Perspektive ist daher an dieser Vorschrift auch wenig auszusetzen, scheint sie doch nur das umzusetzen, was – sogar nach britischer Lesart447 – bereits seit langem praktiziertes Recht ist. Sie ist nicht dazu geeignet, die Frage der Kompetenz-Kompetenz endgültig zugunsten der EU zu beantworten und greift damit die Position der britischen Gerichte nicht an, die sich für diese Frage das Letztentscheidungsrecht vorbehalten. Er läßt insoweit die mögliche Grenzziehung für die Übertragung von Hoheitsrechten weiter intakt. Auch die Macht des Parlaments, durch entsprechend eindeutige Gesetzesverabschiedung von europäischem Recht abzuweichen, wird hiermit nicht beschränkt. Insofern handelt es sich tatsächlich „lediglich“ um einen Rezeptionsvorgang als „Tidying-up-exercise“. Die entscheidende Neuerung, die Art. I-6 VVE mit sich bringt, liegt also nicht so sehr in der Rezeption der Vorrangwirkung des Gemeinschaftsrechts, als vielmehr in deren Ausdehnung auf die Bereiche der ZBJI und GASP, die bislang von diesen ausgenommen waren. Die Rechtsprechung des EuGH unterliegt nämlich in den intergouvernementalen Säulen starken Beschränkungen, Art. 46 EUV.448 Aus britischer Sicht war es daher wichtig, für Entscheidungen in diesen Bereichen beim Einstimmigkeitsprinzip für Beschlüsse zu bleiben und so ein britisches VetoRecht zu erhalten.449 Entgegen den Befürchtungen von konservativer Seite und den Vorwürfen aus der britischen Tabloid-Presse wurde verhindert, daß die britische Außenpolitik in Zukunft nur noch in Ausführung der Vorgaben anderer Mitgliedstaaten stattfinden würde.450 Der intergouvernementale Charakter der ehemals 446 Zu Rezeptionsprozessen und Textstufenparadigma vgl. P. Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 4 ff. 447 Vgl die Ausführungen von Lord Bridge, Factortame Ltd. v. Secretary of State for Transport (No. 2) [1991] 1 AC 603, 658: „If the supremacy within the European Community of Community Law over the national law of member states was not always inherent in the EEC Treaty it was certainly well established in the jurisprudence of the Court of Justice long before the United Kingdom joined the Community“. 448 M. Dougan, The Convention’s Draft Constitutional Treaty, S. 764. Für den Bereich der GASP etwa übernimmt bislang Art. 15 EUV die Funktion, die Mitgliedstaaten an die gemeinsamen Standpunkte zu binden. 449 Vgl. Weißbuch „A Constitutional Treaty for Europe“ (Cm 5934), para. 66.

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

zweiten Säule der EU ist somit auch durch die Auflösung der Säulenstruktur nicht verloren gegangen. Die Außenpolitik der EU verbleibt in der Verantwortung der Mitgliedstaaten über den Europäischen Rat und den Ministerrat. Entsprechend zufrieden fiel daher auch die Reaktion der Regierung auf den Konventsentwurf aus.451 Probleme ergeben sich aber aufgrund der Ausschlußwirkung des Art. III-376 VVE für die Rechtsprechung des EuGH. Zwar haben jetzt Beschlüsse der GASP grundsätzlich Vorrang gegenüber nationalem Recht. Mangels zugehöriger EuGH-Judikatur bleibt allerdings unklar, inwiefern die Rechtseinheit in der Union gewahrt werden kann. In diesem Zusammenhang ist insbesondere auch die Rechtsprechung des EuGH zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Unionsrecht452 von Bedeutung. Denn die Vorrangwirkung von Gemeinschaftsrecht gilt nur für unmittelbar geltendes Gemeinschaftsrecht. Art. I-6 VVE hätte in diesem Punkt klarer gefaßt sein können, auch wenn die Rechtsprechung des EuGH zur unmittelbaren Anwendbarkeit aufgrund Art. IV-438 Abs. 4 VVE Gültigkeit behalten wird.453

IV. Britische „Red-Tape-Issues“ in den Einzelpolitiken Durch die Auflösung der Säulenstruktur bringt der Konventsentwurf eine Ausweitung der allgemeinen Bestimmungen des EGV auch auf die bisher davon ausgenommenen Bereiche in der zweiten und dritten Säule der Union mit sich. Da sich damit auch die nunmehr als allgemein üblich etablierte Mehrheitsabstimmung im Rat sowie die Ausweitung des Mitbestimmungsverfahrens verbinden, sah sich die britische Regierung hier genötigt, Grenzen zu ziehen. Deutlich wurde dies in Angelegenheiten ausgesprochen, die vermeintlich stark in die nationale Souveränität eingreifen; vornehmlich die Außenbeziehungen sowie in Angelegenheiten der nationalen Justiz und Polizei. Diese Aspekte werden nachfolgend kurz skizziert. Dies soll aber nicht verhehlen, daß ähnliche Vorbehalte auch in anderen Bereichen vorgetragen wurden. Namentlich zu nennen sind hier besonders die Steuerhoheit454, die Frage nach dem britischen Beitragserlaß455 und der europäischen Sozialpolitik456. So die Befürchtungen von D. Heathcoat-Amory, The European Constitution, S. 29. White Paper on the Treaty establishing a Constitution for Europe (Cm 6309), para. 73. 452 Danach müssen die entsprechenden Bestimmungen eine klare, uneingeschränkte und unbedingte Verpflichtung an die Mitgliedstaaten enthalten und dürfen keinen Vorbehalt zugunsten der Mitgliedstaaten aussprechen, Rechtsakte zu erlassen, die in ihrem Ermessen stehen; Rs. 26 / 62 (Van Gend en Loos) EuGH Slg. 1963, 1 / 24 ff. 453 A. Arnull, in: House of Lords Select Committee on the Constitution, 9th Report (The Future of Europe: Constitutional Treaty – Draft Articles 1 – 16), HL 168 (2002 – 03), S. 14. 454 Weißbuch „A Constitutional Treaty for the EU“ (Cm 5934), para. 76. 455 Dazu schon im Teil 2 unter B.V. 450 451

F. Kompetenzordnung in der Europäischen Union

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1. Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) Nach dem 1954 gescheiterten Projekt der EVP hatte die europäische Integration im sicherheitspolitischen Bereich ihr vorläufiges Ende gefunden. Eine militärische Integration fand lediglich im Rahmen der schon 1948 gegründeten WEU statt; seit 1972 konnte über die EPZ eine vorsichtige Annäherung in einer Koordinierung der Außenpolitiken stattfinden. Diese wurde mit der EEA 1987 auf eine vertragliche Grundlage gestellt und durch den Vertrag von Maastricht 1992 als zweite Säule der Union in die GASP überführt. Mit dem Vertrag von Amsterdam wird dem Generalsekretär des Rates die Rolle des „Hohen Vertreters für die Gemeinsame Außenund Sicherheitspolitik“ übertragen. Gemeinsam mit dem für die Außenbeziehungen zuständigen Kommissionsmitglied und dem Ratsvorsitz bildet er die „neue Troika“ der Union.457 Die Geburtsstunde der ESVP kann in den Beschlüssen des Europäischen Rats von Köln und Helsinki 1999 gesehen werden, ihre Vorgeschichte reicht dennoch weiter zurück. Einen neuen Impuls erhielt die Europäische Verteidigungspolitik mit den „Petersberg-Aufgaben“ aus dem Jahr 1992458, die mit dem Vertrag von Amsterdam 1997 in die EU integriert wurden. Mit dem Vertrag von Nizza vom Dezember 2000 werden die Bestimmungen zur ESVP modifiziert und neue Gremien geschaffen. Der Europäische Rat von Kopenhagen bereitete Ende 2002 die Grundlage für eine engere Zusammenarbeit mit der NATO. Die Schlußfolgerungen des Europäischen Rates von Laeken führen diese Entwicklung fort und zielen darauf ab, die ESVP im Verein mit der NATO in die Lage zu versetzen, immer komplexere Aufgaben wahrnehmen zu können.459 Die Reformarbeiten des Konvents zur Außen-, Sicherheits-, und Verteidigungspolitik wurden von den Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit dem IrakKrieg überschattet und verdeutlichten abermals, daß institutionelle Reformen sinnlos sind, solange sie nicht von einem entsprechenden politischen Willen getragen sind. Hier insbesondere brachen alte Konflikte auf, die die unterschiedliche Grundkonzeption europäischer Außenpolitik widerspiegeln. Auf der einen Seite die französische Haltung, die auf eine multipolare Weltordnung abzielt, auf der anderen 456 Weißbuch „A Constitutional Treaty for the EU“ (Cm 5934), para. 77 f. Vgl. i.ü. D. Thym, Der britische Beitrag zur europäischen Verfassungsdiskussion, S. 361. 457 Näher zur Geschichte der GASP bei D. Majer, Integration versus Kooperation?, S. 555 ff. Zu den Änderungen durch den Vertrag von Amsterdam R. Streinz, Der Vertrag von Amsterdam, S. 63 f. 458 Diese Aufgaben „schließen humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze, friedenserhaltende Aufgaben sowie Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung einschließlich friedensschaffender Maßnahmen ein“, Art. 17 Abs. 2 EUV. 459 Vgl. SN 300 / 1 / 01, Punkt 6. Ausführlicher zur ESVP bei D. Thym, Die Begründung einer europäischen Verteidigungspolitik, S. 676 ff.; S. Lang, Wege zu einer europäischen Armee, S. 268 ff.

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

das britische besondere Verhältnis zu den USA. Vor diesem Hintergrund ist die Aufgabe des Konvents zu sehen, die Institutionen und Verfahren der Union auf eine bessere Abstimmung der Mitgliedstaaten und Bewältigung zukünftiger Krisen vorzubereiten. Die bedeutendste Neuerung stellt hier die Einrichtung des Amtes des Europäischen Außenministers dar, mit der die Kohärenz der GASP verstärkt werden soll.460 Problempunkte im Bereich der GASP können aus britischer Sicht v.a. auf Fragen der Mehrheitsabstimmungen und des Vorrangs des Gemeinschaftsrecht reduziert werden.461 Es bestehen hier bei einer Vereinheitlichung der nationalen Politiken in Angelegenheiten der Verteidigungs-, Außen- und Einwanderungspolitik große Vorbehalte. Eine Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen in diese Bereiche hätte daher nur schwer britischen Widerstand überbrücken können.462 Dieser äußerte sich insbesondere in den sog. „Red-Tape-Issues“, die die Regierung im Vorfeld der Regierungskonferenz 2003 / 2004 einseitig festgelegt hatte.463 Die Beibehaltung des Einstimmigkeitsprinzips für weite Teile der GASP arbeitet dem zu.464 Besondere Unruhe äußerte sich auch in der Vergangenheit immer wieder über die Beziehungen zwischen Großbritannien und den USA. Im Speziellen war hier das Verhältnis zwischen NATO und der ESVP immer wieder akut.465 Diesen SorDazu ausführlich unter E.III.2. Zu einem vollständigen Überblick vgl. etwa P. Birkinshaw, A Constitution for the EU? S. 68; M. Cremona, The Draft Constitutional Treaty, S. 1347 ff. oder auch House of Lords Select Committee on the European Union, 23rd Report (The Future of Europe: Constitutional Treaty – Draft Articles on External Action), HL 107 (2002 – 03). Aus deutscher Sicht: I. Winkelmann, Das außenpolitische Handeln nach dem Entwurf eines Vertrages über eine Verfassung für Europa, S. 139 ff. Grundlegend A. Hyde-Price, Decision-making under the Second Pillar. 462 Vgl. Rede T. Blairs zur Eröffnung des European Research Institutes in Birmingham v. 23. November 2001: „Souveränität muß zum nationalen Vorteil ausgespielt werden. Wenn wir uns früher isolierten, verschwendeten wir unsere Souveränität – und blieben die alleinigen Herren über einen schrumpfenden Einflußbereich. Es stimmt, daß britische Regierungen ihre souveräne Herrschaft über bestimmte Entscheidungen mit anderen teilen. Aber wir haben die Kontrolle über unsere Zuwanderungspolitik und unsere nationalen Grenzkontrollen, unsere Steuer-, Verteidigungs- und Außenpolitik behalten, und das bleibt auch so.“ Abgedruckt in Auszügen in deutscher Übersetzung in: Internationale Politik, 2002, Band 1, Heft 1, S. 103 – 109. 463 Es handelt sich dabei um einseitig festgelegte Angelegenheiten, die von vornherein jedweder Diskussion entzogen sein sollten. Dazu das Weißbuch „A Constitutional Treaty for the EU“ (Cm 5934), para. 68. 464 Vgl. z. B. Art. III-293 Abs. 1 UAbs. 3 VVE für die Beschlüsse des Europäischen Rates und Art. I-41 Abs. 4 und Art. III-300 Abs. 1 VVE für Beschlüsse des Rates. Eine Ausnahme bildet Art. III-300 Abs. 2 VVE, nach dem die dort geregelten Beschlüsse aber i.d.R. auf einen (einstimmigen) Beschluß des Europäischen Rates zurückgehen. Durch einstimmigen Beschluß kann der Europäische Rat gem. Art. III-300 Abs. 3 VVE für weitere Fälle die qualifizierte Mehrheit vorsehen. Gem. Art. III-300 Abs. 4 VVE ist für Beschlüsse mit verteidigungspolitischen oder militärischen Bezügen zwingend Einstimmigkeit erforderlich. 465 Vgl. dazu in Teil 2 Abschnitt B. 460 461

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gen trägt der Konventsentwurf durch vielfache Vorkehrungen Rechnung, die z. T. aus den Verträgen übernommen wurden. Art. I-41 Abs. 2 UAbs. 2 VVE sieht in Anlehnung an Art. 17 Abs. 1 UAbs. 3 EUV ausdrücklich vor: „Die Politik der Union nach diesem Artikel berührt nicht den besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten; sie achtet die Verpflichtungen bestimmter Mitgliedstaaten, die ihre gemeinsame Verteidigung in der Nordatlantikvertrags-Organisation verwirklicht sehen, aufgrund des Nordatlantikvertrages und ist vereinbar mit der in jenem Rahmen festgelegten gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik.“

In Art. I-41 Abs. 7 VVE werden für den Fall des bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates die mitgliedstaatlichen Rechte und Pflichten i.R.d. NATO anerkannt und diese ausdrücklich als Fundament der kollektiven Verteidigung der ihr angehörigen Mitgliedstaaten bezeichnet.

2. Ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts Ein weiteres Problemfeld eröffnete auch die Reform der dritten Säule der PJZS bzw. die Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Eine besondere Anstoßwirkung entstand durch die Terroranschläge vom 11. September 2001 auf das World-Trade-Center und das Pentagon.466 Die europäischen Staaten ergriffen nicht nur national begrenzte Maßnahmen zur Terrorbekämpfung, auch eine abgestimmte Anti-Terrorpolitik sollte innerhalb Europas für mehr Sicherheit sorgen, ohne dabei die Freiheiten der Menschen übergebührlich einzuschränken. Die PJZS bot hierfür das entsprechende Handwerkszeug zur Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in Europa. Der Konventsentwurf enthält für die PJZS im Vergleich zu den Vorverträgen im wesentlichen drei grundlegende Änderungen. Zum einen findet eine Einbeziehung der bisherigen dritten Säule in den einheitlichen vertraglichen Rahmen durch Auflösung der Säulenstruktur statt. Diese findet sich nunmehr in den Bestimmungen zu einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in Art. I-14 Abs. 2, lit. j) VVE wieder. Hierdurch werden die Mitwirkungsmöglichkeiten des EP erweitert (Mitentscheidung wird zum Regelfall) sowie die Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit auch hierhin ausgedehnt. Grundsätzlich befindet sich der Konventsentwurf damit auf Linie der Erwartungen der britischen Regierung: 466 Was nicht bedeuten soll, daß Reformen auf diesem Gebiet erst zu diesem Zeitpunkt begonnen haben. Bereits im Amsterdamer Vertrag wurden Meilensteine der PJZS mit Einbeziehung des Titels IV EGV in die erste Säule der Union (Visa, Asyl- und andere Politiken betreffend den freien Personenverkehr) gelegt. Zur Entwicklung der PJZS auch insbesondere im Vorfeld von Amsterdam und Maastricht vgl. N. Walker, Freedom, Security and Justice, S. 159 ff. Zur Reform durch den Verfassungsentwurf ausführlicher J. Monar, Der Reformbedarf der Innen- und Justizpolitik, S. 31 ff.

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

„The Constitution introduces qualified majority voting as the norm for J[ustice and] H[ome] A[ffairs] Issues – a welcome consequence of abolishing the pillar structure. [ . . . ] This means no Member State will be able to block action on issues like cross-border crime, drug trafficking, illegal immigration and terrorism. These are international issues where it is in our interest to work within the EU. But because of differences in Member States’ legal traditions and systems, the Government [ . . . ] said that Q[ualified] M[ajority] V[oting] would not be the most appropriate way of proceeding where significant harmonisation of criminal procedural law was concerned.“467

Diese Befürchtungen gehen wahrscheinlich v.a. auf das von den kontinentalen inquisitorisch geprägten Rechtsordnungen doch sehr verschiedene adversative Rechtssystem zurück – insbesondere die Einrichtung der Jury und der Institutionalisierung des Plea Bargain468. Für diese Ausnahmeregelungen stießen die britischen Vorbehalte auf Gehör. In einem „Notbremse-Verfahren“ kann ein Mitgliedstaat nunmehr die Entscheidung über solche Strafverfahrensbestimmungen an den Europäischen Rat verweisen (hier gilt das Konsensprinzip, Art. I-21 Abs. 4), wenn ihm die Annahme derartiger Bestimmungen unzumutbar erscheint. Für den Fall eines fehlendes Konsenses in diesem Gremium können dann die Regelungen für die verstärkte Zusammenarbeit greifen, Art. III-270 Abs. 3 u. 4 VVE. Zusätzlich finden für den Erlaß von Rahmengesetzen zur Festlegung von Mindeststandards gem. Art. III-270 Abs. 2 VVE „die Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen und -traditionen der Mitgliedstaaten“ Berücksichtigung. Zwar hat die Regierung ihr ursprüngliches Ziel der Beibehaltung des Einstimmigkeitsprinzips dadurch verfehlt, mit den Änderungen durch die Regierungskonferenz konnte sie aber effektiv gesehen das nationale Veto für die Einführung bestimmter Verfahrensregelungen beibehalten und damit einen „Punktesieg“ erringen. Entgegen den Bestimmungen des Art. 67 Abs. 2 EGV, wonach das Initiativrecht für die Innen- und Justizpolitik von den Mitgliedstaaten vollständig auf die Kommission übergehen sollte, sieht der Konventsentwurf gem. Art. III-264 ein gleichberechtigtes Initiativrecht von Kommission und einem Quorum von einem Viertel der Mitgliedstaaten für den überwiegenden Teil der Vorschriften vor. Diese grundsätzliche Beibehaltung des mitgliedstaatlichen Initiativrechts entspricht damit einer Stärkung der Mitgliedstaaten und dürfte im Interesse der britischen Regierung liegen.469 Zweitens enthält der Verfassungsentwurf in Art. III-270 Abs. 1 die Verankerung gegenseitiger Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen. Im Gegensatz zur Anerkennung von zivilgerichtlichen Entscheidungen hat sich das VerWhite Paper on the Treaty establishing a Constitution for Europe (Cm 6309), para. 67. Danach ist ein „Handel“ zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung ausdrücklich vorgesehen. Pauschal erhält der Angeklagte dabei rund ein Drittel der Strafe erlassen, wenn er sich für den betreffenden Anklagepunkt schuldig bekennt (Plea of Guilt). 469 Zu den Vorteilen in faktischer Hinsicht s. J. Monar, Der Reformbedarf der Innen- und Justizpolitik, S. 39 f. 467 468

F. Kompetenzordnung in der Europäischen Union

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einigte Königreich hier keine „Opt-In“-Klausel gesichert und steht einer Zusammenarbeit in diesem Bereich daher aufgeschlossener gegenüber:470 „The Government particularly welcomes the inclusion in the draft Treaty of the principle of mutual recognition of different legal systems as the cornerstone of police and judicial cooperation between Member States.“471

Drittens erschloß Art. III-175 VVE a.F. die Möglichkeit, „zur Bekämpfung schwerer Kriminalität mit grenzüberschreitender Dimension“, den Posten eines Europäischen Staatsanwalts einzurichten. Die britische Position signalisierte hier eine starke Ablehnung, da für dessen Einrichtung mit den umfassenden Ermittlungsmöglichkeiten auf europäischer Ebene kein Bedarf gesehen wurde.472 Tatsächlich dürften die Befürchtungen tiefer gegangen sein, da mit der Einrichtung dieser Position zugleich ein weiteres „staatliches“ Element in die Verfassung aufgenommen würde. Einen Public Prosecutor kennt der Bürger nämlich lediglich aus dem nationalstaatlichen Kontext. Die Idee, vor Gericht durch einen „fremdstaatlichen“ Staatsanwalt angeklagt zu werden, berührt hier erneut Aspekte der sozialen Legitimation der Union. Besonders scharf fiel daher auch die Kritik von konservativer Seite aus: „It [der europäische Staatsanwalt] provides a good example of the Convention’s relentless drive, from the top, to achieve a single integrated Union with all the powers, responsibilities and organs of a state [ . . . ].“473

Der Verfassungsentwurf sieht dafür aber ohnehin (wie i.Ü. für die meisten Bestimmungen in diesem Teil des Entwurfs) einen einstimmigen Beschluß vor, der jederzeit durch ein britisches Veto verhindert werden kann, Art. III-274 Abs. 1 VVE. Zudem wurde die Aufgabe einer derartigen Behörde in der Neufassung durch den Rat am 29. 10. 2004 in Rom mittlerweile auf die „Bekämpfung von Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union“ beschränkt, Art. III-274 Abs. 1 VVE. Insbesondere Fragen der Einwanderungspolitik haben schließlich nicht selten die Integrationsbereitschaft des Landes überlagert. Im Gegensatz zu den meisten übrigen Mitgliedstaaten hat sich daher das Vereinigte Königreich bis heute noch 470 Gem. Art. 1 des Protokolls (Nr. 4) über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands hinsichtlich der Politik betreffend Grenzkontrollen, Asyl und Einwanderung, justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen sowie hinsichtlich der polizeilichen Zusammenarbeit ist das Vereinigte Königreich an die entsprechenden Bestimmungen nicht gebunden. Nach Art. 3 steht ihm jedoch eine freiwillige Teilnahme nach Einzelgesichtspunkten frei, so daß eine punktuelle Teilnahme ermöglicht wurde. Diese Bestimmungen haben auch nach der Regierungskonferenz im Juni 2004 ihre Gültigkeit behalten bzw. wurden an die entsprechenden Vertragsänderungen redaktionell angepaßt. Vgl. CIG 84 / 04 v. 18. Juni 2004, im Internet: http: //ue.eu.int/igcpdf/en/04/cg00/cg00084.en04.pdf. 471 White Paper „A Constitutional Treaty for the EU“ (Cm 5934), para. 81. 472 Vgl. White Paper on the Treaty establishing a Constitution for Europe (Cm 6309), para. 69. 473 D. Heathcoat-Amory, The European Constitution, S. 25.

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

nicht dem sog. Schengen-Acquis angeschlossen, in welchem sich die teilnehmenden Staaten zum Abbau der gegenseitigen Grenzkontrollen verpflichteten. Man sah sich hierzu aus Gründen der Tradition und geographischen Situation an derartigen Schritten gehindert: „The main focus of UK immigration control has traditionally been at the point of entry. For the UK, frontier controls are an effective means of controlling immigration, and of combatting terrorism and other crime. These controls match both the geography and traditions of the country and have ensured a high degree of personal freedom within the UK. This approach is different from the practice in mainland Europe where, because of the difficulty of policing long land frontiers, there is much greater dependence on internal controls such as identity checks. We need to recognise these differences.“474

Diese Haltung hat die Regierung erneut auf der Brüsseler Konferenz im Juni 2004 bekräftigt und das entsprechende „Opt-In“ auch in diesem Aspekt verteidigt.475

V. Fazit Aus britischer Sicht lag im Bereich der Kompetenzabgrenzung besonderes Gewicht. Im Gegensatz zu früheren Konferenzen glaubte man hier eine Gelegenheit gefunden zu haben, die ausgreifenden Machtansprüche der Brüsseler Bürokratie in die Schranken weisen zu können. Erstmals sollten Kompetenzen zurück von Unionsebene auf die Mitgliedstaaten übertragen werden. Soweit dies nicht zu erreichen wäre, wurde als Minimalziel angestrebt, einen weiteren Machtverlust einzudämmen. In diesem Zusammenhang drängt sich das „Trauma“ der Factortame-Fälle und der EOC-Rechtsprechung auf. Spätestens seit dieser besteht für die Ausweitung von Gemeinschaftskompetenzen aufgrund der Konfliktlage zur Parliamentary Sovereignty eine besondere Sensibilität.476 Kritisch anzumerken ist aus dieser Sicht die von Teil 1 des Entwurfs angedeutete Klarheit der Kompetenzabgrenzung. Aus dem Blickwinkel, die EU und ihre Rechtsetzung für den Bürger klarer und verständlicher zu gestalten, ist der Entwurf durch die Beibehaltung der wesentlichen Kompetenzregeln in Teil 3 mißlungen. Andererseits hat sich der Konvent bewußt gegen einen starren Kompetenzkatalog und damit für die Beibehaltung des – insoweit ja auch bewährten – dynamischen Konzepts der Verträge entschieden. Durch die gemeinschaftliche Wahrnehmung der Kompetenzen aufgrund Ineinandergreifens von Sachbereichs- und Zielbestimmungen ist eine exakte Aufteilung bzw. Abgrenzung der Zuständigkeiten von Mit474 J. Straw, Fairer, Faster and Firmer – A Modern Approach to Immigration and Asylum, Weißbuch des Innenministeriums (Cm 4018), 1998, para. 2.9; im Internet: http: //www.archive. official-documents.co.uk/document/cm40/4018/chap-2.htm. 475 CIG 84 / 04. 476 Dazu in Teil 2 unter A.II.3.a)bb)(3).

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gliedstaaten und Union dann gar nicht möglich. Insbesondere im Hinblick auf Harmonisierungskompetenzen, wie etwa im Bereich der Binnenmarktkompetenz, hätte dies zur Folge, daß entweder nur noch die Gemeinschaft zuständig wäre oder aber die Mitgliedstaaten, was zu einer „negativen“ Integration führen dürfte.477 Beide Möglichkeiten sind von britischer Seite her aber unerwünscht: die eine, weil eine so weitgehende Kompetenzübertragung schlimmste Albträume Wirklichkeit zu werden verheißt; die andere, weil auch bei Euroskeptikern die Vorteile des gemeinsamen Binnenmarktes geschätzt werden.478 Hier muß daher Transparenz der Effektivität weichen, auch wenn dies teilweise auf Kosten der Bürgernähe gehen mag. Die immerhin prinzipiell ja auch angedeutete Zuordnung bestimmter Kompetenzen im ersten Teil mag hier zumindest teilweise entschädigen. Um ein erfolgreiches Referendum über den Verfassungsvertrag zu erreichen, wird es notwendig sein, die Wähler auf diese Punkte hinzuweisen. Die Schwäche des Entwurfs, keine klare Aufgaben- bzw. Zuständigkeitsaufteilung vornehmen zu können, wird sicherlich von den Gegnern der Verfassung ausgenutzt werden – etwa um zu demonstrieren, wie die Verfassung Zuständigkeiten vernebelt und es den Institutionen weiter vereinfacht, zusätzliche Kompetenzen von den Mitgliedstaaten an sich zu ziehen. Es muß deutlich werden, daß der Entwurf auch in dieser Hinsicht kein „Blueprint for Tyranny“ ist. Dies ist schwer angesichts der gerade im Vereinigten Königreich weit verbreiteten Ansicht, zwischen EU und den Mitgliedstaaten streng zu unterscheiden, durch die Verlagerung von Befugnissen mithin etwas abzugeben und unwiderruflich zu verlieren. Die Aufgabe, die EU näher an die Bürger zu führen, liegt somit nicht allein in den Händen des neuen Verfassungsentwurfs sondern zu einem Großteil eben auch in der Verantwortung der Mitgliedstaaten selbst. Der Verfassungsentwurf bietet den Vorwürfen, das Vereinigte Königreich verliere die Kontrolle über seine Außen- und Verteidigungspolitik, keinerlei Grundlage. Die Bestimmungen zur GASP fußen größtenteils auf einstimmigen Beschlüssen entweder des Europäischen Rates (für die allgemeinen Vorgaben) oder des Ministerrates (für die detaillierte Umsetzung im Einzelfall), so daß ein britisches Veto jederzeit die Entwicklung bremsen könnte (unabhängig davon, inwieweit dies erstrebenswert ist). Noch weniger haltbar sind Vorwürfe, das in Jahrhunderte langer Tradition entwickelte Rechtssystem müsse nunmehr dem kontinentalen weichen. In zivilen Sachen ist das Vereinigte Königreich ausgenommen, für die Vereinheitlichung strafrechtlicher Mindeststandards sieht auch hier der Entwurf Einstimmigkeit vor. Das Amt eines Europäischen Staatsanwalts kann ohne Mitwirkung Großbritanniens nicht eingerichtet werden. Es wird auch nicht zu einem unkontrollierten Zustrom von Einwanderern oder Asylbewerbern kommen. Der Entwurf bietet dazu schon sachlich keine Grundlage und Großbritannien fällt auch Vgl. Ch. Trüe, Das EU-Kompetenzsystem, S. 417 f. Gerade die Galionsfigur des Euroskeptizismus M. Thatcher wurde nicht müde, die Vollendung des gemeinsamen Binnenmarktes zu forcieren; dazu schon in Teil 2 unter B.V. 477 478

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

nicht unter die entsprechenden Vorschriften. Die Regierung hat ihre „Red Tapes“ klug ge- und erfolgreich durchgesetzt. Begrüßenswert ist ferner die Ausdehnung der Entscheidungsbefugnisse des EP auf den Bereich der Justiz- und Innenpolitik. Gerade in der Festlegung von Mindeststandards für Straftatbestände wird hier ein für die individuellen Freiheiten der Unionsbürger elementarer Bereich berührt, der eine parlamentarische Mitwirkung unumgänglich macht.479 Der Konventsentwurf spiegelt dies durch die grundsätzliche Festlegung solcher Standards durch Europäische Gesetze und Rahmengesetze wider, für deren Erlaß die Zustimmung des EP erforderlich ist,480 bzw. grundsätzlich das Mitentscheidungsverfahren gilt,481 Art. I-34 Abs. 1 VVE.

G. Volkes Stimme in Europa – Ein Referendum über den Verfassungsvertrag? Mit Abschluß der Arbeiten des Konvents wurde nunmehr die Frage nach der Umsetzung des erarbeiteten Verfassungsentwurfs aufgeworfen. Als (der Titulierung „Verfassung“ zum Trotz immer noch) völkerrechtlicher Vertrag bedarf die Verfassung der Ratifikation durch die Mitgliedstaaten nach Art. 48 EUV, da durch sie die vertragliche Grundlage der Unionsverträge verändert wird. Diese richtet sich nach den nationalen Verfassungsordnungen. Angesichts der Forderungen der Erklärung von Laeken, die Union ihren Bürgern näher zu bringen, muß man fragen, ob der daraus resultierte Verfassungsvertrag dann nicht auch der Annahme durch die Unionsbürger bedarf. Die Überlegung eines europaweiten einheitlichen Referendums wurde dabei schnell verworfen. Ein solches würde wohl auch der völkerrechtlichen Grundlage des Verfassungsvertrages widersprechen. Statt dessen wurden bereits in einigen Mitgliedstaaten (darunter v.a. Frankreich und die Niederlande mit negativem Ausgang) die Ratifikation begleitende Referenden durchgeführt.482 479 Gleiches gilt für die Ausdehnung der Rechtsprechung des EuGH auf diese Bereiche, ohne welche die in der Grundrechtecharta jetzt als unmittelbar verbrieften Rechte wohl nur bloße Leerformeln geblieben wären. 480 Vgl. etwa Art. III-270 Abs. 1 UAbs. 2; III-273 Abs. 1 UAbs. 2; III-274 Abs. 1 VVE. 481 So z. B. für den Fall des Art. III-272; III-272 Abs. 1 VVE. 482 In Spanien, Frankreich, Niederlande und Luxemburg durchgeführt. Weitere Länder sind Portugal, Dänemark, Polen, Tchechien, Irland. Zu Frankreich und den Niederlanden vgl. FAZ v. 30. Mai 2005, „Der ,politische Unfall‘“ und v. 2. Juni 2005, „Ein klares ,Nee‘zur EUVerfassung“. Für Großbritannien hat Premier T. Blair ein solches Referendum in Aussicht gestellt (dazu mehr weiter unten). Zu Portugal vgl. noch The Times v. 24. Juni 2004, „Referendum in Spain and Portugal“. Spanien hat inzwischen (bei nur geringer Beteiligung) in einer (nach Erklärung des Regierungschefs) lediglich politisch bindenden Volksbefragung der Ratifikation mit deutlicher Mehrheit zugestimmt. Hierzu FAZ v. 21. Februar 2005, „Spanier befürworten EU-Verfassung mit großer Mehrheit“, und v. 22. Februar 2005, „Ja zur Hörensagen-Verfassung“. Zur Frage insgesamt vgl. S. Hölscheidt, Referenden in Europa, S. 737 ff.

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In 20 der damals 25 Mitgliedstaaten sieht die Verfassung die grundsätzliche Möglichkeit von Volksbefragungen oder -abstimmungen vor (davon in 16 auch für die EU-Verfassung), in manchen davon ist dieser Schritt sogar geboten (erinnert sei hier an die Referenden in Dänemark über den Vertrag von Maastricht und Irland über den Vertrag von Nizza). Je nach Verfassungslage können diese Referenden bindenden Charakter483 haben oder in reinen Volksbefragungen ohne Bindungswirkung484 bestehen. Einen Sonderfall bildet Malta, nach dessen Verfassung ein Referendum notwendig ist, sobald sich durch die Übertragung von Hoheitsrechten Änderungen von fundamentalen Verfassungsprinzipien ergeben, die allerdings nach Art. 6 EUV garantiert sind. In den Staaten Estland, Italien und Spanien schließt die Verfassung ein Referendum in internationalen Angelegenheiten ausdrücklich aus, was diese Länder jedoch nicht hinderte, in derartigen Angelegenheiten abstimmen zu lassen.485 Lediglich fünf Mitgliedstaaten (Belgien, Deutschland, Großbritannien, Niederlande und Zypern) haben in ihren Verfassungen keinerlei rechtliche Grundlagen für ein Referendum normiert (für das deutsche GG von den Bestimmungen über die Neugliederung des Bundesgebietes gem. Art. 25 GG einmal abgesehen). Trotzdem haben sich die Niederländer in einem Referendum erfolgreich gegen den Verfassungsvertrag ausgesprochen. In Belgien wurde in der Vergangenheit bereits schon einmal per Referendum abgestimmt und ist dies auch über den Verfassungsvertrag wahrscheinlich486, so daß sich Deutschland und Zypern am Ende der Reihe wiederfinden.487 Fortlaufend soll der Sonderfall Großbritannien näher betrachtet werden.

483 Dies sehen die Verfassungen der zwölf Mitgliedstaaten Dänemark (soweit die geforderte 5 / 6 Mehrheit im Volke nicht zustande kommt, § 20 Dänische Verfassung), Frankreich, Griechenland, Irland, Lettland, Litauen, Polen, Portugal, Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn vor. 484 Luxemburg und Finnland sehen konsultative Befragungen vor, in Österreich und Schweden ist eine solche von der Übertragung von Hoheitsrechten abhängig. 485 Estland stimmte über den EU-Beitritt ab, in Spanien hat die Bevölkerung bereits in einer Befragung zugestimmt. Das italienische Volk wurde im Juni 1989 über eine Europäische Verfassung befragt (damals 88 % Zustimmung); www.european-referendum.org/countries/ italy. html. 486 Premier G. Verhofstadt hat sich für einen Volksentscheid ausgesprochen, vgl. Financial Times Deutschland v. 26. September 2003. 487 Dazu P. Häberle, „Man muß dem Volk trauen können“, Interview im Nordbayerischen Kurier v. 4. August 2004, S. 11. In Deutschland verläuft die Linie zwischen Gegnern und Befürwortern eines Referendums quer durch die Parteien, von denen sich lediglich FDP und PDS uneingeschränkt für eine Volksabstimmung ausgesprochen haben. Als vehemente Gegner standen besonders Bundeskanzler G. Schröder und Außenminister J. Fischer (trotz anderslautender Bestimmungen im Wahlprogramm der GRÜNEN!) auf der Bremse. Von Seiten der Opposition wußten sie A. Merkel sowie E. Stoiber (zunächst Befürworter) und hinter sich.

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

I. Volksabstimmungen als Elemente direkter Demokratie in Großbritannien In Großbritannien wurde begleitend zu den Arbeiten des Konvents und der Regierungskonferenz vornehmlich die Frage über eine mögliche Volksabstimmung diskutiert, während Sachthemen dabei eher in den Hintergrund rückten. Die Überlegung zu einem Referendum ist der britischen Verfassung nicht unbekannt.488 Zwar hatte die konservative Opposition 1911 bereits (vergeblich) um eine Änderung des Parliament Bill angestrebt, um über Gesetze mit verfassungsrechtlichen Bezügen zukünftig das Volk zu befragen. Derartige Fälle sollten dann gegeben sein, wenn die Royal Prerogative oder die Rechte eines der Häuser des Parlaments betroffen sind.489 Referenden erfolgten bis 1972 jedoch ausschließlich auf kommunaler Ebene.490 Nach dem Beitritt Großbritanniens in die EG 1972 ging die Labour-Opposition mit der Ankündigung eines Referendums oder einer Wahl über den Verbleib in den Gemeinschaften 1974 in den Wahlkampf. Diese Wahlen konnte Labour für sich entscheiden und stand nun davor, das Versprechen einzulösen. Die Partei entschied sich gegen Neuwahlen und für ein Referendum zur Frage des Verbleibs in der EG, da die Grenzen zwischen Befürwortern und Gegnern der europäischen Integration quer durch die Parteilinien verliefen: „That is the essence of the case for having a referendum. Only by means of a referendum can we find out whether the British people do or do not consent to our continued membership. A General Election could not give us the answer, because this is an issue within the parties, not between them.“491

Angesichts der Ergebnisse der Neuverhandlungen der Mitgliedschaft empfahl die Regierung eine positive Abstimmung, hatte aber auch erklärt, die Entscheidung des Volkes als bindend zu akzeptieren.492 Am 5. Juni 1975 durfte die britische Be488 Fragen nach einem Referendum wurden erstmals im Zusammenhang mit der Irish Home Rule in den 1890’ern von liberalen Unionisten geäußert (dazu schon in Teil 2 unter A.III.2.). 1930 wurde ein Referendum über Lebensmittelsteuern vorgeschlagen. Zu weiteren Beispielen vgl. Ph. Norton, The Constitution in Flux, S. 213; C. Turpin, The British Government and the Constitution, S. 506 f. A. Duff, The Changing Constitution, S. 110 f. 489 Den Hintergrund bildeten die Bestimmungen des Parliament Bill, durch die ermöglicht werden sollte, ein Veto des House of Lords zukünftig umgehen zu können. 490 1972 erfolgte ein Referendum über die Nordirlandfrage; derartige Fragen über die Autonomie der britischen Nationen (Stichwort: Devolution) bildeten auch später wieder Anlässe für Volksabstimmungen im Königreich; so 1978 und wiederholt 1997 über die Einrichtung eigener Parlamente in Wales und Schottland (vgl. bereits in Teil 2 unter A.III.2.). Im Mai 1998 stimmte die nordirische Bevölkerung über die Bestimmungen des Karfreitagsabkommens und die Londoner Bürger über die Einführung direkter Bürgermeisterwahlen ab. Hierzu noch C. Turpin, British Government and the Constitution, S. 507 f. 491 Lord President und Leader of the House (of Commons) E. Short, HC Deb. v. 11. März 1975, vol. 888, Sp. 292.

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völkerung im bislang einzigen gesamtbritischen Referendum zur folgenden Frage Stellung beziehen:493 „Do you think that the United Kingdom should stay in the European Community (the Common Market)?“

Begründet wurde das Erfordernis eines Referendums mit der fehlenden Legitimation der Vorgängerregierung zum Beitritt des Vereinigten Königreiches. Lediglich Verhandlungen über einen Beitritt seien legitim gewesen, da weitergehende Schritte im Wahlkampf nicht angekündigt gewesen wären. Diesen Fehler solle das Referendum nunmehr heilen.494 Mit 67,2% entschied sich das Volk bei einer Wahlbeteiligung von 65% für den Verbleib in der EG und konnte diese Frage auch immerhin bis 1992 vorerst klären. Mit der Ratifikation des Maastricht-Vertrages tauchte sie dann jedoch erneut im Zusammenhang mit Forderungen nach einer Volksabstimmung wieder auf,495 die 1994 bis zur Gründung einer „Referendum Party“ führten, deren einziges erklärtes Ziel darin bestand, für Fragen der europäischen Integration Referenden zu sichern.496 In nächster Zukunft werden Referenden zu einem Beitritt des Königreiches zur Eurozone und dem Europäischen Verfassungsvertrag erwartet.497 Ein wesentliches Argument für Referenden auf nationaler Ebene ist die „Erziehungsfunktion“ gegenüber der Bevölkerung: Im Gegensatz zu allgemeinen Parlamentswahlen, in denen über ein ganzes Bündel von Entscheidungen abgestimmt wird, bieten Referenden die Möglichkeit der Konzentration auf ein ganz bestimmtes Thema und über entsprechende Aufklärung zur politischen Bildung beizutragen.498 Ferner ist die Abstimmung über den Verbleib in der EG von 1975 das beste Beispiel für einen weiteren Vorteil. In Angelegenheiten, in denen die Regierungspartei tief gespalten ist, können derartige Konflikte durch Volksentscheid ausgetragen werden und helfen, den innerparteilichen Zwist zu überwinden.499 492 Bericht über den Ausgang der Neuverhandlungen der Mitgliedschaft (Cm 6003), para. 153. 493 Zum Referendum 1975 und den jeweiligen Positionen vgl. A. Duff, The Changing Constitution, S. 112 ff. Einen umfassenden Überblick bietet Ph. Goodhart, Full-hearted Consent. 494 Vgl. den Lord President und Leader of the House (of Commons) E. Short, HC Deb. v. 11. März 1975, vol. 888, Sp. 292. 495 So der Parlamentsabgeordnete R. Shepherd, HC Deb. v. 21. Februar 1992, vol. 204, Sp. 581. 496 Zu diesen Entwicklungen vgl. C. Turpin, British Government and the Constitution, S. 508 f. 497 Vgl. T. Blair, Let battle be joined on the European Constitution, Erklärung vor dem House of Commons zum Europäischen Verfassungsentwurf v. 20. April 2004, im Internet: http: //www.labour.org.uk/tbeuconstitution. Einen Überblick über die Entwicklung zur EURO-Frage bietet Lord Haskins, Britain and Europe. 498 Vgl. A. Duff, The Changing Constitution, S. 116; Ph. Norton, The Constitution in Flux, S. 217.

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

Neben der Stärkung zerstrittener Regierungen könnten Referenden aber auch einen gegenteiligen Effekt ausüben und zur Kontrolle der zumeist übermächtigen Regierungen im Parlament beitragen. Aufgrund des britischen Mehrheitswahlrechts stützen sich Regierungen zumeist auf eine stabile absolute Mehrheit ihrer Partei im Parlament. Über die verbindliche Einführung von Referenden für bestimmte sensible Bereiche würde dem Volk ein Mittel in die Hand gegeben, ihre „elected Dictatorship“ stärker unter Kontrolle zu bringen.500 Einen wesentlichen Grundpfeiler der britischen Verfassung stellt das Prinzip der Sovereignty of Parliament dar, die alle Staatsgewalt des Landes im Parlament vereinigt. Das Vereinigte Königreich fußt damit eben nicht auf einer direkten Demokratie. Dieses Grundprinzip stellt damit ein besonderes verfassungsrechtliches Hindernis für die Einführung direktdemokratischer Elemente dar.501 Angesichts der absoluten Souveränität des Parlamentes (im Unterschied zur Volkssouveränität) kann es keine bindenden Referenden geben, zumindest nicht mit Bindungswirkung für das Parlament. Daher werden Referenden immer nur als beratend angesehen, die allenfalls für die Regierung politische Verbindlichkeit entfalten können, das Parlament in seiner Souveränität jedoch unangetastet belassen.502 Praktische Bedenken ergeben sich – allerdings nicht nur als typisch „britische“ – im Hinblick auf die konkrete Durchführung von Volksabstimmungen und -befragungen: kritisch betrachtet werden hiernach die Finanzierung der jeweiligen Lager, die Zuteilung von Werbezeiten in Rundfunk und Fernsehen, die Voraussetzung eines Quorums sowie nicht zuletzt die Einschränkung auf bestimmte Fragen (z. B. verfassungsrechtliche Belange).503 Einige wenige dieser Aspekte werden nunmehr durch den Political Parties, Elections and Referendums Act 2000 (PPER Act) geregelt.504 Als größte Schwierigkeit für nationale Referenden erweist sich mithin die Eingrenzung der Bereiche, über die eine Abstimmung erfolgen soll. Bereits in dem Vorschlag der Conservatives von 1911 wurde vorgeschlagen, nach konstitutionellen und sonstigen Belangen zu unterscheiden. Diese Unterscheidung wurde 1978 durch das Partei Komitee über ein Referendum wiederholt.505 Mangels geschriebe499 Ph. Norton, The Constitution in Flux, S. 217. Kritisch sei hierzu angemerkt, daß für die Lösung derartiger Probleme eigentlich das Kabinettsprinzip Sorge tragen soll. Ein Referendum scheint dagegen mehr ein Fluchtweg für schwache Regierungen zu sein, die nicht auf die Stärke ihrer „Whips“ im Parlament zu vertrauen vermögen. 500 V. Bogdanor, The People and the Party System, S. 69. 501 Dieses Argument wurde bereits von M. Thatcher in den 1970’ern vehement gegen die Einführung verbindlicher Volksabstimmungen zu Felde geführt; s. HC Deb., vol. 888, Sp. 310. Zur damaligen Diskussion vgl. A. Duff, The Changing Constitution, S. 112 ff. 502 Ph. Norton, The Constitution in Flux, S. 217. Ausführlicher zur politischen und rechtlichen Diskussion s. noch Ph. Goodhart, Full-hearted Consent, S. 37 ff. 503 Dazu der Committee on Standards in Public Life, 5th Report (sog. Neill-Kommission), v. Oktober 1998 (Cm 4057-I). 504 Hierzu ausführlich K.D. Ewing, The PPER Act 2000.

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ner Verfassung ergeben sich bei der Abgrenzung dieser Belange allerdings größere Schwierigkeiten. Ohne verbindlichen Katalog für eine derartige Unterscheidung müssen diese Entscheidungen „aus dem Stehgreif“ durch die jeweils Regierenden getroffen werden. Der Einsatz des Referendums wird damit aber zu einer politischen Waffe, die parlamentarische Gegnerschaft „auszumanövrieren“; weniger zu einem Kontrollinstrument über die Exekutive.506 Dieses Problem wird leider auch nicht durch den PPER Act gelöst, der sich hier größtenteils auf die Regelung der finanziellen Ausstattung der Parteien beschränkt. Die Frage nach einem Referendum bleibt in Großbritannien damit eine willkürliche und der aktuellen Regierung überlassene.507 Die Diskussion über eine Volksabstimmung über die Ratifikation des Verfassungsvertrages spiegelt dies wieder.508

II. Ein Referendum über die Verfassung für die EU Aufgrund der Prerogative der Exekutive ist für den Abschluß völkerrechtlicher Verträge grundsätzlich keine parlamentarische Zustimmung erforderlich. Vielmehr muß diese nur erfolgen, um die jeweiligen vertraglichen Bestimmungen in nationales Recht umzusetzen. Dies folgt aus der Doktrin der Parlamentssouveränität. Daher ist auch kein Referendum nötig, um einem völkerrechtlichen Vertrag Geltung zu verschaffen. Für die Ratifizierung des Verfassungsentwurfs, der die Rechte des EP ausweitet, ist allerdings aufgrund des European Elections Act die vorherige Zustimmung des Parlaments erforderlich.509 Sollte der Verfassungsentwurf aber in allen anderen Mitgliedstaaten der EU ratifiziert werden, würde er als neue Verfassung für die EU in Kraft treten, da er aus britischer Sicht bereits ratifiziert wurde – eine Zustimmung des Parlaments mit der (einfachen) Regierungsmehrheit einmal vorausgesetzt. Für das Vereinigte Königreich ergeben sich aus dieser Verfassung aber solange noch keinerlei Konsequenzen, wie sie noch nicht durch Parlamentsgesetz transponiert worden ist. Da ein solches Gesetz sinnigerweise erst nach zustimmendem Bevölkerungsvotum in Kraft treten könnte, besteht die – nach heutigem Stand mit mehrheitlich ablehnender Haltung in der Bevölkerung begründete – Gefahr, daß dies nicht geschehen würde. Da aber die Mitgliedschaft in der EU von der Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen abhängig ist, könnte das Vereinigte Königreich einer EU unter der so verabschiedeten Verfassung nicht beitreten. Mit Inkrafttreten tritt die Verfassung aber ersatzlos an die Stelle der bestehenden Verträge, Art. IV-437 – mit Ausnahme Dazu Ph. Norton, The Constitution in Flux, S. 220. So auch Ph. Norton, The Constitution in Flux, S. 225. 507 Zur Kritik vgl. auch House of Lords Select Committee on the Constitution, 9th Report (The Future of Europe: Constitutional Treaty – Draft Articles 1 – 16), HL 168 (2002 – 03), S. 46 f. (Prof. R. Brazier). 508 s. P. Birkinshaw, British Report, S. 219 ff. 509 Dazu schon oben unter B.II.1. 505 506

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

des EURATOM-Vertrages510. Das Vereinigte Königreich würde faktisch aus der EU austreten. Die Abstimmung über den Verfassungsentwurf kommt damit einem Votum über den Verbleib in der EU gleich. Die konservative Opposition hatte die Frage nach einem Referendum schnell für sich reklamiert und forderte vehement eine Volksabstimmung über die Ratifizierung des Verfassungsvertrages. Das tragende Argument auf dieser Seite bildete der Vorwurf, die Regierung verschleiere die Bedeutung des Dokumentes, welches die EU in einen föderalen Superstaat umwandle und damit grundlegende Veränderungen im Verhältnis Großbritanniens zur Union und im nationalen verfassungsrechtlichen Rahmen mit sich brächte:511 „What the P[rime] M[inister] will be facing tomorrow is not a ,tidying up‘ exercise. It is not a mere consolidation of existing treaties. It is what the Belgian Prime Minister has described as the ,capstone‘ of a ,federal state‘.“512

Gestützt wurden diese Vorwürfe durch die Boulevard-Presse der Tabloids, angeführt von der Daily Mail. Sie führte gar ein eigenes Referendum über die Forderung nach einem Referendum durch – wenngleich dieses aufgrund seiner Durchführungsweise scharfer Kritik standhalten mußte.513 Bis zum Frühjahr 2004 wurde die Regierung nicht müde zu erklären, es werde kein Referendum über den Verfassungsvertrag geben.514 Als wesentliches Argument wurde immer wieder die geringe Reichweite der Änderungen durch ein solches Dokument an der aktuellen Rechtslage genannt. Im Gegensatz zum Vertrag von Maastricht, für den die Opposition in damaliger Regierungsverantwortung ein Referendum abgelehnt hatte, falle eine Bilanz des Verfassungsvertrages weniger integrationistisch aus: „On any analysis [ . . . ] Maastricht represented a more significant change in the powers of the Union and its institutions than the current draft Treaty. Maastricht enshrined commitments to a single European currency and a Common Foreign and Security Policy; and it introduced major new Treaty provisions subject to QMV.

510 Hierüber trifft das Protokoll zur Änderung des EURATOM-Vertrages entsprechende Regelungen. 511 Beispielhaft M. Phillips, Daily Mail v. 29. März 2004: „The constitution will destroy our power to govern ourselves [ . . . ]. [It will] dismantle Britain as a functioning nation state“. D. Heathcoat-Amory, The European Constitution, S. 35 f. Vgl. auch The Guardian v. 17. Juni 2003, „Eurosceptic Tories ,inspired by Chamberlain‘“, und 18. Juni 2003, „EU constitution ,no threat to UK identity‘“. 512 M. Ancram, Außenminister im Schattenkabinett der Konservativen Partei, in einer Debatte zur Europapolitik im House of Commons v. 16. Juni 2004; im Internet: http: //www. conservatives.com/news/article.cfm?obj_id=106937&CFID=1503266&CFTOKEN=88925482. 513 Dazu The Guardian v. 13. Juni 2003, „Vote early, vote often“. 514 s. zuletzt T. Blair in einem Interview auf dem Europäischen Rat von Brüssel v. 26. März 2004, im Internet: http: //www.number-10.gov.uk/output/Page5589.asp#. Eine Dokumentation findet sich in The Guardian v. 19. April 2004, „Anatomy of a U-turn“.

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[ . . . ] The draft constitutional treaty drawn up by the Convention contains far fewer new integrationist measures. Indeed, as the House of Lords EU Committee has recognised, the text seeks to strengthen the role of the Member States. It states explicitly for the first time that competences not conferred upon the Union by the Member States remain with them. Article I.5.1 of the draft specifies that the ,Union shall respect the national identities of the Member States, inherent in their fundamental structures, political and constitutional, inclusive of regional and self-government.‘ Hardly the language of political union.“515

Die Bestimmungen des Verfassungsvertrages stellten mehr eine Konsolidierung denn eine weitreichende Reform des Europäischen Primärrechts dar und beließen das Verhältnis zwischen Vereinigtem Königreich und EU im Grunde genommen unverändert: „We are negotiating [ . . . ] a treaty which sets out clearly the framework of an effective Europe of nation states, acting only where its member states have conferred power upon it, and able to function more efficiently. Parliament has been involved in this process to an unprecedented degree. And it will be for Parliament to decide whether or not this Treaty becomes part of British law.“516

Ein Referendum sei aus der verfassungsrechtlichen Übung aber nur für solche Fälle vorgesehen, in denen sich grundlegende Veränderungen im konstitutionellen Gefüge ergäben,517 etwa durch Beitritt zu einer neuen Organisation, nicht aber für Reformen einer bestehenden Mitgliedschaft: „In practice in the UK we have held a referendum when creating or joining a new institution, not on when reform to an existing institution of which we are a member is taking place. So it was right for there to be a referendum on whether to stay in or leave the EU, and on whether to replace the pound sterling with the euro. Equally, the previous Government were right to resist Referenda on the major constitutional treaty changes to the Single European Act and the Maastricht Treaty. The proposals in the current draft Treaty do not change the fundamental relationship between the EU and its Member States; and on any analysis it involves less change than that in Maastricht and the Single European Act. The Government has therefore concluded that the right place to decide on any outcome of the IGC is here in this House and in this Parliament.“ 518

Im Gegensatz zu den Debatten in der Vergangenheit bildete damit erstmals nicht mehr die Frage nach einer Zulässigkeit eines nationalen Referendums den Hauptstreitpunkt. Die Zulässigkeit dieses Instrumentes wurde vielmehr stillschweigend von allen Seiten akzeptiert, wodurch sich das Vereinigte Königreich endgültig direktdemokratischen Mitteln geöffnet haben dürfte. Dreh- und Angelpunkt der Diskussion bildete nunmehr die Diskussion über die Inhalte des Verfassungsent515 Eröffnungsrede von J. Straw im House of Commons in einer Debatte über den Verfassungsvertrag v. 16. September 2003; im Internet: http: //www.fco.gov.uk. 516 J. Straw im House of Commons in einer Debatte über ein Referendum über den Verfassungsvertrag v. 30. März 2004; im Internet: http: //www.fco.gov.uk. 517 Vgl. das Weißbuch „A Constitutional Treaty for the EU“ (Cm 5934), S. 23. 518 J. Straw, A Constitutional Treaty for the EU – The UK’s Approach, Erklärung im House of Commons v. 9. September 2003.

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

wurfes und ihre rechtliche Bedeutung. Wie stark wird die Verfassung des Vereinigten Königreiches in ihren Grundfesten erschüttert? Inwiefern verliert das Parlament in Westminster weitere wichtige Bereiche seiner ansonsten durch die Unionsrechtsordnung schon stark unterminierten Souveränität? Im Kern kristallisierte sich als Streitpunkt die Frage heraus, ob das Vereinigte Königreich seine internationale Souveränität zugunsten der Union verlieren würde, ob es als kleine unbedeutende Provinz in einem „Europäischen Superstaat“ unterginge.519 Die insbesondere durch den Befreiungskrieg im Irak angeheizte europaskeptische Stimmung in der britischen Opposition und den Medien, gepaart mit der Propaganda, durch den Verfassungsentwurf sei die britische Souveränität einer massiven Erosion unterworfen, ließ den Druck auf die Regierung für ein Referendum über den Verfassungsentwurf stetig ansteigen.520 Als der Lord President of the Council E. Short 1975 sich für ein Referendum über den Verbleib des Königreiches in der EG ausgesprochen hatte, überließ er dem Volk „das letzte Wort“.521 Im April 2004 gab T. Blair dem Druck schließlich nach und erklärte ebenfalls: „ [ . . . ] Then let the people have the final say. The electorate should be asked for their opinion when all our questions have been answered, when all the details are known, when the legislation has been finally tempered and scrutinised in the House, and when Parliament has debated and decided.“522

Begründet wurde dieser Schritt mit der Notwendigkeit, Mißverständnisse über die Verfassung aus dem Weg räumen zu wollen. Keinesfalls wurde der Opposition in ihrer Auffassung nachgegeben, der Verfassungsentwurf enthalte Neuerungen, die das Verhältnis zwischen Großbritannien und der Union grundlegend änderten: „ [ . . . ] we did not believe and we still do not believe a referendum was merited on the base that it changed fundamentally the relationship between the United Kingdom and member states. Let’s be clear about that. But we do believe that a referendum is now needed in order to break through the myths and distortions about what is in this document so we can, if you like, establish a new commitment between the British elector voter and the European Union about our future within Europe.“523

519 Vgl. nur einige der sog. „Myths“, die von den Gegnern des Verfassungsentwurfs immer wieder gestreut wurden, in der Rede T. Blairs vor dem House of Commons v. 20. April 2004: Umbenennung der EU in „Vereinigte Staaten von Europa“, Ablösung der Queen als Staatsoberhaupt durch den Präsidenten des Rates, Beitrittszwang zur Eurozone, Verlust des UN-Sicherheitsratssitzes, etc. 520 Vgl. Lord Haskins, Britain and Europe, S. 10. 521 HC Deb. v. 11. März 1975, vol. 888, Sp. 292. 522 T. Blair, Let battle be joined on the European Constitution, Erklärung des Premierministers über die Europäische Verfassung im House of Commons v. 20 April 2004; im Internet: http: //www.labour.org.uk/tbeuconstitution. 523 J. Straw in einem Interview v. 20. April 2004; im Internet: http: //www.fco.gov.uk/ servlet/Front?pagename=OpenMarket/Xcelerate/ShowPage&c=Page&cid=1007029391629 &aid=1079979 753555.

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Die Regierung hatte sich damit buchstäblich um 180o gewendet und entschlossen, in die Offensive zu gehen. Diese plötzliche Entscheidung muß aber wohl vor dem Hintergrund der damals bevorstehenden Parlamentswahlen im Mai 2005 gesehen werden. Das Referendum war damit mehr Instrument, die Opposition auszumanövrieren und ihrer bislang stärksten Waffe zu berauben. Weniger bedeutsam mag die Einsicht gewesen sein, aus verfassungsrechtlichen Gründen sei hier eine Mitsprache der Bevölkerung über die Zukunft ihres Landes in der Europäischen Union wünschenswert.524

III. Fazit In Deutschland wird als wesentliches Argument gegen eine Volksbefragung neben rechtlichen Erwägungen (für ein verbindliches Referendum wäre eine GGÄnderung notwendig) besonders die Wahl zum EP im Juni 2004 angebracht, welche die Arbeit des Konvents im Nachhinein nachdrücklich autorisiert habe.525 Hier wird eine Parallele zur Verabschiedung des deutschen GG offenbar, über welches (trotz anderslautender Formulierung in der Präambel!) die Bevölkerung Deutschlands nicht unmittelbar abstimmungsberechtigt war. Die notwendige Legitimation sei damals aber über die ersten Wahlen zum Deutschen Bundestag erzielt worden. Eine solche Parallele vernebelt allerdings den deutlichen Unterschied allein schon in der Wahlbeteiligung. Diese lag für das EP im Juni 2004 bei nicht einmal 50%! Von einer Zustimmung der Bevölkerung zu den Arbeiten des Konvents kann dabei wohl kaum gesprochen werden, zumal die zukünftige Verfassung von den jeweiligen Parteien nur unzureichend bis gar nicht thematisiert worden war. In einer solchen Situation von einer mittelbaren Abstimmung über den Verfassungsvertrag zu reden, erscheint schon fast zynisch bis verhöhnend. Die Angst der Politik, europafeindliche Strömungen könnten eine solche Abstimmung für ihre Ziele mißbrauchen, darf nicht als Ausrede dienen, das Volk in europäischen Angelegenheiten unmündig zu halten. Ein „Wahlkampf“ zugunsten der Verfassung könnte im Gegenteil endlich die notwendige europäische Öffentlichkeit in Deutschland herstellen und die Forderungen der Erklärung von Laeken umsetzen, das Volk näher an Europa zu führen. Politische Unfähigkeit, den an manchen Stellen komplizierten und dem Laien nur schwer zugänglichen Text verständlich zu machen, kann und darf aber nicht als Entschuldigung dafür dienen, dem Bürger „sein“ Stück Europa vorzuenthalten. Aus Gründen der Legitimation ist ein Referendum daher dringend erforderlich.526 524 Vgl. auch FAZ v. 20. April 2004 („Rauchende Spuren“); The Times v. 26. April 2004, „Hurrah! With one giant U-turn we are free“. 525 Zu einem Referendum aus deutscher Sicht vgl. H. Hofmann, Verfassungsrechtliche Auswirkungen der Ergebnisse des Verfassungskonvents. 526 Aus Sicht J. Habermas ist ein Referendum erforderlich für die „Katalysator-Wirkung“ der Verfassung für den Umbau Europas in einen Staat und die damit einkehrende Erhöhung der Legitimation. Vgl. ders., Why Europe needs a Constitution, S. 17.

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3. Teil: Wesentliche Problempunkte der Konventsarbeit

Zu loben ist aus dieser Perspektive der Mut der britischen Regierung, in Zeiten, in denen eher die Europaskepsis überwiegt, ein Referendum entgegen der zunächst gewonnenen Überzeugung anzukündigen – auch wenn dies angesichts des recht langen Zwischenraums eher verhalten geschieht. Der Ausgang hängt aber auch nicht zuletzt von der genauen Fragestellung ab, bzw. ob mit dem Referendum zugleich über Eurobeitritt und Verfassung abgestimmt wird. So mancher forderte gar die Mitgliedschaft in der EU als solche zur Disposition zu stellen, um quasi die Bevölkerung mit einem „Alles oder Nichts“ zu konfrontieren.527 Ganz so weit ist die Regierung aber nicht gegangen. Nach Zustimmung der Electoral Commission soll dem britischen Volk jetzt folgende Frage zur Entscheidung vorgelegt werden: „Should the United Kingdom approve the treaty establishing a constitution for the European Union?“528

Interessant sind die Parallelen, die sich zu dem Referendum von 1975 auftun. Hier wie dort verlaufen die Grenzen zwischen Anhängern und Gegnern quer durch die Partei, wenngleich nicht in so starker Ausprägung – die Gegner befinden sich in der klaren Minderheit. Dennoch wird auch dieser Tage zu entscheiden sein, ob das Prinzip der Collective Responsibility die Regierung zu einer geschlossenen Stellungnahme für oder gegen eine Zustimmung bewegen wird, oder ob – wie 1975 – jedem Minister die Unterstützung der einen oder der anderen Seite freistehen wird.529

527 Lord Haskins, Britain and Europe, S. 15. s. ferner The Times v. 24. Juni 2004, „Ministers want dual vote on EU and Euro“. 528 Dazu The Guardian v. 3. Februar 2005, „Electoral Commission approves EU referendum question“; im Internet: http: //politics.guardian.co.uk/eu/story/0,9061,1404986,00.html; v. 4. Februar 2006, „What ever happened to the EU Constitution referendum?“. 529 Vgl. The Times v. 4. Mai 2004, „Party line ,has no place in EU vote‘“.

Vierter Teil

Zusammenfassung und Ergebnis Ziel dieser Arbeit war die Bewertung der Konventsarbeit von einer britischen Position aus. Dabei beeinflussen die politischen und verfassungsrechtlichen Hintergründe nachhaltig das Verhältnis Großbritanniens zur EU. Sehr stark in den Vordergrund tritt hierbei das Prinzip der Parlamentssouveränität, gleichwohl zumindest zu hinterfragen ist, inwiefern es überhaupt noch unangefochten existent ist. Schon in der Vergangenheit wurde hierdurch immer wieder der britische Integrationswille in Frage gestellt. Von politischer Seite her ist ein Paradigmenwechsel in der Europapolitik seit Beitritt Großbritanniens zu den EG zu beobachten. Statt bewußter Obstruktion – wie noch zu Zeiten M. Thatchers üblich – brachten sich die britischen Konventsmitglieder in konstruktiver Weise in die Arbeiten dieses Gremiums ein und konnten sogar einige „britische“ Forderungen durchsetzen. Das britische Konventsmitglied P. Hain hatte in Bezug auf die Arbeit des Konvents folgende Ziele geäußert: „So we want reforms to address Europe’s delivery deficit, our lack of democratic accountability and the growing gap between Europe’s institutions and its citizens. That is our challenge. And it means: – stronger institutions – but with the balance between them maintained; – stronger instruments to deliver our objectives – but retaining a diversity of means of cooperation to reflect the evolving needs of the modern world; – clearer and simpler Treaties – but retaining the crucial checks and balances we have negotiated over the years; – a more open way of working – but not at the expense of our ability to negotiate and reach agreement.“1

Die Herangehensweise der britischen Regierung an die Regierungskonferenz 2003 / 04 unterstreicht die Bedeutung, die dem Ergebnis dieser Arbeiten beigemessen wurde. Bereits das zu diesem Anlaß herausgegebene Weißbuch verdeutlichte, wie die Regierung den Entwurf beurteilte: als Verfassungsvertrag für die EU („A Constitutional Treaty for the EU“). Gleiches gilt für die Präsentation des Weißbuchs vor dem House of Commons durch den Außenminister J. Straw: 1 P. Hain, A New Constitutional Order For Europe, Rede im Europäischen Konvent v. 21. März 2002 in Brüssel, im Internet: http: //europa.eu.int/futurum/documents/speech/ sp200303_en.pdf.

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4. Teil: Zusammenfassung und Ergebnis

„The proposals in the current draft Treaty do not change the fundamental relationship between the EU and its Member States; and in any analysis it involves less change than in Maastricht and the Single European Act.“2

Diese Einschätzung trifft zu, soweit man den Blick auf die Übertragung neuer Kompetenzen auf die EU zum Maßstab erhebt. In dieser Hinsicht hat selbst ein britischer Euroskeptiker wohl nur wenig zu befürchten. Sogar die Einbeziehung der GASP und der PJZS in die supranationale „erste Säule“ der Union durch die Auflösung der Säulenstruktur hat hier zu wenigen Änderungen geführt. Die befürchtete Transformation der EU in „a federal superstate“ ist ausgeblieben. Statt dessen ist der Konventsentwurf, verglichen mit der Agenda für die Regierungskonferenz wie mit den im Rahmen des Post-Nizza-Prozesses gesetzten Zielen, „good news for Britain“. Dies gilt in besonderem Maße für die konsolidierte Fassung vom Oktober 2004. In vielen Punkten stärkt der Konventsentwurf die Rolle der nationalen Parlamente und damit die demokratische Legitimität der Union. Zugleich trägt er damit eben auch der immer noch vehement verteidigten Parlamentssouveränität in Großbritannien Rechnung. Auch wurden in puncto Transparenz wichtige Änderungen durchgesetzt und die „Red Tape Issues“ weitgehend verteidigt. Der Konvent hat die Bedeutung der Nationalstaaten für die Union verdeutlicht und sie im Verfassungsentwurf in einer „Union der Nationalstaaten“ verankert. Das Legitimationsraster der Union hat sich, begünstigt durch den Beitritt neuer Mitglieder und die Ausweitung der Verantwortung der nationalen Parlamente, in eine intergouvernementale Richtung bewegt. Trotz Ausweitung der Entscheidungsbefugnisse des EP – das Mitentscheidungsverfahren wird zum Regelfall – ist mit der Stärkung des Europäischen Rates durch Verstetigung des Vorsitzes durch Wahl eines Präsidenten ein wesentliches intergouvernementales Element gestärkt worden. Auch die ambivalente Funktion des zukünftigen Europäischen Außenministers trägt hierzu bei. Die neue Herangehensweise der New Labour Regierung an Verhandlungen auf europäischer Ebene ist einmal mehr aufgegangen und hat Großbritannien zurück „at the heart of Europe“ geführt. Erfreulich ist, daß sich zahlreiche Regierungen in den Mitgliedstaaten dazu entschlossen haben, die Ratifizierung des Dokumentes von dem Ausgang eines Referendums abhängig zu machen, welches je nach Mitgliedstaat anderen Regeln, insbesondere über dessen Verbindlichkeit, unterworfen ist. Ein solches „end of process“-Referendum bietet allerdings nur eine eingeschränkte Garantie für echte Bürgerbeteiligung. Es eröffnet lediglich Gegnern des Projektes ein Veto-Instrument, das Inkrafttreten dieses Verfassungsvertrages zu verhindern. Auf Verfahren und inhaltliche Gestaltung dagegen konnte der Bürger über das Konventsforum nur begrenzt Einfluß nehmen. Von einem solchen Stand2 Abgedruckt im Internet unter http: //www.guardian.co.uk/eu/story/0,7369,1038659,00. html.

4. Teil: Zusammenfassung und Ergebnis

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punkt aus wären mehrere Referenden zu begrüßen gewesen, die eine Bürgerbeteiligung in unterschiedlichen Phasen der Konstitutionalisierung hätten sicherstellen können. Zunächst hätte also prinzipiell nach der Verfassungsfrage gefragt werden müssen, anschließend zu dem entsprechenden Verfahren der Verfassunggebung und erst dann inhaltlich zu bestimmten einzubeziehenden Prinzipien und Regelungsgegenständen.3 Angesichts der Ablehnung vieler Mitgliedstaaten – allen voran die Bundesrepublik Deutschland – war hier aber wohl Zurückhaltung geboten.4 Der Ausgang des Referendums auf der britischen Insel ist im Augenblick nicht klar vorauszusagen.5 Trotz der auch „britischen“ Züge des Entwurfs ist das Lager der Verfassungsgegner groß. Ironischerweise stellen diese gerade darauf ab, der Entwurf werfe zu viele kontinentale, besonders französische, integrationistische Züge auf.6 Den Charakter der zukünftigen Union beurteilt der britische Außenminister J. Straw dagegen wie folgt: „In terms of the negotiations and discussions, it is interesting that those who are tied to a federal agenda, which includes quite a number who have served in the Commission, can see that the prospect of an ever-closer federal superstate is receding rather than coming into the foreground. The simple fact of having 25 member states with different interests and concerns, eight of which are new nations and are simply not going to offer up their hard-fought nationhood into some federal superstate, is, in practice, making the Union rather more intergovernmental. That situation will also have a price in terms of decision making, and that is why over the years, going back to the mid–1980s, we have accepted that, as expansion takes place and the single market deepens, which is in our favour, there must be a means by which a large majority [ . . . ] can make decisions in its interests against a veto of a tiny minority, except when that tiny minority’s crucial national interests are affected.“7

Er tritt damit einer Urangst der Briten entgegen, wonach sich die Union in einen „föderalen Superstaat“ verwandeln könnte, in welchem sich das Vereinigte KönigS. Boyron, Drafting a Constitution, S. 193 f. Problematisch an einem solchen Verfahren mutet auch an, wie die einzelstaatlichen Entscheidungen zu koordinieren gewesen wären. Dies hätte wohl nur durch einheitliches europäisches Referendum geschehen können, für welches die Zeit im Augenblick aber noch nicht reif sein dürfte. 5 Eine besondere Rolle im Ausgang des Referendums mag auch die Frage nach einem Beitritt Großbritanniens zur Euro-Zone spielen. Dieses Problem schwebt ziemlich auf gleicher Höhe mit dem nach der Ratifizierung des Verfassungsentwurfs im Raum. Teilweise wurde an eine Verknüpfung der beiden Fragen in einem Referendum nachgedacht; vgl. Lord Haskins, Britain and Europe, S. 14 f. In einem solchen Fall ist der Ausgang wohl noch ungewisser, zu befürchten wäre aber angesichts des Vertrauensverlustes des EURO im Zuge der Aufweichungen des Stabilitätspaktes ein negatives Ergebnis. 6 The Guardian v. 11. Februar 2005, „UK: Will Blair have the last laugh?“; im Internet: http: //politics.guardian.co.uk/eu/story/0,9061,1410597,00.html. 7 HC Standing Committee Debates 2003 Sp. 56 (pt. 14, The Future of Europe), im Internet: http: //www.publications.parliament.uk/pa/cm200203/cmstand/other/st031110/31110s04.htm. 3 4

18 Hupka

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4. Teil: Zusammenfassung und Ergebnis

reich als marginalisierte Provinz wiederfände. Es bleibt abzuwarten, ob es den Befürwortern des Verfassungsvertrages gelingen wird, dessen britische Akzente in den Vordergrund zu stellen – solche finden sich im Verfassungsvertrag an zahlreichen Stellen – und die „Mythen“ erfolgreich zu bekämpfen.8 Grund genug dafür besteht allemal, konnte doch gezeigt werden, daß aus britischer Sicht das Ergebnis der Arbeiten von Konvent und Europäischem Rat Zustimmung verdient.

8 In Londoner Diplomatenkreisen werden bereits Witze erzählt, die diesem Umstand Rechnung tragen. So wird vorgeschlagen, französische Kritiker sollten gezwungen werden, in Großbritannien mit ihren Argumenten für eine Ablehnung zu werben, da die Verfassung „zu britisch“ und nicht föderalistisch genug sei. Gleichzeitig sollten britische Euroskeptiker nach Frankreich geschickt werden, um dort für eine Nein-Stimme zu werben, weil die Verfassung zu sehr französische integrationistische Züge trage. Auf diese Weise könnten sich die Skeptiker gegenseitig neutralisieren. The Guardian v. 11. Februar 2005, „UK: Will Blair have the last laugh?“; im Internet: http: //politics.guardian.co.uk/eu/story/0,9061,1410597,00. html.

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Reden zur europäischen Einigung I. Winston Churchill: Rede an die akademische Jugend in Zürich (19. 09. 1946) Mr. President, Ladies and Gentlemen, I am honored to-day by being received in your ancient university and by the address which had been given to me on your behalf and which I greatly value. I wish to speak to you to-day about the tragedy of Europe. This noble continent, comprising on the whole the fairest and the most cultivated regions of the earth, enjoying a temperate and equable climate, is the home of all the great parent races of the western world. It is the fountain of Christian faith and Christian ethics. It is the origin of most of the culture, the arts, philosophy and science both of ancient and modern time. If Europe were once united in the sharing of its common inheritance, there would be no limit to the happiness, to the prosperity and the glory which its three or four million people would enjoy. Yet it is from Europe that have sprung that series of frightful nationalistic quarrels, originated by the Teutonic nations in their rise to power, which we have seen in this twentieth century and even in our own lifetime, wreck the peace and mar the prospects of all mankind. And what is the plight to which Europe has been reduced? Some of the smaller States have indeed made a good recovery, but over wide areas a vast quivering mass of tormented, hungry, care-worn and bewildered human beings gape at the ruins of their cities and their homes, and scan the dark horizons for the approach of some new peril, tyranny or terror. Among the victors there is a babel of voices; among the vanquished the sullen silence of despair. That is all that Europeans, grouped in so many ancient states and nations, that is all that the Germanic races have got by tearing each other to pieces and spreading havoc far and wide. Indeed but for the fact that the great Republic across the Atlantic Ocean has at length realized that the ruin or enslavement of Europe would involve their own fate as well, and has stretched out hands of succor and of guidance, but for that the Dark Ages would have returned in all their cruelty and squalor. Gentlemen, they may still return. Yet all the while there is a remedy which, if it were generally and spontaneously adopted by the great majority of people in many lands, would as if by a miracle transform the whole scene, and would in a few years make all Europe, or the greater part of it, as free and as happy as Switzerland is to-day. What is this sovereign remedy? It is to re-create the European Family, or as much of it as we can, and to provide it with a structure under which it can dwell in peace, in safety and in freedom. We must build a kind of United States of Europe. In this way only will hundreds of millions of toilers be able to regain the simple joys and hopes which make life worth living. The process is simple. All that is needed is the resolve of hundreds of millions of men and women to do right instead of wrong and to gain as their reward blessing instead of cursing. 18*

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Much work, Ladies and Gentlemen, has been done upon this task by the exertions of the Pan-European Union which owes so much to Count Coudenhove-Kalergi and which commanded the services of the famous French patriot and statesman Aristide Briand. There is also that immense body of doctrine and procedure, which was brought into being amid high hopes after the first world war. I mean the League of Nations. The League of Nations did not fail because of its principles or conceptions. It failed because these principles were deserted by those States who had brought it into being. It failed because the governments of those days feared to face the facts, and act while time remained. This disaster must not be repeated. There is therefore much knowledge and material with which to build; and also bitter dear bought experience to stir the builders. I was very glad to read in the newspapers two days ago that my friend President Truman had expressed his interest and sympathy with this great design. There is no reason why a regional organization of Europe should in any way conflict with the world organization of the United Nations. On the contrary, I believe that the larger synthesis will only survive if it is founded upon coherent natural groupings. There is already a natural grouping in the western hemisphere. We British have our own Commonwealth of Nations. These do not weaken, on the contrary they strengthen, the world organization. They are in fact its main support. And why should there not be a European group which could give a sense of enlarged patriotism and common citizenship to the distracted peoples of this turbulent and mighty continent? And why should it not take its rightful place with other great groupings and help to shape the onward destinies of men? In order that this should be accomplished there must be an act of faith in which millions of families speaking many languages must consciously take part. We all know that the two world wars through which we have passed arose out of the vain passion of a newly-united Germany to play the dominating part in the world. In this last struggle crimes and massacres have been committed for which there is no parallel since the invasion of the Mongols in the fourteenth century and no equal at any time in human history. The guilty must be punished. Germany must be deprived of the power to rearm and make another aggressive war. But when all this has been done, as it will be done, as it is being done, then there must be an end to retribution. There must be what Mr. Gladstone many years ago called „a blessed act of oblivion“. We must all turn our backs upon the horrors of the past. We must look to the future. We cannot afford to drag forward across the years that are to come the hatreds and revenges which have sprung from the injuries of the past. If Europe is to be saved from infinite misery, and indeed from final doom, there must be this act of faith in the European Family and this act of oblivion against all the crimes and follies of the past. Can the free peoples of Europe rise to the height of these resolves of the soul and of the instincts of the spirit of man? If they can, the wrongs and injuries which have been inflicted will have been washed away on all sides by the miseries which have been endured. Is there any need for further floods of agony? Is the only lesson of history to be that mankind is unreachable? Let there be justice, mercy and freedom. The peoples have only to will it, and all will achieve their hearts’ desire. I am now going to say something that will astonish you. The first step in the re-creation of the European Family must be a partnership between France and Germany. In this way only can France recover the moral and cultural leadership of Europe. There can be no revival of Europe without a spiritually great France and a spiritually great Germany. The structure of the United States of Europe, if well and truly built, will be such as to make the material strength of a single state less important. Small nations will count as much as large ones and gain their honor by their contribution to the common cause. The ancient states and principali-

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ties of Germany, freely joined together for mutual convenience in a federal system, might take their individual places among the United States of Europe. I shall not try to make a detailed programme for hundreds of millions of people who want to be happy and free, prosperous and safe, who wish to enjoy the four freedoms of which the great President Roosevelt spoke, and live in accordance with the principles embodied in the Atlantic Charter. If this is their wish, if this is the wish of the Europeans in so many lands, they have only to say so, and means can certainly be found, and machinery erected, to carry that wish to full fruition. But I must give you a warning. Time may be short. At present there is a breathing-space. The cannons have ceased firing. The fighting has stopped; but the dangers have not stopped. If we are to form the United States of Europe, or whatever name it may take, we must begin now. In these present days we dwell strangely and precariously under the shield, and I will even say protection, of the atomic bomb. The atomic bomb is still only in the hands of a state and nation which we know will never use it except in the cause of right and freedom. But it may well be that in a few years this awful agency of destruction will be widespread and the catastrophe following from its use by several warring nations will not only bring to an end all that we call civilization, but may possibly desintegrate the globe itself. I must now sum up the propositions which are before you. Our constant aim must be to build and fortify the strength of the United Nations Organization. Under and within that world concept we must re-create the European Family in a regional structure called, it may be, the United States of Europe. And the first practical step would be to form a Council of Europe. If at first all the States of Europe are not willing or able to join the Union, we must nevertheless proceed to assemble and combine those who will and those who can. The salvation of the common people of every race and of every land from war or servitude must be established on solid foundations and must be guarded by the readiness of all men and women to die rather than submit to tyranny. In all this urgent work, France and Germany must take the lead together. Great Britain, the British Commonwealth of Nations, mighty America and I trust Soviet Russia-for then indeed all would be well-must be the friends and sponsors of the new Europe and must champion its right to live and shine. Therefore I say to you: let Europe arise!

II. Margaret Thatcher: Rede im Europa-Kolleg in Brügge (20. 09. 1988) Prime Minister, Rector, Your Excellencies, Ladies and Gentlemen: First, may I thank you for giving me the opportunity to return to Bruges and in very different circumstances from my last visit shortly after the Zeebrugge Ferry disaster, when Belgian courage and the devotion of your doctors and nurses saved so many British lives. And second, may I say what a pleasure it is to speak at the College of Europe under the distinguished leadership of its [Professor Lukaszewski ] Rector. The College plays a vital and increasingly important part in the life of the European Community. And third, may I also thank you for inviting me to deliver my address in this magnificent hall. What better place to speak of Europe’s future than a building which so gloriously recalls the greatness that Europe had already achieved over 600 years ago. Your city of Bruges has

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many other historical associations for us in Britain. Geoffrey Chaucer was a frequent visitor here. And the first book to be printed in the English language was produced here in Bruges by William Caxton.

Britain and Europe Mr. Chairman, you have invited me to speak on the subject of Britain and Europe. Perhaps I should congratulate you on your courage. If you believe some of the things said and written about my views on Europe, it must seem rather like inviting Genghis Khan to speak on the virtues of peaceful coexistence! I want to start by disposing of some myths about my country, Britain, and its relationship with Europe and to do that, I must say something about the identity of Europe itself. Europe is not the creation of the Treaty of Rome. Nor is the European idea the property of any group or institution. We British are as much heirs to the legacy of European culture as any other nation. Our links to the rest of Europe, the continent of Europe, have been the dominant factor in our history. For three hundred years, we were part of the Roman Empire and our maps still trace the straight lines of the roads the Romans built. Our ancestors – Celts, Saxons, Danes – came from the Continent.[fo 1] Our nation was – in that favourite Community word – „restructured“ under the Norman and Angevin rule in the eleventh and twelfth centuries. This year, we celebrate the three hundredth anniversary of the glorious revolution in which the British crown passed to Prince William of Orange and Queen Mary. Visit the great churches and cathedrals of Britain, read our literature and listen to our language: all bear witness to the cultural riches which we have drawn from Europe and other Europeans from us. We in Britain are rightly proud of the way in which, since Magna Carta in the year 1215, we have pioneered and developed representative institutions to stand as bastions of freedom. And proud too of the way in which for centuries Britain was a home for people from the rest of Europe who sought sanctuary from tyranny. But we know that without the European legacy of political ideas we could not have achieved as much as we did. From classical and mediaeval thought we have borrowed that concept of the rule of law which marks out a civilised society from barbarism. And on that idea of Christendom, to which the Rector referred – Christendom for long synonymous with Europe – with its recognition of the unique and spiritual nature of the individual, on that idea, we still base our belief in personal liberty and other human rights. Too often, the history of Europe is described as a series of interminable wars and quarrels. Yet from our perspective today surely what strikes us most is our common experience. For instance, the story of how Europeans explored and – and yes, without apology – civilised much of the world is an extraordinary tale of talent, skill and courage. But we British have in a very special way contributed to Europe. Over the centuries we have fought to prevent Europe from falling under the dominance of a single power. We have fought and we have died for her freedom. Only miles from here, in Belgium, lie the bodies of 120,000 British soldiers who died in the First World War. Had it not been for that willingness to fight and to die, Europe would have been united long before now – but not in liberty, not in justice. It was British support to resistance movements throughout the last War that helped to keep alive the flame of liberty in so many countries until the day of liberation. Tomorrow, King Baudouin will attend a service in Brussels to commemorate the many brave Belgians

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who gave their lives in service with the Royal Air Force – a sacrifice which we shall never forget. And it was from our island fortress that the liberation of Europe itself was mounted. And still, today, we stand together. Nearly 70,000 British servicemen are stationed on the mainland of Europe. All these things alone are proof of our commitment to Europe’s future.[fo 2] The European Community is one manifestation of that European identity, but it is not the only one. We must never forget that east of the Iron Curtain, people who once enjoyed a full share of European culture, freedom and identity have been cut off from their roots. We shall always look on Warsaw, Prague and Budapest as great European cities. Nor should we forget that European values have helped to make the United States of America into the valiant defender of freedom which she has become.

Europe’s Future This is no arid chronicle of obscure facts from the dust-filled libraries of history. It is the record of nearly two thousand years of British involvement in Europe, cooperation with Europe and contribution to Europe, contribution which today is as valid and as strong as ever [sic]. Yes, we have looked also to wider horizons – as have others – and thank goodness for that, because Europe never would have prospered and never will prosper as a narrow-minded, inward-looking club. The European Community belongs to all its members. It must reflect the traditions and aspirations of all its members. And let me be quite clear. Britain does not dream of some cosy, isolated existence on the fringes of the European Community. Our destiny is in Europe, as part of the Community. That is not to say that our future lies only in Europe, but nor does that of France or Spain or, indeed, of any other member. The Community is not an end in itself. Nor is it an institutional device to be constantly modified according to the dictates of some abstract intellectual concept. Nor must it be ossified by endless regulation. The European Community is a practical means by which Europe can ensure the future prosperity and security of its people in a world in which there are many other powerful nations and groups of nations. We Europeans cannot afford to waste our energies on internal disputes or arcane institutional debates. They are no substitute for effective action. Europe has to be ready both to contribute in full measure to its own security and to compete commercially and industrially in a world in which success goes to the countries which encourage individual initiative and enterprise, rather than those which attempt to diminish them. This evening I want to set out some guiding principles for the future which I believe will ensure that Europe does succeed, not just in economic and defence terms but also in the quality of life and the influence of its peoples.[fo 3]

Willing Cooperation Between Sovereign States My first guiding principle is this: willing and active cooperation between independent sovereign states is the best way to build a successful European Community. To try to suppress nationhood and concentrate power at the centre of a European conglomerate would be highly damaging and would jeopardise the objectives we seek to achieve. Europe will be stronger precisely because it has France as France, Spain as Spain, Britain as Britain, each with its

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own customs, traditions and identity. It would be folly to try to fit them into some sort of identikit European personality. Some of the founding fathers of the Community thought that the United States of America might be its model. But the whole history of America is quite different from Europe. People went there to get away from the intolerance and constraints of life in Europe. They sought liberty and opportunity; and their strong sense of purpose has, over two centuries, helped to create a new unity and pride in being American, just as our pride lies in being British or Belgian or Dutch or German. I am the first to say that on many great issues the countries of Europe should try to speak with a single voice. I want to see us work more closely on the things we can do better together than alone. Europe is stronger when we do so, whether it be in trade, in defence or in our relations with the rest of the world. But working more closely together does not require power to be centralised in Brussels or decisions to be taken by an appointed bureaucracy. Indeed, it is ironic that just when those countries such as the Soviet Union, which have tried to run everything from the centre, are learning that success depends on dispersing power and decisions away from the centre, there are some in the Community who seem to want to move in the opposite direction. We have not successfully rolled back the frontiers of the state in Britain, only to see them re-imposed at a European level with a European super-state exercising a new dominance from Brussels. Certainly we want to see Europe more united and with a greater sense of common purpose. But it must be in a way which preserves the different traditions, parliamentary powers and sense of national pride in one’s own country; for these have been the source of Europe’s vitality through the centuries.

Encouraging change My second guiding principle is this: Community policies must tackle present problems in a practical way, however difficult that may be. If we cannot reform those Community policies which are patently wrong or ineffective and which are rightly causing public disquiet, then we shall not get the public support for the Community’s future development. And that is why the achievements of the European Council in Brussels last February are so important.[fo 4] It was not right that half the total Community budget was being spent on storing and disposing of surplus food. Now those stocks are being sharply reduced. It was absolutely right to decide that agriculture’s share of the budget should be cut in order to free resources for other policies, such as helping the less well-off regions and helping training for jobs. It was right too to introduce tighter budgetary discipline to enforce these decisions and to bring the Community spending under better control. And those who complained that the Community was spending so much time on financial detail missed the point. You cannot build on unsound foundations, financial or otherwise, and it was the fundamental reforms agreed last winter which paved the way for the remarkable progress which we have made since on the Single Market. But we cannot rest on what we have achieved to date. For example, the task of reforming the Common Agricultural Policy is far from complete. Certainly, Europe needs a stable and efficient farming industry. But the CAP has become unwieldy, inefficient and grossly expensive. Production of unwanted surpluses safeguards neither the income nor the future of farmers themselves. We must continue to pursue policies which relate supply more closely to market requirements, and which will reduce over-production and limit costs. Of course, we must

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protect the villages and rural areas which are such an important part of our national life, but not by the instrument of agricultural prices. Tackling these problems requires political courage. The Community will only damage itself in the eyes of its own people and the outside world if that courage is lacking.

Europe Open to Enterprise My third guiding principle is the need for Community policies which encourage enterprise. If Europe is to flourish and create the jobs of the future, enterprise is the key. The basic framework is there: the Treaty of Rome itself was intended as a Charter for Economic Liberty. But that it is not how it has always been read, still less applied. The lesson of the economic history of Europe in the 70’s and 80’s is that central planning and detailed control do not work and that personal endeavour and initiative do. That a Statecontrolled economy is a recipe for low growth and that free enterprise within a framework of law brings better results. The aim of a Europe open to enterprise is the moving force behind the creation of the Single European Market in 1992. By getting rid of barriers, by making it possible for companies to operate on a European scale, we can best compete with the United States, Japan and other new economic powers emerging in Asia and elsewhere.[fo 5] And that means action to free markets, action to widen choice, action to reduce government intervention. Our aim should not be more and more detailed regulation from the centre: it should be to deregulate and to remove the constraints on trade. Britain has been in the lead in opening its markets to others. The City of London has long welcomed financial institutions from all over the world, which is why it is the biggest and most successful financial centre in Europe. We have opened our market for telecommunications equipment, introduced competition into the market services and even into the network itself-steps which others in Europe are only now beginning to face. In air transport, we have taken the lead in liberalisation and seen the benefits in cheaper fares and wider choice. Our coastal shipping trade is open to the merchant navies of Europe. We wish we could say the same of many other Community members. Regarding monetary matters, let me say this. The key issue is not whether there should be a European Central Bank. The immediate and practical requirements are:  to implement the Community’s commitment to free movement of capital – in Britain, we have it;  and to the abolition through the Community of exchange controls – in Britain, we abolished them in 1979;  to establish a genuinely free market in financial services in banking, insurance, investment;  and to make greater use of the ecu. This autumn, Britain is issuing ecu-denominated Treasury bills and hopes to see other Community governments increasingly do the same. These are the real requirements because they are what the Community business and industry need if they are to compete effectively in the wider world. And they are what the European consumer wants, for they will widen his choice and lower his costs.

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It is to such basic practical steps that the Community’s attention should be devoted. When those have been achieved and sustained over a period of time, we shall be in a better position to judge the next move. It is the same with frontiers between our countries. Of course, we want to make it easier for goods to pass through frontiers. Of course, we must make it easier for people to travel throughout the Community. But it is a matter of plain common sense that we cannot totally abolish frontier controls if we are also to protect our citizens from crime and stop the movement of drugs, of terrorists and of illegal immigrants.[fo 6] That was underlined graphically only three weeks ago when one brave German customs officer, doing his duty on the frontier between Holland and Germany, struck a major blow against the terrorists of the IRA. And before I leave the subject of a single market, may I say that we certainly do not need new regulations which raise the cost of employment and make Europe’s labour market less flexible and less competitive with overseas suppliers. If we are to have a European Company Statute, it should contain the minimum regulations. And certainly we in Britain would fight attempts to introduce collectivism and corporatism at the European level – although what people wish to do in their own countries is a matter for them.

Europe Open to the World My fourth guiding principle is that Europe should not be protectionist. The expansion of the world economy requires us to continue the process of removing barriers to trade, and to do so in the multilateral negotiations in the GATT. It would be a betrayal if, while breaking down constraints on trade within Europe, the Community were to erect greater external protection. We must ensure that our approach to world trade is consistent with the liberalisation we preach at home. We have a responsibility to give a lead on this, a responsibility which is particularly directed towards the less developed countries. They need not only aid; more than anything, they need improved trading opportunities if they are to gain the dignity of growing economic strength and independence.

Europe and Defence My last guiding principle concerns the most fundamental issue – the European countries’ role in defence. Europe must continue to maintain a sure defence through NATO. There can be no question of relaxing our efforts, even though it means taking difficult decisions and meeting heavy costs. It is to NATO that we owe the peace that has been maintained over 40 years. The fact is things are going our way: the democratic model of a free enterprise society has proved itself superior; freedom is on the offensive, a peaceful offensive the world over, for the first time in my life-time. We must strive to maintain the United States’ commitment to Europe’s defence. And that means recognising the burden on their resources of the world role they undertake and their point that their allies should bear the full part of the defence of freedom, particularly as Europe grows wealthier.

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Increasingly, they will look to Europe to play a part in out-of-area defence, as we have recently done in the Gulf. NATO and the Western European Union have long recognised where the problems of Europe’s defence lie, and have pointed out the solutions. And the time has come when we must give substance to our declarations about a strong defence effort with better value for money.[fo 7] It is not an institutional problem. It is not a problem of drafting. It is something at once simpler and more profound: it is a question of political will and political courage, of convincing people in all our countries that we cannot rely for ever on others for our defence, but that each member of the Alliance must shoulder a fair share of the burden. We must keep up public support for nuclear deterrence, remembering that obsolete weapons do not deter, hence the need for modernisation. We must meet the requirements for effective conventional defence in Europe against Soviet forces which are constantly being modernised. We should develop the WEU, not as an alternative to NATO, but as a means of strengthening Europe’s contribution to the common defence of the West. Above all, at a time of change and uncertainly in the Soviet Union and Eastern Europe, we must preserve Europe’s unity and resolve so that whatever may happen, our defence is sure. At the same time, we must negotiate on arms control and keep the door wide open to cooperation on all the other issues covered by the Helsinki Accords. But let us never forget that our way of life, our vision and all we hope to achieve, is secured not by the rightness of our cause but by the strength of our defence. On this, we must never falter, never fail.

The British Approach Mr. Chairman, I believe it is not enough just to talk in general terms about a European vision or ideal. If we believe in it, we must chart the way ahead and identify the next steps. And that is what I have tried to do this evening. This approach does not require new documents: they are all there, the North Atlantic Treaty, the Revised Brussels Treaty and the Treaty of Rome, texts written by far-sighted men, a remarkable Belgian – Paul Henri Spaak – among them. However far we may want to go, the truth is that we can only get there one step at a time. And what we need now is to take decisions on the next steps forward, rather than let ourselves be distracted by Utopian goals. Utopia never comes, because we know we should not like it if it did. Let Europe be a family of nations, understanding each other better, appreciating each other more, doing more together but relishing our national identity no less than our common European endeavour. Let us have a Europe which plays its full part in the wider world, which looks outward not inward, and which preserves that Atlantic community – that Europe on both sides of the Atlantic – which is our noblest inheritance and our greatest strength. May I thank you for the privilege of delivering this lecture in this great hall to this great college (applause).

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III. Tony Blair: Rede in der Polnischen Börse in Warschau (06. 10. 2000) A few weeks ago, you celebrated the twentieth anniversary of the extraordinary revolution that gave birth to a movement called Solidarity. Poland grew to be the icebreaker for the end of communism in all of Europe and for the end of the Cold War. As we speak, another revolution is taking place. What the people of Poland begun, the people of Serbia will finish – opening up for the first time in history the prospect of a European continent united in freedom and democracy. Milosevic has done enough damage, for one man, in one country. Three wars. Tens of thousands dead. Millions displaced. Acts of barbarism not seen in Europe since the Second World War. Their effect felt throughout Europe. We, and you, part of the NATO Alliance that stood up for our values against him in Kosovo last year, know what he is capable of. The sooner he is gone, the better for Serbia, the better for the whole of Europe. Then we must stand ready, when the will of the people is finally done, to hold out the hand of partnership to a democratic Serbia, and welcome her into the European family of nations. Poland led the wave of revolution in Europe. Since then, Poland has been critical to the great transition from communism to democracy, together with your dynamic Central European partners. I am delighted that the Czech and Slovak Prime Ministers, and the Hungarian Foreign Minister are also with us today. Britain and Poland have marched shoulder-to-shoulder at decisive moments in Europes history. Last month in a moving ceremony, we unveiled in London a statue of General Sikorski, a fitting monument to a great patriot. Britain went to war in 1939 because Hitler invaded Poland. Robbed of their own homeland, the Polish people gave themselves selflessly in the liberation of Western Europe, only to see the iron curtain come down on Poland. Winston Churchill said of the pilots who so valiantly and against such odds defended the last bastion of resistance in Europe against Hitlers air armadas that never had so many owed so much to so few. And of those few, the Polish pilots are remembered and revered for their courage, their skill, their idealism. They laid down their lives not in defence of their own country, but in defence of an ideal, in defence of a free Europe. As the Allied forces struggled to roll back fascism, Polish servicemen marched, fought and died for that same ideal, shoulder-to-shoulder with their British comrades; in the Battle of the Atlantic; at Tobruk and Monte Cassino; in Normandy; the unsung heroes of the Special Operations Executive and the most spectacular intelligence coup of the Second World War, Enigma. Few countries have contributed more to the fall of fascism and Soviet dictatorship in Europe. Now we want you in the European Union.

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Enlargement The European Union is on the brink of one of the most important decisions in its history. Enlargement to the East may be the EUs greatest challenge, but I also believe it is its greatest opportunity. Nobody who considers how the European Union has underpinned peace and democracy in the reconstruction of post-war Western Europe can doubt the benefits that enlargement will bring post-Cold War Europe and the Balkans. Nobody who considers the role that open markets have played in generating wealth and prosperity in the European Union can doubt the benefits of creating a market of half a billion consumers. People can always find good reasons for delay. People concerned about what these momentous changes will mean for the EU, and for them. Farmers worried about the implications for the CAP. Popular but misplaced fears that freedom of movement means massive shifts of population. But let me be frank. Without enlargement, Western Europe will always be faced with the threat of instability, conflict and mass migration on its borders. Without enlargement, the political consensus behind economic and political reform in the weaker transition countries may splinter. Should that happen, we would all lose. That is why supporting enlargement in principle but delaying in practice is no longer good enough. So I am determined there should be a breakthrough on enlargement under the Swedish Presidency. I will be urging Europes political leaders to commit themselves to a specific framework leading to an early end of the negotiations and accession. I want to see new member states participating in the European Parliamentary elections in 2004 and having a seat at the table at the next IGC. My message to you is this: there are no guaranteed places. Reform is the only entry ticket. But we want Poland, and as many others as are ready, in the EU as soon as possible.

Britain in Europe Britain will always be a staunch ally of all those European democracies applying to join the European Union. A staunch ally, wielding its influence at the centre of Europe. It was not always like that. The blunt truth is that British policy towards the rest of Europe over half a century has been marked by gross misjudgements, mistaking what we wanted to be the case with what was the case; hesitation, alienation, incomprehension, with the occasional burst of enlightened brilliance which only served to underline the frustration of our partners with what was the norm. The origins of this are not complex but simple. Post-war Britain saw the issue entirely naturally as how France and Germany were kept from going back to war with each other. Britain’s initial role was that of a benign, avuncular friend encouraging the two old enemies to work together. Then with gathering speed, and commensurate British alarm, Europe started not just to work together but to begin the institutional cooperation that is today the European Union. At each stage, Britain thought it won’t possibly

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happen and held back. And at each stage it did happen and we were faced with the choice: catching up or staying out. This was complicated by the fact that for all the other key players, there were compelling reasons for being in: reasons of history, reasons of proximity, reasons of democracy. For Britain, the victor in WWII, the main ally of the United States, a proud and independent-minded island race (though with much European blood flowing in our veins) the reasons were there, but somehow always less than absolutely compelling. And for the rest of Europe, the reasons for Britain being in seemed less compelling too. Reading over the summer Jean Lacouture’s biography of de Gaulle, I could see clearly why our French friends hesitated over Britain. There is a perception in Britain that it was because de Gaulle was anti-British. Nothing could be more misguided. He was an admirer of Britain and grateful for our support in WWII. But he had painstakingly given France back her dignity and self-esteem. He mistrusted American intentions and saw Britain as both a Trojan Horse for the United States and a brake on the necessary strengthening of Europe. So, even though, ironically, he was closer to Britain in his conception of what Europe should be than to virtually anyone else, he blocked Britain. There is something very poignant about the accounts of his meetings in 1963 with Macmillan, a sometimes underestimated British Prime Minister, who saw only a little late the danger for Britain in isolation from Europe. All this is history, but its effects live on. Now, the circumstances of today mean it is time to overcome the legacy of Britains past. Two things have changed. From Europe’s perspective, Britain as a key partner in Europe is now a definite plus not a minus. Britain has a powerful economy, an obvious role in defence and foreign policy and there is genuine respect for Britain’s political institutions and stability. Also, in a world moving closer together, with new powers emerging, our strength with the United States is not just a British asset, it is potentially a European one. Britain can be the bridge between the EU and the US. And for Britain, as Europe grows stronger and enlarges, there would be something truly bizarre and self-denying about standing apart from the key strategic alliance on our doorstep. None of this means criticisms of Europe are all invalid. They aren’t, as I shall say later. But to conduct the case for reform in a way that leaves Britain marginalised and isolated (and that, despite the efforts of John Major, was the reality we inherited three years ago), is just plain foolish. For Britain, as for those countries queuing up to join the European Union, being at the centre of influence in Europe is an indispensable part of influence, strength and power in the world. We can choose not to be there; but no-one should doubt the consequences of that choice and it is wildly unrealistic to pretend those consequences are not serious. In particular, there is absolutely no doubt in my mind, that our strength with the US is enhanced by our strength with the rest of Europe and vice versa. I have said the political case for Britain being part of the single currency is strong. I don’t say political or constitutional issues aren’t important. They are. But to my mind, they aren’t an insuperable barrier. What does have to be overcome is the economic issue. It is an economic union. Joining prematurely simply on political grounds, without the economic conditions being right, would be a mistake. Hence our position: in principle in favour; in practice, the economic tests must be met. We cannot and will not take risks with Britain’s economic strength. The principle is real, the tests are real.

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A word about Denmark. The Danish referendum was an important vote for the Danish people, but the rest of us should draw the correct conclusions. It will have no impact on the political support for enlargement as some fear. Nor will it affect the British Governments position on the Euro. Each country must make up its own mind on the Euro, in its own way. But my point is this: Britain’s future is and will be as a leading partner in Europe. Today I turn to the issue of Europe’s political future.

A Larger, Stronger, Democratic Europe What sort of European Union will Poland join? The Polish historian Joachim Lelewel famously asked Polska tak, ale jaka? Poland, yes, but what sort of Poland? Today I want to ask: Europe, yes, but what sort of Europe? The trouble with the debate about Europes political future is that if we do not take care, we plunge into the thicket of institutional change, without first asking the basic question of what direction Europe should take. To those who say the need for change in Europes institutions is driven by the impression Europe is slowing down, I must say I find that bizarre. Monetary union is currently the most ambitious economic enterprise in the world. We have just begun to fashion a common defence policy. And we are now set to reunify Europe and expand it with up to 13 new members and in the longer term more. We are hardly short of challenges. Neither do I see any profit in pitting the European institutions against intergovernmental co-operation. We need a strong Commission able to act independently, with its power of initiative: first because that protects smaller states; and also because it allows Europe to overcome purely sectional interests. All governments from time to time, Britain included, find the Commissions power inconvenient but, for example, the single market could never be completed without it. The European Parliament is a vital part of the checks and balances of the EU. The Commission and the Council have different but complementary roles. The need for institutional change does not derive either from a fear that Europe is immobile or that it is time to upset the delicate balance between Commission and governments; it derives from a more fundamental question. The most important challenge for Europe is to wake up to the new reality: Europe is widening and deepening simultaneously. There will be more of us in the future, trying to do more. The issue is: not whether we do this, but how we reform this new Europe so that it both delivers real benefits to the people of Europe, addressing the priorities they want addressed; and does so in a way that has their consent and support. There are two opposite models so far proposed. One is Europe as a free trade area, like NAFTA in North America. This is the model beloved by British Conservatives. The other is the classic federalist model, in which Europe elects its Commission President and the European Parliament becomes the true legislative European body and Europes principal democratic check.

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The difficulty with the first is that it nowhere near answers what our citizens expect from Europe, besides being wholly unrealistic politically. In a Europe with a single market and single currency, there will inevitably be a need for closer economic co-ordination. In negotiations over world trade and global finance, Europe is stronger if it speaks with one voice. In areas like the environment and organised crime, in policing our borders, Europe needs to work together. In foreign and security policy, though nations will guard jealously their own national interests, there are times when it will be of clear benefit to all that Europe acts and speaks together. What people want from Europe is more than just free trade. They want: prosperity, security and strength. In a world with the power of the USA; with new alliances to be made with the neighbours of Europe like Russia; developing nations with vast populations like India and China; Japan, not just an economic power but a country that will rightly increase its political might too; with the world increasingly forming powerful regional blocs ASEAN, Mercosur; Europes citizens need Europe to be strong and united. They need it to be a power in the world. Whatever its origin, Europe today is no longer just about peace. It is about projecting collective power. That is one very clear reason, quite apart from the economic reasons, why the central European nations want to join. So a limited vision of Europe does not remotely answer the modern demands people place on Europe. The difficulty, however, with the view of Europe as a superstate, subsuming nations into a politics dominated by supranational institutions, is that it too fails the test of the people. There are issues of democratic accountability in Europe the so-called democratic deficit. But we can spend hours on end, trying to devise a perfect form of European democracy and get nowhere. The truth is, the primary sources of democratic accountability in Europe are the directly elected and representative institutions of the nations of Europe national parliaments and governments. That is not to say Europe will not in future generations develop its own strong demos or polity, but it hasnt yet. And let no-one be in any doubt: nations like Poland, who struggled so hard to achieve statehood, whose citizens shed their blood in that cause, are not going to give it up lightly. We should celebrate our diverse cultures and identities, our distinctive attributes as nations. Europe is a Europe of free, independent sovereign nations who choose to pool that sovereignty in pursuit of their own interests and the common good, achieving more together than we can achieve alone. The EU will remain a unique combination of the intergovernmental and the supranational. Such a Europe can, in its economic and political strength, be a superpower; a superpower, but not a superstate. We should not therefore begin with an abstract discussion of institutional change. We begin with the practical question, what should Europe do? What do the people of Europe want and expect it to do? Then we focus Europe and its institutions around the answer. How we complete the single market. How we drive through necessary economic reform. How we phase out the wasteful and inefficient aspects of the CAP.

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How we restore full employment. How we get a more coherent foreign policy. How we develop the military capability we require without which common defence policy is a chimera. How we fight organised crime, immigration racketeering, the drugs trade. How we protect an environment that knows no borders. And of course, how we stop Europe focussing on things that it doesnt need to do, the interfering part of Europe that antagonises even Europes most ardent supporters. The problem Europes citizens have with Europe arises when Europes priorities aren’t theirs. No amount of institutional change most of which passes them by completely will change that. Reforming Europe to give it direction and momentum around the people’s priorities will. The citizens of Europe must feel that they own Europe, not that Europe owns them. So let me turn to the changes I believe are part of delivering that direction.

Proposals for Political Reform First, we owe it to our citizens to let them know clearly what policies and laws are being enacted in their name. The European Council, bringing together all the Heads of Government, is the final court of appeal from other Councils of Ministers unable to reconcile national differences. That is a vital role. But the European Council should above all be the body which sets the agenda of the Union. Indeed, formally in the Treaty of Rome, that is the task given to it. We now have European Council meetings every three months. And in truth they do, for example, in areas like the Luxembourg summit on jobs, the Lisbon summit on economic reform, the Peortschach summit on defence, develop the future political direction of Europe. I would like to propose that we do this in a far more organised and structured way. Just as governments go before their electorates and set out their agenda for the coming years, so must the European Council do the same. We need to do it in all the crucial fields of European action: economic, foreign policy, defence, and the fight against cross-border crime. I am proposing today an annual agenda for Europe, set by the European Council. The President of the Commission is a member of the European Council, and would play his full part in drawing up the agenda. He would then bring a proposal for Heads of Government to debate, modify and endorse. It would be a clear legislative, as well as political, programme setting the workload of individual Councils. The Commission’s independence as guardians of the treaty would be unchanged. And the Commission would still bring forward additional proposals where its role as guardian of those treaties so required. But we would have clear political direction, a programme and a timetable by which all the institutions would be guided. We should be open too to reforming the way individual Councils work, perhaps through team presidencies that give the leadership of the Council greater continuity and weight; greater use of elected chairs of Councils and their working groups; and ensuring that the Secre19 Hupka

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tary-General of the Council, Javier Solana, can play his full role in the development of foreign and defence policy. For example, when Europe is more than 25 members, can we seriously believe that a country will hold the Presidency only every 12 or 13 years? But two or three countries together, with a mix of large and small states, might make greater sense. In future we may also need a better way of overseeing and monitoring the Unions programme than the three monthly European Councils. Second, there is an important debate about a Constitution for Europe. In practice I suspect that, given the sheer diversity and complexity of the EU, its constitution, like the British constitution, will continue to be found in a number of different treaties, laws and precedents. It is perhaps easier for the British than for others to recognise that a constitutional debate must not necessarily end with a single, legally binding document called a Constitution for an entity as dynamic as the EU. What I think is both desirable and realistic is to draw up a statement of the principles according to which we should decide what is best done at the European level and what should be done at the national level, a kind of charter of competences. This would allow countries too, to define clearly what is then done at a regional level. This Statement of Principles would be a political, not a legal document. It could therefore be much simpler and more accessible to Europes citizens. I also believe that the time has now come to involve representatives of national parliaments more on such matters, by creating a second chamber of the European Parliament. A second chamber’s most important function would be to review the EU’s work, in the light of this agreed Statement of Principles. It would not get involved in the day-to-day negotiation of legislation – that is properly the role of the existing European Parliament. Rather, its task would be to help implement the agreed statement of principles; so that we do what we need to do at a European level but also so that we devolve power downwards. Whereas a formal Constitution would logically require judicial review by a European constitutional court, this would be political review by a body of democratically elected politicians. It would be dynamic rather than static, allowing for change in the application of these principles without elaborate legal revisions every time. Such a second chamber could also, I believe, help provide democratic oversight at a European level of the common foreign and security policy. Efficient decision making, even with these changes, will be harder in an enlarged European Union. In the long run, I do not believe that a Commission of up to 30 members will be workable. The present intergovernmental conference must and will address the size of the Commission. More radical reform is not possible this time round in view of the worries of some states. I simply give my view that, in the end, we shall have to revisit this issue and streamline considerably. Reweighting votes in the Council has also become a democratic imperative which this current intergovernmental conference must resolve. Efficient decision making in an enlarged Union will also mean more enhanced cooperation. I have no problem with greater flexibility or groups of member states going forward together. But that must not lead to a hard core; a Europe in which some Member States create their own set of shared policies and institutions from which others are in practice excluded. Such groups must at every stage be open to others who wish to join. I agree with Guy Verhofstadt that enhanced cooperation is an instrument to strengthen the Union from within, not an instrument of exclusion. That is why enhanced cooperation must

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not be used to undermine the single market or other common policies. The safeguards must be stringent ones. The present treaties provide them. Any changes must be equally stringent in avoiding a multi-tier Europe; the creation of different sets of rules; damage to the rights of those not able to participate; or erosion of the powers of the Commission as guardians of the treaties. The European Parliament should play a part in ensuring that these conditions are met, both at the time an enhanced co-operation is decided upon and during the course of its implementation. Within a coherent framework agreed by the European Council, there is clearly much greater scope for using enhanced cooperation in the two biggest growth areas of European action: the development of a foreign and security policy and the cross border fight against crime. In the fight against international crime it should be in the interest of all Member States if particular groups of countries carry forward work in particular areas. That, after all, is what was done through the Schengen Agreement. The difference now is that we must, from the beginning, operate within the framework of the European treaties, not outside it. Italy and Germany have suggested joint police operations at the Unions external borders. That kind of cooperation between groups of countries seeking to achieve goals agreed by all, and in the interests of all, will become common place.

Conclusion We need to get the political foundations of the European Union right. These foundations are rooted in the democratic nation state. Efficiency and democracy go together. Poland knows that. Your people have decided that the European Union is the most effective route to deliver what they want: prosperity, security and strength. We are building a Europe of equal partners served by institutions which need to be independent but responsive and accountable. We want a Europe where there are national differences, not national barriers, where we hold many of our policies in common, but keep our distinct, separate identities. The European Union is the worlds biggest single economic and political partnership of democratic states. That represents a huge opportunity for Europe and the peoples of Europe. And as a Union of democracies, it has the capacity to sustain peace in our continent, to deliver unprecedented prosperity and to be a powerful force for democratic values in the rest of the world. Our task, with the help of the new democracies about to join the EU, is to shape a responsive European Union – in touch with the people, transparent and easier to understand, strengthened by its nations and regions – a European Union whose vision of peace is matched by its vision of prosperity. A civilised continent united in defeating brutality and violence. A prosperous continent united in extending opportunities to all. A continent joined together in is belief in social justice. A superpower, but not a superstate. An economic powerhouse through the completion of the world’s biggest single market, the extension of competition, an adaptable and well educated workforce, the support for businesses large and small. 19*

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A civilised continent through common defence, the strength of our values, the pursuit of social justice, the rich diversity of our cultures. The countries represented here today have suffered more than most in the cause of freedom. I want you, as soon as possible, to share in the European Unions success, and to join as equal partners, as, amid the new reality I have outlined, a new Europe is built.

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Dokumente zur europäischen Einigung I. Erklärung von Laeken zur Zukunft der Europäischen Union 1. Europa am Scheideweg Jahrhundertelang haben Völker und Staaten versucht, durch Krieg und Waffengewalt den europäischen Kontinent unter ihre Herrschaft zu bringen. Nach der Schwächung durch zwei blutige Kriege und infolge des Geltungsverlusts in der Welt wuchs das Bewusstsein, dass der Traum eines starken und geeinigten Europas nur in Frieden und durch Verständigung verwirklicht werden konnte. Um die Dämonen der Vergangenheit endgültig zu bannen, wurde mit einer Gemeinschaft für Kohle und Stahl der Anfang gemacht, zu der dann später andere Wirtschaftszweige, wie die Landwirtschaft, hinzukamen. Schließlich wurde ein echter Binnenmarkt für Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital geschaffen, zu dem 1999 eine einheitliche Währung hinzutrat. Am 1. Januar 2002 wird der Euro für 300 Millionen europäische Bürger zur alltäglichen Realität. Die Europäische Union entstand somit nach und nach. Zunächst ging es vor allem um wirtschaftliche und technische Zusammenarbeit. Vor zwanzig Jahren wurde mit der ersten Direktwahl des Europäischen Parlaments die demokratische Legitimität der Gemeinschaft, die bis dahin allein durch den Rat gegeben war, erheblich gestärkt. In den letzten zehn Jahren wurde eine politische Union auf den Weg gebracht, und es kam zu einer Zusammenarbeit in den Bereichen Sozialpolitik, Beschäftigung, Asyl, Einwanderung, Polizei, Justiz, Außenpolitik sowie zu einer gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Die Europäische Union ist ein Erfolg. Schon mehr als ein halbes Jahrhundert lebt Europa in Frieden. Zusammen mit Nordamerika und Japan gehört die Union zu den drei wohlhabendsten Regionen der Welt. Und durch die Solidarität zwischen ihren Mitgliedern und eine gerechte Verteilung der Früchte des Wirtschaftswachstums ist der Lebensstandard in den schwächsten Regionen der Union gewaltig gestiegen, die so einen Großteil ihres Rückstands aufgeholt haben. Fünfzig Jahre nach ihrer Gründung befindet sich die Union allerdings an einem Scheideweg, einem entscheidenden Moment ihrer Geschichte. Die Einigung Europas ist nahe. Die Union schickt sich an, sich um mehr als zehn neue, vor allem mittel- und osteuropäische Mitgliedstaaten zu erweitern und so eine der dunkelsten Seiten der europäischen Geschichte endgültig umzuschlagen: den Zweiten Weltkrieg und die darauf folgende künstliche Teilung Europas. Endlich ist Europa auf dem Weg, ohne Blutvergießen zu einer großen Familie zu werden – eine grundlegende Neuordnung, die selbstverständlich ein anderes als das vor fünfzig Jahren verfolgte Konzept verlangt, als sechs Länder den Prozess einleiteten.

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Die demokratische Herausforderung Europas Gleichzeitig muss sich Europa einer doppelten Herausforderung stellen, nämlich innerhalb und außerhalb seiner Grenzen. In der Union müssen die europäischen Organe dem Bürger näher gebracht werden. Die Bürger stehen zweifellos hinter den großen Zielen der Union, sie sehen jedoch nicht immer einen Zusammenhang zwischen diesen Zielen und dem täglichen Wirken der Union. Sie verlangen von den europäischen Organen weniger Schwerfälligkeit und Starrheit und fordern vor allem mehr Effizienz und Transparenz. Viele finden auch, dass die Union stärker auf ihre konkreten Sorgen eingehen müsste und sich nicht bis in alle Einzelheiten in Dinge einmischen sollte, die eigentlich besser den gewählten Vertretern der Mitgliedstaaten und der Regionen überlassen werden sollten. Manche erleben dies sogar als Bedrohung ihrer Identität. Was aber vielleicht noch wichtiger ist: Die Bürger finden, dass alles viel zu sehr über ihren Kopf hinweg geregelt wird, und wünschen eine bessere demokratische Kontrolle.

Europas neue Rolle in einer globalisierten Welt Außerhalb ihrer Grenzen sieht sich die Europäische Union gleichfalls mit einer sich schnell wandelnden, globalisierten Welt konfrontiert. Nach dem Fall der Berliner Mauer sah es einen Augenblickso aus, als ob wir für lange Zeit in einer stabilen Weltordnung ohne Konflikte leben könnten. Die Menschenrechte wurden als ihr Fundament betrachtet. Doch wenige Jahre später nur ist uns diese Sicherheit abhanden gekommen. Der 11. September hat uns in grausamer Weise die Augen geöffnet. Die Gegenkräfte sind nicht verschwunden: Religiöser Fanatismus, ethnischer Nationalismus, Rassismus und Terrorismus sind auf dem Vormarsch. Regionale Konflikte, Armut und Unterentwicklung sind dafür nach wie vor ein Nährboden. Welche Rolle spielt Europa in dieser gewandelten Welt? Muss Europa nicht – nun, da es endlich geeint ist – eine führende Rolle in einer neuen Weltordnung übernehmen, die Rolle einer Macht, die in der Lage ist, sowohl eine stabilisierende Rolle weltweit zu spielen als auch ein Beispiel zu sein für zahlreiche Länder und Völker? Europa als Kontinent der humanitären Werte, der Magna Charta, der Bill of Rights, der Französischen Revolution, des Falls der Berliner Mauer. Kontinent der Freiheit, der Solidarität, vor allem der Vielfalt, was auch die Achtung der Sprachen, Kulturen und Traditionen anderer einschließt. Die einzige Grenze, die die Europäische Union zieht, ist die der Demokratie und der Menschenrechte. Die Union steht nur Ländern offen, die ihre Grundwerte, wie freie Wahlen, Achtung der Minderheiten und der Rechtsstaatlichkeit, teilen. Nun, da der Kalte Krieg vorbei ist und wir in einer globalisierten, aber zugleich auch stark zersplitterten Welt leben, muss sich Europa seiner Verantwortung hinsichtlich der Gestaltung der Globalisierung stellen. Die Rolle, die es spielen muss, ist die einer Macht, die jeder Form von Gewalt, Terror und Fanatismus entschlossen den Kampf ansagt, die aber auch ihre Augen nicht vor dem schreienden Unrecht in der Welt verschließt. Kurz gesagt, einer Macht, die die Verhältnisse in der Welt so ändern will, dass sie nicht nur für die reichen, sondern auch für die ärmsten Länder von Vorteil sind. Einer Macht, die der Globalisierung einen ethischen Rahmen geben, d. h. sie in Solidarität und in nachhaltige Entwicklung einbetten will.

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Die Erwartungen des europäischen Bürgers Das Bild eines demokratischen und weltweit engagierten Europas entspricht genau dem, was der Bürger will. Oftmals hat er zu erkennen gegeben, dass er für die Union eine gewichtigere Rolle auf den Gebieten der Justiz und der Sicherheit, der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität, der Eindämmung der Migrationsströme sowie der Aufnahme von Asylsuchenden und Flüchtlingen aus fernen Konfliktgebieten wünscht. Auch in den Bereichen Beschäftigung und Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung sowie im Bereich wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt will er Ergebnisse sehen. Einen gemeinsamen Ansatz verlangt er bei Umweltverschmutzung, Klimaänderung und Lebensmittelsicherheit. Kurz gesagt, bei allen grenzüberschreitenden Fragen, bei denen er instinktiv spürt, dass es nur durch Zusammenarbeit zu einer Wende kommen kann. Wie er auch mehr Europa in außen-, sicherheits- und verteidigungspolitischen Fragen wünscht, mit anderen Worten: mehr und besser koordinierte Maßnahmen bei der Bekämpfung der Krisenherde in und um Europa sowie in der übrigen Welt. Gleichzeitig denkt derselbe Bürger, dass die Union in einer Vielzahl anderer Bereiche zu weit geht und zu bürokratisch handelt. Bei der Koordinierung der wirtschaftlichen, finanziellen und steuerlichen Rahmenbedingungen muss das gute Funktionieren des Binnenmarktes und der einheitlichen Währung der Eckpfeiler bleiben, ohne dass die Eigenheit der Mitgliedstaaten dadurch Schaden nimmt. Nationale und regionale Unterschiede sind häufig das Ergebnis von Geschichte und Tradition. Sie können eine Bereicherung sein. Mit anderen Worten, was der Bürger unter „verantwortungsvollem Regierungshandeln“ versteht, ist das Schaffen neuer Möglichkeiten, nicht aber neuer Zwänge. Er erwartet mehr Ergebnisse, bessere Antworten auf konkrete Fragen, nicht aber einen europäischen Superstaat oder europäische Organe, die sich mit allem und jedem befassen. Kurz, der Bürger verlangt ein klares, transparentes, wirksames, demokratisch bestimmtes gemeinschaftliches Konzept – ein Konzept, das Europa zu einem Leuchtfeuer werden lässt, das für die Zukunft der Welt richtungweisend sein kann, ein Konzept, das konkrete Ergebnisse zeitigt, in Gestalt von mehr Arbeitsplätzen, mehr Lebensqualität, weniger Kriminalität, eines leistungsfähigen Bildungssystems und einer besseren Gesundheitsfürsorge. Es steht außer Frage, dass Europa sich dazu regenerieren und reformieren muss.

2. Die Herausforderungen und Reformen in einer erneuerten Union Die Union muss demokratischer, transparenter und effizienter werden. Und sie muss eine Antwort auf drei grundlegende Herausforderungen finden: Wie können dem Bürger, vor allem der Jugend, das europäische Projekt und die europäischen Organe näher gebracht werden? Wie sind das politische Leben und der europäische politische Raum in einer erweiterten Union zu strukturieren? Wie kann die Union zu einem Stabilitätsfaktor und zu einem Vorbild in der neuen multipolaren Welt werden? Um hierauf antworten zu können, muss eine Anzahl gezielter Fragen gestellt werden.

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Eine bessere Aufteilung und Festlegung der Zuständigkeiten in der Europäischen Union Der Bürger setzt oft Erwartungen in die Europäische Union, die von dieser nicht immer erfüllt werden; umgekehrt hat er aber mitunter den Eindruck, dass die Union zu viele Tätigkeiten in Bereichen entfaltet, in denen ihr Tätigwerden nicht immer unentbehrlich ist. Daher muss die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen der Union und den Mitgliedstaaten verdeutlicht, vereinfacht und im Lichte der neuen Herausforderungen, denen sich die Union gegenübersieht, angepasst werden. Dies kann sowohl dazu führen, dass bestimmte Aufgaben wieder an die Mitgliedstaaten zurückgegeben werden, als auch dazu, dass der Union neue Aufgaben zugewiesen oder die bisherigen Zuständigkeiten erweitert werden, wobei stets die Gleichheit der Mitgliedstaaten und ihre gegenseitige Solidarität berücksichtigt werden müssen. Ein erstes Bündel von Fragen, die gestellt werden müssen, bezieht sich darauf, wie wir die Aufteilung der Zuständigkeiten transparenter gestalten können. Können wir zu diesem Zweck eine deutlichere Unterscheidung zwischen drei Arten von Zuständigkeiten vornehmen, nämlich den ausschließlichen Zuständigkeiten der Union, den Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten und den von der Union und den Mitgliedstaaten geteilten Zuständigkeiten? Auf welcher Ebene werden die Zuständigkeiten am effizientesten wahrgenommen? Wie soll dabei das Subsidiaritätsprinzip angewandt werden? Und sollte nicht deutlicher formuliert werden, dass jede Zuständigkeit, die der Union nicht durch die Verträge übertragen worden ist, in den ausschließlichen Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten gehört? Welche Auswirkungen würde dies haben? Ein weiteres Bündel von Fragen bezieht sich darauf, dass in diesem erneuerten Rahmen und unter Einhaltung des Besitzstands der Gemeinschaft zu untersuchen wäre, ob die Zuständigkeiten nicht neu geordnet werden müssen. In welcher Weise können die Erwartungen des Bürgers hierbei als Richtschnur dienen? Welche Aufgaben ergäben sich daraus für die Union? Und umgekehrt: welche Aufgaben sollten wir besser den Mitgliedstaaten überlassen? Welche Änderungen müssen am Vertrag in den verschiedenen Politikbereichen vorgenommen werden? Wie lässt sich beispielsweise eine kohärentere gemeinsame Außenpolitik und Verteidigungspolitik entwickeln? Müssen die Petersberg-Aufgaben reaktualisiert werden? Wollen wir uns bei der polizeilichen Zusammenarbeit und bei der Zusammenarbeit in Strafsachen einem stärker integrierten Konzept zuwenden? Wie kann die Koordinierung der Wirtschaftspolitiken verstärkt werden? Wie können wir die Zusammenarbeit in den Bereichen soziale Integration, Umwelt, Gesundheit und Lebensmittelsicherheit verstärken? Sollen andererseits die tägliche Verwaltung und die Ausführung der Unionspolitik nicht ausdrücklicher den Mitgliedstaaten bzw. – wo deren Verfassung es vorsieht – den Regionen überlassen werden? Sollen ihnen nicht Garantien dafür gegeben werden, dass an ihren Zuständigkeiten nicht gerührt werden wird? Schließlich stellt sich die Frage, wie gewährleistet werden kann, dass die neu bestimmte Aufteilung der Zuständigkeiten nicht zu einer schleichenden Ausuferung der Zuständigkeiten der Union oder zu einem Vordringen in die Bereiche der ausschließlichen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten und – wo eine solche besteht – der Regionen führt. Wie kann man zugleich darüber wachen, dass die europäische Dynamik nicht erlahmt? Auch in Zukunft muss die Union ja auf neue Herausforderungen und Entwicklungen reagieren und neue Politikbereiche erschließen können. Müssen zu diesem Zweck die Artikel 95 und 308 des Vertrags unter Berücksichtigung des von der Rechtsprechung entwickelten Besitzstandes überprüft werden?

Anhang B

297

Vereinfachung der Instrumente der Union Nicht nur die Frage, wer was macht, ist von Bedeutung. Ebenso bedeutsam ist die Frage, in welcher Weise die Union handelt, welcher Instrumente sie sich bedient. Die einzelnen Vertragsänderungen haben jedes Mal zu einer Zunahme der Instrumente geführt. Und schrittweise haben sich die Richtlinien in die Richtung immer detaillierterer Rechtsvorschriften entwikkelt. Die zentrale Frage lautet denn auch, ob die verschiedenen Instrumente der Union nicht besser definiert werden müssen und ob ihre Anzahl nicht verringert werden muss. Mit anderen Worten: Soll eine Unterscheidung zwischen Gesetzgebungs- und Durchführungsmaßnahmen eingeführt werden? Muss die Anzahl der Gesetzgebungsinstrumente – direkte Normen, Rahmengesetzgebung und nicht bindende Instrumente (Stellungnahmen, Empfehlungen, offene Koordinierung) – verringert werden? Sollte häufiger auf die Rahmengesetzgebung zurückgegriffen werden, die den Mitgliedstaaten mehr Spielraum zur Erreichung der politischen Ziele bietet? Für welche Zuständigkeiten sind die offene Koordinierung und die gegenseitige Anerkennung die am besten geeigneten Instrumente? Bleibt das Verhältnismäßigkeitsprinzip der Ausgangspunkt?

Mehr Demokratie, Transparenz und Effizienz in der Europäischen Union Die Europäische Union bezieht ihre Legitimität aus den demokratischen Werten, für die sie eintritt, den Zielen, die sie verfolgt, und den Befugnissen und Instrumenten, über die sie verfügt. Das europäische Projekt bezieht seine Legitimität jedoch auch aus demokratischen, transparenten und effizienten Organen. Auch die einzelstaatlichen Parlamente leisten einen Beitrag zu seiner Legitimierung. In der im Anhang zum Vertrag von Nizza enthaltenen Erklärung zur Zukunft der Union wurde darauf hingewiesen, dass geprüft werden muss, welche Rolle ihnen im europäischen Aufbauwerk zukommt. In einem allgemeineren Sinne ist zu fragen, welche Initiativen wir ergreifen können, um eine europäische Öffentlichkeit zu entwickeln. Als Erstes stellt sich gleichwohl die Frage, wie wir die demokratische Legitimation und die Transparenz der jetzigen Organe stärken können – eine Frage, die für die drei Organe gilt. Wie lassen sich die Autorität und die Effizienz der Europäischen Kommission stärken? Wie soll der Präsident der Kommission bestimmt werden: vom Europäischen Rat, vom Europäischen Parlament oder – im Wege direkter Wahlen – vom Bürger? Soll die Rolle des Europäischen Parlaments gestärkt werden? Sollen wir das Mitentscheidungsrecht ausweiten oder nicht? Soll die Art und Weise, in der wir die Mitglieder des Europäischen Parlaments wählen, überprüft werden? Ist ein europäischer Wahlbezirk notwendig oder soll es weiterhin im nationalen Rahmen festgelegte Wahlbezirke geben? Können beide Systeme miteinander kombiniert werden? Soll die Rolle des Rates gestärkt werden? Soll der Rat als Gesetzgeber in derselben Weise handeln wie in seiner Exekutivfunktion? Sollen im Hinblick auf eine größere Transparenz die Tagungen des Rates – jedenfalls in seiner gesetzgeberischen Rolle – öffentlich werden? Soll der Bürger besseren Zugang zu den Dokumenten des Rates erhalten? Wie können schließlich das Gleichgewicht und die gegenseitige Kontrolle zwischen den Organen gewährleistet werden? Eine zweite Frage, ebenfalls im Zusammenhang mit der demokratischen Legitimation, betrifft die Rolle der nationalen Parlamente. Sollen sie in einem neuen Organ – neben dem Rat

298

Anhang B

und dem Europäischen Parlament – vertreten sein? Sollen sie eine Rolle in den Bereichen europäischen Handelns spielen, in denen das Europäische Parlament keine Zuständigkeit besitzt? Sollen sie sich auf die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen der Union und den Mitgliedstaaten konzentrieren, indem sie beispielsweise vorab die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips kontrollieren? Die dritte Frage ist die, wie wir die Effizienz der Beschlussfassung und die Arbeitsweise der Organe in einer Union von etwa 30 Mitgliedstaaten verbessern können. Wie könnte die Union ihre Ziele und Prioritäten besser festlegen und besser für deren Umsetzung sorgen? Brauchen wir mehr Beschlüsse mit qualifizierter Mehrheit? Wie lässt sich das Mitentscheidungsverfahren zwischen Rat und Europäischem Parlament vereinfachen und beschleunigen? Ist der halbjährliche Turnus des Vorsitzes der Union aufrechtzuerhalten? Welches ist die künftige Rolle des Europäischen Parlaments? Was wird aus Rolle und Struktur der verschiedenen Ratsformationen? Wie kann zudem die Kohärenz der europäischen Außenpolitik vergrößert werden? Wie lässt sich die Synergie zwischen dem Hohen Vertreter und dem zuständigen Kommissionsmitglied verbessern? Soll die Vertretung der Union in internationalen Gremien ausgebaut werden?

Der Weg zu einer Verfassung für die europäischen Bürger Für die Europäische Union gelten zurzeit vier Verträge. Die Ziele, Zuständigkeiten und Politikinstrumente der Union sind in diesen Verträgen verstreut. Im Interesse einer größeren Transparenz ist eine Vereinfachung unerlässlich. Die sich hierbei erhebenden Fragen lassen sich in vier Bündeln zusammenfassen. Ein erstes Fragenbündel betrifft die Vereinfachung der bestehenden Verträge ohne inhaltliche Änderungen. Muss die Unterscheidung zwischen Union und Gemeinschaften überprüft werden? Was soll mit der Einteilung in drei Säulen geschehen? Sodann ist über eine mögliche Neuordnung der Verträge nachzudenken. Soll zwischen einem Basisvertrag und den übrigen Vertragsbestimmungen unterschieden werden? Soll sich diese Unterscheidung in einer Aufspaltung der Texte niederschlagen? Kann dies zu einer Unterscheidung zwischen den Änderungs- und Ratifikationsverfahren für den Basisvertrag und für die anderen Vertragsbestimmungen führen? Ferner muss darüber nachgedacht werden, ob die Charta der Grundrechte in den Basisvertrag aufgenommen werden soll und ob die Europäische Gemeinschaft der Europäischen Menschenrechtskonvention beitreten soll. Schließlich stellt sich die Frage, ob diese Vereinfachung und Neuordnung nicht letztlich dazu führen sollte, dass in der Union ein Verfassungstext angenommen wird. Welches sollten die Kernbestandteile einer solchen Verfassung sein? Die Werte, für die die Union eintritt, die Grundrechte und -pflichten der Bürger, das Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten in der Union?

3. Die Einberufung eines Konvents zur Zukunft Europas Im Hinblick auf eine möglichst umfassende und möglichst transparente Vorbereitung der nächsten Regierungskonferenz hat der Europäische Rat beschlossen, einen Konvent einzube-

Anhang B

299

rufen, dem die Hauptakteure der Debatte über die Zukunft der Union angehören. Im Lichte der vorstehenden Ausführungen fällt diesem Konvent die Aufgabe zu, die wesentlichen Fragen zu prüfen, welche die künftige Entwicklung der Union aufwirft, und sich um verschiedene mögliche Antworten zu bemühen. Der Europäische Rat hat Herrn V. Giscard d’Estaing zum Vorsitzenden des Konvents und Herrn G. Amato sowie Herrn J.L. Dehaene zu stellvertretenden Vorsitzenden ernannt.

Zusammensetzung Neben seinem Vorsitzenden und seinen beiden stellvertretenden Vorsitzenden gehören dem Konvent 15 Vertreter der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten (ein Vertreter pro Mitgliedstaat), 30 Mitglieder der nationalen Parlamente (2 pro Mitgliedstaat), 16 Mitglieder des Europäischen Parlaments und zwei Vertreter der Kommission an. Die Bewerberländer werden in vollem Umfang an den Beratungen des Konvents beteiligt. Sie werden in gleicher Weise wie die derzeitigen Mitgliedstaaten vertreten sein (ein Vertreter der Regierung und zwei Mitglieder des nationalen Parlaments) und an den Beratungen teilnehmen, ohne freilich einen Konsens, der sich zwischen den Mitgliedstaaten abzeichnet, verhindern zu können. Die Mitglieder des Konvents können sich nur dann durch Stellvertreter ersetzen lassen, wenn sie nicht anwesend sind. Die Stellvertreter werden in derselben Weise benannt wie die Mitglieder. Das Präsidium des Konvents bilden der Vorsitzende, die beiden stellvertretenden Vorsitzenden und neun Mitglieder des Konvents (die Vertreter aller Regierungen, die während des Konvents den Ratsvorsitz innehaben, zwei Vertreter der nationalen Parlamente, zwei Vertreter der Mitglieder des Europäischen Parlaments und zwei Vertreter der Kommission). Als Beobachter werden eingeladen: drei Vertreter des Wirtschafts- und Sozialausschusses und drei Vertreter der europäischen Sozialpartner sowie sechs Vertreter im Namen des Ausschusses der Regionen (die von diesem aus den Regionen, den Städten und den Regionen mit legislativer Befugnis zu bestimmen sind) und der Europäische Bürgerbeauftragte. Der Präsident des Gerichtshofs und der Präsident des Rechnungshofs können sich auf Einladung des Präsidiums vor dem Konvent äußern.

Dauer der Arbeiten Die Eröffnungssitzung des Konvents findet am 1. März 2002 statt. Bei dieser Gelegenheit ernennt der Konvent sein Präsidium und legt seine Arbeitsmethoden fest. Die Beratungen werden nach einem Jahr so rechtzeitig abgeschlossen, dass der Vorsitzende des Konvents die Ergebnisse des Konvents dem Europäischen Rat vorlegen kann.

Arbeitsmethoden Der Vorsitzende bereitet den Beginn der Arbeiten des Konvents vor, indem er die öffentliche Debatte auswertet. Dem Präsidium fällt die Aufgabe zu, Anstöße zu geben, und es erstellt eine erste Arbeitsgrundlage für den Konvent.

300

Anhang B

Das Präsidium kann die Kommissionsdienste und Experten seiner Wahl zu allen technischen Fragen konsultieren, die seines Erachtens vertieft werden sollten. Es kann Ad-hoc-Arbeitgruppen einsetzen. Der Rat wird über den Stand der Arbeiten des Konvents auf dem Laufenden gehalten. Der Vorsitzende des Konvents legt auf jeder Tagung des Europäischen Rates einen mündlichen Bericht über den Stand der Arbeiten vor; dies ermöglicht es zugleich, die Ansichten der Staats- und Regierungschefs einzuholen. Der Konvent tritt in Brüssel zusammen. Seine Erörterungen und sämtliche offiziellen Dokumente sind für die Öffentlichkeit zugänglich. Der Konvent arbeitet in den elf Arbeitssprachen der Union.

Abschlussdokument Der Konvent prüft die verschiedenen Fragen. Er erstellt ein Abschlussdokument, das entweder verschiedene Optionen mit der Angabe, inwieweit diese Optionen im Konvent Unterstützung gefunden haben, oder – im Falle eines Konsenses – Empfehlungen enthalten kann. Zusammen mit den Ergebnissen der Debatten in den einzelnen Staaten über die Zukunft der Union dient das Abschlussdokument als Ausgangspunkt für die Arbeit der Regierungskonferenz, die die endgültigen Beschlüsse fassen wird.

Forum Im Hinblick auf eine umfassende Debatte und die Beteiligung aller Bürger an dieser Debatte steht ein Forum allen Organisationen offen, welche die Zivilgesellschaft repräsentieren (Sozialpartner, Wirtschaftskreise, nichtstaatliche Organisationen, Hochschulen usw.). Es handelt sich um ein strukturiertes Netz von Organisationen, die regelmäßig über die Arbeiten des Konvents unterrichtet werden. Ihre Beiträge werden in die Debatte einfließen. Diese Organisationen können nach vom Präsidium festzulegenden Modalitäten zu besonderen Themen gehört oder konsultiert werden.

Sekretariat Das Präsidium wird von einem Konventssekretariat unterstützt, das vom Generalsekretariat des Rates wahrgenommen wird. Experten der Kommission und des Europäischen Parlaments können daran beteiligt werden.

Anhang B

301

II. Wahlbeteiligung bei Europawahlen zwischen 1979 und 2004 Mitgliedstaaten

1979

1984

1989

1994

1999

2004

DE

65.7

56.8

1987

62.3

60

1995

1996

45.2

43

FR

60.7

56.7

48.7

52.7

46.8

42.76

BE

91.4

92.2

90.7

90.7

91

90.81

IT

84.9

83.4

81.5

74.8

70.8

73.1

LU

88.9

88.8

87.4

88.5

87.3

89

NL

57.8

50.6

47.2

35.6

30

39.3

UK

32.2

32.6

36.2

36.4

24

38.83

IE

63.6

47.6

68.3

44

50.2

58.8

DK

47.8

52.4

46.2

52.9

50.5

47.9

77.2

79.9

71.2

75.3

63.22

EL ES

68.9

54.6

59.1

63

45.1

PT

72.4

51.2

35.5

40

38.6

SE

38.8

37.8

AT

41.6 67.7

49.4

42.43

FI

60.3

31.4

39.4

CZ

28.32

EE

26.83

CY

71.19

LV

41.34

LT

48.38

HU

38.5

MT

82.37

PL

20.87

SI

28.3

SK

16.96

Durchschnitt EU

63

61

/

58.5

56.8

/

/

49.8

45.7

Quelle: http: //www.elections2004.eu.int/ep-election/sites/de/results1306/turnout_ep/turnout_table.html

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22 Hupka

Sachwortregister 11. September 2001 255 Aachener Karlspreis 25 ABC-Vorschlag 234 Abrufbarkeit der Regierung 84 absolute Mehrheit 222 Abstimmungen 156 – -funktion 225 – -macht 115 – -regeln 50, 66, 221 – -stärke, relative 226 Accountability 84, 103 f., 206, 162, 164, 217, 221, 238 Achsenmächte 27 acquis communautaire 176 Act of Parliament 175 Act of Settlement 81 Agrarkompromiß 58 Agrarpolitik 48, 49, 63, 124, 125, 128, 134, 144 agreement to disagree 64 akademische Zirkel 185 allgemeine Rechtsgrundsätze 196 Amsterdam 66 Amsterdamer Gipfel 142 Anarchie 101 Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen 256 Anerkennung zivilgerichtlicher Entscheidungen 256 angloamerikanischer Rechtskreis 82 anglo-irischer Unabhängigkeitskrieg 111 Anhörungsverfahren 222 Ansprechpartner 233 Anti-Europäer 127 Anti-Terrorpolitik 255 Anwendungsvorrang 91, 92, 248 f. Arbeitnehmerfreizügigkeit 202 Arbeitnehmerrechte 135 Arbeits- und Sozialrechte 201

Arbeitsgruppen 165 Arbeitszeitrichtlinie 137 assemblée nationale constituante 44 Assises 213 Asyl 153 asymmetrische Machtdezentralisation 109 Aufgabenübertragung 110 Aufwärmphase 60 Ausland 63 Auslegungshilfe 195 Ausschuß der Regionen 216 Ausschüsse 207 Außen- und Sicherheitspolitik 183, 242 Außenbeziehungen 239 Außenminister s. Europäischer Außenminister Außenpolitik 153, 208 – Koordinierung 240, 253 Außenvertreter der Union 237 Außenvertretungsbefugnis 243 Austritt aus der Gemeinschaft 126 Austrittsrecht 170 Backbencher 107 Balance-of-power-Politik 78, 119 Bank of England 143 begrenzte Einzelermächtigung 170, 183, 236, 244, 247 Beitragserlaß 252 Beitrittskandidaten 72 Beitrittsverhandlungen 124 Belfast Übereinkommen 117, 262 Beobachterstatus 72 beratende Mitglieder 72 Berlin-Blockade 30 Beschäftigung 153 Beschluß des Europäischen Rates über die Ausübung des Vorsitzes im Ministerrat 236 Besetzung Deutschlands 28

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Sachwortregister

Bevölkerungsgröße 223 Bevölkerungsstärke 227 bewaffneter Angriff 255 bilaterale Beziehungen 135 bilaterale Verhandlungen 125 Bill of Rights 192, 81, 84 Bindungswirkung 213 – faktische 186 Binnenmarkt 46, 149, 223, 245 – soziale Dimension 132 – -kompetenz 248 – -prozeß 133 Binnenzölle 121 Biomedizin 200 Blair, Tony 141 ff. Blueprint for Tyranny 259 Briand-Plan 28 britische Europapolitik 118 ff. britisch-spanischer Vorschlag 238 British Empire – Schrumpfen 86 British Nationality Act 81 British-Irish Council (BIC) 117 britisches Pfund, Stützung 137 Brügge-Gruppe 136 Brügge-Rede 133 Brüsseler Bürokratie 161 Brüsseler Regelungswut 173 Bruttosozialprodukt 125 BSE 140 Bundesdeutsche Länderverfassungen 193 Bundesgebiet, Neugliederung 261 Bundesrepublik Deutschland, Gründung 32 Bundesstaat 52 ff., 56, 59 – Bundesstaatsbildung 57, 114 Bürger 180 – Bürgerbeauftragter 165 – Bürgerbeteiligung 206 – Bürgerforum 61, 187 – Bürgerinitiative 165 – Bürgernähe 187, 213 Callaghan, James 127 canonical formulation 178 Carpenter 202 causa Österreich 146 Censure Motion 106, 107 Certioari 82

Chairman 238, 242 Charta s. Grundrechtecharta Charta der Europäischen Grundrechte s. Grundrechtecharta Charta of Competences 169 Checks and Balances 102, 157, 162 Christentum 25 Churchill, Winston 29, 78, 119 ff. Citizen 180 Civil Liberties 82, 192 Civil Society 77, 94 common ideology 178 Common Law 81, 82, 83, 94, 192 Commonwealth 32, 77, 119, 149 Conservatives 58, 112 Constitution 23, 166 Constitutional Charta 165 Constitutional Conventions s. Convention Constitutional Rights 101, 250 constitutional tolerance 181 Convention 60 f., 81, 188 COREPER 159 COSAC 213 – zweite Kammer 217 f. Costa / ENEL 171 Court of Appeal 82, 89 Creutzfeld-Jakob-Krankheit 140 Cromwell-Ära 173 Cromwell, Oliver 80, 173 Cromwell, Richard 173 Crown Proceedings Act 81 custom 81, 83 C-Wort 167 D’Estaing, Giscard 23 de Gaulle, Charles 35, 123, 125 declaration of incompatibility 96, 194, 205 Declaration of Independence 86 deliberatives Modell 185 Delors-Kommission 36, 132 Delors-Plan 35 Demokratiedefizit 51, 62, 127, 146, 53 ff., 160 ff., 207, 218, 225 – Aspekte 158, 162 Demokratieprinzip 207, 226 Demokratieverständnis 158 demokratische Kontrolle 174, 208, 233

Sachwortregister demokratische Legitimation 51, 52, 61, 77, 152 ff. – direkte 61 – Effizienz 155 – indirekte 61 demokratische Rechenschaft 150 demokratische Repräsentation 155 demokratisches Defizit s. Demokratiedefizit Demokratisierung 161, 189 – der EU 230 – Gedanke 52 Deregulation 139 Deutsche Bundesbank 137 Deutsche Frage 77 Deutscher Bund 26 deutsch-französische Aussöhnung 28, 29 deutsch-französische Initiative 238 Deutsch-Französischer Beitrag für den Europäischen Konvent zum institutionellen Aufbau der Union 235 Devolution 57, 109 ff., 115 – administrative 113 – geschichtlicher Hintergrund 110 f. – im europäischen Kontext 114 – legislative 113 Dezentralisierung 110, 115 Dicey 84 Direktorium 234 divide et impera 78 Dominanz der größeren Mitgliedstaaten 234 Doppelhut 233 ff., 237, 240, 242 – großer 239 – kleiner 239 Doppelspitze 233 ff. doppelt-qualifizierte Mehrheit 56, 225 ff., 230 drei Kreise 79 drei Pfeiler, s. Säulenstruktur Drei Säulen s. Säulenstruktur Drei Weise 65, 128 Drei-Elemente-Lehre 39 Drei-Sphären-Politik 119 ff. Dritte Kraft 120, 121 dritte Lesung 222 dritte Säule 255 dualistische Theorie 88, 175, 210 dualistischer Ansatz s. dualistische Theorie dualistisches Rechtssystem 87

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Effizienz 189 EFTA 121 – Erweiterung 38, 138, 224 EG-Beitritt 211 EG-Budget 125 EGMR 203 – Rechtsprechung 204 EGV 62 Eigenstaatlichkeit 52, 53 Eigenstaatlichkeitsprinzip 57 Einheitliche Europäische Akte (EEA) 36, 37, 63, 131, 153, 209, 223 einheitliche Währung 132 einheitliches Verfassungsdokument 147 Einkammernsystem 216 Einstimmigkeit 203, 224 – -entscheidungen 108 – -prinzip 64 f., 143 einstweiliger Rechtsschutz 91 Einwanderung 153 Eiserner Vorhang 29, 54 elected dictatorship 264 Elysee-Vertrag 34 Empire 110 – Zerfall 79 EMRK 193 – Beitritt 196 – Rechte 200 – Rechte, Duplizierung 204 Energiepolitik 125 England – englische Krankheit 79 – Zusammenschluß mit Schottland 85 Entfremdung 154 Entscheidungsbefugnis 232 Entscheidungsfindung – supranational 159 Entscheidungsfindung – -prozeß 206, 218 – transnational 159 Entscheidungsgewalt 153, 230 Entscheidungskosten 49 Entscheidungsmechanismen, Transparenz 214 Entscheidungsprozesse 159 Entscheidungsunfähigkeit 205, 212 EPG 56 Ernennungsrecht 153

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Sachwortregister

erste Lesung 222 erste Säule 272 Erster Weltkrieg 26 Erweiterungsprozesse 205 ESVP 253 ff. EuGH – Rechtsprechung 89 – Rolle 171 EU-Grundrechtecharta s. Grundrechtecharta EURATOM s. Europäische Atomgemeinschaft EURO 36, 45 – Einführung 56 – Eurobeitritt 270 – Euro-Beschluß 153 – Eurozone 143, 263 Eurobarometer 45, 152 Euro-Korps 140, 148 Europa – altes Europa 238 – Europa-Armee 33 – -bewußtsein 30 – -bild 119 – der Vaterländer 34, 35, 53, 58 – der Völker 170, 172 – der zwei Geschwindigkeiten 130 – -Euphorie 119 – europäischer Chor 46 – europäischer demos 67, 179, 180 – europäischer Kaiser 235 – europäisches Konzert 26, 27 – europäische Methode 148 – europäische Öffentlichkeit 45, 51, 163 – europäische Partei 161 – europäische Rechtsetzung 115 – europäische Symbole 45 – europäische Unionsgrundordnung 152 – europäisches Parteiensystem 51 – europäisches Philadelphia 72 – europäisches Primärrecht s. Primärrecht – europäisches Spiel 128 – europäischer Staat 54 – europäisches Staatenbündnis 58 – europäisches Staatsvolk 180 – europäischer Superstaat 122 – europäisches Volk 40, 44, 156 – europäische Volksabstimmung 175 – Föderative Vereinigung 57

– – – – – – – – – – – – – –

-gegner 126 -Kongreß 30 konzentrischer Kreise 139 Mehrklassen-Europa 147 -minister 75 neues Europa 238 -politik 271 -positionen 57 -skepsis 270 -Skeptizismus 119 Spaltung Europas 29 Staat Europa 191 Staatswerdung 172, 179 Vereinigte Staaten von Europa 28, 52, 60, 170 – -wahlen 62, 161, 174 Europagedanke – Erosion 45 – vor 1945 25 europäische Arbeitnehmervertretungen 132 Europäische Atomgemeinschaft (EAG) 23, 34, 62, 247, 266 europäische Außenpolitik 253 Europäische Bewegung 29, 30 europäische Einigungsbewegung 24 Europäische Föderalisten 29, 53, 54 europäische Föderation 28 Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) 23, 32, 62 Europäische Gemeinschaften 23 – Gründung 28 – Demokratisierung 128 – Finanzkrise 129 – institutionelle Reform 130 Europäische Grundrechtecharta s. Grundrechtecharta europäische Idee 24, 28, 120 europäische Identität 161 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) 30, 93, 190 – Umsetzung in nationales Recht 95 – Inkorporationsmodelle 95 europäische Politik – sozialer Aspekt 135 Europäische Politische Gemeinschaft (EPG) 33 Europäische Politische Union 130

Sachwortregister Europäische Union (EU) – Charta 44, 183 – Demokratisierung 51 f. – EMRK-Beitritt 203 f. – Erweiterung 224, 232 – EU-Bevölkerung 225 – EU-Politik 208 – EU-Verfassungsrecht 47 – Finalität 246 – föderative Union 55 – Grundrechte 190 – Identifizierung mit der EU 159 – Kaiser 242 – Staatsqualität 42 – Staatswerdung 238 – Verfassungsbedürftigkeit 178 – Verfassungsfähigkeit 38 ff. europäische Verfassung 24, 48, 59, 129 – als Integrationsfaktor 45 f. – rechtliche Grenzen 174 ff. – Transparenz 47 ff. Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) 33 – Scheitern 54 Europäische Verteidigungspolitik (EVP) 129, 138, 144, 151 Europäische Währungseinheit (ECU) 36 Europäische Währungsunion (EWU) 56, 134 – dritte Stufe 146 Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) 23, 62 – Aufnahmeantrag 79 – Gründung 34 Europäische Zentralbank (EZB) 36, 132, 157 europäische Zollunion 31 Europäischer Außenminister 47, 227, 236, 238 ff., 240 ff., 254, 272 – Abberufung 240 – Ernennung 239 europäischer Auswärtiger Dienst 239 europäischer Gedanke – nach 1945 28 – vor 1945 25 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) 94 Europäischer Präsident, Direktwahl 156 Europäischer Rat 158, 183, 232 – Präsident 236

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europäischer Sozialgipfel 143 Europäischer Staatsanwalt 257, 259 Europäischer Unionsvertrag (EUV) s. Vertrag von Maastricht europäisches Außenministerium 140 Europäisches Parlament (EP), 183 – Direktwahl 37, 127 – Sitzverteilung 48 – Verfassungsentwurf 166 Europäisches Wechselkurssystem (EWS) 36, 128 – Ausschluß der britischen Währung 137 – Einführung 127 Europäisches Zentralbanksystem (EZBS) 36 Europarat 31, 54 – Gründung 30 European Communities Act (ECA) 87 f., 125 European Constitution 182 European Elections Act 265 European Scrutiny Committee 211 European Scrutiny Select Committee 75 European Standing Committees 211 Euroskeptiker 137, 141, 174, 192, 200, 259, 272 Evolutionssprünge 153 Ewiger Frieden 25 ex-ante-Überwachung 215 Exekutive 55, 101 Exekutivkomitee 127 Exportverbot 140 Factortame 90 ff., 134, 167 – Trauma 258 Falkland-Krieg 129 Faschismus 28 Federal Superstate 272 Federalism 57 Federation 23 finale Integration 56 Finalität 50, 52 Finanzverfassung 35 First City Trading 202 Fischereipolitik 128 Fischfangquoten 91 Five Tests 143 Flexibilisierung des Arbeitsmarkts 131 Flexibilität 245

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Sachwortregister

Föderal 169 – Elemente 136 – Föderales Europa 141 – föderalistisch 57 – Systeme 246 Föderalisierung 118, 159, 192 – Europas 130, 134 Föderalismus 109 Föderalismusreform 247 Föderalisten 52, 53, 54, 59 Föderalstaat s. Föderation Föderation 29, 47, 53, 53, 168, 181 Folketing 209 Fortschreibungen 69 Fouchet-Pläne 34 Franco-British Union 53 französische Ratspräsidentschaft 226 französische Revolution 25 Französisches Komitee für eine Europäische Föderation 53 Free State 111 Freie Welt 54 freier Binnenmarkt 132 Freihandelszone 146 Freiheit der Person 101 Freundschaftsvertrag 123 Friedenssicherung 28, 46 Frühwarnmechanismus 214, 231 Frühwarnsystem 215 fundamental law 61 fundamental right 101 Funktionalismus 56 – Funktionalisten 59 – funktionalistische Theorie 54, 55 – Scheitern, 55 Funktionalistischer Integrationsansatz s. funktionalistische Theorie Fusionsvertrag 34 GATT 125, 137 gelbe Karte 219 – Marginalisierung 220 Geltungsvorrang 248 Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) s. Agrarpolitik gemeinsame Aufgabenerfüllung 116

Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) 38, 125, 134, 136, 143, 145, 153, 172, 222, 223, 227, 237 f., 253 ff., 259 – Hoher Vertreter 232, 239, 253 Gemeinsame Erklärung der Mitgliedstaaten zur Besetzung der Posten von Kommissionspräsident, Ratspräsident und Außenminister 241 gemeinsame Verfassungsüberlieferungen 193 gemeinsame Währung 143, 153 gemeinsamer Außenzolltarif 121 gemeinsamer Binnenmarkt 131 gemeinsamer Entwurf 222 gemeinsamer Standpunkt 222 gemeinsames kulturelles Erbe 46 Gemeinschaft der Fünfzehn 46 Gemeinschaftsangelegenheiten 214 Gemeinschaftsbudget 129 Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte 191 Gemeinschaftsgrundrechte 48 gemeinschaftskonforme Auslegung 90 Gemeinschaftsrecht – allgemeine Grundsätze 190 – Anwendungsvorrang s. Anwendungsvorrang – mittelbar geltendes Gemeinschaftsrecht 90 – primäres s. Primärrecht – sekundäres 87, 155, 210, 249 – Vorrang 39, 88, 90, 97, 171, 177, 250 Gemeinschaftssouveränität 100 Gemeinschaftsziele 116 Generalsekretär des Konvents 188 Genscher-Colombo-Plan 130 Gerichtsentscheidungen 82 Gerichtssystem 167 Gesamtverantwortung der Regierung 105 Gesetzesauslegung 89 Gesetzgebung – Form und Verfahren 98 – -funktion 236 – -prozeß 214 – -vorschläge 215 – -vorschläge, Weiterleitung 217 Gesundheitsstandards 135 Gewaltenteilung 55, 83, 102, 101 ff. Gewerkschaften 126, 131 Gewohnheitsrecht 81

Sachwortregister gewohnheitsrechtlich anerkannte Rechtsgrundsätze 83 Gipfel von Dublin 130 Gipfel von Laeken 69, 71 Gipfel von Tampere 68 Gleichberechtigung der Völker 155 gleiche Wahl 37 Gleichgewicht der Kräfte 78 f. Gleichheit der Wahl 49 Gleichheit vor dem Gesetz 101 Glorious Revolution 173 Good-Friday-Agreement s. Belfast Übereinkommen Gottesbezug 186 Grande Nation 58 Grenzkontrollen 258 griechisch-römische Kultur 25 Großbritannien – Beitrittsgesuch 123 – Beitritt zu den EG 113, 122, 166, 124 ff. – direkte Demokratie 262 ff. – historische Rolle 77 f. – Neuverhandlung der Mitgliedschaft 262 – Öffnung nach Europa 122 ff. – politisches System 104 – Verbleib in der EG 262 Grundfreiheiten 114, 198, 200 Grundordnung 178 Grundrechtecharta 148, 186, 190 ff., 65 – Erläuterungen 202, 205 – Inkorporation 195 f., 197 – Marginalisierung 199 – Reichweite 204 – Status 70, 146, 190 Grundrechte-Konvent 60, 62, 67 ff. Grundrechtskatalog 44, 95, 114, 192 Grundrechtskultur 194 Grundrechtsschutz 193 Haager Friedenskonferenzen 27 Haager Gipfelkonferenz 35, 56, 64 habeas corpus 82 Handelszone 121 Handlungsfähigkeit 50 Handlungsunfähigkeit 205 Harmonisierungskompetenz 244, 245 Haushaltsdisziplin 130 Heilige Allianz 26

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Heimatschelte 188 Herren der Verträge 43, 50, 62 ff., 186, 189 Herrenchiemsee s. Verfassungskonvent Herzog-Kommission 188 Heterogenisierung der Partikularinteressen 233 Heterogenität der Mitgliederinteressen 64 Hohe Behörde 31, 33 Hoheitsbefugnisse, Übertragung s. Souveränitätsrechte Hoheitsrechte 77 Hoheitsrechtsübertragung s. Souveränitätsrechte – funktioneller Ansatz 245 – materieller Ansatz 245 Home Rule – all round 111 – Irland 111 Hongkong 86 horizontale Bestimmungen 193, 196 ff., 205 House of Commons 81, 211 f. – Fragestunden 105 House of Lords 81 f., 194, 212, 221, 243 – Law Lords 102 – European Communities Committee 212 – Reform 195 – Select Committee 151 Human Rights Act (HRA) 93 f., 167, 192 Humanismus 25 Humboldt-Rede 51, 146, 217 Identität – nationale 79 – parlamentarische 79 immanente Schrankenziehung 197 Implied Repeal 88 f., 92 Industrialisierung 27 Informationszugang 217 Initiativrecht 37, 158, 243, 256 Inkompatibilität 238, 242 Inländerdiskriminierung 248 innere Sicherheit 54 Input 157, 158 institutionell – Änderungen 66 – Balance 233 – Reformen 56, 205 ff.

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Sachwortregister

– Regeln 154, 182 – Gleichgewicht 70 Institutionen – -gefüge 187 – Neuorganisation 233 Instruments of Government 80, 173 Integration 244 – -befürworter 127 – -bereitschaft 257 – -konzepte, geschichtliche Entwicklung 53 ff. – Integrationslehre 45 – Motor der Integration 147 – -prozeß 246 – -prozeß, beschleunigter 71 – -wille 271 – -willigkeit 46 Interessengruppen 185 Interessenheterogenität 49 Interessenverbände 165 intergouvernementale Ebene 66 intergouvernementale Strukturen 207 intergouvernementaler Ansatz 54, 56, 115 f. Intergouvernementalisten 52, 53, 115 internationale Handelsunion 130 internationale Organisationen 232 Interpretation Act 95 Ionnania-Kompromiß 224 Irak-Frage 243 Irak-Krieg 46, 47, 172, 241, 253, 268 Irisch Republikanische Bruderschaft 111 irische Frage 111 Irische Verfassung 111 Irische Versammlung 111 irisches Referendum 160 Irland 110 – Gründung 112 Iron Lady s. Thatcher, Margaret IWF 128 Judicial Precedent 82 Judicial Review 103 Judikativfunktion 55 Jugoslawien 140 Jury 256 Justiz- und Innenpolitik 260 Justiz und Inneres 227 justiziabel 178

Kabinettsprinzip 104, 264 Kabinettsregierung 105 Kabinettssitzungen 105 Kaiseridee 25 Kalter Krieg 149 Kamingespräch 236 Karfreitagsabkommen s. Belfast Abkommen Karl der Große 25 Kerneuropa 139, 147 Kilbrandon-Kommission 113 King in Parliament s. Queen in Parliament King’s Bench Division s. Queen’s Bench Division Klagerecht 220 Klarstellungsfunktion 198 Kollegialitätsprinzip 242 Kölner Gipfel 68 – Schlußfolgerungen 69 Kolonien 86 Komitee-Wesen 159 Komitologie 159 – -verfahren 158 Kommandierung nationaler Truppen 241 Kommission 62, 157, 219 – Geschäftsordnung 240 – Kommissar für Außenbeziehungen 239 – Kommissionsposten, Neuverteilung 56, 69 – Verfahrensregelungen 240 – Wahl der Kommission 156 Kommissionspräsident 233 – Benennung 153 Kompetenzen 44, 153, 194, 201 – -abgrenzung 70, 147, 169, 178 – ausschließliche 244, 247 – -ausübung, gemeinsame 248 – -bestimmungen 221, 222 – Ergänzungsk. 247 – Erweiterung 223 – geteilte 244, 247 – Kompetenzkatalog 170, 246 – Kompetenz-Kompetenz 40, 43, 251 – konkurrierende 244 – Koordinierungsk. 247 – ordnung 244 ff. – parallele 244 – überschneidende 245

Sachwortregister – Unionsk., Ausweitung 194 – -verlagerung 180 – -verteilung 50 Kompromißabstimmung 209 Kompromißvorschläge 233 Konferenz von Dublin 129 Konferenz von Fontainebleau 130, 131 Konferenz von Nizza 69, 147, 190 Konfliktsituationen 236 konföderalistischer Ansatz 133 königlicher Erlaß 104 Konkordate 116 Konsensprinzip 67, 69, 74, 183, 187, 256 Konsensverfahren s. Konsensprinzip Konstitutionalisierung 181, 191 – Gemeinwesen 66 Konstitutionalismus, britischer 76 ff. konstitutionelle Vorschriften, Zersplitterung 179 konstitutiv 178 kontinentale Verfassungsordnungen 193 Kontinuität 234 Kontrollfunktion 216 Kontrollmittel 108 Kontrollrechte 37, 108 Konvent 60, 68 – demokratische Legitimation 184 – -forum 272 – Institutionalisierung 185 f., 189 – Rolle des Präsidiums 74 Konventsidee 60 ff., 74, 188 – europäische 61 f. Konventsmethode 65 f., 66, 183 ff., 189 – und Regierungskonferenzen 62 ff. – Vorteile 187 Konvent zur Zukunft Europas 44, 61, 66, 69 f. – Arbeitsweise 73 f. – Aufgabenstellung 71 f. – britische Mitglieder, 75 f. – Größe 74 – nationale Mitglieder, 75 – Zusammensetzung 72 f. Konvergenzkriterien s. Maastricht-Kriterien Kooperation 244 Kopenhagener parlamentarische Leitlinien 214 Koreakrieg 33, 121

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Koreakrise s. Koreakrieg Kosovo-Krise 46, 144 Kräftegleichgewicht 154 Kuhhandel 187 kulturelle Wurzeln 46 Labour-Partei 112 Laeken 50, 65, 161, 183 – Erklärung von L. 73, 153, 156, 162, 189, 206, 208, 260 Law and Order 101 Laying Documents before Parliament Act 81 Leader of the House 106 Left-Overs 69, 146, 206 Legislativfunktion 55 Legitimation 44, 186, 269 – Unionsorgane 153 ff. – „britische“ 161 ff. – demokratische 154, 163, 206 – föderale 157 – formale s. prozessuale – formelle 184 – indirekte 152, 157 – korporative 157 – prozedurale 157 – prozessuale 154 ff. – soziale 154 ff., 234, 257 – substantielle s. soziale – technokratische 157 – Vektorenmodell 156 f. – -kette 207, 235 – -konglomerat 164 – -problem 116 – -raster 272 Legitimität der Union 230 Letztentscheidungsrecht 50 Letztverantwortungsposition 63 Liberale 58 Liberalisierung – des Kapitalverkehrs 36 – des Luftverkehrs 131 libertärer Sozialismus 29 Liberties s. Civil Liberties LibLab-Koalition 114 Lobby-Gruppen 165 Lobbyismus 159 Local Assembly 172

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Sachwortregister

Locarno-Pakt 28 Lokalparlament 114 Lord Chancellor 102 Luxemburger Kompromiß 35, 62 f., 79, 223 Maastricht-Entscheidung 100 Maastricht-Kriterien 36 Maastricht-Urteil 153, 161 Maastricht-Vertrag s. Vertrag von Maastricht Magna Charta 81 Major, John 135 f. Mandamus 82 Mandatsgleichheit 67 manus lavat manum 64 Marginalisierung 233 Marktwirtschaft 142 Marshall-Plan 30 Mehrheitsabstimmungen 48, 108, 228, 252 – Ausweitung 69, 131 Mehrheitsmodus 228 Mehrheitssystem 56 Mehrheitsvotum 67 Mehrheitswahlrecht 264 Meinungsfreiheit 101 Menschenrechtsgemeinschaft 201 Menschenrechtsschutz 95, 167 Merchant Shipping Act 91 Messina 33 – Messina-Prozeß 121 Militärdiktatur 173 Militärische Integration 33, 253 Milosevic 145 Minderheitensprachen 208 Minderheitsregierungen 126 ff. Mindeststandards für Straftatbestände 260 Ministerial Responsibility – europäischer Einigungsprozeß 107 f. Ministerrat 115, 220, 232 – ECOFIN 232 – Vorsitz 236 Mißtrauensvotum 107, 153, 239, 240 – konstruktives 103 – destruktives 106 Mister Europa 232 ff., 234 Mitbestimmung, europäische 116 Mitentscheidungsverfahren 152, 212, 228 – Ausweitung 143

Mitgliedschaftssuspendierung 211 Mittelmächte 27 Mixed Commonwealth 179 Menschenrechtspolitik 193 Monarchie, Restauration 173 monistischer Ansatz 175 Monnet, Jean 31 Montanunion 31, 32 Multi-Level-Constitutionalism 116, 179 Multilevel-Governance 179 multipolare Weltordnung 253 Nachbarpolitik 50 Napoleon 25, 26 nationale Parlamente 207 ff., 220 – Stärkung 128, 141, 213 – Rolle 70 – Überwachung 213 – Veto-Recht 218 f. nationale Rechts- und Verwaltungsvorschriften 248 nationale Vielfalt 46 Nationalismus 27 Nationalistenbewegung 112 Nationalkonvent 60, 188 Nationalstaaten 160 – Bedeutung 272 – nationalstaatliche Interessenpolitik 58 – Nationalstaatlichkeit 79 – Nationalstaatsprinzip 27 NATO 33, 122, 138, 140, 145, 253, 255 Neill-Kommission 264 Neo-Funktionalismus 56, 57 neo-funktioneller Ansatz s. Neo-Funktionalismus Netto-Beiträge 129 Neue Bundesverfassung Schweiz 193 neuer Weg 98 Neugewichtung der Stimmen im Rat 189 Neuverteilung der Stimmgewichte 69, 225, 226 New Labour 141 ff., 166 Nichtigkeitsklage 216 Nichtregierungsorganisationen 61 Niederlassungsfreiheit 202 Nigeria 86 Nizza s. Vertrag von Nizza non-demos-Theorie 179

Sachwortregister Nordirland 110 – Nordirlandfrage 109, 262 – Nordirland-Konflikt 109 Normenauslegung 171 Normverwerfung 95 Normverwerfungskompetenz 95 North / South Ministerial Council (N / SMC) 117 Oberhaus s. House of Lords öffentliche Gewalt 195 öffentliches Wohl 162 Öffentlichkeit 67, 214 – europäische 180, 269 Ökonomismus 46 Oktoberrevolution 27 Opposition 107, 269 Opt-In 28, 257 Opt-Out 135 f. Organgeflecht 218 Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) 30 Ostblock 29, 57 Osteraufstand 111 Osterweiterung 48, 49, 56, 66, 70, 142, 181, 205, 221, 225 Ost-West-Konflikt 54 Output 157, 158 Overruling 82 Package-Lösungen 125 Paket 64 Paketlösung 209 Paktsystem 78 Paneuropäisches Manifest 28 Paneuropa-Union 29, 53 Paradigmenwechsel 271 Paradox der Schwäche 116 Parallelstruktur 233 Parlamentarierunion 29 parlamentarische Überwachung 208 f. Parlamentarisierung 159 – Grenzen 160 ff. Parlament – Kontrollfunktion 217 – -macht, Entleerung 243 – Parlamentarismus 51 – Parlamentsrecht 84

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– -präsident 106 – -gesetz 81 – Stärkung der Rolle 231 – -wahlen 269 Parlamentssouveränität s. Sovereignty of Parliament Parliament Act 81 Parliament Bill 262 Parliamentary Sovereignty s. Sovereignty of Parliament Parliamentary Supremacy s. Sovereignty of Parliament Parteidisziplin 106, 125 Parteiensystem 160 Partei-Linke 126 Parteiräson 106 Parteizusammenschlüsse 129 Partikularinteressen 230 Passerelle 229 ff. Passerelle-Verfahren 231 Penn, William 25 Petersberg-Aufgaben 253 Petersberger Beschlüsse 47 Philadelphia Konvent 44, 60, 66, 188 PJZS 222 f. Plaumann-Formel 117 Plea Bargain 256 Point of no Return 54 Political Parties, Elections and Referendums Act (PPER) 264 f. Politik des leeren Stuhls 35, 58, 63, 125, 223 politische Homogenität 46 politische Sanktionierung 106 politische Verbindlichkeit 264 politischer Verantwortungszusammenhang 52 politisches und sicherheitspolitisches Komitee 241 Polizei 153 post-nationale Konstellation 180 Post-Nizza-Debatte s. Post-Nizza-Prozeß Post-Nizza-Prozeß 69, 148, 153, 206, 221, 225, 272, pouvoir constituant 43 pouvoir constituée 43 Präambel 44, 198 Prae-Nizza-Prozeß 69 Pragmatismus 173

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Sachwortregister

Präludien-Wirkung 198 Präzision 245 Precedent 82 Prerogative s. Royal Prerogative Primärrecht 47, 155, 197, 249 – Konsolidierung 267 – unmittelbare Anwendbarkeit 48 – Vereinheitlichung 247 – vertikale Drittwirkung 48 Principal-Agent-Betrachtung 157 Principles 194 Privy Council 82 Procedure 101 Prohibition 82 Protektionismus 30 Protokollösung 199 prozeßorientierter Ansatz 215 Prozeßstandschaft 216 Qualifizierte Mehrheit 49, 129, 222 f., 236 Quasi-Gesetze 81 Queen in Parliament 81, 84 Queen’s Bench Division 82 Quorum 264 Rahmengesetze 256 Rahmengesetzgebungskompetenz 247 Rat der Europäischen Union 62 – allgemeine Angelegenheiten 232 – auswärtige Angelegenheiten 239 – Generalsekretär 232 – Generalsekretariat 237 Rat von Köln 190, 194 Rat von Tampere 190 Ratifikation 43, 63, 156, 175, 229, 260 Ratifikationsdruck 210 Ratifizierung 71, 87, 188 Ratspräsidentschaft 232 ff., 236 – Organstellung 236 – Verstetigung 234 Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts 216, 255 ff. Rechte, Übertragung s. Souveränitätsrechte Rechtsklarheit 102 Rechtskultur 42 Rechtsmittelinstanzen 82 Rechtspersönlichkeit 183 Rechtsschutz 95

Rechtsetzungsverfahren 221 f. Rechtssicherheit 102 Rechtsstaatsprinzip 83, 101 Red Tapes 229, 252 ff. Red-Card-System s. rote Karte Referendum 81, 126 ff., 137, 155, 259, 260 ff. – bindendendes 261, 264 – Daily Mail 266 – end-of-process 272 – europäisches 273 – gesamtbritisch 263 – Kampagne 243 – nationales 175, 267 – Referendum Party 263 – verbindliches 269 – Verfassung 265 Reformbestrebungen 232 Reformdruck 206 Reformkonferenz 70 Reformprozeß 50 Regenbogen-Presse 146, 266 251 Regierungskonferenz 38, 63 f.,187 – Institutionalisierung 70 Regierungspartei 107 Regierungsvertreter 68, 72 regionale Selbstverwaltung 113 regionale Vielfalt 46 regionaler Strukturfonds 127 Regionalismus 57, 109 Regionalparlament 99, 115 Relaunch 130 Reparationstransfer 30 Replikationen 198 Repräsentanten 155 Repräsentation 110 – Überrepräsentation 206 Repräsentativorgan 61 Republik Irland s. Irland Resolutionen 209 Responsibility 84, 103 f. – collective 104 f., 270 – individual 105 f. – legal 103 Revolution 98 Rezeption 251 Rhodesien 86 Richterrecht 81 Richtlinien 87, 210

Sachwortregister Römische Verträge 24, 34, 57, 221 Rotationsprinzip 233 rote Karte 219 Royal Assent 81 Royal Assent Act 81 Royal Prerogative 83, 175, 192, 208, 210, 212, 262 Rule of Law 83, 93, 101 ff. Sachbereichszuweisung 245 Sachzwänge 34, 54 Sanktionsmechanismus 220 Santer-Kommission 153, 162, 165 Säulenmodell, s. Säulenstruktur Säulenstruktur 37, 148, 159, 244 – Auflösung 228, 252, 255, 272 Schengen-Acquis 258 Schengener Abkommen 40, 114 schnelle Eingreiftruppe 145 Schottische Nationalpartei (SNP) 112 Schottisches Parlament 114 Schröder-Blair-Papier 142 Schumann, Robert 31 Schumann-Plan 32, 120 Schutzmacht 78, 119 Schwerpunkttheorie 248 Scottish Grand Committee 113 Scottish Office 113 Scrutiny Reserve 211 f. Sechsergemeinschaft 25, 122 Secretary for Scotland 113 Sekretariat 74 Sekundärrecht s. sekundäres Gemeinschaftsrecht Selbstbestimmungsrecht der Völker 27 Selbstverwaltung 110 self-restraint 212 Separation of Powers s. Gewaltenteilung Sezession 170 Sharpeville-Massaker 122 Sicherheitsratssitz 268 Sicherheitsstandards 135 Sinn Fein 111 soft law 191 Solange-Rechtsprechung 192 Souveränität 57 – der Einzelstaaten 182 – des Monarchen 84

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– des Parlaments s. Sovereignty of Parliament – internationale 268 – nationale 79, 167, 221, 252 – parlamentarische s. Sovereignty of Parliament – staatliche 153 – überlappende 116f – -rechte 57 – -übertragung 110, 176 – -übertragung, Grenzen 100 – -verlust 204 Souveränitätsrechte, Übertragung 54 ff., 99 Sovereignty of Parliament 79, 82, 83, 84 ff., 95, 97, 110, 115, 171, 176, 180, 210, 264, 271 – Bindung zukünftiger Parlamente 176 – orthodoxer Ansatz 84 f., 88, 92 – positive 85 – negative 85 – Aufweichungstendenzen 85 f. – traditioneller Ansatz s. orthodoxer Ansatz – Entleerung 100 Sowjet-Imperialismus 54, 79 Sowjetunion, Machtanspruch 31 Sozial-Charta 134, 136, 141, 191 soziale Grundrechte 179, 193 f., 197, 200 soziale Homogenität 46 soziale Partner 132 soziale Standards 133 sozialer Gedanke 26 Sozialismus, internationalistischer 25 Sozialisten 58 sozialistische Internationale 58 Sozialkommissar 135 Sozialpartner 61 Sozialpolitik 153, 252 Sozialprotokoll 143 Spaak-Bericht 34 Speaker’s Conference 111 Special Relationship 121 Sperrminorität 49, 230 Spill-Over 34, 37, 51, 54, 66, 132, 246 Spill-Over-Effekt s. Spill-Over Spinelli, Altiero 53 Sprachbarriere 51, 208 Sprachenfrage 112 Staatenbund 24, 55, 59

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Sachwortregister

Staatenbündnis 28 Staatenkammer 217 Staatenverbund 152 Staatenwerdung 166, 188 Staatlichkeit 164 Staatsbegriff 52 – Relativierung 39 ff. Staatsvolk 172 Staatszielbestimmungen 44 Stabilitäts- und Wachstumspakt 36 Stahl- und Kohleindustrie 35 State Sovereignty 115 Status Quo 64 Statute of Westminster s. Westminsterstatut Statutes 81 f. statutory law 61 Steuerharmonisierung 132 Steuerhoheit 252 Stiftung Europa-Kolleg 166 Stimmenmacht, absolute 224 Stimmenverlust 226 Stimmenwägung 227, 221, 223 f. Stimmgewicht 48 Stimmgewichtung s. Stimmenwägung Strafverfahrensbestimmungen 256 Strafzahlungen 211 strategische Entscheidungen 241 strategisches Verhalten 64 Strukturplan 235 Stuttgarter Gipfel 130 Sub-Committee 212 subjektive Rechte 198 subnationale Ebene 114 Subordinate Legislation 82 Subsidiarität 109, 210 – Subsidiaritätskontrolle 215 – Subsidiaritätsprinzip 57, 136, 139, 141, 144, 169, 183, 215, 219, 221, 246 Substance 101 Süderweiterung 37, 128, 129 Suez-Krise 35, 79, 121 superior law 178 Superstaat 146, 168 f., 179 – europäischer 268 – föderaler 266, 273 supranational – Ebene 66, 114 – Strukturen 207

– Charakter 159 – Verband 41 – Zusammenschluß 54 – Bündnis 29 Supranationalität 50 Supreme Court 102, 195 Supreme Court Act 81 System of Government 181 Tabakwerberichtlinie 244 Tabloid-Presse s. Regenbogen-Presse Tagespolitik 148 Team-Präsidentschaft 234 Team-Vorsitz 236 Teilsouveränität 116 Teilverfassungen 43 teleologische Interpretation 171 Terrorbekämpfung 255 Thatcher, Margaret 106, 127, 129 ff. tidying-up-exercise 169, 195, 251 Tories s. Conservatives Totalrevision 47, 73 transeuropäische Netze 223 Transparenz 159, 161, 168, 184, 187, 189, 206, 213, 230, 236 travelling circus 147, 189 Treaty of Union 77, 112 trojanisches Pferd 125, 192 Tschechoslowakei 30 Türkei – EU-Beitritt 161 – Unionsfähigkeit 42 – Türkengefahr 25 Ulster s. Nordirland Union der Völker Europas 54 Union Européenne des Fédéralistes (UEF) 29, 54 Union with Scotland Act 81, 85 Unionisten 53 f. – Unionistenbewegung 112 Unionsbevölkerung 230 Unionsbürger 260 – Unionsbürgerschaft 39, 114, 180 Unionsebene 219 Unionsorgane, Informationsfluß 220 Unionsrecht – Unionsprimärrecht s. Primärrecht

Sachwortregister – unmittelbare Anwendbarkeit 252 – Vorrang 248 ff. Unionsvertrag s. Vertrag von Maastricht unitarischer Charakter 114 United Europe Movement (UEM) 29 unmittelbar geltendes Recht 93 Unschuldsvermutung 102 Unterhaus s. House of Commons Unterhauswahlen 141 Untertanen 180 Van Gend 40 Ventotene Manifesto 53 Verantwortlichkeit 150 Verantwortung – der Regierung 84 – persönliche 107 Verbundentscheidungen 64, 50, 108, 212 Verdrängungseffekt 87 Vereinfachung der Verträge 70, 71 Vereinheitlichung – des Marktes 46 – strafrechtlicher Mindeststandards 259 Verfahren der Mitentscheidung 222 Verfahren der Zusammenarbeit 222 Verfassungsprojekt, Tabuisierung 182 Verfassung – -änderung 62 – -aufträge 179 – -beschwerde 194 – -begriff 177 f. – britische 80 ff. – britische, politischer Charakter 97 – britische, Elemente 81 ff. – britische, grundlegende Prinzipien 83 ff. – -debatte 50 – enges Verständnis 177 – -frage 165 ff., 177, 273 – für Europa 52, 60, 168 – -gefüge 43 – -gemeinschaft 43, 63, 152 – -gericht 194 – -gesetz 250 – im formellen Sinn 42, 43, 80 – im klassischen Sinn 43, 52 – im materiellen Sinn 42, 44, 51 – -komitee 113 – -krise 35

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– -notwendigkeit 45 ff. – -patriotismus 45, 48 – politische 81, 118 – -reform 219 – -theorien 39 – ungeschriebene 80 f., 84, 166 – -urkunde 172 – -verbund 152 – Verfassungsdokument 172, 184 – weites Verständnis 177 Verfassunggebung 52 – verfassunggebender Akt 43, 81 – Verfahren 273 Verfassungsentwurf 43 – Dashwood 182 f. Verfassungskonvent 24, 60, 73 – Herrenchiemsee 60, 66, 188 Verfassungsverständnis 38 – britisches 164 – kulturelles 41 f. – liberales 179 Verfassungsvertrag 50, 52, 60, 271 – konsolidierte Fassung 272 – völkerrechtlicher Charakter 199 Verhältnis von nationalem Recht zu Gemeinschaftsrecht 100 Verhältnismäßigkeit 210, 215 Verhältniswahlrecht 143 Vermittlungsausschuß 222 Verordnungen 87 Versaille 27 Verstaatlichung 35 verstärkte Zusammenarbeit 147, 256 Verteidigungsbündnis 33 Verteidigungspolitik 54 Vertiefung der Gemeinschaft 131 Vertrag von Amsterdam 38, 56, 63, 65, 69, 143, 205, 213, 216, 223 Vertrag von Maastricht 23, 37, 42, 47, 56, 57, 62 f., 69, 136, 138, 153, 182, 209, 213, 223 – Ratifikation 263 Vertrag von Nizza 47, 50, 56, 58, 63, 65, 66, 69, 225 – Einkaufsliste 71 – Erklärung Nr. 23 70, 71 Verträge – Verfassungseigenschaft 178

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Sachwortregister

– als Verfassung 42 ff. – völkerrechtlicher Charakter 191 vertragsorientierter Ansatz 98 Vertragsrecht, ungeschriebene Regeln 251 Vertragsrevision 63, 64, 155, 188 – Flexibilisierung, 229 Vertragsvereinheitlichung 62 Vertrauen im Parlament 103 Vertrauensfrage 103, 107 Vertreter im Rat 213 Verwerfungskompetenz 248 Veto-Recht 148, 187, 224, 230 viktorianische Zeit 120 Vizepräsident 235, 237 Völker Europas 156, 230 Völkerbund, Gründung 27 Völkerrecht, dualistisches Verständnis 249 völkerrechtlicher Vertrag 260 Völkerrechtsprinzip 207, 226 Volksabstimmung 67, 114, 260 Volksbefragungen 260 – Bindungswirkung 261 Volkssouveränität 180 Volkswille 51 Vorentwurf 170 Vorrang des Parlaments s. Sovereignty of Parliament Vorrang von Gesetz und Recht 101 Vorschlagsrecht 239 Wahlbeteiligung 62, 153, 269 Wählerbeteiligung 207 Währungshoheit 39 Währungsunion 46, 114, 125, 135 – Gründung 55 Walisische Nationalpartei 112 Walisische Versammlung 114 Weltwirtschaft 128 Weltwirtschaftskrise 28 westeuropäischer Markt 122 Westland-Affäre 132 Westminsterparlament 110, 162 Westminster-Statut 81, 86 Westeuropäische Union (WEU) 140, 253 Whips 264 Whips Office 75

Widerstandsbewegungen 53 Wiederaufbau Europas 28, 78 Wiederbewaffnung 33, 79 Wiedervereinigung Deutschlands 134 Wiederwahl 236 Wiener Kongreß 26 Wilson, Harold 126 ff. wirtschaftliche Integration 33, 55 Wirtschafts- und Sozialausschuß 157 Wirtschafts- und Sozialpolitik 183 Wirtschafts- und Währungspolitik 228 Wirtschafts- und Währungsunion (WWU), 35, 37, 223 Wirtschaftsgemeinschaft 78 Wirtschaftsintegration s. wirtschaftliche Integration Wirtschaftspolitiken 232 Wirtschaftsunion 24 World-Trade-Center 255 Yellow-Card-System s. gelbe Karte ZBJI 136 Zentralgewalt 55, 57 Zentralisierung der Entscheidungskompetenzen 52 Zentralregierung 115 Zentralstaat, Rückzug 118 Zentrifugalkräfte 110 Zielzuweisung 245 ziviler Ungehorsam 93 Zolltarifsystem 121 Zollunion 33 – Scheitern 32 Zukunftsforum 185 Zürcher Rede 29, 53 Zürich 78 Zuständigkeitsgewinn 116 Zuständigkeitsverlust 116 Zustimmungsverfahren 223 Zustimmungsvotum 153 Zweikammernsystem 216 Zwei-Schwerter-Lehre 25 Zweite Kammer 55, 144, 147, 213, 217 zweite Lesung 222 Zweiter Weltkrieg 55