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German Pages 304 Year 2013
Der Dandy
Europäisch-jüdische Studien Beiträge
Herausgegeben vom Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien, Potsdam, in Kooperation mit der Gesellschaft für Geistesgeschichte Redaktion: Werner Treß
Band 10
Der Dandy
Ein kulturhistorisches Phänomen im 19. und 20. Jahrhundert Herausgegeben von Joachim H. Knoll, Anna-Dorothea Ludewig und Julius H. Schoeps
ISBN 978-3-11-030552-4 e-ISBN 978-3-11-030591-3 ISSN 2192-9602 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2013 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Michael Peschke, Berlin Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Inhalt Einleitung Joachim H. Knoll „Das Leben als Kunstwerk“ – der Dandy als kulturhistorisches Phänomen im 19. und frühen 20. Jahrhundert 1 Identitäten Günter Erbe Aristokratismus und Dandytum im 19. und 20. Jahrhundert 11 Gregor Schuhen Untergeordnet? Sublim? Entartet? Der Dandy aus Sicht der Men’s Studies 29 Isabelle Stauffer Die Femme Dandy – eine vergessene Tradition? Die Marquise d’Espard, Coco Chanel und Drag Kings 43 Julia Bertschik „Des Dandys bestes Stück“: Die Krawatte als ästhetisches Paradox von Beau Brummell bis zum Dandy 2.0 63 Fernand Hörner Jan Delay, oder: Die Zukunft des Dandys zwischen Texten und Textilien 77 Rezeptionen Gernot Krämer „Frucht dieser allzusehr gebrandmarkten Eitelkeit.“ Jules Barbey d’Aurevilly und George Brummell 97 Hiltrud Gnüg Charles Baudelaires Bestimmung des Dandyismus und sein Entwurf einer Femme Dandy in den Fleurs du Mal 109
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Inhalt
Sebastian Neumeister Gabriele d’Annunzio: Ein Dandy zwischen Leben und Literatur 127 Biografien Joseph Anton Kruse „Das sieht so affektiert aus.“ Dandyhafte Bezüge und Strategien bei Heinrich Heine 139 Lucia Krämer Der gebrochene Dandy: Oscar Wilde im biografischen Spielfilm 159 Julius H. Schoeps Der jüdische Dandy: Die Selbstinszenierung des Theodor Herzl 175 Ute Oelmann Stefan George: Vom Dandy zum Meister 195 Dalia Klippenstein Zum russischen Dandytum: Sergej Diaghilew 205 Moritz Reininghaus Flaneur, Bohemien – Dandy? Franz Hessel in München, Paris und Berlin 235 Thomas Blubacher Francesco von Mendelssohn – der „glamorous boy“ Berlins 251 Anhang Literaturverzeichnis 273 Abbildungsverzeichnis 287 Über die Autorinnen und Autoren 289 Personenregister 293
Joachim H. Knoll
„Das Leben als Kunstwerk“ – der Dandy als kulturhistorisches Phänomen im 19. und frühen 20. Jahrhundert Eine bündige und die Einzelerscheinungen zusammensehende Definition des Dandys gibt es nicht – kann es auch nicht geben, da der Typus in unterschiedlichen Zeiten eine je unterschiedliche Konnotation besaß. Die Unterschiede sind zeitlich, regional und inhaltlich bedingt. Und der Begriff verfügt über eine Definitionsbreite, die sich vornehmlich an gesellschaftlichen und schichtspezifischen Vorstellungen von Seriosität, Konvention und Subkultur orientiert und demzufolge einmal einen eher wohlmeinenden und andererseits einen pejorativen Charakter einnimmt. Gleichzeitig gibt es aber auch Merkmale (Kriterien), die den Dandy nicht nur aus dem zeitlichen Verständnis definieren; wir halten zudem für richtig, dass der „Dandy“ ein Typus ist, der nicht ausschließlich in aristokratischen Zuständen anzutreffen ist.
Merkmale und Erscheinungsformen So ist der Typus hierzulande mit Metropolen (München, Berlin, Düsseldorf, Hamburg) und den gesellschaftlichen Kristallisationspunkten in diesen Metropolen verbunden. Hier lohnt es sich auf die Rolle der literarischen Salons um 1800 (Rahel Varnhagen), auf die männerbündlerischen Adelstreffen im Umkreis Wilhelms II. („Liebenberger Tafelrunden“ des Philipp Graf zu Eulenburg auf Schloss Liebenberg), auf die bürgerlichen Salons am Beginn der 1920er-Jahre (Anton und Else Bruckmann in München), auf die Freundes- und Gesprächskreise in Hamburg (Übersee-Club und die Familien Münchmeyer, Sieveking, Chapeaurouge) und die eher zufälligen „Treffpunkte“ intelligenter Grenzüberschreiter in Düsseldorf (Gabriele Henkel, Anja Bagel-Bohlan) und in Berlin (Nikolaus Sombart) näher einzugehen. In der Provinz, wo die gesellschaftlichen Grenzen und Ausgrenzungen offensichtlicher und ausgeprägter sind, kann der Dandy kein respektables und respektiertes Dasein führen. Er, der Dandy, ist eben verbunden mit existierenden oder von ihm begründeten Salons, er kann sich nur auf einem gesellschaftlichen Hintergrund darstellen, in dem das Außergewöhnliche und Unkonventionelle noch mit einer gewissen noblen Exklusivität verbunden ist. Er stammt aus begüterten Verhältnissen; sein Geld ist teils ererbt, teils durch Mäzene vermittelt und heutzutage
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durch einen selbst auferlegten Arbeitseifer bis zum Hörsturz (zum Beispiel Ulrich Tukur) erworben. Er ist gebildet, nicht im Sinne akademischer Laufbahnbildung, sondern vielfach in der Form des begabten, fachübergreifenden Dilettantismus. Er ist publizistisch vor allem im Bereich des Feuilletons anzutreffen, naturwissenschaftlich gebildete Dandys sind offenbar die Ausnahme – dabei wird leider in allen relevanten Publikationen die erste europäische Universitätsprofessorin und Ordinaria für Physik, Laura Bassi (1711–1778), aus Bologna übersehen, die dem galanten Witz und einem mondänen „Outfit“ durchaus zugeneigt war und als „Femme Dandy“ gelten könnte. Der Dandy verfügt über Freundes- oder „Gemeinde“kreise. Er besticht durch eine Begabung für ungewöhnliche Selbstinszenierungen und für einen Lebensstil, der ästhetisch-kultiviert in Kleidung und Gehabe und gleichzeitig intellektuell-ätherisch anmutet. Von diesen Merkmalen allein kann die These nicht erhärtet werden, dass der Dandy eine aussterbende Spezies sei. Günter Erbe, der dem Dandy vielfach im Umkreis des Aristokratismus auf der Spur ist, die eilfertige Verwendung des Begriffs „Dandy“ in „Feuilletons und Modezeitschriften“ nicht teilt und ihn ganz im historischen Kontext belassen möchte, gibt die folgende Definition: Der Dandy ist ein Mann von einfacher, erlesener Eleganz, einer Eleganz, die Ausdruck einer bestimmten Geistes- und Lebenshaltung ist, eine extravagante Spielart des Gentleman, ausgezeichnet durch überlegenen Geschmack, perfekte Manieren, zynisch-frivolen Konversationston, Kaltblütigkeit und Unerschütterlichkeit in allen Lebenslagen und in einem auf die Spitze getriebenen Selbstkult. Er ist ein passionierter Müßiggänger und eine notorische Spielernatur. Er ist Solitär und Gesellschaftsmensch. So mag man ihn wie Rainer Gruenter paradoxerweise – aber das Paradoxe gehört zu seinem Wesen – als den Ungeselligen schlechthin ansehen, „dessen prinzipielle geselligen Distanz freilich auf eine raffinierte ‚Geselligkeit‘ von Geselligkeitsverächtern bezogen ist“. Der Dandy existiert in vielen Spielarten und Mischformen, die durch die unterschiedlichen geschichtlichen Umstände bedingt sind.1
Von daher ist es auch nicht verwunderlich, dass dem Begriff „Dandy“ andere artverwandte Begriffe zur Seite gestellt werden: Gentleman, Snob, Parvenü, Spaziergänger, Playboy, Lebenskünstler, Schmok, Pop-Dandy (zum Beispiel Andy Warhol). Diese artverwandten Begriffe vermitteln freilich jeweils nur Ausschnitte dessen, was im Aristokratismus mit dem Begriff „Dandy“ verbunden wurde. Das ließe sich im historischen Beispiel an William Makepeace Thackerays (1811–1863) 1 Günter Erbe, Männer in der Gesellschaft, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 46 (2004), S. 31–38, hier S. 31f.
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The Snobs of England (1846) sehr deutlich zeigen, weil mit Bosheit allein und filigraner Kritik an dem Standesdünkel des Adels eben nur eine Absage an den Snob, nicht aber den Dandy formuliert werden konnte. Wollte man sich aus dem Paradoxen und zumal den definitorischen Schwierigkeiten befreien, dann müsste man darauf sehen, dem zeitunabhängigen Typus Dandy mindestens drei der oben genannten epitheta ornantia (Merkmale, Kriterien) zu unterlegen und sogleich die Frage nach seiner Eigen- und Fremdattribuierung zu prüfen. Oder schlichter gefragt, wer bestimmt und mit welcher Autorität, wer ein Dandy ist und was ihn ausmacht? Sehen wir heute auf Personen, die in die Nähe des traditionellen DandyTypus gehören könnten, so fallen einem hierzulande unter anderem Gunter Sachs (1932–2011) oder im Kontrast dazu auch Karl Lagerfeld (*1933) ein. Beide haben mit einem beträchtlichen Privatvermögen die Moderne in der Bildenden Kunst (vormals Galerie Sachs in Hamburg-Pöseldorf) und die künstlerische Fotografie (Lagerfeld erhielt 1996 den Kulturpreis der Deutschen Gesellschaft für Photographie unter anderem für One Man Show) gefördert, sie überschreiten das Bild vom müßiggängerischen Playboy eindeutig, sie haben ihren künstlerischen Beruf ausgefüllt und gleichzeitig die Grenzen der Konvention aufgehoben. Sie sind in die Selbstdarstellung (in Sport oder Society) verliebt, sie haben sich feuilletonistischschriftstellerisch ausgezeichnet, Sachs in der Mathematik und der Zahlenmystik, Karl Lagerfeld neben vielem über Mode, Malerei und Fotografie nicht zuletzt mit dem von ihm illustrierten Bändchen Landpartie (erschienen 2010) von Eduard von Keyserling. Beiden kann das Außergewöhnliche zugesprochen werden, und ihre Exzentrik wird von der Presse mit vergnügtem Wohlgefallen begleitet. So fallen gewiss Eigen- und Fremdattribuierung zusammen, ohne dass der Begriff „Dandy“ aufscheinen muss.
Zeitlicher Rahmen Sehen wir auf die zeitliche Dimension, in der es den Begriff und die Lebensform „Dandy“ gegeben hat, so scheint es nicht, dass dieser Typus im Aussterben begriffen ist, nur weil es nicht mehr die Gesellschaft mit ihrer aristokratischen Hierarchie gibt, die ihn trägt und erträgt und er ganz und gar ein Kind des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts gewesen sei. Gewiss, die Anfänge einer aristokratischen Dandy-Theorie scheinen der Ansicht von der Kurzlebigkeit des Dandys Recht zu geben. Jules Barbey d’Aureville hat, ebenso wie Fürst Hermann von Pückler-Muskau, ganz aus dem eigenen adeligen Herkommen räsoniert, argumentiert und sich inszeniert. Aber bereits George Brummell, der Dandy par
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excellence, war nicht von adeliger Geburt, und Oscar Wilde hat, demgegenüber nahezu bedenkenlos, vorsätzlich gesellschaftliche Barrieren aufgehoben und allenthalben sein Amüsement gesucht. Auch in den Beiträgen des vorliegenden Sammelbandes wird – gewiss im Blick auf die deutsche Geistes- und Kulturgeschichte – frühzeitig eine bürgerliche Dandy-Kultur signalisiert und dies bereits in der Wilhelminischen Ära oder zumindest an deren Ende (Stefan George und Franz Hessel). An beiden erweist sich die sprachliche Verwendung des Begriffs „Dandy“ als wenig zutreffend: Bei Hessel changieren die Begriffe Flaneur, Bohemien und Dandy, und mit George hält durch „Meister“ (und „Kreis“) eine neue Dimension des Dandys als Seher, Welterklärer und Verkünder Einzug. Vor diesem Hintergrund war die Weimarer Republik die Zeit, in der der bürgerliche Dandy in Deutschland seine Blütezeit erlebte. Eine Gesellschaft und ein Staat, die ihrer Hierarchisierung, ihrer Struktur und Zuordnung verlustig gegangen waren, suchten nach neuen Ausdrucksformen für eine libertäre Lebensgestaltung und neue Bindungsmuster. Zumindest in kleineren Kreisen (wie um Theodor Herzl und Francesco von Mendelssohn) wurden charismatische Figuren zu Kristallisationspunkten für eine Sinnsuche und Zukunftsgestaltung. Verwunderlich eigentlich, dass just zu dieser Zeit auch der weibliche Dandy, die „Femme Dandy“, entdeckt wurde, die in der Praxis schon länger existierte. Hier setzt auch die Auseinandersetzung mit dem Thema in der Geschlechterforschung an, und, damit verbunden sind auch die Überlegungen zu einer allmählichen Aufhebung der Geschlechterdifferenzen. In der Gegenwart, zwischen Mode und Prominenz, die nach dem Worte José Ortega y Gassets „durch Beifall zustande kommt“,2 nimmt die Irritation zu, wer denn noch in Selbst- und Fremdattribuierung als Dandy bezeichnet werden könne. Und gleichzeitig kündigt sich „zwischen Texten und Textilien“ (Fernand Hörner) eine Zukunft für den Dandy an. Der Beginn der Dandy-Geschichte wird in Verbindung mit der Aufklärung gesehen, welche gewissermaßen den Ausgangspunkt für die Fraglichkeit von Konvention und Tradition bildet. Dies trifft für das frühe 19. Jahrhundert gewiss zu, vergleichbare Aufklärungsprozesse sind heute jedoch kaum mehr vorstellbar, da alle denkbaren Tabus – auch die sexuellen – aufgebrochen sind; und von theologischer Seite wird prophezeit, dass „die Pathologie der Vernunft […]eine Krankheit [ist], die das Immunsystem einer Gesellschaft schwächt“3.
2 José Ortega y Gasset, Der Aufstand der Massen, Stuttgart 1947, S. 7, 43, 46. 3 Thomas Söding, Vernunft und Verantwortung des Glaubens, S. 1: http://www.ruhr-uni-bochum.de/imperia/md/content/nt/aktuelles/papstbesuchindeutschland/rationalit_t_von_religion_und_politik.pdf (2. 6. 2012).
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Bürgerliche Paradoxien Wir kehren noch einmal zu dem nur scheinbaren Widerspruch von Dandy und Bürgergesellschaft zurück. Am Beginn der Weimarer Republik sind es drei Personen, die zum Kreis der Dandys gerechnet werden können und sich dabei politisch und weltanschaulich zwischen Kaiserreich und Republik angesiedelt haben. Ihre Wahrnehmung der eigenen Vergangenheit und Familiengeschichte ist durchaus retrospektiv, gleichzeitig aber auch offen für neue Lebens- und Gesellschaftsformen, das gilt auch für den ersten der hier zu nennenden, nämlich Walther Rathenau (1867–1922), der sich gern in der Gardekürrasier-Uniform ablichten ließ. Rathenau steht aber gleichzeitig auch für einen Typ des Dandys, der über das Exklusive und Außergewöhnliche hinaus als „Verkünder“ akzeptiert werden wollte. In seinem gewiss vergeblichen Kampf gegen die „Mechanik des Geistes“ und der Umwelt setzte er auf ein „Reich der Seele“4 und auf einen neuen Menschentypus, der von Männlichkeitsstereotypen unterlegt war. In seiner Schrift Der Kaiser (1919), eine frühe Biografie voll verhaltener Sympathie und gleichzeitiger Verwunderung, wird ein Bild Wilhelms II. abgeliefert, das parfümiert und schrill klingt, unterschwellig darf man dabei eine Bewunderung für das Bunte und Selbstinszenierte vermuten. Das klingt nach einem eigensinnigen Kontrast zu seiner Profession als Generalbevollmächtigter der AEG und späterer Außenminister der Weimarer Republik. Neben seinen Publikationen Zum Reich der Seele und seiner politischen Tagesschriftstellerei suchte er die Nähe der literarischen Clubs im Berlin um 1900, zählte Dichter und Maler zu seinem privaten Bekanntenkreis und wurde doch stets als der Mann „dazwischen“ (zwischen Kunst und Industrie) mit Distanz wahrgenommen. Er erfüllte fraglos mehrere Kriterien, die wir für eine Definition des Dandys herangezogen hatten. Zwei andere Zeitgenossen zeigen ebenfalls deutliche Konturen des Dandys: Eduard Graf von Keyserling (1855–1918) und Harry Graf von Kessler (1868–1937); über letzteren wurde gemutmaßt, dass er ein „illegitimer“ Sohn Wilhelms I. gewesen sei, was auch die Verleihung des Grafentitels 1881 erklären soll. Keyserling, in seiner Wiener und Münchner Zeit zu einem Charmeur von hohen Graden herangereift, zählte hernach – ohne dass dabei an vergleichbare Namen gedacht werden muss – zu den großen Talenten impressionistischen Erzählens, schrieb Romane, Novellen und Dramen, die heute weithin in Vergessenheit geraten sind. Sein Leben ist frühzeitig beschwerlich geworden, nicht zuletzt durch die Folgen einer Syphilis; Erblindung und geistige Umnachtung führten schließlich zu
4 „Zur Mechanik des Geistes“ ist der Titel einer 1913 erschienen Schrift von Walther Rathenau, der er später den Titel „Vom Reich der Seele“ ergänzend hinzufügte.
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völliger Isolierung. Die Dekadenz war ein Thema, das ihn nicht nur körperlich, sondern auch essayistisch beschäftigte. Harry Graf von Kessler führte ein Leben mit wechselnden beruflichen Positionen, er trat als Kunstsammler, Museumsdirektor, Essayist, Politiker und Diplomat in Erscheinung, immer durchdrungen von pazifistischer Gesinnung. Er war zum streitlustigen, geistreichen und begabten Kommentator der Zeitläufte vom Kaiserreich in die Republik geschaffen und bewegte sich mit Sicherheit und Eleganz im berühmten Salon der Marie von Schleinitz. Seine Tagebücher lassen ihn als einen geselligen und gleichzeitig auch boshaften Zeitgenossen erscheinen, der Menschen einfangen und für sich einnehmen konnte; in zahlreichen Autobiografien finden sich Spuren von ihm. Keyserling und Kessler waren allemal begabte Dilettanten auf vielen Gebieten, ihnen behagte die Ordnung des Kaiserreichs nicht, aber auf den gerührten „Blick zurück“ wollten auch sie nicht verzichten; sie waren im Grunde ihres Herzens keine zweifelsfreien Republikaner und haben die neue demokratische Freiheit auch stets als Möglichkeit verstanden, das Unziemliche, Außergewöhnliche und Exklusive auszuleben, trotzdem: „Stil und Maß“ waren Fixpunkte, die unter ihresgleichen galten. Ganz anders waren die jungen genialischen Geister der Münchner Bohème, die sich in den Salons der Ehepaare Bruckmann und Pringsheim ebenso wohl fühlten wie im Souterrain von Schwabing. Klaus und Erika Mann taten dort ihre ersten Schritte, wo Rausch, Drogen und Aufsässigkeit domizilierten. Übrigens gehören Drogen- und Rauscherfahrungen fortan zu der Ausstattung des modernen bürgerlichen Dandys, wie etwa das Beispiel Ernst Jünger (1895–1998) zu lehren scheint. Dass die 1920er-Jahre vieles von dem übernommen haben, was Dandys vorgelebt und vorgeführt hatten, ist im Signet der so genannten Roaring Twenties eingefangen. Für die USA wurde The Great Gatsby (1925) zum prägenden Werk, F. Scott Fitzgerald stellt in seinem Roman den Dandy an die Seite des Hasardeurs. Wir überspringen einige Etappen und sehen auf das Ende der bürgerlichen Gesellschaft und damit auf die Protagonisten, die man die „Pop-Dandys“ nennt. Auch dafür nur einige Beispiele verbunden mit der Frage, ob diese Figuren sich in die „Ahnengalerie des Dandy“ einreihen lassen. Bleiben wir in den USA, so treten vor allem das Multitalent Andy Warhol (1928–1987) und Bret Easton Ellis (*1964) in den Fokus unseres Themas. Sie haben stets gesellschaftlich-soziale Grenzen überschritten, sich als Tabubrecher mit Geist, Witz und Engagement in Szene gesetzt und vielfach Nachfolger gefunden. Ihre Maxime sind Gegensätzlichkeiten: rauschhafte Verschwendung und emsige Geschäftigkeit, Entdeckung neuer künstlerischer Gestaltungsformen und Aufbrechen letzter sexueller Tabus; Warhol bekennt, dass Homosexualität
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für ihn ein Fixpunkt seines Schaffens sei, während Ellis Sexualität und Gewalt in einem Maße mischt und vor allem in dem zum Skandalon geratenen Roman American Psycho (1991) derart ausbreitet, dass dieser in Deutschland zwischen 1995 und 2001 indiziert wurde. Hier geriet der Kunstschutz unter die Räder ängstlicher Bewahrpädagogik. Beide, Warhol und Ellis, gelten heute als die Exponenten des American „Pop-Dandyismus“, sie haben zu diesem Ruhm durch ihre exzessive Selbstinszenierung, durch ihre Anhängerschar und durch ihre internationale Bekanntheit erheblich beigetragen. Ausgehend von solchen Talenten, die sich in und für Theater, Literatur, Film, Malerei verströmt haben, stehen in Deutschland für einen neuen, die bürgerlichen Normen überschreitenden Lebensstil, Christian Kracht (*1966) mit seinem Roman Faserland (1995) und Benjamin von StuckradBarre (*1975) mit seinen pointilistischen Reportagen Soloalbum (1996) und Deutsches Theater (2001). Inwieweit hier ein Vergleich mit Warhol und Ellis angemessen ist, sei dahingestellt. Als ein letzter Vertreter des noch bürgerlichen Dandyismus sollte zumindest Fritz J. Raddatz (*1931) erwähnt werden, der eher in der Weimarer Republik am rechten Platz zur rechten Zeit gewesen wäre. Zunächst absolvierte er eine klassische Universitätskarriere mit Promotion und Habilitation bei Hans Mayer, um dann als Verlagsleiter, Kritiker, Romancier und als Feuilletonchef der Zeit zu Ruhm, Ansehen und einer großen Schar von erbitterten Gegnern zu kommen. Seine Tagebücher (1982–2001) bieten einen sehr subjektiven Blick auf den deutschen Kulturbetrieb, wobei er sich nicht ohne gelinde Kokettiere selbst darstellt und seine Amouren noch einmal auskostet. Und dass er offenbar für einen Streit um den Begriff und den Inhalt des Dandyismus heute auch noch taugt macht Hellmuth Karasek deutlich, wenn er ihm in einer Glosse nachschleudert er sei „kein Dandy […], eher ein Parvenü“.5
5 Hellmuth Karasek rechnet mit Fritz J. Raddatz ab, in: Die Welt vom 5. 9. 2010: http://www.welt. de/kultur/article9638941/Hellmuth-Karasek-rechnet-mit-Fritz-J-Raddatz-ab.html (14. 5. 2012).
Identitäten
Günter Erbe
Aristokratismus und Dandytum im 19. und 20. Jahrhundert Ist das Aristokratische mit der Vorstellung vom Dandy eng verknüpft oder ist auch ein Dandytum ohne Beziehung zum Aristokratischen denkbar? Stellen die Dandys eine ästhetische Elite dar, in der nicht die Herkunft zählt, sondern allein der Geschmack? Verwirklicht der Dandy eine Utopie für jene, die glauben, Eleganz sei nicht nur eine Erbschaft, die dem Geburtsadel vorbehalten sei?1 Solche Fragen drängen sich auf, wenn man sich die Geschichte dieser Spezies vergegenwärtigt.2 Das soziale Umfeld, das in England zu Beginn des 19. Jahrhunderts den Dandy hervorbrachte, war überwiegend aristokratisch geprägt. Die meisten jungen Männer, die diesem Typus entsprachen, entstammten dem Adel. Als Gentlemen vermieden sie Gelderwerb durch Arbeit und pflegten einen Lebensstil des demonstrativen Konsums und des kultivierten Müßiggangs. „Aristokratismus“ bezeichnet eine Konstruktion und Strategie adliger Lebensführung und Selbststilisierung, getragen von ästhetischen Normen wie Eleganz, Geschmack und Nonchalance, die auch und gerade im körperlichen Habitus sichtbar werden sollen. Der Begriff des Aristokratischen schließt aber auch Ehre, Haltung, Dienst, Pflicht, Härte, Ritterlichkeit und Anstand mit ein.3 Ethische und ästhetische Maximen des Adels finden sich in zahlreichen Handbüchern angemessenen Verhaltens von Baldassare Castiglione bis zu Lord Chesterfield.4 Sie verbinden sich in England mit dem Klassen übergreifenden Ideal des Gentlemans, in Frankreich mit dem Männlichkeitsentwurf des honnête homme. Leitideen sind die Ausgestaltung der eigenen Existenz zu einer Art Kunstwerk
1 Zur Verbindung von Aristokratismus und Dandytum vgl. Émilien Carassus, Dandysme et aristocratie, in: Romantisme. Revue du dix-neuvième siècle 20 (1990), S. 25–37, sowie Henriette Levillain, L’Esprit Dandy. De Brummell à Baudelaire. Anthologie, Paris 1991, S. 11. 2 Vgl. Günter Erbe, Dandys. Virtuosen der Lebenskunst. Ein Geschichte des mondänen Lebens, Köln [u. a.] 2002. Die folgenden Ausführungen stützen sich auf Ergebnisse dieser Untersuchung. Sie stellen zugleich einen Versuch dar, in der theoretischen Durchdringung des Phänomens „Dandy“ neue Akzente zu setzen. 3 Zu den aristokratischen Tugenden z. B. in Preußen vgl. Eckart Conze (Hrsg.), Kleines Lexikon des Adels. Titel, Throne, Traditionen, München 2005, S. 160f. 4 Vgl. Peter Burke, Die Geschicke des „Hofmann“. Zur Wirkung eines Renaissance-Breviers über angemessenes Verhalten, Berlin 1996, S. 146–149; Roland G. Asch, Europäischer Adel in der Frühen Neuzeit. Eine Einführung, Köln [u. a.] 2008, S. 220–225, sowie David Castronovo, The English Gentleman. Images and Ideals in Literature and Society, New York 1987, S. 37–40.
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und die Betonung des Spielcharakters des Lebens, die auch für die Sozialfigur des Dandys charakteristisch sind.5
Die Ursprünge des Dandytums in England Die Dandys traten die Nachfolge früherer Generationen von Modehelden an: der fops, exquisites, macaronis oder beaux. Das Wort „Dandy“ bezeichnete zunächst nichts anderes als den übertrieben herausgeputzten Modenarren, der vor keiner Exaltiertheit in Kostüm und Benehmen zurückschreckte.6 Wie kam es zu dieser absonderlichen Macht der Mode und ihrer Repräsentanten, den Dandys, in den exklusiven Kreisen der englischen upper class? War es der exorbitante Reichtum dieser Schicht, der ihr ein extremes Luxusleben erlaubte, so dass Fragen der Kleidung höchste Bedeutung erlangten und Modehelden die Gesellschaft dominieren konnten? In der Literatur über den Dandy findet man unterschiedliche Erklärungen für dieses erstaunliche Phänomen. Jules Barbey d’Aurevilly verweist auf die Sittengeschichte Englands. Er spricht von einer von Langeweile geplagten, in Heuchelei befangenen und von Snobismus durchdrungenen Gesellschaft, die ihr Reizbedürfnis befriedigen wollte.7 Hier kamen die Dandys mit ihren Extravaganzen gerade recht. Ellen Moers interpretiert den Sachverhalt sozialgeschichtlich. Durch die Französische Revolution seien auch in England die gesellschaftlichen Grundlagen der Adelsherrschaft erschüttert worden. Diese habe nicht mehr länger durch Geburt oder Reichtum legitimiert werden können. So hätten Fragen des Lebensstils eine entscheidende Bedeutung für die soziale Stratifikation erlangt.8 Ähnlich argumentiert der Soziologe Thomas Spence Smith, wenn er eine Dekristallisation der Sozialstruktur und eine Diskrepanz zwischen Kultur 5 Vgl. Domna C. Stanton, The Aristocrat as Art. A Study of the Honnête Homme and the Dandy in Seventeenth- and Nineteenth-Century French Literature, New York 1980, S. 1–12, sowie Alain Montandon (Hrsg.), L’honnête homme et le dandy, Tübingen 1993. 6 Zur etymologischen Herleitung des Wortes „Dandy“ vgl. Fernand Hörner, Die Behauptung des Dandys. Eine Archäologie, Bielefeld 2008, S. 246–251, und Melanie Grundmann, Dandiana. Der Dandy im Bild englischer, französischer und amerikanischer Journalisten des 19. Jahrhunderts, Münster 2009, S. 9–30. Zur Bestimmung des Dandys als Sozialtypus und des Dandyismus als ästhetischem Kompositionsprinzip vgl. Hiltrud Gnüg, Stichwort „Dandy“, in: Karlheinz Barck [u. a.] (Hrsg.), Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch, Bd. 1, Stuttgart 2004, S. 814–831. 7 Vgl. Jules Barbey d’Aurevilly, Über das Dandytum und über George Brummell. Ein Dandy ehe es Dandys gab, Berlin 2006, S. 27–31. 8 Vgl. Ellen Moers, The Dandy. Brummell to Beerbohm, New York 1960, S. 12.
Aristokratismus und Dandytum im 19. und 20. Jahrhundert
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und Gesellschaft behauptet, welche die soziale Konkurrenz begünstigt und Stilschöpfern eine Chance geboten hätten.9 Die Dandys stießen demnach in eine Lücke vor. Die Zeit war reif für einen neuen Modestil. Der Modehistoriker James Laver spricht gar von einer Verschwörung gegen die Aristokratie, symbolisiert von dem tonangebenden Dandy George Brummell.10 In dieser Argumentation wird vorausgesetzt, dass die englische Gesellschaft der Regency-Epoche (1811–1820) sich in einer tiefen Krise befand und eine grundlegende soziale und kulturelle Erneuerung bevorstand. Dagegen spricht jedoch die Tatsache, dass die wirtschaftliche und politische Vormachtstellung des englischen Adels ungebrochen war.11 Das modische Treiben der Dandys war nicht Ausdruck einer Legitimationskrise des Adels, der vor dem Abgrund stand, sondern seines ungeschmälerten Selbstbewusstseins. Von einer Dekadenz im sozialen Sinne kann folglich nicht die Rede sein. Der Urtypus des Dandys, personifiziert durch Brummell, war tief verankert in einer aristokratisch geprägten Gesellschaft. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts büßte der traditionsbewusste englische Landadel seine Hegemonie ein und machte einer neureichen Plutokratie Platz.12 Anders sah es auf dem Gebiet der Lebensführung aus. Der adlige Lebensstil verlor an Einheitlichkeit. In der Kleidermode kam es durch neue Materialien – Seide und Samt wurden durch Leinen und Wolle ersetzt – zu einer Umwälzung. Gleichzeitig vollzog sich ein Umbruch im Schneiderhandwerk durch die Perfektionierung des Schnitts. Beides sollte sich auf das äußere Erscheinungsbild des Gentlemans auswirken.13 Die von Brummell initiierte Reform der Männerkleidung trug dem neuen Zeitgeschmack Rechnung. Wichtiger als luxuriöse Prachtentfaltung war die tadellose Form des Rocks. Die Farbe des Fracks und der Hose war gedämpft. Einzig die Weste erlaubte einen Farbkontrast.14 Die neue Kleidung 9 Vgl. Thomas Spence Smith, Aestheticism and Social Structure: Style and Social Network in the Dandy Life, in: American Sociological Review 39 (1974), S. 725–743, hier S. 726f. 10 Vgl. James Laver, Dandies, London 1968, S. 34. 11 Vgl. Peter Mandler, The Fall and Rise of the British Aristocracy, in: Eckart Conze/Monika Wienfort (Hrsg.), Adel und Moderne. Deutschland im europäischen Vergleich im 19. und 20. Jahrhundert, Köln [u. a.] 2004, S. 41–58, sowie Hans Christoph Schröder, Der englische Adel, in: Armgard v. Reden-Dohna/Ralph Melville (Hrsg.), Der Adel an der Schwelle des bürgerlichen Zeitalters 1780–1860, Stuttgart 1988, S. 21–88, hier S. 84. 12 Vgl. Joe Mordaunt Crook, The Rise of the Nouveaux Riches. Style and Status in Victorian and Edwardian Architecture, London 1999, S. 2f. 13 Vgl. Farid Chenoune, Des modes et des hommes. Deux siècles d’élégance masculine, Paris 1993, S. 22, sowie Aileen Ribeiro, The Art of Dress. Fashion in England and France 1750–1820, New Haven/London 1995, S. 100. 14 Brummell zeigte sich tagsüber in blauem Rock, gelber Weste, Pantalons aus hellem Wildleder, Husarenstiefeln und einer kunstvoll geschlungenen weißen Krawatte. Des Abends pflegte er
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Günter Erbe
war auf den man about town, den müßiggängerischen Gentleman, zugeschnitten. Sie bot den Angehörigen des Adels die Möglichkeit, durch Schnitt und Eleganz wettzumachen, was sie an äußerem Glanz einbüßten. Sie sollte aber schließlich auch dem Bürger im Kontor als Modell dienen.
Das Urbild des Dandys: George Brummell Was machte George Brummell zum exemplarischen Dandy? In Verbindung mit seiner Person und seiner Rolle als arbiter elegantiarum erfuhr das Wort „Dandy“ eine Aufwertung. Wenn Lord George Byron für ihn und seinesgleichen diese Bezeichnung gebrauchte, meinte er nicht den exaltierten Modehelden, sondern den eleganten man of fashion, der er selber gern sein wollte.15 Brummell ragte aus der Schar der gewöhnlichen Stutzer durch besondere Qualitäten hervor. Virginia Woolf schreibt: „Brummell verdankte seinen Aufstieg einer merkwürdigen Kombination von Geist, Geschmack, Unverschämtheit und Unabhängigkeit, […] für die der Begriff Lebensphilosophie zu schwerfällig wäre, dem aber nahekäme, was gemeint ist.“16 Im Unterschied zu seinen Vorläufern, den outriert wirkenden macaronis, und den Dandys der folgenden Generation legte er Wert auf Unauffälligkeit seiner äußeren Erscheinung.17 Refinement hieß die Maxime, die sich in raffinierter Einfachheit des Kostüms niederschlug, weshalb nur Eingeweihte in der Lage waren, das gewisse Etwas daran zu erkennen. Brummell schuf eine Klei-
ebenfalls einen blauen Frack, eine weiße Weste, schwarze Pantalons, gestreifte Seidenstrümpfe und Lackschuhe zu tragen. Vgl. William Jesse, The Life of George Brummell, London 1844, Bd. 1, S. 62. Hier zit. n. Ribeiro, The Art of Dress (wie Anm. 13), S. 101. 15 Vgl. George Gordon Byron, Letters and Journals, 13 Bde., hrsg. von Leslie A. Marchand, London/Cambridge, Mass. 1973–1994, hier Bd. 10, S. 141. 16 Virginia Woolf, Der gewöhnliche Leser. Essays, Bd. 2, hrsg. von Klaus Reichert, Frankfurt a. M. 1997, S. 175. 17 Wie schon sein erster Biograf, William Jesse, schließt die Modehistorikern Aileen Ribeiro Brummell aus dem Diskurs über den Dandy aus, da er in seiner Erscheinung dem vorherrschenden Bild des Dandys seiner Zeit widerspreche: „It is a paradox that Beau Brummell has become entwined in any discussion about dandyism, for his understated elegance in dress is inimical to the excesses of the dandy in England, whose direct line of descent is from the Restoration fop and the eighteenth-century macaroni.“ (Ribeiro, The Art of Dress [wie Anm. 13], S. 101.) Die Autorin übersieht in ihrer Argumentation die Rolle des von Brummell präsidierten Watier’s Club, dessen Mitglieder u. a. von Byron ausdrücklich als Dandys apostrophiert wurden. Sie räumt hingegen eine Verwandtschaft Brummells mit dem französischen Dandy à la Baudelaire ein.
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dung für jedermann, der danach strebte, als ein Gentleman zu gelten.18 Byron sprach von „a certain exquisite propriety“, die sein ganzes Wesen prägte.19 Wenn man Brummell ein epochentypisches ästhetisches Etikett anheften wollte, so wäre es das des Neo-Klassizismus, wie sein hinterlassenes Werk Male and Female Costume dokumentiert.20 Er legte stets Wert auf das rechte Maß. Seine Kleidung wie seine ganze Person waren bis ins letzte Detail durchkomponiert – mit besonderer Beachtung der Krawatte – und von künstlerischer Vollkommenheit. Seine Unabhängigkeit, Selbstsicherheit, Originalität, Selbstkontrolle und Anmut – dies alles sollte im Schnitt seiner Kleidung sichtbar sein.21 Der Sinn für die Reduktion zeichnet auch die Sprache des Dandys aus. Er vermeidet jede weitschweifige Eloquenz. Brummell besaß jene Art von Geist, deren Träger in England als wits bezeichnet werden. Es ist dies weder Geist im deutschen, noch Esprit im französischen Sinne, sondern eine dem kühlen Temperament der Engländer entsprechende Art, die sich in trockenem, vor Absurditäten nicht Halt machendem Witz, in verblüffenden Volten in der Konversation, in kalkulierter Impertinenz und in der Vorliebe für das Paradox manifestiert. Der Geist des Dandys bewegt sich an der Oberfläche und meidet jede Tiefe. Die Skala des Ausdrucks reicht von verhüllender Ironie, über offenen Sarkasmus bis zu frivolem Zynismus.22 Die 18 Vgl. Moers, The Dandy (wie Anm. 8), S. 35f. In Bulwers Roman „Pelham“ heißt es: „Dress so that it may never be said of you ‚What a well dressed man!‘ – but, ‚What a gentlemanlike man!‘“ (Edward Bulwer Lytton, Pelham; or, the Adventures of a Gentleman, Leipzig 1842, S. 181.) 19 Vgl. Jesse, The Life of George Brummell (wie Anm. 14). Hier zit. n. Jules Barbey d’Aurevilly, Du dandysme et de George Brummell, hrsg. v. Marie-Christine Natta, Paris 1989, S. 181. Natta hat in ihrem Kommentar auf einen folgenschweren Übersetzungsfehler Barbeys aufmerksam gemacht. Dieser übersetzte „propriety“ (Schicklichkeit) mit „originalité“, was nahezu das Gegenteil bedeutet. Vgl. auch Hörner, Die Behauptung des Dandys (wie Anm. 6), S. 216, 239. 20 Vgl. Levillain, L’Esprit Dandy (wie Anm. 1), S. 156, sowie Ruth Sprenger, Die hohe Kunst der Herrenkleidermacher. Tradition und Selbstverständnis eines Meisterhandwerks, 2. Aufl., Wien [u. a.] 2010, S. 20. Brummell schrieb seine modegeschichtliche Studie 1822 im französischen Exil. Der vollständige Text erschien erstmals 1932 in New York unter dem Titel „Male and Female Costume; Grecian and Roman Costume; British Costume from the Roman Invasion until 1822 and the Principles of Costume Applied to the Improved Dress of the Present Day“, hrsg. von Eleanor Parker. Die Zeitschrift „La Mode“ druckte 1830 unter dem Titel „Principes du costume“ anonym einen Auszug daraus ab. Vgl. Honoré de Balzac, La Comédie humaine, Bd. 12, hrsg. von Pierre-Georges Castex, Paris 1981, S. 193. Brummells Kleidungsprinzipien finden sich in den Überlegungen des Architekten und Designers Adolf Loos wieder. Vgl. dessen Aufsatz „Die Herrenmode“ (1898), abgedruckt in: Inge Podbrecky/Rainald Franz (Hrsg.), Leben mit Loos, Wien [u. a.] 2008, S. 73–88. 21 Vgl. Moers, The Dandy (wie Anm. 8), S. 21. Levillain sieht in der Aufwertung des Accessoires ein wesentliches Element der Kleidungsdoktrin Brummells. Eleganz sei die Kunst des Accessoires. Vgl. Levillain, L’Esprit Dandy (wie Anm. 1), S. 14. 22 „Das war sein Stil, schillernd, spöttelnd, bis dicht an die Grenze der Unverschämtheit ge-
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zahlreichen Anekdoten, die von Brummell überliefert sind, legen Zeugnis davon ab. William Hazlitt schreibt, Brummell habe den Geist auf ein Minimum reduziert, auf einen nahezu unsichtbaren Punkt. Er habe die Grenze erreicht, die den Dandy vom Dummkopf trenne.23 Zieht man die verschiedenen Quellen heran, die über das Wirken Brummells Auskunft geben, so lassen sich daraus eine Reihe von Grundsätzen ableiten, die diesen Typus des eleganten Mannes charakterisieren. Neben refinement in allem, was mit Geschmacksfragen zu tun hat, sticht der Exklusivitätsanspruch hervor. Die Dandys der Regency-Zeit waren exclusives. Sie stellten eine geschlossene Gesellschaft dar. Ihr Aktionsrahmen war der fashionable Club. In diesem sozialen Feld vollzog sich das tägliche Ritual der Auszeichnung und der Ausgrenzung. Brummell hielt Hof wie ein absoluter Monarch. Er erließ Regeln, bestimmte den guten Ton und machte sich selbst zum Inbegriff der Mode. Er war der Dandyismus selbst, wie Barbey d’Aurevilly pointiert formuliert.24 Der Diktator der Mode besaß indes einen großen Mangel. Er war nicht von adliger Geburt. Auch verfügte er nicht über große Reichtümer. Er war anders als seine adelsstolzen Freunde, die nicht darauf angewiesen waren, originell zu erscheinen, um Prestige zu erwerben, zu Beweisen seiner Überlegenheit auf ureigenstem aristokratischem Feld gezwungen: dem des High Life und des eleganten Lebens.25 Was ihn vor anderen auszeichnete, war die außergewöhnliche Begabung, in seiner Person einem neuen Männlichkeitsideal Geltung zu verschaffen. hend, den Rand des Unsinns streifend, sich aber stets innerhalb der Grenzen eines merkwürdigen Maßes haltend, so daß man die falsche Brummell-Geschichte von der wahren an ihrer Übertreibung erkennen konnte.“ Woolf, Der gewöhnliche Leser (wie Anm. 16), S. 177. 23 Vgl. William Hazzlitt, „Brummelliana“ [1828], in: Complete Works, hrsg. von P. P. Howe, Bd. 20, London 1934, S. 152. 24 Vgl. Barbey d’Aurevilly, Über das Dandytum (wie Anm. 7), S. 26. 25 In einem Beitrag des „New Monthly Magazine“ des Jahres 1828 wird darauf hingewiesen, dass die Dandys zwar aus der Aristokratie hervorgingen, doch nicht mit dieser identisch seien. „The Devonshires and Bedfords and Normanbys, were not, and are not, dandies – they have, and had, real distinction enough to enable them to avoid all pretension to factitious distinction on the elevation or depression of a collar, the peculiarity of a tie, or the patronage of starch – things whereupon the Brummells and Skeffingtons relied for an immortality of fame and fashion.“ Zit. n. John C. Prévost, Le dandysme en France (1817–1839), Genf/Paris 1957, S. 42 (Hervorhebung im Original). Die Zeitschrift verkennt, dass selbst Georg IV. als Prinzregent mit den Dandys mithalten wollte und die Überlegenheit Brummells anerkannte. Ein späteres Mitglied des englischen Königshauses, Eduard VIII., Herzog von Windsor, hat in seinen Erinnerungen seine Vorfahren aus dem 19. Jahrhundert ausdrücklich als Dandys gewürdigt. Vgl. Duke of Windsor, A Family Album, London 1960. Zum Herzog von Windsor als Dandy vgl. Philip Mann mit Jason Amesbury, Regel und Verstoß. Die Kleiderordnung des Herzogs von Windsor. Ein Bild-Essay, in: Brigitte Felderer/Thomas Macho (Hrsg.), Höflichkeit. Aktualität und Genese von Umgangsformen, München 2002, S. 92–106.
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Dies konnte nur jemand bewirken, der den Adel von außen betrachtete, dessen Lage erkannt hatte und eine Strategie entwickelte, um die aristokratischen Prinzipien der ästhetischen Ritualisierung des Lebens, des demonstrativen Müßiggangs und des gehobenen Dilettantismus in eine neue Form zu überführen.26 Hier kommen wir zu einem dritten Prinzip des Dandytums. Neben die raffinierte Simplizität in der Kleidung und das Exklusivitätsstreben tritt die Unabhängigkeit. Der Dandy à la Brummell ist ein Solitär, ein Selfmademan. Seinem Selbstverständnis nach steht er über dem Adel. Seine Position gründet sich nicht auf Abstammung und Familienherkunft, sondern auf der Eigenleistung als Schiedsrichter der Eleganz. Seine geistige Souveränität lässt es nicht zu, sich sozial vereinnahmen zu lassen. Er sucht zwar die Verbindung zur High Society, denn wer sonst sollte ihm als Publikum dienen? Er erfindet in seiner Person den Gentleman neu, nicht allein in Bezug auf den Adel, sondern mit Blick auf eine neu zu schaffende Geschmackselite. Dieser Impuls wird später von Charles Baudelaire aufgegriffen, wenn er von den Dandys als den wahren Überlegenen spricht, die sich aus Deklassierten aller Klassen rekrutieren und eine neue Aristokratie bilden.27 Die Deklassierung fügt dem Aristokratismus Baudelaires freilich eine aggressive Note hinzu. Die Bekämpfung der Trivialität in der Gesellschaft des Zweiten Kaiserreichs erforderte überdies einen stärkeren Einsatz und gröbere Mittel. Barbey d’Aurevilly hat den Dandy einen Provokateur mit Takt genannt.28 Er spiele mit den Regeln der guten Gesellschaft. Er befolge das aristokratische Prinzip zu gefallen, indem er missfalle. Der gekonnte Regelverstoß setzt absolute Stilsicherheit voraus. War es bisher so, dass ein sozialer Aufsteiger durch sein scheinbar regelwidriges Verhalten von der etablierten Elite auf seinen Platz verwiesen wurde, kehrte sich durch Brummell das Verhältnis um. Seine Regelverstöße richteten sich nicht nur gegen Parvenüs – auch die wusste er bloßzustellen –, sondern vor allem gegen den Adel. In der Gestalt Brummells ist der Dandy ein vollkommener Aristokrat und zugleich ein Reformer des aristokratischen Habitus und Repräsentationsstils. Der Gentleman-Kodex wird erweitert, bleibt aber in seiner Substanz unangetas-
26 Dass Brummell außerhalb der Aristokratie stand, erklärt auch seine Lage nach dem Rückzug von der gesellschaftlichen Bühne und seiner Flucht nach Frankreich. „Though some of his aristocratic friends sent him gifts to keep body and soul together, and passed round the hat when he was in prison for debt, they did not exert themselves to the point of bailing him out, as they might have done for one of their number.“ (George Walden, Who is a dandy? Jules Barbey d’Aurevilly: On Dandyism and George Brummell, London 2002, S. 30.) 27 Vgl. Charles Baudelaire, Der Maler des modernen Lebens, in: Ders., Sämtliche Werke/Briefe, Bd. 5, hrsg. von Friedhelm Kemp/Claude Pichois, München 1989, S. 244. 28 Vgl. Barbey d’Aurevilly, Über das Dandytum (wie Anm. 7), S. 54.
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tet.29 Man wird in der Geschichte des Dandytums immer wieder lesen, dass dieser oder jener Dandy darauf bestand, ein Gentleman zu sein. Die Dekomposition des Dandytums gegen Ende des 19. und im Verlaufe des 20. Jahrhunderts hatte auch Konsequenzen für den Weiterbestand des Gentleman-Ideals.
Der Dandy als Künstler Barbey d’Aurevillys Buch Über das Dandytum und über George Brummell (1845) hat neben dem Essay Baudelaires Der Maler des modernen Lebens (1863) wie kaum ein anderes Werk die Rezeption des Dandys in Literatur, Kunst und Wissenschaft beeinflusst. Es hat den Eindruck erweckt, Frankreich sei das Land des intellektuellen Dandytums. Dieses habe sich vor allem in Künstlerkreisen ausgebreitet. In England dagegen – so die verbreitete Auffassung – sei ein gesellschaftliches Dandytum vorherrschend geblieben. Das literarische Dandytum ist allerdings nicht in Frankreich, sondern in England entstanden. Davon zeugen die zahlreichen fashionable novels, insbesondere Edward Bulwers Roman Pelham, der in Frankreich als eine Art Handbuch des Dandyismus gelesen wurde.30 Auch die Werke Byrons haben das Bild des Dandys in Frankreich maßgeblich geprägt. Allerdings ist nicht zu bestreiten, dass eine intellektuelle Durchdringung des Phänomens erst in Frankreich erfolgte. Will man ein gesellschaftliches und ein künstlerisch-literarisches Dandytum voneinander unterscheiden, so stößt man auf ein definitorisches Problem. Der Dandy ist ein Konstrukt, ein Idealtypus und in seiner reinen Form nicht lebbar. Er existiert in der historischen Realität immer nur in Annäherungen und Mischformen. Sich als Kunstwerk zu formen, erfordert seine ganze Energie. Barbey d’Aurevilly schreibt über den Ur-Dandy: „Er war auf seine Weise ein großer Künstler; nur war seine Kunst an keine Gattung gebunden und wurde nicht zu festen Zeiten ausgeübt. Sie war sein Leben selbst.“31 Wenn Brummell mehrere Stunden des Tages seiner Toilette widmet, so bedeutet dies höchste Anspannung der geis29 „The manner – the poise, deft wit and an air of languorous indifference – became a signifier of the gentleman, just as clearly as his clothes.“ (Ian Kelly, Beau Brummell. The ultimate dandy, London 2005, S. 469.) 30 Vgl. Prévost, Le dandysme en France (wie Anm. 25), S. 108. Zum Genre der „fashionable novels“ vgl. Friedrich Schubel, Die „fashionable novels“. Ein Kapitel zur englischen Kultur- und Romangeschichte. Essays and Studies on English Language and Literature, Bd. 12, hrsg. von S. B. Liljegren, Lund 1952, sowie Alison Adburgham, Silver fork society. Fashionable life and literature from 1814 to 1840, London 1983. 31 Barbey d’Aurevilly, Über das Dandytum (wie Anm. 7), S. 59.
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tigen Kräfte zum Zweck der Vollendung seiner Erscheinung. Ist dieser Akt vollbracht, tritt er als Artefakt vor sein Publikum. Das Dilemma des Künstler-Dandys liegt in der Aufspaltung seiner Energien und Empfindungsweisen. Die Eitelkeit gebietet ihm, blasiert und ein Mann von Welt zu sein, wie ihn der Aristokrat in seiner Person vorstellt. Der Künstler in ihm hat andere Ziele. Er ist, wie Baudelaire im Fall des Malers Constantin Guys eingesteht, zu sehr von der Leidenschaft beseelt, die Welt mit den Sinnen aufzunehmen. Dies vertrage sich nicht mit der dem Dandy eigenen impassibilité.32 Das Bonmot Oscar Wildes, er habe sein Talent auf sein Werk verwandt, sein Genie aber auf sein Leben, offenbart die Aufspaltung der Persönlichkeit des KünstlerDandys. Im Fall Brummell waren Talent und Genie so sehr mit Geist und Habitus des Dandys verbunden, dass sie sein ganzes Leben ausfüllten. Nimmt man Brummell als Maßstab, so kann es, ob Aristokrat oder Künstler, nur ein Dandytum geben: eines, das alle Kräfte auf ein Ziel richtet und nur einen Beruf kennt: die Eleganz. Nicht die Eleganz einer Dichtung, einer Komposition oder eines Bildes, sondern die der eigenen Person. Eine radikale Trennung von Person und Kunstwerk ist hier jedoch nicht möglich. Der Künstler muss, um ein integraler Dandy zu sein, seine Kunst, sei es die Kleidung oder ein als Accessoire zu betrachtendes künstlerisches Werk, dandyistischen Prinzipien unterwerfen. Dies kann sich zum Beispiel in einer strikten Verweigerungshaltung gegenüber dem Markt33 oder in bestimmten ästhetischen Kompositionsprinzipien und Erzählstrategien wie ironische Selbstverhüllung, Mystifikation und Désinvolture ausdrücken.34 In Frankreich stellt sich die Frage nach dem Verhältnis zwischen gesellschaftlichem und literarisch-künstlerischem Dandytum nicht anders als in England. Es waren nicht so sehr Künstler, als vielmehr junge, anglophile Lebemänner des 32 Vgl. Baudelaire, Der Maler des modernen Lebens (wie Anm. 27), S. 222. 33 Stanton schreibt: „This refusal to produce a tangible work of art, an object of consumption to be sold in the marketplace to vulgarians, becomes proof of uncompromising artistry.“ Stanton, The Aristocrat as Art (wie Anm. 5), S. 96. Zur Ablehnung des Marktes durch Baudelaire vgl. Pierre Bourdieu, Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes, Frankfurt a. M. 2001, S. 103–114. Der Dandy – auch und gerade in Gestalt des Künstlers – ist eine Figur größter Einsamkeit. „Die Möglichkeit eines Werkes blitzt auf, das sich an niemanden wendet und ohne Leser auskommt.“ (Karin Westerwelle, Der Dandy als Held, in: Merkur. Sonderheft 63 [2009], H. 9/10, S. 888–896, hier S. 895.) 34 Zum Dandyismus als literarischem Phänomen und ästhetischem Kompositionsprinzip vgl. Hiltrud Gnüg, Kult der Kälte. Der klassische Dandy im Spiegel der Weltliteratur, Stuttgart 1988, S. 12–17; Wilfried Ihrig, Literarische Avantgarde und Dandysmus. Eine Studie zur Prosa von Carl Einstein bis Oswald Wiener, Frankfurt a. M. 1988, S. 27–32, sowie Isabelle Stauffer, Weibliche Dandys, blickmächtige Femmes fragiles. Ironische Inszenierungen des Geschlechts im Fin de Siècle, Köln [u. a.] 2008, S. 147–170.
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Adels und des reichen Bürgertums, die unter Louis-Philippe und in der Zeit des Zweiten Kaiserreichs das Dandytum repräsentierten. Der Pariser Jockey Club war sein Zentrum.35 Unter Journalisten, Schriftstellern und Malern fand dieser Typus Nachahmer. Baudelaire sah in den aristokratischen Dandys Banausen, da sie nichts von Kunst verstanden.36 Dafür verstanden sie etwas von Pferden, Schnupftabakdosen, Hüten, Stiefeln und Röcken. Es waren Müßiggänger im Stile der Regency-Dandys, französisch in ihrem Temperament, wenn auch verzweifelt bemüht, englisch zu erscheinen. Ihr Dandytum war kein Lektüreprodukt, sondern entstand aus der direkten Begegnung mit ihren englischen Vorbildern. Sie interessierten sich nicht dafür, was Honoré de Balzac, Barbey d’Aurevilly oder Baudelaire über den Dandy schrieben. Was den einen Anlass zur Reflexion war, wurde von den anderen gelebt. Die gentlemen-riders des Jockey Clubs waren aus der Sicht der Dandy-Theoretiker nur Dandys minderen Formats.37 Die strengen geistigen Anforderungen, die Barbey d’Aurevilly und Baudelaire an diesen Typus richteten – Selbstzucht, eisige Eleganz, Leidenschaftslosigkeit – konnte die jeunesse d’orée in der Tat nicht erfüllen. Barbey d’Aurevilly und Baudelaire waren sich jedoch der Diskrepanz zwischen erträumtem und gelebtem Dandytum bewusst. Sie besaßen zwar die geistige Statur und bemühten sich um den entsprechenden Habitus der impassibilité und der désinvolture, doch war ihr Dandytum mehr ein Fantasieprodukt als gelebte Wirklichkeit. Das wirkliche, wenn auch nicht „wahre“ Dandytum findet man indes vorwiegend in den Kreisen der mondänen Oberschichten, die den Nährboden für solcherart von Existenzen bildeten.
35 Vgl. Günter Erbe, Der Jockey Club als gesellschaftlicher Mittelpunkt der Pariser Dandys unter der Julimonarchie, in: Francia. Forschungen zur westeuropäischen Geschichte 29/3 (2002), S. 1–11. Zum Dandytum dieser Zeit vgl. Jacques Boulenger, Sous Louis-Philippe: Les Dandys, Paris 1907. 36 Mitglieder des Jockey Clubs störten im März 1861 die Aufführung von Wagners „Tannhäuser“ in Paris, um den Auftritt der Balletttänzerinnen zu erzwingen. Vgl. Charles Baudelaire, Richard Wagner und der „Tannhäuser“ in Paris, in: Ders., Sämtliche Werke/Briefe, Bd. 7, hrsg. von Friedhelm Kemp/Claude Pichois, München/Wien 1992, S. 89–133, hier S. 128ff. 37 Barbey d’Aurevilly beklagt, der Turf habe das Dandytum ersetzt. Es gebe im High Life nur noch Jockeys und Hundepeitscher. Vgl. Barbey d’Aurevilly (wie Anm. 7), S. 67. Die Zeitschrift „Lanterne magique“ bezeichnete den Jockey Club dagegen als Hauptquartier des „dandysme de bon ton“. Vgl. Prévost, Le dandysme en France (wie Anm. 25), S. 97.
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Klassisches oder modernes Dandytum? Verfügte Brummell noch über ein exklusives soziales Umfeld, so sah sich der Künstler-Dandy Baudelaire mit der Großstadtmenge konfrontiert, was ihm provokantere Mittel der Selbstbehauptung abverlangte. Liest man Baudelaires Äußerungen über den Dandy, so scheint der Unterschied zu Brummell in der Theorie allerdings kaum vorhanden. Sein Konstrukt des Dandys hält an den Prinzipien fest, die ihm durch die Literatur über den Dandy geläufig waren. Neu ist die Betonung des Rebellischen und der Auflehnung. Die – in den Worten Baudelaires – „aus ihrer Bahn geratene[n], angewiderte[n], beschäftigungslose[n] Männer“, die „auf den Gedanken verfallen [sind], eine neue Art von Adelsherrschaft zu gründen“,38 sind von anderem Schlage als der Ur-Dandy Brummell. Sie sind angewidert, da sie durch viele Ideen hindurchgegangen sind und sich für nichts mehr erwärmen. Sie leiden an einem inneren Überdruss und Ekel vor der Welt.39 Sie tragen dem Umstand Rechnung, dass es keine Society mehr gibt, die sie trägt. Ihr Adressat ist nicht der Adel, sondern die bürgerliche Öffentlichkeit. Die Brüder Goncourt schrieben, die Zeitung habe den Salon getötet und die Öffentlichkeit die Nachfolge der Society angetreten.40 Baudelaire stellte sich schon Mitte des 19. Jahrhunderts die Frage, wie man im Zeitalter der Masse Dandy sein könne.41 Er besaß die geistige Unabhängigkeit, die vestimentäre Eleganz und den schneidenden Witz dieses Typus. Was ihm fehlte, war der Spiegel, vor dem der sublime Dandy sich ununterbrochen seines perfekten Erscheinungsbildes versichert. Es fehlte zudem der unbeschränkte Kredit, der ihn vom Zwang zu trivialem Gelderwerb entbinden würde. Aus seinen Worten spricht der Stolz des verarmten Dandys, der zwar alle geschmacklichen und geistigen Voraussetzungen für diesen Typus erfüllt, aber auf verlorenem Posten steht. Baudelaire lässt seine Apotheose des Dandytums in einer Kampfansage an die Vulgarität seiner Zeit ausklingen. Sie ist von tiefer Melancholie geprägt. Es ist die gleiche Melancholie, die um 1900 Max Beerbohm zu der Einsicht bringt, dass es für den Dandy keine Zukunft geben wird. Es könnte scheinen, als habe Baudelaire ein modernes Dandytum skizzieren wollen, das sich vom klassischen eines Brummell unterscheidet. Aber gibt
38 Baudelaire, Der Maler des modernen Lebens (wie Anm. 27), S. 244. 39 Vgl. Fritz Usinger, Die französischen Bezeichnungen des Modehelden im 18. und 19. Jahrhundert, Giessen 1921, S. 14. 40 Vgl. Émilien Carassus, Le snobisme et les lettres françaises de Paul Bourget à Marcel Proust 1884–1914, Paris 1966, S. 73. 41 Vgl. Sebastian Neumeister, Der Dichter als Dandy. Kafka, Baudelaire, Thomas Bernhard, München 1973, S. 68.
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es nicht nur einen Dandy, indem sich das Klassische, dauerhaft Gültige mit dem Neuen verbindet? Findet der Dandy Brummell nicht seine Bestätigung in der Ästhetik der Modernität eines Baudelaire, in der das Flüchtige, Modisch-Aktuelle mit dem Ewigen, Dauerhaften, Klassischen eine unlösliche Verbindung eingeht? Brummell war wie Baudelaire ein Neuerer, der den aktuellen Zeittendenzen Rechnung trug, ohne den Bezug zum Klassischen in seiner Ästhetik aufzugeben.
Die Dekomposition des Dandytums im Fin de Siècle Im Fin de siècle blieb in Londoner und Pariser Adelskreisen das Modell des Dandys der Bezugspunkt ästhetischer Selbststilisierung, wobei der Tribut an den Zeitgeist unübersehbar ist. Was im Ästhetischen Dekadenz hieß, bedeutete im Sozialen Niedergang der Adelsherrschaft und Sieg der Herrschaft des Geldes. Die adligen Dandys zogen sich zwar nicht wie der Held des Romans A Rebours von Joris K. Huysmans angewidert von dem „Kalifat der Kontore“42 ins Interieur zurück, sondern verkehrten wie Arthur Balfour und Joseph Chamberlain in England oder Boson de Sagan und Boni de Castellane in Frankreich in den verbliebenen oder neu zusammengesetzten mondänen Zirkeln.43 Die tonangebenden Dandys waren aber weder willens noch in der Lage, die plutokratische Vulgarität in der Society zu bekämpfen. Sie verstanden sich nicht mehr als exclusives wie in der Regency-Zeit, sondern schlugen eine Brücke zwischen monde und demi-monde.44 Die Halbwelt begann, der großen Welt den guten Ton zu diktieren. Wenn im 20. Jahrhundert die Schneider sich schließlich ganz von ihrer vornehmen Kundschaft emanzipieren, selbst Modediktate erlassen und als Dandys posieren, so zeigt sich darin der vollständige Sieg des Dienstpersonals über ihre vormalige Herrschaft.45 42 Vgl. Joris-Karl Huysmans, Gegen den Strich, Zürich 1965, S. 365. 43 Zu Balfour, Chamberlain und Castellane vgl. Erbe, Dandys (wie Anm. 2), S. 209f., 279–291. Zu Sagan vgl. Günter Erbe, Dorothea Herzogin von Sagan (1793–1862). Eine deutsch-französische Karriere, Köln [u. a.] 2009, S. 213–223. Zu Castellane vgl. auch Eric Mension-Rigau, Boni de Castellane, Paris 2008. 44 „[…] in an age of publicity, the emergence of theatre to social prominence, fashion, and the internationalization of the season, the barriers between monde and demi-monde were not what they had once been.“ (Stephen Gundle, Glamour. A history, New York 2008, S. 107.) 45 Zur Umkehrung der Rollen von Dienstpersonal und Herrschaft vgl. Rose Fortassier, Dandysme pas mort, in: Alain Montandon (Hrsg.), L’honnête homme et le dandy, Tübingen 1993, S. 207. Vgl. auch: Jason Cowley, „Are they modern Medicis – or just a gaudy crew of vulgar salesmen?“, in:
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In Oscar Wilde erscheint uns der repräsentative Dandy des Fin de siècle, in dem sich spätere Künstlergenerationen wiedererkannten. Wilde steht freilich nicht in der Nachfolge Brummells oder Baudelaires. Er entbehrte vollkommen jener Selbstzucht, um die der englische man of fashion und der französische poète maudit bemüht waren. Für ihn war der Dandy nur eine von vielen Rollen, die er virtuos beherrschte. Mag er in seinen späteren Jahren auch zu einer gewissen Mäßigung seines Outfits bereit gewesen sein, so kennzeichnet seine frühen öffentlichen Auftritte doch vor allem der Hang zum Clownesken und Outrierten. James McNeill Whistler, der Tradition eines strengen Dandytums verpflichtet, rügte Wilde wegen dessen exotischer Kleidung.46 Es ist Rainer Gruenter beizupflichten, dass nur eine philiströse Vorstellung von Eleganz den jungen Wilde einen Dandy nennen kann.47 Für Wildes Dandytum, wenn man überhaupt davon sprechen will, ist typisch, dass das Exzentrische immer mehr zum Markenzeichen wird. Es wird der Gesellschaft als Schauspiel vorgeführt. Es geht um Anerkennung und merkantilen Erfolg, um ein öffentliches, geschickt kommerzialisiertes „Dandytum“.48 Dabei bediente Wilde sich des neuen Mediums der Fotografie.49 In seiner Person vermischen sich Dandy und Medienstar. Subtilere Geister wie Max Beerbohm blieben dagegen der Brummell-Tradition verpflichtet. Beerbohms Dandyismus kam jedoch ohne gesellschaftlichen Boden aus. Er verkehrte nicht in der High Society. Er zog sich in die Isolation zurück. Alles Heroische des Dandys war erloschen: Arroganz, Überlegenheit, Exklusivität. Moers nennt Beerbohms Rückzug ins italienische Exil das letzte Wort des Dandytums.50 Weiter gedacht bedeutet dies, dass der Dandy im 20. Jahrhundert nicht mehr die Bedingungen vorfindet, die für ihn unentbehrlich sind. Demokratisierung, Nivellierung und der Verlust des guten Geschmacks lassen eine Dandyexistenz nicht länger zu. Der Dandy ist angewiesen auf intakte Konventionen, mit denen er spielt, in deren Rahmen er seine gewisse erlesene Schicklichkeit behauptet. Aus Beerbohms Sicht waren The Times vom 18. November 1996. 46 J. Laver schreibt: „This was sound advice, for the dandy can never have anything to do with exoticism; he must never seem to be in fancy dress.“ Laver, Dandies (wie Anm. 10), S. 92. 47 Vgl. Rainer Gruenter, Versuch über Oscar Wilde, in: Ders., Vom Elend des Schönen. Studien zur Literatur und Kunst, hrsg. von Heinke Wunderlich, München 1988, S. 184. Der späte Wilde wurde dagegen von vielen Bekannten und Freunden als vollendeter Dandy wahrgenommen, der an die großen men of fashion der Regency-Zeit erinnerte. Vgl. Erbe, Dandys (wie Anm. 2), S. 227. 48 Vgl. Gruenter, Versuch über Oscar Wilde (wie Anm. 47), S. 197. 49 Vgl. Gregor Schuhen, Dandy, Dichter Demagoge – Männlichkeitsentwürfe der Belle Epoque, in: Marijana Erstić [u. a.] (Hrsg.), Avantgarde – Medien – Performativität. Inszenierungs- und Wahrnehmungsmuster zu Beginn des 20. Jahrhunderts, Bielefeld 2005, S. 334f. 50 Vgl. Moers, The Dandy (wie Anm. 8), S. 328.
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weder Eduard VII. noch Eduard VIII. in der Lage, ein solches soziales Terrain sicherzustellen. Die Sphäre der Massenmedien und des Show-Business erschienen ihm als Ausdruck von Vulgarität. Ein neues Dandytum stelle ein vergebliches Bemühen dar. Es sei nicht länger möglich, die Essenz des Brummell’schen Typus zu verkörpern. Dennoch blieb Beerbohm bis zu seinem Tod 1956 ein Dandy im Exil, soll heißen: eine frei schwebende Existenz ohne Bezug zur Society. Der Dandy als Einzelgänger, als Isolierter in einer feindseligen Umgebung ist – so könnte man daraus schließen – nach wie vor möglich. Er nimmt damit freilich in Kauf, als eine Art Museumsstück betrachtet zu werden.51
Die Demokratisierung des Dandytums in der Gegenwart Die Distanz zur Society und den Verzicht auf Teilhabe am mondänen Leben hat Beerbohm mit Baudelaire und Huysmans’ fiktivem Dandy, dem Herzog des Esseintes, gemeinsam. Während Baudelaire jedoch der Konfrontation mit der Masse nicht ausweicht, führt der Weg des Esseintes’ von einer mumifizierten Aristokratie in eine künstliche Welt der Sinnenreize und der äußersten Verfeinerung. Von Huysmans’ A Rebours leitet sich das intellektuelle Dandytum eines Monsieur Teste von Paul Valéry her, einem Bewunderer des Romans. Es findet schließlich bei Oswald Wiener im Dandy der kybernetischen Maschine eine weitere Zuspitzung.52 Anders ist der Weg, den Susan Sontag dem Dandytum gewiesen hat. In ihren Anmerkungen zu „Camp“ vertritt sie die These, die elitäre Haltung des Dandy alten Stils werde im 20. Jahrhundert durch den Camp-Geschmack, eine Vorliebe für das Künstliche, Übertriebene und Theatralische, abgelöst.53 Sontag definiert Camp als Dandyismus im Zeitalter der Massenkultur. Während der Dandy alten Stils sich dem guten Geschmack hingebe, mache der Anhänger des Camp keinen Unterschied mehr zwischen dem einzigartigen Gegenstand und dem Massengut. Damit deutet Sontag die von Baudelaire als Tod des Dandys bezeichnete Demo-
51 Vgl. Günter Erbe, „… der unvergleichliche Max“. Max Beerbohm, ein Klassiker der kleinen Form, in: Neue Zürcher Zeitung vom 2./3.Februar 2002, S. 77. Vgl. auch Max Beerbohm, Dandys & Dandys. Ausgesuchte Essays und Erzählungen, hrsg. von Eike Schönfeld, Zürich 1989. 52 Vgl. Oswald Wiener, Eine Art Einzige, in: Verena von der Heyden-Rynsch (Hrsg.), Riten der Selbsterfindung, München 1982, S. 35–78. 53 Susan Sontag, Anmerkungen zu „Camp“, in: Dies., Kunst und Antikunst. 24 literarische Analysen, Hamburg 1968, S. 269–284.
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kratisierung des Geschmacks in eine Chance für Einzelne um, auf erlesene Weise ihren Geschmack am schlechten Geschmack, am Aufgedonnerten, Stillosen, Theatralischen, zu kultivieren. Während – wie Siegfried Kracauer schreibt54 – Hochmut und Kälte der französischen Boulevard-Dandys des 19. Jahrhunderts dem Bedürfnis entsprangen, sich von der Gewöhnlichkeit abzugrenzen, die um sie hochstieg, arrangieren sich die Camp-Dandys auf raffinierte Weise mit den Trivialitäten des modernen Alltagslebens. Die „certain exquisite propriety“55 Brummells gerinnt zu einer exquisiten Art und Weise des Umgangs mit den Produkten der Massenkultur. Als Sontag in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts ihren Essay schrieb, dachte sie dabei auch an die Vertreter der Pop Art, ohne freilich den Namen Andy Warhol zu nennen. Der Künstler-Dandy à la Baudelaire hat in Warhol eine Dekomposition erfahren. Während Baudelaire den Markt als autonomer Künstler mit Verachtung straft, hat es Warhol wie Wilde auf eine bewusste strategische Kommerzialisierung angelegt. Warhol passte sich an das Vulgäre, die Konfektionsform des Schönen, an, indem er es ironisch zum Prinzip erhob. Er führte das Dandytum ad absurdum, indem er seine beliebige Reproduzierbarkeit sichtbar machte.56 Die Differenz zum „klassischen“ Dandy à la Brummell besteht indes nicht einmal so sehr im Geschmacklichen, wie Sontag suggeriert. Dieser Dandy scheute vor Trödel und Nippes nicht zurück. Er war in Fragen der Alltagsästhetik wählerisch, aber weder Anhänger eines elitären Kunstgeschmacks, noch angewiesen auf die Geistesprodukte der Hochkultur. Der Dandy alten Stils fühlte sich keinem Kanon dieser Art verpflichtet. Vielmehr erhob er auch in der Kunst Nichtigkeiten zu Fragen von Bedeutung und das Bedeutende behandelte er mit frivoler Nonchalance. Vulgär ist für den Dandy alten Stils nicht die Ausstattung einer Wohnung mit Nippes und bric-à-brac – was guter Geschmack ist, entscheidet er selbst –, sondern die Konzession an den Kommerz und die Medien. Wenn der Dandy sich neuer Medien bedient, um sich selbst darzustellen, dann nur, um seine Unabhängigkeit und Verachtung dem Zeitgeist gegenüber zu demonstrieren. Die publikumswirksame Selbstdarstellung kannte auch Brummell. Nur war sein Publikum ein Kreis von Gleichgesinnten, ein exklusiver Zirkel. Wer sollte sonst in der Lage sein, seine Eleganz, seinen Witz, sein refinement in allen Fragen des Geschmacks zu beurteilen? Niemals käme dieser Dandy auf die Idee, sich 54 Siegfried Kracauer, Jacques Offenbach und das Paris seiner Zeit, Frankfurt a. M. 1976, S. 75. 55 Vgl. Anm. 19. 56 Vgl. Mark Francis/Margery King, The Warhol Look, in: Dies. (Hrsg.), The Warhol look: glamour, style, fashion, München [u. a.] 1997, S. 23–30, sowie Hörner, Die Behauptung des Dandys (wie Anm. 6), S. 289.
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einer anonymen Öffentlichkeit zu präsentieren, um Schlagzeilen zu machen. Das Streben nach öffentlicher Anerkennung erschiene ihm als ein unbegreiflicher Akt der Bescheidenheit.57 Im 20. Jahrhundert tritt an die Stelle des „Herkules ohne Aufgaben“58, wie Baudelaire den Dandy nennt, ein neuer Typus: der arbeitende Dandy. Er beherrscht die Spielregeln des Marketings und hat begriffen, dass aufzufallen in einer Demokratie doppelt zählt. Er macht sich zur Marke und erfindet sich ständig neu. Dieser harmlos gewordene Provokateur mit Takt erstrebt den Zutritt zu den Kreisen der von den Massenmedien promovierten celebrities. Seine einzige Sorge ist, in dem Spagat zwischen Kunst und Kommerz nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Zweifellos lässt sich mit guten Gründen von einer Vergesellschaftung von Impulsen des Dandytums in der Gegenwart sprechen. Es sei auch zugestanden, dass die Medialisierung der Lebenswelt neue Techniken des Spiels mit der Maske ermöglicht, die auf den Dandy zurückweisen. Auch bilden die Kumulation riesiger Vermögen in unserer Zeit und eine expandierende Luxus- und Modeindustrie den geeigneten Nährboden für dandyhafte Existenzen. Die Frage lautet: Wo verläuft die Trennungslinie zum Trivialen und Vulgären, denn das zentrale Anliegen eines Dandys wäre doch, sich hochmütig und arrogant vom „Kalifat der Kontore“ abzuwenden, statt Selbstvermarktung mit ironischer Distanz zu betreiben.59 Ein marktgängig gewordener Dandy hat seine Überlegenheit aufgegeben. Er macht sich zum „Parasiten“ des Business und der Medien. Er beansprucht nicht mehr, allein die Eleganz als seinen Beruf anzuerkennen und die Idee des Schönen in seiner Person zu kultivieren. Von dem brennenden Bedürfnis des Baudelaire’schen Dandys, sich innerhalb der Konventionen „eine wirkliche Ori57 Ich beziehe mich hier auf eine Äußerung von Gustave Flaubert in einem Brief an George Sand vom 28./29. 10. 1872, in dem es heißt: „Das Streben nach irgendeiner Ehrung erscheint mir übrigens als ein unbegreiflicher Akt der Bescheidenheit!“ Zit. n. Bourdieu, Die Regeln der Kunst (wie Anm. 33), S. 184. 58 Baudelaire, Der Maler des modernen Lebens (wie Anm. 27), S. 245. 59 Dazu schreibt Émilien Carassus: „Le dandy a, pour ennemi, la vulgarité, or il n’est rien de plus vulgaire que de ,gagner de l’argent‘.“ (Carassus, Dandysme et aristocratie [wie Anm. 1], S. 31.) Der Niedergang der „großen Welt“, die Dominanz dessen, was früher „demi-monde“ hieß, die Demokratisierung des vormals Exklusiven durch die Designermode und die allseitige Glamourisierung der Warenwelt hat manche Autoren veranlasst, vom Aufkommen des „democratic dandy“ oder „mass-dandy“ zu sprechen. Vgl. Walden, Who is a dandy (wie Anm. 26), S. 37, 46, sowie Germano Celant, Giorgio Armani: Toward the Mass Dandy, in: Giorgio Armani. Guggenheim Museum, New York 2000, S. XIV–XXIII. Zu Etikettierungen wie „Datendandy“, „Konsumdandy“, „Popdandy“, „Hip-hop-Dandy“ usw. vgl. Fernand Hörner, Der Dandy, in: Stephan Moebius/Markus Schroer (Hrsg.), Diven, Hacker, Spekulanten. Sozialfiguren der Gegenwart, Berlin 2010, S. 54–67.
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ginalität zu schaffen“, kann keine Rede mehr sein und vom Stolz, „die Trivialität zu bekämpfen und sie zu vernichten“, ebenso wenig.60 Der Dandy der Gegenwart kann nur überleben im Rückzug auf sich selbst und in der Schaffung eigener exklusiver Foren elitärer Selbstdarstellung. Er muss die Vulgaritäten gegenwärtiger Trends vermeiden, „with all its emphasis on speed, performance and celebrity“61. Nur in den Nischen der Gesellschaft sind Exemplare dieser fast ausgestorbenen Gattung noch zu entdecken. Hier könnte eine Archäologie des Dandytums fündig werden.62
60 Baudelaire, Der Maler des modernen Lebens (wie Anm. 27), S. 243f. 61 Robin Dutt, Interview, in: Alice Cicolini, The new English dandy, London 2005, S. 143. 62 Als Beispiel für ein aristokratisches Dandytum in unserer Zeit kann Alexis de Redé (1922– 2004), der „letzte“ Zeremonienmeister der Pariser „beau monde“, gelten. Vgl. Alexis. The Memoirs of the Baron de Redé. Hrsg. von Hugo Vickers, Wimborne Minster 2005. Vgl. dazu auch: Le dandysme aujourd’hui selon Jacques Chazot et Gonzague Saint-Bris, in: L’officiel hommes 48 (1985), S. 156–157. Redé – so Chazot und Saint-Bris – sei der einzig verbliebene Dandy im Sinne eines Souveräns der Mode und des Geschmacks. Es sei dies freilich ein Dandytum ohne Resonanz in einem Zeitalter des Spektakels. Die großen Designer hingegen, die als Dandys posierten, vernichteten die Originalität, indem sie sie in der Öffentlichkeit vulgarisierten.
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Untergeordnet? Sublim? Entartet? Der Dandy aus Sicht der Men’s Studies Die Sozialfigur des Dandys1 aus dem Blickwinkel der kulturwissenschaftlichen Men’s bzw. Masculinity Studies zu betrachten, mag auf den ersten Blick als naheliegend, ja geradezu zwingend erscheinen. Auf den zweiten Blick jedoch offenbaren sich einige Schwierigkeiten, die sich einem solchen Unterfangen in den Weg stellen, wie zum Beispiel die allzu banale Beobachtung, dass der Dandy nachgerade naturgegeben männlich zu sein hat. Aussagen wie diese – oder mit Fernand Hörner gesprochen: „Behauptungen“2 – zu problematisieren, zielen im Kern auf das Hauptproblemfeld der Men’s Studies. Um dies zu verdeutlichen, möchte ich meine Überlegungen mit einem prägnanten Zitat Pierre Bourdieus beginnen, der in einer seiner letzten Studien zur „männlichen Herrschaft“, La domination masculine (1998), folgende Ausgangsthese formuliert: Die Macht der männlichen Ordnung zeigt sich an dem Umstand, dass sie der Rechtfertigung nicht bedarf: Die androzentrische Sicht zwingt sich als neutral auf und muss sich nicht in legitimatorischen Diskursen artikulieren.3
Dass es sich bei der Figur des Dandys um ein klar männlich codiertes Inszenierungsmodell handelt, scheint demnach beinahe so selbstverständlich, dass es kaum einer näheren und vor allem kritischen Betrachtung mehr bedarf. Die Sicht auf den Dandy ist demzufolge als androzentrisch zu bewerten, das heißt die genderspezifischen Behauptungen über den Dandy bedürfen aufgrund ihrer vermeintlich allzu großen Evidenz offenbar keinerlei Legitimation. Die Erklärung dafür, warum das Dandytum als rein männliche Domäne dargestellt wird, liegt meines Erachtens auf zwei Ebenen: Zum einen in der historischen Ausgestaltung dieses Phänomens und zum anderen in seiner Rezeptionsgeschichte. Mit „historischer Ausgestaltung“ ist gemeint, dass die verbürgten Akteure, die sich nach den Maßgaben des dandyistischen Codex inszenierten, in der Regel männlichen Geschlechts waren und sind. Dies ist abermals eine eher banale Beobachtung, die jedoch vor allem für die Rezeptionsgeschichte des Dandytums entscheidende Wirkkraft entfaltet. Unter „Rezeptionsgeschichte“ soll zum einen die ästhetisch1 Zum Status des Dandys als Sozialfigur in der Vergangenheit und Gegenwart vgl. Fernand Hörner, Der Dandy, in: Stephan Moebius/Markus Schroer (Hrsg.), Diven, Hacker, Spekulanten. Sozialfiguren der Gegenwart, Frankfurt a. M. 2010, S. 54–67. 2 Vgl. Fernand Hörner, Die Behauptung des Dandys. Eine Archäologie, Bielefeld 2009. 3 Pierre Bourdieu, Die männliche Herrschaft, Frankfurt a. M. 2005, S. 21.
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literarische Praxis verstanden werden, mithin das literarische sowie essayistische und anekdotische Schreiben über den Dandy – auch hier sind es in der Regel männliche Figuren, die in den kanonischen Werken die Rolle des Dandys einnehmen und darüber hinaus handelt es sich bei den Verfassern dieser Schriften oft genug um Autoren, die sich selbst in der Öffentlichkeit dem Codex des Dandytums verpflichtet sahen oder diesem, sofern es ihre persönlichen Lebensumstände zuließen, nachzueifern suchten. Hier spielt demnach der Aspekt der Eigenwahrnehmung eine wichtige Rolle. Zum anderen umfasst die Rezeptionsgeschichte freilich die wissenschaftliche, im weitesten Sinne kulturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Dandytum. Diese jedoch soll im vorliegenden Beitrag, der sich aus historischer Sicht der zweiten großen Welle des Dandytums um 1900 widmet, auf zeitgenössische Darstellungen dieser Zeit beschränkt werden, um damit den Dandy aus einer synchronen Perspektive heraus an der Schnittstelle von Eigen- und Fremdwahrnehmung beziehungsweise Selbstinszenierung und Kulturkritik näher zu betrachten. Dieses Vorgehen ist durchaus im Sinne der kulturwissenschaftlichen Men’s bzw. Masculinity Studies. Um einen Eindruck davon zu vermitteln, sollen zunächst ein paar skizzenhafte wissenschaftshistorische Fakten zur Genealogie der Men’s Studies präsentiert werden.4 Die Ursprünge dieser Forschungsrichtung liegen in den Vereinigten Staaten der 1970er-Jahre und verdanken sich der Emergenz diverser sozialpolitischer Protestbewegungen und Krisenerscheinungen, welche diesen zugrunde lagen. Es war einerseits die Niederlage in dem über lange Jahre hinweg zermürbenden Vietnamkrieg, die ein neues Nachdenken über Männlichkeit, insbesondere die soldatische Männlichkeit notwendig werden ließ – vor allem im gesellschaftskritischen und soziologischen Diskurs. Hinzu kam das Auflodern des Gay Liberation Movements, das ebenfalls, sozusagen von den Rändern her, die Debatte über Männlichkeit, Patriarchat und männliche Identitätspolitik in Gang setzte. Schaut man sich diese wissenschaftshistorischen Ur-Szenen an, werden auf Anhieb drei Beobachtungen deutlich. Erstens, dass neue Wissenschaftszweige häufig eine Reaktion auf krisenhafte Prozesse sind, in deren Verlauf sich alte Denkmuster und Wissensformationen angesichts
4 Vgl. allgemein zum wissenschaftshistorischen Werdegang der Men’s Studies: Stefan Horlacher, Überlegungen zur theoretischen Konzeption männlicher Identität aus kulturwissenschaftlicher Perspektive. Ein Forschungsüberblick mit exemplarischer Vertiefung, in: Martina Läubli/ Sabrina Sahli (Hrsg.), Männlichkeiten denken. Aktuelle Perspektiven der kulturwissenschaftlichen Masculinity Studies, Bielefeld 2011, S. 19–82; Uta Fenske, Männlichkeiten im Fokus der Geschlechterforschung. Ein Überblick, in: Dies./Gregor Schuhen (Hrsg.), Ambivalente Männlichkeit(en). Maskulinitätsdiskurse aus interdisziplinärer Perspektive, Berlin/Toronto 2012, S. 11–26.
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neuer Konfigurationen als nicht mehr angemessen erweisen.5 Zweitens, dass die Men’s Studies sich zunächst nur in den USA als Wissenschaftszweig durchsetzen konnten, da ihre Entstehung sehr stark an nationalstaatliche Problemfelder gebunden war, und drittens, dass die frühen Pionierarbeiten der Männlichkeitsforschung überwiegend aus den Sozialwissenschaften stammen. Einen letzten, gleichwohl besonders wichtigen Impuls erhält die Frühphase der Men’s Studies vom sogenannten Second Wave Feminism und dessen in den 1970er Jahren bereits weit fortgeschrittener Diffundierung in geistes- und sozialwissenschaftliche sowie gesellschaftspolitische Teilbereiche. Damit ist nicht gemeint, dass die Men’s Studies revisionistische Gegenentwürfe zu den Women’s Studies zu konzipieren suchen, sondern vielmehr, dass man sich Methodiken, Modelle und Praxen aneignete, die der Feminismus schon lange Zeit durchaus erfolgreich erprobt hatte. In den eher politisch-konservativen Kreisen der frühen Men’s Studies wurden, soviel sei noch hinzugefügt, die Errungenschaften der Emanzipationsbewegung freilich auch als Bedrohung männlicher Herrschaft empfunden, als dezidiertes Krisensymptom, was dem Forschungs- und Aufklärungseifer früher Männlichkeitsaktivisten weiteren Vorschub leistete. Soviel zur Geburtsstunde der Men’s Studies, die demzufolge in ihrer Anfangszeit als genuines Krisen-Instrumentarium bezeichnet werden dürfen. Wenn nun aber Claudia Opitz-Belakhal im Jahr 2008 die These aufstellt, dass die „Männerforschung […] seit etwa 15 Jahren ein mehr oder weniger selbstverständlicher Teilbereich der […] Geschlechterforschung [ist]“,6 mag das angesichts der knappen Ausführungen zur Geschichte der Men’s Studies in den 1970er Jahren verwundern. Was sie jedoch im Blick haben dürfte ist, dass in den 1990ern in der Geschlechterforschung nichts weniger als ein Paradigmenwechsel zu verorten ist, der häufig, gleichwohl unzureichend, an einer einzigen Person festgemacht wird, nämlich an der US-amerikanischen Gender-Forscherin und Philosophin Judith Butler. Mit ihrem Entwurf eines dekonstruktivistischen Feminismus, der das Geschlecht gleichsam entbiologisiert und stattdessen als performativen Prozess erkennt, „der in der Übernahme und im wiederholten Vollzug geschlechtlich codierter Erscheinungen und Verhaltensweisen das jeweilige ‚Geschlecht‘, die Geschlechtsidentität und auch die geschlechtlichen Körper der Akteure immer schon (mit-)hervorbringt.“7 Die enorme theoretische Wirkung Judith Butlers und
5 Vgl. dazu Rudolf Vierhaus, Zum Problem historischer Krisen, in: Karl Georg Faber/Christian Meier (Hrsg.), Historische Prozesse, München 1978, S. 313–329, insbes. S. 319. 6 Claudia Opitz-Belakhal, „Krise der Männlichkeit“ – ein nützliches Konzept der Geschlechtergeschichte?, in: Dies./Christa Hämmerle (Hrsg.), Krise(n) der Männlichkeit, in: L’homme. Europäische Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft 19 (2008), H. 2, S. 31–50; hier S. 31. 7 Walter Erhart/Britta Herrmann, Der erforschte Mann?, in: Dies. (Hrsg.), Wann ist der Mann ein Mann? Zur Geschichte der Männlichkeit, Stuttgart/Weimar 1996, S. 3–31 hier S. 15.
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ihrer wichtigsten Werke Gender Trouble (1990) und Bodies that Matter (1995), die bis heute anhält, ist bereits sehr schnell nachweisbar. Das gilt auch für die Men’s Studies, hier mit dem Effekt, dass eine sukzessive Zentrifugalbewegung stattfindet: weg von Biologismus, Protesthaltung und Lebensweltorientierung, hin zum Vollzug eines kulturwissenschaftlichen Turns, der auf Konzepte wie Performanz, Entnaturalisierung, Konstruktionsarbeit und Pluralisierung setzt. Als Pionier dieser neu ausgerichteten, kulturwissenschaftlichen Men’s Studies kann Robert W. (heute: Raewyn) Connell bezeichnet werden, der mit seinem 1995 erschienenen Opus magnum Masculinities (dt.: Der gemachte Mann) immer noch zu den wichtigsten Vertretern der kulturwissenschaftlich avancierten Männlichkeitsforschung gehört, auch wenn er bereits in den 1980er-Jahren die theoretischen Vorleistungen zu dieser Studie erbracht hat.8 Bevor ich mich dem Dandytum zuwende, sollen kurz die wichtigsten Theoreme aus Connells Studie vorgestellt werden. Zunächst geht es ihm darum, zu zeigen, dass es keinen Sinn macht von der Männlichkeit schlechthin zu reden – vielmehr handelt es sich dabei um ein soziokulturelles Konstrukt, dass aus diachroner Perspektive als wandelbar, also prozesshaft und in der synchronen Betrachtung nur in pluralisierter Form zu denken ist. Des Weiteren macht er auf den relationalen Aspekt von Maskulinität aufmerksam, was bedeutet, dass Männlichkeit sich einerseits über die Beziehung zum und Abgrenzung vom weiblichen Geschlecht konstituiert9 und andererseits über die machtbezogenen Aushandlungen der einzelnen Männlichkeiten untereinander. Hier greift nun der so wichtige Aspekt der Pluralisierung, da Connell insgesamt vier wesentliche Ausformungen von Männlichkeit unterscheidet: Besondere Verbreitung und Rezeption findet sein Konzept einer „hegemonialen Männlichkeit“. Hierfür schlägt Connell folgende Definition vor: Hegemoniale Männlichkeit kann man als jene Konfiguration geschlechtsbezogener Praxis definieren, welche die momentan akzeptierte Antwort auf das Legitimitätsproblem des Patriarchats verkörpert und die Dominanz der Männer sowie die Unterordnung der Frauen gewährleisten soll. […] Diese Hegemonie entsteht nur, wenn es zwischen dem kulturellen Ideal und der institutionellen Macht eine Entsprechung gibt. […] Hegemonie ist eine historisch bewegliche Relation.10
8 Vgl. insbesondere Robert W. Connell, Gender and Power: Society, the Person and Sexual Politics, Stanford 1987. 9 Vgl. Robert W. Connell, Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten, Opladen 1998, S. 63: „Männlichkeit und Weiblichkeit sind in sich relationale Konzepte, die sich aufeinander beziehen und erst im Verhältnis zueinander Bedeutung gewinnen, als eine soziale Grenzziehung und als kultureller Gegensatz.“ 10 Ebd., S. 98.
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Wichtig ist, dass das Konzept der „Hegemonie“, das Connell von Antonio Gramsci entlehnt, eine Form von Dominanz beschreibt, die auf gesellschaftlichem Konsens aufbaut, daher eine hegemoniale Männlichkeit ist, die jeweils historisch vorbildliche Ausprägung von Maskulinität, die jedoch, was hier anklingt, eher Idealcharakter als realistischen Anspruch hat. Es handelt sich dabei also um das, was wiederum Judith Butler in ihren Ausführungen zum bipolaren Geschlechtermodell als „phantasmagorisches Ideal“11 bezeichnet, dem sich das gesellschaftliche Subjekt nur annähern kann ohne es jedoch je zu erfüllen. Neben dem Konzept der hegemonialen Männlichkeit entwickelt Connell die untergeordnete sowie die komplizenhafte Männlichkeit, betont jedoch, dass diese Kategorien ebenfalls nicht als statische Entitäten zu verstehen sind, sondern in Form von dynamischrelationalen Wechselwirkungen miteinander interagieren. Mit untergeordneter Männlichkeit sind all jene Männlichkeiten gemeint, „die aus dem Kreis der Legitimierten ausgestoßen werden“,12 allen voran freilich die Homosexualität, aber auch jene, die aufgrund von scheinbar nicht-männlichem Verhalten die „symbolische Nähe zum Weiblichen“13 offenlegen. Als komplizenhaft werden Männlichkeiten gekennzeichnet, „die zwar die patriarchale Dividende bekommen, sich aber nicht den Spannungen und Risiken in der vordersten Frontlinie des Patriarchats aussetzen“.14 Zuletzt sei noch die Marginalisierung erwähnt, womit Connell die „Beziehungen zwischen Männlichkeiten dominanter und untergeordneter Klassen oder ethnischer Gruppen“15 beschreibt. Dieses Connell’sche Schema der Masculinities wird nach wie vor in den Men’s Studies stark rezipiert, was nicht zuletzt auch an seiner augenscheinlichen Einfachheit und Plausibilität liegen mag. Pluralisierung, Relationalität, Konstruktund Prozesscharakter, Dynamik und Performanz als conditiones sine qua non von Männlichkeitskonstitution und Geschlechterkonstitution allgemein gehören seither zu den festen Ingredienzen kulturwissenschaftlich fokussierter Männlichkeitsforschung. Doch aller Plausibilität zum Trotz, bergen Schemata wie dieses auch Schwachpunkte – Connell selbst gesteht das auch implizit ein, wenn er schreibt: „‚Männlichkeit‘ ist kein kohärenter Gegenstand, an dem man eine generalisierende Wissenschaft entwickeln könnte.“16 Es sind diese beiden Punkte von 11 Judith Butler, Imitation und die Aufsässigkeit der Geschlechtsidentität, in: Andreas Kraß (Hrsg.), Queer Denken. Gegen die Ordnung der Sexualität (Queer Studies), Frankfurt a. M. 2003, S. 144–168, hier S. 156. 12 Connell, Der gemachte Mann (wie Anm. 9), S. 100. 13 Ebd. 14 Ebd. 15 Ebd., S. 102. 16 Ebd., S. 87; vgl. zur Kritik an Connell auch Fenske (wie Anm. 4): „Die Kritik umfasste im Wesentlichen folgende Punkte: Die Unschärfe des zugrunde liegenden Männlichkeitsbegriffes;
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Kohärenz und Generalisierung, die mich nun wieder zurück zum Dandy bringen, denn dieses Männlichkeitsmodell erweist sich im Hinblick auf Kategorisierungen als überaus widerspenstig. Vor diesem Hintergrund verwundert es vielleicht auch nicht, dass es im Bereich der Men’s Studies nur wenige wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit dem Dandytum gibt,17 während andere Sozialfiguren der Moderne wie etwa der Soldat, der Politiker, der Arbeiter und der Sportler bereits ausführlich von der Männerforschung berücksichtigt worden sind. Warum macht es der Dandy den Men’s Studies so schwer, auch wenn, wie eingangs dargestellt, die Verbindung von Dandytum und Männlichkeit gleichsam naturgegeben zu sein scheint? Beginnen möchte ich jedoch mit den Anknüpfungspunkten, die nach meinen skizzenhaften Ausführungen zu den Inhalten und Methoden der Men’s Studies auf der Hand liegen. Erstens macht es – genau wie beim Mann – keinen Sinn, über „den“ Dandy schlechthin zu sprechen. Da es sich beim Dandy um einen extrem auf Individualismus abzielenden Selbstentwurf handelt, verbieten sich generalisierende Aussagen geradezu. Zweitens muss beim Dandy – nicht zuletzt aufgrund seines hohen inszenatorischen Potenzials – der performative Aspekt mitberücksichtigt werden, da der hohe Aufwand bei der persönlichen Ausgestaltung nicht nur mit Eleganz, Modebewusstsein und Eloquenz zu tun hat, sondern eben auch maßgeblich zur Inszenierung und Maskerade seiner Männlichkeit beiträgt.18 Drittens lohnt es sich, den Dandy einzubetten in das gesellschaftliche Machtgefüge seiner Zeit, um dem relationalen Aspekt gerecht zu werden, also zu schauen, welche Beziehung der Dandy zur hegemonialen Männlichkeitsnorm pflegt. Soviel also zu den theoretischen Bezugslinien und Herausforderungen, den Dandy nach den Prämissen der Men’s Studies zu betrachten. Schwierig wird es jedoch spätestens dann, wenn man ihn in ein schematisches Korsett zu zwängen versucht wie etwa in das Connell’sche. Es mag allzu verlockend scheinen, im Dandy aufgrund der ihm seitens der Gender Studies immer wieder attribuierten Androgynität19 ein Paradebeispiel untergeordneter Männlichkeit zu sehen, die Ungewissheit, wer die Repräsentanten der hegemonialen Männlichkeit seien bzw. die Frage, ob in unserer differenzierten Gesellschaft nicht eher von hegemonialen Männlichkeiten ausgegangen werden müsse; das Problem der Reifikation der Macht sowie die Frage nach dem Verhältnis von Gesellschaftsstruktur und Subjekt.“ (S. 17). 17 So z. B. Hörner, Behauptung des Dandys (wie Anm. 2), S. 267, Fn 167. 18 Vgl. zum Konzept der männlichen Maskerade folgenden Sammelband: Claudia Benthien/ Inge Stephan (Hrsg.), Männlichkeit als Maskerade. Kulturelle Inszenierungen vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Köln [u. a.] 2003, darin insbes. Benthien: Das Maskerade-Konzept in der psychoanalytischen und kulturwissenschaftlichen Theoriebildung, S. 36–59. 19 Vgl. dazu u. a.: Hörner, Behauptung des Dandys (wie Anm. 2), S. 260ff.; Susanne Rossbach, Des Dandys Wort als Waffe. Dandysmus, narrative Vertextungsstrategie und Geschlechterdifferenz
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da er angesichts seiner insinuierten Effeminatio, dem Kult um sein Äußeres und seinem Mangel an physischer Kraft dem Leitbild einer hegemonialen Männlichkeit auf den ersten Blick zuwiderläuft. Ein häufig zitierter Ausspruch Charles Baudelaires stammt aus seinem fragmentarischen und posthum veröffentlichten Spätwerk Mon cœur mis à nu, in dem er sich in Form fingierter aveux mit dem Dandy verstanden als Männerdomäne beschäftigt. Dort ist zu lesen: Die Frau ist das Gegenteil des Dandys. Daher muss sie Ekel einflößen. Die Frau hat Hunger und muss essen. Wenn sie Durst hat, will sie trinken. […] Die Frau ist natürlich, das heißt verachtenswert. Auch ist sie stets vulgär, also das Gegenteil des Dandys.20
Nicht nur in diesem Zitat weist der Text stark misogyne Anteile auf, die jedoch ausschließlich durch Gegenüberstellungen des Mannes beziehungsweise der Männlichkeit mit dem „anderen Geschlecht“ entstehen. Die Herabsetzung der Frau zum tierischen, naturhaften Geschöpf ohne Geist und Grazie fällt wie im vorliegenden Zitat dann am deutlichsten aus, wenn Baudelaire sie in Kontrast zum Dandy setzt, der sich seinerseits auszeichnet durch die gleichermaßen oft zitierte „éternelle superiorité“21. Hier haben wir es mit einer Form von männlicher Selbstbetrachtung zu tun, die um Hegemonialität bemüht ist, die wiederum nur um den Preis weiblicher Degradation zu haben ist. Was genau diese „ewige Superiorität“ des Dandys ausmacht, erklärt Baudelaire bekanntlich an anderer Stelle, nämlich im Peintre de la vie moderne, das verschiedene thematische Kapitel umfasst, von denen allerdings nur eines dem Dandy gewidmet ist. Auf den ersten Blick fällt auf, dass das Kapitel „Le Dandy“ in der Reihenfolge zwischen den Abschnitten „Le Militaire“ und „La Femme“ verortet ist – man könnte meinen, dass der Dandy damit auf der Oberflächenebene des Textes durch die Adjazenz zum archetypisch Männlichen, das heißt dem Militär,22 und dem ewig Weiblichen im Werk Jules Barbeys d’Aurevilly, Tübingen 2002, S. 7; Jean-Luc Planchais, Androgynie et dandysme au XIXe siècle: Le cas Barbey d’Aurevilly avant „Les Diaboliques“, Paris 1994, S. 2; Jessica R. Feldmann, Gender on the Divide. The Dandy in Modernist Literature, Ithaca 1993, S. 11. 20 Übers. G. S.; Originaltext: „La femme est le contraire du Dandy. Donc elle doit faire horreur. La femme a faim et elle veut manger. Soif, et elle veut boire. […] La femme est naturelle, c’està-dire abominable. Aussi est-elle toujours vulgaire, c’est-à-dire le contraire du Dandy.“, aus: Charles Baudelaire, Mon cœur mis à nu, in: Ders., Œuvres complètes, Bd. 1, hrsg. von Claude Pichois, Paris 1976, S. 677. 21 Ebd., S. 682. 22 Die Militarisierung der Männlichkeit arbeitet im Laufe des 19. Jahrhundert zusehends der hegemonialen Norm zu, worauf die historischen Men’s Studies immer wieder aufmerksam machen. Vgl. u. a. Wolfgang Schmale, Geschichte der Männlichkeit in Europa (1450–2000), Wien [u. a.] 2003, hier insbes. S. 195–204; Ute Frevert (Hrsg.), Militär und Gesellschaft im 19. und 20.
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bereits seinen androgynen Anstrich erhält. Diese Ansicht teile ich dezidiert nicht. Eingedenk der aufwändigen und strengen Kompositionsarbeit, die Baudelaire in seine Fleurs du mal investiert hatte, erscheint mir die gewählte Abfolge im Peintre keineswegs willkürlich, sondern bewusst angeordnet zu sein. Baudelaire spricht, anders als zum Beispiel Honoré de Balzac und Jules Barbey d’Aurevilly in ihren eher nostalgischen Abhandlungen zum Dandy, über die Gegenwart, also jene Zeit der zweiten Jahrhunderthälfte, in der europaweit das Militär bei der Konstruktionsarbeit hegemonialer Männlichkeit eine immer wichtigere Rolle einnimmt. Der Dandy wird davon abgegrenzt, jedoch durch den Modus des Emporhebens. Auf paradigmatischer Ebene wird diese hervorgehobene Stellung des Dandys unterfüttert durch Baudelaires Attribuierungen: Die Rede ist vom „homme élévé“ (709), „supériorité“ (710), „une caste si hautaine“ (710), „attitude hautaine“ (711), „les dons célestes“ (711) und „superbe“ (712).23 Dieses primär über topografische Diskurspartikel vermittelte semantische Feld der Erhabenheit lässt keinen Zweifel offen, dass der Dandy in Baudelaires androzentrischer Geschlechterordnung die unübertreffliche Klimax markiert, die nichts weniger als absolute Hegemonialität beansprucht, was in dem ebenfalls oft zitierten Ausspruch gipfelt: Das Dandytum erscheint vor allem in Epochen des Übergangs, wenn die Demokratie noch nicht allmächtig und die Aristokratie erst teilweise wankend und herabgesetzt ist. […] Das Dandytum ist das letzte Auflodern von Heroismus in den Zeiten des Niedergangs; […].24
Ähnlich wie in Mon cœur mis à nu operiert Baudelaire im Peintre mit binären Oppositionen: Dem übergeordneten Status des Dandys wird der Niedergang der Gesellschaft gegenübergestellt, dem „apparaître“ des Dandys das „Schwanken“ und die „Herabsetzung der Aristokratie“ – der Dandy wird damit gleichsam zur messianischen Krisenfigur stilisiert. Es besteht bei Baudelaire nach meinem Dafürhalten kein Anlass, seine Behauptung des Dandys mit dem Signum der Effeminatio oder gar Androgynität zu versehen. Im Gegenteil: Sein Idealbild des Dandys gleicht in auffälliger Weise einem Manifest hegemonialer Männlichkeit. Das gezeichnete Bild ist jedoch nicht so schwarz-weiß, wie es vielleicht in Mon cœur mis à nu den Anschein erweckt. Baudelaire ist scharfsichtig genug, sein Dandy-Porträt im vorhergehenden Militär-Kapitel vorzubereiten durch die Beobachtung, dass auch der Soldat durch den Schmuck seiner Uniform und Jahrhundert, Stuttgart 1997. 23 Charles Baudelaire, Le Peintre de la vie moderne, in: Ders., Œuvres complètes, Bd. II, hrsg. von Claude Pichois, Paris 1976, S. 683–724. 24 Übers. G. S.; Originaltext: „Le dandysme apparaît surtout aux époques transitoires où la démocratie n’est pas encore toute puissante, où l’aristocratie n’est que partiellement chancelante et avilie. […] Le dandysme est le dernier éclat d’héroïsme dans les décadences; […].“ (711)
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seine „coquetterie militaire“ (707) dandyistisches Potenzial birgt und im folgenden Frauen-Kapitel zu konstatieren, dass auch die „geschminkte Frau“ durchaus inszenatorische Züge davon aufweist. Da sich jedoch der Dandy in Baudelaires Verständnis keineswegs nur durch diesen Kult um sein Äußeres auszeichnet, sondern vor allem auch durch seine geistigen Vorzüge, die er weder dem Soldaten noch der Frau zuschreibt, bleibt der Dandy das Ideal – er behält diesen Idealcharakter auch insofern, als Baudelaire, trotz aller autobiografischen Anspielungen, diesem eben nicht selbst gerecht wird, da er, genauso wie sein Alter Ego, Constantin Guys, beruflichen Tätigkeiten zum Zweck des Broterwerbs nachgehen muss und damit, worauf auch Rhonda K. Garelick aufmerksam macht, gegen den strengen Solipsismus des Dandys verstößt.25 Gleichwohl kann Baudelaire seinem Dandy-Bild im Jahr 1863 diese Hegemonialität zusprechen, da das Dandytum in dieser Zeit bereits so einflussreich geworden ist, dass es immerhin dazu imstande ist, die gesellschaftliche Männlichkeitsnorm, die unter anderem durch das Militär verkörpert wird, unter der Hand mitzubestimmen, ohne dass die Tatsache, dass eben auch Soldaten großen Wert auf Aussehen und Haltung legen, zu irgendeiner Form von Argwohn führen würde. Um Baudelaires Selbstbild des Dandys durch einen prominenten und ebenfalls einflussreichen Gegendiskurs zu ergänzen, möchte ich abschließend auf ein Werk zu sprechen kommen, dass dem – nicht nur geschlechtlichen – Normalismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts seine vielleicht plakativste Zuarbeit liefert. Die Rede ist von Max Nordaus umfangreicher Kulturkritik aus dem Jahr 1892/93 mit dem Titel Entartung. Der jüdische Arzt und Kulturkritiker Max Nordau vereinigt diese beiden Professionen in seinem höchst umstrittenen, rund 700-seitigen Œuvre, indem er unter anderem die gesamte avantgardistische Kunst seiner Zeit, insbesondere Ästhetizismus, Symbolismus, Dekadenzliteratur und Naturalismus mit dem vom französischen Psychiater Bénédict Augustin Morel entlehnten Konzept der Degeneration versieht und damit auf pathologisierende Weise den künstlerischen Zeitgeist des Fin de Siècle als entartet, mithin als Zivilisationskrankheit diagnostiziert. Hierunter fallen so disparate Kulturphänomene wie Friedrich Nietzsches Philosophie, die Kompositionen Richard Wagners oder auch Émile Zolas opulente Verfallsgeschichte der Rougon-Macquart. Die enorme Verbreitung durch rasch erfolgte Übersetzungen und etliche Neuauflagen machte Entartung zum „Skandalerfolg“26 und zur Bibel der Konservativen gleicherma-
25 Vgl. Rhonda K. Garelick, Rising Star. Dandyism, Gender and Performance in the Fin de Siècle, New Jersey 1998, S. 29. 26 Christoph Schulte, Psychopathologie des Fin de Siècle. Der Kulturkritiker, Arzt und Zionist Max Nordau, Frankfurt a. M. 1997, S. 207.
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ßen, weit über den deutschsprachigen Raum hinaus.27 Nordau setzt als Demarkationslinie das Primat der menschlichen Vernunft, das aus Regelmäßigkeit, Dauer, Einheitlichkeit, Willenskraft und Fortschrittsorientierung besteht. Kategorien wie Kontingenz, Sinnlichkeit, Mode, Flüchtigkeit und Exotismus stehen allesamt auf Seiten des krankhaft Entarteten. Andrea Kottow schreibt: „Die Vernunft konstituiert sich als maximale Autorität und als Denunziant von allem, was ihr marginal ist.“28 Des Weiteren fabriziert Nordau eine normalistische Matrix, die sich aus der strengen Dichotomie von männlich-gesund versus weiblich-krank ergibt. Allein diese wenigen Informationen reichen aus, um einen ersten Eindruck davon zu gewinnen, dass Nordau dem Dandytum alles andere als wohlgesinnt gegenübersteht, denn der Dandy stellt Nordau zufolge einen entarteten, mithin „kranken“ Mann dar und erkennt in ihm „das Symptom einer Krise, die eine wankende Normalität betrifft“.29 Wir erinnern uns: Auch bei Baudelaire wird der Dandy als Krisenfigur kategorisiert, aber dort zum Erlöser und Wegbereiter aus derselben stilisiert – im medizinischen Narrativ, das Nordau bevorzugt, könnte man sagen: hier ist der Dandy das Symptom der Krankheit, dort der Arzt, der sie kuriert durch seinen „Kult der Kälte“30, seine Ungerührtheit und Blasiertheit. Moderne Schriftsteller, die sich dem Habitus sowie dem Erscheinungsbild des Dandys annähern, erregen Nordaus Verachtung in besonderem Maße: Sie sind für ihn „‚Tagediebe‘, [die] keiner ,bürgerlichen Beschäftigung‘ nachgehen, zu anhaltender Arbeit unfähig sind und ihre Nächte in Cafés verbringen“.31 Dieses Bild steht dem Verständnis von idealtypischer, bürgerlicher Männlichkeit am Ende des 19. Jahrhunderts diametral gegenüber. Im sehr langen Kapitel mit dem Titel „Die Ich-Sucht“ verhandelt Nordau die nach eigenem Dafürhalten gesamte „entartete Kunst“ seiner Zeit, deren Verfasser sich allesamt durch die titelgebende Egomanie auszeichnen, „die keine Philosophie oder Sittenlehre [ist], sondern ihre Krankheit“.32 Zu den Degenerierten gehören unter anderem „der schwachsinnige Barbey d’Aurevilly“,33 der „geistesgestörte Edgar [Allan] Poe“34 sowie „der Entartete“ Charles Baudelaire „[der] sein ganzes Leben lang alle geistigen Sigmate
27 Max Nordau: Entartung, 2 Bde., Berlin 1892/93. 28 Andrea Kottow, Der kranke Mann. Medizin und Geschlecht in der Literatur um 1900, Frankfurt a. M./New York 2006, S. 148. 29 Ebd., S. 16. 30 Diesen Ausdruck verdanke ich Hiltrud Gnüg und ihrer gleichnamigen Studie zum Dandy (Stuttgart 1988). 31 Nordau zit. nach Schulte, Psychopathologie des Fin de Siècle (wie Anm. 26), S. 227. 32 Nordau, Entartung, Bd. 2, S. 53. 33 Ebd., S. 72. 34 Ebd., S. 74.
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[sic!] der Entartung aufwies“35 und schließlich Oscar Wilde. Nordaus Vorgehen ist im weitesten Sinne eine gefährliche Mischung aus Psychopathologie, darwinistischem Biologismus und Hermeneutik. Hierbei handelt es sich, wenn man so will, um drei zentrale Bereiche und Methoden, die an der Konstruktion hegemonialer Männlichkeit Ende des 19. Jahrhunderts wesentliche Anteile haben: Die Biologie ist zu dieser Zeit freilich noch die Grundlage aller geschlechtlichen Ordnungs- und Identitätspolitik; die Psychopathologie sondert das Anormale vom Normalen, zunächst im Individuellen, also auf der Ebene des Subjekts, bei Nordau jedoch erweitert um die Zivilisationsebene. Beide Bereiche produzieren gewichtige Diskurse, betreiben eine biografistische Symptomhermeneutik auf der Grundlage von Texten und stellen damit aufgrund der ihnen durch die Gesellschaft verliehenen Auctoritas dem Normalismus seine wichtigsten Exklusionsinstrumente zur Verfügung. Für den konkreten Fall Baudelaire sieht das folgendermaßen aus: Zunächst diagnostiziert der Arzt Nordau primär auf Basis der Fleurs du mal eine krankhafte „Vorliebe […] für das Unsittliche, Verbrecherische und Häßliche“, die er ausschließlich und unwiderlegbar, ohne es jedoch näher zu erklären, zurückführt auf eine „organische Verirrung“36 des Dichters und kommt zu folgendem Urteil: Er „betet sich selbst an“; verabscheut die Natur, die Bewegung, das Leben; träumt ein Ideal von Unbeweglichkeit, ewiger Stille, Ebenmaß und Künstlichkeit; er liebt die Krankheit, die Häßlichkeit, das Verbrechen, all seine Neigungen sind in tiefer Verirrung denen der gesunden Menschen entgegengesetzt; seinen Geruchssinn erfreut Fäulnißduft, sein Auge der Anblick von Aas, Eiterwunden und fremdem Schmerz; er fühlt sich in kothigem und nebeligem Herbstwetter wohl; seine Sinne erregt nur widernatürliche Luft. [...]; das Einzige, was ihn zerstreuen und anregen kann, ist das Schlechte: Mord, Blut, Geilheit, Lüge. Er betet zu Satan und sehnt sich nach der Hölle.37
Allein durch die Wahl des Vokabulars wird deutlich, dass sich Nordaus Diagnostik hier einzig den Gedichten Baudelaires verdankt, deren eigentümliche Bildsprache er zitiert und im Urteil radikalisiert im Sinne einer „Sprache der ‚autoritären‘ Biologie“ (Helmuth Plessner);38 Christoph Schulte beschreibt Nordaus pathologisierenden Biografismus wie folgt: Sodann wird das in den Werken Dargebotene ohne den Vorbehalt künstlerischer Freiheit, Innovation, Kreativität oder Phantasie als direkter Ausfluß als Abbild oder Symptom des Geisteszustandes seines Urhebers genommen, der so als Entarteter abgestempelt werden kann.39
35 Ebd., 36 Ebd., S. 65. 37 Nordau, Entartung, S. 84. 38 Zit. nach Schulte, Psychopathologie des Fin de Siècle (wie Anm. 26), S. 214. 39 Ebd., S. 224.
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Wie gefährlich diese Vorgehensweise in der lebensweltlichen Praxis werden konnte, zeigt sich im Jahr 1895, als die englische Übersetzung von Entartung in London bereits in der fünften Auflage erscheint – in jenem Jahr also, als der aufmerksamkeitsträchtige Schauprozess gegen Oscar Wilde geführt wird, in dessen Verlauf dieselbe perfide Argumentationsweise, die Nordau als maßgeblich und wissenschaftlich legitimiert dargestellt hatte, zum fatalen Urteilsspruch über den englischen Vorzeige-Dandy führt. Ein kurzer Ausschnitt aus den Prozessakten beweist, dass Wilde eines der ersten Opfer dieser zunächst „nur“ verbalradikalen, „intellektuellen Gewalttaten“40 wurde. Inkriminiertes Beweismaterial ist bekanntlich Wildes Roman The Picture of Dorian Gray – hier der Ausschnitt: “Do you mean that that passage describes the natural feeling of one man towards another?” “It would be the influence produced by a beautiful personality.” “A beautiful person?” “I said ‘a beautiful personality’. […] Dorian Gray was a most remarkable personality.” “May I take it that you, as an artist, have never known the feeling described here?” “I have never allowed any personality to dominate my art.” “Then you have never known the feeling you described?” “No. It is a work of fiction.”41
Erschwerend kommt bei Wilde natürlich der Homosexualitätsverdacht hinzu, was bei Nordau kaum Erwähnung findet – dass aber an dieser Stelle im eigentlichen Sinne der ‚doppelte Dandy‘ auf der Anklagebank sitzt, nämlich Autor und Figur beziehungsweise „person and personality“42 mitsamt ihrer geschlechtlichen Identität und sexuellen Neigung wird mehr als deutlich und bringt mich nun zu meinen abschließenden Bemerkungen. Ich habe versucht, mich anhand zweier prägnanter Beispiele mit dem Dandy aus Sicht der Men’s Studies zu beschäftigen. Baudelaire führt der Kulturgeschichte des Dandys wichtige Diskurse aus einer Perspektive der Selbstwahrnehmung zu, auch wenn er dies vermittelt über ein Alter Ego, den Maler Constantin Guys, tut. Nordau schreibt, auch wenn der den Begriff „Dandy“ selbst nur selten führt, aus einer dezidiert distanzierenden Perspektive der Fremdwahrnehmung über die kanonischen Ikonen des Dandytums von Théophile Gautier über Jules Barbey 40 Ebd. 41 H. Montgomery Hyde, Trials of Oscar Wilde, New York 1962, S. 112. 42 Dass Wilde sehr wohl mit Nordaus verleumderischen Werk vertraut war, beweist die Tatsache, dass der bereits Inhaftierte aus dem Zuchthaus zu Reading im Juli 1896 eine Petition um Hafterlassung an das Home Office schickte, in der er beteuerte, die Delikte, aufgrund derer er verurteilt worden war, seien nicht das Resultat eines verbrecherischen Impulses, sondern einer krankhaften Veranlagung gewesen und er nennt dort Nordau und sein Buch „Entartung“ zur Unterstützung seiner Argumentation. Vgl. dazu Regenia Gagnier, Idylls of the Marketplace. Oscar Wilde and the Victorian Public, Stanford 1986, S. 149f. Für diesen Hinweis danke ich Lucia Krämer.
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d’Aurevilly und Charles Baudelaire bis zu Oscar Wilde. Baudelaire bedient sich in seinem Manifest des modernen Dandys Strategien der Überhöhung und Idealisierung, während Nordau den Modus der polemischen Pathologisierung wählt. Beide beziehen sich im Rahmen ihrer Ausführungen auf ihr jeweiliges Umfeld, betätigen sich mithin als Kulturdiagnostiker und -kritiker ihrer Zeit. Beide behandeln den Dandy als Denkfigur der Krise: Nordau als Symptom, Baudelaire als Ausweg. Für Baudelaire ist der Dandy Inbegriff moderner hegemonialer Männlichkeit, während er für Nordau ein Schreckgespenst für das vorherrschende bürgerliche Maskulinitätsideal darstellt. Zu fragen wäre also abermals angesichts so viel Disparität: „Qu’est-ce que le dandy?“43 Es ist deutlich geworden, dass der Dandy mehr ist als nur ein männliches Inszenierungsmuster, das zu bestimmten Epochen mal mehr, mal weniger en vogue ist. Er ist vielmehr ein merkwürdiges Hybridwesen, das sich aus Texten und Textilien konstituiert, aus Diskursfäden und Performanzen, mithin als soziokulturelle Konstruktion zu verstehen ist, die sein Geschlecht mit einschließt. Es dürfte auch klar geworden sein, insbesondere mit dem Blick des kulturwissenschaftlichen Männerforschers, dass dem Dandy mit Kategorien des Androgynen nicht beizukommen ist, da es angesichts eines dynamisch-pluralisierten Männlichkeitsverständnisses keinen Grund gibt, ausgerechnet dem Dandy diese Kategorie abzusprechen. Baudelaires Manifest des Dandys stellt dies besonders prägnant unter Beweis, da er sich den probaten Strategien bedient, um ein hegemoniales Männlichkeitsbild zu etablieren und zu behaupten: Abgrenzung vom und Abwertung des Weiblichen, Marginalisierung anderer Männlichkeiten und Formulierung maskulinistischer Idealvorstellungen. Durch die Gegenüberstellung mit Nordaus Konzept der Pathologisierung und Entartung des Dandys, das mit allen Mitteln versucht, neuen und damit bedrohlichen Maskulinitätsentwürfen den sicheren Garaus zu bereiten, wird spätestens klar, dass der Dandy nicht zuletzt zum ideologischen Austragungsort von Verhandlungen über Männlichkeiten wird, der einer Kampfarena gleichkommt. Hierbei spielt der schon mehrfach herangezogene Begriff der „Krise“ eine wichtige Rolle und das im ursprünglichen Sinne des Wortes von „scheiden“ beziehungsweise „entscheiden“. Reinhart Koselleck beschreibt in seinem Artikel zur „Krise“ den Begriff als „strukturelle Signatur der Neuzeit“,44 was man für das Ende des 19. Jahrhunderts sicher nicht nur für das vorherrschende Männlichkeitsbild veranschlagen kann: „‚Krise‘ dient als geschichtsimmanenter Übergangsbegriff, wobei es von der Diagnose abhängt, ob die Übergangsphase zum Besseren oder Schlechteren führt 43 Baudelaire, Mon cœur mis à nu (wie Anm. 20), S. 682. 44 Reinhart Koselleck, Artikel „Krise“ in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 3, Stuttgart 1982, S. 617–650, hier S. 627.
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und wie lange sie dauern wird.“45 Wenn man sich nun vom heutigen Standpunkt anschaut, wie sich das Bild der hegemonialen Männlichkeit seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts weiterentwickelt hat, fällt es schwer zu sagen, ob Baudelaire oder Nordau Recht hatten mit ihren jeweiligen Prognosen. Der Mann, der Wert auf sein Äußeres legt, stellt längst kein Problem mehr dar,46 der Soldat und der Arbeiter gehören zwar immer noch zu den klassisch männlichen Sozialfiguren – die Pluralisierung ist jedoch inzwischen so weit fortgeschritten, dass die Einengung der Hegemonialität auf ein bis zwei Typen so nicht mehr funktionieren kann. Fakt ist, dass gerade aufgrund dieser pluralisierten Männlichkeit auch heute noch die Rede von der krisenhaften, gefährdeten Männlichkeit ist. Sowohl Baudelaire als auch Nordau waren, trotz aller Umstrittenheit und trotz den Unterschieden in den vorzunehmenden Konsequenzen, klug genug zu beobachten, dass der Dandy eine Figur des Übergangs, der Krise, des Wandels darstellt und haben damit auf sehr disparate Weise eines unter Beweis gestellt, nämlich dass der im Sinne Baudelaires „moderne“ Dandy emblematisch für die Beobachtung steht, dass die gesamte neuzeitliche Geschichte der Männlichkeiten ohnehin einen kontinuierlicher Kampf um Hegemonie darstellt und deren Entwicklung immer schon mit dem Signum der Krise beschrieben werden kann und immer noch wird.47 Die Geschichte der Männlichkeit ist eine Geschichte von Krisen, und der Dandy liefert für die Entwicklung der Männlichkeiten im 20. und 21. Jahrhundert vielleicht einen ihrer entschiedensten Impulse.
45 Ebd. 46 Zum Verhältnis von modernem Dandytum und postmoderner Metrosexualität vgl. Gregor Schuhen, Dandy Dichter Demagoge. Männlichkeitsentwürfe in der Belle Epoque, in: Ders./ Marijana Erstić/Tanja Schwan (Hrsg.), Avantgarde – Medien – Performativität. Wahrnehmungsund Inszenierungsmuster der Jahrhundertwende, Bielefeld 2005, S. 321–360, insbes. S. 357ff. 47 Vgl. u. a. Hämmerle/Opitz-Belakhal, Krise(n) der Männlichkeit (wie Anm. 6).
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Die Femme Dandy – eine vergessene Tradition? Die Marquise d’Espard, Coco Chanel und Drag Kings Es ist die Einsicht der Gender Studies, dass Geschlecht ein relationales Verhältnis ist. Wer etwas über den Dandy des 19. und 20. Jahrhunderts erfahren möchte, kommt folglich nicht umhin, sich mit den prominenten Frauentypen dieser Zeit zu beschäftigen und insbesondere dem weiblichen Pendant: der Femme Dandy. Wer sich mit der Femme Dandy befasst, sieht sich vor einem ähnlichen Problem, wie es Sigrid Weigel 1990 in einem Interview über Frauen in der (Literatur-) Geschichtsschreibung ganz allgemein formuliert hat: Wir haben, so Weigel, „nur ein ganz fragmentarisches Wissen […], nur kleine Momentaufnahmen, Mosaiksteine ihrer Kultur und Geschichte, aber niemals eine Kontinuität.“1 Auch bei der Femme Dandy gibt es nur vereinzelte Hinweise auf diese oder jene literarische Figur oder auf einzelne historische Persönlichkeiten.2 Insofern existiert keine Tradition, die einfach verloren gegangen ist und nun wieder ausgegraben oder wiederentdeckt werden müsste. Dies betrifft auch das Verhalten der Femmes Dandy. Da sie über keine weiblichen Vorbilder verfügen, auf die sie sich berufen könnten, fängt jede gleichsam wieder bei Null an. Worauf die Femmes Dandy sich aber berufen, wenn sie es denn tun, sind männliche Dandys, wie Honoré de Balzac oder Marcel Proust. Es soll hier kein Versuch gemacht werden, eine Traditionslinie der Femmes Dandy zu konstruieren, sondern ich möchte eine kleine Auswahl an Mosaiksteinchen zu einer Geschichte der Femme Dandy präsentieren. Es geht dabei um Frauen, über die entweder geschrieben wurde, es handle sich um Femmes Dandy oder von denen ich denke, dass man sie als solche lesen könnte. Da ich davon ausgehe, dass es sowohl im 19. als auch im 20. Jahrhundert immer wieder Femmes Dandy gegeben hat, möchte ich drei weibliche Dandys und Dandy-Grup1 Sigrid Weigel, „Konstellationen, kleine Momentaufnahmen, aber niemals eine Kontinuität“. Ein Gespräch über Literaturwissenschaft und Literaturgeschichtsschreibung von Frauen, in: Karin Fischer [u. a.] (Hrsg.), Bildersturm im Elfenbeinturm. Ansätze feministischer Literaturwissenschaft, Tübingen 1992, S. 116–133, hier S. 133. 2 Susan Fillin-Yeh nennt als einen Grund, warum die Geschichte weiblicher Dandys schwer zu fassen sei, dass ihre Geschichten nicht erzählt würden, vgl. Susan Fillin-Yeh, Introduction. New Strategies for a Theory of Dandies, in: Dies., Dandies. Fashion and Finesse in Art and Culture, New York/London 2001, S. 1–34, hier S. 12.
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pen aus verschiedenen Zeiträumen vorstellen: Die Marquise d’Espard, eine Figur aus Balzacs Comédie Humaine, Coco Chanel und Drag Kings. Sie stehen für die Veränderungen, die das Dandytum angesichts von Haute Couture, der Emanzipation von Frauen und Homosexuellen, der Massenkultur sowie neuen Medien erfahren hat. Anhand dieser drei Konstellationen möchte ich über Möglichkeiten und Grenzen weiblichen Dandytums im 19. und 20. Jahrhundert nachdenken.
Die Femme Dandy als Überschreitung und Kommentar der Regeln Bevor ich auf die einzelnen Beispiele näher eingehe, möchte ich erst klären, was eine Femme Dandy ist. Trotz einiger effeminierender Eigenschaften sind Dandys grundsätzlich männlich. Weibliche Dandys gelten im Prinzip als undenkbar. Sie sind daher immer schon als Ausnahme von der Regel konzipiert.3 Es ist jedoch an der Zeit, diese konventionelle Definition zu überdenken.4 Als eine der ersten hat Hiltrud Gnüg auf die Femme Dandy aufmerksam gemacht. Sie versteht die Eigenschaften der Femme Dandy in Analogie zum männlichen Dandy.5 Insofern müsste ein weiblicher Dandy ebenfalls die vier paradoxen Spielräume zwischen Individualität und Typisierbarkeit, Genussorientiertheit und Affektkontrolle, (Selbst-)Ironisierung eines Ironikers, Effemination und Misogynie aufweisen, die ich als typisch für das Dandytum identifiziert habe.6 Inwiefern unterscheidet sich dann eine Femme Dandy noch von einem gewöhnlichen Dandy? Ein zentrales Unterscheidungsmerkmal sind die Momente der Geschlechts-Überschreitung und deren Kommentierung, welche zudem die vier genannten Spielräume affizieren und modifizieren können. Diese Momente werden besonders an einer der berühmtesten Femmes Dandy deutlich, der weiblichen Hauptfigur aus Stendhals Rouge et Noir (1830), Mathilde de la Mole. Die kühle und charakterstarke junge Frau verschafft sich durch ihre vernichtende Ironie gesellschaftlichen Respekt. Sie setzt sich furchtlos über Konventionen hinweg, indem sie dem gesellschaftlich weit unter ihr stehenden Julien Sorel als Erste die Liebe erklärt, ihn zu ihrem
3 Vgl. Jessica F. Feldman, Gender on the Divide. The Dandy in Modernist Literature, Ithaca/ London 1993, S. 9f. 4 Vgl. Fillin-Yeh, Introduction (wie Anm. 2), S. 3. 5 Vgl. Hiltrud Gnüg, Kult der Kälte. Der klassische Dandy im Spiegel der Weltliteratur, Stuttgart 1988, S. 16. 6 Vgl. Isabelle Stauffer, Weibliche Dandys, blickmächtige Femmes fragiles. Ironische Inszenierungen des Geschlechts im Fin de Siècle, Köln [u. a.] 2008, S. 94ff. und S. 147–170.
Die Femme Dandy – eine vergessene Tradition?
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Geliebten macht und ihn schließlich heiraten will. Die Überschreitung, die diese Figur darstellt, wird zum einen anhand eines Erzählerkommentars deutlich, der ihre Fiktionalität behauptet: „Ihr [Mathildes] Charakter ist voll und ganz erfunden und so erfunden, daß er ganz außerhalb der gesellschaftlichen Bräuche liegt, die vor allem dem 19. Jahrhundert und seiner Zivilisation einen so hohen Rang verleihen.“7 Zugleich muss der Erzähler vorgeben, diese Gestalt sei harmlos, indem er sie als liebenswürdig und ihre Handlungen als Torheiten bezeichnet, da er sonst den Unwillen des Lesepublikums und der Zensur zu fürchten hätte: „Wir sind uns also darüber einig, daß eine Gestalt wie Mathilde in unserem ebenso weisen wie tugendhaften Jahrhundert unmöglich vorkommen kann. Ich brauche dann Ihren Unwillen nicht zu fürchten, wenn ich in der Erzählung der Torheiten dieses liebenswürdigen Mädchens fortfahre.“8 Zum anderen wird sie gelegentlich als männlich oder unweiblich bezeichnet, sie muss sich darauf besinnen, eine Frau zu sein, oder es wird gesagt, dass sie als Mann hätte geboren werden müssen.9 Das Dandytum von Mathilde de la Mole ist jedoch eine transitorische Angelegenheit. Als sie schwanger wird und die geplante Heirat mit Julien durch einen Brief seiner früheren Geliebten platzt, büßt sie durch ihre Eifersucht vorübergehend ihr Dandytum ein. Durch ihre Identifikation mit Königin Margarete von Navarra gelingt ihr am Ende des Romans wieder eine Inszenierung, die einer Femme Dandy würdig ist.10 Das Moment der Geschlechterüberschreitung des weiblichen Dandys wird ebenfalls an der Titelheldin von Théophile Gautiers Mademoiselle de Maupin (1835) einsehbar. Bei ihr handelt es sich um eine Grenzgängerin zwischen den Geschlechtern: Sie reist als Mann verkleidet durchs Land, zählt sich zu einem dritten, noch unbenannten Geschlecht und hat sowohl eine Geliebte als auch einen Geliebten. Allerdings wird ihre dandyistische Überlegenheit durch die Konstruktion des Romans, der hauptsächlich aus Briefen ihres Geliebten besteht, gemindert.11 Auch in diesem Roman kann das weibliche Dandytum sich nur transitorisch, nämlich auf Reisen, entfalten.
7 Stendhal, Rot und Schwarz: Zeitbild von 1830, Frankfurt a. M. 1989, S. 438. Man beachte das ironische Lob (der ‚hohe‘ Rang der Zivilisation des 19. Jahrhundert), wodurch deutlich wird, dass neben der Figur des Julien Sorel auch durch diejenige der Mathilde Gesellschaftskritik geübt wird. 8 Ebd., S. 439. 9 Vgl. ebd., S. 306, 357, 382, 593. 10 Vgl. ebd., S. 372f., 615f. Zur Bedeutung des Königinnen-Motivs für weibliche Dandys vgl. Isabelle Stauffer, Travestie und weibliches Dandytum bei Thomas Meinecke und Elke Naters, in: Der Deutschunterricht 4 (2008), S. 53–62, hier S. 60. 11 Vgl. Stauffer, Weibliche Dandys (wie Anm. 6), S. 96–97.
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Eine weitere Form der Geschlechterüberschreitung stellt Franziska zu Reventlows namenlose Briefschreiberin und Erzählerin ihres Briefromans Von Paul zu Pedro (1912) dar. Sie ironisiert die dandyistische Haltung der Frau gegenüber, indem sie diese umdreht: Männer sind für sie ein angenehmer Zeitvertrieb, ein virtuos zu handhabendes Instrument oder ein ästhetisches Objekt. Somit verkehrt sich die Misogynie des Dandys zur Männerverachtung.12 Auch diese Figur, die aus einem ursprünglich adeligen Kontext kommt, ist viel unterwegs, in Hotels, in Tea Rooms und Cafés vor allem in Italien.13
Die Marquise d’Espard: Femme Dandy oder femme à la mode? Eine zentrale Gestalt aus Honoré de Balzacs vielköpfiger Comédie Humaine (1829– 1854), die Marquise d’Espard, wird von Rose Fortassier in ihrer Studie Les Mondains de La Comédie Humaine als Femme Dandy bezeichnet. Die Marquise, so die Begründung, sei eine Femme Dandy, weil sie ohne Herzensbindung und ohne Verpflichtungen sei, sie sei kalt, wie es ein Dandy sein soll. Man wisse nichts über ihre Vergangenheit, das mache sie mysteriös. Des Weiteren sei sie beängstigend perfekt wie eine Maschine aus dem für seine Metallverarbeitung bekannten Birmingham, eine Königin der Gesellschaft, die diese mit unbarmherziger Politik regiere.14 In ihrer Typologie von Balzac’schen Frauen geht Fortassier allerdings nicht näher auf die Femme Dandy ein. Stattdessen umfasst ihre Typologie folgende elf Rollen: Die Debütantin, die Frau wie sie sein soll, die Femme à la Mode, die Lionne, die Libertine, die Prüde (die mit der Frommen und der Patronin zusammen behandelt wird), die Salonière, die Politikerin, die Literatin, die Künstlerin und die adelige Witwe.15 Von diesen elf Frauentypen sind die Lionne 12 Vgl. ebd., S. 77f. 13 Zum adeligen Kontext dieser Figur vgl. Franziska Gräfin zu Reventlow, Von Paul zu Pedro. Amouresken, München 1912, S. 65, 69. Italien war im 19. Jahrhundert die Destination für Hochzeitsreisende, Künstler und Ehebrüchige, wie die Romane Balzacs und Theodor Fontanes zeigen. 14 Vgl. Rose Fortassier, Les Mondains de La Comédie humaine. Étude historique et psychologique, Klincksieck 1974, S. 162, 356. Die Marquise d’Espard wird als „une sorte de Reine Elisabeth de la mondanité“ bezeichnet (ebd., S. 305. Zu ihrer Kälte vgl. auch ebd., S. 330). 15 La Débutante, La Femme comme il faut, La Prude, La Dévote, la Dame patronesse, La Femme qui tient un Salon, La Femme politique, La Femme littéraire, La Femme-Artiste, Douarières. Nicht alle Rollen lassen sich adäquat übersetzen, weshalb ich in einigen Fällen die französischen Begriffe benutze.
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und die Libertine diejenigen, die der Femme Dandy am nächsten kommen.16 Interessanterweise erwähnt Fortassier Gautiers Mademoiselle de Maupin unter beiden Bezeichnungen, Lionne und Libertine, zugleich.17 Die sportliche, wehrhafte, manchmal auch trinkende und rauchende Lionne ist aber keine typisch Balzac’sche Erscheinung.18 Die Marquise d’Espard wird unter diesen beiden Frauentypen gar nicht genannt; Fortassier erwähnt sie unter der Femme à la Mode und der Politikerin.19 Die Marquise ist die Hauptfigur in der Erzählung L’Interdiction, wo sie versucht, ihren Mann, der getrennt von ihr lebt, entmündigen zu lassen, um an sein Vermögen zu kommen. Sehr undandyistisch wird sie dabei von verschiedenen anderen Figuren durchschaut. Zu Beginn der Erzählung erkennt der Arzt Horace Bianchon trotz aller Bemühungen der Marquise ihr wahres Alter und verrät es ihrem Verehrer Rastignac.20 Der Richter Popinot, der ihr Entmündigungsgesuch bearbeiten soll und den sie gerne zu ihren Gunsten beeinflussen möchte, unterzieht sie Fragen, durch die sie ihre wahren Interessen bloßstellt.21 Die Marquise errötet dabei und es heißt, dass „sie […] sich durch ihre Antworten um[brachte]“.22 Die Marquise lässt sich von Popinots grotesken Äußerem, das ihn eher als komischen Kauz als scharfsinnigen Richter erscheinen lässt, täuschen und wird von diesem verblüfft; zwar erreicht sie über den Justizminister, dass Popinot von ihrem Fall abgezogen wird,23 dies nützt ihr in letzter Konsequenz aber nichts. Denn der junge Schriftsteller Lucien de Rubempré, dessen gesellschaftliche Aufstiegswünsche sie torpediert hat, lässt, um sich dafür zu rächen, seinerseits hochstehenden Personen Informationen zukommen, die den Prozess zu Ungunsten der Marquise ausgehen lassen.24 Auch im Verhältnis zu anderen Frauen steht die Marquise nicht immer gut da. So heißt es über ihre Beziehung zu ihrer Freundin, der Fürstin von Cadignan: „Die Fürstin überragte die Marquise um
16 Als neuer Typus ist die Lionne ursprünglich ein Synonym für Femme à la Mode und später näher bei der Garçonne anzusiedeln, vgl. Fortassier, Les Mondains (wie Anm. 14), S. 307f. 17 Vgl. ebd., S. 307, 314. 18 Vgl. ebd., S. 308f. 19 Vgl. ebd., S. 306, 329ff. 20 Vgl. Honoré de Balzac, Die Entmündigung, in: Ders., Die Frau von dreißig Jahren, Vater Goriot, u. a., in: Ders., Die Menschliche Komödie, Gesamtausgabe in zwölf Bänden: Bd. III, hrsg. von Ernst Sander, München 1998, S. 672. Zum strengen Regime, das sich die Marquise abfordert, um jugendlicher zu wirken vgl. ebd., S. 706f. 21 Vgl. ebd., S. 720f. 22 Ebd., S. 721. 23 Vgl. ebd., S. 753f. 24 Vgl. Honoré de Balzac, Wie leichte Mädchen lieben, in: Ders., Geschichte der Dreizehn, Glanz und Elend der Kurtisanen (1) u. a., in: Ders., Die Menschliche Komödie, Gesamtausgabe in zwölf Bänden: Bd. VI, hrsg. von Ernst Sander, München 1998, S. 959.
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Haupteslänge, und die Marquise erkannte innerlich diese Überlegenheit an.“25 Somit fehlt der Marquise zwar nicht die Kälte, wohl aber das Undurchschaubare, souverän Agierende des Dandys. Sie ist viel eher, was Balzac selbst mehrfach von ihr schreibt,26 eine Femme à la Mode. Anhand der Marquise d’Espard wird eine erste Problematik bei der Suche nach Femmes Dandy im 19. Jahrhundert deutlich: Es gibt viele benachbarte Frauentypen, deren Eigenschaften sich mit denjenigen der Femme Dandy überschneiden, wie die Femme à la Mode oder die Lionne oder die Femme Fatale. Weiterhin gibt es für Femmes Dandy im 19. Jahrhundert zwei zentrale Schwierigkeiten, die sie überwinden müssen: Sie brauchen ein eigenes Vermögen und eine gefestigte soziale Position, um die Freiheit zu haben, ihr Leben zu ihrem Werk zu machen.27 Mathilde de la Mole, als reiche verwöhnte Lieblingstochter eines Adeligen und Mademoiselle de Maupin als vermögende Waise und in männlicher Maskerade, verfügen für eine gewisse Zeit über diese beiden Mittel. Der Raum, den der adelige Lebensstil und letzte Überreste des Ein-Geschlecht-Modells28 für einige Ausnahmen weiblichen Dandytums noch geboten haben, schwindet jedoch im 19. Jahrhundert, da Geschlecht nun als das wichtigere Merkmal als die Standeszugehörigkeit angesehen und zunehmend als etwas Bipolares und nicht mehr als etwas Übergängiges erfahren wird. Im 20. Jahrhundert hingegen scheint die Bohème neue Freiräume zu eröffnen. So kann sich die Erzählerin des Romans Von Paul zu Pedro in einem bohemischen Kontext von Künstlern, ausgehaltenen Frauen und Reisenden als weiblicher Dandy inszenieren. Im Folgenden möchte ich auf eine weitere zentrale Figur weiblichen Dandytums am beginnenden 20. Jahrhundert eingehen: Coco Chanel.
25 Ders., Die Geheimnisse der Fürstin von Cadignan, in: Ders., Glanz und Elend der Kurtisanen (2), Tante Bette u. a., in: Die Menschliche Komödie, Gesamtausgabe in zwölf Bänden: Bd. VII, hrsg. v. Ernst Sander, München 1998, S. 497. 26 Vgl. Balzac, Entmündigung (wie Anm. 20), S. 675, 709. 27 Vgl. Elisabeth Bronfen/Barbara Straumann, Die Diva. Geschichte einer Bewunderung, München 2002, S. 81; Marie-Christine Natta, La Grandeur sans convictions. Essais sur le dandysme, Paris 1991, S. 143f. 28 Zum Ein-Geschlecht-Modell vgl. Thomas Laqueur, Auf den Leib geschrieben. Die Inszenierung der Geschlechter von der Antike bis Freud, München 1996.
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Coco Chanel: Weibliche Dandy-Mode als Befreiung des Frauenkörpers Die Emanzipation der Frau, welche ihre Abhängigkeit von einem „guten Ruf“ lockerte und ihr Möglichkeiten bot, eigenes Geld zu erwirtschaften, erschloss weitere Räume für weibliches Dandytum. Ein zentrales Beispiel dafür ist Coco Chanel, die immer wieder mit dem Dandytum assoziiert wird.29 Und zwar sowohl, was ihre eigene Person als auch was ihre Mode betrifft, die als Dandy-Mode für die Frau galt.30 Chanel gab selbst eine dandyistische Performance, entwickelte in ihren Kreationen dandyistische Erfindungen weiter und weitete sie auf FrauenMode aus.31 Es begann damit, dass Chanel 1910 zu den Pariser Pferderennen Männerkleidung trug, was ihr die Macht eines Dandys verlieh, die sozialen Restriktionen zu überwinden, die sie als Angehörige der untersten Klasse und als ausgehaltene Frau betrafen.32 Das Tragen von Männerkleidung war bei Chanel keine Ausnahme, sie hat dies auch später wiederholt getan (vgl. Abb. 1). Im ersten Weltkrieg fertigte Chanel aufgrund von Stoffmangel aus Stallburschen-Sweatern und Jockey-Trikots Jersey-Kleider – mit großem Erfolg.33 1917 schnitt sie sich die Haare kurz, was damit kommentiert wurde, sie sähe nun wie ein Knabe aus. Mit ihrem Kurzhaarschnitt lancierte sie die Mode des GarçonneLook, noch bevor der Roman La Garçonne von Victor Marguerite 1921 erschien, nach dem dieser Stil schließlich benannt wurde.34 Chanels neutrale, eher dunkle Farbtöne, ihr einfacher Luxus und ihre klaren Linien erinnern an George Brummells gedämpfte Eleganz.35 Indem Chanel Brummells Prinzipien auf Frauenmode 29 Vgl. Barbara Vinken, Transvestie – Travestie: Mode und Geschlecht, in: Inszenierung und Geltungsdrang, hrsg. von Jörg Huber/Martin Heller, Zürich 1998, S. 57–77, hier S. 69; Susan FillinYeh, Introduction (wie Anm. 2), S. 2, 23f.; Rhonda K. Garelick, The Layered Look: Coco Chanel and Contagious Celebritiy, in: Susan Fillin-Yeh (Hrsg.), Dandies. Fashion and Finesse in Art and Culture, New York/London 2001, S. 35–59, hier S. 35, 38. 30 Vgl. Vinken, Transvestie (wie Anm. 29), S. 69f. 31 Vgl. Garelick, Layered Look (wie Anm. 29), S. 35. 32 Vgl. Fillin-Yeh, Introduction (wie Anm. 2), S. 2; vgl. auch Paul Morand, Die Kunst, Chanel zu sein. Coco Chanel erzählt ihr Leben, München 2009, S. 275. 33 Vgl. ebd., S. 51. 34 Vgl. ebd., S. 56; auch Garelick, Layered Look (wie Anm. 29), S. 46. 35 Vgl. Garelick, Layered Look (wie Anm. 29), S. 53; zu natürlichen und eher dunklen Farben vgl. Lilou Marquand, Coco Chanel hat mir erzählt …, Berlin 1991, S. 65; Morand, Kunst (wie Anm. 32), S. 54, 59, 208; zu Chanels „luxe caché“ und „misérabilisme de luxe“ vgl. Garelick, Layered Look (wie Anm. 29), S. 44f.; zu Schlichtheit und klaren Linien vgl. Morand, Kunst (wie Anm. 32), S. 51, 158.
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anwandte, reduzierte sie die weibliche Silhouette modernistisch und propagierte einen androgynen Look. Dadurch beschleunigte sie visuell die weibliche Form und ermöglichte den Frauen zugleich mehr Bewegungsfreiheit (vgl. Abb. 2 u. 3).36
Abb. 1: Boy Capel und Coco Chanel um 1912.
36 Vgl. Garelick, Layered Look (wie Anm. 29), S. 41; zu Chanels Vorliebe für den androgynen Look vgl. ebd., S. 48.
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Abb. 2: Schwarzer Satin-Sommermantel von 1918.
Zu ihren vielen Innovationen gehörten Hosen, Röcke – welche die Knöchel sehen ließen – das Kostüm bestehend aus Rock und passendem Jackett, das Kleine Schwarze, der Badeanzug für die Frau, Modeschmuck und die Verwendung neutraler Farben.37 Sie veränderte nicht nur die Umrisse des weiblichen Körpers, sondern auch die Stoffe, die Frauen trugen. So wurde der Strickjersey, aus dem sie Kleider entwarf, zuvor nur für Männer-Unterwäsche gebraucht. Zudem ließ sie Tweed aus Schottland kommen, der Crêpe und Musselin in den Frauenkleidern 37 Vgl. ebd., S. 42f. Modeschmuck entwarf Chanel ab 1934, vgl. Morand, Kunst (wie Anm. 32), S. 202.
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Abb. 3: Tweed-Kostüm von 1959.
verdrängte.38 Chanels Designs waren stark von der Garderobe des englischen Landedelmanns beeinflusst, aber auch von Normannischen Fischern und Militär- sowie Schuluniformen;39 russische Einflüsse lassen sich ebenfalls nachweisen.40 Dies beinhaltet dandyistisches Potential, denn England und Russland waren Hochburgen des Dandytums. Schließlich hat Stendhals Dandy Julien Sorel 38 Vgl. Garelick, Layered Look (wie Anm. 29), S. 43f. und Morand, Kunst (wie Anm. 32), S. 59. 39 Vgl. Garelick, Layered Look (wie Anm. 29), S. 44. 40 Vgl. Morand, Kunst (wie Anm. 32), S. 104f.
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in London auf der „Hochschule des Dandytums“ bei russischen Edelleuten die „letzten Geheimnisse der Lebenskunst“ gelernt.41 Chanel war die erste Berühmtheit unter den Designerinnen und Designern, die in besonders hohem Maße ihre Persönlichkeit in ihre Kreationen einbrachte.42 Mit ihr wurde zum ersten Mal eine Person, die Kleider entwarf, als Künstlerin wahrgenommen, man engagierte sie für Kunstproduktionen wie Le Train bleu und verglich sie sogar mit Picasso.43 Lässt sich aus dieser Lesart Chanels als einer Femme Dandy schlussfolgern, dass die Couturiers allgemein die neuen Dandys sind? Keineswegs. Denn für Chanel gilt, was Günter Erbe zu Recht anderen Modeschöpfern abspricht: Im Unterschied zu ihren männlichen und auch einigen weiblichen Kollegen war sie Schöpferin der Mode und Model in Personalunion.44 Der Bezugspunkt von Chanels Mode war immer ihr eigener Körper, und sie trug, was sie kreierte.45 Sie hatte die gleiche Lebensweise, die gleichen Vorlieben und die gleichen Bedürfnisse wie ihre Kundinnen.46 Sie selbst war ihre beste Reklame und verkaufte nicht nur einzelne Produkte, sondern ihr gesamtes Leben.47 Dass ihre Mode Teil ihrer Persönlichkeit war und ihre gesamte Persönlichkeit ihre Kunst ausmachte, entspricht dem dandyistischen Prinzip des Lebens als Kunstwerk.48 Ihr rasanter sozialer Aufstieg durch Mode erinnert zudem an denjenigen von Brummell.49 Außerdem enthält der Diskurs über Coco Chanel eine unübersichtliche Mischung aus fiktiven und realen Elementen, was ebenfalls typisch für eine dandyistische Rezeption ist.50 Dem dandyistischen Kult des Individuums und der Affektkontrolle gemäß, inszeniert sich Chanel als distanziert und unabhängig oder wird von Dritten so inszeniert.51 Auch das revoltierende Moment, das Charles Baudelaire am Dandy beschreibt, findet sich bei Chanel wieder, indem sie sich als Rebellin
41 Stendhal, Rot und Schwarz (wie Anm. 7), S. 342. 42 Vgl. Garelick, Layered Look (wie Anm. 29), S. 38–39. 43 Vgl. ebd., S. 41, 47ff. 44 Vgl. Günter Erbe, Dandys – Virtuosen der Lebenskunst. Eine Geschichte des mondänen Lebens, Berlin [u. a.] 2002, S. 301. 45 Vgl. Garelick, Layered Look (wie Anm. 29), S. 46; Marquand, Coco Chanel (wie Anm. 35), S. 54, 67. 46 Vgl. Morand, Kunst (wie Anm. 32), S. 194. 47 Vgl. Garelick, Layered Look (wie Anm. 29), S. 46. 48 Vgl. Erbe, Dandys (wie Anm. 44), S. 7; Garelick, Layered Look (wie Anm. 29), S. 35. 49 Vgl. ebd., S. 36, 40, 53. 50 Vgl. ebd., S. 36. 51 Zum Kult des Individuums und zur Affektkontrolle vgl. Stauffer, Weibliche Dandys (wie Anm. 6), S. 93. Zu Chanels Distanziertheit und Unabhängigkeit vgl. Marquand, Coco Chanel (wie Anm. 35), S. 7, 16f., 85.
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gibt und als Stilrevolutionärin betrachtet wird.52 Ähnlich wie Stendhals Mathilde de la Mole scheint Chanel zu vergessen, dass sie eine Frau ist oder wird als Herr bezeichnet.53 In einer an Reventlows Erzählerin erinnernden Umkehrung der misogynen Einstellung des Dandys äußert Chanel, dass die reichsten Männer, mit denen sie liiert war, sie am teuersten zu stehen kamen.54 Ohnehin drückt sich Chanel in Paul Morands Biografie, in der sie selbst zu Wort kommt, häufig ironisch aus.55 Ihre überraschenden Aphorismen erinnern an dandyistische Prinzipien wie beispielsweise ihr Motto:56 „Was man nicht erlernen kann, macht erfolgreich.“ Oder „Nicht um Geld zu verdienen, braucht man Enthusiasmus, sondern um es auszugeben.“57 Letzteres verweist darauf, dass der Lebensstil eines Dandys glänzend finanziert sein musste.58 Das Finanzierungsproblem für den Lebensstil eines weiblichen Dandys führt zu einem Punkt, an dem das Moment der Geschlechtsüberschreitung den Spielraum der Genussorientierung und Affektkontrolle stark modifiziert: Der Müßiggang des Dandys verkehrt sich bei Chanel in Hingabe an ihre Arbeit:59 Die Tätigkeit als Modeschöpferin bietet Chanel eine Bühne der vestimentären Inszenierung, den notwendigen finanziellen Rückhalt sowie eine Position in der eleganten Welt. Zudem rebelliert sie mit ihrem Willen zu arbeiten gegen die damals noch dominante gesellschaftliche Erwartung, dass eine Frau auf die Finanzierung durch einen Mann angewiesen sei. Chanel war das Dandytum bekannt, sie erwähnt mehrfach berühmte französische Dandys wie Stendhal, Balzac, Alfred d’Orsay und Proust.60 Sie stellt zudem eine persönliche Beziehung zum Dandytum her, wenn sie befindet, ihr zweiter Liebhaber, Boy Capel, habe sich wie ein Dandy gegeben.61 Sie beruft und vergleicht sich selbst, was ihre Ansichten und Angewohnheiten angeht, auf Balzac
52 Vgl. Charles Baudelaire, Le Dandy, in: Ders., Le Peintre dans la vie moderne, in: Œuvres complètes. Texte établi, présenté et annoté par Claude Pichois, Bd. 2, Paris 1975, S. 711; zu Chanel vgl. Morand, Kunst (wie Anm. 32), S. 16f.; Garelick, Layered Look (wie Anm. 29), S. 40. 53 Vgl. Morand, Kunst (wie Anm. 32), S. 190 und Marquand, Coco Chanel (wie Anm. 35), S. 16. 54 Vgl. Morand, Kunst (wie Anm. 32), S. 159. 55 Vgl. ebd., S. 181. Damit, dass Chanel „selbst zu Wort kommt“ ist gemeint, dass die Biografie in Ich-Form geschrieben ist. Entsprechend heißt der Untertitel von Morands Biografie „Coco Chanel erzählt ihr Leben. Aufgezeichnet von Paul Morand“. 56 Chanel hatte eine Vorliebe für Aphorismen, vgl. ebd., S. 248. 57 Ebd., S. 31, 157. 58 Zum Finanzhaushalt des Dandys vgl. Günter Erbe, Der moderne Dandy. Zur Herkunft einer dekadenten Figur, in: Alexandra Tacke/Björn Weyand (Hrsg.), Depressive Dandys. Spielformen der Dekadenz in der Pop-Moderne, Köln [u. a]. 2009, S. 17–38, hier S. 26f. 59 Zur Rolle der Arbeit für Chanel vgl. Morand, Kunst (wie Anm. 32), S. 92. 60 Vgl. ebd., S. 110, 116. 61 Vgl. ebd., S. 69.
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und mit Proust.62 Diese Bezugnahmen auf männliche Dandys als Vorbilder für eine Femme Dandy sind keine Ausnahme. So liest Susan Fillin-Yeh etwa Jacqueline Kennedy Onassis als Femme Dandy, die über ihren sehnlichsten Wunsch schrieb, berühmte Dandys wie Baudelaire und Oscar Wilde zu treffen.63 Am Beispiel von Coco Chanel wird deutlich, dass die Mode und die modernen Medien, die Chanel zu einer Art Starstatus verholfen haben, neue Möglichkeiten für ein weibliches Dandytum eröffnet haben.64
Drag Kings: Femmes Dandy des Camp Weibliches Dandytum hat also, wie wir bei der Mademoiselle de Maupin und Coco Chanel gesehen haben, viel mit Frauen in Männerkleidung zu tun.65 Noch heute wird das Tragen von Westen, Herrenhemden und -hosen sowie Hüten „DandyLook“ genannt; dieser ist in den letzten Jahren außerordentlich populär geworden. Designer und Label wie Christian Dior, Burberry, Gianfranco Ferre, Karl Lagerfeld und Ralph Lauren haben sich davon inspirieren und Models wie Kate Moss und Diane Krüger haben sich darin fotografieren lassen (vgl. Abb. 4 u. 5). Zwar kann das weibliche Dandytum keineswegs auf das Tragen von Herrenkleidung reduziert werden. Dennoch deutet die Relevanz, die dieser Kleidung zukommt, darauf hin, dass die vier Spielräume des Dandys für die Femme Dandy um einen fünften Spielraum ergänzt werden müssen, der zwischen Spiritualität, dem Dandytum als einer geistigen Haltung, und Vestimentarität, dem Dandy als arbiter elegantiarum, verläuft. Führt man das travestische Element der Femme Dandy mit den gewandelten Bedingungen des Dandytums im Zeitalter der Massenkultur, dem Camp, zusammen,66 dann ist der Weg bis zu den Drag Kings nicht mehr weit. Diese sind im Gegensatz zu Drag Queens ein relativ neues Phänomen: Die Drag-King-Kultur entstand in den 1990er-Jahren in den queeren Szenen von Großstädten wie New York, London, San Francisco und Berlin.67 Seit 1989 gibt es entsprechende Work62 Vgl. ebd., S. 135, 173. 63 Vgl. Fillin-Yeh, Introduction (wie Anm. 2), S. 17. 64 Zu Ähnlichkeiten von Starstatus und Dandytum vgl. Garelick, Layered Look (wie Anm. 29), S. 35. 65 Zu Frauen in Männerkleidung vgl. Gertrud Lehnert, Wenn Frauen Männerkleidung tragen: Geschlecht und Maskerade in Literatur und Geschichte, München 1997. 66 Vgl. Susan Sontag, Anmerkungen zu „Camp“, in: Dies., Geist als Leidenschaft. Ausgewählte Essays zur modernen Kunst und Kultur, Leipzig 1989, S. 41–59, hier S. 56. 67 Vgl. Del LaGrace Volcano/Judith „Jack“ Halberstam, The Drag King Book, London 1999, S. 67.
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Abb. 4: Burberry Reklame 2007.
shops, 1995 gab es erste Wettbewerbe in London und in New York.68 Das Zentrum der Drag-King-Szene in New York, der Club Casanova, schloss Ende 1997. Drag Kings haben in den 1990er-Jahren viel mediale Aufmerksamkeit bekommen, Magazine und Zeitungen wie beispielsweise Marie Claire, New York Post, London Times, Penthouse Magazine, The Face haben darüber berichtet.69 Drag Kings werden in der Mainstream-Medienkultur, so heißt es im Drag King Book von Del LaGrace Volcano und Judith Jack Halberstam, als Supermodels in Schnurrbärten wahrgenommen.70 Tatsächlich haben Topmodels wie Linda Evangelista, Cindy Crawford, Christy Turlington und Naomi Campbell für den Pirelli Kalender 1994 als Drag Kings posiert.71 Was aber ist ein Drag King? Zunächst tragen sie altmodische Anzüge und schicke Krawatten, zurückgegeltes Haar und elegante Schnurrbärte, aber auch mal ausgebeulte Jeans und beeindruckende Koteletten (vgl. Abb. 6).72
68 Vgl. ebd., S. 13, 64, 68. 69 Vgl. ebd., S. 7. 70 Vgl. ebd., S. 2. 71 Vgl. ebd., S. 27. 72 Vgl. ebd., S. 32.
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Abb. 6: Ode to Brassai, Paris, 1995.
Abb. 5: Deutsche Vogue Titelcover April 2010.
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Abb. 7: Perfomance von Mo B. Dick.
Aber Drag Kings sind nicht nur Frauen in Männerkleidern, sie machen aus Männlichkeit eine Performance.73 Damit erfüllt sie oder er das Theatralische des Camp, nämlich die eigene Existenz als das Spielen einer Rolle zu begreifen.74 Drag-KingPerformances verwandeln den alltäglichen Ernst, ein Geschlecht verkörpern zu müssen, ins Frivole einer Bühnenshow.75 Eine solche Show ist, wie Camp, etwas Kollektives, Rituelles und Performatives.76 Dabei verwischen sich die Grenzen zwischen Bühne und Leben,77 was wiederum auf die Konstruktion von Geschlecht nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Leben oder auf das dandyistische Verständnis des Lebens als Bühne verweist. Dem Show-Element entsprechend sind die Drag Kings in ihren Auftritten hart, überzeugend und „tödlicher“ noch als „der Mann“.78 Damit folgen sie der Vorliebe des Camp für das Übertreiben sexueller Merkmale.79 Zugleich überlagern sich in den Performances verschiedene Gen-
73 Vgl. ebd., S. 16, 36. 74 Zum Theatralischen des Camp vgl. Sontag, Camp (wie Anm. 66), S. 46, 51. 75 Zur Verwandlung des Ernsten ins Frivole vgl. ebd., S. 41. 76 Zu diesen Aspekten von Camp vgl. Fabio Cleto, Introduction: Queering the Camp, in: Ders. (Hrsg.), Camp. Queer Aesthetics and the Performing Subject: A Reader, Ann Arbor 2002, S. 1–43, hier S. 25. 77 Vgl. Volcano/Halberstam, Drag King Book (wie Anm. 67), S. 32. 78 Vgl. ebd., S. 32. 79 Vgl. Sontag, Camp (wie Anm. 66), S. 46.
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der-Effekte und stellen so ihre Konstruiertheit aus,80 was dem Gebot des Camp, gegen die Natur des eigenen Geschlechtes zu verstoßen, entspricht.81 Deutlich wird dies beispielsweise an einer Performance des Drag Kings Mo B. Dick, der einen Patienten/eine Patientin spielt, dessen Geschlecht ein Arzt bestimmen soll, was aber nicht gelingen kann, da widersprüchliche primäre, sekundäre und vestimentäre Merkmale aufeinandertreffen: Zu Männerhaarschnitt, Bart und Koteletten trägt Mo B. Dick ein hautfarbenes spitzenbesetztes Nachthemd, das BH-Träger und Brustwölbung sichtbar lässt, unter dem Nachthemd und zwischen den Netzstrümpfen erscheinen Penis und Hoden (vgl. Abb. 7). Den Verwandlungen und Effekten vieler Performances wohnt, wie allem, was Camp ist, etwas Trickhaftes inne.82 Drag Kings haben klingende Namen, wie Del LaGrace Volcano, Vinnie Testosteroni, Buster Hymen und eben Mo B. Dick, die Männlichkeit (manchmal auch Weiblichkeit) und zugleich den jeweils verkörperten Typus parodieren, was dem für Camp typischen fein ausgewogenen Verhältnis von Parodie und Selbstparodie entspricht.83 Die Performances nehmen Elemente aus Popsongs und Videoclips auf und sind somit an den Künsten der Massen orientiert.84 Sie scheuen, wie der Dandy neuen Stils, keineswegs das Vulgäre oder den so genannten schlechten Geschmack, sondern feiern ihn.85 Drag Kings sind, wie Camp, Produkte einer queeren Kultur und zeugen von einer selbstreflexiven Erotik, welche die Naturalisierung des Begehrens in Frage stellt.86 Transvestismus war immer schon ein zentrales Element für Camp,87 im Falle der Drag Kings kann man demnach von den campy Femmes Dandy der 1990er-Jahre sprechen. Sie sind Könige der queeren Subkultur, wie Brummell König der eleganten Welt war. Obwohl ich alle Drag Kings als postmoderne Dandys bezeichnen möchte, gibt es einige, die mir in dandyistischer Hinsicht noch interessanter erscheinen als andere. Es sind solche, bei denen sich ein Effekt der Überlagerung zeigt, etwas das Rhonda K. Garelick in ihrem Artikel The Layered Look: Coco Chanel and Contagious Celebrity als typisch für das Dandytum des 20. Jahrhunderts unter den Bedingungen von Massenkultur, Medienstars und Design-Outlets beschreibt:88 Sie sind nicht nur campy Femmes Dandy, sondern sie zitieren zudem den Dandy 80 Vgl. Volcano/Halberstam, Drag King Book (wie Anm. 67), S. 41. 81 Vgl. Sontag, Camp (wie Anm. 66), S. 45. 82 Vgl. ebd., S. 45. 83 Vgl. ebd., S. 49. 84 Zur Orientierung des Camp an den Künsten der Massen vgl. ebd., S. 56. 85 Vgl. ebd., S. 56, 58. 86 Vgl. Cleto, Introduction (wie Anm. 76), S. 4; sehr abgeschwächt vgl. auch Sontag, Camp (wie Anm. 66), S. 57. 87 Vgl. Cleto, Introduction (wie Anm. 76), S. 24. 88 Vgl. Garelick, Layered Look (wie Anm. 29).
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als männlichen Typus. Drag King Gianni zitiert die etwas exzentrische Eleganz des Fin-de-Siècle-Dandys und die Zigarettenpose Oscar Wildes (vgl. Abb. 8).89 Der in einen weißen Dreiteiler gekleidete Drag King Villan sitzt zusammengesunken in einer melancholischen Pose, die Augen nur halb geöffnet auf einer Chaiselongue vor einem Fenster mit floral gemusterten Vorhängen.90 Zwei weitere Drag Kings, Urban Dandies genannt, lehnen sich auf einer Treppe lässig aneinander, ihr Outfit aus Oberhemden, Krawatten, Jackett, Breeches, Stiefeln, piratenartigem Kopftuch und gegeltem Haar sowie gemaltem Schnurrbartkringel mischt Elemente der Bohème mit englischer Reitkleidung.91
Abb. 8: Gianni, Just A Gigolo, London 1996.
89 Zu dieser Pose vgl. Isabelle Stauffer, Faszination und Überdruss. Mode und Marken in der Popliteratur, in: Alexandra Tacke/Björn Weyand (Hrsg.), Depressive Dandys. Spielformen der Dekadenz in der Pop-Moderne, Köln [u. a.] 2009, S. 39–59, hier S. 47f. 90 Zur Melancholie des Dandys vgl. Alexandra Tacke/Björn Weyand, Einleitung. Dandyismus, Dekadenz und die Pop-Moderne, in: Dies. (Hrsg.), Depressive Dandys. (wie Anm. 89), S. 7–16, hier S. 10f. 91 Vgl. Volcano/Halberstam, Drag King Book (wie Anm. 67), S. 66, 102.
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Auch die Bezeichnung „Dandy“ wird im Kontext von Drag-King-Auftritten immer wieder benutzt. So erschien auf dem ersten Drag-King-Wettbewerb in London 1995 Wolfie, ein Dandy des 17. Jahrhunderts; der Wettbewerbsfilm von Hans Scheirl hieß Dandy Dust und Scheirl hielt zudem eine DadaDandyMasterclass ab.92 Wie die hier betrachteten Mosaiksteine aus der Geschichte der Femme Dandy gezeigt haben, erweisen sich weibliche Dandys im 19. Jahrhundert noch als eine fragile und transitorische Angelegenheit. Sie stoßen an die Grenzen der für Dandys notwendigen Freiheit in Sachen Geld, Macht und Ruf. Gleichwohl werden diese begrenzten Spielräume insbesondere in Frankreich, das für seinen vergleichsweise freien Umgang mit Frauen bekannt ist, auf produktive Weise genutzt. Im 20. Jahrhundert tun sich für die Inszenierung weiblicher Dandys durch die Bohème-Kultur in europäischen Städten, die Emanzipation der Frau und später auch diejenige der Homosexuellen neue Möglichkeiten auf. Dabei überlagern sich zunehmend Phänomene wie Starkult, Couture und Camp mit dem postmodernen Dandytum und erzeugen neue Facetten am Phänomen Dandy. Dies zeigt, dass das vielfach totgesagte Dandytum weiterhin kulturell und ästhetisch produktiv ist – insbesondere in der weiblichen Form.
92 Vgl. ebd., S. 13, 127. Die Bezeichnung als „DadaDandyMasterclass“ impliziert zudem einen Verweis auf Hannah Höch und die weibliche Avantgarde.
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„Des Dandys bestes Stück“: Die Krawatte als ästhetisches Paradox von Beau Brummell bis zum Dandy 2.0 Radikal oberflächlich zu sein bedeutet letztlich, die Oberflächlichkeit so weit zu treiben, dass alles Substanzielle, anstatt sich spurlos zu verflüchtigen, vollständig in Bewusstsein transformiert würde. Harry Walter Es gibt Hälse, denen keine Krawatte passt. Oliver Wendell Holmes
Die Krawatte ist die textile Artikulationsform des Mannes. Das gilt – trotz partieller weiblicher Aneignungsversuche – von ihren Anfängen in soldatischen Zusammenhängen seit der Antike, über die etymologische Ableitung der cravate als Halstuch kroatischer Söldner im 17. Jahrhundert, bis zum heutigen „Vatertags“Emblem auf der Startseite der Internet-Suchmaschine Google im Jahr 2011.1 1830, also in der Übergangszeit zwischen Halstuch, Quer- und Langbinder, schreibt daher auch Honoré de Balzac, der „Chronist des Dandytums“,2 in einem Essay zu diesem Thema: Von allen Kleidungsstücken ist die Krawatte das einzige, das zum Manne gehört, das einzige, wo die Individualität sich findet. […] Soviel der Mann wert ist, soviel wert ist die Krawatte. Und, um die Wahrheit zu sagen, die Krawatte, das ist der Mann; durch sie enthüllt er sich und gibt sich kund.3
1 Vgl. Ingrid Loschek, Accessoires. Symbolik und Geschichte, München 1993, S. 141–155, hier S. 147 sowie http://www.google.com/webhp?hl=de (2. 6. 2011). 2 Günter Erbe, Dandys – Virtuosen der Lebenskunst. Eine Geschichte des mondänen Lebens, Köln [u. a.] 2002, S. 144. 3 Honoré de Balzac, De la cravate, considérée en elle-même et dans ses rapports avec la société et les individus, in: Œuvres complètes de Balzac, Bd. 22, Paris 1956, S. 243–246, S. 243f. („En effet, de toutes les parties de la toilette, la cravate est la seule qui appartienne à l’homme, la seule où se trouve l’individualité. […] Tant vaut l’homme, tant vaut la cravate. Et, à vrai dire, la cravate, c’est l’homme; c’est par elle que l’homme se révèle et se manifeste“); dt. Übersetzung zit. nach Edgar Pankow, Der Knoten. Wie Balzac die Krawatte, die Mode und die Literatur zusammenbindet, in:
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Das bleibt natürlich nicht ohne Auswirkungen auf die Rezeption des erfinderisch Knoten bindenden Krawattenmannes, im Sinne der gleichfalls von Balzac entworfenen Kleiderlesekunst einer „Vestignomie“, welche an die Stelle biologischphysiognomischer Deutungsversuche Lavater’scher Prägung tritt: Auch ist es heute eine von allen denkenden Geistern anerkannte Sache, daß man mittels der Krawatte denjenigen beurteilen kann, der sie trägt, und daß, um einen Mann zu kennen, es genügt, einen Blick auf jenen Teil seiner selbst zu werfen, der den Kopf und die Brust miteinander verbindet.4
Beobachtung, Aufmerksamkeit, Individualität, Distinktion, Überraschung und modisches Originalitätsstreben sind aber zugleich wesentliche Elemente, die den Habitus des männlichen Dandys im zunehmend verbürgerlichten Feld einer konfektionierten Massen- und Mediengesellschaft des 19. Jahrhunderts charakterisieren. Seit Beau Brummells berühmt gewordenen ersten Versuchen mit den gestärkten Halsbinden seiner Zeit spielt auch in diesem Zusammenhang die Krawatte eine besondere Rolle. Trotz Barbey d’Aurevillys 1844 geäußerter Kritik an einer Reduktion des Dandyismus auf die bloße „Kunst, eine Krawatte zu knüpfen“ – L’art de mettre sa cravate nannte sich bezeichnenderweise 1827 eine weitere Abhandlung Balzacs zu diesem Thema –, so gilt die Krawatte doch bis heute als „die ‚Seele‘ der Beaux oder Dandys“.5 Denn die Eigenart der Krawatte, die sich in den 1860erJahren zu der noch heute gebräuchlichen Form des schmalen Langbinders he rausbildete, bestand gerade darin, ein völlig nutzloses, rein dekoratives und daher ästhetisch variables, gleichzeitig aber auch spezifisch männliches, virilitätssymbolisches Kleidungsstück zu sein. Das aber prädestinierte den Krawattenschmuck zum paradoxen Symbol der Überlegenheit eines aristokratisch gesinnten, männlichen Geistes im bürgerlichen Feld nunmehr weiblich konnotierter Kleidermode und zur „synecdoche for originality in an egalitarian world“.6 figurationen 1 (2000) 2, S. 11–27, hier S. 12f. (Hervorhebung d. Verf.). 4 Vgl. Balzac, De la cravate (wie Anm. 3), S. 244 („Aussi est-ce une chose reconnue aujourd’hui de tous les esprits qui réflechissent, que par la cravate on peut juger celui qui la porte, et que, pour connaître un homme, il suffit de jeter un coup-d’œil sur cette partie de lui-même qui unit la tête à la poitrine“); dt. Übersetzung zit. nach Pankow, Der Knoten (wie Anm. 3), S. 13 sowie Honoré de Balzac, Traité de la vie élégante, in: ders., Œuvres complètes, hrsg. von Jean-A. Ducourneau [u. a.], Bd. 19, Paris 1968, S. 166–209, hier S. 203 („vestignomie“). 5 Vgl. Friedrich Schubel, Das englische Dandytum als Quelle einer Romangattung, Upsala 1950, S. 35 sowie Jules Amédée Barbey d’Aurevilly, Vom Dandytum und von G. Brummell [Du dandysme et de G. Brummell 1844], übers. v. Richard Schaukal, Nördlingen 1987, S. 86. 6 Vgl. Joanne Finkelstein, The Fashioned Self, Cambridge 1991, S. 120f. sowie Domna C. Stanton, The Aristocrat as Art. A Study of the Honnête Homme and the Dandy in Seventeenth- and Nineteenth-Century French Literature, New York 1980, S. 160.
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Diese, für den Dandy typische, widersprüchliche Strategie der „[s]ubversive[n] Affirmation“7 lässt sich auf sein gleichfalls paradoxes Kleidungsverständnis insgesamt ausweiten, der unverzichtbaren Rüstung seines „coolen“ Habitus.8 In Übertragung der Vorstellung von einer im Sinnlichen anzusetzenden Ethik aus dem 17. und 18. Jahrhundert spiegelt und schützt das vestimentäre Konzept einer „freien Wahl seiner Abhängigkeit“9 jetzt zugleich die ebenso gestaltete innerliche Verfasstheit des Dandys: Einerseits befolgt der Dandy seit Brummell dazu peinlich genau den unauffällig-sachlichen Code männlich-bürgerlicher Anzugsbekleidung, wie er sich seit der Französischen Revolution in der Herrenmode allgemein durchsetzte. Andererseits wurden gerade die damit verbundenen antiaristokratischen, uniformen und praktischen Elemente jedoch wieder unterlaufen. Schließlich war für die prätentiöse Herstellung einer unauffälligen Einfachheit als potenzierter Vornehmheit in der Männergarderobe jetzt beinahe ebenso viel Aufwand und Zeit nötig wie für die komplizierten männlichen Roben und Perücken während des Ancien Régime. Gleichzeitig ermöglichte die subtile Veränderung kleidungsspezifischer Details einen individuell-elitären Ausbruch aus Modediktat und konfektioniertem Geschmack einer modernen Massengesellschaft. Die bekanntesten Beispiele sind hier wohl die Verwendung einer schwarzen (statt weißen) Satinkrawatte des Comte d’Orsay, Eugène Sues Knopfloch-Kamelie und seine blassgelben Handschuhe, Oscar Wildes grüne Knopfloch-Nelke und Krawatte sowie weiße Schärpe und umfangreiche Krawattenkollektion Robert de Montesquious, dem Vorbild für Joris-Karl Huysmans’ Protagonisten Des Esseintes in seinem Décadence-Roman A rebour (1884). Des Esseintes, der bei Huysmans „anstelle der Krawatte [nun hingegen] einen Strauß Parmaveilchen in den tiefen, bogenförmigen Halsausschnitt eines Hemdes“ steckt,10 trägt somit die für den Dandy typische „Essenz“ des überraschenden Details bereits in seinem Namen.
7 Vgl. in Übertragung einer Formulierung Bazon Brocks auf den Dandyismus hier O[swald] Wiener, Eine Art Einzige, in: Verena von der Heyden-Rynsch (Hrsg.), Riten der Selbstauflösung, München 1982, S. 35–78, hier S. 52 sowie zu den damit verbundenen ästhetischen Konsequenzen auch Klaus P. Hansen, Die Anbiederung des Dandy: Bedingung und Möglichkeit der ästhetizis tischen Alternative, in: Manfred Pfister (Hrsg.), Alternative Welten, München 1982, S. 239–263, hier S. 251–257. 8 Vgl. Hiltrud Gnüg, Kult der Kälte. Der klassische Dandy im Spiegel der Weltliteratur, Stuttgart 1988. 9 So Florian Krobb, „denn Begriffe begraben das Leben der Erscheinungen“. Über Richard von Schaukals „Andreas von Balthesser“ und die ‚Eindeutschung‘ des Dandy, in: Eros Thanatos. Jahrbuch der Richard-von-Schaukal-Gesellschaft 3/4 (1999/2000), S. 89–111, hier S. 102. 10 Vgl. Joris-Karl Huysmans, Gegen den Strich [A rebour 1884], übers. v. Brigitta Restorff, München 1995, S. 20 sowie Isabella Pezzini, Dandy, in: Münchner Stadtmuseum (Hrsg.), Anziehungskräfte. Variété de la mode 1786–1986 [München 1986], S. 92–97, hier S. 94.
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Damit erwies sich der Dandy bekanntlich als einer der letzten künstlerischen Gestalter seiner selbst, ja als der „zur Kunst selbst gewordene[] Mensch[]“.11 In idealtypischer Weise verkörperte er so die ästhetizistische Vorstellung von einer Vereinbarkeit von Kunst und Leben. Die damit verbundene, erneute Einführung einer aristokratischen Distinktion selbst innerhalb eines verbürgerlichten Kleidungscodes verdeutlicht dabei bereits die unter Dandys beliebte Umkehrung und damit Negierung des bekannten Sprichworts „Kleider machen Leute“ in „Leute machen (die Bedeutung der) Kleider“. Denn im Unterschied zum Parvenü und Hochstapler imitiert der Dandy nicht – er lässt sich höchstens inspirieren durch die eigenen historischen Vorbilder – und will selbst nicht nachgeahmt werden: „Seine Einzigartigkeit ist absolut in der Essenz, aber gemäßigt in der Substanz, denn er darf nie ins Exzentrische fallen, das ja in besonderer Weise nachahmbar ist“, schrieb Roland Barthes über das prekäre Verhältnis von Dandytum und Mode.12 Und hier kommt nun wieder die Krawatte ins Spiel, welche vestimentäre Nuance und Inhalt zugleich ist. Denn im Ensemble der anderen, variablen Accessoires wie Handschuhe, Taschentuch, Knöpfe oder Blumen ist sie nicht nur das einzige Kleidungsstück mit einer spezifisch männlichen Konnotation. Ihre besondere Bedeutung liegt darüber hinaus auch nicht nur in einer Variationsbreite von Stoff, Form, Farbe, Muster und Bindetechnik. Eine essenzielle Einzigartigkeit bezeugt die Krawatte bereits durch sich selbst, nämlich indem sie „zwischen Kleidung und Körper etwas Drittes […] ein[]führt“, das „nicht mehr einfach den endlichen Körper reproduzier[t]“, verhüllt, schützt oder schmückt.13 In Erweiterung dessen, was Gilles Deleuze über den barocken Faltenwurf ausgeführt hat, lässt sich für die Krawatte daher von einer widersprüchlichen Kombination aus Struktur und Textur, Vertikalität und Plastizität, dreidimensionaler Plastik und geometrischer
11 Otto Mann, Der Dandy. Ein Kulturproblem der Moderne, überarb. Neuauflage [der Fass. 1925], Heidelberg 1962, S. 80–93, hier S. 82. 12 Vgl. Roland Barthes, Das Dandytum und die Mode [1972], übers. v. Verena von der HeydenRynsch, in: Riten der Selbstauflösung (wie Anm. 7), S. 304–308, S. 305 sowie Barbey d’Aurevilly, Vom Dandytum und von G. Brummell (wie Anm. 5), S. 48 („Es ist nicht ein Anzug, der allein spazieren geht, im Gegenteil: es ist eine bestimmte Art, ihn zu tragen, die das Dandytum bedingt“) und Kurt Martens, Vom Stil der Erscheinung, in: Ders., Geschmack und Bildung. Kleine Essays, Berlin 1914, S. 71–79, hier S. 73 („Wenn es wirklich wahr wäre, daß Kleider Leute machen, dann brauchte freilich jeder zur Vollendung seiner äußeren Persönlichkeit nichts weiter als einen gespickten Geldbeutel. […] Aber jenes Sprichwort ist, wie alle Weisheiten, die der Volksmund von sich gibt, oberflächlich, dumm und falsch“). 13 Vgl. Gilles Deleuze, Die Falte. Leibniz und der Barock [Le pli. Leibniz et le baroque 1988], übers. v. Ulrich Johannes Schneider, Frankfurt a. M. 1995, S. 198 sowie zu Schmuck, Scham und Schutz als den Hauptzwecken von Kleidung: J. C. Flügel, Psychologie der Kleidung [1930], übers. v. Christoph Groffy, in: Silvia Bovenschen (Hrsg.), Die Listen der Mode, Frankfurt a. M. 1986, S. 208–263.
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Zweidimensionalität sprechen.14 Diese widersprüchliche Mischung entsteht außerdem nur in einer schöpferischen Interaktion zwischen dem Kleidungsstück und seinem Träger (ohne Hilfe oder Unterstützung durch den Schneider, zurückgeworfen auf sich selbst, laut Balzac)15 – nämlich in einer durch den Krawattenknoten erzeugten räumlichen Plastizität individuell zusammengebundener Stoff-Flächen. Die gängigen Oppositionsschemata von Oberfläche und Tiefe erscheinen hier in einer dritten Dimension aufgehoben, indem sie im wahrsten Sinne des Wortes miteinander „verknotet“ werden. Eine so als neuerliches Paradoxon generierte „Tiefe der Oberfläche“16 bildet aber geradezu den emblematischen Schlüssel zum schon in kulturhistorischer Hinsicht beschriebenen, paradoxalen Habitus des Dandys wie auch zu den von Elena Esposito als wesensmäßig beschriebenen Paradoxien der Mode. Im Zeichen der Krawatte werden die beiden Phänomene des Dandys und der Mode, die sich sowohl widersprechen als auch gegenseitig bedingen, auf gleichfalls paradoxe Weise also noch einmal miteinander verschränkt. Ganz im Sinne einer „Tiefe der Oberfläche“ definiert Esposito Mode dabei als „geheimnisvolle Banalität“, die eine ganze „Kaskade an Paradoxien“ hervorrufe: In der Mode realisiert sich eine Form der Nachahmung in dem Versuch, die eigene Individualität durchzusetzen; man strebt Originalität an, indem man tut, was die anderen tun; man nimmt die reine Vorläufigkeit zum dauerhaften Anhaltspunkt; man nimmt eine Verbindlichkeit hin, nur weil sie sich ändert. Die Mode zwingt sich jedem auf, ob man sich nach ihr richtet oder nicht, und sie weitet sich in allen Bereichen der Gesellschaft aus: von der Wissenschaft bis hin zur Erziehung, von der Politik bis in die Kunst hinein – gleichwohl wird sie als marginales Phänomen behandelt, das man nicht allzu ernst nehmen sollte. […] Die Paradoxien der Mode legen weniger ihre Konsistenz und die Nichtigkeit des Phänomens frei, sondern sind gerade ein Anzeichen für diese ausgefeilte Form der Erzeugung des Notwendigen aus dem Zufall heraus […]. Um ihre Funktion auszuüben, muss die Mode implizit paradox sein – […].17 14 Deleuze, Die Falte (wie Anm. 13), S. 198: „Es [ist] keine Kunst mehr der Strukturen, sondern eine der Texturen […].“ – Von den „Möglichkeiten eines dialektischen Umschlagens und paradoxen Koinzidierens“ sprechen auch Wolfram Pichler und Ralph Ubl bezüglich der Effekte illusionistisch-plastischer Dingwiedergabe auf der planen Bildfläche barocker Malerei; vgl. dies., Enden und Falten. Geschichte der Malerei als Oberfläche, in: Neue Rundschau 113 (2002) 4, S. 50–71, hier S. 67. 15 Balzac, De la cravate (wie Anm. 3), S. 243 u. 245 („Mais, pour la cravate, vous n’avez ni aide ni appui; vous êtes abandonné à vous-même […] ils sont véritablement créateurs“). 16 So, gleichfalls mit Bezug auf Deleuze: Juliane Vogel, „Ich möchte seicht sein.“ Flächenkonzepte in Texten Elfriede Jelineks, in: Thomas Eder/Juliane Vogel (Hrsg.), Lob der Oberfläche. Zum Werk von Elfriede Jelinek, München 2010, S. 9–18, hier S. 18. Auf eine positive Umwertung des Oberflächenbegriffs im 19. Jahrhundert bei Schopenhauer und Nietzsche hat zudem Harry Walter aufmerksam gemacht: Ders., Die Radikalisierung der Oberfläche, in: Neue Rundschau 113 (2002) 4, S. 9–22. 17 Elena Esposito, Die Verbindlichkeit des Vorübergehenden: Paradoxien der Mode, übers. v.
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Das Paradox als zentrales Moment des Dandytums hingegen wird – mit Bezug auf Barbey d’Aurevilly – auch bei Esposito am Beispiel von Regel und Regelverstoß exemplifiziert: „[…] der Dandyismus [macht] aus der reinen Ablehnung der Regeln die Regel und erkennt diese, wenngleich ad negativum, […] an. Der Dandyismus kennt [also] nur eine leere Regel, die sich auf die Notwendigkeit von Regeln reduziert.“18 Für den vestimentären Gebrauch der Krawatte demonstriert das zum Beispiel das Prinzip des Antagonismus, so beim bereits erwähnten Austausch der komplementären Nichtfarben Schwarz und Weiß des historischen Comte d’Orsay oder aber durch den kompletten Ersatz der „künstlichen“ Textilie durch einen „natürlichen“ und zudem intensiv riechenden Blumenstrauß der literarischen Dandy-Figur Des Esseintes. Was Esposito für den Bereich der dandyistischen Konversation feststellte, hat Axel Fliethmann folgerichtig im rhetorischen Begriff der Katachrese, der „Regel als Abweichung“19, zugespitzt: Welche Figur ist zugleich eigentlich und uneigentlich, historisch-soziologisch und literarisch? Der Dandy, so scheint es, ist eine Katachrese! Als Abweichung von Sprachkonventionen gehört die Katachrese zum rhetorischen System und als Missbrauch von tropischer Sprechweise (die sogenannte verunglückte Metapher) verstößt sie gegen das Regelwerk der Rhetorik, unterminiert [und bestätigt; Anm. d. Verf.] das ganze rhetorische System. Die Katachrese ist weder eigentlicher noch figuraler Ausdruck – oder eben beides.20
Fliethmann bezieht diese Beobachtung einer – wie ich es nennen würde – für die paradoxe Form „dandyistischer Dialektik“ typische, nicht-harmonische Aufhebung des Weder-Noch auf einer neuen, dritten Ebene dabei insgesamt auf die ambivalente Figur des Dandys zwischen literarischer Konstruktion und historischer Person im Sinne einer Identität durch Performanz. Ein solch systematisches Ordnungsparadox der leeren Regel als Abweichung und krawattentypischer „Verknotung“ zu einem inkommensurablen Dritten lässt sich als „Tiefe der Oberfläche“ aber auch an der dandyistischen Textproduktion selbst, also an der verschriftlichten Dandy-Konversation, aufzeigen. Damit ist diesmal aber weder eine thematologische Untersuchung des Krawattenkults als Pars pro toto des literarischen Dandys gemeint, noch die Analyse von Paradox und Ironie als sprachkritischen Möglichkeiten zur Infragestellung gültiger Normen und Werte. So, wie
Alessandra Corti, Frankfurt a. M. 2004, S. 9 u. 11. 18 Vgl. ebd., S. 138–142 sowie dazu auch Isabelle Stauffer, Weibliche Dandys, blickmächtige Femmes fragiles. Ironische Inszenierungen des Geschlechts im Fin de Siècle, Literatur – Kultur – Geschlecht, Köln [u. a.] 2008, S. 92f. 19 Axel Fliethmann, Dandy-Diskurs. Zwischen literarischer Figur und historischer Person, in: KulturPoetik 9 (2009) 1, S. 67–83, hier S. 69 (Hervorhebung d. Verf.). 20 Ebd.
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ich es bereits am Beispiel der paradoxen Typen-Mischform des „dandyistischen Hochstaplers“ zwischen Herrenmode-Rubrik und Warenhausschaufenster wie an der lyrisch-theatralen Kunstfigur des „Pierrot-Dandy“ für die deutschsprachige Literatur der Jahrhundertwende gezeigt habe.21 Stattdessen möchte ich im Folgenden auf einige strukturelle Auffälligkeiten der europäischen Literatur von beziehungsweise über den Dandy des 19. und frühen 20. Jahrhunderts eingehen. Denn in Form von Sammlungen und katalogartigen Listen verleihen deren diskursive Verfahrensweisen eines leeren Regelwerks der Abweichung dem Text selbst eine ebenso semantische wie räumliche Tiefe der Oberfläche. In einer widersprüchlichen Kombination aus paradigmatischen und syntagmatischen Ordnungsprinzipien wiederholt und zeigt sich so erneut das paradoxe Krawattenknoten-Prinzip aus Struktur und Textur, diesmal im Sinne einer rhetorisch-semiotischen Verschränkung von vertikaler und horizontaler Achse. Gleichzeitig ist damit eine für den Dandyismus essenzielle, ästhetische Struktur markiert, die sich, im Unterschied zu biographisch-normativen Dandyismuskonzepten, auch über den Rahmen der „klassischen“ Zeit des Dandytums bis in die Gegenwart unseres postmodernen Medienzeitalters hinein verlängern ließe. Das möchte ich abschließend in einem kurzen Ausblick auf den „Dandy 2.0“ am Beispiel eines Männermode-Blogs im Internet zur Diskussion stellen. Thema und Hauptfigur dandyistisch orientierter Texte ist immer der Dandy selbst, genauer: die Definition seines Habitus, im Vergleich zu seinen historischen Vorbildern und in Abgrenzung gegenüber zeitgenössischen Vertretern, als Aufstellung von Distinktionskriterien im sozialen Feld. Damit partizipiert diese Textsorte einerseits an der seit Mitte des 19. Jahrhunderts boomenden Ratgeberliteratur für „angehende Salon-Löwen“ sowie an der zunehmenden Einführung von Herrenmode-Rubriken, welche sich nun ebenfalls auf Chronisten der Eleganz wie Balzac oder den erfolgreichen „self-made man“ Brummell stützten.22 Andererseits grenzt sich die Dandyliteratur in signifikanter Weise davon ab. Ratgeber und Modejournale sind den Regeln der Etikette und Ritualen der Wohnungs- und Kleidungsgestaltung bis hin zu den Bindeanleitungen verschiedener Krawattenmodelle im Sinne eines bürgerlichen common sense sowie der Orientierung an den saisonbedingten Modetrends verpflichtet. Dandyistische Texte hingegen wiederholen und imitieren die bloße Form solcher Regelwerke, um diese jedoch ins Leere laufen zu lassen. Das geschieht, indem deren katalogartig reihende Textur ausgestellt und damit selbst beobachtbar gemacht wird, um – analog zum dandyistischen Kleidungsverständnis – durch neue, in ihrer offen zur Schau 21 Julia Bertschik, Mode und Moderne. Kleidung als Spiegel des Zeitgeistes in der deutschsprachigen Literatur (1770–1945), Köln [u. a.] 2005, S. 136–167. 22 Vgl. hierzu bereits: ebd., S. 140f.
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gestellten Willkür der rein persönlichen Präferenzen hergestellte Kombinationen zu überraschen. Niels Werber hat Ähnliches in seinem Vergleich zwischen den archivalischen Dingkatalogen und Markenlisten der neuen Popliteratur und den heterogenen Sammlungen seltsamer Objekte und ihrer Reize bei Huysmans beschrieben. In A rebour treten diese ja gewissermaßen an die Stelle der Romanhandlung. Des Esseintes akribisch wiedergegebene und auf Vollständigkeit angelegte Register und Listen von Edelsteinen, Parfüms, Blumen, Likören, Bildern, Möbeln oder Büchern, welche die Fläche des Textes so in einen plastisch-musealen Raum verwandeln, sind indes nicht sachlich motiviert, wie im Archiv oder Museum. Sondern sie sind allein am momentanen Effekt der Verblüffung durch eine anlassbezogene Selektion und Rekombination interessiert. Fast schon im posthistorischen Bewusstsein, nichts Neues hervorbringen zu können, wird daher „arrangiert, nicht erzählt“:23 […] neben den Töpfchen mit Haselnußpaste, Haremsserkis, Kaschmirlilienmilch, Erdbeerund Holunderlotionen für den Teint, neben den mit Tuschelösungen und Rosenwasser für die Augen gefüllten Fläschchen lagen zwischen Luzernebürsten für das Zahnfleisch kunterbunt durcheinander: kleine Gerätschaften aus Elfenbein, Perlmutt, Stahl und Silber: Pinzetten, Scheren, Badebürsten, Pinsel, Schminkläppchen und Quasten, Rückenkratzer, Schönheitspflästerchen und Feilen.24
Noch konsequenter zeigt sich solch ein „explizite[r] Archivismus“25, der das System der Listenbildung – wie hier am Beispiel von Des Esseintes’ in Unordnung geratenem Nebeneinander seiner Schminkutensilien – selbst zur Anschauung bringt, daher auch an den Textformen, die für die diskursive Umkreisung und Verfestigung des Dandyphänomens zentral geworden sind, nämlich: Essay, Feuilleton, Aphorismen- und Anekdotensammlung sowie deren Vermischung mit romanhaften Elementen. In diesen eigentlichen Genreformen des Dandyismus steht ein, im traditionellen Sinne realistischer Erzählpraxis kohärenter Sinnzusammenhang zumeist gar nicht mehr im Vordergrund. Ist die Form der Liste doch 23 Vgl. Niels Werber, „Das graue Tuch der Langeweile“. Der Dandy als Motiv und Verfahren der Literatur 1900/2000, in: Alexandra Tacke/Björn Weyand (Hrsg.), Depressive Dandys. Spielformen der Dekadenz in der Pop-Moderne, Literatur – Kultur – Geschlecht, Köln [u. a.] 2009, S. 60–79, hier S. 74 sowie zu signifikanten Unterschieden im Katalogisierungsverfahren zwischen neuer Popliteratur und Texten der Jahrhundertwende auch Björn Weyand, „Ein paar Kapitel von der Oberfläche“. Markenkonsum und Katalogtechnik in Edmund Edels Satire Berlin W. (1906), in: Heinz Drügh/Christian Metz/B. W. (Hrsg.), Warenästhetik. Neue Perspektiven auf Konsum, Kultur und Kunst, Berlin 2011, S. 248–268. 24 Huysmans, Gegen den Strich (wie Anm. 10), S. 145. 25 Werber, „Das graue Tuch der Langeweile“ (wie Anm. 23), S. 64.
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„strukturalistisch gesehen, ein paradigmatisches Ordnungssystem. Sie versammelt Ähnliches in einer vertikalen Reihung und stellt so neue Zusammenhänge im kulturellen Raum her. Ihr Gegenbegriff ist das Syntagma, das auf der horizontalen Ebene kausale und chronologische Zusammenhänge ausstellt.“26 Paradigma und Syntagma erscheinen in den dandyistischen Texten jetzt aber nicht als Gegenbegriffe, sondern gehen eine paradoxe Verbindung ein. Beide Achsen „verknoten“ sich somit wie die zwei Enden einer Krawatte. So finden sich in der europäischen Dandyliteratur ja immer wieder Aufzählungs-Reihen von Dandy-Maximen, Verhaltens- und Bekleidungsregeln, Sinnsprüchen und Glossen, die darüber hinaus häufig durchnummeriert sind. Dies zeigen etwa die Beispiele aus Edward Bulwer Lyttons romanhaftem Dandy-Handbuch Pelham or Adventures of a Gentleman von 1828, den mondänen Regularien für den Kurort Bath des Dandy-Vorläufers Beau Nash zu Beginn des 18. Jahrhunderts, oder aber aus Richard von Schaukals spätdandyistisch-ironischer Auseinandersetzung mit dem Dandy in seiner Prosasammlung Leben und Meinungen des Herrn Andreas von Balthesser von 1907.27 Die vertikale Abfolge und zum Teil mit römischen oder arabischen Ordinalzahlen zusätzlich typografisch strukturierte Nummerierung der dandyistischen Aussprüche suggeriert hier auf formaler Ebene geradezu eine wertende Rangfolge im Sinne von Klimax oder Antiklimax – und damit den Anschein von Kausalität. Diese wird durch die Heterotopie der vermittelten Informationen nebengeordneter und damit auf gleicher Ebene verhandelter Themengruppen der Kleidungsdetails, Formen der Galanterie und des Dilettantismus, Literatur, Kunst und Politik gleichzeitig jedoch wieder durchkreuzt und damit unterlaufen. Die vom Österreicher Schaukal dabei explizit thematisierte „Tiefe der spiegelnden Oberfläche“28 entsteht so aus einem Spiel mit den horizontal angeordneten Buch-
26 Hubert Winkels, Deutscher Roman schlägt Fußballmannschaft. Moritz Baßlers Buch über die Popliteratur ist die beste Theorie der neunziger Jahre, in: Die Zeit. Literaturbeilage (Oktober 2002), S. 37–38, hier S. 38. 27 Vgl. Edward Bulwer Lytton, Pelham or Adventures of a Gentleman, London [u. a.] 1892, S. 181– 183 („Maxims“); Grace u. Philip Wharton, Die Wits und Beaux der Gesellschaft, in: Melanie Grundmann (Hrsg.), Der Dandy. Wie er wurde, was er war. Eine Anthologie, Köln [u. a.] 2007, S. 152–175, hier S. 166 sowie Richard von Schaukal, Leben und Meinungen des Herrn Andreas von Balthesser, Stuttgart 1986, S. 59–99 („Einiges aus Andreas von Balthessers leider nicht gesammelten Sinnsprüchen und Glossen“). 28 Schaukal, Leben und Meinungen des Herrn Andreas von Balthesser (wie Anm. 27), S. 62 („Jede große Tiefe hat eine spiegelnde Oberfläche“). Vgl. zu den Themenfeldern Literatur, Kleidung, Politik hier z. B. auch S. 72 („Nicht alle, die Bücher schreiben, haben Bücher gelesen“), S. 83 („Nicht erst Kellner und Leichenbitter machen den Unterschied zwischen Frack und Frack deutlich“), S. 87 („Politik ist die Kunst, aus nichts etwas zu machen und zu machen, als ob etwas nichts wäre“).
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stabenreihen und den vertikal verlaufenden Zahlzeichen des Ordnungssystems der Rangliste, welche zugleich abgebildet wie negiert wird. Eine weitere Möglichkeit paradoxaler „Verknotung“ paradigmatischer und syntagmatischer Achsen ergibt sich außerdem, wenn vertikal reihende Listen in die Form des Tagebuchs eines horizontal-chronologischen Tagesverlaufs integriert werden. Das Beispiel von Hermann Fürst von Pückler-Muskaus Briefen eines Verstorbenen. Ein fragmentarisches Tagebuch aus Deutschland, Holland und England, geschrieben in den Jahren 1826, 1827 und 1828 führt dazu in gleich dreifacher Form eine syntagmatische Kumulation aus Ordinalzahlen, Tageszeiten sowie anlassbezogen unterschiedlichen Tages- und Abendgarderoben eines Dandys vor: 1) erscheint er in der Frühstücks-Toilette im chinesischen Schlafrock und indischen Pantoffeln. 2) Morgentoilette zum Reiten im frock coat, Stiefeln und Sporen. 3) Toilette zum Diné, in Frack und Schuhen. 4) Balltoilette in Pumps, ein Wort, das Schuhe, so leicht wie Papier, bedeutet, welche täglich frisch lackirt werden.29
Hier dominiert der Duktus eines strikt eingehaltenen und zudem nicht sonderlich originellen Regelwerks aus der distanzierten Beobachtung eines Deutschen. Demgegenüber demonstriert der 1907 fragmentarisch publizierte Auszug aus dem anonymen Diary of a modern Dandy von 1818 erneut das dandyistische Prinzip der paradoxen Achsen-„Verknotung“ zur Präsentation einer losen Abfolge zum autonomen Selbstzweck stilisierter Momente und Effekte: Die syntagmatische Ebene der chronologischen Grundstruktur eines im Stundenrhythmus untergliederten Tagesablaufs zwischen Samstag und Montag wird in diesem englischen Tagebuch-Fragment dazu permanent durch paradigmatische Reihen detaillierter Auflistungen und Anekdoten stillgestellt und zugleich plastisch ausgeweitet. Diese reichen von den samstäglichen Kleidungsdetails („[…] einen Morgenrock nach dem neuesten Pariser Schnitt in Auftrag gegeben, mit Kragen à la Guillotine, um den Nacken darüber zu zeigen – ein Paar Petersham Hosen mit gestreiftem Volant am Fußende und ein Paar Cumberland Korsetts mit dem schwarzen Fischbeinrücken. – Eine Warnung an alle Unvorsichtigen: Das letzte Paar gab nach, als ich Lady B.’s Handschuh aufhob“), über die Menüfolge des dann um halb acht Uhr bewusst allein genossenen und über vier Stunden dauernden Abendessens (bestehend aus: Schildkrötensuppe, Steinbutt, Carlton-Schnitzel, Pute und Aprikosentörtchen, Ananas und Brandykirschen, zwei Gläser Regent’s Punch auf Eis, 29 [Hermann Fürst von Pückler-Muskau], Briefe eines Verstorbenen. Ein fragmentarisches Tagebuch aus Deutschland, Holland und England, geschrieben in den Jahren 1826, 1827 und 1828, Vierter Theil, Stuttgart 1831, S. 49 (7. 6. 1827).
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einem großen Glas Madeira) bis zur neuesten Waterloo-Tabak-Mischung namens „La Belle Alliance“ am Sonntagabend.30 Im Gestus autonomieästhetischer Genies basieren all diese paradoxen Regelwerk-Simulakren der Dandys in bewusster Analogie zum Dichter und Künstler dabei allein auf der persönlichen, quasi angeborenen Autorität desjenigen, der sich zum Dandy stilisiert und von den anderen dafür anerkannt wird: Ein kaltschnäuziger Solipsist, ist er [der Dandy, Anm. d. Verf.] doch von der gesellschaftlichen Bühne abhängig, auf der er das Spiel seiner Masken entfaltet. Als Müßiggänger ist er der personifizierte Opponent des bürgerlichen Erwerbsstrebens, aber auch sein größter Profiteur. [Er ist] Machtmensch und Verächter der Konventionen zugleich […].31
Dass und wie ein solch widersprüchlicher, geistiger Aristokratismus – zumindest, was Mode und Krawattenkult betrifft – aber auch noch beziehungsweise gerade wieder in den virtuellen Foren des Internets funktioniert, soll abschließend vorgestellt werden. Dazu versuche ich, die wesentlichen Kritikpunkte, die gegenüber einer Fortexistenz von (vestimentären) Dandy-Performanzen in Zeiten des Auraverlusts und der technischen beziehungsweise medialen Reproduzierbarkeiten im 20. und 21. Jahrhundert ins Feld geführt worden sind,32 zu entkräften. Und zwar nicht, indem ich auf mittlerweile geläufige Parallelen zum Zusammenhang von Ennui und Provokation, Postadoleszenz und Bohemisierung, Bastelexistenz und ästhetizistischer Selbstnormalisierungsstrategie zwischen Lebenskunst-Programmatik und Design-Tyrannei der Post- beziehungsweise Popmoderne eingehe.33 Sondern, indem ich die Kritikpunkte der vorgeblich mangelnden Originalität, der fehlenden Unmittelbarkeit, transitorischen Einmaligkeit und Exklusivität heutiger Dandyismusversuche mit den Besonderheiten von Social Software des Web 2.0 (Blogs, Facebook und Co.) bezüglich des Verhältnisses von Original und Kopie sowie interaktiver Vorstellungen von Oberfläche und Raumtiefe im Virtual Spacing konfrontieren und an einem Beispiel erläutern möchte. 30 R. S. B., Tagebuch eines modernen Dandy, in: Grundmann, Der Dandy (wie Anm. 27), S. 15f. 31 Dominik Pietzcker, Richard von Schaukal. Ein österreichischer Dichter der Jahrhundertwende, Würzburg 1997, S. 181. 32 Vgl. hier vor allem Erbe, Dandys (wie Anm. 2), S. 299–305 und Hiltrud Gnüg, Dandy, in: Karlheinz Barck (Hrsg.), Ästhetische Grundbegriffe, Bd. 1, Stuttgart/Weimar 2000, S. 814–831, hier S. 814. 33 Vgl. dazu bereits Werber, „Das graue Tuch der Langeweile“ (wie Anm. 23), S. 73f.; Julia Bertschik, „Junge Talente“. Über Jobs und Müßiggang in der Gegenwartsliteratur, in: Dagmar Kift/Hanneliese Palm (Hrsg.), Arbeit – Kultur – Identität. Zur Transformation von Arbeitslandschaften in der Literatur, Schriften des Fritz-Hüser-Instituts für deutsche und ausländische Arbeiterliteratur, Bd. 15, Essen 2007, S. 69–83; Wolfgang Kersting/Claus Langbehn (Hrsg.), Kritik der Lebenskunst, Frankfurt a. M. 2007 und Mateo Kries, Total Design. Die Inflation moderner Gestaltung, Berlin 2010.
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Fühlte sich schon der historische Dandy zur Zeit der beginnenden Massenkultur im 19. Jahrhundert der modernen Ästhetik des Interessanten verpflichtet, so kann das Internet geradezu als „Aufmerksamkeitsapparat“ par excellence unter massenmedial globalisierten Bedingungen verstanden werden. Einem zunehmenden Überfluss an Information steht eine zunehmende Knappheit an Aufmerksamkeit gegenüber. Das Internet „selektiert, was ‚bedeutend‘, ‚neu‘, ‚faszinierend‘ […] ist“. Es sorgt also dafür, „dass Ereignisse oder Informationen, die zur ‚Tauschwährung‘ der Aufmerksamkeit zählen, am Verdrängungswettbewerb von Aufmerksamkeiten teilnehmen und weitere Aufmerksamkeit akkumulieren. Soziale Software-Technologien fungieren also in erster Linie als Tauschbörsen von rivalisierenden Aufmerksamkeiten.“34 Ein gutes Beispiel dafür ist der auf Männermode spezialisierte Blog Dandy Diary des Berliners David Roth. Er schließt nicht nur vom Titel her an den Dandy und eines seiner typischen Schreibgenres, das Tagebuch, an. Unter der Rubrik „Look du Jour“ beziehungsweise „Shot of the day“ präsentiert sich Roth hier zudem regelmäßig als Modeschöpfer und Model in einer Person und nimmt dazu klassische Dandyposen ein, die er mit aktuellen Modetrends und eigenen Regelabweichungen kombiniert. Wie auch die anderen Rubriken über ausgewählte Streetstyles, Modenschauen und Modemagazine auf seiner Website zeigen, ist Roth ein Kenner der Szene und beileibe kein Markenfetischist. Dem gegenwärtigen Vintage-Trend entsprechend, sind es dagegen häufig individuelle Fundstücke aus dem Secondhand-Bereich, die von ihm weltweit zusammengetragen, selbst verändert und durchaus originell rekombiniert werden. So stilisierte sich Roth Anfang 2010 in einer Modestrecke zum Beispiel mit enganliegenden Hosen, Stiefeletten, Jackett, weißem Hemd, Schärpe, Krawatte und Hut in verschieden abgestuften Blautönen als einsam-blasierter Weltenbummler im Retro-Look-Mix dandyistischer Urbilder à la Brummel plus Montesquiou. Im apodiktischen Ton des anonymen Diary of a modern Dandy und des dandyistischen Krawattenkults insgesamt hebt Roth dabei die Bedeutung der Krawatte als Signal für einen generellen Modewandel hervor: „ich denke, dass es Zeit ist auf die breite Krawatte zu setzen. die schmale Krawatte, sowie der komplette Skinny-Look ist passé.“35 Noch am gleichen Tag wird dies dann in mehreren User-Kommentaren kritisch diskutiert und bewundernd bewertet.36 Die farbliche 34 Vgl. Ramón Reichert, Amateure im Netz. Selbstmanagement und Wissenstechnik im Web 2.0, Bielefeld 2008, S. 64; Oliver Leistert/Theo Röhle (Hrsg.), Generation Facebook. Über das Leben im Social Net, Bielefeld 2011 und Daniel Miller/Don Slater, The Internet: An Ethnographic Approach, Oxford 2000. 35 http://dandydiary.de/2010/03/468/ (30. 9. 2011), S. 6. 36 Ebd., S. 7f. Dass sich im Übrigen auch beim Posten von Kommentaren im Internet paradigma-
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Schlichtheit von Roths Outfit wird dabei allein durch einen auf beziehungsweise über der Krawatte applizierten Goldschmuck gebrochen. Dieser kommt jedoch nicht in der als „typisch männlich“ dafür konventionalisierten Form der Krawattennadel daher, welche Roth ein Jahr zuvor stattdessen schon als Ansteckervariante am Hemdkragen zweckentfremdet eingeführt hatte,37 sondern in der weiblich konnotierten Version von Halskette und Brosche. Das Virilitätssymbol der Krawatte wird dabei nicht ersetzt,38 sondern paradoxerweise – und damit erneut der typisch widersprüchlichen „Verknotungs“-Struktur von Dandytum und Mode verhaftet – mit weiblich codierten Elementen neu kombiniert und in ein ironisches Spiel gebracht. Dass solche individuell eingestellten Text- und Bilddateien im Netz darüber hinaus nicht, wie oft gedacht, den Status von Kopien, sondern denjenigen von Originalen beanspruchen, hat Boris Groys im Rückgriff auf Walter Benjamins berühmten Kunstwerk-Aufsatz deutlich gemacht. In seinem Beitrag zur Topologie der Aura weist Groys nicht nur darauf hin, dass der Begriff der Aura im Benjamin’schen Sinne überhaupt erst durch die moderne Technik des Reproduzierens entsteht, indem er jetzt als Unterscheidungskriterium notwendig wird. Groys betont außerdem, dass die Unterscheidung zwischen Original und Kopie für Benjamin weniger eine materielle als eine topologisch-situative des Kunstwerks im Hier und Jetzt darstellt: Die Kopie ist also nicht deswegen unecht, weil sie sich als solche vom Original unterscheidet, sondern weil sie sich nicht verorten lässt – und deswegen auch in keine Tradition, in keine Geschichte einschreiben lässt […].39
Und dies eröffnet die Möglichkeit, aus Originalen nicht nur Kopien zu machen, sondern, laut Groys, aus der Kopie auch wieder ein Original. Charakteristisch für tische und syntagmatische Ebenen auf ästhetizistische Weise miteinander verschränken können, darauf hat Lino Wirag hingewiesen; vgl. ders., Postdemokratie. Zu Genealogie und Poetologie des Postens, in: Stephan Porombka/Mathias Mertens (Hrsg.), Statusmeldungen. Schreiben in Facebook, Salzhemmendorf 2010, S. 49–64, hier S. 60: „Das Fortposten hat eine paradigmatische Tendenz, insofern der Thread sich räumlich nach unten fortschreibt und ein Post das andere als Parapost ablöst (oder ablösen kann); darüber hinaus steht es aber in einer syntagmatischen Beziehung, indem die einzelnen Posten in einem kausalen Bezug zueinander verbleiben. Die Kunst des guten Fortpostens besteht darin, den Schwebezustand des Ursprungsposts möglichst lange zu halten und gleichzeitig eine Form selbsttätiger, unkontrollierbarer Bedeutungserzeugung in Gang zu setzen.“ 37 http://dandydiary.de/2009/10/look-du-jour-22/ (30. 9. 2011), S. 5. 38 Eine solch „effeminiert“ wirkende Praxis (Brosche statt Krawatte) wird hingegen Alfred d’Orsay zugeschrieben; vgl. Erbe, Dandys (wie Anm. 2), S. 102. 39 Boris Groys, Die Topologie der Aura. Über Original, Kopie und einen berühmten Begriff Walter Benjamins, in: Neue Rundschau 113 (2002) 4, S. 84–94, hier S. 86.
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das Internet ist dabei, dass hier jede Datei eine Adresse erhält, also verortet und territorialisiert wird. Der Internet-Surfer als virtueller Flaneur sucht diese Dateien auf, indem er die Adresse der jeweiligen Website abruft (so zum Beispiel: http:// dandydiary.de). Im Unterschied zu den rein imaginären Reisen eines Des Esseintes ist er damit jedoch vor Ort. Denn in den Social Networks des Web 2.0 hat er unter anderem durch den „Share Page“- oder „Like“-Button die Möglichkeit, in Echtzeit – das heißt: unmittelbar – in Kommunikation mit anderen Besuchern dieser virtuellen Salons und Klubs zu treten. Sie öffnen sich zudem häufig erst auf persönliche Anfrage hin und sind damit durchaus nicht jedem zugänglich. Wie die gesellschaftlichen Bühnen für den historischen Dandy ist also auch der virtuelle Raum an eine Adresse gebunden und besteht aus der Interaktion gegenseitig beobachteter und bewerteter Netz-Auftritte innerhalb der jeweiligen Community. Mittels einer neuerlichen „Verknotungs“-Technik verschiedener Dokumentenebenen durch die interaktive Verweisstruktur der Hyperlinks eröffnen und vertiefen sich hinter der planen Benutzeroberfläche daher immer weitere Raum- und Inszenierungsmöglichkeiten.40 Gleichzeitig bekommt jede Datei so ihre Geschichte, die immer auch eine des möglichen oder reellen Verlusts ist. Denn neben den Formen des Archivierens von Texten und Bildern im Netz sind diese von der Beschaffenheit und Funktionsweise der jeweiligen Hardoder Software extrem abhängig, können jederzeit wieder verändert werden oder aber ganz verschwinden: „In diesem Sinne macht das Netz aus jeder Datei, die vielleicht ursprünglich als multiple Kopie entstanden ist, ein Original.“41 Originalität, Einmaligkeit, Transitorik, Exklusivität und Aura sind im Verlauf der Moderne zwar variabel geworden, keineswegs jedoch einfach verschwunden. Sie befinden sich stattdessen in einem permanenten und oftmals widersprüchlich anmutenden Transformationsprozess der Entortung und Reterritorialisierung, der Profanierung und Reauratisierung. Als dem Paradoxen ja grundsätzlich zugewandte Übergangserscheinungen überrascht es daher nicht, dass auch im World Wide Web vestimentäre Figurationen des Dandys fortleben.42 Vergleichbar mit ihren „klassischen“ Vorläufern reaktivieren sie die bekannten historischen Vorbilder sowie die für den Dandy essenzielle Bedeutung der Krawatte als einem ästhetischen Paradoxon räumlich-semantischer Tiefen der jeweils aktuellen, medial spiegelnden Oberflächen. 40 Vgl. Manfred Faßler, Cybernetic Localism: Space, Reloaded, in: Jörg Döring/Tristan Thielmann (Hrsg.), Spatial Turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften, Bielefeld 2008, S. 185–217. 41 Groys, Die Topologie der Aura (wie Anm. 39), S. 90. 42 Zu anderen aktuellen Performanzen des Dandys (z. B. in der Figur des schwarzen Rappers) vgl. Fernand Hörner, Die Behauptung des Dandys. Eine Archäologie, Bielefeld 2008.
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Jan Delay, oder: Die Zukunft des Dandys zwischen Texten und Textilien Die in diesem Band versammelten Aufsätze zeigen, welche vielschichtige Vergangenheit der Dandy hat, aber hat er auch eine Zukunft? Um diese Frage zu beantworten, muss zunächst zwischen der gegenwärtigen Zukunft und der vergangenen Zukunft differenziert werden. Die vergangene Zukunft ist nicht einfach die Gegenwart. Vielmehr sollen hier unter vergangener Zukunft die Prognosen verstanden werden, die an einem historischen Punkt dem Dandy gestellt wurden. Dass diese Zukunft des Dandys dann nicht mit der Gegenwart zusammengefallen ist, liegt wohl in erster Linie daran, dass dem Dandy zumeist eben gar keine Zukunft prognostiziert wurde. Den Slogan „no future“, den sich die Punk-Bewegung auf die Fahnen schrieb, hat im Grunde schon der Dandy erfunden. Dieser Diskurs der Zukunftslosigkeit zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte des Dandys, sodass man gewillt ist zu sagen, die Zukunftslosigkeit des Dandys ist ein wichtiger Bestandteil seiner Vergangenheit. Wenn sich die Zukunftslosigkeit des Dandys folglich als Konstante erweist, liegt natürlich die Schlussfolgerung nahe, dass dies auch in Zukunft so sein wird. Dementsprechend decken sich die vergangenen Zukünfte des Dandys mit seiner gegenwärtigen Zukunft. Folglich liegt die Zukunft des Dandys nach wie vor in seiner Zukunftslosigkeit. Dabei ist es gerade die Art und Weise, wie dem Dandy die Zukunftslosigkeit diagnostiziert wurde, die eine neue Perspektive auf unser Thema liefert. Paradoxerweise, und Paradoxe sind ja das Elixier des Dandyismus, liegt gerade in der vielfältigen Art und Weise, wie dem Dandy Zukunftslosigkeit bescheinigt wurde, ein interessantes Potenzial für die Zukunft. Diese pessimistischen Prognosen lassen sich in drei Strategien einteilen: Erstens George Brummell als den großen und niemals wieder erreichten Ur-Dandy zu setzen, zweitens immer neue letzte Dandys, deren Ende nun nahe, zu verkünden, sowie drittens, die gesellschaftlichen Umstände als Gründe für die Unmöglichkeit eines neuen Dandyismus zu beschreiben.
Brummell als einziger Dandy Die Vorstellung, George Brummell sei eine einmalige und nicht wiederholbare Manifestation eines unerreichten Originals, wird bereits von Zeitgenossen in
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Bezug auf seine Kleidung zum Ausdruck gebracht.1 Die Kunst der Nuancen macht Brummell zu einem unkopierbaren Original. Das je ne sais quoi2 ist eine unbeschreibbare Eigenschaft, deren Vorhandensein trotzdem ins Auge fällt. Schon beim honnête homme, wie ihn Blaise Pascal oder Baltasar Gracián beschreiben, ermöglicht das je ne sais quoi eine unnachahmliche Distinktion. Sie ist beim Dandy Chiffre par excellence für Brummells Dandyismus als einmaliges und nicht-artikulierbares Geheimnis.3 Auch Jules Barbey d’Aurevilly beschreibt in seinem bekannten Essay Du Dandysme et de George Brummell (1845) diesen unbeschreiblichen Proto-Dandy, sein Hinweis auf die im Wortsinn „Unfassbarkeit“ des Dandys hält ihn allerdings nicht davon ab, sich letzten Endes doch zu rühmen, eben jenes je ne sais quoi von Brummell beschrieben zu haben. Dennoch betont er die Unerreichbarkeit Brummells und folgert kategorisch: „De Dandy comme Brummell on n’en reverra plus […].“4 So wird Brummell im Wortsinn als das non plus ultra des Dandyismus dargestellt: „Eh bien on dira c’qu’on voudra. Ce Brummell vraiment, c’est le nec 1 Arnould Fremy z. B. schreibt über Brummells Kleidung: „[T]out cela a été copié de Brummel, mais avec la différence qui sépare la copie de l’original […].“ Arnould Fremy, Le Roi de la Mode, in: Revue de Paris 34 (1836), S. 243–260, hier S. 259. Im Gedicht „The Dandy Petition“, veröffentlicht in The Spirit of the Public Journals for 1825, wünscht sich der Erzähler Brummell zurück und bietet im Austausch die aktuellen Dandys an (vgl. John C. Prevost, Le Dandysme en France (1817–1839), Genf 1982 [1957], S. 179). Lennox überträgt diese Taktik auf „D’Orsay whose faultless coat and immaculate wristbands were for years the envy of minor dandies“ (William Pitt Lennox, Fashion then and now. Illustrated by anecdotes, social, political, military, dramatic, and sporting, London 1878, S. 65) und Roger de Beauvoir auf Byron: „[…] son dandysme pèse aux dandies qui ne peuvent pas l’imiter […].“ (Roger de Beauvoir, De la vie de Londres – Causeries à propos de ce portrait, in: Revue de Paris 24 (1835), S. 5–26, hier S. 17f.). 2 Vgl. Oswald Wiener, Eine Art Einzige, in: Verena von der Heyden-Rynsch (Hrsg.), Riten der Selbstauflösung, München 1982, S. 35–78, hier S. 47; Laurent Boüexière/Patrick Favardin, Le Dandysme, Lyon 1988, S. 23; Ellen Moers, The Dandy. Brummell to Beerbohm, New York 1960, S. 17; Rémy Saisselin, De l’honnête homme au dandy – ou d’une esthétique de l’imitation à une esthétique de l’expression, in: Alain Montandon (Hrsg.), L’honnête homme et le dandy, Tübingen 1993, S. 9–17, hier S. 10; Françoise Coblence, Le dandysme. Obligation d’incertitude, Paris 1988, S. 122–125 ; Gilbert Pham-Thanh, Du Dandysme en Angleterre au XIXe siècle et de ses Répercutions en France, Villeneuve d’Ascq 2000, S. 32, 506. 3 Demgemäß äußert Saidah über den Dandy: „il tente […] de se constituer une originalité et par la seule grâce du je ne sais quoi, d’affirmer un art de vivre […].“ Jean-Pierre Saidah, Le dandysme. Continuité et rupture, in: Montandon (wie Anm. 2), S. 137; vgl. Coblence, Obligation d’incertitude (wie Anm. 2), S. 123; Domna C. Stanton, The Aristocrat as Art. A Study of the Honnête Homme and the Dandy in Seventeenth- and Nineteenth-Century French Literature, New York 1980, S. 207ff.; Hans Jürgen Seemann, Copy. Auf dem Weg in die Reproduktionskultur, Weinheim 1992, S. 36; Pham-Thanh, Du Dandysme en Angleterre (wie Anm. 2), S. 513. 4 Jules Barbey d’Aurevilly, Du Dandysme et de George Brummell [1845], in: Ders., Œuvres Romanesques Complètes, hrsg. v. Jacques Petit, Paris 2003, S. 667–733, hier S. 715, 682, 717.
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plus ultra“, heißt es im Couplet Final der Operette Brummell von Reynaldo Hahn.5 Brummell wird zugleich als erster und letzter Dandy gesetzt, dessen Ende das Ende des Dandyismus bedeutet. Dieses Totsagen erlebt, man verzeihe das Wortspiel, eine Renaissance in der Dekadenz. Trotz aller Kritik an Barbey in anderem Kontext übernimmt auch Max Beerbohm diesen Gedanken in Dandies and Dandies (1895).6 In Frankreich elaborieren diese Taktik zu Beginn des 20. Jahrhunderts unter anderem die Brüder Jacques und Marcel Boulenger. So prangert Marcel Boulenger 1907 in Le Dandysme7 in Bezug auf Robert de Montesquiou den inflationären Gebrauch des Attributes „Dandy“ an, um festzustellen: „[N]ous voilà bien loin de Brummell!“8 Derweil diese Autoren der Jahrhundertwende das Ende des Dandyismus verkünden, um die dekadente Spielart auszuschließen, ist in heutigen literaturwissenschaftlichen Untersuchungen wiederum die Tendenz zu erkennen, die dekadenten Dandys als die letzten Dandys zu etablieren. Neben Gisbert Kranz oder Rainer Gruenter sieht auch Hans Hinterhäuser aus europäischer Sicht in der Dekadenz „das vorläufig letzte Kapitel des Dandyismus“.9 Ellen Moers nimmt dies wörtlich, wenn sie ihre Untersuchung The Dandy. Brummell to Beerbohm mit einem „Epilogue“ über eben jenen Max Beerbohm beendet. Wie Barbey in Bezug auf Brummell, betont sie Beerbohms Vereinsamung am Lebensende und macht ihn zur allegorischen Verkörperung für das Ende des Dandyismus: „Serene in exile, he preserved the last of the dandies.“10
5 Reynaldo Hahn, Brummell. Opérette en 3 actes et 5 tableaux, Libretto, Musik: Reynaldo Hahn, Text: Rip und Robert Dieudonné, Paris 1931, S. 237. 6 Max Beerbohm, Dandies and Dandies, in: The Works of Max Beerbohm: Bd. I, London 1922, S. 1–26, hier S. 9. 7 Für eine andere Version des Artikels aus den Lettres de Chantilly vgl. Émilien Carassus, Le Mythe du Dandy, Paris 1971, S. 271–275. 8 Marcel Boulenger, Le Dandysme, in: Revue bleue, Série 5, Bd. 7, Nr. 8, Paris 1907, S. 240–242, hier S. 242. 9 Rainer Gruenter, Formen des Dandysmus. Eine problemgeschichtliche Studie über Ernst Jünger, in: Euphorion 46.2 (1952), S. 170–201, hier S. 194; Hans Hinterhäuser, Fin de Siècle. Gestalten und Mythen, München 1977, S. 103. 10 Ellen Moers, The Dandy. Brummell to Beerbohm, New York 1960, S. 316. Trotz der Betonung der Einzigartigkeit von Brummells Dandyismus inszeniert sich auch Beerbohm selbst bereits in seinen frühen Essays wie „1880“ als letzter Zeuge einer vergangenen Zeit. Vgl. ausführlich Eike Schönfeld, Der deformierte Dandy. Oscar Wilde im Zerrspiegel der Parodie, Frankfurt a. M. 1986, S. 218.
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Letzte Dandys Beerbohm ist allerdings weder der erste „letzte Dandy“ noch der letzte „letzte Dandy“ geblieben. So bezeichnet zum Beispiel Rhonda Garelick den 1999 verstorbenen Schriftsteller Quentin Crisp als letzte Verbindung zu dem Dandy des 19. Jahrhunderts, obwohl Crisp selbst im von ihr geführten Interview dazu sagt: „I would hate to be that kind of dandy.“11 Als andere letzte Dandys werden Louis Aragon, Franz Blei, Albert Camus, Jean Cocteau, René Crevel, T. S. Eliot, Jean Giraudoux, Vladimir Majakovskij, Raymond Roussell, James Whistler, Ralph Barton, Søren Kierkegaard und Albert Cossery gelobt.12 Zu Recht stellt also Ursula Link-Heer fest, „über den Dandy ist stets, beginnend mit Beau Brummell, so geschrieben worden, als erscheine er ein letztes Mal.“13 Diese Konstante ist Ausdruck der behaupteten Einmaligkeit des Dandyismus, die in ambivalenter Spannung zur Entdeckung von aktuellen Dandys steht. In immer neuen „letzten Dandys“ zeigt sich die Spannung zwischen Vergangenheit und Zukunft in ihrer ganzen Paradoxie.
Die unmögliche Gesellschaft Neben der Unerreichbarkeit und Unwiederbringlichkeit Brummells werden auch gesellschaftliche Umbrüche als Grund für das Ende des Dandys angeführt, auch bei den meisten Begründungen der letzten Dandys. Schon die in den 1820er-Jahren in London entstehenden fashionable novels ziehen gerade daraus ihre Faszination, dass sie dem aufstrebenden und nach Distinktion lechzenden Bürgertum eine aristokratische Welt präsentieren, in der nicht das Geld, sondern nur das untrügliche Stil- und Standesbewusstsein regiert. In anderen Worten: eine Welt, 11 Rhonda K. Garelick, Epilogue. Quentin Crisp. The Last Dandy? in: Susan Fillin-Yeh (Hrsg.), Dandies, Fashion and Finesse in Art and Culture, New York 2001, S. 270–280, hier S. 270, 274. 12 Vgl. zu den ersten zehn „letzten Dandys“ Giuseppe Scaraffia, Gli ulimi dandies, Palermo 1988; ferner (zu Ralph Barton) Bruce Kellner, The last dandy, Ralph Barton: American artist, 1891–1931, Columbia 1991; Klaas Huizing, Der letzte Dandy, München 2003. Letzteres ist ein Roman, der sich als Realisierung des Projekts von Søren Kierkegaard ausgibt, einen autobiografisch gefärbten Roman zu schreiben. Zu Albert Cossery vgl. Hans-Peter Kunisch, Ein Besuch beim letzten Dandy von Saint Germain-des-Près, in: Süddeutsche Zeitung vom 5. Februar 2005, S. V; Francine MarillAlbérès, Le dernier des dandies. Arsène Lupin, Paris 1979 (über Arsène Lupin). 13 Ursula Link-Heer, Robert de Montesquiou. Vom ikonisierten Leben zur Literatur oder das Problem der Preziosität, in: Gerhard Härle [u. a.] (Hrsg.), Ikonen des Begehrens. Bildsprachen der männlichen und weiblichen Homosexualität in Literatur und Kunst, Stuttgart 1997, S. 251– 289, hier S. 261.
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die es gerade durch das aufstrebende Bürgertum nicht mehr geben wird. Dies lässt sich nicht zuletzt daran ersehen, dass die in den 1820er-Jahren erschienenen novels ein Jahrzehnt zuvor spielen: zu Brummells Zeit in London. 1815 stand er vor dem finanziellen Ruin und musste bekanntlich England verlassen, was George Byron zu dem Ausspruch verleitete, 1815 wurden drei große Männern ruiniert, Brummell, er selbst und Napoleon.14 Eindeutige Gemeinsamkeiten der Romanprotagonisten mit bekannten Persönlichkeiten der Zeit, vor allem Brummell, waren dabei Teil dieser Strategie.15 Die vom Verleger Henry Colburn geschickt vermarkteten fashionable novels, wie Theodore Hooks Sayings and Doings (1824), Robert Plumer Wards Tremaine (1825), Thomas Listers Granby (1825), Benjamin Disraelis Vivian Grey (1826), Edward Bulwer-Lyttons Pelham (1828), Catherine Gores Cecil (1841) sowie W. Massies Sydenham (1830) sind wohl die ersten Bestseller der Literaturgeschichte.16 Ihren Erfolg zogen sie aus dem voyeuristischen Versprechen, eine authentische Darstellung der englischen Oberschicht zu liefern, die „secrets of the beau monde“ zu enthüllen17 und gleichzeitig, vor 14 „[Byron] used to say there were three great men ruined in one year, Brummell, himself, and Napoleon!“ Thomas Medwin, Medwin’s conversations with Lord Byron, Princeton 1966 [1824], S. 72. 15 Winifred Hughes, Silver Fork Writers and Readers. Social Context of a Best Seller, in: Novel. A Forum on Fiction 25.3 (1992), S. 328–347, hier S. 334; vgl. Matthew Whiting Rosa, The silver fork school. Novels of fashion preceding „Vanity Fair“ [1936], Columbia 1964, S. 105; Pham-Thanh, Du Dandysme en Angleterre (wie Anm. 2), S. 634. Bulwer-Lytton, der bekannteste Autor in diesem Zusammenhang, meint selbst: „In proportion as the aristocracy had become social, and fashion allowed the members of the more mediocre classes a hope to outstep the boundaries of fortune, and be quasi-aristocrats themselves, people eagerly sought for representation of the manners which they aspired to imitate, and the circles to which it was not impossible to belong.“ Dass die Mode der Mittelklasse ermöglichte, sich mit der Aristokratie zu messen, kann als Anspielung auf Brummell gesehen werden, dem Nicht-Adligen, der es schließlich zum „king of dandies“ gebracht hat. (Edward Bulwer-Lytton, England and the English, London 1876 [1833], S. 251.) Dass es allerdings sein Ehrgeiz war, einen Roman zu schreiben, der über diese Funktion hinausgeht, lässt Bulwer-Lytton den Erzähler darlegen, der rhetorisch um Verzeihung bittet, dass er kein „fashionable hero“ sei, und in Anspruch nimmt, eine neue Erscheinung in der Literatur („a novelty in print“, S. 481) zu sein. In dem von seinem Sohn herausgegebenen literarischen Nachlass wird BulwerLytton zitiert, er wolle keine fashionable novel schreiben, sondern einen Roman mit eindrücklicher Charakterzeichnung:„For I understand by the term ‚fashionable novel‘ a description of things, and I intended for Pelham a description of persons.“ (Zit. n. Friedrich Schubel, Die fashionable novels. Ein Kapitel zur englischen Kultur- und Romangeschichte, Uppsala 1952, S. 203.) 16 Vgl. Schubel, Die fashionable novels (wie Anm. 15); Hughes, Silver Fork Writers (wie Anm. 15), S. 328. 17 Adburgham spricht von einem „voyeurism into upper class life“. Alison Adburgham, Silver Fork Society. Fashionable Life and Literature from 1814 to 1840, London 1983, S. 2. Umgekehrt suggerierte Pierce Egans Zyklus Life in London voyeuristische Einblicke in die Unterschicht (vgl. Roger B. Henkle, Comedy and Culture. England 1820–1900, Princeton 1980, S. 42).
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allem in Pelham oder Cecil den Niedergang des Dandys Brummell genüsslich zu schildern. In Pelham beklagt Mr. Clarendon, der in Anspielung an „Beau Brummell“ als „old beau“ bezeichnet wird, den Verlust gesellschaftlicher Distinktion guter alter Zeiten: „People were not tolerated, as now, merely for their riches.“18 Dem bürgerlichen Leser wird also eine möglichst authentische, das heißt eine von seiner eigenen Partizipation noch weitgehend freie High Society präsentiert, um ihm eben diese Partizipation durch „authentische“ Informationen zu ermöglichen. Der Essayist William Hazlitt bemängelt demgemäß, der Leser werde statt an einen fiktiven Ort an die Bond Street (Brummells Wohnort) oder zu Almack’s (Brummells Club) geführt.19 Während bei den fashionable novels das Ende des Dandys gleichzeitig an die Person Brummell gebunden ist und ein Symptom für das Eindringen des Bürgertums in die High Society darstellt, knüpft Barbey in seinem Essay über Brummell das Ende des Dandyismus noch stärker an die gesellschaftlichen Umwälzungen: „[L]e jour où la société qui produit le Dandysme se transformera, il n’y aura plus de Dandysme; et comme déjà […] l’aristocratique et protestante Angleterre s’est fort modifiée depuis vingt ans, il n’est guères [sic] plus que la tradition d’un jour.“20 Demnach sieht er in der Umwandlung der aristokratischen Gesellschaft das Ende des Dandyismus gekommen, macht dabei aber weniger den Wegfall von Adelsprivilegien als vielmehr das Wiedererstarken des Puritanismus im viktorianischen Zeitalter für das Ende des Dandys als Verantwortlichen aus.21 Barbey 18 Edward Bulwer-Lytton, Pelham or Adventures of a Gentleman, London 1852 [1828], S. 318. 19 William Hazlitt, The Dandy School, in: The Complete Works of William Hazlitt: Bd. XX, London 1934, S. 143–149, hier S. 144. 20 Barbey d’Aurevilly, Du Dandysme (wie Anm. 4), S. 716. 21 „Aujourd’hui le Puritanisme auquel le Dandysme, avec les flèches de sa légère moquerie, a fait une guerre de Parthe – en le fuyant plutôt qu’en l’attaquant de front – le Puritanisme blessé se relève et panse ses blessures.“ (Barbey, Du Dandysme (wie Anm. 4), S. 716.) Die Bedrohung des Dandyismus durch den Puritanismus viktorianischer Machart betont er auch an anderen Stellen: „Les Dandys ont beau représenter le caprice dans une société classée et symétrique, ils n’en respirent pas moins, quelque bien organisés qu’ils soient, la contagion de l’affreux puritanisme. Ils vivent dans cette tour de la Peste, et une pareille habitation est malsaine.“ (S. 695) Mit Formulierungen wie „Ansteckung“, „Pest“ und „gesundheitsschädlich“ verdeutlicht Barbey die ständige Bedrohung, der die Dandys durch den Puritanismus ausgesetzt sind. Und wenn er an anderer Stelle schreibt, „Les Dandys ne brisent jamais complètement en eux le puritanisme originel“ (S. 709), wird deutlich, dass der Puritanismus tatsächlich wie das Pestbazillus eine ständige, latente Bedrohung darstellt. Barbey macht auch in späteren Arbeiten die Religion zum zentralen Movens der englischen Geschichte (vgl. John Greene, Barbey et l’histoire d’Angleterre, in: La Revue des Lettres Modernes 13 (= Barbey d’Aurevilly sur l’Histoire), 1987, S. 109–120. Vgl.: „Le titre de dandy ou d’exquisite est à peu près devenu ridicule. La Jeune Angleterre, retranchée dans une austère propreté, méprise tout ce qui ressemble à la recherche du costume; elle se moquerait d’un nouveau Brummell.“ (Emile Durand Forgues, Originaux et Beaux Esprits. Gens
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spielt auf die leichte, mokante Ironie des Dandys an und ergänzt, die Bigotterie, der englische cant, den auch Stendhal als eine der Sünden Englands bezeichnet,22 sei Sieger über die Fantasie des Dandyismus und Brummell sei letzten Endes ein einsamer, missverstandener Mann gewesen: „Il n’avait que des manières dont le sens se perd de plus en plus tous les jours.“23 Die unnachahmliche Manier, welche die Unbeschreiblichkeit Brummells garantiert, ist demnach gleichzeitig Grund für seinen Untergang. Auch Charles Baudelaire, der den Dandy als Verkörperung eines ewigen aristokratischen Prinzips sieht, beschwört in gleicher Weise dessen baldigen Untergang, diesmal angesichts der anhaltenden Demokratisierung, den er in seinem Essay Le peintre de la vie moderne in einem nicht gerade unpathetischen Bild ausmalt.24 Seine Metapher vom Dandy als untergehende Sonne, der im Meer der Demokratisierung versinkt, ist ein sprechendes, um nicht zu sagen kitschiges Bild: auf der einen Seite die Sonne, deren ästhetischen Wert er betont, ohne ihr den praktischen Nutzen der Wärme zuzugestehen, auf der anderen Seite das bedrohlich steigende Meer der Demokratisierung, das nach und nach jede Form der Distinktion dem Untergang weiht.25 et têtes fêlées. Scènes de la vie excentrique imitées de l’anglais, Paris 1862, S. 58) sowie Coles Kommentar über den einsamen Tod Brummells:„The Victorian Age had begun.“ (Hubert Cole, Beau Brummell, London 1977, S. 223.) 22 Vgl. Stendhal, De l’Amour, hrsg. von Henri Martineau, Paris 1959 [1822], S. 156. 23 Barbey d’Aurevilly, Du Dandysme (wie Anm. 4), S. 710. 24 „Le dandysme est un soleil couchant; comme l’astre qui décline, il est superbe, sans chaleur et plein de mélancolie. Mais hélas! la marée montante de la démocratie, qui envahit tout et qui nivelle tout, noie jour à jour ces derniers représentants de l’orgueil humain.“ Charles Baudelaire, Le Peintre de la vie moderne, in: Œuvres Complètes, Bd. II, hrsg. von Claude Pichois, Paris 1976, S. 683–724, hier S. 712. 25 Vgl. dazu die folgenden Interpretationen: „[T]he dandy’s praise of uselessness represented a conscious rewriting of a bygone aristocratic ideal […].“ Stanton, The Aristocrat as Art (wie Anm. 3), S. 95; vgl. Ernest Raynaud, Baudelaire et la Religion du Dandysme, Paris 1908, S. 38; „An eccentric outsider or member of an elite core, he defies social order at the same time that he embodies his ultimate standard in good taste.“ (Sima Godfrey, The Dandy as Ironic Figure, in: SubStance 36 (1982), S. 21–33, hier S. 24); „C’est une révolte contre la démocratie telle quelle le conçoit le dandy, pour lui, elle veut aplanir toutes les différences entre les hommes.“ (Elisabeth M. Reed, Le Dandysme catholique dans l’œuvre de Jules Barbey d’Aurevilly, Diss., University of Utah, Michigan 1990 [1985], S. 31); „[L]e dandy a existé précisément pour lutter contre l’utilitarisme qui dépossède l’homme de son statut de fin en soi et le relègue parmi les rouages indifféremment nécessaires à l’opération de la machine de l’univers.“ (Prevost: Dandysme (wie Anm. 1), S. i); „Bei Baudelaire – ähnlich wie bei Huysmans und Proust – ist der Dandyismus eine Provokation der Bürgerlichkeit, des ,embourgeoisement‘ und des Nützlichen.“ (Peter Zima, Vom Dandy zum Künstler – oder Narcissos bifrons, in: Romanistische Zeitschrift für Literaturgeschichte 3/4 (1983), S. 406–434, hier S. 412, vgl. S. 408); „[S]on mépris pour l’utilitarisme bourgeois le fait
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Diese Nachrufe haben den Dandy allerdings nicht zum Schweigen gebracht, sondern eher am Leben gehalten. Macht man einen großen Zeitsprung, wird deutlich, dass die Nachrufe vielleicht genauso viel über den Dandy wie über die jeweiligen historischen und politischen Kontexte aussagen, die der Dandy allesamt als gerade Sterbender überlebt. Als ein Beispiel sei das 1962 von der Reederei United States Lines für ihre Gäste produzierte Magazin United States Lines Paris Review genannt, das eine Ausgabe dem Thema Dandies and Dandyism. Customs and Costumes widmete. Dort greifen die Herausgeber auf den Konflikt des Dandyismus mit dem Puritanismus zurück und äußern den Wunsch, gegen den alles überwältigenden Konformismus anzugehen, indem sie einen intellektuellen Dandyismus propagieren.26 Ähnlich wie Barbey und Baudelaire erkennen auch diese Autoren in „ihrer“ Moderne, im konservativen Ambiente vor der 1968erRevolution, eine Distinktionen vernichtende Tendenz. Genau entgegengesetzt konstatiert allerdings beispielsweise Beat Wyss in dem Aufsatz Das Verschwinden des Dandys (1994), dass es den Dandy gerade aufgrund des „fehlenden Drucks öffentlicher Normalität“ nicht mehr geben könne.27 Der Dandy vereinsame, weil ihm die „geschlossene Arena der Normalität“, also Konventionen, welche er sprengen könnte, fehle.28 Ulf Poschardt geht noch weiter, indem er betont, dass der Dandy selbst zur Normalität geworden sei, da das Bildungsbürgertum vom „Geschmacksbürgertum“ verdrängt wurde: „Der Dandy verliert seine Ausnahmeopter pour la régression aristocratique.“ (Carassus: Le Mythe du Dandy (wie Anm. 7), S. 174); vgl. Pham-Thanh, Du Dandysme en Angleterre (wie Anm. 2), S. 269. Auch Schäfer, die vom „aristokratischen Individualismus“ (Oda Schäfer [Hrsg.], Der Dandy, München 1964, S. 13), Mann, der vom „aristokratischen Bewusstsein“ (Otto Mann, Der moderne Dandy. Ein Kulturproblem des 19. Jahrhunderts, Berlin 1925, S. 47) und Schickedanz, der von einer „Absage an das heuchelnde Bürgertum“ (Hans Joachim Schickedanz, Ästhetische Rebellion und rebellische Ästheten. Eine kulturgeschichtliche Studie über den europäischen Dandyismus, Frankfurt a. M. 2000, S. 46) sprechen, betonen die Abgrenzung des Dandys vom Bürgertum. Vgl. auch Anne Frémiot, Du Dandysme et de la transgression. La règle et la différence, in: Larry Duffy [u. a.] (Hrsg.), Les Lieux Interdits. Transgression and French Literature, Hull 1998, S. 149–185, hier S. 197; Melanie Grundmann, Der Dandy. Wie er wurde, was er war. Eine Anthologie, Köln 2007, S. 7. 26 „C’est dans la volonté de réagir contre le conformisme envahissant du monde moderne, de défendre un ,dandysme‘ plus moral que vestimentaire […].“ Das Organ United States Lines Paris Review war ein eigens für die Passagiere konzipiertes Magazin, das helfen sollte, die lange transatlantische Überfahrt ohne Langeweile zu überdauern und die Reisegäste mit zweisprachigen französisch-englischen Beiträgen mental auf das neue Land vorzubereiten: „Inauguré en 1953, peu après le lancement du paquebot ‚United States‘, l’United States Lines Paris Review voulut être un trait d’union entre le Nouveau Monde et l’Ancien.“ Die in der Bibliothèque nationale de France verfügbare Zeitschrift ist nicht paginiert. 27 Beat Wyss, Das Verschwinden des Dandys, in: Kursbuch (Dezember 1994: Exzentriker), S. 34– 38, hier S. 37. 28 Ebd., S. 36.
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stellung und wird die Regel. Er ist Massenphänomen.“29 Diese Vereinnahmung des Dandys als Distinktionskriterium gegenüber dem Bürgertum von dem Bürgertum selbst wiederholt, vermutlich ohne es zu wissen, das Prinzip der fashionable novels und ermöglicht so, einen aus unzähligen Endpunkten bestehenden Kreis zu schließen. Ob nun der Dandy untergeht, weil gesellschaftliche Konventionen fehlen (Wyss) oder weil ein Übermaß daran ihn erdrückt (Barbey, United States Lines Paris Review) oder weil er selbst Ausdruck derselben geworden ist (Poschardt), ist er in jedem Fall das Opfer der gesellschaftlichen Entwicklungen.
Text und Textilien Der Dandy wird also auf unterschiedliche Argumentationen – Brummells Einzigartigkeit, letzte Dandys oder gesellschaftliche Umbrüche – immer wieder totgesagt. Da dies eine der wenigen Konstanten im Diskurs über den Dandy ist, muss uns die unmögliche Zukunft und eigentlich auch schon die unmögliche Gegenwart des Dandys zuversichtlich stimmen, dass es auch so weitergehen wird. Was bedeutet es allerdings, diese Nicht-Zukunft des Dandys zwischen Texten und Textilien anzusiedeln? Die Logik, mit der über die Zukunft des Dandys gesprochen wird, legt nahe, den Zusammenhang zu Texten und Textilien nicht einfach affirmativ zu bestätigen, sondern vielmehr erst einmal zu negieren. Textet der Dandy überhaupt etwas? Diese Frage ist natürlich eng verbunden mit der weiter reichenden Frage, ob der Dandy grundsätzlich irgendetwas tut oder sich nicht vielmehr durch Nichtstun auszeichnet.
Tut der Dandy überhaupt irgendetwas? Maurice Barrès bringt dies in Sous l’œuil des Barbares zum Ausdruck, indem er ein unfehlbares Rezept liefert, eine „Recette pour se faire avec rien de la notoriété“.30 Demnach reiche es aus, sich zunächst eine vorteilhafte Meinung von sich selbst 29 Ulf Poschardt, Die universelle Boutique, in: Welt am Sonntag vom 5. Dezember 2005: http:// www.wams.de/data/2004/12/05/370100.html?prx=1 (1.2.2007). Dass das Antibürgerliche zur bürgerlichen Normalität wird, zeigt sich vielleicht auch im Life-Style-Magazin Vanity Fair, das sich den Namen von Thackerays Abrechnung mit Dandys und anderen unnützen Gesellschaftsmitgliedern gibt und dies gänzlich unkritisch meint; Chefredakteur war bis vor kurzem eben jener Ulf Poschardt. 30 Maurice Barrès, Le culte du moi. Sous l’œuil des barbares, Paris 1922, S. 94–95.
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zu schaffen und genügend Zeit und Geld zu haben, sich die nötigen erforderlichen Qualitäten zu erwerben. Wenn man dann nicht nach einiger Zeit zu einem neuem Brummell ausgerufen werde, bestätige dies nur die Einzigartigkeit.31 Dabei betont Barrès weniger den Nihilismus als vielmehr die Überzeugung der subversiven Kraft des Dandys durch das Erschaffen aus dem Nichts:32 Aus La Rochefoucaulds Maxime „Le vrai honnête homme est celui qui ne se pique de rien“33 wird der Dandy, der nicht auf nichts stolz ist, sondern auf sein Nichts stolz ist. Ähnlich argumentiert auch schon Brummells Zeitgenosse Arnould Frémy. Der Dandy, so ließe sich diese Argumentation zusammenfassen, sieht in seinem Beruf nicht wie der Bürger eine Berufung, sondern macht aus seiner Berufung, keinem Beruf nachzugehen, einen Beruf. Er zeichnet sich dadurch aus, dass er nichts tut, außer seiner Selbstbehauptung, die darin besteht, nichts zu tun.34
Textet der Dandy also überhaupt? Vor diesem Hintergrund lässt sich vielleicht auch eine bemerkenswerte Konstante erklären: Dass nämlich jeder Autor, der über Dandys schrieb, auch als ein solcher rezipiert wurde. Bemerkenswert ist dies deshalb, weil es eine für den Dandy typische Vermengung von Autor, Leben und Werk bedeutet, die es bei anderen literarischen Figuren so nicht gibt. Nicht jeder Autor, der einen Krimi schreibt, wird für den Mörder oder den Polizisten gehalten. Für den Dandy, der ja eigentlich im Nichtstun brilliert, stellt sich dies als Paradox dar. Wenn ein Dandy nichts tut, wie kann ein Autor sich als Dandy inszenieren, da ja offenkundig ist, dass er schreibt? Dies gelingt den Dandy-Autoren, indem sie ihre Werke unter großer Anstrengung so aussehen lassen, als sei ihnen 31 Ebd. 32 Vgl.: „J’entrevois la possibilité de modifier la cote des valeurs humaines et d’exalter par-dessus toutes un pouvoir sans nom, vraiment fait de rien du tout.“ (Ebd., S. 94); vgl. Carassus: Le Mythe du Dandy (wie Anm. 7), S. 59. Hazlitt lobt Brummells Schlagfertigkeit als „art of making something out of nothing“. (William Hazlitt, Brummelliana, in: Ders., The Complete Works, Bd. 20, London 1934, S. 153); vgl. Stanton: The Aristocrat as Art (wie Anm. 3), S. 43. Vgl. die Definition des Dandys als „nobody, who made himself somebody, and gave the law to everybody […].“ (Catherine Gore, Cecil: Or, the Adventures of a Coxcomb [1841], Hrsg. von Andrea Hibbard/ Edward Copeland, London 2005, S. 17.) 33 François de La Rochefoucauld, Œuvres Complètes, Hrsg. von L. Martin-Chauffier, Paris 1964, S. 333; vgl. Stanton, The Aristocrat as Art (wie Anm. 3), S. 54. 34 „[C]e qu’il a fait de plus beau, c’est assurément de n’avoir rien fait, et de s’être rendu immortel à cause de cela. C’est même là le centre principal de son héroïsme.“ Arnould Fremy, Le roi de la mode (wie Anm. 1), S. 258f.
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alles ohne große Anstrengung aus der Feder geflossen. Dies zeigt sich, vereinfacht gesagt, in zwei Strategien: Erstens der Inszenierung eines nonchalanten genialistischen Schreibstils, wie ihn etwa Byron kultivierte, und der in Frankreich von allen bewundert und insbesondere von Alfred de Musset imitiert wurde. Unter dandysme littéraire, literarischem Dandyismus, verstand man im 19. Jahrhundert, anders als heute,35 insbesondere in der Dichtung einen scheinbar sorglosen Umgang mit formalen Gestaltungsmitteln.36 Die zweite Strategie, die auch in Kombination mit der ersten auftritt, ist die Suggestion eines autobiografischen Inhalts der Dandy-Beschreibungen, sei es in Bezug auf fiktionale Dandys in Gedichten (wie Byrons Beppo) oder fiktionale Dandys in der Prosa, wie den fashionable novels, deren Autoren sich auch selbst als Dandys inszenierten, um so die Authentizität ihrer Bücher zu erhöhen. Oder aber auch in essayistischen Schriften beispielsweise von Barbey und Baudelaire, in denen auch autobiografische Anspielungen verwoben wurden. Freilich ist dieser nonchalante Rückgriff auf das eigene Leben, das ins Werk eingeflochten wird, im Grunde Ergebnis harter literarischer Arbeit. Deswegen muss man dem Dandy durchaus zugestehen, dass er etwas tut, etwas textet. Seine Gesammelten Werke sind durchaus umfangreich und bestehen eben nicht nur aus Textilien, sondern auch aus hart erarbeiteten Texten, die den Leser zugleich luftig leicht wie ein Seidenschal umschmeicheln.
Was hat Dandyismus überhaupt mit Textilien zu tun? Wir sehen also, der Dandy tut nichts, er textet nicht und dennoch liegt eine Fülle von Werken von und über ihn vor. Ganz ähnlich verhält es sich mit der Mode. Dandyismus beschränkt sich nicht auf die Kleidung, ja vielleicht ist diese sogar sein Tod (der uns mittlerweile kaum mehr Angst machen dürfte). Gleichzeitig
35 In der wissenschaftlichen Literatur wird literarischer Dandyismus zumeist allgemeiner als Darstellung von Dandytum und Dandys innerhalb der Fiktion verstanden. Vgl. dazu exemplarisch die unlängst erschienene Studie von Melanie Grundmann, Dandy und Tabu. Transgressionen bei Stendhal, Théophile Gautier und George Moore, Dissertation an der Europa-Universität Viadrina, Frankfurt a. d. O. 2010: http://opus.kobv.de/euv/volltexte/2011/42/pdf/dandy_tabu_grundmann. pdf (31. 10. 2011). 36 Neben Alfred de Musset wurden interessanterweise auch sein Bruder Paul de Musset des literarischen Dandyismus bezichtigt, vgl. ausführlich zu beiden Prevost, Le Dandysme (wie Anm. 1), S. 147ff.
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kann man natürlich kein Dandy sein, wenn man keinen Wert auf sein Äußeres legt. In seinem Beitrag „Le Dandysme et la Mode“, der in der United States Lines Paris Review erschien, sieht der übrigens auch selbst als Dandy behauptete Roland Barthes37 das Ende des Dandyismus aufgrund der wörtlich zu verstehenden Uniformierung durch die Kleidungsindustrie. Nicht weil Konfektionsmode Individualität in der Bekleidung ausschließe, sondern weil sie gerade die Singularität zu einem zentralen, massenhaft produziertem Attribut gemacht habe, bliebe dem Dandy nur noch Radikalität oder Tod.38 Diese Diagnose der Vereinnahmung der Originalität in der Kleidung, die später Ulf Poschardt aufnimmt, wiederholt im Übrigen schon eine Argumentation der Modemagazine aus dem 19. Jahrhundert. Mit dem Unterschied, dass es dort darum ging, dass nun jeder Schneider Brummells Herrenausstatter zu imitieren und sich deswegen als originell auszugeben versucht. Diesem Ende des Dandys durch textile Massenproduktion steht allerdings die Idee eines Dandyismus gegenüber, der sich auch in vestimentärer Hinsicht in immer neuen Verkleidungen zeigt. Barthes zum Beispiel widerspricht in Système de la Mode der eigenen These des Todes durch die Konfektionsmode, wenn er den „dandysme“ als einen von fünf rudimentären Aspekten eben der Konfektionsmode bezeichnet oder im Aufsatz „La cuisine du sens“ von der Jeanshose als „signe d’un certain dandysme adolescent“ spricht.39 Zudem wird Dandyismus gleichermaßen bedeutenden Designern wie Karl Lagerfeld, Ralph Lauren und Yves Saint Laurent zugeschrieben,40 wie auch in einschlägigen Modemagazinen 37 Vgl. zu Barthes sowie Paul de Man und Philippe Sollers als Dandy: Rhonda K. Garelick, Rising Star. Dandyism, Gender, and Performance in the Fin de Siècle, Princeton 1998, S. 126, 164ff.; Pamela Genova, Le Dandysme: Terrorism with Style, in: John T. Booker [u.a.] (Hrsg.), The Play of Terror in nineteenth-century France, Newark 1997, S. 74–94, hier S. 90. 38 Barthes, Roland: Le Dandysme et la Mode [1964], in: Ders., Œuvres Complètes : Bd. I, hrsg. von Éric Marty, Paris 1993–1995, S. 963–966, hier S. 966. Eisenberg folgert daraus: „The bourgeoisie has scorned standardization and has opted for originality. The proliferation of ‚original‘ boutiques has become collective imitation, in other words fashion. In this climate it has thus become impossible for dandy originality to survive.“ Davina Eisenberg, The Figure of the Dandy in Barbey d’Aurevilly’s „Le bonheur dans le crime“, New York 1996, S. 4. 39 Roland Barthes, Système de la Mode [1967], in: Barthes, Œuvres (wie Anm. 38): Bd. III, S. 131– 140, hier S. 132; Roland Barthes, L’aventure sémiologique, Paris 1985, S. 228; vgl. Thomas Hecken, Theorien der Populärkultur, Bielefeld 2007, S. 109. 40 Günter Erbe, Der moderne Dandy, in: Politik und Zeitgeschichte 46 (2004), S. 31–38, hier S. 36; Saisselin, De l’honnête homme au dandy (wie Anm. 2), S. 17. Auch die Werbung für BreguetUhren mit ihrem Zitat von Alexander Puschkins Eugen Onegin (1829) „Ein Dandy spaziert auf den Boulevards, so lange er will, bis ihm seine wachsame Breguet die Mittagszeit zu Ohren bringt“, greift auf den Dandy als Verkörperung von Exklusivität zurück, vgl. die Werbung z. B.
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in regelmäßigen Abständen betont wird, der Dandy-Look sei wieder en vogue, so etwa in der Vogue.41 Wenn etwa das Manager-Magazin vor ein paar Jahren ein „Revival“ des Dandyismus forderte,42 gibt es ungewollt hier das Stichwort: Während einerseits der Tod des Dandys beschworen wird, zeigt sich andererseits in höchst unterschiedlichen Kontexten, hier als stilvoll gekleideter und erfolgsorientierter Manager, die Wiedererweckung des Dandys zu immer wieder neuem Leben und immer wieder anderen Leben in unterschiedlichen Stoffen. Wie sieht denn nun die gegenwärtige Zukunft aus? Welche neuen Dandys gibt es? Oder präziser gefragt: Welche neuen Dandys wird es in Zukunft nicht mehr geben können? Mein Parforceritt durch die verschiedenen nicht möglichen Zukünfte des Dandys, die Frage nach seinen Texten und Textilien hat gezeigt, dass der Dandy sich aus Behauptungen speist. Der Dandy setzt sich selbst, er behauptet sich und erschafft sich aus dem Nichts, wie es bei Barrès heißt, aber Dandys werden auch von anderen – Autoren, Feuilletonisten, Biografen und natürlich auch Wissenschaftlern – gesetzt und behauptet, wie sich etwa auch bei den immer neuen letzten Dandys zeigt.43 Die Massenmedien eignen sich dabei besonders für die Selbstbehauptung und Selbstinszenierung zukünftiger Dandys, wobei ich offen lassen möchte, ob es sich bei solchen Medienstars um „echte“ Dandys oder lediglich um Rückgriffe auf diese Figur handelt: In beiden Fällen sind es Behauptungen und als solche auch zu untersuchen. Ob es nun Image oder echte Pose ist, scheint mir beim Dandy, bei dem Sein und Schein auf ambivalente Weise verschmelzen,44 eine nicht aufrechtzuerhaltende Unterscheidung. Auch die Präsenz des Dandys in den Massenkommunikationsmittel bedeutet nicht zwangsläufig sein Ende, wie dies Hiltrud Gnüg darstellt,45 zum einen, weil wie gezeigt, die Nachrufe des Dandys zum Diskurs, der ihn am Leben erhält, gehören. Zum anderen, weil der Dandy immer schon Produkt medialer Behauptungen gewesen ist, denn bereits die Anekdoten über George Brummell kursierten in erster Linie in schriftlicher
in: Süddeutsche Zeitung vom 4. September 2007, S. 5. 41 http://www.vogue.de/vogue/2/2/content/04040/page2.php (1. 2. 2007) sowie unlängst http:// www.vogue.de/mode/modethemen/mode-trends-dandy-look (31. 10. 2011). Vgl. dazu auch den Artikel von Isabelle Stauffer in diesem Band. 42 http://www.manager-magazin.de/life/mode/0,2828,250691,00.html (1. 2. 2007). 43 Vgl. dazu ausführlich Fernand Hörner, Die Behauptung des Dandys. Eine Archäologie, Bielefeld 2008. 44 An anderer Stelle bezeichne ich dies als „parêtre“, da „être“ (sein) und „paraître“ (Schein) eine unauflösliche Verbindung eingehen, vgl. ebd., S. 118ff. 45 Hiltrud Gnüg, Kult der Kälte. Der klassische Dandy im Spiegel der Weltliteratur, Stuttgart 1988, S. 316.
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Form und wurden so weitergegeben und verarbeitet.46 Günther Erbes Schlussfolgerung, die Zukunft des Dandys könne nur durch Medienabstinenz gesichert werden,47 ließe sich insofern auch als Teil des lebenserhaltenden Diskurses über das Ende des Dandys sehen.
Der Dandy in der Popmusik Während an anderer Stelle schon dandyistische Inszenierungen in der bildenden Kunst, Literatur und im Film untersucht wurden,48 soll nun der Fokus auf die populäre Musik gelegt werden.49 Gerade in der populären Musik wird äußerst erfolgreich ein passendes Gefühl der Dekadenz im Hintergrund erzeugt, vor dem sich der Dandy ablichten lässt. Zum einen erzeugt die Musikwirtschaft seit langen Jahren eine wunderschöne Untergangsstimmung, bei der dem Produkt CD eine ähnlich melancholische Rolle zukommt wie Baudelaires Dandy im Abendrot. Ein Phänomen, das den Musikproduzenten Tim Renner, ehemaliger Vorstandsvorsitzenden der Universal Music Group, 2008 zu der Untersuchung mit dem ironischen Titel Kinder, der Tod ist gar nicht so schlimm. Über die Zukunft 46 Vgl. dazu ausführlich Hörner, Die Behauptung des Dandys (wie Anm. 43), S. 63–108. 47 Vgl. auch den Beitrag von Günther Erbe in diesem Band. 48 Vgl. Fernand Hörner, „Dandysm’s not dead“. Auf- und Abtauchen des Dandys am Beispiel Frédéric Beigbeders, in: Björn Weyand/Alexandra Tacke (Hrsg.), Depressive Dandys. Spielformen der Dekadenz in der Pop-Moderne, Köln 2009, S. 142–159; Fernand Hörner, Der Dandy, in: Stephan Moebius/Markus Schroer (Hrsg.), Diven, Hacker, Spekulanten. Sozialtypen der Gegenwart, Frankfurt a. M. 2010, S. 54–67. 49 Bislang liegen äußerst wenige Untersuchungen zu den Dandys in der Popmusik vor. Erstaunlich dabei ist allerdings, dass die existierenden Beiträge, wie etwa unlängst Stan Hawkins Untersuchung The British Pop Dandy (London 2011), oder auch Garelick, Rising Star (wie Anm. 37) und Feldman (Jessica R. Feldman, Gender on the Divide. The Dandy in Modernist Literature, Ithaca 1993) Dandyismus ausschließlich als eine Form ambivalenter Genderinszenierung konzipieren. Hawkins macht dieses genderplay im Übrigen auch hauptsächlich an den Liedtexten und ihrer stimmlichen Präsentation sowie an der visuellen Inszenierung fest, also auch im Spannungsfeld zwischen Texten und Textilien. Allerdings stellt sich doch die grundsätzliche Frage, ob Dandyismus notwendig und hinreichend mit dem Spiel der Geschlechterrollen beschrieben ist. Ohne dies hier weiter ausführen zu wollen, lässt sich auch in Bezug auf Sex und Gender eine ähnliche Ambivalenz feststellen, wie in Bezug auf Texte und Textilien. Vom asexuellen Brummell, der sich niemals zu einer Gefühlsregung hinreißen ließ, zum virilen Verführer à la Byron oder dem Dandy Mephistoteles, über den sexuell aufgeladenen Black Dandy, homosexuelle Dandys, Playboy-Dandys und natürlich weibliche Dandys reicht die Palette an höchst unterschiedlichen Genderzuschreibungen. Die Rolle des effeminierten Provokateurs ist dabei nur eine von vielen. (Vgl. dazu ausführlich Hörner, Die Behauptung des Dandys [wie Anm. 43], S. 260–271.)
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der Musik- und Medienindustrie verleitet hat. An anderer Stelle kommentiert er die Krise, analog zu den diversen Untergängen des Dandys, lapidar mit: „Eigentlich ist es total langweilig, die Geschichte wiederholt sich lediglich […].“50 Vor dem Hintergrund dieser Warnungen vor dem (und den) vernichtenden Klauen von Raubkopien und Ähnlichem können sich Superstars als letzte Relikte einer grandiosen Zeit inszenieren: Noch einmal eine CD kaufen, auf ein Konzert gehen, bevor alles vorbei ist. Ein ähnliches Mittel, eine solche Stimmung beim Konsumenten zu erzeugen, ist übrigens auch die Ankündigung einer allerletzten Tour vor dem Ruhestand, wie es etwa die Rolling Stones erfolgreich seit gefühlt 20 Jahren immer wieder versprechen, aber nie einhalten. Auch hier gibt es immer wieder die neue allerletzte Tour.51 Neben der Musikwirtschaft erzeugt die Popmusik aber auch selbst diese Untergangsstimmung. Noch zugespitzter als beim Dandy zeigt sich hier, wie das Leugnen der eigenen Existenzberechtigung das Überleben sichert. Exemplarisch sei nur für Großbritannien die britische Pop-Band Pop will eat itself genannt, deren Name zu einem geflügelten Wort geworden ist, und für Deutschland der Song und das Album Pop ist tot der Band Die Braut haut ins Auge.52 Noch zugespitzter als beim Dandy verläuft das Totsagen hier selbstreferenziell, eine Popband verkündet den Tod des Pop. Die Geschichte der Diskussion um die Zukunft des Pop führt Sebastian Peters in seinem Überblick zur Geschichte deutscher Popmusik dazu, sich in unserem Sinne zu fragen: „Je häufiger die Kritiker die These vom Ende der Popkultur äußern, desto drängender stellt sich die Frage: Ist nicht jeder Versuch einer Beerdigung der Popkultur konsequent eine Revitalisierung derselben?“53 Für die nötige Untergangsstimmung ist also in der Musik gesorgt. Wie aber sieht es mit der ambivalenten Verortung zwischen Texten und Textilien aus, bei einem Dandy, der erstens gleichzeitig nur sich selbst schafft und doch auch textet, zweitens gleichzeitig nicht auf die Mode zu reduzieren ist und diese doch für seine Inszenierung braucht?
50 Tim Renner, Kinder, der Tod ist gar nicht so schlimm. Über die Zukunft der Musik- und Medienindustrie, Berlin 2008: http://www.motor.de/motorblog/tim.renner/tim_renner_das_ ende_der_krise_der_musikwirtschaft.html (31. 10. 2011). 51 Die vorläufig letzte Tournee soll 2012 zum 50-jährigen Bestehen stattfinden: http://www.newser.com/story/96410/50th-anniversary-tour-will-be-rolling-stones-last.html (31. 10. 2011). Bereits 1997 antwortete der Gitarrist Keith Richards auf die Frage, ob die „Bridges to Babylon“-Tour 1997/1998 die letzte sei, selbstironisch: „Yeah, this and the next five“: http://www.nyrock.com/ rolling_stones.htm (31. 10. 2011). 52 Die Braut haut ins Auge, Pop ist tot, BMG Ariola, 1998, 74321 57936 2. 53 Sebastian Peters, Ein Lied mehr zur Lage der Nation. Politische Inhalte in deutschsprachigen Popsongs, Berlin 2010, S. 9.
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Die Verortung zwischen Texten und Textilien fällt im Hinblick auf einen Popmusiker auf den ersten Blick natürlich leicht. Nirgendwo anders als in der multimedialen Sphäre der populären Musik lässt sich die Produktion von Texten und Textilien derart einprägsam kombinieren. Auf der einen Seite das Textuelle: Gerade bei den Liedtexten lässt sich hervorragend eine wohlüberlegte Selbstdarstellung mit der Geste des aus dem Nichts geschaffenen Textes in Einklang bringen. Wer würde sich schon ernsthaft vorstellen, dass zum Beispiel das Reimpaar „miese Schlampe/Energiesparlampe“ (Jan Delay) Ergebnis einer langen harten Arbeit am Schreibtisch ist? Ähnliches gilt auch für alle Arten von Paratexten, auf CD-Booklets oder natürlich auch in Form von Interviews etc. Auch dort wird die Illusion aufrechterhalten, es handle sich um einen spontanen, ohne jede Anstrengung unternommenen Ausdruck von Dandyismus, egal wie stark Künstler und/oder Agenten im Vorfeld und im Nachhinein an den produzierten Texten mit- und darauf hinwirkten. Auf der anderen Seite das Textile, das sich durch Plattencover, Auftritte, Musikvideos etc. hervorragend als unnachahmliche Nachahmung inszenieren lässt. Auch hier liegt auf der Hand, dass das Äußere des Dandy-Musikers die Rezeption der Musik entscheidend prägt und sich doch gleichzeitig als sekundär präsentiert. Wer würde schon sagen, er hört gerne Jan Delay, weil er vermutlich als einziger Popmusiker in Deutschland auffällige Anzüge trägt? Andererseits, wenn man diesen einmal gesehen hat, zum Beispiel beim Eurovision Song Contest 2011, kann man diese Musik nicht mehr hören, ohne Jan Delay vor dem inneren Auge als Dandy das Szepter schwingen zu sehen. Neben dem visuellen Eindruck des Textilen zeigt sich die Selbstbehauptung des Dandys auch im Textuellen, wo bezeichnenderweise wiederum auch das Textile selbstreferenziell in Szene gesetzt ist/wird, etwa wenn es heißt: „Ich bin halb wie B-Boy und halb Bohème, ich walk in Lacoste und Ralph Lauren.“54 Auch die Fortschreibung des von Hiltrud Gnüg beschriebenen „Kult der Kälte“, wird hier in Form hanseatischer Coolness beschworen, wenn sich Jan Delay im Sinne von Charles de Montesquieus Klimatheorie, die sich auch bei Germaine de Staël wiederfindet,55 als Ergebnis hanseatischer Wetterverhältnisse als „verdammt cool weil ein Hanseat“ darstellt. Neben dem Hinweis auf die finanziell bemitleidenswerte Situation des Künstlers und dem Appell Gema-Gebühren zu zahlen, weist 54 Alle, auch folgende Zitate aus: Jan Delay, Klar, Auf: Mercedes Dance, Universal 2006, 0602517043954. 55 Vgl. Charles de Secondat, Baron de Montesquieu, „De l’Esprit des Lois“ [1748], in: Œuvres Complètes: Bd. 2, hrsg. von Roger Caillois, Paris 1966, S. 227–1117, hier S. 474–487; Germaine de Staël, De l’influence des passions sur le bonheur des individus et des nations [1796], in: Œuvres Complètes de Madame la Baronne de Staël-Holstein: Bd. 1, Genf 1967 [1861], S. 107–176.
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uns der Autor zu guter Letzt noch darauf hin, dass ihm, ähnlich wie Byron, alles nur so zugeflogen sei. Seine Einfälle seien keineswegs das Ergebnis harter Arbeit, sondern Ausdruck von Genie: Und während ihr in der Kneipe sitzt und jammert, dass das Leben Scheiße ist (ja) Da sitz ich hier (mit) Stift und Papier (und) der eine jagt den nächsten Geistesblitz
Natürlich lässt sich einwenden, dass dies alles, wenn überhaupt, doch ein sehr nahe liegender Dandyismus ist, der sich nicht in Nuancen, sondern höchst marktschreierisch äußert. Auch stellt sich die Frage, ob sich das je ne sais quoi des Dandys erhalten lässt, wenn er ununterbrochen textet, was ihn alles in textiler und anderer Hinsicht auszeichnet. Aber: Ein besseres Beispiel für aktuelle Dandys habe ich nicht gefunden. Daraus lässt sich natürlich folgern, dass das wahre Ende des Dandys nun wirklich unwiederbringlich gekommen ist, wenn es heutzutage nichts Besseres mehr gibt. Ich würde dem vehement widersprechen. Es bleibt die Frage, ob meine Weigerung, den Untergang des Dandys zu beschwören, im Grunde nicht doch der einzig wirksame Versuch ist, sein Ableben zu befördern – da ja, wie gezeigt, die Nachrufe im Grunde nur sein Überleben sichern. Insofern wäre meine positive Zukunftsvision des Dandys vielleicht nur eine paradoxe Art, ihn totzusagen. Aber vielleicht ist dieser Nachruf auf die Nachrufe des Dandys auch eine Lebenserhaltungsmaßnahme der Nachrufe?
Rezeptionen
Gernot Krämer
„Frucht dieser allzusehr gebrandmarkten Eitelkeit“ Jules Barbey d’Aurevilly und George Brummell Dem britischen Dandy George Bryan Brummell (1778–1840), der als Begründer der modernen Herrenmode gilt, haben etliche Schriftsteller, Biografen und Essayisten mehr oder weniger ausführliche Darstellungen gewidmet, doch nur eine davon hat es zu einem gewissen, bis heute währenden Ruhm gebracht. Sie ist es auch, welche die Vorstellung, Brummell sei die Inkarnation des Dandytums und mit ihm gewissermaßen identisch gewesen, wenn nicht begründet, so doch festgeschrieben hat. Schon im Titel Du Dandysme et de George Brummell wird diese Gleichsetzung lanciert. Der Verfasser dieser Schrift, der überaus produktive Romancier und Publizist Jules Barbey d’Aurevilly, hätte sich wohl nicht träumen lassen, dass er mit seinem Büchlein, das 1844 als Privatdruck in einer Auflage von 30 Exemplaren erschien, mehr und dauerhaftere Resonanz finden würde als mit allen seinen in Dutzenden Bänden gesammelten kritischen Schriften. Immerhin kamen zu seinen Lebzeiten noch zwei weitere Auflagen heraus, und für beide ergänzte und erweiterte er den Text. Der Plan zu einer großen Studie über das Dandytum in der Literatur, in der es unter anderem um Fürst Charles Joseph de Ligne, Stendhal und Lord George Gordon Byron gehen sollten, wurde dagegen nie verwirklicht und belegt nur, wie intensiv ihn die Figur des Dandys auch neben seinen an Dandy-Gestalten reichen Romanen beschäftigt hat. Der Autor, 1808 in der normannischen Kleinstadt Saint-Sauveur-le-Vicomte als Jules Barbey geboren, kam aus einer katholisch-royalistischen Familie. Auf Wunsch seines Vaters studierte er Jura in Caen, wo er erste Erzählungen schrieb und in zwei kurzlebigen, gemeinsam mit seinem Freund Guillaume-Stanislas Trébutien gegründeten Zeitschriften veröffentlichte. Zu dieser Zeit bekannte sich Barbey, ob aus Überzeugung oder bloß aus Protest gegen die väterliche Bevormundung, zur Demokratie und zur Weiterführung der sozialen Bewegung von 1789 und lehnte es ab, den Adelsnamen d’Aurevilly zu tragen, auf den er nach dem Tod seines Großonkels Anspruch gehabt hätte. Dieser hinterließ ihm ein kleines Vermögen, das es ihm ermöglichte, nach dem Studienabschluss 1833 nach Paris zu gehen, wo er das Leben eines Dandys führte und sich als Journalist versuchte – dies besonders, nachdem er das geerbte Vermögen in nur drei Jahren durchgebracht hatte. Als das Geld zu Ende war und ihm nur noch die mageren Einkünfte
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aus seinen Artikeln blieben, besann er sich auf den anderen Teil des Erbes, den Adel nämlich, und nannte sich Barbey d’Aurevilly. Auch politisch wechselte er die Seiten – nun ist in seinem Tagebuch von Demokratie als der Herrschaft des Gemeinen die Rede. Viele Jahre lang sah er seine Zukunft in der Diplomatie und bemühte sich um Anerkennung als politischer Publizist. Sie blieb ihm ebenso versagt wie diejenige als Schriftsteller, denn nur wenige seiner literarischen Arbeiten wurden damals veröffentlicht, und wenn, dann entweder an entlegener Stelle oder zu extrem ungünstigen Konditionen, wie sein erster großer Roman Die alte Mätresse (1851), dessen Annahme durch den Verleger Cadot ihm mit den Worten: „Er nimmt Sie, aber er bezahlt Sie nicht!“1 mitgeteilt wurde. Im April 1843 plante er für das Modejournal Le Moniteur de la Mode einen Artikel über Brummell, und wie es seine Gewohnheit war, beauftragte er seinen unbegreiflich fügsamen Zuarbeiter Trébutien mit Erkundigungen über ihn. Tatsächlich hatte Brummell bis zu seinem Tod wenige Jahre zuvor in Caen, dem Wohnort Trébutiens, gelebt, und Barbey erwähnt, dass auch er ihn dort gesehen habe.2 Neben der – wenn auch flüchtigen – persönlichen Erinnerung und dem Wunsch, sein eigenes Dandytum ironisch zu reflektieren, ist ein Motiv für Barbeys Beschäftigung mit Brummell sicher nicht zu unterschätzen: der Umstand, dass er ein weiteres Bindeglied zwischen dem in vielerlei Hinsicht bewunderten England und seiner normannischen Heimat darstellte. Barbey verwies gern auf die gemeinsame Abkunft von den Wikingern, schwärmte für englische Literatur, vor allem Shakespeare, Scott und Byron, und sah in England die Nation, die französischen Revolutionsflüchtlingen und Royalisten dankenswerterweise Asyl gewährt hatte. Bei ihrer Rückkehr brachten diese meist adligen Emigranten ihre in England angenommenen Gewohnheiten mit – vom Teetrinken bis zur Kleidermode – und verstärkten so eine ohnedies vorhandene Anglomanie, die der Nachahmung des Dandytums besonders günstig war. Ein kultureller Einfluss, den Barbey unter anderem in seinem Roman Der Chevalier des Touches (1854) beschrieben hat. Seinen Beitrag über Brummell, den schließlich weder der Moniteur de la Mode noch eine der anderen angefragten Zeitschriften drucken wollte, brachte 1845 der treue Trébutien heraus, die 30 Exemplare gingen an wenige Auserwählte. Barbey beginnt seinen brillanten, mit vielen hübschen Aphorismen gespickten Essay 1 Edmond de Goncourt, Journal, Bd. III, Paris 1956, S. 454: „Il vous prendra, mais ne vous payera pas!“ (12. Mai 1885). Zit. nach Jules Barbey d’Aurevilly, Über das Dandytum und über George Brummell, Berlin 2006, S. 131. 2 Brief von Barbey an Trébutien vom 6. Mai 1843, in: Jules Barbey d’Aurevilly, Correspondance générale, Bd. I, Paris 1980, S. 68. Vgl. auch Kapitel X seines Brummell-Essays: Barbey d’Aurevilly, Über das Dandytum (wie Anm. 1), S. 59.
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mit einer halb ironischen, halb ernsten Verteidigung der Eitelkeit, die er unter Hinweis auf ihren gesellschaftlichen Nutzen zu rehabilitieren sucht: Der Wert eines Gefühls hängt von seiner sozialen Bedeutung ab. Was aber könnte von größerem Nutzen für die Gesellschaft sein als der stete Drang nach Anerkennung durch die anderen, der unstillbare Durst nach dem Beifall des Publikums, der sich im großen Maßstab Ruhmsucht nennt und im kleinen Eitelkeit?3
Liebe, Freundschaft oder Stolz beruhten auf der Hinwendung zu einer oder mehreren anderen Personen, nur die Eitelkeit schließe alle ein. Die Durchtriebenheit der Argumentation wird erst dann so recht ersichtlich, wenn man den Furor mitdenkt, mit dem sich Barbey sonst stets gegen den Utilitarismus seiner Zeitgenossen aufgelehnt hat. Dass gerade England zur Wiege des Dandytums werden konnte, liegt Barbey zufolge an der bedrückenden Konventionalität und Langweiligkeit der in Regeln erstarrten englischen Gesellschaft, die bereit war, jene zu honorieren und sogar zu hofieren, die ihr Abwechslung und Unterhaltung boten und dabei Anmut und Kühnheit im Umgang mit den Grenzen des Anstands an den Tag legten. Nirgendwo hat sich der Antagonismus zwischen dem Anstand und der Langeweile, die er erzeugt, in den Sitten so deutlich bemerkbar gemacht wie in England, in der Gesellschaft der Bibel und des Rechts, und vielleicht hat die tiefe Originalität dieser puritanischen Gesellschaft […] ihren Ursprung in diesem erbitterten Kampf.4 Das Dandytum […] spielt mit der Regel und respektiert sie doch. Es leidet an ihr und rächt sich, während es sich fügt, es beruft sich auf sie, während es sie übertritt.5
So dargestellt, erinnert die Funktion des Dandytums von ferne an die des Hofnarren. Gewiss: Barbey d’Aurevilly geht nicht so weit, diesen Vergleich selbst anzustellen, hätte ihn aber vielleicht nicht abwegig gefunden – er, der die „Moraltrom3 Barbey d’Aurevilly, Über das Dandytum (wie Anm. 1), S. 19f. Hervorhebungen in Barbeyd’Aurevilly-Zitaten sind stets von ihm selbst. „Ce qui fait la valeur des sentiments, c’est leur importance sociale; quoi donc, dans l’ordre des sentiments, peut être d’une utilité plus grande pour la société, que cette recherche inquiète de l’approbation des autres, que cette inextinguible soif des applaudissements de la galerie, qui, dans les grandes choses, s’appelle amour de la gloire, et dans les petites, vanité?“ (Œuvres romanesques complètes, Bd. II, Paris 1966, S. 669). 4 Ebd., S. 28f. „Nulle part l’antagonisme des convenances et de l’ennui qu’elles engendrent ne s’est fait plus violemment sentir au fond des mœurs qu’en Angleterre, dans la société de la Bible et du Droit, et peut-être est-ce de ce combat à outrance […] qu’est venue l’originalité profonde de cette société puritaine.“ (Œuvres romanesques complètes, Bd. II, S. 674). 5 Ebd., S. 30. „Le Dandysme […] se joue de la règle et pourtant la respecte encore. Il en souffre et s’en venge tout en la subissant.“ (Œuvres romanesques complètes, Bd. II, S. 675).
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peterei“ und den gravitätischen Ernst seiner Zeitgenossen verlachte und ihnen die geistvolle Anmut von Clowns und Zirkusartisten entgegenhielt. Erst im neunten Kapitel geht Barbey d’Aurevilly näher auf Brummell ein, stellt ihn dem Leser vor und erzählt seine Biografie: Brummell, geboren 1778 in London, entstammte einer bürgerlichen Familie und war der Sohn eines Sekretärs, der dem britischen Premierminister Lord Frederick North diente und nach dessen Sturz Sheriff in Berkshire wurde. Brummell wurde in Eton erzogen, wo er sich durch seine Eleganz und guten Manieren auszeichnete. Man nannte ihn dort „Buck Brummell“, das Wort Dandy war noch nicht gebräuchlich. Dann ging er nach Oxford. Was er dort eigentlich studierte, scheinen weder Barbey d’Aurevilly noch andere Biografen der Erwähnung wert gefunden zu haben; jedenfalls trat er danach als Fähnrich ins 10. Husarenregiment ein, das der Prince of Wales befehligte. Der sah in dem gutaussehenden und intelligenten jungen Mann eine Art Geistesbruder, denn auch er hielt sich viel auf seine guten Manieren und auf seine Eleganz zugute. Der Prinz und spätere König George IV. schätzte Brummell, wie Barbey schreibt, für „die feinste und gewagteste Mischung aus Unverschämtheit und Respekt, vollendeten Geschmack und geistvolle Schlagfertigkeit“6, machte ihn zu seinem Günstling und führte ihn in die elegante Welt ein. Er sah großzügig darüber hinweg, dass Brummell als Soldat wenig taugte, Befehle missachtete und sich der Verlegung seines Regiments nach Manchester kurzerhand durch Quittieren des Dienstes entzog. Damit begann seine etwa 20 Jahre währende Laufbahn als „arbiter elegantiarum“, seine geradezu diktatorische Herrschaft in Fragen der Kleidung und des guten Geschmacks. Brummell, der vom Erbe seines Vaters auskömmlich leben, aber nicht mit adligen Freunden konkurrieren konnte, bevorzugte einen schlichten Kleidungsstil, wie er sich in England, anders als im vorrevolutionären Frankreich, schon im Laufe des 18. Jahrhunderts eingebürgert hatte, verstand es aber, durch Eleganz des Schnitts und peinlich genaue Zusammenstellung der Details eine außerordentliche Wirkung zu entfalten. Er trug stets einen blauen Frack, je nach Tageszeit weiße oder gelbe Westen, darauf abgestimmte helle oder dunkle Pantalons sowie Husarenstiefel oder Lackschuhe. Der größte, entweder gar nicht oder nur dem Kenner ins Auge springende Aufwand galt jedoch der gestärkten Halsbinde, die in der Regel erst nach vielen Versuchen – man musste jedes Mal eine neue nehmen – die optimale Passform hatte. Barbey vermerkt, dass Brummel seine Handschuhe von vier verschiedenen Schneidern anfertigen ließ – einer für den Daumen und drei für die anderen Finger. Er verwahrt sich aber gegen die Vor6 Ebd., S. 48. „Le plus fin et hardi mélange d’impertinence et de respect, enfin le génie de la mise, protégé par une repartie toujours spirituelle.“ (Œuvres romanesques complètes, Bd. II, S. 684).
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stellung, ein Dandy sei eine Art Schneiderpuppe. Erst eine bestimmte Art, Kleider zu tragen, mache ihn aus; die Kleider selbst seien nebensächlich. In einer 1861 für die zweite Ausgabe hinzugefügten Fußnote gibt Barbey sogar Beispiele dafür, dass dandyistisches Verhalten darin bestehen kann, sich provozierend schlecht anzuziehen. Brummell kleidete sich mehrmals am Tag neu ein und verbrachte Stunden damit. Barbey d’Aurevilly, der modisch keineswegs dem Vorbild Brummells folgte, tat es ihm nach. So schreibt er am 7. Februar 1837 in sein Tagebuch: „Den ganzen Tag nichts gegessen, weil ich abends in Gesellschaft ging. – Zwei Stunden mit der Toilette verbracht, wie ein hochintelligenter Mensch, der ich ja bin.“7 Und er verweilt bei Brummells Alkoholkonsum, der freilich für seine Zeit nicht ungewöhnlich war und den er als ein weiteres Symptom einer sich langweilenden Gesellschaft begreift. Es komme allerdings darauf an, die Gefahr eines Kontrollverlusts durch Trunkenheit zu bannen, und das sei Brummell vorzüglich geglückt: „[S]elbst mit einem Fuß über dem schwindelnden Abgrund des Rauschs blieb er Herr seiner Späße, seiner Eleganz.“8 Ein vergleichbares Zeugnis stellt Barbey sich selbst aus, indem er am 3. Dezember 1836 während seiner letzten Normandiereise vor dem Bruch mit seiner Familie in sein Tagebuch notiert: Ich gab die ganze Zeit den Alkibiades. Ich trank mehr als diese trinkfesten Normannen. Sie wunderten sich, dass ein effeminierter Mann meiner Größe, ein Dämchen aus Paris, besser als sie den hochprozentigen Likören standhielt. – Und doch, so war es. Aber damit habe ich jetzt Schluß gemacht und kehre zu meinem System pythagoräischer Nüchternheit zurück – ohne große Anstrengung, wie bei allem. Wenn man auf nichts Lust hat, kann man auf alles leicht verzichten.9
Barbey legt großen Wert auf die Feststellung, dass es sich bei Brummell eigentlich um einen Intellektuellen handelte – „intellektuell bis in seine besondere Art von Schönheit“10 – und dass seine Eleganz und seine Umgangsformen nur symboli7 „N’ai rien mangé de toute la journée parce que j’allais dans le monde le soir. – Passé deux heures à ma toilette, comme une grande intelligence que je suis.“ Jules Barbey d’Aurevilly, Premier Memorandum, in: Œuvres romanesques complètes, Bd. II, S. 819f. (Übersetzung G. K.). 8 Barbey d’Aurevilly, Über das Dandytum (wie Anm. 1), S. 56. „Mais alors, même le pied engage dans le tourbillonnant abîme de l’ivresse, il y restait maître de sa plaisanterie, de son élégance“ (Œuvres romanesques complètes, Bd. II, S. 690). 9 „J’ai joué l’Alcibiade tout ce temps. J’ai bu plus que ces Normands grands buveurs. Ils s’étonnaient qu’un efféminé de ma taille, un damoiseau de Paris, résistât mieux qu’eux aux liqueurs fortes. – Et cela a été cependant. Mais j’ai fini, et je vais revenir à mon système de sobriété pythagorique, – sans grand Effort, comme je fais toutes choses. Quand on a gout à rien, on laisse aisément tout.“ Barbey d’Aurevilly: Premier Memorandum (wie Anm. 7), S. 784. (Übersetzung G. K.). 10 Barbey d’Aurevilly, Über das Dandytum (wie Anm. 1), S. 58. „[I]ntellectuel jusque dans le
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scher Ausdruck dieser Überlegenheit waren. Einen anderen Ausdruck suchte sie freilich auch nicht. Brummell ist für ihn gerade deshalb die idealtypische Verkörperung des Dandys, weil er nur Dandy und nichts anderes war, weder Geschäftsmann noch Militär, weder Politiker noch Autor. Er hinterließ nichts außer einer Sammlung von Schnupftabakdosen, und doch prägte er eine ganze Epoche. Die Faszination, die er ausübte, spiegelt sich in den Schlüsselromanen Pelham, or The Adventures of a Gentleman (1828) von Edward Bulwer-Lytton und Granby (1826) von Thomas Henry Lister, deren Helden ihm nachgebildet sind. Gerade die Immaterialität seines Einflusses auf die Gesellschaft, auf ihre Vorstellungskraft, scheint es Barbey besonders angetan zu haben, und so gibt sein Kommentar zu Byrons Ausspruch, er wäre lieber Brummell gewesen als Napoleon, sicher auch seine eigene Meinung wieder: „Als Dichter, als Mann der Phantasie, war er beeindruckt von Brummells Macht über die Phantasie einer heuchlerischen und ihrer Heuchelei überdrüssigen Gesellschaft.“11 Brummell verkehrte in den exklusiven Londoner Clubs, bei Almack’s, bei White’s, und stand mit zwei Lords dem besonders exklusiven Watier’s Club vor. „Zwischen 1799 und 1814“, schreibt Barbey, „gab es in London keine mondäne Gesellschaft und kein Fest, bei dem die Anwesenheit des großen Dandys nicht als ein Triumph, sein Fehlen nicht als eine Katastrophe angesehen worden wäre.“12 Doch in seiner scheinbar unangefochtenen Stellung begann sich Brummell zu überschätzen; er ließ seiner Spottlust auch gegenüber dem zunehmend korpulenten Prince of Wales und seinen Liebschaften freien Lauf. Man erzählte sich, dass er im Hyde Park auf den Thronfolger zeigte und „Wer ist der dicke Kerl?“ fragte.13 Zudem häufte er Spielschulden an, die ihn am 16. Mai 1816 zur Flucht aus England zwangen. Brummell ließ sich in Calais nieder und lebte von den Resten seines Vermögens und der Unterstützung reicher Freunde, die ihn anfangs regelmäßig besuchten. Doch seine Mittel wurden immer geringer. Eine Zeitlang konnte er den eigens für ihn eingerichteten Posten eines englischen Konsuls in Caen bekleiden, für den er aber so wenig geeignet war, dass er ihn wieder verlor. Zur Armut kam schließlich eine Geisteskrankheit; Brummell wurde ins Hospital zum Saint-Sauveur in Caen eingewiesen. genre de beauté qu’il possédait“ (Œuvres romanesques complètes, Bd. II, S. 692). 11 Ebd., S. 34. „Poète, homme de fantaisie, il était frappé, parce qu’il pouvait en juger, de l’empire de Brummell sur la fantaisie d’une société hypocrite et lasse de son hypocrisie.“ (Œuvres romanesques complètes, Bd. II, S. 677). 12 Ebd., S. 65. „De 1799 jusque vers 1814, il n’y eut pas de raout à Londres, pas de fête où la présence du grand Dandy ne fût regardée comme un triomphe et son absence comme une catastrophe.“ (Œuvres romanesques complètes, Bd. II, S. 697). 13 Ebd., S. 72. (Œuvres romanesques complètes, Bd. II, S. 702).
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Als Barbey d’Aurevilly im Oktober 1856, 16 Jahre nach Brummells Tod, das Hospital besuchte, weil er seinen Romanhelden Jacques Destouches (Le Chevalier Des Touches, 1864) sehen wollte, der dort in geistiger Umnachtung lebte, sah er auch den Pavillon, in dem Brummell am Ende seines Lebens wohnte, und notierte in sein Tagebuch: Der Biograph14 und der Arzt dieses Mannes – den George IV. liebte und den Byron beneidete – waren beide anwesend, drei Schritte von der letzten Bühne dieses Gotts der Mode, dessen Bühne England war – und der Arzt teilte dem Biographen so erniedrigende Einzelheiten über den einstigen Beau mit, dass man sie selbst hier, in diesem intimen Memorandum, unmöglich wiederholen kann.15
Wahrscheinlich weil er sich durch den Brummell-Essay dafür qualifiziert hatte – Auszüge waren in der Zeitschrift La Sylphide erschienen –, durfte Barbey d’Aurevilly im Herbst 1845 für verschiedene Zeitungen über Herrenmode schreiben. Im Constitutionnel veröffentlichte er am 1. September einen wenig bekannten Artikel, der direkt an die Reflexionen anschließt, zu denen ihm Brummell Anlass gegeben hatte: Blau wird diesen Winter in der Herrenmode en vogue sein. Es war die Lieblingsfarbe Brummells, des großen neuzeitlichen Dandys. Nie verzichtete er auf diese Farbe, die sein Purpur war. Er trug sie noch im Exil und im Niedergang. Die Mode, die inzwischen davon abgekommen war, wendet sich ihr jetzt wie nach einem Schmollen wieder zu. Das Gute an der Mode ist, daß sie nie mit ihren alten Freunden bricht. Sie verläßt sie nur, um wiederzukommen. Sie bringt es aus Launenhaftigkeit zu Treue. Wir schätzen blaue Kleider vor allem deshalb, weil sie nicht schwarz sind, weil Schwarz der Erstickungstod jeder Farbe ist, und weil schwarzgekleidete Männer im Salon auf uns stets wie eine Methodisten-Kongregation wirkten, die sich bei der Predigt langweilt. War es nicht Sterne – wenn nicht er, dann sein Bruder –, der mit gewohntem Scharfblick behauptete, die Kleiderfarbe habe einen weit größeren Einfluß auf den Geist des Menschen, der sie trägt, als man zu glauben scheine? […] Außerdem meinen wir, dass Blau, eben weil es eine Farbe ist, den Weg zu allen seinen Nuancen eröffnet, und schon haben wir Abwechslung, also das, was der Herrenmode bislang am meisten fehlte. Man stand unter der Willkürherrschaft einer einzigen Farbe, die nicht mal eine war, und das war absurd, denn die Kunst, die den Schöpfungen der Mode eine Seele gibt, kann zwar Vorlieben haben, darf aber nichts ausschließen. Unserer Ansicht nach ist man in einem sogenannten Phantasieanzug im förmlichsten Sinn des Wortes genauso gut angezogen wie in der sattsam bekannten schwarzen Uniform, und wir halten den Beiklang
14 Der Biograf ist Barbey d’Aurevilly selbst. 15 „L’historien et le médecin de cet homme – qu’avait aimé George IV et qu’avait envié Byron – étaient là, à trois pas du dernier théâtre de ce dieu de la Mode, qui avait eu l’Angleterre pour théâtre, – et le médecin donnait à l’historien des détails si dégradants pour l’ancien Beau, que même ici, dans ce Mémorandum intime, il est impossible de les répéter.“ Jules Barbey d’Aurevilly, Troisième Memorandum, in: Œuvres romanesques complètes II, S. 1056. (Übersetzung G. K.).
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stiller Duldung in dem Wort Phantasieanzug sogar für eine Frechheit; denn was gibt es schließlich Reizenderes, Heiligeres, Souveräneres auf dem Feld der Mode als die Phantasie, wenn sie im Licht des Wahren bleibt? In einer Gesellschaft, die wie unsere zunehmend langweiliger wird, muß man stets für die Phantasie die Klinge kreuzen!16
In seinem Vorwort zur Neuauflage des Brummell-Essays von 1861 spricht Barbey d’Aurevilly aus der Perspektive des – noch immer vom Dandytum faszinierten – Renegaten und behauptet: „Der Autor des Buchs Über das Dandytum und über George Brummell war kein Dandy (und die Lektüre wird hinreichend klären, warum nicht).“17 Das haben seine Zeitgenossen anders gesehen, die ihn bis ins Alter meist als Dandy beschrieben. Richtig ist allerdings, dass er sich schon rein äußerlich sehr von Brummells Erscheinung unterschied. Von dessen Ideal der Unauffälligkeit hielt er nicht viel, eiferte ihm jedenfalls nicht nach; er bewahrte etwas von der Prachtentfaltung des Ancien Régime und scheute auch vor Exzentrizitäten nicht zurück, die von Journalisten, Tagebuchschreibern und Karikaturisten dankbar aufgegriffen wurden. So schreibt Edmond de Goncourt am 12. Mai 1885 über eine Begegnung mit dem 76-jährigen Barbey d’Aurevilly:
16 „Le bleu sera pour les hommes la couleur en vogue cet hiver. C’était la couleur chère à Brummell, le grand dandy des temps modernes. Jamais il n’abdiqua cette couleur qui fut sa pourpre. Il la porta même en exil et sur son déclin. La Mode, qui l’a abandonnée, va y revenir, comme on y revient après une bouderie. Ce qu’il y a de bon dans la Mode, c’est qu’elle ne rompt jamais avec ses vieux amis. Elle ne les quitte que pour les reprendre. À force de caprices, elle arrive à la fidélité. Nous, nous aimons surtout que le bleu soit porté parce qu’il n’est pas noir, que le noir est la mort, par étouffement, de toute couleur, et que les hommes dans un salon, avec leurs vêtements noirs, nous ont toujours fait l’effet d’une congrégation méthodiste qui s’ennuyait au sermon. N’est-ce pas Sterne – si ce n’est pas lui, c’est donc son frère – qui a soutenu avec une acuité d’observation ordinaire que la couleur d’un vêtement a une bien plus grande influence qu’on a l’air de le croire, sur l’esprit de l’homme qui le porte? […] Du reste, […] nous dirons que le bleu, par cela même qu’il est une couleur, mène à toutes ses nuances, et que voilà déjà de la variété, c’est à dire ce qui a le plus manqué à la toilette des hommes jusqu’ici. On a été dominé par le despotisme d’une seule couleur qui n’en était pas une, et cela était absurde, car l’art qui donne l’âme aux créations de la Mode, peut avoir des préférences, mais ne doit jamais avoir d’exclusions. Selon nous, on est aussi habillé dans le plus cérémonieux du mot, avec un habit de caprice, comme l’on dit, qu’avec l’uniforme noir porté trop longtemps, et nous trouvons même impertinente l’espèce de tolérance qu’on met dans ce mot: habit de caprice; car, en fin de compte, qu’y at-il de plus charmant, de plus sacré, de plus souverain sur le terrain de la mode que le caprice, quand il reste dans la lumière du vrai? Avec une société qui tourne à l’ennui comme la nôtre, c’est pour le caprice en toutes choses, qu’il faut se croiser!“ Zit. nach Mélanie Leroy-Terquem, Barbey d’Aurevilly contre son temps, Saint-Lô 2008, S. 29. (Übersetzung G. K.). 17 Barbey d’Aurevilly, Über das Dandytum (wie Anm. 1), S. 13. „L’auteur du Dandysme et de George Brummell n’était pas un dandy (et la lecture de ce livre montrera suffisamment pourquoi).“ (Œuvres romanesques complètes II, S. 1437).
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Abendessen bei Daudet mit Barbey d’Aurevilly, den ich zum ersten Mal in familiärerem Rahmen treffe. Er ist in einen Gehrock gekleidet, dessen Schöße seine Hüften verbreitern, als sei darunter eine Krinoline, und trägt eine Hose aus weißer Wolle, bei der es sich anscheinend um eine Flanell-Unterhose mit Fußriemen handelt.18
Und sein Freund Paul Bourget erinnerte sich 1909 anlässlich seines zwanzigsten Todestages: Er präsentierte sich […] in Hausgewändern, die noch gewagter waren als sein Aufzug außer Haus, darunter eine Bluse aus rotem Tuch mit Kreuzen aus grünem oder schwarzem Stoff, die als Applikationen auf die Schultern und Ärmel genäht waren, eine Art Cape aus rotem Tuch, das er auf dem Kopf trug, und Hosen aus dem gleichen Stoff, die durch Fußriemen an seinen Schuhen aus grünem Leder und mit Schnallen aus Bleiglas befestigt waren. Das Merkwürdigste war, dass man gar nicht daran dachte, über diese Verkleidung zu schmunzeln, so sehr fesselten einen Barbeys Worte.19
Tatsächlich orientierte sich Barbey d’Aurevilly, wie öfter bemerkt wurde, an der Dandymode seiner Jugend um 1830, der er bis zu seinem Tod 1889 treu blieb, und nahm dafür in Kauf, bisweilen als lächerliche Figur, ja sogar als eine der Sehenswürdigkeiten von Paris zu erscheinen, wie Anatole France in seinem Nachruf schrieb.20 Wer nur seinen Essay über das Dandytum und die darin enthaltenen Spitzen gegen das Christentum kennt, das die Eitelkeit verdamme und zum bloßen Heucheln von Bescheidenheit verleite, wird kaum glauben, dass Barbey d’Aurevilly besonders religiös war. Doch der Schein trügt, und obwohl er hin und wieder durchblicken ließ, dass Dandytum und Religion einander ausschlössen, verstand er es letztlich doch, beides miteinander zu verbinden. Vom inneren Widerstreit zeugt ein Brief vom Januar 1851 an Trébutien: [D]er Dandy ist seiner alten Gewänder müde und wird seiner hochmütigen Giaurenstirn vielleicht früher als man denkt die Mönchskapuze überstreifen. Euch alle, die ihr mich mögt, werde ich vielleicht noch in Erstaunen setzen … Die Verachtung für die Menschen
18 „Dîner chez Daudet avec Barbey d’Aurevilly, que je vois pour la première fois un peu familièrement. Il est vêtu d’une redingote à jupe, qui lui fait des hanches comme s’il avait une crinoline, et porte un pantalon de laine blanche, qui semble un caleçon de molleton à sous-pieds.“ Edmond de Goncourt, Journal (wie Anm. 1), S. 453f. Zit. nach Barbey d’Aurevilly, Über das Dandytum (wie Anm. 1), S. 131. 19 Zit. nach Barbey d’Aurevilly, Über das Dandytum (wie Anm. 1), S. 139. 20 Anatole France, Barbey d’Aurevilly (Le Temps, 28. April 1889), in: Ders., La Vie littéraire III, Paris 1891. Übersetzung in: Barbey d’Aurevilly, Feinheit des Geistes rührt von Niedertracht, Berlin 2008, S. 125–134.
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drängt mich mit ungeheurer Macht in den Schoß unserer Mutter Kirche, außerhalb derer es in Zeit und Ewigkeit kein Heil gibt.21
Die scheinbar völlige Hingabe des Dandys an das Diesseits ist mit ihrem Gegenteil nicht gänzlich inkompatibel, wie sich bei Barbey zeigt, ja sie kann, ins Extrem getrieben, leicht in jenes umschlagen. In seinem Dandy-Essay beklagte Barbey noch, dass die Eitelkeit „seit tausendachthundert Jahren unter der Last christlicher Weltverachtung“22 ächze, doch er war scharfsinnig genug zu erkennen, dass dem Dandytum selbst eine gewisse Weltverachtung zu eigen ist, und das nicht nur wegen seiner Kälte oder weil es weite Teile der Wirklichkeit als minder bedeutend von der Wahrnehmung ausschließt. Im Grunde verharrte Barbey d’Aurevilly, seit er zum Katholizismus seiner Kindheit zurückgefunden hatte, in einem paradoxen Schwebezustand zwischen einander widerstreitenden und zugleich durchdringenden Ambitionen, den er 1850 in einem anderen Brief an Trébutien noch als einen zu lösenden Konflikt beschrieben hatte: Wenn ich meinen Platz in ein paar Jahren nicht gefunden habe, werden Sie mich einen Plan verwirklichen sehen, den ich schon lange in meinem gelockten und dandystischen Kopf trage. Wenn ich keinen Staat regieren kann, dann wenigstens einen Orden. Ich werde mich in einen Kapuzinermantel hüllen und ihm die goldenen Knöpfe eines Kardinals annähen. […] Sie werden sagen, dass ich nicht gerade bescheiden anfange. Mein Freund, ich mache Spaß, doch unter dem Spaß ist es mir Ernst.23
Erst im Alter wurde ihm der Schriftstellerruhm zuteil, auf den er stets gehofft hatte und zu dem auch das Verbot des Erzählungsbandes Die Diabolischen wegen Verletzung der guten Sitten beitrug. Sein Verleger Alphonse Lemerre brachte seine Bücher neu heraus und bewog ihn auch, den Dandy-Essay in einer dritten, einer Ausgabe letzter Hand zu veröffentlichen. Diese erschien 1879 und wurde durch einen Essay über den Duc de Lauzun24 ergänzt, laut Titel einen „Dandy ehe es Dandys gab“. Damit löste Barbey gleichsam ein Versprechen ein, das man aus den ersten Seiten des Brummell-Essays herauslesen kann, wo er über die Unterschiedlichkeit des britischen und des französischen Nationalcharakters und die Bedingungen, die sie der Ausbildung des Dandytums bieten, reflektiert. Sein
21 Barbey d’Aurevilly, Correspondance générale, Bd. III, Paris 1983, S. 14. (Übersetzung G. K.). 22 Barbey d’Aurevilly, Über das Dandytum (wie Anm. 1), S. 23. „[…] écrasé depuis dix-huit cent ans sous l’idée chrétienne du mépris du monde […].“(Œuvres romanesques complètes II, S. 671). 23 Brief von Barbey an Trébutien vom 23. September 1850, in: Jules Barbey d’Aurevilly, Correspondance générale, Bd. II, Paris 1982, S. 187. 24 Antonin Nompar de Caumont, Duc de Lauzun (1633–1723).
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Resümee war: „Das Land Richelieus wird keinen Brummell hervorbringen.“25 Was es aber in diesem Zusammenhang hervorbringen konnte, war eben jener Duc de Lauzun, der Anne Marie Louise d’Orléans, die auch als Mademoiselle de Montpensier bekannte Cousine Ludwigs XIV, verführte und jahrelang in quälender Abhängigkeit hielt. Barbey schreibt über ihn: Lauzun war in jeder Hinsicht ein Dandy: In seiner Kleidung, ihrer – fein nuancierten – Originalität, in dem Drang sich abzuheben, und das zu einer Zeit, da vor Louis XIV. alle gleich waren, in der Kaltblütigkeit, der Selbstbeherrschung, der Unberechenbarkeit (denn eine Eigenschaft des Dandys besteht darin, nie zu tun, was man von ihm erwartet). Er hatte die rücksichtslose, tigerhafte Eitelkeit der Dandys. […] Es wäre reizvoll, über Lauzun zu schreiben, wenn es nicht schon jemand getan hätte, und zwar, ein unerhörter Glücksfall, die Prinzessin, die ihn mehr als alle anderen Frauen, wahnsinnig, liebte. Dieser Cesare Borgia beim Umgang mit Frauen, vor allem bei ihr, dieser Cesare Borgia, der selbst Machiavelli überlegen war, mußte seine Kommentare nicht wie der große Cäsar selbst verfassen … Die Frau, seine Eroberung, hat es für ihn getan – eine liebende, gequälte und weiter liebende Prinzessin –, während Brummell nur in Herrn Jesse26 und mir seine Chronisten fand.27
Barbey d’Aurevilly war von der Figur des berechnenden Verführers fasziniert und hat ihr immer wieder Gestalt gegeben, und fast immer tragen diese Gestalten Züge eines Dandys, von Aloys de Synarose in dem frühen Roman Der Ring des Hannibal (geschrieben 1834/35, erschienen 1843) über Jéhoël de la Croix-Jugan, Priester-Dandy und Frauenverächter, in dem Roman Die Gebannte (1852) bis zu einigen Protagonisten seines Novellenzyklus Die Diabolischen (1874). Es würde zu weit führen, die Dandy-Figuren in Barbey d’Aurevillys Romanen und Erzählungen durchzugehen, abschließend sei aber der Kurzroman L’Amour impossible (1837–1840) erwähnt, der wie fast alle seine Frühwerke in der mon25 Barbey d’Aurevilly, Über das Dandytum (wie Anm. 1), S. 22. „[L]e pays de Richelieu ne produira pas de Brummell.“ (Œuvres romanesques complètes II, S. 671). 26 William Jesse veröffentlichte 1844 die erste Brummell-Biografie. 27 Barbey d’Aurevilly, Über das Dandytum (wie Anm. 1), S. 98f. „De mise, d’originalité – mais nuancée – dans la mise, de prétention de n’être pas comme les autres, quand les autres étaient tous égaux devant Louis XIV; de sang-froid, de gouvernement de lui-même, d’inattendu dans la conduite (car un des caractères des Dandys, c’est de ne jamais faire ce qu’on attend d’eux), Lauzun fut un Dandy. Il eut la vanité impitoyable, la vanité tigre des Dandys. […] Il y aurait à écrire une belle étude sur Lauzun, si elle n’avait déjà été écrite, mais elle l’a été, et, pour le comble de fortune dans la fatuité, elle l’a été par la princesse qui, de toutes les femmes, a le plus follement aimé Lauzun. Ce César Borgia avec les femmes, et entre toutes avec celle-là, ce César Borgia qui en aurait remontré à Machiavel, n’a pas eu besoin d’écrire ses Commentaires comme le grand César … Ils ont été écrits par la femme, sa conquête – une princesse amoureuse et maltraitée, et restée amoureuse – tandis que Brummell n’a eu d’historiens que M. Jesse et moi.“ (Œuvres romanesques complètes II, S. 720).
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dänen Welt aristokratischer Salons in Paris spielt. Madame des Gesvres spannt ihrer Freundin Madame d’Anglure den Geliebten aus, muss aber erkennen, dass weder er noch sie echte Gefühle zu empfinden in der Lage sind. Als sie am Ende des Romans an ihrer Liebesunfähigkeit verzweifelt, tut Raimbaud de Maulévrier das einzig Richtige, er befiehlt ihr, sich zum Ausgehen anzukleiden: „Er war kein Moralist, aber wenn man Frauen, die am Leben leiden, zerstreuen will, kann man ihnen keinen tiefgründigeren Rat geben, als sich hübsch anzuziehen.“28 Barbey hat sich später von der Erzählung oder vielmehr von den Figuren distanziert. In einem 1859 verfassten Vorwort nennt er deren Gefühlskälte und Blasiertheit typisch für die Zeit zwischen 1839 und 1848, als er seinen Brummell-Essay schrieb.29 Doch auch wenn er vom Dandytum, wie er es in diesem Essay analysiert hat, später abrückte: Barbey d’Aurevilly blieb auf seine Weise ein Dandy und war es noch, als er Jahrzehnte später seinen Schüler und Privatsekretär Léon Bloy unterwies. Seine erste Weisung lautete: „Schauen Sie mich an!“30
28 „Il était fort peu moraliste, mais, quand il s’agit de faire diversion aux peines de la vie de femmes, leur conseiller de faire leur toilette est encore ce qu’il y a de plus profond.“ Jules Barbey d’Aurevilly: L’Amour impossible, in: Œuvres romanesques complètes, Bd. I, Paris 1966, S. 135. (Übersetzung G. K.). 29 Ebd., S. 1254f. 30 Zit. nach Julien Gracq, Ricochets de conversations, in: Ders., Préférences, Paris 1961, S. 228. Übersetzung in: Barbey d’Aurevilly, Die Teuflischen, Stuttgart 1964, S. 363.
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Charles Baudelaires Bestimmung des Dandyismus und sein Entwurf einer Femme Dandy in den Fleurs du Mal Mögen auch verschiedentlich Alcibiades, Nero, Lorenzo de’ Medici, oder neuerdings die Anhänger des Camp1, der Mod2 oder Yuppies3 als Dandys bezeichnet worden sein, der Dandyismus im strengeren Sinne ist eine Kulturerscheinung des 19. Jahrhunderts, das sowohl von den Auswirkungen der Französischen Revolution als auch von der fortschreitenden Industrialisierung geprägt ist. Ein dandyistisches Selbstverständnis und eine Ästhetik im Zeichen des Dandyismus kennzeichnen den Autor, der die komprimiertesten Aussagen über den Dandyismus gemacht hat: Charles Baudelaire. Außer in den Fusées4 und in Mon Cœur mis à nu5 reflektierte er wesentliche Aspekte des dandyistischen Subjektentwurfs in seinem Essay Le Dandy6. Hier charakterisiert er scharfsinnig die historischen und sozialgeschichtlichen Bedingungen, die den Dandy hervorbrachten: Der Dandysmus erscheint hauptsächlich in Übergangsepochen, wenn die Demokratie noch nicht allmächtig ist und die Aristokratie noch nicht gänzlich abgewirtschaftet hat. In der Wirrnis solcher Zeiten können einige aus der Bahn geworfene, angewiderte, unbeschäftigte, aber an ursprünglicher Kraft reiche Leute den Plan aushecken, eine neue Art der Aristokratie zu gründen, die um so schwieriger zu sprengen ist, da sie sich auf die kostbarsten und unzerstörbarsten Fähigkeiten stützt, auf die Himmelsgaben, die Arbeit und Geld nicht zu verleihen vermögen. Der Dandysmus ist das letzte Aufleuchten des Heroismus in Zeiten des Verfalls […].7 1 Vgl. Susan Sontag, Anmerkungen zu „Camp“. Der Dandy neuen Stils, in: Gerd Stein (Hrsg.), Dandy – Snob – Flaneur. Exzentrik und Dekadenz, Frankfurt a. M. 1985, S. 76–83, hier S. 81f. 2 Vgl. Dick Hebdige, Subculture – Die Bedeutung von Stil, in: Diedrich Diederichsen [u. a.] (Hrsg.), Schocker. Stile und Moden der Subkultur, Reinbek 1983, S. 8–120, hier S. 52. 3 Vgl. Marissa Piesman/Marilee Hartey (Hrsg.), Das Yuppie-Handbuch. Einblicke in die Lebensund Konsumgewohnheiten der Young Urban Professionals, Berlin 1987. 4 Charles Baudelaire, Les Fusées, in: Œuvres complètes, 2 Bde., hrsg. von Claude Pichois, Paris 1975ff., S. 649–675. 5 Baudelaire, Mon Cœur mis à nu, in: Ebd., S. 676–708. 6 Baudelaire, Le Dandy (Le Peintre de la vie moderne), in: Ebd., S. 709–712. 7 Charles Baudelaire, Der Dandy, in: Ders., Kritische und nachgelassene Schriften, hrsg. von Franz Blei, München 1925, S. 188–193, hier S. 191f. Originaltext: „Le dandysme apparaît surtout aux époques transitoires où la démocratie n’est pas encore toute-puissante, où l’aristocratie n’est que partiellement chancelante et avilie. Dans le trouble de ces époques quelques hommes déclassés, dégoûtés, désœuvrés, mais tous riches de force native, peuvent conçevoir le projet de fonder une espèce nouvelle d’aristocratie, d’autant plus difficile à rompre qu’elle sera basée sur
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Baudelaire ortet die Entstehung des Dandyismus als Phänomen des frühen 19. Jahrhunderts, es erscheint ihm als eine neue Art der Aristokratie jenseits aller Klassenschranken. Der Dandyismus ist keine Kleiderfrage, stellt nicht „[…] eine unmäßige Vorliebe für Toilette und äußere Eleganz“8 dar. Diese Dinge – so Baudelaire – sind für den vollkommenen Dandy nur ein Symbol der aristokratischen Überlegenheit seines Geistes. Dennoch ist der Aspekt der Mode, der eleganten Toilette von Bedeutung, eben als Ausdruck seiner geistigen Haltung. Symptomatisch ist Baudelaires Diktum: „Der Dandy muss sich bestreben, sublim zu sein ohne Unterbrechung. Er muss leben und schlafen vor einem Spiegel.“9 Hier zeigt sich der hohe geistige Anspruch, den Baudelaire mit dem Dandy verbindet und der ihn von allen landläufigen Vorstellungen eines Modegecks, Stutzers oder Fants weit entfernt. Er betont die „ewige Überlegenheit“ des Dandy,10 die in der permanenten Wachheit eines Bewusstseins liegt, das sich zum Beobachter des fühlenden, denkenden Ichs macht. Baudelaire verkündet als eine dandyistische Maxime: „Das Vergnügen, in Erstaunen zu setzen, und die stolze Genugtuung, niemals in Erstaunen zu geraten.“11 Der Stoizismus des dandyistischen Künstlers ist keine Naturgabe, entwickelt sich nicht etwa aus einer charakterlichen Disposition, sondern er ist umgekehrt der ausgeprägten Sensibilität, Emotionalität, dem Hang zu selbstzerstörerischen Gefühlswidersprüchen abgerungen. Was Baudelaire als eine Art Schluss-Sentenz seines Dandy-Essays formuliert, das gilt – mit leichten Variationen – auch für andere Autoren einer dandyistischen Ästhetik: Der Schönheitscharakter des Dandys besteht vornehmlich in dem Aussehen von Kälte, das dem unerschütterlichen Entschlusse entstammt, durch nichts erregt zu werden. Man könnte von einem verborgenen Feuer sprechen, dessen Vorhandensein man ahnt und das Wärme ausstrahlen könnte, aber dies nicht will.12
les facultés les plus précieuses, les plus instructibles, et sur les dons célestes que le travail et l’argent ne peuvent conférer. Le dandysme est le dernier éclat d’héroisme dans les décadences.“, in: Baudelaire, Le Dandy, (wie Anm. 6), S. 711. 8 Baudelaire, Le Dandy (wie Anm. 6), S. 710. 9 Charles Baudelaire, Mein blossgelegtes Herz, in: Baudelaire, Kritische und nachgelassene Schriften (wie Anm. 7), S. 344. Originaltext: „Le Dandy doit aspirer à être sublime sans interruption; il doit vivre et dormir devant un miroir.“ Baudelaire, Mon Cœur (wie Anm. 5), S. 678. 10 Vgl. Baudelaire, Mon Cœur (wie Anm. 5), S. 682. 11 Baudelaire, Mein blossgelegtes Herz (wie Anm. 9), S. 190. Originaltext: „C’est le plaisir d’étonner et la satisfaction orgueilleuse de ne jamais être étonné.“ Baudelaire, Le Peintre (wie Anm. 6), S. 710. 12 Baudelaire, Mein blossgelegtes Herz (wie Anm. 9), S. 193. Originaltext: „Le caractère de beauté du dandy consiste surtout dans l’air froid qui vient de l’inébranlable résolution de ne pas être
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Diese Kühle, einem Entschluss entsprungen, lässt ein inneres Feuer nur ahnen – jedoch nur dem geist-aristokratischen Gleichgesinnten –, sie schirmt ihn ab von der Menge, macht ihn unangreifbar, da er sich keine Gefühlsblöße gibt; doch sie isoliert ihn zugleich, da sie emotionale Kommunikation ausschließt. Die dandyistische Berührungsangst vor den indiskreten Blicken der anderen, der Wille des Dandys zu Selbststilisierung und Maskierung machen ihn zum solitaire,13 zum Einzelgänger und Einsamen. In seiner Selbstreflexion gründet seine Überlegenheit, zugleich das ironische freie Bewusstsein der eigenen Unfreiheit. Baudelaires dandyistische Ästhetik, die impassibilité und Erstaunen als Wirkungskategorien miteinander verknüpft, widerspricht dem romantischen Poesiekonzept, das dem deutschen Idealismus verpflichtet bleibt. Seine Kritik an dem Bourgeois und seinem Nützlichkeitsdenken hat er noch mit den Romantikern gemein, doch diese hielten an dem idealistischen Versöhnungsparadigma fest, das auf der Harmonie von Natur und Geist aufbaute und auf eine beseelte Natur abzielte. Baudelaire dagegen feiert die Spiritualität des Geistes, sieht in der Natur nichts als bloße Natur, die nicht zu beseelen ist. Auf die Bitte seines Verlegers Ferdinand Desnoyers nach Naturgedichten antwortet Baudelaire höchst ironisch, er sei unfähig, in Rührung über Gewächse zu geraten und seine Seele rebelliere gegen diese seltsame neue Religion, die – wie ihm scheine – für jedes spirituelle Wesen immer etwas von „shocking“14 haben werde.15 Symptomatisch für sein Naturverhältnis ist auch der Artikel Eloge du maquillage,16 der sich indirekt gegen das romantische Ideal schöner Natürlichkeit wendet. Das Schminken – so heißt es dort – verfolge keineswegs die vulgäre Absicht, die schöne Natur nachzuahmen, mit der Jugend zu rivalisieren, sondern suche die Natur zu übertreffen. Voller dégout nennt Baudelaire Ludwig XV., der „die Verderbtheit“ so weit trieb, dass er nur noch „la simple nature“ genoss, und er kommentiert die Anekdote, dass die königliche Maîtresse-en-titre, Madame du Barry, Rouge auflegte, wenn sie den König nicht empfangen wollte: „Indem sie also ihre Reize erhöhte, brachte sie diesen königlichen Jünger der Natur zur Flucht.“17 ému; on dirait un feu latent qui se fait deviner, qui pourrait mais qui ne veut pas rayonner.“ Baudelaire, Le Peintre (wie Anm. 6), S. 712. 13 Vgl. Baudelaire, Mon Cœur (wie Anm. 5), S. 680. 14 Vgl. Charles Baudelaire, Correspondance en 2 vol. Texte établé, présenté et annoté par Claude Pichois avec la collaboration de Jean Ziegler, Paris 1973, S. 248. 15 Vgl. ebd., S. 248. 16 Baudelaire, Éloge du Maquillage (Le Peintre de la vie moderne), in: Baudelaire, Œuvres (wie Anm. 4), S. 714–718. 17 Baudelaire, Lob des Schminkens, in: Ders., Kritische und nachgelassene Schriften (wie Anm. 7), S. 198. Originaltext: „C’était en s’embellissant qu’elle faisait fuir ce royal disciple de la nature.“ Baudelaire, Éloge (wie Anm. 16), S. 716.
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Wenn Baudelaire für sich die Gattung des Naturgedichts ablehnt, er die Kunst des Schminkens rühmt, ist das keine Provokation um der Provokation willen, sondern folgt konsequent aus seiner dandyistischen Maxime, dass erst bewusste Artistik einem Gegenstand – sei es ein ästhetisches Sujet, der menschliche Körper oder das eigene Ich – seine Würde gibt. Die Form allein, also das, was sich nicht der Natur verdankt, ist unsterblich: „Jede Idee hat durch sich selber ein ewiges Leben wie ein Mensch. Jede geschaffene Form, selbst vom Menschen geschaffen, ist unsterblich. Denn die Form ist unabhängig von der Materie, und es sind nicht die Moleküle, welche die Form konstituieren.“18 Baudelaires Ideal, das er in Spleen et Idéal seiner Fleurs du Mal evoziert, sucht nicht – wie noch die Romantik – die Selbstentzweiung in erlebendes und reflektierendes Ich in Natur und Geist aufzuheben, es zielt gerade nicht auf die Harmonie in sich versöhnter Zwienatur, sondern auf eine Spiritualität, die der Animalität entgegengesetzt ist. Der permanenten Wachheit des dandyistischen Bewusstseins entspricht eine artistische Selbststilisierung, der die Natur – sei es die innere der Empfindungen, Vorstellungen, Stimmungen, sei es die äußere von Fauna und Flora – fremd, ja verdächtig geworden ist. Nicht zufällig trifft man den klassischen Dandy kaum in der offenen Landschaft, in der freien Natur an, sondern in den geschlossenen gesellschaftlichen Räumen des Salons, des Clubs, sieht man ihn als Flaneur auf den Boulevards, in den Passagen der Großstadt. Obwohl Baudelaire in den Fusées die Ironie als „qualité littéraire fondamentale“ bezeichnet,19 taucht der Begriff in seinen Salons, Essays und Aphorismen nicht mehr auf, wohl aber in zwei Gedichten aus der Spleen-et-Idéal-Gruppe, L’Héautontimorouménos20 und L’Irrémédiable21; Gedichte, welche die Selbstzerfleischung des Ichs thematisieren, das Opfer und Henker, Wunde und Messer zugleich ist. Hier gewinnt der Begriff einen Schlüsselcharakter, der sowohl das existentielle Selbstverständnis als auch das ästhetische Konzept Baudelaires erschließt. Ironie stellt sich hier als das Bewusstsein der Zerrissenheit des Ichs dar, das sich vom Ideal absoluter Spiritualität im Abgrund animalischer Unfreiheit sieht. Im Hinblick auf den dandyistischen Ironie-Begriff ist in Abgrenzung zur romantischen Ironie festzuhalten: Die Ironie Baudelairescher Prägung bedeutet höchste Bewusstheit der eigenen Unfreiheit, der satanischen Triebe animali-
18 Baudelaire, Mein blossgelegtes Herz (wie Anm. 9), S. 358. Originaltext: „Toute idée est, par elle-même, douée d’une vie immortelle, comme une personne. Toute forme créée, même par l’homme, est immortelle. Car la forme est indépendante de la matière, et ce ne sont pas les molécules qui constituent la forme.“ In: Baudelaire, Mon Cœur (wie Anm. 5), S. 705. 19 Vgl. Baudelaire, Les Fusées (wie Anm. 4), S. 658. 20 Vgl. Baudelaire, Les Fleurs du Mal, in: Baudelaire, Œuvres (wie Anm. 4), S. 78. 21 Vgl. ebd., S. 79.
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scher Selbsterniedrigung. Insofern sie sich im Blick auf das Ideal als „la conscience dans le Mal“22 zeigt, behauptet das Ich im ironischen Wissen zugleich eine Freiheit. Das ironische Selbstbewusstsein des Dandys, das die Abgründe seiner sinnlichen Natur betrachtet, gibt ihm allein die Möglichkeit, sich über sich selbst zu erheben, ästhetisch produktiv zu sein. Obwohl die dandyistische Ironie die Agilität des Geistes, die Selbstreflexion, die Selbstentzweiung des Ichs mit der romantischen teilt, unterscheidet sie sich von ihr doch wesentlich darin, dass ihr die Selbstentzweiung nicht Willensakt, sondern Existenzbedingung ist. Folglich erscheint auch die Liebe dem Dandy, der stets seine Selbstkontrolle bewahren will, als notwendig gefährliche Passion, die einen Angriff auf seinen spirituellen Selbstentwurf darstellt: „Erschreckendes Spiel, in dem notwendig einer der Spieler die Herrschaft über sich verliert!“23 Baudelaire vergleicht in seinen Fusées die Liebe mit der Folter oder einer chirurgischen Operation. Selbst wenn beide Liebenden sehr verliebt sind, sich wechselseitig heftig begehren, wird einer von beiden doch ruhiger und weniger besessen sein als der andere. Der eine ist der Henker, der andere das Opfer. „Hörst du das Stöhnen, dieses Präludium einer Tragödie der Entehrung? Wem entzwang es sich nicht, wem ist es nicht erpresst worden?“24 Baudelaire, der die Rolle des Henkers und des Opfers kennt, führt den Vergleich Liebe und Folter weiter aus, erinnert an Ovids Vorstellung vom menschlichen Antlitz, das gebildet sei, um die Gestirne widerzuspiegeln und das unter der Liebesfolter nur einen Ausdruck irrer Wildheit zeigt: „[…] extase à cette sorte de décomposition“25. Schon das Wort décomposition signalisiert, dass die Liebe als notwendig gefährliche Passion einen Angriff auf den spirituellen Selbstentwurf des Dandys darstellt, der gerade seine Selbstkontrolle bewahren will. Für den Dandy in seinem Streben nach Erhabenheit bedeutet der Verlust an Selbstbeherrschung: Makel und Sünde wider den Geist. Und die Liebe, auch in ihrer weniger martervollen Erscheinung, im Augenblick orgiastischer Lust, schließt immer ein Moment der Selbstvergessenheit ein. Ein ambivalentes Verhältnis des Dandys zum Eros, der Wunsch nach Verschmelzung, rauschhafter Selbstvergessenheit, und gleichzeitig der Wille zu permanenter reflektierter Beobachtung sowie Selbstkontrolle prägen auch sein Verhältnis zur Frau: Die 22 Vgl. ebd., S. 80. 23 Baudelaire, Raketen, in: Baudelaire, Kritische und nachgelassene Schriften (wie Anm. 7), S. 321. Originaltext: „Épouvantable jeu, où il faut que l’un des joueurs perde le gouvernement de soi-même!“ Baudelaire, Les Fusées, (wie Anm. 4), S. 651. 24 Ebd. Originaltext: „Entendez-vous ces soupirs, préludes d’une tragédie de déshonneur, ces gémissement, ces cris, ces râles? Qui ne les a proférés, qui ne le a irrésistiblement extorqués?” Baudelaire, Les Fusées (wie Anm. 4), S. 651. 25 Ebd.
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Frau verkörpert für Baudelaire – wie schon zuvor für die Romantiker – Natur, doch nicht als ersehnte schöne Natur, die Unschuld und Anmut verbindet, sondern Natur als Animalität, als Abgrund der Leidenschaft, die den Mann ins Verderben stürzen könnte. Pointiert polemisch heißt es in Mon Cœur mis à nu: Die Frau ist des Dandys Gegensatz. Also muss sie Grauen erregen. Die Frau hat Hunger, und sie will essen; Durst, und sie will trinken. Sie ist läufig und sie will geritten werden. Das schöne Verdienst! Die Frau ist „natürlich“, das heißt scheußlich. Auch ist sie immer vulgär, das heißt, das Gegenteil des Dandys.26
Die Frau wird hier als reines Triebwesen vorgestellt, das auf die unmittelbare Befriedigung seiner Bedürfnisse ausgerichtet ist. Symptomatisch ist die Wiederholung der These, die Aggressivität der Bestimmungen – natürlich, scheußlich, vulgär – die provozierende Vulgarität, mit der Baudelaire von der Sexualität der Frau spricht. Daraus spricht tiefe Abscheu, Misogynie! Andererseits kennzeichnet er in seinem Essay Madame Bovary par Gustave Flaubert27 Emma Bovary in seinem Resümee mit den Worten „[…] dandysme, amour exclusif de la domination“28, das heißt, er sieht Emma als femme dandy, räumt die Möglichkeit eines weiblichen Dandy ein. Inwiefern Emma als femme dandy gelten kann, ist hier nicht vornehmlich die Frage, sondern dass Baudelaire sie als solche charakterisiert, ist wichtig. Auffällig ist auch bei Emma ihre ausgeprägte Vorliebe für Eleganz, Luxus, das Raffinement der Toilette; doch Baudelaire sieht in ihr auch eine geistige Stärke, die sie von der Mittelmäßigkeit ihrer Umgebung abhebt. Er lenkt das Augenmerk nicht auf ihre unglücklichen und banalen Liebschaften, sondern auf ihr Verlangen nach geistigen Vergnügen. Angesichts der missglückten Fußoperation durch Charles ruft sie verzweifelt aus, sie wäre lieber die Frau eines ungestalten, gebeugten, kurzsichtigen Greises, der ein geistiger Gott wäre, als die Gefährtin dieses Dummkopfs, der eine einfache Fußoperation nicht zustande bringt. Eine „schwarze Wut“ – so Baudelaire – erfüllt sie und wie eine kleine Lady Macbeth empört sie sich über den Gatten.29 Er beschreibt die ästhetischen Subtilitäten
26 Ebd., S. 343f. Originaltext: „La femme est le contraire du Dandy. Donc elle doit faire horreur. La femme a faim et elle veut manger. Soif, et elle veut boire. Elle est en rut et elle veut être foutue. Le beau mérite! La femme est naturelle, c’est-à-dire abominable. Aussi est-elle toujours vulgaire, c’est-à-dire le contraire du Dandy.“ Baudelaire, Mon Cœur (wie Anm. 5), S. 677. 27 Baudelaire, Madame Bovary par Gustave Flaubert, in: Baudelaire, Œuvres (wie Anm. 4), S. 76–86, hier S. 82. 28 „Dandysmus, die ausschliessliche Liebe nach Herrschaft.“ Ders., Kritische und nachgelassene Schriften (wie Anm. 7), S. 210. 29 Baudelaire, Madame Bovary (wie Anm. 27), S. 83.
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weiblicher Eleganz, die Raffinesse und Bedeutung von Gewand und Schmuck, die gekonnte Inszenierung weiblicher Schönheit: Ohne Zweifel ist das Weib einem Strahl, einem Blick, zuweilen einem Wort des Glückes, einer Aufforderung zum Glück vergleichbar, aber vor allem ist es eine harmonische Einheit, nicht nur in Haltung und Bewegung seiner Glieder, sondern auch in Tüchern, Schleiern, den weiten und schimmernden Stoffwolken, die es umhüllen und Beigaben und Grundstein seiner Göttlichkeit bilden. In Stein und Metall, die Arme und Nacken umschlingen, ihr Gefunkel den Flammen seiner Blicke vermählen, oder leise klingend ihm ins Ohr flüstern. Welcher Dichter würde wagen […], das Weib von seinem Gewande zu trennen?30
Nicht nur Baudelaires Sicht der Frau ist hier rein ästhetisch, auch die Form seiner Beschreibung transponiert die Frau in ein reines Kunstobjekt. Baudelaire löst die Frau in Licht, Farbe, Bewegung, Stoffe auf und fügt die irisierenden Wahrnehmungsdetails wieder zu einem harmonischen Ganzen zusammen. Das dandyistische Konzept, Erstaunen zu erregen, ohne sich jemals erstaunt zu zeigen, drückt sich in seinem Stil aus, in dem ästhetischen Prinzip der Dekomposition des Vertrauten und der überraschenden Zusammenfügung des Heterogenen. Nicht Charakter und Seele prägen das Erscheinungsbild, sondern die kunstvolle Harmonie der fluktuierenden Sinneseindrücke. Auch hier evoziert Baudelaire den Schmuck der Frau: Metall und Mineral, er schreibt ihm in kühner Wendung die Eigenschaft des sich Schlängelns zu, suggeriert eine Lebendigkeit der anorganischen Attribute, diese verleihen dem organischen Körper erst seinen ästhetisch funkelnden Reiz.31 Diese provozierende Verkehrung von Substanz und Akzidens, von femme und costume entspricht dem dandyistisch-ästhetischen Konzept, stets das Unerwartete zu produzieren. Sie spiegelt zugleich das Ideal der Künstlichkeit gegenüber dem Ideal der Natürlichkeit. In den Fleurs du Mal erscheint die Frau immer wieder als chat, serpent, grand tigre, sphynx oder als vampire et cetera. Eine Bildlichkeit, die die katzenhafte Geschmeidigkeit, schlangenhafte Bewegungen, verführerische Gefährlichkeit, kurz, die Animalität der Frau hervorzuheben scheint. Doch diesen Wesen sind geheimnisvolle idealische Züge eigen, die sie letztlich dem Dandy annähern. 30 Baudelaire, Lob des Schminkens (wie Anm. 17), S. 195. Originaltext: „La femme est sans doute une lumière, un regard, une invitation au bonheur, une parole quelquefois; mais elle est surtout une harmonie générale, non seulement dans son allure et le mouvement de ses membres, mais aussi dans ses mousselines, les gazes, les vastes et chatoyantes nuées d’étoffes dont elle s’enveloppe, et qui sont comme les attributs et le piédestal de sa divinité; dans le métal et le minéral qui serpentent autour de ses bras et de son cou, qui ajoutent leurs étincelles au feu de ses regards, ou qui jasent doucement à ses oreilles. Quel poète oserait […] séparer la femme de son costume?“ Baudelaire, Éloge (wie Anm. 16), S. 714. 31 Ebd.
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Baudelaire, der die Frau als das Gegenteil des Dandys definiert, kreiert in seinen Fleurs du Mal immer wieder Frauengestalten, deren Attribute seiner Konzeption des Dandys entsprechen. In dem Gedicht Le Chat aus Spleen et Idéal32 lockt das lyrische Ich: Komm meine schöne Katze, an mein verliebtes Herz; zieh nur die Krallen deiner Tatze ein und laß mich tief in deine schönen Augen tauchen, in deren Glanz Metall sich und Achat vermischen. Wenn meine Finger müßig deinen Kopf und deinen biegsamen Rücken streicheln und meine Hand sich an der Lust berauscht, deinen elektrischen Körper zu betasten, Dann seh im Geist ich mein Weib. Ihr Blick wie der deine, liebenswürdiges Tier, tief und kalt, dringt ein und spaltet wie ein Spieß, Und von den Füßen bis zum Scheitel schwimmt betörend ein Zarter Hauch, ein Duft um ihren braunen Leib.33
Das lyrische Ich will eintauchen in die schönen Augen der Katze, in denen sich Metall und Achat vermischen. Bedeutsam sind die Vergleiche, die Kostbarkeit und Kühle, Glanz und Undurchdringlichkeit evozieren und an das dandyistische Ideal der impassibilité gemahnen. Offenkundig fasziniert das Tier in seiner Schönheit und Eleganz das lyrische Ich. Vor allem die Augen betören und erinnern es an den Blick seiner Frau. Ein Blick, tief und kalt, der schneidet und spaltet wie ein Spieß. Ein Blick, der in den Bann zieht und zugleich Wärme, Vertrautheit abwehrt. Die Kälte entspricht dem Wesen von Metall und Achat, die Tiefe verweist zugleich auf das Eintauchen des Ichs in die schönen Augen. Katze und Frau korrespondieren miteinander. Offenkundig lässt die Katze sich liebkosen, sie schmiegt sich nicht an, bleibt selbst passiv. Diese Passivität lässt an die Abwehr des Dandys denken, sein Inneres preiszugeben. Das Ich dagegen lockt, bittet, schmeichelt, 32 Baudelaire, Le Chat (Les Fleurs du Mal), in: Baudelaire, Œuvres (wie Anm. 4), S. 35. 33 Baudelaire, Die Katze, in: Die Blumen des Bösen. Vollständige zweisprachige Ausgabe. Aus dem Französischen übertragen, herausgegeben und kommentiert von Friedhelm Kemp. München 2011, S.73f. Originaltext: „Viens, mon beau chat, sur mon cœur amoureux; / Retiens les griffes de ta patte, / Et laisse-moi plonger dans tes beaux yeux, / Mêlés de métal et d’agate. / Lorsque mes doigts caressent à loisir. / Ta tête et ton dos élastique, / Et ma main s’enivre du plaisir. / De palper ton corps électrique, / Je vois ma femme en esprit. Son regard, / Comme le tien, aimable bête, / Profond et froid, coupe et fend comme un dard, /Et, les pieds jusques à la tête. /Un air subtil, un dangereux parfum. / Nagent autour de son corps brun.“ Baudelaire, Le Chat (wie Anm. 32), S. 35.
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zeigt sich verliebt, legt keineswegs die ruhige Gelassenheit des Dandys an den Tag, der keine Gefühlsregung preisgibt. Der Vergleich von Katze und Frau gibt dem Gedicht als Ganzem eine Ambivalenz von allegorischer und wörtlicher Bedeutung, lässt auch die Frau als Katzenwesen erscheinen, dessen kalter und tiefer Blick geheimnisvoll bleibt. Dieses Gedicht stilisiert die Frau gerade durch den Vergleich mit der Katze zur Inkarnation in sich ruhender stolzer Schönheit, zu einem idealischen Wesen, das durch seine Schönheit dem Ästheten gefährlich wird. Die Wunden, welche die Krallen dem Liebhaber zufügen können, verletzen nicht nur sein Fleisch, sie könnten als Seelenqualen sein Selbst bedrohen. Es ist immer problematisch, Werk und Biografie undialektisch aufeinander zu beziehen, das Werk durch biografische Details erschließen zu wollen. Doch auch wenn die Gedichte ihren eigenen Stil aus einem neuen ästhetischen Selbstverständnis entwickeln, das in ihnen beschworene Frauenbild ist ohne die Liaison mit der aus Haiti stammenden Tänzerin und Schauspielerin Jeanne Duval nicht denkbar. Auch in dem Gedicht Le Serpent qui danse34 beschwört das lyrische Ich die Geliebte in ihrem schwingenden Gang als Tier, als tanzende Schlange. Wieder fallen die Metallmetaphern auf, werden die Augen als Edelsteine gesehen: Deine Augen, in denen sich nichts, weder Süßes noch Bittres, offenbart, sind zwei kalte Juwele, darin sich Gold und Stahl vermengen.35
Die Augen verraten keine Gefühle, weder Süße noch Bitterkeit, sie sind kostbar und kalt. Doch die Kälte scheint den Liebhaber nicht zu verletzen, sie zieht ihn im Gegenteil in ihren Bann, macht die „chère indolente“, die lässige Liebste umso begehrenswerter.36 Auch dieses Gedicht ist, wie Le Chat, nach Ansicht der Biografen von Jeanne Duval inspiriert.37 Es zeichnet die Frau als stolze Schönheit, die sich von Ihrem Liebhaber umwerben lässt, ihn durch Kühle und lässige Eleganz fasziniert. In nichts erinnert die hier beschworene Frau an das schreckliche Wesen, das Baudelaire in seiner Sentenz als das Gegenteil des Dandys benennt. Diese hat offenkundig selbst dandyistische Züge.
34 Baudelaire, Le Serpent qui danse (Les Fleurs du Mal), in: Baudelaire, Œuvres (wie Anm. 4), S. 29f. 35 Baudelaire, Die tanzende Schlange, in: Die Blumen des Bösen (wie Anm. 33), S. 73f. Originaltext: „Tes yeux, où rien ne se révèle / De doux ni amer, / Sont deux bijoux froids où se mêle / L’or avec le fer.“ Baudelaire, Le serpent (wie Anm. 34), S. 30. 36 Baudelaire, Le Serpent (wie Anm. 34), S. 29. 37 Baudelaire, Notices, notes et variantes, in: Baudelaire, Œuvres (wie Anm. 4), S. 889.
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In dem Gedicht La Gèante38 imaginiert das Ich sich selbst als wollüstige Katze zu Füßen einer jungen Riesin, einer Königin gleich: Gern hätte ich […] mein Leben hingebracht bei einer jungen Riesin, wie zu Füßen einer Königin Wollüstig eine Katze.39
Auffällig auch hier die Stilisierung der Frau zu majestätischer Größe; zu einem geheimnisvollen Wesen, dessen Herz eine dunkle Flamme zu bergen scheint, symptomatisch der Kontrast, der Größenunterschied zwischen dem Idol und dem Ich, der auch andere Gedichte prägt. Gern hätte das Ich erraten, „ob finstre Glut in ihrem Herzen schwelt, aus feuchten Nebeln, die in ihren Augen schwimmen“.40 Das Herz der Riesin bleibt dem Ich jedoch verborgen. Hier sind es nicht Stein- beziehungsweise Edelsteinmetaphern, die die Augen der Riesin charakterisieren, sondern feuchte Nebel, bewegliche Naturphänomene, die jedoch auch den Blick in das Innere verweigern und kontrastieren mit der dunklen Glut. Die feuchten Nebel lassen an Kühle denken, dem Gegenteil von Glut. Im Schlussterzett wünscht das Ich zu schlafen wie ein stiller Weiler am Fuße eines Gebirges. Offenbar auch hier der Kontrast von majestätischer Größe des Gebirges und der beschaulichen Kleinheit des Weilers. Die Rollen sind verteilt: das Ich als Katze zu Füßen einer Riesin, wie ein friedlicher Weiler zu Füßen des Gebirges. Größe und Ferne kennzeichnen die Geliebte, zu der das lyrische Ich bewundernd aufschaut, es bedarf der Kälte, um sein Herz zum Glühen zu bringen. In eine andere Richtung weist hingegen das Gedicht La Chevelure41, dessen letzte Strophe hier zitiert sei: Lang! immer! In deine schwere Mähne wird meine Hand Rubine, Perlen und Saphire säen, auf dass du niemals meinem Verlangen taub seist! Bist Du nicht die Oase, wo ich träume, und die Kürbisflasche, aus der ich, in langen Zügen den Wein der Erinnerung schlürfe?42
38 Baudelaire, La Géante (Les Fleurs du Mal), in: Baudelaire, Œuvres (wie Anm. 4), S. 22f. 39 Baudelaire, Die Riesin, in: Die Blumen des Bösen (wie Anm. 33), S. 47. Originaltext: „J’eusse aimé vivre auprès d’une jeune géante, Comme aux pieds d’une reine un chat voluptueux.“ Baudelaire, La Géante (wie Anm. 38), S. 22. 40 Baudelaire, Die Riesin, S. 47 bzw. La Géante, S. 22 (wie Anm. 38/39). 41 Baudelaire, La Chevelure (Les Fleurs du Mal), in: Baudelaire, Œuvres (wie Anm. 4), S. 26f. 42 Baudelaire, Das Haar, in: Die Blumen des Bösen (wie Anm. 33), S. 55. Originaltext: „Longtemps! toujours! Ma main dans ta crinière lourde / Sèmera le rubis, la perle et le saphir, / Afin qu’à mon désir tu ne sois jamais sourde! / N’es tu pas l’oasis où je rêve, et la gourde / Où je hume à longs traits le vin de souvenir?“ Baudelaire, La Chevelure (wie Anm. 41), S. 27.
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Das Haar wird zu Beginn als Vlies, als Wald beschworen – das „schmachtende Asien und das glühende Afrika, eine ganze Welt, sehr weit entlegen, fast gestorben, lebt in deinen Tiefen, Wald voller Aromate“, das Haar in seiner wilden Pracht ist einmal Inbegriff lockender Sinnlichkeit, verzückt und reizt mit seinem „schweren und trägen Wohlgeruch“ das Ich, ist zugleich jedoch Verkörperung von Träumen, Erinnerungen, Phantasien: „Tauchen will ich mein rauschverliebtes Haupt in diesen schwarzen Ozean, darin der andere enthalten ist.“43 Die Geliebte erscheint hier als Essenz ästhetischen Genusses, die das Ich in fremde Welten entführt. Sie tritt hier nicht als femme dandy auf, als majestätisches Wesen, das seine Ferne bewahrt, hier wird ein Gran von Prostitution beigemischt: die Rubine, Perlen und Saphire, die das lyrische Ich in ihre schwere Mähne säen will, sollen sie animieren, stets seine Wünsche zu erfüllen. Andererseits sieht Baudelaire in dem Liebenden, der die Geliebte begehrt, bewundert, aus sich herausgeht, mit ihr zu verschmelzen sucht, auch einen Akt der Prostitution: Aus sich herausgehen, Hingabe, Ekstase – alle Formen der Selbstentäußerung also – stellen für den dandyistischen Künstler nach Baudelaire eine Art Prostitution dar. Konsequent heißt es in Mon Cœur mis à nu: „Die Liebe ist das Bedürfnis, aus sich herauszugehen. Der Mensch ist ein anbetendes Tier. Anbeten, das ist sich opfern und sich prostituieren. Darum ist alle Liebe Prostitution.“44 Doch der Begriff der Prostitution verliert bei Baudelaire seine eindeutig negative, moralisch verurteilende Bedeutung, denn auch von der Kunst sagt er in den Fusées: „Was ist die Kunst? Prostitution.“45 Und im selben Zusammenhang variiert er den Gedanken der Liebe als Prostitution, fügt einen wichtigen Aspekt hinzu:„Die Liebe, das ist die Lust zur Prostitution. Es gibt kein edles Vergnügen, das nicht auf die Prostitution zurückgeführt werden könnte.“46 Wenn jedes edle Vergnügen auf die Prostitution zurückgeführt werden kann, selbst die Kunst, dann wird dem Begriff Prostitution gerade jede moralische Wertung entzogen; umgekehrt wird aber auch die Kunst als Prostitution aufgefasst und jenseits moralischer Wertvorstellungen angesiedelt. Der dandyistische Künstler, der niemals aus sich herausgeht, der sich folglich gegen die Liebe wehrt, ist in seiner sinnlich ästhetischen Sensibilität der Verführung des Eros doch stets wieder ausgesetzt. 43 Baudelaire, Das Haar, S. 55. 44 Baudelaire, Mein blossgelegtes Herz (wie Anm. 9), S. 350. Originaltext: „Qu’est-ce que l’amour? Le besoin de sortir de soi. L’homme est un animal adorateur. Adorer, c’est sacrifier et se prostituer. Aussi tout amour est-il prostitution.“ Baudelaire, Mon Cœur (wie Anm. 5), S. 692. 45 Baudelaire, Les Fusées (wie Anm. 4), S. 649. 46 Baudelaire, Raketen (wie Anm. 23), S. 319. Originaltext: „L’amour, c’est le goût de la prostitution. Il n’est même pas de plaisir noble qui ne puisse être ramené à la Prostitution.“ Baudelaire, Fusées (wie Anm. 4), S. 649.
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Die Geliebte hier als chevelure, als Haar, zu beschreiben, lenkt den Blick von der Geliebten als komplexer Person hin auf ein Attribut, fokussiert den Blick auf einen Ausschnitt und weitet ihn zugleich zu einer Welt der Imaginationen, berauschender exotischer Sinneseindrücke. Die Geliebte als „Oase, wo ich träume“ und als „Kürbisflasche, aus der ich den Wein der Erinnerung schlürfe“, die barocke Art der Bildfügung, die auf Reihung statt Zusammenstimmung setzt, entspricht der dandyistischen Ästhetik, gegen die Erwartungen zu gestalten.47 In dem folgenden Gedicht ohne Titel entwirft Baudelaire erneut ein anderes Bild der Geliebten, die in weite Fernen angesiedelt ist: Anbetung gleich dem Sterngewölbe dir, o du Gefäß der Trauer, o große Schweigende! Und um so heftiger, du Schöne, lieb ich dich, je weiter du entfliehst, je spöttischer, Zier meiner Nächte, du die Meilen anzuhäufen scheinst, die meine Arme trennen von den blauen Unermeßlichkeiten. Ich geh zum Angriff vor, ich setze zum Sturm an, wie eine Schar von Würmern über eine Leiche herfällt, und, o du Tier, du grausam unerbittliches! selbst diese Kälte lieb ich noch, die dich mir schöner macht!48
Hier wird die Geliebte mit dem fernen schweigenden Horizont verglichen; sie entflieht seinen Annäherungen immer weiter. Doch die kosmisch-sublime Bildlichkeit der ersten Strophe kontrastiert schroff mit der Angriffsmetaphorik der zweiten, die mit Bildern des Ekels operiert, seine Attacke mit einer Unzahl von Würmern vergleicht, die über eine Leiche herfallen. Die Frau, unerbittlich in ihrer Weigerung, grausam durch ihre Ironie und Kälte, ein rätselhaftes unerreichbares Wesen, wird durch ihre Kälte nur noch schöner und begehrenswerter. In ihrer Ferne kann sie für den Künstler ein ersehntes Ideal bleiben und ihn in seiner Kreativität beflügeln. Hier zeigt sich eine Parallele zu dem romantischen deutschen Dichter E. T. A. Hoffmann. Seine Künstlergestalten verloren ihre Schaffenskraft, wurden wahnsinnig oder starben, wenn sie ihre geliebte Muse in die Niederungen der Realität ziehen wollten und eine erotische Beziehung begannen, so in Die 47 Baudelaire, Das Haar (wie Anm. 42), S. 57. 48 Baudelaire, Gedicht ohne Titel, in: Die Blumen des Bösen (wie Anm. 33), S. 57. Originaltext: „Je t’adore à l’égal de la voûte nocturne, / O vase de tristesse, ô grande taciturne, / Et j’aime d’autant plus, belle, que tu me fuis, / Et que tu me parais, ornement de mes nuits, / Plus ironiquement accumuler les lieues. / Qui séparent mes bras des immensités bleues. / Je m’avance à l’attaque, et je grimpe aux assauts, / Comme après un cadaver un choeur de vermisseux, / Et je chéris, ô bête implacable et cruelle! / Jusqu’à cette froideur par où tu m’es plus belle!“ Baudelaire, Les Fleurs du Mal (wie Anm. 4), S. 27.
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Jesuiterkirche in G.49 Bei Baudelaire gehört die Kälte und Unnahbarkeit der Frau zur Voraussetzung ihrer anziehenden Wirkung auf den Liebhaber. Doch anders als bei den Romantikern prägt die geliebte Frau nicht Liebreiz, ein zärtliches Gemüt und Freundlichkeit, sondern despotische Kälte. Baudelaire feiert in seinem Gedicht L’Idéal50, das sich von den VignettenSchönheiten distanziert, die faszinierende schreckliche Schönheit einer Lady Macbeth: Nein, diese Schönen der Vignetten, schadhafte Erzeugnisse eines nichtsnutzigen Jahrhunderts, diese Füße in Stöckelschuhen, diese Finger mit Kastagnetten, sie werden niemals einem Herzen wie dem meinen genügen können. Gern lasse ich Gavarni, dem Dichter der Bleichsucht, seine zwitschernde Schar von Schönen des Spitals, denn unter diesen fahlen Rosen kann ich keine Blume finden, die meinem roten Ideal gleicht. Wonach dies abgrundtiefe Herz verlangt, das seid Ihr, Lady Macbeth, Seele der Untat mächtig, ein Traum des Äschylus, der, wo der Nordsturm wütet, sich entfaltete; Oder aber du, große Nacht, Tochter des Michelangelo: gelassen windest du in ungewohnter Pose deine Reize, die für die Münder der Titanen gestaltet sind!51
Das Ich, das um die Abgründe seines Herzens weiß, die janusköpfigen Leidenschaften mit ihrer Wollust und Qual durchlebt, interessiert sich nicht für die lieblich sanfte Schönheit, für die „blassen Rosen“, es sucht die Blume, die seinem „rouge idéal“ ähnelt, die majestätische Heroine, die durch die Unbedingtheit
49 E. T. A. Hoffmann, Die Jesuiterkirche in G., in: Sämtliche Werke in sechs Bänden, hrsg. von Wulf Segebrecht, II. Bd.: Fantasie- und Nachtstücke, München 1976, S. 413ff. 50 Baudelaire, L’Idéal, in: Baudelaire, Œuvres (wie Anm. 4), S. 22. 51 Baudelaire, Das Ideal, in: Die Blumen des Bösen (wie Anm. 33), S. 45f. Originaltext: „Ce ne seront jamais ces beautés de vignettes, / Produits avaries, nés d’un siècle vaurien, / Ces pieds à brodequins, ces doigts à castagnettes, / Qui sauront satisfaire un cœur comme le mien. / Je laisse à Gavarni, poète des chloroses, / Son troupeau gazouillant de beauté d’hôpital, / Car je ne puis trouver parmi ces pâles roses. / Une fleur qui ressemble à mon idéal. / Ce qu’il faut à ce cœur profond comme un abîme, / C’est vous, Lady Macbeth, âme puissante au crime, / Rêve d’Eschyle éclos au climat des autans; / Ou bien toi, grande Nuit, fille de Michel-Ange, / Qui tors paisiblement dans une pose étrange. / Tes appas façonnés aux bouches des Titans.“ Baudelaire, L’Idéal (Les Fleurs du Mal), in: Baudelaire, Œuvres (wie Anm. 4), S. 22.
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ihres Willens fasziniert.52 Das „rouge idéal“, den „pâles roses“ entgegengesetzt, suggeriert Blut, Leidenschaft und Aggressivität. Die Größe, die aus der Heftigkeit einer Passion erwächst, zeigt zugleich eine moralische Indolenz, eine Affinität zum Bösen, zum Verbrechen. Das entspricht der Amoralität, die Baudelaire in der Hymne à la Beauté53 beschwört. Wenn er im letzten Terzett die große Nacht evoziert, deren Reize für die Münder der Titanen bereitet sind, feiert er den Übermenschen, dessen Größe mit Wildheit und Frevel verbunden ist. Die große Nacht, als die Mutter der Titanen, atmet nichts mehr von der balsamischen Ruhe, die Novalis in seinen Hymnen an die Nacht preist, sie bedeutet Reichtum und Gewalt des Chaos. Was die Titanen wie auch Satan für die Dichter einer dandyistischen Ästhetik gerade interessant macht, ist ihre Revolte gegen eine installierte Macht, ihr stolzer Nihilismus, der sowohl eine religiös fundierte Wertordnung als auch die anerkannten Sinngebungen des Lebens in Frage stellt. Die Schönheit, wieder als Frau inszeniert, wird hier von dem Dichter in ihrer faszinierenden majestätischen Aura jenseits aller Moral gefeiert: Ob du vom Himmel, ob du aus der Hölle kommst, gleichviel, o Schönheit! Du Ungeheuer, gewaltig, erschreckend, doch ohne Arglist; wenn dein Auge, dein Lächeln, dein Fuß mir das Tor eröffnen einer Unendlichkeit, die ich liebe, ohne sie je gekannt zu haben. Von Satan oder von Gott, gleichviel! Engel oder Sirene, gleichviel, wenn du nur – Fee mit den Samtaugen, Rhythmus, Duft, Schimmer, o meine einzige Königin! – die Häßlichkeit der Welt verringerst und die Last der Augenblicke leichter machst!54
In dem Gedicht La Beauté lässt der Autor die Schönheit selbst als schöne Frau auftreten, und diese zeigt sich als stolze Herrscherin, die ganz dem dandyistischen Ideal entspricht: Schön bin ich, o ihr Sterblichen! Wie ein Traum aus Stein, und Meine Brust, an der noch jeder, einer um den anderen, sich 52 Baudelaire, Das Ideal (wie ebd.), S. 45. 53 Baudelaire, Hymne à la Beauté (Les Fleurs du Mal), in: Baudelaire, Œuvres (wie Anm. 4), S. 24. 54 Baudelaire, Hymnus auf die Schönheit, in: Die Blumen des Bösen (wie Anm. 33), S. 51f. Originaltext: „Que tu viennes du ciel ou de l’enfer, qu’importe / O Beauté! Monstre énorme, effrayant, ingénue! / Si ton oeil, ton souris, ton pied, m’ouvrent la porte / D’un Infini que j’aime et n’ai jamais connu? / De Satan ou de Dieu, qu’importe? Ange ou Sirène, / Qu’importe, si tu rends, – fée aux yeux de velours, / Rythme, parfum, lueur, ô mon unique reine! – / L’univers moins hideux et les instants moins lourds?“ Baudelaire, Hymne à la Beauté (wie Anm. 53), S. 24f.
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zerschunden, ist geschaffen, dem Dichter eine Liebe einzuhauchen, die ewig und stumm ist wie der Stoff. Ich throne in der Bläue gleich einer unverstandenen Sphinx; ein Herz aus Schnee schlägt unter meiner schwanenweißen Haut; ich hasse die Bewegung, die die Linien verschiebt, und niemals weine und niemals lache ich. Die Dichter vor meinen großen Haltungen, die ich den stolzesten Denkmalen zu entlehnen scheine, werden in strengem Forschen ihre Tage verzehren; Denn mein sind, diese gefügigen Liebhaber zu bannen, zwei reine Spiegel, die alle Dinge schöner machen: meine Augen, meine weiten Augen voll ewiger Klarheiten.55
Selbstbewusst spricht die Schöne zu den Sterblichen in diesem klassisch komponierten Sonett, das in seiner kühnen Metaphorik das Ideal der majestätischen Schönheit entwirft. Wieder dominiert eine Bildlichkeit der Kälte, der Härte; die Schönheit erscheint als ein Traum aus Stein, die ihren Adepten viel Mühsal abverlangt. Ihr Busen vermittelt keinerlei Wärme, an ihm stoßen sich ihre Anbeter; sie besitzt kein heißes, rotes Herz, sondern ein schwanenweißes Schneeherz. Bewusst wählt der Autor Bilder, die den Erwartungen widersprechen. Geheimnisvoll thront die Schönheit im Himmelsblau als Sphinx, als kühles rätselhaftes Wesen, bewegungslos, gleichmütig ohne Lachen, ohne Weinen. Ihr eignet die impassibilité des Dandys. Ihre großen Gesten erinnern an stolze Monumente. Deutlich ist der Zug der Schönheit ins Heroische, Monumentale, groß der Kontrast zu ihren gelehrigen Liebhabern, die wie ungelenke Anfänger wirken. Nicht Inspiration und Musenkuss lassen das Schöne entstehen, sondern verzehrende, asketische Übungen, die an klösterliche Disziplin gemahnen. Bedeutungsvoll beschwört das zweite Terzett die weiten klaren Augen der Schönheit als reine Spiegel, die in ihrem Glanz dem Betrachter keinen Einblick in ihr Inneres gestatten, ihr Geheimnis bewahren. Offenkundig inszeniert Baudelaire hier die Schön55 Baudelaire, Die Schönheit, in: Die Blumen des Bösen (wie Anm. 33), S. 45. Originaltext: „Je suis belle, ô mortels comme un rêve de pierre, / Et mon sein, où chacun s’est meurtri tour a tour. / Est fait pour inspirer au poète un amour. / Éternel et muet ainsi que la matière. / Je trône dans l’azur comme un sphinx incompris; / J’unis un cœur de neige à la blancheur des cygnes; / Je hais le mouvement qui déplace les lignes, / Et jamais je ne pleure et jamais je ne ris. / Les poètes devant mes grandes attitudes, / Que j’ai l’air d’emprunter aux plus fiers monuments, / Consumeront leurs jours en d’austères études, / Car j’ai, pour fasciner ces dociles amants, / De purs miroirs qui font toutes choses belles: / Mes yeux, mes larges yeux aux clartés éternelles!“ Baudelaire, La Beauté (Les Fleurs du Mal), in: Baudelaire, Œuvres (wie Anm. 4), S. 21.
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heit als Frau, und die Frau als dandyistisches Wesen, das in seiner majestätischen Aura ihre Adepten fasziniert und fordert. Auch in dem Gedicht Les Bijoux aus den Pièces condamnées evoziert Baudelaire die Liebste mit Attributen, die an das dandyistische Ideal spiritueller Eleganz und impassibilité / Unerschütterlichkeit erinnern: Die Liebste war nackt, und da sie mein Herz kannte, hatte sie Nur ihr klingendes Geschmeide anbehalten, dessen reicher Zierat Ihr jene Siegesmiene gab, wie sie an frohen Tagen die Sklavinnen Der Mauren schmückt. Wenn diese schimmernde Welt aus Steinen und Metall im Tanze Hell und spöttisch klirrt, reißt sie mich in Verzückung, und Leidenschaftlich liebe ich die Dinge, in denen Klang und Glanz sich Mischen. Nun also lag sie hingestreckt und ließ sich lieben, hoch von dem Diwan lächelte sie wohlgefällig auf meine Liebe nieder, die, wie Das Meer so tief und sanft, zu ihr aufbrandend wie zu seiner Klippe stieg. Die Augen starr auf mich gerichtet, gezähmtem Tiger gleich, Versuchte sie versonnen, und wie zerstreut bald diese, bald jene Haltung; Unschuld und Geilheit im Verein verliehen diesen Wechselspielen einen neuen Reiz; Ihr Arm, ihr Bein, ihr Schenkel, ihre Lenden, blank wie Öl und Wellenhaft sich biegend wie ein Schwan, deutlich zogen sie vor Meinem ruhigoffnen Blick vorüber; ihr Bauch und ihre Brüste, Diese Trauben meines Weinstocks, Schoben, schmeichelhafter als des Bösen Engel sich näher, um Meine Seele aufzuscheuchen aus ihrer Ruhe und sie herabzulocken Von dem kristallnen Felsen, den sie in ungestörter Einsamkeit zu ihrem Sitz erwählt. In einer neuen Zeichnung glaubte ich die Hüften der Antiope Mit eines Jünglings Brust vereint zu sehen, so kräftig sprang das Becken unter ihrer Taille vor. Prachtvoll saß die Schminke auf dieser fahlen, braunen Haut! Und als die Lampe dann verlöschend, erhellte der Kamin Allein noch das Gemach; so oft auflodernd einen Seufzer Schickte, überschwemmte er diese Ambrahaut mit Blut!56 56 Baudelaire, Die Geschmeide, Verurteilte Gedichte aus den „Die Blumen des Bösen“, in: Die
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Die Liebste kennt den Geschmack ihres Liebhabers, sie ist nackt bis auf ihre klingenden Schmuckstücke. Hier umgibt nicht ein „rosafarbnes Frühlingswetter das liebliche Gesicht“, sondern reiches Schmuckwerk mit seinem metallischen Klang und Glanz bannt den Blick; die aus Stein und Metall strahlende Welt entzückt das Ich bis zur Ekstase.57 Wieder die Verkehrung von Substanz und Akzidenz, von Leib und schmückendem Beiwerk. Die synästhetische Wirkung des Schmucks bringt die Schönheit erst zur Geltung, macht die Nacktheit noch verführerischer. Wieder erscheint die Frau als majestätisches Wesen, das quasi aus der Höhe erhaben, entspannt lächelnd auf ihren Liebhaber blickt, sich lieben lässt, wie die Katze sich liebkosen lässt. Bezeichnend ist das Bild seiner tiefen Liebe als Meer, das gegen die Liebste als Steilküste anbrandet. Sie bleibt die Unerschütterliche und beherrscht durch ihre Passivität, ihre Gelassenheit die Szene. Diese Liebste, ein gezähmter Tiger, arglos und geil zugleich, probiert Posen aus, versteht das kunstvolle Spiel der Verführung. Das lyrische Ich evoziert Schenkel, Lenden, Bauch und Brüste, die ganze erotische Leiblichkeit der Frau, doch es entsteht keine sexuelle schwüle Atmosphäre, die Augen des Betrachters bleiben heiter und klar; jedoch die Brüste, die Trauben des Weinstocks – eine Anspielung auf das biblische Hohe Lied – nähern sich verführerischer als die Engel des Bösen, um die Ruhe der Seele, die still und einsam an einem Kristallfelsen weilt, aufzustören. Das Ich genießt den Anblick der Szene und scheint sich beim Genuss zuzuschauen, nie lässt es sich von sexueller Lust überschwemmen; ganz Ästhet betrachtet es das lässige Spiel von Posen, den malerischen Anblick von Glätte Blumen des Bösen (wie Anm. 33), S. 319f. Originaltext: „La tres chère était nue et, connaissant mon cœur. / Elle n’avait gardé que ses bijoux sonores, / Dont le riche attirail lui donnait l’air vainqueur. / Qu’ont dans leurs jours heureux les esclaves des Mores. / Quand il jette en dansant son bruit vif et moqueur, / Ce monde rayonnant de métal et de pierre / Me ravit en extase, et j’aime à la fureur. / Les choses où le son se mêle à la lumière. / Elle était donc couchée et se laissait aimer, / Et du haut du divan elle souriait d’aise. / À mon amour profond et doux comme la mer, / Qui vers elle montait comme vers sa falaise. / Les yeux fixés sur moi, comme un tigre dompté, / D’un air vague et rêveur elle essayait des poses, / Et la candeur unie à la lubricité. / Donnait un charme neuf à ses metamorphoses; /Et son bras et sa jambe, et sa cuisse et ses reins, / Polis comme de l’huile, onduleux comme un cygne, / Passaient devant mes yeux clairvoyants et sereins; / Et son ventre et ses reins, ces grappes de ma vigne, / S’avançaient, plus câlins que les Anges du mal, / Pour troubler le repos où mon âme était mise, Et pour déranger du rocher de cristal. / Où, calme et solitaire, elle s’était assise. / Je croyais voir unis par un nouveau dessin. / Les hanches de l’Antiope au buste d’un imberbe, / Tant sa taille faisait ressortir son bassin. /Sur ce teint fauve et brun le fard était superbe! / Et la lampe s’étant résignée à mourir, / Comme le foyer seul illuminant la chambre, / Chaque fois qu’il poussait un flamboyant soupir, / Il inondait de sang cette peau couleur d’ambre!“ Baudelaire, Les Bijoux, Pièces condamnées tirées des „Les Fleurs du Mal“, in: Baudelaire, Œuvres (wie Anm. 4), S. 158f. 57 Baudelaire, Les Bijoux, S. 158 bzw. Die Geschmeide, S. 319 (wie ebd.).
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und Bewegung der Glieder, das Zugleich von Geilheit und Unschuld, und empfindet einen neuen Reiz. Beim Anblick des üppigen Beckens, das ihre schmale Taille noch betont, assoziiert der kunstsinnige Liebhaber Antiope, eine Geliebte des Zeus, die in Gemälden von Antonio da Correggio, Jean-Auguste-Dominique Ingres und Antoine Watteau als nackte imposante Gestalt dargestellt wurde, und er fügt vor seinem geistigen Auge den bekannten Gemälden ein neues hinzu, das den Kontrast von Becken und jünglingshafter Büste betont. Und ganz im Sinne seiner Eloge du Maquillage feiert er die Schminke auf ihrem falben braunen Teint. Er bleibt der ästhetische Connaisseur, der, ganz Dandy, auch bei der Liebe vor einem Spiegel lebt, vor dem Spiegel seines beobachtenden Bewusstseins. Die letzte Strophe evoziert das dunkle Zimmer, in dem die Lampe erloschen ist, nur der Ofen brennt; wenn der seine flackernden Seufzer ausstößt, wird die bernsteinfarbene Haut mit Blut überflutet. Die Blutmetapher taucht den Ort in ein schauriges Licht, erfüllt die Szenerie mit einer magischen Aura, stilisiert die Frau zu einem dämonischen Wesen, das in seiner amoralischen Lässigkeit, in seiner wirkungsvoll exponierten Schönheit das dandyistische Ich in seiner stolzen impassibilité bedroht Deutlich tritt die Sorge des Ichs hervor, durch erotischen Reiz seine Seelenruhe zu verlieren. Hier äußert sich der Dandy, der beobachtet, sich zuschaut bei der Liebe, der niemals die Herrschaft über sich verlieren möchte und der einer Frau begegnet, die majestätisch als femme dandy dominieren will. „Erschreckendes Spiel, in dem es so sein muss, dass einer der Spieler die Herrschaft über sich verliert!“58 Die Frauengestalten, die Baudelaire in den hier vorgestellten Gedichten entwirft, entsprechen keineswegs dem triebhaft-natürlichen Wesen, das gierig und spontan seine Lust befriedigt, im Gegenteil, er stilisiert sie zu stolzen majestätischen Wesen von erlesener Eleganz, die voller indolence, mit der impassibilité des Dandys auf ihren Liebhaber schauen.
58 Baudelaire, Raketen (wie Anm. 23), S. 321. Originaltext: „Épouvantable jeu où il faut que l’un des joueurs perde le gouvernement de soi-même!“ Baudelaire, Les Fusées (wie Anm. 4), S. 651.
Sebastian Neumeister
Gabriele d’Annunzio: Ein Dandy zwischen Leben und Literatur Man is least himself when he talks in his own person. Give him a mask and he will tell you the truth. Oscar Wilde
Am Beginn möge ein Zitat stehen: Graf Andrea Sperelli […] war tatsächlich der ideale Typ des jungen italienischen Adligen im 19. Jahrhundert, ein wahres Exemplar eines Geschlechts von Edelleuten und eleganten Künstlern, der letzte Abkömmling einer durchgeistigten Rasse. Er war sozusagen ganz von der Kunst durchdrungen. Seine Jugend, die er mit vielfältigen, weitreichenden Studien zubrachte, schien wundervoll. Bis zum Alter von 20 Jahren wechselten ausgedehnte Lektüren mit weiten Reisen in Begleitung des Vaters ab, und so konnte er seine außergewöhnliche ästhetische Bildung ohne pädagogische Zwänge und Einschränkungen unter der väterlichen Obhut vollenden. Vom Vater hatte er denn auch den Kunstsinn, die leidenschaftliche Verehrung für die Schönheit, die paradoxe Verachtung von Vorurteilen, die Gier nach Genuß.1
Der Vater ist es auch, der ihm die Leitlinien für ein Leben gibt, das diesen Vorstellungen entspricht: „Man muß das eigene Leben gestalten, wie man ein Kunstwerk gestaltet. Das Leben eines Mannes von Geist muß sein eigenes Werk sein. Hierin liegt die wahre Überlegenheit.“2 Der hier sein Leben komplett unter das Gesetz der Schönheit stellen soll, ist der Hauptheld eines der erfolgreichsten Romane des ausgehenden 19. Jahrhunderts, Il Piacere, zu deutsch sehr unschön mit dem Titel Die Lust wiedergegeben.3 Es ist der erste Roman des italienischen Autors Gabriele D’Annunzio (1863–1938)4, erschienen 1889 und ins Deutsche übersetzt 1899. Andrea Sperelli ist in den zwei Teilen des Romans ein junger Mann, der zwei Frauen liebt, zuerst eine Elena und dann eine Maria. Die eine steht für die irdische Liebe, die andere für die himmlische, 1 Gabriele D’Annunzio, Lust. Aus dem Italienischen übersetzt von Claudia Denzler, Stuttgart 1995, S. 40f. 2 Ebd., S. 41. 3 Vgl. dazu Wolfgang Drost, Negative Idealität im Denken Gabriele d’Annunzios: eine Lektüre des Romans „Il Piacere“ (1889), in: Italienische Studien 3 (1980), S. 45–57; Joachim Küpper, Dekadenz. Zu Gabriele d’Annunzios Il Piacere, in: Ders., Zum italienischen Roman des 19. Jahrhunderts. Foscolo. Manzoni. Verga. D’Annunzio, Stuttgart 2002, S. 114–148 (mit reichen Literaturangaben). 4 Zu D’Annunzios Leben und Werk vgl. Maria Gazzetti, Gabriele d’Annunzio, Reinbek 1989.
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die eine als femme fatale, die andere als femme fragile,5 also eine archetypische Situation, in der Andrea Sperelli Mühe hat, jenseits der Lust sein ästhetizistisches Lebensideal nicht aus den Augen zu verlieren. Denn, so hatte ihm der Vater ebenfalls mitgegeben: „Man muß um jeden Preis die innere Freiheit bewahren, selbst im Rausch. Das ist die Regel eines Mannes von Geist: habere, non haberi.“6 Wir haben hier offenbar die typische Figur eines Dandys vor uns, heißt es doch auch in Charles Baudelaires klassischer Beschreibung des Dandytums: Es ist eine Art Selbstkult, der stärker sein kann als die Glücksuche bei anderen, bei der Frau zum Beispiel, der sogar stärker sein kann als alles, was man Illusionen nennt. Es ist das Vergnügen zu erstaunen und die stolze Zufriedenheit, selbst nie erstaunt zu sein.7
Andrea Sperelli hat schon deshalb mehr Ähnlichkeit mit dem Dandy Baudelaires als zum Beispiel mit George Brummel oder dem Jean Des Esseintes von JorisKarl Huysmans, weil er den verführerischen Reizen der Frau ausgesetzt ist und ihnen auch ständig erliegt. Die Frau aber ist Baudelaire zufolge das Gegenteil des Dandys, sie ist nicht Kunst, sondern Natur: „La femme est naturelle, c’est-à-dire abominable. Aussi est-elle toujours vulgaire, c’est-à-dire le contraire du dandy.“8 Gerade Kunst, Stil, Geschmack sind aber die Kriterien, nach denen der Dandy sein Leben gestaltet.9 Was Baudelaire, der eine Éloge du maquillage, ein Lob des Schminkens verfasst hat, über die Ästhetik des Dandys gesagt hat, gilt deshalb auch für Andrea Sperelli: Ob diese Menschen sich nun raffiniert, unglaublich, schön, Salonlöwen oder Dandys nennen lassen, alle sind derselben Herkunft, alle haben Anteil an demselben Charakter der Opposition und der Revolte, alle sind Vertreter des Besten, das es im menschlichen Stolz gibt, jenes Bedürfnisses, allzu selten bei den heutigen Menschen, die Trivialität zu bekämpfen und zu zerstören.10 5 Vgl. zu dieser Polarität Hans Hinterhäuser, Fin de Siècle, München 1977, S. 110–117. 6 D’Annunzio, Lust (wie Anm. 1), S. 42. 7 Übers. S. N. Originaltext: „C’est une espèce de culte de soi-même, qui peut survivre à la recherche du bonheur à trouver dans autrui, dans la femme, par exemple; qui peut survivre même à tout ce qu’on appelle les illusions. C’est le plaisir d’étonner et la satisfaction orgueilleuse de ne jamais être étonné.“ Charles Baudelaire, Œuvres complètes, hrsg. von Claude Pichois, Paris 1976, Bd. II, S. 710. 8 Ebd., S. 1272. 9 Zur französischen Kulturgeschichte des Dandy in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vgl. ausführlich Michel Lemaire, Le Dandysme de Baudelaire à Mallarmé, Montréal/Paris 1978. 10 Übers. S. N. Originaltext: „Que ces hommes se fassent nommer raffinés, incroyables, beaux, lions ou dandys, tous sont issus d’une même origine; tous participent du même caractère d’opposition et de révolte; tous sont des représentants de ce qu’il y a de meilleur dans l’orgueil humain, de ce besoin, trop rare chez ceux d’aujourd’hui, de combattre et de détruire la trivialité.“
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Die Jahre um 1860, als Baudelaire seinen Essay über den Dandy schreibt, sind für Frankreich Jahre des Übergangs. Noch einmal triumphiert mit Napoleon III. eine monarchische Staatsform, doch es ist eine allein auf längst vergangenen imperialen Glanz gestützte Monarchie. Sie hat nach den Revolutionen von 1789, 1830 und 1848 in einer sich ideologisch zunehmend verbürgerlichenden Gesellschaft auf Dauer keine Chance mehr. Nicht um eine soziale Revolte aber geht es Baudelaire, sondern um eine ästhetische. Auch wenn Baudelaire von einer neuen Aristokratie spricht, will er damit keine konservative Revolution auslösen, sondern der Trivialität seiner Zeit ein ästhetisches Ideal, ja eine Religion entgegenstellen. Adel kann nun nur noch geistiger Natur sein, nicht mehr durch Herkunft begründet und – contradictio in adjecto – schon gar nicht durch geregelte Arbeit. Baudelaires Resümee ist bekannt: Das Dandytum ist der letzte Abglanz des Heroismus im Zeitalter der Dekadenz […]. Das Dandytum ist eine untergehende Sonne; wie der versinkende Stern ist er superb, ohne Wärme und voller Melancholie. Aber, ach! Die steigende Flut der Demokratie, die alles überflutet und alles nivelliert, ertränkt Tag für Tag diese letzten Vertreter des menschlichen Stolzes und schickt Wellen des Vergessens über die Spuren dieser erstaunlichen Myrmidonen.11
Das sind Sätze, an die sich D’Annunzio erinnert haben kann, als er 25 Jahre nach ihrer Veröffentlichung in ländlicher Einsamkeit seinen Roman Il piacere schrieb. Denn hier findet sich nicht nur ein ganz ähnlicher Satz: In der grauen Sintflut der heutigen Demokratie, die viele schöne und seltene Dinge elend überschwemmt, verschwindet allmählich auch jene einzigartige Klasse des alten italischen Adels, in der von Generation zu Generation eine bestimmte vertraute Tradition erlesener Kultur, Eleganz und Kunst am Leben erhalten wurde.12
Baudelaire, Œuvres (wie Anm. 7), S. 711. 11 Übers. S. N. Originaltext: „Le dandysme est le dernier éclat d’héroïsme dans les décadences […]. Le dandysme est un soleil couchant; comme l’astre qui décline, il est superbe, sans chaleur et plein de mélancolie. Mais, hélas! La marée montante de la démocratie, qui envahit tout et qui nivelle tout, noie jour à jour ces derniers représentants de l’orgueil humain et verse des flots d’oubli sur les traces de ces prodigieux myrmidons.“ Ebd., S. 711f. 12 D’Annunzio, Lust (wie Anm. 1), S. 38f. D’Annunzio steht mit dieser Sicht in scharfem Kontrast zu Alexis de Tocqueville, der schon 1840 dem heraufziehenden Zeitalter der Demokratie durchaus die Fähigkeit zubilligt, hochrangige Kultur und Literatur zu erzeugen (Alexis de Tocqueville, De la démocratie en Amérique, Paris 1951, tome I, 2, chap. IX–XV). Zur Problematik des soziologisch akzentuierten Ansatzes von Tocquevilles Kulturtheorie vgl. Sebastian Neumeister, Perfektibilität und Vollkommenheit im Zeitalter der Gleichheit: Tocqueville und Baudelaire, in: Ders., Literarische Wegzeichen. Vom Minnesang zur Generation X, Heidelberg 2004, S. 225–239.
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Sondern der ganze Roman ist ein Zeugnis heroischen Scheiterns im Zeitalter der Dekadenz. Andrea Sperelli ist zwar ein Spross aus altem Adelsgeschlecht (sein voller Name ist Andrea Sperelli-Fieschi d’Ugenta), doch „[i]m Aufruhr der widersprüchlichen Neigungen hatte er jeden Willen und jede Moral verloren. Der Wille hatte abgedankt und das Zepter den Instinkten überlassen; der ästhetische Sinn hatte den moralischen abgelöst.“13 Der ästhetische Sinn ist es auch, der den ganzen Roman und vor allem seinen Haupthelden beherrscht. Spirituell lebt Andrea Sperelli im Luxus, er kann auf kostbar eingerichtete Interieurs und rauschende Feste in Adelskreisen nicht verzichten, vor allem aber nicht auf schöne Frauen, die Gemälden der italienischen Renaissance entstiegen scheinen und ihm verfallen, so wie er ihnen verfällt. Robert Musil hat 1938 im Rückblick Il Piacere als „eines der ersten Bücher, durch die ich vor 40 Jahren Bekanntschaft mit der ‚Moderne‘ machte“, bezeichnet, ein Buch, das durch „eine allgemeine Immoralität und einen ebenso allgemeinen Ästhetizismus“ Einfluss auf ihn gehabt habe. Auch habe er von D’Annunzio den Eindruck, „daß er sich seine Inspirationen aus Büchern und Bildersammlungen holt“.14 Es ist jedoch gerade dieses Ambiente einer amoralischen Künstlichkeit, das den Roman zum Erfolg gemacht hat, seine Interieurs – Hofmannsthal spricht von einem „Triumph der Möbelpoesie“15 – zum Stil der haute volée von Rom und 13 Ebd., S. 44. Deutlich ist hier der Einfluss von Henri-Frédéric Amiels „Fragments d’un journal intime“ (postum 1884). Gleiches gilt für Paul Bourgets „Essais de psychologie contemporaine“ (1883/85), auch wenn dieser Amiel wegen seiner Haltung der Unentschlossenheit einen „Hamlet protestant“ genannt hat. Wie eng, nämlich bis zur wörtlichen Übernahme ganzer Passagen, sich D’Annunzio bei seiner Zeichnung der Figur Andrea Spirellis an Amiel orientiert hat, zeigt eindrucksvoll die Gegenüberstellung, die Annamaria Andreoli in ihrem Katalog der Pariser D’Annunzio-Ausstellung 2001 vorgenommen hat (D’Annunzio 1863–1938. Par Annamaria Andreoli, présidente du Vittoriale degli Italiani, Paris 2001, S. 72f.). 14 Robert Musil, Aus den Tagebüchern, Frankfurt a. M. 1963, S. 157 u. 159. 15 Hugo von Hofmannsthal, Gabriele d’Annunzio (I), in: Ders., Prosa I, Frankfurt a. M. 1956, S. 157. Das wichtigste Beispiel für eine solche „Möbelpoesie“ liefert bekanntlich Joris-Karl Huysmans in seinem Roman „A Rebours“ (1884) mit der Beschreibung des Hauses des Protagonisten Des Esseintes. Im deutschen Sprachraum kann dafür das legendäre Atelier von Hans Makart in Wien stehen, eine aufwendige Konkretisierung der Ästhetik der décadence: „Da begegnet man auf reich ornamentierter, deutscher Renaissancetruhe einem chinesischen Idol oder einem hellenischen Anathema in Terracotta; unter einem Baldachin, getragen von zwei spätrömisch gewundenen Säulen, der Armatur eines Geharnischten; in einem Spinde altitalienischer Arbeit prunkt eine Kollektion gold- und perlenbesetzter orientalischer Hauben; von einem hohen, kaminartigen Aufsatze grüßt aus phantastisch in Holz geschnittenem Encadrement ein weibliches Brustbild nieder, das zwei flott modellierte Allegorien flankieren; Smyrnaer und Gobelins verkleiden die Wände, von den sich eine Anzahl guter Kopien nach alten Italienern und Niederländern wirksam absetzen; abenteuerlich geformte Kronen, Ampeln, Leuchterweibchen lassen den Blick zum mächtigen Deckengetäfel empor schweifen; antikes und mittelalterliches Gewaffen ziert hier einen
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seinen Autor zur Berühmtheit. Denn da die Handlung nur fünf Jahre vor dem Erscheinen des Romans angesiedelt ist und die römischen Örtlichkeiten exakt der Wirklichkeit entsprechen, war D’Annunzio der Beifall einer ästhetisch sensibilisierten Leserschaft gewiss. Und dies umso mehr, als er auch selbst durch die Heirat mit einer jungen Frau aus dem römischen Hochadel Zugang zu den höchsten Kreisen der Gesellschaft erhielt und auch das eigene Leben entsprechend gestalten konnte, wenn auch immer wieder unterbrochen von Gefühlskatastrophen und Bankrotterklärungen. Diese Anbindung der Fiktion an die eigene Vita wird D’Annunzio durch sein ganzes Leben begleiten. Der Weg vom Leben in die Literatur ist bei ihm kurz und direkt und dies, obwohl seine Romane bei aller Hochachtung für Émile Zola nicht naturalistisch, sondern illusionistisch und elitär sind. Nein, die Verwandlung des eigenen Lebens in Fiktion ist durchaus existentiell, sie erfasst auch die Person selbst und zwingt sie unerbittlich zur Stilisierung ihrer selbst: Das Leben als Kunstwerk, aber auch als, wie es Hugo von Hofmannsthal formuliert, Flucht aus der Wirklichkeit, als Triumphzüge und Schäferspiele der Schönheit, inkarnierte Traumschönheit, von Sehnsucht und Ferne verklärt, Dinge, die wir herbeirufen, wenn unsere Gedanken nicht stark genug sind, die Schönheit des Lebens zu finden, und fortstreben, hinaus nach der künstlichen Schönheit der Träume.16
Denn dass dieses Leben nicht ohne Gefahren ist, hat D’Annunzio schon in seinem ersten Roman gesehen, wenn er von dem in immer neue Liebschaften verstrickten Andrea Sperelli sagt: Dieser sensible Schauspieler konnte sich das Schauspiel der Liebe nicht ohne Szenarium denken. Deshalb war sein Haus ein vollkommenes Theater und er ein sehr fähiger Regisseur. Aber er ließ fast immer sein ganzes Sein in das Kunstwerk eingehen; er verschwendete großzügig den Reichtum seines Geistes; er vergaß sich soweit, daß er nicht selten durch seine eigene Täuschung getäuscht wurde, durch seine eigenen Fallen zu Fall kam, durch seine eigenen Waffe verletzt wurde, wie ein Zauberer, der in seinem eigenen Zauberkreis gefangen ist.17 Thürsturz, hüllt dort eine Ecke. Und auf Boulemöbel oder Intarsiengestühl sitzend, umgeben von Büsten, Tierskeletten, Mumien, Oleanderbäumen und Musikinstrumenten, kommt man erst allgemach dazu, in der scheinbar wüst durcheinander wogenden Herrlichkeit die künstlerischen Einklänge zu entdecken.“ (Robert Stiassny, Hans Makart und seine bleibende Bedeutung, Leipzig 1886, S. 13f., zitiert nach: Klaus Gallwitz [Hrsg.], Makart [Ausstellungskatalog], Baden-Baden 1972, S. 207f.) Zur kulturgeschichtlichen Tiefendimension des ästhetischen bric-à-brac im Fin de siècle vgl. Ulrich Schulz-Buschhaus, Multiplizität der Kultur und Einheit des Lebens. Über ein Fin-desiècle-Motiv in Musils Mann ohne Eigenschaften, in: Rainer Warning/Winfried Wehle (Hrsg.), Fin de Siècle, München 2002, S. 321–373, insbes. S. 323–342. 16 Hofmannsthal, D’Annunzio (wie Anm. 15), S. 157. 17 D’Annunzio, Lust (wie Anm. 1), S. 19.
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Aus diesem histrionistischen Zauberkreis findet D’Annunzio als Autor nie mehr heraus. Seine Gedanken sind, wie wiederum Hugo von Hofmannsthal zu einem Lyrikband D’Annunzios treffend bemerkt hat, ständig „kostümiert“.18 In dem Roman Il fuoco (Das Feuer) aus dem Jahre 1900 heißt es vom Haupthelden, dem Dichter Stelio Effrena: Er war dazu gekommen, in sich selbst das innige Konnubium der Kunst mit dem Leben zu erreichen und so am Grunde seiner Substanz eine dauernde Quelle der Harmonie zurückzugewinnen. Er war dazu gekommen, in seinem Geiste auf Dauer und ohne Unterlaß die geheimnisvolle Bedingung zu schaffen, aus der das Kunstwerk entsteht, und so mit einem Schlag die flüchtigen Figuren seiner flatterhaften Existenz in Idealwesen zu verwandeln.19
Und, als kaum glaubliche Steigerung dieser Identität von Kunst und Leben, im nächsten Satz: Er hatte gerade diese seine Errungenschaft kundgetan, als er einer seiner Personen die folgenden Worte in den Mund gelegt hatte: „Ich erlebte in mir die ständige Entstehung eines höheren Lebens, in dem alle Erscheinungen sich wie durch einen magischen Spiegel verwandelten.“20
Was diesen letzten Satz so intrikat macht, ist die Tatsache, dass D’Annunzio sich hier selbst zitiert: Der Satz stammt aus dem Roman Le vergini delle rocce (Die Jungfrauen vom Felsen) von 1895.21 D’Annunzio macht sich gleichsam selbst zum Protagonisten seines Romans und liefert für diese Identität auch noch den Beleg, eine durchaus eigenwillige Auslegung psychologischer Authentizität.22 Der eigentliche Skandal von Il fuoco ist jedoch ein anderer, auch er das Produkt der ununterscheidbaren Vermengung von Leben und Kunst. Der Roman wurde nämlich vor allem deshalb zum Erfolg, weil D’Annunzio darin in großer Detailliertheit seine Liaison mit der berühmtesten Schauspielerin seiner Zeit zum Thema macht, mit Eleonora Duse. Fast zehn Jahre, von 1895 bis 1904, hielt ihre Verbindung trotz mannigfacher Krisen an. Sie zerbrach schließlich daran, dass D’Annunzio ihr mit einer neuen Geliebten untreu wurde, einer exzentrische Witwe mit zwei Kindern, die mit D’Annunzio die Leidenschaft für ein exzessives Luxusleben teilte. 18 Hofmannsthal, D’Annunzio (wie Anm. 15), S. 156. 19 Gabriele d’Annunzio, Il fuoco, in: Ders., Prose di romanzi, Bd. II, Milano 1989, S. 205. 20 Ebd., S. 206. 21 Gabriele d’Annunzio, Le vergini delle rocce, in: Ebd., S. 77. 22 Vgl. zum Folgenden Sebastian Neumeister, Selbststilisierung zwischen Leben und Werk: Liebesbriefe von Gabriele d’Annunzio, in: Renate Stauf [u. a.] (Hrsg.), Der Liebesbrief. Schriftkultur und Medienwechsel vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Berlin/New York 2008, S. 165–179.
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Im Blick auf den Text löste aber etwas anderes den Skandal aus: D’Annunzio stellt die fünf Jahre ältere Duse leicht erkennbar in der Figur der Perdita dar, der Verlorenen, wie schon der Name sagt, und kontrastiert sie mit einer jüngeren Sängerin, die eine als ein Symbol des Herbstes, die andere als Symbol des Frühlings: „Die Jungfrau war eine neue Kraft, eine unverschlossene Schönheit, eine Waffe, die noch nicht gezückt war, scharf und prachtvoll tauglich für den Rausch des Kampfes.“23 D’Annunzio verletzt mit dieser kontrastiven Symbolik nicht nur die Gefühle von Eleonora Duse, er benutzt ihre Berühmtheit auch ganz bewusst, um damit für seinen Roman zu werben. Es spricht für die Schauspielerin, dass sie auf den Vorschlag ihres Impresario, den Druck des Romans zu verhindern, antwortete: „Ich kenne den Roman, und ich werde dem Druck nicht verhindern. Mein Leiden zählt nicht, wenn es darum geht, der italienischen Literatur noch ein Meisterwerk zu schenken.“24 Auch die Duse also kann sich dem Zauber des egomanen Dandys, als der sich D’Annunzio immer wieder erweist, nicht entziehen. Der Roman Il fuoco ist ein Meisterwerk und wurde ein großer Erfolg für den Dichter. D’Annunzio hat die Kunst der Selbstbespiegelung, die „heimliche Gabe der Selbstverdoppelung“, von der Hugo von Hofmannsthal in Bezug auf ihn gesprochen hat, bis zum Exzess genutzt und auf die Spitze getrieben. „Wir schauen unserem Leben zu“, schreibt Hofmannsthal 1893 über sich und seine Generation und trifft damit die narzistische Haltung D’Annunzios sehr genau.25 D’Annunzio betreibt diese Autopsie im doppelten Sinne des Wortes ganz systematisch, er verirrt sich nicht wie sein Held Andrea Sperelli im Zauberkreis der eigenen Täuschungen, sondern macht das eigene Leben gezielt zur Probebühne seiner Kunst. Wir müssen deshalb, um das Phänomen des Dandys bei D’Annunzio und der von ihm erfundenen Figuren zu fassen, bei der Lektüre seiner Romane immer auch die produktive Spannung berücksichtigen, die zwischen dem Leben und Lieben D’Annunzios einerseits und seinem Schreiben andererseits besteht: l’homme et l’œuvre. In dem Roman Trionfo della morte (Triumph des Todes), entstanden zwischen 1889 und 1894, lesen die beiden Protagonisten, Giorgio Aurispa und seine Geliebte Ippolita Sanzio, gemeinsam in ihren alten Liebesbriefen. Es ist die Geschichte einer großen Leidenschaft mit all ihren Höhen und Tiefen, die hier aufscheint, so wenn es etwa heißt: Ein einziger Gedanke läßt mich nicht los, ein einziger Gedanke foltert mich: daß du fortgehen könntest. Niemals hat eine solche Möglichkeit mir unsinnigeres Entsetzen, herberen Schmerz verursacht. Ich habe in diesem Augenblick die absolute, klarste, überzeugte Gewißheit, daß ohne dich mein Leben unmöglich ist.26 23 Zitiert nach Gazzetti, D’Annunzio (wie Anm. 4), S. 65. 24 Zitiert nach ebd., S. 63. 25 Hofmannsthal, D’Annunzio (wie Anm. 15), S. 148. 26 Trionfo della morte (Triumph des Todes), in: Prose di romanzi, Bd. I, Milano 1988, S. 689.
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Typische Liebesbriefprosa also, es sind nicht weniger als 16 Briefe, die D’Annunzio im Zitat in den Text seines auktorial erzählten Romans integriert. Bemerkenswert an diesen Briefen ist jedoch nicht so sehr die psychologische Differenziertheit, mit der der Dichter darin die Seelenzustände des Liebhabers Giorgio Aurispa schildert, und auch nicht ihre gekonnte Stilisierung, wie er selbst hervorhebt: „Die lyrisch gehobene Ausdrucksweise bestimmter Sätze verblüffte ihn beinah“, heißt es an einer Stelle.27 Bemerkenswert ist vielmehr die Tatsache, dass alle diese Briefe echt sind, also als Briefe von der Hand D’Annunzios vorliegen. Sie stammen aus dem Briefwechsel mit Barbara Leoni, der Geliebten zur Zeit der Abfassung des Romans. Da diese Beziehung von 1887 bis 1892 andauerte, ist wie in der Schilderung der Duse in Il fuoco die Kongruenz schon rein chronologisch fast bis zur Identität getrieben, und es ist kaum noch zu unterscheiden, was hier authentisch ist und was Fiktion. Es ist dies ein Verfahren, das in diesem Roman noch mehrfach zum Zuge kommt, so etwa in der Einarbeitung einer Rede, die D’Annunzio wirklich gehalten hat. Die Nähe des eigenen Lebens zum Kunstwerk zeigt sich besonders deutlich in einem Brief, in dem D’Annunzio, der zur selben Zeit neben Barbara Leoni noch ein Verhältnis mit zwei anderen Frauen hat, an sie schreibt: Ich hoffte also, ich hoffe noch immer. Ich dachte: „Vielleicht gelingt es mir noch immer, sie verliebt zu machen. Hier, in der Intimität dieses hellen und ruhigen Hauses werde ich versuchen, der ideale Liebhaber für sie zu sein. Und vielleicht erwacht von neuem ihre Liebe.“28
Die Theatralität dieser Situation ist kaum noch zu überbieten: Der reale Liebhaber offenbart der Geliebten seine geheimsten Gedanken, den Plan nämlich, sie verliebt zu machen und der ideale Liebhaber für sie zu sein. Aber eben nur in der Inszenierung: Die Inauthentizität als amoralische Instrumentalisierung des romantischen Liebesideals.29 Und wieder denkt D’Annunzio dabei nur an sich selbst, nicht an die Geliebte: Der Dandy will bewundert, ja geliebt sein, ohne das eigene Selbst an die Geliebte zu verlieren: habere, non haberi. Diese Maxime gilt in Realität und Fiktion nicht nur für den Liebhaber D’Annunzio, sondern auch für den Autor. D’Annunzio hat im Zeitalter eines ständig wachsenden Massenpublikums vorgeführt, dass auch elitäre Distanz ein Erfolgsprinzip sein kann. Auch Baudelaire versucht sich, wie seine Gedichte, aber auch seine Aphorismen zeigen, in dieser elitären Distanz. Zwar verweigert er sich als Autor nicht mehr 27 Zitat aus der deutschen Übersetzung von Maria Gagliardi von 1899, in: Sebastian Neumeister, Selbststilisierung (wie Anm. 22), S. 174. 28 Zitat in deutscher Übersetzung aus: Come una carezza. Lettere d’amore dell’Ottocento italiano, a cura di Guido Davico Bonino, Torino 2004, S. 287. 29 Vgl. dazu Küpper, Dekadenz (wie Anm. 3), S. 124f., Anm. 39.
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der Menge wie die Vertreter des literarischen Dandytums in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts – George Brummell, Fürst Hermann von Pückler-Muskau, Lord George Byron oder die Dichter des französischen Parnass –, sondern nimmt sie in den Blick, am deutlichsten in der zutiefst ironischen Adresse „Aux bourgeois“, die er seinem Salon von 1846 voranstellt.30 Walter Benjamin hat die Dialektik dieser Konstellation in seinen späten Zentralpark-Fragmenten angesprochen. Baudelaire war, so Walter Benjamin, „befähigt oder genötigt, den Markt als objektive Instanz anzuerkennen“, er „hat vielleicht als erster die Vorstellung von einer marktgerechten Originalität gehabt, die eben dadurch damals origineller war als jede andere“.31 Dass er damit zu Lebzeiten gescheitert ist, hängt mit seiner mangelnden Integration in die Pariser Bohème seiner Zeit zusammen: Anders als D’Annunzio ist es ihm materiell und medial nicht gelungen, sich als Verkörperung des eigenen Dandy-Ideals zu präsentieren.32 D’Annunzio dagegen hat es durch alle Katastrophen und Skandale hindurch, ja eigentlich mit ihrer Hilfe immer wieder geschafft, sich ästhetisch, erotisch und politisch einer sensationssüchtigen Öffentlichkeit als Ausnahmeerscheinung aufzudrängen. D’Annunzio versteht sich, das zeigt besonders deutlich sein militärisch-politisches Abenteuer der mehr als einjährigen Herrschaft über Fiume, das heutige Rijeka (Kroatien), als moderner Held, der jedoch nichts anderes ist als ein Heldendarsteller. D’Annunzio hat während seiner Zeit als Journalist in Rom, als er seine Karriere als Dichter begann, nicht nur die französischen Erfolgsautoren der Jahrhundertmitte nach Italien gebracht, er adaptiert in Kleidung und Auftreten schon früh auch die Verhaltensweisen der französischen décadents, mit durchschlagendem Erfolg. Er führt ein sichtbar und bewusst skandalträchtiges Leben und kümmert sich doch zugleich, darin „als sein eigener Impresario“33 geschickter als Baudelaire, intensiv um die Preisgestaltung und den Vertrieb seiner Werke. Ein schönes Beispiel dafür bietet noch einmal der Roman Il piacere, für dessen Erfolg D’Annunzio in einer übermütigen Laune selbst versucht, die Kunst direkt in die Wirklichkeit zu überführen: Die Zeichnungen, die Andrea Sperelli, der Protagonist von Il piacere, angeblich hinterlassen hat, sollen, so seine extravagante und zugleich doch auf den Markt fixierte Vorstellung, real angefertigt und
30 Vgl. dazu Sebastian Neumeister, Der Dichter als Dandy. Kafka. Baudelaire. Thomas Bernhard, München 1973, S. 60–65. 31 Walter Benjamin, Zentralpark, in: Ders., Illuminationen. Ausgewählte Schriften, Frankfurt a. M. 1961, S. 249. 32 Vgl. dazu Günter Erbe, Dandys – Virtuosen der Lebenskunst. Eine Geschichte des mondänen Lebens, Köln [u. a.] 2002, insbes. das Kapitel „Baudelaire: Der Dandy als Asket“, S. 181–190. 33 Benjamin, Zentralpark (wie Anm. 31).
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im Schaufenster ausgestellt werden, wie eine Kuriosität, wenn der Name Sperelli schon bekannt sein wird. Wir machen eine limitierte Auflage und werden sie mit einem gewissen Geheimnis verkaufen. Der Gewinn geht ganz zu Gunsten der Werbung für den Roman, denn der seltene Radierer ist eben der Held des Romans.34
D’Annunzio hat mit seiner Marktstrategie großen Erfolg gehabt, wenn auch, das zeigt die ständige Fragilität dieses Verfahrens, eher literarisch als finanziell. Auch der weitere Verlauf des Lebens von D’Annunzio beweist, dass er ein echter Dandy war, der die eigene Legende produzierte, eine heroische Legende. Seine Rolle als Held im Ersten Weltkrieg seit 1915, auch dies immer eine publikumswirksame Inszenierung, sein tollkühner Flug über das feindliche Wien 1918, die Eroberung Fiumes 1919, die Annäherung an Mussolini in den folgenden Jahren – mit all diesen Aktionen machte sich D’Annunzio in eigener Regie auch zu einem nationalen Helden. Dass dabei immer die Ästhetik der Maßstab dieses Lebens war, zeigt sich am Alterssitz D’Annunzios, in dem er 1938 starb: Il Vittoriale am Gardasee, gleichsam eine Replik des imaginären Museums der Dekadenz, das sich Huysmans’ Des Esseintes in dem Roman A rebours in Fontenay bei Paris einrichtet.35 Die Villa am Gardasee hatte, bevor sie D’Annunzio aufwendig zu einem Ort der Schönheit und der Selbstfeier umbauen ließ, dem deutschen Kunsthistoriker Henry Thode gehört. Thode war mit Senta von Bülow, einer Stieftochter Richard Wagners, verheiratet, des Komponisten also, den D’Annunzio ebenso wie Nietzsche gleichermaßen bewunderte und bekämpfte. Das Klavier und die Bibliothek, die in der Villa verblieben waren, als sie 1918 vom italienischen Staat beschlagnahmt wurde, hatten, wie D’Annunzio nicht ohne Zufriedenheit vermerkte, einst Franz Liszt, dem Großvater von Senta von Bülow, gehört. Der Kreis schließt sich: Ein Dandy beerbt, wenn auch mit unschönen Begleiterscheinungen,36 den anderen.
34 Gabriele D’Annunzio, Brief an den Verleger Emilio Treves vom 12. Januar 1889, zitiert nach: Gazzetti, D’Annunzio (wie Anm. 4), S. 43f. 35 Eindrucksvolle Bilder der Villa und ihrer Ausstattung bietet der Katalog der Pariser D’Annunzio-Ausstellung: Andreoli, D’Annunzio (wie Anm. 13), insbes. Abteilung III: „LE VITTORIALE, une demeure d’art total“, S. 107–149. 36 Die Art und Weise, wie D’Annunzio die Witwe Henry Thodes behandelte, als diese ihn nach der Beschlagnahme der Villa um die Herausgabe von dessen Briefschaften bat, wurde zum Skandal. Die dänische Schriftstellerin und Feministin Karin Michaelis hat dem Vorfall eine Broschüre gewidmet: Der Fall D’Annunzio, Potsdam 1925 (2. Auflage). Vgl. Franz Blei, Gabriele d’Annunzio, in: ders., Schriften in Auswahl, München 1960, S. 242.
Biografien
Joseph Anton Kruse
„Das sieht so affektiert aus.“ Dandyhafte Bezüge und Strategien bei Heinrich Heine Skizzen zu einem randständigen Thema Nicht etwa, weil sich im Falle Heinrich Heines in Betrachtung wie Forschung bereits so manche unerwarteten Verknüpfungen ergeben haben, dass es auf eine weitere Idee zu seiner multiplen Persönlichkeit mehr oder weniger nicht ankäme, soll im Folgenden ein Phänomen zur Debatte stehen, welches sich gewissermaßen auf Umwegen oder nur beiläufig ergibt. Nein, der Gedanke einer Verbindung von Heine’schen Lebensumständen wie Verhaltensweisen mit dem Dandytum liegt aufgrund von Text- und Sachverhalten, die zwar bekannt sind, immer schon nahe, hat jedoch unter diesem speziellen Blickwinkel unseres vorliegenden Themas keine oder kaum Beachtung gefunden. Sein Erscheinungsbild als von außen zu betrachtendes Objekt zeitgenössischer Besonderheit und die Innenansicht eines Dichters, der von Widersprüchen und Extremen lebt, bilden dennoch zusammen jene Einheit, mit der Heine offensichtlich zu seiner Zeit Aufmerksamkeit fand und Furore machte. Die Bedeutung hat keineswegs abgenommen, sondern kann sich sogar als „Geschichte seiner Wirkung“1 bis in die Gegenwart hinein bestens sehen lassen. Dabei soll von vornherein zugestanden sein, Heine im vorliegenden Kontext nicht einfach zu einem Dandy erklären zu können oder machen zu wollen, zumal seine Auffassung wie Wirkung vom politischen Begriff des Schriftstellerberufes einer eher individuell getönten Außenseiterschaft oder Selbststilisierung des Dandys, der über beziehungsweise außerhalb seiner Zeit steht oder sich bewegt, eigentlich widerspricht. Seine spezielle, unbestreitbar vorhandene Minderheitenerfahrung und Individualisierung hatten sich gerade aus dem literarisch fruchtbar gemachten politisch-kritischen Bewusstsein ergeben, einer ganz bestimmten historischen Situation verpflichtet zu sein. Schließlich war seine Stellung eindeutig und willentlich durch die moderne Schreibart mit Blick auf ein möglichst großes Publikum gekennzeichnet. Darüber hinaus fand aufgrund seiner jüdischen Herkunft eine gleichzeitig traditionsstif1 Vgl. Dietmar Goltschnigg/Hartmut Steinecke (Hrsg.), Heine und die Nachwelt. Geschichte seiner Wirkung in den deutschsprachigen Ländern. Texte und Kontexte, Analysen und Kommentare, 3 Bde. (1856–1906; 1907–1956; 1957–2006), Berlin 2006, 2008 u. 2011.
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tende, aber dennoch ausgrenzende Grundierung statt, wobei dieser Blick auf die herrschenden Zustände obendrein als Folge einer deutsch-französischen Sichtweise von europäischen wie kosmopolitischen Tendenzen bestimmt wurde. Als Gesamtprojekt eines Lebensentwurfs, wie Heine ihn für sich verstand und an dem er sein Publikum teilnehmen lassen wollte, vermag sich tatsächlich so etwas wie ein Kunstwerk ergeben. Ein solches lebt freilich von fließenden Übergängen, von einmal mehr, ein anderes Mal weniger greifbaren Strukturen oder Straffuren. Mit anderen Worten: Seine Sonderrolle erwuchs kaum aus einer Position des elitären Dandys, hatte mit einer solchen jedoch trotzdem einige nebensächliche Berührungspunkte. Erreicht werden soll in den folgenden skizzenhaften Überlegungen mit biografisch-persönlichkeitsbezogenen Hinweisen und/oder auf Heine’sche Strategien wie Muster zur Steuerung seiner öffentlichen Wahrnehmung abzielenden Miniaturen einzig und allein ein ebenso unbefangener wie offener Blick für solche denkbaren kulturhistorischen Zusammenhänge. Diesem Gedanken widerspricht keineswegs, dass Heine den Begriff des Dandys selbst eher abfällig benutzt, wenn der 10. Brief Ueber die französische Bühne im 4. SalonBand von 1840 die Entourage des Theaterdirektors Louis-Désiré Veron samt der „ungeheuren weißen Cravatte“ und dem roten, lebenslustigen „Gesicht mit den kleinen blinzelnden Augen“ beschreibt. Dieser wälze sich „so behaglich, so insolent behaglich“ einher: „umgeben von einem Hofstaate junger, mitunter auch ältlicher Dandys der Literatur, die er gewöhnlich mit Champagner oder schönen Figurantinnen regalirt.“2 2 Heinrich Heine, Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke [= DHA], in Verbindung mit dem Heinrich-Heine-Institut hrsg. von Manfred Windfuhr, 16 Bde., Hamburg 1973–1997, hier Bd. XII, S. 285. – Nach dieser Ausgabe werden die Werke Heines im Folgenden durch Angabe der Sigle sowie der Band- und Seitenzahl im Text zitiert, während die Briefe von und an Heine auf die gleiche Weise zitiert werden nach Heinrich Heine, Werke, Briefwechsel, Lebenszeugnisse. Säkularausgabe [= HSA], hrsg. von den Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur in Weimar und dem Centre National de la Recherche Scientifique in Paris (die Briefe in den Bänden 20–27), Berlin/Paris 1970ff. – Vgl. zu Heines Dandy-Begriff im zitierten Zusammenhang den Kommentar DHA XII, S. 1163: „[…] als Dandys bezeichnete man in den ersten Jahrzehnten des neunzehnten Jahrhunderts junge englische Aristokraten, die für die Eleganz und die Mode tonangebend sein wollten. Ihr Stil bestand aus Phlegma, höflicher Frechheit, maskiert durch Schlichtheit, die eigentlich das Ergebnis ausgesuchtester Geziertheit war. Der berühmte George Brummell war ihr Vorbild. Diese Mode wurde während der Restauration oft verspottet, sie verbreitete sich nach 1830 besonders in den künstlerischen und literarischen Kreisen. Die echten Dandys versuchten sich aber zunächst vom moralischen und gesellschaftlichen Konformismus zu befreien und dachten nicht daran, sich als Journalisten oder Schriftsteller zu betätigen. Wie Balzac in ,La Fille aux yeux d’ors‘ (1835) über Henri de Marsay schreibt, reichte es ihnen‚ ,de ne croire ni aux hommes ni aux femmes, ni à Dieu ni au diable‘“, (so die Bearbeiter Jean-René Derré und Christiane Giesen).
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Naheliegende Verknüpfungen Es soll demnach nur gestattet sein, Anhaltspunkte und Vergleichbarkeiten aus dem Begriffsfeld des Dandys3 wie aus der üblich gewordenen Betrachtung des Dandy-Phänomens4 mit Beobachtungen zu persönlichen Bezügen und Strategien des Autors Heine zu verknüpfen. Das ist, wie gesagt, nicht einmal schwierig oder erzwungen, da so manches im biografischen Kontext oder im Werk- und Briefkomplex anspielungsreich genug vor Augen liegt. Sei es, dass Heine einerseits selber den Namen jenes Matadors des Dandyismus, nämlich von George Brummell (1778–1840), mit seinem eigenen Vater in einem Atemzug zu verbinden weiß, und mütterlicherseits einen abenteuerlichen Großoheim besitzt, der sich gemäß Heines Memoiren-Fragment zum außerordentlich stilisierten „Morgenländer“ (DHA XV, 71) verwandelt; oder dass der junge Heine in August Wilhelm Schlegel (1767–1845) einen Bonner Lehrer voller Attitüden besitzt und sich in ausdrücklicher Seelenverwandtschaft auf Lord George Byron (1788–1824) bezieht – ohne merklichen Dandyismus sind einige Phänomene in Lebensführung und Ansichten nicht zu erklären. Das gilt in der Frühzeit ebenso in Bezug auf den offenbar extrem stilbewussten Lüneburger Juristen und Autor Rudolf Christiani (1798–1858), der eine französische Kusine von ihm heiratete, wie es in späteren Jahren angesichts der Freund3 Für die Heine-Zeit empfiehlt sich stets ein Blick in die 6. Auflage des Großen Meyer, wo sich das Wissen und die Perspektiven des 19. Jahrhunderts konzentriert wiederfinden: Der Artikel „Dandy“ verweist auf die englische Herkunft des Wortes, Plural Dandies, das vom französischen Dandin (mit eigenem Artikel) stamme und als „ein feiner Herr der eleganten Welt, der sich auffallend kleidet und benimmt“, zu verstehen sei, „dann soviel wie tonangebender Modeherr, Geck“. Das deutsche „Stutzer“ entspreche dem engl. Dandy, als dessen „Urtypus“ den Engländern George Brummell (mit eigenem Artikel) gelte, nur unvollkommen, mehr das wienerische „Gigerl“ (mit eigenem Artikel). In neuerer Zeit sei das Wort mehr und mehr durch die Bezeichnungen „Swell“ und „Masher“, in Amerika außerdem durch „Dude“ verdrängt worden. (Meyers Großes Konversations-Lexikon, 6. Aufl. 4. Bd., Leipzig/Wien 1908, S. 476.) Der Artikel „Dandin“ (ebd., S. 474) erklärt den Namen folgendermaßen: „[…] der Held einer Molièreschen Komödie, ein reicher Bauer, der infolge seiner Heirat mit einer Adligen in allerlei Fatalitäten gerät. Sein Ausruf: ‚Vous l’avez voulu (nicht: Tu l’as voulu), George Bandin!‘ ist sprichwörtlich geworden für selbstverschuldete Widerwärtigkeiten.“ – Das Wort bedeute „alberner Mensch“ (von dandiner, sich in den Hüften wiegen), daher das englische Dandy (mit Verweis auf den oben herangezogenen Artikel). In Bd. 7 des Großen Meyer, ebenfalls 1908, sind die Artikel „Gigerl“ (S. 842f.) und „Geck“ (S. 423) aufschlussreich: Sie beschreiben die wechselnden Moden und sprachlichen Ausdrücke für ganze Generationen von ausgefallenen Selbstdarstellern mit sicherlich auch das Sexualverhalten einschließenden Konnotationen. 4 Vgl. z. B. Günter Erbe, Dandys. Virtuosen der Lebenskunst. Eine Geschichte des mondänen Lebens, Köln 2002; ders., Der moderne Dandy, in: bpb Bundeszentrale für politische Bildung, B 46/2004, S. 31–38.
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schaft mit dem als Schriftsteller und Lebenskünstler berühmten Fürsten Hermann von Pückler-Muskau (1785–1871) auf diesen zutrifft. Möglicherweise dürfte man in diesem Zusammenhang genauso an den für ihn 1846 wegen einer Berlinreise sondierend tätig gewesenen Alexander von Humboldt denken, dessen Eigentümlichkeit bis heute für An- und Aufregung sorgt.5 Aber auch die unerquickliche Literaturfehde mit seinem literarischen Antipoden, Graf August von Platen, Ende der 1820er-Jahre, in der sich beide, um auf das Versepos Deutschland. Ein Wintermährchen und seinen Kastrationstraum anzuspielen, ins „Fleisch“ schnitten und an der empfindlichsten „Stelle“ trafen, (DHA IV, 154) hat Züge aus einer vom Dandytum mitbestimmten Atmosphäre beziehungsweise Position: Heine wurde von Platen wegen der jüdischen Beschneidung lächerlich gemacht und Platen von Heine als Homosexueller bloßgestellt.6 Dabei bleibt Heine, ohne sämtliche Parallelen zu sonstigen Figuren seiner Zeit und Nachwelt mit dandyhaftem Zuschnitt Revue passieren lassen zu können, selber nicht ohne Einfluss auf den unserem Fragenkomplex eindeutig zuzuordnenden Charles Baudelaire.7 Und sollte es angesichts solcher Verquickungen verwundern, dass sogar, um auf eine lebens- beziehungsweise familiengeschichtliche Linie anzuspielen, Marcel Proust in Auf der Suche nach der verlorenen Zeit Heines französische Verwandte und Nachfahrin, Alice Heine, eine verwitwete Fürstin Richelieu, als zweite Frau des Fürsten Albert I. von Monaco Vorbild sein lässt für eine seiner Figuren aus hohem Adel, nämlich die Prinzessin von Luxemburg?8 Der französische Romanautor erfüllt ebenso wie viele der von ihm geschaffenen Figuren, auch die weiblichen, zahlreiche Kriterien für interessante Varianten des Dandytums. Schließlich sei ein Nachfolger im Geiste und in der poetischen Kraft aus dem deutsch-jüdischen Kontext einer wirkungsvollen Literaturgeschichte genannt, nämlich Kurt Tucholsky. Dieser besaß als Anhänger von „Beau Brummell“, der
5 Vgl. den so erfolgreichen (als Doppelbiografie des Mathematikers Carl Friedrich Gauß und des Universalgelehrten Alexander von Humboldt angelegten) Roman von Daniel Kehlmann, Die Vermessung der Welt, Reinbek 2005. 6 Vgl. z. B. Stuart Ferguson, Heinrich Heines „Die Bäder von Lukka“ als perverse Ethopoetik: Die Ästhetik der Sexualabweichung und/oder die Rhetorik homophobischer Verunglimpfung, in: Heine-Jahrbuch 41 (2002), S. 37–53. 7 Vgl. z. B. die sechs Verweise auf Charles Baudelaire in Gerhard Höhn, Heine-Handbuch. Zeit, Person, Werk, Stuttgart/Weimar 2004; sowie die vier Belegstellen in Jan-Christoph Hauschild/ Michael Werner, „Der Zweck des Lebens ist das Leben selbst“. Heinrich Heine. Eine Biographie, Köln 1997. 8 Vgl. Philippe Michel-Thiriet, Das Marcel Proust Lexikon, aus dem Französischen von Rolf Wintermeyer, Frankfurt a. M. 1999, S. 227 (Art. Monaco), S. 316 (Art. Luxemburg; das weitere Vorbild für die Prinzessin von Luxemburg ist die Princesse de Sagan, vgl. Art. S. 244).
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ihm „ein gewisses Vorbild“ war, neben vielen anderen Parallelen zu Heine jene Eigenschaft, die sich „zeit seines Lebens“ als „eine gewisse Neigung zur Selbstinszenierung“ zeigte und die mit jenem wichtigen Kennzeichen gepaart war, das da lautet: „Er war stets auf Eleganz bedacht.“ Das prägte nicht nur seinen Stil, „der makellos sein musste, sondern auch seine Kritiken, in denen er niemandem eine Unsauberkeit verzieh.“9
Außenwirkung und Innenansicht Vor allem aber besaß Heine in der Wirkung auf andere und wohl auch im eigenen Selbstverständnis einige charakteristische Merkmale, die ihm dandyhafte Züge verleihen. Der frühe Heine-Forscher Gustav Karpeles zeichnet knapp drei Jahrzehnte nach dem Tod des Dichters aus den zeitgenössischen Urteilen und Quellen ein Bild für den ersten Studienort Bonn in den Jahren von 1819/20, wie es nicht themenspezifischer sein könnte: Die äußere Erscheinung und das Wesen Heine’s zu jener Zeit werden von Verwandten und Freunden übereinstimmend folgendermaßen geschildert: Er war mittelgroß, hatte eine kleine, weiße Hand, so schön geformt wie die seiner Mutter, edle Gesichtszüge, lichtbraunes, nach damaliger Sitte ziemlich langes Haar, welches das feine Oval seines bartlosen Gesichtes umrahmte, eine griechische Nase, schön gewölbte Augenbrauen, helle blaue Augen, einen großen Mund mit vollen, wollüstigen Lippen und mit sarkastisch verzogenen Mundwinkeln. Er kleidete sich stets mit Sorgfalt und Geschmack und schon in Bonn war es bekannt, daß er der Mode folgte und seine Kleider keine Fältchen werfen durften; auch seine Wäsche war untadelhaft. Spitzenjabots und feine gekräuselte Manschetten, wie man sie damals trug, durften nie fehlen. Gewöhnlich trug er auch einen Studentenrock von Sammet.10
Solche Charakterstudien mit freilich wechselnden Kennzeichen finden ihren Platz in zahlreichen Erinnerungen von Zeitgenossen, zumal aus der frühen Zeit. So heißt es über die Berliner Semester: Als ich Heine Anfangs 1822 zuerst in Berlin traf, machte seine äußere Erscheinung im Alter von 25 bis 26 Jahre [!]einen angenehmen Eindruck; er war zwar nur 5 Fuß 3 Zoll groß (etwas
9 Rolf Hosfeld, Tucholsky. Ein deutsches Leben, München 2012, S. 36, 47 (zur Heine-Nähe vgl. S. 25, 99 u.123f.). 10 G[ustav] Karpeles, Heinrich Heine’s Biographie, Hamburg 1885, S. 34. Diese Biografie erschien, wie die ziemlich gleichzeitige von Adolf Strodtmann, ebenfalls bei Hoffmann und Campe. Strodtmann hatte auch die Gesamtausgabe des Hamburger Heine-Verlages betreut.
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unter Mittelgröße), dabei aber schlank und sehr proportionirt gewachsen; seine Gesichtszüge waren regelmäßig, und zeugten fast gar nicht von seiner israelitischen Abkunft; er hatte etwas bleichen Teint, keinen Bart, und war ganz nach der Mode gekleidet, nämlich mit schwarzem Frack, schwarzen Pantalons, spitzen Stiefeln, schwarzer Weste, hoher weißer Kravatte, welche das Kinn etwas bedeckte und hohem Filzhut mit breiten Krämpen (Bolevar genannt).11
Für die Göttinger Zeit von 1824/25 erscheint der Dichter „stets in einem, bis an den Hals zugeknöpften braunen Oberrocke mit einer doppelten Reihe von Knöpfen“. Er habe „ein kleines, schwarzseidenes Tuch leicht um den Hals geschlungen“ und sei „im Sommer regelmäßig in Beinkleidern von Nanking, häufig auch in Schuhen und weißen Strümpfen“ zu sehen gewesen.12 Und ein Göttinger Studentengespräch mit der abwehrenden Bemerkung in Bezug auf die nicht in Anspruch genommene Brille, derentwegen er in Bonn als „Brillenfuchs“13 verspottet worden war, enthält die Aussage Heines: „Das sieht so affektiert aus.“ Der Umstand, dass Kurzsichtigkeit in Kauf genommen wird, um das Erscheinungsbild nicht durch Hilfsmittel zu stören, stellt einen Beleg dar für eine kontrollierte Haltung gegenüber jeglichem Erscheinungsbild.14 Das passt zum sehr viel früheren Urteil eines Bonner Kommilitonen: „Hält sich für schön und kokettirt im Spiegel heimlich mit sich. Er spricht gut und hört sich gern sprechen.“15 Heines Eitelkeit war also von früh an ein offenes Geheimnis und wird in zahlreichen Darstellungen und Kritiken thematisiert. Fanny Mendelssohn Bartholdy, der Heine nicht gefiel, bringt es dahingehend auf den Punkt als sie am 22. März 1829 aus Berlin an August Klingemann schreibt: „[…] wenn er sich im Ernst zusammennähme, würde ihm der Ernst auch wohl anstehen, denn er hat ihn, aber er ziert sich sentimental, er ziert sich geziert, spricht ewig von sich und sieht dabei die Menschen an, ob sie ihn ansehn.“16 Ob damit die Schwester des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy nicht einen zeitgenössischen Dandy beschreibt, wie er im Buche steht?
11 Carl Wilhelm Wesermann über Heine in Berlin, in: Michael Werner (Hrsg.), Begegnungen mit Heine. Berichte der Zeitgenossen, 2 Bde., Hamburg 1973, hier Bd. 1, Nr. 51, S. 59. 12 Ebd., Nr. 106, S. 88 (Georg Knille). 13 Ebd., Nr. 24, S. 37 (Wolfgang Menzel). 14 Tagebuchnotiz vom 16. Juni 1824 aus Göttingen von Eduard Wedekind über Heine: „Hinter uns saßen ein paar Damen in einer Laube; ich fragte ihn, ob er sie schon gesehen hätte. ‚Ach‘, sagte er, ‚ich bin sehr kurzsichtig‘ – ‚Warum tragen Sie denn keine Brille?‘ – ‚Das sieht so affektiert aus.‘ – ‚Wie können Sie mir das sagen!‘ fragte ich ihn lachend, ‚da ich doch gerade eine Brille auf habe.‘ –‚Ach Gott, das habe ich gar nicht gesehen‘, sagte er schnell und entschuldigte sich sehr. Die Geschichte amüsierte uns, wir lachten beide recht darüber.“ (Ebd., Nr. 116, S. 95.) 15 Ebd., Nr. 22, S. 35f. (Johann Baptist Rousseau). 16 Ebd., Nr. 238, S. 179.
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Fritz J. Raddatz, ein Dandy der Moderne17 und durch mindestens zwei HeineBücher auf unseren Dichter eingeschworen, mokiert sich nicht ohne Berechtigung über die wechselnden und sich widersprechenden Urteile, die in zeitgenössischen Berichten geliefert werden, und fertigt eine ebenso eindrucksvolle wie rasante Summe verschiedener Beschreibungen seines Gegenstandes und Widerparts Heine an, dessen Leben von „zahllosen“, und wie eigens betont wird, selbst produzierten „Legenden“ umrankt wurde. Eine „Vexier-Anthologie“ ließe sich nach Raddatz aus den widersprüchlichsten „Zeugenaussagen“ zusammenstellen.18 Dieses Urteil wird von ihm selbst nach zwei Jahrzehnten genüsslich auf die Spitze getrieben: So stolpere der elegant schwarz gekleidete Herr mit der Rose im Knopfloch schlendernd Berlins Linden entlang oder über Pariser Boulevards, die Hände in beiden Taschen des gelben Nankinganzugs, großkleinschmächtigmuskulösfeingebautbleichundschwächlich in spitzen Stiefeln, weißen Strümpfen und hoher weißer Krawatte, zwergartig mit gelangweiltem Gesichtsausdruck.19
Damit mag unausgesprochen ein nicht zu verachtender Hinweis auf Heine als Flaneur verknüpft sein. Erinnert sei an den bemerkenswerten zweiteiligen Fernsehfilm (105 und 120 Minuten) des aus der Emigration heimgekehrten Karl Fruchtmann aus dem Jahre 1983 über Heinrich Heine, der von Radio Bremen produziert und von der ARD ausgestrahlt wurde. Er trägt den Titel Heinrich Heine – Die zweite Vertreibung aus dem Paradies. Hier probt zu Beginn der Schauspieler Wolfgang Hinze als Heinrich Heine vor dem Spiegel den sorgsam geübten weltschmerzlich ironischen Gesichtsausdruck. Der Film20 erhält im Übrigen seine besondere Intensität durch die teilweise obwaltende Perspektive vom Schmerzenslager Heines aus, der von ihm so genannten Matratzengruft zu Paris, wie es im Nachwort zum Romanzero von 1851 heißt. (DHA III, 177) Diese räumt irgendwelchen Allüren keinen Platz mehr ein, wird hingegen bestimmt von der Figuration des Lazarus. 17 Vgl. z. B. Fritz J. Raddatz, Tagebücher: 1982–2001, Reinbek 2010. 18 Fritz J. Raddatz, Heine. Ein deutsches Märchen, Hamburg 1977, S. 11f. – Es sei angemerkt, dass gerade das von Raddatz betonte Vexier-Element seine Wirkung zeitigte im Heine-Monument von Bert Gerresheim, das zum 175. Todestag des Dichters 1981 auf dem Düsseldorfer Schwanenmarkt aufgestellt wurde (vgl. Dietrich Schubert, „Jetzt wohin?“ Heinrich Heine in seinen verhinderten und errichteten Denkmälern. Köln [u. a.] 1999, S. 321–345.) 19 Fritz J. Raddatz, Taubenherz und Geierschnabel. Heinrich Heine. Eine Biographie, Weinheim/ Berlin 1997, S. 26. 20 Vgl. die anerkennenden Worte über Karl Fruchtmanns Heine-Film von Seiten des sonst so kritischen Heine-Forschers Klaus Briegleb, Opfer Heine? Versuche über Schriftzüge der Revolution, Frankfurt a. M. 1986, S. 11, 22.
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Heines Innenansicht enthält ebenfalls jenen als privat oder speziell zu bezeichnenden, überaus hervorstechenden Aspekt, von dem viele Darstellungen von außen sprechen. Im Brief aus Lüneburg vom 14. Oktober 1826 an seinen Schriftstellerkollegen und Freund Karl Immermann schreibt er jene Selbsteinschätzung nieder, die für den Autor der deutschen Periode maßgeblich gewesen ist und die auch später als Beschreibung der medialen Funktion seines Schriftstellerberufs samt dessen ganz eigentümlich verpflichtender Art gelten könnte, zwischen dem Subjektiven und Objektiven zu vermitteln: „Sie wissen ja wie so einem armen Subjektivling zu Muthe ist, und man braucht es Ihnen nicht erst weitläuftig [sic!] auseinander zu setzen.“ Er sei zwar „bedeutend gesunder, aber noch immer krank, kirchhofruhig“, wolle bleiben, „bis die Langeweile“ ihn forttreibe, und schließlich Deutschland „auf immer“ verlassen. (HSA 20, 262f.) Nicht umsonst lautet seine stolze Feststellung im XIII. Gedicht des Heimkehr-Zyklus aus dem Buch der Lieder auf die Frage des Mädchens: „Wer bist du, und was fehlt dir, / Du fremder, kranker Mann?“, er sei „ein deutscher Dichter, / Bekannt im deutschen Land; / Nennt man die besten Namen, / So wird auch der meine genannt.“ Er reklamiert jedoch nicht nur die Berühmtheit für sich, sondern auch die Schmerzen: „Und was mir fehlt, Du Kleine, / Fehlt Manchem im deutschen Land; / Nennt man die schlimmsten Schmerzen, / So wird auch der meine genannt.“ (DHA I, 223) Und noch seine Zeilen aus der Nr. XLII des Zyklus Neuer Frühling der Neuen Gedichte (Verse, die übrigens das in derselben Fassung als Ganzes auf der Originalzeichnung in der linken oberen Ecke unter dem lithografierten Porträt von Ludwig Emil Grimm aus Kassel vom 9. November 1827 stehen) enthalten die verräterische, zur Zeichnung passende Wendung: „Verdrossnen Sinn im kalten Herzen hegend, / Schau ich verdrießlich in die kalte Welt; u.s.w.“ (vgl. DHA II, 29; hier die 2. Zeile variiert: „Reis’ ich verdrießlich durch die kalte Welt“).21 Seinem Freund Karl August Varnhagen von Ense hat er darüber aus München etwa drei Wochen später folgendermaßen berichtet: „In Cassel war ich 8 Tage. Jakob Grim [!], dem ich zu gefallen scheine (mirabile!) arbeitet an der Geschichte des deutschen Rechts. Ludwig Grimm hat mich gezeichnet; ein langes deutsches Gesicht, die Augen sehnsuchtvoll gen Himmel gerichtet.“ (HSA 20, 307) Auf solch ironische Weise kann man sich freilich vom damals in der Tat nicht selbstverständlichen und nur aufgrund der eigenen Bedeutung erreichten Status-
21 Vgl. Joseph A. Kruse, Heinrich Heine. Leben und Werk in Daten und Bildern, Frankfurt a. M. 1983, Nr. 77, S. 138; vgl. Christian Liedtke (Hrsg.), Heinrich Heine im Porträt. Wie die Künstler seiner Zeit ihn sahen, Hamburg 2006, S. 22f. – Der Kommentar in DHA II, 382f. ist ungenau, indem er die zwar aufgeführte Variante gerade beim ebenfalls genannten Grimm-Porträt (ohne allerdings die Original-Zeichnung aufzuführen) nicht berücksichtigt.
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symbol des Porträts ebenso erfolgreich wie witzig distanzieren. Nicht zu vergessen auch die bei Heine vorherrschende Hypochondrie in den deutschen Jahren!
Auf den Spuren des Vaters Gewiss ist das Verhältnis zum Vater Samson Heine (1764–1828) nicht eindeutig. Es wurde der Versuch unternommen, ganz im Gegensatz zu Heines eigenen Auslassungen über seine Liebe zum Vater, offenbar gerade deswegen einen tief verankerten mörderischen Ablehnungskomplex zu konstruieren.22 Wie dem auch sei. Jedenfalls hat er dem früh erkrankten und dementen Vater in seinem erst postum erschienenen „Memoiren“-Fragment (DHA XV, 76–89) ein Loblied gesungen, wie es seinesgleichen sucht. Bei der Darstellung der Familienstruktur wird zweifellos aus dem Vater die Mutter und umgekehrt. Das macht auch verständlich, warum aufgrund der mitgeteilten Fakten über die Rolle, die Samson vor seiner Ehe im Militär hat spielen müssen, und beispielsweise durch den Bericht über seine Anhänglichkeit an die Haarmode des Rokoko die femininen und dandyhaften Eigenschaften so deutlich hervorgehoben werden. Der Autor sieht sich gar gemüßigt, die Zeugungskraft als Exempel der Männlichkeit des Vaters ausdrücklich, allerdings nicht ohne süffisante Ironie, betonen zu müssen. Ein wichtiges Epitheton des Vaters ist die von Heines Großmutter ererbte „außerordentliche Schönheit“. Die Schönheit seines Vaters Samson habe im Gegensatz zu der als männlich bezeichneten seines Hamburger Millionärsonkels Salomon „etwas überweiches, karakterloses, fast weibliches“ besessen. (DHA XV, 76) Durch den Hinweis auf den femininen Eindruck muss Heine im „Memoiren“Fragment, wie gesagt, gleich einen Ausgleich schaffen, indem er schreibt: Er wolle „hiermit keineswegs einen Mangel an Männlichkeit andeuten; letztere hat er zumal in seiner Jugend oft erprobt und ich selbst bin am Ende ein lebendes Zeugniß derselben.“ Die Formen der körperlichen Erscheinung des Vaters seien „nicht straff und drall, sondern vielmehr weich und zärtlich geründet“ gewesen. Den „Conturen seiner Züge“ habe „das Markirte“ gefehlt „und sie verschwammen ins Unbestimmte“. In seinen späten Jahren sei er „fett“ geworden und „auch in seiner Jugend scheint er nicht eben mager gewesen zu seyn“. (DHA XV, 77) Die sich daran anschließende Beschreibung eines „in einer Feuersbrunst“ bei seiner Mutter verlorengegangenen Pastellporträts des 18- oder 19-jährigen
22 Franz Futterknecht, Heinrich Heine. Ein Versuch, Tübingen 1985, S. 105–108 (mit dem wichtigen Hinweis auf S. 106 auf Heines Erlebnis von „Himmel und Hölle“, wie es einige Jahrzehnte zuvor schon Barker Fairley beschrieb hat).
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Samson Heine verleitet den Autor zu der Beobachtung, dass die Darstellung weder an „die streng keusche Idealität der griechischen Kunstwerke noch an den spiritualistisch schwärmerischen, aber mit heidnischer Gesundheit geschwängerten Styl der Renaissance“ erinnert habe. Das Porträt habe „vielmehr ganz den Charakter einer Zeit“ getragen, „die eben keinen Charakter besaß, die minder die Schönheit als das hübsche, das niedliche, das kokett zierliche liebte, einer Zeit die es in der Fadheit bis zur Poesie brachte, jener süßen geschnörkelten Zeit des Rokoko, die man auch die Haarbeutelzeit nannte“. Hätte es als Miniaturbild existiert, wäre man des Glaubens gewesen, „der vortreffliche Watteau habe es gemalt um mit phantastischen Arabesken von bunten Edelsteinen und Goldflittern umrahmt auf einem Fächer der Frau von Pompadour zu paradiren“. (DHA XV, 77f.) Eigentlich sei der Vater mit seinem stets gepuderten Haar auch später „im Grunde kein Abtrünniger des alten Haarbeutelthums“ gewesen, sondern habe die Haarflechte einfach unauffälliger getragen und „nur wie so mancher CryptoOrthodoxe dem grausamen Zeitgeiste sich äußerlich gefügt“. (DHA XV, 78) Die rote Uniform auf dem Porträt habe auf ein hannoversches Dienstverhältnis „im Gefolge des Prinzen Ernst v. Cumberland“ hingedeutet, „in der Eigenschaft eines Proviantmeisters oder Commissarius“, was die Preußen als „Mehlwurm“ bezeichnet hätten. Dann heißt es: „Das eigentliche Amt des blutjungen Menschen war aber das eines Günstlings des Prinzen, eines Brummels [sic!] au petit pied und ohne gesteifte Cravatte und er theilte auch am Ende das Schicksal solcher Spielzeuge der Fürstengunst.“ Sein Vater sei immer davon überzeugt gewesen, dass ihn der spätere König von Hannover „nie vergessen habe“, obgleich weiter keineswegs nach ihm gefragt wurde. Als „bedenkliche Liebhabereyen“ aus jener Feldzugsperiode seien die von der Mutter nur allmählich abzugewöhnende Neigung zu hohem Spiel und die Förderung des Theaters beziehungsweise von Schauspielerinnen zurückgeblieben sowie „seine Passion“ für Pferde und Hunde, weiterhin „auch wohl seine grenzenlose Vorliebe für den Soldatenstand oder vielmehr für das Soldatenspiel, die Lust an jenem lustigen müßigen Leben“. (DHA XV, 78f.) Daran schließt sich die Schilderung Samsons als Offizier der Düsseldorfer Bürgergarde an. Die Charakteristik des Vaters gelangt an ihr freundliches Ende durch den Hinweis auf die „grenzenlose Lebenslust“ Samsons. Er sei „genußsüchtig“ und „frohsinnig“ gewesen: „in seinem Gemüthe war beständig Kirmeß und wenn auch manchmal die Tanzmusik nicht sehr rauschend, so wurden doch immer die Violinen gestimmt.“ Von himmelblauer Heiterkeit und Fanfaren des Leichtsinns ist die Rede, von einer Sorglosigkeit, die der Gravität seines strengruhigen Gesichtes widersprach. Seine „Gravität war zwar nicht erborgt, aber sie erinnerte doch an jene antiken Basreliefs, wo ein heiteres Kind sich eine große tragische Maske
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vor das Antlitz hält.“ Seine kindliche Naivität wird betont; er habe weniger mit dem Kopfe als mit dem Herzen gedacht. Sein Lächeln sei der „süße Widerschein seiner Seelengüte“ gewesen. (DHA XV, 80f.) Insofern kann es sich bei Heines so gepflegt altmodischem und wohltätigem Vater Samson, der von allen Menschen derjenige war, den er „am meisten auf dieser Erde geliebt“, (DHA XV, 82) nur um einen geborenen Dandy gehandelt haben, der in eine neue Zeit hinüberrettete, was er als verbindlichen Habitus empfand, ein Vereinzelter und Fremder, der sich notfalls seinen Sohn Harry, mochte er sich „noch so unartig in der Wirklichkeit aufführen“, umschuf, indem er „immer etwas Schönes“ von ihm träumte. (DHA XV, 83) So wundert nicht, dass Heines Erinnerungen an den Vater aus den Lüneburger Jahren einem rituellen Gleichmaß gelten: Da sprächen sie vom Wiedersehen in verklärten Leibern. Was fange er damit an? Er kenne ihn in seinem alten braunen Überrock, so wolle er ihn wiedersehen. „So saß er oben am Tische, Salzfaß und Pfefferdose vor ihm, das eine rechts, das andre links; und wenn mal die Pfefferdose rechts stand und das Salzfaß links, so setzte er das um.“23 Der Bericht über diese fast als Selbstgespräch notierten Sätze stammt nicht umsonst vom Freunde Rudolf Christiani, selber das in der Provinz sich einigelnde Exempel für einen literarischen Dandy par excellence.
Ein abenteuerlicher Vorläufer des Dandytums aus der mütterlichen Familie: Identifikation mit dem Chevalier von Geldern Gar nicht persönlich erlebt, sondern der Familiensaga entnommen und in Rätseln bewahrheitet durch Nachlasssplitter auf dem Dachboden des großväterlichen Hauses ist die Figur des Chevaliers von Geldern alias Simon van Geldern. Er war ein Bruder des in Düsseldorf als Judendoktor tätigen Großvaters Gottschalk van Geldern (1727–1795), Vater seiner Mutter Peira oder Betty und offenbar für den Großneffen ein Urbild für Rollenspiel und Identifikation. Was den postumen Umriss durch Heine auszeichnet, ist die verehrungsvolle fantastische Ausgestaltung und der autobiografische Ort, den die Charakteristik mit dem väterlichen Bilde gemeinsam hat, nämlich das späte „Memoiren“-Fragment, das sich aus
23 Werner, Begegnungen mit Heine 1 (wie Anm.11), Nr. 227, S. 172 (Eduard Wedekind nach Mitteilungen von Rudolf Christiani).
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naheliegenden Gründen überhaupt der Düsseldorfer Herkunft der mütterlichen Familie van Geldern intensiver widmet als der ortsfremden Heine-Linie.24 Zweifellos stellt dieser Simon van Geldern dessen von Heine ebenfalls liebevoll beschriebenen gleichnamigen Neffen und sein Leben lang am Rhein lebenden Onkel des Dichters namens Simon van Geldern (1768–1833) in den Schatten. Der war offenbar nur ein gutmütiger „Sonderling von unscheinbarem, ja sogar närrischem Aueßeren“, wie Heine ihn schildert, (DHA XV, 68) und obendrein ein Hagestolz aus dem Jean Paul’schen Figurenkabinett, hatte sich „allen seinen gelehrten Liebhabereyen und Schnurrpfeifereyen, seiner Bibliomanie und besonders seiner Wuth des Schriftstellerns“ ergeben und „nahm Theil an allen Tagesfragen“. Heine unterlässt es nicht, den prägenden Einfluss dieses Bruders seiner Mutter hervorzuheben, wenn er schreibt: „Dieser Oheim war es nun der auf meine geistige Bildung großen Einfluß geübt und dem ich in solcher Beziehung unendlich viel zu verdanken habe.“ (DHA XV, 69) Die eigentliche Entdeckung einer symbiotischen Familienähnlichkeit erhielt Heine jedoch aufgrund von dessen Öffnung des Söllers in seinem Hause, der „Arche Noae“, wo Heine beim Stöbern nicht nur den Hinterlassenschaften seines Großvaters, sondern auch denen seines Großoheims begegnete, wobei ein „Notizenbuch“ als der „beste und kostbarste Fund“ bezeichnet wird, in dem sich der Chevalier oder Morgenländer verkörperte, „von welchem immer die alten Muhmen so viel zu singen und zu sagen wußten.“ (DHA XV, 71) Manches Quellenmaterial zu diesem Simon van Geldern (1720–1788) ist bestens erschlossen und zeigt einen Abenteurer des 18. Jahrhunderts von Format und weltläufigem Zuschnitt, der es in etwa mit Casanova, dem Grafen St. Germain und Cagliostro aufzunehmen vermag.25 Er könnte womöglich mit einigem Recht zu einem Vorläufer des Dandytums, mehr als eine Generation vor dem führenden Dandy, George Brummell, erklärt werden. Der Chevalier von Geldern muss zweifellos „ein sonderbarer Heiliger gewesen seyn“, hatte „große Reisen im Oriente gemacht und sich bey seiner Rückkehr immer in orientalische Tracht“ gekleidet. Heine beschreibt ihn als Waffenschmied in Marokko, Jerusalem-Wallfahrer und beduinischen „Räuberhauptmann“ mit Kenntnissen in der Pferdezucht und Reitkunst (womit der Bogen zu Heines Vater vorbereitet wird), der zuvor ein frommer „Visonär vom heiligen Berge Moria“ war und „nach seiner Heimkehr ins Abendland so viele Bewundrung erregte“. Die persönliche Schönheit und die Pracht der orientalischen Kleidung waren es, „welche besonders auf die Frauen ihren Zauber übt“. Am meisten habe er wohl 24 Vgl. Joseph A. Kruse, Heine-Zeit, Stuttgart/Weimar 1997, S. 1–44 („Sehr viel von meiner mütterlichen Familie“ [H. Heine]. Geschichte und Bedeutung der van Gelderns. Mit 5 Stammtafeln). 25 Vgl. Ludwig Rosenthal, Heinrich Heines Großoheim Simon von Geldern. Ein historischer Bericht mit dem bisher meist unveröffentlichten Quellenmaterial, Kastellaun 1978, insbes. S. 19, 23.
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„durch sein vorgebliches Geheimwissen“ imponiert. Niemand habe es gewagt, ihn bei seinen hohen Gönnern herabzusetzen: „Der Geist der Intrigue fürchtete die Geister der Cabala.“ Ein galantes Abenteuer habe ihn von einem Hofe fliehen lassen müssen. Ein ärmlicher Aufenthalt in England habe sich angeschlossen und das in London gedruckte Oratorium Moses auf dem Horeb in französischen Versen zur Folge gehabt. Aus dem Notizbuch war aufgrund der arabischen, syrischen und koptischen Buchstaben „nicht viel Sicheres“ zu ermitteln. Es kamen immer wieder „französische Citate“ vor, sehr oft zum Beispiel: „où l’innocence périt c’est un crime de vivre“, wie überhaupt Simon offenbar üblicherweise französisch schrieb. (DHA XV, 71f.) Verlorene Unschuld als Verbrechen am Leben, dieser Merksatz sagt in der Tat viel über die Aufzeichnungen aus. Der Chevalier von Geldern wird gerade wegen dieser Verteidigung der menschlichen Würde von seinem Großneffen als ein trotz oder wegen aller Eskapaden ausgesprochen positiver Typus beschrieben: „Eine räthselhafte Erscheinung, schwer zu begreifen“, sei dieser Großoheim gewesen, eine „jener wunderlichen Existenzen“, nur möglich zu Anfang bis Mitte des 18. Jahrhunderts. Er war „halb Schwärmer, der für kosmopolitische, weltbeglückende Utopien Propaganda machte, halb Glücksritter, der im Gefühl seiner individuellen Kraft die morschen Schranken einer morschen Gesellschaft durchbricht oder überspringt. Jedenfalls war er ganz ein Mensch.“ Solche Summe humaner Lebensführung gehört bei Heine zu den großen anthropologischen Lobpreisungen. Sein „Charlatanismus, den wir nicht in Abrede stellen“, heißt es weiter, sei nicht von „gemeiner Sorte“. Er sei „kein gewöhnlicher Charlatan“ gewesen, „der den Bauern auf den Märkten die Zähne ausreißt, sondern er drang muthig in die Paläste der Großen.“ Und welcher bedeutende Mensch sei „nicht ein bischen Charlatan? Der Zweck heiligt die Mittel.“ (DHA XV, 72) Zur Begründung lässt Heine eine witzige Darstellung der alttestamentarischen Gesetzgebung durch Jahwe auf dem Sinai folgen. Dieser Großoheim habe seine „Einbildungskraft“ außerordentlich beschäftigt, erinnert sich der Todkranke auf seinem Sterbebett. Der Eindruck von seinen Irrfahrten und Schicksalen führte zu einer Idiosynkrasie, als „lebte ich nur eine Fortsetzung des Lebens jenes Längstverstorbenen.“ In seinen Träumen identifizierte er sich „gänzlich“ mit dem Chevalier und wusste zugleich, dass er ein anderer war. Dieser „wunderliche Zustand“ habe wohl ein Jahr gedauert „und obgleich ich wieder ganz zur Einheit des Selbstbewußtseyns kam, blieben doch geheime Spuren in meiner Seele.“ Widersprüche in seinem „Naturell“ erkläre er sich „als Nachwirkungen aus jener Traumzeit wo ich mein eigner Großoheim war“. Unbegreifliche Fehler schiebe er „gern auf Rechnung meines morgenländischen Doppeltgängers [sic!]“. Als er seinem Vater einmal „eine solche Hypothese“ mitgeteilt habe, „um ein kleines Versehen zu beschönigen, bemerkte er
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schalkhaft: er hoffe daß mein Großoheim keine Wechsel unterschrieben habe die mir einst zur Bezahlung präsentirt werden könnten.“ (DHA XV, 73) Da trafen auf ironisch materielle Weise väterliche und mütterliche Familie zusammen, wobei die Botschaft unmissverständlich lautet, dass im Kunstverstand eines jeweils noch so gescheiterten Lebens dessen Besonderheit und Individualität vom Wert der Glieder in der Kette und von der prinzipiellen „Unsterblichkeit der Familie“ künden, wie es in einer zugehörigen Lesart im „Memoiren“-Fragment lautet. (DHA XV, 1107 u. 1110)
Gruppenbild unterschiedlichster Couleur: zum Beispiel mit August Wilhelm Schlegel, Lord George Byron, Rudolf Christiani und Fürst Hermann von Pückler-Muskau Neben der engeren Familie in Gestalt des erlebten Vaters und rekonstruierten Großonkels sind, wie oben bereits angedeutet, verschiedenste Persönlichkeiten aus dem persönlichen Zusammentreffen oder aus der Literatur, gelegentlich auch aus beidem, unter die Kategorie der Dandys zu rechnen. Hier können nur einige kursorische Hinweise erfolgen, die den persönlichen wie familiären Hintergrund erweitern und Heines biografische Verflechtungen wie werkbezogenen Spezifika in Richtung dandyhafter Provenienz beleuchten können. Immerhin war Heine zu Beginn des Studiums in Bonn ein Schüler von August Wilhelm von Schlegel und hat sich mit seinen gesteigerten Attitüden in der Frühzeit als „Vetter“ Lord Byrons verstanden. Diesen als literarische Apposition erfundenen Verwandtschaftsgrad benutzt er nach dem Tode Byrons im Brief vom 24. Mai 1824 an seinen Lüneburger Freund Christiani, (HSA 20, 163) der in unserem Zusammenhang selber immer wieder als ein stiller, jedoch bewusster Dandy in Erscheinung tritt. Ein hilfreicher Blick in den Registerband der Düsseldorfer Heine-Ausgabe belegt im Falle Schlegel wie Byron bereits schlagend, wie auffällig gerade dandyhafte Bezüge für die Erschließung der Personennennungen im Werk von Belang waren. (DHA XVI, 376f. [Byron] und 687–690 [A. W. Schlegel]) Bei allen Verdiensten August Wilhelm Schlegels als Mentor des jungen Heine, hat dieser nach dem anfänglichen Lob der glatten Widmungssonette in späteren Jahren dem bedeutenden Literaturwissenschaftler, Übersetzer und Schriftsteller keine allzu freundlichen Erinnerungen und Urteile gewidmet. Die „Beförderung der Eleganz“ in jedem Sinne, so heißt es in der Romantischen Schule, (DHA VIII, 174f.) sei „ein Hauptverdienst“ des „ganz nach der neuesten pariser Mode“ geklei-
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deten Gelehrten gewesen. Dem romantischen „Wundermanne auf dem Katheder“ mit seinem außergewöhnlich zeremoniösen Gehabe einschließlich Livreebedientem und silbernen Armleuchtern war zuvor allerdings schon die umgehend gescheiterte Ehe mit dem „Razionalismus“, das heißt mit der Heidelberger Theologentochter Caroline Paulus zugestoßen, die „nicht bloß symbolisch vermählt seyn“ wollte. Die weidlich ausgekostete Isis- und Osiris-Persiflage von Rettung und Impotenz trägt dabei Züge von Heines Platen-Angriff. Somit wurde Schlegel zur Spottgestalt jedes selbstverliebten Dandys, der dem üblichen Leben so gar nicht entsprach. Seine Eitelkeit und seine als weibliches Talent charakterisierte Begabung, die restaurativen Tendenzen in der als Poesie einer Vergangenheit verstandenen literarischen Kreativität und sein Vasallentum als Reisebegleiter von Madame de Staël fügten sich zum bedauernswerten Bild eines alternden Gecken. Byron mit seiner Zerrissenheit und seinem Weltschmerz, seinem so genannten melodischen Gift, dem Verhältnis zur Religion, das als Gottlosigkeit begriffen wurde, seiner Natursentimentalität und Genialität gehört zu den Jugend- wie Bildungserlebnissen Heines. In seinem Don Juan sieht Byron seinem Helden „wissend, spottend und belustigt […] bei seinen Abenteuern in der Welt der Heuchelei, der Brutalität und des falschen Scheins“ zu und scheint „mit dem Leser in einem blasierten Einverständnis bezüglich des Fehlens von Sinn zu stehen“.26 Diese Charakteristik könnte auch auf manche literarische Sichtweise Heines passen. Um Byrons Werk bemüht er sich unter anderem neben der Lektüre und Adaption in ebenso frühen wie intensiven Übersetzungsversuchen wie denen der 1. Szene aus dem Manfred und Gedichten aus dem 1. Gesang von Childe Harold’s Pilgrimage. Man könnte versucht sein, von einem partiellen Aneignungskult zu sprechen. Dem extravaganten Lebensstil des englischen Dichters nähert er sich mit gleichfalls identifikatorischer Geste von familiär wirkendem wie poetisch getöntem Zuschnitt. Auch die Beziehung von Fürst Hermann von Pückler-Muskau zu Byron ist ihm nicht entgangen. Und noch der Zyklus Hebräische Melodien aus der letzten eigenständigen Gedichtsammlung Romanzero von 1851 spielt „bedeutungsvoller und aktueller“ auf den gleichnamigen Titel Byrons von 1815 an, „als man vorderhand annehmen könnte“.27 Auch die beiden anderen Dandys aus Heines Freundeskreis erhalten bereits durch die Erschließung im Register der Düsseldorfer Heine-Ausgabe ihr eigentümliches Gesicht. (DHA XVI, 403 [Christiani] und 648–650 [Pückler-Muskau]) 26 Hermann Fischer, Die hochromantische Dichtung in England: Byron, Shelley, Keats, in: Neues Handbuch der Literaturwissenschaft, hrsg. von Klaus von See, Bd. 15: Europäische Romantik II, hrsg. von Klaus Heitmann, Wiesbaden 1982, S. 243–264, hier S. 251. 27 Vgl. die bedenkenswerten Ausführungen im Kommentar (DHA III, 865f.) von Alberto Destro über die jeweilig distanzierende Absicht der beiden Dichter bei ihrem Sujet.
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Der junge Heine findet nach den Berliner Studienerfahrungen im gleichaltrigen Goetheaner und als Mirabeau der Lüneburger Heide apostrophierten Rudolf Christiani28 zu Lüneburg jenen sympathischen Salonlöwen en miniature und in der Provinz vor, wie er ihm sonst wohl nur selten begegnet ist. Auch der Hegelschüler und Freund Eduard Gans aus dem Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden, den er zuvor in Berlin kennengelernt hatte, mochte seine ausgesprochenen Marotten haben, besaß aber nicht jene Sensibilität und Besonderheit Christianis, der einen unvergleichlichen Charme zuwege brachte, der ihm dennoch keine adäquate Stellung verschafft hat. Heine schätzte ihn als Gesprächspartner und hätte ihm sogar die Betreuung seines Werkes anvertraut. Er macht sich liebevoll über seine Eleganz lustig („Diesen liebenswürd’gen Jüngling / Kann man nicht genug verehren; […] Zierlich sitzt ihm Rock und Höschen, / Doch noch zierlicher die Binde, […] Und des Abends in Gesellschaft, / Mit begeistertem Gesichte, / Deklamirt er vor den Damen / Meine göttlichen Gedichte.“ (DHA I, 276–279) Er hat niemanden, der sich so kunst- und gleichzeitig so verständnisvoll zu geben weiß. Deshalb bleibt, trotz späterer Probleme aus Gründen einer derangierenden Spielsucht, vor allem eine freundschaftliche Bewunderung der Grundtenor dieser zeitweilig so anregenden Beziehung. Aus einem eher provinziellen deutschen Kontext trotz Bevorzugung der Literatur als elitärer Lebensgrundlage ergibt sich für Heine in der Pariser Zeit der Schritt auf die Weltbühne, gerade auch was die Verbindungen zur deutschen Oberschicht betrifft. Heines Kritik am Adel schloss eigene Vorstöße in die Adelsgesellschaft durch Kontakte, Bekanntschaften und Freundschaften von Anfang an und nach Möglichkeit keineswegs aus. Ein besonderes Beispiel für solche Übergänge auf geradezu professionell-persönliche Art bildet Fürst Hermann von Pückler-Muskau. Vom freundschaftlichen Umgang darf die Rede sein, von seinen Ratschlägen und Botengängen für Heine. Er hat als Bewunderer Heines im Erbschaftsstreit mit der Hamburger Familie zu vermitteln versucht. Heine betrachtete ihn in der Tat als wahlverwandten Zeitgenossen, der ein Dichterfürst und hochgefeiert ist. Bedeutsam bleibt der Zueignungsbrief. An Seine Durchlaucht, den Fürsten Pückler-Muskau, den er seiner späten Sammlung der journalistischen Arbeiten, die 1854 unter dem Titel Lutezia. Berichte über Politik, Kunst und Volksleben erschienen sind, vorangestellt hat. (DHA XIII, 15–21) Pückler zählt anerkanntermaßen zu den großen und überzeugenden Dandys seiner Epoche und entspricht, einschließlich seiner Reverenz, die er in den Briefen eines Verstorbenen George Brummell angedeihen lässt, ganz der Feststellung Baudelaires über das Wesen des Dandys, das „in der ästhetischen Opposition gegen 28 Vgl. Werner H. Preuß, Rudolph Christiani (1798–1858). Heinrich Heines eleganter Vetter – der „Mirabeau der Lüneburger Heine“, Husum 2004.
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die nivellierenden Zwänge des bürgerlichen Zeitalters“ liege; wie Brummell, der „in Calais unter bescheidenen Umständen im Schatten seiner Legende“ weiterlebt, genügt ihm schließlich „das Bewußtsein, eine Form der Selbstmanifestation gefunden zu haben, die auch unabhängig von ‚Werken‘ bestehen kann“.29 Das allerdings konnte Heines Sache nicht sein. Bei ihm sind vielmehr vom Beginn seiner schriftstellerischen Laufbahn an Person und Werk untrennbar miteinander verschmolzen. Seine Publikationen werden mit absichtsvollem Blick auf eine möglichst aufklärungswillige Leserschaft veröffentlicht, damit sie das allgemeine Bewusstsein schärfen und zur Kultur der Menschenrechte provozieren. Insofern ist sein Publikum bei der subjektiven Person des Dichters und bei dessen objektiviertem Wort oder Werk zu Gast und dabei als der autarke Rezipient gleichzeitig der Dritte im Bunde.
Nachklang: Selbstbewusstsein und Inszenierung Seinem im doppelten Sinne verwandten Doppelgänger Simon van Geldern wusste Heine im Laufe seiner Biografie manche weiteren Identifikationen und Rollenspiele dem eigenen Selbstverständnis hinzuzufügen sowie deren Reiz und Aussagekraft zu nutzen. Über seinen „Donquichottismus“ ist ebenso reflektiert worden wie über die späte Figuration des Lazarus, durch die seine mehr als acht Jahre währende Krankheit ihren überzeitlichen Ausdruck erhielt.30 Doch auch der Name Hiob muss fallen und die bis in die heutige Literatur hinein wirkungsvolle Kombination des biblischen Dulders mit der Heine’schen Leistung, der Lebensnot und unerträglichem Schmerz einen mit Witz und Verstand gespeisten Widerstand entgegenzusetzen hatte, was ohne seine legendäre Begabung zur Ironie nicht hätte gelingen können.31 Auch „Maskenfreiheit“32 als Beachtung oder 29 Norbert Altenhofer, Zwischen Poesie und Publizistik: Formen der „neuen Prosa“ im deutschen Vormärz (Abschnitt über Pückler-Muskau), in: Neues Handbuch der Literaturwissenschaft (wie Anm. 26), Bd. 16: Europäische Romantik III – Restauration und Revolution, hrsg. von Norbert Altenhofer und Alfred Estermann, Wiesbaden 1985, S. 140 (Legende zu den entsprechenden Abb. Pücklers und Brummells, S. 140f., 143). 30 Vgl. Ulrich Stadler, Literarischer Donquichottismus. Der Gegensatz von Schönheit und Wahrheit bei Heinrich Heine, in: Heine-Jahrbuch 20 (1981), S. 9–21; Kruse, Heine-Zeit (wie Anm. 24), S. 273–287 (Heinrich Heine – Der Lazarus; zuerst in: Gerhard Höhn [Hrsg.], Heinrich Heine. Ästhetisch-politische Profile, Frankfurt a. M. 1991, S. 258–275). 31 Vgl. die beeindruckenden prosaischen Verknüpfungen aus dem eigenen Leben mit der Hiobgeschichte und der Matratzengruft Heines von István Eörsi, Hiob und Heine. Passagiere im Niemandsland, aus dem Ungarischen von Gregor Mayer, Klagenfurt/Celovec 1999. 32 Vgl. Frank Schwamborn, Maskenfreiheit. Karnevalisierung und Theatralität bei Heinrich
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Durchdringung der karnevalistischen und theatralischen Aspekte der Realität spricht für Heines Sinn zugunsten einer zum Kunstwerk geronnenen Lebensbewältigung, wie sie einem Dandy zu eigen sein könnte. Das Gleiche trifft auf seine Reflexion über die „Langeweile“33 zu, mit ihren vielen Facetten vom Verständnis für die Revolution bis zum Weltschmerz. Heines Selbstbewusstsein war trotz aller Beschwernisse durch die Bedingungen als Teil einer Minderheit keineswegs gebrochen oder angekränkelt. Die Inszenierungen seiner abwechslungsreichen Lebensphasen wurden mit wirksamen Strategien für die Vermittlung seiner Persönlichkeit und seiner Botschaften verknüpft. Eine bewusst gelenkte Öffentlichkeit ließ sich einerseits nur durch angebliche Offenherzigkeit und andererseits im verstärkten Maße nur durch gesteuerte Nachrichten und kryptische Verlautbarungen dirigieren: Heines Spiel mit dem Publikum sowie Rollenspiele aus einer Hand in wechselnden Konstellationen vom Privatmann bis zum Anwalt der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft wurden mit Recht als „Imagepflege“ beziehungsweise als „Problem der Selbstdarstellung in Heines Werk“ dargestellt.34 Für das Bild eines politisch und sozial auf dem Höhepunkt seiner Zeit stehenden revolutionären Schriftstellers mutete immer schon die elitäre Verhaltensweise seltsam an, seiner Scheu vor dem ungewaschenen Volk („dieser arme König in Lumpen“) so unverblümt Ausdruck zu verleihen, wie es in seinen manche dandyhaften Züge tragenden „Geständnissen“ mit ihrem gleichwohl demokratischen und realistisch teilnahmsvollen Engagement geschieht, das die gerechte wie intelligente Zukunft darin erblickt, „wenn jeder im Volke in den Stand gesetzt ist, sich alle beliebigen Kenntnisse zu erwerben“. (DHA XV, 31) Wie Heine im posthumen „Memoiren“-Fragment Vater und Großoheim mit Eigenarten von Dandys zu belegen versteht, zeigt mehr als deutlich, was auch bereits die oben zitierten Sätze aus Ueber die französische Bühne belegen, dass er im französischen Kontext seinerseits natürlich mit dem „Import aus England“, nämlich mit dem „Typ – und mit ihm der Mythos – des ‚dandy‘“ vertraut war.35 Vieles war eine Sache der Lektüre und Rezeption, des Gesprächs und der Beobachtung. Immerhin sind drei der Protagonisten dieses Feldes, nämlich Honoré de Balzac, Alfred de Musset und Heine, München 1998. 33 Ursula Hofstaetter, Langeweile bei Heinrich Heine, Heidelberg 1991. 34 Michael Werner, Imagepflege. Heines Presselenkung zur Propagierung seines Persönlich keitsbildes, in: Heinrich Heine. Artistik und Engagement, hrsg. von Wolfgang Kuttenkeuler, Stutt gart 1977, S. 265–283; ders., Rollenspiel oder Ichbezogenheit? Zum Problem der Selbstdarstellung in Heines Werk, in: Heine-Jahrbuch18 (1979), S. 99–117. 35 Vgl. Hans-Joachim Lope, „Der Reiz des Fremden“: Exotismus der Ferne und Exotismus der Nähe in den europäischen Literaturen, in: Neues Handbuch der Literaturwissenschaft Bd. 16 (wie Anm. 26), S. 625.
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Jules Barbey d’Aurevilly entweder als persönliche Freunde, wie die beiden ersten, oder als Rezensent zu verbuchen. Heines Grabspruch auf dem Montmartre-Friedhof vom „Gotteshimmel“, der ihm durch die nächtlichen Sterne gleichsam „Todtenlampen“ liefert, (DHA II, 197) hat bereits den individuellen Wert im gesamten Universum gemäß jener Formulierung aus der Reise von München nach Genua wiederholt, dass „unter jedem Grabstein“ eine „Weltgeschichte“ liege. (DHA VII, 71) Sein letztes, völlig unironisches, Gedicht Am Himmel Sonne Mond und Stern (DHA III, 408–410) macht schließlich aus den Menschenherzen „Kunstwerke“, nämlich das Abbild der „Schöpfung“ mit allen Wundern und Schrecknissen der Welt. Auch eine solche Betrachtungsweise spricht für ein Bewusstsein, in dem ein Dandy den gesamten Kosmos um sich kreisen lässt. Heine hätte dieser Vorstellung wahrscheinlich nicht widersprochen.
… und ein späterer Reflex aus dem Geburtsort Düsseldorf: der Schriftsteller Hermann Harry Schmitz Nicht nur der oben bereits mit Heine aus einschlägigen Gründen verglichene Kurt Tucholsky (9. 1. 1890–21. 12. 1935) verdient wie ein späteres Echo unseres Dichters als Dandy auf ebendessen Spuren genannt zu werden. Auch der fast ein Jahrzehnt ältere Düsseldorfer Grotesken-Dichter und Rowohlt-Autor des Fin de Siècle, Hermann Harry Schmitz, (12. 7. 1880–8. 8. 1913), der seinerseits über 20 Jahre vor Tucholsky als Opfer der Tuberkulose aus der Welt schied, verdient zum Schluss eine eigene Erwähnung im Zusammenhang mit dandyhaften Bezügen seines großen Landsmannes Heinrich bzw. ehemals, vor der Taufe, Harry Heine. Die Selbstinszenierung dieses am Niederrhein geborenen Schriftstellers, der mit dem selbst gewählten zweiten Vornamen an Heine vor dessen öffentlicher Anerkennung durch ein Denkmal auf ironisch-vitale Weise erinnerte, mit 33 Jahren als Schwerkranker seinem Leben ein Ende setzte und sich kurzerhand in Bad Münster am Stein erschoss, trägt ebenso bewundernswerte wie einmalige Züge. Baudelaire und Oscar Wilde waren unter anderem seine Vorbilder; „auch im Lebensstil“ passte er sich „zunächst seinen Idolen“ an, „trug den neusten Chic“, liebte die „Extravaganz“, goss aber „vernichtenden Spott“ aus über die „Welt des schönen Scheins“, „sein eleganter Frack“ wurde dabei in seinen Auftritten „zur
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stilvollen Maske“.36 Heine hätte an der Originalität seines rheinischen Nachfolgers sicherlich die reinste Freude gehabt und aufgrund eigener, seit früher Zeit präsenter Gedanken über den Selbstmord dessen verzweifelte Handlungsweise verstanden.
36 Vgl. Michael Matzigkeit in Zusammenarbeit mit Sabine Brenner-Wilczek, Hermann Harry Schmitz. Der Dandy vom Rhein, Düsseldorf 2005, hier S. 32.
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Der gebrochene Dandy: Oscar Wilde im biografischen Spielfilm Keines der jüngeren und jüngsten Überblicksbücher über das Phänomen des Dandys scheint ohne ein Kapitel über Oscar Wilde auszukommen.1 Wenn der vorliegende Sammelband zum „Dandy als kulturhistorisches Phänomen im 19. und 20. Jahrhundert“ ebenfalls einen Beitrag über Wilde enthält, setzt er damit also eine etablierte kritische Tradition fort. Aufgrund der thematischen Schwerpunktsetzung im vorliegenden Beitrag auf ein Phänomen der produktiven Rezeption der Person Wilde, nämlich der Darstellung von Wildes Dandytum in biografischen Filmen, fügt er den bisherigen kritischen Betrachtungen aber eine neue Facette hinzu. Die bislang vorliegenden Texte über Wilde und das Dandytum beschränken sich nämlich entweder auf die Analyse von Dandyfiguren in Wildes literarischem Werk oder auf eine Einordnung von Wilde selbst in die Tradition des Dandys. Der Aspekt der produktiven filmischen Rezeption von Wildes Dandytum ist bislang noch unbeachtet geblieben. Es überrascht wenig, dass das Dandytum eine thematische Schublade ist, in welche Wilde regelmäßig und beständig gesteckt worden ist und immer noch gesteckt wird. Seine extravagante und stilbewusste Selbstinszenierung in Kleidung und Konversation zum einen und die Fülle schillernder Dandyfiguren in seinen Gesellschaftskomödien und in dem Roman The Picture of Dorian Gray zum anderen, deren Hang zu Paradox und Ironie einen Blick auf eine komplexe Lebensphilosophie unter einer glänzenden Oberfläche eröffnet, fordern eine solche Herangehensweise geradezu heraus. Wilde zelebrierte die Oberfläche, die ihm lange Zeit als einzig wahrer Weg zum Authentischen erschien, in seiner Philosophie der Maske, die er insbesondere in seinen Essays, aber auch in seinem Roman und seinen Gesellschaftskomödien reflektierte. Das Dandytum verstand und gebrauchte er als eine solche Maske, die es ihrem Träger erlaubt, seine philosophische Weltsicht vom Leben als Kunstwerk nicht nur zu artikulieren, sondern auch performativ zu verkörpern. Allerdings war Wilde sich des potentiellen Vorwurfs von Unehrlichkeit und Substanzlosigkeit, den ein solches Auftreten her1 Vgl. z. B. Ellen Moers, The Dandy. Brummell to Beerbohm, New York 1960; Hiltrud Gnüg, Kult der Kälte. Der klassische Dandy im Spiegel der Weltliteratur, Stuttgart 1988; Hans-Joachim Schickedanz, Ästhetische Rebellion und rebellische Ästheten. Eine kulturgeschichtliche Studie über den europäischen Dandyismus, Frankfurt a. M. [u. a.] 2000; Günter Erbe, Dandys – Virtuosen der Lebenskunst. Eine Geschichte des mondänen Lebens, Köln [u. a.] 2002; Fernand Hörner, Die Behauptung des Dandys. Eine Archäologie, Bielefeld 2008.
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ausfordern konnte, stets bewusst, wie sein autobiografisches Werk De Profundis beweist, das er während seiner Haft im Zuchthaus von Reading verfasste. In der Rückschau auf sein Leben vor der Haft verwendet er den Begriff „Dandy“ dort pejorativ, als Mittel der Selbstbeschuldigung: „I amused myself with being a flâneur, a dandy, a man of fashion. I surrounded myself with the smaller natures and the meaner minds. I became the spendthrift of my own genius, and to waste an eternal youth gave me a curious joy.“2 Die Charakterisierung des Dandytums als hohl, substanzlos und ziellos wird ihm hier zum Mittel der rhetorischen Selbstanklage.3 Die Filme über Wilde, welche den Fokus des vorliegenden Beitrags bilden, gründen zentral allerdings auf einem anderen Aspekt von Wildes Dandytum: Oscar Wildes Werk gilt vielen als Inbegriff der britischen Literatur des Fin de Siècle, und er selbst ist nicht zuletzt aufgrund seiner Biografie einer der bekanntesten Vertreter der britischen Dekadenz-Bewegung. Er gefiel sich in der Rolle des provozierenden Außenseiters und verkörperte geradezu das Dandytum als Phänomen der Zeitenwende, als ein Nicht-Zuhausesein im Gegenwärtigen. Dergestalt Emblem seiner Epoche, aber quasi schon zu Lebzeiten aus seiner Zeit gefallen, ist Wilde eine ideale Projektionsfläche für die Nachwelt geworden. Der vorliegende Beitrag untersucht deshalb nach einem knappen biografischen Abriss und einer Skizze der typischen Merkmale von Wildes Dandytum seine Repräsentation (und insbesondere die Rolle seines Dandytums für diese Repräsentation) in biografischen Filmen. Diese Untersuchung erfolgt unter der theoretischen Prämisse, dass die Filme nicht nur ein Schlaglicht auf die historischen Ereignisse und Personen werfen, die sie nachstellen, sondern diese Ereignisse und Personen auch benutzen, um aktuelle Diskurse ihrer Entstehungszeit zu kommentieren. Im Fokus der Analyse stehen die zwei Biopics The Trials of Oscar Wilde (Regie Ken Hughes) aus dem Jahr 1960 und Wilde (Regie Brian Gilbert) aus dem Jahr 1997. Ersterer wird als Beitrag zu den um 1960 in Großbritannien virulenten Diskussionen über die Entkriminalisierung von Homosexualität interpretiert, Letzterer wird zum HeritageParadigma in der britischen Kultur der 1980er- und 1990er-Jahre in Bezug gesetzt.
2 Rupert Hart-Davis (Hrsg.), The Letters of Oscar Wilde, London 1962, S. 466. 3 Für eine Analyse der Ambivalenz dieser Selbsterniedrigung als Strategie der Selbsterhöhung vgl. Lucia Krämer, Das Bildnis des Oscar Wilde. Fiktion und Realität in biographischen und autobiographischen Texten über Oscar Wilde, Regensburg 1999.
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Wildes Ästhetizismus und Dandytum Der 1854 in Dublin geborene Oscar Wilde war Sohn eines berühmten Arztes und einer unter dem Pseudonym „Speranza“ für die irische Freiheitsbewegung schreibenden Dichterin. Dass Wilde trotz seiner irischen Herkunft heute häufig, wenn auch fälschlich, als englischer Autor betrachtet wird, liegt in erster Linie daran, dass er sich seinen Namen in England machte und dort während seiner Lebenszeit seine größten literarischen Triumphe feierte. Schon während seines Studiums in Oxford manifestierte sich sein Interesse für ästhetizistische Theorien, das er bewusst (und Aufmerksamkeit heischend) kultivierte. Als er nach seinem hervorragenden Studienabschluss 1878 nach London übersiedelte, zog er als auffällig ster Vertreter des Ästhetizismus auch dort bald das Interesse der Presse auf sich, die ihn so bekannt wie berüchtigt machte. Der Impresario Richard D’Oyly Carte, der die Operette Patience von Gilbert und Sullivan, eine Satire über das Phänomen des Ästhetizismus, nach London auch in Nordamerika produzieren wollte, engagierte Wilde aufgrund seines Rufes sogar für eine Vorlesungsreise durch die USA und Kanada: Mit Wilde, dem Vorzeige-Ästheten aus der alten Welt, sollten die Amerikaner die Vorlage für Patience kennenlernen. Wildes nordamerikanische Vorlesungsreihe über das Schöne war ein durchschlagender Erfolg. Grund dafür waren allerdings weniger die Vorlesungen als Wilde selbst und insbesondere sein extravagantes Äußeres. Sein Ästheten-Look mit Langhaarfrisur, Pelzmantel, samtenen Anzügen mit Kniebundhosen und schwarzen Seidenstrümpfen ist in einer Fotoserie von Napoleon Sarony aus dem Jahr 1882 verewigt, die Wilde als Werbefotos dienten,4 aber auf vielfältige Weise auch von anderen adaptiert wurden, etwa zu Zwecken der Satire oder der Produktwerbung.5 Sie sind noch heute ein wichtiger Baustein von Wildes Bild im kollektiven Gedächtnis. Nach seiner Rückkehr nach England führte Wilde dann einen bewussten Imagewandel durch, legte das extravagante Kostüm des Ästheten ab und änderte seine Frisur. Er kleidete sich im Folgenden dezenter, wenn auch immer noch mit auffälliger Eleganz. Der Annäherung an die Norm bezüglich seines Äußeren ließ Wilde eine entsprechende Veränderung in seinem Privatleben folgen: Er heiratete 1884 Constance Lloyd, mit der er zwei Söhne hatte. Wahrscheinlich ab 18866 ging er aber vornehmlich homosexuelle Beziehungen ein, mit Vorliebe zu jüngeren Männern, auch solchen aus niedrigeren Schichten. Da seit 1885 sämtliche homosexuellen Handlungen zwischen Männern in England durch den Criminal Law 4 Die gesamte Fotoserie ist reproduziert in Merlin Holland, The Wilde Album, London 1997. 5 Vgl. hierzu z. B. Heather Marcovitch, The Art of the Pose. Oscar Wilde’s Performance Theory, Frankfurt a. M. [u. a.] 2010, S. 58–61. 6 Vgl. Richard Ellmann, Oscar Wilde, London 1987, S. 259.
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Amendment Act unter Strafe standen, war dieses Verhalten äußerst riskant. Im Jahr 1895, als mit An Ideal Husband und The Importance of Being Earnest gleich zwei seiner Stücke das Londoner Publikum zu begeistern wussten, wurde Wilde auf dem Gipfel seines Erfolges von seinem Privatleben eingeholt. Schon seit 1892 hatte er eine stürmische Beziehung zu dem 16 Jahre jüngeren Lord Alfred Douglas unterhalten. Dessen Vater, der 9. Marquess of Queensberry, der sich schon lange von seiner Familie entfremdet hatte, missbilligte das Verhältnis und provozierte Wilde mit einer in dessen Club hinterlassenen Nachricht, in der er Wilde als „posing Somdomite [sic]“7 bezeichnete, zu einer Verleumdungsklage. Der Prozess, den Wilde daraufhin gegen Queensberry anstrebte, wandte sich gegen ihn selbst, als Queensberrys Verteidiger Edward Carson im Kreuzverhör Wildes Beziehungen zu jüngeren Männern aus der Arbeiterklasse enthüllte. Wilde, der gegen alle Vernunft nicht aus England floh, wurde verhaftet und wegen unsittlicher Vergehen zweimal vor Gericht gestellt; der zweite Prozess endete mit einem Schuldspruch und der Verurteilung zu zwei Jahren Haft mit Zwangsarbeit, dem damals höchstmöglichen Strafmaß für Wildes „Vergehen“. Nach seiner Haftentlassung war Wilde sowohl gesundheitlich als auch finanziell ein gebrochener Mann, und es blieb ihm nur der Weg ins Exil. Nachdem er mehrere Wohnsitze an der französischen Atlantikküste und in Italien (mit Douglas) aus verschiedenen Gründen hatte aufgeben müssen, ließ er sich Anfang 1898 in Paris nieder, wo er – stets in Geldsorgen – in verschiedenen billigen Hotels lebte. Er starb im Jahr 1900. Wilde fehlte somit in den letzten Lebensjahren die materielle Grundlage, die für das Ausleben dandyistischer Eleganz, Raffiniertheit und Exklusivität notwendig ist. Doch ist ihm der Status des Dandys auch generell abgesprochen worden. Günter Erbe etwa vertritt im vorliegenden Band die Meinung, dass Wilde keineswegs dem Bild des „klassischen Dandys“ entspricht. Nicht nur habe Wilde das Dandytum lediglich als Rolle benutzt und diese strategisch kommerzialisiert; an die Stelle unauffälliger Eleganz wie bei den Dandys der Regency-Epoche sei bei Wilde darüber hinaus der Hang zum Clownesken und Outrierten als Hauptmerkmal seines Auftretens getreten, das ihm immer mehr zum Markenzeichen geworden sei.8 Bezüglich seiner Gefühlsdisposition schließlich habe es Wilde, so Erbe, an der für den klassischen Dandy typischen Selbstzucht und „impas-
7 Vgl. ebd., S. 412. 8 Die daraus resultierende paradoxe Domestizierung von Wildes Subversion, die sich als roter Faden durch sein Werk zieht, hat insbesondere Norbert Kohl eindrucksvoll analysiert. Vgl. Norbert Kohl, Oscar Wilde. Das literarische Werk zwischen Provokation und Anpassung, Heidelberg 1980.
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sibilité“ gemangelt – ein Mangel, der letztlich in seinen gesellschaftlichen und künstlerischen Niedergang mündete.9 Im Gegensatz zu Erbe, der das Konzept eines klassischen Dandy als eine Norm setzt, von der Wilde im negativen Sinne abweicht, versteht der vorliegende Text den Dandy mit Fernand Hörner als variables diskursives Konstrukt. Hörner hat in seiner beeindruckenden Untersuchung über Die Behauptung des Dandys eine Vielfalt teils widersprüchlicher Eigenschaftszuschreibungen an den Typus Dandy erarbeitet, der, so Hörner, „alle Diskurse zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Surrealismus und Systemtheorie, Revolte und bürgerlichem Leben“ quert.10 Im Gegensatz zu Erbes normativem Ansatz erlaubt diese diskursanalytische Herangehensweise eine wertneutrale Beschreibung jener Aspekte in Wildes Person und Werk, welche trotz der von Erbe geäußerten Vorbehalte immer wieder zu Wildes Klassifizierung als Dandy geführt haben. Für die Charakterisierung Wildes als Dandy ausschlaggebend ist ein Bündel von Eigenschaften, die letztlich alle das schon erwähnte Aus-der-Zeit-GefallenSein des Dandys unterstreichen, das zum Beispiel Schickedanz als einen konstituierenden Aspekt des Dandytums vorschlägt. So bezeichnet Schickedanz den Dandy als atypisches Kind der Zeit, in welcher er lebt, wobei diese Zeit eine des Übergangs sei. Der Dandy leiste, in einer quasi-aristokratischen Haltung, Widerstand gegen die triviale Welt der Arbeitszwänge und des mediokren bürgerlichen Gewinnstrebens, angetrieben durch die Gegebenheiten seiner Zeit, aber sich davon bewusst distanzierend11 und so in die Vergangenheit und/oder Zukunft verweisend. Aufgrund dieses Aspekts der Zeitenwende, welcher schon etymologisch im literarischen Epochenbegriff „Dekadenz“ enthalten ist, wird der Dandyismus gerne in den Topf kulturwissenschaftlicher Untersuchungen der britischen Literatur der 1890er-Jahre und somit auch von Wildes Œuvre geworfen. Blickt man auf die Person Wilde, so manifestiert sich seine Abschottung gegen die Mediokrität des Alltags seiner Zeit allerdings am sichtbarsten in seiner Perfektionierung der Form und in seiner Glorifizierung des Schönen. Wildes Ästhetizismus, sein cult of beauty, der sich nicht nur im aesthetic dress seiner ersten Phase, sondern zum Beispiel auch in der grafischen Gestaltung seiner Bücher zeigt, war zutiefst ideologischer Ausdruck eines Willens, dem Utilitarismus der Zeit die Stirn zu bieten. 9 Für ähnliche Stimmen, die Wilde ebenfalls den Status eines wahren Dandys absprechen, vgl. Rainer Gruenter, Versuch über Oscar Wilde, in: Ders. (Hrsg.), Oscar Wilde, Werke in zwei Bänden, 2. Bd., München 1970, S. 587–638, hier S. 608; Eike Schönfeld, Der deformierte Dandy. Oscar Wilde im Zerrspiegel der Parodie, Frankfurt a. M. [u. a.] 1986, S. 209ff. 10 Hörner, Die Behauptung des Dandys (wie Anm. 1), S. 11. 11 Vgl. Schickedanz, Ästhetische Rebellion (wie Anm. 1), S. 16.
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Die bewusst kultivierte Eleganz seiner Kleidung nach der Abkehr vom Kostüm des Ästheten, ebenso wie die Geschliffenheit seiner Epigramme und Aperçus, zeugen von einem unbändigen Willen zur perfekten Form, in welche er scharfe und kühle Beobachtungen über die spätviktorianische Gesellschaft, ihre Werte und Lebensweisen ironisch-satirisch verpackte und dabei die Paradoxien des Menschseins selbst kommentierte, wie zum Beispiel in seinen Phrases and Philosophies for the Use of the Young, welche unter anderem folgende Aphorismen enthalten: Wickedness is a myth invented by good people to account for the curious attractiveness of others. […] Those who see any difference between soul and body have neither. […] Nothing that actually occurs is of the smallest importance. […] A truth ceases to be true when more than one person believes in it.12
Wilde stellt hier fundamentale Grundwerte der britischen spätviktorianischen Mittelschicht in Frage: ihre earnestness (Ernsthaftigkeit), das heißt ihre Betonung von sincerity (Gewissenhaftigkeit, Ehrlichkeit) und goodness (Gutherzigkeit) als Grundlage von Charakterstärke, ihre Körperfeindlichkeit, ihren vermeintlichen Aktionismus, und insbesondere ihren Glauben an unverrückbare Wahrheiten. Durch sein Spiel mit der Oberfläche sowohl in seinen Werken als auch in der Performanz seiner Selbst-Darstellung distanziert sich Wilde ideologisch von dieser bleiernen Schwere und positioniert sich stattdessen ideologisch als elitärer Außenseiter.13 Wildes Kleidungsstil und Kult des Schönen, seine kühle Distanz und die formale Perfektion der satirisch-ironisch decouvrierenden Aphorismen, die sich durch fast alle seine Prosawerke ziehen, geben Wilde also zumindest die Züge eines Dandys, auch wenn, wie Erbe ganz richtig feststellt, Wilde nicht auf diese Rolle zu reduzieren ist. Vielmehr war das Dandytum nur eine von vielen Masken, derer er sich bediente,14 und vielleicht schränkte er, wie Erbe vorschlägt, tatsächlich den eigenen Anspruch auf diese Rolle schon dadurch sichtbar ein, dass er in seinen Werken den Dandy soziologisch in der Aristokratie ansiedelte.15 Auf die biografischen Filme über Wilde bezogen lässt sich jedenfalls feststellen, dass alle auf den Aspekt des Dandytums für die Darstellung seiner Person zurückgreifen, 12 Oscar Wilde, The Complete Works, London/Glasgow 1966, S. 1205. 13 Obwohl er, der in die Mittelklasse geborene Ire, gesellschaftlich stets nach Anerkennung aus den Kreisen des englischen Adels strebte. Seine Rebellion gegen die Werte der Mittelklasse diente dem vermeintlichen Konformismus mit aristokratischen Werten und Verhaltensweisen. 14 Vgl. Erbe, Dandys (wie Anm. 1), S. 216. 15 Ebd., S. 232.
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diesen Aspekt aber lediglich als eine (untergeordnete) Facette des eigentlichen Oscar Wilde interpretieren.
Kurzcharakterisierung der Biopics über Wilde Über Oscar Wilde gibt es bislang drei Biopics,16 die alle britischer Herkunft sind.17 Die beiden ersten, Oscar Wilde (Regie Gregory Ratoff) und The Trials of Oscar Wilde (Regie Ken Hughes) kamen beinahe gleichzeitig, mit einem Abstand von lediglich fünf Tagen, im Jahre 1960 in die britischen Kinos und markieren Wildes Rückkehr als legitimes Thema für die britischen Massenmedien (auch wenn die Filme aufgrund ihrer Behandlung des Themas Homosexualität nur für Erwachsene freigegeben waren). Wilde war aufgrund seiner „Vergehen“ in Großbritannien vorher lange Zeit nicht nur als Person, sondern auch als Künstler tabuisiert gewesen, und erst in den 1940er-Jahren hatte die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit ihm dort langsam begonnen.18 Mitte der 1950er Jahre war Wilde in Großbritannien dann zumindest als Künstler rehabilitiert, auch wenn er insofern noch ein problematischer Gegenstand für fiktionale Biografien war, als die Zensur die Darstellung von Homosexualität – gleich, in welchem Medium – immer noch weitgehend verhinderte. Dass 1960 gleich zwei britische Spielfilme über Wilde in die Kinos kamen, spiegelt sowohl seine fortschreitende Rehabilitation wider als auch ein damals gestiegenes Interesse für das Thema, ob beziehungsweise wie Homosexualität entkriminalisiert werden sollte.
16 Unbedingt zu erwähnen ist darüber hinaus der BBC-Dreiteiler Oscar, der erstmals 1985 ausgestrahlt wurde und zwar kein biografischer Spielfilm im engeren Sinne ist, aber wie die im Haupttext behandelten Filme Wildes Leben mit fiktionalisierenden Mitteln aufarbeitet. Die Handlung von Oscar erstreckt sich vom ersten Treffen Wildes mit Alfred Douglas bis zu seinem Leben im Pariser Exil, wobei jede der knapp sechzigminütigen Folgen sich einer Lebensetappe widmet. Folge eins behandelt die Zeit bis zu den Prozessen, Folge zwei zeigt die Prozesse, und Folge drei schließlich deckt die Zeit von Wildes Haft und Exil ab. Ästhetisch stellt die Produktion eine interessante Herangehensweise an das Genre des historischen Films dar durch die Art, wie sie nachgespielte Szenen aus Wildes Leben mit einleitenden und kommentierenden Voice-overs eines scheinbar objektiven Erzählers ergänzt, welche die Spielhandlung historisch einordnen. 17 An der Finanzierung von Wilde (Regie Brian Gilbert) aus dem Jahr 1997 waren allerdings neben britischen auch US-amerikanische, japanische und deutsche Geldgeber beteiligt. 18 Vgl. z. B. die immer noch sehr gut lesbare und sehr gut recherchierte Biografie von Hesketh Pearson, die erstmals 1946 erschien (Hesketh Pearson, The Life of Oscar Wilde, London 1954), und die erste ausführliche Aufarbeitung von Wildes Prozessen durch Montgomery Hyde aus dem Jahr 1948 (H. Montgomery Hyde, The Trials of Oscar Wilde, New York 1973). Beide Bücher gehören noch heute zu den Standardwerken der Wilde-Forschung.
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Die beiden Wilde-Filme von 1960 könnten trotz ihres gemeinsamen Gegenstandes ästhetisch kaum unterschiedlicher sein. Oscar Wilde von Regisseur Gregory Ratoff basierte auf einem gleichnamigen Theaterstück von Leslie und Sewell Stokes aus den Dreißigerjahren. Er ist in Schwarzweiß und Normalformat gedreht, die Zahl der Schauplätze ist beschränkt, Kameraführung und Schauspielstil wirken oftmals statisch und theaterhaft, nicht zuletzt deshalb, weil die Dialoge in ihrem Verhältnis zur visuellen Information häufig redundant sind. Hauptdarsteller Robert Morley hatte Wilde schon im zugrunde liegenden Stück gespielt und war für die Rolle 1960 eindeutig zu alt, was Bourne zu der Kritik hinreißt, Morley spiele Wilde „as a blustering, foolish old duffer“.19 Der Film The Trials of Oscar Wilde von Regisseur Ken Hughes mit Peter Finch in der Hauptrolle ist anders als Ratoffs Film in CinemaScope und Technicolor gedreht, der Aufwand an Kostümen, Ausstattung und Statisten war augenscheinlich sehr viel größer. Mehr (nähere) Einstellungen und Blickwinkel auf das Geschehen wecken in Verbindung mit dem prächtigeren Bildformat die Illusion eines umfassenden Blicks auf die Ereignisse und Figuren. The Trials of Oscar Wilde ist deshalb gut gealtert, während an Oscar Wilde schon 1960 ein Rezensent bemängelte, der Film habe den „extraordinarily stiff and stagy look of some tea-cup screen drama of the very early Thirties“.20 Das dritte und sicher bekannteste Biopic über Oscar Wilde schließlich ist der Film Wilde (Regie Brian Gilbert) aus dem Jahr 1997 mit Stephen Fry in der Titelrolle und dem hervorragenden Jude Law in der Rolle des Alfred Douglas. Wilde war Teil einer größeren Welle fiktionalbiografischer Darstellungen Wildes, die in den Jahren 1995 bis 2000 offensichtlich als Reaktion auf die 100-jährigen Jahrestage von Wildes Verurteilung und Tod entstanden. Der Film war mit einem Budget von 6,4 Millionen Pfund eine mehr als mittelgroße britische Produktion21 mit einer entsprechend opulent-pittoresken Ausstattung, die im Widescreen-Format voll zur Geltung gebracht wird. Leider findet in Wilde im Vergleich zu seinen 19 Stephen Bourne, Brief Encounters. Lesbians and Gays in British Cinema 1930-1971, London 1996, S. 142. 20 [P. J. D.], Kritik Oscar Wilde, in: Monthly Film Bulletin (Juli 1960), S. 93–94, hier: S. 94. In dieser Kritik drückt sich nicht zuletzt ein gewandeltes Realismuskonzept im filmkritischen Diskurs der Zeit aus, das seinen Ursprung in einer Veränderung der britischen Filmästhetik gegen Ende der Fünfzigerjahre hatte. Dieser Wandel ging insbesondere von den wenigen, aber einflussreichen Filmen der so genannten British New Wave aus. Eine konzise Zusammenfassung der Entwicklung und der wichtigsten ästhetischen Merkmale der British New Wave bietet Jörg Helbig, Geschichte des britischen Films, Stuttgart/Weimar 1999, S. 203–206. Murphy betrachtet die beiden Wilde-Filme gar als Paradigmen für die dominanten Realismuskonzepte im britischen Kino ihrer Zeit (vgl. Robert Murphy, Sixties British Cinema, London 1992, S. 37). 21 Vgl. Eddie Dyja (Hrsg.), BFI Film and Television Handbook 1998, London 1997, S. 22f.
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Vorgängern aber keine neue Interpretationsleistung statt. Die einzige wirkliche Innovation zum Beispiel gegenüber Ken Hughes’ Vorläufer aus dem Jahr 1960 beruht auf geänderten Zensurbedingungen und besteht darin, dass der Film Sexszenen zwischen Männern zeigt – im Rahmen der Möglichkeiten eines Spielfilms mit einer Altersfreigabe ab 15 Jahren.
Die Funktionen von Wildes Dandytum in den Filmen The Trials of Oscar Wilde und Wilde Der Umgang mit Wildes Dandytum in allen drei Filmen ist grundsätzlich von ihrer Genrezugehörigkeit zur Gattung des Biopic geprägt, mit dessen typischen Merkmalen insbesondere The Trials of Oscar Wilde und Wilde sehr konventionell umgehen.22 Die fraglichen Gattungsmerkmale, die sich mit der Verfestigung des Biopics während der Studioära Hollywoods herausbildeten, betreffen in erster Linie narrative Strukturaspekte: Traditionelle Biopics folgen einem Muster, in welchem die wichtigsten Stationen in der Karriere der dargestellten Person – bei Künstlern sind dies in der Regel die bekanntesten Werke – pflichtschuldig und zumeist chronologisch abgehakt werden. Die großen (in der Regel) Männer23 werden dabei durch die Darstellung ihres Privatlebens und insbesondere der Konflikte, die sich aufgrund ihrer Karriere in diesem Privatleben ergeben, vom Sockel unnahbarer Prominenz gehoben und den Zuschauern als Menschen näher gebracht. Als Vorreiter und Vordenker stehen die Protagonisten darüber hinaus zumeist in Konflikt mit ihrem gesellschaftlichen Umfeld. In einer Vielzahl von Biopics werden ihre Leistungen deshalb in einem öffentlichen Forum, nicht selten einer Gerichtsverhandlung, geprüft und in der Regel für gut befunden – was dann das Happy End sowohl für den Protagonisten als auch für die Nachwelt darstellt.24 In Wildes Fall funktioniert dieses Muster offenkundig nur bedingt, da die Gerichtsverhandlungen es ihm zwar erlauben, trotz widriger Umstände seinen Witz und Esprit zu zeigen und seine Widersacher mit einer Verteidigungsrede über „The love that dare not speak its name“25, also die Liebe, die ihren Namen 22 Aufgrund der dramatischen Textvorlage von Gregory Ratoffs Film Oscar Wilde orientiert sich die Erzählstruktur dieses Films dagegen weniger stark an filmgenrespezifischen Vorgaben. 23 Vgl. hierzu Thomas Carlyles Verständnis von Geschichte als „the history of great men“. 24 Als einführenden Text in das Genre des Biopic vgl. George F. Custen, Bio/Pics. How Hollywood Constructed Public History, New Brunswick 1992. 25 So der Titel eines Sonetts von Alfred Douglas, den zu erläutern Wilde im Kreuzverhör wäh-
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nicht zu nennen wagt, zu beschämen. Da sie Wildes Isolation und Niedergang als Künstler zur Folge haben, verschiebt sich das Happy End aber auf Wildes posthume doppelte Kanonisierung als Künstler und Mahnmal gegen Intoleranz und Diskriminierung. Diese doppelte Berühmtheit Wildes als Künstler und Homosexueller und insbesondere ihre jeweilige Gewichtung gilt es bei der Analyse der Biopics stets im Auge zu behalten, denn es fällt auf, dass Wildes sexuelle Orientierung stets die größeren Konflikte mit seinem Umfeld aufwirft und deshalb in allen Filmen im Mittelpunkt steht. Die Filme lenken die Sympathie zugunsten Wildes, indem sie ihn gezielt als Privatperson darstellen: als Ehemann, als liebenden Vater und natürlich auch als Liebhaber von Männern, je nach Film in unterschiedlicher Deutlichkeit. Was letztlich in den Prozessen entscheidend geprüft wird, ist Wildes Lebenswandel, nicht seine Kunst, auch wenn Wildes Gegner seine Werke als vermeintliche Indizien für seine Unmoral heranziehen. Der Darstellung Wildes primär als Mensch anstatt als Prominenter dient in allen Filmen auch die bewusste „Normalisierung“ seines Äußeren. So reicht die erzählte Zeit der beiden Biopics aus dem Jahr 1960 jeweils von Wildes erstem großen Erfolg als Dramatiker (mit Lady Windermere’s Fan) bis nach seiner Haftentlassung26 und ist somit auf eine Lebensphase beschränkt, in welcher Wilde bereits lange vom Kostüm des Ästheten auf eine unauffälligere Garderobe (allerdings mit exklusiven Accessoires) umgestiegen war. Wilde ist der einzige der drei Filme, der den Protagonisten auch während seiner ästhetizistischen Phase zeigt: Der Film beginnt mit einer Szene, in welcher Wilde auf seiner Vorlesungsreise durch die USA eine Goldmine im amerikanischen Westen besucht. Wildes Kostüm allerdings entspricht nicht der Erwartung: Statt eines Ästheten in Kniebundhosen und Seidenstrümpfen sieht der Zuschauer einen elegant gekleideten Herrn mit Pelzmantel, dessen auffälligstes äußeres Merkmal seine relativ langen Haare sind. Diese Frisur, welche der Protagonist in Wilde entgegen der biografischen Fakten auch noch lange nach seiner Rückkehr aus den USA trägt, ist das visuelle Emblem des Films für Wildes Subversion – und ein sehr viel schwächeres (da aus heutiger Sicht „normaleres“) Zeichen als es die Kniebundhosen gewesen wären. Blickt man auf die Repräsentation von Wildes Dandytum in den Biopics, so fällt auf, dass es in allen Filmen letztlich für Wildes Darstellung als Homosexueller instrumentalisiert wird. Es ist Mittel zum Zweck, dient sozusagen als Index seiner fundamentalen Unkonventionalität im Körperlichen, welche von rend des ersten Prozesses gegen ihn aufgefordert wurde. Vgl. Ellmann, Oscar Wilde (wie Anm. 6), S. 435. 26 The Trials of Oscar Wilde endet mit dem Moment, als Wilde das Land verlässt; Oscar Wilde zeigt den Protagonisten aber auch noch als gebrochenen Mann im Pariser Exil.
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der Gesellschaft in der Filmhandlung geradezu exorziert wird und dann in einer gerichtlichen Auseinandersetzung kulminiert. Wenn Wilde in den Filmen von der bürgerlich-spießigen Gesellschaft eingeholt wird, manifestiert sich dies in den äußeren Zeichen seines Dandytums: Seine vorher makellose und auffällig elegante Garderobe wird im Lauf der Prozesse immer schlichter und schließlich von Häftlingskleidung abgelöst. Accessoires wie Hut, Handschuhe und Knopflochblume verschwinden im Laufe der Prozesse, die Farbe seiner Anzüge wird gedeckter. Auch nach der Haftentlassung erreicht seine Garderobe nie mehr ihr früheres Raffinement. Eine ähnliche Entwicklung betrifft Wildes Konversation. Die ironisch-paradoxen Bonmots, welche Wilde etwa in The Trials of Oscar Wilde auf der Höhe seines Ruhmes vor der Presse oder seinem Premierenpublikum zum Besten gibt, wenden sich vor dem völlig anders gearteten Auditorium im Gerichtssaal gegen ihn, und sein Hohelied des Schönen, welches er zu Anfang des Films Wilde in einer seiner Vorlesungen singt, wird ihm während der Prozesse zum Verhängnis, als er auf die Frage, ob er einen jungen Mann namens Walter Grainger geküsst habe, antwortet: „Oh no, he was a peculiarly plain boy.“ Diese spritzige und durch ihren Rückgriff auf Wildes ästhetizistische Theorien geprägte Antwort, in welcher er implizit Graingers Mangel an Schönheit, nicht aber seinen Stand oder sein Geschlecht zum Grund seiner Zurückhaltung erhebt, entspricht der geistreichen und gleichzeitig tiefschürfenden Ironie, die gemeinhin mit dem klassischen Dandy assoziiert wird; diese führt in der spezifischen Situation aber in Wildes Untergang. Das subversive Potential von Wildes Bonmots wird dabei in allen Filmen deutlich: in The Trials of Oscar Wilde und Oscar Wilde, wenn Wilde sie geradezu als Waffe im zum Duell stilisierten Kreuzverhör mit Edward Carson benutzt, in Wilde, wenn Alfred Douglas in seiner ersten Szene bemerkt, Wilde benutze seinen Esprit wie ein Florett und schneide „through all these starched shirt-fronts“. Wenn sie im Dialog mit Figuren geäußert werden, denen Wilde freundlich oder liebend gegenüber steht, werden sie aber stattdessen zu einem Zeichen seines Esprits und insbesondere auch seiner Jovialität und Freundlichkeit. Eine quasiaristokratische Haltung, die dem Dandy oftmals zugeschrieben wird, ist bei den filmischen Wilde-Figuren der Biopics sowohl geistig als auch soziologisch nicht zu beobachten – und ist aufgrund der Tatsache, dass die untersuchten Filme als Werke populärer Unterhaltung konzipiert waren, auch nicht zu erwarten. Da Wilde vom äußerst negativ gezeichneten Aristokraten Alfred Douglas in beiden Filmen des bürgerlichen Spießertums bezichtigt wird, ist die Distanz zum Adel der Sympathielenkung für Wilde dagegen sogar zuträglich. In The Trials of Oscar Wilde und Wilde ist diese Wirkung, wie auch das Primat von Wildes körperlichem über seinen geistigen Nonkonformismus, nicht
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zuletzt medial bedingt: Der Protagonist wird ja im wahrsten Sinne des Wortes von einem Schauspieler verkörpert. Im Fall von The Trials of Oscar Wilde führte das Leinwand-Image von Hauptdarsteller Peter Finch als „open-necked shirt hero“27 und „rough-hewn and almost ruggedly masculine male“28, also als ein (auch körperlich) harter und sich durchsetzender Mann, zu einer Darstellung Wildes, die Homosexualität mit einem Konzept von starker (wenn auch sensibler) Männlichkeit assoziiert, das dem Klischee vom effeminierten Schwulen und jeglichen Assoziationen von Schwäche entgegenwirkt. Finchs Besetzung als Wilde kann man deshalb als politischen Akt interpretieren – eine Interpretation, welche nicht zuletzt deshalb naheliegt, weil The Trials of Oscar Wilde deutliche Verweise auf wichtige sexualpolitische Diskussionen seiner Entstehungszeit enthält. Die seit 1885 geltende Gesetzgebung, unter welcher Wilde verurteilt worden war, stellte sexuelle Kontakte zwischen Männern unter Strafe, auch wenn sich diese ausschließlich in deren Privatsphäre ereigneten und somit nicht unmittelbar die öffentliche Ordnung berührten. Schwule Männer, die ihre sexuelle Neigung auslebten, waren also grundsätzlich der Verfolgung durch das Gesetz ausgesetzt – und, wenn ihr Geheimnis von anderen entdeckt wurde, somit auch möglichen Erpressungsversuchen. Diese Gesetzeslage wurde Mitte der 1950erJahre in Großbritannien einer Prüfung unterzogen, nachdem mehrere prominente Männer wegen homosexueller Vergehen verurteilt worden waren. Die dafür eingesetzte Kommission unter ihrem Vorsitzenden John Wolfenden veröffentlichte 1957 einen Untersuchungsbericht, welcher empfahl, dass einvernehmliche homosexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen, die sich im Privaten ereigneten, nicht mehr länger als kriminelle Vergehen eingestuft werden sollten.29 Auch wenn in The Trials of Oscar Wilde die Vorliebe des Protagonisten für Männer dem dominanten Diskurs der dargestellten Zeit entsprechend als Perversion bezeichnet wird, unterstützt der Film ganz ausdrücklich die Forderung des so genannten Wolfenden-Reports mit einer Szene, in welcher Sir Edward Clarke, Wildes Anwalt, ausführlich über die Notwendigkeit spricht, homosexuelles Verhalten zu entkriminalisieren, da die geltende Gesetzgebung der Erpressung Tür und Tor öffne: „I am a lawyer, not a doctor. To me it [Wilde’s perversion] is loathsome, degenerate, and unnatural. Yet I feel so sorry for him. It’s a terrible thing […] that a man of Wilde’s talents and genius is slowly crucified by a lot of blackmailers and common criminals.“ The Trials of Oscar Wilde weist in dieser Hinsicht auf 27 Vincent Firth, From “Down Under” to the Top, in: ABC Film Review 12:10 (1962), S. 8–9, hier: S. 8. 28 James Powers, Allen-Broccoli Film Ace for Art Houses, in: The Hollywood Reporter 160:38 (23. 6. 1960), S. 3. 29 Dies geschah allerdings erst zehn Jahre später mit dem Sexual Offences Act von 1967.
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Victim (Regie Basil Dearden) voraus, der sich 1961 als erster britischer Film wirklich explizit mit dieser Problematik auseinandersetzte.30 Auch in Wilde unterstützte die Besetzung der Hauptrolle mit Stephen Fry, einem offen homosexuellen Autor und Schauspieler, die Betonung von Wildes Sexualität. Anders als The Trials of Oscar Wilde enthält Wilde aber keine expliziten Kommentare zur Sexualpolitik, die über das aus den Prozessen überlieferte Material hinausgehen. Stattdessen stellt sich der Film ganz in die Tradition der „heritage films“ der 1980er-Jahre.31 Heritage-Filme beziehen sich, wie der Name schon sagt, auf ein nationales Erbe, etwa indem sie kanonische Literatur, bedeutende historische Ereignisse oder die Biografien bedeutender Persönlichkeiten für das Filmmedium adaptieren. Die prominenteste Ausprägung des Genres in Großbritannien, welche Andrew Higson als „bourgeois heritage film“32 bezeichnet, pflegt darüber hinaus eine Ikonografie, die als „typisch britisch“ oder gar „typisch englisch“ gilt (zum Beispiel herrschaftliche Landsitze, englische Nationalpark-Landschaften), und stellt mittels Ausstattung, Kostümen, Bildgestaltung und Schauspielerpräsentation das für den jeweiligen Film versammelte britische Talent geradezu ostentativ aus. Die international bekannteste Form des Genres, die Werke von Produzent Ismael Merchant und Regisseur James Ivory (zum Beispiel A Room with a View 1986; Howards End 1992), wirkte stilbildend, hat sich aber mittlerweile überlebt. Seit Mitte der 1990er-Jahre findet sich stattdessen in einer stetig wachsenden Zahl von Filmen eine Verweigerungshaltung gegenüber der scheinbar ganz auf Äußerlichkeit angelegten pittoresken Beschönigung der Vergangenheit, wie man sie bei Merchant/Ivory finden kann.33 Die Vergangenheit wird in diesen neueren Werken nicht mehr im selben Maße zum Dekor reduziert, und die Geschichten sind nicht mehr ausschließlich im Milieu der upper class angesiedelt.34 Darüber hinaus 30 Bourne, Brief Encounters (wie Anm. 19), S. 141ff., S. 155–161. Auch die Produktion des BBC-Dreiteilers Oscar fiel in eine Zeit, die in Großbritannien von intensiven Debatten um AntiDiskriminierungsmaßnahmen für Homosexuelle gekennzeichnet war (und die letztlich zur Verabschiedung der berüchtigten Section 28 des Local Government Act von 1988 führten); anders als der Film The Trials of Oscar Wilde enthält die Fernsehproduktion aber keine eindeutigen Referenzen hierauf. 31 Siehe einführend zum Heritage-Film Andrew Higson, The Heritage Film and British Cinema, in: Ders. (Hrsg.), Dissolving Views. Key Writings on British Cinema, London 1996, S. 232–248; Claire Monk, The British Heritage-Film Debate Revisited, in: Dies./Amy Sargeant (Hrsg.), British Historical Cinema: The History, Heritage and Costume Film, London/New York 2002, S. 176–198; John Hill, British Cinema in the 1980s. Issues and Themes, Oxford 1999, S. 73–98. 32 Higson, The Heritage Film (wie Anm. 31), S. 236. 33 Vgl. hierzu z.B. Eckart Voigts-Virchow (Hrsg.), Janespotting and Beyond. British Heritage Retrovisions Since the Mid-1990s, Tübingen 2004. 34 Vgl. Pamela Church Gibson, Fewer Weddings and More Funerals: Changes in the Heritage
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unterlaufen immer mehr Filme die Ikonografie der „bourgeois heritage films“, indem sie zum Beispiel die Konflikte innerhalb der britischen Klassengesellschaft unterstreichen und/oder selbstreflexiv mit populären Filmgenres spielen. In Wilde dagegen wurde noch 1997 der glatt wirkende Stil der MerchantIvory-Filme praktiziert, weshalb das Werk viele typische Merkmale klassischer Heritage-Filme aufweist: –– Originalschauplätze wie das Magdalen College in Oxford dienen als quasiauthentisierender visueller Firnis; –– trotz eines primär urbanen Settings frönt der Film einer insbesondere angesichts Wildes Verwurzelung in London seltsam anmutenden, aber für den Heritage-Film typischen Nostalgie für das Landleben; –– der Film setzt durch seinen Stoff auf kulturelles Prestige; –– die malerhafte Bildgestaltung, die niedrige Schnittfrequenz sowie die üppigen Kostüme und relativ aufwendige Ausstattung, die jederzeit vorteilhaft ins Bild gerückt werden, stellen den Film in die Tradition der Ästhetik des Zur-Schau-Stellens, wie sie für den Heritage-Film typisch ist. Insbesondere der letztgenannte Aspekt brachte dem Film den Vorwurf ein, die Oberfläche über inhaltliche Originalität zu stellen. Diese Kritik an der Konzentration auf die Oberfläche stammte interessanterweise allerdings vorwiegend von europäischen Rezensenten. Typisch für die amerikanische Reaktion auf den Film ist dagegen seine Bewertung in Variety als „more than your average Brit costumer“ und „artful pic“.35 Die geschliffene und handwerklich kompetent gestaltete Oberfläche des Films wird hier gerade als die Bestätigung seines künstlerischen Anspruchs positiv gewertet. Die Ästhetik des Films unterstreicht damit, dass die Macher von Wilde ganz bewusst auf den internationalen, und insbesondere den amerikanischen Markt abzielten. Mit internationalem Geld produziert, präsentiert Wilde ein Thema der britischen Kulturgeschichte mittels einer ästhetischen Form und Ikonografie, welche aufgrund der Konventionen des Heritage-Films englisch konnotiert ist. Letztlich entspricht der Film damit aber lediglich einer internationalen Vorstellung von „Englishness“ und bedient Klischees, welche die negativen Aspekte der dargestellten Geschichte hinter deren Schauwert stellen. In diesem Zusammenhang hat Oscar Wilde in dem Film die Funktion eines Emblems einer spezifischen Epoche der britischen Kulturgeschichte. Selbst wenn Wilde nicht wie in anderen Beispielen aus der britischen „Heritage Culture“ auf
Film, in: Robert Murphy (Hrsg.), British Cinema of the 90s, London 2000, S. 115–124. 35 Derek Elley, “Wilde” life makes for artful pic, in: Variety (25. 8. 1997), S. 73.
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seine Bonmots und seine Garderobe reduziert wird,36 liefert Gilberts Film also eine Heritage-Version Wildes, nämlich die von Wilde als unumstrittenem nationalem Kulturgut.
Zusammenfassung Sowohl The Trials of Oscar Wilde als auch Wilde zementieren ihren Protagonisten letztlich in seiner Zeit, und zwar als Opfer einer rückständigen Epoche. Dennoch unterscheiden sich die beiden Filme in ihrem Impetus und dem Eindruck von Dringlichkeit, den sie vermitteln. Beim Erscheinen von The Trials of Oscar Wilde gab es ja noch viel zu tun, um diese Rückständigkeit zu überwinden. Die Subversion, die in Wildes Dandytum zum Ausdruck kam, wird, so scheint der Film zu implizieren, noch dringend gebraucht. Im Fall von Wilde dagegen, ist er zwar ebenfalls Symbolfigur, aber eben eine der Vergangenheit. Im trügerischen, aber wohligen Gefühl, die dargestellten Umstände überwunden zu haben, gibt sich der Film stattdessen den visuellen Exzessen des Heritage-Films hin, in denen Wildes Betonung des Schönen in Kleidung und Ambiente zum üppigen Filmdekor verkommt und selbst die starke Präsenz homosexueller Themen als lediglich typisches Genremerkmal interpretiert werden kann. Wildes Dandytum dient den Filmemachern dabei als Chiffre für Subversion und Unkonventionalität, die in den Filmen immer primär an seiner Sexualität festgemacht sind. Es ist Mittel zum Zweck, indem der Wandel der äußeren Zeichen von Wildes Dandytum symbolisch seinen Sturz unterstreicht – nicht mehr, aber auch nicht weniger.
36 Vgl. Lucia Krämer, Oscar Wilde as an Object of the English Heritage Industry, in: Irish Studies Review 13 (2005), S. 359–367.
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Der „jüdische“ Dandy: Die Selbstinszenierung des Theodor Herzl Wenn wir wissen wollen, was unter einem „Dandy“ zu verstehen ist, dann erfahren wir mehr, wenn wir einen Blick in eines der Konversationslexika oder in die Wikipedia-Enzyklopädie im Internet werfen. Da ist die Rede vom „Modenarren“, von dem „Mann, dessen Status, Arbeit und Existenz im Tragen von Kleidung besteht“ (Thomas Carlyle, 1834),1 oder es findet sich der Hinweis auf den englischen „Gentleman“, jenen Herren also, der es versteht, seine Umwelt durch formvollendetes und kultiviertes Auftreten zu beeindrucken.2 Angeblich leitet sich der Begriff „Dandy“ vom alt-indischen Sanskrit-Wort „danda“ ab. Später wurde so der „Stockträger“ bezeichnet, jener Beamte des Indian Civil Service also, der einen Stock unter dem rechten Oberarm geklemmt, ein Monokel vor dem Auge, durch Kleidung und eine bestimmte exaltierte Lebensform auffiel. Es ist ein Bild, das sich tief in das kollektive Bewusstsein eingeprägt hat und den Typus eines Mannes oder einer Frau beschreibt, der/die unabhängig ist von bürgerlichen Zwängen sich so darstellt, wie er/sie gesehen werden möchte. In der Regel verbindet man mit dem Dandy und dem von diesem verkörperten Dandytum Begriffe wie Extravaganz, Exzentrik und Snobismus. Dem Dandy wird die Neigung zu einem provozierenden Müßiggang nachgesagt. Für den Dandy gibt es je nach Land oder Breitengrad unterschiedliche Bezeichnungen. In südlichen Ländern ist beispielsweise vom „Maccaroni“ die Rede, in unseren Breitengraden spricht man vom „Stutzer“ und in Frankreich und jenseits des Kanals in England haben sich für den Dandy die Worte „Beau“ oder „Snob“ eingebürgert. Alle Bezeichnungen bedeuten mehr oder weniger dasselbe – nämlich eine bestimmte Lebensform und einen bestimmten Lebensstil. Der Dandy, mit dem wir Namen wie George Brummell („Beau Brummell“), Charles Baudelaire, Lord George Byron, Fürst Hermann von Pückler-Muskau, Benjamin Disraeli oder Oscar Wilde verbinden, ist eine Gestalt, die in der Literatur, im Feuilleton und in zahlreichen Boulevardstücken auftaucht. Die Gestalt des Dandy, dessen äußerliche Kennzeichen Ende des 19. Jahrhunderts samtene Kniehosen und Westen sowie niederliegende Hemdkragen waren, spiegelt nicht 1 Thomas Carlyle, Sartor Resartus. The Life and Opinions of Herr Teufelsdröckh, Book III, Chapter X: The Dandiacal Body, New York 1846, S. 214. 2 Vgl. Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1906, S. 476; Wikipedia-Eintrag „Dandy“: http://de.wikipedia.org/wiki/Dandy (4. 4. 2012).
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nur den Zeitgeist des Fin de Siècle wider, sondern sie ist auch der Versuch, oder besser das Programm, den Eskapismus, den Auftritt in der Öffentlichkeit, mit Witz und Bonmot garniert, zur Lebensform zu erklären. So schrieb Charles Baudelaire in seinem Tagebuch: „Der Dandy muss sich bestreben, sublim zu sein ohne Unterbrechung. Er muss leben und schlafen vor einem Spiegel.“3
„Snob“, „Schmock“ oder „jüdischer“ Dandy Auch in der jüdischen Welt gibt es den Typus des Dandy, nur bezeichnet man ihn nicht so, sondern nennt ihn meist „Schmock“, was ironisch-abwertend gemeint ist und soviel bedeutet wie Angeber, Schönling oder Snob. Das Wort, das aus dem Jiddischen stammt, und ursprünglich den Tölpel oder den Idioten meinte, wurde zunehmend benutzt, um einen unangenehmen Menschen entsprechend zu bezeichnen, oder um jemanden spöttisch zu karikieren, der eitel beziehungsweise arrogant ist, sich aber einbildet, intelligent, gutaussehend und geistreich zu sein. Friedrich Torberg hat in seinem Buch Die Tante Jolesch den „Schmock“ als Synonym für den Snob beschrieben und diesem damit ein Denkmal gesetzt.4 Aber nicht nur in der innerjüdischen Binnenperspektive finden sich Darstellungen des „jüdischen“ Dandy, sondern vor allem auch in den antisemitischen Karikaturen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, die den Zweck hatten, den Juden als abschreckendes Gegenbild zum „Normalbürger“ hinzustellen. Beispielhaft ist die Karikatur „Ein jüdischer Elegant“aus dem Jahre 1804, die einen wohlhabenden Gecken zeigt, der sich selbst und seine Ausstaffierung in einem Handspiegel bewundert. Dieses in der Karikatur vermittelte Bild bündelte alle Vorurteile der Zeit.5 Dazu gehörte insbesondere das angeblich physische Anderssein des Juden, das in diesem Fall allerdings nicht, wie sonst durchaus üblich, durch O-Beine und Plattfüße, sondern nur durch eine überproportionierte Nase dargestellt wird.6 3 „Der Dandy muss sein ganzes Streben darauf richten, ohne Unterlass erhaben zu sein. Er muss leben und schlafen vor einem Spiegel.“ Charles Baudelaire, Mein blossgelegtes Herz, in: Kritische und nachgelassene Schriften, hrsg. von Franz Blei, München 1925, S. 344. Originaltext: „Le Dandy doit aspirer à être sublime sans interruption; il doit vivre et dormir devant un miroir.“ Charles Baudelaire, Mon Coeur mis a nu“, in: Œuvres complètes, 2 Bde., hrsg. von Claude Pichois, Paris 1975ff., S. 678. 4 Vgl. Friedrich Torberg, Die Tante Jolesch, München 1977, S. 93f. 5 Vgl. Joachim Schlör, „Der Urbantyp“. Stadtbewohner par excellence, in: Julius H. Schoeps/ Joachim Schlör (Hrsg.), Bilder der Judenfeindschaft. Antisemitismus, Vorurteile und Mythen, München 1999, S. 229–240, hier S. 239. 6 Vgl. Sander L. Gilman, Der jüdische Körper. Gedanken zum physischen Anderssein der Juden, in: Die Macht der Bilder. Antisemitische Vorurteile und Mythen, hrsg. vom Jüdischen Museum
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Abb. 1: Ein jüdischer Elegant (1804). Kupferstich. Unbekannter Künstler.
Antisemiten jeder Couleur haben sich Karikaturen dieser Art immer wieder bedient, wenn es darum ging, den Juden als Juden zu kennzeichnen. Die Bilder, die gezeichnet wurden, tauchten in Variationen immer wieder auf, in den Blättern der Arbeiterbewegung um die Jahrhundertwende, aber beispielsweise auch in den 1930er-Jahren in Julius Streichers NS-Parteiblatt Der Stürmer. In der Aussage der Stadt Wien, Wien 1995, S. 168–179, hier S. 175.
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unterscheiden die Bilder sich kaum voneinander. Sie zeigen die sattsam bekannten antijüdischen Stereotype, die sich tief in die Vorstellungs- und Einbildungswelt der Nichtjuden eingeprägt haben und bei entsprechenden Gelegenheiten abgerufen werden konnten: So findet sich beispielsweise das groteske Zerrbild des Kapitalisten, der geckenhaft gekleidet, voll Protz eine funkelnde Goldkette über dem Bauch trägt und stolz die ihm verliehenen Orden auf seiner Brust zur Schau stellt. Oder das Bild des „jüdischen“ Kavaliers, der ausgestattet mit Stock und Zylinder, in der devoten Körperhaltung eines sich Anbiedernden meist so dargestellt wird, als ob es ihm hauptsächlich darauf ankäme, bei den Nichtjuden Eindruck zu schinden. Die Karikaturen machen deutlich, dass die Umwelt wenig mit den Juden zu tun haben wollte. Sie zeigen, dass man in ihnen den sich anbiedernden Parvenü sah, den Emporkömmling, der sich etwas anmaßte, was ihm nicht zustand. Es war eine zugewiesene Rolle, die man als Jude gern abgestreift hätte, aber so angepasst man sich auch gab, man blieb der Außenstehende, derjenige, der nicht zum Inner Circle gehörte, von dem man sich abgrenzte, mit dem man nichts zu tun haben wollte. Eine der bekanntesten Karikaturen ist „Schmulchen Schievelbeiner“ von Wilhelm Busch, die das Judenbild um die Jahrhundertwende nachhaltig geprägt hat. Der Steckbrief, den Busch zur Zeichnung anfertigte, lautet wie folgt: Kurz die Hose, lang der Rock, Krumm die Nase und der Stock, Augen schwarz und Seele grau, Hut nach hinten, Miene schlau – So ist Schmulchen Schievelbeiner. (Schöner ist doch unsereiner!)7
Im Folgenden soll nun aber das Selbstbild der Juden näher betrachtet werden, das natürlich stark von der Wahrnehmung der Mehrheitsgesellschaft geprägt war. Häufig kann es als eine Art Selbststilisierung bezeichnet werden, wie der Fall des Journalisten und Bühnenschriftstellers Theodor Herzl (1860–1904) zeigt, dessen Leben teilweise repräsentativ ist für den Wunsch vieler Juden nach Toleranz und Akzeptanz. Wer als Jude in dieser Zeit beachtet und angenommen werden wollte, der musste sich durch besondere Leistungen auszeichnen, sei es als Kaufmann, sei es als Wissenschaftler oder Kulturschaffender. Wenn dem nicht so war, musste er nach anderen Wegen suchen, sich Gehör zu verschaffen.
7 Wilhelm Busch, Plisch und Plum, in: Ders., Werke. Historisch-kritische Gesamtausgabe, Bd. II, Hamburg 1959, S. 479.
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Abb. 2: Schmulchen Schiefelbeiner. Wilhelm Busch, Plisch und Plum, Kap. 5. Zeichnung.
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Theodor Herzl: Visionär und Prototyp eines Dandys Einer derjenigen, der es perfekt verstand, die Aufmerksamkeit seiner Umgebung auf sich zu ziehen, war Theodor Herzl, der Begründer des politischen Zionismus.8 Herzl war, wie die zahlreichen überlieferten Porträtzeichnungen und Fotografien zeigen, eine beeindruckende Gestalt.
Abb. 3: Theodor Herzl als Pariser Korrespondent der „Neuen Freien Presse“. Fotografie. Um 1892.
Gutaussehend, mit ausdrucksvollen braunen Augen, meist sorgfältig gekleidet, zog er die bewundernden Blicke seiner Zeitgenossen auf sich. Das war für ihn kein Problem, sondern durchaus gewollt. Als Journalist und Bühnenschriftsteller
8 Vgl. dazu Julius H. Schoeps, Theodor Herzl 1860–1904. Wenn Ihr wollt ist es kein Märchen. Eine Text-Bild-Monographie, Wien 1995.
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wusste er, wie man sich in Szene setzt, um einen entsprechenden Eindruck in der Öffentlichkeit zu erwecken. Schon früh hatte Herzl sich einen Vollbart stehen lassen, um älter zu wirken. Frauen, so wird erzählt, hätten sich von ihm geradezu magisch angezogen gefühlt. Von ihm, so wird auch berichtet, sei aber auch eine Aura der Einsamkeit aus gegangen. Viele hielten ihn für hochnäsig und, so heißt es, er hätte nur wenige Freunde gehabt.9 Während seines Jurastudiums trat Herzl einer deutsch-nationalen Burschenschaft bei, nahm Fechtunterricht und schlug sich auch einmal. 1889 heiratete er schließlich Julie Naschauer, die Tochter eines reichen Geschäftsmannes, und hätte sein Leben als mittelmäßiger Autor beendet, wenn er nicht mit dem Antisemitismus in Wien und Paris hautnah in Berührung gekommen wäre, der bei ihm ein radikales Umdenken zu Folge hatte. Als Herzl sich daran machte, in rasender Hast seine Broschüre Der Judenstaat. Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage (1896) niederzuschreiben, waren für ihn die Würfel gefallen. Er, der bis dahin das beschauliche Leben eines Wiener Journalisten und Kaffeehausliteraten geführt und sich darauf beschränkt hatte, als Verfasser von Bühnenstücken und Feuilletons über Wien, London und Paris hervorzutreten, vollzog eine radikale Kehrtwende in seinem Leben und verschrieb sich der Idee eines zu gründenden Judenstaates.
Abb. 4: Visitenkarte Theodor Herzls mit handschriftlicher Anmerkung auf der Rückseite.
Auf diesen Gedanken waren zwar vor ihm schon andere gekommen, aber Herzl, ein ausgesprochener Charismatiker, hatte die Idee zur richtigen Zeit und am richtigen Ort. Der von ihm propagierte Gedanke, die Lösung des so genannten Judenproblems nicht in der Anpassung und Assimilation an die Umgebungsge9 Vgl. dazu u. a. die Erinnerungen von Adolf Friedemann (S. 69–75), Marie E. Delle Grazie (S. 84f.), Ella Naschauer (S. 142f.), Erwin Rosenberger (S. 165–167) und Maria Stona (S. 220f.) an Theodor Herzl, in: Dr. T. Nussenblatt (Hrsg.), Zeitgenossen über Herzl, Brünn 1929.
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sellschaft, sondern in der Wiedergewinnung der inneren und äußeren Freiheit für die Juden zu suchen, wurde als anregend empfunden. Nicht nur in seiner Heimatstadt Wien, sondern auch in vielen anderen Ländern Europas, in denen Juden lebten und Probleme mit der Akzeptanz hatten, stieß seine Publikation auf großes Interesse. Zur Kehrtwende hatte nicht nur der in der Wiener Gesellschaft grassierende Antisemitismus eines Karl Lueger und Georg Ritter von Schönerer beigetragen, sondern insbesondere auch die Erfahrungen der Dreyfus-Affäre, die Herzl als Korrespondent der Neuen Freien Presse in Paris hautnah miterlebt und kommentiert hatte.
Abb. 5: Hauptmann Dreyfus wird nach dem Schuldspruch öffentlich degradiert. Zeitgenössische Zeitungsillustration. 1894.
Einige Indizien sprechen dafür, dass der eigentliche Anstoß, der zum Wandel von Herzls Ansichten führte, die entwürdigende Zeremonie der Degradierung von
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Alfred Dreyfus war, die am 5. Juni 1895 auf dem Hof der École Militaire in Paris stattfand und die er als Augenzeuge verfolgt hatte.10 Aber zurück zu der Broschüre Der Judenstaat, die bei ihrem Erscheinen auf ein geteiltes Echo stieß. Stefan Zweig beispielsweise erinnert sich „der allgemeinen Verblüffung und Verärgerung der Wiener bürgerlich-jüdischen Kreise“ 11, die das Traktat auslöste. Julius von Ludassy wiederum, ein Jugendfreund Herzls, nannte den Judenstaatsplan in der Wiener Allgemeinen Zeitung einen „verzweiflungsvollen Wahnsinn“12. Arthur Schnitzler schließlich spottete: „Seit T[heodor] H[erzl] den ‚Judenstaat‘ geschrieben, geht er mit einem gewissen Gefühl der Verpflichtung officiell sowohl zu den Makkabäern in die Burg als in jüdische Restaurants.“ (Tagebuch, 19. April 1896)13 Von denen, die sich zustimmend äußerten, seien in erster Linie der Wiener Rabbiner Moritz Güdemann und der Schriftsteller Richard Beer-Hofmann genannt. Güdemann, der anfänglich Herzl begeistert unterstützt hatte, dann aber zu diesem auf Distanz ging, bemerkte: „[…] wie eine Bombe einschlagen, werde Wunder wirken“14. Und Beer-Hofmann, dem Herzl ein Widmungsexemplar hatte zukommen lassen, war von Herzls Ausführungen so angetan, dass er sich zu der Bemerkung hinreißen ließ: „Endlich wieder ein Mensch, der sein Judentum nicht wie eine Last oder ein Unglück resigniert trägt, sondern stolz ist, der legitime Erbe einer uralten Kultur zu sein.“15 Die Aufregungen, die um seinen „Judenstaatsplan“ einsetzte, haben Theodor Herzl sehr zugesetzt. An David Wolffsohn schrieb er am 1. August 1896: „Sollte es aber dazu kommen, dass Zionisten mich bekämpfen, dann werfe ich die ganze Sache weg. Dann sind die Juden nicht werth, dass ich mich für sie abrackere.“16 Am 13. Oktober 1896 notierte er in sein Tagebuch: „Ich muss es mir offen gestehen: ich bin demoralisiert. Von keiner Seite Hilfe, von allen Seiten Angriffe.“17 10 Vgl. Julius H. Schoeps, Theodor Herzl und die Dreyfus-Affäre, Wien 1995, S. 9ff. und 43ff. 11 Stefan Zweig, Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers, Frankfurt a. M. 1992, S. 129. 12 Zitiert nach: Alex Bein [u. a.] (Hrsg.), Theodor Herzl, Briefe und Tagebücher, Berlin [u. a.] 1983ff., Bd. 2: Zionistisches Tagebuch 1895–1899, S. 207. 13 Arthur Schnitzler, Tagebuch 1893–1902, Wien 1989, S. 185. 14 Theodor Herzl, Briefe und Tagebücher (wie Anm. 12), Tagebucheintrag vom 27. Jänner 1896, S. 290. 15 Zitiert nach: Jeffrey B. Berlin, The Unpublished Letters of Richard Beer-Hofmann to Hermann Bahr (with the unpublished letters between Beer-Hofmann and Theodor Herzl), in: Mark H. Gelber (Hrsg.), Identity and Ethos: A Festschrift for Sol Liptzin on the Occasion of his 85th Birthday, New York [u. a.] 1986, S. 121–144, hier S. 135. 16 Theodor Herzl, Briefe und Tagebücher (wie Anm. 12), Bd. 4: Briefe Anfang Mai 1895–Anfang Dezember 1898, S. 129. 17 Ebd., Bd. 2: Zionistisches Tagebuch 1895–1899, S. 456.
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Die niedergeschlagene Stimmung wurde noch durch eine ärztliche Untersuchung verstärkt, bei der man bei ihm einen Herzfehler diagnostizierte. Seine Depressionen verdichteten sich zu Todesahnungen.
Abb. 6: Theodor Herzl. Fotografie. 1896.
Im Februar 1897 verfasste Herzl ein „literarisches Testament“. Zu diesem Zeitpunkt war er gerade einmal 37 Jahre alt. Der Text dieser letztwilligen Verfügung zeigt einen Mann, der nicht nur von sich, sondern auch von seiner Mission zutiefst überzeugt war: Es gebührt sich, auf den Tod vorbereitet zu sein. Ich will keine Redensarten machen. Was ich den Juden war, wird eine kommende Zeit besser beurteilen, als die große Menge der Gegenwart. […] Mein Namen wird nach meinem Tode wachsen. […] Ich habe heute, wie in jedem Augenblick, seit ich schreibe, das Bewußtsein, die Feder stets als ein Ehrenmann geführt zu haben. Ich habe meine Feder nie verkauft, nie Gemeinheit, nicht einmal Kameradschaft durch sie getrieben. Dieser letzte Wille kann publiziert werden. Es wird sich selbst nach meinem Tode niemand finden, der mich Lügen strafen kann.18
18 Nussenblatt, Zeitgenossen über Herzl (wie Anm. 9), S. 9f.
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Auftritt auf öffentlicher Bühne Der Kongress in Basel im August 1897, auf dem das Zionistische Grundsatzprogramm verabschiedet wurde, war von Herzl bis in die Einzelheiten höchstpersönlich geplant und organisiert worden. Nichts war dabei dem Zufall überlassen worden. Alles Wesentliche über die Tagesordnung und den künftigen Gang der Verhandlungen hatte Herzl im Vorfeld mit seinen engsten Mitarbeitern abgestimmt. Um die Feierlichkeit des Augenblicks zu unterstreichen, hatte Herzl mittels der Einladungskarten verfügt, die rund 200 Delegierten, die aus der ganzen Welt angereist waren, mögen zur Eröffnung festlich gekleidet erscheinen. „Die Leute“, so bemerkte er gegenüber seinem Mitstreiter Max Nordau, „sollen sich daran gewöhnen, in diesem Congress das Höchste und Feierlichste zu sehen.“19 Manche der bei der Eröffnung des Kongresses zu beobachtenden Äußerlichkeiten reizten zu Spott. Der Eindruck einer gewissen Theatralik ließ sich nicht verbergen. Herzl, der von Anfang an im Mittelpunkt stand, genoss die Umstände der Eröffnungsablaufs. Er inszenierte und ließ spielen, wie er es als Bühnenautor kannte. Das Bild, das er den Delegierten von sich selbst vermittelte, war das Bild des Erlösers, des Befreiers, des Retters der Juden. Als Herzl zum Rednerpult schritt, waren alle Augen auf ihn gerichtet. Minutenlang bebte alles vor begeisterten Zurufen. Es wurde getrampelt, es wurde in die Hände geklatscht und es wurden Tücher geschwenkt. Der Ruf ertönte: „Jechi Hamelech! Lang lebe der König!“. Manche der Augenzeugenberichte lassen die Erregung des Augenblicks spüren: „Es ist nicht mehr der elegante Dr. Herzl aus Wien“, äußerte sich zum Beispiel der Schriftsteller Mordechai Ben Ami (1854– 1932), „es ist ein aus dem Grabe erstandener königlicher Nachkomme Davids, der uns erscheint, in der Größe und Schönheit, mit der Phantasie und Legende ihn umwoben haben.“20 Ein anderer Teilnehmer, Mayer Ebner (1872–1955), Journalist und Schriftsteller aus Czernowitz in der Bukowina, war so überwältigt vom Auftritt Herzls, dass er davon überzeugt war, den Messias in persona vor sich zu haben: „Als ich ihn in seiner vollkommenen Schönheit sah, als ich in seine Augen blickte, die mir ein mystisches Geheimnis zu verbergen schienen, da jauchzte es in meiner Seele auf: Das ist Er, er der Ersehnte, der Heißgeliebte, der Gesalbte des Herrn, der Messias.“21 19 Theodor Herzl, Briefe und Tagebücher (wie Anm. 12), Tagebucheintrag vom 3. September 1897, S. 539. 20 Zitiert nach Alex Bein, Theodor Herzl. Biographie, Wien 1934, S. 341. 21 Warum gingen wir zum Zionistenkongreß? Hrsg. vom Berliner Büro der Zionistischen
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In Basel sprach Theodor Herzl zum ersten Mal vor einer größeren Öffentlichkeit. In beherrschten und gesammelten Worten skizzierte er seine Vorstellungen, sprach von der Lage der Juden und appellierte an das jüdische Zusammengehörigkeitsgefühl. Der Zionismus, erklärte er den gebannt zuhörenden Delegierten, wird das Instrument sein, die „Judenfrage“ zu lösen. In diesem Zusammenhang fiel auch jener später so oft zitierte Satz, den Herzl mit erhobener Stimme den Delegierten zurief: „Der Zionismus ist die Heimkehr zum Judenthum noch vor der Rückkehr in’s Judenland.“22 Herzl selbst, zufrieden über das auf dem Kongress Erreichte, war trotz mancher Selbstzweifel davon überzeugt, der Erfolg sei nicht den Umständen, sondern einzig ihm allein und seinem Einsatz in der Sache zu verdanken. In sein Tagebuch notierte er: Fasse ich den Baseler Kongress in ein Wort zusammen – das ich mich hüten werde öffentlich auszusprechen – so ist es dieses: in Basel habe ich den Judenstaat gegründet. Wenn ich das heute laut sagte, würde mir ein universelles Gelächter antworten. Vielleicht in fünf Jahren, jedenfalls in fünfzig wird es Jeder einsehen.23
Briefe, Tagebücher, Fotografien und Karikaturen War Theodor Herzl nun ein „jüdischer“ Dandy, jemand, der besonderen Wert auf seine Kleidung und auf sein Auftreten legte? War er gar der Typus des eitlen Stutzers, der die Wiener Kaffeehäuser um 1900 bevölkerte? Ja und Nein. Herzl gab sich so, wie er sich vermutlich selbst sah. Der Wirkung, die von ihm und seiner Person ausging, war er sich sicherlich bewusst. Diese Wirkung versuchte Herzl möglichst überall dort vorteilhaft zur Geltung zu bringen, wo er der Ansicht war, die Stilisierung bestimmter Persönlichkeitsmerkmale (die Betonung der Körperhaltung und bestimmter Gesten sowie eine gewählte Art des Sprechens) könnten ihm bei der Realisierung seiner Pläne helfen. Dafür bediente er sich der verschiedensten Mittel sowohl bei öffentlichen Auftritten als auch bei seinen Veröffentlichungen. So legte Herzl, beispielsweise wenn er Texte für das Feuilleton der Neuen Freie Presse verfasste oder vor größeren Menschenansammlungen sprach, Wert auf eine gewählte Sprache. Viele der von ihm bei diesen Gelegenheiten benutzten Organisation, Berlin 1922, S. 32. 22 Rede von Dr. Theodor Herzl, in: Die Welt 1 (1897) vom 3. September 1897, S. 3–5, hier S. 3. 23 Theodor Herzl, Briefe und Tagebücher (wie Anm. 12), Tagebucheintrag vom 3. September 1897, S. 538f.
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Redewendungen waren ganz offensichtlich darauf angelegt, bei seinen Lesern beziehungsweise Zuhörern Eindruck zu schinden. Darüber verlor er allerdings nie die „eingeborene Noblesse“ (Stefan Zweig)24 aus dem Blick. Er konnte jemanden in der Sache heftig angehen, war aber diesem gegenüber nie beleidigend, nie ausfallend, sondern stets bemüht, „gentlemanlike“ den Ton zu wahren. Die Briefe, die Herzl im Verlauf seines Lebens schrieb, zeichnen sich nicht nur durch eine ausgesucht schöne und prägnante Handschrift, sondern auch durch geschliffene Formulierungen aus. Manche dieser Briefe sind ganz offensichtlich nicht nur an den Adressaten gerichtet, sondern scheinen im Hinblick auf eine spätere Veröffentlichung geschrieben worden zu sein. Einblicke in Theodor Herzls Gedanken und Gefühle gewähren seine Tagebücher; diese literarisch anspruchsvollen Aufzeichnungen, die Herzl von Pfingsten 1895 an und bis zu seinem frühen Tode im Jahre 1904 führte, liefern uns einen unverschleierten Einblick in seine Reflexionen. Persönliches zu Frau und Kindern sind in den Einträgen zwar kaum zu finden, dafür aber politische Betrachtungen aller Art und damit Bemerkungen, die Rückschlüsse über Herzls Befindlichkeiten und Stimmungen zulassen. Die starke Ich-Bezogenheit ist unverkennbar, Bereits die ersten Sätze des Tagebuches, Pfingsten 1895 niedergeschriebenen, zeigen, dass er sich berufen fühlte, einen ausgearbeiteten Plan zur Lösung der so genannten Judenfrage der Öffentlichkeit zu unterbreiten: Ich arbeite seit einiger Zeit an einem Werk, das von unendlicher Grösse ist. Ich weiss heute nicht, ob ich es ausführen werde. Es sieht aus wie ein mächtiger Traum. Aber seit Tagen und Wochen füllt es mich aus bis in die Bewusstlosigkeit hinein, begleitet mich überall hin, schwebt über meinen gewöhnlichen Gesprächen, blickt mir über die Schulter in die komisch kleine Journalistenarbeit, stört mich und berauscht mich. 25
Die Fotografien und Zeichnungen, die von Herzl überliefert sind, zeigen ihn als einen Mann, der nicht nur Wert auf sein Äußeres legte, sondern darüber hinaus auch den Eindruck zu erwecken suchte, zu Größerem berufen zu sein. Er ist geradezu um ein staatsmännisches Auftreten bemüht und blickt den Betrachter ernst an. Auf keiner der Fotografien sieht man ihn jemals lachend oder nur im Ansatz lächelnd. Stets ist er mit ernster Miene zu sehen, den Blick starr nach vorn gerichtet, die Haltung aufrecht. Der Bart ist sorgfältig gestutzt, die Hände und Fingernägel manikürt, die Schuhe auf Hochglanz poliert. Der Eindruck drängt sich auf, dass Herzl sich als Retter gesehen hat, als jemand also, der glaubte, ihm sei von der Geschichte eine Mission übertragen worden, der er zu erfüllen habe. 24 Zweig, Die Welt von gestern (wie Anm. 11), S. 127. 25 Theodor Herzl, Briefe und Tagebücher (wie Anm. 12), Bd. 1: Briefe und autobiographische Notizen 1866–1895, S. 43.
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Abb. 7: „Der größte Jude der Gegenwart …“. Theodor Herzl. Zeitgenössische Karikatur aus dem Schlemiel.
Eine Karikatur, die im Schlemiel abgedruckt wurde, amüsiert sich über Herzls Selbstdarstellungsbemühungen. Gezeigt wird er in dieser Karikatur im Frack – und mit überlangen Hosenbeinen. Versehen ist die Zeichnung mit der kommentierenden Überschrift „Der grösste Jude der Gegenwart …“. Ironie und Spott, und, wenn man so will, tiefere Bedeutung gehen bei dieser Überschrift ineinander über.26 Eine andere Karikatur zeigt Herzl, den Kopf nachdenklich in die Hand gestützt, auf den Trümmern des Tempels in Jerusalem sitzend. In dem darunter abgedruckten Gedicht macht sich ein Autor über Herzl lustig: Von Sudermann hat er den Bart, Die Ironie von Heine, Doch sein Talent von starker Art Gehört ihm ganz alleine. Er sieht ein Ziel, ein Ziel so weit Im Träumen, wie im Wachen: Er denkt daran, In dieser Zeit Mit Juden Staat zu machen!27 26 Vgl. Schoeps, Theodor Herzl (wie Anm. 8), S. 95. 27 Ebd., S. 94.
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Abb. 8: Herzl auf den Trümmern des Tempels in Jerusalem. Zeichnung von Theo Zasche, Gedicht von Julius Bauer.
Dass Herzl mitunter Einfluss darauf nahm, was auf den Fotografien abgebildet war, ist unverkennbar. Als er beispielsweise den deutschen Kaiser Wilhelm II. 1898 in Palästina traf, um diesen für seinen visionären Plan eines Judenstaates zu gewinnen, machte David Wolffsohn, Herzls Stellvertreter, von der Begegnung eine Aufnahme. Auf dem Foto ist indes nur der Monarch, auf einem Pferd sitzend,
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zu sehen, nicht jedoch Herzl, der vor ihm steht. Von ihm sieht man nur den Fuß und den Tropenhelm in seiner Hand. Das misslungene Bild, das obendrein noch unterbelichtet war, machte es nötig, Herzl noch einmal in geeigneter Positur zu fotografieren und später eine Montage aus den beiden Fotografien anfertigen zu lassen. Nach unserem heutigen Verständnis handelt es sich um eine Fälschung, die allerdings so falsch nicht war, als sie eine tatsächlich stattgefundene Begegnung dokumentierte. Ob die Anweisung, ein neues Bild anzufertigen, das Herzl und den Kaiser zeigt, auf Herzl selbst zurückgegangen ist, wissen wir nicht. Einiges könnte jedenfalls dafür sprechen.
Abb. 9: Kaiser Wilhelm II. und Theodor Herzl in Mikwe Israel. Fotomontage.
Theodor Herzls Selbstdarstellung im historischen Rückblick Herzl war sicher beides: eitel und von einer Idee besessen. Ein Dandy im engeren Sinne war er hingegen nicht, auch wenn er bestimmte Eigenschaften an den Tag legte, die einen solchen Schluss zulassen. Die häufig geäußerte Vorstellung, Herzl sei ein Staatsmann gewesen, ignoriert den Sachverhalt, dass er für etwas stand,
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was es zu seiner Zeit nicht gab – nämlich einen real existierenden „jüdischen“ Staat. Er vertrat die Idee eines Staates. Wo dieser liegen sollte, war ihm zunächst gleichgültig. Bevor er Palästina in Betracht zog, träumte er davon, diesen in Ostafrika oder in Argentinien zu gründen. Das Fiktive, das diesem Vorschlag anhaftete, überspielte er dadurch, dass er, wenn er die Gelegenheit erhielt, vor irgendeinem Gremium sein Projekt vorzustellen, meist so tat, als ob dieser Staat nicht eine Vision, sondern bereits Realität sei. Auf seine Gesprächspartner machte das großen Eindruck. Sprach Herzl von seinem zu gründenden Judenstaat, dann beschrieb er nicht nur die Umstände, wie er sich die Umsetzung seines Planes vorstellte, sondern war, was Gestus und Sprache betraf, auch um ein staatsmännisches Auftreten bemüht. Den einen oder anderen Zeitgenossen bestimmte das, ihm ein dandyhaftes Auftreten nachzusagen. Das heißt aber nicht, dass Herzl ein Luftikus oder Fantast gewesen ist. Wenn er Dritten gegenüber seine Vision vortrug, dann verhielt er sich so seriös wie nur möglich. Dazu gehörte auch, dass Herzl bei seiner 1896 veröffentlichten JudenstaatBroschüre auf dem Titelblatt nicht nur namentlich als Verfasser genannt wird, sondern unter seinem Namen auch „Doktor der Rechte“ hinzufügen ließ. Herzl wollte dem Leser damit deutlich machen, dass sein Plan nicht irgendeine utopische Träumerei sei, derer es um die Jahrhundertwende viele gab, vielmehr sollte so die Seriosität des Projekts unterstrichen werden. Herzl ist ein typisch „wienerischer Stil“ nachgesagt worden, womit eine gewisse spielerische Leichtigkeit verbunden war. Schon seinen frühen Biografen fiel auf, wie sehr er zum Wiener Milieu des Fin de Siècle gehörte. Diese Welt hat ihn unverwechselbar geprägt. Zeitlebens orientierte er sich am Stil und Gehabe der tonangebenden Schichten Wiens. Dazu gehörte nicht nur die schon angesprochene gewählte Art des Sprechens, das theatralische In-SzeneSetzen, sondern auch die mit dem Auftritt verbundenen großen Gesten. In diesem Zusammenhang muss wohl auch seine Bewunderung für die aristokratische Lebensform gesehen werden. Sie war ihm, was er an verschiedenen Stellen seiner Briefe und Tagebücher zu erkennen gibt, nicht nur Vorbild, sondern faszinierte ihn derart, dass er sogar von einer „jüdischen Aristokratie“ in seinem zu errichtenden Judenstaat träumte. Im Judenstaat und in seinem 1902 erschienen Roman Altneuland finden sich zahlreiche Belege dafür. Es ist deutlich geworden, dass eine Lebensbeschreibung Herzls den Biografen vor zwei nicht ganz leicht zu lösende Aufgaben stellt: Einerseits muss er den Wiener Hintergrund des Fin de Siècle berücksichtigen, der Herzls Persönlichkeit erst seine unverwechselbaren Konturen gab; andererseits ist er gezwungen, die heutige Existenz des Staates Israel in die Darstellung mit einzubeziehen. Würde er eines von beidem unterlassen, wäre das Bild Herzls nicht nur blass und kon-
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turlos, sondern auch unvollständig. Seine Bedeutung ist nur unter Einbeziehung des historischen und des gegenwärtigen Kontextes zu ermessen.28
Abb. 10: Theodor Herzl. Fotografie. Um 1901.
Der zweite Aspekt verdient aber auch noch aus einem ganz anderen Grund Beachtung. So ist es auffallend, wie sehr Herzls politische und soziale Ideen den Aufbau des Staates Israel bestimmt haben. Das erschließt sich besonders, wenn man Israel heute auf den Spuren Herzls durchstreift. Das Ergebnis einer solchen Erkundung ist verblüffend, denn Herzl hat manches visionär vorweggenommen, was heute wie selbstverständlich wirkt und von den Israelis gar nicht mehr mit Herzl in Verbindung gebracht wird. Aber das ist schon wieder ein anderes Thema, das hier nicht behandelt werden kann. Im Vordergrund steht vielmehr die Frage, inwieweit Herzls Dandytum, wenn man es als ein solches überhaupt bezeichnen kann, sein Leben und seine visionären Überzeugungen bestimmt hat. Auffallend ist jedenfalls, dass 28 Vgl. Schoeps, Theodor Herzl (wie Anm. 8), S. 10.
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Herzl in den letzten Jahren seines Lebens in Bezug auf seinen Judenstaatsplan sehr egozentrisch wurde. Geradezu besessen von der Vorstellung, dass es ohne ihn nicht ginge, bestand er immer wieder darauf, die Grundlagen für den jüdischen Staat noch zu seinen Lebezeiten zu legen. Inwieweit Herzls hier zur Selbstüberschätzung neigte, mag dahingestellt bleiben. Fest steht jedenfalls, dass er trotz des schlechten Gesundheitszustandes in seinen letzten Lebensjahren und trotz des Widerstandes, den seine Aktivitäten auslösten, bemüht war, den Judenstaatsplan weiter voranzutreiben. In diesem Zusammenhang verdient einer seiner letzten Briefe besondere Beachtung. Der Brief, auf dem Krankenbett an seinen Stellvertreter, David Wolffsohn, den „lieben Daade“, geschrieben, enthält die merkwürdige, bis heute vielfach als rätselhaft empfundene Präsens-Formulierung: „Machet keine Dummheiten, während ich todt bin.“ (6. Mai 1904)29 Dass Herzl diese Formulierung „während ich tot bin“ nicht unabsichtlich gewählt hatte, kann als sicher angenommen werden. Schmock, Snob, Dandy, ein „königlicher Nachkomme Davids“ oder gar der erschienene Messias? In diesem eigenartig anmutenden Satz spiegelt sich wahrscheinlich von allem etwas.
29 Theodor Herzl, Briefe und Tagebücher (wie Anm. 12), Bd. 7: Briefe 1903–Juli 1904, S. 578.
Ute Oelmann
Stefan George: Vom Dandy zum Meister „Ich nehme an, Du säßest mir gegenüber, auf Deiner Bude, den Kragen Deines braunen Rockes heraufgeschlagen, die linke Hand spielte mit dem Zwicker auf dem Tisch, die Füße übereinander geschlagen […].“1 Étienne George: Ein knapp 20-Jähriger, Schüler noch, Verfasser von Satiren, Übersetzer von Ibsen, häufiger Theatergänger, Zirkel- und Zeitschriftengründer sitzt hier vor uns, der nie wieder Satiren schreiben und vor allem keinen Zwicker, keine Brille tragen wird, es sei denn im Verborgenen. Am Darmstädter GeorgLudwigs-Gymnasium und im dortigen Hoftheater umwehte den Kleinstädter aus Rheinhessen seit seinem 14. Lebensjahr zum ersten Mal ein Hauch von Kunst und großer Welt, hier begann sowohl die Stilisierung zum Einzelgänger und Außenseiter als auch die Gemeinschaftsbildung mit Erwählten, einer kleinen Gruppe von vermeintlich Gleichgesinnten. Dandy und „Meister“ sind in diesem 20-Jährigen angelegt, erstaunlicherweise von vornherein eng miteinander verbunden und, dies meine These, sie bleiben es mit wechselnder Gewichtung. Auch der George der 1920er-Jahre weist noch dandyeske Züge auf: Die Jacke des alten Mannes ist handgestrickt aus feinster Wolle und Seide, sie hat nichts Bäuerliches an sich. Allein, George kam aus einem Milieu „zwischen ländlicher und kleinstädtischer Lebenswelt angesiedelt“; weiterhin mit Carola Groppe formuliert, „wuchs George in vorwiegend bäuerlich-handwerklichen Familienstrukturen auf, umgeben von den Sozialstrukturen und Kontrollmechanismen einer Kleinstadt“2 mit ihrem „ausschließlich katholischen Sozialmilieu“3. Georges Elternhaus stand wortwörtlich im Schatten der hoch aufragenden Stadtkirche Bingens. Eine enge Bindung der väterlichen Familie an Frankreich – die Vorfahren waren im 19. Jahrhundert aus dem französischsprachigen Lothringen eingewandert und in der Familie wurde noch immer Französisch gesprochen –, mäßiger Wohlstand und damit verbundene Honoratiorenämter der Männer waren von Kindheit an geeignet, den Étienne genannten Jungen von dem Durchschnitt seiner Altersgenossen abzuheben. Anekdoten aus früher Schulzeit bestätigen, dass der Knabe – anders als seine beiden Geschwister – wohl aus Veranlagung diese soziale Distinktion 1 Serienbrief von Arthur Stahl an Stefan George, Mai–Juli 1888, Stefan George Archiv Stuttgart (StGA). 2 Carola Groppe, Die Macht der Bildung. Das deutsche Bürgertum und der George-Kreis 1890– 1933, Köln 1997, S. 119 und S. 120. 3 Ebd., S. 124.
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pflegte und verstärkte. Dementsprechend fällt die Schilderung des 16-jährigen Gymnasiasten durch einen früheren Mitschüler aus; sie wurde allerdings Jahrzehnte später verfasst und zwar von einem recht unzuverlässigen „Litteraten“: Georg Fuchs. Er gibt den Eindruck von damals wieder: Der Neue in der Klasse müsse ein Ausländer sein […] weil er so garnicht [sic!] aussehe wie die anderen. Sein scharf profiliertes, knochiges, fahles, verschlossenes, den späteren „Dante-Typ“ schon ahnen lassendes Gesicht unter dem dunkel struppigen Schopfe machte einen kränklichen Eindruck. Die dürren langen Finger der fleischlosen Hände ineinanderverkrampft, die grauen, undefinierbaren Augen, niemand eines Blickes würdigend, zum Fenster hinaus gerichtet – so lehnte er uns alle restlos ab.4
Auch ist im Weiteren von einem „scharfen, hochmütigen Zug um den schmalen herben Mund“ die Rede, an anderer Stelle von Georges „äginetischem Lächeln“5. Das sind gute Voraussetzungen für eine weitere Ausprägung des Typus „Dandy“ in den kommenden Jahren: Absonderung, zur Schau getragene Selbstsicherheit, Distinktion in Kleidung und Haarschnitt, in Haltung und Gestik, kurzum Distinktion im Habitus und Distanz durch Ironie. Letzteres mag den George-Leser und den mit seiner bislang öffentlich gewordenen Biografie Vertrauten erstaunen, doch war der Eleve der Darmstädter Bildungsinstitution für seine „Satiren“ berühmt-berüchtigt, für die „Schärfe seiner Stimme“, mit der er sie vortrug.6 Denn auch dies zeichnete den Schüler George aus: Er schrieb, er dichtete und übersetzte. Mit 16 Jahren verfasste er eine indische Romanze in Heinrich Heines Ton und Versen – Prinz Indra7 –, in welcher sich schon seine späteren Lebensthemen versammelt finden: Vorzug durch Geburt und Erwähltheit, Gefährdung durch Weiblichkeit und Sexualität, Rettung durch Männerfreundschaft und Dichtung , dadurch schließlich Befähigung zur Herrschaft. Der Erwählte braucht auch hier ein Volk, der Herrscher Gefolgschaft. Pointiert formuliert sind in den Versen des 16-Jährigen auch schon die Themen von „Herrschaft und Dienst“, von „Gefolgschaft und Jüngertum“ zu finden, soziale Konstellationen, die erst 1909/10 von Friedrich Wolters und Friedrich Gundolf definiert wurden.8 Ist der junge Dichter-Sänger in der Romanze Freund und Retter des „Erwählten“, so auch zugleich Gefolgsmann des Prinzen: 4 Georg Fuchs, Sturm und Drang in München um die Jahrhundertwende, München 1936, S. 124ff. 5 Thomas Karlauf, Stefan George. Die Entdeckung des Charisma, München 2007, S. 53. 6 Serienbrief (wie Anm. 1). 7 Robert Boehringer nahm das Jugendgedicht in den „Schlussband“ der Gesamtausgabe auf, der 1934 erschien. Vgl. Stefan George, Gesamtausgabe der Werke. Endgültige Fassung, Bd. XVIII, Schlussband, Berlin 1934, S. 83–107. 8 Friedrich Wolters, Herrschaft und Dienst, Berlin 1909; Friedrich Gundolf, Gefolgschaft und Jüngertum, in: Blätter für die Kunst, 8. Folge (1908/09), S. 106–112.
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[…] ganz bestürzt Sank er zu des prinzen füssen Um ihn ehrfurchtsvoll zu grüssen.9
Sicher scheint mir allerdings, dass der junge Dichter Étienne beide Knabenfiguren als Spiegelung eigener Möglichkeit entwarf: Erwählter, Herrscher, Dichter, Freundesfreund; er würde sie in den Jahren seiner Wanderschaft zwischen 1888 und 1900 in seine „Gestalt“ integrieren. Die Stationen dieser Wanderschaft durch Europa sind bekannt. Sie führten George von London, Montreux und Mailand nach Paris, durch Belgien und die Niederlande und wiederholt zurück nach Paris. Wichtig wurde nun die Erfahrung der Großstadt, von Architektur und Kunst, von Salons, fremden Nationalitäten und anderen Hautfarben, von sexueller Freizügigkeit, Prostitution jeglicher Art, Rausch, Giften, Verbrechen, einer Welt des Konsums in Galerien, Kaufhäusern, Cafés und Bars: Es war die Lebenswelt der Décadents, der Bürger und des Proletariats. In London wurde er sich seiner Homosexualität endgültig bewusst und verabschiedete sich vom katholischen Kindheitsglauben. Spuren solcher Geständnisse finden sich in seinen Londoner Briefen vom Sommer und Herbst 1888 an ehemalige Schulfreunde. Hinzu kommen, die Daheimgebliebenen weiter verstörend, Bekenntnisse zu „Kosmopolitismus“10 und „Internationalismus“11, kühn und bewusst abgrenzend zusammengefasst in der Selbstbeschreibung als „Socialist, Communard, Atheist“12. Als George Letzteres schrieb, hatte er London verlassen, spielte in Montreux im „Landhaus einiger vornehme[r] Frauen des deutschen Adels“13 Molières Misanthrop, befreundete sich mit einem jungen Adligen aus Schwaben. Auf das englische Bildungsbürgertum seiner Londoner Gastfamilie folgte der deutsche Adel in der Schweiz, und dann folgte die soziale Isolation in Italien:
9 George, Schlussband (wie Anm. 7), „Die Rettung“, S. 106. 10 Brief Stefan Georges an Arthur Stahl, 18. 5. 1888, StGA. 11 Brief Stefan Georges an Arthur Stahl, 14. 8. 1888, StGA. 12 Brief Stefan Georges an Arthur Stahl, 1.–6. 1. 1889, StGA. 13 Friedrich Wolters, Stefan George und die Blätter für die Kunst. Deutsche Geistesgeschichte seit 1890, Berlin 1930, S. 18.
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Stimmung […] Der menschen schwarzes gewimmel Wogt in dem säulengang Und die weite piazza entlang .. Welch ein fremdes und leichtes treiben! […] Für mich ist nicht gut hier bleiben .. Hier ist es zu laut und zu stumm.14
Noch ist George Charles Baudelaires Dichtung nicht begegnet, die sein Erleben der Großstadt Paris fundieren wird, weit mehr als die der kleinen Symbolisten und des großen Stéphane Mallarmé. In Paris, und nur hier, wird George dekadente Gedichte schreiben, Begierden benennen, Orgien, Laster und das „Gift der Nacht“ – so lautet der Titel eines Gedichtes –15, und er wird dies in den freien Versen seiner Symbolisten-Freunde tun. In Paris bildet sich die dandyeske Gestalt der frühen 1890er-Jahre weiter aus, jener George, der im Herbst 1889 nach Berlin kommt, in eine Stadt mit „internationaler atmosphäre“, wie er betont, die ihm, dem „kosmopoliten“, das „einleben erleichtere“.16 Dieser George hatte nun auch Oscar Wilde gelesen, hatte bei Mallarmé schweigend in der Dienstagsrunde Tee getrunken, hatte nachts ziellos Paris durchschweift, Paul Verlaine in Rausch und Elend erlebt, Frack, Zylinder und Monokel als angemessene Kostümierung anund übernommen. Diesen George zeigt übrigens ein Foto in den Straßen Berlins zusammen mit seinem geschminkten, neu gefundenen Freund, August Klein, der bald Carl August heißen sollte.17 Doch nicht in Paris wurde der „neue“ Dichter Stefan George berufen, Paris war eine weitere Inkubationszeit, Zeit der Gestaltwerdung, der Sprachfindung im Dienst an den Baudelaire-Übersetzungen, Zeit der Begegnung mit einem, der „Meister“/„maître“ genannt wurde und einen „Kreis“/„cercle“ um sich sammelte, der allerdings recht wenig Georges frühem Ideal einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten glich. In Berlin, am Spreeufer, ent-
14 George verweist in einer Handschrift auf den Entstehungsort Mailand und damit auf die Entstehungszeit März 1889; vgl. Stefan George, Sämtliche Werke in 18 Bänden, Bd. 1: Die Fibel, bearbeitet von Ute Oelmann, Stuttgart 2003, S. 63, im Folgenden zitiert als SW mit römischer Bandangabe (SW I). 15 Ebd., S. 75. 16 Brief Stefan Georges an Arthur Stahl, 2. 1. 1890, StGA. 17 Die Fotografie ist wiedergegeben in Robert Boehringer, Mein Bild von Stefan George, 2., erg. Aufl., Düsseldorf/München 1967, Tafelband, Tafel 36 rechts. Die Namenserweiterung wurde schon 1892 mit Erscheinen der ersten Folge der „Blätter für die Kunst“ vorgenommen; vgl. Georges Gedicht „Carl August“ im Gedichtband „Der Siebente Ring“ von 1907, SW VI/VII, S. 28f.
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stand Georges neues Gedicht, hier begann sein Werk, hier fand der Musenkuss des Eingangsgedichtes der Hymnen statt, nachdem eine der vielen Sprachkrisen Georges – ihren Ausdruck fand sie in der lingua-romana-Dichtung der Wendezeit 1889/9018 – überwunden war. Die Verse 17–20 des Gedichtes „Weihe“ lauten: Nun bist du reif ‧ nun schwebt die herrin nieder ‧ Mondfarbne gazeschleier sie umschlingen ‧ Halboffen ihre traumesschweren lider Zu dir geneigt die segnung zu vollbringen: 19
Von nun an galt es, die einmal gewonnene Gestalt des deutschen Dichters Stefan George zu verwirklichen und zu vollenden, der weder „gelehrter‧beamter bürger der gedichte macht“, noch gar „deutscher litterat“ sein durfte,20 sondern nichts als Dichter, nichts als Produzent einer Kunst für die Kunst, „eine[r] kunst frei von jedem dienst: über dem leben nachdem sie das leben durchdrungen hat.“21 Ist der Dandy des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts qua Definition einer, der sein „Leben zum Kunstwerk“ macht, wie es auch der Titel dieses Bandes nahelegt, so war George nie Dandy in diesem vollen Sinne, auch nicht in den frühen 1890er-Jahren. Er suchte „die umkehr in der KUNST einzuleiten“ und überließ „es andren zu entwickeln wie sie aufs LEBEN fortgesetzt werden müsse.“22 So sein Selbstverständnis 1896, formuliert in einem der zahlreichen Merksprüche der von ihm 1892 gegründeten Zeitschrift Blätter für die Kunst. Dies mag auf Widerspruch stoßen, haben doch die Biografik der letzten Jahre und die Erinnerungsschriften des Kreises ein anderes Bild ausgeprägt, das des Charismatikers, dessen Ausstrahlung nicht zuletzt auf Stilisierung und Inszenierung beruhte, hinter welche die Dichtung und der Dichter weit zurücktreten,23 selbst als „absoluter Dandy“24 wurde er von der Kulturwissenschaft bezeichnet. George war 1890 Dichter und er blieb Dichter: 1900 nach neuerlicher Berufung durch den „boten“, durch den „engel“ des „Vorspiels“ zum Teppich des Lebens;25 18 Gedichte, in dieser Sprache geschrieben, sind veröffentlicht im „Schlussband“ der Gesamtausgabe GAXVIII, S. 130f.: „Paz“ und „El Imagen“. 19 Vgl. SW II, S. 10. 20 Blätter für die Kunst, 5. Folge (1900/1901): „Die Gestalt des Dichters“, S. 2. 21 Blätter für die Kunst, 3. Folge, Heft 1 (1896), S. 2. 22 Blätter für die Kunst, 3. Folge, Heft 5 (1896), S. 129. 23 So Thomas Karlauf in seiner George-Biografie (wie Anm. 5). 24 Arne Zerbst, Stefan George. Der absolute Dandy, in: Hannes Böhringer/Ders. (Hrsg.), Gestalten des 19. Jahrhunderts. Von Lou Andreas-Salomé bis Leopold von Sacher-Masoch, München 2011, S. 221–239. 25 Vgl. SW V, S. 10. Die „engel“-Gestalt des Zyklus verkündet im ersten Gedicht: „Das schöne Leben sendet mich an dich / Als boten.“
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1907 nach der Legitimierung durch den selbstgeschaffenen Gott „Maximin“;26 während und nach dem Ersten Weltkrieg als „Siedler auf dem berg“, als dröhnende Stimme,27 und Mitte der 1920er-Jahre als Erzieher und Menschenbildner, der nur noch wenige Verse schrieb. Auch die letzten Jüngsten, die George vor seinem Tod umgaben, waren bei aller Verehrung für den alten Mann und aller Dienstbarkeit, Verehrer des großen Dichters. Als 1890 und 1891 die ersten schmalen Gedichtbände Hymnen und Pilgerfahrten erschienen waren, verließen die frühen „folger“ George;28 ihr Dichtungsverständnis wie auch ihre Lebensform waren in die totale Differenz geraten. Die letzten brieflichen Auseinandersetzungen führten dazu, dass George damals zum ersten Male seine „Theorie der eigenen Sphäre“ als notwendigem Entstehungs- und Rezeptionsraum für seine neue Dichtung schriftlich formulierte29 und damit die Notwendigkeit der Herausbildung eines Kreises von Gleich- oder wenigstens „ähnlichgesinnten“30. Er schuf die Blätter für die Kunst 1892 als Mittel der Gemeinschaftsbildung und, geborgen im „Wir“ der 1897 gefestigten Gemeinschaft, konnte er herausfordernd bekennen: „Wir wissen wol dass der schönste kreis die grossen geister nicht hervorrufen kann, aber auch dies dass manche ihrer werke nur aus einem kreis heraus möglich werden.“31 Ich habe an anderer Stelle darzustellen versucht, wie sich die Künstlergemeinschaft der Gleichrangigen im Laufe der Jahre in einen Kreis der Freunde, „den liebe schliesst“ mit George als Zentrum, zum „bund“ und zum „staat“ und zuletzt zur Lebensgemeinschaft wandelt, mal mehr durch Selbstdeutung (Freundschaft, Liebe, Bund), mal stark von außen (Staat, Herrschaft, Dienst) definiert.32 Es sei hier nur kurz zusammengefasst: Deutlich ist, dass schon 1897 für die „grossen geister“ – Dichter-Künstler wie George – ein Kreis von „kleineren“ vonnöten ist. George braucht in Umkehrung der Rollen nicht nur seinen „Carl August“, der kein Herzog ist, sondern in jeder Hinsicht Dienender, Helferfigur, er braucht die „kleineren geister“ und die kleineren Dichter, und er weiß sie zu trösten: Bedeutender trost für die kleineren: wenn ihr das höhere leben eurer führer begriffen habt so seid ihr nicht nur dazu nötig das feld frisch und locker zu erhalten sondern ihr sammelt
26 Vgl. SW VI/VII „Der siebente Ring“ und den zentralen Gedichtzyklus „Maximin“. 27 Vgl. SW IX „Das neue Reich“, darin das Gedicht „Der Krieg“, S. 22. 28 Es kam zur raschen Trennung von den dichtenden Mitschülern Arthur Stahl und Carl Rouge. 29 Brief Carl Rouges an Stefan George, 27. 8. 1890, StGA. 30 Blätter für die Kunst, 1. Folge, Heft 1 (1892), S. 1f. 31 Blätter für die Kunst, 4. Folge, Heft 1/2 (1897), S. 3. 32 Ute Oelmann, Der George-Kreis. Von der Künstlergesellschaft zur Lebensgemeinschaft, in: Kai Buchholz (Hrsg.), Die Lebensreform. Entwürfe zur Neugestaltung von Leben und Kunst um 1900, Darmstadt 2001, Bd. 1, S. 459–464.
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gar oft blumen und früchte die – wenn ihr es selber nicht vermögt – ein grösserer später in seinen kranz flicht.33
Taucht hier schon die Figur des „führers“ auf, so in innerem Zusammenhang damit die Idee der Erziehung im selben Kontext: „Es ist ein irrtum dass nur grosse geister ein unternehmen mit grossen gedanken zu fördern vermochten. von aller wichtigkeit ist es die kleineren zu erziehen und hinzuleiten […].“34 Hier spricht 1897 der „Meister“ von seinen „Schülern“ und – um die Jahrhundertwende 1899/1900 beginnend – sind die „kleineren“ in wörtlicher Bedeutung die Jüngeren und damit die „Jünger“.35 George erhebt keinen Alleinanspruch auf den Titel „Meister“. Schon Mallarmé war „maître“, auch für ihn, und der Maler und Buchgestalter Melchior Lechter ist dieser Ehrenbezeichnung ebenfalls würdig, mag dabei auch Georges Hochschätzung alles Handwerklichen mitspielen. Schließlich sprach George selbst von der „mache“, vom Handwerklichen der eigenen Dichtungspraxis. Die letzten Wandlungen von Kreis und Meister seien nur noch in Stichworten angedeutet, meist solchen, die von George selbst stammen. So heißt es 1904 in den Blättern, der „kleine kreis“ habe sich zu einer „geistigen und künstlerischen gesellschaft erweitert die sich verbunden fühlt durch ein besonderes lebensgefühl“; eine „verbreitung der kunst in die massen“ werde aber weiterhin nicht für möglich gehalten.36 Erst nach der poetischen Installierung des Gottes „Maximin“ kann dann ein Aphorismus publiziert werden, in dem behauptet wird, jeder „befruchtende ‧ jeder befreiende gedanke“ sei aus „geheimkreisen“ hervorgekommen.37 Die späte Gemeinschaft von Meister und Jüngern, der Kreis als Lebensgemeinschaft auf Zeit, findet erstaunlicherweise seine erste Formulierung vor seiner ersten Formierung in Absetzung von einer „grämlich ichsüchtigen zeit“; es ist das Jahr 1904. Diese Zeit „bemängelt wenn dem meister die jünger sich in ehrfurcht neigen ‧ wenn dem schöpfergeist mit kranz und reigen alle danken die durch sein wirken erst erfahren haben dass leben ein fest sei.“38 War der „engel“ um die Jahrhundertwende Bote des „schönen lebens“, so ist der Dichter, ist George nun dessen Garant. Festlich erhöhtes Leben gibt es nur in den Ritualen der Dichterlesungen, sei es 1910 in griechischen Fantasiegewän-
33 Blätter für die Kunst (wie Anm. 31). 34 Ebd. 35 Vgl. SW V „Der Jünger“, S. 47. 36 Blätter für die Kunst, 7. Folge (1904), „Einleitung zur siebenten Folge“, S. 1. 37 Ebd., „Der Künstler und die Zeit“, S. 3. 38 Ebd., „Heldenverehrung (Personenkultus)“, S. 5.
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dern39 oder ab 1919 in bürgerlicher Kluft in betont unbürgerlichen Räumen, den Ateliers von Freunden. Ernst Osterkamp hat 2002 von den „poetischen Rollenspielen“40 Georges gesprochen und den Begriff in seiner umfangreichen Studie zum Neuen Reich, Georges letztem Gedichtband von 1928, wieder aufgenommen.41 Dieser Begriff des „Rollenspiels“ scheint mir bestens geeignet zu sein, um auch Georges sich wandelnde und im Innersten doch gleichbleibende Gestalt zu fassen. Der „Dandy“ war eine Rolle Georges, wie auch Carola Groppe in ihrem meisterlichen Buch zur Bildungsgeschichte des George-Kreises konstatierte: Georges äußere Erscheinung und sein Lebensstil stellten um die Jahrhundertwende eine faszinierende Mischung aus Bohème und Bauerntum dar, deren bäuerliche Elemente: Strenge, Verschlossenheit, das Zurückhalten jeder persönlichen Emotion und ein oft patriarchischer Ton fremdartig und hoheitsvoll wirkten. Georges Kleidung unterstützte diese Wahrnehmung.42
Der schwarze hochgeschlossene Gehrock scheint ihr den Bauern im Sonntagsstaat ebenso zu assoziieren wie den Priester. Andere Elemente bezeichnet sie als dem Dandy zugehörig: „bei George Monokel, in Stoff und Muster ungewöhnliche Westen und geschlungene Seidenkrawatten“, und diesen Dandy versteht sie als die „Selbstrepräsentation der Ästhetizisten innerhalb des Bildungsbürgertums“.43 Offensichtlich war George alles zugleich: Bauer, Priester, Handwerker, Ästhetizist und Dandy, war mal das eine, mal das andere. Noch vieldeutiger werden die Zuschreibungen, bedenkt man, dass Charakteristika, die Groppe dem Bäuerlichen Georges zuweist, bei Hiltrud Gnüg44 auch historischen Ausprägungen des Dandytums zugeschrieben werden können: Strenge, Verschlossenheit, Zurückhalten jeder persönlichen Emotion, fremdartige hoheitsvolle Wirkung. Wir müssen sie nur in eine andere Begrifflichkeit übersetzen: Der Dandy als antibürgerlicher Solist, rigide Affektkontrolle, Liebhaber der Maske, Raffinesse der Einfachheit, Regelkonformität, Gefühl einsamer Bestimmung, ästhetische Selbstinszenierung, Reflektiertheit, Ironie, geistiger Aristokratismus. 39 Fotografien dokumentieren Zusammentreffen von George mit Freunden 1910 im Hause Karl und Hanna Wolfskehls. 40 Ernst Osterkamp, „Ihr wisst nicht wer ich bin“. Stefan Georges poetische Rollenspiele, München 2002. 41 Ernst Osterkamp, Poesie der leeren Mitte. Stefan Georges Neues Reich, München 2010. 42 Vgl. Groppe, Die Macht der Bildung (wie Anm. 2), S. 124f. 43 Ebd., S. 125. 44 Hiltrud Gnüg, Kult der Kälte. Der klassische Dandy im Spiegel der Weltliteratur, Stuttgart 1988.
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„Ihr sehet wechsel ‧ doch ich tat das gleiche“45 lautet eine der zahlreichen Selbstdeutungen Stefan Georges im Gedicht, die natürlich immer auch kritisch zu befragen sind. Sie könnte auch lauten: „Ihr sehet wechsel ‧ doch ich war der gleiche“: ob Dandy oder „Meister“, eines blieb George immer: Außenseiter, Aufrührer, Antibourgeois, potentieller Täter, einer, der in sich den „Bombenleger“, den Verbrecher als Möglichkeit barg: Der Täter […] Denn morgen beim schrägen der strahlen ist es geschehn Was unentrinnbar in hemmenden stunden mich peinigt Dann werden verfolger als schatten hinter mir stehn Und suchen wird mich die wahllose menge die steinigt. Wer niemals am bruder den fleck für den dolchstoss bemass Wie leicht ist sein leben und wie dünn das gedachte Dem der von des schierlings betäubenden körnern nicht ass! O wüsstet ihr wie ich euch alle ein wenig verachte! Denn auch ihr freunde redet morgen: so schwand Ein ganzes leben voll hoffnung und ehre hienieden .. Wie wiegt mich heute so mild das entschlummernde land Wie fühl ich sanft um mich des abends frieden!46
Ein anderes blieb George auch: Züge des Dandys in Kleidung, Schmuck und Habitus behielt selbst noch der frühzeitig gealterte Mann in der weißen Leinenjacke oder der Strickjacke, der zugleich die Rolle des Handwerkers beherrschte und den Ofen in Minusio, seinem letzten Asyl, auseinandernahm.47
Nachtrag Von Rollenspiel ist übrigens auch in einem Aufsatz über Franz Hessel die Rede, der ihn mit Karl Wolfskehl und Stefan George zu einer Bilderkette von Herrschaft und Dienst, Herr und Knecht verbindet. Provokativ formuliert heißt es dort:
45 SW VI/VII „Das Zeitgedicht“, S. 6f. 46 SW V, S. 45. 47 Diese späte Gestalt des Dichters und Dandys wird sichtbar in Clotilde Schlayer, Minusio. Chronik aus den letzten Lebensjahren Stefan Georges, hrsg. und mit Erläuterungen versehen von Maik Bozza und Ute Oelmann, Göttingen 2010.
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Stefan George ist der Meister von Karl Wolfskehl und der Meister von Franz Hessel. Karl Wolfskehl ist der Knecht Stefan Georges und der Herr Franz Hessels. Franz Hessel endlich ist der Knecht Stefan Georges und der Knecht Karl Wolfskehls. Damit sind die Rollen verteilt: George ist der Meister zweiter Potenz, Wolfskehl erweckender Erweckter und Hessel ein Diener zweier Herrn.48
So suggestiv die Formulierungen und erst recht die Abbildungen in diesem Aufsatz sind, eine Beziehung in dieser Kette ist ganz einfach falsch: Karl Wolfskehl war nie Georges „Knecht“, er war Freund. So sprachen sie sich an, Stefan und Karl, und spät erst verwendet Wolfskehl die Anrede „Meister“ für George wie auch für Melchior Lechter.49 D. M. Immer war ich Bundsgenoss, Adorant und Mage, Castellan auf seinem Schloss, Sein in Sang und Sage.50
48 Reiner Niehoff, Der Herr und seine Knechte. Stefan George, Karl Wolfskehl und Franz Hessel, in: Elke-Vera Kotowski (Hrsg.), „O dürft ich Stimme sein, das Volk zu rütteln!“ Leben und Werk von Karl Wolfskehl (1869–1948), Hildesheim 2007, S. 23–39, hier S. 24. 49 Ute Oelmann, „ich will dein Petrus sein“. Karl Wolfskehl und Stefan George, in: Kotowski, Leben und Werk (wie Anm. 48), S. 41–52. 50 Karl Wolfksehl, „D.M.“, in: Margot Ruben/Claus Victor Bock (Hrsg.), Karl Wolfskehl. Gesammelte Werke. Erster Band: Dichtungen, Dramatische Dichtungen, Claassen 1960, S. 249.
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Zum russischen Dandytum: Sergej Diaghilew1 Die Forscher vertreten einhellig die Meinung, dass das gesellschaftlich-kulturelle Phänomen des Dandys seinen Ursprung zu Beginn des 19. Jahrhunderts in England genommen hat. Unstrittig ist auch, dass jenes schillernde Inszenierungsmodell männlicher Individualität seine Nuancierungen und Weiterentwicklungen in Frankreich erlebt und seinen Höhepunkt besiegelt hat. Dieses männliche Identifikationsmuster war allerdings nicht auf den geografischen Raum von England und Frankreich beschränkt, es reichte weit über diese Länder hinaus. Der Semiotiker Jurij Lotman behauptet, dass Dandys in Russland schon lange existierten, – bevor die Namen von Lord Byron oder Beau Brummel auftauchten.2 Sie hatten selbstverständlich andere Bezeichnungen, wie Modisten, Stutzer, Gecken, Flegel, Petit-Maître. Von einigen wurden sie gehasst, von anderen bewundert. Hier fand aber das Phänomen die entsprechenden Bedingungen für seine Weiterverbreitung im Lande: die große Adelstradition und die Stadt – den gesellschaftlichen Rahmen sich zu präsentieren. Im 18. Jahrhundert lebte am Hof von Katharina der Großen ein gewisser Fürst Kurakin, der ein großer Pedant in Sachen Kleidung war. Jeden Morgen, wenn er aufwachte, aber immer noch im Bett lag, bekam er von seinem Kammerdiener zum Anschauen eine Art Album mit Stoffmustern überreicht, nach denen für ihn Anzüge geschneidert wurden. Passend zu jedem Anzug wurde ein besonderer Säbel und je nach der Farbgebung auch ein Ring und eine Schnupftabakdose ausgewählt. Eine Anekdote erzählt, dass ihm beim Kartenspiel bei der Zarin richtiggehend übel geworden war: Beim Öffnen seiner Tabakdose hatte er plötzlich entdeckt, dass sein Ring überhaupt nicht zur Tabakdose passte, und dass wiederum diese Tabakdose der Farbe seines Anzugs nicht entsprach. Das war der Grund, warum er an dem Abend beim Kartenspiel verlor. Zum Glück bemerkte keiner außer ihm die Nachlässigkeit seines Kammerdieners.3 1 Der Text basiert auf einem Vortrag der Autorin: Theatergespräche – Der Dandy: Sergej
Diaghilew an den Städtischen Bühnen Münster am 7. 5. 2012.
2 Jurij Lotman, Besedy o russkoj kul’ture. Byt i tradicii russkogo dvorjanstva (XVIII–načalo XIX veka) (Gespräche über russische Kultur. Alltag und Traditionen des russischen Adels [18.–Anfang 19. Jahrhundert]). http://www.gumer.info/bibliotek_Buks/History/Lotman/06.php (29. 10. 2011), S. 1. 3 In ihrer Studie zum Phänomen des Dandys widmet Olga Wajnštejn ein ganzes Kapitel dem Dandytum in Russland (XIII: Dendizm v Rossii). In diesem Beitrag sind die wichtigsten histori-
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Der prächtige Anzug von Kurakin wäre ohne die bestehende Kleidertradition nicht denkbar gewesen. Den Grundstein zu dieser Tradition hatte Peter I. gelegt, als er einen westlichen Kleidungsstil einführte. Die nun als angemessen geltenden Kleidungsmuster wurden in den Städten an Schaufensterpuppen demonstriert, und wer sich nicht daran hielt, musste mit einer Geldstrafe rechnen. Im Jahr 1700 erließ Peter I. seine berühmte Verordnung, die alle Männer jeglichen Standes dazu verpflichtete, sich den Bart zu rasieren, sowie sich an Werktagen nach deutschem oder ungarischem, und Sonntags nach französischem Muster zu kleiden.4 Jede Veränderung der politischen Macht brachte Neuerungen im gesellschaftlichen System. Das wirkte sich auch auf die Kleiderordnung aus. So erließ Pavel I. in den allerersten Tagen seiner Regierungszeit (1796) besondere Verordnungen, die sich gegen den europäischen Kleidungsstil richteten, denn dieser symbolisierte für ihn die liberalen Ideen der Französischen Revolution. Pavel verbot Rundhüte, Fräcke, Westen, Hosen, Schnürschuhe und Stulpenstiefel. Stattdessen befahl er, einreihige Kittel mit Stehkragen zu tragen, ferner ein Wams, ein kurzes Untergewand und lange Schaftstiefel. Pavel wollte die Mode mit Polizeimethoden beeinflussen. Er schickte deshalb militärische Spezialeinheiten auf die Straßen, die den Menschen unpassende Kleidungsstücke vom Leib rissen, so dass die Ärmsten, die ja so modebewusst waren, halbnackt nach Hause gehen mussten.5
Merkmale des russischen Dandytums Über die Etymologie des Dandy-Begriffs und über das Wesen des Phänomens gibt es genug theoretische Ausführungen.6 Wichtig ist die Tatsache, dass das schen Fakten, Anekdoten aus dem erwähnten Kapitel ausgesucht und zusammengefasst worden. Olga Wajnštejn, Russkij petimetr: professional’nyje riski, in: Dendi. Moda//literatura//stil’ žyzni. (Der russische Petit Maître: professionelle Risiken, in: Dandy. Mode//Literatur//Lebensstil), Moskva 2006, S. 485–486. 4 Vgl. Wajnštejn, Dendi, S. 486. 5 Vgl. Wajnštejn, Dendi, S. 489. 6 Günter Erbe, Dandys. Virtuosen der Lebenskunst. Eine Geschichte des mondänen Lebens, Köln [u. a.] 2002; Fernand Hörner, Die Behauptung des Dandys. Eine Archäologie, Bielefeld 2008; Gregor Schuhen, Dandy, Dichter, Demagoge – Männlichkeitsentwürfe der Belle Epoque, in: Avantgarde, Medien, Performativität. Inszenierungs- und Wahrnehmungsmuster zu Beginn des 20. Jahrhunderts, hrsg. v. Gregor Schuhen [u. a.], Bielefeld 2005; Alexandra Tacke [u. a.] (Hrsg.), Depressive Dandys. Spielformen der Dekadenz in der Pop-Moderne, Köln 2009; Melanie Grundmann (Hrsg.), Der Dandy. Wie er wurde, was er war. Eine Anthologie, Köln 2007; Hiltrud
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bereits entwickelte Wort „Dandy“ zu Beginn des 19. Jahrhunderts auch Russland erreichte. Daher bedarf es eines kurzen Überblicks über die wesentlichen Merkmale des russischen Dandytums. Der Anfang des 19. Jahrhunderts wird als Puschkin-Epoche bezeichnet. In dieser Zeit prägten sich neben dem minimalistischen Stil des englischen Dandytyps einige spezifisch russische Merkmale aus. So wurde die männliche Körperlichkeit, d. h. der erotische Aspekt im Rahmen der sogenannten „nackten Mode“ betont. Es ging dabei um die eng geschneiderten Pantalone, die beim Petit-Maître die körperlichen Besonderheiten in den Vordergrund rückten: „Avoir la jambe bien faite.“7 Zu den Eigenschaften der russischen Dandys gehörte ihr Wunsch, unbedingt ihre Wohlhabenheit zu demonstrieren, indem sie mit gewissen Accessoires übertrieben: Manche ließen sich in jedes Knopfloch große Brillanten einnähen, die anderen trugen alle möglichen Accessoires gleichzeitig – extravagante Anstecknadeln für das Halstuch oder ein Jabot, Ringe und mehrere Uhren an dicken goldenen Ketten. Diese im Vergleich zu den europäischen Dandys übertriebene Art der Russen hatte eine psychologische Note. Sie wollten um jeden Preis den Eindruck vermeiden, dass sie zurückgeblieben wirken könnten. Demzufolge verwandelten sie das Französische in ein „Über-Französisch“ und das Englische in ein „Über-Englisch“. Somit zeigten sie sich durchaus nicht originell, sondern ließen im Gegenteil das Fehlen von natürlicher Eleganz und Raffinesse noch deutlicher zutage treten. Die russischen Dandys passten sich auch auf eine besondere Art und Weise an das kalte Klima in ihrem Land an. Théophile Gautier, der die Möglichkeit hatte, in Russland diese imposanten Erscheinungen zu beobachten, schrieb: Junge Leute, die keine Offiziere oder Angestellte waren, trugen Mäntel mit Pelzfutter. Der Preis für einen solchen Mantel setzte den Ausländer in Erstaunen, und unsere modebewussten Leute wären vor einem solchen Kauf zurückgeschreckt. Nicht nur, dass die Mäntel aus dünnem Tuch waren, gefüttert mit Marder oder Nutria; sie hatten außerdem noch einen Kragen aus Biberpelz, der 200–300 Rubel kostete, je nachdem, wie dicht und weich der Pelz war, ob er eine dunkle Farbe hatte und inwieweit sich das weiße, oben liegende Deckhaar erhalten hat.8
Einen großen Einfluss auf die männliche Mode hatten die Uniformen der privilegierten Gardistentruppen. Zu den Besonderheiten solcher Uniformen gehörGnüg, Kult der Kälte. Der klassische Dandy im Spiegel der Weltliteratur, Stuttgart 1988. 7 Vgl. Wajnštejn, Dendi, S. 492. 8 Zit. nach Olga Wajnštejn, Mod vospitannik primernyj (Der beispielhafte Modeschüler), in: Dies., Dendi, S. 495.
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ten spezielle Gurte, die weiblichen Miedern ähnelten. Die Männer, die nicht so schlank erschienen, schnürten ihre Taille sehr eng, was starke Schmerzen verursachte und zu physischen Körperdeformationen führte. Die überschlanke Taille war aber ein wichtiger Schönheitsaspekt. In einem Brief an seinen Bruder schrieb der russische Dichter Alexander Puschkin stolz über seine Taille: „Neulich habe ich meine Taille gemessen und sie mit der von Jeproksija verglichen: Folglich ist eins klar: entweder habe ich die Taille einer 15-jährigen Frau, oder sie hat die Taille eines 25-jährigen Mannes.“9 Puschkin war ein großer Verehrer von Lord Byron sowohl im Hinblick auf seine Dichtkunst als auch auf sein elegantes Erscheinungsbild. Seine eigenen Vorlieben in Sache Mode projizierte Puschkin auf seinen Helden im Versroman Eugen Onegin (1823–1830), in dem er bereits den Dandybegriff einführt: […] Nun ist mein Onegin auf freiem Fuß; das Haar geschnitten nach der neuesten Mode, gekleidet wie ein Londoner Dandy, sah er zu guter Zeit die Welt. […]10 […] Bernstein auf Zargrads Pfeifen, Fayence und Bronzen auf dem Tisch und, Labsal den verwöhnten Sinnen, Parfums in geschliffenen Kristall, Kämmchen, kleine Stahlfeilen, gerade Scheren, gekrümmte und dreißigerlei Bürsten – für die Nägel diese, für die Zähne jene. Rousseau (bemerkte ich nebenbei) begriff nicht, wie der würdige Grimm sich die Nägel zu putzen wagte vor ihm, dem redegewandten Tollkopf. Der Verteidiger der Freiheit und der Grundrechte Hatte in diesem Fall keineswegs recht.11
Puschkin war auch derjenige, der bemerkte, dass die Mode ein „ausländisches Produkt“ sei, für das im Russischen keine sprachlichen Entsprechungen existieren: „Doch ,Pantalone‘, ,Frack‘, ,Gilet‘ – auf russisch gibt’s all diese Wörter nicht […].“12 9 Jurij Lotman, http://www.gumer.info/bibliotek_Buks/History/Lotman/06.php (29. 10. 2011), S. 3. 10 Aleksander Puschkin, Eugen Onegin. Ein Versroman. Aus dem Russischen von Sabine Baumann unter Mitarbeit von Christiane Körner, Frankfurt a. M. 2009, S. 68. 11 Puschkin, Eugen Onegin, S. 78. 12 Puschkin, Eugen Onegin, S. 79.
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Zu erwähnen sind auch die ideologischen Diskussionen zwischen den Slawophilen und Westlern. Die Slawophilen beschuldigten Peter I., dass er sein eigenes Volk von den nationalen Kleidungstraditionen getrennt hat. Sie forderten die Männer auf, sich wieder den Bart wachsen zu lassen. Nicht nur der westliche Schick und die Eleganz waren für die Slawophilen ein Dorn im Auge. Ganz besonders galt ihre Empörung einer bei den Männern aufkommenden weiblichen Tendenz: Im Winter trugen die leicht feminin wirkenden Kavaliere weiße Hüte und bei den ersten Sonnenstrahlen im Frühling öffneten sie ihre Sonnenschirme. Sie trugen eng geschneiderte Hosen aus Trikotstoff, Husarenstiefeletten, ihr Jabot war üppig, am Frack hatten sie goldene Knöpfe, an den Taschenuhren hingen dicke goldene Ketten und bei manchen konnte man sogar Ohrringe glänzen sehen.13 Das Ende des 19. Jahrhunderts und der Anfang des 20. Jahrhunderts standen im Zeichen der europäischen Décadence. Das Interesse am Dandytum intensivierte sich: Die russischen Gecken pflegten die Tradition des Flaneurs, dessen wichtigste Aufgabe war, den ganzen Newskijprospekt entlang zu gehen, ohne die Hand aus der hinteren Manteltasche herauszunehmen und ohne die meisterhaft eingesetzte Lorgnette zu verlieren.14 Als 1910 in Moskau die Zeitschrift Dandy mit dem Untertitel „Zeitschrift für Kunst und Mode“ erschien, war dies ein wichtiges Ereignis. Die Zeitschrift hatte zwei Teile: Im ersten ging es um Belletristik und Kunstgeschichte, im zweiten um Mode. Der Modekommentator, der unter dem englischen Spitznamen „Jim“ schrieb, gab verschiedene Ratschläge im Bezug auf männliche Mode: „Die Krawatte ist der Träger einer besonderen, symbolischen Bedeutung: wie ein mikroskopischer Rubin, eingesetzt in eine schwarze Perle, beseelt die Krawatte die Kleidung eines Mannes und belebt die Strenge seines Gesichts.“15 In derselben Zeitschrift wurde zum ersten Mal die Übersetzung des Essays Über das Dandytum und über George Brummel von Barbey d’Aurevilly veröffentlicht. Michail Kusmin, der brillante Dichter, Ästhet, Übersetzer und Dandy, auch „russischer Brummel“ genannt, wurde beauftragt, das Vorwort zum Text von d’Aurevilly zu schreiben. Zu der Zeit erschienen ebenso die Übersetzungen von Charles Baudelaire, Oscar Wilde und anderen. Es war die Epoche, in der sich Sergej Pawlowitsch Diaghilew (1872–1928) nicht nur zu einem intellektuellen Vertreter der russischen Aristokratie entwickelte, sondern auch den Geschmack am Dandytum fand. In den kulturwissenschaft13 Vgl. Wajnštejn, Dendi, S. 498–499. 14 Wajnštejn, Magistry elegantnosti serebrjanogo veka (Magister der Eleganz des Silbernen Alters), in: Dies., Dendi, S. 513. 15 Wajnštejn, Dendi, S. 515.
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lichen Texten sowie in den über ihn verfassten Biografien scheint seine Person viele würdigende Etiketten gewonnen zu haben – russischer Europäer, Liebhaber und Botschafter der schönen Künste, intellektueller Adelsmann, Impresario der Ballets Russes. Die meisten dieser Etiketten beziehen sich auf seinen Tätigkeitsbereich und stellen Diaghilew ins Zentrum seiner Errungenschaften. Die Nuancen der anderen Seiten seiner Persönlichkeit, wie seine Neigung zur dandyhaften Selbstpräsentation, werden entweder sporadisch oder ganz am Rande erwähnt. In dieser Hinsicht teilt Diaghilew ein ähnliches Schicksal mit Balzac, Baudelaire, Manet, Beardsley und anderen – nicht als Dandys haben sie ihre Unsterblichkeit verdient. Dies ergäbe einen hinreichenden Grund, Diaghilew als Dandy inspizieren und sein Dandyporträt entwerfen zu wollen. Dem Gedanken von Montaigne folgend, dass wir alle „aus lauter Flicken und Fetzen und so kunterbunt und unförmlich zusammengesetzt [sind], dass jeder Lappen jeden Augenblick sein eigenes Spiel treibt“,16 entsteht eine konzentrierte „Flickarbeit“ aus Berichten, Dokumenten und Anekdoten über Diaghilew, die sein Dandykonzept reflektiert und fassbar macht.17
Jahre in der russischen Metropole Im Folgenden werden drei Malereiporträts kommentiert, die die Auseinandersetzung mit seinem Werdegang illustrativ unterstützen. Hier stellt sich allerdings die Frage nach der Wahl des visuellen Mediums, denn bekanntlich ersetzte um 1900 die Fotografie die Porträtmalerei und entwickelte sich zu einem schnellen und kostengünstigen Medium der Reproduzierbarkeit. Diese Erfindung, so Gregor Schuhen, „sorgte für eine nachhaltige Modifikation und Erweiterung im Inszenierungsmodus des Dandys“.18 Dank der Fotografie dienen die künstlich arrangierten Posen von Oscar Wilde, Graf de Montesquiou, Boni de Catellane oder des Prinzen von Sagan als zusätzliche Dokumentation eines mondänen und ichbezogenen Lifestyle. Des „neuen“ Mediums bediente sich auch Sergej Diaghilew, 16 Michel de Montaigne, Essais, hrsg. von Herbert Lüthy, Zürich 1953, S. 324. 17 Sergej Diaghilew, Apologie der Avantgarde, Mainz 2009; Natalija Černyšova-Mel’nik, Djagilev (Diaghilew), Moskva 2011; Sergej Lifar, Djagilev i s Djagilevym (Diaghilew und mit Diaghilew), Moskva 2005; Katalog Videnije tanca. Sergej Djagilev i russkije baletnyje sezony (Die Sicht des Tanzes. Sergej Diaghilew und russische Ballettsaisons), Moskva 2010; Romola Nijinsky, Nijinsky. Der Gott des Tanzes. Biographie von Romola Nijinsky mit einem Vorwort von Paul Claudel und zahlreichen Photographien, Frankfurt a. M. 1981; Misia Sert, Pariser Erinnerungen, Frankfurt a. M. 1989; Arthur Gold/Robert Fizdale, Misia. Muse, Mäzenin, Modell, Frankfurt a. M. 1991. 18 Schuhen, Dandy (wie Anm. 6), S. 330.
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allerdings nicht mit dem Ziel seiner dandyhaften Selbstvermarktung. Die meisten Fotos zeigen die typischen Lebensfragmente, entnommen aus dem so genannten „Familienfotoalbum“: Diaghilew als Gymnasiast oder als Student, Diaghilew mit Strawinsky, Picasso oder Coco Chanel. Daher gründet sich die Wahl der Porträts durch den persönlichen Bezug der Künstler, die ihn porträtiert haben: Walentin Serow und Léon Bakst waren Diaghilews Freunde, Gleichgesinnte und zuletzt Mitarbeiter bei den Ballets Russes, Sergej Lifar war sein letzter Fronttänzer und Schüler, der den Maestro auf die letzte Reise begleitet hat.
Abb. 1: Walentin Serow: Sergej Diaghilew (1904).
Das erste Porträt Sergej Diaghilew (1905) (Abb. 1) stammt von Walentin Serow, einem künstlerisch begabten Wunderkind, das bereits im Alter von sechs Jahren ein Schüler von Ilja Repin wurde. In seiner Arbeit weicht der Künstler überraschenderweise von seinem typisch realistischen Malstil ab. Serow wählte einen neutralen Hintergrund und verzichtete auf die Kontextualisierung der Figur.
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Beim Torso sind seine Pinselstriche energisch und kühn. Der Farbauftrag ist nicht flach, er entwickelt sich zu lebendigen Strichelungen, so dass eine sichtbare Linearität der Pinselführung entsteht. Die Striche bedecken den Torso nur teilweise, sie verflüchtigen sich und verschwinden dann gänzlich, womit sie der Arbeit den Eindruck des Unvollendeten oder des Fragmentarischen verleihen. So lässt sich auch nicht feststellen, welches Oberteil die Figur von Diaghilew trägt. Dem Schnitt und der Farbgebung nach lässt sich vermuten, dass es um das typische russische, weitgeschneiderte Hemd handelt. Serow führt dieses Kleidungsdetail als folkloristisches Element ein, das Diaghilews eigentliche Herkunft akzentuiert. Die gesamte Konzentration des Malers gilt dem Kopf des Impresarios, der seine „Geistesaristokratie“ kennzeichnet und in vielen Beschreibungen seiner Person betont wird. Präzise, sorgfältig und mit flacher Pinselführung gibt Serow die Gesichtszüge wider. Lichteffekten misst er eine große Bedeutung bei: Die lebhaftesten Lichtreflexe erscheinen an der Stirn, an seiner berühmten grauen Haarsträhne und an der Hand. Die Haarsträhne gehörte zu den äußeren Besonderheiten von Diaghilew, wie etwa der unnachahmliche Krawattenknoten von Beau Brummel oder die zitronengelben Handschuhe von Aubrey Beardsley. Diaghilew pflegte sie als etwas äußerst Persönliches, und kokettierte mit ihr: Sie sei ein Symbol für das russische Silberne Alter.19 Obwohl Diaghilew im Jahr 1905 bereits 33 Jahre alt war, speicherte Serow in seinem Porträt keine zeitgemäßen Informationen, sondern die diaghilewsche Charakteristik, die er aus der russischen Provinz nach Sankt Petersburg mitbrachte. Sie wird durch die Erinnerung seines Zeitgenossen André Levinsohn besonders treffend veranschaulicht: Um Alexander Benois versammelt sich eine enthusiastische Gruppe von jungen Russen, die den neuen russischen Zeitgeist, besonders im Bereich der bildenden Kunst, prägt. Diese Gruppe der Kunstliebhaber wurde erweitert: Dimitry Philosophov stellte den Kameraden seinen Vetter vor, aus der Provinz herverschlagen, einen großen pausbäckigen Burschen, zügellos, herrisch, aggressiv, unerschöpflich in kühnen Paradoxen, die er mit größter Grobheit verteidigte. Benois war die Seele des Kreises. Der Neugekommene wurde der Wille und bewegende Kraft der Gruppe, die er in bedeutendes Geschick führte. Der kleine Provinzjunge hieß Sergej Diaghilew.20
Auf dem Porträt kann man seine dunklen, fast südländisch wirkenden Augen, die wulstigen Lippen und üppigen Wangen erkennen, die Serow perfektionistisch wiedergegeben hat. 19 Vgl. John E. Bowlt, Serebrjanyje prjadi, serebrjanyj vek: Sergej Djagilev i estetika modernizma (Silberne Strähnen, Silbernes Alter: Sergej Diaghilew und die Ästhetik der Moderne), in: Katalog „Videnije tanca. Sergej Djagilev i russkije baletnije sezony“, Moskva 2010, S. 57. 20 André Levinsohn, Ballets Russes. Die Kunst des Léon Bakst, Dortmund 1992, S. 38.
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Besonders wichtig erscheint die Frische und natürliche Lebendigkeit, die sein Gesicht ausstrahlt. Dazu gehört ebenso sein lautes, spezifisches Lachen, das viele als sympathisch empfanden, das aber in Sankt Petersburg als „Zeichen der Provinzialität“ abgestempelt wurde.21 1890 ist das Jahr der Ankunft Diaghilews in Sankt Petersburg. Die eigentlichen Gründe, warum Sergej in die Großstadt kam, waren seine Ausbildung und der Wunsch, etwas zu werden. Noch vor dem Jurastudium, das er der Familie zuliebe absolvierte, träumte Diaghilew von der Karriere eines Musikers und Komponisten. Die größte Inspiration dazu war der vergötterte Komponist Pjotr Tschajkowskij, der mit der Familie Diaghilew verwandt war. Als Student ging Sergej im Hause von „Onkel Petja“ ein und aus. Er lernte professionell zu musizieren und gab zu der Zeit bereits ein paar Klavierkonzerte, zu denen in den Zeitungen positive Kritiken erschienen. 1894 machte sich Diaghilew auf den Weg zum Komponisten Nikolaj Rimskij-Korsakov mit der Hoffnung auf Lob, Förderung und schließlich auf eine musikalische Zukunft. Leider sah der Komponist im Klavierspiel des jungen Mannes nicht viel Begabung und wies ihn zurück. Das war der erste Schlag auf Sergejs Ego. Diaghilew, mit einer Hand den Notenblock an die Brust pressend, riss mit der anderen die Tür des Kabinetts auf und rief im Flur vor mehreren Zeugen laut aus: „Die Zukunft wird es noch zeigen, wer von uns wahre Größe besitzt!“22 Der spontane Ausruf gibt Aufschluss über die dominierenden Eigenschaften seiner Person: in ihm offenbart sich einerseits der Wunsch, der Welt der Kunst anzugehören und somit auch einzigartig zu sein, andererseits auch eine Selbstüberschätzung, die mit unkontrolliertem Zorn reagiert, wenn er glaubt, nicht ernst genommen zu werden. Seine Selbstsicherheit, sein unerschütterliches Selbstbewusstsein spiegeln sich in einem Brief wider, mit dem er sich um die Ausrichtung einer Ausstellung skandinavischer Kunst bewarb. Der fünfundzwanzigjährige Impresario schreibt: Anlässlich des Vorschlags des Herrn Sekretär der Gesellschaft für die Förderung der Künste, in der kommenden Wintersaison eine Ausstellung skandinavischer Künstler zu veranstalten, habe ich die Ehre, Ihnen mitzuteilen, dass ich einverstanden bin, die Organisation der erwähnten Ausstellung unter folgenden Bedingungen zu übernehmen: I. Den gesamten künstlerischen Teil der Ausstellung (Auswahl der Künstler und Gemälde, sowie deren Hängung in der Ausstellung) bitte ich ausschließlich mir zu übertragen. II. Die wirtschaftliche Seite des Vorhabens bitte ich aus meinem Aufgabenbereich zu streichen. III. Ich bitte die Gesellschaft, mir die Organisation der Ausstellung zu erleichtern, indem sie die schwedisch-norwegischen und dänischen Regierungen ersucht, mit mir zu kooperieren.
21 Vgl. Černyšova-Melnik, Djagilev, Moskva 2011, S. 37. 22 Černyšova-Melnik, Djagilev, S. 51
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IV. Reisekosten in Höhe von 500 Rubel bitte ich aus den Mitteln der Gesellschaft zu begleichen. Ich wünsche den Betrag als Vorschuss zu erhalten. In Bezug auf die oben dargelegte Angelegenheit bitte ich Sie, sehr verehrter Herr, ergebenst, mich wissen zu lassen, ob der Rat die Zustimmung zu meinen Bedingungen für möglich erachtet.23
Man könnte sagen, dass sich bei Diaghilew schon in jungen Jahren dandyhafte Persönlichkeitszüge herausbildeten, die in weiterem Verlauf seiner Vita immer dominanter wurden. Ein Klassenkamerad erinnert sich: Er war für sein Alter groß und stämmig, sein Kopf war ungewöhnlich groß, sein Gesicht ausdrucksstark. Über sein Alter und seine Schulklasse hinaus war er reif und gebildet. Er wusste Bescheid über Dinge, von denen wir, seine Altersgenossen und Klassenkameraden, keine Ahnung hatten: über die russische und Weltliteratur, über das Theater und die Musik. Er sprach fließend französisch und deutsch, er musizierte. Auch äußerlich unterschied er sich stark von uns. Er war raffiniert und elegant, er hatte etwas Herrschaftliches. Im Unterschied zu uns allen passte die Bezeichnung „junger Herr“ ganz ausgezeichnet zu ihm.24
Schon dieser Erinnerung zufolge kann festgestellt werden, dass nicht nur Diaghilews angeborener Sinn für guten Geschmack und Eleganz, sondern auch seine früh entwickelte intellektuelle Befähigung dazu beitrugen, seine individuelle Überlegenheit zu zeigen und zu sichern. Die Handgestik, die Serow im Porträt mit einem Lichteffekt betont, darf nicht unbeachtet bleiben. Sie gehörte zu den theatralisierten, performativen Akten von Diaghilew, die seinen rhetorischen Ausdruck unterstützte: Beim Gespräch „bewegte [er] ständig seine Hand hin und her, und dazu schnippte er im Takt mit den Fingern.“25 Die juristische Fakultät, an der Diaghilew studierte, genoss große Popularität bei der damaligen „Jeunesse dorée“. Das Jurastudium hatte zwei wichtige Vorteile: Das angesehene Diplom garantierte eine sichere Arbeitsstelle, und das Studium selbst war nicht so streng und fordernd wie an den anderen Fakultäten. Die Zeit an der Universität versprach also viel Muße.26 Und Sergej verstand sie 23 Černyšova-Melnik, Djagilev, S. 58. 24 Černyšova-Melnik, Djagilev, S. 29. 25 Černyšova-Melnik, Djagilev, S. 29. 26 Dass das Jurastudium keinen seriösen Ruf hatte, belegt folgende Anekdote: 1892 kam der russische Schriftsteller Leo Tolstoj mit einer Mission nach Moskau: Er sammelte Spenden für die hungernden Bauern und organisierte kostenlose Armenspeisungen. Nach Moskau zum Treff begaben sich auch beide Vetter – Sergej und Dimitry. Zwischen ihnen und dem Schriftsteller entwickelte sich ein lebhaftes Gespräch. Leo Tolstoj war neugierig, was die jungen Männer machen und welche Ziele sie verfolgen. Auf seine Frage antworteten die beiden, dass sie Jura stu-
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zu nutzen. Es war eine Zeit, in der sich der junge Exzentriker ausschließlich dem Vergnügen widmete. In einem Brief an seine Stiefmutter beschreibt er, wie sein Alltag üblicherweise aussieht. Er erwähnt, dass er viel lese und noch mehr singe, dass er Klavier vierhändig spiele (meistens mit seinem Freund Walter Nouvel). Zu Mittag sei er selten zu Hause: zwei-, dreimal esse er bei der Familie Filosofov, einmal bei der Familie Michalzov. Er erzählt ebenso von seinen literarischen Vorlieben: er lese die Klassik – Émile Zola und hätte Ibsen für sich entdeckt.27 Man darf die Tatsache nicht ignorieren, dass einer der Gründe, warum Diaghilew gegen seinen Willen an der Universität studierte, sein Streben nach „Husarentum“, nach äußerem Schick war, den die elegante, modisch geschneiderte Uniform bot. Ihm war aber auch klar, dass diese Uniform ungeachtet des eleganten Schnitts etwas Schablonenhaftes, Genormtes verkörperte, was seine eigene Individualität unterdrückte. Sie gehörte zur Normalität und zum Alltag eines jeden Studenten, wogegen sich das ganze Wesen von Diaghilew wendete. Während des Jurastudiums unternahm der junge Müßiggänger zwei große Reisen ins Ausland (1890 und 1895), in denen er wichtige Impulse für kreative Arbeit empfing. In den kulturellen Zentren Europas (in Österreich, Deutschland, Italien, in der Schweiz) eignete er sich solide Kenntnisse der Europäischen Kunstgeschichte an. Auf diesen Reisen lernte er nicht nur bekannte Künstler wie Aubrey Beardsley und Jacques-Emile Blanche kennen, sondern gab sich auch der Kunst der Selbstdarstellung hin. Alexander Benois erinnert sich: „[…] übernachtete er nur in den besten Hotels, durch die Stadt fuhr er in geschlossener Equipage, kleidete er sich elegant, trug ein Monokel, das er überhaupt nicht brauchte, und von seinem Zylinder trennte er sich niemals.“28 Diaghilews Dandysmus zeigt sich verstärkt auch in seinem verschwenderischen Lebensstil. Dies belegt eine weitere Erinnerung von Benois: „Außerdem feierte er jeden Erwerb von Bildern oder Antiquitäten mit üppigen Mahlzeiten in Restaurants, und selbstverständlich nicht alleine, sondern im Kreis neuer Freunde und Gleichgesinnter. Kein Wunder, dass sein Erbe bloß für drei Jahre ausreichte.“29 Nach den Reisen durch Europa mietete Diaghilew eine Wohnung in zentraler Lage von Sankt Petersburg und stattete die Zimmer mit alten italienischen Möbelstücken aus, die er in Europa erworben hatte. Die Wohnung, die auch zum neuen Treffpunkt für Kunstliebhaber wurde, schmückte er mit Arbeiten von Aubrey Beardsley, Toulouse-Lautrec und anderen. dieren. Darauf Leo Tolstoj: „Also, ihr macht gar nichts.“ Černyšova-Melnik, Djagilev, S. 52f. 27 Vgl. Černyšova-Melnik, Djagilev, S. 48. 28 Černyšova-Melnik, Djagilev, S. 55. 29 Černyšova-Melnik, Djagilev, S. 55.
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Abb. 2: Léon Bakst: Sergej Diaghilew und seine Kinderfrau (1904-1906).
Das zweite Porträt Diaghilew und seine Kinderfrau (1904–1906) (Abb. 2) stammt von Léon Bakst. Der Künstler malte ein Ganzfigurenporträt im Stil „uomini famosi“ des humanistisch geprägten Bildes der wichtigen Männer sowie des höfischen Repräsentationsbildnisses. Besonders auffällig ist die Aufteilung des Bildraumes: Er wird deutlich in Hintergrund und Vordergrund geteilt und weist dadurch eine interessante Ambivalenz auf. Im Hintergrund sehen wir seine Kinderfrau, die so genannte „Njanja“, namens Arina Radionovna. Sie erscheint im
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Bild als eine echte Vertreterin des einfachen Volkes: ein altes, runzeliges Gesicht, dunkle, bescheidene Kleidung, eine Haltung der Erschöpfung.30 Im Vordergrund, distanziert von der Kinderfrau, beinahe mit dem Rücken zu ihr, steht die majestätische, elegant wirkende Figur von Diaghilew. Die standesbewusste Haltung erinnert an den repräsentativen Charakter der Herrscherporträts. Der räumliche Abstand zwischen den beiden Figuren im Bild entwickelt eine symbolische Bedeutung, die man als Kluft zwischen Russland und dem Westen verstehen kann. Einerseits geht es dabei um Diaghilews Hingabe an die Kultur seiner Heimat, um deren Verbreitung und Vermittlung im Westen. Darauf deutet auch das Zusammensein von ihm und seiner Kinderfrau in einem Raum an. Andererseits zeigt sich durch den Abstand die allmähliche Distanzierung des Impresarios von Russland, begründet durch seine gescheiterten Versuche, die russische Kultur aus ihrem lethargischen Schlaf zu wecken und aus der Stagnation zu reißen.31 Die Ambivalenz nimmt auch der russische Symbolist Andrej Bely in den Blick, indem er in Bezug auf Diaghilews Porträt schreibt: […] hervortrat die vom Gesichtspunkt der Farbe und der Graphik herrliche Figur Diaghilews; ich habe ihn nach dem Portrait erkannt, an der kokett aufgetürmten, von einer weißen Strähne durchzogenen schwarzen Haarwelle und an dem rosafarbenen, herausfordernd bartlosen, wie ein Brötchen knusprigen Gesicht, eigentlich einer „Schnauze“, die bereit ist, berückend zu strahlen und in der eisigen, beleidigenden Pose eines Vicomte zu erstarren: Sie mit einem Ruck seiner Locke wie ein Staubkorn von oben nach unten zu schleudern. Ich war über die Raffinesse verwundert: eine Mischung aus Flegel und Charmeur, aus Lakai und Minister. […] ein bedeutungsvolles Zurückwerfen der silbrigen Locke, wie im Menuett gleitende Schrittchen, mit lautlosem Schurren der Schuhe, Lackschuhe. Was für eine Weste! Was für eine Art, die raffinierte Krawatte zu binden und zu durchstechen! Was für blendend weiße, alabastergleiche, kaum sichtbare Manschetten! Das Aussehen eines Viehs […], wenn nicht eines Schauspielers, der durch die Haut der heutigen Geschmäcker die von morgen und übermorgen ertastet, um in jeder beliebigen Minute den eigenen heutigen Geschmack zu kastrieren und dazustehen: im eigenen morgigen.32
30 „Die Kinderfrau begleitet Sergej nach Sankt Petersburg und gibt sich ihren früheren Aufgaben weiter hin: Sie achtet darauf, dass Sergej genug Hemden hat, und dass die Ärmel dieser Hemden die richtige Länge haben. Zu ihren Aufgaben gehörte es, Marmeladen zu kochen, die in Russland zum traditionellen Teetrinken serviert wurden.“ Černyšova-Melnik, Djagilev, S. 47. 31 Zu erwähnen sind in diesem Kontext seine Polemiken gegen die russische realistische Ästhetik des frühen 19. Jahrhunderts, seine Versuche in Russland, die innovative Ballettkunst, in der er den Folklorismus mit der Avantgarde verschmelzen ließ, zu zeigen. 32 Černyšova-Melnik, Djagilev, S. 61. Die Übersetzung des Zitats von Ada Raev, Zum choreographischen Ansatz in den Kostümentwürfen von Léon Bakst und seinen Folgen, in: Claudia Jeschke [u. a.] (Hrsg.), Spiegelungen. Die Ballets Russes und die Künste, Berlin 1997, S. 61f.
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Auch Guillaume de Sardes betont eine deutliche Dualität in Diaghilews Person: „[…] autoritär aber gütig, hässlich aber anziehend. Man konnte ihn mit König Fuad vergleichen: Er strahlte dieselbe orientalische Opulenz aus und hatte denselben tyrannischen Blick.“33 Das in vielen Texten mehrmals angeführte Zitat aus dem Essay Über das Dandytum und über George Brummel von J. Barbey d’Aurevilly beleuchtet die Essenz des Dandywesens: „Das Dandytum ist eine ganze Art zu sein, und zwar nicht nur im Bereich des Sichtbaren … Ein Anzug bewegt sich ja nicht allein! Im Gegenteil! Erst eine bestimmte Art, ihn zu tragen, bringt das Dandytum hervor.“34 Diese „Rezeptur“ gehörte auch zum alltäglichen Verhalten von Diaghilew. Er beschränkte sich nicht auf einen bloß äußerlichen Look, sein guter Geschmack, sein Gespür für Ästhetik, seine Eleganz und Anmut in Verbindung mit Scharfsinnigkeit spiegelte sich in seinem ganzen Wesen wider. Allerdings war Diaghilew kein Modediktator, er reformierte die männliche Mode nicht, sondern er bediente sich bei den importierten Dandy-Vorbildern aus dem Westen. Diaghilews Zylinder, seine makellosen Visitenkarten und „Westony“35 registrierten die Petersburger nicht ohne spöttischen Neid. Er benahm sich geckenhaft und ungeniert und produzierte sich regelrecht in seinem Dandytum. In den Manschetten trug er ein seidenes, parfümiertes Taschentuch, das er kokett herauszog, um sich seinen sorgfältig gestutzten Schnurrbart abzutupfen. Wenn sich eine Gelegenheit bot, gab er in voller Absicht Frechheiten von sich, ohne allerdings, à la Oscar Wilde, Rücksicht auf die „Vorurteile“ der Wohlanständigkeit zu nehmen; zum Ärger der Tugendwächter hielt er mit seinem so ungewöhnlichen Geschmack nicht hinterm Berge.36
Léon Bakst zeigt im Porträt Diaghilews kräftige Statur, die eigentlich den filigranen, anämisch und feminin wirkenden Vorbild-Dandys entgegensteht. Die wenig vorbildliche Figur wird aber wettgemacht durch die Art, sich zu kleiden: Echte Eleganz gepaart mit Einfachheit. Eine absolute Einfachheit à la Beau Brummel wäre für einen russischen Dandy wahrscheinlich unvorstellbar. Seinen übersteigerten Hang zum Individualismus präsentierte Diaghilew mit unerwarteten 33 Guillaume de Sardes, Vorwort zu Sergej Diaghilew. Apologie der Avantgarde. Memoiren aus dem Nachlass, Mainz 2009, S. 8 34 J. Barbey d’Aurevilly, Über das Dandytum und über George Brummel, Berlin 2006, S. 27. 35 Im russischen Text wird das Wort „Westony“ verwendet, zu dem keine entsprechende Übersetzung existiert. Im Text gibt es aber zu dem Wort folgende Erklärung: „Der Rock aus Krepp, Flausch oder Samt, mit Besätzen an den Aufschlägen. Das Revers ist ohne Seide. Zu ,Westony‘ gehören ebenso gestreifte Stresemann-Hosen, eine schwarze oder farbige zweireihige Weste mit Besatz, sowie schwarze oder Lackschuhe.“ 36 Wajnštejn, Dendi, S. 517.
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Details, die sein Outfit verfeinerten, gleichzeitig aber verfremdeten. Zu solchen Details gehörte der mit Gold bestickte Rock, der den einfachen Frack ersetzte, sein Monokel und vor allem ein elegantes, weibliches Fernglas aus Perlmutt, das mit einem kleinen, dünnen Stab versehen war. Mit derartigen Accessoires betonte der Impresario nicht nur sein Bedürfnis, Aufsehen zu erregen, sondern auch seine Art, sich von der Masse abzuheben. Dafür bekam er das Etikett eines Ästheten und Snobs.37 Weitere Ingredienzien seines Dandytums – wie er die Toiletten wechselte, wie viel Zeit er vor dem Spiegel verbrachte – bleiben in den biografischen Quellen unerwähnt. Zur Zeit der Entstehung des Porträts von Léon Bakst war Diaghilews Mußezeit schon längst zu Ende. Sie dauerte ja auch nicht lange, denn das Nichtstun ödete ihn an. Seine Kenntnisse der Kunstgeschichte, die er in Europa erworben hatte, seine Energie investierte er in erster Linie in die von ihm gegründete Zeitschrift Mir Iskusstva (Welt der Kunst), die einzige ernst zu nehmende russische Kunstzeitschrift. Er formierte mit Mir Iskusstva eine neue Philosophie der russischen Künste der Moderne, die auch das Verhältnis zum Westen veränderte. Er setzte der russischen realistischen Ästhetik des 19. Jahrhunderts den Gedanken künstlerischer Autonomie und Eigengesetzlichkeit entgegen, unter Beachtung der Originalität und individuellen Züge des Kunstwerks und in Verbindung mit technischer Perfektion. Da nach Diaghilew „alle Kunststile dasselbe Recht zu existieren haben“ reichte das Spektrum von den realistischen Gemälden von Serow und Lewitan, über die impressionistischen Landschaften von Korovin und die symbolistischen Phantasien eines Wrubel bis zu den Vergangenheitsträumen von Somow.38 Schon früh wurde Diaghilew klar, dass er keine ausgeprägte künstlerische Begabung besaß, sondern dass seine Sache die Ermöglichung, Begleitung und Vermittlung der Kunstproduktion anderer war. Mehrere Ausstellungen, die er im Rahmen der Kunstzeitschrift kuratierte, verschafften ihm rasch den Ruf eines glänzenden Organisators, der mit Geschick und Überzeugungskraft seine Begeisterung für die zeitgenössische Kunst auf Mäzene und Gönner zu übertragen vermochte. In einem Brief an seine Stiefmutter gibt Diaghilew folgende Charakteristik von sich selbst: Ich bin erstens: ein Scharlatan, aber voller Feuer – zweitens: ein großer Charmeur – drittens: ein frecher Kerl – viertens: ein Mensch mit viel Logik und wenig Skrupeln – fünftens: einer, der krankt, so scheint es, an einem totalen Mangel an Talent. Außerdem glaube ich,
37 Vgl. Černyšova-Melnik, Djagilev, S. 98. 38 Vgl. Andreas Wehrmeyer, „… Ein neues Wort in der europäischen Kunst …“ Sergej Diaghilew als Vermittler und Propagandist russischer Kultur, in: Schwäne und Feuervögel. Die Ballets Russes 1909–1929, hrsg. vom Deutschen Theatermuseum, München 2009, S. 153.
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meine wahre Bestimmung gefunden zu haben: das Mäzenat. Dafür bringe ich alles mit, ausgenommen Geld – aber das wird kommen!39
Mehrmals wird in den Quellen über die Dandys betont, dass jede Tätigkeit, die über die Selbstdarstellung und kunstvolle Inszenierung des Lebens hinausgeht, das wahre Dandytum zerstört. Es gab viele Künstler-Dandys oder SchriftstellerDandys, die den Formalkult und das Formgesetz künstlerischen Schaffens vereinbaren wollten. Durch seine leidenschaftliche Hingabe an die Kunst und seine Aktivitäten unterschied sich Diaghilew ebenfalls von dem idealtypischen Konzept des Dandys. Er versuchte aber, den Aufwand, den ihm sein Kuratorium bereitete, mehr oder weniger zu verstecken. Demzufolge kennzeichnete den Impresario die bereits erwähnte körperliche Ambivalenz: Auf der einen Seite stand der reale, arbeitende, etwas schaffende Mensch, auf der anderen Seite – der zur Schau gestellte, verfeinerte Körper. Dies belegt die Erinnerung einer Zeitgenossin, die den Impresario bei der Vorbereitung einer Ausstellung beobachtete: Die Vorbereitungen einer Ausstellung waren sehr anstrengend, alle waren in Eile. Wie ein Wirbelsturm läuft Diaghilew in der Ausstellung umher und schafft alles. Nachts geht er nicht schlafen, er legt seinen Rock ab und schleppt zusammen mit den Arbeitern Bilder, öffnet weitere Kisten, hängt die Bilder an die Wände – im Staub, aber glücklich, alle drum herum mit seinem Enthusiasmus ansteckend. Erst mit der Morgenröte kommt er nach Hause, nimmt ein Bad, zieht sich elegant, modisch an, wie ein echter Dandy, und erscheint als erster in der Ausstellung. Alle wunderten sich: als ob der Impresario keine schlaflose Arbeitsnacht gehabt hätte. Sein volles, rosiges Gesicht strahlte Energie aus, und in den dunklen, braunen Augen war Weisheit. Die dunklen, glatten Haare waren sorgfältig gekämmt und durch einen Scheitel geteilt. Eine silberne Strähne stach hervor, die seiner Erscheinung einen einzigartigen Charme gab.40
Auch später in Europa verbrachte er lange Nächte in den Bibliotheken auf der Suche nach neuen Motiven, nach verblüffenden Besonderheiten in der Musikoder Kunstwelt.41
39 Die Übersetzung von Eva-Elisabeth Fischer, Nachwort zu Levinsohn, Ballets Russes, S. 163. 40 Černyšova-Melnik, Djagilev, S. 67. 41 So entdeckte er z. B.: Michel Pignolet de Monteclair (1667–1737), der als erster einen dreisaitigen Kontrabass ins Orchester eingeführt hatte, und der Diaghilew auf die Idee des Balletts Die Versuchung einer Hirtin brachte.
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Abb. 3: Serge Lifar: Sergej Diaghilew (1972).
Das dritte Porträt Sergej Diaghilew (1972) stammt von Sergej Lifar. (Abb. 3) Lifar entschied sich für eine einheitliche Monochromie im Hintergrund und in der Farbgebung des Gesichts. Es lässt sich vermuten, dass das Blau bewusst gewählt wurde: Blaues Blut in den Adern zu haben, bedeutet im Russischen, dem Adel, der Aristokratie anzugehören, was im Fall von Diaghilew stimmte. In avantgardistischem Stil gibt Lifar die wesentliche Dandy-Attributik wider: die graue Haarsträhne, den makellos gestutzten Schnurrbart, das Monokel und den Pelzkragen des Mantels. In groben Zügen betont er die Einzigartigkeit des gewaltigen Kopfs, der so erstaunliche Ähnlichkeit mit dem Haupt Peters I. aufweist.
Der russische Dandy in Paris Die Pariser Saisons von Diaghilew begannen nicht 1909, wie es in den offiziellen kulturgeschichtlichen Quellen steht, sondern drei Jahre früher, wie seine Notizen belegen: 1906 stellte Diaghilew in Paris eine umfassende Retrospektive russischer Malerei vor; 1907 begeisterte er das Pariser Publikum mit einem fünfteiligen Zyklus russischer Konzertmusik; 1908 bereitete er ein anspruchsvolles Projekt vor, nämlich die prachtvolle Inszenierung von Mussorgskys Oper Boris Godunov. Danach folgten 60 Premieren in 20 Jahren, und von der ersten Saison an begleitete ihn der Erfolg. Was war sein Wunsch? Welches Ziel verfolgte er?
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Drei bestimmte Sachen: Russland für Russland entdecken; Russland für die ganze Welt entdecken; eine neue Welt für sich selbst entdecken. Und dies alles mit Hilfe einfacher, direkter, leichter Mittel: durch die Musik, Malerei; erst später wagte er hinzuzufügen – durch den Tanz. Was wollte er nicht? Dass Russland als merkwürdiges, exotisches Land empfunden wird, das dem westlichen Blick nichts außer einem malerischen Basar anbieten kann.42
Die neue Welt, über die Diaghilew sprach, war die Sehnsucht nach dem großen Traum von Richard Wagner, nach der Idee der Einheit der Künste, dem Gesamtkunstwerk. Der Impresario rühmte die wagnersche synästhetische, bildschöpferische Qualität der Musik, die sowohl zur akustischen als auch zur optischen Wahrnehmung anregte.43 So schuf Diaghilew im Rahmen der Ballets Russes einen Schmelztiegel aus Tanz, Bildern und Musik, wobei jede Kunstart gleichrangige Autonomie gewann. So wirkte die Musik nicht nur als akustischer Hintergrund oder als Ausdruck der Emotionalität, sondern auch als kompositionell strukturbildendes Element. Die bildende Kunst wirkte bei räumlichen Bedingungen für die Erfüllung der darzustellenden dramatischen Handlung mit, sie orientierte sich nicht nur an dem Sujet, sondern auch an dem Tanzvokabular und an der Musik. Eine derartige Wahrnehmungsintensität überraschte und überwältigte zugleich die Zuschauer. Ein Augenzeuge schrieb über die Reaktion des Publikums folgendermaßen: „Ich habe niemals ein Publikum in einem solchen Zustand gesehen, man hätte glauben können, es sei Feuer unter den Sitzen ausgebrochen.“44 Harry Graf Kessler, der sich als engagierter Kunstförderer und -vermittler im Europa der Vorkriegszeit einen Namen gemacht hatte, verfolgte die Vorstellungen der Ballets Russes von der ersten Pariser Saison im Jahr 1909 an. Er schrieb: „Alles in Allem [ist] dieses russische Ballett eine der merkwürdigsten und wertvollsten künstlerischen Erscheinungen unserer Zeit; Leidenschaft und Raffinement, wie sie sonst nicht zusammen vorkommen.“45 Auch Marcel Proust, der Autor von Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, war häufiger Gast bei den Aufführungen von Ballets Russes und maß dem Impresario eine wichtige Bedeutung bei: Ein Manager […] bescheiden in dem, was seine wirkliche Überlegenheit betraf und doch von ganz erstem Rang, wußte […], Virtuosität in den Dienst eines vielfältigen und sie noch verzehnfachenden Kunstsinns zu stellen. Man denke sich einen zunächst nur besonders geschickten Künstler des russischen Balletts, der von Diaghilew in die richtige Form gebracht, trainiert und nach allen Richtungen hin entwickelt worden ist.46
42 Serge Lifar, Djagilev i s Djagilevym (Diaghilew und mit Diaghilew), Moskva 2005, S. 248–249. 43 Vgl. Selfira Tregulova, Delo Djagileva (Der Fall Diaghilew), in: Videnije tanca, S. 48. 44 Eva-Elisabeth Fischer, Nachwort zu Levinsohn, Ballets Russes, S. 166. 45 Tagebuch von Harry Graf Kessler, Deutsches Literaturarchiv Marbach, 4. 6. 1909. 46 Marcel Proust, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, Bd. 7. Sodom und Gomorra II, Frankfurt a. M. 1979, S. 2461.
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In einem Brief an den Komponisten Reynaldo Hahn schrieb Proust (1911): „In Figaro habe ich eine Anzeige über den Empfang, gegeben von Herrn Diaghilew, gesehen … Richten Sie dem Bakst aus, dass ich ein bezauberndes Erstaunen empfinde, indem ich nichts Schöneres als Schéhérazade kenne …“47 Es bedarf keiner weiteren Erklärung, dass die gesellschaftliche Missachtung oder Ignoranz dem Dandy viel Schaden zufügen würde. In diesem Sinn war Diaghilew keine Ausnahme. Sein Dandywesen verlangte nach Bewunderung, allein der Erfolg seiner Ballets Russes reichte ihm nicht, er sehnte sich nach Sensationen und Skandalen, die er dank seiner Tänzer, Bühnenausstatter und anderer Mitarbeiter provozieren konnte. Zu solchen Sensationen gehörte das unnachahmlicher Sprungwunder von Waclaw Nijinsky in Le Spectre de la Rose (Der Geist der Rose, Premiere 1911). Der Fronttänzer, der das Phantom der Rose spielte, entwickelte einen verdoppelten Sprung, dessen Ende nicht wahrnehmbar war. Im Bildrahmen des Fensters blieb der fliegende Körper in einem unendlichen Sprung stehen und landete dann hinter den Kulissen. Seine Tanzpartnerin Tamara Karsawina konnte Nijinsky von der Bühne aus beobachten: „Er hob ab, beschrieb dabei eine parabolische Bahn in der Luft und war den Blicken entschwunden. Niemand im Publikum konnte sehen, wie er wieder auf dem Boden aufkam. Vor aller Augen hatte er sich in die Luft geschwungen und war verschwunden. Wie ein Orkan brach der Beifall los.“48 Eine besonders exakte und emotional geladene Beschreibung des Sprungs von Nijinsky stammt von dem österreichischen Maler Oskar Kokoschka: Man gab an dem Abend „Le Spectre de la Rose“ mit Nijinsky in der Hauptrolle, ein für mich einmaliges Erlebnis, das ich nie vergessen konnte. Nicht wegen der in Wien ungewohnten Modernität der tänzerischen Darbietung eines Ensembles, Dekoration, Motiv und Orchestration, sondern vor allem, weil da vor meinen Augen etwas geschehen war, was einer Erklärung gemäß rationellem Denken in einer Zeit, die nicht länger an Wunder zu glauben fähig ist, gar nicht geschehen konnte. Es wird immer ein Geheimnis bleiben, wieso dort auf der Bühne aus einer Gruppe kostümierter Menschen ein Wesen, sichtbar ohne Anstrengung und Anlauf, in die Luft sich erhob, in der Luft schwebte, sozusagen in Überwindung der physikalischen Gesetze, und im Dunkel der Kulissen verschwand. Ich konnte es nicht begreifen.49
47 Černyšova-Melnik, Djagilev, S. 191. 48 Tamara Karsavina, Theaterstreet. London 1981, S. 235. Zit. nach Gabriele Brandstetter, Anhaltende Bewegung. Nijinskys Sprung als Figur der Undarstellbarkeit, in: Hugo von Hofmannsthal, Jahrbuch zur europäischen Moderne, Freiburg 9/2001, S. 175. 49 Oskar Kokoschka, Brief an Romola Nijinsky, Villeneuve, 30. November 1973. Zit. nach dem Abdruck in: Jean-Michel Nestoux (Hrsg.), Mallarmé, Debussy, Nijinsky, de Meyer. Nachmittag eines Fauns. Dokumentation einer legendären Choreographie, München 1989, S. 44.
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Zu erwähnen wäre auch der Skandal um das Ballett L’apres-midi d’un faune (Nachmittag eines Fauns, Premiere 1912), in dem Nijinsky als Choreograf debütierte. Nijinsky benötigte ein gesamtes Jahr zur Entwicklung des völlig neuartigen Bewegungskonzepts unter exakter Festlegung jeder kleinsten Bewegung. Das war eine absolute Abkehr von den gewohnten klassischen Posen, von Mimik und Figuren. Es waren jedoch nicht so sehr der primitivistische Eindruck und die vollkommen neuartigen, vereinfachten, kubistisch wirkenden Bewegungen, die dem Ballett den Skandal brachten. Vielmehr war es die Neuinterpretation der Schlussszene, in der Nijinsky als Faun den von einer Nymphe hinterlassenen Schal liebkoste und dabei einen symbolischen Liebesakt inszenierte. Angesichts der Verständnislosigkeit und des Erstaunens in den Gesichtern der Zuschauer bat Diaghilew die Truppe, das Stück noch einmal zu wiederholen. Nicht zu vergessen ist auch das Ballett Parade (Premiere 1917), mit dem Léonide Massine, der zweite Fronttänzer der Truppe, Jean Cocteau als Librettoautor, Eric Satie als Komponist und Pablo Picasso als Bühnenbildner noch einen Skandal inszenierten, welcher für den Ruhm der Ballets Russes sorgte. Mit riesigen Figuren von Managern, kreiert aus collagenartigen Materialien, inszenierte Pablo Picasso den Kubismus auf der Bühne. Die Musik von Eric Satie, die als eine Tanzsuite mit Jazz- und Geräuschelementen, und die Choreografie von Massine gaben Parade einen avantgardistischen Anstrich und bewegten das Publikum und die Presse zum Widerstand. Zu erwähnen wären auch Petrouchka (Petruschka, Premiere 1911, Neuaufführung von Léonide Massine 1916), das von der tragischen Liebe einer halbmenschlichen Puppe zu einer Ballerina erzählte, Le Coq d’Or (Der goldene Hahn, Premiere 1914) mit verblüffenden, folkloristisch durchtränkten Bühnenbildern von Natalja Gončarova, Le Tricorne (Der Dreispitz, Premiere 1919), an dessen Choreografie der Tänzer Felix Fernández García mitwirkte und somit die spanische Authentizität in die Aufführung einbrachte, Le Sacre du Printemps (Das Frühlingsopfer, Premiere 1913, Neuaufführung von Léonide Massine 1920) und viele andere.
Bereich des Eros Ungeachtet Diaghilews Orientierung am Ästhetischen, seiner Selbstbezüglichkeit und dandyhafter Pflege, was typischerweise der Effeminiertheit zugeschrieben wurde, blieb der Impresario dem alten aristokratischen Männlichkeitsmodell, d. h. der phallogozentrischen Männlichkeit, treu. Sein Geschmack und seine Vorlieben im privaten Bereich richteten sich aber auf das neue, dekadente Körperideal, das während des Fin de Siècle und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhun-
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derts als „androgyn“ bezeichnet wurde. Das waren in der Regel jugendlich wirkende, schlanke, „knabenhafte“ Männer, deren körperliche Zartheit und Anmut als Spiegelbild einer inneren Sensibilität, eines geheimnisvollen, ästhetisierten Zwei-Geschlechter-Modells fungierten und die im Milieu homophobe Reaktionen provozierten.
Abb. 4: Waclaw Nijinsky als geliebter Sklave im Schéhérazade (1911).
Betrachtet man die Fronttänzer der Ballets Russes – Waclaw Nijinsky (Abb. 4), Léonide Massine50 (Abb. 5), Anton Dolin51 (Abb. 6), Sergej Lifar (Abb. 7) – näher, so entdeckt man, dass sie die historisch-kulturelle Ausprägung des geschlechtlichen Dualismus ausstrahlen und sich perfekt in die Galerie der so genannten 50 Den eigentlichen Familiennamen des Tänzers – Mjasin – hat Diaghilew 1916 der französischen Schreibweise und Aussprache angepasst – Massine. 51 Der wirkliche Name des englischen Balletttänzers war Sydney Francis Patrick Chippendall Healey-Kay.
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„Tadzios“ einreihen. Allerdings beschränkte sich der von Diaghilew bevorzugte androgyne Männertyp nicht nur auf die spezifische äußerliche Erscheinung, seine Faszination wurde durch das in diesem Typ beruhende Geheimnis verstärkt: „Der Reiz des Androgynen stammt aus der Ungewissheit, aber es ist eine Ungewissheit, die sich stets in eine bestimmte Richtung hin auflösen lässt: eine Frau mit jünglingshaften Zügen, ein Jüngling mit weiblichen Zügen.“52
Abb. 5: Léonide Massine als Joseph im Josephslegende (1914).
52 Gertrud Lehnert, Androgynie und Mode, in: Androgynie. Vielfalt der Möglichkeiten. Jahrbuch für Frauenforschung 1999, hrsg. v. Ulla Bock und Dorothee Alfermann , Stuttgart/Weimar 1999, S. 119.
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Abb. 6: Anton Dolin als Bursche im Der blaue Express (1924).
Abb. 7: Serge Lifar als Boreas im Zephyr und Flora (1925).
Eine treffende Beschreibung des Äußeren von Nijinsky stammt wiederum von Oskar Kokoschka. Bei einer Einladung zur Dinner kam der Künstler neben Nijinsky zu sitzen und betrachtete den Tänzer:
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[…] das Gesicht fast noch knabenhaft, der Oberkörper gleichfalls zart und ephebenhaft. Da ließ ich absichtlich meine Serviette fallen und berührte seinen Oberschenkel. Ich hätte meinen müssen, er wäre der eines Kentauren, kein menschliches Wesen länger. Ein Unterleib aus Stahl!53
Es überrascht auch nicht, dass Harry Graf Kessler Nijinsky als Apollo-Modell für das Nietzsche-Denkmal in Weimar vorgesehen hatte. Dem kunstorientierten Förderer waren die androgynen Apollo-Darstellungen in der Kunstgeschichte wohl bekannt. Anscheinend hat er die apollinische Annäherung beider Geschlechter in der Körperlichkeit von Nijinsky entdeckt: „[…] Nijinsky männlich, aber schön wie ein griechischer Gott.“54 Die Instabilität der Gender verstärkte sich durch die Kunst des Balletttanzes, die seit jeher als weibliche Domäne erschien. Die mythologisierte romantische Ballerina, die die Bühnen der bekanntesten Metropolen beherrschte, wurde allmählich entthront und als abstrakte, asketische, androgyne Schönheit in den Hintergrund gerückt. Diaghilew veränderte die Kunst der Terpsichore, indem er in den Mittelpunkt den Ballerino setzte, der sich am Stoff der Weiblichkeit erneuerte und bereicherte, und dessen ambivalente Körperlichkeit zum Ort des Betrachtetwerdens und zur Projektionsfläche für den erotischen Blick wurde. Einen besonderen Ausdruck in dieser Hinsicht präsentierte Waclaw Nijinsky. Im Spectre de la Rose verkörperte er eine männliche Elfe, die im Kostüm aus stilisierten Rosenblättchen, mit mädchenhaft geschminktem Gesicht und bescheidenem, zugleich aber kokettem Gesichtsausdruck spielte. Die von Léon Bakst entworfenen Haremshosen und ein juwelenbesetzter männlicher „Büstenhalter“ im Schéhérazade verwiesen ebenso auf weiblich konnotierte Kleidungsstücke. Nijinsky trat als goldener Sklave auf und stellte eine panthergleiche Eleganz vor, die die klaren, eindeutig einem Geschlecht zugehörigen Zeichen, verwirrte. Ursprünglich beabsichtigte Nijinsky, seine Rolle im Jeux auf Spitzenschuhen zu tanzen, wie die Frauen. Diese fesselnde Idee, die die Geschlechterkonventionen noch stärker destabilisiert hätte, faszinierte Diaghilew, der in einem Brief an Claude Debussy erklärte: „[…] vieles auf Spitze für alle Drei. Großes Geheimnis – denn bis heute hat niemals ein Mann auf Spitze getanzt. Er würde der erste sein, der das tut, und ich glaube, es wäre sehr elegant.“55 53 Oskar Kokoschka, Brief an Romola Nijinsky, S. 44. 54 Ursel Berger, Le Modèle idéal? Nijinsky, Maillol, Rodin und Graf Kessler, in: Claudia Jeschke [u. a.] (Hrsg.), Spiegelungen. Die Ballets Russes und die Künste, Berlin 1997, S. 16. 55 Vgl. Nancy van Norman Baer, Die Aneignung des Femininen. Androgynität im Kontext der frühen Ballets Russes 1909–1914, in: Spiegelungen, S. 40–53. „Nijinsky in der Rolle eines Sklaven zu besetzen, stieß in dem homosexuellen Milieu, das die Ballets Russes umgab, auf Resonanz, genauso wie die Interpretation der Zobeide durch Ida Rubinstein in lesbischen Kreisen. Nijinskys
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Die doppeldeutige Erotisierung des Männlichen durch das verweiblichte Kostüm und Bewegungsvokabular wurde zu Beginn der technischen Ära durch den sportlichen hübschen Kerl à la Sergej Lifar ersetzt, der als Tennisspieler im Der blaue Express oder als Matrose im Die Matrosen brillierte. Der Ersatz der sozialdefinierten Geschlechtlichkeit durch die Androgynie verhalf den Ballets Russes zum Erfolg, allerdings auch zum Ruf des „homoerotischen Balletts“.56 Bekanntlich standen die Homosexualität und das Dandytum in enger Verbindung. Die Liebe, die in diesem Jahrhundert ihren Namen nicht nennen darf, das ist eine so große Zuneigung eines älteren Mannes zu einem jüngeren, wie sie zwischen David und Jonathan, wie sie Plato zur Grundlage seiner Philosophie machte und wie wir sie in den Sonetten Michel Angelos und Shakespeares finden.57
Die von Magnus Hirschfeld oft zitierte Passage diente Oscar Wilde als Antwort auf die Frage seiner Richter nach der Liebe, „that dare not speak its name“. Diese Passage könnte auch für Diaghilews Rechtfertigung seiner Vorlieben dienen, denn tatsächlich rühmte der Impresario den Entwurf der platonischen Liebe. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass bei Plato der männlichen Homosexualität die ranghöchste Stellung zukommt. Plato betont die geistige Fähigkeit der Männer dieser Art, begründet und rechtfertigt die Homosexualität selbst.58 Diaghilew versuchte Bakst davon zu überzeugen, dass es keinen wirklichen Künstler ohne die Charakteristika beider Geschlechter geben könne, dass fast alle großen Genies der Vergangenheit homo- oder zumindest bisexuell gewesen seien. Normale Liebe war nach Ansicht Diaghilews lediglich die Notwendigkeit, die Art fortzupflanzen – ein Naturtrieb, ein animalischer Vorgang bar aller Schönheit und entwürdigend für alle, die nach geistigem und ästhetischem Genuss verlangten. Die gleichgeschlechtliche Liebe dagegen, selbst wenn die beteiligten Personen ganz gewöhnliche Menschen waren, sei gerade wegen der Gleichheit der Naturen und des Fehlens eines vorgegebenen Unterschiedes schöpferisch und künstlerisch. 59 Partnerin Rubinstein, die schlanke und wie eine Statue wirkende Tänzerin (sie war über 1, 80 groß!) wurde sofort zu einer Ikone der Begierde zur Paris-Lesbos, einer kulturellen Domäne, die von äußerst profilierten Lesbierinnen wie Natalie Barney, Djuna Barnes, Romaine Brooks und Liane de Pougy besiedelt war.“ Norman Baer, Die Aneignung des Femininen, S. 44. 56 Norman Baer, Die Aneignung des Femininen, S. 44. 57 Marita Keilson-Lauritz, Ganymed trifft Tadzio. Überlegungen zu einem Kanon der Gestalten, in: Gerhard Härle [u. a.] (Hrsg.), Ikonen des Begehrens. Bildsprachen der männlichen und weiblichen Homosexualität in Literatur und Kunst, Stuttgart 1997, S. 26. 58 Vgl. Plato, Symposion, Düsseldorf 2002, S. 61. 59 Romola Nijinsky, Nijinsky, S. 105–106.
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Dem Kulturkenner Diaghilew waren die antiken Vorbilder derartiger Liebe gut bekannt: „Vergil fand ausschließlich an Knaben Gefallen“, „Cicero hat die Küsse besungen, die er von den Lippen eines Sklavensekretärs raubte“, auch „Seneca bevorzugte den Knaben Athleten“.60 Es gab jedoch auch in Diaghilews Zeit und in seinem Bekanntenkreis genügend Beispiele für eine verheimlichte oder auch nach außen ausgelebte Homosexualität: Marcel Proust, André Gide, Jean Cocteau, Harry Graf Kessler und viele andere. Diaghilew kannte auch die WildeAffaire, möglicherweise hat er auch vom Skandal in Paris um den Baron Jacques d’Adelswärd-Fersen (1903) gehört, der wegen seiner orgiastischen Partys und seines Interesses an 15- bis 17-jährigen Jungen aus der französischen Gesellschaft ausgeschlossen wurde. Diaghilews intime Beziehung zum Tänzer Nijinsky war in seiner Künstlertruppe und im Kreis um die Ballets Russes bekannt und akzeptiert. Die Ehefrau von Nijinsky beschreibt sie folgendermaßen: Vaslavs Beziehung zu Diaghilew wurde immer enger. Ihre Kunstauffassungen stimmten überein. Vaslav ließ es gern zu, in Diaghilews Händen wie Wachs geformt zu werden. Er war ein idealer Schüler, der seinem Meister widerstandslos bis zu jenem Punkt folgt, an dem er ihn nicht mehr braucht, ihm entwachsen ist. Seine Zuneigung zu Diaghilew hatte einen tiefen Grund. Er glaubte uneingeschränkt an ihn, an seine Lebensart, seine Lebensauffassung. Er ließ sich völlig von ihm leiten. Diaghilew seinerseits hätschelte und verwöhnte ihn auf jede mögliche Weise, um ihn immer mehr an sich zu binden. Seine grenzenlose Bewunderung für den Tänzer Nijinsky wurde noch übertroffen von seiner leidenschaftlichen Liebe zu Vaslav selbst. Im Privatleben bildeten Diaghilew und Nijinsky eine Einheit, und niemandem wäre es auch im Traum eingefallen, den einen ohne den anderen einzuladen.61
Léonide Massine, dessen schicksalhafte Begegnung mit Diaghilew 1913 in Moskau im Bolschoi-Theater stattfand, bezauberte den Impresario mit seinem Äußeren und charismatischer Präsenz in den Balletten Schwanensee und Don Quichotte. Er wurde der zweite große Tänzer und Choreograf der Ballets Russes, der für Diaghilew den Verlust62 Nijinskys ersetzte, sowohl in künstlerischer als 60 Paul Veyne, Homosexualität im antiken Rom, in: Philippe Ariès/André Bejin (Hrsg.), Die Masken des Begehrens und die Metamorphosen der Sinnlichkeit. Zur Geschichte der Sexualität im Abendland, Frankfurt a. M. 1986, S. 42 u. 44. 61 Romola Nijinsky, Nijinsky, S. 105–106. 62 Die unerwartete Heirat von Nijinsky mit Romola Puszky auf der Rückreise aus Amerika war eine wirkliche Tragödie für Diaghilew: In erster Linie verlor er seinen Geliebten endgültig. Jemanden zu heiraten bedeutete, gegen die von ihm aufgestellten Regeln zu spielen. Daher schickte Diaghilew Nijinsky eine schriftliche Entlassung von den Ballets Russes, womit er seinen Fronttänzer verlor. Diese unerwartete Eheschließung gehörte zu den ersten Zeichen von
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auch in privater Hinsicht. Sergej Lifar betont in seiner Biografie, dass Diaghilew zu keinem anderen seiner Favoriten eine derartig widersprüchliche Leidenschaft empfand als zu Léonide Massine: „Er liebte ihn und er hasste ihn, er anerkannte sein großes Talent und zugleich kämpfte er mit diesem Talent, er war von ihm enttäuscht und kehrte immer wieder zu ihm als Choreografen zurück.“63 Der Bereich des Eros bedeutete für Dandys Unbeherrschtheit und Hingerissensein, und jede unwillkürliche Emotionalität war von katastrophaler Peinlichkeit, die den so genannten „Kult der Kälte“ verletzte. Selbstbeherrschung war keine Stärke von Diaghilew. Seine stoische Haltung, die er bei seiner Tätigkeit präsentierte, wurde im Liebesbereich durch sein Temperament und seine Emotionalität gefährdet. Der Impresario war leidenschaftlich, herrisch und impulsiv, und dies sind Eigenschaften, die ihn als Dandy disqualifizieren. Als Nijinsky bei Rodin Modell stand (1912), kam es zu einer grotesken Episode: Modell und Bildhauer waren im Atelier vom Schlaf überwältigt worden. Eine ausgiebige Mahlzeit und viel Wein waren dafür verantwortlich. Sergej Pawlowitsch ging durchs Haus und fand beide Künstler in Rodins Heiligtum, Nijinsky, in einen Schal gehüllt auf einer Couch schlafend, und Rodin ebenfalls schlafend zu seinen Füßen. Diaghilew weckte sie nicht: er ging weg, ohne sich bemerkbar zu machen, und erzählte darüber nur dem einzigen Bakst. Diesen Vorfall sprach er nie an, aber in seiner Eifersucht wusste er weitere Zusammentreffen zu verhindern.64
Diaghilews unkontrollierbare Affektiertheit äußerte sich in Wutausbrüchen und Racheakten. Seine langjährige Freundin und Gönnerin, Misia Sert, erinnert sich an seine Reaktion, als er von der spontanen Heirat Nijinskys erfuhr: „Serge einem hysterischen Anfall nahe, war im Begriff, alles kurz und klein zu schlagen. In Tränen und Verzweiflung ließ er Sert kommen, Bakst, alle Welt.“65 Mehrmals erzählt Sergej Lifar von Diaghilews Eifersucht und ungezügelter Emotionalität in der Beziehung mit Léonide Massine: Die Umgebung von Diaghilew erinnert sich gut an eine heftige Auseinandersetzung mit Massine in Rom 1917, als Diaghilew ein Telephon von der Wand riss und es völlig zerschmetterte, wie auch in anderen Wutausbrüchen, wenn er Tische und Stühle demolierte.66
Nijinskys Geisteskrankheit. Lifar erzählt, er sei passiv geworden, und jeder konnte sein Leben und seine Gedanken manipulieren. Laut Lifar, heiratete nicht Nijinsky Romola, sondern Romola ihn. Vgl. Lifar, Djagilev i s Djagilevym, S. 234–236. 63 Lifar, Djagilev i s Djagilevym, S. 336. 64 Lifar, Djagilev i s Djagilevym, S. 319. Auch Ursel Berger, Le Modèle idéal?, S. 25. 65 Misia Sert, Pariser Erinnerungen. Frankfurt a. M. 1989, S. 170. 66 Lifar, Djagilev i s Djagilevym, S. 338.
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Die Trennung von Massine konnte der Impresario nie verkraften, er tobte, schrie und weinte verzweifelt, bevor er dem Tänzer seine Entlassung von den Ballets Russes mitteilte. Keiner seiner Geliebten hat Diaghilew so viele Glücksmomente, aber auch Qualen gebracht, wie Léonide Massine.
Der letzte Atemzug Diaghilews antidandyhafte Emotionalität und Leidenschaftlichkeit rehabilitiert sich in seinem Willen zur Macht. Seine Leistungen und seine Karriere machten ihn zu einer einzigartigen Erscheinung, die nicht nur sein Leben zum Kunstwerk formte, sondern auch sein Leben in die Kunst integrierte. Igor Strawinsky, der eine außerordentlich starke Persönlichkeit besaß, der selbstsicher war und seinen Wert kannte, wusste Diaghilew, ohne dass er es merkte, zu zähmen. Und Strawinsky wurde einer seiner leidenschaftlichsten Anhänger und Verteidiger. Er war höchst ehrgeizig und wusste natürlich die Hilfe zu schätzen, die sein Anschluss an Diaghilews Künstlergruppe für ihn bedeutete. Richard Strauß akzeptierte vorbehaltlos die Striche, die Diaghilew ihm vorschlug, Henri Matisse änderte seinem Wunsch gemäß die Farbzusammenstellung in seinen Bühnenbildentwürfen. Der junge Jean Cocteau träumte von einer Zusammenarbeit mit dem Impresario. Einmal, so eine Anekdote, tanzte Cocteau sogar auf dem Tisch des Restaurants La Rue, in dem Diaghilew gewöhnlich dinierte. Auf diese Art und Weise wollte Cocteau die Aufmerksamkeit des Maestro gewinnen. Der erstaunte Diaghilew gab ihm den Auftrag, ein Plakat für das Ballett Le Spectre de la Rose zu entwerfen, und dabei gab er seine berühmte Losung aus: „Étonne-moi!“ Mit zwei Plakaten für das Ballett gelang es Cocteau, die Akzeptanz dieses wichtigen Mannes zu gewinnen. Diaghilew war kein angenehmer Mensch – er war skrupellos, herrschsüchtig und snobistisch, einer, der sich der Menschen nur so lange bediente, wie sie ihm aufregend Neues zu bieten vermochten. Wenn der Impresario merkte, dass er zu seiner Truppe zu nett war und die Tänzer zur Arbeit zu überreden versuchte, unterbrach er sich selbst: „Übrigens, Sie sind absolut frei, und diejenigen, die die Arbeit nicht fortsetzen wollen, können das russische Ballett sofort verlassen. Auf Wiedersehen, meine Herrschaft!“67 Ebenso liebte er es, seine Mitarbeiter gegeneinander auszuspielen. Dies geschah nicht nur im Fall von Fokine und Nijinsky (Fokine, die ersten drei Jahre alleiniger Choreograf der Gruppe, begann Diaghilew zu langweilen. Zu dieser Zeit sah er seinen Schützling Nijinsky als alleinigen 67 Černyšova-Melnik, Djagilev, S. 349.
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Star der Ballets Russes), sondern auch bei seinen wichtigsten Ausstattern und alten Freunden – Benois und Bakst. Diaghilew verfügte über die Fähigkeit, Begabungen früh zu erkennen, zu fördern und dabei Künstler völlig verschiedener Naturen zusammenzubringen. Durch diese Fähigkeit verwirklichte er den wagnerschen Traum, indem er Tanztechnik, Choreografie, Kostüme, Ausstattung und Musik in einem intermedialen Reservoir verband. Er war es, der den Anspruch erhob, das Ballett aus erstarrten Konventionen zu befreien und als gleichrangig neben die anderen Künste zu stellen. Durch sein Charisma wurde er zur motivierenden Kontaktperson zwischen den Künstlern und Künsten. Noch während seines Jurastudiums, als er die erste Reise ins Ausland unternahm, kam Diaghilew nach Venedig. Die Stadt, die auf ihn wie eine theatralische Kulisse wirkte, weckte in ihm den ästhetisierten Wunsch, in Venedig zu sterben. An seine Stiefmutter schrieb er damals: Du musst folgendes wissen – seit zehn Tagen erinnere ich mich nicht mehr daran, wer ich bin, ob ich im Leben Aufgaben, Wünsche oder Gedanken habe, – all das ist dort geblieben, auf der Erde mit den Mitmenschen. […] Du fragst mich, ob ich Venedig mag und warum wir dahin gefahren sind? Wir sind einfach hingefahren. Die Stadt wirkt auf die Nerven wohltuend und beruhigend; und das Leben hier ist eigentlich gar kein Leben – in Venedig kann man gar nicht „leben“, sondern bloß „existieren“. Ich habe nie begriffen, wozu es hier Geschäfte, Börsen, Soldaten gibt. Das ist alles nicht ernst hier. Es existiert einfach … eine abendliche Meeresbrise … Ich werde zum Sterben nach Venedig kommen … Ich bin langsam davon überzeugt, dass ich meine Tage hier beschließen werde, hier, wo es keine Eile gibt, wo man sich nicht anstrengen muss, um zu leben. Genau das ist unser größtes Problem: wir leben nicht einfach so, sondern strengen uns schrecklich an, zu leben, als ob ohne diese Anstrengung unser Leben zu Ende ginge.68
Als Diaghilew 1928 tatsächlich in Venedig auf dem Sterbebett lag, erinnerte man sich an seinen Wunsch als an eine Prophezeiung. Sogar in den letzten Minuten seines Lebens blieb er ein wirklicher Ästhet und Kunstliebhaber. Misia Sert, die mit ihrer besten Freundin, Coco Chanel, nach Venedig gekommen war, sagte Diaghilew folgendes: „Ich habe so sehr Tristan und die Pathétique geliebt … mehr als alles andere auf der Welt … Wie? Wusstest du das nicht? … Oh, du musst es dir dringendst anhören und dabei denk an mich … Misia …versprich mir, immer Weiß zu tragen … Ich habe dich immer am liebsten in Weiß gesehen …“69 Diaghilew starb in finanzieller Misere, Misia Sert und Coco Chanel waren diejenigen, die seine Beerdigung finanzierten. 68 Černyšova-Melnik, Djagilev, S. 42–43. 69 Černyšova-Melnik, Djagilev, S. 460–462.
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War Diaghilew ein wirklicher Dandy? Gewiss erfüllte er die Voraussetzungen des brummelschen Dandytyps nicht. Und sobald er sich einen Namen mit seinen Ballets Russes gemacht hatte, wurde seine Erscheinung als Dandy sekundär. Allerdings brachten die mondäne Welt, in der Diaghilew verkehrte, und die Bekanntschaften mit westlichen Dandys – mit Robert de Montesquiou, dem Cousin seiner Gönnerin Gräfin Greffuhle, mit Jean Cocteau, der mittlerweile zu seinen Mitarbeitern gehörte, mit Gabriele d’Annunzio, den er in Italien kennenlernte und mit dem er oft dinierte – wichtige Inspirationen. Diaghilew blieb dem „alten Schnitt“ des Dandys treu, der die Elemente, wie Kleidung, Wohnungseinrichtung, theatralisierte Selbstinszenierung, Neigung zur Distinktion einsetzte.
Moritz Reininghaus
Flaneur, Bohemien – Dandy? Franz Hessel in München, Paris und Berlin Die im Jahr 2007 in der „Berlin-Bibliothek“ der Berliner Zeitung erschienene Neuausgabe von Franz Hessels Ein Flaneur in Berlin ließ keinen Zweifel: Auf dem Umschlag des Buches sind vor dem Hintergrund des von der Spree umflossenen Bode-Museums ein weißer Zylinder, weiße Handschuhe sowie ein schwarzer Mantel abgebildet.
Abb. 1: Das Cover der 2007 in Kooperation mit dem Berliner Verlag erschienenen Lizenzausgabe der ArsenalAusgabe von „Ein Flaneur in Berlin“.
Auch wenn ein Spazierstock mit goldenem Knauf fehlen mag, der derartig extravagant gekleidete Flaneur muss offenbar ein Dandy sein. Die Analogie zwischen Hessels Flaneur und dem Typus des Dandys scheint auch insofern gegeben, da Hessel sein Buch mit einem Leitspruch Jules Barbey d’Aurevillys versah, jenes Schriftstellers, der sich als einer der ersten überhaupt
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dem Dandytum theoretisch annäherte: „Man findet Herculaneum unter der Asche wieder; aber einige Jahre verschütten die Sitten einer Gesellschaft besser als aller Staub der Vulkane.“1 Die Frage, inwiefern das kulturpessimistische Zitat aus dem Buch des französischen Schriftstellers und Essayisten über den „Ur-Dandy“ George Brummel mit dem von Hessel beschriebenen Stadtspaziergang korrespondiert, soll an dieser Stelle zunächst unbeantwortet bleiben. Für den Literaturwissenschaftler Jörg Plath ist es jedoch zumindest ein Hinweis darauf, dass das Vorhaben von Hessels Flaneur in vielerlei Hinsicht mit Pausanias’ Reisebeschreibungen Griechenlands und der dort wiederzufindenden Mnemotechnik vergleichbar sei: Als Naturkatastrophe erscheint die beschleunigte Zeit der Moderne, in der die Gegenwart rasend schnell veraltet. Wie Pausanias liest der Flaneur als Archäologe der kapitalistischen Naturgeschichte die Reste auf alte Größe hin und reagiert auf die Beschädigung des kollektiven Gedächtnisses.2
Der Blick auf die Bilder des französischen Karikaturisten Paul Gavarni (1804– 1866) zeigt unterdessen, dass die Analogie von Flaneur und Dandy, zumindest ihrer äußeren Erscheinung nach, in der Tat nicht abwegig ist. Die Verbindung zwischen der Person Franz Hessels beziehungsweise Hessels Flaneur und Dandytum scheint also offensichtlich und ist dennoch zunächst aus zwei Gründen zu hinterfragen: Erstens hat Franz Hessel selbst nie ein Buch geschrieben, das Ein Flaneur in Berlin heißt und zweitens hat er dieses auch nicht mit dem Leitspruch von Barbey d’Aurevilly versehen. Zur Erklärung: 1929 erschien im Verlag Dr. Hans Epstein (Leipzig/Wien) Franz Hessels Spazieren in Berlin. Darin sucht man das Zitat von Barbey d’Aurevilly vergeblich. Erst in der 1968 im Verlag Rogner & Bernhard erschienenen und von Janos Frecot besorgten Neuauflage ist das Zitat dann enthalten. Es wurde dem Buch hinzugefügt, da es als „passend“ empfunden wurde.3 Als der Verlag „Das Arsenal“ dann 1984 das Buch neu auflegte und mit Bildern von Friedrich Seidenstücker versah, wurde das Motto zwar kurzerhand übernommen, der Titel jedoch zugleich in Ein Flaneur in Berlin abgewandelt. Dies hatte vermutlich zunächst vor allem den Grund, dass 1979 im Stapp-Verlag ein gleichnamiges Buch von Gabriele Seelmann erschienen war, das jedoch nichts mit Franz Hessel zu tun hat. Die Arsenal-Ausgabe wiede-
1 Franz Hessel, Ein Flaneur in Berlin, Berlin 1984, S. 5. 2 Jörg Plath, Liebhaber der Großstadt. Ästhetische Konzeptionen im Werk Franz Hessels, Paderborn 1994, S. 109. 3 Mündliche Auskunft von Janos Frecot gegenüber dem Autor vom 10. Dezember 2012.
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rum war die Grundlage für die Ausgabe der Berliner Zeitung, die allerdings auf das Motto aus der Feder Barbey d’Aurevillys verzichtete.
Abb. 2.1: Paul Gavarni: „Dandy de Paris“.
Abb. 2.2: Paul Gavarni: Le Flâneur (1842).
Problematisch erscheint die Änderung des Titels von Spazieren in Berlin in Ein Flaneur in Berlin nicht nur aufgrund der von Lothar Müller zu Recht befürchteten und weitverbreiteten, vorschnellen Gleichsetzung von Hessels „Spaziergänger“ mit dem von „Baudelaire umrissenen und von Walter Benjamin kanonisierten Flaneur des 19. Jahrhunderts“4, sondern auch, da bereits im Titel eine Akzentverschiebung vorgenommen wird, die Hessels Buch nur bedingt gerecht wird. Steht beim Originaltitel das Verfahren der „peripatetischen Stadtlektüre“ an sich im Vordergrund, suggeriert der spätere Titel, dass hier der „Flaneur“ selbst im Mittelpunkt der Beschreibung steht. Die Lektüre von Spazieren in Berlin zeigt jedoch, dass es Hessel weniger um den Spaziergänger als vielmehr um das geht, was er „Spazieren“ nennt, einer spezifischen Wahrnehmungs- und Erkenntnisform seiner Umgebung. 4 Lothar Müller, Peripatetische Stadtlektüre. Franz Hessels Spazieren in Berlin, in: Michael Opitz/Jörg Plath (Hrsg.), „Genieße froh, was du nicht hast.“ Der Flaneur Franz Hessel, Würzburg 1997, S. 75–104, hier S. 75.
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Abb. 3: Schutzumschlag der 1929 im Verlag Dr. Hans Epstein (Leipzig/Wien) erschienenen Originalausgabe von Franz Hessels „Spazieren in Berlin“.
Vom Autor zum Werk Franz Hessels literarisches Verfahren, seine Umgebung, konkret das Berlin der 1920er-Jahre, dessen Bewohner und Bauwerke, aber auch deren Geschichte, Gegenwart und Zukunft in einem nichtfiktionalen und doch zutiefst subjektiv gefärbten Text zu beschreiben, gebietet einen Blick auf den Autor und seine Erscheinung. Hier soll zunächst betrachtet werden, wie Hessel von seinen Zeitgenossen wahrgenommen wurde und wie er sich selbst sah. Auch wenn Spazieren in Berlin in einer späteren Werkphase entstand, führt die Spur zunächst in Hessels Münchner Zeit. Dirk Heißerer begründet überzeugend, dass die Wurzeln des „Spaziergängers“ bereits in dieser frühen Zeit des Autors zu finden sind, wenn er über die 1908 bei S. Fischer erschienene Novellensammlung Laura Wunderl schreibt, diese sei „bei aller wahrscheinlichen autobio-
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graphischen Nähe, das retrospektiv stilisierte Modell des bewußt ambivalenten oder besser indifferenten Beobachters und Flaneurs“.5
München Im Sommer 1901 kam der 1880 in eine deutsch-jüdische Familie in Stettin geborene Franz Hessel zum Studium nach München. Aufgewachsen war er in Berlin, wo die Familie seit 1888 lebte. Als sein Vater Heinrich bereits zwei Jahre später verstarb, hinterließ er ein beachtliches Vermögen, das seinem Sohn noch über Jahre hinweg ein von finanziellen Sorgen freies Leben ermöglichte. Hessels Mutter Fanny wurde über 80 Jahre alt und starb erst 1931. Auch wenn die Eltern ihre Kinder ganz dem Zeitgeist folgend um die Jahrhundertwende protestantisch hatten taufen lassen, muss Fanny Hessel dabei eine wahrhaftige „jüdische Mamme“ gewesen sein, die auch ihren erwachsenen Sohn nicht aus den Augen ließ, ihn später gar in Paris besuchte und dort nach dem Rechten schaute – und damit nicht unverantwortlich für die Entwicklung ihres Sohnes gewesen sein dürfte, wie im Folgenden zu sehen sein wird. In München kam es zur Begegnung mit Franziska Gräfin zu Reventlow und damit zu einer Episode, die viel über den Menschen Franz Hessel verrät. In ihrem Schlüsselroman Herrn Dames Aufzeichnungen oder Begegnungen aus einem merkwürdigen Stadtteil von 1913 porträtierte die Gräfin Hessel ausführlich und wenig schmeichelhaft.6 In dem Roman sind zahlreiche Personen leicht ihren realen Vorbildern zuzuordnen, die in jenem legendären Eckhaus an der Kaulbachstraße 63 verkehrten. In den Jahren von 1903 bis 1906 wohnten dort hauptsächlich Franz Hessel, Franziska zu Reventlow und deren Liebhaber Bogdan von Suchocki. Einige der Vorbilder werden dabei auf mehrere Figuren im Roman aufgeteilt. Hessel etwa ist nicht nur in der Figur des Willy, sondern auch als der Gräfin (Maria/Susanna) ergebener Diener Chamotte erkennbar. Doch auch der die Geschichte aus der Ich-Perspektive erzählende Protagonist, Herr Dame, trägt Züge Hessels – und Reventlows.7 Maßgeblich für diese Konstruktion ist dabei eine 5 Dirk Heißerer, Die Zeit von Laura Wunderl. Franz Hessel in München, in: Michael Opitz/Jörg Plath (Hrsg.), „Genieße froh, was du nicht hast.“ Der Flaneur Franz Hessel, Würzburg 1997, S. 37–52, hier S. 38. 6 Franziska zu Reventlow, Herrn Dames Aufzeichnungen oder Begebenheiten aus einem merkwürdigen Stadtteil, in: Dies., Sämtliche Werke, Briefe und Tagebücher, hrsg. von Michael Schardt, Oldenburg 2004. 7 Vgl. Johannes Székely, Franziska Gräfin zu Reventlow. Leben und Werk. Mit einer Bibliographie, Bonn 1979, S. 81.
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Erfahrung, die beide offenbar teilten: Sie fanden bei aller Nähe keinen wirklichen Zugang zum Kreis der „Kosmiker“ um Stefan George, Karl Wolfskehl, Alfred Schuler und Ludwig Klages. Weniger der Umstand, dass man in hier „auf Neuheidentum machte“8, als der teilweise unverhohlene Antisemitismus, den auch Franziska zu Reventlow in ihrem Roman klar schildert, dürfte dafür verantwortlich gewesen sein, dass zumindest Franz Hessel stets einen gewissen Abstand zu den „Kosmikern“ hielt. Als „Begleitdogge“9 titulierte die Gräfin Männer wie Franz Hessel, der ihr über Jahre hinweg Avancen machte. Dessen ungeachtet übernahm Hessel die Aufgabe, ihren Lebenswandel maßgeblich zu finanzieren.10 Dass sie dem 19 Jahre jüngeren Studenten als Ersatzmutter dienen sollte, muss sie dabei zusätzlich abgestoßen haben. Der „Zufall“, dass sie, die damals vornehmlich als Fanny Gräfin zu Reventlow bekannt war, denselben Vornamen trug wie Hessels Mutter, mag sein Übriges dazu beigetragen haben, dass er von ihr nicht ernsthaft als Liebhaber in Betracht gezogen wurde.11 Zudem bezeichnet sie ihn in ihren Tagebüchern meist nur herablassend als „Hesselfranz“ und beschreibt ihn oft als mehr oder minder „lästig“. Mitleid scheint dabei das vorherrschende Gefühl Franziska zu Reventlows für Hessel gewesen zu sein. Einen Einblick in die gemeinsame Zeit der legendären Wohngemeinschaft im Eckhaus gibt auch Franz Hessel selbst, und zwar sowohl in seinem ersten Roman Der Kramladen des Glücks (1913) als auch in der bereits erwähnten Novellensammlung Laura Wunderl. In letzterer sind, wie es Dirk Heißerer formuliert, zwei „vorweggenommene Jules und Jim-Stellen“12 enthalten. In der ersten schaut der Protagonist Fritz ohnmächtig zu, wie statt ihm sein Kommilitone Eduard Wedel, der unschwer als Hessels Freund Karl Wolfskehl zu identifizieren ist, die von beiden begehrte Nina verführt: Plötzlich hatte er sie emporgehoben, sie hing über seine Schulter, ihr Haar lockerte sich und eine schwarze Flechte fiel an seinem Arm herab. Seine Augen brannten wie Wolfsaugen im dunklen Walde und er trug seine Beute ins Nebenzimmer.13 8 Richard Faber, Männerrunde mit Gräfin. Die „Kosmiker“ Derleth, George, Klages, Schuler, Wolfskehl und Franziska zu Reventlow. Mit einem Nachdruck des „Schwabinger Beobachters“, Frankfurt a. M. 1994, S. 12. 9 So heißt es in einem Brief zu Reventlows an Franz Hessel vom 12. Juni 1912: „Herr Dame ist so eine Art Begleitdogge, die nach Schwabing kommt, fortwährend ‚verurteilt‘ wird und eine Biographie hat“, in: Franziska Gräfin zu Reventlow, Briefe 1890–1917, hrsg. von Else Reventlow, Frankfurt a. M. 1977, S. 495f. 10 Vgl. Heißerer (wie Anm. 5), S. 37f. 11 Vgl. ebd., S. 43. 12 Ebd., S. 48. 13 Franz Hessel, Laura Wunderl. Münchner Novellen, in: Ders., Sämtliche Werke in fünf Bänden, hrsg. von Hartmut Vollmer und Bernd Witte, Bd. 2: Prosasammlungen, hrsg. und mit einem
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Der Held Fritz blättert währenddessen scheinbar unberührt „in dem zärtlich weichen Papier eines japanischen Bilderbuches“.14 Als Fritz später von Nina gefragt wird, warum er das alles zugelassen habe, antworte er, so Heißerer, „ästhetisch“:15 „Es sah gut aus Nina. Ihr wart recht schön anzusehen.“16 Die zweite Stelle sieht Heißerer in der ebenfalls in der Sammlung enthaltenen Novelle Das Fest der Maria, in der sich der Erzähler an seine Erlebnisse mit einer jungen Schauspielerin erinnert, die am Spannungsfeld zwischen ihrer ländlichen Herkunft und ihrer städtischen Lebensform als Künstlerin zerbricht und schließlich Selbstmord begeht: „Der Erzähler steht im Anblick dieser menschliche Tragödie jedoch ‚etwas abseits‘ […] und schaut zu.“17 Er sei Maria dabei stets „ein guter Begleiter“18. Damit nehme Hessel, so Heißerer, den bereits oben erwähnten Begriff der „Begleitdogge“ gewissermaßen selbst vorweg.19 Auch Manfred Flügge sieht in Laura Wunderl „schon ganz den Jules-Charakter: den Zuhörer und Zuschauer und Tröster, der die Frauen so gut versteht“.20 Die Blicke des Erzählers, so wiederum Dirk Heißerer, hätten dabei etwas Kindlich-Naives. Während der Künstler Ruhland Maria verführt, war der Erzähler im Atelier eingeschlafen: Eine Hand, die mein Haar streichelte, weckte mich auf. Ich schlug die Augen auf vor Marias blendender Brust. „Du bist lieb, mein Kind“, sagte sie, „vor deinen Blicken schäme ich mich nicht.“21
Diese Schilderung wiederum deckt sich exakt mit einem Bericht des Schriftstellers Oscar A. H. Schmitz, der zumindest zeitweise ebenfalls im Kreis um die illustre Gräfin zu Reventlow verkehrte: Auch die Frauen betrachtete er [Hessel] impressionistisch, also nicht eigentlich erotisch. […] als ich nach längerem Warten in einem Vorzimmer endlich in den Raum eingelassen wurde, wo sich eine Schöne gerade gewaschen hatte, saß der Franzl mit seelenvergnügtem Voll-
Nachwort versehen von Karin Grund-Ferroud, Oldenburg 1999, S. 25. 14 Ebd. 15 Heißerer (wie Anm. 5), S. 48 16 Hessel, Laura Wunderl (wie Anm. 13), S. 25. 17 Heißerer (wie Anm. 5), S. 50. 18 So sagt Maria zum Erzähler: „Sie sind ein guter Begleiter, kommen überall mit und hören alles still an, was man vorbringt“, in: Hessel, Laura Wunderl (wie Anm. 13), S. 49. 19 Vgl. Heißerer (wie Anm. 5), S. 50. 20 Manfred Flügge, Gesprungene Liebe. Die wahre Geschichte zu „Jules und Jim“, Berlin 1993, S. 200, zitiert nach: Magali Laure Nieradka, Der Meister der leisen Töne. Biographie des Dichters Franz Hessel, Oldenburg 2003, S. 61. 21 Hessel: Laura Wunderl (wie Anm. 13), S. 56.
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mondgesicht auf dem Sofa. „Ach, der Franzl, das ist etwas ganz anderes, vor dem braucht man sich nicht zu genieren“, lautete die Erklärung, mit der ich mich begnügen mußte.22
Dass es sich bei der „sexuellen Zurückhaltung“ Hessels dabei nicht um jene für viele Dandys programmatische, von Günter Erbe beschriebenen Unterdrückung der Sexualität,23 sondern um tatsächliches Desinteresse handelt, ist nun zunächst nur ein Verdacht. Doch angesichts zahlreicher fremder und eigener Schilderungen, scheint es plausibel, dass Franz Hessel tatsächlich nur ein geringes erotisches Interesse an Frauen hatte – es sei denn, er wäre ein begnadeter Schauspieler gewesen. Auch dafür, dass er homosexuell veranlagt war, gibt es kaum Anzeichen, zumindest schweigen sich hierzu die bisherigen Biografien aus und seine Werke geben – auch wenn das Thema für ihn kein Tabu war – keine eindeutigen Hinweise. Ein anderes Licht auf diese Frage werfen allerdings die Andeutungen der Hessel-Biografin Magali Laure Nieradka, die seine Erfolglosigkeit bei Frauen – vor allem bei Franziska zu Reventlow – als Leidensgeschichte beschreibt.24 Der Gräfin selbst blieb dieser Umstand dabei selbstredend nicht verborgen: Vom letzten Abend einen Grusel behalten, nahm Franzl mitleidig und gerührt in die Arme. – Viel später liege ich im Bett noch bei Licht, denke, Suchs [=Bogdan von Suchocki] Schritte sind es – und Franzl im Chinesengewand schleicht an mein Bett. Rührte mich entsetzlich, aber was tun als ihn liebenswürdig weiterschicken. Am nächsten Abend dann noch sen timentale Aussprache. Ich war auch wirklich gerührt, wer weiß, was aus dieser Rührung für Unheil hätte entstehen können. Gott sei Dank ist es nicht entstanden.25
Noch als Hessel am 20. März 1906 gen Paris aufbrach, notierte die Gräfin, die sich sonst vor allem über Hessels „Knausrigkeit“ beschwerte, obwohl er offenbar noch immer einen Großteil ihres Lebensunterhalts finanzierte, einen Tag später ungerührt in ihr Tagebuch: Gestern Hessel fort. Ich habe dem Greuel zum Abschied einen Kuß gegeben und er zerschmolz vollständig. Ob vielleicht doch etwas Wahres hinter all dieser zusammengelogenen und posierten Fratzenhaftigkeit steckt? Aber ich bin viel zu leicht gerührt.26
22 Oscar A. H. Schmitz, Dämon Welt. Jahre der Entwicklung, München 1926, S. 355f. 23 Vgl. Günter Erbe, Dandys. Virtuosen der Lebenskunst. Eine Geschichte des mondänen Lebens, Köln [u. a.] 2002, S. 20. 24 Vgl. Nieradka, Der Meister der leisen Töne (wie Anm. 20), S. 33ff. 25 „Wir sehen uns ins Auge, das Leben und ich.“ F. Gräfin zu Reventlow, Tagebücher 1895–1910. Aus dem Autograph textkritisch neu herausgegeben und kommentiert von Irene Weiser und Jürgen Gutsch, Passau 2007, S. 346. 26 Ebd., S. 374.
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Zumindest die Gräfin nahm Hessel die Rolle des unbeteiligten und interesselosen Beobachters also nicht ab, besonders da Hessel seiner Eifersucht immer wieder freien Lauf ließ. Als „dandyhaft“ kann ein solches Verhalten dabei wohl nur schwerlich bezeichnet werden, ist dessen Auftreten doch von Selbstzucht, Leidenschaftslosigkeit und Affektkontrolle geprägt.27 Auch in Bezug auf die ästhetische Konzeption Franz Hessels nimmt Laura Wunderl eine Schlüsselstellung ein. So stellt Dirk Heißerer fest: „Mit Laura Wunderl wird Franz Hessel zum Dichter seiner Welterfahrung, die er später variiert, aber nicht mehr wesentlich ändert.“28 In Hessels Romans Der Kramladen des Glücks werden ebenso bereits Komponenten sichtbar, die in Spazieren in Berlin wieder zum Vorschein kommen werden und die für Hessels Wahrnehmung konstitutiv sind. Neben dem schon für die – übrigens sehr schwärmerischen und von Sehnsucht geprägten, ja bisweilen durchaus kitschigen und damit ebenfalls „undandyhaften“ – frühen Gedichte Hessels prägenden „schmerzlichen Differenzgefühl nach dem Verlust kindlicher Sicherheit“29 ist dies auch das Gedächtnis für „die Dinge, auf die es nicht ankommt“30 beziehungsweise die „Freude an Dingen, die mich nichts angehn“31. Der Erzähler nimmt unterdessen stets eine Position ein, die Hessels Lebenswirklichkeit zu entsprechen scheint: Ihm ist „vorbestimmt […], nicht mitzuspielen“.32 Hessels „Methode der passiven Rezeption“ kann so tatsächlich mit Dirk Heißerer als ein „Paradox distanzierter Nähe“ bezeichnet werden.33 Auch in Bezug auf das Verhältnis Hessels zum Kreis um Stefan George scheint dieses „Paradox distanzierter Nähe“ eine zutreffende Beschreibung zu sein. Mit Karl Wolfskehl etwa war Franz Hessel zeitweise eng befreundet, hatte am 22. Februar 1903 auch das berühmte „Antike Fest“ in Wolfskehls Wohnung besucht; ein Foto zeigt Hessel neben der Gräfin Reventlow zu Füßen des „Cäsaren“ Stefan George, den Hessel damals noch stark bewunderte.34 Mit Wolfskehl, der Hessels Mentor wurde, besuchte er 1903 auch den 6. Zionistenkongress in Basel.35 Vom Antise27 Vgl. Erbe (wie Anm. 23), S. 21. 28 Heißerer (wie Anm. 5), S. 51. 29 Ebd., S. 39. 30 Franz Hessel, Der Kramladen des Glücks, Frankfurt a. M. 1983, S. 71. 31 Ebd., S. 85. 32 Ebd., S. 138. 33 Heißerer (wie Anm. 5), S. 51. 34 Vgl. ebd., S. 46. 35 Vgl. Reiner Niehoff, Der Herr und seine Knechte. Stefan George, Karl Wolfskehl und Franz Hessel, in: Elke-Vera Kotowski/Gert Mattenklott (Hrsg.), „O dürft ich Stimme sein, das Volk zu rütteln!“ Leben und Werk von Karl Wolfskehl (1869–1948), Hildesheim [u. a.] 2007, S. 23–40, hier S. 23.
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mitismus einiger „Enormer“ wie Ludwig Klages oder Alfred Schuler war Hessel dagegen abgestoßen; Klages und Schuler wiederum missfiel Hessels „äthiopisches Äußeres“36. Dies und die George gegenüber geäußerte, bedingungslose Ehrerbietung waren wohl die hauptsächlichen Gründe, warum sich Hessel schließlich aus dem George-Kreis zurückzog und sich zunehmend dem um Franziska zu Reventlow anschloss. Gemeinsam mit der Gräfin publizierte er den Schwabinger Beobachter, in dem das Treiben des George-Kreises parodistisch kommentiert wurde. Gleichwohl bedeutete dies wiederum keine radikale Abkehr von George und seinen Jüngern. In den ersten drei, großteils von zu Reventlow und Hessel anonym verfassten Nummern des Beobachters herrscht vielmehr eine „Mischung treffenden Witzes mit gutartiger Gesinnung“37. „Mittendrin und doch irgendwie nur dabei“, könnte man Hessels Position beschreiben. Hessels spätere Frau, die Modejournalistin Helen Grund, die am 30. April 1886 in eine wohlhabende Berliner Familie geboren worden war und die Hessel 1912 in Paris kennengelernt und bereits ein Jahr später geheiratet hatte,38 schrieb über die Zeit in Schwabing dann auch: „Er ist zu gut, weise, bedeutend für sie, als daß sie das Recht hätten, ihm seiner Unscheinbarkeit, seines anonymen Lebens zu berauben.“39
Paris In Paris angekommen, traf Franz Hessel im Café du Dôme im neuen Künstlerviertel Montparnasse auf eine Szenerie, die ihm aus München bekannt war. Vorrangig deutsche Künstler, Kritiker und Kunsthändler verkehrten hier, und er selbst übernahm erneut eine Rolle, die er bereits in München innegehabt hatte: Als Finanzier mittelloser Zeitgenossen – nun erhielt etwa Erich Mühsam immer wieder monetäre Zuwendungen – und als Beobachter und „Frauenversteher“. Mit einem „sentimentalen Grinsen“, wie sich der Maler Hans Purrmann erinnert,40 36 Heißerer (wie Anm. 5), S. 46. Auch in Franziska zu Reventlows „Herrn Dames Aufzeichnungen oder Begebenheiten aus einem merkwürdigen Stadtteil“ (wie Anm. 6, S. 36) äußert sich Willy gegenüber Herrn Dame wie folgt: „Sehen Sie, lieber Dame, ich habe gar nichts gegen die Enormen, ich verehre sie sogar aus der Ferne, und ziemlich hoffnungslos – denn sie schätzen meine Rasse nicht – sie lassen nur blonde Langschädel gelten, und ich sehe so äthiopisch aus – aber wenn sie die Mädchen gegen uns beeinflussen […].“ 37 Nieradka (wie Anm. 20), S. 46. 38 Vgl. Ernst Wichner/Herbert Wiesner (Hrsg.), Franz Hessel. Nur was uns anschaut, sehen wir, Berlin 1998, S. 37ff. und Nieradka (wie Anm. 20), S. 58ff. 39 Zitiert nach Nieradka (wie Anm. 20), S. 37. 40 Vgl. ebd., S. 53.
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gab er den angebeteten jungen Frauen Giacomo Casanova zu lesen und lernte den Schriftsteller Henri-Pierre Roché kennen. Dieser nun wird gemeinhin als „Lebemann“ bezeichnet, von Bernd Witte gar als „junger Abenteurer und Dandy, ein Dilettant aus gutem Hause, der als Boxer trainierte und Bilder noch unbekannter avantgardistischer Maler sammelte“41 beschrieben. 1921 veröffentliche Roché unter dem Pseudonym Jean Roc seinen ersten Roman, Don Juan. Ein „Don-Juan-Typ“ scheint Roché auch selbst gewesen zu sein, dem sogar noch eine kurze Liebschaft mit Franziska zu Reventlow gelingen sollte, was Hessel ja stets verwehrt geblieben war. Bekannter ist jedoch Rochés Beziehung zu Hessels Frau Helen. In groben Zügen wiederholt sich in dieser Beziehung, was sich bereits in München ereignet hatte. An dieser Stelle sei auf Rochés Roman Jules et Jim (1953) beziehungsweise auf François Truffauts gleichnamigen Film von 1962 verwiesen, die diese Dreiecksbeziehung bei aller künstlerischen Freiheit doch sehr treffend zu beschreiben scheinen. Angesichts der Diskussion um die „dandystische Inszenierung Don Juans“42 bleibt festzuhalten, dass Franz Hessel – wie auch bei den Memoiren Giacomo Casanovas – bei Rochés Don Juan letztendlich nur die Rolle des Übersetzers blieb. Konkret fiel ihm auch in der berühmten Dreiecksbeziehung zwischen Helen Hessel und Roché eher die Rolle des „Pierrot Lunaire“ (Helen Hessel)43 zu, also jener bewusst naiven und melancholischen, weiß geschminkten und in weißen, wallenden Gewändern gekleideten Bühnenfigur, die etwa Molière als ländliche Nebenfigur zu Don Juan entworfen hat. Nachdem Franz Hessel durch die Inflation 1923 nahezu sein gesamtes Vermögen eingebüßt hatte, sah er sich genötigt, vor allem durch Übersetzungen den Lebensunterhalt seiner Familie zu bestreiten. Der Verlust seines einstigen Reichtums scheint ihn dabei nicht sonderlich gestört zu haben. Wie seine Frau Helen berichtete, hat er die Bescheidenheit dieser Zeit vielmehr sogar geradezu genossen.44 Franz Hessel ergriff in jener Zeit einen Beruf, in der er auch damit begann zu flanieren, also jener Tätigkeit nachzugehen, die eigentlich „voraussetzt, daß
41 Bernd Witte, Ein Bauer von Paris, in: Juni. Magazin für Literatur und Politik 3 (1989), S. 17–33, hier S. 22. 42 Vgl. Hiltrud Gnüg, Kult der Kälte. Der klassische Dandy im Spiegel der Weltliteratur, Stuttgart 1988, S. 178 bzw. Gerd Stein, Vorwort, in: Ders. (Hrsg.), Dandy – Snob – Flaneur. Exzentrik und Dekadenz, Frankfurt a. M. 1985, S. 13f. 43 Helen Hessel, Eine Rede zum 10. Todestag Franz Hessels, in: Gregor Ackermann/Hartmut Vollmer (Hrsg.), Über Franz Hessel. Erinnerungen – Porträts – Rezensionen, Oldenburg 2001, S. 23–37, hier S. 33. 44 Vgl. Nieradka (wie Anm. 20), S. 132.
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man keinen Beruf hat“45. Seit Anfang der 1920er-Jahre war er zudem als Lektor für den Rowohlt-Verlag tätig. In dieser Funktion überzeugte er Ernst Rowohlt, dessen „Lieblingsautor und auch sein Lektor“ – wie sich Hans Sahl erinnerte46 – er schon bald wurde, zum Beispiel davon, eine große Balzac-Ausgabe zu edieren, die dann tatsächlich den wirtschaftlichen Aufstieg des Verlages maßgeblich tragen sollte. Immer wieder berichteten Zeitgenossen davon, dass sich Hessel durch gesellschaftliche Verpflichtungen nur ungern von der Arbeit für Rowohlt ablenken ließ, auch wenn diese nur sehr kärglich bezahlt wurde. Diese Schilderungen widersprechen den Vorstellungen vom Müßiggänger, die dem Typus des Flaneurs ebenso wie dem des Dandys angeblich zugrunde liegen.47
Zurück in Berlin 1927 kehrte Franz Hessel nach Berlin zurück, während seine Frau Helen sowie ihre beiden gemeinsamen Söhne in Paris blieben. Hessel pendelte in dieser Zeit regelmäßig zwischen der „alteuropäischen Metropole Paris“ und dem „modernamerikanischen Berlin“ und konnte die beiden Städte immer wieder miteinander vergleichen. Damit legte er den Grundstein für seine Flaneur-Prosa,48 denn mit ihm „betritt erstmals der Typus des durch die französische Tradition geprägten Flaneurs Berliner Boden“49. Der Spaziergänger, wie er in Hessels Literatur nun immer wieder auftaucht, ist, wie Lothar Müller herausgearbeitet hat, „unschwer als Figur der Differenz, der Abweichung und der Nicht-Selbstverständlichkeit“ zu erkennen.50 Wie bereits in Hessels frühen, neoromantischen Gedichten war auch nun das Auge als wahrnehmendes Organ ein Leitmotiv seiner Werke, befindet sich der Hessel’sche Spaziergänger doch auf einer „selbst geschaffenen Insel der Intentionslosigkeit“, wo es „keine andere Form der Aneignung der Dinge als den Blick, der sie unberührt läßt“.51
45 Niehoff (wie Anm. 35), S. 23. 46 Hans Sahl, Memoiren eines Moralisten, Darmstadt/Neuwied 1983, S. 165. 47 Vgl. zum Dandy etwa: Erbe (wie Anm. 23), S. 15 und zum Flaneur: Niehoff (wie Anm. 35), S. 23 sowie Karl Schlögel, Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik, Frankfurt a. M. 2009, S. 264. 48 Vgl. Müller (wie Anm. 4), S. 102. 49 Eckhardt Köhn, Straßenrausch. Flanerie und kleine Form. Versuch zur Literaturgeschichte des Flaneurs von 1830–1933, Berlin 1989, S. 174. 50 Müller (wie Anm. 4), S. 75. 51 Ebd., S. 76.
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Gegenüber seiner Umwelt setzt sich dieser Spaziergänger bewusst ab; er ist der „Langsame inmitten der Eiligen, der Müßiggänger inmitten der Geschäftigen, und während ringsum alle Gesten und Blicke von Zwecken gelenkt werden, leistet er sich den Luxus frei schwebender Aufmerksamkeit.“52 Barbey d’Aurevilly und Baudelaire sahen auch im Typus des Dandys den „heroischen Außenseiter, eine Protestfigur gegen bürgerliche Nivellierung und Moral, gegen die Ideologie des Nützlichen und Zweckhaften“53. Und auch der Dandy setzt sich bewusst von seiner Umgebung ab: „Der Dandy und der Snob sind in besonderem Maße eitel“, analysiert Gerd Stein und stellt dar, dass beide Typen alles daran setzen, um auf der Bühne, als die sie die Welt betrachten, eine glänzende Rolle zu spielen: „Ihre Selbstdarstellung gilt einem Erscheinungsbild, das ihnen gesellschaftliche Anerkennung gewährleisten soll – ohne daß sie sich der Gesellschaft gegenüber nützlich machen.“54 Dieses Sich-Darstellen ist Hessel jedoch, auch wenn die vermeintliche „moralische Superiorität“ einiger früherer Flaneure nach „äußerlicher Repräsentanz“ verlangt haben mag,55 weitgehend fremd. Denn selbst wenn man mit Lothar Müller annimmt, dass auch der Flaneur vor allem sich selbst inszeniert,56 stehen nie er selbst oder seine Erscheinungsform im Zentrum dieser Inszenierung, sondern sie ist Mittel zum Zweck der „freischwebenden Aufmerksamkeit“57, seiner spezifischen Form der Wahrnehmung. Während es für den Dandy wichtig ist, gesehen zu werden, ist es für den Flaneur wichtig zu sehen. Dandy und Snob sind auf die Außenwirkung fokussiert: „Jenseits allen Nutzens und erst recht jenseits alles Politischen behaupten sie eine Aura von Zweckfreiheit, eine Haltung von arroganter Selbstgenügsamkeit, die nicht nur Ärger, sondern eben auch Bewunderung hervorrufen kann.“58 Partiell wird auch hier die Verwandtschaft zwischen Dandy und Flaneur deutlich, da sich auch Hessels Spaziergänger betont unpolitisch gibt. Er ist jedoch – anders als der Dandy – weitgehend frei von Arroganz, betrachtet seine Umgebung zwar durchaus mit ironischer Distanz, aber auch mit „Einfühlung“.59 Selbst wenn also Hessels Spaziergänger und Dandy immer wieder Überschneidungen aufweisen, wie etwa in der Haltung zur Sexualität, der Dandy ebenso wie Hessels Spazier52 Ebd., S. 75. 53 Erbe (wie Anm. 23), S. 16. 54 Stein (wie Anm. 42), S. 9. 55 Köhn (wie Anm. 49), S. 29. 56 Vgl. Müller (wie Anm. 4), S. 81. 57 Ebd. S. 75. 58 Stein (wie Anm. 42), S. 9. 59 Vgl. Franz Hessel, Spazieren in Berlin. Neu hrsg. von Moritz Reininghaus. Mit einem Geleitwort von Stéphane Hessel und einem Nachwort von Bernd Witte, Berlin 2011, S. 20.
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gänger androgyne Frauen und Männer zu bevorzugen scheint,60 sind sie damit keinesfalls identisch. Dass der Dandy nicht am Geld hängt, nicht altmodisch ist und sich gegen die „Beschleunigung der Zeit“61 richtet, sind weitere Parallelen zu Hessels Spaziergänger, die jedoch vor allem auf die gemeinsame Herkunft aus der Zeit der Industrialisierung und der bürgerlichen Gleichstellung verweisen. Folgt man der Feststellung, dass der Flaneur erstmals in der Gestalt des aristokratischen Dandys in Erscheinung trat, wird ebenfalls deutlich, wie eng beide Typen verwandt sind.62
Fazit Trotz der zahlreichen, unübersehbaren und angesichts ihres gemeinsamen räumlichen und zeitlichen Ursprungs in den Pariser Passagen Anfang des 19. Jahrhunderts auch nicht weiter verwunderlichen Ähnlichkeiten zwischen Flaneur und Dandy,63 habe ich zu verdeutlichen versucht, dass weder Franz Hessel noch sein Spaziergänger Dandys waren. Dies gilt selbst dann, wenn man sich von stereotypen Dandy-Darstellungen löst und Begriffe wie den des „Boheme-Dandys“, des „Künstler-Dandys“ oder den des „intellektuellen Dandys“ in Betracht zieht. Der hauptsächliche Unterschied zum Typus des Flaneurs besteht darin, dass der Dandy bewusst und betont oberflächlich bleibt, während Hessels Spaziergänger stets versucht, durch sein Tun das Wesen der Stadt zu ergründen, durch seine Schritte, wie Walter Benjamin es ausdrückte, eine „erstaunliche Resonanz“64 zu wecken: „Eine souveräne Neigung zum Dauernden, ein aristokratischer Widerwille gegen Nuancen hat bei Hessel das Wort.“65 Abseits aller hier beschriebener Analogien und Unterschiede in der Lebenswelt Franz Hessels sowie in der ästhetischen Konzeption seines Spaziergängers zum Typus des Dandys, spricht Hiltrud Gnüg vollkommen zu Recht vom „Verschwinden des Dandys im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit der Kunst“.66 Sie sieht ausgerechnet in Marcel Prousts Suche nach der verlorenen Zeit, die Franz Hessel gemeinsam mit Walter Benjamin ins Deutsche übersetzt hat 60 Vgl. Erbe (wie Anm. 23), S. 21 und Plath (wie Anm. 2), S. 50ff. 61 Erbe (wie Anm. 23), S. 17. 62 Vgl. Köhn (wie Anm. 49), S. 27ff. 63 Vgl. ebd. 64 Walter Benjamin, Die Wiederkehr des Flaneurs. Zu Franz Hessels „Spazieren in Berlin“, in: Ders., Angelus Novus. Ausgewählte Schriften 2, Frankfurt a. M. 1988, S. 416. 65 Ebd., S. 421. 66 Gnüg (wie Anm. 42), S. 313ff.
Flaneur, Bohemien – Dandy? Franz Hessel in München, Paris und Berlin
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und dessen Werk erheblichen Einfluss auf ihn ausübte67, einen Abgesang auf das Dandytum: Der Typ des Dandys spielt in der Literatur des 20. Jahrhunderts offenkundig keine Rolle mehr […]. Das Zeitalter der Massenkommunikationsmittel, die mit Bild, Wort, Ton unablässig ihre Nachrichten aussenden, denen sich der einzelne gar nicht entziehen kann, hat eine „Bewußtseins-Industrie“ geschaffen, die das Konzept autonomer Individualität in Frage stellt.68
Franz Hessel dagegen konnte sich mit den Mitteln der Massenkommunikation bestens arrangieren. Nicht nur, aber vor allem im Kapitel „Im Zeitungsviertel“ stellt er auch in Spazieren in Berlin seinen Spaziergänger in einem ironischen Vexierspiel aus der Perspektive des mehr oder weniger erfolglosen Schriftstellers dar, der auf die Arbeit für die Tagespresse angewiesen ist. Eckhardt Köhn hat überzeugend ausgeführt, wie Flanerie und Feuilleton als eigenständige Kunstform in der Prosa zusammenhängen und sich gegenseitig bedingen: Parallel zum Entstehungsprozess der bürgerlichen Öffentlichkeit vollzieht sich, bedingt durch die Ausweitung des städtischen Terrains und dessen zunehmend industrielle Prägung, eine Entwertung der urbanen Räume öffentlicher Kommunikation. Diesen Verfall einer spezifisch urbanen Öffentlichkeit […] kompensieren seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts besonders in Frankreich und England die Medien der literarischen Öffentlichkeit.69
Franz Hessel lässt seinen Spaziergänger mit großer Bewunderung für die industrielle Fertigung durch moderne Produktionshallen gehen. Mit der technischen Reproduzierbarkeit geht also nicht das Ende des Flaneurs einher, auch wenn die Zeit der großen Flaneure ebenso wie die der großen Dandys im 20. Jahrhundert vorüber gewesen sein mag. Zumindest einmal noch konnte er jedoch „wiederkehren“, wie Walter Benjamin am 4. Oktober 1929 in der Literarischen Welt in einer Rezension von Franz Hessels Spazieren in Berlin schrieb.70
67 Vgl. Köhn (wie Anm. 49), S. 170f. 68 Gnüg (wie Anm. 42), S. 316. 69 Köhn (wie Anm. 49), S. 8. 70 Vgl. Benjamin (wie Anm. 64), S. 416.
Thomas Blubacher
Francesco von Mendelssohn – der „glamorous boy“ Berlins1 „I awoke one morning and found myself famous“,2 lautet ein viel zitierter Aus spruch Lord George Byrons. Francesco von Mendelssohn war schon berühmt, als er im Jahr 1901 zur Welt kam:3 als Sohn des Bankiers Robert von Mendelssohn und seiner Frau Giulietta und damit als Mitglied einer weitverzweigten Familie. Diese hatte, seit Moses Mendelssohn im Jahr 1743 als 14-Jähriger nach Berlin gekommen war, vielfältiger und über eine längere Zeit als jede andere bürgerliche Familie die deutsche Kultur geprägt; nicht zuletzt auch durch verantwortliches Engagement für das Gemeinwesen. Die Nobilitierungen in der vierten Generation4 waren die wohl sichtbarsten Zeichen für den raschen Aufstieg der Nachkommen des Aufklärers zur großbürgerlichen Dynastie, die selbstbewusst Strategien der Selbstidealisierung pflegte. Unausweichlich sog Francesco in seinem Elternhaus jene verfeinerte Geschmackskultur in sich auf, die sich einer langen Herkunft verdankt, zumal auch seine Mutter, wegen ihrer außergewöhnlichen Schönheit von nicht wenigen Berühmtheiten, darunter dem Schriftsteller Gabriele D’Annunzio, umschwärmt, einer bedeutenden Familie entstammte: Ihr Großvater war der als italienischer Schubert gepriesene Komponist Luigi Gordigiani, ihr Vater, Michele Gordigiani, seit 1861 offizieller Bildnismaler des Königreichs Italien. Auch eine Voraussetzung des Brummell’schen Dandytyps erfüllte Francesco von Mendelssohn seit Geburt: Er besaß – zumindest bis Ende der 1930er-Jahre – das notwendige Vermögen, um sein Leben ausschließlich dem Vergnügen widmen 1 Dieser Aufsatz basiert im Wesentlichen auf meiner 2008 im Berliner Henschel-Verlag erschienen Doppelbiografie „Gibt es etwas Schöneres als Sehnsucht?“ Die Geschwister Eleonora und Francesco von Mendelssohn, Berlin 2008; zudem auf: Thomas Blubacher, Der exzentrische Paradiesvogel. Francesco von Mendelssohn: Glanzvoll in Berlin, vergessen im New Yorker Exil, Aufbau 18 (2001), S. 23; Ders., „Denk Dir, ein Wesen zu haben, was man liebt …“ Die Geschwister Eleonora und Francesco von Mendelssohn, in: Mendelssohn Studien. Beiträge zur neueren Kultur- und Wirtschaftsgeschichte 13 (2003), S. 259–289; Ders., „Where do we go from here?“ Die Geschwister Eleonora und Francesco von Mendelssohn, in: Exil 22 (2002), S. 21–40. Rechtschreibung und Zeichensetzung innerhalb der Zitate wurden heutigem Gebrauch angepasst, Fehler korrigiert, lediglich sprachliche Besonderheiten beibehalten. 2 Thomas Moore, The Life of Byron, London 1847, S. 159. 3 Franz Otto Michele Herrmann von Mendelssohn wurde am 6. September 1901 in der elterlichen Wohnung in der Jägerstraße 51 in Berlin geboren als zweitältestes Kind des Bankiers Robert von Mendelssohn und seiner Frau Giulietta, geb. Gordigiani. 4 Francesco von Mendelssohn gehörte der sechsten Generation an, nobilitiert wurde u. a. sein Großvater Franz Mendelssohn.
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Abb. 1: Francesco, Giulietta, Angelica, Robert und Eleonora von Mendelssohn.
Abb. 2: Francesco von Mendelssohn.
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zu können. Das Jahrbuch des Vermögens und Einkommens der Millionäre in Berlin für das Jahr 1913 listet auf dem 13. Rang Robert von Mendelssohn mit 25,2 Millionen und einem jährlichen Einkommen von 2 Millionen Mark. Er war seit dem Tod Ernst von Mendelssohn-Bartholdys im Jahr 1908 Seniorchef von Mendelssohn & Co., einer der wichtigsten Privatbanken Deutschlands. 1917 wurde sein Nachlass auf „höchstens“ 34,5 Millionen Mark5 geschätzt, was heute einer Kaufkraft von mehr als 200 Millionen Euro entsprechen dürfte.6 Neben dem offiziellen Berliner Wohnsitz besaßen Robert und Giulietta von Mendelssohn eine Villa in der damals noch selbstständigen Landgemeinde Grunewald. Dutzende von Dienstboten bildeten einen notwendigen und integralen Bestandteil des opulenten Lebensstils: Teestunden, musikalische Soireen, Einladungen zu großen Galadiners und Gesellschaften im intimeren Rahmen sowie nicht zuletzt Hauskonzerte mit bedeutenden Künstlern bestimmten den Alltag. In diesem von materiellem Wohlstand, von Geist und Kultur geprägten Haushalt wuchsen Francesco – der eigentlich auf den Namen Franz getauft war –, und seine beiden Schwestern Eleonora und Angelica auf. So lernte Francesco schon als Kind im wahrsten Sinne des Wortes spielend Staatsmänner von Kaiser Wilhelm II. bis Walther Rathenau, Geistesgrößen wie Gerhart Hauptmann und Max Planck, Künstler wie Eleonora Duse und Max Reinhardt kennen. Bald sprach er vier Sprachen nahezu fließend: neben der „Muttersprache“ Italienisch und der „Vatersprache“ Deutsch beherrschte er Englisch und Französisch; als Gymnasiast lernte er Griechisch und Latein. Er erhielt Klavierstunden – die Mutter Giulietta gab zeitlebens Konzerte als Pianistin –, lernte, Cello zu spielen – der Vater Robert war ein leidenschaftlicher Amateurcellist – und bekam schon als 8-Jähriger Reitund Tennisunterricht. Nach dem frühen Tod Robert von Mendelssohns verbrachte seine Witwe, die sich mit dem 26 Jahre jüngeren spanischen Cellisten Gaspar Cassadó liiert hatte, die meiste Zeit in Italien und überließ ihre Kinder der Obhut des Personals sowie ihres in der Nachbarvilla lebenden Schwagers. Francescos Verhältnis zu seiner kalten, äußerst selbstbewussten Mutter, die, wie es ein Großcousin der Geschwister formulierte, „diktatorisch, herrschsüchtig, leidenschaftlich in Wut und Zuneigung“7 war, blieb zeitlebens ein distanziertes; immer wieder brach der 5 Brief von Franz von Mendelssohn an das Königliche Amtsgericht Berlin-Mitte vom 2. 2. 1918. Kopie zur Verfügung gestellt von Monika Tatzkow, Berlin. Für die Abdruckgenehmigung danke ich Angelika Siebeck-von Mendelssohn, Berlin. 6 Die Berechnung der heutigen Kaufkraft ist wegen der Unterschiedlichkeit der den Verbraucherpreisindices zugrunde gelegten Warenkörbe problematisch. Anderen Berechnungen zufolge entsprechen 34,5 Millionen Mark knapp 120 Millionen Euro. Ein Pfund Brot kostete 1919 26 Pfennige, ein Zentner Kartoffeln 12 Mark, ein Pfund Fleisch 2,20 Mark. 7 Gespräch mit Detlef Nikolaus Witt (*17. 2. 1920 in Berlin), dem jüngsten Sohn von Franz von
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Kontakt sogar für Monate ab. Seine Mutter, so soll Francesco später einmal sein gespaltenes Verhältnis zu ihr erklärt haben, hasse Juden und Homosexuelle – leider sei er beides. „Um heutzutage in die besten Kreise zu gelangen, muss man die Leute entweder bewirten, amüsieren oder schockieren – mehr nicht“,8 sagt Lord Illingworth in Oscar Wildes Eine Frau ohne Bedeutung. Auch wenn er den „besten Kreisen“ längst angehörte, lebte Francesco von Mendelssohn, der dank Giuliettas Abwesenheit in Grunewald beinahe schalten und walten konnte, wie er wollte, nach dieser Devise. Schon bald wurde die Villa, in der er, vom Personal umsorgt, mit seinen beiden Katzen, einem hellbraunen Windspiel, einem Uhu, der in einem großen Metallkäfig im Freien gehalten wurde, und einer ganzen Herde Afghanischer Windhunde wohnte, wieder ein glanzvoller Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens der Hauptstadt. Francesco verkehrte mit Mitgliedern der Berliner Haute Volée und des europäischen Adels, mit hochrangigen Diplomaten, Bankiers, Industriellen und nicht zuletzt mit international berühmten Künstlern. Nicht wenige Freunde beherbergte er wochen- oder monatelang, darunter die Schauspielerin Elisabeth Bergner und den Dramatiker Ödön von Horváth. „Die Snobs stürzten sich auf ihn“, heißt es in Klaus Manns 1931 veröffentlichtem Roman Treffpunkt im Unendlichen über die zentrale Figur des Tänzers Gregor Gregori, dessen Vorbild der Schauspieler Gustaf Gründgens war. „Sein treuester Trabant wurde ein junger Goldberg-Rosenheim, dessen Lebensglück darin bestand, immer an der Seite derer zu erscheinen, deren Name als neuer Stern gerade aufstieg über dem Horizont.“ Diese Figur eines „Sprösslings aus großer Familie“, wie es heißt, Bewunderers und Förderers Gregoris ist zweifellos von Gründgens’ Freund Francesco von Mendelssohn inspiriert.9 Wie die Mendelssohns wohnt Goldberg-Rosenheim in Grunewald in einer herrschaftlichen Villa voller Gemälde und Antiquitäten: „Gregori wandte dem echten Rembrandt, der zwischen den Bücherschränken braungolden schimmerte, demonstrativ den Rücken zu, wie um zu beweisen, dass er ihm keinen Eindruck machte; in Wahrheit, weil ihn sein Anblick irritierte und verschüchterte.“10 Klaus Manns Charakterisierung nahm vor 80 Jahren einiges von dem vorweg, was von dem bekanntesten „glamorous boy“ der Weimarer Republik in Erinnerung geblieben ist: der reiche Bankierssohn Francesco von Mendelssohn als dekadenter „Trabant“ aufsteigender Sterne am Künstlerhimmel, der in Berlin Mendelssohns Tochter Emma. 8 Lord Illingworth in Oscar Wildes „Eine Frau ohne Bedeutung“. Zit. nach Merlin Holland, Das Oscar-Wilde-Album, München 1998, S. 55. 9 Klaus Mann, Treffpunkt im Unendlichen, Reinbek 1998, S. 108, 111. 10 Ebd., S. 115.
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ebenso wie in Paris, London und Venedig in den vornehmsten Gesellschaftskreisen verkehrte und mit intimen Freunden wie dem Pianisten Vladimir Horowitz, dem Schauspieler Gustaf Gründgens und dem Hollywood-Star Ramón Novarro die Bars der schwulen Subkultur besuchte. Nicht nur bei Klaus Mann taucht Francecso von Mendelssohn unverkennbar als Romanfigur auf. In Lea Singers Vier Farben der Treue (2006) wird Francesco von Mendelssohns, der dort sogar seinen wahren Namen trägt, hauptsächlich über seine Homosexualität definiert. Er liebt maliziösen Klatsch, trägt gerne Fummel und besitze dabei „durchaus etwas Laszives“.11 Angesichts seines Lebenswandels stelle sich die Frage, „wo da noch irgendwas von der guten Erbmasse zu erkennen sein soll“.12 „Ich verkehre als Mann tapfer nur mit Männern, damit keiner behaupten kann, Homosexualität sei erblich“,13 erklärt Lea Singers Francesco, der Deutschland verlassen hat, weil es reiche, „dass der arme wilde Oscar im Zuchthaus ein Wrack wurde. Um mich und mein Cello wäre es jedenfalls schade.“14 Ein Dandytum Wilde’scher Prägung kann man Francesco von Mendelssohn, der Mitte der 1920er-Jahre der wohl exzentrischste Exponent der „jeunesse dorée“ in Berlin war und schon mal im kanariengelben Seidenschlafrock über den vornehmen Kurfürstendamm spaziert sein soll, wohl kaum absprechen. „Er war exzentrisch, aber eben ganz richtig ehrlich exzentrisch, er hat das nicht gespielt, das heißt, er war eigentlich ziemlich verrückt“, erinnerte sich der gebürtige Berliner Konrad Katzenellenbogen, ein Freund Klaus Manns und im amerikanischen Exil Sekretär Thomas Manns. „Er war ein seltsamer Vogel, fast unheimlich in seiner Entferntheit vom täglichen Leben.“15 Für die Malerin Vita Petersen, die seit 1938 ihren Verwandten Francesco in New York regelmäßig traf, war er „eine absolut unvorstellbare Persönlichkeit“,16 „aber gar nicht mehr zurechnungsfä11 Lea Singer, Vier Farben der Treue, München 2006, S. 39. 12 Ebd., S. 136. 13 Ebd., S. 138. 14 Ebd., S. 190. 15 Gespräch mit Konrad Kellen (14. 12. 1913 Berlin–8. 4. 2007 Pacific Palisades), am 12. 2. 2002 in Pacific Palisades. Zu den weiteren befragten Zeitzeugen gehörten u.a. Katja Andy, Don Bachardy, Carl Christoph Bernoulli †, Peter-Daniel Bernoulli †, Robert-Alexander Bohnke †, Renate Brausewetter †, Hedwig Busch †, Meta Cordy †, Peter Crane, Jean Fonda-Fournier, Gudrun Genest, Anthony Goldschmidt, Ruth Hellberg †, Nicolas Graf Henckel von Donnersmarck, Marianne Hoppe †, Grace Jeszenszky, Susan Kagan, Maximilian Kempner, Helmuth Kindler †, Albrecht Knaus †, Maria Körber, Andreas Lowenfeld, Bernhard Minetti, Peggy Moran Koster †, Manfred Paletta, Lalan J. Parrott, Jacqueline Piatigorsky-de Rothschild, Jo Alma Révy †, Joseph J. Roddy †, Allan Schiller, Tonio Selwart †, Ann Sommer †, Jonathan Sternberg, Peter Viertel †, Anna Lee Wurlitzer und Marianne Wurlitzer. 16 Gespräch mit Vita Petersen (21. 1. 1915 Berlin-Dahlem–22. 10. 2011 New York) am 5. 3. 2007 in New York.
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hig, wirklich. Man wusste wirklich nicht, ob er einem die Wahrheit sagt oder was erfindet, das ging alles durcheinander.“17.
Abb. 3: Francesco von Mendelssohn (Mitte) mit Freunden in der „Scala“ in Berlin (1925).
Geistreiche Aperçus hat Francesco von Mendelssohn nicht hinterlassen, wohl aber kursierten spektakuläre Anekdoten über den flamboyanten Paradiesvogel, selbst vom Ritt auf einem Elefanten quer durch Berlin wurde erzählt. Gemessen an seiner Herkunft aus einer traditions- und statusbewussten Familie, pflegte er einen extravaganten Lebensstil: Sein weißes Cabriolet mit knallroten Kotflügeln und hermelinbezogenen Sitzen, in dem er durch Berlin raste, war stadtbekannt. In einem eleganten Salon seines Elternhauses ließ er eine antike römische Badewanne aus schwarzem Marmor aufstellen, die Decke und sämtliche Wände mit Spiegeln versehen. Seine 1921 erworbene Wohnung in Venedig hingegen war so geschmackvoll und kostbar möbliert wie das Zuhause seiner Kindheit, vor allem wies sie eine exquisite Lage auf, nämlich im Torre dell’Orologio, dem Uhrenturm, an der nördlichen Seite der Piazza San Marco, mit Blick auf den Haupteingang des Doms, den Campanile sowie die Piazza mit der Lagune. Später erwarb Mendelssohn ein weiteres Domizil im Herzen von Paris. 1935 emigrierte er in die USA, war er doch laut den im selben Jahr erlassenen Nürnberger Rassegesetzen „Mischling 2. Grades“. Seine Schwester Eleonora meinte: „Man kann nicht Mendelssohn 17 Gespräch mit Vita Petersen am 9. 1. 2002 in New York.
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heißen und sich nicht auf die jüdische Seite stellen, wenn die Juden in Gefahr sind.“18 Im New Yorker Exil besaß er in der 83rd Street, wenige Meter von der Fifth Avenue und dem Metropolitan Museum entfernt, ein zweigeschossiges Gebäude, 1845 erbaut und als eines der wenigen alten Holzhäuser eine Rarität in dieser noblen Gegend; seit langem trotzte es, von Wolkenkratzern mit Luxusapartments umringt, dem Abriss. Er richtete es mit Renaissance-Truhen und BiedermeierSofas aus der Grunewald-Villa ein. Den Wohnraum schmückte ein spätbarockes Gemälde des Venezianers Giovanni Battista Piazzetta, das er ebenso mit in die USA gebracht hatten wie Bilder von Vincent van Gogh, Camille Pissarro, Édouard Manet und Henri de Toulouse-Lautrec. Francescos Partys dort wurden ebenso legendär wie einst seine Feste in Grunewald; Stars wie Greta Garbo mischten sich mit alten Freunden und neuen Straßenbekanntschaften: „Jeder von der Straße, der das Licht bei Francesco sah, kam, es ging wild zu. Und der Portier vom Haus gegenüber kam und machte die Schranktür auf in der Küche, nahm sich einen Drink und verschwand wieder. Und Francesco saß unter seinem Steinway-Flügel, versuchte, Cello zu spielen, und war viel zu betrunken dazu“,19 erinnerte sich Vita Petersen an das Bohème-Leben des Hausherrn. „Da war ein Schmutz, das war wirklich schlimm. Die wertvollen Erstausgaben lagen auf dem Boden, dazwischen der Hundedreck – furchtbar.“20 Dass sich Zeitzeugen noch Jahrzehnte nach seinem Tod absolut sicher waren, Mendelssohn habe einen Wolkenkratzer abreißen lassen, um dieses Holzhaus zu erbauen, spricht für sich. Während viele der großen Dandys einen maßgeblichen Einfluss auf die Herrenmode ausübten und entweder die Kleidung vollständig revolutionierten wie George Brummell oder ihr das eine oder andere Accessoire hinzufügten wie Alfred d’Orsay,21 dürfte Mendelssohn mit seiner keineswegs geschmackvollen Kleidung weniger ein Dandy, allenfalls ein Vorläufer des Camp gewesen sein; zweifellos zählte er nicht gerade zur Eleganz-Elite. In seinem Ankleidezimmer „mit langen Reihen von Schränken“ hing „eine riesige Zahl leuchtend bunter Hemden“,22 eines der Lieblingsstücke des in seinen narzisstischen Selbstinszenierungen vor allem nach Originalität Strebenden war Ende der 1920er-Jahre ein Anzug aus knallrotem Leder.23 Er trug nicht selten ein Monokel, nicht weil er es gebraucht hätte, sondern weil es chic war, und liebte auffällige Ringe an den Fin18 Zit. nach Aufzeichnungen von Emmerich von Jeszenszky, Privatbesitz. Für die Abdruckgenehmigung danke ich Grace Jeszenszky, Kammer am Attersee. 19 Gespräch mit Vita Petersen am 9. 1. 2002 in New York. 20 Ebd. 21 Vgl. dazu Günter Erbe, Dandys. Virtuosen der Lebenskunst. Eine Geschichte des mondänen Lebens, Köln [u. a.] 2002, S. 224. 22 Memoiren von Peter Witt, Privatbesitz. 23 Gespräch mit Jean Fonda-Fournier am 29. 6. 2001 in Genf.
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gern.24 Details wie seine leuchtend roten Krawatten – als das textile Artikulationsstück des Mannes auch ein Virilitätssymbol – fanden sogar im Zeitungsfeuilleton Erwähnung.25 Flanierte der „Décadent“ Francesco wie erwähnt im kanariengelben Seidenschlafrock durch die Stadt, so tat er dies zweifellos, um mit diesem gegen Sitte und Anstand verstoßenden vestimentären Code ein unkalkulierbares, subversives Element in eine soziale Formation zu bringen, deren Mitglieder daran gewöhnt waren, die vorgeschriebene Etikette zu befolgen. Noch deutlicher wird diese demonstrative Auffälligkeit im Benehmen durch andere Freiheiten, die er sich erlaubte und die nicht nur auf traditionsbewusste Mitglieder der Oberschicht provozierend wirken mussten. So überliefern zahlreiche Anekdoten Mendelssohns Hang zur Selbstentblößung, sei es im relativ intimen Rahmen einer Theatergarderobe, wo er sich nackt auszog, eine große Feder in den Hintern steckte und die Schauspieler fragte: „Bin ich nicht ein schöner Hahn?“,26 sei es auf einem hochoffiziellen Ball, wo er die Gesellschaft schockierte, indem er seinen Pelzmantel fallen ließ und darunter splitterfasernackt war – obwohl er durchaus ein kritisches Verhältnis zu seinem wenig muskulösen Körper hatte.27 Aufsehen erregte Mendelssohn gerne auch als „Crossdresser“, so ging er im Abendkleid aus, gemeinsam mit Samuel Fischers Nichte Ruth Landshoff, die ihn im Smoking begleitete.28 Dass sie eine Zeit lang als Verlobte posierten, sollte die Gesellschaft irritieren, Francesco dachte ebenso wenig an eine Ehe wie der britische Dandy David Herbert, den man später „the Queen of Tangier“29 beziehungsweise „uncrowned queen of Tangier“30 nannte, Ian Fleming bezeichnete ihn als „the Queen Mother of Tangier“31, und der Ende der 1920er-Jahre ebenfalls ver24 Vgl. dazu Glenn Plaskin, Horowitz. Eine Biographie, Frankfurt a. M. 1990, S. 58. 25 Zeitungsausschnitt aus Privatbesitz, bezeichnet: Gustav Stolze, 5. 12. 1930 [Berliner LokalAnzeiger?]. 26 Gespräch mit Veit Harlans Tochter Maria Kerzel-Körber, Berlin am 4. 7. 2007. 27 So schrieb Mendelssohn im Sommer 1927 an Christoph Bernoulli: „[Friedrich Wilhelm] Murnau ist nackt gar nicht schön. Er hat ebenso einen Busen wie ich.“ Mendelssohn-Archiv, Depositum Mendelssohn-Gesellschaft, Nachlass 5. [= MA]. Für die Abdruckgenehmigung danke ich Prof. Dr. Andreas F. Lowenfeld, New York. 28 „Oft erschienen sie in Gesellschaften mit vertauschten Kleidern, Francesco als Ruth und Ruth als Francesco. Sie beide faszinierten durch eine besondere Synthese aus Dekadenz und Frische“, erinnert sich Georg Zivier an die Auftritte des „zwillingshaften“ Paars im Romanischen Café, dem Kristallisationspunkt des musischen und künstlerischen Berlin. Georg Zivier, Das Romanische Café, Berlin 1965, S. 78. 29 Barbara Skelton, Weep no more, London 1989, S. 34. 30 Francis King, Tangerine Dreams, The Spectator Magazine, 28. 6. 2008. 31 Zit. nach Victoria Brooks, Famous Faces, Famous Places, Famous Food, Vancouver 2004, S. 158.
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lauten ließ, er habe sich mit Ruth Landshoff verlobt. Diese heiratete 1930 Friedrich David Graf Yorck von Wartenburg und verzehrte sich – nach Beziehungen unter anderem mit Dorothea Sternheim und Annemarie Schwarzenbach – in den 1940er-Jahren im New Yorker Exil in unerfüllter Liebe zu Francescos Schwester Eleonora. David Herbert zählte ebenso zu den homosexuellen Bekannten Mendelssohns wie der Maler Walter Spies, der die Insel Bali in der westlichen Welt nicht nur bei Homosexuellen populär machte. Zu den intimen Freunden Francescos gehörte der Pianist Vladimir Horowitz, der 1925 aus Russland nach Berlin gekommen war. Die beiden teilten nicht nur die Vorliebe für muskulöse Jungs in Matrosenhemden, sondern auch den Hang zu einer eigenwilligen, effeminierten Exzentrik; Horowitz war schon in Moskau aufgefallen, wenn er in einem monströsen Pelzmantel und mit Make-up im Gesicht durch die Straßen gegangen war. Erst nach der Heirat mit Arturo Toscaninis Tochter Wanda lebte er seine Homosexualität nur noch versteckt aus.
Abb. 4: Francesco von Mendelssohn, Alice und Christoph Bernoulli 1927 in Alassio.
Bisexualität und das Kokettieren mit schwulen und lesbischen Vorlieben wurden im Berlin der 1920er-Jahre in manchen Kreisen geradezu zum Ideal erhoben, Geschlechtergrenzen verschwammen; und so machte Mendelssohns Homosexualität, obgleich er sie durch sein dezidiert effeminiertes Verhalten deutlich zur Schau stellte und auch promiskuitiv auslebte, ihn nicht zwangsläufig zum Exzentriker. Lediglich die Dorfbevölkerung Murnaus soll sich schockiert gezeigt haben, als sich im Gasthof zur Post Gustaf Gründgens auf Francescos Schoß setzte. In Berlin gehörte Mendelssohn zum Inner Circle der Gesellschaft, die selbst die
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unkonventionellen Gäste bei seinen begehrten Einladungen tolerierte, ja sogar goutierte: Nach Mitternacht mischten sich, wie immer bei Francescos Festen, seltsame Gestalten unter die Gäste: muskulöse junge Männer in quergestreiften Ruderhemden, zerbeulten Hosen und Pullovern. Manche hatten die Hemdsärmel hochgerollt, und man sah farbige Tätowierungen auf ihren Armen. Sie kamen vom Sechstagerennen im Sportpalast. Keiner der distinguierten Gäste schien unangenehm berührt, nur die Diplomaten entfernten sich unauffällig.32
Francesco romantisierte und idealisierte die Idee des unverbildeten Arbeiters und war von der Halbwelt fasziniert. So diskutierten dann in der einen Ecke des Salons Artur Schnabel und Paul Hindemith ernsthaft über Kunst und Politik, während in der anderen Ecke Strichjungen und Morphinisten saßen.33 Der Snob, wie ihn William Makepeace Thackeray versteht, strebt immerzu woanders hin, genügt sich nicht selbst und verzehrt sich unentwegt nach Anerkennung.34 Francesco, rastlos unterwegs an jene Orte, die gerade fashionable waren, protegierte Freunde wie Horowitz oder den Tänzer Harald Kreutzberg, dessen Auftritte Kritiker zu der Frage veranlassten, ob ein tanzender Mann nicht „widernatürlich“ sei, da man „unwillkürlich das Gefühl von Degeneration und Verweiblichung“35 habe. Er machte das Cellospielen zum Beruf, spielte mit dem Busch-Quartett, erhielt hymnische Kritiken als Solist36 und wurde 1926 als stän32 Salka Viertel, Das unbelehrbare Herz, Reinbek 1987, S. 136f. 33 Gespräch mit Jean Fonda-Fournier am 29. 6. 2001 in Genf. 34 Vgl. dazu u. a. William Makepeace Thackeray, The Book of Snobs, 1848 [Das Buch der Snobs, Zürich 2011]. 35 Berliner Volkszeitung, zit. nach Frank-Manuel Peter (Hrsg.), Der Tänzer Harald Kreutzberg, Berlin 1997, S. 104. 36 Er konzertierte u. a. in Rom, Florenz und Turin und wurde von der Presse gelobt, er sei „jung an Jahren, […] in seiner Kunst weit fortgeschritten“ und besitze „jene Sicherheit, die nur dem eigen ist, der das, was er tut, wirklich beherrscht“ (Il Giornale d’Italia), er überzeuge „durch die Größe seines ausdrucksvollen Tones, dessen edle Linie ganz besonders schön zur Geltung kam“ (La Gazetta del Popolo). Auch in Deutschland erntete er hymnische Kritiken: „Er fesselt durch ungewöhnlichen, großen und Gesang atmenden Ton“ (Münchener Neuesten Nachrichten); „Man kann sich schwer ein noch intensiveres Erfühlen, je Erleiden bei dem Abringen der Töne von seinem schwierigen Instrument, das zu seiner singenden, bebenden und schluchzenden Seele wurde, vorstellen“ (Münchener Zeitung). Man rühmte Francesco von Mendelssohns „von einer traumvollen Innerlichkeit angehauchtes“ Cellospiel, seine „sichere, ja souveräne Technik“, den „unerhört großen, voluminösen und herrlichen Ton“, seine „bedeutende Gestaltungskraft“. Er sei „ein instrumentales Talent allerersten Ranges“, spiele „mit der Überlegenheit des außergewöhnlichen Könners“ und sei „berufen, in die vorderste Reihe unserer Solocellisten einzurücken“, in die „Reihe der größten Meister der Kniegeige“. Alle Kritiken undatiert, zitiert nach einem ebenfalls undatierten Werbeprospekt der Süddeutschen Konzertdirektion Otto Bauer, Wurzerstr.
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diges Mitglied in das renommierte Klingler-Quartett aufgenommen. Daneben übertrug er zwei Dramen Luigi Pirandellos aus dem Italienischen, die 1925 beziehungsweise 1926 publiziert wurden37 und gab ebenfalls 1926 ein Buch über die zwei Jahre zuvor verstorbene Schauspielerin Eleonora Duse heraus.38 Im selben Jahr übernahm er auch noch eine Rolle in Berthold Viertels kapitalismuskritischem Querschnittfilm Die Abenteuer eines Zehnmarkscheins, der unter dem Titel Uneasy Money sogar in Amerika vertrieben wurde, und versuchte sich bei einer Gesellschaft von Milly von Friedlaender-Fuld in ihrem Palais am Pariser Platz gemeinsam mit deren Tochter Anne-Marie „Baby“ von Goldschmidt-Rothschild als Schauspieler in Hugo von Hofmannsthals Gestern, vor erlesenen Gästen wie Harry Graf Kessler und Helene von Nostitz. Dennoch schrieb er an seinen Freund Christoph Bernoulli: „Ich habe keinen Beruf. Mist. Aber es ist Sonne. Warum soll ich wen wo treffen? Was will ich mit meinem süßen Leben beginnen, das ich jetzt wieder in die gute Luft verpuffe? S.O.S. immer noch. Hilfe aus jeder Himmelsrichtung acceptiert.“39 Und in einem anderen Brief konstatierte er, sein – augenblicklich offenbar zielloses – Leben sei bestimmt durch „das übliche Weiterwurschteln“.40 Die Zusammenarbeit mit Karl Klingler gestaltete sich indes immer schwieriger, weil Francesco den hohen Anforderungen nicht mehr gerecht wurde, zu groß waren seine Ablenkbarkeit, seine Unentschlossenheit, seine Unzufriedenheit – es waren wohl erste Anzeichen der Borderline-Störung, die der emotional instabile Francesco später entwickelte.41 „Es ist so wahnsinnig schwer, die Geduld zu 16, München. MA. 37 „Die Nackten kleiden“ und „Besser als früher“ wurden 1925 bzw. 1926 im Berliner HägerVerlag veröffentlicht. 38 Der Band, den Mendelssohn gemeinsam mit Bianca Segantini, einer Tochter des Schweizer Malers, herausgab und für den die beiden schwärmerisch-rühmende Beiträge u. a. von George Bernard Shaw, Gabriele d’Annunzio, Rainer Maria Rilke gesammelt und teilweise ins Deutsche übersetzt hatten, erschien 1926 im Berliner Rudolf Kaemmerer Verlag. 39 Undatierter Brief von Mendelsohn an Christoph Bernoulli, vermutlich vom Sommer 1927, MA. 40 Undatierter Brief von Mendelssohn an Salka Viertel. Deutsches Literaturarchiv Marbach [= DLA], Nachlass Berthold und Salka Viertel. 41 Borderliner schaffen es nicht, ein berufliches Ziel konsequent zu verfolgen. Francesco von Mendelssohn kann in den späten 1930er- und 1940er-Jahren trotz einiger typischer Symptome des Manisch-Depressiven als emotional instabile Persönlichkeit betrachtet werden mit beinahe sämtlichen Merkmalen des typischen Borderliners: einem quälenden Leere-, Unlust- oder Überdrussgefühl, panischer Angst vor dem Alleinsein und zugleich dem Unvermögen, dauerhafte zwischenmenschliche Beziehungen aufzubauen, wechselnder, unberechenbarer Stimmung, unkontrollierten Emotionen und der Neigung zu impulsiven Handlungen, verstärkter Aggressionsbereitschaft, selbstzerstörerischer Drogensucht, Neigung zum Suizid. Vgl. dazu: Borwin Bandelow, Celebrities. Vom schwierigen Glück, berühmt zu sein, Reinbek 2006.
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provisorischen Perioden aufzubringen – in der Liebe, im Leben, in der Arbeit – und dabei muss es die ja geben – mir fällt das jetzt alles unerträglich schwer. […] Und nicht genau zu wissen, wohin es eigentlich geht.“42 Als er 1929 seinen Platz im Klingler-Quartett räumen musste, widmete er sich jedoch keineswegs dem Müßiggang, sondern interessierte sich kurzzeitig für das Medium Film43 und wandte sich dann dem Theater zu; seine Schwester Eleonora war bereits seit fünf Jahren als Schauspielerin in Wien, Düsseldorf und Berlin tätig. „Das Leben ist wieder ganz schön, toitoitoi“, schrieb er seiner Freundin Salka Viertel. „Klingler ist ganz aus. (Der ganze ‚falsche‘ Weg zu Ende marschiert.) […] und die herrliche Zukunft – das Theater endlich praktisch greifbar. […] Das Resultat ist: Glück wie noch nie, toitoitoi.“44 In der Tat: Während Oscar Wilde André Gide anvertraute, er habe nie das Glück gesucht, sondern stets nur den Genuss,45 war Francesco von Mendelssohn sein Leben lang bestimmt von der sich kaum einmal erfüllenden Sehnsucht nach Glück, Glück durch einen erfolgreiche berufliche Tätigkeit, Glück durch eine dauerhafte Partnerschaft. Einmal stand Mendelssohn, der zunächst bei berühmten Regisseuren wie Max Reinhardt und Erich Engel assistierte, als Akteur auf der Bühne des Berliner Staatstheaters – von der Kritik arg zerzaust: „Es gibt Schauspieler, die sich als Damenimitatoren gefallen. Herr von Mendelssohn spielte einen Sportstudenten wie eine Schauspielerin eine Hosenrolle spielt – mit forciertem Bass.“46 Auch als Regisseur reüssierte er nicht wirklich, obschon er sich durch einige seiner Arbeiten einen Namen machen konnte, darunter die Uraufführungen von Ödön von Horváths Italienischer Nacht 1931 in Berlin und Kasimir und Karoline 1932 in Leipzig, später mit Inszenierungen der Dreigroschenoper von Bert Brecht und Kurt Weill 1933 in New York und 1937 in Paris.47 „Der ehemalige Cellist und 42 Undatierter Brief von Mendelssohn an Salka Viertel, DLA, Nachlass Viertel. Hervorhebung im Original. 43 So schrieb er im Juli 1929 an Salka Viertel, die Frau des gerade als Drehbuchautor und Filmregisseur in Hollywood tätigen Berthold Viertel: „Autorisiert er mich, mich um deutsche Titel, Reklame, Presse etc. etc. zu kümmern? Die bisherigen Notizen sehr clever – sehr richtig. Auch die Bilder.“ DLA, Nachlass Viertel. 44 Brief von Mendelssohn an Salka Viertel, datiert „ungefähr 10. Juli” [1929], DLA, Nachlass Viertel. Hervorhebungen im Original. 45 Vgl. Erbe, Dandys (wie Anm. 21), S. 229. 46 Lutz Weltmann, Berliner Volkszeitung vom 6. 6. 1929. 47 Mendelssohn gab sein Regiedebüt am 4. 12. 1930 am Theater am Schiffbauerdamm in Berlin mit Valentin Katajews Revolutions-Komödie „Die Quadratur des Kreises“; die Kritiken waren fast alle negativ. Herbert Ihering, Berliner Börsen-Courier vom 5. 12. 1930: „Regie: Francesco von Mendelssohn. Sie war nicht zu spüren. Aber ihre Aufgabe wäre es gewesen, die Aufführung zu verdichten. Auch Dilettanten können gute Schauspieler nicht immer um ihre Wirkungen bringen. […] Hier besiegten die guten Schauspieler einen dilettantischen Regisseur.“ Erich
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sympathisch besessene Theaterfreund“, so ein Kritiker wohlwollend, „scheint als Spielleiter über ein allzu behutsames Amateurtum nicht hinauszukommen“48 – wobei es wohl weniger ein Mangel an Talent als an Konsequenz und Disziplin war, der den Durchbruch verhinderte.49 Mendelssohn indes strotzte vor Selbstbewusstsein und lancierte in der Presse erfundene Erfolgsmeldungen.
Abb. 5: Francesco von Mendelssohn Anfang der 1930er Jahre am Lido in Venedig.
Bei seinen zahlreichen Affären nahm Mendelssohn auch auf Freundschaften keine Rücksicht. So kam es etwa 1931 zum vorübergehenden Bruch mit Horowitz, als er dessen Gefährten, der offiziell als Diener und Sekretär mit ihm tourte, heftige sexuelle Avancen machte, die dieser entschieden ablehnte, wofür Mendelssohn Horowitz die Schuld gab, der offenbar seinen Freund nicht teilen wolle,
Burger, Berliner Tageblatt, 5. 12. 1930: „[…] unter der indifferenten Führung durch Francesco von Mendelssohn […].“ Spätere Inszenierungen Francesco von Mendelssohns erhielten teilweise durchaus positive Rezensionen. 48 Emil Faktor, Berliner Börsen-Courier vom 14. 1. 1933. 49 1935 bewarb er sich vergeblich um die Direktion des Wiener Theaters in der Josefstadt.
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was Mendelssohn für egoistisch und spießig hielt.50 Die einzige längere Partnerschaft scheint Francesco von Mendelssohn 1937 mit dem 23-jährigen ehemaligen Matrosen Hassel B. Johnson51, als Sohn eines Schreiners in Texas geboren, eingegangen zu sein. Von Dauer war aber auch diese Verbindung nicht – der zwölf Jahre jüngere Johnson heiratete und wurde 1941 Vater einer Tochter. Zeitweise war Francesco von Mendelssohn im amerikanischen Exil als Associated Director bei dem von Max Reinhardt inszenierten Mammutspektakel The Eternal Road in New York beschäftigt, doch meist lebte er ohne Aufgabe und Perspektive dahin. Schon im Spätsommer 1934 in Venedig erwog er eine Rückkehr in das nationalsozialistische Deutschland. Dazu schrieb seine Schwester Eleonora an Salka und Berthold Viertel in Pacific Palisades: Ich habe große Angst um Cesco. Er will trotz aller Warnungen aller seiner Freunde (außer einiger leichtsinniger Idioten, die sich ohne ihn in Berlin langweilen) zurück. Er redet sich ein, er hätte Arbeitsmöglichkeiten. Das stimmt aber nicht. Er hat Heimweh – und es ist ihm nicht zu erklären, dass es das, wonach er es hat, gar nicht mehr gibt. […] Cesco ist in direkter Gefahr des Konzentrationslagers, schon um dann ein Lösegeld zu bekommen. Er weiß es auch, aber er glaubt, wenn er nicht zahlt, wird es ihnen zu langweilig oder es imponiert ihnen. Dann hat er keinen Begriff von Gefahr und vor allem: sein Widerspruchsgeist. Er will es selber sehen, selber wissen, selber erleben.“52
Im amerikanischen Exil konnte Mendelssohn das Gefühl der Einsamkeit nur noch mit Whiskey und sexuellen Abenteuern betäuben. Aus der Produktion der Eternal Road wurde er wegen seines Alkoholkonsums vorübergehend entlassen und begab sich daraufhin beim Psychoanalytiker Sándor Rádó erstmals in psychiatrische Behandlung. Im Winter 1937/38 schloss er einen Selbstmordpakt mit der Schauspielerin Rosamond Pinchot, die sich – ohne ihn – am 24. Januar 1938 tatsächlich das Leben nahm. „Er konnte sehr komisch sein, aber heiter war er eigentlich nie. Er war sehr labil psychisch, deshalb hat er auch soviel getrunken“,53 erinnerte sich Vita Petersen. Er schwankte zwischen Hochstimmung und tiefer Depression, die letztlich in eine selbstzerstörerische Sucht
50 Vgl. Brief von Vladimir Horowitz an Mendelssohn vom 2. 8. 1931, MA. 51 Hassel B. Johnson (5. 11. 1913 Princeton, Texas–29. 6. 1974 Conroe, Texas), Sohn des Schreiners Beacher J. Johnson, heiratete Erdwine Mary Poole (2. 1. 1911 New York–4. 4. 1985 Los Angeles), die gemeinsame Tochter Joan Poole Johnson wurde am 6. 11. 1941 geboren. 52 Undatierter Brief von Eleonora von Mendelssohn an Berthold und Salka Viertel, DLA, Nachlass Viertel. Hervorhebungen im Original. Der Kontext lässt eine Datierung auf Sommer 1934 als wahrscheinlich annehmen, dafür spricht u. a. ein Schreiben Juliette Achards an Salka Viertel vom 22. 9. 1934, in dem sie von Rückkehrplänen Francescos berichtet. 53 Gespräch mit Vita Petersen am 9. 1. 2002 in New York.
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mündete. Seine Depressionen wurden immer heftiger, er fühlte sich „melancholissimo“ und „todessüchtig“,54 war „so apathisch, dass ihm alles gleich ist“.55 Schon seit jeher besaß er eine völlige Unbekümmertheit und Ignoranz in Fragen des Geldes und brachte deutlich mehr Enthusiasmus auf, Geld auszugeben, als welches zu verdienen; er lebte vom immensen Vermögen seiner Familie und später den Zuwendungen der Mendelssohn’schen Familienstiftung56. Nun geriet er in ernste finanzielle Schwierigkeiten und – wegen des Ausstellen ungedeckter Schecks – in Konflikt mit dem Gesetz: Wenn er nicht genug Geld hatte, um alle Rechnungen zu bezahlen, warf er alle Rechnungen in einen Papierkorb, zog dann ein oder zwei heraus und bezahlte diese. Wenn jemand vom Gas- oder Elektrizitätswerk wagte zu klingeln, um das Geld einzutreiben, sagte Cesco: „Seien Sie vorsichtig, sonst kommt Ihre Rechnung nicht mal in den Papierkorb.“57
Seinen Drang nach Aufmerksamkeit und seine Sehnsucht nach Anerkennung und Liebe befriedigte er immer weniger durch künstlerisch-kreative Tätigkeiten als durch sein exzentrisches Verhalten und den mitleiderheischend zelebrierten Rausch, bald schon inszenierte er sein Scheitern als öffentliches Ereignis. Diese fehlende Selbstbeherrschung Mendelssohns, der absolute Mangel an Disziplin und jener Affektkontrolle, die unerlässlich ist, um die Überlegenheit zu wahren, das Nichtvorhandensein jeglicher impassibilité markieren denn auch die Grenze seines Dandytums.58 Klaus Mann schrieb am 9. Januar 1940 in seinem Tagebuch: „[…] Unheimlich: Die Nachrichten über Francesco Mendelssohns ausgebrochenen Irrsinn. ‚He is locked in‘ –: Wie es kommen musste …. Die – fließende – Grenze
54 Undatierter Brief von Mendelssohn an Christoph Bernoulli, MA. 55 Brief von Christoph Bernoulli an Käthe Perls, 18. 3. 1938. Universitätsbibliothek Basel, Nachlass Christoph Bernoulli. Für die Abdruckgenehmigung danke ich Dr. Carl Christoph Bernoulli, Basel. 56 Diese – nicht mit der 1868 gegründeten Moses Mendelssohn’schen Familienstiftung zu verwechselnde – Stiftung mit Sitz in Glarus (und in Amsterdam, Brüssel und New York deponierten Sicherheiten) wurde gegründet, um den Unterhalt von Giulietta, Eleonora und Francesco zu sichern, die aus dem Stiftungsvermögen monatliche Überweisungen erhielten. 1939 erwog man, den Sitz der Stiftung, deren Board aus holländischen Staatsangehörigen bestand, nach Norwegen zu verlegen. Nachdem es bei Mendelssohn & Co. in Amsterdam, von wo die meisten Zahlungen erfolgt waren, 1939 zu Unregelmäßigen gekommen war und der Leiter, Fritz Mannheimer, Suizid begangen hatte, verwalteten Friedrich Kempner und Jakob Goldschmidt in New York das Geld. Am 11. 3. 1948 wurde die Stiftung in einen Trust nach US-Recht umgewandelt, Friedrich und Paul Kempner wurden Trustees, Goldschmidt Berater. 57 Gespräch mit Anna Lee Wurlitzer am 17. 2. 2002 in New York. 58 Vgl. Erbe, Dandys (wie Anm. 21), S. 21.
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zwischen snobistischer Exzentrizität und klinischem Wahnsinn, mit dem Mute der Verzweiflung, plötzlich übersprungen -----“59 Auch Berthold Viertel notierte: Francesco im Wahnsinn; hält sich für Nobody’s Nothing. Schert sich kahl (stempelt sich zum Sträfling). Absichtliche Verlotterung in der Kleidung, Pariamarke. Will damit Eleonora bestrafen, ihr beweisen, dass sie sich seiner schämt. Überhaupt will ihn keiner mehr; er fühlt sich getilgt, daher letztes Mittel: auffallen, Aufsehen erregen. Hängt sich Kuhglocken um; erzwingt dadurch endlich seine Verhaftung. Was ihn zuletzt noch an die menschliche Gesellschaft band: Bridgespiel und Cellospiel. Bricht sich den Arm, um auch nicht mehr Cello spielen zu müssen. Zieht den Arm aus dem Verband, fuchtelt mit ihm herum: da er ihn ja doch nicht mehr brauche, wozu ihn schonen, ihn heilen?60
Alkoholisiert machte er Matrosen, Soldaten oder Arbeitern auf eine aggressive Weise Avancen, die sich viele nicht gefallen ließen; oft endeten diese Annäherungsversuche in Schlägereien und schließlich auf der Polizeiwache.61 Eine Anstellung als Cellist beim San Antonio Symphony Orchestra, die er auf Vermittlung Arturo Toscaninis bekommen hatte, und nicht zuletzt, weil seine Schwester Eleonora dem Orchesterleiter regelmäßig einen Scheck in Höhe der Gage schickte, verlor er wegen seiner Sucht. Mendelssohn sei nicht mehr in der Lage gewesen zu arbeiten und habe ihn und das Orchester bei zahllosen Anlässen öffentlich bloßgestellt, so der Dirigent Max Reiter.62 Am 12. Januar 1946 wurde Mendelssohn in San Antonio für knapp fünf Wochen ins Hospital eingeliefert, danach brachte man ihn im Institute of Living in Hartford unter, 1822 als eine der ersten psychiatrischen Kliniken Amerikas gegründet. Er schwankte nach wie vor zwischen Hochstimmung: „Ich bin wieder recht knusprig und nicht unattraktiv. […] Qui veut m’aimer – je l’aimerai. Und allmählich sollte ich wohl auch anfangen, an eine Carrière zu denken?“63 und resignativer Depression: „Ich bin jetzt ein reduziertes Wrack, aber ich würde so gern, wenn ich dann gar keine Entschuldigung mehr habe, einfach daherdriften und ein für alle Male jederlei Ehrgeiz vergessen haben.“64
59 Klaus Mann, Tagebücher 1940–1943, Reinbek 1995, S. 12. 60 Berthold Viertel, Studienausgabe in vier Bänden: Bd. 2: Kindheit eines Cherub, hrsg. von Siglinde Bolbecher und Konstantin Kaiser, Wien 1991, S. 227f. 61 Borderliner werden bei Unstimmigkeiten verbal ausfällig oder handgreiflich, typischerweise sind sie mit ihrem Sexualleben unzufrieden, häufig ist promiskuitives Sexualverhalten. Vgl. dazu Bandelow, Celebrities (wie Anm. 41). 62 Vgl. Brief von Max Reiter an Eleonora von Mendelssohn vom 10. 1. 1946, Eleonora Mendelssohn Papers, Manuscripts and Archives Division, The New York Public Library, Astor, Lenox and Tilden Foundations [= EMP], Box 3. 63 Brief von Mendelssohn an Christoph Bernoulli vom 4. 3. 1946, MA. 64 Brief von Mendelssohn an Alice Bernoulli vom 4. 7. 1946, MA.
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Bald nach seiner Entlassung wies er seiner Schwester Eleonora die Verantwortung für all sein Unglück zu und setzte das Gerücht in die Welt, sie habe ein inzestuöses Verhältnis mit ihrem Vater unterhalten. Sie drängte auf eine weitere stationäre Behandlung Francescos im Institute of Living. „No money, no cello, no cigarettes, no mail, no escort, no poems, please please do something, I am really trying hard to behave controlled“,65 telegrafierte er ihr von dort verzweifelt. Mal schilderte er seine Situation in dieser psychiatrischen Klinik mit humorvoller Selbstdistanz, mal mit bitterem Sarkasmus: In der Villa, der ich zugeteilt wurde, sind außer mir noch 7 Mitbewohner. Zwei davon, meine unmittelbaren Nachbarn, haben organische Gehirninfekte und haben eine operative „Lobotomie“ hinter sich, mit der jetzt herumexperimentiert wird. Niemand scheint zu wissen, was das Resultat sein kann. Einer der beiden klaut, was man auch nur liegen lässt, der andere interessiert sich nur für Candy und Zigaretten. Beide kommen natürlich ohne anzuklopfen in mein Zimmer, wenn immer sie lonesome sind. Keiner kann einen zusammenhängenden Satz sagen. Zwei andere haben elektrische Schocktreatments gerade hinter sich und sind natürlich völlig verstört. Dann gibt es noch einen grouproom mit drei Greisen, von denen der eine, sehr distinguiert, allen männlichen attendants oder Ärzten zart und gedankenvoll an den Schwanz fasst, der zweite eine heftige Antipathie gegen jede Art von Klo hat und viel lieber in die Hose oder ins Bett macht, groß und klein. Er liebt das warme Gefühl in den Hosen. Der dritte hat nur Gehirnerweichung. Dies alles ist endlich wieder komisch. Es war nur grauenhaft.66
Strickzeug sollte ihm Eleonora schicken und Bücher: William Shakespeare, Charles Baudelaire, Jean Cocteaus Les parents terribles, die Gedichte von A. E. Houseman, die ihn zu Tränen rührten. Nach seinem Cello verlangte er und nach ein paar Dollar für Lucky Strikes. Auch ein gestricktes Mützchen wäre praktisch. Es schneit hier dauernd, und mein roter Shawl als Kopftuch hat nicht gefallen. […] Nach wie vor möchte ich keine Sekunde anders verlebt haben, als I actually did – nor would I change places with any-one. Nicht einmal jünger möchte ich sein. Und – –, ganz unter uns, gibt es etwas Schöneres als Sehnsucht? (Aber bitte nicht weitersagen!! Sonst wird das gegen uns ausgenützt!! Manchmal will man die Bestien ja doch sehen.)67
Es folgten Aufenthalte in anderen Kliniken und immer wieder in Gefängnissen. 1949 besuchte ihn Christoph Bernoulli in New York: 65 Brief von Francesco von Mendelssohn an Eleonora von Mendelssohn, Datum unleserlich, EMP, Box 3. 66 Undatierter Brief von Francesco von Mendelssohn an Eleonora von Mendelssohn, EMP, Box 6. Hervorhebung im Original. 67 Ebd.
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Schon bei der ersten Begegnung sah ich, dass 12 Jahre Emigration aus Mendelssohn einen unglücklichen Menschen gemacht und dass die krankhaften Anlagen eine schreckliche Steigerung erfahren hatten. Seitdem ich ihn kenne, seit 1921, lebte v. M. stets himmelhochjauchzend, zu Tode betrübt, aber er war imstande, seinen Beruf als ernsthafter Musiker auszuüben, eine Aufgabe zu lösen. Nun aber ist seine Ablenkbarkeit so groß, dass jedes konsequente Verhalten fehlt. Er brauchte eigentlich eine Nurse, so kindlich-kindisch kommt er mir vor. Er trinkt, hat wahrscheinlich eine Lues, er ist homosexuell und attackiert, je nach Lust und Laune, Männer über 29 Jahre. Wegen Trunksucht, Unfällen und Prügeleien war Mendelssohn sowohl in Gefängnissen als auch in Anstalten. Man entließ ihn bisher immer wieder, wenn er seinen Rausch ausgeschlafen hatte, und so sinkt er langsam abwärts, verschwendet sein nicht mehr großes Vermögen und landet eines Tages im Armenhaus, wenn nicht einmal doch der ernsthafte Versuch gemacht wird, den Kranken zu heilen.68
Eine lang ersehnte Europa-Reise wurde Ende 1949 „ein trauriges Fiasko“, wie Alice Bernoulli berichtete: „Er hat mit seinem Trinken, Schuldenmachen, Stehlen etc. die Familie verrückt gemacht; die meisten Freunde haben ihn herausgeschmissen […].“69 „Ich versteh’ die Welt nicht mehr“, meinte Mendelssohn. „Ich will auch nicht. Sie ist aus den Fugen. Da sind mir die Bach-Fugen lieber. Ich spiele jetzt wieder. Manchmal mittelgut, manchmal schlecht.“70 Nach dem Suizid seiner Schwester Eleonora 1951 wurde er weiterhin in amerikanischen Sanatorien verwahrt. Seine in Italien lebende Mutter Giulietta erklärte, „sie wolle ihn nie wiedersehen und würde gerne sterben, jedoch erst wenn sie Sicherheit habe, dass Francesco vor ihr gestorben sei, andernfalls würde sie sich noch in ihrem Grab um ihn Sorgen machen.“71 Der Psychiater Henry Lowenfeld, der sich um Francescos ärztliche Versorgung kümmerte, brachte ihn schließlich in der Westchester Division des New York Presbyterian Hospitals in White Plains unter. Man kam zu dem Schluss, dass der Patient mittelschwere hirnorganisch bedingte Beeinträchtigungen der intellektuellen Leistungen aufweise, dass das Zentrale Nervensystem in Mitleidenschaft gezogen worden sei und irreparable Schäden erkennen lasse. Grund dafür sei vermutlich Francescos chronischer Alkoholmissbrauch.72 Zeitzeugen berichteten von einer Lobotomie, die vorge-
68 Undatierter Brief von Eleonora von Mendelssohn an Christoph Bernoulli, MA. Für die Abdruckgenehmigung danke ich Manfred Paletta, Frankfurt a. M. 69 Brief von Alice Bernoulli an Gustaf Gründgens vom 9. 1. 1950, Nachlass 316 Gustaf Gründgens, Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz. Für die Abdruckgenehmigung danke ich Dr. Carl Christoph Bernoulli, Basel. 70 Brief von Mendelssohn an Christoph Bernoulli vom Januar 1950, MA. 71 Brief von Christoph Bernoulli an Alice Bouvier vom 25. 11. 1952, MA. Im Original englisch. Übersetzt vom Verfasser. 72 Vgl. Edward R. Clemmens, Report on Francesco von Mendelssohn, 26. 6. 1953, Annenberg Rare Book & Manuscript Library, Philadelphia.
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nommen worden sei, um den von Prozessen und Gefängnis bedrohten Francesco vor dem Zugriff der Justiz zu schützen.
Abb. 6: Francesco von Mendelssohn. Büste von Alexander Archipenko (1922)
Im Herbst 1957 nahm Lilly Wittels, die zweite Frau des 1950 verstorbenen Psychiaters Fritz Wittels, Francesco bei sich in ihrer New Yorker Wohnung auf, aus seinem Vermögen wurden die Miete und der Lebensunterhalt der beiden bestritten. Der einst so blendend aussehende Paradiesvogel war kaum mehr wiederzuerkennen, nicht nur äußerlich – er hatte erheblich zugenommen und wirkte zeitweise geradezu aufgequollen, seine Nase war durch eine Schlägerei deformiert –, sondern auch in seinem Wesen: „Von einem temperamentvollen, brillanten, feurigen, interessanten, amüsanten Menschen ist er ein ganz uninteressantes, phlegmatisches Wesen geworden, ein langweiliger gesetzter Mann, schlimm“, so Vita Petersen. „Die Witwe sagte: Francesco, geh’ und wasch’ dir die Hände. Und er ging. Das wär’ doch früher gar nicht möglich gewesen.“73 Zweimal wöchentlich kamen Musikstudenten der nahegelegenen Juilliard School, um gegen Bezahlung mit ihm zu musizieren. Die Pianistin Susan Kagan berichtete: „Alles in allem war 73 Gespräch mit Vita Petersen am 9. 1. 2002 in New York.
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er ziemlich bemitleidenswert – beinahe wie eine Hülle eines Menschen – wie jemand, der an einer Kriegsneurose leidet.“74 Der Diplomat Dieter Sattler75, der bis 1933 zu Francescos Bekanntenkreis in Berlin gehört hatte, suchte ihn 1965 in New York auf: Die Frau rief „Francesco“, und da erschien er, äußerlich im ersten Moment kaum verändert – weniger Haare + teilweise ergraut, das Gesicht, die Stimme, die Bewegungen – nahezu der Alte, aber dann der Blick hinter der großen schwarzen Brille – erloschen – ein anderer. Ich habe bisher nie eine so unheimliche Wiederbegegnung gehabt wie diese Stunde mit einem Menschen, den ich vor fast 30 Jahren das letzte Mal gesehen und vorher so oft und genau erlebt hatte. Er war es, und er war es nicht. Die gleiche Person und doch ein anderer. Der unheimliche Eindruck einer Art magischer Zauberkunst, die einen Menschen zusammenleimen und auftreten lassen kann, der eigentlich längst tot oder verrückt sein müsste. Für frühere Jahre hatte er ein verhältnismäßig gutes Gedächtnis, aber alles wie durch eine Scheibe Glas – alles beruhigt, ohne Aufregung, ohne Gefahr und ohne Glanz. Alles was den Zauber dieses unerhört begabten, gefährdeten und gefährdenden Menschen ausgemacht hatte, war herausdestilliert. Alle kühnen, frechen, schamlosen, aber auch treffenden, blitzartig erleuchtenden, genialen Bemerkungen – waren weg. Die ganze süße Schwere einer alten Familie, einer alten Rasse, einer langen Tradition reifsten künstlerischen Wissens und Erfahrens, die bei Francesco das Berauschende gewesen war – weg. […] Ob es überhaupt noch da war, ob das brodelnde, abgrundtiefe und himmelhochjauchzende Leben noch in ihm war – man weiß es nicht.76
1972 entdeckte man eine weit fortgeschrittene Krebserkrankung, am 22. September 1972 verstarb Francesco von Mendelssohn im St. Clare’s Hospital in New York. Bei der Beerdigung des einst umschwärmten Exzentrikers waren nur wenige anwesend. „Kein Wunder, denn […] die meisten seiner alten Freunde fanden ihn nach seiner gänzlichen Charakter-Veränderung zu langweilig und ließen ihn fallen. Ein trauriges Ende. Aber welch ein Kapitel in unserem Leben!!“,77 so Alice Bernoulli.
74 E-Mail von Susan Kagan, New York, 8. 8. 2001. Im Original englisch. Übersetzt von Sabine Bayerl. 75 Dieter Sattler (2. 2. 1906, München–9. 11. 1968, Rom) war zunächst als Architekt tätig, 1947 wurde er als Staatssekretär für die Schönen Künste in das bayerische Kultusministerium berufen, ab 1950 war er Präsident des Deutschen Bühnenvereins, 1952 wurde er Kulturreferent bei der deutschen Botschaft in Rom, 1959 Leiter der Kulturabteilung im Auswärtigen Amt, 1966 Botschafter beim Heiligen Stuhl. 76 Unveröffentlichte Tagebücher Dieter Sattlers, Tagebuch 8, S. 42–45, Eintrag vom 25. 4. 1965, Privatbesitz. 77 Brief von Alice Bernoulli an Salka Viertel vom 10. 10. 1972, DLA, Nachlass Viertel.
Anhang
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Abbildungsverzeichnis I. Stauffer: Die Femme Dandy – eine vergessene Tradition?
Abb. 1: Wissenschaftliches Bildzitat aus: Paul Morand, Die Kunst, Chanel zu sein. Coco Chanel erzählt ihr Leben. Aus dem Französischen von Annette Lallemand, München 2009, S. 32. 50 Abb. 2 und 3: Wissenschaftliche Bildzitate aus: Caroline Evans/MinnaThornton, Women & Fashion: a new look, London 1989, S. 127, 134. 51, 52 Abb. 4: Copyright Burberry/Testino. Mit freundlicher Genehmigung vom LOEWS. 56 Abb. 5: Karl Lagerfeld für VOGUE Deutsch 04/10. Mit freundlicher Genehmigung des Condé Nast Verlags. 57 Abb. 6: Aus: Del LaGrace Volcano/Judith „Jack“ Halberstam, The Drag King Book, London 1999, S. 86. 57 Abb. 7: DVD-Print aus Venus Boyz, Gabriel Baur, (CH/USA/D 2002). 58 Abb. 8: Aus: Del LaGrace Volcano/Judith „Jack“ Halberstam, The Drag King Book, London 1999, S. 44. Ich danke Del LaGrace Volcano für die freundliche Abdruck-Erlaubnis für zwei seiner Drag-King-Fotografien. 60
J. H. Schoeps: Der „jüdische“ Dandy: Die Selbstinszenierung des Theodor Herzl Abb. 1, 2, 3, 5: Bildarchiv Moses Mendelssohn Zentrum, Potsdam. 177, 179, 180, 182 Abb. 6, 7, 8, 9, 10: Central Zionist Archives, Jerusalem. 184, 188, 189, 190, 192 Abb. 4: Jüdisches Museum der Stadt Wien. 181
D. Klippenstein: Zum russischen Dandytum: Sergej Diaghilew
Alle Abbildungen stammen aus dem Katalog: Videnije tanca. Sergej Djagilev i russkije baletnyje sezony (Die Sicht des Tanzes. Sergej Diaghilew und russische Ballettsaisons). Moskau 2010. Es existiert auch die französische Ausgabe des Katalogs: „Étonne-moi!“ Serge Diaghilew et les Ballets Russes, Monaco 2009. Abb. 1: Walentin Serow: Sergej Diaghilew (1904). Staatliches russisches Museum Sankt Petersburg. 211 Abb. 2: Léon Bakst: Sergej Diaghilew und seine Kinderfrau (1904–1906). Staatliches russisches Museum Sankt Petersburg. 216 Abb. 3: Serge Lifar: Sergej Diaghilew (1972). Nouveau Musée National de Monaco (1971.289) zur Verfügung gestellt von Marcel Loli. 221 Abb. 4: Waclaw Nijinsky als geliebter Sklave im Schéhérazade (1911). Foto von August Bert (Paris 1911) CALA (02382-A) zur Verfügung gestellt von Marcel Loli. 225 Abb. 5: Léonide Massine als Joseph im Josephslegende (1914). Foto von Boissonnas und Eggler. Im Katalog wurde das Titelblatt der Zeitschrift Comœdia Illustré (Paris, Juni 1914) verwendet. 226 Abb. 6: Anton Dolin als Bursche im Der blaue Express (1924). Foto „Bassano Studio“ London, Archiv SBM (1925 00 08). 227 Abb. 7: Serge Lifar als Boreas im Zephyr und Flora (1925). Archiv des Nouveau Musée National de Monaco (2002 7 12 C 37 07 0004), Sammlung von Serge Lifar. 227
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Abbildungsverzeichnis
M. Reininghaus: Flaneur, Bohemien – Dandy? Franz Hessel in München, Paris und Berlin
Abb. 1: Das Cover der 2007 in Kooperation mit dem Berliner Verlag erschienenen Lizenzausgabe der Arsenal-Ausgabe von „Ein Flaneur in Berlin“. 235 Abb. 2.1: Paul Gavarni: „Dandy de Paris“. Quelle: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/ commons/thumb/3/31/Paul_Gavarni_Dandy.jpg/220px-Paul_Gavarni_Dandy. jpg. 237 Abb. 2.2: Paul Gavarni: Le Flâneur (1842). Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/ Flaneur. 237 Abb. 3: Schutzumschlag der Originalausgabe von „Spazieren in Berlin“ (1929). 238
T. Blubacher: Francesco von Mendelssohn – der „glamorous boy“ Berlins
Abb. 1: Francesco, Giulietta, Angelica, Robert und Eleonora von Mendelssohn. Sammlung Widerin, Salzburg. 252 Abb. 2: Francesco von Mendelssohn. Sammlung Angelika von Mendelssohn, Berlin. 252 Abb. 3: Francesco von Mendelssohn (Mitte) mit Freunden in der „Scala“ in Berlin (1925). Sammlung Carl Christoph Bernoulli, Basel. 256 Abb. 4: Francesco von Mendelssohn, Alice und Christoph Bernoulli 1927 in Alassio. Sammlung Carl Christoph Bernoulli, Basel. 259 Abb. 5: Francesco von Mendelssohn Anfang der 1930er Jahre am Lido in Venedig. Sammlung Carl Christoph Bernoulli, Basel. 263 Abb. 6: Francesco von Mendelssohn. Büste von Alexander Archipenko (1922). Courtesy of The Alexander Archipenko Foundation, Bearsville. 269
Über die Autorinnen und Autoren Julia Bertschik, Studium der Germanistik, Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte in Erlangen und Berlin (FU), Promotion 1993, Habilitation 2003. Privatdozentin am Institut für Deutsche Philologie der FU Berlin und Mitarbeiterin am Forschungs-Projekt des Instituts für Germanistik der Universität Klagenfurt zur österreichischen Literatur der Zwischenkriegszeit 1918–1933/38 in ihren (inter)kulturellen Kontexten, Gastprofessuren an der Beijing University in Peking, an der Universität Lodz/Polen, an der Miami University in Oxford, Ohio/USA, an der Alpen-AdriaUniversität Klagenfurt und an der FU Berlin. Lehr- und Forschungsschwerpunkte: Literatur des 18. Jahrhunderts bis zur Gegenwart, Kultur-, Medien-, Verlags- und Wissensgeschichte, Drama und Theater, Diskursanalyse, Gender Studies. Publikationen (Auswahl): Hrsg. mit Primus-Heinz Kucher, „Baustelle Kultur“. Diskurslagen in der österreichischen Literatur 1918–1933/38, Bielefeld 2011; Vicki Baum: Pariser Platz 13. Eine Komödie aus dem Schönheitssalon und andere Texte über Kosmetik, Alter und Mode. Hrsg. und mit einem Nachwort von Julia Bertschik, Berlin 2006. Thomas Blubacher, Studium der Theaterwissenschaft, Neueren deutschen Literatur und Psychologie als Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes in München, 1997 Promotion an der Universität Bern, dort 1995–2001 wissenschaftlicher Assistent und Dozent am Institut für Theaterwissenschaft, Chefredakteur des Theaterlexikons der Schweiz. Zudem als Gastlektor an der Universität Wien und an der California State University Long Beach. 2002 Artist in Residence in der Villa Aurora in Pacific Palisades (USA). Seither freier Autor und Regisseur. Theaterinszenierungen in Deutschland, Österreich, der Schweiz und den USA, Hörspielregie, Autor mehrerer Radiofeatures. Publikationen (Auswahl): Paradies in schwerer Zeit. Künstler und Denker im Exil in Pacific Palisades, München 2011; Gustaf Gründgens, Leipzig 2013. Günter Erbe, Studium der Soziologie, Politologie und Germanistik an der FU Berlin, Habilitation in Kultur- und Literatursoziologie. 2001–2012 Professor für Politische Wissenschaften an der Universität Zielona Góra (Polen). Zahlreiche Fachaufsätze zur Geschichte des Dandytums; aktueller Forschungsschwerpunkt: Adel und adelige Außenseiter im 19. und 20. Jahrhundert. Publikationen (Auswahl): Dorothea Herzogin von Sagan (1793–1862). Eine deutsch-französische Karriere, Köln [u. a.] 2009; Dandys. Virtuosen der Lebenskunst. Eine Geschichte des mondänen Lebens, Köln [u. a.] 2002. Hiltrud Gnüg war Professorin für Neuere deutsche Literaturgeschichte an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn; Autorin zahlreicher Grundlagenwerke. Publikationen (Auswahl): Kult der Kälte. Der klassische Dandy im Spiegel der Weltliteratur, Stuttgart 1988; Utopie und utopischer Roman, Stuttgart 1999. Fernand Hörner, Studium der Romanistik, Anglistik, Germanistik und Musikwissenschaft an den Universitäten Bochum und Düsseldorf, Diplom für Literaturübersetzen an der Heinrich-HeineUniversität Düsseldorf und Promotion in Romanistik/Komparatistik an der Bergischen Universität Wuppertal (2007). Geschäftsführer am Frankreich-Zentrum der Universität Freiburg, dann Stellvertretender Kommissarischer Leiter des Deutschen Volksliedarchivs, einem Forschungsinstitut des Landes Baden-Württemberg zu populärer Kultur und Musik; Seit 2012 Professor für Kulturwissenschaften an der Fachhochschule Düsseldorf.
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Über die Autorinnen und Autoren
Herausgeber des des Online-Songlexikons. Publikationen (Auswahl): Die Behauptung des Dandys. Eine Archäologie, Bielefeld 2008; Der Dandy, in: Stephan Moebius/Markus Schroer (Hrsg.), Diven, Hacker, Spekulanten. Sozialtypen der Gegenwart, Frankfurt a.zM. 2010, S. 54–67. Dalia Klippenstein, Studium der Germanistik an der Universität Vilnius (Litauen) und Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Promotion mit dem Dissertationsprojekt: Zum Dialog verbaler und visueller Texte: Robert Musil und Egon Schiele. Seit 2007 Kunstvermittlerin am Kunstmuseum Pablo Picasso und im Atelierhaus Speicher II in Münster. Forschungsinteresse: intermediale Beziehungen zwischen Literatur und bildendender Kunst. Publikationen (Auswahl): Zur Entschleierung des androgynen Frauenbildes in Robert Musils Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“, in: Musil-Forum, Bd. 30, Berlin 2008, S. 109–127. „Die Grenzen der Gewalt in der „erwachsenen“ Prosa von Daniil Charms“, in: Anzeiger für Slavische Philologie, Bd XXXVIII, Graz 2011, S. 179–197. Joachim H. Knoll , Dr. phil., em., o. Prof. für Pädagogik Ruhr Universität Bochum (Erwachsenen bildung und außerschulische Jugendbildung seit 1964, em. 1998) geb. 1932 in Freystadt/S (Kozuchow); Studium der Geistesgeschichte, Geschichte, Germanistik, Volkswirtschaftslehre in Erlangen und München; Arbeitsschwerpunkte: Internationale und vergleichende Erwachsenenbildung; Institutionen, Gesetzgebung und politische Bildung in der Erwachsenenbildung, Jugendmedienschutz, neue Unterhaltungs- und Bildungstechnologien; Herausgeber: Internationales Jahrbuch der Erwachsenenbildung (seit 1967, 26 Bde.bis 1998) und Mitherausgeber u. a.: Bildung und Erziehung, Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte, Ching-Chang Educational Studies (Taipeh). Ehrenmitglied der Deutschen UNESCO-Kommission; Vorsitzender des Deutschland- und europapolitischen Bildungswerks. Beratungstätigkeit zur Gesetzgebung für Erwachsenenbildung in SOE (Stability Pact) Ho-Chi-Min-Orden für Volksbildung, Bundesverdienstkreuz 1. Klasse, Ehrenzeichen des DRK. Selbständige Publikationen in jüngster Zeit: Erwachsenenbildung – Quo vadis, 2002, Erwachsenenbildung – Still confused…; 2006, Erwachsenenbildung – ex abundantia cordis…; 2008; CONFINTEA VI (Convergence), 2008. Gernot Krämer, Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaft, Germanistik, Kunstgeschichte sowie Theater-, Film und Fernsehwissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum, Promotion 2004. Redakteur der von der Akademie der Künste herausgegebenen Zeitschrift Sinn und Form. Publikationen (Auswahl): Jules Barbey d’Aurevilly: Der Chevalier des Touches. Mit Essays von Heinrich Mann und Michel Serres, übersetzt von Caroline Vollmann und Gernot Krämer, herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Gernot Krämer, Berlin 2013; Guillaume Apollinaire: Flaneur in Paris. Aus dem Französischen übersetzt, mit einem Nachwort versehen und herausgegeben von Gernot Krämer, Berlin 2011. Lucia Krämer, Studium der Anglistik und Romanistik an den Universitäten Regensburg und York, Promotion 2003. Wissenschaftliche Mitarbeiterin für Britische Literatur- und Kulturwissenschaft an der Leibniz Universität Hannover. Forschungsschwerpunkte: Oscar Wilde, insbesondere seine produktive Rezeption; das indische Mainstream-Kino und dessen Rezeption in Großbritannien; die Theorie und Praxis von Adaptionen; die britische heritage culture. Publikationen (Auswahl): Oscar Wilde in Roman, Drama und Film: Eine medienkomparatistische Analyse fiktionaler Biographien, Frankfurt a. M. 2003; Hrsg. mit Wolfgang Funk, Fiktionen von Wirklichkeit: Authentizität zwischen Materialität und Konstruktion, Bielefeld 2011.
Über die Autorinnen und Autoren
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Joseph Anton Kruse, Studium der Germanistik, Geschichte und katholischen Theologie in Bonn, Promotion 1972, von 1975 bis 2009 Leiter des Heinrich-Heine-Instituts in Düsseldorf, seit 1986 Honorarprofessor an der seit Ende der 1980er Jahre nach Heine benannten Düsseldorfer Universität, Gastprofessuren 1990 und 2007 in den USA (University of Maryland College Park und Dartmouth College), Arbeiten zur Heine-Zeit. Publikationen (Auswahl): Heinrich Heine, Suhrkamp Basisbiographie, Frankfurt a. M. 2005; Richters „Wald“ und Heines „Waldung“. Wie ein Dichter in die Textlegenden eines Künstlerbuches gerät; in: Benedikt Mauer (Hrsg.), Das Heute hat Geschichte. Forschungen zur Geschichte Düsseldorfs, des Rheinlands und darüber hinaus, Festschrift für Clemens von Looz-Corswarem zum 65. Geburtstag, Essen 2012, S. 515–534. Anna-Dorothea Ludewig, Studium der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft, Buchwissenschaft und Rechtswissenschaften an den Universitäten Bonn und Mainz, Promotion 2007. Kollegiatin/Stipendiatin (2003–2005) und Koordinatorin des Graduiertenkollegs „Makom. Ort und Orte im Judentum“ sowie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Historischen Institut der Universität Potsdam (2005–2007). Seit 2007 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien und Geschäftsführerin der Gesellschaft für Geistesgeschichte. Publikationen (Auswahl): Hrsg. „Im Anfang war der Mord“. Juden und Judentum im Detektivroman, Berlin 2012; Das Bild der Jüdischen Mutter zwischen Schtetl und Großstadt, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 64,1 (2012), S. 48–58. Sebastian Neumeister, Studium der Romanistik und Germanistik an den Universitäten Heidelberg, Münster, Gießen und Konstanz. Ordentlicher Professor für Romanistik an der Universität Siegen (1976–1980) und an der Freien Universität Berlin (seit 1980). Präsident der Deutschen Leopardi-Gesellschaft. 1970 Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung; 1999 Übersetzerpreis der Spanischen Botschaft. Publikationen (Auswahl): Literarische Wegzeichen. Vom Minnesang zur Generation X, Heidelberg 2004; Hrsg. Los conceptos de Gracián, Berlin 2010; Hrsg. Hölderlin und Leopardi, Tübingen 2011; Hrsg. Baltasar Gracián, Handorakel und Kunst der Weltklugheit, Stuttgart 2013. Ute Oelmann: Studium der Germanistik, Anglistik und Allgemeinen Literaturwissenschaft an der Universität Tübingen, Promotion 1978. DAAD-Lektorat am German Department der University of Bristol, UK, 1977–1979, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Tübingen 1979–1980, Mitherausgeberin von Bd. 8 der Großen Stuttgarter Hölderlin-Ausgabe 1980–1983, Wissenschaftliche Angestellte am Stefan-George-Archiv in der Württembergischen Landesbibliothek (WBL) Stuttgart, 1984–1986, seit 1987 Leiterin des Stefan-George-Archivs in der WBL. Mitherausgeberin des Handbuchs „Stefan George und sein Kreis“, Berlin [u. a.] 2012; laufende Herausgeberschaft, gemeinsam mit Wolfgang Braungart, George-Jahrbuch. Im Auftrag der StefanGeorge-Gesellschaft, Tübingen 1996/97ff. Moritz Reininghaus, Studium der Geschichte, Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft und Philosophie an der Universität Potsdam, Magister 2010. Freier Mitarbeiter am Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien, Projektmitarbeiter am Institut für Germanistik/Jüdische Studien an der Universität Potsdam sowie freier Journalist. 2006–2012 Redakteur bei der Jüdischen Zeitung, Berlin. Seit 2013 Stipendiat der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und Arbeit an einer Dissertation zum Thema „‚Weltanschauliche Dissidenz‘ und ‚radikale Ethik‘. Rudolf Schottlaenders Leben, Werk und Wirken“. Publikationen (Auswahl): Franz Hessel: Spazieren in Berlin. Neu herausgegeben und einer Einleitung versehen
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Über die Autorinnen und Autoren
von Moritz Reininghaus, mit einem Geleitwort von Stéphane Hessel. Berlin 2011; Kaum Raum für Öffentlichkeit, in: Micha Brumlik, Y. Michal Bodemann (Hrsg.), Juden in Deutschland – Deutschland in den Juden. Neue Perspektiven, Göttingen 2010, S. 204–209. Julius H. Schoeps, Studium der Geistesgeschichte, Politik- und Theaterwissenschaft in Erlangen und Berlin, 1969 Promotion. Anschließend Tätigkeit als Verlagslektor (C. Bertelsmann), 1973 Habilitation. 1991–2007 Professor für Neuere Geschichte (Schwerpunkt deutsch-jüdische Geschichte) und Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums, 1993–1997 nebenamtlich Gründungsdirektor des Jüdischen Museums der Stadt Wien, 1974–1991 Professor für Politische Wissenschaft und Direktor des Salomon Ludwig Steinheim-Instituts für deutsch-jüdische Geschichte an der Universität Duisburg. Aktuelle Publikationen: Das Erbe der Mendelssohns. Biographie einer Familie, Frankfurt a. M. 2009; Hrsg. gemeinsam mit Anna-Dorothea Ludewig und Ines Sonder, Aufbruch in die Moderne. Sammler, Mäzene und Kunsthändler in Berlin 1880– 1933, Köln 2012. Gregor Schuhen, Studium der Romanistik und Anglistik in Siegen und Paris; 2006-2009 wissenschaftlicher Mitarbeiter im DFG-Forschungsprojekt Macht- und Körperinszenierungen. Modelle und Impulse der italienischen Avantgarde an der Universität Siegen; 2005/2006 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Leipzig, derzeit Juniorprofessor für Romanische und Allgemeine Literaturwissenschaft mit dem Schwerpunkt Men’s Studies an der Universität Siegen, seit 2011 Leiter der Forschungsstelle für Literatur & Men’s Studies (LiMeS) an der Universität Siegen. Forschungsschwerpunkte: Französische Literatur vom 17. bis 20. Jh., Gender und Men’s Studies, Pop- und Jugendkultur, klassische Avantgarden, Intermedialität im aktuellen Film, Wissenschaftsgeschichte. Publikationen (Auswahl): Das Madonna-System oder Eine Heilsgeschichte der Weiblichkeit, in: Ivo Ritzer/Marcus Stiglegger (Hrsg.), Global Bodies. Mediale Repräsentationen des Körpers, Berlin 2011; Der Machiavelli-Code. Für eine Relektüre der Liaisons dangereuses, in: Claudia Frevel [u. a.] (Hrsg.): Gli uomini si legano per la lingua. Festschrift für Werner Forner, Stuttgart 2011. Isabelle Stauffer, Studium der Deutschen Sprach- und Literaturwissenschaft, Filmwissenschaft und Philosophie an der Universität Zürich, Promotion 2006. Derzeit Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Institut der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Forschungsschwerpunkte: Literaturtheorie und Kulturwissenschaft, Kulturgeschichte der Galanterie, Intermedialität, Theorien und Ästhetisierungen der Oberfläche in den Künsten. Publikationen (Auswahl): Weibliche Dandys, blickmächtige Femmes fragiles: Ironische Inszenierungen des Geschlechts im Fin de Siècle, Köln [u. a.] 2008; Faszination und Überdruss. Mode und Marken in Tristesse Royale und Faserland, in: Alexandra Tacke/Björn Weyand (Hrsg.), Depressive Dandys. Zwischen Literarisierung und Selbststilisierung in der Pop-Moderne, Köln [u. a.] 2008, S. 39–59.
Personenregister Achards, Juliette 264 Adburgham, Alison 81 Albert I., Fürst von Monaco 142 Alcibiades 109 Amiel, Henri-Frédéric 130 Aragon, Louis 80 Archipenko, Alexander 269 Bagel-Bohlan, Anja 1 Bakst, Léon 211, 216-219, 223, 228-229, 231, 233 Balfour, Arthur 22 Balzac, Honoré de 20, 36, 43, 46-48, 54, 63-64, 67, 69, 140, 156, 210 Barbey d’Aurevilly, Jules 3, 12, 16-18, 20, 36, 38, 40-41, 64, 68, 78-79, 82, 84-85, 87, 97-108, 157, 209, 218, 235-237, 247 Barnes, Djuna 229 Barney, Natalie 229 Barrés, Maurice 85-86, 89 Barry, Marie-Jeanne Comtesse du 111 Barthes, Roland 88 Bassi, Laura 2 Baudelaire, Charles 14, 17-26, 35-42, 53, 55, 83-84, 87, 90, 109-117, 119-124, 126, 128-129, 134-135, 142, 154, 157, 175-176, 198, 209-210, 237, 247, 267 Bauer, Julius 189 Beardsley, Aubrey 210, 212, 215 Beauvoir, Roger de 78 Beerbohm, Max 21, 23-24, 79-80 Beer-Hofmann, Richard 183 Bely, Andrej 217 Ben Ami, Mordechai 185 Benjamin, Walter 75, 135, 237, 248-249 Benois, Alexander 212, 215, 233 Bergner, Elisabeth 254 Bernoulli, Alice 259, 266, 268, 270 Bernoulli, Christoph 258-259, 261, 265-268 Blanche, Jacques-Emile 215 Blei, Franz 80 Bloy, Léon 108 Boehringer, Robert 196 Boulenger, Jacques 79 Boulenger, Marcel 79
Bourdieu, Pierre 29 Bourget, Paul 105, 130 Bourne, Stephen 166 Brecht, Bert 262 Brooks, Romaine 229 Bruckmann, Anton 1, 6 Bruckmann, Else 1, 6 Brummel, George 3, 13-19, 21-25, 49, 53, 59, 63-65, 69, 74, 77-79, 81-83, 85-86, 88-90, 97-98, 100-104, 107-108, 128, 135, 140-142, 148, 150, 154-155, 175, 205, 209, 212, 218, 236, 251, 257 Bülow, Senta von 136 Bulwer, Edward 18 Bulwer-Lytton, Edward 81, 102 Buonarotti, Michelangelo (auch Michel Angelos) 229 Busch, Wilhelm 178-179 Butler, Judith 31 Byron, Lord George (George Gordon Noel Byron, 6. Baron Byron of Rochdale) 14-15, 18, 78, 81, 87, 90, 93, 97-98, 103, 135, 141, 152-153, 175, 205, 208, 251 Cadot, Alexandre 98 Cagliostro, Alessandro Graf von (eigentlich Giuseppe Balsamo) 150 Campbell, Naomi 56 Camus, Albert 80 Capel, Arthur Edward “Boy” 50, 54 Carson, Edward 162, 169 Casanova, Giacomo 150, 245 Cassadó, Gaspar 253 Castellane, Boni de 22 Castiglione, Baldassare 11 Catellane, Boni de 210 Chamberlain, Joseph 22 Chanel, Coco (eigentlich Gabrielle Chasnel) 43-44, 48-55, 59, 211, 233 Chapeaurouge, Familie 1 Chesterfield, Lord Philip (Philip Dormer Stanhope, 4. Earl of Chesterfield) 11 Christiani, Rudolf 141, 149, 152-154 Cicero 230 Clarke, Sir Edward 170
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Personenregister
Cocteau, Jean 80, 224, 230, 232, 234, 267 Colburn, Henry 81 Connell, Robert W. (heute: Raewyn Connell) 32-34 Correggio, Antonio da 126 Cossery, Albert 80 Crawford, Cindy 56 Crevel, René 80 Crisp, Quentin 80 Cumberland, Prinz Ernst August von (später König von Hannover) 148 d‘Adelswärd-Fersen, Baron Jacques 230 d‘Annunzio, Gabriele 127, 129-136, 234, 251, 261 d‘Orsay, Comte Alfred Guillaume Gabriel Grimaud 54, 65, 68, 78, 257 d‘Oyly Carte, Richard 161 Dearden, Basil 171 Debussy, Claude 228 Delay, Jan 77, 92 Deleuze, Gilles 66-67 Desnoyers, Ferdinand 111 Diaghilew, Sergej Pawlowitsch 205, 209-224, 226, 228-234 Dior, Christian 55 Disraeli, Benjamin 81, 175 Dolin, Anton (eigentlich Sydney Francis Patrick Chippendall Healey-Kay) 225, 227 Douglas, John Sholto, 9. Marquess of Queensberry 162 Douglas, Lord Alfred 162, 165-167, 169 Dreyfus, Alfred 182-183 Duse, Eleonora 132-134, 253, 261 Duval, Jeanne 117 Ebner, Mayer 185 Eduard VII., König von Großbritannien 24 Eduard VIII., Herzog von Windsor bzw. König von Großbritannien 16, 24 Egan, Pierce 81 Eliot, T.S. 80 Ellis, Bret Easton 6-7 Engel, Erich 262 Eulenburg, Philipp Graf zu 1 Evangelista, Linda 56
Fairley, Barker 147 Ferre, Gianfranco 55 Filosofov, Familie 215 Finch, Peter 166, 170 Fischer, Samuel 258 Fitzgerald, Francis Scott Key 6 Flaubert, Gustave 26, 114 Fleming, Ian 258 Fokine, Michel 232 Fontane, Theodor 46 France, Anatole 105 Frecot, Janos 236 Frémy, Arnould 86 Friedemann, Adolf 181 Friedlaender-Fuld, Milly von 261 Fruchtmann, Karl 145 Fry, Stephen 166, 171 Fuad I., König von Ägypten 218 Fuchs, Georg 196 Gans, Eduard 154 Garbo, Greta 257 Garcia, Felix Fernández 224 Gauß, Carl Friedrich 142 Gautier, Théophile 40, 45, 47, 207 Gavarni, Paul 121, 236-237 Geldern, Gottschalk van 149 Geldern, Peira „Betty“ van (verheiratete Heine) 149 Geldern, Simon van (auch Chavalier von Geldern) 149-151, 155 Geldern, Simon van 150 Georg IV., Prinzregent bzw. König von Großbritannien 16, 100, 103 George, Stefan (Étienne) 4, 195-204, 240, 243-244 Gianni (Drag King) 60 Gide, André 230, 262 Gilbert, Brian 160, 165-166, 173 Giraudoux, Jean 80 Gogh, Vincent van 257 Goldschmidt, Jakob 265 Goldschmidt-Rothschild, Anne Marie „Baby“ von 261 Gončarova, Natalja 224 Goncourt, Brüder 21 Goncourt, Edmond de 104
Personenregister
Gordigiani, Luigi 251 Gordigiani, Michele 251 Gore, Catherine 81 Gracián, Baltasar 78 Grainger, Walter 169 Gramsci, Antonio 33 Grazie, Marie E. Delle 181 Greffuhle, Comtesse Élisabeth 234 Gregori, Gregor 254 Grimm, Jakob 146 Grimm, Ludwig Emil 146 Groy, Boris 75 Grund, Helene 244 Gründgens, Gustaf 254-255, 260, 268 Güdemann, Moritz 183 Gundolf, Friedrich 196 Guys, Constantin 19, 37, 40 Hahn, Reynaldo 79, 223 Halberstam, Judith „Jack“ 56 Hauptmann, Gerhard 253 Hazlitt, William 16, 82, 86 Heine, Alice 142 Heine, Heinrich 139-147, 149-158, 196 Heine, Salomon 147 Heine, Samson 147-149 Henkel, Gabriele 1 Herbert, David 258-259 Herzl, Theodor 4, 175, 178, 180-193 Hessel, Fanny 239-240 Hessel, Franz 4, 203-204, 235-249 Hessel, Heinrich 239 Hessel, Helen 245-246 Higson, Andrew 171 Hindemith, Paul 260 Hinze, Wolfgang 145 Hirschfeld, Magnus 229 Hoffmann, E.T.A. 120 Hofmannsthal, Hugo von 130-133, 261 Holmes, Oliver Wendell 63 Hook, Theodore 81 Horowitz, Vladimir 255, 259-260, 263-264 Horváth, Ödön von 254, 262 Houseman, A. E. 267 Hughes, Ken 160, 165-167 Humboldt, Alexander von 142
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Huysmans, Joris-Karl 22, 24, 65, 70, 83, 128, 130, 136 Hymen, Buster (Drag King) 59 Ibsen, Henrik 195, 215 Immermann, Karl 146 Ingres, Jean-Auguste-Dominique 126 Ivory, James 171-172 Jesse, William 14, 107 Johnson, Beacher J. 264 Johnson, Hassel B. 264 Johnson, Joan Poole 264 Jünger, Ernst 6 Kagan, Susan 255, 269 Karasek, Hellmuth 7 Karpeles, Gustav 143 Karsawina, Tamara 223 Katajews, Valentin 262 Katharina II. (auch Katharina die Große), Zarin von Rußland 205 Katzenellenbogen, Konrad 255 Kempner, Friedrich 265 Kempner, Paul 265 Kennedy Onassis, Jacqueline 55 Kessler, Harry Graf von 5-6, 222, 228, 230, 261 Keyserling, Eduard von 3, 5-6 Kierkegaard, Søren 80 Klages, Ludwig 240, 244 Klein, August (auch Carl August) 198, 200 Klingemann, August 144 Klingler, Karl 261 Kokoschka, Oskar 223, 227 Korovin, Konstantin Alexejewitsch 219 Koselleck, Reinhart 41 Kracauer, Siegfried 25 Kracht, Christian 7 Kreutzberg, Harald 260 Krüger, Diane 55 Kurakin, Fürst Alexander Borissowitsch 205-206 Kusmin, Michail 209 Lagerfeld, Karl 3, 55, 88 Landshoff, Ruth 258-259 Lauren, Ralph 55, 88, 92 Laurent, Yves Saint 88
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Laver, James 13 Law, Jude 166 Lechter, Melchior 201, 204 Lemerre, Alphonse 106 Leoni, Barbara 134 Levinsohn, André 212 Lewitan, Isaak Iljitsch 219 Lifar, Sergej 211, 221, 225, 227, 229, 231 Ligne, Charles Joseph de 97 Lister, Thomas 81 Liszt, Franz 136 Lloyd, Constance 161 Loos, Adolf 15 Lotman, Jurij 205 Louis-Philippe I., König von Frankreich 20 Lowenfeld, Henry 268 Ludassy, Julius von 183 Ludwig XIV., König von Frankreich 107 Ludwig XV., König von Frankreich 111 Lueger, Karl 182 Lytton, Edwar Bulwer 71 Majakovskij, Vladimir 80 Makart, Hans 130 Mallarmé, Stéphane 198, 201 Man, Paul de 88 Manet, Édouard 210, 257 Mann, Erika 6 Mann, Klaus 6, 254-255, 265 Mann, Otto 84 Mannheimer, Fritz 265 Marguerite, Victor 49 Marsay, Henri de 140 Massie, W. 81 Massine (eigentlich Mjasin), Léonide 224-226, 230, 232 Matisse, Henri 232 Mayer, Hans 7 Medici, Lorenzo de‘ 109 Mendelssohn Bartholdy, Fanny 144 Mendelssohn Bartholdy, Felix 144 Mendelssohn, Angelica von 252-253 Mendelssohn, Eleonora von 251-253, 257, 259, 262, 264-268 Mendelssohn, Francesco von (Franz Otto Michele Herrmann von Mendelssohn) 4, 251-270
Mendelssohn, Franz 251 Mendelssohn, Giulietta von 251-254, 265, 268 Mendelssohn, Moses 251 Mendelssohn, Robert von 251-253 Mendelssohn-Bartholdy, Ernst von 253 Merchant, Ismael 171 Michalzov, Familie 215 Mo B. Dick (Drag King) 58-59 Molière 141, 197, 245 Montaigne, Michel de 210 Monteclair, Michel Pignolet 220 Montesquieu, Charles de 92 Montesquiou, Robert de 65, 74, 79, 210, 234 Morand, Paul 54 Morel, Bénédict Augustin 37 Morley, Robert 166 Moss, Kate 55 Mühsam, Erich 244 Müller, Lothar 237, 246-247 Münchmeyer, Familie 1 Murnau, Friedrich Wilhelm 258 Murphy, Robert 166 Musil, Robert 130 Musset, Alfred de 87, 156 Musset, Paul de 87 Mussolini, Benito 136 Mussorgsky, Modest Petrowitsch 221 Napoleon Bonaparte 81, 102 Napoleon III., Kaiser der Franzosen 129 Naschauer, Ella 181 Naschauer, Julie (verheiratete Herzl) 181 Nash, Beau (eigentlich Richard Nash) 71 Nero, Kaiser des römischen Reiches 109 Nietzsche, Friedrich 37, 67, 136 Nijinsky, Romola (geborene Puszky) 230-231 Nijinsky, Waclaw (auch Vaclav) 223-225, 227-228, 230, 232 Nordau, Max 37-42, 185 North, Frederick, 2. Earl of Guilford 100 Nostitz, Helene 261 Nouvel, Walter 215 Novalis (eigentlich Georg Philipp Friedrich Freiherr von Hardenberg) 122 Novarro, Ramón 255 Ortega, José y Gasset 4
Personenregister
Osterkamp, Ernst 202 Ovid 113 Pascal, Blaise 78 Paulus, Caroline 153 Pausanias 236 Pavel I. (auch Paul I.), Zar von Russland 206 Pawlowitsch, Sergej 231 Perls, Käthe 265 Peter I., Zar von Russland 206, 209, 221 Philosophov, Dimitry 212, 214 Piazzetta, Giovanni Battista 257 Picasso, Pablo 53, 211, 224 Pinchot, Rosamond 264 Pirandello, Luigi 261 Pissarro, Camille 257 Planck, Max 253 Platen, August Graf von 142 Plato 229 Poe, Edgar Allan 38 Porschardt, Ulf 84-85, 88 Pougy, Liane de 229 Pringsheim, Alfred und Hedwig 6 Proust, Marcel 43, 54-55, 83, 142, 222-223, 230, 248 Pückler-Muskau, Hermann Fürst von 3, 72, 135, 142, 152-154, 175 Purrmann, Hans 244 Puschkin, Alexander 88, 207-208 Raddatz, Fritz Joachim 7, 145 Radionovna, Arina 216 Rádó, Sándor 264 Raev, Ada 217 Rathenau, Walther 5, 253 Ratoff, Gregory 165-167 Redé, Alexis de 27 Reinhardt, Max 253, 262, 264 Reiter, Max 266 Renner, Tim 90 Repin, Ilja 211 Reventlow, Franziska „Fanny“ Gräfin zu 46, 54, 239-245 Ribeiro, Aileen 14 Richard, Keith 91 Rilke, Rainer Maria 261 Rimskij-Korsakov, Nikolaj 213 Roché, Henri-Pierre (auch Jean Roc) 245
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Rodin, Auguste 231 Rosenberger, Erwin 181 Roth, David 74-75 Rouge, Carl 200 Rousseau, Jean-Jacques 208 Rousseau, Johann Baptist 144 Roussell, Raymond 80 Rowohlt, Ernst 246 Rubinstein, Ida 228-229 Sachs, Gunter 3 Sagan, Boson de (Charles Guillaume Frédéric Boson de Talleyrand-Périgord) 22, 210 Sahl, Hans 246 Saidah, Jean-Pierre 78 Sand, George 26 Sardes, Guillaume de 218 Sarony, Napoleon 161 Satie, Eric 224 Sattler, Dieter 270 Schaukal, Richard von 71 Scheirl, Hans 61 Schlegel, August Wilhelm 141, 152-153 Schleinitz, Marie von 6 Schmitz, Hermann Harry 157 Schmitz, Oscar A. H. 241 Schnabel, Artur 260 Schnitzler, Arthur 183 Schönerer, Georg Ritter von 182 Schopenhauer, Arthur 67 Schuler, Alfred 240, 244 Schwarzenbach, Annemarie 259 Scott, Sir Walter 98 Seelmann, Gabriele 236 Segantini, Bianca 261 Seidenstücker, Friedrich 236 Senecea 230 Serow, Walentin 211-212, 214, 219 Sert, Misia 231, 233 Shakespeare, William 98, 229, 267 Shaw, George Bernard 261 Sieveking, Familie 1 Singer, Lea 255 Skeffington, Sir Lumley St. George 16 Sollers, Philippe 88 Sombart, Nikolaus 1 Somow, Konstantin Andrejewitsch 219
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Personenregister
Spence Smith, Thomas 12 Spies, Walter 259 St. Germain, Graf von 150 Stäel, Germaine de 92, 153 Stahl, Arthur 200 Stein, Gerd 247 Stendhal (eigentlich Marie-Henri Beyle) 44, 52, 54, 83, 97 Sternheim, Dorothea 259 Stona, Maria 181 Strauß, Richard 232 Strawinsky, Igor 211, 232 Streicher, Julius 177 Strodtmann, Adolf 143 Stuckrad-Barre, Benjamin von 7 Suchocki, Bogdan von 239 Sue, Eugène 65 Testosteroni, Vinnie (Drag King) 59 Thackeray, William Makepeace 2, 85, 260 Thode, Henry 136 Tocquevilles, Alexis de 129 Tolstoj, Leo 214-215 Torberg, Friedrich 176 Toscanini, Arturo 259, 266 Toscanini, Wanda (verheiratete Horowitz) 259 Toulouse-Lautrec, Henri de 215, 257 Trébutien, Guillaume-Stanislas 97-98, 105-106 Truffaut, François 245 Tschajkowskij, Pjotr (auch „Onkel Petja“) 213 Tucholsky, Kurt 142, 157 Tukur, Ulrich 2 Turlington, Christy 56 Valéry, Paul 24 Varnhagen von Ense, Karl August 146 Varnhagen, Rahel (geborene Levin) 1
Vergil 230 Verlaine, Paul 198 Veron, Louis-Désiré 140 Viertel, Berthold 261, 264, 266 Viertel, Salka 261-262, 264, 270 Villan (Drag King) 60 Volcano, Del LaGrace (Drag King) 56, 59 Wagner, Richard 20, 37, 136, 222 Ward, Robert Plumer 81 Warhol, Andy 2, 6-7, 25 Watteau, Antoine 126 Wedekind, Eduard 144, 149 Weill, Kurt 262 Whistler, James McNeill 23, 80 Wiener, Oswald 24 Wilde, Oscar 4, 19, 23, 25, 39-41, 55, 60, 65, 127, 157, 159-173, 175, 198, 209-210, 218, 229-230, 254-255, 262 Wilhelm II., Deutscher Kaiser 1, 5, 189, 190, 253 Witte, Bernd 245 Wittels, Lilly 269 Wittels, Fritz 269 Wolfenden, John 170 Wolffsohn, David 183, 189, 193 Wolfskehl, Hanna 202 Wolfskehl, Karl 202-204, 240, 243 Wolters, Friedrich 196 Woolf, Virginia 14 Wrubel, Michail Alexandrowitsch 219 Wyss, Beat 84-85 Yorck von Wartenburg, Friedrich David Graf 259 Zasche, Theo 189 Zivier, Georg 258 Zola, Émile 37, 131, 215 Zweig, Stefan 183, 187