Der Bundesstaat und seine Unantastbarkeit [1 ed.]
 9783428405756, 9783428005758

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 20

Der Bundesstaat und seine Unantastbarkeit Von

Jürgen Harbich

Duncker & Humblot · Berlin

JÜRGEN

HARBICH

Der Bundesstaat und seine Unantastbarkeit

Schriften zum ö f f e n t l i c h e n Band 20

Recht

Der Bundesstaat und seine Unantastbarkeit

Von

Dr. Jürgen Harbich

DUNCKER & HÜMBLOT

/

BERLIN

Alle Rechte vorbehalten © 1965 Duncker & Humblot, Berlin Gedruckt 1965 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany

Vorwort I n der ersten Zeit nach Inkrafttreten des Bonner Grundgesetzes bemühte man sich zunächst u m die Auslegung einzelner Normen, i m föderalen Bereich u m die Abgrenzung gegenseitiger Rechte und Pflichten des Bundes und der Länder. Seit einigen Jahren aber besinnt man sich — wieder einmal — auf die Grundlagen des föderativen Bündnisses. Es scheint, als würde die i n Deutschland 100 Jahre alte Diskussion über die Struktur des Bundesstaates so schnell kein Ende finden. Die mannigfachen Beiträge zur Theorie des Bundesstaates leiden zum Teil daran, daß die verschiedenen Seiten des Bundesstaates nicht klar genug auseinandergehalten werden*. Es ist selbstverständlich — und darin ist man sich auch einig —, daß eine ausschließlich rechtliche Betrachtimg das ganze Wesen des Bundesstaates nicht zu erfassen vermag; andererseits kann auf die rechtliche Betrachtung auch nicht schlechthin verzichtet werden. I h r gebührt neben der historischen, politischen und soziologischen Betrachtung ein zumindest gleichrangiger Platz. Die Errichtung des europäischen Bundesstaates verlangt von allen Beteiligten eine klare Vorstellung von der rechtlichen Struktur des Bundesstaates. Nicht zuletzt von daher rechtfertigt sich die Diskussion über die Theorie des Bundesstaates. Die vorliegende aus zwei Teilen bestehende Arbeit beschäftigt sich i m ersten Teil (der zunächst durch einen Überblick über die wichtigsten Bundesstaatstheorien informieren w i l l ) ausschließlich — und insofern bewußt einseitig — m i t der rechtlichen Seite des Bundesstaates. I m zweiten Teil bietet die Frage nach der — bisher kaum behandelten — unantastbaren Substanz des westdeutschen Bundesstaates Gelegenheit, das formale Bundesstaatsprinzip durch politische Momente aufzufüllen. Es mag sein, daß beide Teile nicht notwendig einander bedingen; ihrer „Verbindung" liegt jedoch ein methodisches Anliegen zugrunde: der Versuch, den Bundesstaat einerseits als abstrakten Rechtsbegriff, andererseits als politisch funktionsfähiges Gemeinwesen darzustellen, ohne beide Betrachtungen, die je für sich notwendig sind, miteinander zu vermischen. * Vielfach k a n n m a n sich auch des Eindrucks nicht erwehren, daß die Stellungnahmen mancher A u t o r e n zu bundesstaatstheoretischen Fragen durch deren vorgefaßte politische Einstellung zum föderativen Staatsaufbau beeinflußt werden.

Vorwort

6

Die Arbeit lag i m Sommer 1963 der Juristischen Fakultät der Universität München als Dissertation vor. Das vor der Drucklegung erschienene Schrifttum konnte noch bis zum 1. 8. 1964 berücksichtigt werden. Für Anregung und Betreuung der Arbeit durch mannigfache belehrende Hinweise sage ich Herrn Prof. Dr. Theodor Maunz herzlichen Dank. Herrn Ministerialrat a. D. Dr. J. Broermann darf ich für die Aufnahme der Arbeit i n sein Verlagsprogramm meinen aufrichtigen Dank aussprechen. München, i m November 1964

Jürgen

Harbich

Inhaltsverzeichnis Erster

Teil

Der Bundesstaat §1 Abgrenzung I . Bedeutung

des

Staates

der Abgrenzung

I I . Entscheidendes

von

der

Gemeinde

13

für den Bundesstaatsbegriff

13

Abgrenzungskriterium

13

1. Nationale — lokale Zwecke

14

2. Eigenes Heirschaftsrecht

15

3. Ursprünglichkeit der Hoheitsgewalt

15

I I I . Definition § 2 Der

des Staates

juristische

I . Einheitsstaat

19

Bundesstaats begriff

— Bundesstaat

I I . Die bedeutendsten staatstheorien

bisher

20

— Staatenbund

in der Literatur

20 vertretenen

Bundes21

1. „ T e i l b a r k e i t der Souveränität"

21

2. Begriffliche Unmöglichkeit des Bundesstaates als eines Staatenstaates

23

3. Bundesstaat als souveräner aus nicht-souveränen Staaten zusammengesetzter Staat

25

4. Bundesstaat als Mehrheit von Zentralstaat u n d Gliedstaaten auf der Ebene der Gleichordnung 28 5. Bundesstaat als komplex aufgebauter Staat a) Problem des Staatenstaates b) Unmöglichkeit des Staatenstaates c) K o m p l e x e r A u f b a u als M e r k m a l des Bundesstaates I I I . Die Theorie des Bundesstaates in der Rechtsprechung desverfassungsgerichts und in der neueren Literatur

des

31 32 32 35 Bun37

1. Die Streitfragen

37

2. Die Theorie des Bundesverfassungsgerichts a) Identität von B u n d u n d Gesamtstaat

37 37

nsverzeichnis

δ

b) Staatsqualität des Bundes u n d der Glieder c) Prinzipielle Überordnung des Bundes über die Glieder . . 3. Der Bundesstaatsbegriif i n der neueren L i t e r a t u r I V . Die Theorie Vereinbarkeit

des dreigliedrigen Bundesstaatsbegriffs mit dem Staatsbegriff der herrschenden

und Lehre

39 40 41

ihre

1. Der Sprachgebrauch des Grundgesetzes als untaugliches A r gument 2. Das A r g u m e n t der Bundestreue a) Die Bundestreue i n der Sicht der herrschenden Meinung . . aa) Die Bundestreue als Rechtsverhältnis zwischen B u n d u n d Ländern u n d zwischen den Ländern bb) Das „Gesamt"interesse b) K r i t i k — Konsequenz der N i c h t - I d e n t i t ä t von B u n d u n d Gesamtstaat

45 45 47 4.3 48 49 49

3. Die Staatlichkeit der Länder, des Bundes u n d des Gesamtstaates a) Die Staatlichkeit der Länder u n d des Bundes b) Die Staatlichkeit des Gesamtstaates

52 53 64

4. Unwesentliche Elemente des Bundesstaatsbegriffs

72

a) Föderatives Organ

72

b) M i t w i r k u n g der Glieder an der Verfassungsgebung

73

5. Das grundsätzliche gegenseitige Verhältnis v o n Bund, L ä n dern u n d Gesamtstaat a) Gleichordnung v o n B u n d u n d Ländern aa) Kompetenz-Kompetenz bb) „Bundesrecht bricht Landesrecht" cc) „Übergreifende" Verfassungsnormen

74 74 74 75 79

b) Überordnung des Gesamtstaates über B u n d u n d Länder . .

83

6. Definition des juristischen Bundesstaatsbegriffs

85

7. E x k u r s : D i e mißverstandene Dreigliedrigkeitstheorie

85

Zweiter

Teil

Die Unantastbarkeit des Bundesstaates Die Beschränkung der verfassungsändernden Gewalt zur Erhaltung des bundesstaatlichen Aufbaus der Bundesrepublik Deutschland § 3 Die rechtliche Verbindlichkeit l i c h k e i t d e s A r t . 79 A b s . 3 G G I. Die Verbindlichkeit

des Art. 79 Abs. 3 GG

1. Problem der Selbstbindung?

und

Unabänder89 90 90

nsverzeichnis

9

2. Bindung der pouvoirs constitués durch den pouvoir stituant

con92

3. Keine rechtliche B i n d u n g des pouvoir constituant

96

4. B i n d u n g künftiger Generationen?

99

5. A r t . 79 Abs. 3 G G als klarstellende N o r m I I . Die Unabänderlichkeit

des Art. 79 Abs. 3 GG

104

I I I . Art. 79 Abs. 3 GG als Ausfluß der demokratischen §4 Die u n a n t a s t b a r e n Elemente chen Verfassungsordnung I. Prozessuale rung

Vorfrage:

I I . Die Unantastbarkeiten

100

der

Die Justiziabilität

Idee

105

bundesstaatli106 der

Verfassungsände108

im einzelnen

118

1. Die E r h a l t u n g der Länder als Staaten — Die Entscheidung f ü r den politischen Bundesstaat 119 2. Das unentziehbare M i t w i r k u n g s r e c h t der Länder bei der Bundesgesetzgebung 130 a) S t r u k t u r des föderativen Organs 131 b) Intensität des föderativen Einflusses i m Bunde 134 3. Die bundesstaatliche Homogenität

136

4. Die Gliederung i n Länder a) Begrenzte Zulässigkeit bundesfreier u n d bundesunmittelbarer Gebiete b) Keine Garantie der Existenz jedes einzelnen Landes c) Grenzen der Umgliederung

140

Literaturverzeichnis

141 145 149

158

Abkürzungsverzeichnis a. a. Α. AöR aRV

= = = =

Bad V G H BayVBl.

= =

Bay V e r f G H Bay V e r f G H G

= =

(Bay) V G H

=

BGB BGBl.

= =

BGBl. I ; I I BGG BGH Β GHZ

= = = =

BRD BV

= =

B Verf G BVerfGE

= =

BVerfGG

=

Comm. ders. Der Staat

= = =

Diss. DÖV

= =

DRZ

=

auch anderer Ansicht A r c h i v des öffentlichen Rechts, Tübingen (1.1886 ff.) alte Reichsverfassung = Verfassung des Deutschen Reichs v o m 16. 4.1871 Badischer Verwaltungsgerichtshof Bayerische Verwaltungsblätter. Zeitschrift für öffentliches Recht u n d öffentliche Verwaltung, München (n. F. 1. [ = 86. der Gesamtfolge] 1955 ff.) Verfassungsgerichtshof f ü r den Freistaat Bayern Bayerisches Gesetz über den Verfassungsgerichtshof i. d. F. v o m 26.10. 1962 (GVB1. S. 337) Sammlung v o n Entscheidungen des Bayerischen V e r waltungsgerichtshofs m i t Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, (ab 1951 auch): des Bayerischen Dienststrafhofs u n d des Bayerischen Gerichtshofs für Kompetenzkonflikte, München (n. F. 1. [ = 64. der Gesamtfolge] 1947/48 ff.) Bürgerliches Gesetzbuch v o m 18.8.1896 (RGBl. S. 195) Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes (1. 1867 bis 4. 1870; fortgeführt als: Reichsgesetzblatt) Bundesgesetzblatt T e i l I ; T e i l I I ; (1951 ff.) Bonner Grundgesetz Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs i n Zivilsachen, K ö l n u. a. (1. 1951 ff.) Bundesrepublik Deutschland Verfassung des Freistaates Bayern v o m 2.12.1946 (Bay BS I S. 3) Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, Tübingen (1. 1952 ff.) Gesetz über das Bundesverfassungsgericht v o m 12.3.1951 (BGBl. I S. 243) i. d. F. v o m 3. 8.1963 (BGBl. I S. 589) Commentar derselbe Der Staat. Zeitschrift f ü r Staatslehre, öffentliches Recht u n d Verfassungsgeschichte, B e r l i n (1. 1962 ff.) Dissertation Die öffentliche Verwaltung. Zeitschrift für Verwaltungsrecht u n d Verwaltungspolitik, Stuttgart u n d K ö l n (1. 1948 ff.) Deutsche Rechts-Zeitschrift, Tübingen (1.1946 bis 5.1950)

Abkürzungsverzeichnis DVBl. EheG

11

= Deutsches Verwaltungsblatt, K ö l n - B e r l i n (65. 1950 ff.) = Ehegesetz v o m 20.2.1946 ( = Kontrollratsgesetz Nr. 16); (Amtsblatt des K o n t r o l l r a t s i n Deutschland S. 77) Erl. = Erläuterung(en) Fußn. = Fußnote GBl. = Gesetzblatt GG = Grundgesetz f ü r die Bundesrepublik Deutschland v o m 23. 5.1949 GO = Gemeindeordnung GVB1. = Gesetz- u n d Verordnungsblatt Halbbd. = Halbband Halbs. = Halbsatz HbdDStR = Handbuch des Deutschen Staatsrechts; herausgegeben von Gerhard Anschütz u n d Richard Thoma, 2 Bände, Tübingen, 1930 u n d 1932 HDSW = Handwörterbuch der Sozialwissenschaften. Zugleich Neuauflage des Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Stuttgart, Tübingen, Göttingen, 1956 ff. H i r t h s Annalen = Annalen des Deutschen Reichs für Gesetzgebung, V e r w a l t u n g u n d Statistik; herausgegeben von G. H i r t h u n d Μ . v. Seydel, München u n d Leipzig, 1868 ff.; seit 1901: A n n a l e n des Deutschen Reichs für Gesetzgebung, V e r w a l t u n g u n d Volkswirtschaft = herrschende Lehre h. L. h. M. herrschende Meinung Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 4. Aufl., HWStW Jena, 1923 ff. i. d. F. i n der Fassung i. e. S. i m engeren Sinn insbes. insbesondere i n Verb, i n Verbindung i. S. i m Sinne JöR Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart, Tübingen (1. 1907 ff.; n. F. 1. 1951 ff.) JZ Juristenzeitung, Tübingen (6. 1951 ff.) Komm. Kommentar Lammers-Simons Die Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs für das Deutsche Reich u n d des Reichsgerichts auf G r u n d A r t . 13 Abs. 2 der Reichs Verfassung; herausgegeben von HansHeinrich Lammers u n d Walter Simons, B e r l i n (1.1929 ff.) Meinung M. Monatsschrift f ü r Deutsches Recht, H a m b u r g (1.1947 ff.) MDR m i t (weiteren) Nachweisen m. (weit.) Nachw. neue Folge n. F. Neue Juristische Wochenschrift, München u n d B e r l i n NJW (1. 1947/48 ff.) Oberlandesgericht OLG Recht-StaatRecht — Staat — Wirtschaft. Schriftenreihe des I n n e n Wirtschaft ministers des Landes Nordrhein-Westfalen f ü r Staatswissenschaftliche Fortbildung. Bände I, I I , Stuttgart u n d K ö l n , 1949 u n d 1950, Bände I I I , I V , Düsseldorf, 1951 u n d 1953

Abkürzungsverzeichnis Reichsgesetzblatt (1871—1945); ab 1922: T e i l I u n d T e i l I I Entscheidungen des Reichsgerichts i n Zivilsachen, Leipzig u. a. (1. 1880 bis 172. 1945) Randnummer Reichsverfassung Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft v o m 29. 5.1874 Süddeutsche Juristenzeitung, Heidelberg (1. 1946 bis 5. 1950) Spalte Strafgesetzbuch v o m 15. 5.1871 (RGBl. S. 127) i. d. F. der Bekanntmachung v o m 25. 8.1953 (BGBl. I S. 1083, ber. 1954 I S. 33) The Constitution of the U n i t e d States v o m 17. 9.1787 Verfasser Verwaltungsarchiv. Zeitschrift f ü r Verwaltungsrecht u n d Verwaltungspolitik, K ö l n u n d B e r l i n (1. 1893 bis 47. 1942; 48. 1957 ff.) Verwaltungs-Rechtsprechung i n Deutschland. Samml u n g oberstrichterlicher Entscheidungen aus dem V e r fassungs- u n d Verwaltungsrecht, München u n d B e r l i n (1. 1949 ff.) Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, B e r l i n u n d Leipzig (1. 1924 bis 7.1932); B e r l i n (8. 1950 ff.) Verfassung des Deutschen Reichs (Weimarer Verfassung) v o m 11. 8.1919 Zeitschrift Zeitschrift f ü r ausländisches öffentliches Recht u n d Völkerrecht, begründet v o n V i k t o r Bruns, B e r l i n (1.1929 bis 12. 1944); Stuttgart (13. 1950/51 ff.) Zeitschrift f ü r Schweizerisches Recht, Basel (n. F. 1.1882 ff.) Zeitschrift f ü r die gesamte Staatswissenschaft, B e r l i n Tübingen (1. 1844 bis 104. 1944; 105. 1948/49 ff.) Zeitschrift f ü r öffentliches Recht, Wien u. a. (1.1919/20 ff.) Zivilprozeßordnung v o m 30.1.1877 (RGBl. S. 83) i. d. F. der Bekanntmachung v o m 12. 9.1950 (BGBl. S. 533)

Erster

Teil

D e r Bundesstaat § 1 Abgrenzung des Staates von der Gemeinde I. Bedeutung der Abgrenzung für den Bundesstaatsbegriff Den Erörterungen über den juristischen Bundesstaatsbegriff muß eine kurze Stellungnahme zum Staatsbegriff vorausgehen, da die allgemeine Bundesstaatslehre, insbesondere die Möglichkeit des Bundesstaates 1 überhaupt, entscheidend von der rechtlichen Auffassung des Staates beeinflußt wird. Es gilt, ein brauchbares K r i t e r i u m für die A b grenzung des Gemeindebegriffs 2 von dem des Staates zu finden. Ohne ein derartiges Unterscheidungsmerkmal wäre es der W i l l k ü r jedes einzelnen überlassen, Staaten, die nicht extrem zentralistisch aufgebaut sind, denen also i n ihrem inneren Bereich noch andere Träger öffentlicher Gewalt eingegliedert sind, zur Kategorie der dezentralisierten Einheitsstaaten oder der der Bundesstaaten zu rechnen 3 . Es kann hier nicht darum gehen, die Problematik des Staatsbegriffs als solchen zu untersuchen, ob man also auch heute noch der Lehre von den drei Wesenselementen des Staates — Staatsgewalt, Staatsvolk, Staatsgebiet — folgen oder etwa den Staat m i t der Rechtsordnung identifizieren soll, — um nur zwei bedeutende Staatstheorien zu nennen; denn die Lösung der später zu erörternden Probleme w i r d hiervon nicht beeinflußt. Zur Diskussion steht hier daher n u r ein rechtliches Merkmal, durch das sich der Staat als juristischer Begriff vom nicht-staatlichen Träger öffentlicher Gewalt unterscheidet. I I . Entscheidendes Abgrenzungskriterium Die deutsche Staatslehre hat sich mehrfach um eine Abgrenzung des Staates von der Gemeinde bemüht. 1 Als eines Staatenstaates, d. h. eines aus Staaten zusammengesetzten Staates; i n diesem Sinn w i r d hier und i m folgenden der Begriff des Staatenstaates verwendet, nicht i n dem spezifischen S i n n wie bei Maunz, Staatsrecht, S. 169/70. 2 I m folgenden steht die Gemeinde stellvertretend für nichtstaatliche Gebietskörperschaften (Gemeinde, Kreis, Bezirk). 3 S. dazu Usteri, S. 187 f.

14

§ 1 Abgrenzung des Staates von der Gemeinde

1. N a t i o n a l e — l o k a l e

Zwecke

Rosin sieht i n seiner viel beachteten Studie über „Souveränität, Staat, Gemeinde, Selbstverwaltung" 1 das Kriterium, durch das sich der Staat vom Kommunalverband unterscheidet, i m Zweck, u m dessen w i l l e n die Rechtspersönlichkeit des Staates bzw. der Gemeinde geschaffen ist: Während die Befriedigung der auf dem örtlichen Zusammenwohnen und der nachbarlichen Lage der Grundstücke beruhenden Gemeindebedürfnisse Zweck der Ortsgemeinde sei, verfolge der Staat die A u f gabe, die nationalen, dem Gesamtvolke als natürlicher Gemeinschaft eigenen Interessen zu realisieren 2 . Diese Theorie, die auch von Brie 3 vorgetragen wird, ist i n der gesamten übrigen L i t e r a t u r 4 auf eindeutige Ablehnung gestoßen und — wie m i r scheint — überzeugend widerlegt worden. Die von Rosin getroffene Zweckbestimmung ist nämlich viel zu ungenau und vage, ja willkürlich, als daß man m i t ihrer Hilfe die darunter zu fassenden Erscheinungen deutlich voneinander abgrenzen könnte 5 . Das zeigt sich sogar an dem von Rosin selbst gebrachten Beispiel der Ortspolizei als einer angeblich spezifisch gemeindlichen Aufgabe 6 . Denn: was für ein Gebilde soll das sein, wenn allgemeine Zwecke verfolgende, also „staatliche" Behörden auch Aufgaben der Ortspolizei, also „gemeindliche" A u f gaben wahrnehmen? Ein Zwitterding: halb Staat, halb Gemeinde? 7 I m übrigen ist zu bedenken, daß die Zwecke, die von politischen Gemeinwesen verfolgt werden, einem stetigen Wechsel unterliegen und nicht durch einen Rechtsbegriff zu bestimmen sind. Ebenso wechselnd und i m Rechtssinne w i l l k ü r l i c h ist die Abgrenzung zwischen den vom Staat und den von Gemeinden und höheren Verbänden zu verwirklichenden Aufgaben 8 . Rosins Versuch der Abgrenzung des Staates von der Gemeinde müssen auch insofern Bedenken entgegengebracht werden, als es eine der Rechtswissenschaft grundsätzlich fremde Methode ist, 1 Hirths Annalen, 1883, S. 265 ff.; zur Darstellung u n d K r i t i k vgl. Laband, Staatsrecht, 1. Bd., S. 66 ff.; Nawiasky, Bundesstaat, S. 216 ff.; V steri, S. 136 ff. m. weit. Nachw. 2 Rosin, a.a.O., £>. 291; zu den Lehren v o m Zweck des Staates s. G. Jellinek, Staatslehre, S. 230 ff., insbes. S. 235: eine Staatsdefinition dürfe von Staatszwecken nicht ganz absehen. 3 Staatenverbindungen, S. 4 ff., 112. 4 S. die i n A n m . 1 angeführte L i t e r a t u r ; ferner: Seydel, Abhandlungen, S. 3; ders. y Comm., S. 10; Rehm, Staatslehre, S. 31; Preuß, Festgabe f ü r Laband, 2. Bd., S. 231 m. weit. Nachw.; n u r gelegentlich w i r d heute noch i m Staatszweck ein Element des Staatsbegriffs gesehen; vgl. z. B. Eschenburg, Staat u n d Gesellschaft, S. 17; K . H. Klein, S. 22. 5 S. dazu Nawiasky, Bundesstaat, S. 219; Peters, Grenzen, S. 57. 6 Rosin (Anm. 1), S. 293. 7 So die K r i t i k Schultzes, Das Problem des Bundesstaates (Diss. Basel 1922, Masch.-Schrift), S. 127, zitiert nach Usteri, S. 138 m i t Fußn. 84. 8 Laband, Staatsrecht, 1. Bd., S. 71/72.

I I . Entscheidendes Abgrenzungskriterium

15

einen Gegenstand vom Zweck her begrifflich zu bestimmen 9 . Ein Gegenstand muß bestimmt, d. h. begrifflich gefaßt sein, bevor man nach seinen Zweckbestimmungen fragen k a n n 1 0 . Die Aufnahme einer Zweckbestimmung i n die Staatsdefinition scheitert letztlich auch daran, daß es eine Frage der positiven Ideen und Bewertungen ist, was i n einer bestimmten historischen Gesellschaft als Zweck des Staates betrachtet wird, daß jedoch das positive Recht keine bestimmten Zwecke als allein zu verwirklichende normiert 1 1 . 2. E i g e n e s

Herrschaftsrecht

Für Laband ist das K r i t e r i u m des Staates das „eigene Herrschaftsrecht" 1 2 , das als „Recht, freien Personen (und Vereinigungen von solchen) Handlungen, Unterlassungen und Leistungen zu befehlen und sie zur Befolgung derselben zu zwingen" 1 3 , definiert wird. Ein derartiges Herrschaftsrecht sei nur dem Staat zu eigen, der Gemeinde stehe es nur i m Auftrag des Staates, nicht aus eigener Macht zu 1 4 . Diese Theorie w i r d jedoch von Laband selbst nicht konsequent weitergeführt: einerseits w i r d auch den Gemeinden ein—wenn auch n u r vom Staate delegiertes — Herrschaftsrecht zugestanden 14 , andererseits bestreitet Laband nicht, daß auch die Gemeinde innerhalb ihres W i r kungskreises eigene 15 Rechte habe; es sei daher — nach Laband — ein vergebliches Bemühen, i m eigenen Recht einen spezifischen Unterschied zwischen Staat und Gemeinde aufzufinden 16 . Staat und Gemeinde werden auf diese Weise „eigene Herrschaftsrechte" zugesprochen. Es handelt sich hier u m einen unauflösbaren Widerspruch, weshalb die an Labands Theorie mehrfach geübte K r i t i k 1 7 i n vollem Umfang berechtigt erscheint. 3. U r s p r ü n g l i c h k e i t

der

H oh ei t s ge w a l t

„Zweckbestimmung" und „eigenes Herrschaftsrecht" vermögen Staat und Gemeinde nicht voneinander abzugrenzen. 9

Ebenso Laband, a.a.O., S. 67. Usteri, S. 138, dessen K r i t i k (S. 137—139) ich mich i n vollem Umfang anschließe. 11 Usteri, S. 139. 12 Laband, Staatsrecht, 1. Bd., S. 65. 13 Laband, a.a.O., S. 68. 14 Laband, a.a.O., S. 70. 15 Hervorhebung durch Laband, a.a.O., S. 66. 16 Laband, a.a.O., S. 66; diese Ausführungen Labands sind als K r i t i k an G. Jellineks Theorie (s. Staatenverbindungen, S. 41 ff.) v o m eigenen = rechtlich unkontrollierbaren Recht als Wesensmerkmal des Staates gedacht, sprechen aber auch gegen Labands eigene Lehre; zu beachten ist übrigens, daß G. Jellinek die Theorie v o m „unkontrollierbaren Recht" später selbst aufgegeben hat; vgl. ζ. B. seine Staatslehre, S. 430; s. dazu a. Usteri, S. 131/32. 17 Z . B . bei Nawiasky, Bundesstaat, S. 203; Peters, Grenzen, S. 59 f.; Usteri, S. 128 ff. 10

16

§ 1 Abgrenzung des Staates v o n der Gemeinde

M. E. kann man den rechtlichen Unterschied von Staat und Gemeinde nur i m Ursprung ihrer hoheitlichen Gewalt sehen, wobei unter letzterer die rechtliche Fähigkeit einer hoheitlichen Institution verstanden werden soll, „einseitig einen W i l l e n bilden, i h n ebenso einseitig einem ,Unterworfenen 4 auferlegen und vor allem i h n einem solchen Unterworfenen gegenüber notfalls m i t unwiderstehlicher Gewalt durchsetzen zu dürfen" 1 8 . Diese hoheitliche Gewalt kann nun Recht aus eigener Macht, d. h. ursprünglich, von keiner anderen Macht abgeleitet und damit höchste Macht oder von einer derart höheren Macht abgeleitet sein; und darin ist m i t der heute i n Literatur und Rechtsprechung herrschenden M e i n u n g 1 9 der Wesensunterschied von Staat und Gemeinde zu sehen, daß nämlich die Hoheitsgewalt des Staates ursprünglich (originär), die der Gemeinde abgeleitet (delegiert) ist. Auch das positive Recht vermag den Gemeinden rechtserhebliche „Ursprünglichkeit" nicht zu verleihen 2 0 . Z w a r sprechen die A r t . 11 Abs. 2 Satz 1 B V und A r t . 1 Satz 1 B a y G O 2 1 von der Gemeinde als „ u r sprünglicher Gebietskörperschaft" 22 ; diese Ursprünglichkeit ist jedoch lediglich historisch dahingehend zu verstehen, daß die Gemeinde i m Regelfall älter ist als der Staat. Keineswegs kann damit die Originarität i. S. der Unabgeleitetheit der Staatsgewalt gemeint sein. Denn die Gemeinde ist heute i n jeder Hinsicht dem staatlichen Recht unterworfen und von i h m abhängig, sowohl was ihre Entstehung wie ihren Weiterbestand, ihre Aufhebung, ihre Rechte und Pflichten b e t r i f f t 2 3 ' 2 4 . 18 Herb. Krüger, D Ö V 1959, S.721; ders., DVB1. 1955, S.382; ebenso Erler, V V D S t R L 18, S. 10; vgl. a. G. Jellinek, Staatslehre, S.429f.; Laband, Staatsrecht, 1. Bd., S. 68; Gerber, Grundzüge, S. 3, 21. 19 L i t e r a t u r u n d Rechtsprechung zu dieser Frage sind schier unübersehbar; hingewiesen sei n u r auf Nawiasky, Festschrift für Zitelmann, S. 19; ders., Bundesstaat, S. 46 f.; ders., Staatslehre, 3. Teil, S. 16, 47; Anschütz, Komm., 14. Aufl., S. 39; Laband (Anm. 18), S.70; G. Jellinek (Anm. 18), S.430; Peters, Grenzen, S.54f£., insbes. S. 56; ders., Lehrbuch, S. 101, 292 f.; Fleiner, I n s t i tutionen, S.101, 104; Forsthoff, Lehrbuch, S.129, 431; Wolff, Verwaltungsrecht I, S. 13; ders., Verwaltungsrecht I I , S. 146; Wernicke, i n : Bonner Komm., Erl. I I l b zu A r t . 20; Herzog, D Ö V 1962, S.83f.; Badura, D Ö V 1963, S.561; Bad VGH, V e r w Rspr. 4, S.200f.; BVerwGE 6, S. 251. 20 Ebenso Badura, D Ö V 1963, S. 561. 21 V o m 25.1.1952. 22 Während die Landkreise u n d Bezirke schlicht als Gebietskörperschaften angesprochen werden; s. A r t . 1 Bay L K r O v o m 16. 2.1952, A r t . 1 Bay BezO v o m 27. 7.1953. 23 Vgl. Nawiasky-Leusser, S. 86; Nawiasky-Leusser-Schweiger-Zacher, A r t . 11 R N 4; s. a. Heller, Souveränität, S. 58; Mang-Maunz-Mayer-Obermayer, S. 307; — abwegig, die Gemeinde naturrechtlich zu qualifizieren, w i e dies ζ. B. von Hölzl, GO, A r t . 1 A n m . 3, Jobst, Bay VB1. 1960, S. 201, u n d Hoegner, Bay VB1. 1963, S. 97, getan w i r d ; gegen diese Betrachtungsweise zu Recht Kelsen, Staatslehre, S. 186/87; Maunz-Dürig, A r t . 19 Abs. I I I R N 3 (Fußn. 2 auf S. 3). 24 K e i n Uber- u n d Unterordnungsverhältnis, sondern echte Partnerschaft zwischen Staat u n d Gemeinde möchte Jobst, Bay VB1. 1960, S. 201 ff., 301 ff., annehmen; s. dazu die Widerlegung von Maunz, Bay VB1. 1960, S. 205 f. 303 f.

I I . Entscheidendes Abgrenzungskriterium

17

Ernsthafte Zweifel, ob alle gemeindliche Gewalt vom Staat delegiert ist, können auch nicht auf die Unterscheidung des geltenden Rechts zwischen eigenen und übertragenen Aufgaben der Gemeinde 25 gestützt werden. Die Unterscheidung der Wirkungskreise entfaltet ihre Bedeutung ausschließlich i n der gemeindlichen Ermessensfreiheit und der staatlichen Aufsicht 2 6 . Ein rechtstheoretischer Schluß auf Grund dieser gesetzlichen Unterscheidung dahin, den Gemeinden originäre Hoheitsgewalt so weit zuzusprechen, als ihr eigener Wirkungskreis reicht, wäre verfehlt. Entsprechend dem Unterordnungsverhältnis der Gemeinde unter den Staat bezieht sich nämlich das „Abgeleitetsein" ihrer hoheitlichen Gewalt gerade auf den sog. eigenen Wirkungskreis, während der übertragene ja überhaupt staatlich ist 2 7 . Es kann also nur i n der Unabgeleitetheit bzw. der Abgeleitetheit der Gewalt die spezifische Differenz zwischen Staat und Gemeinde gesehen werden. Wenn nun Scheuner 28 die Frage der Originarität und Unabgeleitetheit der Staatsgewalt als Scheinproblem (!) abtut und m i t diesen „überholten Begriffsstreitigkeiten" aufzuräumen empfiehlt, m i t der Begründung, daß jede staatliche Machtübung der Legitimation, d. h. der Ableitung bedürfe, somuß dem — zumindest teilweise — widersprochen werden: wenn hier von der Unabgeleitetheit der staatlichen Gewalt die Rede ist, so kann und soll damit nicht geleugnet werden, daß alle staatliche Gewalt 2 9 ihre Legitimation i m Volke finden, von diesem ausgehen oder — um extrem zu formulieren — von diesem „abgeleitet" sein muß, so daß — konkret gesprochen — i n einem Verfassungsstaat nur solche Hoheitsrechte anerkannt werden können, die von der Verfassung bestätigt und geregelt sind 3 0 ; der Begriff der Unabgeleitetheit w i l l hier nur besagen, daß die staatliche Gewalt von keinem anderen Gemeinwesen i n dem Sinne abgeleitet ist wie die Hoheitsgewalt der Gemeinde von dem „anderen Gemeinwesen Staat". Die Unableitbarkeit der staatlichen Machtbefugnisse hängt — so verstanden — nicht, wie Scheuner meint 3 1 , m i t der Idee der Unbeschränkbarkeit der Staatsmacht zusammen. Es w i r d daher daran festgehalten, daß n u r i n der — recht verstandenen — Originarität der Gewalt das Staat und Gemeinde rechtlich unterscheidende Merkmal gefunden werden kann. Wer den Unterschied 25

S. z. B. A r t . 83 Abs. 1 u n d 3 BV, A r t . 6 Abs. 2 Bay GO. Statt vieler: Mang-Maunz-Mayer-Obermayer, S.313f.; Hölzl, GO, A r t . 8 A n m . 2. 27 Peters, Grenzen, S.60; ebenso Usteri, S.258, der daher von einem primären und sekundären Wirkungskreis sprechen möchte. 28 DÖV 1962, S. 641 ff. 29 I m Geltungsbereich des G G wenigstens. so Forsthoff, i n : Der K a m p f u m den Wehrbeitrag, 2.Hlbbd., München 1953, S. 312 ff., 320; i n diesem Sinn auch Herb. Krüger, D Ö V 1959, S.726, u n d Nawiasky, Staatslehre, 2. Teil, 2. Bd., S. 105. Scheuner (Anm. 28), S. 644. 26

2 Harbich

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§ 1 Abgrenzung des Staates von der Gemeinde

nicht i n diesem Punkte sucht, w i r d notwendig scheitern und zu dem dem Rechtsbewußtsein widersprechenden Ergebnis gelangen müssen, daß zwischen Staat und Gemeinde nur ein quantitativer, kein qualitativer Unterschied besteht 3 2 . Dieser von keiner höheren Macht delegierten Gewalt soll nun i m A n schluß an Nawiasky der Begriff der Souveränität vorbehalten bleiben. Souveränität ist danach „einfach eine Eigenschaftsbezeichnung der Herrschaft, der Staatsgewalt, die ihr aber nichts Neues hinzufügt, sondern etwas i h r Immanentes besonders u n t e r s t r e i c h t " 3 3 ' 3 4 . M i t der Charakterisierung der Souveränität als Eigenschaftsbezeichnung der Staatsgewalt w i r d gleichzeitig zum Ausdruck gebracht, daß dem Begriff der Souveränität kein bestimmter Inhalt abgewonnen werden kann, daß man i h n nicht i n einzelne Kompetenzen oder Befugnisse des Staates auflösen oder als einen Inbegriff von subjektiven Rechten des Staates, ζ. B. der Kriegserklärung oder des Friedensschlusses, darstellen kann. Ein derartiger Versuch müßte von vornherein als aussichtslos betrachtet werden, da dem Staat innerhalb seines Herrschaftsbereiches grundsätzlich jede die Ordnung menschlichen Verhaltens betreffende Kompetenz zusteht 3 5 . Souveränität ist auch nicht m i t völkerrechtlicher Handlungsfähigkeit gleichzusetzen; die Frage der Völkerrechtsunmittelbarkeit ist vielmehr — insbesondere i m Bundesstaat — aus dem Katalog der Kompetenzverteilung zu beantworten; sie kann einem Staat wie jede andere Kompetenz zukommen oder nicht, m i t der Staatlichkeit eines Gemeinwesens hat die völkerrechtliche Handlungs- oder Rechtsfähigkeit nichts zu tun, höchstens insofern, als wohl die Völkerrechtsfähigkeit regelmäßig eine Anerkennung der Staatseigenschaft des betreffenden Gemeinwesens einschließt 36 . Der hier verwendete Souveränitätsbegriff ist ein Formalbegriff 37, der nichts anderes besagt, als daß „keine übergeordnete Gewalt vorhanden 32 Peters, Grenzen, S. 56; s. a. Usteri, S. 140. 33 Nawiasky, Bundesstaat, S. 47, u n d i n a l l seinen späteren Schriften; ebenso Maunz, i n : Maunz-Dürig, A r t . 20 R N 5, A r t . 24 R N 5; ders., Staatsrecht, S. 170; Fleiner-Giacometti, S. 37, 44; Usteri, S. 87 ff., 131; zur geschichtlichen E n t w i c k lung des Souveränitätsbegriffs s. ζ. B. Rehm, Staatslehre, S. 40 ff. 34 A u f die Möglichkeit der Relativierung der Souveränität des Staates durch die Unterordnung unter das Völkerrecht w i r d nicht eingegangen, da es hier nur auf das K r i t e r i u m , das den Staat v o m nicht-staatlichen Hoheitsträger unterscheidet, ankommt; vgl. zu dieser Frage Nawiasky, Staatslehre, 3. Teil, S. 22; i m übrigen w i r d auf das Spezialschrifttum zur Souveränitätslehre verwiesen. 35 Kelsen, Staatslehre, S. 110; Hervorhebung hier vorgenommen. 36 S. Nawiasky, Bundesstaat, S. 48 f.; ders., W D S t R L 12, S. 237 (Aussprache). 37 Kelsen, Souveränität, S. 40 ff.; ders., Staatslehre, S. 109; Hatschek, Staatsrecht, 1. Bd., S. 4; Fleiner, Bundesstaatsrecht, S. 52; Hausmann, AöR 33, S. 86, 94 Fußn. 22; Usteri, S. 95; G. Jellinek, Staatslehre, S. 475 ff., 482; —Souveränität ist insbesondere nicht, wie vielfach i n der L i t e r a t u r zum Bundesstaat angenommen w i r d , m i t Kompetenz-Kompetenz gleichzusetzen; s. dazu Nawiasky,

I I I . Definition des Staates

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sein darf, deren Willen dem staatlichen W i l l e n bindende Weisungen geben k a n n " 3 8 , und zwar rechtlich bindende Weisungen. Wollte man nämlich die Souveränität nicht als ein derartiges formale begreifen, sondern auch politische Momente i n ihren Begriff miteinbeziehen, etwa dergestalt, daß ein Gemeinwesen n u r dann das A t t r i b u t der Souveränität für sich i n Anspruch nehmen dürfte, wenn es sich nicht n u r rechtlich, sondern auch politisch frei vom Einfluß fremder Mächte unumschränkt 3 9 entfalten könnte, dann müßte man die Frage stellen, ob es heute — angesichts der Atombombe — überhaupt noch einen derart politisch souveränen Staat gibt oder geben kann; der Kreis derart souveräner Staaten wäre jedenfalls sehr klein, die Bundesrepublik Deutschland würde i h m sicherlich nicht angehören. M. E. ist ein Souveränitätsbegriff dieser A r t — für die rechtliche Betrachtimgsweise! — wenig sinnvoll, nicht deswegen, w e i l man der Bundesrepublik die Souveränität absprechen müßte, sondern w e i l dann das einzig m i r brauchbar erscheinende Kriterium, m i t dem Staat und Gemeinde voneinander abgegrenzt werden können, wieder aufgegeben werden müßte. Und wodurch sollten sich die Bundesrepublik Deutschland und eine hundertköpfige Gemeinde rechtlich voneinander unterscheiden, wenn nicht durch die Souveränität?! I I I . Definition des Staates Die Erörterungen über das K r i t e r i u m des Staates, das hier i n der Souveränität gesehen w i r d 1 , sollen m i t einer Definition des Staates abgeschlossen werden 2 ; es sei gestattet, dies ohne Umschweife i n der Form eines Bekenntnisses zur traditionellen Lehre von den drei Wesenselementen des Staates zu tun; danach setzt sich ein Staat aus Staatsgewalt, Staatsvolk und Staatsgebiet zusammen 3 . Dieses „GeBundesstaat, S. 46 ff.; ders., Staatslehre, 3. Teil, S. 153; Kelsen, Souveränität, S. 47 ff.; Usteri, S. 96 m i t Fußn. 55, u n d unten § 2 I V 5 a/aa. 38 Nawiasky, Staatslehre, 2. Teil, 2. Bd., S. 98; vgl. a. G. Jellinek, Staatslehre, S. 476. 39 Uberpositive Schranken der Hoheitsgewalt bleiben hier außer Betracht. 1 So z. B. auch Gierke , Schmollers Jahrbuch, 7. Jahrgang, 1883, S. 1168; Zorn, Staatsrecht, S. 63 ff.; Giacometti, Staatsrecht, S. 13 f., 22; Fleiner-Giacometti, S. 37. — Vielfach sieht m a n i n der Souveränität das M e r k m a l des Staates, doch geheil die Meinungen darüber, was m a n unter der Souveränität zu verstehen hat, oft w e i t auseinander; sie scheint einem A x i o m zu gleichen, dessen I n h a l t jeder A u t o r selbst bestimmt. 2 U m klarzustellen, w i e der Staatsbegriff i m folgenden verwendet w i r d . 3 Statt vieler vgl. G. Jellinek, Staatslehre, S. 394—434; Anschütz, Grundzüge, S. 452 f.; kritisch zur Drei-Elementen-Lehre außer Kelsen u n d Nawiasky, z. B. auch: Smend, Verfassungsrecht, S. 8/9; Herb. Krüger, Staatslehre, S. 145/46; hingewiesen sei auch auf Dürigs Referat „Der deutsche Staat i m Jahre 1945 und seither " ( V V D S t R L 13, S. 27 ff., insbes. S. 37 ff., 49 ff.), das zunächst den Eindruck erweckt, als wolle Dürig, angeregt durch Apelt (s. W D S t R L 13, S. 37 Fußn. 30), neben den hergebrachten Staatselementen (Gewalt, Volk, Gebiet) 2*

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§ 2 Der juristische Bundesstaatsbegriff:

bilde" kann nach innen und außen Träger von Rechten und Pflichten sein 4 .

§ 2 Der juristische Bundesstaatsbegriff I. Einheitsstaat — Bundesstaat — Staatenbund Der Bundesstaat steht i n der M i t t e zwischen dem Einheitsstaat und dem Staatenbund. Eine Abgrenzung gegenüber dem Einheitsstaat erscheint nicht erforderlich; denn i m Bereich des Einheitsstaates gibt es nur eine Staatsgewalt: Die organisatorischen Untergliederungen des Staates sind entweder rein staatliche Verwaltungsbezirke oder Kommunalkörperschaften, es gibt nur eine einzige Staatshoheit 1 . Anders i m Bundesstaat und Staatenbund, den beiden Haupttypen der Staatenverbindungen. Hier finden sich i n einem „Verband" mehrere Staaten 2 zusammengeschlossen. Die Frage ist nun, wodurch sich diese beiden Staatenverbindungen unterscheiden. Kelsen 3, ζ. B., stellt nur auf den Grad der Dezentralisation oder Zentralisation ab, was zur Folge hat, daß die eine Form der Staatenverbindung kontinuierlich i n die andere übergehen kann; letztlich ist es bei Kelsen „ n u r mehr eine terminologische Konvention", ob man eine Verbindung als Staatenbund oder Bundesstaat bezeichnet. Derartige Theorien m i t flüssigen Grenzen erfreuen sich insbesondere i m Staatsund Verwaltungsrecht wegen ihrer Elastizität und Lebensnähe großer Beliebtheit, Theorien m i t starren Grenzen werden vielfach als unbrauchbar abgetan. Dennoch soll hier der h. M. gefolgt und an einer klaren Abgrenzung von Staatenbund und Bundesstaat festgehalten noch ein viertes Staatselement, nämlich das der „objektiven geistigen T r a d i tion", i n die Allgemeine Staatslehre einführen; i n der Aussprache hat Dürig (a.a.O., S. 32) jedoch klargestellt, daß er derartige „ A m b i t i o n e n " nicht habe. 4 Kritisch zur K o n s t r u k t i o n des Staates als Rechtsperson, ζ. B. Scheuner, Festgabe f ü r Smend, 1962, S. 234; gegen die Rechtspersönlichkeit des Staates Giacometti, Staatsrecht, S. 14: „Die Rechtspersönlichkeit des Staates erscheint schon aus dem Grunde unmöglich, w e i l der Staat der Schöpfer des Rechtes ist und sich daher nicht selber juristische Persönlichkeit verleihen kann." Unbedingt zwingend erscheint m i r dieser Schluß nicht; w e n n es dem Staat als Schöpfer des Rechts freisteht, bestimmten sozialen Erscheinungen Rechtspersönlichkeit zuzuerkennen, so fällt es schwer einzusehen, w a r u m es dem Staat als Schöpfer des Rechts unmöglich sein soll, sich selbst Rechtspersönlichkeit zu verleihen; vgl. dazu a. Nawiasky, Staatslehre, 3. Teil, S. 2 ff.: Staat als Rechtsordnungssubjekt u n d als Rechtssubjekt; umfassend zu dieser Frage die dogmengeschichtliche Darstellung von U. Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, Tübingen 1959. 1 Maunz, Staatsrecht, S. 174. 2 Wenn damit die Glieder eines Bundesstaates mittelbar als Staaten bezeichnet werden, so mag dies als ein Vorgriff auf spätere Untersuchungen (s. unten § 2 I V 3 a) gestattet sein. 3 Staatslehre, S. 194/95.

I I . Die bedeutendsten Bundesstaatstheorien

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werden; ist es doch — so möchte man meinen — m i t eine Aufgabe der Rechtswissenschaft, Begriffe m i t möglichst scharfen Konturen herauszuarbeiten. Kelsens Theorie soll daher nicht weiter verfolgt werden. I m übrigen Schrifttum w i r d teilweise 4 der Staatenbund als völkerrechtlicher, der Bundesstaat als staatsrechtlicher Staatenverband angesehen. Nawiasky 5 hingegen anerkennt nur völkerrechtliche Staatenverbindungen: eine staatsrechtliche Staatenverbindung sei ein Widerspruch i n sich selbst. Es erscheint m i r nicht sehr ergiebig, auf diesen Streit einzugehen; eine Stellungnahme hierzu würde insbesondere eine Darlegung dessen voraussetzen, was man unter Völkerrecht zu verstehen hat. Es mag hier hinsichtlich der Staatenbund und Bundesstaat charakterisierenden Merkmale die Feststellung ausreichen, daß sich die Bundesgewalt des Staatenbundes nur an die Mitgliedstaaten, d. h. an deren oberste Staatsorgane wendet, daß i h r keine Gewalt über die einzelnen Staatsangehörigen gegeben ist 6 , während i m Bundesstaat i n der Regel sowohl die Zentrale als auch die Glieder unmittelbar i n Beziehung zum Bürger treten können müssen 7 . II. Die bedeutendsten bisher in der Literatur vertretenen Bundesstaatstheorien Bevor i n die Untersuchung über die Möglichkeit und Gestalt des Bundesstaates eingetreten wird, sollen — zur Information — die bedeutendsten bisher i n der deutschen Literatur vertretenen Bundesstaatstheorien dargestellt werden 1 . Bei all diesen Theorien geht es immer wieder u m die Frage, ob sich eine Teilung bzw. Beschränkung der staatlichen Gewalt m i t dem Begriff des Staates als eines höchsten Gewaltträgers verträgt, ob die Glieder dem Bund als gleichberechtigte Partner gegenüberstehen oder diesem untergeordnet sind. 1. „ T e i l b a r k e i t

der

Souveränität"

Bereits i m Jahre 1853 hat Georg Waitz, angeregt durch Tocqueville 2, i n einer Abhandlung über „das Wesen des Bundesstaates" 3 Gedanken 4

Vgl. n u r Laband, Staatsrecht, 1. Bd., S. 55 ff. Staatslehre, 3. Teil, S. 140, 156 f. Statt vieler: G. Jellinek, Staatslehre, S. 765. 7 So schon Waitz, Grundzüge, S. 162; ebenso Meyer, Grundzüge, S. 6 ff.; Brie, Staatenverbindungen, S. 113; so auch die heute w o h l h. M., vgl. Herzog, D Ö V 1962, S. 81 m. weit. Nachw. 1 Die Darstellung w i l l hier n u r i n groben Umrissen informieren; i m übrigen s. Brie, Der Bundesstaat; Nawiasky, Bundesstaat, S. 196—251; Όsteri, S. 149 bis 158, 213—223. 2 De la démocratie en Amérique, 1. Aufl., Paris 1835. 3 Grundzüge, S. 153 ff.; Darstellung bei Brie (Anm. 1), S. 105—118; s. a. Triepel, Reichsaufsicht, S. 72ff.; Nawiasky (Anm. 1), S. 197 ff. 5 6

22

§ 2 Der juristische Bundesstaatsbegriff

entwickelt, die die wissenschaftliche Auseinandersetzung m i t dem Bundesstaatsbegriff für lange Zeit maßgebend beeinflußten und ihre Bedeutung für das Verständnis des rechtlichen Bundesstaatsbegriffs bis heute nicht verloren haben. Waitz sieht das Charakteristische des Bundesstaates i n einer zweifachen Organisation des Volkes zum Staat: teils i n seiner Gesamtheit, teils nach selbständigen Teilen 4 . Das gesamte Gebiet der Staatstätigkeit soll sonach zwischen der Zentrale und den Gliedern geteilt sein; der Zentralstaat wie der Einzelstaat sollen eigene unabgeleitete Hoheitsrechte besitzen; Zentralstaat und Einzelstaat seien je für sich 5 souverän, jeder innerhalb seiner Sphäre, d. h. soweit seine Zuständigkeit reicht; nur der Umfang, nicht der Inhalt der Souveränität sei beschränkt und jener für die eine Staatsgewalt so gut wie für die andere 6 . Die Gliedstaaten seien nicht dem Gesamtstaat 7 untergeordnet, sondern stehen neben diesem als gleichgeordnete Partner. Da es für jeden Staat ein erstes Erfordernis sei, daß er selbständig sei, d. h. unabhängig von jeder i h m fremden Gewalt, müsse als notwendige Konsequenz diese Selbständigkeit auch für die Zentrale gefordert werden 8 : da der Gewaltunterworfene zum Glied - u n d Gesamtstaat i n unmittelbarer Beziehung stehe, was i n der unmittelbaren Geltung der Gliedstaats- und Bundesgesetze zum Ausdruck komme, müßten beide Teile ihre Gesetze auch selbständig ausführen, ihre eigene Regierung, Verwaltung und Gerichte haben 9 . Würde nämlich die Zentralgewalt auf den Erlaß von Gesetzen und allgemeinen Anordnungen beschränkt sein, deren Ausführung sie den Einzelstaaten überlassen müßte, so wäre ihre Tätigkeit gelähmt, andererseits würde der Einzelstaat i n das unwürdige und gefährliche Verhältnis einer Unterbehörde versetzt; von einer 4 Grundzüge, S. 162 ff.; vgl. hierzu a. Tocqueville (Anm. 2), l . B d . , S. 244/45: „ O n découvre ensuite une forme de société dans laquelle plusieurs peuples se fondent réellement en u n seul quant à certains intérêts communs, et restent séparés et seulement confédérés pour tous les autres." 5 Vgl. dagegen Gierke, Schmollers Jahrbuch, 7. Jahrgang, 1883, S. 1168 ff., nach dessen genossenschaftlicher Bundesstaatstheorie die als wesentliches M e r k m a l des Staates angesehene Souveränität als einheitliche den Gliedstaaten und dem Zentralstaat i n ihrer organischen Gesamtheit zukommt, nicht geteilt und nicht je ganz, sondern als „Gesamtsouveränität". 6 Grundzüge, S. 166. 7 Die Begriffe „Gesamtstaat" u n d „Zentralstaat" werden bei Waitz synonym verwendet; ein dreigliederiger Bundesstaatsbegriff, w i e i h n zuletzt Nawiasky, Staatslehre, 3. Teil, S. 161, vortrug, wonach zwischen Zentral- u n d Gesamtstaat als zwei verschiedenen Rechtssubjekten unterschieden werden müsse, wurde zu Waitz 9 Zeiten noch nicht diskutiert; doch hat auch Waitz (a.a.O., S. 164) die Dreiheit gesehen; er nennt die Vereinigung von Einzelstaaten und Zentralstaat ( = Gesamtstaat) Bundesstaat. 8 Grundzüge, S. 165; hier k n ü p f t Waitz offensichtlich an Tocqueville (Anm. 2), 1. Bd., S. 66, an: „ O n y voit deux gouvernements complètement séparés et presque indépendants." 9 Grundzüge, S. 168 ff.

I I . Die bedeutendsten Bundesstaatstheorien

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Selbständigkeit beider Teile könnte dann nicht mehr die Rede sein 1 0 . Als weitere Folge der völligen Unabhängigkeit der zentralen von der gliedstaatlichen Gewalt fordert Waitz für die Gesamtangelegenheiten eine Volksvertretung, die nicht aus ständischen oder repräsentativen Versammlungen der Einzelstaaten hervorgehen dürfe, sondern durch die das V o l k unmittelbar vertreten sein soll 1 1 . Die Tatsache, daß die Verfassungen der Bundesstaaten neben dem Volkshaus durchweg auch ein Staatenhaus kennen, welches (politisch) auch die Interessen der Einzelstaaten vertritt, läßt sich daher m i t der Waitz'schen Forderung nach totaler Trennimg der zentralen und gliedstaatlichen Gewalt kaum vereinbaren. Diese Schwierigkeit sucht Waitz dadurch zu überwinden, daß er den Reichsrat — also das Organ, das sich aus Vertretern der Gliedstaaten zusammensetzt — weniger als Organ als als „ K o r r e k t i v " des Gesamtstaates betrachtet wissen w i l l 1 2 . Die Bundesstaatslehre von Waitz ist insofern besonders bemerkenswert, als sie — erstmals i m deutschen Schrifttum — die Theorie von der „Teilbarkeit der Souveränität" vorträgt und Zentral- und Gliedstaat auf der Ebene der Gleichordnung sieht. „Teilbarkeit der Souveränität" ist jedoch mehr als Schlagwort zur Kennzeichnung dieser Theorie denn als wissenschaftlich exakter Ausdruck zu verstehen: nicht die Souveränität als suprema potestas, die auch bei Waitz eine Eigenschaft der Staatsgewalt darstellt, ist geteilt, sondern das sachliche Gebiet der Staatsgewalt 13 . Die „geteilte Souveränität" erweist sich also bei näherer Prüfimg als eine Aufteilung der Kompetenzen unter zwei souveräne gleichberechtigte staatliche Gewalten, deren räumlicher — nicht deren sachlicher — Herrschaftsbereich identisch i s t 1 4 .

des

2. B e g r i f f l i c h e B u n d e s s t a a t e s als

Unmöglichkeit eines Staatenstaates

Die Waitz'sche Theorie von der „teilbaren Sounveränität" erfuhr eine Zeitlang allgemeine Zustimmung, wurde jedoch dann ganz entschieden von Max v. Seydel 15 bekämpft. Zwar konnte Seydels Lehre 10 Grundzüge, S. 169 f.; Normen, wie sie z. B. i n den A r t . 83 ff. GG enthalten sind, w ü r d e n sich sonach m i t der Waitz*sehen Bundesstaatskonstruktion nicht vereinbaren lassen; s. dazu unten § 2 I V 5 a/cc. 11 Grundzüge, S. 177 f. 12 Grundzüge, S. 179 ff., insbes. S. 182. 13 Das haben schon Hausmann, AÖR33, S. 84/85, u n d Nawiasky, Bundesstaat. S. 200, erkannt; ebenso — w i e Waitz — auch Peters, Föderalismus, S. 23; Fleiner, Bundesstaatsrecht, S. 37; s. a. Usteri, S. 151. 14 Vgl. Hausmann (Anm. 13), S. 82 ff., dessen Abhandlung eine Apologie der Waitz'schen Lehre darstellt. 15 Abhandlungen, S. 1 if.; ebenso i n all seinen späteren Werken; zur D a r stellung und K r i t i k s. Nawiasky, Bundesstaat, S. 199 ff.; s. a. Hausmann, AöR 33, S. 82 ff.

§ 2 Der juristische Bundesstaatsbegriff

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keine Anhänger finden 16; dennoch soll sie hier wiedergegeben werden, hat sie doch i n der Literatur starke Beachtung gefunden. Da nach der Lehre, die Seydel kritisch zu untersuchen sich zur A u f gabe stellt, der Bundesstaat ein Staat sein soll, beginnt Seydel seine Untersuchung des Bundesstaatsbegriffs m i t der Feststellung der Begriffe von Staat und Staatsgewalt und kennzeichnet den Staat als die durch einen höchsten W i l l e n vereinigte Gesamtheit der Menschen eines Landes. Dieser höchste Wille müsse aber begrifflich notwendig ein einiger, einheitlicher sein; denn wo er gespalten sei, verliere er sein Wesen. Zwei höchste W i l l e n würden einander aufheben, verneinten sich gegenseitig, seien darum begrifflich unmöglich 1 7 . Die Staatsgewalt als höchste Gewalt i m Staate ertrage keine andere Gewalt über und neben sich; sie sei einig und unteilbar 1 8 , was notwendigerweise auch für die Souveränität gelten müsse 19 , die Seydel m i t der Staatsgewalt identifiziert. Die Staatsgewalt als das höchste Recht i m Staate stelle also nicht die Summe einer auf zählbaren Menge von einzelnen Hoheitsrechten dar; denn anderenfalls wäre der ganze Begriff wertlos, ein leerer Name für ein Quantum Rechte ohne inneren Zusammenhang 20 . Ein Wille, der den Staat nicht vollkommen i n allen denkbaren, sondern nur i n einzelnen Beziehungen beherrsche, während er sich auf die übrigen gar nicht erstrecken dürfe, sei kein Herrscherwille; eine Souveränität, der einzelne Souveränitätsbefugnisse begrifflich fehlten oder gar nur einzelne begrifflich zustünden, sei keine Souveränität. Die Souvernität dürfe innerhalb des Staatsgebietes, das sie beherrsche, an keine Grenzmarke stoßen, wo i h r ein Gleichberechtigter Halt zurufe; sie sei nicht mehr die Staatsgewalt, wenn sie nicht die ganze Staatsgewalt sei. Wo aber keine Staatsgewalt, da sei auch kein Staat 2 1 . Diese grundsätzliche Auffassung von Staat und Staatsgewalt führt Seydel zu dem absolut konsequenten Ergebnis, daß der Bundesstaat, unter dem die Gegenmeinung einen Staat, dessen Teile wieder Staaten sind, versteht, wegen der unmöglichen Aufteilung der Staatsgewalt „eine logische Unmöglichkeit" darstellt 2 2 : Der Begriff des Bundesstaates, wie i h n die herrschende Lehre aufstelle, sei rechtlich unhaltbar, weil er dem Begriffe des Staates widerspreche. Alle staatlichen Ge16

Ebenso wie Seydel auch schon Calhoun , I, S. 109 ff., I l l ff. Abhandlungen, S. 2 ff., 5. 18 Abhandlungen, S. 6, 19. 19 Vgl. a. Calhoun , I, S. 146: „Sovereignty is an entire thing, to devide, is — to destroy it." 20 Abhandlungen, S. 7. 21 Abhandlungen, S. 19. 22 Abhandlungen, S. 18. 17

I I . Die bedeutendsten Bundesstaatstheorien

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bilde, die man mit dem Namen Bundesstaat zu bezeichnen pflege, müßten entweder einfache Staaten oder Staatenbünde s e i n 2 3 , 2 4 . 3. B u n d e s s t a a t a l s s o u v e r ä n e r aus n i c h t - s o u v e r ä n e n Staaten zusammengesetzter Staat Seydels Versuch, das Bundesstaatsproblem i n der Weise aus der Welt zu schaffen, daß er den Gegenstand, den Bundesstaat, aus der Welt schaffte, veranlaßte zu dem m. E. berechtigten Vorwurf, er habe „auf diese Weise das K i n d m i t dem Bade ausgeschüttet" 25 . So wurden weitere Versuche unternommen, das Bundesstaatsproblem dogmatisch befriedigend zu lösen, ohne der politischen Wirklichkeit der verschiedenen Staatenverbände Gewalt anzutun: Ausgehend von der gewissermaßen empirischen Erkenntnis, daß eben nicht alle m i t dem Namen Bundesstaat bezeichneten staatlichen Gebilde unter die Begriffe des „einfachen Staates oder Staatenbundes" subsumiert werden können, daß dem Begriff des Bundesstaates als eines besonderen Staatstypus auch i n der Wissenschaft Existenzberechtigung zugesprochen werden müsse, definiert die i m Kaiserreich und i n der Weimarer Republik führende Staatrechtswissenschaft den Bundesstaat als einen souveränen Staat, der sich aus einer Mehrheit nicht-souveräner dem Oberstaat ( = Bundesstaat) unterworfener Staaten zusammensetzt. Meyer 26, Rosin 21, Laband 28, G. Jellinek 29, An30 n S2 schütz , Thoma > seien hier als Vertreter dieser Bundesstaatslehre 23

Abhandlungen, S. 15, 25. Der Theorie Seydels steht Zorn, Staatsrecht, 1. Bd., S. 61 ff., recht nahe: zwar könne der Bundesstaat nicht ein aus mehreren Staaten zusammengesetzter Staat sein; dennoch sei er „eine bestimmte F o r m der Staatenverbindung" (Zorn, a.a.O., S. 68), „eine einheitliche, aber föderativ organisierte souveräne Staatsgewalt" (Zorn, a.a.O., S. 70); kritisch dazu Nawiasky, Bundesstaat, S. 215; vgl. a. Kreutzer, S. 5: „Bundesstaatsbegriff ein juristischer U n begriff", S. 20: „Bundesrepublik ein mehrstufiger Selbstverwaltungsstaat"; ähnlich auch Κ. ff. Klein, S. 45; aus dem älteren Schrifttum vgl. noch die bei G. Jellinek, Staatenverbindungen, S. 37 Fußn. 1, S. 95, angeführten Schriftsteller. 25 Zorn, Staatsrecht, 1. Bd., S. 68; Nawiasky, Bundesstaat, S. 200 f.; auf diesen V o r w u r f meint Seydel, Comm., S. 11: „ I c h vermag das K i n d nicht zu sehen, das ich ausgeschüttet haben soll, ich sehe n u r Wasser." 26 Staatsrechtliche Erörterungen, S. 6 ff.; Meyer-Anschütz, S. 48 ff. 27 H i r t h s Annalen, 1883, S. 302 ff. 28 Staatsrecht, 1. Bd., S. 55 ff., 74 Fußn. 2. 29 Staatenverbindungen, S. 276 ff.; Staatslehre. S. 769 ff. 30 Grundzüge, S, 460 ff., 463 f.; HbdDStR 1, S.295; Komm., 14. Aufl., S. 39 ff. 81 HbdDStR 1, S. 169 ff., 175. 32 Vgl. außerdem Smend, Verfassungsrecht, S. 167; Rehm, Staatslehre, S. 86; Fleiner, Bundesstaatsrecht, S. 52ff.; Forsthoff, Körperschaft, S. 180; weitere Vertreter dieser Lehre sind bei Usteri, S. 127, 153, angeführt. 24

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§ 2 Der juristische Bundesstaatsbegrif

genannt, die m i t Ausnahme von Rosin 3 3 für den Begriff des Bundesstaates außerdem noch die Beteiligung der Gliedstaaten an der B i l dung des Gesamtstaatswillens fordern 3 4 . Das Problem der Staatlichkeit und der Souveränität, das sich bei einem derart zusammengesetzten Staat hinsichtlich der Zentrale und der Glieder stellt, w i r d von dieser Lehre regelmäßig unter dem Gesichtspunkt der Bundesstaatsgründung behandelt 3 5 . Sie geht davon aus, daß die zur Staatenverbindung zusammentretenden Staaten (einfache) Einheitsstaaten seien, bei denen das Problem der Souveränität nicht auftrete, da einem Einheitsstaate grundsätzlich die höchste, oberste Gewalt zukomme, er keinen höheren Willen über sich habe, der den eigenen Willen bestimmen könnte 3 6 , so daß der Einheitsstaat i n der Regel als souverän betrachtet werden könne. Durch die Gründung des Bundesstaates würden die vormals souveränen Einheitsstaaten eine höhere, über ihnen stehende Gewalt anerkennen; die Oberstaatsgewalt des durch den Zusammenschluß entstandenen Bundesstaates beherrsche nun die Einzelstaaten, deren Willen könne jetzt durch den Bundesstaat bestimmt werden, weshalb sie als Glieder des Bundesstaates fortan der Eigenschaft der Souveränität ermangelten 3 7 ; denn eine Teilung der Souveränität zwischen Oberstaat und Einzelstaat scheide aus, da der Begriff der Souveränität als oberster, höchster, nur sich selbst bestimmender Macht das Merkmal der Unbeschränktheit und folglich auch das der Unteilbarkeit logisch einschließe; eine geteilte Souveränität wäre nämlich eine beschränkte, eine halbe Souveränität, die eine vollkommene contradictio i n adjecto sei 3 8 . Die Waitz'sche Theorie, wonach nur der Umfang, nicht der Inhalt der Souveränität beschränkt sei, w i r d m i t der nicht allzuviel besagenden Begründung, daß sich eine Beschränkung des Umfangs von einer Beschränkung des Inhalts durch nichts unterscheide, beiseite geschoben. Die Souveränität könne daher nur bei der Zentrale oder bei den Glie33 (Anm. 27), S. 304; i n diesem Sinn auch noch G. Jellinek, Staatenverbindungen, S. 284 ff., 287; i n seiner ( = Jellineks) Staatslehre, S. 769 ff., 771 f., allerdings fehlt zu diesem P u n k t eine eindeutige Stellungnahme. 34 A n dieser Forderung halten ferner fest, ζ. B.: Lukas, W D S t R L 6, S. 67; Ficker, S. 1; Apelt, Regionalstaat, S. 21; ders., Festgabe f ü r Kaufmann, S. 2; Berber, 1. Bd., S. 143; Merk, W D S t R L 21, S. 115 (Aussprache); vgl. dagegen Maunz-Dürig, A r t . 50 R N 2; s. a. unten § 2 I V 4 a. 35 Vgl. nur Meyer, Staatsrechtliche Erörterungen, S. 5 f. 3β So definiert Rosin (Anm. 27), 296, die Souveränität; ähnlich· G. Jellinek, Staatslehre, S. 481 f., u n d die zu A n m . 26—31 genannten Autoren; auf die Nuancen i n der Definition k o m m t es hier nicht an. 37 Meyer (Anm. 35), S. 6; Rosin (Anm. 27), S. 302; Laband (Anm. 28), S. 58 f.; G. Jellinek (Anm. 36), S. 769; Anschütz, Grundzüge, S. 463; s. a. Brie, Staatenverbindungen, S. 26; Mayer, AöR 18, S. 351 f. 38 So Laband (Anm. 28), S. 63, unter Berufung auf Seydel; ebenso MeyerAnschütz, S. 50.

I I . Die bedeutendsten Bundesstaatstheorien

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dern liegen. Da sich die Einzelstaatsgewalt bei der Durchführung der ihr verbliebenen Aufgaben ausnahmslos innerhalb der von der Gesamtstatsgewalt aufgestellten Normen halten müsse, finde die Einzelstaatsgewalt an diesen Normen eine Schranke, welche ihr von außen, von einem ihr fremden Willen gesetzt sei; damit sei die Souveränität der Einzelstaatsgewalt verneint, die Souveränität stehe i m Bundesstaat folglich ganz dem Gesamtstaat zu 3 9 . M i t dieser Feststellung entsteht natürlich gleichzeitig die Frage, ob m i t der Einbuße der Souveränität der Einzelstaaten nicht notwendig der Verlust ihrer Staatlichkeit verbunden ist. Es erscheint selbstverständlich, daß die hier skizzierte Bundesstaatslehre die Souveränität für ein unwesentliches Merkmal des Staates erklären muß 4 0 , u m sich der sonst notwendigen Konsequenz zu entziehen, daß das, was man Bundesstaat nennt, entweder ein Staatenbund oder ein Einheitsstaat sein muß 4 1 . Zur Begründung der Lehre vom nicht-souveränen Staat besinnt man sich — grundsätzlich durchaus zu Recht — darauf, daß die Begriffe überhaupt und also auch die wissenschaftlichen Begriffe, zu denen der des Bundesstaates zu rechnen sei, nicht a p r i o r i konstruiert werden könnten, daß sie sich vielmehr nur auf Grund der Erfahrung i m Anschluß an die ins Leben tretenden Erscheinungen bildeten 4 2 . Der allgemeine Sprachgebrauch — so heißt es dann — belasse aber den Gliedern eines Bundesstaates den Namen „Staaten" 4 3 . I m folgenden geht es nur noch darum, das vom Sprachgebrauch (!) vorweggenommene, teilweise wohl auch auf politischen Wunschvorstellungen beruhende Ergebnis der Staatlichkeit der Glieder wissenschaftlich zu untermauern; dazu erfahren w i r lediglich, daß sie, die Glieder, ihre Staatlichkeit auch nach Zusammenschluß zum Bundesstaat, dem sie nun untergeordnet seien, nicht verlieren würden, da sie ihre „Staatsgewalt nicht von der Zentrale zu Lehen trügen, sie vielmehr, so wie bisher, aus eigenem Recht inne30 Laband (Anm. 28), S. 63 f.; s. a. A n m . 37; — hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Stellung der deutschen Länder i n der Weimarer Republik f ü h r t Anschütz, Komm., 10. Aufl., S. 39, aus: „ W i e w i l l m a n v o n den deutschen L ä n dern, die einer höheren Gewalt, der Reichsgewalt, heute noch v i e l strenger untergeordnet sind als ehemals i m Kaiserreich, — den Ländern, deren Recht durch Reichsrecht gebrochen w i r d , die der Aufsicht, der Gerichtsbarkeit, der Vollstreckungsgewalt des Reichs unterstellt sind, die i n der Gestaltung ihrer Verfassung durch das Reichsrecht aufs engste beschränkt sind, die nicht einm a l ein unentziehbares Daseinsrecht besitzen, indem jedes von ihnen jederzeit ohne und w i d e r seinen W i l l e n durch Reichsgesetz aufgelöst werden kann, — behaupten können, sie seien souverän?" 40 Statt aller: G. Jellinek, Staatslehre, S. 769 f. 41 G. Jellinek (Anm. 40); diese Konsequenz hat bekanntlich Seydel gezogen; s. oben § 2 I I 2. 42 Meyer, Grundzüge, S. 7. 43 Meyer, Staatsrechtliche Erörterungen, S. 5.

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§ 2 Der juristische Bundesstaatsbegriff

hätten, was das entscheidende Kennzeichen ihrer Staatlichkeit sei 4 4 ; auf die Souveränität komme es demnach nicht mehr an. Bei allen Autoren, die i n der Souveränität kein wesentliches Merkmal des Staates sehen, fällt auf, daß sie zwischen souveränen und nicht-souveränen Staaten nur unterscheiden, um den Bundesstaat überhaupt juristisch erklären zu können, und zwar als einen aus nichtsouveränen Staaten zusammengesetzten Staat 4 5 . 4. B u n d e s s t a a t Gliedstaaten

als M e h r h e i t von Z e n t r a l s t a a t und auf der Ebene der G l e i c h o r d n u n g

Die Lehre, die i m Bundesstaat eine Vereinigung von nicht-souveränen Gliedstaaten unter einem souveränen Gesamtsaat sieht, war über Jahrzehnte hindurch i n der Wissenschaft vorherrschend. Auch heute scheinen das Bundesverfassungsgericht und einige Stimmen der Literatur dieser Theorie wieder recht nahezustehen 46 . Charakteristisch für sie ist, daß sie eine generelle Überordnimg des Gesamtstaates ( = Zentralstaates) über die Gliedstaaten annimmt, ja dies i n den Bundesstaatsbegriff hineinlegt, u m dann bei entscheidenden Fragen aus dem so gewonnenen Begriff auch zu deduzieren 47 . A n diesem Problem nun, nämlich der Über- und Unterordnung bzw. der Gleichordnung von Zentral- und Gliedstaaten war Nawiasky, als er 1920 eines seiner bedeutendsten Werke „Der Bundesstaat als Rechtsbegriff" 48 veröffentlichte, — wie er selbst sagt 4 9 — sehr viel gelegen. Nawiasky wendet sich zunächst gegen den Staatsbegriff der herrschenden Lehre, nach der Staatsvolk, Staatsgebiet und Staatsgewalt Wesenselemente des Staates sind 5 0 . Nach Ausscheidung der ersten beiden Elemente definiert Nawiasky den Staat als Rechtssubjekt, dessen Wille i n einer bestimmten Rechtsordnung erscheint 51 . Diese Rechtsordnung müsse die Eigenschaft der „Ursprünglichkeit", der „Unabgeleitetheit" aufweisen 52 . Darin sieht Nawiasky die differentia specifica des Staatsbegriffs und nennt diese ursprüngliche, un44 So Anschütz, Komm., 14, Aufl., S. 39; ebenso die i n diesem Abschnitt mehrfach erwähnten Autoren; lediglich Rosin (Anm. 27), S. 302, sieht die Staatlichkeit des Einzelstaates darin, daß „ i h m Aufgaben zukommen, die nach der Auffassung des Rechts, d. h. des ausgesprochenen Volksbewußtseins als A u f gaben eines Staates anerkannt werden". 45 Vgl. n u r G. Jellinek, Staatslehre, S. 769 Fußn. 2, S. 779. 46 Vgl. BVerfGE 13, S. 78; Haegert, N J W 1961, S. 1137 ff.; Schäfer, N J W 1961, 5. 1281 ff.; i m einzelnen s. dazu unten § 2 I I I 2 u n d 3. 47 Wie dies, z. B., G. Jellinek, Staatslehre, S. 783, tut. 48 Die jüngste ausführliche Darstellung und eingehende K r i t i k der Nawiasky 1 sehen Bundesstaatslehre findet sich bei Usteri, S. 170—180. 49 Vgl. Nawiasky, Bundesstaat, S. 47. 50 Bundesstaat, S. 8 ff. 51 Bundesstaat, S. 17. 52 Bundesstaat, S. 21.

I I . Die bedeutendsten Bundesstaatstheorien

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abgeleitete Gewalt souverän, so daß jedem Staat notwendig das Merkmal der Souveränität zukommen müsse 53 . Nawiaskys Bundesstaatslehre läßt sich wohl am besten von seiner Konstruktion der Entstehung eines Bundesstaates her erfassen. Dem tatsächlichen politischen Verlauf entsprechend könne ein Bundesstaat i n zweierlei A r t ins Leben treten: entweder schließe sich eine Mehrheit von Staaten zu einem bundesstaatlichen Gebilde zusammen oder ein Einheitsstaat lockere sein geschlossenes Gefüge und wandle sich i n einen Bundesstaat um. I m ersten F a l l würden mehrere Staaten i n gegenseitig bedingter Weise einen übereinstimmenden Teil ihrer Rechtsordnung ausscheiden und dadurch Raum für die Entstehung einer neuen Rechtsordnung schaffen, die i n die so geschaffene Lücke eintrete. Den zweiten Fall, die Dezentralisation eines Einheitsstaates i n einen Bundesstaat, könne man sich nur so vorstellen, daß der U r sprungsstaat seinerseits einen Teil seiner Rechtsordnung unter der Bedingung ausscheide, daß sich i n dem frei gewordenen Teil eine Mehrzahl von — territorial geschiedenen — Rechtsordnungen, die neu ins Leben tretenden Gliedstaaten, bilden. I n beiden Fällen sei der eigentliche Gründungsakt außerrechtlicher Natur, er bestehe i n einem oder mehreren gleichzeitig vor sich gehenden tatsächlichen, politischen Akten, er sei eine nationale T a t 5 4 . Die Rechtsordnung des i m ersten Fall — und Entsprechendes gilt für den zweiten Fall — i n die von den Gründerstaaten durch das Zurückweichen ihrer Staatsgewalt auf bestimmte Sachgebiete geschaffene Lücke eintretenden Zentralstaates ( = Bundes) sei wie die jedes der Glieder ursprünglich und unabgeleitet; daraus folge, daß alle diese Rechtsordnungen nebeneinander stehen müssen, daß keine der anderen über- oder untergeordnet sein dürfe: Bund und Glieder stünden sich also gleichgeordnet gegenüber 55 . Da sich ihre Rechtsordnungen zu einer Einheit zusammenfügen müßten, müsse vom Standpunkt der Einheit aus eine Teilung zwischen diesen Rechtsordnungen stattfinden; jede einzelne beruhe aber auf einem eigenen Willen, so daß sich die Teilung nicht auf den Willen als solchen beziehen könne. Demgemäß bleibe als mögliches Teilungsobjekt nur der Gegenstand oder die Gegenstände des Willens, die Gebiete, auf die er sich erstrecken könne, die also von der Rechtsordnung geregelt w ü r d e n , m . a.W. die Zuständigkeiten

der einzelnen

Rechtsordnungen.

Die

Teilung, die zwischen dem Bund und seinen Gliedern stattfinde, sei demgemäß eine Teilung der Kompetenzen 56 . Die Aufteilung sehe i n der 53

Bundesstaat, S. 47; s. a. oben § 1 I I 3. Bundesstaat, S. 137/38; ders., Staatslehre, 3. Teil, S. 157 ff.; G. Jellinek, Staatslehre, S. 775 m. Nachw.; s. a. Herzog, D Ö V 1962, S. 83. 55 Bundesstaat, S. 21. 56 Bundesstaat, S. 21/22. 54

§ 2 Der juristische Bundesstaatsbegriff

30

Wirklichkeit so aus, daß i n der Verfassung zugunsten des einen oder anderen Teils einzelne Kompetenzen aufgezählt seien und diesem Katalog dann i n irgendeiner Form der Grundsatz angefügt werde, daß die nicht zugunsten des einen Teils aufgezählten Kompetenzen dem anderen Teile zufallen; diese Kompetenzordnung — mag sie nun formell der Verfassung des einen oder anderen Teils eingefügt sein — sei materiell Bestandteil beider Verfassung en57. Die Kompetzverteilung bedeute aber keine Teilung der Souveränität, sondern der Staatsgewalt zwischen Bund und Gliedern; jedes Stück dieser geteilten Gewalt sei aber der A r t nach vollkommen gleich, m i t identischen Eigenschaften ausgestattet, nämlich der Souveränität 5 8 . Der innere Zusammenhang beider Rechtsordnungen, den Waitz, dessen Theorie Nawiasky grundsätzlich recht nahesteht, nicht gesehen habe 59 , sei durch Verweisung von der einen auf die andere gegeben: die Rechtsordnung des Bundes verweise wegen der nicht zur eigenen Kompetenz gehörenden Gegenstände auf die Rechtsordnungen der Glieder, die Rechtsordnung der Glieder verweise wegen der nicht zu ihrer Kompetenz zählenden Materien auf die Rechtsordnung des Bundes. Darin liege keine einseitige Abhängigkeit, sondern eine gegenseitige, demgemäß auch keine Subordination, sondern Koordination. Die Verweisimg gelte kraft der inhärenten Bedingung der Gegenseitigkeit, nicht kraft einseitigen Auftrags oder einseitiger V o l l macht; die gegenseitige Verweisung vom Bund auf die Glieder beruhe auf dem Willen beider Teile 6 0 . A u f Grund dieser Deduktionen definiert dann Nawiasky den Bundesstaat, wie folgt: „Bundesstaat ist ein Staat, dessen Kompetenz aus dem gemeinsamen Ausschnitt der Kompetenzen mehrerer dadurch verbundener Staaten besteht. Gliedstaaten eines Bundesstaates sind Staaten, die dadurch verbunden sind, daß aus ihrer Zuständigkeit ein bestimmter Ausschnitt einem anderen besonderen Staat zugewiesen i s t " 6 1 . Nawiasky hebt dann hervor, daß der Bundesstaat 62 — wie sich schon aus der Begriffsbestimmung ergebe — keine staatliche Einheit darstelle, i n welche eine Mehrheit von Staaten so eingegliedert sei, daß sie von der Einheit umfaßt würden; der Bundesstaat sei vielmehr nur eine Teilerscheinung, welche der Ergänzung durch komplementäre Einzelstaatsgewalten be^ dürfe 6 1 . Ausdrücklich lehnt Nawiasky die auch heute umstrittene Existenz eines Bundes und Glieder verbindenden Gesamtstaates ab, m i t 57

Bundesstaat, S. 23; Hervorhebung hier vorgenommen. Bundesstaat, S. 47/48. Vgl. Bundesstaat, S. 198. 60 Bundesstaat, S. 23—26; dazu kritisch Usteri, S. 176 ff. 61 Bundesstaat, S. 29. 62 Bund, Zentralstaat u n d Gesamtstaat sind bei Nawiasky 1920 teilweise noch synonyme Begriffe, während N. später zwischen B u n d ( = Zentralstaat) und Bundesstaat ( = Gesamtstaat) scharf unterscheidet. 58

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I I . Die bedeutendsten Bundesstaatstheorien

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der Begründung, daß für diesen Gesamtstaat keine Rechte und Pflichten „übrig" seien, die nicht dem Zentralstaat oder den Gliedstaaten zugehören würden; ohne Rechte und Pflichten sei aber ein Rechtssubjekt, also auch ein Staat nicht denkbar. Zudem würde die Überordnung einer Gesamtstaatsgewalt über die Zentral- und Gliedgewalt diese ihres Charakters als unabhängiger Staatsgewalten berauben und damit die Idee des Bundesstaates als einer Staatenverbindung aufheben. Wolle man also die Totalität der staatsrechtlichen Erscheinungen, m i t der man es beim Bundesstaat zu t u n habe, zum Ausdruck bringen, so müsse man neben dem Bund stets auch die Glieder anführen. Es handle sich unter diesem Gesichtspunkt nicht u m eine Einheit, sondern um eine Mehrheit von Staaten, nicht u m einen Staat, sondern u m eine Staatengemeinschaft 63 . Diese Theorie, wonach unter dem Bundesstaat eine Mehrheit von Staaten, nämlich von Bund und Gliedern, zu verstehen sei, die i n ihrer Zusammenfassung keine Einheit bilden, konnte Nawiasky „ein Menschenalter später" nicht mehr aufrechterhalten. I n seiner „Allgemeinen Staatslehre" 6 4 sieht Nawiasky den Bundesstaat als ein selbständiges Rechtssubjekt, als die aus Gliedstaaten und Zentralstaat gebildete Gesamtheit 6 5 . 5. B u n d e s s t a a t

als k o m p l e x

aufgebauter

Staat

Die neueste umfangreiche und die gesamte bundesstaatliche Problematik aufzeigende Untersuchung — aus rein rechtlicher Sicht — stammt von Usteri 66. Nach eingehender Auseinandersetzung m i t den wichtigsten Theorien über die Natur des Staates w i r d der Staat i m Anschluß an Kelsen als „die, bei dadurch näher gekennzeichneten, meist räumlich bestimmten Menschen i n Geltung stehende, souveräne (umfassende) Rechtsordnung" 67 definiert, wobei Usteri unter der Rechts63

Bundesstaat, S. 30; i n diesem Sinn heute auch Herzog, D Ö V 1962, S. 82/83. 3. Teil, 1956, S. 157 ff., insbes. S. 159 ff. A u f diese Theorie w i r d i m einzelnen bei der Darstellung der eigenen Auffassung eingegangen; s. unten § 2 I V 2 b u n d 3 b. 66 Theorie des Bundesstaates, 1954, 371 Seiten; U. hat die Bundesstaatstheorien bei 65 Autoren eingehend untersucht; demgegenüber verzichtet die vorliegende Arbeit diesbezüglich bewußt auf Vollständigkeit u n d hebt n u r einige bedeutende Theorien — etwas ausführlicher — hervor; i m übrigen k a n n auf Usteri — auf S. 351 ff. findet sich eine dogmensystematische Zusammenstellung der wichtigsten Theorien über den Bundesstaat — u n d Nawiasky, Bundesstaat, S. 196—251, verwiesen werden; Usteris Bundesstaatslehre ist i m Zusammenhang bisher noch nicht dargestellt u n d kritisiert worden; seiner Theorie soll daher besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden, wobei das Schwergewicht des Interesses nicht so sehr auf seine eigene Bundesstaatslehre, als vielmehr auf seine K r i t i k an der Theorie des Staatenstaates gelegt werden soll; da der Staatenstaat nach Auffassung des Verfassers rechtlich möglich ist, erweist sich Usteris Theorie v o m komplex aufgebauten Staat als entbehrlich, der Vollständigkeit halber soll sie hier dennoch wiedergegeben werden. 67 Usteri, S. 66, 75, 77, 146. 64 65

§ 2 Der juristische Bundesstaatsbegriff

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Ordnung — hier ebenfalls Kelsen folgend — eine Zwangsordnung versteht 6 8 . a) Problem des Staatenstaates Unter Zugrundelegung dieses Staatsbegriffs untersucht Usteri dann, ausgehend von der herrschenden Lehre, die i m Bundesstaat einen Staatenstaat sieht, die Möglichkeit des Staatenstaates, indem er „ m i t bemerkenswerter K l a r h e i t " 6 9 die Frage stellt: „Können zwei voneinander vollständig unabhängige, d. h. auch nicht durch eine dritte Rechtsordnimg verbundene Rechtsordnungen, die entweder selbst souverän oder dann sicher i n einer souveränen Rechtsordnnung beschlossen sind, bei den gleichen Menschen i n Geltung stehen?" 70 Da i n der Rechtsnorm m i t einer bestimmten menschlichen Handlung ein Gewaltakt von Mensch zu Mensch (Entzug von Gut, Ehre, Freiheit) verbunden sei 7 1 , dürfe das Bestehen zweier Rechtsordnungen, durch die bestimmte Menschen zur Anwendung — logisch notwendigerweise — normgemäßer Gewalt ermächtigt bzw. verpflichtet werden, nicht zur Folge haben, daß normgemäße Gewalt gegen normgemäße Gewalt stehe, w e i l dadurch die Ordnung zerstört w ü r d e 7 2 . Das Problem des Staatenstaates identifiziert sich auf diese Weise m i t dem Problem der Vermeidung rechtmäßiger gewaltsamer Zusammenstöße der bei denselben Menschen i n Geltung stehenden Rechtsordnungen. Dieses Problem seinerseits müsse natürlich gelöst werden, „ohne daß die Rechtsordnungen ihre Unabhängigkeit verlieren" 7 3 . b) Unmöglichkeit

des Staatenstaates

U m die Möglichkeit der Existenz zweier übereinander liegender Rechtsordnungen zu untersuchen, welche ohne besondere Regelung eine innerlich widerspruchslose Ordnung der Lebensverhältnisse ergebe, sei das Verhältnis von Völkerrecht zu Landesrecht besonders geeignet 74 . Man solle sich — schlägt Usteri vor — vorstellen, i n einem Streitfall zwischen Frankreich und Schweden werde zuungunsten Schwedens entschieden, und die französischen Behördenmitglieder, bei welchen das Völkerrecht gelte, müßten gegen die ins Unrecht versetzten schwedischen Behördenmitglieder mangels eines internationalen Exekutionsorgans exequieren. Die Exekution der Franzosen würde, gemäß der 68

Usteri, S. 67. Herzog, D Ö V 1962, S. 85 Fußn. 38; bei Herzog (a.a.O.) die bisher einzige K r i t i k an der Theorie Usteris. 70 Usteri, S. 159/60; Hervorhebung hier vorgenommen. 71 Usteri, S. 67. 72 Usteri, S. 160; Hervorhebung hier vorgenommen. 73 Usteri, S. 161. 69

74 TTsferi

S 1

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75

Definition des Völkerrechts als Recht , i n einem physischen Gewaltakt gegen die Schweden bestehen. Dieser Zwangsakt wäre gemäß Völkerrecht ein Rechtsakt. Und n u n werde — meint Usteri — schlagartig der wahre Grund, w a r u m die These zweier gültiger Rechtsordnungen i m möglich sei, einsichtig: gemäß schwedischem Recht müßten die schwedischen Behörden gegen diesen Zwangsakt geschützt werden, denn ihnen sei nach schwedischem Recht eben die Freiheit i n ihrem Handeln garantiert, d. h., wer gegen diese vom Verfassungsrecht gewährte K o m petenz m i t physischer Gewalt vorgehe, — und das würden ja die exequierenden Franzosen t u n — der setze einen Unrechtstatbestand, m i t welchem die schwedische Rechtsordnung ihrerseits einen Zwangsakt verknüpft habe. U n d schon stünden w i r vor dem Unordnungstatbestand: die französischen Handlungen sollten von den Schweden nach Völkerrecht geduldet werden, nach schwedischem Recht aber müßten sie bekämpft werden. Es stehe unlösbar rechtmäßige Gewalt gegen rechtmäßige Gewalt 7 6 . Dieses i n Gedanken duchexerzierte Beispiel — meint Usteri — zeige deutlich, daß das Bestehen einer Rechtsordnung bei bestimmten Menschen das Bestehen einer anderen Rechtsordnung im selben Wirkungsbereich unmöglich mache 77 . Eine andere Frage sei, ob bei denselben Menschen zwei Rechtsordnungen bestehen können i n der A r t , daß i n beiden geeignete Maßnahmen getroffen seien, die rechtmäßige Gewaltkollisionen jedenfalls ausschlössen. Und zwar werde hier i m Gegensatz zum ersten Fall von vornherein angenommen, daß die persönlichen Geltungsbereiche wie konzentrische Kreise dargestellt werden können, daß also bei sämtlichen Menschen, bei welchen die Rechtsordnung A gelte, auch die Rechtsordnung Β i n K r a f t stehe; dies sei das eigentliche Problem des Staatenstaates 78 . I n diesem Zusammenhang t r i t t Usteri i n eine umfassende Auseinandersetzung m i t Nawiaskys Lehre ein, nach der sich die Gliedstaaten und der Bundesstaat so zu einer „einträchtiglichen Gemeinschaft" fügten, daß jeder Teil sich für den Moment und alle Zukunft an seinen Willen, der auf die Beschränkung der eigenen Zuständigkeit und die Verweisung auf die Zuständigkeit des anderen gehe, binde. E i n Zurücktreten von dieser Selbstbindung wäre nur i m Wege eines Bruches der eigenen Rechtsordnung möglich 7 9 , was Nawiasky leider nicht eingehend 75 Usteri selbst (S. 67, 117 ff.) sieht i m Völkerrecht lediglich eine K o n v e n tionsordnung. 76 Usteri, S. 166/67; K r i t i k dazu unten i n § 2 I V 3 a. 77 Usteri, S. 167; Hervorhebung hier vorgenommen. 78 Usteri, S. 168. 79 S. Nawiasky, Bundesstaat, S. 145; Usteri, S. 174; Hervorhebung durch Usteri.

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§ 2 Der juristische Bundesstaatsbegriff

begründe; es sei aber — so fährt Usteri i n seiner Beweisführung fort — nirgends ersichtlich, w a r u m das Rechtsordnungssubjekt Staat, dessen Wille i n seiner Rechtsordnung erscheine, seinen früher einmal auf Beschränkung und Verweisung gerichteten Willen (=Rechtsordnung) nicht dahin ändern könne, daß die Beschränkung und Verweisimg aufgehoben werde, w a r u m solle der Staat diese „Gegenseitigkeitsbedingung" nicht aufheben können 80 ? Die Unmöglichkeit einer verbindlichen staatlichen Selbstbeschränkung ist Usteris Argument gegen die Möglichkeit des Staatenstaates schlechthin 81 . Als Resultat seiner Bemühungen u m die Frage der Möglichkeit des Staatenstaates stellt Usteri also dessen Unmöglichkeit fest; die i n zwei Staaten ja spezifisch vorgenommenen Regelungen seien nicht imstande, ihnen die dem Staate wesensnotwendige Unabhängigkeit zu erhalten. Die Existenz einer souveränen Rechtsordnung, also eines Staates, schließe i m gleichen Geltungsbereich jedenfalls eine andere aus; der tiefere Grund dafür liege darin, daß i n der Rechtsordnung, i m Staat, eine Monopolisierung der Gewalt stattfinde, um diese als Reaktion auf unerwünschtes menschliches Verhalten einsetzen zu können. I n einem Staatenstaate würde es an einer Gewaltmonopolisierung fehlen; eine Ordnung könne sich wohl zufällig aus der von sich aus korrelativen Haltung der Partner ergeben, beim Ausbruch eines nicht freiwillig gelösten Streites könne jedoch nicht mehr auf dem Wege Rechtens die Ordnung hergestellt werden 8 2 . Da Wesen und Begriff des Staatenstaates unmöglich seien, könne demnach aus allgemeinen Erwägungen heraus der Bundesstaat niemals als Staatenstaat charakterisiert werden 8 3 . Z u einem ähnlichen Ergebnis gelangte auch «Seydel84, der daraus die Unmöglichkeit des Bundesstaates schlechthin folgerte; während Sey80 Usteri, S. 174/75; Nawiasky s K o n s t r u k t i o n des Staatenstaates u n d damit des Bundesstaates müsse daher unbefriedigend bleiben, meint Usteri, S. 177 ff., 180. 81 S. dazu auch Herzog, D Ö V 1962, S. 85 Fußn. 38. 82 Usteri, S. 180 ff.; die Carl Schmitt'sche Theorie, wonach i m Bundesstaat die Souveiänität zwischen B u n d und Gliedern i m m e r offen bleibe, die E n t scheidung der Souveränität dem Konfliktsfall vorbehalten sein soll (Schmitt, Verfassungslehre, S. 371 ff.), lehnt Usteri ab (vgl. a. Usteri, S. 158); i h m geht es darum, gerade den Konfliktsfall, das Gegenüberstehen — rechtmäßiger — Gewalten durch theoretische K o n s t r u k t i o n zu verhindern. 83 Usteri, S. 182. 84 S. oben § 2 I I 2; auch Fleiner-Giacometti, S. 45, halten einen Bundesstaat i. S. eines aus Staaten zusammengesetzten Staates f ü r „begrifflich w o h l überhaupt ausgeschlossen"; wesentliches M e r k m a l des Bundesstaates sei — nach Fleiner-Giacometti —, daß die Glieder eines dezentralisierten Staates an der Ausübung der Kompetenz-Kompetenz beteiligt seien.

I I . Die bedeutendsten Bundesstaatstheorien

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del sich lediglich die Aufgabe stellte, den Bundesstaatsbegriff, der — zu seiner Zeit — herrschenden Lehre zu analysieren und dessen Widersprüchlichkeit nachzuweisen, hält Usteri am Begriff des Bundesstaates fest, den er — unter unverkennbarem Einfluß Kelsens — als einen durch besonderen Aufbau qualifizierten Staatstypus zu erklären versucht 8 5 : c) Komplexer

Aufbau

als Merkmal

des Bundesstaates

Beim Staat als Rechtsnormensystem lasse sich i m System des Erzeugungszusammenhangs eine oberste Norm, die Grundnorm, feststellen 8 6 , durch die das verfassungsgebende Organ delegiert werde. Während man beim gewöhnlichen Einheitsstaat ein einheitliches, finde man beim Bundesstaat ein komplexes Grundnormengefüge, welches auch eine komplexe Verfassungsgewalt einsetze, aufgebaut aus einer Gesamt- und mehreren Teilverfassungsgewalten 87 . Dem komplexen Grundnormengefüge entspreche ein komplexer Gewaltträger. Der Gewaltträger, bei welchem das einen Bundesstaat inaugurierende Grundnormengefüge wirksam sei, setze sich aus einzelnen Gewaltfaktoren zusammen, die jeder für sich die Funktion eines selbständigen, ein einzelnes arbeitsteiliges Teilrechtssystem tragenden Gewaltinhabers erfüllten. Durch ihren Zusammenschluß ergäben sie den Gesamtgewaltträger, auf welchem seinerseits das Gesamtrechtssystem ruhe 8 8 . Die Gefahr eines existentiellen Konflikts — u m dessen Vermeidung es Usteri so sehr zu t u n ist — zwichen Gesamt- und Teilgewaltträgern sei beim komplexen Gewaltträger ausgeschlossen, da der Gesamtgewaltinhaber überhaupt erst durch das Zusammenwirken der Teilmachthaber existent werde. Die M i t w i r k u n g der Glieder an der Gebung der für das ganze Land geltenden Verfassung, das Zusammenwirken der Glieder also erscheint bei Usteri als das Essentiale des Bundesstaates 89 . Der Ausschluß des existentiellen Konflikts finde seinen Niederschlag i n den Grundnormen : jeder einzelne Teilverfassungsgesetzgeber und die von i h m eingesetzten Organe sollten sich sog. bundesfreundlich verhalten, d. h. die Anwendung physischer Gewalt gegenüber allen M i t - Teil Verfassungsgesetzgebern sei als Voraussetzung aller Bundesfreundlichkeit verboten, unter Zwangssanktion des 85

Usteri, S. 224 ff., 237 ff. se Usteri, S. 71 ff.; hier bereits sieht man deutlich Kelsens Einfluß; doch ist bei Usteri — i m Gegensatz zu Kelsen, vgl. n u r Staatslehre, S. 104, 249 — die Grundnorm nicht hypothetische Voraussetzung, sondern echte Rechtsnorm (Usteri, S. 71); s. a. unten § 3 I 2. 87 Usteri, S. 229 ; Hervorhebung durch Usteri. 88 Usteri, S. 228/29. 89 Usteri, S. 225, 230.

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§ 2 Der juristische Bundesstaatsbegriff

Gewaltträgers gestellt. Den Teilrechtsautoritäten sei somit von Teilgrundnorm wegen die Friedenspflicht geboten 90 . Schließlich definiert Usteri den Bundesstaat als einen „Staat, welcher zusammengesetzt ist aus einer materiell beschränkten, ergänzungsbedürftigen, die Beziehungen der Teilrechtsautoritäten unter sich regelnden, auf einem aus den Teilgewaltträgern zusammengesetzten Gewaltträger beruhenden Gesamtrechtsordnung und mehreren beschränkten, komplementären, für ihre Rechtsautoritäten die Pflicht der Bundesfreundlichkeit statuierenden Teilrechtsordnungen" 91 . Usteri stellt sich dann nochmals m i t besonderem Nachdruck der oft vorkommenden Meinimg entgegen, der Bund bedeute ein juristisches Ganzes, dem die Glieder als Teile angehörten. Nach Usteri ist der Bund nur eine Teilerscheinung; er umfasse nicht die Glieder i n dem Sinne, daß diese Rechtsordnungen von i h m abgeleitet wären. Der Bund allein sei somit nicht ein Staat, der den Gliedern als seinen Selbstverwaltungskörpern wie das Ganze seinen Teilen gegenübergestellt werden könnte; Bund und Glieder ergâbèn erst zusammen 92 ein geschlossenes Rechtssystem. Souveränität komme demnach weder dem Bund noch dem einzelnen Glied zu, sondern n u r Bund und Gliedern zusammen 93 . M i t der Darstellung der Theorie Usteris soll der erste Überblick über die Bundesstaatstheorien abgeschlossen werden. Es wurden hier aus dem geradezu unübersehbaren Schrifttum zur Lehre vom Bundesstaat die dem Verfasser besonders profiliert erscheinenden Theorien ausgewählt. Darstellung und K r i t i k weiterer Bundesstaatstheorien, die teilweise von den hier wiedergegebenen nur geringfügig abweichen, teilweise ohne jede Bedeutung blieben, können bei Nawiasky („Der Bundesstaat als Rechtsbegriff") und Usteri („Theorie des Bundesstaates") nachgelesen werden. 90

Usteri, S. 232. Usteri, S. 236. 92 Hervorhebung durch Usteri. 93 Usteri, S. 237 ff.; Usteri selbst (S. 239) ist sich bewußt, daß er damit Gierkes Theorie (s. Schmollers Jahrbuch, 7. Jahrgang, 1883, S. 1168 ff.) v o n der Gesamtsouveränität sehr nahekommt; vgl. i n diesem Zusammenhang a. Haenely Studien, 1. Bd., S. 63: „Nicht der Einzelstaat, nicht der Gesamtstaat sind Staaten schlechthin, sie sind n u r nach der Weise von Staaten organisierte und handelnde politische Gemeinwesen. Staat schlechthin ist n u r der Bundesstaat als die Totalität beider"; andererseits S. 66: „So ist der Gesamtstaat nicht etwas von dem Bundesstaat Verschiedenes, sondern der Bundesstaat selbst"; hier, d. h. bei Haenel, w i r d etwas Richtiges, d. i. das dreigliedrige Moment i m Bundesstaat, „gespürt", jedoch v ö l l i g unklar, j a widersprüchlich ausgedrückt; s. a. G. Jellinek, Staatenverbindungen, S. 313; — zu den gleichen Ergebnissen wie Usteri gelangt neuerdings auch Tekülve, S. 20 ff., Ohne jedoch auf Usteris Arbeit einzugehen. 91

I I I . Die Theorie des Bundesstaates i n Rechtsprechung u n d L i t e r a t u r

37

I I I . Die Theorie des Bundesstaates in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und in der neueren Literatur 1. D i e

Streitfragen

Manchen Fragen aus dem bundesstaatstheoretischen Problemkreis, die vor 50 und 100 Jahren noch stark umstritten waren, w i r d heute nicht mehr so große Aufmerksamkeit gewidmet: so setzt man die Möglichkeit des Bundesstaates als eines aus Staaten zusammengesetzten Staates vielfach — stillschweigend oder ausdrücklich — als selbstverständlich voraus 1 , was einer Frage nach der Staatlichkeit des Bundes und der Glieder dann kaum noch Raum läßt., Dennoch scheint m i r hier nach wie vor das (juristische) Grundproblem des Bundesstaates zu liegen 2 . Ungeklärt und umstritten ist jedoch weiterhin, ob den Gliedern eines Bundesstaates Souveränität zukommt oder nicht, vor allem aber, ob Bund und Glieder grundsätzlich einander gleichgeordnet sind oder ob umgekehrt grundsätzlich von einer Unterordnung der Glieder unter den Bund auszugehen ist, ob der Bund die i n Länder gegliederte Gesamtheit darstellt oder selbst auch nur Glied des Bundesstaates ist. Dem Anliegen, diesen Problemkreis zu untersuchen, mag primär sicherlich nur akademische Bedeutung beigemessen werden; doch haben sich das BVerfG und zahlreiche Stimmen i n der Literatur mehrfach zu diesen Fragen geäußert, teilweise sogar recht ausführlich. Geht es also nur um staatsrechtliches Theoretisieren u m seiner selbst willen oder u m die Erkenntnis der Grundlagen unseres staatlichen Aufbaus, von woher w i r die einzelnen Institute, wie ζ. B. das der Bundesaufsieht und des Bundeszwangs, zu verstehen haben? Wie dem auch sei, die zahlreichen zum Teil m i t bitterem Ernst vorgetragenen Theorien fordern K r i t i k 3 . Doch zuvor — ergänzend zum bisher Dargestellten — der Gegenstand der K r i t i k : 2. D i e

Theorie

des

Bundesverfassungsgerichts

Das BVerfG hat seine Auffassung zum Bundesstaatsbegriff i n eigenartiger Weise gewandelt: a) Identität

von Bund und

Gesamtstaat

Z u Beginn seiner Tätigkeit verwendet das BVerfG Bund und Gesamtstaat als synonyme Begriffe, ohne daß von der Identität dieser beiden 1 Vgl. ζ. B. Herzog, D Ö V 1962, S. 81 Fußn. 5, wobei diese Voraussetzung f ü r Herzogs Ausführungen gar nicht erforderlich war, wie seine folgende Auseinandersetzung m i t dem Problem des Staatenstaates beweist; insofern geht Schmidts K r i t i k , AöR 87, S. 257 Fußn. 10, fehl. 2 Z u dem unten, § 2 I V 3 a, Stellung genommen werden soll. 3 Auch w e n n sie manche Leser langweilen sollte.

§ 2 Der juristische Bundesstaatsbegriff

38

Rechtssubjekte die Entscheidung der konkreten verfassungsrechtlichen Streitigkeit abhängig gewesen wäre 4 ; es fehlen daher i n den genannten Entscheidungen auch nähere Ausführungen zu diesem Problem. Von größerem Interesse war diese Frage i m Konkordatsstreit 5 , wo es darum ging, wer als Partner des Konkordats vom 20. 7.1933, das der Heilige Stuhl und das Deutsche Reich abgeschlossen haben, auf deutscher Seite auftritt. Das BVerfG führt dazu aus, daß das Reichskonkordat gültig zustande gekommen und i n innerstaatliches Recht transformiert worden sei, während der Zeit des nationalsozialistischen Regimes trotz aller Konkordatsverletzungen und des Kampfes gegen Kirche u n d Christent u m völkerrechtlich und innerstaatlich i n K r a f t geblieben sei, woran auch der Zusammenbruch von 1945 und die Errichtung einer neuen staatlichen Organisation, der Bundesrepublik Deutschland, nichts geändert habe 6 ; daraus ergebe sich, daß die m i t dem Deutschen Reich identische Bundesrepublik 7 an die vormals vom Deutschen Reich abgeschlossenen Staatsverträge 8 gebunden sei. I m Anschluß daran liest man nun den so interessanten Satz, daß i m Geltungsbereich des Grundgesetzes als Partner des Reichskonkordats „die Bundesrepublik Deutschland — das sind verfassungsrechtlich der Bund und die Länder als ein Ganzes"9 — anzusehen sei; schließlich werden — nicht weniger deutlich — „Bund und Länder als Glieder der Bundesrepublik Deutschland" 10 bezeichnet. Unmißverständlicher — so sollte man meinen — kann man sich zur dreigliedrigen Bundesstaatslehre nicht bekennen. Bedauerlicherweise w i r d diese Theorie des dreigliedrigen Bundesstaatsbegriffs vom BVerfG nicht begründet; i n seiner weiteren Rechtsprechung ist es auf die eben wiedergegebenen Formulierungen auch nicht mehr zurückgekommen. I m sog. „Fernseh-Urteil" vom 28. 2. 1961 11 ist nur noch vom „verfassungsrechtlichen Verhältnis zwischen dem Gesamtstaat und seinen Gliedern" die Rede. Bund und Gesamtstaat sind wieder synonyme Begriffe. I m Neugliederungsurteil vom 11. 7. 1961 12 schließlich hat sich das BVerfG eindeutig von der Theorie des dreigeteilten Bundesstaatsbegriffs distanziert: seine diesbezüglichen Äußerungen i m Konkordatsurteil, wo Bund und Länder als Glieder des Bundesstaates angesprochen wurden, sollten nur zum Ausdruck bringen, daß die Aufteilung der 4

Vgl. BVerfGE 1, S. 117, 119; 1, S. 299, 315. S. BVerfGE 6, S. 309—367. BVerfGE 6, S. 330 ff. 7 BVerfGE 3, S. 288 ff., 319 f. 8 Das Reichskonkordat ist nach BVerfGE 6, S. 341 ein Staatsvertrag zumindest i. S. des A r t . 123 Abs. 2 GG. 9 BVerfGE 6. S. 340. 10 BVerfGE 6, S. 364. 11 BVerfGE 12, S. 205 ff., 254. 12 BVerfGE 13, S. 54 ff., 77 ff. 5

6

I I I . Die Theorie des Bundesstaates i n Rechtsprechung u n d L i t e r a t u r

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staatlichen Befugnisse i m Innern des Bundesstaates zwischen den Organen13 des Bundes und den Organen der Länder keine W i r k u n g nach außen habe, daß vielmehr nach außen alle Organe, die i m Innern staatliche Befugnisse ausübten, die völkerrechtliche Einheit Bundesrepublik Deutschland darstellten. Nicht aber sei daraus zu folgern, daß zwischen einem Zentralstaat und einem Gesamtstaat als zwei verschiedenen Rechtsträgern und Subjekten gegenseitiger verfassungsrechtlicher Rechte und Pflichten unterschieden werden könne. 1 4 . Es gebe neben dem Bundesstaat als Gesamtstaat nicht noch einen besonderen Zentralstaat, sondern nur eine zentrale Organisation, die zusammen m i t den gliedstaatlichen Organisationen i m Geltungsbereich des Grundgesetzes als Bundesstaat alle die staatlichen Aufgaben erfülle, die i m Einheitsstaat einer einheitlichen staatlichen Organisation zufielen. Das Grundgesetz habe eine Aufteilung der Kompetenzen n u r zwischen den Organen des Bundes und denen der Länder vorgenommen, wobei unter Bund der durch Zusammenschluß der Länder entstandene Gesamtstaat verstanden werde. Es gebe weder besondere Organe eines Zentralstaates und eines Gesamtstaates, noch sei eine Aufteilung der den Ländern nicht zugewiesenen staatlichen Aufgaben zwischen einem Gesamtstaat und einem Zentralstaat vorgenommen worden. Der Bund sei also kein Zentral-,,Staat" im Unterschied zu einem Gesamt-„Staat", sondern nur die oberstaatliche Organisation, die zugleich i m Verhältnis zu den Gliedstaaten den Bundesstaat repräsentiere 15 . Damit ist das BVerfG — jetzt ausdrücklich und eindeutig — wieder zur alten Theorie, nach der der Bund das die Gliedstaaten umfassende Ganze, den Gesamtstaat, darstellt, zurückgekehrt. b) Staatsqualität

des Bundes und der Glieder

Da das BVerfG den Bund m i t dem Gesamtstaat, das ist die Bundesrepublik Deutschland, identifiziert, zieht es die Staatsqualität des Bundes gar nicht i n Zweifel, es geht von i h r als einer Selbstverständlich13 M a n beachte: das BVerfG spricht v o n der A u f t e i l u n g der staatlichen Befugnisse zwischen Organen, nicht zwischen Staaten; es würde nicht mehr überraschen, w e n n das B V e r f G eines Tages i n B u n d u n d Ländern n u r noch Organisationen des Gesamtstaates sähe, also nicht mehr B u n d u n d Ländern, sondern nur noch ihrer Vereinigung, dem Gesamtstaat, Staatscharakter zuerkennte. 14 Auch Kaiser, selbst Anhänger der zweigliedrigen Bundesstaatslehre (s. ZaöRV 18, S. 530/31), zog aus den Ausführungen i m Konkordatsurteil den Schluß, daß das BVerfG zwischen dem B u n d u n d der Bundesrepublik Deutschland als zwei verschiedenen Staatswesen unterscheiden wolle; auf G r u n d der eindeutigen Formulierungen des BVerfG w a r dieser Schluß auch gerechtfertigt; i m Neugliederungsurteil w a r das BVerfG offensichtlich bemüht, den Wandel seiner Auff. zu verschleiern; doch hätte es die Würde und das A n sehen des Gerichts sicher nicht beeinträchtigt, hätte es die Änderung seiner Auff. offen ausgesprochen; vgl. a. Hesse, S. 5. 15 BVerfGE 13, S. 77/78.

§ 2 Der juristische Bundesstaatsbegriff

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keit aus; anderenfalls müßte es die Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland anzweifeln 1 6 , was jedoch — trotz des provisorischen bzw. transistorischen Charakters des BGG — außerhalb jeder Diskussion steht. Zur Staatlichkit der Glieder des Bundes hat sich das BVerfG gleich zu Beginn seiner Tätigkeit ausdrücklich positiv geäußert; nach seiner Auffassung sind die Länder „als Glieder des Bundes Staaten m i t eigener — wenn auch gegenständlich beschränkter — nicht vom Bund abgeleiteter, sondern von i h m anerkannter (!) staatlicher Hoheitsmacht" 1 7 . I n dieser Frage ist die Rechtsprechung des BVerfG konstant geblieben; es spricht i n den folgenden Entscheidungen die Länder immer wieder mittelbar oder unmittelbar als Staaten an 1 8 , es betont dabei vor allem die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit der Länder, da die Länder i n diesem Bereich allein befugt seien, das Recht zu gestalten, was i n den A r t . 30, 70 ff. GG m i t großer Deutlichkeit zum Ausdruck komme 1 9 . Nach der Auffassung des BVerfG ist sonach für die Staatlichkeit eines Gemeinwesens der Besitz unabgeleiteter Hoheitsmacht, wie sie auch hier verstanden wird, entscheidend. c) Prinzipielle

Üb er Ordnung

des Bundes

über

die

Glieder

Wenn man dem B u n d und seinen Gliedern Staatsqualität zuspricht, erhebt sich sofort die Frage nach ihrem gegenseitigen Verhältnis. Das BVerfG hat dazu nicht einheitlich Stellung genommen. So spricht es einmal ganz allgemein vom „Überordnungsverhältnis von B u n d und L a n d " 2 0 , ein andermal von „Bund und Ländern auf dem Boden der Gleichordnung" 2 1 . I m Neugliederungsurteil 2 2 , i n dem sich das BVerfG zu bundesstaatstheoretischen Grundsatzfragen äußert, erklärt es den Bund als „Oberstaat" als „den Ländern prinzipiell übergeordnet". Den Organen des Bundes seien nämlich Kompetenzen zugewiesen, die die Überordnung der Gesamtgewalt über die Gliedstaatsgewalt erkennen ließen, insbesondere die Kompetenz-Kompetenz; lediglich i n den Bereichen, die die Bundesverfassung nicht geordnet hat, bestehe Gleichordnimg zwischen Bund und Ländern 2 3 . Es bleibt somit festzustellen, daß nach der Theorie des BVerfG der Bund und die i h m eingegliederten Länder je originäre — also nicht voneinander abgeleitete — sachlich beschränkte Hoheitsrechte, vor allem 16 Was i n der Tat Herzog, D Ö V 1962, S. 83, t u t ; s. a. unten § 2 I I I 3. BVerfGE 1, S. 14, 34. is Vgl. z.B. BVerfGE 6, S.360; 12, S. 155; 13, S. 75. 19 BVerfGE 6, S. 354. 20 BVerfGE 1, S.51. 21 BVerfGE 6, S. 362. 22 BVerfGE 13, S. 54—97. 23 RT/orfm?. 13 S 7fi 7R 17

I I I . Die Theorie des Bundesstaates i n Rechtsprechung u n d L i t e r a t u r

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Gesetzgebungsrechte, besitzen; Bund und Länder sind daher Staaten, letztere dem Bund ( = Gesamtstaat) grundsätzlich untergeordnet. 3. D e r B u n d e s s t a a t s b e g r i f f in der neueren L i t e r a t u r Das neuere Schrifttum hat nach einer gewissen Ruhepause nun mehrfach theoretische Grundsatzfragen des Bundesstaates behandelt. Der größte Teil der Autoren steht der Theorie des BVerfG recht nahe; teilweise entsprechen ihre Auffassungen i n vollem Umfang der unseres höchsten Gerichts. Kaiser hat i n seiner Abhandlung „Die Erfüllung der völkerrechtlichen Verträge des Bundes durch die Länder" 2 4 das BVerfG hinsichtlich der i m Konkordatsurteil vertretenen Bundesstaatstheorie scharf angegriffen; es scheint: nicht ohne Erfolg, da das BVerfG inzwischen den dreigliedrigen Bundesstaatsbegriff verworfen hat. Kaiser argumentiert gegen die Dreigliedrigkeitstheorie vor allem m i t dem Hinweis, daß sich „jeder schlichten, untheoretischen (!) Befundnahme der Bundesstaat wie der Staatenbund als eine auf den Dualismus politischer Existenz gegründete O r d n u n g " 2 5 darstelle; der Gesamtstaat, dessen Glieder Bund und Länder sein sollen, sei ein Gedankengebilde ohne irgendwelche Entsprechung i n der wirklichen Welt; es sei weder organisch gedacht, noch entspreche es einer phänomenologischen Befundnahme, sondern stehe dazu i n schärfstem Widerspruch, denn die Differenz von Zentralstaat ( = Bund) und Gesamtstaat sei nirgends sichtbar (!) 2 6 ; der Bund stelle vielmehr das Ganze dar, i n i h m werde das Ganze zur Institution, die den Namen Bundesrepublik Deutschland führe 2 7 . Schäfer untersucht i n seinem Aufsatz „Wie steht es um unsere bundesstaatliche Ordnung?" 2 8 dieselbe Frage, nämlich, „ob die Bundesrepub l i k Deutschland sich nicht nur, was jedem unbefangenen Betrachter eingängig sei, i n elf Länder untergliedere, sondern ob unter der Bundesrepublik als Gesamtstaat noch das davon gesonderte Rechtssubjekt des Bundes als sog. Zentralstaat stehe". Das GG selbst stelle, wie die Überschrift des I I . Abschnitts zeige, dem Bund nur die Länder gegenüber; die Fundamentalnorm des Abs. 79 Abs. 3 GG wie auch der erst 1956 eingefügte Abs. 2 des A r t . 36 GG spreche nur von der „Gliederung des Bundes i n Länder"; des weiteren beruft sich Schäfer auf die A r t . 24 und 59 des GG, i n denen es eben nicht „Bund", sondern „Bundesrepu24

ZaöRV 18, S. 526—558. Kaiser (Anm. 24), S. 531, unter Berufung auf Laband, Staatsrecht, 1. Bd., S. 59, u n d Schmitt, Verfassunglehre, S. 371. 26 Das sind heute auch die Argumente des BVerfG; s. E 13, S. 77/78. 27 Kaiser (Anm. 24), S. 534/35. 28 N J W 1961, S. 1281—1284, 1449. 25

42

§ 2 Der juristische Bundesstaatsbegri

b l i k " heißen müßte, wenn unserer Verfassung eine Unterscheidung zwischen Bundesrepublik ( = Gesamtstaat) und Bund ( = Zentralstaat) zugrunde liegen sollte. Aus Inhalt und Sprachgebrauch unserer Verfassung ergebe sich nichts für die Annahme eines dreigliedrigen Aufbaus unseres Bundesstaates, sondern die Verfassung gehe von der Identität zwischen Bundesrepublik und Bund aus 2 9 . Auch zur Begründung des Rechtsprinzips der Bundestreue bedürfe es nicht des Gedankenbildes einer selbständigen Rechtsfigur des Bundes als Glied der Bundesrepublik, da diese Pflicht wechselseitig zwischen Bund und Ländern sowie zwischen den Ländern bestehe 30 . Das Fehlen getrennter Organe für Gesamtstaat und Zentralstaat habe seine Ursache darin, daß der Verfassungsgeber keine getrennten Rechtssubjekte gesehen habe. Da das GG die Bundesrepublik und den Bund als identisch betrachte, sehe es ein Rechte- und Pflichtenverhältnis konsequenterweise auch nur zwischen Bund und Ländern 3 1 . Zum allgemeinen Bund-LänderVerhältnis schließlich meint Schäfer: Zwar sei die Stellung der Länder nach dem GG ganz erheblich stärker als die der Länder nach der Weimarer Verfassung, was vor allem auf den A r t . 30, 70 Abs. 1 und 83 GG sowie darauf beruhe, daß der Katalog der Rahmenkompetenz des Bundes nach A r t . 75 GG erheblich enger sei, auch seien die Länder über den Bundesrat i n weit größerem Umfang als zur Weimarer Zeit bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes eingeschaltet, doch all dies berechtige nicht zu der Annahme, die Länder seien dem Bund gleichgeordnet und dieser sei wie jene ein Glied der Bundesrepublik 3 2 . I m übrigen schließt sich Schäfer „ i n allen wesentlichen Punkten" Kaisers K r i t i k am dreigliedrigen Bundesstaatsbegriff an 3 3 . Herzog sieht i n seinem Aufsatz „Bundes- und Landesstaatsgewalt i m demokratischen Bundesstaat" 3 4 zwei Möglichkeiten, die Verteilung der Staatsgewalt i m Bundesstaat zu erklären: entweder liege die Fülle der Staatsgewalt beim Gesamtstaat und werde vom Zentralstaat und den Gliedstaaten nur ausgeübt; dann besitze nach der herrschenden Definition des Staates nur der Gesamtstaat Staatscharakter — oder sowohl der Zentralstaat als auch die Gliedstaaten seien i m eigentlichen Sinne Träger ihrer Staatsgewalt; dann bleibe für den Gesamtstaat 29 30 »ι 32 33

Schäfer (Anm. 28), S. 1282; ebenso Scheuner, D Ö V 1962, S. 645 Fußn. 38 Schäfer (Anm. 28), S. 1283. Schäfer (Anm. 28). S. 1283 m i t Hinweis auf A r t . 93 Abs. 1 Ziff. 3 GG. Schäfer (Anm. 28), S. 1284. Schäfer (Anm. 28), S. 1283. 34 D Ö V 1962, S. 81—87, insbes. S. 82 f.; vgl. a. die Erwiderung dazu von Kölble, DÖV 1962, S. 5β3—588, die aber die hier interessierenden Fragen k a u m betrifft; Herzogs Ausführungen werden hier n u r insoweit wiedergegeben, als sie sich m i t dem zwei- u n d dreigliedrigen Bundesstaatsbegriff befassen; i m übrigen w i r d bei der Darstellung der eigenen Auff. auf Herzogs Aufsatz •7nT*iirlr$ypiyriffpn : s. unten § 2 I V 3 a u n d b.

I I I . Die Theorie des Bundesstaates i n Rechtsprechung und L i t e r a t u r

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keine Möglichkeit eigener Staatsgewalt mehr. Zwar seien Bundes35 staaten denkbar, i n denen kraft ausdrücklicher Verfassungsvorschrift neben Zentralstaat und Gliedstaaten auch dem Gesamtstaat gewisse Befugnisse zustünden. Aber bei einer Verfassung, die wie das Grundgesetz i n A r t . 30 alle staatlichen Befugnisse und Aufgaben lückenlos zwischen Bund und Ländern aufteile, sei diese Vorstellung logisch(!) immöglich. Wolle man also an dem hergebrachten Staatsbegriff, der neben dem Staatsvolk und dem Staatsgebiet auch eine Staatsgewalt verlange, und an dem hergebrachten Bundesstaatsbegriff 36 , nach welchem sowohl der Zentralstaat als auch die Gliedstaaten Staaten i. S. dieser Definition sein müssen, festhalten, so sei die logische Folge, „daß die Staatsqualität des Gesamtstaates verneint werden muß"37, was aber nicht ausschließe, daß der Gesamt„staat" Rechtspersönlichkeit besitzen könne 3 8 . Herzog sagt aber nicht, wie sich dieser möglicherweise m i t Rechtspersönlichkeit ausgestattete Gesamt„staat" zusammensetzt, ob man sich diesen Gesamt„staat" als Einheit von Bund und Ländern denken soll, was theoretisch insofern gewissen Konstruktionsschwierigkeiten begegnen würde, als ja der Bund nach Herzogs Theorie den aus mehreren Gliedern zusammengesetzten Bundesstaat bildet 3 9 , die Länder i n dem sie umfassenden Bund eingeschlossen, gewissermaßen schon enthalten sind. Wenn man den Bund nicht als einen Teil des Ganzen, sondern als das Ganze selbst ansieht, das — konkret für das deutsche Verfassungsrecht gesprochen — m i t der Bundesrepublik Deutschland identisch ist, dann ist für irgendeine andere Gesamtheit mit Rechtspersönlichkeit, auch für eine politische Gesamtheit 4 0 kein Raum mehr; denn eine andere Gesamtheit — politischer oder rechtlicher A r t — als die der Bundesrepublik erscheint — m i r wenigstens — i n diesem Zusammenhang nicht vorstellbar. Neuerdings hat auch Maunz 41 gliedrigen Bundesstaatsbegriff, zwei getrennte Rechtssubjekte der bei Nawiasky entwickelten 35

ausdrücklich gegen die Lehre vom dreisoweit sie i n Bund und Gesamtstaat sehen w i l l , Stellung genommen: Nach Vorstellung eines „dreigliedrigen Bun-

Hervorhebung hier vorgenommen. Dessen Richtigkeit aber steht zur Diskussion! 37 Herzog (Anm. 34), S. 82/83; zustimmend Krapp, S. 23; ähnlich Schmidt, AÖR 87, S. 294 f. 38 Herzog (Anm. 34), S. 83 Fußn. 18. 39 Herzog (Anm. 34), S. 81; oder soll m i t dem „Ganzen" doch nicht die bundesstaatliche Totalität gemeint sein? S. A n m . 40. 40 Herzog (Anm. 34), S. 83, wendet sich gegen die Vorstellung, daß die Gesamtheit von Zentralstaat u n d Gliedstaaten einen Staat bildet, nicht jedoch dagegen, daß B u n d u n d Glieder — politisch gesehen — eine Gesamtheit d a r stellen. 41 N J W 1962, S. 1641—1645, insbes. S. 1643; s. a. ders., in: Maunz-Dürig, A r t . 20 R N 6, A r t . 24 R N 13; ders., Staatsrecht, S. 170; ders., Bay VB1. 1963, S. 35. 36

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§ 2 Der juristische Bundesstaatsbegriff

desstaates" stehe i n einem Bundesstaat ein Teil der staatlichen Befugnisse dem Land (Gliedstaat), ein anderer Teil dem Bund (Zentralstaat) zu. Beide Teile zusammen machten die Fülle der staatlichen Befugnisse (den sog. Gesamtstaat) aus 4 2 . Diese rechtstheoretische Unterscheidung des Zentralstaates und des Gesamtstaates sei aber von A n fang an nur eine gedankliche Hilfskonstruktion 43 für die begriffliche Erkenntnis gewesen, nicht die Behauptung, daß zwei reale Staatsgebilde als Rechtssubjekte nebeneinander existierten 4 4 . Schließlich werde sich an der Auslegung und Anwendung des Grundgesetzes auch dann nichts ändern, wenn die gedankliche Aufgliederung Gliedstaat — Zentralstaat — Gesamtstaat überhaupt aufgegeben würde 4 5 . Scheuner hat i n seinem Beitrag zur Lehre vom Bundesstaat 46 den dreigliedrigen Bundesstaat als „unrealistische Konstruktion" etikettiert, i m wesentlichen m i t den bekannten schon vorgetragenen Argumenten. Für den zweigliedrigen Bundesstaatsbegriff haben sich ferner — teils nach näherer Untersuchung, teils nur am Rande — ausgesprochen: Apelt 4 7 , Berber 4 8 , Bullinger 49, Eschenburg 50, Fuß 51, Haegert 52, Hamann 53, Hesse 5*, v. d. Heydte 55, Kölble 56, Krapp 51, Herb. Krüger 58, Schmidt 59' 60. Abschließend und zusammenfassend sei nur noch darauf aufmerksam gemacht, daß die Vertreter der zweigliedrigen Bundesstaatstheorie nur insoweit einig sind, als sie die Existenz des Gesamtstaates neben der 42

N J W 1962, S. 1643. Hervorhebung hier vorgenommen; ebenso Imboden, Z. f. SchwR 74, S. 214. 44 Maunz, Staatsrecht, S. 170; vgl. aber Nawiasky, Staatslehre, 3. Teil, S. 159: „Die Gesamtheit, gebildet aus Gliedstaaten und Zentralstaat, k a n n als ein selbständiges Rechtssubjekt, als ein eigener Hoheitsträger aufgefaßt werden" ; Hervorhebung durch Nawiasky. 45 Maunz, N J W 1962, S. 1643; i n diesem Sinn neuerdings auch Geiger, M i ß verständnisse, S. 12. 46 DÖV 1962, S. 641—648, insbes. S. 642—645. 47 Festgabe für Kaufmann, S. 1 f. 48 Lehrbuch des Völkerrechts, 1. Bd., S. 144. 49 AöR 87, S. 487 ff., 490. 50 Staat und Gesellschaft, 5. Aufl., S. 237 (ebenso i n den früheren Auflagen).. 51 D Ö V 1964, S. 38 Fußn. 12 a. 52 N J W 1961, S. 1137 ff., insbes. S. 1138, der wie Kölble, N J W 1962, S. 1083/84, die Dreigliedrigkeitstheorie seltsamerweise m i t den Gemeinschaftseinrichtungen der Länder i n Zusammenhang bringt; dagegen zutreffend Maunz, N J W 1962, S. 1643; s. a. unten § 2 I V 7. 53 Komm., S. 37/38. 54 Der unitarische Bundesstaat, S. 5 f. 55 I n : Föderalistische Ordnung, S. 131. 56 D Ö V 1962, S. 587, S. 663. 57 Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit gemeinsamer Ländereinrichtungen,. S. 15 ff., 23. 58 Festgabe für Kaufmann, S. 239 ff.; D Ö V 1961, S. 721. 59 AöR 87, S. 253 ff., insbes. S. 271 ff. 60 Es ist selbstverständlich, daß diese Aufzählung nicht erschöpfend sein kann; sie w i l l n u r i n etwa informieren, w i e w e i t die Lehre v o m zweigliedrigen. Bundesstaatsbeeriff heute verbreitet ist. 43

I V . Die Theorie des dreigliedrigen Bundesstaatsbegriffs

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des Zentralstaates leugnen; Uneinigkeit besteht jedoch i n der Beurteilung der Frage, ob der Bund selbst den Gesamtstaat darstellt — so die meisten Vertreter der Zweigliedrigkeitstheorie, insbesondere das BVerfG, Kaiser, Schäfer — oder ob der Bund (wie die Länder) auch nur ein Teilgebilde der bundesstaatlichen Totalität ist und nur m i t den Ländern zusammen die bundesstaatliche Gesamtheit bildet, diese aber kein (eigener) Staat — so insbesondere Maunz, Herzog, Schmidt —, sondern nur „gedankliche Hilfskonstruktion", d. h. letztlich Fiktion ist — so Maunz — oder höchstens Hechtspersönlichkeit besitzt — so Herzog.

I V . Die Theorie des dreigliedrigen Bundesstaatsbegriffs und ihre Vereinbarkeit mit dem Staatsbegriff der herrschenden Lehre Die für den zweigliedrigen und gegen den dreigliedrigen Bundesstaatsbegriff vorgebrachten Argumente sollen i m folgenden einer k r i t i schen Betrachtung unterzogen werden. 1. D e r S p r a c h g e b r a u c h d e s G r u n d g e s e t z e s als u n t a u g l i c h e s A r g u m e n t Zur Begründung und Ablehnung beider hier zur Diskussion stehenden Bundesstaatstheorien w i r d i n der Literatur u. a. m i t dem Sprachgebrauch des GG argumentiert. So weist man darauf hin, daß das GG die drei Bezeichnungen und Begriffe: Bundesrepublik, Bund und Land kenne und verwende, wenn man auch zugeben müsse, daß diese Terminologie nicht konsequent durchgeführt werde, was sich vor allem in A r t . 36 Abs. 2 und i n A r t . 79 Abs. 3 GG zeige, wo das GG von einer Gliederung nicht des Bundes i n Länder, sondern der Bundesrepublik i n Bund und Länder hätte sprechen müssen 1 ; die Gegenmeinung 2 wiederum stützt sich auf die A r t . 24, 36 Abs. 2, 59 und den für den bundesstaatlichen Aufbau der Bundesrepublik Deutschland so bedeutenden A r t . 79 Abs. 3 GG, aus denen sich ergebe, daß die Verfassung von der Identität zwischen dem B u n d und der Bundesrepublik ausgehe. M. E. läßt sich m i t Hilfe einzelner Formulierungen der Verfassung, und mögen sie sich an noch so zentraler Stelle — wie ζ. B. i n A r t . 79 Abs. 3 GG — finden, weder die Richtigkeit der einen noch die der anderen Bundesstaatstheorie begründen; eine sich auf den Wortlaut des GG stützende Argumentation scheitert erstens an der schon von der Literatur hervorgehobenen inkonsequenten Terminologie unserer Ver1 S. v. Mangoldt-Klein, S. 588/89; Maunz-Dürig, Staatslehre, 3. Teil, S. 160. 2 Ζ. B. Schäfer, N J W 1961, S. 1282; Hesse, S. 6.

A r t . 20 R N 6; Nawiasky,

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§ 2 Der juristische Bundesstaatsbegriff

fassung; zweitens haben — wie aus der Entstehungsgeschichte des GG zu ersehen 3 — die Verfasser des Grundgesetztextes dieses Problem gar nicht gesehen, so daß Schlußfolgerungen aus diesen mehr oder weniger zufälligen Formulierungen nicht überzeugen können. Entscheidend für die Belanglosigkeit des Sprachgebrauchs des GG ist aber, daß der Verfassungsgeber diese Frage auch gar nicht hätte entscheiden können: Der Begriff des Bundesstaates ist ein Rechtsbegriff 4 — mag er sich auch auf der Grundlage politischer Gegebenheiten entwickelt haben —, dem i m politischen Bereich der Begriff des Föderalismus entspricht. I n der Theorie aber stehen diese beiden Begriffe selbständig nebeneinander. So kann ein formal juristischer Bundesstaat durch die konkrete Ausgestaltung seiner Verfassung ein extrem unitarisches Gesicht erhalten, während ein formal juristischer Einheitsstaat derart dezentralisiert sein kann, daß er als Musterbeispiel für einen föderativ aufgebauten Staat angesehen werden kann. Eine politische Aufgabe und daher eine Aufgabe des Verfassungsgebers ist es, die Gewichte innerhalb eines Bundesstaates zu verteilen; der Rechtsbegriff des Bundesstaates aber steht nicht zur Disposition des Verfassungsgebers oder einer sonstigen politischen Macht. Nicht die geschriebene Verfassung entscheidet über die Zwei- oder Dreigliedrigkeit des Bundesstaatsbegriffs, sondern die Rechtstheorie 5 . Es handelt sich u m ein Problem der Allgemeinen Staatslehre, zu dem der Verfassungsgeber verbindlich gar nicht Stellung nehmen kann. Die wechselweise Verwendung der Begriffe „Bund" und „Bundesrepublik" durch das GG soll daher i m folgenden außerhalb der Betrachtung bleiben. Ausgangspunkt für eine wissenschaftliche Untersuchung kann n u r die i n A r t . 20 Abs. 1 GG enthaltene Verfassungsentscheidung für den Bundesstaat sein. Die rechtstheoretische Ausfüllung dieses Begriffs obliegt einzig und allein der Wissenschaft 6 . Diese A u f gabe kann ihr auch nicht durch Bildung von Gewohnheitsrecht zugunsten der einen oder anderen Theorie, ζ. B. auf Grund ständiger einheitlicher Rechtsprechung des BVerfG, entzogen werden; denn die Gewohnheit kann zwar Rechtssätze entstehen lassen, nicht aber rechtstheoretische Fragen entscheiden. 3 Vgl. JöR n. F. 1, S. 198 ff. zu A r t . 20 GG u n d S. 579 ff. zu A r t . 79 Abs. 3 GG; s. a. Maunz-Dürig, A r t . 20 R N 6. 4 Abwegig daher, v o n einem europäischen i m Gegensatz zu einem nordamerikanischen Bundesstaatsbegrijff zu sprechen, wie es ζ. B. Fleiner, W D S t R L 6, S. 11, 13, t u t ; es gibt n u r einen Bundesstaats begriff, der i n der konkreten Ausgestaltung verschiedene Spielarten zuläßt. 5 Α. A . Herzog, D Ö V 1962, S. 83. 6 Vgl. Apelt, Festgabe für Kaufmann, S. 1 ; Ermacora, Juristische Blätter, 1957, S. 523: „ K e i n Bundesstaat ist i n seiner Erscheinung gleich. N u r das Wesen des Bundesstaates — das soziologisch-politische, wie das rechtliche — ist eines."

I V . Die Theorie des dreigliedrigen Bundesstaatsbegriffs

2. D a s A r g u m e n t

der

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Bundestreue

I m folgenden soll nun — trotz des Hesse'sehen Angriffs 7 — der Versuch unternommen werden, von der Bundestreue her den juristischen Begriff des Bundesstaates zu fassen. Der Gedanke der Treuepflicht der Glieder i n „bündisch" organisierten Gemeinwesen ist sehr alt. Während man die bundesfreundliche Gesinnung früher i m politischen Bereich lokalisierte und als Regel des diplomatischen Verkehrs ansah, ist es spätestens seit Rudolf Smends Untersuchung aus dem Jahr 1916 „Ungeschriebenes Verfassungsrecht i m monarchischen Bundesstaat" 8 üblich geworden, die Bundesfreundlichkeit zum Kreis der rechtlich verbindlichen Normen zu zählen 9 . I m Staatsrecht der Weimarer Republik konnte die Bundestreue erst gegen deren Ende größere Bedeutung gewinnen 1 0 ; heute unter der Geltung des Bonner Grundgesetzes w i r d sie als „ein Kernstück des bundesstaatlichen Systems" 1 1 bezeichnet. Durch die Rechtsprechung des BVerfG, das bereits mehrfach Legislativ- und Exekutivakte des Bundes und der Länder auf ihre Vereinbarkeit m i t der Bundestreue nachprüfte 1 2 , hat dieses Prinzip — wie Geiger sagt — „eine fundamentale, umfassende, das ganze Verfassungsleben tiefgreifend gestaltende Bedeutung gewonnen. Es prägt unsere Verfassungsordnung mindestens so stark wie das Rechtsstaatsprinzip, das Sozialstaatsprinzip oder das freiheitlich-demokratische P r i n z i p " 1 3 . Neuerdings w i r d nun der Bundestreue diese Bedeutimg — vor allem von Hesse 14 — abgesprochen: Bei einem Überblick über die bisherige Praxis des BVerfG sei ein zwingender Anlaß, auf den Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens i. S. eines „übergreifenden, zentralen Strukturprinzips" zurückzugreifen, i n kaum einem Fall erkennbar. Soweit es u m die Einhaltung der geschriebenen Verfassung durch den Bund oder durch die Länder gehe, folge die Pflicht, die Verfassung zu respektieren, unmittelbar aus der Geltung der gemeinsamen Verfassungsordnung, und der Rückgriff auf den Grundsatz bundesfreundlichen 7

Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 7 ff. I n der Festgabe für Otto Mayer, S. 247 ff.; Wiederabdruck in: Staatsrechtliche Abhandlungen und andere Aufsätze, S. 39 ff.; danach zitiert. 9 Smend (Anm. 8), S. 51 f.; s.a. Maunz-Dürig. A r t . 20 R N 23; Geiger, i n : Föderalistische Ordnung, S. 113. 10 S. dazu Bayer, S. 14 f f , 125/26. 11 Maunz-Dürig, A r t . 20 R N 22. 12 S. BVerfGE 1, S. 131; 1, S. 315; 3, S. 57; 4, S. 140 ff.; 6, S. 361 f.; 8, S. 138 ff.; 12, S. 255. 13 Geiger (Anm. 9), S. 123. S. A n m . 7; auch Lerche ( W D S t R L 21, S. 88 f.) w i l l die Bedeutung der Bundestreue — bzw. (nach Lerche) des „Bundessinnes" — eingeschränkt wissen, stimmt jedoch der radikalen K r i t i k Hesses nicht zu; vgl. Lerche, a.a.O., S. 89 Fußn. 83. 8

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Verhaltens bedeute nur eine Verdunkelung der eigentlichen Rechtslage. Soweit die Zulässigkeit und A r t der Ausnutzung von Zuständigkeiten durch den Bund oder die Länder streitig sei, würden die traditionellen Grundsätze über den Rechtsmißbrauch oder — etwa bei der Ausübung der Bundesaufsicht — das Prinzip der Verhältnismäßigkeit eingreifen, so daß auch hier die Heranziehung des Grundsatzes der Bundestreue ebenfalls entbehrlich sei. — Soweit die K r i t i k Hesses. Es mag richtig sein, daß es für das BVerfG manches M a l 1 5 nicht notwendig gewesen wäre, die Entscheidung auf die Verletzung der Bundestreue zu stützen. Daß jedoch dadurch die „eigentliche Rechtslage verdunkelt" wurde, ist nicht mehr als eine Behauptung. Ob die Grundsätze über den Rechtsmißbrauch und der Verhältnismäßigkeit die eigentliche Rechtslage aufklären würden, mag hier dahinstehen. Doch was für einen Unterschied macht es, ob man dem Bundes- oder Landesgesetzgeber bescheinigt, er habe durch Erlaß eines Gesetzes die i h m durch das GG eingeräumten Kompetenzen mißbraucht und dadurch wider die Bundestreue gehandelt 1 6 oder ob man den Zusatz der Bundestreuwidrigkeit wegläßt? Ist es nicht nur ein Spiel u m Worte? Entscheidend ist m. E., daß die Grundsätze über den Rechtsmißbrauch, die Verhältnismäßigkeit u. ä., an die Bund und Länder i n gleicher Weise gebunden sind, letztlich i m Bundesstaat als solchen ihre Wurzel haben. Allein aus der Mitgliedschaft im Bundesstaat ergeben sich gewisse Schranken für die Kompetenzausübung, Schranken, die ein Einheitsstaat nicht kennt. Wenn man sich darin einig ist, kann die Frage, ob man von einem Verbot rechtsmißbräuchlichen oder einem Gebot bundestreuen Verhaltens sprechen soll, m. E. auf sich beruhen. a) Die Bundestreue in der Sicht der herrschenden

Meinung

aa) Die Bundestreue als Rechtsverhältnis zwischen B u n d und Ländern und zwischen den Ländern Das BVerfG — und m i t i h m übereinstimmend die überwiegende Mehrheit i m Schrifttum 1 7 — sieht i n der Bundestreue ein Rechte-Pflichten-Verhältnis, das zwischen dem Bund und den Ländern untereinander besteht, wobei sowohl der Bund als auch die Länder auf der Berechtigten- und Verpflichteten-Seite des wechselseitigen Rechtsver15 Insbesondere nicht i m sog. Fernsehurteü (BVerfGE 12, S. 205 ff.), da schon die mangelnde Kompetenz des Bundes die Verfassungswidrigkeit der „Deutschland-Fernsehen-GmbH" zur Folge hatte; kritisch zur Rechtskontrolle bundesfreundlichen Verhaltens Spanner, D Ö V 1961, S. 481 ff. 16 Vgl. ζ. B. BVerfGE 4, S. 140: „ E i n Landesgesetz könnte aus diesem Grunde (sc. Verletzung der Bundestreue) n u r verworfen werden, wenn der Landesgesetzgeber seine Freiheit offenbar mißbraucht hätte"; Hervorhebung hier vorgenommen. 17 Vgl. nur Maunz-Dürig, A r t . 20 R N 22; v. Mangoldt-Klein, S. 590; Schäfer, N J W 1961, S. 1283.

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hältnisses stehen können 1 8 . Wie ein Land auf die Interessen des Bundes und der übrigen Länder Rücksicht nehmen müsse, wenn die Auswirkungen einer gesetzlichen Regelung nicht auf seinen Raum beschränkt bleiben 1 9 , so sei auch der Bund verpflichtet, die Interessen der Länder zu achten. bb) Das „Gesamt"interesse Diese Treuepflicht des Bundes und der Länder ist aber stets auf das „Ganze" bezogen. I n allen Entscheidungen des BVerfG kommt dies immer wieder deutlich zum Ausdruck: B u n d und Länder seien verfassungsrechtlich verpflichtet, dem Wesen des sie verbindenden verfassungsrechtlichen „Bündnisses" entsprechend zusammenzuwirken; daher dürfe i m Bundesstaat auch nichts geschehen, was das Ganze oder eines der Glieder schädige 20 . Auch das Schrifttum schließt sich diesbezüglich dem BVerfG an: „Die Pflicht besteht u m des Ganzen willen. I h r Sinn ist die Festigung des bundesstaatlichen Gefüges 21 ." b) Kritik

— Konsequenz der Nicht-Identität von Bund und Gesamtstaat

Die Bundestreue — oder wie man dieses Prinzip auch nennen mag — verpflichtet also als ein dem Wesen des Bundesstaates immanenter allgemeiner Rechtsgrundsatz 22 Bund und Länder gleichermaßen. Diese Pflicht besteht zur Erhaltung und Festigung des Ganzen 23 ; und dieses Ganze kann nur der Bundesstaat, die Gesamtheit von Bund und Ländern, sein. 18

S. BVerfGE 8, S. 122, 138. BVerfGE 4, S. 115, 140. S. BVerfGE 6, S. 309, 361. 21 Geiger (Anm. 9), S. 124/25; vgl. a. Maunz, N J W 1962, S. 1642; Bayer, S. 74 f.; aus dem älteren Schrifttum: Laband, Staatsrecht, 1. Bd., S. 101, 109; hier steht noch die Treuepflicht des Einzelstaates i m Vordergrund; Smend (Anm. 8), S. 51/52: Bundestreue als „dauernde Rechtsgrundlage u n d Rechtsform des bundesstaatlichen Gesamtverhältnisses". 22 So auch die h. M , da „die Bundestreue eine unabdingbare Voraussetzung f ü r den Fortbestand des Bundesstaates" ist; so Kaiser, ZaöRV 18, S. 543; i h m folgend Bayer, S. 43; s. a. BVerfGE 1, S. 117, 131; 8, S. 138: „Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten aus dem Wesen (!) des Bundesstaates entwickelt"; ebenso Geiger, Bay VB1. 1957, S. 343; s. a. Maunz, Bay VB1. 1958, S. 305; Bullinger, AöR 87, S. 493; — a. A . außer Hesse (Anm. 7) neuerdings auch Fuß, D Ö V 1964, S. 37 f f , der i n der Bundestreue keinen Rechtsbegriff, sondern n u r ein „Gebot politischer Weisheit" sehen w i l l . — Triepel, Unitarismus, S. 29, sieht den Geltungsgrund der Treuepflicht der Gliedstaaten i n der geschichtlichen Tatsache, daß die Verfassung m i t dem W i l l e n aller Einzelstaaten ins Leben gerufen worden ist; ähnlich auch Usteri, S. 280. 23 Vgl. A n m . 20, 21 ; auch Hesse w i r d dem Verbot, die Kompetenzen schrankenlos bzw. rechtsmißbräuchlich i n Anspruch zu nehmen, keinen anderen Sinn geben können; Lerches K r i t i k (VVDStRL 21, S. 89/90), daß nichts „falscher" sei, als i m Gesamtinteresse das Wesen der Bundestreue zu sehen, da sich das, was dem Bundesganzen dienlich sei oder nicht, nicht nach einem Bundes19

20

4 Harbich

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§ 2 Der juristische Bundesstaatsbegriff

Wenn man nun die herrschende Meinung, insbesondere die Äußerungen des BVerfG, zum Problemkreis der Bundestreue und des Bundesstaatsbegriffs konsequent weiterführt, kommt man zu dem Ergebnis, daß der Bund, der das i n Länder gegliederte Ganze, den Bundesstaat, darstellen soll, verpflichtet wäre, seine eigenen Interessen wahrzunehmen. Dem Bund würde eine rechtliche Pflicht gegen sich selbst erwachsen 24 , er wäre aus der Bundestreue i n einer Person berechtigt und verpflichtet, Recht und Pflicht desselben Rechtsverhältnisses würden damit i n einer Rechtsperson, i m Bunde, zusammenfallen. Die Vorstellung einer rechtlichen Pflicht gegen sich selbst kann man auch i n Schrifttum und Rechtsprechung mehrfach antreffen. Anlaß zur Erörterung dieser rechtstheoretischen Frage bietet immer wieder § 254 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Das von dieser Bestimmung angesprochene Mitverschulden des Geschädigten w i r d von der wohl herrschenden Meinung als ein „Verschulden gegen sich selbst" angesehen. Es soll sich bei diesem Verschulden nicht u m ein Verschulden gegen einen anderen Rechtsträger, sondern u m einen Verstoß gegen das Gebot des eigenen Interesses handeln 2 5 . Diese Vorstellung einer Rechtspflicht gegen sich selbst widerspricht aber unserer grundsätzlichen Auffassung von Recht und Pflicht i m Recht: danach „steht dem rechtlich Verpflichteten immer ein Interessierter, Fordernder, Berechtigter gegenüber 26 , während man der moralischen Verpflichtung nur symbolisch einen solchen Berechtigten zuordnet" 2 7 . Daher w i r d man das „eigene Verschulden" i. S. des § 254 BGB so verstehen müssen, daß für den Geschädigten dem Vertragspartner oder dem Schädiger gegenüber die — aus dem natürlichen Gebot des eigenen Interesses i n das Recht umgesetzte — Pflicht mythos, sondern von Verfassungspunkt zu Verfassungspunkt danach entscheide, wessen Meinung jeweils v o n der Verfassung für die maßgebliche erklärt werde, k a n n m a n mehr oder weniger gegenüber jedem Rechtssatz bzw. Rechtsgrundsatz üben; ζ. B.: was den „guten Sitten" entspricht u n d was ihnen widerspricht, entscheidet nicht das Gefühl aller b ü l i g u n d gerecht Denkenden, sondern ganz schlicht der B G H bzw. das i m jeweiligen Instanzenzug höchste Gericht, da deren Meinung von der Verfassung (und dem m i t i h r i m Einklang stehenden Prozeßrecht) derzeit f ü r maßgeblich erklärt w i r d . 24 U n d die Beachtung dieser Pflicht wäre sogar verfassungsgerichtlich nachprüfbar! 25 So BGHZ 3, S. 46, 49; vgl. a. Enneccerus-Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, Lehrbuch, 15. Aufl., Tübingen 1958, § 16 I 3 ( = S. 77) m. weit. Nachw. 26 Die Fälle der sog. lediglich objektiven Pflicht bilden nur eine scheinbare Ausnahme: w e n n nach bayer. Straßen- u n d Wegerecht Privatpersonen keinen Anspruch auf E r f ü l l u n g der Straßenbaulast (ζ. B. durch die Gemeinde) haben, so kann doch die Straßenaufsichtsbehörde die Erfüllung der Aufgaben, „die den Trägern der Straßenbaulast obliegen", verlangen (Art. 9, 10 des bayer. Straßen- u n d Wegegesetzes v o m 11.7.1958); der verpflichteten Gemeinde steht der berechtigte Staat gegenüber. 27 Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 134; Hervorhebung hier vorgenommen; allenfalls mag es leges imperfectae, also nicht einklagbare Rechte u n d Pflichten geben; eine rechtliche Pflicht gegen sich selbst ist schlechterdings ein Unding.

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besteht, den durch zurechenbares eigenes Verhalten verursachten Teil des Schadens selbst zu übernehmen 2 8 . Es wäre sonst auch nicht einzusehen, warum sich die Rechtsposition des Schädigers durch ein „Verschulden des Geschädigten gegen sich selbst", also durch ein Verhalten, das nur die Rechtssphäre des Geschädigten berühren kann, zu seinen, des Schädigers, Gunsten ändern sollte. Es kann sich bei diesem M i t verschulden rechtlich nur u m ein Verschulden gegenüber einer anderen Rechtsperson handeln. Aus demselben Grund kann auch die auf der Bundestreue beruhende rechtliche Pflicht des Bundes keine Pflicht des Bundes gegen sich selbst sein; die Annahme einer solchen Pflicht würde dem eben angedeuteten Grundsatz der Allgemeinen Rechtslehre widersprechen. Die Treuepflicht des Bundes ist daher nicht ein „Gebot des eigenen Interesses", sondern muß auf ein anderes Rechtssubjekt als das des Bundes bezogen sein 2 9 . Das Gesamtinteresse, das zu beachten die Bundestreue Bund und Ländern gebietet, kann folglich nicht m i t dem Bundesinteresse gleichzusetzen sein. Beachtenswerterweise spricht z. B. A r t . 72 Abs. 2 Nr. 2 GG auch nicht von Interessen des Bundes, sondern von denen der „Gesamtheit", und dies zu Recht, denn nicht jedes Bundesinteresse deckt sich notwendig m i t den Interessen des Bundesstaates, m i t den Interessen des Ganzen 30 , was einen Verstoß des Bundes gegen die Interessen der Gesamtheit rechtlich überhaupt erst möglich macht. Unter diesem Gesichtspunkt scheint es daher durchaus sinnvoll, wenn das B V e r f G 3 1 ausführt, daß einerseits die Hoheitsbefugnisse des Bundes diesem „ n u r zum Wohl des Ganzen zugemessen sind", daß andererseits „auch die Länder die Freiheit ihrer Entschließung der Rücksicht auf das Gesamtw o h l unterordnen" müssen. Dieser das bundesstaatliche Prinzip so 28 Vgl. Palandt, K u r z - K o m m . z. BGB, 23. Aufl., München u n d B e r l i n 1964, § 254 A n m . 2 a. 2» Vgl. dazu auch Lerche, DVB1. 1961, S. 698 m i t Fußn. 73; a . A . Schäfer, N J W 1961, S. 1283; Herzog, D Ö V 1962, S. 83 Fußn. 20, unter Berufung auf Schäfer, a.a.O. so Geiger (Anm. 9), S. 116/17; m a n könnte daher von „ Gesamtstaats " „Bundesstaats"- oder „Bundesrepublik"treue sprechen, u m schon i m Begriff zum Ausdruck zu bringen, daß nicht der Bund, sondern der Bundesstaat, die Gesamtheit, den Bezugspunkt der Bundestreue bildet; gegenüber Haegerts Empfehlung (NJW 1961, S. 1137), an Stelle v o n „bundesfreundlichem V e r halten" von „verfassungstreuem Verhalten" zu sprechen, wäre zu erwidern, daß sich jedes öffentlich-rechtliche Organ i n a l l seinen A k t e n — auch dem Bürger gegenüber — „verfassungstreu" zu verhalten hat, während die „ B u n destreue" (bis heute) anerkanntermaßen ein Rechtsverhältnis nur zwischen Staaten darstellt; auch Lerches Vorschlag ( V V D S t R L 21, S. 88), den Begriff der Bundestreue durch den des „Bundessinnes" zu ersetzen, befriedigt nicht, da dieser Begriff nicht das (auch von Lerche angesprochene) „Gesamtinteresse" erfaßt; u m nicht vollends V e r w i r r u n g zu stiften, mag m a n daher am Begriff der „Bundestreue" festhalten, w e n n man sich n u r darüber i m klaren ist, was darunter zu verstehen ist. 31 BVerfGE 4, S. 115, 141. 4*

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§ 2 Der juristische Bundesstaatsbegrif

t r e f f e n d c h a r a k t e r i s i e r e n d e Satz w i r d s o f o r t u n v e r s t ä n d l i c h , w i l l m a n das „ G a n z e " m i t d e m B u n d i d e n t i f i z i e r e n . S o l l t e n d e n n e t w a d e m B u n d seine Befugnisse z u s e i n e m e i g e n e n W o h l z u g e w i e s e n sein? W e l c h e S c h l u ß f o l g e r u n g e n l i e ß e n sich aus e i n e r d e r a r t i g e n Aussage ziehen? D i e Ä u ß e r u n g des B V e r f G k a n n n u r d a h i n v e r s t a n d e n w e r d e n , daß B u n d u n d L ä n d e r b e i A u s ü b i m g i h r e r H o h e i t s b e f u g n i s s e das W o h l d e r G e s a m t h e i t ( = des „ G a n z e n " ) , d i e w e d e r d e n B u n d n o c h d i e S u m m e d e r L ä n d e r d a r s t e l l t , s o n d e r n sich aus B u n d und L ä n d e r n zusammensetzt, zu berücksichtigen haben32. D e r B u n d s t e l l t also n i c h t das Ganze d a r . E r i s t — w i e j e d e r einzelne G l i e d s t a a t — n u r e i n T e i l des Ganzen. E r i s t sonach m i t d e m G e s a m t staat n i c h t identisch, b i l d e t v i e l m e h r n u r m i t d e n L ä n d e r n z u s a m m e n d i e bundesstaatliche T o t a l i t ä t 3 3 - 3 4 . 3. D i e S t a a t l i c h k e i t d e r Länder d e s B u n d e s u n d d e s G e s a m t s t a a t es D e r dreigliedrige Bundesstaatsbegriff ist n u n u n m i t t e l b a r angesprochen; e r sagt a b e r n o c h n i c h t s ü b e r d i e S t a a t l i c h k e i t d e r L ä n d e r , 32 M a n w i r d daher i n der „Bundes"treue — entgegen der h. M . — nicht ein Rechtsverhältnis zwischen B u n d u n d Ländern, sondern ein solches zwischen B u n d und Gesamtstaat (zur Staatlichkeit v o n Bund, Ländern u n d Gesamtstaat s. unten § 2 I V 3) einerseits, zwischen jedem einzelnen L a n d u n d dem Gesamtstaat andererseits sehen können. Verpflichtet aus der Bundestreue ist i m konkreten F a l l der B u n d oder das Land, berechtigt ist immer der Gesamtstaat. So wäre es, ζ. B., i m Neugliederungsstreit zwischen dem L a n d Hessen (und verschiedenen Heimatbünden) u n d dem Bunde rechtlich durchaus möglich gewesen, das L a n d Hessen als i n Prozeßstandschaft für den Gesamtstaat handelnd anzusehen, dergestalt, daß das L a n d Hessen das Recht des Gesamtstaates, dem gegenüber der B u n d als aus A r t . 29 Abs. 2 Satz 3 GG verpflichtet erscheinen kann, prozessual zu verfolgen berechtigt ist; über die Voraussetzungen der Prozeßstandschaft hätte m a n freilich diskutieren können; das BVerfG (E 13, S. 79) hat jedoch bereits die — v o n Lerche vorgetragene — K o n struktion als solche abgelehnt u n d damit die Anträge als unzulässig verworfen; s. dazu auch Lerche, W D S t R L 21, S. 90/91 Fußn. 87. 33 So alle Vertreter der dreigliedrigen Bundesstaatslehre: Kelsen, Staatslehre, S. 199 f., 208 f.; ders., Festgabe für Fleiner, S. 130 ff.; Nawiasky, G r u n d gedanken des GG, S. 35 ff.; ders., Staatslehre, 3. Teil, S. 159 ff.; ders., Staatslexikon, 2. Bd., Sp. 275; Mosler, Festschrift f ü r Thoma, S. 162, 169, unter Berufung auf Kelsen; Wernicke, i n : Bonner Komm., Erl. I I 1 zu A r t . 20; v. Mangoldt-Klein, S. 588 f.; Geiger, in: Föderalistische Ordnung, S. 115 f., 123; Süsterhenn, ebenda, S. 31; Menzel, W D S t R L 12, S. 258; Ermacora, Juristische Blätter, 1957, S. 521 ff., 549 ff.; — vgl. a. Maunz-Dürig, A r t . 20 R N 5, 6 und 13; Spanner, DÖV 1961, S. 483 (passim); Usteri, S. 237; nach Herzog, D Ö V 1962, S. 83, bilden B u n d und Länder zusammen eine politische Gesamtheit; unklar Bayer, S. 40, 42 m i t Fußn. 86, S. 58 f., obwohl eine Auseinandersetzung m i t den Problemen der Bundestreue gerade i n dieser Frage (zwei- oder dreigliedriger Bundesstaat) eine eindeutige Stellungnahme gefordert hätte; auch Rupp, Festgabe für Carlo Schmid, S. 141 ff., geht auf den Zusammenhang der Bundestreue m i t dem dreigliedrigen Bundesstaatsbegriff nicht ein. 34 U m möglichen Mißverständnissen vorzubeugen: Das Argument der B u n destreue w i l l nicht i n dem Sinn verstanden werden, daß die Bundestreue n u r

I V . Die Theorie des dreigliedrigen Bundesstaatsbegriffs

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des Bundes und vor allem des Gesamtstaates selbst aus, sondern bringt nur zum Ausdruck, daß man es beim Bundesstaat mit drei verschiedenen „Gebilden" zu tun hat. Es gilt nun, diese bundesstaatlichen Phänomene an Hand des oben 35 skizzierten Staatsbegriffs zu untersuchen. I m Rahmen dieser Erörterungen w i r d gleichzeitig versucht, zu den oben dargestellten Bundesstaatstheorien kritisch Stellung zu nehmen. a) Die Staatlichkeit

der Länder und des Bundes

Bei den Gliedern (im herkömmlichen Sinn) eines Bundesstaates, die i m Bereich des deutschen Verfassungsrechts seit der W R V von 1919 „ L ä n d e r " 3 6 genannt werden, ist die Existenz eines „Volkes" und eines „Gebietes" i. S. der traditionellen Lehre des Drei-Elementen-Staatsbegriffs so „greifbar" offenkundig, daß es überflüssig erscheint, auf diese Merkmale des Staates besonders einzugehen. Das gleiche gilt für den Bund: das Staatsgebiet eines Landes ist gleichzeitig Staatsgebiet des Bundes, die Angehörigen eines Landesvolkes sind gleichzeitig A n gehörige des Bundesvolkes 37 . Entscheidend für die Staatsqualität der Länder und des Bundes ist sonach der „Besitz" unabgeleiteter Hoheitsgewalt. Der orthodoxe Weg, die Staatlichkeit bzw. die Staatsgewalt der Glieder und des Bundes von der Entstehung des Bundesstaates her zu untersuchen, soll auch hier eingeschlagen werden; m i t ein paar Worten zur Entstehungsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland mag daher begonnen werden. Es ist allgemeine Meinimg, daß die alten Länder, die 1934 Glieder des Deutschen Reiches waren, durch das Gesetz über den Neuaufbau des bei Existenz des Bundes u n d des Gesamtstaates als verschiedenen Rechtssubjekten begrifflich k l a r zu fassen wäre; auch w e n n m a n i n der Gesamtheit von B u n d u n d Ländern n u r eine Staatengemeinschaft, k e i n eigenes Rechtssubjekt, sieht (wie Nawiasky 1920, s. Bundesstaat, S. 29/30), würde sich an der Konzeption der Bundestreue (Beziehung zur Gesamtheit!) nichts ändern. Die Ausführungen zur Bundestreue sollten (ausschließlich) nur zeigen, daß der B u n d nicht die bundesstaatliche Totalität, sondern — w i e die Länder — n u r ein Teilgebilde des Bundesstaates darstellt. Z u diesem Ergebnis hätten freilich auch andere Überlegungen führen können; doch schien m i r die Bundestreue hierfür besonders geeignet. 35 S. oben § 1 I I 3 u n d I I I . 36 I m Kaiserreich sprach m a n von „Bundesstaaten"; vgl. z. B. A r t . 54, 56, 78 Abs. 2 aRV; demgegenüber soll die W a h l der Bezeichnung „Länder" nichts über die Staatlichkeit der Glieder besagen; schon i n der Weimarer Zeit bestand k e i n Zweifel an der staatsrechtlichen Bedeutungslosigkeit dieser Bezeichnung; vgl. n u r Anschütz, K o m m , 14. Aufl., S. 36 f.; unrichtig daher Härtung, Deutsche Verfassungsgeschichte v o m 15. Jahrhundert bis zur Gegenwart, 7. Aufl., Stuttgart 1959, S. 320; auch nach geltendem Recht sollte es eine drittrangige Frage sein, ob man die Glieder des Bundesstaates Länder, Bundesländer oder Gliedstaaten nennt. 37 Allg. M.; vgl. Maunz, Staatsrecht, S. 21, 170; Herzog, DÖV 1962, S. 86.

§ 2 Der juristische Bundesstaatsbegriff

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Reiches vom 30.1.1934 38 untergegangen sind 3 9 . Es wäre abwegig, dieses Gesetz, das das bundesstaatliche Fundament des Deutschen Reiches endgültig zerbrach, als nichtig — i. S. von unwirksam — betrachten zu wollen 4 0 ; vielmehr w i r d man der „gesetzlichen Übertragung" der Länderhoheitsrechte auf das Reich revolutionär rechtsgestaltenden Charakter beimessen müssen. Bis 1945 existierten folglich keine deutschen Länder als eigene Rechtssubjekte, abgesehen von den Stadt„staaten", die zwar ihre Rechtspersönlichkeit beibehielten, aber ihre Staatlichkeit — und darauf kommt es hier an — auch eingebüßt hatten. Ganz unabhängig nun von der Frage, wie man die Rechtslage Deutschlands seit 1945 beurteilt, ob das Deutsche Reich 1945 untergegangen oder nur handlungsunfähig geworden ist, ob die Besatzungsmächte nach 1945 eigene Staatsgewalt auf fremdem Territorium oder fremde, d. h. deutsche Staatsgewalt ausgeübt haben 4 1 , kann man sagen, daß sich nach 1945 neue deutsche Staaten — die deutschen Länder, die heute größtenteils die Glieder der Bundesrepublik Deutschland sind — gebildet haben. Wenn auch die Länder Neuschöpfungen der Besatzungsmächte sind und infolgedessen zunächst sehr bedeutsamen Beschränkungen, die aber i m Laufe der Zeit immer geringer wurden, unterworfen waren, so waren sie doch Staaten 42 , sie verfügten über originäre Hoheitsrechte. Diese Hoheitsrechte sind den deutschen Ländern von den Besatzungsmächten nicht durch Vertrag abgetreten oder übertragen worden derart, daß die Länder durch diese Abtretung als Staaten geschaffen worden sind, sondern das Wiedererstehen der Länderstaatlichkeit ist so zu deuten, daß die Besatzungsmächte nach und nach Bereiche staatlicher Gewalt freigaben, die die nun sich bildenden Länder „an sich zogen". Die Konstruktion der Abtretung staatlicher Gewalt gerät nämlich „ i n einen ebenso notwendigen wie unlösbaren Konflikt m i t dem Grundsatz der Unabgeleitetheit der Staatsgewalt, denn der Erwerb durch Übertragung ist, wenn man diese Konstruktion rechtlich verstehen w i l l , unzweifelhaft ein abgeleiteter E r w e r b " 4 3 . Das Entstehen der neuen Länderstaatlichkeit läßt sich juristisch gar nicht erklären, wie allgemein die Entstehung eines Staates keine Rechts-, sondern eine Tat- und Machtfrage ist 4 4 , eine „nationale Tat", wie G. Jellinek es ausdrückt 45 . 38

R G B l 1934 I S 75 Vgl. Herb. Krüger] SJZ 1950, Sp. 113 ff., 117; BVerfGE 6, S. 20 f. 40 Vgl. dazu Herb. Krüger, a.a.O. m. weit. Nachw. 41 Z u diesem Fragenkomplex: v. d. Heydte, W D S t R L 13, S.6ff., 13 ff.; Dürig, ebenda, S.27ff.; Herb. Krüger (Anm. 39), Sp. 115; BGHZ 13, S. 265 ff., 292 ff.; s.a. unten zu A n m . 115 ff. 42 Vgl. Maunz, Staatsrecht, S. 1 ff. 43 Herzog, D Ö V 1962, S. 84 m. weit. Nachw. 44 So Anschütz, Grundzüge, S. 459; ebenso G. Jellinek, Staatslehre, S. 266 ff., insbes. S. 274; Nawiasky, Bundesstaat, S. 136; Hildesheimer, S. 38; Mosler, i n : Recht—Staat—Wirtschaft I I I , S. 255; Κ . H. Klein, S. 32; Usteri, S. 184/85; zutreffend auch Fuß, W D S t R L 21, S. 134 (Aussprache): Gründung des europä39

I V . Die Theorie des dreigliedrigen Bundesstaatsbegriffs

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Aus diesem Grunde kann das Dasein eines Staates rechtlich nur auf seinem eigenen Willen beruhen. E i n Staat kann nie von einem anderen rechtlich geschaffen werden, welchen A n t e i l auch immer ein Staat oder mehrere an dem historischen Bildungsprozesse eines anderen Staates haben mögen 4 6 . Daher beruhen die nach 1945 neu entstandenen deutschen Länder rechtlich auf ihrem eigenen Willen, obwohl politisch der Anstoß zu ihrer „Gründung" von den Siegermächten ausgegangen ist. Der politisch recht bedeutsame Einfluß, den die Besatzungsmächte auch auf die inhaltliche Ausgestaltung unserer geltenden Verfassung ausübten, der sich insbesondere i n den mehrmaligen Interventionen der Militärgouverneure der Besatzungsmächte während der Beratungen des Parlamentarischen Rates äußerte und besonders deutlich i m Vorbehalt der Genehmigung des GG-Textes durch die Besatzungsmächte zum Ausdruck k a m 4 7 , bleibt deshalb i m folgenden außerhalb der Betrachtung. Hier interessiert nur die Frage, ob die deutschen Länder durch die Entstehung der Bundesrepublik Deutschland 1949 ihre Staatlichkeit eingebüßt haben, oder allgemein gesprochen: Sind die Glieder eines Bundesstaates Staaten? I m deutschen Schrifttum der Gegenwart w i r d diese Frage fast durchweg bejaht; doch handelt es sich nicht u m eine Selbstverständlichkeit 48 , so daß eine Stellungnahme zur Staatlichkeit der Länder und des Bundes 49 angebracht erscheint 50 . Dabei ist von der Tatsache auszugehen, daß „die Staatsgewalt der Gründerstaaten durch irgendein Ereignis von bestimmten Sachgebieten verdrängt wird, so daß zunächst ein ,Hoheitsvakuum 4 entsteht, i n welches dann die Staatsgewalt des neuen Staates eintritt, ein Vorgang, den man m i t der Dereliktion des bürgerlichen Rechts und einer nachfolgenden Okkupation vergleichen könnte" 5 1 . Die den Gründerstaaten „verbliebene" Staatsgewalt ist danach ebenso unabgeleitet w i e die des neu „errichteten" Zentralstaates 52 . ischen Bundesstaates keine Frage der Übertragung v o n Hoheitsrechten, sondern ein soziologischer Vorgang der Schaffung eines neuen Staates. 45 G. Jellinek (Anm. 44), S. 775; s. a. Nawiasky (Anm. 44), S. 137; Herzog, DÖV 1962, S. 85. 46 So G. Jellinek (Anm. 44), S. 274; s. a. S. 181 Fußn. 1, ebenda. 47 S. dazu Maunz, Staatsrecht, S. 6 ff., insbes. S. 9/10. 48 Nach Usteri, S. 207/08, 237/38 (s. a. oben § 2 I I 5 b), sind weder der B u n d noch die Glieder Staaten; so auch schon Kelsen, Souveränität, S. 66. 49 V o r allem Usteri gegenüber. 50 Das folgende ist zwar konkret auf die B R D bezogen, g i l t aber i m Prinzip f ü r jeden Bundesstaat. 51 Herzog, D Ö V 1962, S. 83; ebenso jetzt auch Maunz-Dürig, A r t . 24 R N 7 cc, zur „Übertragung" von Hoheitsrechten nach A r t . 24 GG. 52 Insofern ist es mißverständlich, w e n n das BVerfG (E 1, S. 14, 34) die Glieder eines Bundesstaates als Staaten „ m i t eigener — w e n n auch gegenständlich beschränkter — nicht v o m B u n d abgeleiteter, sondern von i h m anerkannter (!) staatlicher Hoheitsmacht" bezeichnet; das deutet auf eine (nicht vorhandene) Abhängigkeit der Glieder und ihre Unterordnung unter

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§ 2 Der juristische Bundesstaatsbegriff

Wenn demgegenüber — für den Geltungsbereich des GG — behauptet wird, daß über die Errichtung des Bundesstaates „Bundesrepublik Deutschland" nicht die Länder, sondern das deutsche V o l k zu entscheiden hatte, was daraus hervorgehe, daß das GG nicht der Annahme durch alle deutschen Länder bedurfte, sondern nach A r t . 144 Abs. 1 GG nur der Zustimmung von zwei D r i t t e l n der Volksvertretungen der deutschen Länder 5 3 , so dürfte es sich hierbei um ein grundsätzliches Mißverständnis des Prinzips der demokratischen Mehrheitsentscheidung handeln. Wenn man danach fragt, woher die Mehrheit — sei es eine einfache oder qualifizierte — das Recht herleitet, für die ablehnende Minderheit mitzustimmen und mitzuentscheiden, so kann man — m i t Rousseau 54 — nur antworten, daß das Gesetz der Stimmenmehrheit selbst eine Sache des Übereinkommens ist und wenigstens eine einmalige Einstimmigkeit voraussetzt. Die Einstimmigkeit bei der Abstimmung über das GG ist darin zu sehen, daß alle deutschen Länder darin einig waren, daß das GG der Annahme durch die Volksvertretungen i n nur zwei Dritteln der deutschen Länder bedürfe. Diese Einstimmigkeit kommt nach außen h i n i n der Teilnahme an der Abstimmung zum Ausdruck, wodurch die — „spätere" — Minderheit von vornherein zu erkennen gibt, daß sie sich dem Willen der — „späteren" — Mehrheit beugen w i r d 5 5 . Nur so ist die Ablehnung des GG vom 20. 5.1949 durch das Land Bayern zu verstehen 56 . Es kann keine Rede davon sein, daß das GG unter Majorisierung eines Opponenten i n K r a f t getreten i s t 5 7 ; denn die Bestimmung des A r t . 144 Abs. 1 war i n den Willen auch des Bayerischen Landtages aufgenommen 58 ; seinem gleichzeitig m i t der A b lehnung des GG gefaßten Beschluß, daß i m Falle der Annahme des GG durch die vorgeschriebene Zweidrittelmehrheit der Länder das GG auch für Bayern rechtsverbindlich sein solle 5 6 , kann daher rechtlich nur deklaratorischer Char akter zugesprochen werden. Das GG beruht auf dem Willen aller deutschen Länder, die unter den Voraussetzungen des A r t . 144 Abs. 1 GG das Inkrafttreten des GG für den Bereich aller den B u n d h i n ; die Anerkennung k a n n aber n u r politischer N a t u r sein u n d gilt wechselseitig f ü r B u n d und Länder; vgl. a. Maunz-Dürig, A r t . 20 R N 11. 53 So ζ. B. Haegert, N J W 1961, S. 1137. 54 Contrat social, 1. Buch, 5. Kapitel. 55 Ebenso Herzog, D Ö V 1962, S. 86/87 Fußn. 50. 56 S. Bayer. Staatsanzeiger Nr. 21 v o m 27.5.1949; zuzustimmen daher dem Landtagsabgeordneten Linnert (s. Bayer. Staatsanzeiger a.a.O.), daß die zweite Abstimmung des Landtages (sc. rechtlich) überflüssig war. — A m 15. Jahrestag der Verkündung des G G w a r übrigens Bayern — sofern der Verf. recht u n t e r richtet ist — das einzige L a n d i n der BRD, das diesem Tag i n den Schulen eine Gedenkstunde widmete. Tempora m u t a n t u r ! 57 So aber Apelt, Festgabe f ü r Kaufmann, S. 14; Schnorr, AöR 76, S. 260 m i t Fußn. 4. 58 Nach Barbey , D Ö V 1960, S. 573, w a r A r t . 144 Abs. 1 GG i m Z e i t p u n k t der Beschlußfassung durch die deutschen Länder bereits geltendes Recht.

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— auch der m i t nein stimmenden — Länder w o l l t e n 5 9 ; und da die deutschen Landtage — wenngleich sie insofern kein Mandat ihrer Wähler hatten — jeweils i n „Vertretung" ihres Landesvolkes handelten, kann die Formulierung der Präambel des GG, wonach das Deutsche Volk i n den Ländern das GG beschlossen hat, insoweit auch hingenommen werden. Doch sollte auf den Wortlaut der Präambel nicht solches Gewicht gelegt werden 6 0 ; vor allem sollte man m i t ihr nicht juristisch argumentieren; dies schon deswegen nicht, w e i l sie — wie bereits Nawiasky^ 1 zu Recht bemerkt — m i t den Tatsachen keineswegs übereinstimmt; denn das Deutsche V o l k selbst hatte niemals Gelegenheit, zum GG i n einem unmittelbaren Referendum ausdrücklich Stellung zu nehmen. Seine Zustimmimg ist daher — besser — i n der permanenten „stillschweigenden" Anerkennung (sc. des GG), die spätestens i n der Teilnahme an der Wahl zum ersten Deutschen Bundestag sichtbar wird, zu sehen 62 . Aus den genannten Gründen ist es daher abwegig, zu meinen, daß sich die neu „errichtete" Bundesgewalt nur deshalb auch auf den Raum des ablehnenden Landes erstrecken kann, w e i l das negativ votierende Land seine Unterlegenheit erkannte und wohl oder übel das Bestehen des Bundesgewaltträgers anerkannte 6 3 . Als Ergebnis soll hier festgehalten werden, daß 1949 die elf westdeutschen Länder durch ein meta juristisch-soziologisches Ereignis ihre Staatsgewalt — auf der Ebene der Verfassung — auf bestimmte Sachgebiete beschränkt haben, so daß — auf der Ebene der Verfassung — ein freier Raum entstand, i n dem von nun an der Bund seine Hoheitsgewalt ausüben konnte und kann. Ebenso wie die deutschen Länder ihre Staatsgewalt nicht durch Abtretung seitens der Siegermächte erworben haben, beruht auch die Staatsgewalt des Bundes nicht auf einer Abtretung von Hoheitsrechten durch die Länder. Der Bund wäre anderenfalls nicht m i t einer einheitlichen Gewalt begabt, sondern fände sich lediglich m i t einem Bündel konkreter Einzelbefugnisse ausgerüstet 6 4 . Sollte man, ausgehend von dem Weiterbestand des Deutschen Reiches nach 1945 und der Identität der Bundesrepubik Deutschland 59

Dies gegen Schäfer, Bundesrat, S. 28 Fußn. 3. Vgl. nur Neuhoff, D Ö V 1952, S.260; Haegert, N J W 1961, S. 1137; MaunzDürig, A r t . 20 R N 9' m. weit. Nachw. 61 Grundgedanken des GG, S. 12, 77; ebenso H. Schneider, N J W 1954, S. 937. 62 So z.B. auch H. Schneider (Anm. 61); dagegen polemisierend Nyman, S. 13 Fußn. 5. 63 So aber Usteri, S. 172, 329/30, bezogen auf die Gründung der modernen Schweiz i m Jahre 1848; Hervorhebung hier vorgenommen. 64 Herb. Krüger, D Ö V 1959, S.722; ebenso Schüle, ZaöRV 16, S. 243/44; Herzog, DÖV 1962, S. 84; Barbey % DÖV 1960, S. 572 Fußn. 45; ebenso MaunzDürig, A r t . 24 R N 7 aa, f ü r die „Übertragung" v o n Hoheitsrechten nach A r t . 24 GG. 60

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§ 2 Der juristische Bundesstaatsbegriff

m i t diesem, das seit 1934 ein Einheitsstaat war, die Gründung der Bundesrepublik Deutschland i n einer Umwandlung des früheren deutschen Einheitsstaates i n einen Bundesstaat erblicken 6 5 , so müßte man die Länder als i n ein vom Einheitsstaat „geschaffenes" Hoheitsvakuum eintretend ansehen. Eine Abtretung (im technischen Sinn) von Hoheitsrechten wäre auch nach dieser Auffassung nicht anzunehmen 66 . Wenn auch — wie bei der Neugründung des Deutschen Reiches 1870/71 — der Schaffung eines Bundesstaates der Abschluß völkerrechtlicher Verträge vorausgeht, so beruht dennoch die Hoheitsgewalt der neu errichteten Zentrale nicht auf einer Übertragung, vielmehr ist die völkerrechtliche Verpflichtung durch Erfüllung erloschen und an ihre Stelle ein neuer staatsrechtlicher Hoheitsträger g e t r e t e n 6 7 , 6 8 . Staatsgewalt läßt sich wegen des ihr begrifflich notwendigerweise anhaftenden Merkmals der Unabgeleitetheit nicht abtreten und übertragen. Sie hat — in demokratischen Ländern — ihren Ursprung i m eigenen Volk, nicht i n fremden Staaten. I n den letzten Jahren gab es, teilweise geradezu von Tag zu Tag, Gelegenheit, die Entstehung neuer Staaten zu beobachten. Der Aufstieg der ehemaligen Kolonien europäischer Länder zu selbständigen Staaten vollzog sich keineswegs i n der Form vertraglicher Übertragung von Hoheitsrechten 69 , sondern die Staatsgewalt der neuen Staaten entstand originär, nachdem sich die Staatsgewalt der ehemaligen Kolonialmächte zuvor zurückgezogen hatte. Es w i r d hier nicht verkannt, daß es sich bei diesen staatlichen Neugründungen u m ein räumliches Zurückweichen der Staatsgewalt (der europäischen Staaten) handelt, während bei der Gründung eines Bundesstaates die Beschränkung der Staatsgewalt—sei es des ursprünglichen Einheitsstaates oder mehrerer Gründerstaaten — i n sachlicher Hinsicht erfolgt 7 0 . Es fragt sich nun, wie sich eine derartige Beschränkung der Staatsgewalt m i t dem Begriff des Staates verträgt: 65 So Kölble, DÖV 1962, S. 586 f. m. weit. Nachw.; dagegen Maunz, Staatsrecht, S.179. 66 So auch Kölble, a.a.O., S. 585; — hinsichtlich der Originarität der Bundesund Gliedstaatsgewalt erscheint es daher müßig, über den Modus der E n t stehung der B R D — Zergliederung eines Einheitsstaates oder Zusammenschluß der Länder zu einem Bundesstaat — zu diskutieren. 67 So Erler, W D S t R L 18, S. 14; a. A . Jerusalem, Staatsidee des Föderalismus, S. 37 f.; s. a. Brie, Staatenverbindungen, S. 130. es Die B R D beruht daher nicht, w i e das BVerfG (vgl. n u r E 1, S. 315; 6, S. 361; insbes. E 13, S. 78) annimmt, auf einem Bündnis der deutschen Länder, sondern auf einem an Rechtsnormen nicht meßbaren (außerrechtlichen) Ereignis; wie hier auch Schmidt, AöR 87, S. 279; vgl. auch die K r i t i k an der A u f f. des BVerfG bei Fuß, D Ö V 1964, S. 38/39 m i t Fußn. 13. 69 Dies ist — soweit ersichtlich — auch noch nicht behauptet worden. 70 Vgl. dazu die klaren Ausführungen bei Hausmann, AöR 33, S. 85 f.

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Nach Seydel ist jegliche Beschränkung der Staatsgewalt m i t dem Begriff des Staates unvereinbar; sie, die Staatsgewalt, ertrage neben sich keine andere Gewalt. Auch bei Usteri 72 ist letztlich die Unmöglichkeit der Beschränkung der Staatsgewalt, auch wenn sie auf dem Willen des sich beschränkenden Staates beruht, das entscheidende Argument gegen die Möglichkeit des Staatenstaates. Diese Auffassung übersieht vor allem die Möglichkeit der unabänderlichen Verfassungsentscheidung, durch die die verfassungsgebende Gew a l t den von ihr eingesetzten (verfaßten) Organen „ewige" rechtlich verbindliche Schranken auferlegen kann. Als Träger der umfassenden Staatsgewalt ist i m demokratischen Staat das V o l k i n der Lage, den diese Staatsgewalt ausübenden Verfassungsorganen — nicht sich selbst 7 3 — Schranken aufzuerlegen, dergestalt, daß eine Revision der vom Volk getroffenen Grundsatzentscheidung nur mehr „ i m Wege eines Bruches der eigenen Rechtsordnung möglich" 7 4 ist. Es ist selbstverständlich, daß derartige irrevisible Verfassungsentscheidungen Änderungen durch Revolutionen nicht verhindern können; entscheidend ist nur, daß eine Änderung dieser „Staatsfundamentalnormen" 7 5 auf rechtlichem Wege nicht möglich ist. Die Länder können folglich den Willensakt von 1949, der zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland führte, Rechtens nicht mehr rückgängig machen. Sie haben ihre Staatsgewalt beschränkt. Diese Beschränkung der Staatsgewalt, die insbesondere in den Kompetenzverteilungsnormen sichtbar wird, w i r d Bestandteil der Bundes- und Gliedstaatsverfassungen 76 . Die Beschränkung ist nun nicht etwa dinglich zu verstehen derart, daß die Länder i m Bereich des „Verzichts" nie mehr von ihrer Staatsgewalt Gebrauch machen könnten 7 7 . Ein kurzer Hinweis auf die mögliche Auflösung der Zentralstaatsgew a l t durch Revolution oder Krieg mag dies unterstreichen; es besteht kein Zweifel, daß die deutschen Länder i n diesem Fall „ohne weiteren Rückübertragungsakt", der bei den vorausgesetzten Ereignissen auch gar nicht möglich wäre, zur Wiederaufnahme der staatlichen Befugnisse imstande wären, auf deren Gebrauch sie vormals „verzichtet" hatten 7 7 . Die Beschränkung der Staatsgewalt hat man sich vielmehr als einen „Vorgang auf der Ebene der Verfassung" 78 zu denken m i t der Folge, daß allen i m „Verzichtsraum" dennoch vorgenommenen Staatsakten 71

S. oben § 3 I I 2. S. oben § 2 I I 5 b. I m einzelnen w i r d auf die Möglichkeit unantastbarer Verfassungsnormen noch eingegangen werden; s. unten § 3 11—3. 74 Nawiasky, Bundesstaat, S. 145. 75 Dieser Ausdruck stammt v o n Nawiasky, Rechtslehre, S. 33 ff. 76 Nawiasky, Bundesstaat, S. 23; ebenso Herzog, D Ö V 1962, S. 85, unter Berufung auf Nawiasky. 77 Herzog, D Ö V 1962, S. 84. 78 Herzog, D Ö V 1962, S. 85; s. dazu vor allem unten § 3 I 3. 72

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der Makel der Verfassungswidrigkeit anhaftet 7 9 ; andererseits läßt eine so verstandene Beschränkung der Staatsgewalt ein Tätigwerden auch i m Verzichtsraum — ζ. B. nach erfolgter Änderung der Kompetenzverteilung — ohne weiteres wieder zu. Derart beschränkte Staatsgewalten sind nicht bruchstückhaft oder zerstückelt m i t der Folge, daß man ihnen das Merkmal der Staatlichkeit absprechen müßte; denn das Wesen der Staatlichkeit eines Gemeinwesens besteht nicht i n der Fähigkeit, alle Hoheitsrechte zu „besitzen", sondern sie „besitzen" zu können 8 0 . A m Wesen der recht verstandenen Einheitlichkeit und Unbeschränkbarkeit der Staatsgewalt ändert sich nichts durch den E i n t r i t t des Trägers dieser Staatsgewalt i n einen Bundesstaat. Seydels kompromißlose Ablehnung des Bundesstaatsbegriffs beruht darauf, daß er die staatsrechtlichen Begriffe einseitig aus dem historischen Normaltypus des Staates, dem Einheitsstaate, ableitete und einseitig auf i h n zuspitzte, daß er den Einheitsstaat statt zum Objekt zum Ausgangspunkt aller staatsrechtlichen Betrachtungen machte und übersah, daß auch der Einheitsstaat nicht mehr und nichts anderes ist als eben eine spezifische Erscheinungsform des Staates überhaupt, wenn auch seine vollkommenste und historisch regelmäßigste 81 . Gegenüber Usteri ist nochmals 82 hervorzuheben, daß Beschränkungen staatlicher Gewalt ohne Verlust der Unabgeleitetheit und damit der Staatlichkeit möglich und früheren 8 3 wie auch geltenden Verfassungen 84 durchaus geläufig sind. Es ist denn auch bezeichnend, daß Usteri, obwohl schier unübersehbares Material verarbeitend, auf Erscheinungen wie die des A r t . 79 Abs. 3 GG nicht eingeht. Somit ergibt sich, daß i n einem Bundesstaat und damit auch i n der Bundesrepublik Deutschland die Glieder wie der Bund über ursprüngliche, d. h. nicht voneinander und auch nicht von anderen Gemeinwesen abgeleitete Hoheitsgewalt verfügen, daß sie Staaten sind 8 5 . 79

Vgl. Herzog, D Ö V 1962, S. 84. So schon Hausmann, AöR 33, S. 87; Erlers Ausführungen ( W D S t R L 18, S. 18), wonach für die Staatlichkeit eines Gemeinwesens die inhaltlose (!) herrschaftliche Kompetenz-Kompetenz i n dem Sinne zu fordern sei, daß ein Staat i n der atypischen Grenzsituation selbst entscheiden können müsse, welchen Lebensbereich seines Territoriums u n d seiner Bewohner er i n eigene Regie nehmen wolle, könnten insofern, als d a m i t auch die Möglichkeit einer Bindung der Staatsgewalt auf der Ebene der Verfassung geleugnet werden soll, nicht gebilligt werden, da sich anderenfalls i m Konfliktsfall tatsächlich Recht und Recht gegenüberstehen könnten. ei So Hausmann, AöR 33, S. 93. 82 S. a. unten § 3 I 3. 83 Vgl. z.B. A r t . 2 des französischen Verfassungsgesetzes v o m 14. 8. 1884: „ L a forme républicaine d'gouvernement ne peut faire l'objet d'une proposition de revision." 84 z . B . A r t . 79 Abs. 3 G G ; A r t . 75 Abs. 1 Satz 2 B V ; A r t . 139 der italienischen Verfassung v o m 27.12.1947; A r t . 112 der norwegischen Verfassung v o m 17.5. 1814; s. a. unten A n m . 3 zu § 3. 85 Die Staatlichkeit der Länder beruht also ausschließlich auf der Ursprüng80

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Diese Staatsgewalten müssen natürlich gegenseitig abgegrenzt sein, sollen Kollisionen vermieden werden; dies geschieht i n der bekannten Weise der Aufteilung der Kompetenzen: nach dem Grundgesetz sind gesondert aufgezählte Sachgebiete, auf die die Länder „verzichtet" haben, dem Bund 8 6 , der übrig bleibende Teil hoheitlichen Betätigungsfeldes i n Form einer Komplementärklausel 8 7 den Ländern „zugewiesen" 88 . A u f diese Weise sind alle staatlichen Aufgaben erfaßt u n d zwischen Bund und Ländern 8 6 aufgeteilt. Theoretisch steht eindeutig fest, ob zur Regelung einer ganz bestimmten Materie der Bund oder die Länder zuständig sind 8 9 . Ein verfassungsgemäßes und damit rechtmäßiges Tätigwerden zentraler und territorialer Gewalt i n demselben Bereich ist daher rechtstheoretisch ausgeschlossen. Das von Usteri aufgeworfene Problem, daß i n einem Staatenstaat rechtmäßige Gewalt gegen rechtmäßige Gewalt stehen könne, erweist sich als Scheinproblem: Sein Beispiel des Streitfalls zwischen Frankreich und Schweden, der zuungunsten Schwedens entschieden werde, was bei anschließender Vollstreckung zum Konflikt rechtmäßiger Gewalten führen soll 9 0 , ist bereits i m Ansatz verfehlt. Usteri sagt nämlich nicht, welche Instanz diese Streitentscheidung trifft. Die Befugnis eines Gerichts, i n diesem Fall für die beteiligten Staaten verbindlich Recht zu sprechen, und die Befugnis bestimmter Organe, den Urteilsspruch des Gerichts zu vollstrekken, muß zuvor durch die beteiligten Staaten, ζ. B. durch völkerrechtlichen Vertrag, begründet worden sein 9 1 . Den Behörden des i m Rechtslichkeit ihrer Hoheitsrechte, nicht auf der historischen Tatsache, daß sie älter sind als das Reich (bzw. der Bund), daß sie souveräne Gemeinwesen waren, ehe der Bundesstaat gegründet worden ist; so aber ζ. B. Laband, Staatsrecht, 1.Bd., S. 106; die A r t und Weise der Entstehung eines Bundesstaates ist für die Staatlichkeit der Glieder rechtlich v ö l l i g irrelevant. 86 Der Gesamtstaat bleibt hier noch außerhalb der Betrachtung; s. dazu unten § 2 I V 3 b. 87 A r t . 30 GG. 88 Dazu Nawiasky, Bundesstaat, S. 21 ff. 89 Wenn es auch i n der Praxis manchmal schwierig sein mag, die Grenzen der Kompetenzen zu erkennen; hier geht es n u r u m die theoretische G r u n d satzfrage, die durch A r t . 30 GG i n Verb, m i t den übrigen Kompentenznormen des GG objektiv-rechtlich eindeutig geklärt ist; der Auff., die i n A r t . 30 GG eine ZuständigkeitsVermutung oder gar eine Beweislastregel sieht (so MaunzDürig, A r t . 30 R N 1 gegen v. Mangoldt-Klein, S. 750 ff.), vermag ich mich nicht anzuschließen; ob der B u n d oder das L a n d i n einer bestimmten Frage zuständig ist, ist eine nach der Verfassung zu entscheidende Rechtsfrage: hier gilt es, die Verfassung, d. h. objektive Rechtssätze, auszulegen, hier gilt es, zu erkennen und zu subsumieren; zu beweisen gibt es hier nichts; wie hier auch Fleiner-Giacometti, S. 81 m i t Fußn. 67; Lerche, W D S t R L 21, S. 77 m i t Fußn. 37; Kölble, D Ö V 1963. S. 660; kritisch zur Lehre von der Präsumtion der Zuständigkeit für die Einzelstaaten bereits Triepel, Festgabe für Laband, 2. Bd., S. 280 ff. m. weit. Nachw., u n d Lassar, HbdDStR 1, S. 309 f. 90 Usteri, S 166 f.; s. oben § 2 I I 5 b. 91 Anderenfalls ist die Gerichtsentscheidung wegen mangelnder Kompetenz unverbindlich u n d jede sich auf diese Entscheidung stützende E x e k u t i o n

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§ 2 Der juristische Bundesstaatsbegriff

streit unterlegenen Staates ist es dann nicht möglich, — wie Usteri meint — sich der rechtmäßigen Exekution m i t rechtmäßiger Gewalt zu widersetzen. Sie müßten die rechtmäßige Exekution selbstverständlich dulden. Es ist und bleibt rechtstheoretisch ausgeschlossen, daß rechtmäßige Gewalt gegen rechtmäßige Gewalt steht; eine Gewalt ist immer rechtswidrig. U n d so können auch i m Bundesstaat nur kompetenzgemäße Gewalt und kompetenzwidrige Gewalt aufeinanderprallen; die Lösung dieses Konflikts bereitet angesichts der Tatsache, daß die Ausübung kompetenzwidriger Gewalt immer rechtswidrig ist 9 2 , keine Schwierigkeiten. Usteris Argumente gegen die Möglichkeit des Staatenstaates, dessen Problem i n der Vermeidung rechtmäßiger gewaltsamer Zusammenstöße besteht, können — wie der Verfasser gezeigt zu haben glaubt— durchweg nicht überzeugen. Der Staatenstaat, und damit der Bundesstaat, ist möglich: mehrere unabgeleitete Rechtsordnungen können bei denselben Menschen ohne Gefahr rechtmäßiger gewaltsamer Konflikte bestehen. Ein Beispiel aus der Geschichte mag die Theorie der sachlichen Beschränkbarkeit der Staatsgewalt 9 3 bekräftigen (selbstverständlich nicht beweisen): das Großherzogtum Hessen gehörte von 1867 bis 1871 nur m i t den nördlich des Mains gelegenen Gebietsteilen zum Bundesstaat des Norddeutschen Bundes 9 4 . Die hessische Staatsgewalt war i n dieser Zeit i n den südlich des Mains gelegenen Gebieten imbeschränkt, i m nördlichen Teil sachlich beschränkt. Eine Lehre, die die Möglichkeit der Beschränkung staatlicher Gewalt ablehnt, ist unfähig, eine derartige Erscheinung zu erklären. Sollte etwa die sich kompetenzgemäß auf ganz Hessen einheitlich erstreckende Hoheitsgewalt i m nördlichen Teil des Landes als nicht staatlich, i m südlichen Teil als staatlich angesehen werden 9 5 ? Die Staatlichkeit des Bundes und der Glieder entspricht auch den Vorstellungen des Grundgesetzes. I n mehreren Formulierungen an bedeutenden und unbedeutenden Stellen bringt das GG zum Ausdruck, daß es den Bund und vor allem auch die Länder als Staaten ansieht: so kann man dem A r t . 20 Abs. 2 Satz 1 GG entnehmen, daß das Bundesvolk Träger der Bundesgewalt, das Landesvolk Träger der Landesgewalt, daß also insbesondere die Landes(staats)gewalt nicht von der rechtswidrig, so daß i h r die Behörden des betreffenden Staates rechtmäßige Gewalt entgegensetzen könnten. 92 Vgl. Herzog, D Ö V 1962, S. 84. 93 Die immer n u r auf der Ebene der Verfassung zu denken ist. 94 S. dazu ζ. B. Haenel, Studien I, S. 69. 95 Z u diesem Ergebnis müßte Usteri gelangen.

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Bundes(staats)gewalt abgeleitet, sondern originäre Gewalt ist 9 6 · 9 7 . A r t . 30 GG spricht von der Ausübung staatlicher Befugnisse und der Erfüllung staatlicher Aufgaben als einer Sache der Länder (soweit das GG keine andere Regelung trifft oder zuläßt). Trotz des unglücklichen Wortlautes dieser Norm w i r d man sagen können, daß sie die Staatlichkeit der Länder voraussetzt, ebenso wie A r t . 74 Nr. 8 GG. Des weiteren sind die Länder i m Rahmen des A r t . 32 Abs. 3 GG völkerrechtlich handlungsfähig; diese Vorschrift „beläßt" den Ländern ein Recht, das zwar nicht notwendig zum Staatsbegriff gehört, aber herkömmlicherweise nur Staaten, nicht Selbstverwaltungskörpern zukommt 9 8 . A r t . 79 Abs. 3 GG schließlich setzt die Staatsqualität der Länder nicht nur voraus, sondern garantiert sie sogar 99 . Noch deutlicher als das GG bestätigen teilweise die Verfassungen der deutschen Länder die Staatlichkeit der Glieder eines Bundesstaates. Vorbildlich i n dieser Hinsicht ist die Bayerische Verfassung vom 2.12. 1946, die i m ersten Abschnitt des ersten Hauptteils (Art. 1 bis 12) i n jedem A r t i k e l für Bayern mindestens einmal den Begriff des Staates i n Anspruch n i m m t 1 0 0 . Eine nüchterne Sprache führen i n der Regel die Landesverfassungen, die nach dem 23. 5.1949 i n K r a f t getreten sind. So bezeichnet sich das Land Nordrhein-Westfalen i n Art. 1 Abs. 1 Satz 1 seiner Verfassung vom 6. 6.1950 101 als Gliedstaat der Bundesrepublik Deutschland, um i m folgenden n u r noch den Begriff des Landes zu verwenden. Auffallend bescheiden ist die hanàessatzung (sic!) für Schleswig-Holstein vom 13.12.1949 102 , die als einzige Verfassung i n der Bundesrepublik Deutschland m i t geradezu ängstlicher Sorgfalt durch alle A r t i k e l der Satzung hindurch den Begriff des Staates vermeidet und i n A r t . 1 nur vom Land Schleswig-Holstein als einem Glied der Bundesrepublik Deutschland spricht. 96 Die Auslegung des A r t . 20 Abs. 2 Satz 1 GG ist umstritten; vgl. dazu Maunz-Dürig, A r t . 20 R N 46 ff., insbes. R N 48. 97 Ebenso Anschütz, Komm., 14. Aufl., S. 38 f., zur Auslegung des A r t . ? Abs. 2 WV. »s S. Nawiasky, Bundesstaat, S. 48 f.; ders., W D S t R L 12, S. 237 (Aussprache); v. Mangoldt, Komm., S. 134; Scheuner, DVB1. 1950, S. 482 m. w e i t Nachw. 99 Vgl. Maunz-Dürig, A r t . 79 R N 33; Herzog, DÖV 1962, S. 82 Fußn. 14; G. Kaiser, DÖV 1961, S. 656; i m einzelnen dazu unten § 4 I I 1. 100 Diese übermäßige Betonung der Staatlichkeit durch den Bayerischen Verfassungsgeber w i r d m a n aus der verworrenen Nachkriegssituation zu v e r stehen haben, i n der das deutsche V o l k durch den Verlust einheitlicher Staatsführung der äußeren Einheit entbehrte; nach 1945 w a r es Aufgabe der p o l i t i schen Führung, das Staatsbewußtsein des deutschen Volkes wieder zu beleben, und v o r diese Aufgabe sah sich auch der Bayerische Verfassungsgeber von 1946 gestellt. 101 S. GVB1. für das L a n d Nordrhein-Westfalen, 1950, S. 127. 102 S. GVB1. für das L a n d Schleswig-Holstein, 1950, S. 3.

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§ 2 Der juristische Bundesstaatsbegrif

Diese Beispiele wollen nun keineswegs als (zusätzlicher) „Beweis" für die Staatlichkeit der Glieder eines Bundesstaates, insbesondere der Bundesrepublik Deutschland, verstanden werden; es sollte lediglich m i t einem Blick auf den Sprachgebrauch der geltenden deutschen Verfassungen 1 0 3 die Erörterung über die Staatsqualität der Bundesstaatsglieder abgeschlossen werden. A l l dies führt zu dem Ergebnis, daß Bund und Länder — i m Bundesstaat — Staaten, deren Gewalt sich auf je verschiedene Gegenstände erstreckt, also Teilstaaten sind; und da jede Staatsgewalt souverän i s t 1 0 4 , kann man Bund und Länder als souveräne Teilstaaten bezeichnen 105 . b) Die Staatlichkeit

des Gesamtstaates

Bisher war von der Staatlichkeit der Länder und des Bundes die Rede, wobei unter dem Bund der „Zentralstaat", der nur einen Teil der bundesstaalichen Gesamtheit bildet, zu verstehen war. I m folgenden steht nun der Begriff des Gesamtstaates als Bund und Länder verbindender Einheit, insbesondere die umstrittene Frage, ob diesem Gesamtstaat Staatlichkeit zugesprochen werden kann, zur Diskussion. Das Argument schlechthin, das seit jeher gegen die Staatlichkeit des Gesamtstaates vorgebracht wird, ist der Hinweis auf den Mangel an Rechten und Pflichten, den Mangel an Kompetenzen dieses Gesamtstaates; die Kompetenzen seien i n einem Bundesstaat — so heißt es — lückenlos zwischen B u n d und Ländern aufgeteilt. Dem Gesamtstaat fehle es an der Staatsgewalt, weshalb er kein Staat sein k ö n n e 1 0 6 ' 1 0 7 . Art. 30 GG ist die zentrale Bestimmung, die gegen die Staatlichkeit des Gesamtstaates sprechen soll. Es ist bereits einmal darauf hingewiesen worden, daß eine Verfassungsnorm nicht i n der Lage ist, eine rechtstheoretische Frage verbindlich zu entscheiden 108 ; i m übrigen kann A r t . 30 GG eine lückenlose loa das ausländische Recht vgl. z. B. A r t i c l e I, Section 2 USC, w o — wie i n anderen A r t i k e l n auch — von den Bundesgliedern als „States" die Rede ist; A r t . 1, 3, 5 SBV erkennen den Schweizerischen Kantonen Souveränität (!) zu; nach A r t . 2 des österreichischen Bundes-Verfassungsgesetzes i. d. F. von 1929 w i r d der Bundesstaat Österreich aus „selbständigen Ländern" gebildet. 104 s. oben, S. 18. 105 So insbesondere auch Maunz-Dürig, A r t . 20 R N 5, i m Anschluß an Nawiasky, Bundesstaat, S. 47 f.; s. a. Schmidt, AöR 87, S. 274; — der Begriff des nicht-souveränen Staates, der an sich schon ein juristischer Unbegriff ist, erweist sich daher als f ü r den Bundesstaatsbegriff entbehrlich. 106 I m einzelnen s. oben § 2 I I I 3. 107 Die folgenden Ausführungen nehmen wiederum das geltende deutsche Recht als Ausgangspunkt, wollen aber w i e die über die Staatlichkeit des Bundes und der Länder allgemein, f ü r den Bundesstaat schlechthin, v e r standen werden. 108 S. oben § 2 I V 1.

I V . Die Theorie des dreigliedrigen Bundesstaatsbegriffs

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Aufteilung staatlicher Gewalt zwischen Bund und Ländern gar nicht entnommen werden: der Wortlaut dieser Bestimmung erwähnt den „Bund" — i m Gegensatz ζ. B. zu A r t . 70 GG — überhaupt nicht. Die Ausschließlichkeit des „Bundes" i m länderfreien Raum w i r d vielmehr erst i n die Norm des A r t . 30 GG hineininterpretiert, wobei die Interpretation offensichtlich bereits auf dem Boden der zweigliedrigen Bundesstaatslehre steht; denn nach der dreigliedrigen Bundesstaatslehre ist i m Rahmen des A r t . 30 GG neben der Hoheitsgewalt der Länder durchaus Raum für eine Hoheitsgewalt des Bundes und eine solche des Gesamtstaates als zwei verschiedenen Hoheitsträgern 1 0 9 . M i t A r t . 30 GG läßt sich daher die Annahme der Existenz von Gesamtstaatsaufgaben neben Bundesaufgaben ohne Schwierigkeit vereinbaren. Z u den Gesamtstaatsaufgaben kann — unabhängig von konkreten Verfassungsnormen — wegen der für Bund und Länder i n gleicher Weise bedeutenden Auswirkungen insbesondere die Abgrenzung der Zuständigkeit zwischen Zentralstaat und Gliedstaaten und die Regelung ihrer gegenseitigen Rechte und Pflichten gerechnet werden. Weiter kommt die Vertretung der Gesamtheit nach außen gegenüber dritten Staaten i n Frage m i t der Folge, daß die komplexe Struktur der Gemeinschaft gar nicht sichtbar wird, soweit nicht ausnahmsweise den Gliedstaaten eine gewisse Repräsentation vorbehalten b l e i b t 1 1 0 . Wohl ist die aktuelle Staatsgewalt des Bund und Länder umfassenden Gesamtstaates begrenzt, potentiell erstreckt sie sich auf die Summe der bundesstaatlichen Gewalten schlechthin. Die Existenz des Gesamtstaates scheitere aber — so meint die Lehre vom zweigliedrigen Bundesstaat — jedenfalls daran, daß das GG für den sog. Gesamtstaat keine Organe vorsehe, was nicht auf ein Versehen des Verfassungsgebers, sondern darauf, daß dieser keine getrennten Rechtssubjekte gesehen habe, zurückzuführen sei 1 1 1 . Nawiasky 112 und Kelsen 113 begegnen diesem Argument damit, daß sie Identität der Zentral- und Gliedstaatsorgane bzw. Identität der Zent r a l · und Gesamtstaatsorganträger annehmen. Diese Konstruktion hat 109

Dies vor allem gegen Herzog, D Ö V 1962, S. 83. So Nawiasky, Staatslehre, 3. Teil, S. 159; zur völkerrechtlichen Stellung des Bundesstaates vgl. a. Mosler, Festschrift für Thoma, S. 129 ff.; Menzel, W D S t R L 12, S. 206; Berber, 1. Bd., S. 144 m. weit. Nachw.; aus dem älteren Schrifttum s. z.B. Waitz, Grundzüge, S. 186; allg. Meinung dürfte sein, daß die komplexe S t r u k t u r des Bundesstaates nach außen nicht i n Erscheinung t r i t t , sondern n u r innerhalb des Bundesstaates W i r k u n g entfaltet. 111 So z.B. Schäfer, N J W 1961, S. 1283; ebenso Haegert, N J W 1961, S. 1138; G. Kaiser, DÖV 1961, S.657f.; Schmidt, AöR 87, S.295; vgl. a. Usteri, S. 219 m. weit. Nachw. 112 Grundgedanken des GG, S. 36; ders., Staatslehre, 2. Teil, 2. Bd., S. 203, 3. Teil, S. 160; vgl. demgegenüber Maunz-Dürig, A r t . 24 R N 13 c. « * Staatslehre, S. 199 f.; ders., Festgabe f ü r Fleiner, S. 127 ff., insbes. S. 130 ff. 110

5 Harbich

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§ 2 Der juristische Bundesstaatsbegriff

i n der Literatur generell ablehnende K r i t i k erfahren 1 1 4 . Es erhebt sich vor allem auch die Frage nach der Notwendigkeit dieser Konstruktion, — m. a. W.: bedarf denn der Gesamtstaat zu seiner Existenz eigener Organe? K a n n ein Staat ohne eigene Organe (sc. rechtlich) nicht bestehen? Die herrschende Meinung schließt vom Mangel der Gesamtstaatsorgane auf die Nichtexistenz dieses — neben dem Bunde selbständigen— Gesamtstaates; für sie ist die Existenz eigener Organe eine Frage der Existenz des Staates schlechthin. Zur Klärung dieses Problems sei zunächst ein kurzer Blick auf die Rechtslage Deutschlands nach dem Zusammenbruch von 1945 gerichtet: Dem Deutschen Reich fehlte i n der Zeit nach 1945 eine eigene Regierung, Gesetzgebung, Justiz, Verwaltung; jedes gesamtdeutsche Organ war verschwunden, alle gesamtdeutschen Institutionen waren aufgelöst. Das Deutsche Reich verlor damit seine Willens- und Handlungsfähigkeit, ist jedoch als staatliche Einheit rechtsfähig geblieben 115 , was denn auch von der ganz überwiegenden Meinung i n Literatur und Rechtsprechung anerkannt i s t 1 1 6 . Die Auflösung der deutschen Reichsorgane bedeutete aber keineswegs den Untergang der deutschen Staatsgewalt; diese blieb bestehen, sie hatte i n der ersten Zeit nach dem Zusammenbruch lediglich keinen deutschen Träger. Die deutsche Staatsgewalt war wenn auch nicht der Substanz, wohl aber der Ausübung nach auf die Besatzungsmächte übergegangen. Sie war ihrem Wesen nach deutsche Staatsgewalt geblieben, sie wurde nur von fremden Mächten durch deren Organe ausgeübt. Deutsche Rechte wurden demnach durch fremde Organe ausgeübt 1 1 7 . Die Ausübung der deutschen Staatsgewalt „ihrer ganzen Fülle nach" 1 1 8 durch die Besatzungsmächte erfolgte i n der Form der Treuhänderschaft, was insbesondere bedeutet, daß die alliierten Kontrollorgane die deutsche Staatsgewalt i m Interesse der deutschen Bevölkerung, des deutschen Staates wahrzunehmen hatten 1 1 9 . 114 Zuletzt durch Scheuner, D Ö V 1962, S. 644. us So Grewe, Besatzungsstatut, S. 78 m. weit. Nachw. 116 Vgl. nur v. d. Heydte, V V D S t R L 13, S. 17; Zinn, AöR 75, S. 294; Friesenhahn, in: Recht—Staat—Wirtschaft I, S. 42; Friauf, Die Staatenvertretung i n supranationalen Gemeinschaften, M a r b u r g 1960, S. 50; Nyman, S. 15: Κ . H. Klein, S. 40 m. weit. Nachw.; BVerfGE 3. S.3191; BVerwGE 6, S.353; 11, S. 160; BGHZ 13, S. 292 if.; a. Α. Nawiasky, Grundgedanken des GG, S. 7/8; Kelsen, The legal status of Germany according to the declaration of Berlin, in: American Journal of International Law, Bd. 39, 1945, S. 518; von der Reinen Rechtslehre her überrascht Kelsens Auffassung; vgl. dazu die zutreffende K r i t i k bei Dürig, V V D S t R L 13, S. 28. 117 So Grewe (Anm. 115), S. 80; i h m folgend BGHZ 13, S. 294; a. A . ν . d. Heydte (Anm. 116), S. 16; Scheuner, D V B l . 1950, S.482; Rumpf, JZ 1958, S. 516 m. weit. L i t e r a t u r - und Rechtsprechungsnachw.; vgl. dazu a. Maunz, Staatsrecht, S. 389 ff. us Grewe (Anm. 115), S. 83. Ii» Grewe (Anm. 115), S. 87 ff.; i h m folgend BGHZ 13, S. 294.

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Der Verfasser ist sich bewußt, daß er sich m i t diesen Ausführungen i n den Bereich des Völkerrechts begeben hat, dessen Begriffe und I n stitute nicht ohne weiteres i n das Staatsrecht übernommen werden können; i n der eben wiedergegebenen Darstellung der Rechtslage Deutschlands von und nach 1945 kommt aber die Anerkennung der Existenz eines Staates ohne eigene Organisation zum Ausdruck; und diese Erscheinung eines Staates ohne eigene Organisation scheint m i r nicht auf die Sphäre des Völkerrechts beschränkt sein zu müssen, sondern allgemeiner staatstheoretischer Natur zu sein, die — dem Völkerrecht geläufig — für das innerstaatliche Recht nutzbar gemacht werden kann. Generell ist also zwischen Staatsgewalt und Staatsorganisation zu unterscheiden, der Staatsgewalt als dem Bereich geistiger Realität und der Staatsorganisation als dem rein tatsächlichen Bereich zugehörig 1 2 0 . I n der Regel w i r d die Staatsgewalt eines Staates i n eigener Organisation (sichtbar) i n Erscheinung treten; doch ist die eigene Organisation kein Element des juristischen Staatsbegriffs. Dieser Rechtsfigur des Staates ohne eigene Staatsorganisation entspricht nun auch der Bundesstaat als Gesamtstaat. Die mangelnde Organisation des Gesamtstaates läßt sich vom GG ablesen, sie w i r d nicht bestritten; hier w i r d lediglich behauptet, daß diese „Tatsache" nichts für und gegen die Staatlichkeit des Gesamtstaates besagt 1 2 1 . Die Staatsgewalt des Gesamtstaates w i r d mangels eigener Organisation von Bundesorganen wahrgenommen 1 2 2 ; diese sind also teils m i t Bundes- ( = Zentralstaats-) Aufgaben, teils m i t Gesamtstaatsaufgaben betraut. I n jedem Fall aber bleiben sie Bundesorgane. Diese Doppelf u n k t i o n 1 2 3 w i r k t sich ζ. B. so aus, daß die psychologische Einstellung der Bundesorgane anders orientiert sein sollte, je nachdem sie die die Interessen der Zentralgewalt und der Gliedstaatsgewalten umfassenden Gesamtheit oder nur die Interessen der Zentralgewalt zu vertreten haben 1 2 4 . So müssen sich die Bundesorgane beim Abschluß eines völkerrechtlichen Vertrages bewußt sein, daß sie für die Gesamtheit auftreten, deren Interessen dann zuvörderst Beachtimg v e r d i e n e n 1 2 5 ' 1 2 6 , während es bei einem Abkommen zwischen Bund und Ländern durchaus zulässig (i. S. von rechtmäßig) erscheint, wenn Bundes- und Landesorgane bei 120

Vgl. dazu Dürig, W D S t R L 13, S. 28 ff. Dies gegen Scheuner, D Ö V 1962, S. 644; Haegert, N J W 1961, S. 1138; G. Kaiser, DÖV 1961, S. 657. 122 So früher auch Nawiasky, W D S t R L 12, S. 236 (Aussprache); zu seiner späteren A u f f. s. oben A n m . 112. 123 Vgl. dazu a. Κ . H. Klein, S. 46. 124 So Nawiasky, Staatslehre, 3. Teil, S. 160. 125 M i t Hilfe der Bundestreue ließe sich eine Interessenverletzung verfassungsgerichtlich nachprüfen; auch hier zeigt sich wieder die Gesamtstaatsbezogenheit der Bundestreue. 126 Allg. zum Problem der Treuhandschaft s. Berber, 1. Bd., S. 160. 121

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§ 2 Der juristische Bundesstaatsbegrif

Regelung der finanziellen Beteiligung an einem gemeinsam auszuführenden Projekt i n erster L i n i e ihre eigene Interessenlage zum Ausgangspunkt ihrer Verhandlungen nehmen. Die Ausübung der Gesamtstaatsgewalt erfolgt durch Organe des Bundes, durch — von der Gesamtheit her gesehen — fremde Organe. Bundesorgane üben also zum Teil auch fremde Staatsgewalt aus. Für dieses Rechtsverhältnis zwischen Zentral- und Gesamtstaat soll auch das dem völkerrechtlichen Bereich vertraute Rechtsinstitut der Treuhänderschaft i n Anspruch genommen werden. Der Zentralstaat handelt demnach bei Ausübung der Gesamtstaatsgewalt nach A r t eines Treuhänders, w o m i t auch die Pflicht zur Beachtung der Gesamtstaatsinteressen zum Ausdruck k o m m t 1 2 7 . Die vom Bund i n Treuhänderschaft für den Gesamtstaat gesetzten A k t e werden dem Gesamtstaat zugerechnet und sind für Bund und Länder i n gleicher Weise bindend, wie insbesondere das Beispiel der Kompetenzverteilung zeigt. Wenn sich von einer derartigen Doppelaufgabe bundesstaatlicher I n stitutionen i m Verfassungsrecht keine Spur findet 128, so kommt das daher, daß auf Herrenchiemsee und i m Parlamentarischen Rat die Vorstellung eines dreigliedrigen Bundesstaates nicht bewußt geworden ist. Die Treuhänderschaft des Zentralstaates konnte daher eine ausdrückliche Regelung i m GG nicht erfahren, so daß es lediglich darauf ankommen kann, ob sich die Doppelfunktion des Zentralstaates m i t den Grundsätzen unserer Verfassung vereinbaren läßt. Scheuner meint dazu, daß sie „dem demokratischen Grundsatz widersprechen würde, da die Tätigkeit für den ,Gesamtstaat' schwerlich der Kontrolle des Parlaments, das n u r dem Zentralstaat angehört, unterliegen k ö n n t e " 1 2 9 . Dieses Argument w i r d offensichtlich darauf gestützt, daß unter Demokratie nicht Herleitung der Staatsgewalt von irgendeinem Volk, sondern vom Staatsvolk des konkreten Staates zu verstehen i s t 1 3 0 . Dem ist als Grundsatz i n vollem Umfang zuzustimmen. Doch wie so mancher Grundsatz unserer Verfassung 1 3 1 ist auch dieser nicht ausnahmslos 127 I m Bund-Länder-Verhältnis ist übrigens die Treuhänderschaft i m Rahmen der Reichsexekution bzw. des Bundeszwanges ein v o n der Rechtswissenschaft allg. anerkanntes I n s t i t u t ; vgl. n u r Maunz-Dürig, A r t . 37 R N 55 m. weit. Nachw. 128 Wie Scheuner, D Ö V 1962, S. 644, einwendet. 129 Scheuner, a.a.O. 130 So Maunz-Dürig, A r t . 20 R N 48 (gegen Zinn, AöR 75, S. 294, 296); ebenso Herzog, DÖV 1962, S. 86; zur Durchbrechung des A r t . 20 Abs. 2 Satz 1 GG Thieme, J Z 1955, S. 657 ff. 131 Erinnert sei nur an den i n A r t . 20 Abs. 2 Satz 2 GG verankerten Grundsatz der Gewaltenteilung u n d dessen Durchbrechung i n A r t . 80 GG; man könnte beispielsweise auch zweifeln, ob Organisation u n d Stellung des Bayerischen Senates (vgl. A r t . 34 ff. BV) m i t strengen demokratischen Grundsätzen vereinbar sind; positiv äußern sich Maunz-Dürig, A r t . 28 R N 16/17; Nawiasky-Lechner, S. 47, u n d jetzt auch Nawiasky-Leusser-Schweiger-Zacher, A r t . 34 R N 6.

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durchgeführt. Gedacht ist hierbei u. a. an den Bundesrat, i n dem die ganz herrschende Meinung zu Recht ein Verfassungsorgan des Bundes sieht 1 3 2 ; mag man ihn auch wegen seiner Zusammensetzung politisch als ein Organ der Länder betrachten 1 3 3 , von Rechts wegen ist er ein Bundesorgan; seine „Kompetenzen" sind Bundes„kompetenzen": er übt Bundesgewalt aus. Seine Gewalt aber leitet er nicht, wie es strengem demokratischem Grundsatz entsprechen müßte, vom Bundesvolk, sondern von den einzelnen Landesvölkern her. Obwohl i n der L i t e r a t u r 1 3 4 und i n der Rechtsprechung 135 generell die Möglichkeit der Ungültigkeit von Verfassungsnormen, die gegen Grundentscheidungen, hier insbesondere gegen den demokratischen Gedanken der Verfassung verstoßen, diskutiert wird, hat man bisher — soweit ersichtlich — die spezielle Frage nach der Vereinbarkeit der die Stellung des Bundesrates regelnden N o r m e n 1 3 6 m i t A r t . 20 Abs. 2 Satz 1 GG, der nach strenger Auffassung die Herleitung aller Staatsgewalt vom Staatsvolk des konkreten Staates fordert, noch nicht gestellt. Die Frage müßte auch zweifellos bejaht werden, da der Verfassungsgeber durchaus eine von den Verfassungsgrundsätzen abweichende Regelung treffen kann, solange er durch Zulassung solcher Ausnahmen 1 3 7 nicht zugleich gegen eine auch i h n bindende Norm „übergesetzlichen Rechts" verstößt 1 3 8 . Ein Verstoß gegen überpositive Normen ist hier nicht ersichtlich. So ist die Institution des Bundesrates, obwohl strengem demokratischem Grundsatz nicht entsprechend, dennoch verfassungsgemäß, vor allem deswegen, weil der „Wesensgehalt der Demokratie", der die Möglichkeit der Kontrolle der Ausübung hoheitlicher Gewalt durch das Volk verlangt, nicht angetastet ist; denn: wenn auch der m i t Bundesaufgaben befaßte Bundesrat seine Gewalt nicht vom Bundesvolk herleitet, sondern sich seine Mitglieder „ n u r " (mittelbar) auf den Willen des jeweiligen Landesvolkes stützen können, so entbehrt er doch gerade deswegen nicht einer demokratischen Legitimation 1 3 9 . Er unterliegt auf dem Weg über die Landesregierungen und Landesparlamente der Kontrolle durch „das Volk". M i t dem Grundsatz des A r t . 20 Abs. 2 Satz 1 GG, der ausnahmslos die Ausübung hoheitlicher Gewalt, die sich letzlich nicht 132

Statt aller Maunz-Dürig, A r t . 50 R N 1 u n d 5 m i t Fußn. 1 (auf S. 10). So Nawiasky, Grundgedanken des GG, S. 57. Ausführlich dazu Bachof, Verfassungswidrige Verfassungsnormen?, insbes. S. 36 ff.; ders., N J W 1952, S. 242 ff., 414; Apelt, N J W 1952, S. 1 ff., 733; vgl. a. Giese, DVB1. 1950, S. 458; Scheuner, in: Politische Treupflicht i m öffentlichen Dienst, F r a n k f u r t / M a i n 1951, S. 72 Fußn. 20. iss s. n u r BVerfGE 3, S. 225, 230, 234; Bay VerfGH, V G H 3, S. 29 ( = V e r w . Rspr. 2, S. 273); vgl. dagegen BGHZ 1, S. 274 ff. 136 Insbesondere A r t . 50 ff. GG. 137 Vgl. dazu Wheare, Föderative Regierung, S. 6. 138 So auch Bachof (Anm. 134), S. 38, u n d BVerfGE 3, S. 232 ff. 139 Vgl. Maunz-Dürig, A r t . 50 R N 8; s. a. Bericht über den Verfassungskonvent, S. 38 Nr. 6 a u n d Β 1. 183 134

§ 2 Der juristische Bundesstaatsbegriff

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auf das Volk — sei es Bundes- oder Landesvolk — zurückführen läßt, verbietet, ist die „Verfassung" des Bundesrates durchaus vereinbar. Aus eben diesem Grund kann auch die Wahrnehmung der Gesamtstaatsfunktionen durch den Zentralstaat nicht verfassungswidrig 1 4 0 » 1 4 1 sein. Die Zentralstaatsorgane werden mittelbar oder unmittelbar vom Volk gewählt. Ihre gesamte Tätigkeit — für Zentral- und Gesamtstaat — ist der Kontrolle des V o l k e s 1 4 2 unterworfen; das demokratische Prinzip ist gewahrt. Bei einigen Bundesorganen scheint auch der Verfassungsgeber „gespürt" zu haben, daß sie nicht nur Aufgaben des Zentralstaates, sondern auch solche der Gesamtheit von B u n d und Ländern, des Gesamtstaates, zu erfüllen haben. So w i r d der Bundespräsident nicht nur von Vertretern des Bundesvolkes gewählt, sondern von der Bundesversammlung, die aus den Mitgliedern des Bundestages und einer gleichen Anzahl von Mitgliedern, die die Länder entsenden, besteht 1 4 3 . Würde bereits — wie ein Teil der Vertreter der Zweigliedrigkeitslehre meint — der Zentralstaat die die Länder umfassende Gesamtheit und nicht nur einen neben den Ländern stehenden Teilstaat darstellen, so wäre es systemgerechter, die Wahl des Bundespräsidenten auch nur Vertretern dieser Gesamtheit, des Zentralstaates, anzuvertrauen. I n dem vom GG vorgeschriebenen Wahlverfahren dürfte aber wohl auch zum Ausdruck kommen, daß der Bund nicht die Gesamtheit und der Bundespräsident nicht nur „Exponent der Zentralgewalt" ist, sondern ebenso die Bundesrepublik als Gesamtstaat zu repräsentieren h a t 1 4 4 . Man ist daher auch fast versucht, die Bundesversammlung und (folgedessen auch) den Bundespräsidenten als Gesamtstaatsorgane anzusprechen. Ähnliches gilt für die Stellung des Bundesverfassungsgerichts, dessen Mitglieder je zur Hälfte vom Bundestag und Bundesrat gewählt werden 1 4 5 , was die Gesamtstaatsbezogenheit der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung bestätigt. Dennoch kann mit der h. M . 1 4 6 ohne Bedenken an der Bundesorganschaft des BVerfG festgehalten werden; es sollte nur darauf hingewiesen werden, daß es vielfach auch Gesamtstaatsfunktionen wahrnimmt und insofern durch Art. 94 GG auch legitimiert ist. 140

I m Sinne verfassungswidriger Verfassungsnormen. Auch nach Maunz, N J W 1962, S. 1644, ist es zulässig, daß ein Staat für andere Staaten bestimmte Funktionen übernimmt, die deswegen aber doch Funktionen der „vertretenen" Staaten bleiben. 142 Der Kontrolle des Bundesvolkes bzw. i m Falle des Bundesrates der Kontrolle der jeweiligen Landesvölker. 143 S. A r t . 54 Abs. 3 GG. 144 Vgl. Nawiasky, Grundgedanken des GG, S. 55. 145 S A r t . 94 Abs 1 Satz 2 GG 146 Vgl. n u r Herzog, DÖV 1962, S. 83 Fußn. 21 m. weit. Nachw.; s. a. § 1 BVerfGG; zur Gesamtstaatsorganschaft des Staatsgerichtshofs u n d Reichspräsidenten der Weimarer Republik vgl. Kelsen, Festgabe f ü r Fleiner, S. 168. 141

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I m Rahmen des Problems der Gesamtstaatlichkeit bereitet das Element des Staatsvolkes weniger Schwierigkeiten (als das der Staatsgewalt). Ein Staatsvolk, von dem der Gesamtstaat seine Gewalt herleitet, kann man i n Gestalt des Bundesvolkes und der Landesvölker erkennen, die gleichzeitig auch das Substrat der gesamtstaatlichen Gewalt bild e n 1 4 7 ; man denke beispielsweise an eine Änderung der Grundrechtsnormen, die — i n der Regel — die Rechtssphäre des einzelnen i n seiner Eigenschaft als Bundes- und Landesbürger betrifft. Man wende demgegenüber nicht ein, daß eine Summierung von Bundesvolk und Landesvölkern nicht möglich sei, da das Bundesvolk bereits die Summe der Landesvölker darstelle. Denn die Vorstellung, daß eine Vereinigung der Personen A, B, C und die Einzelpersonen A, B, C je für sich Mitglieder eines sie alle umfassenden Verbandes sind, begegnet keinerlei rechtlichen Konstruktionsschwierigkeiten. Der Raum, auf dem der Gesamtstaat seine Herrschaft entfalten, innerhalb dessen er jeden fremden Staat von der Machtausübung ausschließen kann, deckt sich m i t dem Bundesgebiet — eine Erscheinung, die dem Prinzip nach bereits vom Verhältnis des Bundes- zum Landesgebiet her geläufig i s t 1 4 8 . Nach der Theorie des dreigliedrigen Bundesstaatsbegriffs ist sonach „die Gesamtheit, gebildet aus Gliedstaaten und Zentralstaat, als ein selbständiges Rechtssubjekt, als ein eigener Hoheitsträger" 149 aufzufassen. Dieser dreifachen Staatlichkeit entspricht ein dreifacher Normenkreis: Rechtsnormen, die nur i n den einzelnen Ländern gelten, Rechtsnormen, die nur i m B u n d e 1 5 0 und solche, die i n der ganzen Bundesrepub l i k gelten 1 5 1 . So läßt sich der dreigliedrige Bundesstaatsbegriff ohne Schwierigkeiten m i t der KeZsen'schen Staat und Recht identifizierenden Theorie vereinbaren; ja, Kelsen war es gerade, der von seiner Reinen Rechtslehre her den dreigliedrigen Bundesstaatsbegriff i n die wissenschaftliche Diskussion einführte 1 5 2 . 147 Z u r Stellung des Volkes als Subjekt u n d Objekt vgl. G. Jellinek, Staatslehre, S. 406. 148 Statt aller s. Maunz, Staatsrecht, S. 21. 149 Nawiasky, Staatslehre, 3. Teil, S. 159; F. Klein, in: v. Mangoldt-Klein, S. 588, und Seifert-Geeb, Das Deutsche Bundesrecht, I A 10, S. 123, äußern sich ebenfalls ausdrücklich (positiv) zur „Staatlichkeit" des Gesamtstaates, w ä h rend die Vorstellung der übrigen Vertreter der Dreigliedrigkeitstheorie insofern unklar bleibt. 150 Z. B. A r t . 62 ff. GG. 151 Ζ. B. Grundrechte, A r t . 20, 21 GG u. v. a.; i n diesem Sinn auch Nawiasky, Grundgedanken des GG, S.37; s. a. Maunz-Dürig, A r t . 20 R N 19 m. weit. Nachw. i n Fußn. 1 (auf S. 9). 152 Erstmals — soweit ersichtlich — i n seiner Staatslehre, S. 199 f. (s. aber auch Nawiasky, Bundesstaat, S. 29/30) ; doch sieht Kelsen, Souveränität, S. 66, 280 ff., 287, i m Bundesstaat keinen Staatenstaat i. S. eines aus Staaten zu-

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§ 2 Der juristische Bundesstaatsbegrif

4. U n w e s e n t l i c h e E l e m e n t e Bundesstaatsbegriffs

des

Die bisherigen Bemühungen u m den Bundesstaatsbegriff haben sich bewußt der rein juristischen Methode bedient, da es n u r die rechtliche Seite des Bundesstaates aufzuzeigen galt. Politische Gesichtspunkte werden zu berücksichtigen sein, w e n n der Inhalt der Bundesstaatsgarantie zur Diskussion steht. Der Bundesstaat als Rechtsbegriff jedoch ist frei von politischer u n d soziologischer Betrachtung zu bestimmen, unabhängig von seiner konkreten Erscheinung 1 5 3 . Anderenfalls läuft man Gefahr, politisch beeinflußte Gestaltungen zu vermischen 1 5 4 und aus der konkreten Gestalt eines oder mehrerer Bundesstaaten auf Wesenselemente des abstrakten Bundesstaatsbegriffs zu schließen. Z w e i Beispiele mögen es beweisen: a) Föderatives

Organ

A l l e n drei deutschen Bundesverfassungen von 1871, 1919 u n d 1949 wie auch durchweg den ausländischen Bundesverfassungen, insbesondere der USA, der Schweiz u n d Österreichs, ist ein föderatives Zentralstaatsorgan eine „selbstverständliche" Erscheinung, wobei es i n diesem Zusammenhang nicht darauf ankommen soll, ob die Mitglieder dieses föderativen Organs j e vom Volk, Parlament oder der Regierung der Einzelstaaten entsendet w e r d e n 1 5 5 ; vielmehr interessiert lediglich das Phänomen, daß die Territorialgewalten eines Bundesstaates durchweg durch ein aus ihren Vertretern bestehendes zentralstaatliches Organ an der „Gesamt"Willensbildung A n t e i l haben. Aus diesen konkreten Erscheinungsformen der früher u n d heute geltenden Bundesverfassungen folgert seit jeher ein Teil der L i t e r a t u r 1 5 6 , daß die Beteiligung der Gliedstaaten an der Willensbildung des Zentralstaates ein wesentliches M e r k m a l des Bundesstaatsbegriffs darstellt. Eine Begründung hierfür sucht man vergebens, was daran liegen dürfte, daß es sich hierbei weniger u m eine Frage der begrifflichen Erkenntnis als u m eine von den politischen K r ä f t e n der „Bundesglieder" bei Gründung des Bundesstaates erhobene Forderung handelt. Eine Tatsache wie die, daß man sich i m Verfassungskonvent von Herrenchiemsee 1 5 7 u n d i m Parlamensammengesetzten Staates, sondern nur einen Fall des organisationstechnischen Typus des dezentralisierten Staates. iss a . A. Scheuner, D Ö V 1962, S. 641; ähnlich auch Bullinger, Die Mineralölfernleitungen, res publica, Bd. 8, Stuttgart 1962, S. 73. Nawiasky s Warnung (s. Bundesstaat, S. 5) fand kein Gehör: der Methodensynkretismus treibt weiter seine Blüten. iss v g l dazu die Ubersicht über die praktisch verwirklichten Spielarten i n den Bundesverfassungen der Gegenwart bei Maunz-Dürig, A r t . 50 R N 2 und 3. ise s. oben § 2 I I 3 m i t Anm. 34. 157 Vgl. Bericht über den Verfassungskonvent, S. 37 f.

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tarischen R a t 1 5 8 über die Wiedereinführung eines föderativen Organs von Anfang an einig war, daß nur die Struktur dieses Organs umstritten war, kann daher die Prägung des abstrakten Bundesstaatsbegriffs nicht beeinflussen, sie spricht lediglich dafür, daß die Existenz einer „zweiten Kammer" — i n der Gestalt des Bundesrates — i n Deutschland einer verfassungsrechtlichen Tradition entspricht 1 5 9 . Auch hat es der Verfassungsgeber i n der Hand, die Institution eines föderativen Organs jeder Verfassungsänderung zu entziehen und auf diese Weise das föderative Organ zum unantastbaren Bestandteil des konkreten Bundesstaates werden zu lassen 1 6 0 ; für den abstrakten Bundesstaatsbegriff ist all dies ohne Belang. Er verlangt n u r das Bestehen mehrerer gegeneinander abgegrenzter Staatsgewalten, die sich auf dieselben Menschen erstrecken. Man w i r d daher i m föderativen Organ kein rechtliches Erfordernis des abstrakten Bundesstaatsbegriffs erblicken können 1 6 1 , ja vom Prinzip der „föderativen Gewaltenteilung" her erscheint ein föderatives Organ fast als ein Fremdkörper i n einem Bundesstaat; jenem Prinzip würde eher eine strikte Trennung der gliedstaatlichen und zentralstaatlichen Gewalt von oben bis unten entsprechen. I n Deutschland ist jedoch seit Bismarck „ein enges Ineinandergreifen von zentralstaatlichen und gliedstaatlichen Elementen zur verfassungsrechtlichen und politischen T r a d i t i o n " 1 6 2 geworden, ohne daß dadurch die Bundesstaatlichkeit des Deutschen Reiches bzw. der Bundesrepublik Deutschland i n irgendeiner Weise angezweifelt werden könnte; denn es handelt sich hierbei nur u m konkrete für den juristischen Begriff des Bundesstaates unwesentliche Erscheinungen des deutschen Verfassungsrechts. b) Mitwirkung

der Glieder an der Verfassungsgebung

Aus den gleichen Gründen, aus denen man i m föderativen Organ ein Wesenselement des Bundesstaates sehen w i l l , w i r d teilweise eine weitere Erscheinimg als Essentiale des Bundesstaates—sei es als alleiniges, sei es als ein zu anderen Momenten hinzutretendes — betrachtet: die M i t w i r k u n g der Glieder als verfassungsgebende Organe, wie sie bereits mehrfach 1 6 3 historische Wirklichkeit geworden ist. Usteri nennt 32 Autoren, unter ihnen insbesondere Laband, G. Jellinek, Anschütz, Stier-Somlo, Zorn, als Vertreter dieser Auffassung, zu der er sich nach eingehenden Untersuchungen ebenfalls bekennt 1 6 4 . Von daher ist es iss Y g i die Debatte i n der 2. u n d 3. Sitzung des Plenums v o m 8. u n d 9. 9. 1948, Stenogr. Bericht, S. 16, 22 ff. 159 Vgl. Schäfer, Bundesrat, S. 25. 160 S. dazu unten § 4 I I 2 a. 161 Ebenso Nawiasky, Bundesstaat, S. 95 f.; ders., Grundprobleme, S. 9/10; Maunz-Dürig, A r t . 50 R N 2. is 2 Maunz-Dürig, A r t . 50 R N 2. 163 1737 i n Nordamerika; 1848 i n der Schweiz, zuletzt 1949 i n Deutschland. 164 Usteri, S. 224/25, 262 f.

§ 2 Der juristische Bundesstaatsbegriff:

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konsequent, wenn Usteri 1 6 5 die föderative Struktur des Deutschen Reiches unter der Weimarer Verfassung verneint, da als Verfassungsgeber die Weimarer Nationalversammlung fungierte und als Gewaltträger die neuen einheitlichen, nicht mehr aus den Gliedergewaltträgern zusammengesetzten Kräfte der Revolution dahinterstanden. M i t der weitaus überwiegenden M e i n u n g 1 6 6 soll hier aber dennoch an der Bundesstaatlichkeit der Weimarer Republik festgehalten werden, deren Gründung sich doch auch so verstehen läßt, daß sich die Reichsgewalt auf „einige" Gebiete zurückzog und auf diese Weise Raum für die nun eintretenden Territorialgewalten schuf 1 6 7 . Der historische Vorgang der Verfassungsgebung ist nur ein Indiz, kein Beweis für einen bestimmten Aufbau eines Staates. Die Beteiligung der Glieder an der Verfassungsgebung kommt als recHtliches Wesensmerkmal des Bundesstaates nicht i n Betracht. Sieht man jedoch bei einer Bundesstaatsgründung, an der die Glieder nicht durch Abstimmung über die (neue) Bundesstaatsverfassung teilnehmen, die M i t w i r k u n g der Glieder darin, daß i n den von der (Bundesstaats-) Verfassung vorgesehenen Ländern Organisationen entstehen, die i n die frei gewordenen Räume (hoheitlicher Gewalt) eintreten, so steht nichts i m Wege, die(se) M i t w i r k u n g der Glieder — und entsprechend die der Zentrale — an der Bundesstaatsgründung als Essentiale des Bundesstaates anzusehen. 5. D a s g r u n d s ä t z l i c h e g e g e n s e i t i g e V e r h ä l t n i s von Bund, L ändern und Gesamtstaat Nachdem nun die Staatlichkeit des Bundes, der Länder und des Gesamtstaates bejaht worden ist, soll i m folgenden noch auf i h r grundsätzliches Verhältnis zueinander eingegangen werden. a) Gleichordnung

von Bund und Ländern

Die i m Kaiserreich und i n der Weimarer Republik maßgebenden Stimmen der Wissenschaft sprachen den Gliedern (Ländern) eines Bundesstaates jede Souveränität ab; für sie konnte es infolge der mißverstandenen Unteilbarkeit der Souveränität i n einem Staatenstaat nur einen souveränen Staat geben, den Bundesstaat selbst, dem die Länder als nicht-souveräne Staaten eingegliedert und untergeordnet sein sollen 1 6 8 . aa) Kompetenz-Kompetenz Als Argument für die höhere Macht des Bundes beruft man sich immer wieder auf die bei ihm liegende Kompetenz-Kompetenz, die viel165 166 167 168

Usteri, S. 333. Vgl. Anschütz, Komm., 14. Aufl., S. 40 m. weit. Nachw. S. auch oben § 2 I V 3 a. S. oben § 2 I I 3.

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fach m i t der Souveränität gleichgesetzt w i r d 1 6 9 . Von daher schließt man freilich mühelos auf die Überordnung des Bundes über die Länder, die sogar die Möglichkeit zu deren Vernichtung i n sich bergen soll 1 7 0 . A u f die W i l l k ü r , Kompetenz-Kompetenz m i t Souveränität zu identifizieren, ist bereits mehrfach 1 7 1 aufmerksam gemacht worden. Es sollte auch — möchte man meinen — leicht einzusehen sein, daß die Unabgeleitetheit hoheitlicher Gewalt m i t einer „irgendwie spezifisch gearteten Kompetenz" 1 7 2 nichts gemein hat. I m übrigen mag hier nur der H i n weis wiederholt werden, daß die Zuweisung der Kompetenz-Kompetenz an den Zentralstaat keine notwendige Einrichtung des Bundesstaates schlechthin darstellt, daß die Kompetenz-Kompetenz ebenso den Gliedern oder einigen von ihnen oder Bund und Ländern gemeinsam zugesprochen werden könnte, ja theoretisch ist auch ein Bundesstaat, i n dem die Kompetenzhoheit überhaupt fehlt, ohne weiteres denkbar 1 7 3 ; i n diesem Fall hätten w i r einen Bundesstaat m i t „ewig" gültiger Kompetenzverteilung vor uns. — Man ist wieder einmal versucht zu vermuten, daß aus der vielfach zu beobachtenden „Sitte" bundesstaatlicher Verfassungen, die Kompetenz-Kompetenz der zentralen G e w a l t 1 7 4 zuzuweisen, auf die theoretische Notwendigkeit dieser Erscheinung geschlossen wird. Weitere theoretische Fehlentwicklungen sind dann nur noch notwendige Konsequenz. Aus den oben genannten Gründen hat aber bei der Beurteilung des prinzipiellen Bund-Länder-Verhältnisses die Kompetenz-Kompetenz 1 7 5 außer Betracht zu bleiben; sie wurde auch der allgemeinen Auseinandersetzung m i t dem Bundesstaatsbegriff bewußt ferngehalten. bb) „Bundesrecht bricht Landesrecht" Geradezu unübersehbar ist die Literatur, die dem fast allen Bundesverfassungen 176 bekannten Satz, wonach Bundesrecht dem Landesrecht vorgehen soll, eine staatsrechtliche Überordnung des Bundes über die 169 Ygi n u r Anschütz, Grundzüge, S. 514; Peters, Föderalismus, S. 23; i n diese Richtung tendiert auch BVerfGE 13, S. 78; weitere Nachweise bei Usteri, S. 96 Fußn. 55. 170 G. Jellinek, Staatenverbindungen, S. 304; ders., Staatslehre, S. 783. 171 S. nur Nawiasky, Bundesstaat, S. 46 ff.; ders., Staatslehre, 3. Teil, S. 153; Usteri, S. 96 Fußn. 55. 172 Usteri, S. 96 Fußn. 55. 173 Α. A. Brie, Staatenverbindungen, S. 104. 174 A n der die Länder nach der Regelung des GG teilhaben. 175 I n der auch Herzog, D Ö V 1962, S. 82 Fußn. 12, angesichts des A r t . 79 Abs. 3 GG ebenfalls k e i n Argument für die Uberordnung des Bundes (über die Länder) sieht; ebenso Schmidt, AöR 87, S. 282. 176 Hingewiesen sei n u r auf § 66 der Paulskirchenverfassung von 1849, A r t . 2 Satz 1 aRV, A r t . 13 Abs. 1 WRV, A r t . 31 GG; eine derartige Bestimmung fehlt ζ. B. i m österreichischen Bundes-Verfassungsgesetz i. d. F. von 1929.

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§ 2 Der juristische Bundesstaatsbegriff

Gliedstaaten entnehmen bzw. i n dieser Norm eine Folge der Hoheit des Bundes über die Länder sehen w i l l 1 7 7 . Ehe man eine Verfassungsnorm, die nach einigen Autoren sogar das Wesen (!) des Bundesstaates ausmachen s o l l 1 7 8 , als für das existentielle Verhältnis von Bund und Ländern charakteristisch i n Anspruch nimmt,, bedarf es einer grundsätzlichen Stellungnahme zur positivrechtlichen Bedeutung dieser Norm selbst: Die Frage der konstitutiven bzw. deklaratorischen Bedeutung des Art. 31 GG ist i n der Literatur bereits eingehend behandelt worden 1 7 9 . Allgemein w i r d i n A r t . 31 GG, gleich, welche Wirkung man i h m i m übrigen zuspricht, keine Kompetenznorm gesehen; d. h. A r t . 31 GG soll nur zwischen kompetenzgemäßem Bundesrecht und kompetenzgemäßem Landesrecht zugunsten des ersteren entscheiden. A r t . 31 GG setzt also die Beachtung der Kompetenzverteilungsnormen voraus. Kompetenzwidriges Recht — sei es Bundes- oder Landesrecht — ist aber bereits unmittelbar auf Grund der (nicht beachteten) Kompetenzverteilungsnormen nichtig 1 8 0 , was sich insbesondere beim kompetenzwidrigen Bundesrecht zeigt, dessen Nichtigkeit sich nicht aus A r t . 31 GG ergeben kann; denn A r t . 31 GG bricht, wenn überhaupt etwas, so nur Landesrecht. Die Nichtigkeit kompetenzwidrigen Bundesrechts kann daher nur der Nichtbeachtung der Kompetenzverteilungsnormen unmittelbar entnommen werden 1 8 1 , und das gleiche muß dann konsequenterweise auch für kompetenzwidriges Landesrecht gelten; es bedarf i n diesem Fall ebensowenig eines Rückgriffs auf A r t . 31 GG w i e einer Berufung auf den (angeblichen) Vorrang des Bundes, u m die Nichtigkeit des Landesrechts festzustellen. Da A r t . 31 GG also nur zwischen kompetenzgerechtem Bundes- und (kompetenzgerechtem) Landesrecht entscheiden soll, ist das Bestehen kumulativer Bundes- und Landeszuständigkeiten für dieselbe Materie Voraussetzung für eine unter A r t . 31 GG fallende Normenkonkurrenz. Daß i m Bereich der sog. konkurrierenden Gesetzgebung Bund und Länder nebeneinander nur potentiell, nicht aktuell zuständig sind, ist 177 Vgl. n u r Laband, Staatsrecht, 1. Bd., S. 94; Lukas, V V D S t R L 6, S. 28; Anschütz, Komm., 14.Aufl., S. 102; aus dem neueren Schrifttum z . B . Zinn, AöR 75, S. 302; Fuß, Richterliche Prüfungszuständigkeit, S. 110; Hamann, Komm., S. 249. 178 So ζ. Β. v. Mangoldt, Komm., S. 127; Mosler, Festschrift f ü r Thoma, S. 168 Fußn. 1 m. Nachw. 179 v g l . n u r v . Mangoldt-Klein, S. 758 ff.; Maunz-Dürig, A r t . 31, insbes. R N 20 ff.; Barbey , D Ö V 1960, S. 566 ff., u n d vor allem Imboden, Bundesrecht bricht kantonales Recht. 180 Α. A . Maunz-Dürig, A r t . 31 R N 21. 181 So auch das BVerfG; vgl. n u r E 15, S; 1, 24, w o ein Bundesgesetz f ü r „ m i t A r t . 70 GG unvereinbar u n d daher nichtig" erklärt w i r d ; ebenso Herzog, DÖV 1962, S. 87.

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182

unbestrittene Lehre , so daß für eine Anwendung des A r t . 31 GG insoweit auch kein Raum ist; denn die Landeskompetenz besteht nach •dem Wortlaut des A r t . 72 Abs. 1 GG nur, solange und soweit der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht keinen Gebrauch macht. „ M i t dem Gebrauchmachen und i m Umfang und auf die Dauer des Gebrauchmachens durch den Bund haben die Länder hinsichtlich der der konkurrierenden Gesetzgebung unterliegenden Materien keine Zuständigkeit (mehr). Demgemäß ist ein jenseits dieser zeitlichen und sachlichen Grenzen ergehendes Landesgesetz von vornherein wegen Zuständigkeitsüberschreitung nichtig 1 8 3 ." Es verbleibt noch, auf die Konkurrenz kompetenzgerechten Bundesverfassungsrechts m i t kompetenzgerechtem Landesverfassungsrecht einzugehen. Sollte z. B. — so meint Friedrich Klein 184 — der Religionsunterricht i n der Verfassung des Bundes und der eines Landes gegensätzlich geregelt werden, wozu B u n d und Länder zuständig seien, so würden zwei sich widersprechende kompetenzgerechte Regelungen vorliegen; denn insoweit — meint K l e i n — bestehe kumulative Zuständigkeit von Bund und Land. K l e i n hält den von i h m gebildeten Beispielsfall nur m i t Hilfe des A r t . 31 GG für lösbar. Demgegenüber muß eingewandt werden, daß sich die von K l e i n nicht begründete Vorstellung einer kumulativen Zuständigkeit von Bund und Land—zumindest nach dem Grundgesetz — nicht halten läßt. Es gibt i m Bundesstaat des Bonner Grundgesetzes i m Bereich staatlicher Hoheitsrechte nur ein „entweder — oder", kein „sowohl — als auch", was insbesondere A r t . 30 GG zum Ausdruck bringt: ein Land kann nur so weit tätig werden, als das GG keine andere Regelung trifft oder zuläßt. Wenn sich die Bundesverfassung i n bestimmter Richtung zum Religionsunterricht äußert, dann ergibt sich schon aus A r t . 30 GG, daß den Ländern insofern jede Kompetenz zu einer anderen Regelung fehlt. A r t . 30 GG spricht die Länder nicht nur auf und unter der Ebene der Gesetzgebung an, sondern er erfaßt die gesamte staatliche Gewalt der Länder auf und unter (nicht über!) der Ebene der Verfassung. Wenn also einem Land die Ausübung hoheitlicher Gewalt auf der Ebene der einfachen Gesetzgebung nicht gestattet ist, dann ist es (sc. rechtlich) auch nicht i n der Lage, diese Materie auf der Ebene der Verfassung an sich zu ziehen. Die Vorstellung einer kumulativen Kompetenz ist und bleibt dem Grundgesetz fremd; sie ist überhaupt i n einem Bundesstaat ein U n d i n g 1 8 5 , 1 8 6 . 182

Vgl. Maunz-Dürig, A r t . 31 R N 20. , Mangoldt-Klein. S. 760/61. 184 I n : v. Mangoldt-Klein, S. 767. 185 Ebenso Usteri, S. 276; i n diesem S i n n auch Hausmann, AöR 33, S. 87; I m boden (Anm. 179), S. 166 ff., spricht von einem „Fremdkörper innerhalb der bundesstaatlichen Rechtsordnung"; vgl. demgegenüber Herb. Krüger, D Ö V 1959, S. 725, der für den Bundesstaat gerade auf Grund des A r t . 31 GG nicht iss

v

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§ 2 Der juristische Bundesstaatsbegriff

Somit läßt sich für A r t . 31 GG kein praktischer Fall finden und denken. A r t . 31 GG besagt vielmehr lediglich, daß kompetenzgerechtes Bundesrecht kompetenzwidrigem Landesrecht vorgeht, eine Selbstverständlichkeit, da das kompetenzwidrige Landesrecht schon eo ipso nichtig ist. Kompetenzwidriges Bundesrecht ist ebenfalls nichtig, so daß es Landesrecht nicht zu brechen vermag, anderenfalls würden die K o m petenzverteilungsnormen jeden Sinn verlieren. Wenn aber „ n u r das verfassungsmäßige Bundesrecht dem verfassungwidrigen Landesrecht, aber ebenso das verfassungsmäßige Landesrecht dem verfassungswidrigen Bundesrecht vorgehen" 1 8 7 soll, dann erscheint m i r eine „Norm" wie die des A r t . 31 GG einen eigenen Aussagewert nicht mehr zu besitzen. Die Funktion des A r t . 31 GG erschöpft sich daher i n einer zweifelhaften Klarstellung. Es erscheint mehr als fraglich, ob i h m noch irgendein Wert zuerkannt werden k a n n 1 8 8 ; hier w i r d diese Frage verneint, vor allem deswegen, weil eine „Norm" wie die des A r t . 31 GG immer wieder zu Mißverständnissen Anlaß gibt, dergestalt, daß gerade i n i h r der Vorrang des Bundes gegenüber den Ländern zum Ausdruck kommen soll. Wenn man zugesteht, daß B u n d und Länder jeweils n u r i m Rahmen ihrer voneinander abgegrenzten, sich gegenseitig ausschließenden Kompetenzen Recht zu setzen befugt sind, so ist eine Überordnung des Bundesrechts gegenüber dem Landesrecht nicht erkennbar 1 8 9 . Man w i r d daher i n Art. 31 GG kein Argument für die Hoheit des Bundes über die Länder sehen können. ein Komplement-, sondern ein Konkurrenzverhältnis v o n Bundes- u n d Landesgewalt unterstellt wissen w i l l . 186 Nach der hier vertretenen A u f f . verliert m i t dem Inkrafttreten v o n Bundesrecht nicht n u r das diesem widersprechende, sondern auch das m i t diesem übereinstimmende Landesrecht seine Gültigkeit; i m Ergebnis ebenso: Laband, Staatsrecht, 2. Bd., S. 115 (allerdings m i t anderer Begründung: Bundesrecht als das stärkere Recht); G. Jellinek, Verfassungsänderung, S.7; Anschütz, Komm., 14. Aufl., S. 103/04; v. Mangoldt, Komm., S. 198; v. Mangoldt-Klein, S. 772; Hamann, Komm., S. 250; a. A . vor allem Maunz, in: MaunzDürig, A r t . 31 R N 14; ders., in: Mang-Maunz-Mayer-Obermayer, S. 7; eine zur Lösung dieser Frage sich lediglich auf A r t . 142 GG stützende Argumentation kann nicht überzeugen; denn ebenso wie die Analogie bietet sich der U m k e h r schluß an „ u n d es bedarf erst weiterer Überlegungen über die Frage, welche der beiden Möglichkeiten die richtige ist"; Herzog, Der Staat, 2. Bd., S. 412; s. a. Peters, i n : Coing, Auslegungsmethoden, S. 35; die Frage, ob m i t (verfassungsmäßigem) Bundesrecht übereinstimmendes Landesrecht i n K r a f t sein bzw. bleiben kann, k a n n m. E. nur v o n der K o n s t r u k t i o n des Bundesstaates her, nicht durch punktuelle Interpretation einer N o r m befriedigend gelöst werden. 187 Kelsen, Festgabe f ü r Fleiner, S. 181; s. a. Imboden (Anm. 179), S. 57 ff.. 178/79. 188 Positiv äußert sich Herzog, D Ö V 1962, S. 87. 189 Ebenso z.B. Maunz-Dürig, A r t . 71 R N 10 Fußn. 1 (auf S. 4); Nawiasky, Staatslehre, 2. Teil, 2. Bd., S. 200; Süsterhenn, in: Föderalistische Ordnung, S. 32.

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cc) „Übergreifende"

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Verfassungsnormen

Bereits die Frankfurter Verfassung von 1849 enthielt i n den §§ 186, 187 Rahmen Vorschriften für die Verfassungen der Länder, sog. Normati vbestimmungen. Der Bismarck'schen Verfassung von 1871 waren zwar derartige Normen fremd; doch hat die Weimarer Reichs Verfassung von 1919, dem Beispiel Nordamerikas 1 9 0 und der Schweiz 1 9 1 sowie der Frankfurter Reichsverfassung folgend, solche Normativbestimmungen 1 9 2 aufgenommen, u m — wie es i n der den Entwurf 1 begründenden Denkschrift heißt — die Homogenität zwischen der Struktur des Reiches und der seiner einzelstaatlichen und kommunalen Glieder sicherzustellen 193 . Bei der Schaffung des Grundgesetzes bestand über die Aufnahme von Rahmenvorschriften für die Länderverfassungen 194 keine Meinungsverschiedenheit, man diskutierte lediglich über Tragweite und Wortlaut dieser Normen 1 9 5 . Die deutsche Verfassungsgeschichte und die dem deutschen Recht entsprechenden Erscheinungen ausländischer Bundesverfassungen rechtfertigen nicht den Schluß, daß die Existenz derartiger Rahmenbestimmungen ein Wesensmerkmal des Bundesstaates bildet 1 9 6 . Schon ihr Fehlen i n der Reichsverfassung von 1871 beweist das Gegenteil. Eine andere hier freilich nicht zu diskutierende Frage ist, ob sich ein Bundesstaat ohne Homogenität der politischen Grundstruktur des Bundes und der Länder i n der politischen Wirklichkeit auf die Dauer überhaupt als funktionsfähig und bestandskräftig erweisen k a n n 1 9 7 . I n der Literatur findet sich n u n die Auffassung vertreten, daß i n diesen Normativbestimmungen für die Landesverfassungen die Unterordnung der Gliedstaaten unter die Zentralgewalt „zu deutlichstem Ausdrucke" 1 9 8 kommt. Es ist richtig, daß der („verfaßten") Staatsgewalt der Länder durch die Normativbestimmungen Schranken gezogen sind; doch muß man sich darüber i m klaren sein, „daß auch das Grundgesetz insoweit nur kraft der Zustimmuung der Landesvölker für diese Geltung besitzt" 1 9 9 . Normen w i e die des A r t . 28 GG lassen sich i n die allgemeine Kategorie der sog. Selbstbindungsnormen einreihen, wobei 190

A r t i d e I V , Section 4 USC. A r t . 6 SBV. 192 A r t . 17 WRV. 193 Anschütz, Komm., 14. Aufl., S. 130. 194 H i e r ist vor allem an A r t . 28 GG gedacht; i m übrigen vgl. Maunz, Staatsrecht, S. 186; Maunz-Dürig, A r t . 28 R N 18 m. weit. Nachw. 195 S. JöR n. F. 1, S. 244 ff. 196 I n diese Richtung tendiert aber z. B. Triepel, Reichsaufsicht, S. 76 f. 197 S. dazu unten § 4 I I 3. 198 Triepel (Anm. 196), S. 76; ebenso G. Jellinek, Staatenverbindungen, S. 307; i m übrigen vgl. die bei Herzog, DÖV 1962, S. 82 Fußn. 11, angeführte Literatur. 199 So Herzog, DÖV 1962, S. 87, zur K o n s t r u k t i o n der Kompetenzverteilungsartikel; vgl. a. Usteri, S. 280. 191

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§ 2 Der juristische Bundesstaatsbegriff

unter der sog. Selbstbindung ein normativer Ausspruch der verfassungsgebenden Gewalt gegenüber allen „verf aß ten" Gewalten, also gerade keine echte Selbstbindung, verstanden werden w i l l . Von diesem Gesichtswinkel aus betrachtet muß die Theorie, daß sich i n den sog. übergreifenden Verfassungsnormen die Hoheit des Bundes über die Länder zeige, i n nichts zerfallen. Es handelt sich lediglich u m ein Problem der „Selbstbeschränkung" staatlicher Gewalt. Dies gilt allgemein für alle übergreifenden Verfassungsnormen 200 , insbesondere auch für die Normen des Bundeszwangs und der Bundesaufsicht. I m Rahmen dieser beiden dem deutschen Bundesverfasungsrecht seit jeher wohl vertrauten I n s t i t u t e 2 0 1 ist die Zentralgewalt u. a. berechtigt, dem Land und seinen Behörden rechtlich bindende Weisungen zu erteilen. Man kann durchaus der Meinung sein, daß der Bund insofern den Ländern übergeordnet ist, aber auch nur insofern. A n der existentiellen Gleichordnung von Bund und Gliedern ändert sich nichts 2 0 2 . Man denke doch nur daran, daß auch der umgekehrte Fall denkbar ist, daß dem Bund die Vollziehung hinsichtlich von Materien zusteht, deren gesetzliche Regelung i n die Kompetenz der Gliedstaaten fällt, so daß der Bund Gliedstaatsgesetze zu vollziehen h a t 2 0 3 . Diese Möglichkeit ist durchaus nicht etwa nur theoretischer Natur, sie t r i t t ζ. B. dann i n Erscheinung, wenn Gesandte oder Konsulate des Zentralstaates den i m Auslande befindlichen Bundesstaatsbürgern gegenüber einzelstaatliche Gesetze anzuwenden haben 2 0 4 . Es soll hier dahingestellt bleiben, ob nach geltendem Verfassungsrecht die Ausführung von Landesgesetzen durch Bundesbehörden zulässig i s t 2 0 5 ; jedenfalls wäre insofern auch ein Weisungsrecht der Länder gegenüber dem Bund denkb a r 2 0 6 , und insofern hätten w i r dann auch ein Überordnungsverhältnis von Land zu Bund vor uns, ohne daß sich an der grundsätzlichen Gleichordnung von Bund und Ländern etwas ändern würde. Es besteht kein Anlaß, die Staaten i n dem Bereich, i n dem sie nicht eigene Gesetze, sondern die anderer Staaten vollziehen, nicht als Staaten, sondern als Selbstverwaltungskörper 2 0 7 oder als mittelbare Organe des die Gesetze 200 Herzog, D Ö V 1962, S. 82, erwähnt i n diesem Zusammenhang die Kompetenz-Kompetenz des A r t . 79, A r t . 1 Abs. 3, A r t . 28, 37, 84, 85, 93 Abs. 1 Nr. 3, A r t . 108 und schließlich A r t . 31 GG; letzter gehört jedoch nicht hierher, s. oben § 2 I V 5 a/bb. 201 S. A r t . 4 u n d 19 aRV, A r t . 15 u n d 48 W R V u n d A r t . 37 und 84, 85, 108 GG. 20 * I n diesem Sinn auch Usteri, S. 280; Schmidt, AöR 87, S. 288 if., 293; a. Α. BVerfGE 13, S. 78 f.; s. a. A n m . 198. 203 Kelsen, Staatslehre, S. 220; ebenso Nawiasky, Bundesstaat, S. 51. 204 Vgl. Nawiasky, Bundesstaat, S. 51 f.; ders., Eidgenossenschaft, S. 13. 205 S. dazu K. Zeidler, DVB1. 1960, S. 573 ff. 206 K . Zeidler, DVB1. 1960, S. 579, hält — m. E. zu Recht — eine Einflußmöglichkeit der Länder auf den Vollzug ihrer Gesetze durch Bundesbehörden i m Hinblick auf A r t . 79 Abs. 3 GG (Staatlichkeit der Länder!) f ü r unbedingt erforderlich. 207 So ζ. B. Nawiasky, Bundesstaat, S. 55 ff.

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erlassenden Staates 2 0 8 anzusehen; denn die Gesetzes Vollziehung ist ebenso wie die Rechtsetzung Ausübung staatlicher G e w a l t 2 0 9 . Zwar kann i n den Fällen, i n denen ein Staat Gesetze eines anderen Staates unter dessen Aufsicht ausführt, sein Wille durch einen fremden Willen bestimmt werden, dieser findet aber seine rechtliche Ursache i n dem eigenen Willen der bestimmbaren Persönlichkeit 2 1 0 , die ihren staatlichen Charakter allein dadurch nicht einbüßt. I m übrigen erscheint ein Staat, der zur Ausführung seiner Gesetze auf die Hilfe eines anderen Staates angewiesen ist, rechtlich also seinen eigenen Willen nicht selbst „vollstrecken" kann, i n gewisser Weise doch auch vom vollziehenden Staat abhängig; es erscheint etwas einseitig, hier nur auf das Aufsichtsrecht des normsetzenden Staates abzustellen. Zusammenfassend w i r d man sagen können, daß auf Grund ausdrücklicher oder stillschweigender Verfassungsnormen die deutschen Länder i n bestimmter Hinsicht dem Bunde untergeordnet sind, daß sich aber theoretisch auch umgekehrt durch eine Regelung i n der Verfassung i n einzelnen Beziehungen 2 1 1 ein Unterwerfungsverhältnis des Bundes unter die Länder denken läßt. Ebenso wäre denkbar, daß entsprechend dem nordamerikanischen Muster Bund und Länder grundsätzlich nur ihre eigenen Gesetze vollziehen; dann bedarf es insofern auch keiner gegenseitigen oder einseitigen Aufsichtsbefugnisse, weil es nichts zu beaufsichtigen gibt. Das Modell des Bundesstaates, der abstrakte Bundesstaatsbegriff, verlangt jedenfalls derartige Überwachungsbefugnisse nicht 2 1 2 , sie gehören zur Ausgestaltung des konkreten Bundesstaates, können daher keinen Einfluß auf das prinzipielle Verhältnis von Bund zu Ländern 213 haben. Das rechtliche Wesen des Bundesstaates liegt darin, daß sich mehrere Hoheitsträger, d. h. Staaten, i n die Wahrnehmung aller i n einem bestimmten räumlichen Bereich auftretenden staatlichen Aufgaben teilen; es ist nicht einzusehen, warum bereits diese Aufteilung grundsätzlich eine Überordnung des einen Teils über den anderen bewirken soll. So steht die Strafprozeßordnung des Bundes parallel neben dem Polizeiaufgabengesetz des Freistaates Bayern, und 208

So ζ. B. Kelsen, Festgabe für Fleiner, S. 144; Hausmann, AöR 33, S. 104 ff. Ebenso Maunz-Dürig, A r t . 20 R N 47, 76; vgl. a. Larenz, Rechtsgeltung, S. 41, wo — aus rechtsphilosophischer Sicht — normsetzende und vollziehende Organe als „einander nicht über- u n d untergeordnet, sondern neben- oder besser zusammengeordnet" gesehen werden. 210 Vgl. Rosin, H i r t h s Annalen, 1883, S. 269; i n diesem Sinn auch Herzog, DÖV 1962, S. 87; w e n n allerdings ein Gemeinwesen nur mehr m i t der V o l l ziehung „fremder" Gesetze betraut ist u n d folglich einer allumfassenden Kontrolle unterliegt, dann freilich w i r d m a n am Staatscharakter des k o n trollierten Gemeinwesens k a u m mehr festhalten können; s. a. unten § 4 I I 1. 211 Ζ. B. durch eine Landesaufsicht über den Bundesvollzug v o n Landesgesetzen. 212 Α. A . anscheinend Triepel, Reichsaufsicht, S. 76 f. 218 U n d nur u m dieses geht es hier. 209

6 Harbich

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§ 2 Der juristische Bundesstaatsbegriff

soweit sich diese Gesetze überschneiden sollten, geht eben nicht das „Bundesrecht als ranghöheres Recht" etwa nach Art. 31 GG dem Landesrecht vor, vielmehr kann ebenso das Landesrecht „vorgehen"; diese Frage entscheidet sich einzig und allein nach den Kompetenzverteilungsnormmen des GG, an die Bund und Länder i n gleicher Weise — durch A r t . 20 Abs. 3 GG — gebunden sind. Auch geht die Bindungswirkung i m Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung nicht immittelbar vom erlassenen Bundesgesetz axis, sondern ebenfalls von der Bund und Ländern gemeinsamen Verfassung, von A r t . 72 Abs. 1 GG. Die Rechtsetzung durch den B u n d ist n u r ein Tatbestandsmerkmal dieser Bestimmung, welche selbst und unmittelbar die Beschränkung der Landesstaatsgewalt ausspricht. I n diesem Bereich besteht vielleicht ein rein tatsächlicher, rechtlich jedoch ein nur scheinbarer Vorrang des Bundes. Es wäre daher besser, diesbezüglich nicht von einem „Vorrang", sondern allenfalls von einer „Übergewichtsstellung" des Bundes zu sprechen 214 . I m übrigen, was die sog. übergreifenden Verfassungsnormen betrifft, die zwar formell i n der Bundesverfassung enthalten, materiell aber ebenso Bestandteil der Landesverfassungen sind 2 1 5 , läßt sich zwar i n Einzelfällen eine rechtliche Überordnung des Bundes über die Länder feststellen, doch beruht diese Überordnung — und dies kann nicht deutlich genug hervorgehoben werden — i n allen Fällen auf dem Willen der Gliedstaaten 2 1 6 ; existentiell stehen Bund und Länder gleichgeordnet nebeneinander 217* 218· 219. 214

Ebenso Nawiasky, Eidgenossenschaft, S. 19. Nawiasky, Bundesstaat, S. 23; ebenso Herzog, DÖV 1962, S. 85; BVerfGE 1, S. 232. ß16 Ebenso insbesondere Herzog, D Ö V 1962, S. 87. 217 Wie vergleichsweise i m Privatrecht Arbeitnehmer u n d Arbeitgeber, welch letzterer auch dem Arbeitnehmer (privat-)rechtlich bindende Weisungen erteilen k a n n m i t — bei Nichtbeachtung — der evtl. Folge der Schadensersatzpflicht; doch beruht auch dieses „Unterwerfungsverhältnis" auf dem W i l l e n des „unterworfenen" Arbeitnehmers u n d reicht n u r so weit, w i e es der A r beitsvertrag vorsieht; i m übrigen stehen sie gleichgeordnet nebeneinander. 218 Ebenso insbesondere Nawiasky, Bundesstaat, S. 21, 47, 211 ff.; ders., Staatslehre, 2. Teil, 2. Bd., S. 200; 3. Teil, S. 153; Kelsen, Staatslehre, S. 199 f.; ders., Festgabe für Fleiner, S. 136, 142, 166 f., 172, 180; Süsterhenn, in: Föderalistische Ordnung, S. 32; Geiger, ebenda, S. 116; Herzog, D Ö V 1962, S. 87; Schmidt, AöR 87, S. 288 ff., 293; (abschwächend) Maunz-Dürig, A r t . 20 R N 15; aus dem älteren Schrifttum Waitz, Grundzüge, S. 166, 212 f.; Hausmann, AöR 33, S. 82 ff.; a. A . BVerfGE 1, S. 51; 13, S.78f. (vgl. aber a. BVerfGE 4, S. 189; 6, S. 362); Giese, Staatsrecht, S. 17; Seifert-Geeb, Das Deutsche Bundesrecht, I A 10, S. 123; Schäfer, N J W 1961, S. 1284; Haegert, N J W 1961, S. 1138; Kölble, DÖV 1962, S. 587; aus dem älteren Schrifttum z.B. Brie, Staatenverbindungen, S. 109 ff., 130; G. Jellinek, Staatslehre, S. 769; Laband, Staatsrecht, 1. Bd., S. 105; Anschütz, Komm., 14. Aufl., S. 39; Triepel, Reichsaufsicht, S. 76 f.; Koellreutter, Bundesstaat u n d Parteienstaat, S. 10. 219 Über ein evtl. politisches Übergewicht des Bundes über die Länder ist damit nichts ausgesagt. 215

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b) Üb er Ordnung des Gesamtstaates über Bund und Länder Es ist bereits erwähnt worden, daß es neben den Bundes- und Landesaufgaben auch noch solche gibt, die dem Gesamtstaat zugerechnet werden müssen; hierher gehört insbesondere die Kompetenzabgrenzung zwischen den Befugnissen des Zentralstaates und jenen der Gliedstaaten 2 2 0 , die Bund und Ländern gegenüber i n gleicher Weise B i n dungswirkung entfalten. Von diesem Blickpunkt aus erscheint die Hoheitsgewalt von Bund und Ländern an die Entscheidungen des Gesamtstaates gebunden, so daß sich natürlich die Frage aufdrängt, ob sich dieses Unterworfensein des Bundes und der Länder unter den Gesamtstaat m i t deren Staatlichkeit vertragen kann. Die Zweigliedrigkeitslehre, die die Kompetenz-Kompetenz dem Bund zurechnet, geht auf diese Problematik gar nicht ein und begnügt sich i n der Regel m i t der Feststellung, daß die Unterordnung der Glieder unter das Gesamte gerade m i t ein Wesensmerkmal des Bundesstaates sei 2 2 1 . Doch handelt es sich hierbei u m nicht mehr als u m Behauptungen, u m petitiones principii, u m Aufstellung von Begriffen, i n die man das hineinlegt, was man herausheben w i l l 2 2 2 . Sehr eingehend hat sich Usteri 223 m i t dieser Frage auseinandergesetzt; Usteri kommt dabei zu dem Ergebnis, daß eine verbindliche Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche durch eine der beiden Ordnungen — und man kann hinzufügen: oder eine dritte Ordnung — den unterworfenen Ordnungen die Unabgeleitetheit und damit die Souveränität als Wesensmerkmal des Staates nehme, eine Selbstbeschränkung einer Ordnung für diese aber nicht verbindlich sein könne, woraus sich die Unmöglichkeit des Staatenstaates ergebe. Usteris Bundesstaatslehre übersieht jedoch die Möglichkeit unabänderlicher Verfassungsentscheidungen 224 . Akzeptiert man diese Möglichkeit — und man w i r d sie akzeptieren müssen —, kann man die Hoheitsgewalt des Bundes und der Länder als unabgeleitet ansehen; nur deren gegenseitige Abgrenzung unterliegt nach unserem Verfassungsrecht zulässigen dem Gesamtstaat zuzurechnenden Änderungen 2 2 5 . Da aber Bund und Ländern unter allen Umständen (Art. 79 220

Ebenso Nawiasky, Staatslehre, 3. Teil, S. 159. So z.B. Laband, Staatsrecht, 1. Bd., S. 59; G. Jellinek, Staatslehre, S. 769; Anschütz, Komm., 14. Aufl., S. 40; Triepel, Reichsauf sieht, S. 76 f. 222 „Wie es der Zauberkünstler m i t den Eiern i m Zylinderhut t u t " ; m i t diesen Worten hat einmal Nawiasky, Staatslehre, 3. Teil, S. 11, die Behauptung der — unabhängig v o m positiven Recht — unmittelbaren Geltung überposit i v e n Rechts treffend gekennzeichnet. 223 Usteri, S. 159 ff., 164 ff., 172ff.; s. dazu a. oben § 2 I V 3 a. 224 Dazu a. unten § 3 I 1—3. 225 Doch sei nochmals darauf hingewiesen, daß die Kompetenz-Kompetenz k e i n begrifflich notwendiges Element des Bundesstaates darstellt; sie ist v i e l mehr eine politisch mehr oder weniger notwendige Einrichtung, da s i d i andernfalls auch vernünftige Reformbestrebungen n u r i m Wege des V e r fassungsbruchs durchsetzen könnten. 221

6*

§ 2 Der juristische Bundesstaatsbegriff

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Abs. 3 GG!) ein gewisser Bestand an Hoheitsgewalt verbleiben muß, bestehen m. E. keine Bedenken, an der Unabgeleitetheit der Bundesund Landesgewalt und damit an der Bundes- und Landesstaatlichkeit festzuhalten. Soweit jedoch Bund und Länder an die dem Gesamtstaat zuzurechnenden Entscheidungen gebunden sind, müssen sie diese respektieren und, soweit das i n Betracht kommt, ihren eigenen Handlungen als maßgebend zugrunde legen, was — nach Nawiasky 226 — eine „Relativierung ihrer Souveränität" bedeutet. Es ist jedoch gleichgültig, ob man dieser Erscheinung diesen oder einen anderen Namen gibt; denn auf den Namen kommt nichts an; lediglich die Bindungswirkung, die die gesamtstaatlichen A k t e gegenüber Bund und Ländern entfalten, ohne sie ihrer Staatlichkeit zu berauben, gilt es zu kennzeichnen. Danach sind Bund und Länder dem Gesamtstaat untergeordnete Staaten. I n diesem Zusammenhang sei es erlaubt, auf eine verwandte Erscheinung i m Staatskirchenrecht hinzuweisen: Während man früher „aus der Anerkennung der Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts durch A r t . 137 Abs. 5 WRV das Fortbestehen einer staatlichen Kirchenhoheit entnahm, ist diese Auffassung heute allgemein aufgegeben. Aus der Selbstverwaltung und Autonomie der Kirchen ist ihre Eigenständigkeit geworden. Diese beruht nicht mehr auf einer vom Staat abgeleiteten und konstitutiv eingeräumten, sondern a priori von ihm unabhängigen und nur deklaratorisch anerkannten Rechtsstellung der Kirchen. Das Verhältnis von Staat und Kirche hat sich von einem Subordinations- i n ein Koordinationsverhältnis verwandelt" 2 2 7 , und dennoch w i r d die nicht vom Staat verliehene kirchliche Autonomie durch außerkirchliche, nämlich staatliche Normen eingeschränkt: gleichgültig, was man unter dem „für alle geltenden Gesetz" i. S. des A r t . 137 Abs. 3 WRV i n Verbindung m i t A r t . 140 GG versteht, auch wenn es weder mit dem „allgemeinen Gesetz" i. S. des A r t . 5 Abs. 2 GG noch m i t dem „allgemein geltenden Gesetz" i. S. des A r t . 19 Abs. 1 GG identisch ist, sondern heute nur mehr als „unabdingbare, äußerste Klammer nationaler Rechtseinheit" angesehen w i r d 2 2 8 , auch wenn die Religionsgemeinschaften „von staatlicher Bevormundung f r e i " 2 2 9 sind, an bestimmte staatliche (eng oder weit gezogene) Schranken sind sie gebunden, wodurch ihnen aber ihre unabhängige Eigenständigkeit nicht genommen wird. Ähnlich — mutatis mutandis! — w i r d man vielleicht auch das Verhältnis von Bund und Ländern zum Gesamtstaat sehen können. Dem steht, was das Grundsätzliche betrifft, auch die herr226

Staatslehre, 3. Teil, S. 160. Grundmann, Bay V B l . 1962, S. 33/34; i n diesem Sinn auch Maunz-Dürig, A r t . 80 R N 32 Fußn. 3; BGHZ 12, S. 321, 323; 22, S. 383, 387 ff.; 34, S. 372 ff.; s! a. Kaufmann, Gesammelte Schriften I, S. 70 ff. 228 S. Grundmann (Anm. 227), m. weit. Nachw. 229 S. A r t . 142 Abs. 3 Satz 1 BV. 227

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sehende Meinung nicht entgegen; denn so, w i e sich nach der Zweigliedrigkeitslehre der m i t dem Bund identische Gesamtstaat insbesondere kraft seiner Kompetenz-Kompetenz als den Ländern übergeordneter Staat auszeichnen, durch die Unterordnung der Länder deren Staatlichkeit aber nicht i n Frage gestellt sein soll, sind nach Auffassung des Verfassers die grundsätzlich gleichberechtigt nebeneinanderstehenden Bund und Länder trotz des sie überwölbenden Gesamtstaates Gemeinwesen m i t unabgeleiteter hoheitlicher Gewalt, d. h. Staaten. 6. D e f i n i t i o n d e s j u r i s t i s c h e n Bundesstaatsbegriffs Der Versuch, den Bundesstaat ausschließlich juristisch zu durchleuchten, ist damit beendet. Das so gewonnene B i l d zeigt die territorialen Glieder und den Bund als Teilstaaten der bundesstaatlichen Gesamtheit. Als Definition ergibt sich somit: Der Bundesstaat ist ein Gesamtstaat, bestehend aus einer Verbindung mehrerer Einzelstaaten und eines Zentralstaates, der nach Maßgabe einer (detaillierten) Kompetenzverteilungsordnung für deren gemeinsame Angelegenheiten zuständig ist, soweit nicht Gesamtinteressen vom Gesamtstaat — beim Fehlen eigener Organe: durch die von der Verfassung insofern für zuständig erklärten Organe i n Treuhänderschaft für den Gesamtstaat — besorgt werden 2 3 0 . 7. E x k u r s : D i e m i ß v e r s t a n d e n e Dreigliedrigkeitstheorie Die Bundesstaatskonzeption, sei sie nun zwei- oder dreigliedrig, insbesondere die Vorstellung von der Überordnung des Bundes über die Länder oder deren grundsätzliche Gleichordnung, w i r d auf die Auslegung der Verfassung 2 3 1 und folgedessen auch auf das praktische Verfassungsleben Einfluß nehmen können; auch w i r d man vielleicht aus der Staatlichkeit der Länder — ζ. B. i m Rahmen des A r t . 29 GG — gewisse Schlüsse ziehen dürfen. Etwa i n diesem bescheidenen, aber auch wiederum nicht zu unterschätzenden Bereich sollte man die Bedeutung einer rechtstheoretischen Auseinandersetzung m i t dem Bundesstaatsbegriff suchen. Bei Deduktionen aus dem Bundesstaatsbegriff—wie bei 230

Die Definition ist an Nawiasky, Staatslehre, 3. Teil, S. 161, angelehnt. Vgl. ζ. B. BVerfGE 13, S. 76, wonach der B u n d die Aufgabe der Neugliederung i n Überordnung über die Länder erfüllen u n d dabei begrifflich (!) Bundestreue i m Verhältnis zu den bestehenden Ländern nicht einhalten können soll. 231

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§ 2 Der juristische Bundesstaatsbegriff

Deduktionen aus Begriffen überhaupt — w i r d man jedoch größte Vorsicht walten lassen müssen. I n neuester Zeit aber wurde die Bundesstaatstheorie i n einen Streit hineingezogen, m i t dem sie wahrhaftig nichts zu tun hat: i n den Streit u m die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Gemeinschaftseinrichtungen der Länder. „Die Duldung solcher Einrichtungen würde" — so meint Kölble 232 — „die Anerkennung eines ,dreigliedrigen Bundesstaates' 2 3 3 voraussetzen, i n dem sich außer dem ,Gesamtstaat' noch der ,Zentralstaat' und die Gemeinschaft der Gliedstaaten gegenüberstehen. . . . M i t dem zweigliedrigen' Bundesstaatsbegriff wäre es unvereinbar, wenn es innerhalb des Gesamtstaates Verwaltungseinrichtungen gäbe, die sich rechtlich weder als solche des Bundes noch als solche eines Landes darstellen und folgerichtig nur als Einrichtungen einer dem Bunde gegenüberstehenden und m i t ihm nicht identischen Ländergemeinschaft begriffen werden können." Diese Äußerung läßt sich, wenn überhaupt, nur verstehen, wenn man davon ausgeht, daß ihr Verfasser die Lehre vom dreigliedrigen Bundesstaat mißverstanden h a t 2 3 4 » 2 3 5 . Die dreigliedrige Bundesstaatslehre, wie sie hier i m Anschluß an Nawiasky nachgezeichnet wurde, besagt lediglich, daß i m Bundesstaat ein Teil der staatlichen Befugnisse dem Land (Gliedstaat), ein anderer Teil dem Bund (Zentralstaat) zusteht und daß es darüber hinaus noch gesamtstaatliche Aufgaben gibt, die sich insbesondere auf das Bund-LänderVerhältnis und die Vertretung nach außen erstrecken. Es ist schwer zu verstehen, wie diese Theorie m i t den Gemeinschaftseinrichtungen der Länder i n Zusammenhang gebracht werden kann. Verträge unter den Gliedstaaten einerseits und zwischen diesen und dem Zentralstaat andererseits, mag man letzteren m i t dem Gesamtstaat identifizieren oder nicht, können sowohl i n einem zweigliedrigen als auch i n einem dreigliedrigen Bundesstaat als zulässig und unzulässig gedacht werden; diese Frage läßt sich nur vom Verfassungsrecht des konkreten Bundesstaates her beantworten, das Verträge dieser A r t ausdrücklich oder stillschweigend zulassen kann oder n i c h t 2 3 6 . Unmöglich ist es, 232

N J W 1962, S. 1081 ff., insbes. S. 1083/84. Kölble ist Anhänger der „zweigliedrigen Bundesstaatslehre"; s. DÖV 1962, S. 587, 663. 234 Wie Kölble, DÖV 1962, S. 587 Fußn. 49, übrigens auch Herzogs A u s führungen zum dreigliedrigen Bundesstaat offensichtlich mißdeutet; denn Herzog, DÖV 1962, S. 81 Fußn. 1, übernimmt v o n der „dreigliedrigen Bundesstaatslehre" lediglich das Begriffsinstrumentarium — was zur Auseinandersetzung m i t dieser Lehre w o h l auch notwendig sein dürfte —, u m dann den Versuch zu unternehmen, „zumindest für den Bundesstaat des Grundgesetzes" die Untauglichkeit des dreigliedrigen Bundesstaatsbegriffs nachzuweisen. 235 Gegen Kölble zutreffend Maunz, N J W 1962, S. 1643; Krapp, S. 16, 23 f. 236 v g l . z . b . A r t . 107 des österreichischen Bundes-Verfassungsgesetzes i. d. F. von 1929: „Vereinbarungen der Länder untereinander können nur über A n gelegenheiten ihres selbständigen Wirkungsbereichs getroffen werden . . . " 233

I V . Die Theorie des dreigliedrigen Bundesstaatsbegriffs

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dieses Problem abstrakt— vom Bundesstaatsbegriff her — lösen zu wollen. Zwar ist eine Deduktion aus Begriffen nicht schlechthin zu beanstanden 2 3 7 ; Voraussetzung hierfür ist jedoch eine richtige Zugrundelegung der Begriffe. Hier kann nur m i t Nachdruck hervorgehoben werden, daß die Zulässigkeit von Länderabkommen vom Bundesstaatsbegriff nicht nur nicht abhängig ist, sondern auch gar nicht abhängig sein k a n n 2 3 8 . Die Auseinandersetzungen um den juristischen Bundesstaatsbegriff können nicht abgeschlossen werden, ohne auf Bullingers 239 Vorstellung aufmerksam zu machen, wonach die Lehre vom dreigliedrigen Bundesstaat Ausdruck einer „vorwiegend süddeutschen Richtung der Staatsrechtslehre" sein soll. Es mag richtig sein, daß man sich i m süddeutschen Raum rechtsdogmatisch und ideologisch u m die Theorie des Bundesstaates mehr bemüht als anderswo; doch hat dies m i t der Sache an sich nichts zu tun. Bullinger unterstellt der „süddeutschen Staatsrechtslehre" offensichtlich politisch-separatistische Motive. Einem größeren Mißverständnis kann die Konstruktion des dreigliedrigen Bundesstaates gar nicht ausgesetzt werden; denn gerade die dreigliedrige Bundesstaatslehre ermöglicht es, zu — i n den Augen „mehr unitarisch gesinnter Föderalisten" — politisch annehmbaren Ergebnissen zu gelangen: denn erstens dürfte das gleichrangig gesehene Verhältnis von B u n d und Ländern für das Spiel der Kräfte i n der politisch dualistischen Ordnung, für die Bund-Länder-Atmosphäre allgemein, einen geeigneteren Untergrund abgeben als die Konzeption des den Ländern übergeordneten Zentralstaates; zweitens läßt vor allem die recht verstandene, i n ihrer Bedeutung — Einigungsfunktion ! — vielfach verkannte Bundestreue 2 4 0 „den Bundesstaat nicht als ein Verhältnis der Gegnerschaft, sondern als ein solches der Zusammenarbeit" 2 4 1 erscheinen. Wer i m Bundesstaat nur die Trennung von Bund und Ländern sieht, sieht nur die eine Seite des Gebildes; die andere Seite ist die ihrer Zu237 Vgl. ζ. B. die Deduktion aus dem Begriff der „Verfassung" bei Nef , Ζ. f. SchwR 61, S. 112. 238 Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit v o n Verträgen zwischen den deutschen Ländern dürfte heute von der h. M . anerkannt sein; vgl. H. Schneider, DÖV 1957, S. 644 ff.; ders., V V D S t R L 19, S. 1 ff., 29; Schaumann, ebenda, S. 86 ff., 125; Maunz, N J W 1962, S. 1641 ff.; ders., i n : Mang-MaunzMayer-Obermayer, S. 16; Pfeiffer, N J W 1962, S. 565 ff.; Bedenken äußern z.B. Bachof, V V D S t R L 21, S. 119 (Aussprache); Salzwedel, ebenda, S. 133 (Aussprache). 239 AöR 87, S. 489/90. 240 Als „Treue" zum Gesamtstaat; s. a. Maunz, N J W 1962, S. 1642. 241 So Maunz, Bay VB1. 1958, S. 305; s. a. ders., DÖV 1959, S. 2; ders., Staatsrecht, S. 172.

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§ 2 Der juristische Bundesstaatsbegriff

s a m m e n g e h ö r i g k e i t : d i e g e s a m t s t a a t l i c h e E i n h e i t — oder anders f o r muliert: D e r B u n d e s s t a a t i s t n i c h t n u r e i n Staatenstaat, er i s t ebenso Staatenstaat242.

ein

242 Vgl. Nawiasky, Bundesstaat, S. 23; s. a. Koellreutter, Bundesstaat u n d Parteienstaat, S. 10: „Der Föderalismus erkennt i m Gegensatz zum P a r t i k u larismus u n d Separatismus die Notwendigkeit staatsrechtlicheer Einheit an"; w a r u m jedoch „daraus die Folgerung der notwendigen (!) Überordnung des Reichs über den Einzelstaaten" (Koellreutter, a.a.O.) gezogen werden muß, vermag ich nicht einzusehen.

Zweiter

Teil

D i e Unantastbarkeit des Bundesstaates Die Beschränkung der verfassungsändernden Gewalt zur Erhaltung des bundesstaatlichen Aufbaus der Bundesrepublik Deutschland Bisher war ausschließlich der Bundesstaat als Rechtsbegriff Gegenstand der Darstellung. I m folgenden soll nun der Blick auf den konkreten Bundesstaat des Bonner Grundgesetzes, insbesondere auf seine Garantie durch A r t . 79 Abs. 3 GG gelenkt werden. Es w i r d sich dabei zeigen, daß auch außerrechtliche, vornehmlich politische Gesichtspunkte i n den Kreis der Betrachtungen einbezogen werden müssen, geht es doch um die Auslegung einer Norm, deren Funktion es ist, den Bestand eines politischen Formprinzips zu sichern. Insofern ist i n A r t . 79 Abs. 3 GG eine Transformation politischer Elemente in rechtliche Normen zu sehen. Ehe aber der Inhalt der Bundesstaatsgarantie untersucht wird, soll zur rechtlichen Verbindlichkeit und Unabänderlichkeit des A r t . 79 Abs. 3 GG selbst Stellung genommen werden.

§ 3 Die rechtliche Verbindlichkeit und Unabänderlichkeit des Art. 79 Abs. 3 GG Man w i r d wohl sagen dürfen, daß A r t . 79 Abs. 3, „die interessanteste Norm des Grundgesetzes" 1 , m i t die schwierigsten Fragen i n rechtstheoretischer, vor allem rechts- und staatsphilosophischer Hinsicht stellt. Er steht auf der Grenze, bis zu der juristisches Denken vorzudringen fähig und berufen ist. Darüber hinaus begegnen w i r dem Bereich politischer Mäche, die nicht durch Rechtsnormen gefaßt und gebändigt werden können; denn setzen sie, die politischen Mächte, sich durch, so ist es müßig, ihr Verhalten an der „alten" Rechtsordnung zu messen; sie haben diese nicht nur gebrochen, sondern auch überwunden und setzen nun selbst „neues" Recht 2 . Die Frage ist nun, inwieweit es angesichts dieser Tatsache, die nun einmal nicht hinwegdiskutiert werden 1

Dürig, AöR 79, S. 68 Fußn. 33. S. dazu z.B. G. Jellinek, Staatslehre, S. 337 ff., 340; ders., Verfassungsänderung, S. 3; Radbruch, S. 174, 180, 190; Thoma, DRZ 1948, S. 143. 2

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§ 3 Die Verbindlichkeit u n d Unabänderlichkeit des A r t . 79 Abs. 3 G G

kann, rechtlich verbindliche unabänderliche Normen 3 geben kann; darin ist zugleich die Frage nach dem Ursprung und Adressaten einer für unabänderlich erklärten Norm eingeschlossen. I. Die Verbindlichkeit des Art. 79 Abs. 3 GG 1. P r o b l e m

der

Selbstbindung?

Art. 79 Abs. 3 GG erklärt bestimmte Verfassungsänderungen für unzulässig. Die i m geltenden Recht ausdrücklich enthaltenen Schranken der Verfassungsrevision werden von der Theorie i n zwei Gruppen geschieden: i n heteronome und autonome Schranken; wobei unter heteronomen Schranken Normen verstanden werden, die außerhalb der Verfassung liegen, deren Revision beschränkt werden soll, und unter autonomen Schranken solche Normen, die i n der Verfassimg selbst enthalten sind 1 . Danach ist A r t . 79 Abs. 3 GG eine autonome Schranke; doch wer diese Norm gesetzt hat und an wen sie sich wendet, ist damit noch nicht gesagt. Hierzu kann man i n der Literatur die Vorstellung antreffen, daß der Verfassungsgesetzgeber durch A r t . 79 Abs. 3 GG „sich selbst, d. h. dem pouvoir constituant , eine Selbstbeschränkung auferlegt" habe 2 . Die Geltung des A r t . 79 Abs. 3 GG erscheint damit als ein Problem der Selbstbindung. Von Selbstbindung kann man, wie das Wort selbst sagt, aber nur dann sprechen, wenn sich eine Gewalt selbst bindet; dies ist nur i n einem naturrechtsfreien Raum möglich; denn die Verbindlichkeit des Naturrechts i m staatlichen Bereich kann — seine Verbindlichkeit unterstellt — schon begrifflich nicht auf einem staatlichen Ausspruch beruhen; anderenfalls wäre es kein Naturrecht i m eigentlichen Sinn 3 , da naturrechtliche Schranken des pouvoir consti3 Eine unabänderliche Verfassungsnorm findet sich i n der Geschichte erstmals i n A r t . 112 der norwegischen Verfassung v o m 17. 5.1814 (der übrigens auch heute noch geltendes Recht ist), wonach „Änderungen nicht gegen den Geist der Verfassung verstoßen dürfen"; geradezu berühmt geworden ist A r t . 2 des französischen Verfassungsgesetzes v o m 14. 8.1884: „ L a forme républicaine du gouvernement ne peut faire l'objet d'une proposition de revision"; s. dazu a. Leisner, S. 219 ff.; ausdrückliche Schranken f ü r die Verfassungsrevision enthalten ferner z.B.: die Verfassung von Ecuador von 1861, die griechische Verfassung von 1864, die brasilianische Verfassung von 1891, die portugiesische Verfassung von 1911, die türkische Verfassung v o n 1924, die französische Verfassung von 1946, die italienische Verfassung von 1947, die württemberg-badische Verfassung von 1946, die bayerische Verfassung von 1946, die hessische Verfassung von 1946; weitere historische Beispiele bei Hildesheimer, S. 107 ff. 1

S. Haug, S. 178; Nef, Ζ. f. SchwR 61, S. 117. So z.B. Peters, Festgabe für Giacometti, S. 233; Hervorhebung hier v o r genommen; ebenso Curtius , Schranken der Änderung, S. 66. 3 Ebenso Bachof, N J W 1952, S. 242 f.; Scheuner, in: Recht — Staat — W i r t schaft I I I , S. 155; daher ist es ein Widerspruch i n sich, wenn die Entscheidung über die Geltung von Naturrecht bei einer staatlichen Stelle monopolisiert sein soll; s. BVerfGE 1, S. 18 (Leitsatz 27). 2

I. Die Verbindlichkeit des A r t . 79 Abs. 3 GG

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tuant nicht selbst, d. h. vom pouvoir constituant, gesetzt sind; sie sind — wenn man sie schon anerkennt — jedem staatlichen Recht vorausliegende Normen; insofern unterliegt der pouvoir constituant einer „fremden Macht". Soweit daher der naturrechtliche Bestandteil des A r t . 79 Abs. 3 GG (Art. 1 GG !) reicht, kann — vom naturrechtlichen Standpunkt aus —• A r t . 79 Abs. 3 GG nur deklaratorischer Charakter zugesprochen werden 4 . Hier interessiert nur die naturrechtlich nicht bedingte Entscheidung für den Bundesstaat. Wenn man dieser Entscheidung nicht nur eine politisch-moralische, sondern auch rechtliche Bedeutung beimessen w i l l , — und die Vermutung dürfte grundsätzlich für eine derartige Auslegung sprechen — so w i r d man i n A r t . 79 Abs. 3 GG schwerlich eine SeZbstbeschränkung — welcher Gewalt auch immer — sehen können; denn wie wollte man die rechtliche Verbindlichkeit der Selbstbeschränkung juristisch begründen? Sollte der pouvoir constituant (rechtlich) gehindert sein, seine Selbstbeschränkung zu widerrufen, und wie wäre der „Sachverhalt" rechtlich zu beurteilen, wenn er sie „tatsächlich" widerruft? Usteri 5 hat bereits m i t Nachdruck auf die Unmöglichkeit rechtlich verbindlicher Selbstbeschränkung hingewiesen (und aus diesem Grund die Möglichkeit des Staatenstaates verneint). I n der Tat erweist sich eine Norm, die den, der sie gesetzt hat, „für alle Zeiten" rechtlich soll binden können, bei näherem Zusehen als ein Unding. Die Literatur bemüht sich bezeichnenderweise i n der Regel auch gar nicht um eine Begründung für die rechtliche Verbindlichkeit derartiger Normen 6 . Man dürfte daher gut daran tun, die rechtliche Verbindlichkeit des A r t . 79 Abs. 3 GG nicht auf eine Selbstbeschränkung des pouvoir constituant zurückzuführen. A m wenigsten können diese Fragen m i t gleichsam apodiktischen Feststellungen wie etwa, daß „die Vorstellung vom änderungsfesten M i n i m u m das Ergebnis der modernen Verfassungsentwicklung" 7 sei, einer Lösung nähergebracht werden. 4

Ebenso Maunz-Dürig, A r t . 79 R N 41; Hamann, Komm., S. 348. Usteri, S. 174. Die Ausführungen v o n Quaritsch (Das parlamentslose Parlamentsgesetz, insbes. S. 14, 18 ff., 23; zustimmend Wolff , Verwaltungsrecht I, S. 112; ablehnend Maunz-Dürig, A r t . 24 R N 11; s. a. Hild. Krüger, DVB1. 1962, S. 581 ff.; Quaritsch, ebenda, S. 585 ff.), der eine rechtliche Selbstbindung des Gesetzgebers prinzipiell für möglich hält, vermögen nicht zu überzeugen; es ist einfach nicht einzusehen, w a r u m der Gesetzgeber v o n seinen, d. h. von i h m gesetzten — auch detaillierten — Normen nicht soll abweichen können; i m übrigen würde — die „Selbstbindung" des Gesetzgebers i. S. von Quaritsch unterstellt — diese Bindung nicht auf dem W i l l e n des Gesetzgebers beruhen, sondern auf einer höherrangigen Regel, die dem Gesetzgeber die Abweichung von seinen detaillierten Normen untersagt. Nicht der Wille des Gesetzgebers, sich binden zu wollen, jedenfalls nicht ausschließlich dieser W i l l e wäre der rechtliche Grund für die Bindung des Gesetzgebers. 7 Menzel, Festschrift f ü r Giese, S. 189; vgl. a. Mosler, Festgabe für Bilfinger, K ö l n und B e r l i n 1954, S. 268 Fußn. 54, der — ohne eigene Stellungnahme — auf die Fragwürdigkeit von Selbstbindungsklauseln (!) n u r hinweist. 5

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§ 3 Die Verbindlichkeit u n d Unabänderlichkeit des A r t . 79 Abs. 3 GG

2. B i n d u n g d e r p o u v o i r s c o n s t i t u é s d u r c h den p o u v o i r c o n s t i t u a n t Die Theorie, die A r t . 79 Abs. 3 GG als „selbstbindende Norm" zu deuten versucht, geht stillschweigend von der Identität des Verfassungsgebers und des verfassungsändernden Gesetzgebers aus. Sie sieht über der Instanz des (formellen) Gesetzgebers nur eine Instanz, die des Verfassungsgesetzgebers; m. a. W.: sie differenziert nicht zwischen verfassungsgebender und verfassungsändernder Gewalt 8 , wo doch gerade die Existenz des A r t . 79 Abs. 3 GG dafür spricht, daß sich das GG die i m Bereich der deutschen Staatslehre auf Carl Schmitt 9 zurückgehende staatstheoretische Unterscheidung des Verfassungsgebers und verfassungsändernden Gesetzgebers zu eigen macht 1 0 . Verfassungsgeber ist nach dieser Lehre i n einer Demokratie das Volk als Träger des pouvoir constituant, Verfassungsgesetzgeber ( = verfassungsändernder Gesetzgeber) ist die vom pouvoir constituant, i n einer Demokratie also vom Volk, eingesetzte Instanz, i n der Regel die Repräsentanz des Volkes, die unter Beachtung bestimmter Verfahrensvorschriften ermächtigt wird, verfassungsgesetzliche Bestimmungen zu revidieren. Für die Bundesrepublik Deutschland sind durch A r t . 79 Abs. 2 GG die Zwei-Drittel-Mehrheiten von Bundestag und Bundesrat als verfassungsändernder Gesetzgeber eingesetzt. Diese Mehrheiten der gesetzgebenden Körperschaften auch als Verfassungsgeber zu betrachten, wäre mehr als abwegig; schon zeitlich liegt der A k t der Verfassungsgebung vor der Existenz dieser Körperschaften; ja, das GG konnte bereits Rechts Wirkungen entfalten 1 1 , bevor diese Körperschaften erstmals zusammentraten, und von Beginn ihrer Existenz an unterliegen sie — wie zu zeigen sein w i r d —Normen des Rechts, die sie nicht selbst gesetzt, sondern bereits von einer anderen Instanz gesetzt vorgefunden haben. Das Problem der Selbstbindung t r i t t gar nicht i n Erscheinung; vielmehr 8 So Peters, Festgabe für Giacometti, S. 233; i n diesem Sinn auch Schlesinger, ZöR 13, S. 108 ff.; auch Loewenstein, Grenzen, S. 23, setzt den pouvoir constituant m i t dem verfassungsändernden Gesetzgeber auf dieselbe Stufe, ja scheint beide zu identifizieren; vgl. andererseits S. 28 ebenda; s. a. Scheuner, Festschrift f ü r Thoma, S. 317; W. Jellinek, Grenzen, S.9, 11 f.: „selbstgewollte Beschränkung der verfassungsgebenden (!) G e w a l t " ; Herb. Krüger, D Ö V 1961, S. 721 f.: „Verfassungsgeber nicht H e r r über die Verfassung." 9 Verfassungslehre, S. 20 ff., 98, 101 ff.; Carl Schmitts Ausführungen gehen auf die v o m Abbé Sieyès i n seiner berühmten Revolutionsschrift „Qu'est-ce que le Tiers-État?" (1789) entwickelte Theorie v o m unumschränkten pouvoir constituant zurück; vgl. Schmitt, a.a.O., S. 77 ff.; zum Prioritätsstreit zwischen Amerikanern u n d Franzosen hinsichtlich der Idee des pouvoir constituant s. Zweig, S. 1 ff.; Hildesheimer, S. 43 f. 10 Ebenso Maunz-Dürig, A r t . 79 R N 24; ipsen, Über das GG, S. 28; i n diesem Sinn a. Fuß, Richterliche Prüfungszuständigkeit, S. 110 ff.; Goessl, S. 45 Fußn. 190. 11 Z. B. der — selbstverständlich — auch schon für die 1. Bundestagswahl „effektiv" geltende A r t . 38 GG.

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handelt es sich um eine Bindung durch den pouvoir constituant, durch die verfassungsgebende Gewalt, durch den sozial Mächtigsten. Wenn aber der Entscheidung des pouvoir constituant Rechtsnormencharakter zuerkannt wird, so liegt darin zugleich die Behauptung, daß die verfassungsgebende Gewalt als (rein?) faktische Macht Recht zu erzeugen i n der Lage ist. Hiermit stoßen w i r auf das Grundproblem des Verhältnisses von Macht und Recht, von Sein und Sollen, als den Bereichen, die nach kantischem und neukantischem Grundaxiom wesensmäßig zu unterscheiden und strikt zu trennen sind. M i t der Behauptung einer „vollkommenen Disparität von Sein und Sollen" 1 2 hat Kelsen die neukantische Lehre zum Ausgangspunkt seiner „Reinen Rechtslehre" genommen u n d auf der einen Seite Sein m i t Natur, realem Sein und Macht, auf der anderen Seite Sollen m i t Geist, idealem Sein und Recht gleichgesetzt. „Der Unterschied zwischen Sein und Sollen kann" — so lehrt Kelsen — „nicht näher erklärt werden. E r ist unserem Bewußtsein unmittelbar gegeben. Niemand kann leugnen, daß die Aussage: etwas ist — das ist die Aussage, m i t der eine Seins-Tatsache beschrieben w i r d — wesentlich verschieden ist von der Aussage: daß etwas sein soll — das ist die Aussage, mit der eine Norm beschrieben wird; und daß daraus, daß etwas ist, nicht folgen kann, daß etwas sein soll, so wie daraus, daß etwas sein soll, nicht folgen kann, daß etwas i s t " 1 3 . Konsequenterweise kann daher — nach Kelsen — ein Sollen niemals auf einen tatsächlichen Vorgang, sondern immer wieder nur auf ein anderes Sollen zurückgeführt werden: Jede Norm findet also ihren Geltungsgrund i n einer anderen, i n einer ranghöheren Norm. A u f diesen Rechtsnormenerzeugungszusammenhang gründet sich die Vorstellung vom „Stufenbau der Rechtsordnung". Dieser Stufenbau führt — „von unten gesehen" — vom individuellen Rechtsakt über die Verordnung, das Gesetz zur Verfassung i m positiv-rechtlichen S i n n 1 4 ; so weit, so gut, könnte man sagen; doch worauf beruht die Verfassung i m positiv-rechtlichen Sinn? Als Norm muß auch sie wieder auf eine {höhere) Norm zurückgeführt werden können; es ist klar, daß sich dieses „Spiel" unbegrenzt fortsetzen ließe. Diese Sinnlosigkeit vermeidet Kelsen dadurch, daß er diesen „Stufenbau i n der die Einheit der Rechts12 Kelsen, Hauptprobleme, S. 7; s. a. ders., Rechtslehre, 1934, S. 12; ders., Rechtslehre, 1960, S. 5 f.; ders., Festgabe für Giacometti, S. 146; ders., Grenzen, S. 6 ff.; ders., Integration, S. 6, 13, 15; zur K r i t i k u n d zum folgenden s. Badura, S. 30 ff., 32 ff.; Ehmke, Grenzen, S. 28 ff.; Hang, S. 87 ff.; Heller, Souveränität, S. 53 ff.; Kaufmann, K r i t i k , S. 20 ff., 29 ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 68 ff. 13 Kelsen, Rechtslehre, 1960, S. 5; die Nichtbeachtung dieser Trennungslinie von Sein und Sollen setzt sich bei Kelsen automatisch dem V o r w u r f des Methodensynkretismus aus; vgl. Kelsen, a.a.O., S. 1. 14 Unter der „Verfassung i m positivrechtlichen Sinn" versteht Kelsen die „Normen, die die Gesetzgebung selbst regeln"; s. Kelsen, Staatslehre, S. 249.

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Ordnung i n ihrer Selbstbewegung begründenden Grundnorm münden (läßt). Indem diese allererst ein das Recht erzeugendes Organ einsetzt, bildet sie die Verfassung in einem rechtslogischen Sinne . . . Doch liegt die Begründung der Einheit der einzelstaatlichen Rechtsordnung eigentlich i n der als Verfassung i m rechtslogischen Sinne bezeichneten, nicht gesatzten, sondern nur vorausgesetzten Grundnorm" 15. A u f diese hypothetische Grundnorm konzentriert sich — m i t Recht, wie m i r scheint — die allseitige K r i t i k an Kelsens Lehre. A n dieser Hypothese zeigt sich, daß Kelsen die „vollkommene Disparität von Sein und Sollen", von der er ausgeht, nicht festzuhalten vermag 1 6 . Dieser Einwand ist Kelsen oft gemacht und — so stellt Larenz 17 fest, — von ihm nie ausgeräumt worden. Ein unbefangener nicht nur i n Rechtsnormen denkender Beobachter kann am Anfang einer Staatsverfassung und damit eines Staates keine Norm, auch keine hypothetische Ursprungsnorm, sondern zunächst einen auf das Ziel des sozialen Zusammenlebens gerichteten Willen realer Menschen feststellen. Bei „näherem Zusehen" erweist sich die Grundnorm als „der zur Norm umgedeutete menschliche W i l l e zum Staat" 1 8 . Damit liegt aber die Verbindung von Sein und Sollen, ja i n diesem Punkt sogar eine Abhängigkeit der Norm vom Faktischen offen zutage. Lediglich ein — wie Heller 19 es nennt — „nicht vollziehbares logisches Kunststück" kann hier noch die „vollkommene Disparität von Sein und Sollen" aufrechterhalten. Doch auch Kelsen selbst scheint eine Verbindung des Normlogischen m i t dem bloß Faktischen nicht schlechthin zu leugnen, wenn er sagt, daß die Verfassung ihre rechtlich relevante Geltung aus der Ursprungsnorm hole, ihren Inhalt aber aus dem empirischen Willensakt der konstituierenden Autorität 2 0 . „Dadurch, — sagt Kelsen — daß das Faktische zum Inhalt einer Norm wird, erfährt es einen ganz eigenartigen Bedeutungswandel, es w i r d sozusagen denaturiert, schlägt in sein Gegenteil um, w i r d selbst zum Normativen. Nicht von einer ,normativen K r a f t des Faktischen', sondern von einer Metamorphose des Faktischen zum Normativen müßte man sprechen 21 ." „Dieses mystische Stammeln" — wie es Erich Kaufmann nennt — läßt sich, wenn überhaupt, so nur von Kelsens Ausgangspunkt, 15 Kelsen, Staatslehre, S. 104, 249; Hervorhebung, m i t Ausnahme der letzten, durch Kelsen; s. a. ders., Rechtslehre, 1934, S. 66 ff.; ders., Rechtslehre, 1960, S. 47, 196 ff., 201. 16 So Larenz, Methodenlehre, S. 73. 17 Larenz (Anm. 16); ebenso ders., Rechtsgeltung, S. 20. 18 Haug, S. 89 f.; Schmitt, Verfassungslehre, S. 76: „Die Verfassung beruht auf einer aus politischem Sein hervorgegangenen Entscheidung"; s. a_ Nawiasky, Staatslehre, 3. Teil, S. 95, 105; ders. y Rechtslehre, S.35. 19 Souveränität, S. 53. 20 S. dazu Heller (Anm. 19); Kaufmann, K r i t i k , S. 30/31. 21 Zitiert nach Kaufmann, K r i t i k , S. 30.

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dem kontradiktorischen Gegensatz von Natur und Geist, von Wille und Norm verstehen. Dieser strikte Gegensatz m i t den von Kelsen gezogenen Konsequenzen läßt sich aber — w i e Kelsen auch selbst zugesteht 22 — nicht beweisen; vielmehr können zwei Gegenstände wie die des Sollens und des Seins, die logisch disparat dargestellt werden müssen, dennoch i n einem Systemzusammenhang stehen 23 . Dieser Systemzusammenhang kann insbesondere an der Entstehung einer Rechtsgemeinschaft aufgezeigt werden; es kann hierbei, d.h. bei der Entstehung einer Rechtsgemeinschaft, sicherlich nicht allein auf bloße Faktizität ankommen, denn sonst müßte man auch die Räuberbande als Rechtsgemeinschaft anerkennen 24 . Es ist nicht die W i l l k ü r des sozial Mächtigsten, die das Recht schafft, sondern der an gewisse materiale Grundwerte gebundene Wille der sozial mächtigsten Gewalt 2 5 . Insofern ist dem „ r e i n " 2 6 Faktischen normative K r a f t zuzusprechen, insofern ist ein historischer Willensakt fähig, Normen zu setzen. Der kontradiktorische Gegensatz von Sein und Sollen erscheint so aufgehoben, die Einheit von Geist und Natur „hergestellt". Als Ergebnis ist festzuhalten, daß am Beginn einer Rechtsordnung eine, wenn auch an gewisse Grundwerte gebundene, so doch faktische Willensmacht steht, die die ersten Rechtsnormen erzeugt. Sofern sich diese Faktizität innerhalb dieser materiellen Grenze hält, kann sie — rechtlich — durch nichts gehindert sein, Rechtsnormen beliebigen Inhalts zu setzen und die von i h r eingesetzten Organe, hier den ver22 s. A n m . 13. 23 So Usteri, S. 23; s. a. Larenz, Rechtsgeltung, S. 22 f.; W. Jellinek, Grenzen, S. 18. 24 Bereits Augustinus behandelt i n seiner Civitas Dei, I V 4, das Problem des Unterschiedes zwischen dem Staat als einer Rechtsgemeinschaft u n d einer Räuberbande und fragt: Ist die Gerechtigkeit fort, was sind dann die Reiche anderes als große Räubereien?; s. dazu a. Kelsen, Rechtslehre, 1960, S. 45 ff. 25 I n diesem Sinn auch Wolff , Gedächtnisschrift f ü r W. Jellinek, S. 35; vgl. a. Larenz, Rechtsgeltung, S. 30, insbes. S. 34, w o von einem durch die Rechtsidee gebundenen und geleiteten W i l l e n die Rede ist; Larenz sieht jedoch — wenn ich i h n recht verstehe — i n der Rechtsidee n u r ein formales Prinzip, das m i t verschiedenem I n h a l t aufgefüllt werden kann: verschiedenen Rechtsordnungen können danach verschiedene Rechtsideen zugrunde liegen, so daß eine N o r m X der Rechtsidee des Staates A widersprechen, während sie — trotz gleichen Inhalts — m i t der Rechtsidee des Staates Β vereinbar sein k a n n ; demgegenüber n i m m t Wolff (a.a.O., S. 39) eine Bindung aller normsetzenden (und selbstverständlich auch vollziehenden) Gewalten an bestimmte materiale Grundwerte an, zu denen die Würde der Mitmenschen, Gleichbehandlung, „gute Sitten", Treu u n d Glauben, Rechtssicherheit, Verbot der W i l l k ü r , W a h rung des Gemeinwohls durch die Inhaber von Herrschaftsbefugnissen zu rechnen sei; wie dem auch sei, inakzeptabel jedenfalls erscheint die Lehre Kelsens, daß „jeder beliebige I n h a l t Recht sein k a n n " (Rechtslehre, 1934, S. 63 = Rechtslehre, 1960, S. 201); s. a. Anschütz, V e r w Arch 5, 1897, S. 14: „Der Staat ist — rechtlich — allmächtig; er k a n n nicht Unrecht t u n " ; dagegen v. Hippel, HbdDStR 2, S. 547 f. 26 So ganz rein ist das Faktische wegen der Gebundenheit durch die m a terialen Grundwerte eben doch nicht.

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fassungsändernden Gesetzgeber, (sc. rechtlich) z u b i n d e n u n d dies auch f ü r a l l e Z e i t e n 2 7 . V o n dieser Sicht s t e l l t sich A r t . 79 A b s . 3 G G als eine a l l e v o m Verfassungsgeber, d. h. v o m p o u v o i r c o n s t i t u a n t , eingesetzten O r g a n e — das s i n d d i e p o u v o i r s constitués — r e c h t l i c h b i n d e n d e N o r m d a r 2 8 . V o n e i n e r S e l b s t b i n d u n g k a n n k e i n e Rede sein, v i e l m e h r b i n d e t eine höhere eine n i e d e r e G e w a l t . 3. K e i n e r e c h t l i c h e Bindung des p o u v o i r constituant D i e B i n d i m g d e r p o u v o i r s constitués h a t m a n sich a u f d e r Ebene der Verfassung z u d e n k e n , dergestalt, daß a l l e n dieser B i n d i m g z u w i d e r laufenden Bestrebungen staatlicher Organe v o n A n f a n g an der M a k e l der Verfassungswidrigkeit u n d d a m i t der rechtlichen U n w i r k s a m k e i t a n h a f t e t 2 9 . M i t b e s o n d e r e m N a c h d r u c k sei b e t o n t , daß d i e B e s c h r ä n k u n g d e r S t a a t s g e w a l t a u f d e r Ebene d e r V e r f a s s u n g e r f o l g t , also a u f e i n e r 27 F ü r die rechtstheoretische Möglichkeit unabänderlicher Verfassungsnormen haben sich beispielsweise ausgesprochen: Maunz-Dürig, A r t . 79 R N 22 ff.; Nawiasky, Bundesstaat, S. 43; ders., Staatslehre, 3. Teil, S. 98; Kelsen, Staatslehre, S. 254; Maunz, Festschrift f ü r Laforet, S. 145; Wintrich, ebenda, S. 247; Ermacora, Juristische Blätter, 1953, S. 539; Sandulli, in: Verfassungsgerichtsbarkeit i n der Gegenwart, S. 306; Kauper, ebenda, S. 627 (für das Recht der USA!); Herzog, D Ö V 1962, S. 85, u n d bekanntlich Schmitt, Verfassungslehre, S. 98, 101 ff. (s. a. unten § 3 1 5 ) ; zweifelnd Meyer-Arndt, AöR 82, S. 287; Dürig, AöR 79, S. 68/69 Fußn. 33 (hinsichtlich des Föderativsystems); Scheuner, DÖV 1953, S. 583; w a r u m sollen eigentlich „ a n der Weisheit des absoluten V e r botes der Änderung v o n Verfassungsvorschriften Zweifel" bestehen? ; so aber Scheuner, a.a.O.; A r t . 79 Abs. 3 GG zumindest enthält doch recht vernünftige Unantastbarkeiten; i m übrigen führt eine sinngemäße Interpretation des GG ohnehin zu dem, was A r t . 79 Abs. 3 GG aussagt (von der Garantie des föderativen Organs abgesehen). 28 Α. A. vor allem Schmid, Die N a t u r der Bestimmungen über die V e r fassungsrevision, S. 139 ff., unter Berufung auf Burckhardt , Die Organisation der Rechtsgemeinschaft, 2. Aufl., Zürich 1944; Schmid unterscheidet zunächst zwischen dem pouvoir constituant und den pouvoirs constitués; aber das gesetzte Recht existiere als solches nur i n Abhängigkeit von seinem Erlasser; verliere dieser seine Existenz, so verliere sie auch das gesetzte Recht; sobald also die A u t o r i t ä t des pouvoir constituant aus dem Dasein trete, könnten auch seine „Sätze nicht als gesetztes Recht weiterleben"; sollte daher den Revisionsbestimmungen rechtliche Verbindlichkeit zugesprochen werden, so müßte man eine — unmögliche — Selbstbeschränkung annehmen; die Tätigkeit des V e r fassungsgesetzgebers spiele sich außerhalb der Rechtssphäre ab (Schmid , a.a.O., S. 141); demgegenüber wäre anzumerken, 1. daß der pouvoir constituant nicht nur i n einem sichtbaren Organ besteht u n d aufhört zu existieren, sobald sich dieses Organ auflöst, sondern gewissermaßen „unter der Oberfläche permanent existent" ist; vgl. a. Schmitt, Verfassungslehre, S. 77, 91 f.; 2. die Tätigkeit, die sich „außerhalb der Rechtssphäre" abspielt, ist nicht die des Verfassungsgesetzgebers, sondern die des Verfassungsgebers (dazu a. unten § 3 1 3 ) ; abzulehnen daher auch G. Jellinek, Staatenverbindungen, S. 301 ff., 304: „Jede prinzipielle Festlegung (sc. i n der Verfassung) k a n n i m Wege der Verfassungsänderung aufgehoben werden." 29 Vgl. dazu Herzog, D Ö V 1962, S. 84/85; Nawiasky, Rechtslehre, S.32ff.

I. Die Verbindlichkeit des A r t . 79 Abs. 3 GG Ebene unterhalb der verfassungsgebenden m i t R e c h t s n o r m e n b e r e i t s e r f a ß b a r ist.

Gewalt,

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a u f e i n e r Ebene, d i e

D i e rechtliche B e s c h r ä n k u n g d e r p o u v o i r s constitués, z u denen, w a s v i e l f a c h n i c h t d e u t l i c h g e n u g gesehen z u w e r d e n scheint, n e b e n d e n d r e i klassischen G e w a l t e n auch d i e v e r f a s s u n g s ä n d e r n d e G e w a l t z u rechnen ist, besagt, daß e i n P a r l a m e n t s b e s c h l u ß oder a l l g e m e i n : j e d e r sonstige A k t eines p o u v o i r c o n s t i t u é — m a g d e r p o u v o i r c o n s t i t u é d e m B u n d e oder e i n e m d e r G l i e d e r a n g e h ö r e n — i n s o w e i t rechtliche W i r k u n g e n n i c h t e n t f a l t e n k a n n , als er d e n v o m p o u v o i r c o n s t i t u a n t gesetzten S c h r a n k e n z u w i d e r l ä u f t . A u f dieser E b e n e des p o u v o i r c o n s t i t u é h a b e n w i r es m i t R e c h t s a k t e n z u t u n , d i e a n (Verfassungs-) N o r m e n gemessen w e r d e n k ö n n e n . S o b a l d sich a l l e r d i n g s d e r p o u v o i r c o n s t i t u a n t — sei es n u n des B u n d e s o d e r eines d e r G l i e d e r — i n B e w e g u n g setzt, w i r d d i e E b e n e d e r V e r f a s s u n g , d. h. die des Rechtes, verlassen u n d d i e d e r G e w a l t u n d des B ü r g e r k r i e g e s b e t r e t e n , d e n z u v e r h i n d e r n k e i n e R e c h t s n o r m i m s t a n d e i s t 3 0 . Es i s t e i n juristisch abwegiges u n d unmögliches Unterfangen, den pouvoir constituant rechtlich binden z u w o l l e n 3 1 ; d e n n diese G e w a l t b e w e g t sich a u ß e r h a l b des 30 Bundesexekution bzw. Bundeszwang können daher Beziehungen zwischen Zentral- und Gliedstaaten auch n u r auf der Ebene der Verfassung regeln; einer einzelstaatlichen Sezession, getragen v o m pouvoir constituant, k a n n folglich nicht m i t Bundesexekution, sondern n u r m i t Bürgerkrieg begegnet werden; ebenso Herzog, D Ö V 1962, S. 85; unrichtig daher BVerfGE 1, S. 61, wonach der pouvoir constituant eines Gliedstaates an Schranken gebunden sei, die die Bundesverfassung f ü r den I n h a l t der Landesverfassungen enthalte; sehr w o h l mag die Entschließungsfreiheit der verfassungsgebenden V e r sammlung eines Gliedstaates i n gewisser Weise eingeschränkt sein; diese Bindung beruht dann aber nicht darauf, daß es sich u m die verfassungsgebende Versammlung eines Bundesstaatsgliedes handelt, sondern darauf, daß der A u f t r a g der verfassungsgebenden Versammlung v o m Auftraggeber, d. h. dem eigentlichen Inhaber der verfassungsgebenden Gewalt, gegenständlich — i n Richtung auf das Föderativsystem — beschränkt worden ist (insofern richtig BVerfG, a.a.O.). 31 So bereits Sieyès, Qu'est-ce que le Tiers-État?, S. 110 if., 114: „ N o n seulement la Nation n'est pas soumise à une constitution, mais elle ne peut pas l'être"; ebenso Bachof, Verfassungswidrige Verfassungsnormen?, S. 35; Maunz, DÖV 1953, S. 646; Kägi, Festgabe f ü r Giacometti, S. 109 ff.; Herb. Krüger, Staatslehre, S. 922; Dupraz, Ζ. f. SchwR 75, S. 353 a ff.; Quaritsch, S. 8; — Scheuner (Festschrift f ü r Kaufmann, S. 317; s. a. ders., Festschrift für Smend, Göttingen 1952, S. 282) dagegen h ä l t es f ü r möglich, „daß i n einer Demokratie die verfassungsgebende Gewalt, die den Volkswillen verkörpert, durch das ausdrückliche Gebot der Verfassung selbst einer Schranke u n t e r worfen werden k a n n " ; andernfalls — so meint Scheuner, a.a.O. — könnte eine Bestimmung wie die des A r t . 75 Abs. 1 u n d 2 BV, die die Änderung der V e r fassung einer Volksabstimmung u n t e r w i r f t , das V o l k aber zugleich rechtlich bindet, die demokratischen Grundlagen der Verfassung unverbrüchlich zu achten, nicht gültig sein. Scheuner muß zu diesem Ergebnis kommen, da er zwischen dem pouvoir constituant u n d den pouvoirs constitués nicht u n t e r scheidet; w e n n m a n aber diese Unterscheidung zugrunde legt, w i r d m a n ohne Schwierigkeiten eine rechtliche Bindung des Volkes, das hier als Mitträger der verfassungsändernden, nicht als verfassungsgebende Gewalt tätig w i r d (vgl.

7 Harbich

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§ 3 Die Verbindlichkeit u n d Unabänderlichkeit des A r t . 79 Abs. 3 GG

Rechts; ja, es ist gerade i h r Charakteristikum, daß sie Recht zu überwinden und „neues" Recht zu setzen fähig ist. Diese rechtszerstörende K r a f t einer rein faktischen Gewalt hat sogar Kelsen als „ j a von vornherein außer Z w e i f e l " 3 2 stehend anerkannt: ein für Kelsen sicher bitteres von tatsächlichen Gegebenheiten erzwungenes Zugeständnis! U n d i n diesem Punkt offenbart sich die dogmatische Schwäche der sonst so eindrucksvollen Reinen Rechtslehre, die einerseits „als staatsb e gründende (= rechtsordnungsbegründende) Elemente rein seinsmäßige Gegebenheiten aus dem rechtlichen Staatsbegriff von vornherein eliminiert und folgerichtig für ihr Vorhandensein auch nicht als kontinuitätswahrende (staatserhaZtende) Elemente anerkennt, (die aber andererseits) reine Faktizitäten, ohne normative Willenserklärungen nachzuweisen, sehr wohl benutzt, u m das angeblich allein relevante Rechtliche zu vernichten" 33. Der von Dürig 33 Kelsen gegenüber erhobene V o r w u r f der Methodenwidrigkeit — ein Vorwurf, der gerade Kelsen hart treffen muß — erscheint insofern nicht unbegründet. Sinn einer für unabänderlich erklärten Verfassungsnorm ist und kann es also nicht sein, den pouvoir constituant, sondern nur die pouvoirs constitués (sc. rechtlich) zu binden. Eine derartige Beschränkung staatlicher Gewalt m i t rechtlicher Verbindlichkeit ist m. E. — entgegen Usteri 3 4 — möglich 3 5 , und zwar auf der Ebene der Verfassimg, nicht auf der — vor oder über der Verfassung liegenden — Ebene des pouvoir constituant; denn diese ist dem Griff rechtlicher Normen nicht zugänglich. dazu Schmitt, Verfassungslehre, S. 98), annehmen können; w e n n dem V o l k durch Verfassungsnorm bestimmte Befugnisse eingeräumt werden, so ist es wie jedes andere Verfassungsorgan auch an die Verfassung gebunden; es bewegt sich i n diesen Fällen auf, nicht über der Ebene der Verfassung; zutreffend daher Maunz, DÖV 1953, S. 646; unkorrekt jedenfalls Nef , Ζ. f. SchwR 61, S. 123, u n d Leisner, S. 440 ff., wo unter Berufung auf A r t . 79 Abs. 3 GG v o n einer „auch den Verfassungsgeber bindenden Rechtsordnung" die Rede ist; richtig, daß die Handlungsweise des Parlaments beschränkt ist, doch w i r d das Parlament nicht als Verfassungsgeber (so aber Leisner, a.a.O., S. 440), sondern n u r als verfassungsändernder Gesetzgeber tätig; unzutreffend Grewe, Rechtsgutachten, S. 17; zur Rechtsstellung des Volkes bei Volksabstimmungen nach der W R V s. Jacobi, in: Die Reichsgerichtspraxis i m deutschen Rechtsleben, 1. Bd., S. 242 ff. 32 Kelsen, Staatslehre, S. 254. 33 Dürig, V V D S t R L 13, S. 28; vgl. a. die Glosse (ohne Verf.) über Kelsen i n AöR 77, S. 497. 34 S. oben § 2 I I 5 b. 35 Die rechtliche Verbindlichkeit w i r d hier deswegen so übermäßig betont, w e i l immer wieder, auch ohne Begründung (vgl. ζ. B. Loewenstein, AöR 77, S. 420: „rechtliche Unabänderlichkeit — unbegreifliche Illusion"), Gegenteiliges behauptet w i r d .

I. Die Verbindlichkeit des A r t . 79 Abs. 3 GG

4. B i n d u n g k ü n f t i g e r

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Generationen?

A r t . 79 Abs. 3 GG entzieht als unantastbare Norm dem Grundsatz nach Teilbereiche der Rechtsordnung „ f ü r alle Zeiten" jeder rechtmäßigen Änderung. Eine derartige Norm erweckt auf den ersten Blick gewisse politische Bedenken insofern, als sie geeignet erscheint, „revolutionäre Ventile" zu öffnen, wo der „Druck nicht i m Wege der legalen Verfassungsänderung weichen k a n n " 3 6 , w i r f t aber insbesondere auch die rein rechtstheoretische Frage auf, w i e es rechtlich möglich sein soll, künftige Generationen an die jetzt geltenden Gesetze ohne die Möglichkeit einer legalen Abänderung zu binden? „Une génération n'a pas le droit d'assujettir à ses lois les générations futures" 3 7 — könnte die A n t wort lauten. Demgegenüber sei zunächst 38 bemerkt, daß das gesetzte Recht immer auch für an der Setzung dieses Rechts nicht, d. h. weder unmittelbar noch mittelbar, Beteiligte gilt. Man denke nur an die Minderjährigen, die einerseits an der Schaffung der Rechtsordnung nicht teilhaben (können), andererseits aber auch nicht außerhalb der Rechtsordnung stehen können; dieses Recht muß ihre Verhältnisse regeln. Und wenn es auch die Zuerkennung der Rechtsfähigkeit von der Erreichung eines bestimmten Lebensalters abhängig machen wollte, so hätten w i r dennoch eine rechtliche Regelung vor uns. Ein Staat und damit seine Rechtsordnung ist immer auf (gewisse) Dauer „angelegt"; „der Blick i n die Z u k u n f t " gehört notwendigerweise auch zum Wesen des Rechts. I m übrigen erhebt A r t . 79 Abs. 3 GG selbst gar nicht den Anspruch auf Geltung für alle künftigen Generationen; denn das GG einschließlich des Art. 79 Abs. 3 G G 3 9 soll nach A r t . 146 GG seine Gültigkeit an dem Tage verlieren, „an dem eine Verfassung i n K r a f t t r i t t , die von dem deutschen Volke i n freier Entscheidung beschlossen worden ist". Es wäre auch — wie dargelegt — rechtlich unmöglich, die verfassungsgebende Gewalt allgemein, und so auch die des deutschen Volkes rechtlich zu binden 4 0 . Das V o l k kann sich jederzeit eine neue Verfassung geben, 36

Maunz-Dürig, A r t . 79 R N 27, unter Berufung auf Thoma, i n : Nipperdey, Die Grundrechte und Grundpflichten der RV, 1. Bd., S. 25; s. a. Zülch, S. 5 f. 37 Condorcet i n seinem E n t w u r f zu einer E r k l ä r u n g der Menschenrechte, 1793; i n diesem Sinn auch Jerusalem, N J W 1952, S. 1007; Menzel, i n : Bonner Komm., Nachtrag zu A r t . 79 Abs. 1, S. 12; s. a. Zülch, S. 124 f.; unentschieden Meyer-Arndt, AöR 82, S. 287 f. 38 S. a. unten § 3 I I I . 39 Allg. M.; statt vieler s. Maunz-Dürig, A r t . 79 R N 26; W. Zeidler, DVB1. 1950, S. 599; Zülch, S. 28 f., 122, 126. 40 A u f die Frage, ob A r t . 146 GG die verfassungsgebende Gewalt des gesamtdeutschen Volkes oder auch n u r eines Teils des deutschen Volkes „ i m Auge hat", sei hier nur hingewiesen; vgl. dazu einerseits Scheuner, DÖV 1953, S. 582; Maunz, ebenda, S. 647; v. Mangoldt, Komm., S. 668; Hamann, Komm., S. 507/08, andererseits Dennewitz, i n : Bonner Komm., Erl. zu. A r t . 146. 7*

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§ 3 Die Verbindlichkeit u n d Unabänderlichkeit des A r t . 79 Abs. 3 GG

gleichgültig, ob die gerade geltende Verfassung selbst i h r Außerkrafttreten regelt oder nicht 4 1 . Denn wenn eine Verfassung Normen über ihre Totalrevision und deren Verfahren enthält,, so w i r d dadurch i n keiner Weise die verfassungsgebende Gewalt des Volkes i n ihrer ursprünglichen Schöpfungskraft ausgeschlossen oder begrenzt. N u r die konstituierten Gewalten sind, wenn sie die verfassungsgebende Gewalt i n Bewegung setzen wollen, insofern an die von der verfassungsgebenden Gewalt i n einem früheren Zeitpunkt gesetzten Verfahrensnormen gebunden 42 . Doch unabhängig davon, ob eine Verfassung eine Totalrevision vorsieht oder nicht, unabhängig davon, welches Verfahren bei einer Verfassungsgebung eingeschlagen wird, der A k t einer Verfassungsgebung ist immer ein politischer oder ein politisch-soziologischer A k t , der seine K r a f t und W i r k i m g nicht einer Welt von Normen verdankt, sondern aus der Sphäre des Seins hervorgeht. Eine Verfassung beruht rechtlich niemals auf einer älteren Rechtsordnung, mag auch das i n dieser älteren Rechtsordnung geregelte Verfahren der Totalrevision eingehalten worden sein. Jede Verfassungsgebung bricht m i t der alten Rechtsordnung und setzt originär „neues" Recht, ist insofern — eventuell friedliche — Revolution. Wenn man dies und zudem noch bedenkt, daß jede Verfassung einen rechtlich unabänderlichen Kern enthält 4 3 , erscheint die rechtliche Widerstandskraft jeder Verfassung letztlich gleich groß; und eine künftige Generation w i r d so lange nach dem von ihren Vorfahren gesetzten Recht leben, als dieses ihren Vorstellungen von Staat und Gesellschaft entspricht; darüber hinaus w i r d sie sich eine neue Grundlage rechtlicher Ordnung geben, und keine Rechtsnorm w i r d i h r dieses „Recht" streitig machen (können). So gesehen — verflüchtigt sich das Problem der Bindung künftiger Generationen; es bleibt die simple Feststellung, daß eine Generation künftige Generationen nicht an ihre Gesetze binden kann — auch nicht, wenn sie es wollte. 5. A r t . 79 A b s . 3 G G a l s k l a r s t e l l e n d e

Norm

Mochte man unter der Geltung der WRV noch die Auffassung vertreten, daß „der Gedanke einer besonderen, von der gesetzgebenden Gewalt verschiedenen und i h r übergeordneten verfassungsgebenden Gewalt dem deutschen Staatsrecht nach wie vor fremd" sei, daß folglich „Verfassungsgesetz und einfaches Gesetz Willensäußerungen einer und 41 Erstmals sah die französische Verfassung v o m 6.11.1848 (Art. 111) eine Totalrevision („en tout") vor, deren Verfahren sie auch regelte; aus dem geltenden Recht vgl. A r t . 118 SBV. 42 S. Maunz, D Ö V 1953, S. 646^ 43 Dazu unten § 3 I 5.

I. Die Verbindlichkeit des A r t . 79 Abs. 3 GG

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derselben Gewalt, der gesetzgebenden Gewalt, darstellen" 4 4 , so hat das Bonner Grundgesetz dieser Legende, wonach „die Verfassung nicht über der Legislative, sondern zur Disposition derselben" 4 4 stehen soll, durch positiven Rechtssatz ein Ende bereitet: A r t . 79 Abs. 3 bindet alle Staatsorgane des Bundes und der Länder. Aber auch ohne Positivierung der i n A r t . 79 Abs. 3 GG enthaltenen Grundsätze führt eine vernünftige, nicht n u r formal logische Interpretation der Verfassimg zu dem Ergebnis, daß die Grundentscheidungen des Verfassungsgebers der Verfügung des verfassungsändernden Gesetzgebers entzogen sind; denn: „Eine durch verfassungsgesetzliche Normierung erteilte Befugnis, die ,Verfassung zu ändern', bedeutet, daß einzelne oder mehrere verfassungsgesetzliche Regelungen durch andere verfassungsgesetzliche Regelungen ersetzt werden können, aber nur unter der Voraussetzung, daß Identität und Kontinuität der Verfassung als eines Ganzen gewahrt bleiben 4 5 ." Sollte es, wenn man sich A r t . 79 Abs. 3 GG einen Augenblick wegdenkt, wirklich möglich sein, die Bundesrepublik Deutschland durch Zweidrittelmehrheitsbeschluß des Bundestages und des Bundesrates i n eine absolute Monarchie oder i n eine Sowjet-Republik zu verwandeln? Wäre dies noch Verfassungsänderung oder nicht bereits Verfassungsvernichtung 46 ? U n d sollte die Verfassung den von i h r eingesetzten Organen i n der Tat die Befugnis zu ihrer Vernichtung einräumen? Eine lediglich am Wortlaut einer einzelnen Verfassungsbestimmung (z. B. A r t . 78 aRV, A r t . 76 WRV) orientierte Interpretation führt allerdings zu einer derart schrankenlosen Ermächtigung des verfassungsändernden Gesetzgebers. Diese i m Kaiserreich und i n der Weimarer Zeit herrschende Lehre verkennt den Unterschied zwischen der Auslegung einer Verfassungsnorm und der einer einfachen Gesetzesnorm. Bei einer Strafrechtsnorm beispielsweise mag es i n einzelnen Fällen vielleicht noch angehen, diese aus sich heraus, gewissermaßen aus punktueller Sicht, auszulegen, „auf der Ebene der Verfassung" jedoch als der Grundlage unserer gesamten Rechtsordnung ist nach dem Sinn jeder einzelnen Norm durch eine Zusammenschau 44

Anschütz, Komm., 14. Aufl., S. 401; ebenso W. Jellinek, HbdDStR 2, S. 182; Thoma, HbdDStR 1, S. 182 m i t Fußn. 25 u n d weit. Nachw.; s. aber auch ders., in: Nipperdey, Die Grundrechte und Grundpflichten der RV, 1. Bd., S. 38 ff., 47, wonach Thoma bereit ist, einen Beschluß, der den Prinzipien der Freiheit und Gerechtigkeit, die i n der ganzen heutigen K u l t u r w e l t heilig gehalten werden, extrem zuwiderläuft, trotz qualifizierter Mehrheit als verfassungsw i d r i g zu behandeln; andererseits soll gegen eine generelle Abänderung oder Aufhebung grundrechtlicher Sätze durch verfassungsänderndes Gesetz k e i n juristisches K r a u t gewachsen sein (Widerspruch?). 45 Schmitt, Verfassungslehre, S. 103; ebenso Bilfinger, Reichssparkommissar, S. 17; Bühler, Reichsverfassung, S. 103; — A r t . 112 der norwegischen V e r fassung v o m 17. 5.1814 (s. oben A n m . 3 zu § 3) drückt daher n u r etwas Selbstverständliches aus. 4β Vgl. Schmitt (Anm. 45), S. 26, 103 f.; ders., Legalität, S.49if., 51 f.

102 § 3 Die Verbindlichkeit u n d Unabänderlichkeit des A r t . 79 Abs. 3 G G

m i t der gesamten Verfassung zu forschen. Dem BVerfG ist daher i n vollem Umfang zuzustimmen, wenn es ausführt: „Die einzelne Verfassungsbestimmung kann nicht isoliert betrachtet werden und allein aus sich heraus ausgelegt werden. Sie steht i n einem Sinnzusammenhang m i t den übrigen Vorschriften der Verfassung, die eine innere Einheit darstellt. Aus dem Gesamtinhalt der Verfassung ergeben sich gewisse verfassungsrechtliche Grundsätze und Grundentscheidungen, denen die einzelnen Verfassungsbestimmungen untergeordnet sind. Diese sind deshalb so auszulegen, daß sie m i t den elementaren Verfassunggsgrundsätzen und Grundentscheidungen des Verf assungsgesetzgebers 47 vereinbar sind" 4 8 . Das Ganze ist also aus dem einzelnen, das Einzelne aus dem Ganzen zu verstehen 49 . Dieser Blick auf die Verfassung als Ganzes, deren Identität und Kontinuität bei jeder Verfassungsänderung gewahrt bleiben müsse, führte Carl Schmitt zu dem Ergebnis, daß die i n der W R V positivierten Entscheidungen der verfassungsgebenden Gewalt: für die Demokratie, für die Republik, für die bundesstaatliche Struktur des Reiches, für eine grundsätzlich parlamentarischrepräsentative Form der Gesetzgebung und Regierung, für den bürgerlichen Rechtsstaat m i t seinen Prinzipien der Grundrechte und Gewaltenunterscheidung die unabänderliche Substanz der Verfassung ausmachten 50 . Dieses Ergebnis beruht auf der Erkenntnis, daß eine Verfassung sich selbst aufgibt und aufhört, die Grundordnung des gesamten Rechts zu sein, wenn sie den verfassungsändernden Gesetzgeber ermächtigt, sie, die Verfassimg, total umzugestalten. Deshalb muß eine Verfassungsänderung vor dem wesentlichen Bestandteil der Verfassung haltmachen, darf sie i n ihrem Wesensgehalt nicht antasten, unabhängig davon, ob die Verfassung eine positive Sperrnorm enthält oder nicht 5 1 . Es mag zugestanden werden, daß es schwierig sein kann herauszufinden, was zum „materialen K e r n " einer Verfassung zu rechnen ist und was nicht; aber jeder unbefangene Beobachter w i r d w o h l einräumen, daß es einen Unterschied macht, ob beispielsweise das Zitiergebot des A r t . 19 Abs. 1 Satz 2 GG, die Zuständigkeitsregelung des A r t . 14 Abs. 3 Satz 4 GG oder die Staatlichkeit der Länder geändert bzw. berührt oder gar aufgehoben w i r d . Es ist keine außergewöhnliche Aufgabe des Juristen, den Wesensgehalt, den Kern, die Substanz eines 47

Gemeint ist natürlich „Verfassungsgeber". BVerfGE 1, S. 15, 32; zu den Grundsätzen der Verfassungsauslegung vor allem Forsthoff, Z u r Problematik der Verfassungsauslegung; P. Schneider, V V D S t R L 20, 1963, S. 1 ff.; Ehmke, ebenda, S. 53 ff.; s. a. Scheuner, i n : Recht — Staat — Wirtschaft I I I , S. 137; Herb. Krüger, DVB1. 1961, S. 685 ft. 49 Vgl. Coing, Auslegungsmethoden, S. 14; Geiger, Mißverständnisse, S. 2. 50 Schmitt, Verfassungslehre, S. 23 f. 51 Ebenso Wolff, Verwaltungsrecht I, S. 112; ähnlich auch Ehmke, Grenzen, S. 99 f.; Bilfinger, A ö R 50, S. 182; Nef, Ζ. f. SchwR 61, S. 136 ff.; s. a. A n m . 45. 48

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Grundrechts, einer institutionellen Garantie, eines „Dinges an sich" herauszukristallisieren. Die Verfassung selbst 52 gibt dazu den Auftrag. Daß es immer wieder Grenzfälle geben wird, i n denen die Feststellung der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit eines Eingriffs Schwierigkeiten bereitet, liegt bereits i n der Natur der Rechtsnorm als einer generellen und abstrakten Regelung begründet. — Immerhin ist doch sehr bemerkenswert, daß Carl Schmitt das zum Bestandteil, d. h. zum rechtlich unangreifbaren K e r n der WRV erklärte, was w i r heute i n A r t . 79 Abs. 3 GG positiviert wiederfinden 53 . N u r eine Auslegung, die i n A r t . 76 WRV eine schrankenlose Ermächtigung des verfassungsändernden Gesetzgebers sah, konnte den Übergang von der Demokratie zur Diktatur auf scheinlegalem Wege ermöglichen. Selbstverständlich kann und soll hier nicht behauptet werden, daß die Revolution von 1933 54 durch eine andere Verfassungsauslegung verhindert worden wäre. „Jedenfalls hätte sich die nationalsozialistische Machtübernahme nicht so, wie geschehen, abspielen können, wenn die von Carl Schmitt entwickelte Theorie von den immanenten Schranken der Verfassungsänderung ein gesicherter Allgemeinbesitz der Verfassungsauslegung gewesen wäre 5 5 ." Denn Verfassungsschranken können einer Machtübernahme, sofern es dem Diktator auf ihre Legalität ankommt, durchaus erhebliche Hindernisse i n den Weg legen 5 5 . Unbegründet erscheint daher Haugs K r i t i k 5 6 , wonach die Carl Schmitt'sche Lehre der „Wegbereiter der Revolution" sein soll; denn man w i r d es doch als legitimes Anliegen einer Verfassung und Verfassungsauslegung ansehen dürfen, zu verhindern, „daß auf scheinlegalem Wege, d. h. unter mißbräuchlicher Anwendung der geltenden Verfassungsbestimmungen ihr Sinn und Ziel i n das Gegenteil verkehrt w i r d " 5 7 . A r t . 79 Abs. 3 GG erscheint nach all dem als eine dem Grundgesetz bereits immanente Schranke der Verfassungsrevision; er hat deklaratorischen Charakter, ist aber keineswegs überflüssig, sind doch durch ihn die i n der Weimarer Zeit bestehenden Zweifel beseitigt. 52

S. A r t . 19 Abs. 2 u n d insbes. A r t . 79 Abs. 3 GG selbst. Abgesehen v o n der Sozialstaatsklausel des A r t . 20 GG, die nach Forsthoff (Anm. 48), S. 29 Fußn. 4, „ m e h r oder weniger zufällig (!) i n den nach A r t . 79 Abs. 3 GG unveränderlichen T e i l des Grundgesetzes geraten ist". 54 Arndt DRZ 1948, S. 240 f., w i l l i m Anschluß an O L G Tübingen, ebenda, S. 141 f., nicht von einer Revolution, sondern v o n einer Usurpation sprechen; die vom NS-Regime erlassenen Gesetze, die ihrem Wesen nach nicht „gesetzliches Unrecht" enthielten, sollen danach n u r als Gewohnheitsrecht Geltung erlangt haben; gegen diese unbeholfene u n d lebensfremde F i k t i o n wendet sich zu Recht Thoma, D R Z 1948, S. 142 f.: das verfassungswidrig zustande gekommene Ermächtigungsgesetz v o m 24. 3.1933 (RGBl. I, S. 141) ist ein „ A k t einer die Weimarer Verfassung umstürzenden u n d als ,Verfassung 4 zerbrechenden Revolution"; ebenso BVerfGE 6, S. 331. 55 Forsthoff (Anm. 48), S. 27. se Haug, S. 187. 57 Maunz-Dürig, A r t . 79 R N 28. 53

104 § 3 Die Verbindlichkeit u n d Unabänderlichkeit des A r t . 79 Abs. 3 G G

U m jedoch keine MißVerständnisse aufkommen zu lassen: der Verfasser w i l l A r t . 79 Abs. 3 GG nicht schlechthin als deklaratorisch ansehen, sondern lediglich insofern, als auf Grund dieser Norm überhaupt gewisse Fundamentalsätze der Verfassung jeder Änderung entzogen sein sollen; denn jede Verfassungsänderung hat sich eines Eingriffs i n den Wesensgehalt der Verfassimg zu enthalten ! Doch was zum Wesensgehalt der Verfassung zu rechnen ist, das sagt A r t . 79 Abs. 3 GG, und zwar abschließend 58 ; und insofern sei A r t . 79 Abs. 3 GG durchaus auch konstitutiver Charakter beigemessen ! I I . Die Unabänderlichkeit des Art. 79 Abs. 3 GG Jede Diskussion über die Frage, ob nach dem Bonner Grundgesetz gewisse Verfassungsgrundsätze der Disposition des verfassungsändernden Gesetzgebers entzogen sind, sollte heute angesichts der ausdrücklichen Norm des A r t . 79 Abs. 3 GG bereits i m Keime erstickt sein. Doch wo es keine Probleme gibt, ist der Jurist fähig, solche zu erfinden. Es geht um die Frage, ob außer den i n A r t . 79 Abs. 3 GG genannten einzelnen Unantastbarkeiten auch dieser Abs. 3 selbst unantastbar ist; denn darüber sagt Axt. 79 Abs. 3 unmittelbar nichts aus, und i n der Tat: es ist bereits die Auffassung vertreten worden, daß Art. 79 Abs. 3 GG der Abänderung durch ein verfassungsänderndes Gesetz unterstehe 1 , so daß nach erfolgter Änderung auch die i n A r t . 79 Abs. 3 GG genannten Unantastbarkeiten legaliter beseitigt werden können. Hier ist nun der Punkt erreicht, an dem „sich das juristische Denken überschlägt" 2 . Es läßt sich w o h l kaum ein eindrucksvolleres Beispiel denken, an dem geradezu die Sinnwidrigkeit einer nur formal logischen Argumentation (die sich lediglich auf einen Umkehrschluß zu stützen weiß) demonstriert werden kann. Es ist bereits einmal 3 auf die (Analogie- und) Umkehrschlüssen allgemein innewohnende mangelnde Überzeugungskraft hingewiesen worden; i n besonderer Weise gilt dies für das Verfassungsrecht, noch dazu, wenn es sich u m die Auslegung der „zentralsten" Verfassungsnorm handelt. Was würde denn von der Unantastbarkeit der i n A r t . 79 Abs. 3 GG genannten Verfassungssätze übrig bleiben, wenn A r t . 79 Abs. 3 GG selbst nicht auch an der Unabänderlichkeit teilhätte? A r t . 79 Abs. 3 GG wäre eine restlos ins Leere laufende Norm 4 . Grundsätzlich w i r d man aber einem normsetzenden Organ, insbesondere dem Verfassungsgeber, unterstellen dürfen, daß er den Willen hat, nur Nor58

Ebenso Maunz-Dürig, A r t . 79 R N 24. So ζ. B. Jerusalem, N J W 1952, S. 1007; i m Grundsatz ebenso Schlesinger, ZöR 13, S. 113. 2 Dürig, AöR 79, S. 68 Fußn. 33. s S. oben A n m . 186 zu § 2 I V . 4 Α. A . Meyer-Arndt, AöR 82, S. 287. 1

I I I . A r t . 79 Abs. 3 G G als Ausfluß der demokratischen Idee

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men m i t sinnvollem Inhalt zu setzen. Man w i r d daher ganz allgemein der Auslegung, die aus einer Norm etwas Sinnvolles herauszulesen vermag, vor einer sinnentleerenden Auslegung den Vorzug geben dürfen. Diese simple Überlegung führt zur Unantastbarkeit auch des A r t . 79 Abs. 3 GG selbst 5 . M i t der Positivierung unantastbarer Normen läßt sich nun auch innerhalb des Verfassungsrechts eine Rangfolge der Normen bzw. der normsetzenden Organe feststellen, innerhalb der die von A r t . 79 Abs. 3 GG i n Bezug genommenen Normen und A r t . 79 Abs. 3 GG selbst obersten Rang einnehmen 6 . Die i n der Weimarer Zeit vorgetragene A u f fassung, daß Verfassung und einfache Gesetzgebung auf ein und derselben Stufe stehen, sollte nun endgültig der Vergangenheit angehören. I I I . Art. 79 Abs. 3 GG als Ausfluß der demokratischen Idee Wenn man i n A r t . 79 Abs. 3 GG eine unantastbare Norm sieht, über die selbst qualifizierte Mehrheiten von Bundestag und Bundesrat, ja nicht einmal Einstimmigkeit i n beiden Organen sich hinwegzusetzen rechtlich nicht befugt sein sollen 1 , so w i r d man — auf den ersten Blick vielleicht m i t Recht — die Frage stellen, ob sich eine derartige Norm mit dem demokratischen Gedanken verträgt, wonach grundsätzlich der Wille der jeweiligen Mehrheit des Volkes für das staatliche Leben maßgebend sein soll 2 ; denn einer konsequenten Vorstellung von der 5 Den Gesetzespositivisten w i r d man, w e n n überhaupt, so n u r m i t einem seiner Lieblingsbegriffe — der „ N o r m l o g i k " überzeugen können; danach ist es ein Gebot, daß außer den f ü r unantastbar erklärten anderen V e r fassungssätzen auch der Verfassungssatz selbst, der die Unantastbarkeit ausspricht, unantastbar sein muß; so Maunz-Dürig, A r t . 79 R N 50; Maunz, Festschrift für Laforet, S. 145; ebenso Peters, Festschrift f ü r Giacometti, S. 233; Nef, Ζ. f. SchwR 61, S. 121; Curtius , D Ö V 1954, S.706; a. A . Schmid, S. 136 ff., insbes. S. 140; Haug, S. 169 ff., 173: „Entscheidend gegen die These von der Unabänderlichkeit fällt allerdings erst ihre praktische (!) Konsequenz ins Gewicht, daß nämlich die Revisionsbestimmungen n u r auf revolutionärem Wege geändert werden könnten, eine Konsequenz, die der Rechtsidee geringe Dienste erweist" ; hier scheint m i r eine Vermengung rechtlicher u n d politischer Betrachtungsweise vorzuliegen; unentschieden Meyer-Arndt, AöR 82, S. 287. 6 S. a. W. Zeidler, DVB1. 1950, S. 599; Bay V erf GH, V G H 11, S. 136; — die verfassungsändernde Gesetzgebung ist also nicht eine von der einfachen Gesetzgebung n u r unwesentlich abweichende Gesetzgebungsart (so aber Maunz-Dürig, A r t . 79 R N 22 Fußn. 4 m. weit. Nachw.), sondern steht i n der Rangordnung eine Stufe höher; vgl. auch Akzin, Der Staat, 3. Bd., S. 261 ff., 277 f. 1

Tatsächlich dürfte sich w o h l ein i n beiden „Häusern" — mehr oder w e n i ger — einstimmig gefaßter Beschluß trotz seiner Illegalität durchsetzen, was zweifellos eine Revolution wäre; doch ist dies eine Frage der tatsächlichen Verhältnisse, der politischen, evtl. auch der militärischen Macht, über die zu handeln hier nicht der Ort ist. 2 S. BVerfGE 2, S. 12 f.; Maunz-Dürig, A r t . 79 R N 32 m. weit. Nachw.

4 Unantastbare Elemente der bundesstaatlichen Verfassungsordnung

Volkssouveränität — so könnte man meinen — würde es eher entsprechen, daß die Verfassimg jederzeit der Verfügung des Volkes und seiner Repräsentanz unterliegt 3 . Es ist bereits festgestellt worden 4 , daß das Volk als Träger der verfassungsgebenden Gewalt trotz unantastbarer Verfassungsnormen 5 i n der Lage ist, jederzeit die Grundlage der Rechtsordnung umzugestalten, jederzeit die alte durch eine neue Verfassung zu ersetzen. Condorcet kann man daher i n vollem Umfange zustimmen, wenn er sagt: „ U n peuple a toujours le droit de revoir, de réformer et de changer sa constitution 6 ." Das Volk hat — wenn man so w i l l — ein „Recht auf Revolution" 7 . Diesem Recht des Volkes entspricht es, wenn es selbst die „Gesamtentscheidung über A r t und Form der eigenen politischen Existenz" 8 trifft und eine Änderung dieses Staatsfundaments durch die von ihm eingesetzten Organe ausschließt, vielmehr die „Revision" dieser Grundentscheidung sich selbst vorbehält. Der Vorbehalt des Volkes hinsichtlich der grundlegenden Einrichtungen des Staates erscheint — so gesehen — dem demokratischen Gedanken nicht zuwiderzulaufen, sondern geradezu Ausfluß der demokratischen Idee zu sein 9 . I n den vom Volk für unantastbar erklärten Grundnormen manifestiert sich die oberste Gewalt, die absolute Herrschaft des Volkes: die Volkssouveränität. Seine Grundentscheidung steht nur für die von i h m eingesetzten Gewalten „unter verfassungsrechtlichem Frageverbot" 1 0 .

§ 4 Die unantastbaren Elemente der bundesstaatlichen Verfassungsordnung Bereits die Verfassungen des Deutschen Reiches von 1871 und 1919 hatten sich für einen bundesstaatlichen Aufbau des deutschen Staates entschieden. Diese Entscheidungen für den Bundesstaat waren jedoch m i t einer ausdrücklichen Garantie — wie der des A r t . 79 Abs. 3 GG — 3

Vgl. dazu Maunz-Dürig, A r t . 79 R N 21 m. weit. Nachw. 4 S. oben § 3 I 3 u n d 4. Die v o m V o l k als dem Träger des pouvoir constituant „ausgehen", nicht aber an das V o l k (als dem Träger des pouvoir constituant) adressiert sind. 6 I m E n t w u r f zu einer E r k l ä r u n g der Menschenrechte, 1793. 7 S. Scheuner, DÖV 1953, S. 584 Fußn. 21. 8 Schmitt, Verfassungslehre, S. 75. 9 Ebenso Quaritsch, S. 7 f.; a. A . Maunz-Dürig, A r t . 79 R N 6, 31; Dürig, AöR 79, S. 68 Fußn. 33; Zülch, Das Verbot v o n Verfassungsänderungen nach dem BGG, S. 116, 122; daher erscheint die Fragestellung: „ I s t ein so weitgehendes Verbot von Verfassungsänderungen, w i e es A r t . 79 Abs. 3 GG enthält, m i t den demokratischen Ordnungsprinzipien des G G selbst vereinbar?" (Untertitel von Zülchs Dissertation) bereits i m Ansatz verunglückt. 10 Quaritsch, S. 8. 5

§ 4 Unantastbare Elemente der bundesstaatlichen Verfassungsordnung

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nicht ausgestattet; daraus zog die damals herrschende Staatrechtslehre 1 den Schluß, daß die Bundesstaatlichkeit des Deutschen Reiches — wie jede Verfassungsnorm — den verfassungsändernden Mehrheiten der gesetzgebenden Körperschaften preisgegeben sei: „Alles ohne Unterschied des Inhalts und der politischen Tragweite" 2 sollte nach dieser Lehre auf dem von A r t . 78 aRV bzw. A r t . 76 W R V vorgeschriebenen Wege, also auf legalem Wege, i n die Verfassung aufgenommen oder aus ihr eliminiert werden können. Es sei freilich wahr — räumt Laband 3 als Konsequenz dessen, daß die Kompetenzausdehnung des Reiches keine begriffliche Schranke, sondern nur eine faktische Erschwerung durch die i n A r t . 78 (aRV) für Verfassungsänderungen erforderte Majorität erhalten habe, ein —, daß, wenn das Reich seine Kompetenz immer weiter und weiter ausdehne, es schließlich aufhören würde, ein Bundesstaat zu sein; aber es sei i n der Verfassung ja nirgend ausgesprochen, daß das Reich für alle Zeit ein Bundesstaat sein und bleiben müsse. Die Verfassung gestatte ebensowohl die Fortentwicklung i n dezentralisierender, föderalistischer Richtung als die Konsolidierung zum Einheitsstaat. G. Jellinek gar folgert aus der Souveränität des Bundesstaates, daß es für die Ausdehnung gegenüber den (nicht-souveränen) Gliedstaaten keine Grenze gebe; sie könne bis zur Vernichtung ihres staatlichen Charakters gehen und der Bundesstaat sich demgemäß i n einen Einheitsstaat verwandeln 4 . Diese Argumentation beruht auf der Vorstellung des allein „ K o m petenz-kompetenten" bzw. souveränen Bundesstaates, dem die Länder als nicht-souveräne Staaten eingegliedert seien. Demgegenüber gelangte die vorliegende Arbeit bei der Auseinandersetzung m i t der Theorie des Bundesstaates zu dem Ergebnis, daß sich Bund und Länder gleichgeordnet gegenüberstehen und erst zusammen den Bundesstaat bilden. B u n d und Länder sind danach i n gleicher Weise souverän, und zwar je teilsouverän. Die Vernichtbarkeit aller gliedstaatlichen Existenzen kann daher nicht auf die Kompetenz-Kompetenz, nicht auf „die den Ländern übergeordnete souveräne Macht des Bundes" gestützt werden. Die Länder i n ihrer Gesamtheit sind — legaliter — nicht vernichtbar. Dies gilt, da es sich insofern u m ein Kernstück jeder Bundesverfassung han1

Vgl. n u r Laband. Staatsrecht, l . B d . , S. 129; ders., Hirths Annalen, 1874, S. 1515; Haenel, Studien I, S. 177ff., 180; ders., Deutsches Staatsrecht, l . B d . , S. 776, 779; Meyer-Anschütz, S. 691 ff.; Jacobi, Rechtsbestand, S. 31; Anschütz, Komm., 14. Aufl., S. 403; G. Jellinek, Staatslehre, S. 783. 2 Anschütz (Anm. 1) ; Anschütz zählt ausdrücklich auf: Bundesstaat, Repub l i k , Demokratie, Wahlrecht, Parlamentarismus, Volksentscheid, Volksbegehren, Grundrechte! 3 Staatsrecht, 1. Bd., S. 129. 4 G. Jellinek (Anm. 1); ebenso Mayer, A ö R 18, S. 357 Fußn. 25 (speziell für den republikanischen Bundesstaat) unter Berufung auf G. Jellinek, Staatenverbindungen, S. 304, u n d Haenel (Anm. 1).

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delt, allgemein für jeden bundesstaatlich aufgebauten Staat 5 ; für die Bundesrepublik Deutschland ist diese Frage angesichts des A r t . 79 Abs. 3 GG, der i n der deutschen Verfassungsgeschichte ein novum darstellt, jeder Diskussion entzogen. Doch muß — lediglich zur Klarstellung — eine kleine K o r r e k t u r am Wortlaut des A r t . 79 Abs. 3 GG vorgenommen werden: nach der hier vertretenen dreigliedrigen Bundesstaatslehre w i r d durch A r t . 79 Abs. 3 GG selbstverständlich nicht die „Gliederimg des Bundes i n Länder", sondern die Gliederung der Bundesrepublik Deutschland in Bund und Länder für unantastbar erklärt. I m folgenden soll nun von der verfassungsgerichtlichen Nachprüfbarkeit der Einhaltung dieser Revisionsschranke und anschließend von der inhaltlichen Tragweite des A r t . 79 Abs. 3 GG, soweit er eine Änderung des Grundgesetzes, durch welche die Gliederung der Bundesrepub l i k Deutschland i n Bund und Länder und die grundsätzliche M i t w i r k u n g der Länder bei der Gesetzgebung berührt werden, als unzulässig erklärt, gehandelt werden. I. Prozessuale Vorfrage: Die Justiziabilität der Verfassungsänderung Die Revisionsschranke des A r t . 79 Abs. 3 GG wurde hier nicht als lediglich an die Verfassungsorgane erhobene politische Forderung, sondern als sie bindende Rechtsnorm erkannt 1 . Ist aber damit schon etwas über die (verfassungs-)gerichtliche Nachprüfbarkeit dieser Norm ausgesagt? Gehört die (gerichtliche) Durchsetzbarkeit — so könnte man fragen — zum Begriff einer Norm als Rechtsnorm? Kelsen 2 hat einmal darauf hingewiesen, daß einer Verfassung mangels einer richterlichen Prüfungsbefugnis der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen und Verordnungen „der Charakter voller Rechtsverbindlichkeit i m technischen Sinne" fehle, daß eine derartige Verfassung „von einem rechtstechnischen Standpunkt aus nicht viel mehr als einen unverbindlichen Wunsch" bedeute. Der Lehre Kelsens und seiner Schüler, die i m Zwangsmoment ein notwendiges Begriffselement des Rechts sieht, steht vor allem die heute sich mehr und mehr durchsetzende 5 Ebenso, w e n n auch i n der Begründung unterschiedlich: Schmitt, V e r fassungslehre, S. 24; Usteri, S. 322; speziell für das Schweizer Recht: Nef , Ζ. f. SchwR 61, S. 136 ff., 145 ff.; Haug, S. 239 ff.; Kägi y Z. f. SchwR 75, S. 839 a; Näf, S. 15 (jedoch aus politischer Sicht!); a. Α., v o m Schrifttum zur aRV u n d W R V abgesehen, bemerkenswerterweise auch Nawiasky, Bundesstaat, S. 39, der für das Schweizer Recht jedoch auch die föderativen Grundprinzipien f ü r von Rechts wegen unabänderlich h ä l t ; s. Nawiasky, Eidgenossenschaft, S. 39 ff. 1 S. oben § 3 I 2. 2 V V D S t R L 5, S. 78; zustimmend Spanner, Richterliche Prüfung, S. 60.

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Lehre von der Rechtsnatur des Völkerrechts entgegen 3 , nach der das Völkerrecht nicht lediglich eine Konventionsordnung, sondern wie das innerstaatliche Recht „zweifellos echtes Recht" 4 ist. Diese Lehre muß notwendigerweise auf das Zwangsmoment als Begriffsmerkmal des 3 Vgl. n u r Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, 1. Bd., S. 9 ff., 16 f., m. weit, umfangreichen Nachw. 4 Berber (Anm. 3), S. 17; auf Berbers Hinweis (a.a.O., S. 13), daß z.B. die Pflicht zur ehelichen Lebensgemeinschaft (§ 1353 BGB) zwar einklagbar, aber nicht erzwingbar (§ 888 Abs. 2 ZPO), die Pflicht zur Leistung unvertretbarer Dienste ebenfalls einklagbar, aber nicht erzwingbar (§ 888 Abs. 2 ZPO) sei, daß diese Pflichten aber dennoch anerkanntermaßen Rechtspflichten seien, obwohl es an der Erzwingbarkeit durch äußere Gewalt fehle, könnte m a n erwidern, daß es zwar an der unmittelbaren Erzwingbarkeit dieser Pflichten fehle, daß aber aus der Nichterfüllung dieser Rechtspflichten dem Partner — gewissermaßen sekundär — Rechte erwachsen, die gerichtlich durchsetzbar sind, etwa das Recht auf Scheidung (§ 48 EheG) bzw. der A n spruch auf Schadensersatz. — Wer auf das Zwangsmoment als Begriffselement des Rechtes v ö l l i g verzichtet, möge die Frage beantworten, was dann eigentlich das Recht noch v o n der Sitte oder der K o n v e n t i o n unterscheiden soll. Sicherlich würde eine Rechtsordnung zu funktionieren u n d damit zu existieren aufhören, wenn sie sich i n jedem Einzelfall m i t Gewalt durchsetzen müßte. W a r u m aber verzichten w i r nicht auf die komplizierte u n d kostspielige Gerichtsbarkeit, w e n n es ihrer für die Geltung des Rechts nicht bedarf? W a r u m bemühen sich die internationalen Organisationen u m die Einführung der Gerichtsbarkeit auch i n ihren Bereich? Wozu schließlich benötigt die UNO Friedenstruppen, w e n n schon die offizielle Feststellung einer rechtlichen Verfehlung eine ausreichende Rechtssanktion darstellen soll? Ob dahinter nicht w o h l die Einsicht steht, daß Rechtsgeltung — ganz ohne Durchsetzbarkeit — einfach undenkbar ist? (S. Herzog, Z. f. Politik, 1963, S. 147). M a n stelle sich das Chaos ohne Z i v i l - u n d Strafprozeß vor! Was nützt ζ. B. die schönste und feierlichste völkerrechtliche Verpflichtung eines Staates, den v o n i h m beherrschten V ö l k e r n das Selbstbestimmungsrecht zu gewähren, w e n n keine Instanz da ist, die f ü r die Durchsetzung dieser Verpflichtung sorgen kann? Ist es — wie Berber (a.a.O., S. 15 f.) meint — w i r k l i c h so „aufschlußreich, daß von den Tausenden von U r t e i l e n internationaler Gerichte, die i n den letzten 150 Jahren ergangen sind, n u r weniger als zehn nicht f r e i w i l l i g durch den verlierenden Staat befolgt wurden"? M a n müßte einmal untersuchen, ob der unterlegene Staat sich dem U r t e i l fügte, w e i l er von dessen Gerechtigkeit überzeugt w a r oder deswegen, w e i l ein Nachgeben letztlich i n seinem Interesse lag. Es dürfte keinen Staat geben, der eine völkerrechtliche Verpflichtung auch dann erfüllt, w e n n er hiervon nur Nachteile zu erwarten hat. Demgegenüber dürfte die Situation eines dem Recht Unterworfenen doch anderer A r t sein. — Die uralte u n d ewig junge Frage nach dem Geltungsgrund des Rechts k a n n hier freilich nicht beantwortet werden; dadurch jedoch, daß man der Gegenmeinung P r i m i t i v i t ä t und Beschränktheit des Blickwinkels v o r w i r f t (so Berber, a.a.O., S. 14), w i r d man der Lösung des Problems nicht näherkommen; generell möchte ich den Ausführungen von Hans Nef zustimmen, der i n Z. f. SchwR 61, S. 125/26 ausführt: „Der Zwangscharakter allen Rechts k a n n u. E. nicht heißen, daß jeder einzelne Rechtssatz i n jedem Falle muß erzwungen werden können, wenn überhaupt er ein Rechtssatz sein soll. Sondern wesentlich ist nur, daß eine Rechtsordnung als Ganzes gesehen überhaupt eine Macht zur Verfügung hat, die ihre Durchsetzung m i t Zwang verbürgt. Gewiß, wo einer ganzen Rechtsordnung die Möglichkeit einer V e r w i r k l i c h u n g durch Zwang überhaupt fehlt, da ist nicht mehr von Recht zu sprechen, denn i n diesem Sinne ist der Zwang ein wesentliches M e r k m a l des Rechts, aber das schließt nicht aus, daß einzelne Sätze dieser Rechtsordnung dann doch einfach nicht erzwungen werden können.

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Rechts verzichten, da es i m Völkerrecht i n der Regel an einer zwangsweisen Durchsetzung der zwischenstaatlichen Verbindlichkeiten mangelt 5 . Das BVerfG hat zur Frage der Durchsetzbarkeit ausgeführt, daß nicht jeder i m objektiven Verfassungsrecht begründeten Pflicht ein vor dem BVerfG verfolgbarer Anspruch eines anderen Beteiligten gegenüberstehen müsse. Es könne danach verfassungsrechtliche Pflichten geben, deren Feststellung durch das BVerfG die Interessierten nicht betreiben könnten. Eine solche verfassungsrechtliche Pflicht habe aber nicht geringere Bedeutung als eine solche, deren Erfüllung zum Gegenstand eines verfassungsrechtlichen Verfahrens gemacht werden könne 6 . Die Richtigkeit der Behauptung, daß gerichtlich durchsetzbare und nicht durchsetzbare Pflichten gleiche Bedeutung haben, w i r d man wohl bezweifeln können, soll hier aber nicht weiter verfolgt werden 7 . Die praktische Bedeutung zumindest dürfte bei gerichtlich nicht durchsetzbaren Normen jedenfalls geringer zu veranschlagen sein 8 ; man w i r d sie wohl als „nur leges imperfectae" 9 bezeichnen dürfen. A u f Grund der umfassenden Verfassungsgerichtsbarkeit w i r d — so möchte ich meinen — zunächst eine Vermutung eher für als gegen die gerichtliche Durchsetzbarkeit einer Verfassungsnorm sprechen. Was für einen Sinn sollte auch die hier zur Diskussion stehende Revisionsschranke, u m deren Formulierung i m Parlamentarischen Rat so hart gerungen wurde, haben, wenn die Einhaltung dieser Schranke vom Verfassungsgericht nicht nachgeprüft werden können soll 1 0 ? Schon der Zweck der Revisionsschranke spricht für die Überprüfbarkeit ihrer Einhaltung. Deswegen aber gehören sie doch als integrierende Bestandteile zu dieser Rechtsordnung und können als solche Bestandteile, die j a regelmäßig systematisch m i t allem andern Recht verbunden sind, gar nichts anderes sein als Rechtssätze. I n dieser Weise scheint uns die rechtsphilosophische Lehre v o n dem Zwangscharakter des Rechts durchaus vereinbar zu sein m i t der A n nahme, daß auch einzelne letztlich unerzwingbare Normen Rechtssätze sind." 5 Nach Kelsen, Rechtslehre, 1960, S. 321 ff., 324, ist auch das Völkerrecht eine Zwangsordnung und damit Rechtsordnung; den Zwangsakt setzt i m Völkerrecht der sich i n seinem Recht verletzt glaubende Staat selbst. 6 BVerfGE 13, S. 96 f. 7 S. dazu A n m . 4. 8 Vgl. ζ. B. Schönke-Baur, Zwangsvollstreckungs-, K o n k u r s - und Vergleichsrecht, 7. Aufl., Karlsruhe 1963, S. 1, 179/80; Schultz, M D R 1963, S. 279. 9 Vgl. dazu Bachof, Verfassungswidrige Verfassungsnormen?, S. 52. 10 Gerade u m die verfassungsgerichtliche Nachprüfung zu ermöglichen bzw. zu erleichtern, bemühte sich der Parlamentarische Rat (s. JöR n. F. 1, S. 579 if.) u m eine Formulierung, die nicht „so unbestimmt und schwammig" ist; denn anderenfalls wäre „eine Serie von Prozessen beim BVerfG unvermeidbar"; so Katz y JöR n. F. 1, S. 583; auch Hamann, Komm., S. 347 f., z.B., setzt die Prüfungsbefugnis des B V e r f G insoweit, ohne auf diese Frage ausdrücklich einzugehen, als selbstverständlich voraus.

I. Prozessuale Vorfrage: Die Justiziabilität der Verfassungsänderung

Wenn man das BVerfG für berechtigt und verpflichtet erklärt, über die Einhaltung der Revisionsschranken zu wachen, so bejaht man damit gleichzeitig die richterliche Prüfungszuständigkeit gegenüber Verfasssungsnormen 11 ; denn eine — von A r t . 79 Abs. 3 GG für unzulässig erklärte — Grundgesetzänderung kann, wenn sie den Anspruch, verbindlich zu sein, erheben w i l l , wie jede Grundgesetzänderung n u r durch ausdrückliche Änderung oder Ergänzung des Grundgesetztextes erfolgen 1 2 . Diese verfassungswidrige, aber formell doch i n die Verfassung eingegangene Norm zu vernichten 1 3 , ist Recht und Pflicht des BVerfG 1 4 . Es ist offenkundig, daß dem BVerfG damit die Aufgabe zugewiesen ist, i n politischen Auseinandersetzungen das letzte entscheidende Wort zu sprechen. Gegen diese „über alles bisherige weit hinausgehende Erweiterung der Zuständigkeit der Verfassungsgerichte" wendet sich insbesondere Apelt 15, da nunmehr — wie Apelt ausführt — „die letzte Entscheidung über zahlreiche, für die Entwicklung des Staates und des sozialen Lebens entscheidende Fragen nicht mehr auf der politischen Ebene und durch das auf dieser maßgebende Parlament i m Zusammenwirken m i t den übrigen an der Legislative teilhabenden Organen getroffen, sondern einem Staatsgerichtshof, d. i. also der Rechtsprechung, übertragen" werde. Das BVerfG werde damit vor Aufgaben gestellt, die dem Wesen der Rechtsprechung fremd seien. Von rechtspolitischer Sicht aus mögen diese Ausführungen vielleicht nicht völlig unberechtigt sein, am geltenden Verfassungsprozeßrecht vermögen sie nicht zu rütteln. Die Zuständigkeit des BVerfG, gerade auch politische Streitigkeiten zu entscheiden, ist nun einmal sehr weit 11 Bejahend, z.B.: Bachof (Anm. 9), insbes. S. 47 ff. m. Nachw.; ders., N J W 1952, S. 242 ff.; Drath, V V D S t R L 9, S. 113 (Leitsatz 9); Engelhardt, JöR n. F. 8, S. 128; BVerfGE 3, S. 225 ff., 234 ff.; Fuß, Richerliche Prüfungszuständigkeit, S. 40 ff., 122, der jedoch die Prüfungsbefugnis ausdrücklich auf verfassungsändernde Gesetze beschränkt; verneinend, z.B.: Apelt, Gesetzgebungstechnik, S. 8 ff.; ders., N J W 1952, S. 1 ff., m. weit. Nachw.; ders., JZ 1954, S. 401 ff.; Holtkotten, i n : Bonner Komm., Erl. I I A 1 a zu A r t . 93; Nawiasky, J Z 1954, S. 717; ders., V V D S t R L 9, S. 121 ff. (Aussprache). 12 A r t . 79 Abs. 1 Satz 1 GG. 13 Sc. deklaratorisch. 14 Dem stimmt auch Apelt, N J W 1952, S. 1 ff., zu; Apelt schließt nur — ähnlich w i e Fuß (Anm. 11) — die sog. „geltenden" Verfassungsnormen, das sind solche, die v o n Anbeginn formell Bestandteil der Verfassung sind, v o n der Prüfungsbefugnis des B V e r f G aus; vgl. dazu Bachof, N J W 1952, S. 242, r. Sp., der Apelt insofern einen Zirkelschluß v o r w i r f t . — Nach W. Jellinek, Grenzen, S. 13, hängt die Frage, ob ein verfassungsänderndes Gesetz auf Innehaltung der von der Verfassung selbst gesetzten Schranken überprüft werden kann, m i t der Frage des richterlichen Prüfungsrechts überhaupt zusammen. „Bejaht man es nach der leider (!) zur Herrschaft gelangten Lehre f ü r einfache Gesetze, so muß man es auch für verfassungsändernde Gesetze tun, da auch für sie die richtig verstandene Verfassung den Maßstab bildet." 15 N J W 1952, S. 3.

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gespannt; ein Umstand, den der Jurist einfach hinzunehmen hat. Doch ist es nicht so — wie Thoma m e i n t 1 6 —, daß dem BVerfG damit die Befugnis eingeräumt wird, „das geltende Recht aus eigener politischer Meinung heraus zu biegen (!) und zu beugen (!)". Vielmehr hat die Rechtsprechung des BVerfG gelehrt, daß auch politische Fragen einer rechtlichen Sicht zugänglich sind 1 7 . Der grundsätzliche Unterschied zwischen der Verfassungsgerichtsbarkeit und jeder anderen Gerichtsbarkeit liegt eben darin, daß es die Verfassungsgerichtsbarkeit „ m i t einer besonderen A r t von Rechtsstreitigkeiten, nämlich den politischen Streitigkeiten zu t u n hat. Unter politischen Streitigkeiten sind dabei solche Rechtsstreitigkeiten zu verstehen, bei denen über politisches Recht gestritten und das Politische selbst an Hand der bestehenden Normen zum Gegenstand der richterlichen Beurteilung gemacht w i r d " 1 8 . Politik und Recht können — i m Gegensatz zur herrschenden Meinung i n der Weimarer Zeit 1 9 — vielfach nicht klar geschieden werden: Teilbereiche unserer Rechtsordnung sind politisch durchdrungen; dies gilt — ζ. B. für das Strafrecht 2 0 und — i n ganz besonderem Maße für das Verfassungsrecht 21 , das die Entscheidung über A r t und Form der politischen Existenz eines Volkes enthält. Nochmals sei jedoch betont, daß das BVerfG auch i n politischen Streitigkeiten nur RecTitsentscheidungen fällen kann und w i l l . Sicher mag es nicht leicht sein, die innere Verbindimg von politischen Richtsätzen und rechtlichen Normen zu realisieren, ohne sich dem V o r w u r f einer politisierenden Justiz auszusetzen. Dem Bundesverfassungsgericht scheint aber diese Harmonisierung geglückt zu sein 2 2 . Trotz mancher i n der Literatur erhobener Bedenken (vor allem rechtspolitischer Art) kann und muß das BVerfG eine dem A r t . 79 Abs, 3 GG 16 Thoma, JöR n. F. 6, S. 171; daß diese Lehre eine Irrlehre wäre (so Thoma, a.a.O.), ist selbstverständlich; auch früher schon äußerte Thoma (in: Die Reichsgerichtspraxis i m deutschen Rechtsleben, 1. Bd., S. 197 ff.) Bedenken gegenüber einer Staatsgerichtsbarkeit i n politischen Fragen. 17 Vgl. Maunz, Bay VB1. 1963, S.33; ebenso Nawiasky, W D S t R L 9, S. 123 (Aussprache); Scheuner, DVB1. 1952, S. 295; Dreher, N J W 1951, S. 378; Kaufmann, W D S t R L 9, S. 11. 18 Höpker-Aschoff, JöR n. F. 6, S. 144/45; s. a. Maunz (Anm. 17); zur Grenze zwischen Rechtsfragen und politischen Zweckmäßigkeitsfragen vgl. a. Spanner, D Ö V 1961, S. 481 if., 483. 19 Vgl. n u r Schmitt, in: Die Reichsgerichtspraxis i m deutschen Rechtsleben, 1. Bd., S. 177; ders., Hüter, S. 22, 35; Meyer-Anschütz, S. 906. 20 S. §§ 80 ff. StGB. 21 S. Scheuner, DVB1. 1952, S. 296: „Verfassungsrecht ist politisches Recht"; vgl. a. Bilfinger, Z. f. Politik, 1929, S. 281 ff.; Smend, Festgabe f ü r K a h l , Tübingen 1923, S. 19; Schmitt, Verfassungslehre, S. 125; Feuchte, D Ö V 1964, S. 433; Franz Klein, ebenda, S. 472. 22 Maunz, Bay VB1. 1963, S.33; s. a. Smend, i n : Das Bundesverfassungsgericht, S. 33 f.

I. Prozessuale Vorfrage: Die Justiziabilität der Verfassungsänderung

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zuwiderlaufende Verfassungsänderung für rechtsungültig, d. h. für nichtig erklären 2 3 . Da das BVerfG jedoch ausnahmslos nur auf Antrag tätig wird, bleibt jetzt noch die Frage nach dem Verfahren, i n dem die Verfassungswidrigkeit einer Verfassungsänderung geltend zu machen wäre. Die folgenden Ausführungen müssen nun von Verfassungsnormen, die nicht vom Änderungsverbot des A r t . 79 Abs. 3 GG erfaßt werden, ausgehen; denn die gesamten bundesverfassungsgerichtlichen Zuständigkeiten nach dem GG und dem BVerfGG gehören sicher nicht zum änderungsfesten Minimum. Die Frage, ob die Verfassungsgerichtsbarkeit i m ganzen einer Verfassungsänderung standhielte 2 4 , mag h i e r 2 5 nur gestellt werden. Ihre restlose Beseitigung wäre zweifellos eine Änderung von gewaltigem Ausmaß; doch hieße es wohl den Rechtsstaatsbegriff überdehnen, wollte man auch die Verfassungsgerichtsbarkeit zu seinem Essentiale erklären 2 6 . Andererseits ist die Verfassungsgerichtsbarkeit gerade i n einem Bundesstaat eine—politisch—notwendige Einrichtung, da nur i n i h r eine echte Garantie für die Einhaltung der für einen Bundesstaat typischen Kompetenzverteilungsnormen gesehen werden kann 2 7 . Würde m i t der Aufhebung der Verfassungsgerichtsbarkeit das Verfassungsrecht nicht sehr an Effektivität — oder eventuell sogar seinen Rechtsnormencharakter — verlieren? Wie dem auch sei, die einzelnen Verfahrensarten und Zulässigkeitsvoraussetzungen sind jedenfalls modifizierbar; der Verfasser ist sich daher bewußt, daß die Verfahrensnormen, die nach seiner Auffassung die Überprüfung einer Verfassungsänderung auf ihre Legalität hin ermöglichen, einer Verfassungsänderimg unterliegen. M i t dieser Hypothek sind die folgenden Ausführungen belastet. Ausdrücklich ist i m Katalog der bundesverfassungsgerichtlichen Zuständigkeiten die Überprüfung von verfassungsändernden Gesetzen 23 Ebenso Maunz-Dürig, A r t . 79 R N 30; Giese-Schunck, Erl. I I 8 zu A r t . 79; Bachof (Anm. 9), S. 47 ff.; Herrfahrdt (in: Bonner Komm., Erl. I I 3 zu A r t . 79) sieht i n A r t . 79 Abs. 3 GG mehr eine politische Richtlinie als eine verbindliche Rechtsnorm, bejaht aber die Entscheidungsbefugnis f ü r den Fall, daß m a n dem A r t . 79 Abs. 3 GG staatsrechtliche Bedeutung beüegt. 24 Sc. rechtlich. 25 S. a. unten S. 123/24. 26 Ähnlich auch' Scheuner, DVB1. 1952, S. 298. 27 Verständlich daher, daß m a n sich i n der Schweizer L i t e r a t u r (vgl. Fleiner Giacometti, S. 83, 887, 933 f.; Imboden, Z. f. SchwR 74, S.239; ders., i n : V e r fassungsgerichtsbarkeit i n der Gegenwart, S. 524; Usteri, S. 278) über die mangelnde Verfassungsgerichtsbarkeit über Bundesgesetze (s. A r t . 113 Abs. 3 SBV) beklagt u n d die Einführung einer umfassenden Verfassungsgerichtsbarkeit i m föderalen Bereich fordert; s. dazu a. Triepel, Festgabe f ü r K a h l , S. 10. 8 Harbich

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oder allgemein von Verfassungsnormen nicht vorgesehen 2 8 ' 2 9 . Das BVerfG hat jedoch bereits — m. E. durchaus zu Recht— entschieden, daß es sich für befugt hält, die Unwirksamkeit von Verfassungsnormen i m Rahmen der konkreten Normenkontrolle nach A r t . 100 Abs. 1 GG zu prüfen und festzustellen 30 . Dieses Verfahren ist jedoch für den Fall, daß die bundesstaatliche Struktur angetastet wird, praktisch völlig ungeeignet: man stelle sich vor, daß die verfassungsändernden Mehrheiten von Bundestag und Bundesrat die Umwandlung der Bundesrepublik i n einen Einheitsstaat beschließen und der Bundespräsident diese Grundgesetzänderung auch tatsächlich verkündet. Wollte man i n so einem Fall erst abwarten, ob vor einem Gericht ein Rechtsstreit anhängig wird, bei dessen Entscheidung es auf die Gültigkeit dieser Verfassungsänderung ankommt, und ob dieses Gericht die Entscheidung des BVerfG einholt, dann wäre es — inzwischen — u m unseren Bundesstaat sicherlich schon längst geschehen. Es soll keineswegs verkannt werden, daß es fraglich sein mag, ob das BVerfG i m Ernstfall i n der Lage wäre, einer revolutionären Bewegung zum Einheitsstaat, die von qualifizierten Mehrheiten der Volksvertretung und der Länderregierungen getragen wird, durch seinen Richterspruch Einhalt zu gebieten. Vor der Illusion eines allmächtigen Verfassungsgerichts kann — nicht nur i n dieser Frage, sondern ganz allgemein — nicht eindringlich genug gewarnt werden. Erinnert sei nur an den sog. „Preußenschlag" vom 20. 7.1932, der gegen das rechtsstaatliche und bundesstaatliche Fundament der Weimarer Republik gerichtet war. Durch das Urteil des Staatsgerichtshofs 31 wurde zwar ein Teil der Maßnahmen des Reichspräsidenten, und zwar gerade das Kernstück der antiföderalistischen A k t i o n 3 2 , für verfassungswidrig erklärt. Doch wurde die Staatskrise durch das Urteil nicht behoben. Die politischen Kräfte waren damals stärker als der „klare Spruch des hohen Gerichts" 8 3 , und alsbald wurde der föderative Aufbau der Weimarer Republik total vernichtet 3 4 . Dennoch sollte man einer richterlichen Entscheidung nicht von vornherein jegliche Effektivität absprechen. Es ist durchaus denkbar, daß ein Richterspruch, getragen von der i n der gesamten Öffentlichkeit 28 I m Parlamentarischen Rat hat m a n bei der Beratung der bundesverfassungsgerichtlichen Zuständigkeiten an diese Möglichkeit nicht gedacht; vgl. JöR n. F. 1, S. 579 ff., 669 ff. 29 Vgl. demgegenüber A r t . 75 Abs. 3 BV, A r t . 42 Bay VerfGHG. 30 BVerfGE 3, S. 225 ff., 230 f.; a. A . Apelt, J Z 1954, S.404, da unter Gesetz i. S. des A r t . 100 Abs. 1 GG n u r das „einfache Gesetz" zu verstehen sei. 31 RGZ 138, A n h . S. 1 ff. 32 RGZ, a.a.O., S. 40 ff. 33 Maunz, Staatsrecht, S. 400. 34 Endgültig durch das Gesetz über den Neuaufbau des Reichs v o m 30.1.1934 (RGBl. I, S. 75).

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anerkannten Autorität des Bundesverfassungsgerichts, — nunmehr entlarvten — revolutionären Bestrebungen ein Ende bereiten kann. Diese Möglichkeit w i r d niemand leugnen können. Doch als Voraussetzung für eine Einwirkungsmöglichkeit durch richterlichen Spruch auf die politischen Kräfte w i r d man — für den Fall eines Angriffs auf das bundesstaatliche Fundament — verlangen müssen, daß eine Entscheidung des BVerfG — und zwar auf A n t r a g der Landesregierungen) — so bald als möglich herbeigeführt werden kann. Das Verfahren nach A r t . 100 Abs. 1 GG dürfte damit trotz theoretischer Zulässigkeit wegen seiner Schwerfälligkeit als praktisch unbrauchbar ausscheiden. Nun kennt unser Verfassungsprozeßrecht auch mehrere Verfahren, die durch die Länder, d. h. durch deren Regierungen, i n Gang gebracht werden können. Für unseren hypothetischen F a l l einer die bundesstaatlichen Grundlagen angreifenden Verfassungsänderung bietet sich zunächst die abstrakte Normenkontrolle nach A r t . 93 Abs. 1 Nr. 2 GG an, m i t dem Antragsrecht jeder Landesregierung (und eines Drittels der Mitglieder des Bundestages). Bei der Normenkontrolle nach A r t . 93 Abs. 1 Nr. 2 GG steht die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts als Hüters der Verfassung 35 i m Vordergrund. Es hat i m Rahmen dieses Verfahrens auch über die Erhaltung der bundesstaatlichen Struktur zu wachen 36 . Die Frage nun, ob man unter „Bundesrecht" i. S. des A r t . 93 Abs. 1 Nr. 2 GG auch Bundesverfassungsrecht zu verstehen hat, hat das BVerfG bisher nicht entschieden, es hatte dazu noch keine Gelegenheit. Man w i r d dies aber annehmen dürfen; denn dadurch w i r d das BVerfG seiner Aufgabe, Hüter der Verfassung zu sein, i n vollem Umfang gerecht werden können. Es wäre auch ein seltsames Ergebnis, wollte man das BVerfG nach A r t . 93 Abs. 1 Nr. 2 GG für befugt halten, eine Rechtsverordnung aus dem Bereich des Straßenverkehrsrechts, nicht jedoch eine Verfassungsänderung auf ihre Verfassungsmäßigkeit h i n zu überprüfen. Das Verfahren nach A r t . 93 Abs. 1 Nr. 2 GG i n Verbindung m i t §§ 13 Nr. 6, 76 ff. BVerfGG dürfte daher zur Überprüfung der Legalität einer Verfassungsänderung grundsätzlich zulässig sein 3 7 . Eine Verfassungsänderung, die sich gegen das bundesstaatliche Fundament richtet, w i r d immer ausnahmslos auch i n die durch A r t . 79 Abs. 3 GG geschützten Rechte eines oder mehrerer oder aller Länder eingreifen 38 . I n so einem F a l l handelt es sich nicht nur u m eine abstrakte Normenkontrolle, sondern zugleich und notwendigerweise u m eine Meinungsverschiedenheit über Rechte und Pflichten des Bundes und eines 35 Auch der Reichsstaatsgerichtshof hatte sich bereits als „ H ü t e r der V e r fassung" bezeichnet; s. Zwischenentscheidung v o m 15.10.1927, LammersSimons 1, S. 295. 36 So BVerfGE 1, S. 195 f. 37 Lechner, Komm., A n m . 3 a zu § 16 Nr. 6. 38 A . A . Zülch, S. 24 ff., 27 f.

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Landes i. S. des A r t . 93 Abs. 1 Nr. 3 G G 3 9 . Da nach der Rechtsprechung des B V e r f G 3 9 auch der Erlaß eines Gesetzes eine „Maßnahme" i. S. der §§ 64, 69 BVerfGG sein kann, bestehen m. E. keine Bedenken, auch ein verfassungsänderndes Gesetz als Maßnahme i. S. der genannten Bestimmungen anzusehen. A u f das Verfahren sind dann sowohl die besonderen Vorschriften der §§ 76 ff. als auch die der §§ 68 ff. BVerfGG anzuwenden. Beide Verfahren schließen sich nämlich nicht aus, sondern überschneiden sich 39 . Die Verfassungsmäßigkeit der Verfassungsänderung ist also rechtlich und gerichtlich überprüfbar. Läßt sich — so lautet, bevor von den eigentlichen inhaltlichen Grenzen der Verfassungsänderung gesprochen werden soll, hier die letzte Frage — jede Verfassungsänderung, die das Bund-Länder-Verhältnis betrifft, an einem allgemeinen Prinzip, nämlich dem der Erforderlichkeit, messen? K a n n man für jede Verfassungsänderung i m föderativen Bereich verlangen, daß sie „erforderlich" sein muß? Das Prinzip der Erforderlichkeit, zunächst i m Polizeirecht entwickelt und anerkannt, wurde i n der weiteren Entwicklung für das gesamte Verwaltungsrecht i n Anspruch genommen 4 0 ; heute entfaltet dieser Grundsatz Bindungswirkungen auch gegenüber der gesetzgebenden Gewalt 4 1 . N u n auch noch die verfassungsändernde Gewalt i n diese Richtung binden zu wollen, hieße, das Prinzip der Erforderlichkeit gewissermaßen noch eine Stufe höher zu heben. I m Bereich der Gesetzgebung und der Gesetzesvollziehung geht es u m die Meßbarkeit und Voraussehbarkeit staatlichen Handelns gegenüber dem gewaltunterworfenen Bürger; es sind letztlich wohl rechtsstaatliche Gesichtspunkte, die dieses Prinzip tragen 4 2 . I m Bereich der Verfassungsänderung geht es u m diese Fragen nicht, jedenfalls nicht i m föderativen Raum. Der Idee nach haben Föderalismus und Rechtsstaatlichkeit nichts miteinander zu tun. Daß die Rechtsstaatlichkeit i n einem föderativ aufgebauten Staat diktatorischen Bestrebungen gegenüber größere Widerstandskraft aufweist als i n einem Einheitsstaat, beruht mehr auf einem politisch-soziologischen als einem logisch notwendigen Zusammenhang. Der Grundsatz der Erforderlichkeit ist immer zweckbezogen 43 ; man mißt an ihm, ob das zur Erreichung eines bestimmten Zweckes ergriffene 39 BVerfGE 1, S.30; ebenso BVerfGE 4, S. 122; s. a. v. Mangoldt, Komm., S. 429; Giese-Schunck, Erl. I I 8 zu A r t . 79, nennen als Verfahrensnorm n u r A r t . 93 GG schlechthin, jedoch keinen Abs. u n d keine Nr. dieses Artikels. 40 Zur Entwicklung des Grundsatzes der Erforderlichkeit vgl. Lerche, Ubermaß, S. 24 ff., m. weit. Nachw. 41 Z u r Begründung dieses Prinzips Lerche, Ubermaß, S. 29 ff., 53 ff. 42 S. a. Dürig, AöR 81, S. 146. 43 S. Lerche, Übermaß, S. 19 f.

I. Prozessuale Vorfrage: Die Justiziabilität der Verfassungsänderung

M i t t e l „die geringsteinschneidenden Folgen" hervorruft 4 3 . Diese Frage läßt sich bei einer Verfassungsänderung, die eine Verschiebung von Bundes- und Landeskompetenzen vorsieht, gar nicht stellen. Die Entscheidung f ü r den Bundesstaat ist eine politische Grundentscheidung des Verfassungsgebers, eine Entscheidung für ein bestimmtes politisches Formprinzip. Die Gewichts- und Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern ist eine Frage der Politik. I n einem demokratischen Bundesstaat, dessen Verfassung wie das Bonner Grundgesetz Verfassungsänderungen zuläßt, ist jeweils die — evtl. qualifizierte — Mehrheit der politischen Kräfte dazu berufen, das Verfassungsrecht ihren politischen Vorstellungen entsprechend (um)zugestalten. Hier ist der Raum, i n dem die politischen Kräfte Entscheidungen treffen; ihre Aufgabe ist nicht die Anwendung gesetzten Rechts, sie subsumieren nicht, sie dezidieren. Hier, wo politische Ideen ins Recht umgesetzt werden 4 4 , sollte man den politischen Kräften größtmögliche Freiheit einräumen; von der Einhaltung äußerster Grenzen (Art. 79 Abs. 3 GG) freilich können sie nicht befreit werden. Soweit aber die bundesstaatliche Struktur als politisch funktionierendes System erhalten bleibt, ist die verfassungsändernde Gewalt frei. Wie wollte man auch die Erforderlichkeit einer Verfassungsänderung überprüfen? Das einzige Prinzip, das sich hier als Prüfungsmaßstab anbietet, ist das der Subsidiarität: Grundsatz des ersatzweisen Beistandes der höheren Einheit, wenn die Kräfte der unteren (besser: kleineren) Einheit nicht ausreichen 45 . Danach dürfte eine Kompetenzänderung zugunsten des Bundes erst dann und nur dann vorgenommen werden, wenn die Länder als kleinere Einheit nicht fähig sind, ihren Aufgaben gerecht zu werden. Diesem Prinzip muß jedoch die Eigenschaft als Prüfungsmaßstab für Verfassungsänderungen schon deswegen abgesprochen werden, w e i l es trotz einiger Versuche i m Verfassungskonvent von Herrenchiemsee nicht zum Inhalt des positiven Rechts gemacht wurde 4 6 , insbesondere nicht zum Inhalt des Art. 79 Abs. 3 GG. Wenn man auch i m Hinblick auf einige A r t i k e l des GG (Art. 2, 6, 9, 28) w i r d sagen können, „daß der Verfassungsgeber das Subsidiaritätsprinzip berücksichtigen w o l l t e " 4 7 , so ist es dennoch nicht als Rechtsprinzip i n das 44

Vgl. Scheuner, Festgabe f ü r Smend, 1962, S. 249. Maunz, Staatsrecht, S. 68; ders., in: Maunz-Dürig, A r t . 28 R N 1; s. a. Maunz-Dürig, A r t . 1 R N 53, 54 m. weit. Nachw., A r t . 2 Abs. 1 R N 52 dd; Süsterhenn, Festschrift für Nawiasky, S. 141 ff., u n d vor allem auch Herzog, Der Staat, 2. Bd., S. 399 ff. 46 Vgl. Maunz, Staatsrecht, S. 68; Maunz-Dürig, A r t . 1 R N 54; vgl. a. BVerfGE 10, S. 59 ff., 83, w o zwar davon die Rede ist, daß das Subsidiaritätsprinzip ζ. B. i n A r t . 6 Abs. 2 GG Ausdruck gefunden habe, aber unentschieden bleibe, ob es als Grundsatz i m GG enthalten sei; demgegenüber hat die U n t e r suchung von Herzog, „Subsidiaritätsprinzip und Staatsverfassung", Der Staat, 2. Bd., S. 399 ff., insbes. S. 411 ff., gezeigt, daß das Subsidiaritätsprinzip v o m GG nicht rezipiert wurde. 47 Maunz-Dürig, A r t . 28 R N 1. 45

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Verfassungsrecht eingegangen. Es ist nach geltendem Recht ein politisches, ein soziologisches, aber kein rechtliches Prinzip. Man w i r d für eine Änderung der Verfassung (rechtlich) nicht einmal einen sachlichen Gesichtspunkt verlangen können. Wenn sich die verfassungsändernden Mehrheiten i n Bundestag und Bundesrat für eine Kompetenzverlagerung, ζ. B. auf dem Sektor der rechtsprechenden Gewalt, zugunsten des Bundes entscheiden, dann ist nicht danach zu fragen, ob diese Änderung sachlich gerechtfertigt ist. Die politischen Kräfte gestalten hier das Verfassungsrecht nach ihrem freien Ermessen-18, nach ihrem Gutdünken, nach ihrem Belieben. Wie wollte man sich auch die verfassungsgerichtliche Nachprüfung der Frage, ob eine Verfassungsänderung sachlich gerechtfertigt ist, vorstellen? Schließlich ließen sich doch auch sachliche Gesichtspunkte für (die Umwandlung in) einen Einheitsstaat anführen. Jeder sachliche Gesichtspunkt kann hier nur politischer, nicht rechtlicher A r t sein. Solange der K e r n des föderativen Systems nicht angetastet wird, sind die politischen Kräfte frei. Ihre Entscheidungen binden; dem Bundesverfassungsgericht sind die Arme, die sonst weit zu greifen gewohnt sind, hier gebunden; es hat nur über den bundesstaatlichen K e r n zu wachen. I I . Die Unantastbarkeiten im einzelnen Die verfassungsändernde Gewalt ist durch A r t . 79 Abs. 3 GG zugunsten der Erhaltung der Gliederung der Bundesrepublik Deutschland i n Bund und Länder und deren grundsätzlicher M i t w i r k u n g bei der Gesetzgebung beschränkt. Die Jurisprudenz kennt nun verschiedene Methoden, einen Rechtssatz auszulegen 1 . Es liegt auf der Hand, daß eine Methode allein zur Aus-r legung der zentralen Norm unseres Verfassungsrechts nicht ausreichen kann. Wollte man A r t . 79 Abs. 3 GG beispielsweise nur vom Wort her interpretieren, könnte dies zu den kuriosesten Ergebnissen führen: So wäre es m i t dem Wortlaut des A r t . 79 Abs. 3 GG („Länder") vereinbar, wenn die Länder als rechtsfähige Einheiten m i t irgendwelchen beliebigen Hoheitsrechten erhalten blieben, und der Zahl nach brauchten nur zwei Länder übrig zu bleiben, u m dem Erfordernis der Gliederung i n „Länder" (Mehrzahl!) zu genügen 2 , wobei der räumliche Umfang dieser Länder völlig belanglos wäre; es müßte danach zulässig sein, alle Länder 48 Ohne die üblichen Ermessensschranken einhalten zu müssen; zutreffend Hamann, Komm., S. 348. 1 Z u r Verfassungsauslegung s. P. Schneider, W D S t R L 20, 1963, S. I f f . ; Ehmke, ebenda, S. 53 ff.; Forsthoff, Z u r Problematik der Verfassungsauslegung; Herb. Krüger, DVB1. 1961, S. 685 ff. 2 So Maunz-Dürig, A r t . 23 R N 11, A r t . 29 R N 7, A r t . 79 R N 34.

I I . Die Unantastbarkeiten i m einzelnen

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m i t Ausnahme Bremens aufzulösen und sie einen einzigen zweiten Bundesgliedstaat bilden zu lassen. Es ist unschwer zu erkennen, daß sich derartige „Verfassungsänderungen" m i t der recht verstandenen Garantie des A r t . 79 Abs. 3 GG nicht i n Einklang bringen ließen. Sie könnten sich auf eine buchstabengetreue, nicht aber auf eine sinngetreue Interpretation des A r t . 79 Abs. 3 GG gründen 3 . Der schon dem römischen Recht vertraute Grundsatz „scrire leges non hoc est verba earum tenere, sed v i m ac potestatem" 4 verdient hier i n besonderem Maße zur Geltung gebracht zu werden. Wenn eine Norm verschiedenen Auslegungen zugänglich ist, derart, daß die eine zu einem vernünftigen, andere hingegen zu einem praktisch unbrauchbaren Ergebnis führen, so w i r d man w o h l der sinnvollen Auslegung den Vorzug geben dürfen; d. h.: es ist nach dem vom Verfassungsgeber m i t A r t . 79 Abs. 3 GG verfolgten Ziel zu suchen und dabei eine Auslegung zu finden, die selbstverständlich auch m i t dem Wortlaut des A r t . 79 Abs. 3 GG vereinbar ist; denn der Wortlaut einer Norm ist Anfang und Grenze jeder Interpretation. 1. D i e E r h a l t u n g Die E n t s c h e i d u n g

für

der L ä n d e r

als

den p o l i t i s c h e n

Staaten Bundesstaat

Es liegt i n der Natur der Aufgabe jeder Verfassungsneuschöpfung, das staatliche Leben neu zu ordnen. Wie ein Januskopf blickt der Verfassungsgeber hierbei rückwärts und vorwärts. Die Norm des A r t . 79 Abs. 3 GG beruht nun offenkundig auf einer politisch bitteren Erfahrung der jüngsten Vergangenheit. Unmißverständlich bringt sie zum Ausdruck, daß eine Wiederholung der Ereignisse von 1933/34 von Verfassungs, d. h. von Rechts wegen ausgeschlossen sein soll: eine Aushöhlung und Beseitigung der Länder ist heute Rechtens nicht mehr möglich. Man mag darüber streiten, ob dem föderalistischen Ordnungsprinzip ein eigener sittlicher Wert zuzusprechen ist oder nicht; i n die Idee der Diktatur läßt es sich jedenfalls, wenn überhaupt, so nur sehr schwer einfügen; und es ist bezeichnend, daß der Nationalsozialismus gleich zu Beginn seiner Herrschaft das Deutsche Reich vom Bundesstaat i n einen Einheitsstaat umformte 5 . Ein funktionsfähiger Bundesstaat, i n 3 So Lerche i n seinem (nicht veröffentlichten) Gutachten f ü r das L a n d Hessen i m Neugliederungsstreit, der zum U r t e i l des BVerfG v o m 11. 7.1961 (E 13, S. 54 ff.) führte. Der Verfasser ist H e r r n Prof. Lerche für die Ü b e r lassung des Gutachtens zu großem Dank verpflichtet. 4 Celsus, Dig. I. 3, 17. 5 Eine ähnliche Erscheinung finden w i r i n der D D R ; mag es i m Z e i t p u n k t der Entstehung der D D R (Verfassung v o m 7.10.1949) noch zweifelhaft gewesen sein, ob sie juristisch als Einheitsstaat oder als Bundesstaat zu konstruieren war, so sind diese Zweifel durch das Gesetz über die weitere

4 Unantastbare Elemente der bundesstaatlichen Verfassungsordnung

dem die Länder nicht nur als rechtliche Einheiten, sondern auch als politische Gebilde dem Bund gegenübertreten können, ist m i t eine Gewähr für den Bestand einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung 6 — ohne damit das Wesen des bundesstaatlichen Bündnisses charakterisieren zu wollen. Wenn A r t . 79 Abs. 3 GG die „Gliederung des Bundes i n Länder" für unantastbar erklärt, so w i r d damit das Bund-Länder-Spannungsverhältnis verfassungsrechtlich bejaht und die Forderung nach dessen Aufrechterhaltung erhoben 7 . Echte föderalistische Spannung setzt aber Bund und Länder als organisierte Einheiten m i t politischem Eigengewicht voraus. Bund und Länder sind daher nicht nur als rechtsfähige Einheiten garantiert, sondern die Substanz ihrer Eigenstaatlichkeit ist von Rechts wegen jeglichem Zugriff entrückt. Diese Vorstellung von der Garantie auch der „Länder-Staatlichkeit" wurzelt nicht i n irgendeinem Wunschdenken, das man i n solchen Fragen süddeutschen Richtungen der Staatsrechtslehre zu unterstellen schnell bereit ist, sondern beruht darauf, daß eine andere Auslegung einfach keinen Sinn ergibt; denn was für ein Interesse hätte der Verfassungsgeber von 1949 an der Erhaltung lediglich der Rechtsfähigkeit der Länder haben sollen? Es ist selbstverständlich, daß die Garantie der Staatlichkeit i n gleicher Weise Bund und Länder erfaßt 8 . Wenn sich die folgenden Ausführungen nur auf die Länder konzentrieren, so hat das seinen Grund darin, daß eine „Entstaatlichung" des Bundes der Welt verfassungswirklichkeitsfremder Betrachtungen angehören dürfte, da sich i n einem Bundesstaat das Schwergewicht der staatlichen Aufgaben nach politisch-soziologischen Gesetzen nicht zur territorialen, sondern zur zentralen Instanz zu verlagern pflegt 9 . Doch sei, u m keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen, vorweggeschickt, daß von der Theorie her für den Bund nichts anderes gilt als für die Länder. Demokratisierung des Aufbaus u n d der Arbeitsweise der staatlichen Organe i n den Ländern der DDR v o m 23. 7.1952, das sog. Demokratisierungsgesetz, das die Gebiete der f ü n f Länder i n vierzehn Bezirke aufteilte, endgültig beseitigt; vgl. dazu Maunz, Staatsrecht, S. 338 ff.; Mampel, S. 21 ff. β Grewe (in: Politische Treupflicht i m öffentlichen Dienst, F r a n k f u r t / M a i n 1951, S. 43) ist zuzugestehen, daß das föderative Prinzip k e i n notwendiger Bestandteil einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist, doch besteht kein Anlaß, i n der Aufnahme der föderativen Ordnung i n A r t . 79 Abs. 3 GG eine „bedauerliche Fehlkonstruktion" (so Grewe, a.a.O.) zu sehen; ähnlich wie hier auch Strauß, Gedächtnisschrift f ü r W. Jellinek, S. 114; Süsterhenn, Festschrift f ü r Nawiasky, S. 152; s. a. Maunz, Staatsrecht, S. 182. 7 I n diesem Sinn auch Laux, S. 105; vgl. a. das v o n Geiger, Mißverständnisse, S. 15, gezeichnete B i l d des „lebendigen Bundesstaates". 8 I n diesem S i n n auch Bachof, Verfassungswidrige Verfassungsnormen?, S. 43 f.; ebenso Laux, S. 109. 9 Z u den unitarischen Tendenzen i m Bundesstaat der Gegenwart: Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 14 ff.

I I . Die Unantastbarkeiten i m einzelnen

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Die Garantie der Staatlichkeit der — jeweils existierenden — Länder 1 0 geht, wie bereits angedeutet, über die Garantie ihrer Existenz als rechtsfähiger Einheiten hinaus. Danach ist nicht erst die Umwandlung des Bundesstaates i n einen Einheitsstaat, i n dem die Länder nur noch Verwaltungsbezirke dieses Einheitsstaates bilden, ausgeschlossen11, sondern bereits der Entzug ihrer Staatlichkeit begegnet rechtlich unübersteigbaren Schranken. Damit ist zunächst die Verfassungsautonomie der Länder für unantastbar erklärt 1 2 , d. h. innerhalb des von A r t . 28 GG gesetzten Rahmens, dessen Einengung kaum zulässig sein dürfte, muß den Ländern Gestaltungsfreiheit bleiben; so w i r d ihnen das GG nicht ein bestimmtes Regierungssystem — konstruktives oder jederzeitiges Mißtrauensvotum — vorschreiben können, die Institution eines Staatspräsidenten nicht verwehren dürfen, die Verantwortlichkeit des Ministers gegenüber dem Parlament, unmittelbare demokratische Einrichtungen, das Zweikammersystem, weder fordern noch für unzulässig erklären dürfen; auch über Wahlalter, Wählbarkeit zum Abgeordneten, Minister, Ministerpräsidenten, über Wahlperiode, über Auflösung oder Nichtauflöslichkeit der Volksvertretung innerhalb der Wahlperiode w i r d jede Landesverfassung für sich selbständige Entscheidungen treffen können müssen 13 . Darüber hinaus müssen die Länder über unabgeleitete Hoheitsmacht (gegenüber dem Bürger) „verfügen", soll ihre Souveränität, d. h. ihre Staatlichkeit, erhalten bleiben. Das bedeutet, daß den Ländern ein Raum reserviert bleiben muß, i n dem sie frei sind von Weisungen oder ähnlichen Akten länderfremder Organe. Diese Forderung beinhaltet i m Ergebnis das Verbot, den Ländern das Gesetzgebungsrecht 14 als solches 15 zu entziehen. Wären die Länder nämlich nur mehr m i t dem Vollzug von Bundesgesetzen betraut, so hätten sie keinen weisungsfreien Raum, da 10

Z u r (mangelnden) Existenzgarantie des einzelnen Landes s. unten § 4 I I 4 b. n Allg. M.; vgl. n u r Maunz-Dürig, A r t . 79 R N 33. 12 Vgl. Wernicke , in: Bonner Komm., Erl. I I 1 b zu A r t . 20; Koellreutter, Staatsrecht, S. 138; Laux, S. 106; s. a. G. Jellinek, Staatslehre, S. 493. 13 Vgl. dazu Maunz-Dürig, A r t . 28 R N 6 ff. 14 I n dem m a n allgemein das den Staat charakterisierende Recht sieht; vgl. n u r Maunz-Dürig, A r t . 79 R N 33; Nawiasky, Bundesstaat, S. 15 f., 65; Grewe, i n : Der K a m p f u m den Wehrbeitrag, 2. Halbbd., München 1953, S. 735; — hier w i r d also die Garantie des Gesetzgebungsrechts der Länder (wie übrigens auch des Bundes) bereits dem Passus „Gliederung des Bundes i n Länder", nicht erst der „grundsätzlichen M i t w i r k u n g der Länder bei der Gesetzgebung" entnommen; dies i m Gegensatz zu Maunz, Staatsrecht, S. 183; Maunz-Dürig, A r t . 79 R N 36, 37; vgl. a. Κ . H. Klein, S.44: „ V o n einer Aufgliederung i n Länder kann nur so lange die Rede sein, als die Länder eine eigene Gesetzgebung haben"; ebenso Herr fahr dt, in: Bonner Komm., Erl. I I 3 zu A r t . 79. 15 A u f den I n h a l t der Gesetzgebungskompetenz soll es hier noch nicht ankommen; dazu u n t e n S. 128/29.

4 Unantastbare Elemente der bundesstaatlichen Verfassungsordnung

„das Verhältnis von normsetzendem und normvollziehendem Staat den Einfluß des gesetzgebenden gegenüber dem die Gesetze vollziehenden Staat verlangt" 1 6 . Der weisungsfreie Raum jedoch ist der der Gesetzgebung 17 . Und wenn beispielsweise dem Land nur noch das Recht zustehen sollte, die Biersteuerpflicht gesetzlich zu regeln, so wäre es ein Staat, wenn es dieses Recht als unabgeleitetes besitzt. Weisungsfreiheit i m Grundsatz ist also m i t ein Erfordernis der Staatlichkeit. I m Widerspruch zur Staatlichkeit der Länder stünde daher der Erlaß eines Gesetzes 18 , das die Landesregierungen schlechthin der Bundesregierung unterstellen wollte; ein derartiges Unterwerfungs- und Abhängigkeitsverhältnis charakterisiert das Verhältnis des Staates zum kommunalen Verband, die Staatlichkeit der Länder würde es sicher vernichten; zumindest wäre damit jedes politische Gegengewicht gegenüber dem Bunde ausgeschaltet; ein Bundesstaat i m politischen Sinn, dem auch gewisse territoriale Macht,,Vollkommenheiten" wesenhaft sind, wäre ein derartiges Gebilde nicht mehr. Das gewählte Beispiel ist keineswegs nur theoretisches Gedankengebilde, hat doch bekanntlich das Gesetz über den Neuaufbau des Reiches vom 30.1.1934 19 i n A r t . 2 Abs. 2 kurz und bündig erklärt: „Die Landesregierungen unterstehen der Reichsregierung." Auch ohne — durch dieses Gesetz gleichzeitig verfügte — Auflösung der Landesvolksvertretungen und ohne Übertragung der Landeshoheitsrechte auf das Reich wäre wohl allein schon durch A r t . 2 Abs. 2 des genannten Gesetzes die Staatlichkeit der Länder angetastet, d. h. aufgehoben worden. Heute würde ein derartiger „Neuaufbau" der Bundesrepublik unzweifelhaft an der Sperrklausel des A r t . 79 Abs. 3 GG scheitern 20 . Art. 79 Abs. 3 GG wehrt nun aber nicht nur massive Angriffe auf die Länderstaatlichkeit, sondern auch bereits leichtere „Berührungen" ab, wie ζ. B. die Einführung eines generellen Mitwirkungsrechts des Bundes an der Regierung 2 1 der Länder, etwa i n der Form, daß einem Bundeskommissar allen gliedstaatlichen A k t e n gegenüber ein allgemeines Vetorecht zustünde. Dieses Mitwirkungsverbot w i l l aber nur auf den landeseigenen Bereich bezogen sein, d. h. auf die Landesgesetzgebung und den Vollzug dieser Landesgesetze. Unbedenklich wäre die Ausdehnung der 16 K.Zeidler, D V B L 1960, S. 575; ebenso schon Triepel, Festgabe f ü r Laband, 2. Bd., S. 303. 17 Doch manifestiert sich die Staatsgewalt nicht nur i n der Ausübung gesetzgebender, sondern ebenso i n der Ausübung vollziehender u n d rechtsprechender Gewalt; s. A r t . 20 Abs. 2 Satz 2 GG. 18 Zwischen einfachen u n d verfassungsändernden Gesetzen braucht hier nicht unterschieden zu werden, da beide Gesetzestypen i n gleicher Weise dem Gebot des A r t . 79 Abs. 3 GG unterworfen sind. 19 RGBl. 1934, I, S. 75. 20 Sc. rechtlich. 21 I. S. des angelsächsischen (die drei Gewalten der Legislative, Exekutive u n d Judikative umfassenden) „government".

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Bundesvollzugskompetenzen, bis sich die Bereiche des Bundesvollzugs und der Bundesgesetzgebung decken. Die Staatlichkeit der Länder steht hier nicht auf dem Spiel; anders jedoch beim sog. landeseigenen Bereich: hier ist — grundsätzlich — Freiheit vom Bunde unbedingtes Gebot 2 2 . Es wäre mit A r t . 79 Abs. 3 GG nicht i n Einklang zu bringen, würde einem Bundesorgan beispielsweise die Befugnis eingeräumt werden, ein von der Landes Volksvertretung beschlossenes Gesetz zu beanstanden m i t der Folge, daß das Landesparlament die W i r k u n g dieses Einspruchs nur durch nochmaligen Beschluß, eventuell m i t qualifizierter Mehrheit oder gar überhaupt nicht überwinden könnte 2 3 . Das Verfahren bis zum Zustandekommen des maßgeblichen Gesetzestextes einschließlich der Ausfertigung und Verkündung durch die zuständigen Landesorgane muß frei bleiben von jeder rechts erheblichen M i t w i r k u n g des Bundes, sei es i n der Form eines Zustimmungs- oder Einspruchsrechts. Pointiert könnte man sagen: „Eine Zensur findet nicht statt", womit auch hier — wie i n A r t . 5 Abs. 1 Satz 3 GG — eine Vorzensur gemeint ist; unbedenklich demgegenüber die Institution einer — kontrollierenden, nicht rechtsgestaltenden 24 — Verfassungsgerichtsbarkeit; denn mag auch das Verfassungsgericht ermächtigt sein, politische Streitigkeiten zu entscheiden, die Grundlage seines Urteils bildet die Rechtsnorm, die Verfassungsnorm, nicht die eigene politische Meinung, wie sie für die am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe ausschlaggebend ist. I n der (Bundes-)Verfassungsgerichtsbarkeit ist daher kein die Staatlichkeit der Länder tangierender Fremdkörper zu sehen; ja, das Bundesverfassungsgericht ist gerade (auch) dazu berufen, die Existenz der Länderstaatlichkeit zu sichern, es ist „genauso Hüter des Landesbereichs gegenüber Zugriffen des Bundes (und umgekehrt) wie Hüter des Individualbereichs 22 Daher ist es zu begrüßen, daß das GG n u r mehr die sog. abhängige A u f sicht kennt; h. M.; s. Maunz-Dürig, A r t . 84 R N 43 m. weit. Nachw.; a. A . Bullinger, AöR 83, S. 302 ff.; ders., AöR 87, S. 488 ff.; Frowein, Die selbständige Bundesaufsicht nach dem GG, S. 54, w i l l i n der selbständigen Bundesaufsicht ein Wesensmerkmal des Bundesstaates sehen; demgegenüber möchte ich eher der Meinung sein, daß eine selbständige Bundesaufsicht dem Wesen des Bundesstaates zuwiderläuft. 23 Die deutschen Länder könnten ζ. B. nicht auf die Stufe der italienischen Regionen herabgedrückt werden; die Verfassung der Italienischen Republik v o m 27.12.1947 sieht nämlich i n A r t . 124 ff. mannigfache Einflußrechte der Republik gegenüber den Regionen vor: nach A r t . 127 Abs. 1 muß jedes v o m Regionalrat angenommene Gesetz einem Regierungskommissar mitgeteilt werden, der es, vorbehaltlich des Einspruchs der Regierung (sc. der Republik) m i t einem Sichtvermerk versehen muß; vgl. dazu C. Mortati, Istituzioni d i D i r i t t o Publico, 6. Aufl., Padua 1962, S. 807 f.; es ist offenkundig, daß eine derartige Abhängigkeit die Staatlichkeit der Regionen ausschließt; sie sind daher auch i n ihrer ganzen Existenz v o m Staate, d. h. von der Republik, abhängig; s. Mortati, a.a.O., S. 750; — ähnlich w i e hier — für das Recht der USA — Loewenstein, Verfassungsrecht u n d Verfassungspraxis der V e r einigten Staaten, S. 89. 24 Vgl. Scheuner, DVB1. 1952, S. 296.

4 Unantastbare Elemente der bundesstaatlichen Verfassungsordnung gegenüber Z u g r i f f e n des S t a a t e s " 2 5 . D i e V e r f a s s u n g s g e r i c h t s b a r k e i t f ü r bundesstaatliche S t r e i t i g k e i t e n scheint m i r d a h e r i m B u n d e s s t a a t n i c h t n u r n i c h t e i n F r e m d k ö r p e r z u sein, s o n d e r n i m P r i n z i p auch a n d e r S p e r r e des A r t . 79 A b s . 3 G G t e i l z u h a b e n ; d e n n n u r sie garantiert letztlich die E i n h a l t u n g der Bundes- u n d Landeskompetenzen, die Voraussetzung eines f u n k t i o n s f ä h i g e n B u n d e s s t a a t e s 2 6 . Das I n s t i t u t d e r V e r fassungsgerichtsbarkeit f ü r B u n d - L ä n d e r - S t r e i t i g k e i t e n stellt somit w e n i g e r e i n Essentiale des j u r i s t i s c h e n Bundesstaates, als e i n E r f o r d e r nis eines f u n k t i o n i e r e n d e n Bundesstaates i n d e r p o l i t i s c h e n W i r k l i c h k e i t (der deutschen B u n d e s r e p u b l i k ) d a r 2 7 . E i n e M i t w i r k u n g des B u n d e s i m landeseigenen B e r e i c h d ü r f t e sich also, s o w e i t sie r e c h t s e r h e b l i c h e n C h a r a k t e r a u f w e i s t , m i t d e r S t a a t l i c h k e i t d e r L ä n d e r grundsätzlich n i c h t v e r e i n b a r e n l a s s e n 2 8 ; einzelne A u s n a h m e n w i e d i e g e n e r e l l e R e v i s i b i l i t ä t des L a n d e s b e a m t e n r e c h t s 2 9 mögen dabei hingenommen werden. 25

Lerche, Bay VB1. 1958, S. 235. E i n Überblick über den Rechtszustand i n anderen föderativ aufgebauten Staaten zeigt, daß die Verfassungsgerichtsbarkeit entweder nach geltendem Recht die föderativen Streitigkeiten erfaßt oder, soweit das nicht der F a l l ist, wie insbesondere i n der Schweiz, deren Erstreckung auf föderative Streitigkeiten von der Wissenschaft gefordert w i r d ; zum Rechtszustand i n A r g e n tinien u n d M e x i k o s. Barberis, in: Verfassungsgerichtsbarkeit i n der Gegenwart, S. 39 ff., 51 f., 392 ff., 398; zum Rechtszustand i n Österreich s. Melichar, ebenda, S. 454, 457; zum Recht der USA s. Kauper, ebenda, S. 589 ff.; zum Recht des Commonwealth s. Whinney, ebenda, S. 83 ff.; zum Schweizer Recht s. oben A n m . 27 zu § 4 I ; zusammenfassender Überblick bei Bräutigam, in: V e r fassungsgerichtsbarkeit i n der Gegenwart, S. 748 ff.; allgemein zur richterlichen Kontrolle des Verhältnisses zwischen B u n d u n d Gliedern auch Friesenhahn, ebenda, S. 94; Scheuner, DVB1. 1952, S. 298. 27 I m Ernstfall müßte über die Verfassungsmäßigkeit der Aufhebung der Bundes Verfassungsgerichtsbarkeit das B V e r f G selbst befinden; es ist schwer vorzustellen, daß das B V e r f G seine Enthebung bestätigen würde; zur Problematik, der sich das B V e r f G beim Versuch seiner Ausschaltung gegenübergestellt sieht, s. Spanner, DÖV 1963, S. 648 ff. 28 Demgegenüber ist die M i t w i r k u n g der Länder bei der Gesetzgebung u n d V e r w a l t u n g des Bundes m i t dessen Staatlichkeit durchaus vereinbar: die Länder werden an der Ausübung hoheitlicher Gewalt beteiligt, die sich (auch) auf i h r Gebiet u n d V o l k erstreckt; insofern w i r d m a n den Einfluß der Länder — von der Sicht des Bundes aus — nicht als fremd bezeichnen können, w ä h rend sich die M i t w i r k u n g des Bundes i m landeseigenen Bereich als Einfluß der größeren auf die kleinere Einheit darstellt; interessant i n diesem Z u sammenhang, daß Ridder, Blätter f ü r deutsche und internationale Politik, 1962, S. 519, den Umstand, daß nach dem GG zwar die Länder über den Bundesrat i n die Bundeswillensbildung eingebaut sind, nicht aber der Bund i n die Länderwillensbildung, zum Ausgangspunkt nimmt, u m die „bedauerliche Wendung" des bundesverfassungsgerichtlichen Urteils (E 13, S. 54 ff.), das den B u n d zum „Oberstaat" macht, zu kritisieren; denn „eher wäre das Gegenteil richtig" (Ridder, a.a.O.). 29 S. § 127 des Beamtenrechtsrahmengesetzes i. d. F. v o m 1.10.1961 (BGBl. I S. 1835), dessen Vereinbarkeit m i t dem G G (insbes. A r t . 99) das BVerfG (E 10, S. 285 if.) zu Recht bejaht hat; i n diesem Sinn auch Bettermann, JZ 1958, S. 235 if.; Arndt, DVB1. 1957, S.566f.; a. A . Haas, DVB1. 1957, S. 368 if., 567 (m. weit. Nachw.). 26

I I . Die Unantastbarkeiten i m einzelnen

125

Anders wäre eine lediglich politische, d. h. rechtlich unverbindliche Mitwirkung des Bundes zu beurteilen, etwa i n der A r t , daß der Bund auf dem Gebiet der Rahmenkompetenz neben dem Erlaß eines Rahmengesetzes auch ein „Ausführungsgesetz" dazu entwirft und es den Ländern zur einheitlichen „Übernahme" empfiehlt. Auch i m Bereich der ausschließlichen Landeskompetenz muß dem Bund nicht jede Initiative verwehrt sein; so könnte er unbedenklich einen einheitlichen Beginn des Schuljahres i m ganzen Bundesgebiet vorschlagen. Solange es dem rechtlich und politisch freien Entschluß der (zuständigen) Landesorgane überlassen bleibt, die vom Bund vorgeschlagene Regelung zu übernehmen oder selbst ein Gesetz auszuarbeiten und zu erlassen, ist die Staatlichkeit der Länder nicht tangiert. Planende und beratende Tätigkeit des Bundes i m landeseigenen Bereich ist unter dem Gesichtspunkt der Länderstaatlichkeit, wenn auch nicht gerade erwünscht, so doch so lange unbedenklich, als die rechtserheblichen Entscheidungen letztlich vom Land allein i n eigener Verantwortung getroffen werden; d. h. die Grenze, bis zu der der Bund auf die Länder Einfluß nehmen darf, ist sicher dann überschritten, wenn hinter der Tätigkeit der Länder nur mehr deren juristische Person, nicht aber deren eigene politische K r a f t steht. Wenn zuvor behauptet wurde, daß ein Land auch dann noch Staatscharakter hat, wenn es nur mehr über ein unabgeleitetes Hoheitsrecht verfügt, so war dies selbstverständlich i n einem ausschließlich rechtlichen Sinne zu verstehen 30 . Der politische Betrachter würde einem derart blutarmen Gebilde das Prädikat der Staatlichkeit sicherlich ohne Bedenken absprechen — und von seiner Sicht durchaus zu Recht 31 . Rechtstheoretisch könnte man zwar noch von einem Staat sprechen, der Forderung des A r t . 20 Abs. 1 und des A r t . 79 Abs. 3 GG jedoch würde eine derartige Rechtslage nicht mehr gerecht; denn die i n diesen A r t i k e l n getroffene Entscheidung des Verfassungsgebers ist eine Entscheidung für den politischen Bundesstaat: nicht die Wahrung eines formalen Bundesstaatsprinzips ist das Anliegen der A r t . 20 Abs. 1 und 79 Abs. 3 GG, sondern die Garantie des zentralen und der territorialen Gemeinwesen als politisch kraftvoller Faktoren i m Rahmen des sie umfassenden Gesamtstaates. Danach muß die Staatlichkeit des Bundes und der Länder m i t gewissen materialen Funktionen aufgefüllt sein, derart, daß zwischen Bund und Ländern zwar nicht gerade politisches Gleichgewicht 30 Der Staatsbegriff ist nämlich nicht schlechthin ein einheitlicher: seine spezifische Differenz k a n n i n rechtlicher Beziehung sehr leicht woanders liegen als i n politischer oder philosophischer oder moralischer; so Rehm, Staatslehre, S. 11; ähnlich Fleiner-Giacometti, S. 45 Fußn. 38; Giacometti, Staatsrecht, S.30f. 31 Weber, Spannungen u n d Kräfte, S. 65 ff., 77, vermag bereits nach geltendem Verfassungsrecht i n den Ländern keine Staaten zu sehen, da ihre K o m p e tenzen „nach Umfang u n d Qualität so wenig bedeutend sind".

4 Unantastbare Elemente der bundesstaatlichen Verfassungsordnung

besteht, daß aber die Länder zumindest ein politisches Gegengewicht zum Bunde bilden können. Unbestreitbar ist, daß nicht jede jetzt bestehende Landeszuständigkeit für unantastbar erklärt ist. Eine Abänderung des Gesetzgebungskatalogs i m Wege der Verfassungsrevision ist also nicht ausgeschlossen32, sie ist ja auch schon praktiziert worden 3 3 ; doch sind der verfassungsändernden Gewalt Schranken gesetzt, an die sie stößt, lange bevor sie den Ländern das letzte Hoheitsrecht entziehen wollte. „Es muß eine Grundsubstanz der eigenen, unabgeleiteten, unabhängigen Wirkung für jedes bestehende Land übrig bleiben 3 4 ." Die Hoheitsgewalt der Länder darf nicht derart eingeschränkt werden, daß sie innerlich ausgehöhlt wird, die Gelegenheit zu kraftvoller Betätigung verliert und nur noch ein Scheindasein führen k a n n 3 5 . Doch was besagt das i m einzelnen? Man w i r d als Merkmale eines Staates im politischen Sinn* Q, zu dessen Existenz und Garantie sich A r t . 20 Abs. 1 und 79 Abs. 3 GG bekennen, fordern müssen, daß er die drei materiellen Funktionen, die der Gesetzgebung, der Regierung (und Verwaltung) und der Rechtsprechung besitzt 3 7 , und zwar nicht als formale Befugnisse, sondern als Rechte mit innerem Gewicht; wobei hier unter Verwaltung und Rechtsprechung als unentziehbaren Landesfunktionen nur der Vollzug von Landesgesetzen verstanden werden soll. Gegen die Unentziehbarkeit des Mitwirkungsrechts der Länder bei der „ A u s f ü h r u n g " 3 8 von Bundesgesetzen spricht vor allem der Wortlaut des A r t . 79 Abs. 3 GG, d. h. der Umkehrschluß aus dieser Norm, wonach über die i n A r t . 79 Abs. 3 GG enthaltenen Unantastbarkeiten hinaus weitere unantastbare Fundamentalnormen nicht konstruiert werden können 3 9 — es sei denn, sie werden von einem funktionsfähigen Bundesstaat zwingend gefordert, was man von dem Recht der Länder, die Bundesgesetze „auszuführen", sicherlich nicht sagen kann. I n A r t . 79 Abs. 3 GG ist dieses Recht nicht genannt und folglich auch nicht unter seinen Schutz gestellt. Das Ergebnis gibt — von der Sicht der Länder aus — auch keinen Anlaß zur Besorgnis; denn das Interesse des Bundes, die gesamte verwaltende und rechtsprechende Tätigkeit — soweit sie Bundesgesetze betrifft — an sich zu ziehen, dürfte 32 A l l g . M.; s. n u r Maunz-Dürig, A r t . 79 R N 35. 33 S. z. B. A r t . 73 Ziff. 1, A r t . 74 Ziff. 11 à. 34 Maunz-Dürig, A r t . 79 R N 35. 35 So der Staatsgerichtshof (RGZ 126 A n h . S. 14 ff., 22) z u m Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden u n d Gemeindeverbände nach A r t . 127 W R V ; s. a. Maunz-Dürig, A r t . 79 R N 35 Fußn. 4; Haug, S. 241 Fußn. 58; Geiger, M i ß v e r ständnisse, S. 6. 36 I m Gegensatz zum Staat als Rechtsbegriff; s. A n m . 30. 87 Vgl. G. Jellinek, Staatslehre, S.493; speziell f ü r A r t . 79 Abs. 3 G G Curtius, Schranken der Änderung, S. 79; Laux, S. 107 ff. 38 I. S. der A r t . 83 ff. GG und i. S. der rechtsprechenden Tätigkeit. 39 Maunz-Dürig, A r t . 79 R N 24.

I I . Die Unantastbarkeiten i m einzelnen

127

so groß nicht sein, da dem Bund einerseits die „Überwachung" des V o l l zugs seiner Gesetze zusteht 4 0 — und zustehen muß — und andererseits verwaltende und rechtsprechende Organe — gleich welchen Rechtsträgers — unbedingt (Art. 20 Abs. 3, 79 Abs. 3 GG!) an das Gesetz gebunden sind; und gerade die Einhaltung des Gesetzes zu überprüfen ist — jedenfalls i m Prinzip — ein unentziehbares Recht des normsetzenden Staates. Die Befugnisse des Bundes i n diesem Bereich dürften auf Grund des geltenden Verfassungsrechtes umfassend genug sein, als daß für ihn ein Anreiz, den gesamten Vollzug der Bundesgesetze „ i n eigene Regie zu nehmen", bestehen könnte. Noch geringer dürfte das Interesse des Bundes sein, Landesgesetze zu vollziehen, müßten doch i n diesem Fall den Ländern 4 1 Aufsichtsbefugnisse gegenüber dem Bund eingeräumt werden; die Folge wäre insofern ein ÜberordnungsVerhältnis von Bund zu Land, an dem dem Bund — rechtlich und politisch — sicherlich nicht viel gelegen sein wird. Das Kernstück der Staatlichkeit zumindest i m heutigen modernen Staat, für den eine zunehmende Verlagerung von Initiativen, welche früher der Verwaltung zustanden, auf die Gesetzgebung 42 , verbunden m i t einer weitgehenden Einschränkung des verwaltungsbehördlichen Ermessensspielraumes 43 , charakteristisch ist, bildet die gesetzgebende Gewalt. Mag auch der Aufgabenbereich der Verwaltung ständig i m Wachsen begriffen sein — was i m Anschwellen der Behördenapparatur sichtbar i n Erscheinung t r i t t —, die „Initialzündung" für die Verwaltung bildet die Gesetzgebung 44 ; i m Gesetz, nicht i n der Verwaltung, werden die sachlichen Entscheidungen getroffen 45 . Der Auftrag der Verwaltungsbehörden beschränkt sich i m wesentlichen auf „Rechtsanwendung i m Sinne der Feststellung und Verkündung dessen, was Rechtens i s t " 4 6 . I m Bereich der Gesetzgebung müssen daher den Ländern Kompetenzen verbleiben, auf Grund deren sie zu Regelungen „von substantiellem Gewicht" 4 7 befugt und fähig sind. Nach heutiger Verfassungsrechtslage „bleiben für eine w i r k l i c h eigenständige Regelung nur die bekannten Reservate der Länder, namentlich der Kulturbereich, das Polizei- und Kommunalrecht und, vorbehaltlich bundesgesetzlicher Regelungen, die 40

Mittels der Bundesaufsicht u n d der Revisionsgerichtsbarkeit. Entsprechend der Bundesaufsicht u n d der Bundesrevisionsgerichtsbarkeit. S. Hesse, S. 18. 43 s. dazu z.B. Köttgen, Gemeinde u n d Bundesgesetzgeber, S. 70; Geiger, Bay VB1. 1964, S. 67. 44 Köttgen, DÖV 1953, S. 362; s. a. ders., Festgabe für Muthesius, S. 30. 45 Vgl. a. Lerche, DVB1. 1958, S. 524 ff., 527, w o allerdings eine andere Frage (Grundrechtseinschränkung durch „Gesetz") i m Vordergrund steht. 46 Flume, Festschrift für Smend, Göttingen 1952, S. 86; dazu auch Köttgen (Anm. 43), S. 71. 47 BVerfGE 4, S. 115, 129. 41

42

4 Unantastbare Elemente der bundesstaatlichen Verfassungsordnung

freilich immer größeren Umfang annehmen, das Recht der inneren Verwaltung"48. Was kann den Ländern hiervon noch genommen werden? Was muß ihnen bleiben? Es ist selbstverständlich, daß sich eine scharfe Trennungslinie zwischen gerade noch zulässiger und bereits unzulässiger Verfassungsänderung i. S. des A r t . 79 Abs. 3 GG nicht finden lassen w i r d 4 9 ; es kann hier immer nur darum gehen, den Maßstab zu entwerfen, an Hand dessen i m Einzelfall die Vereinbarkeit einer Verfassungsänderung m i t A r t . 79 Abs. 3 GG zu prüfen ist: Die Länder müssen sich nicht nur i n ihrer formalen Stellung von Selbstverwaltungskörpern abheben 50 ; die Staatlichkeit i m politischen Sinn erfordert auch einen (materialen) Aufgabenbereich, i n dem das Volk und seine Organe Entscheidungen, politische Entscheidungen treffen können. Sollten sich die Aufgaben der Länder nur noch auf das Krankenhauswesen, den Straßenbau und die Müllabfuhr erstrecken, so hätten w i r w o h l einen Selbstverwaltungskörper — m i t keineswegs unwichtigen Aufgaben —, aber kein Staatswesen mehr vor uns 5 1 . Die Staatlichkeit verlangt einen Raum, i n dem politisches Handeln, d. i. verantwortliches, ethisch gebundenes und begrenztes Handeln 5 2 , nicht nur die Ausführung eines fremden, mehr oder weniger schon konkretisierten Willens möglich ist. Die Aufgaben der Länder müssen daher politisch (noch) so attraktiv sein, daß die Landesvölker ihre (Volks-) Vertretungen (auch) der Landesaufgaben, und nicht (nur) des Einflusses wegen, den die Länder über den Bundesrat i m Bunde ausüben, wählen 5 3 . 48

Hesse, S. 15; s. a. Geiger, Bay VB1. 1964, S. 67/68. Das liegt i m Wesen der generalklauselartigen Formulierung des A r t . 79 Abs. 3 GG, die wie jede Generalklausel zur Rechtsunsicherheit beiträgt, andererseits aber i m Einzelfall zweckmäßige, „richtige" u n d gerechte E n t scheidungen ermöglicht; hierfür besonders i l l u s t r a t i v die Rechtsprechung des BVerfG zu den „allgemeinen Gesetzen" als den Schranken der Meinungsäußerungs- u n d Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 u n d Abs. 2 GG): BVerfGE 7, S. 198 ff., insbes. S. 210 ff.; E 15, S. 223 ff. 50 Vgl. dazu a. G. Jellinek, Staatenverbindungen, S. 314; Küster, SJZ 1948, Sp. 121; Geiger, Bay VB1. 1964, S. 65. 51 A u f den ersten Blick könnte es scheinen, als würde jetzt die oben (§ 1 I I 1) abgelehnte Theorie Rosins u n d Bries aufgegriffen, wonach i m Zweck die spezifische Differenz zwischen Staat u n d K o m m u n a l verband zu sehen sei; der K l a r h e i t w i l l e n sei nochmals betont, daß es i n § 1 n u r u m ein formales K r i t e r i u m ging; danach k a n n von einem Staat (im rechtlichen Sinn) auch dann noch gesprochen werden, w e n n er n u r mehr über ein unabgeleitetes Hoheitsrecht verfügt; A r t . 20 Abs. 1 u n d A r t . 79 Abs. 3 GG erheben jedoch die Forderung nach inhaltlicher A u f f ü l l u n g der formalen Staatlichkeit; hier mögen die Grundgedanken Rosins u n d Bries durchaus brauchbar u n d verwertbar sein. 52 Scheuner, Festgabe für Smend, 1962, S. 259. 53 Diese von Herzog, Z. f. Politik, 1963, S. 154 Fußn. 40, aus mehr politischer Sicht erhobene Forderung w i r d hier als Forderung des Rechts gesehen; s. a. Maunz-Dürig, A r t . 50 R N 26. — Z w a r wächst m i t der Bundeskompetenz auch 49

129

I I . Die Unantastbarkeiten i m einzelnen

Eine derart attraktive W i r k u n g auf den wählenden Landesstaatsbürger w i r d man dem Recht der inneren Verwaltung, dem Polizei- und Kommunalrecht grundsätzlich absprechen müssen; so bleibt der Bereich der Kultur

als der innerste

Kern

der Staatlichkeit

der deutschen

Länder.

Es

ist denn auch kein Zufall, wenn bei Koalitionsverhandlungen von den beteiligten Parteien kulturpolitische Fragen i n den Vordergrund gestellt werden und i h r Ausgang von einer Einigung i n diesen Fragen abhängig gemacht wird. U n d wenn man die Bedeutung einer vernünftigen K u l t u r politik für die Zukunft eines Volkes bedenkt, sollte man an dem Umfang und der Qualität der Aufgaben der deutschen Länder kaum mehr Zweifel erheben dürfen. Hier können sich die Länder u m Deutschland und Europa bleibende Verdienste erwerben! Natürlich soll und kann nicht behauptet werden, daß dem Bund i m kulturellen Raum jegliche Betätigung verwehrt sein muß; ein Blick i n das geltende Recht belehrt bereits eines anderen 5 4 . Die Einrichtung eines Bundeskultusministeriums z.B. dürfte — vielleicht gegen das geltende, aber — sicherlich nicht gegen A r t . 79 Abs. 3 GG verstoßen. Hier sollte nur angedeutet werden, daß eine Schmälerung der Länderrechte i m Bereich der K u l t u r oder gar ein „ A n g r i i f " auf die Kulturhoheit der Länder zu besonders kritischer Beurteilung unter dem Gesichtspunkt des A r t . 79 Abs. 3 GG Veranlassung gibt. Eine — mehr oder weniger — totale Beseitigung der Kulturhoheit der Länder wäre m. E. m i t der von der Sicht der A r t . 20 Abs. 1 und 79 Abs. 3 GG aus zu betrachtenden (politischen) Länderstaatlichkeit nicht zu vereinbaren. Schließlich ergeben sich aus der Garantie der Länderstaatlichkeit gewisse Unantastbarkeiten i m Bereich des Finanzwesens. Dieser Komplex sollte nicht unterschätzt werden; war doch auch die Finanz Verfassung des Grundgesetzes m i t ein Grund für die ablehnende Haltung des Bayerischen Landtages gegenüber dem Grundgesetz. Was nützen auch einem Gemeinwesen die umfangreichsten Kompetenzen, wenn es i h m an den Mitteln fehlt, u m von seinen Befugnissen Gebrauch machen und seine Aufgaben erfüllen zu können?! Laforet meint dazu: „ Z u den wesentlichen Erfordernissen eines Gliedstaates gehört i n einem Bundesstaat nicht nur, daß er die Justizhoheit hat, sondern auch, daß er die Verwaltungshoheit besitzt. W i r d i h m die Verwaltungshoheit auf einem derart wichtigen Gebiet wie dem des Finanzwesens fast völlig entzogen, dann geht ein wesentlicher Teil der Staatsgewalt auf den Bund über, dann liegt ein wirklicher (? !) Staat nicht mehr vor . . . Wer den Bundesdas Einflußrecht des Bundesrates, so daß sich insofern der Verlust der Landeskompetenzen i n etwa wieder kompensiert; s. dazu Bilfinger, Einfluß, S. 10 f.; Hesse, S. 22; Schmidt, AöR 87, S. 269; hier jedoch geht es u m die Eigenkompetenzen des Gliedstaates, u m den eigentlichen Raum der Eigenstaatlichkeit. 54 S. z. B. A r t . 74 Ziff. 13 GG. 9 Harbich

4 Unantastbare Elemente der bundesstaatlichen Verfassungsordnung

staat w i l l , kann auf die Verwaltungshoheit der Gliedstaaten auch i m Finanzwesen nicht verzichten 5 5 ." M i t diesen Ausführungen dürfte Laforet — i n föderalistischem Übereifer — w o h l über das Ziel hinausgeschossen sein 5 6 . Man w i r d doch ernsthaft kaum behaupten können, daß das Innehaben der Finanzverwaltungshoheit w i r k l i c h zu den wesentlichen Erfordernissen eines Gliedstaates i m Bundesstaat gehört, m i t der Folge, daß allein schon die Beseitigung der derzeitigen, geteilten oder mehrgleisigen Finanzverwaltung die Länder der Bundesrepublik ihres Staatscharakters berauben und damit den deutschen Bundesstaat i n einen — allenfalls stark dezentralisierten — Einheitsstaat verwandeln 5 7 , daß also eine derartige Verfassungsänderung an A r t . 79 Abs. 3 GG scheitern würde. M i r scheint die Finanzverwaltungshoheit i m Rahmen des A r t . 79 Abs. 3 GG mehr oder weniger uninteressant zu sein; über die Unantastbarkeit einer gewissen Steuerhoheit mag man vielleicht diskutieren, unzulässig wäre jedenfalls eine völlige finanzielle Entmachtung der Bundesglieder durch Beseitigung ihrer Finanzertragshoheit 58 und ihres Rechts auf einen eigenen selbständigen Staatshaushalt i. S. des A r t . 109 GG 5 9 . Der Landeshaushalt muß noch Raum für die Entfaltung politischer Initiativen enthalten. I n jedem F a l l bildet die Lebensfähigkeit der Länder die äußerste Grenze für eine Revision der Finanzverfassung 60 . 2. D a s u n e n t z i e h b a r e M i t w i r k u n g s r e c h t der L ä n d e r bei der Bundesgesetzgebung A r t . 79 Abs. 3 GG garantiert ferner ein Mitwirkungsrecht der Länder bei der Gesetzgebung; ob bei der Bundes- oder Landesgesetzgebung, ist dem schlichten Wortlaut des A r t . 79 Abs. 3 GG nicht zu entnehmen. Wenn auch der Verfassungsgeber durch A r t . 79 Abs. 3 GG primär die Länder vor einer Aushöhlung ihrer Staatsgewalt schützen wollte, so w i r d doch durch i h n ohne Zweifel auch der Bund als staatliches Wesen garantiert, d. h., daß sich bereits aus der Gewährleistung der „Gliederung des Bundes i n Länder" eine unantastbare Grundsubstanz zentraler und territorialer Gesetzgebungsgewalt ergibt. I m unentziehbaren Recht der Länder, bei der Gesetzgebung mitzuwirken, w i r d man daher das ss Z i t i e r t nach F. Klein, Festschrift f ü r Giese, S. 133/34. 56 M a n w i r d vielleicht berücksichtigen müssen, daß Laforet diese Äußerung i n einer Bundestagssitzung (152. Sitzung des 1. Bundestages a m 14. 6.1951), nicht i n einer wissenschaftlichen A r b e i t getan hat. 57 F. Klein (Anm. 55), S. 134. 58 Ebenso F. Klein (Anm. 55), S. 134 m i t Fußn. 254; Maunz-Dürig, A r t . 79 R N 35. 59 Ebenso Wernicke, i n : Bonner Komm., Erl. I I 1 b zu A r t . 20. 60 Konkretere Aussagen werden sich k a u m machen lassen; vgl. a. Bilfinger, W D S t R L 1, S. 48.

I I . D i e Unantastbarkeiten i m einzelnen

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Recht, bei der Bundesgesetzgebung mitzuwirken, sehen müssen, w i l l man diesem Passus des A r t . 79 Abs. 3 GG überhaupt noch einen eigenen Aussagewert beimessen. M. E. hat der Verfassungsgeber durch A r t . 79 Abs. 3 GG — wenn auch i n etwas unklarer Form — auch ein föderatives Organ garantiert, ein Organ, das nach manchen Autoren m i t ein Begriff selement des Bundesstaates darstellt. a) Struktur

des föderativen

Organs

Die erste Frage geht nun dahin, ob A r t . 79 Abs. 3 GG auch eine andere M i t w i r k u n g der föderativen Gewalten an der Zentralstaatswillensbildung zuläßt als die über den Bundesrat, wie i h n das Bonner Grundgesetz vorstellt? Oder ist der Bundesrat i. S. der A r t . 50 ff. GG durch A r t . 79 Abs. 3 GG i n die Verfassung als unabänderliche Institution eingemauert? Von der Literatur w i r d diese Frage nach der Existenzgarantie des Bundesrates unterschiedlich beantwortet. Teilweise w i r d sie ohne langes Zögern schlechthin bejaht 6 1 . Maunz 62 hingegen w i l l i n A r t . 79 Abs. 3 GG zwar „keine unmittelbare Sicherung für den Bestand des Bundesrates selbst" sehen, aber doch eine Regelung, die „einer solchen Sicherung nahekommt". Nach anderen Autoren wiederum — allen voran Nawiasky 63 — ist „die Form u n d das Organ der M i t w i r k u n g offengelassen", danach könnte auch „ein ganz anderes, ζ. B. rein parlamentares Organ wie ein Senat, geschaffen werden". Die Frage, ob die M i t w i r k u n g der Länder bei der Bundesgesetzgebung unbedingt über den Bundesrat, wie i h n das Grundgesetz i n den A r t . 50 ff. geformt hat, zu erfolgen hat, kann nur aus der N o r m des A r t . 79 Abs. 3 GG selbst beantwortet werden; dabei muß zunächst und vor allem vom Wortlaut des hier interessierenden Passus ausgegangen werden: unzulässig ist danach eine Verfassungsänderung, durch die „die grundsätzliche M i t w i r k u n g der Länder bei der Gesetzgebung berührt" w i r d . Garantiert ist also ein Mitwirkungsrecht der Länder, nicht ein solches der Landesvölker 64. Durch das föderative Organ des A r t . 79 Abs. 3 GG sind — wie nach geltendem Recht — nicht die Landesvölker, sondern die Länder als staatsrechtliche Rechtspersonen berufen, an der Bundesgesetzgebung mitzuwirken. Die Mitglieder des föderativen Organs 61 So von F. Klein, in: v. Mangoldt-Klein, S. 1014; Hamann, Komm., S. 296; Ehard, Bay VB1. 1961, S. 1. 62 I n : Maunz-Dürig, A r t . 50 R N 9, A r t . 79 R N 36 Fußn. 1 (auf S. 16). 63 Grundgedanken des GG, S. 63, 122; ebenso Curtius, Schranken der Ä n d e rung, S. 80; Laux, S. 108. 64 Z u r S t r u k t u r des Bundesrates nach geltendem Recht, insbesondere zum mangelnden Instruktionsrecht der Landesparlamente u n d Landesvölker vgl. Schäfer, Bundesrat, S.36; BVerfGE 8, S. 120 f.; Maunz, Bay VB1. 1958, S.305.

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4 Unantastbare Elemente der bundesstaatlichen Verfassungsordnung

haben also nicht den Volkswillen der Länder, die sie entsenden, sondern die Länder als juristische und politische Einheit zu repräsentieren 65 . I m föderativen Organ sind die Gliedstaaten bzw. deren Vertreter vereint und vertreten, während die Landesvölker i m Bundesvolk uniert und als solches i m Bundestag vertreten sind. Die Forderung nach einer M i t w i r k u n g der Länder •— nicht der Landesvölker — w i r k t sich dahingehend aus, daß die Stimmabgabe der Mitglieder des föderativen Organs landesbezogen und landesgebunden sein muß, nicht frei und ungebunden — wie die der Bundestagsabgeordneten 66 — sein kann, d. h. die Stimmabgabe muß letztlich eine Stimmabgabe des Landes sein, sie muß, wie gesagt, das Land als juristische und politische Einheit repräsentieren. Dies aber bedingt eine einheitliche Abgabe der Stimmen, über die jedes einzelne Land v e r f ü g t 6 7 ' 6 8 ; wäre nämlich jedes einzelne M i t glied i n der Abgabe seiner Stimme frei, wäre eine wirksame Beteiligung des Landes nicht gesichert: die M i t w i r k u n g des Landes könnte paralysiert werden dadurch, daß die eine Hälfte der Mitglieder m i t pro, die andere Hälfte m i t contra votiert. Die effektive M i t w i r k u n g des Landes wäre gleich null, es würde damit die Entscheidung den Vertretern der anderen Länder überlassen 6 9 ' 7 0 . Dies aber ist nicht der Sinn des A r t . 79 Abs. 3 GG, der den Ländern die Möglichkeit einer aktiven M i t w i r k u n g garantiert, was freilich i m Einzelfall auch eine Stimmenthaltung der Landesvertreter gestattet; doch muß i n jedem Einzelfall ebenso eine eindeutige Stellungnahme möglich sein. Diese Möglichkeit darf nicht dem Zufall überlassen bleiben, sie muß garantiert sein, d. h. die Stimmabgabe der Landesvertreter hat für jedes Land notwendigerweise einheitlich zu erfolgen. 65 Vgl. Scupin, in: Bonner Komm., Der Bundesrat, S. 4; zur Frage, ob die Mitgliedschaft i m Bundesrat auf einer Mitgliedschaft der Landesvertreter oder einer solchen der Länder beruht, s. Maunz-Dürig, A r t . 51 R N 5 m. Nachw. 66 Die nach A r t . 38 Abs. 1 Satz 2 G G „Vertreter des ganzen Volkes, an A u f träge und Weisungen nicht gebunden u n d n u r ihrem Gewissen unterworfen sind"; Strickrodt, D Ö V 1949, S.321 ff., w i l l demgegenüber auch i m Bundesrat das persönliche Gewissens- u n d Verantwortungselement des einzelnen M i t gliedes v o l l zur Geltung kommen lassen. 67 So schon A r t . 7 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 der Verfassung des Norddeutschen Bundes v o m 26. 7.1867 (BGBl. 1867, Nr. 1) u n d A r t . 6 Abs. 2 aRV. 68 So forderte Heyland, HbdDStR 1, S. 573, trotz Fehlens einer ausdrücklichen N o r m i n der WRV, daß sämtliche einem Lande zustehenden Stimmen i m Reichsrat einheitlich abzugeben seien; a. A . Anschütz, Komm., 14. Aufl., S. 349/50, der jedoch zugesteht, daß es „absurd wäre, w e n n ein i m Besitz von zwei Stimmen befindliches L a n d m i t einer Stimme ja, m i t der anderen Stimme aber nein sagen u n d damit das Gewicht seiner A b s t i m m u n g annulieren w ü r d e " ; weit. Nachw. bei Heyland, a.a.O. 69 Ich möchte daher der A u f f. Schäfers, Bundesrat, S. 51, daß „die die einheitliche Stimmabgabe anordnende Vorschrift des A r t . 51 Abs. 3 Satz 2 GG als etwas Selbstverständliches " anzusehen sei, durchaus zustimmen. 70 Jedenfalls dürfte eine N o r m wie die des A r t . 63 Abs. 1 Satz 2 W R V m i t den Intentionen des G G nicht i n E i n k l a n g zu bringen sein.

I I . Die Unantastbarkeiten i m einzelnen

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Daraus ergibt sich, daß jedenfalls die Institution eines Senates, dessen Mitglieder je von den Einzelstaaten gewählt werden 7 1 und ähnlich den Bundestagsabgeordneten frei und unabhängig sind, den Anforderungen des A r t . 79 Abs. 3 GG nicht genügen würde. Praktisch würde ein Senat einem verkleinerten Spiegelbild des Bundestages sehr nahekommen. Die Mitglieder des Senates würden sich vermutlich nach Parteien organisieren; der eigentliche Zweck des „Zweikammersystems", der darin besteht, daß beide Bundesorgane verschieden zusammengesetzt sind und deshalb von verschiedenen Gesichtspunkten an ihre Arbeit herangehen 72 , wäre praktisch verfehlt. V o n einem Einfluß der Länder als solcher auf den Bundeswillen könnte man nicht mehr sprechen, wenn man schon zwischen Einfluß der Länder und Einfluß der Landesvölker unterscheidet; und zu dieser Unterscheidung zwingt der Wortlaut des A r t . 79 Abs. 3 GG. Den Einfluß des Landes Volkes auf die Willensbildung des Bundes kann man ja — wenn man w i l l — bereits darin sehen, daß das Landesvolk — gleichzeitig Bestandteil des Bundesvolkes — A b geordnete aus seiner M i t t e i n den Bundestag als Bundesorgan entsendet. Die Stimmabgabe ist also eine Stimmabgabe des vertretenen Gliedstaates; sie muß notwendigerweise einheitlich sein. Folgt daraus nun die Garantie des Bundesrates i. S. der A r t . 50 ff. GG derart, daß die Bundesratsmitglieder als „Abgesandte" der Länder den Weisungen der obersten Landesorgane entsprechend „ihre" Stimme abzugeben haben? Die theoretische Möglichkeit, die sich noch anbietet, daß nämlich die Mitglieder des föderativen Organs zwar einstimmig, aber weisungsfrei, nach eigenem Gutdünken votieren könnten — dergestalt, daß unter ihnen die Mehrheit der Stimmen die Richtung der Stimmabgabe bestimmt, was jedoch i n den Fällen wieder Schwierigkeiten bereiten kann, i n denen ein Land „eine gerade Zahl von Vertretern" entsendet —, erweckt unter dem bereits erwähnten Gesichtspunkt, daß i n A r t . 79 Abs. 3 GG eine M i t w i r k u n g der Länder garantiert ist, ebenfalls erhebliche Bedenken. Diese M i t w i r k u n g stellt m. E. nur dann eine M i t w i r k u n g der Länder dar, wenn die i n den einzelnen Ländern maßgebenden politischen Kräfte die Stimmabgabe, durch die die Länder an der Willensbildung i m Bund mitwirken, zu dirigieren berechtigt sind 7 3 . Die Verteilung der politischen Kräfte und deren Gewichte spiegelt sich i n 71 Wie z.B. i n den U S A ; s. A r t i d e I, Section 3 i n Verb, m i t amendment 17 USC. 7 2 Vgl. JÖR 1, S. 380; s. a. Herzog, Z. f. P o l i t i k , 1963, S. 153/54 m i t Fußn. 38; f ü r den Druck, w i e i h n manche Verbände auf den Bundestag ausüben, fehlt es beim Bundesrat — i m Gegensatz zum Senat — an den nötigen Ansatzflächen. 73 Wobei es i m Einzelfall ohne weiteres zulässig ist, daß den „Abgesandten" der Länder bei der A b s t i m m u n g freie H a n d gelassen w i r d (ebenso MaunzDürig, A r t . 51 R N 27 f ü r das geltende Recht); entscheidend k o m m t es hier n u r darauf an, daß „das L a n d " generell i n der Lage sein muß, den I n h a l t der Stimmabgabe zu bestimmen.

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Parlament und Regierung eines Landes wider. Nur eine durch Parlament oder Regierung instruierte Stimmabgabe kann daher Gewähr dafür bieten, daß hinter der Stimmabgabe das ganze politische Gewicht eines Gliedstaates steht und nicht nur die Person des Mitgliedes des föderativen Organs, das je nach seiner persönlichen Überzeugung so oder so votieren k a n n 7 4 . „ I n der Abstimmung des Bevollmächtigten kommt nicht sein subjektiver Wille, sondern der staatliche Wille des Bundesglieds zum Ausdrucke 7 5 ." Soll die M i t w i r k u n g — wie A r t . 79 Abs. 3 GG fordert — eine M i t w i r k u n g der Länder sein, so kann also die Entscheidung über das Verhalten der Mitglieder des föderativen Organs nicht bei den Mitgliedern selbst liegen, sondern muß von den obersten Landesorganen getroffen werden 7 6 . Damit gelangt man fast zu einer Garantie eines föderativen Organs, wie es heute vom Bundesrat verkörpert w i r d ; d.h.: die M i t glieder des föderativen Organs haben die politisch maßgebende Richtung ihres Landes zu vertreten, sie unterliegen — wie auch nach geltendem Recht — den Weisungen der politischen Repräsentanz ihres Landes. Die vom Grundgesetz gezeichnete Grundstruktur des Bundesrates nimmt damit auch an der Garantie des A r t . 79 Abs. 3 GG teil. M i t der Garantie der „Grundstruktur" w i l l gesagt werden, daß keineswegs der gesamte I V . Abschnitt des GG über A r t . 79 Abs. 3 GG jeglicher Verfassungsänderung entzogen ist, sondern eben n u r die Grundstruktur des Bundesrates, die darin zu sehen ist, daß die politische Führung 7 7 eines Landes die Mitglieder des Bundesrates bestimmt, insbesondere deren Stimmabgabe dirigiert. I m übrigen sind die A r t . 50 ff. G G 7 8 einer Verfassungsänderung durchaus zugänglich. b) Intensität

des föderativen

Einflusses im Bunde

Nach dem Wortlaut des A r t . 79 Abs. 3 GG erstreckt sich die Garantie nur auf die grundsätzliche M i t w i r k u n g (der Länder) bei der (sc. Bundes-) Gesetzgebung. Außerhalb der Revisionsschranke liegt damit das M i t wirkungsrecht der Länder i m Bereich der Bundesverwaltung, wie es A r t . 50 GG grundsätzlich vorsieht; das gleiche gilt für alle sonstigen dem Bundesrat durch das GG eingeräumten Mitwirkungsrechte, soweit sie nicht die Bundesgesetzgebung betreffen, wie ζ. B. i n A r t . 61, 84, 91, 94 etc. 74 Vgl. a. die berühmte Rede Fürst Bismarcks i m Reichstag v o m 19.4.1871; (teilweise) wiedergegeben ζ. B. bei Laband, Staatsrecht, 1. Bd., S. 243. 75 Laband (Anm. 74); Hervorhebung durch Laband; i n diesem Sinn auch Bilfinger, HbdDStR 1, S. 552; vgl. a. Geiger, MißVerständnisse, S. 18: F u n k t i o n des Bundesrates, „den politischen W i l l e n der Gliedstaaten w i r k s a m zumachen". 76 Vgl. Maunz-Dürig. A r t . 51 R N 16 cc. 77 Das k a n n das Parlament, die Regierung oder der Ministerpräsident sein. 78 Z u A r t . 51 Abs. 2 GG s. unten § 4 I I 4 c.

I I . Die Unantastbarkeiten i m einzelnen

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Nur an der Gesetzgebung des Bundes sind die Länder über den Bundesrat grundsätzlich zu beteiligen. Einigkeit besteht darüber, daß der Kreis der Zustimmungs- und Einspruchsgesetze Änderungen verträgt 7 9 ; j a man w i r d die Garantie des A r t . 79 Abs. 3 GG nicht einmal auf die Beibehaltung der Unterscheidung von Zustimmungs- und Einspruchsgesetzen erstrecken können, d. h. die Kategorie der Zustimmungsgesetze n i m m t an der Veränderungssperre des A r t . 79 Abs. 3 GG nicht t e i l 8 0 . Andererseits muß, wenn schon der Grundsatz der M i t w i r k u n g der Länder i n seiner Unverbrüchlichkeit die höchste Geltung haben soll, diese M i t w i r k u n g i n einer echten und wirksamen Einflußnahme auf die Bundesgesetzgebung bestehen 81 , so daß beispielsweise die Umwandlung des Bundesrates i n ein Gremium, dessen Aufgabe lediglich darin besteht, zu Gesetzesvorlagen gutachtlich Stellung zu nehmen 8 2 , unzulässig wäre; zumindest ein Einspruchsrecht m i t etwa der i n A r t . 77 Abs. 4 GG geregelten Wirkung w i r d man zu den unantastbaren Rechten des Bundesrates zu rechnen haben, d. h. daß die Zurückweisung des Einspruchs des Bundesrates i n jedem F a l l eines qualifizierten Beschlusses des Bundestages 83 bedarf. Sollte nämlich dem Einspruch des Bundesrates nur die Wirkung zukommen, daß der Bundestag darüber zu beschließen hat, ob er den Einwendungen des Bundesrates Rechnung tragen wolle oder nicht 8 4 , so dürfte darin schwerlich eine echte M i t w i r k u n g des Bundesrates gesehen werden. Der Bundesrat ist nicht nur anzuhören, er hat mitzuwirken. Diese M i t w i r k u n g der Länder an der Bundesgesetzgebung braucht nach dem Wortlaut des A r t . 79 Abs. 3 GG nur grundsätzlich erhalten zu bleiben. Es wäre daher zulässig, i m Verfassungstext einzelne Fälle aufzuführen 8 5 , i n denen eine M i t w i r k u n g der Länder nicht erforderlich w ä r e 8 6 ; doch müßte es sich hierbei u m Ausnahmen handeln. Bleibt noch die Frage, was man unter Gesetzgebung i. S. des A r t . 79 Abs. 3 GG zu verstehen hat: Gesetzgebung i m formellen Sinn und/oder Gesetzgebuiig i m materiellen Sinn, evtl. auch die verfassungsändernde Gesetzgebung? Da das Mitwirkungsrecht der Länder nicht schlechthin unentziehbar ist, läßt sich i n Einzelfällen die M i t w i r k u n g der Länder völlig, d. h. sowohl bei der Gesetzgebung i m formellen als auch bei der i m ma79 Vgl. n u r Maunz-Dürig, A r t . 79 R N 36; v. Mangoldt, Komm., S. 429; Nawiasky, Grundgedanken des GG, S. 122; Giese-Schunck, Erl. I I 6 zu A r t . 79. 80 Ebenso Maunz-Dürig, A r t . 79 R N 36. 81 Laux, S. 108. 82 So ζ. B. die F u n k t i o n des Bayerischen Senates nach A r t . 40 Satz 1 B V . 83 Wenn auch nur i. S. des A r t . 77 Abs. 4 Satz 1 i n Verb, m i t A r t . 121 GG. 84 So nach A r t . 41 Abs. 2 Satz 3 B V die W i r k u n g der Einwendungen des Bayerischen Senates. 85 So, wie i m geltenden Verfassungsrecht die Zustimmungsbedürftigkeit (abschließend) normiert ist. 8β Α. A . anscheinend Zinn, AöR 75, S. 299.

4 Unantastbare Elemente der bundesstaatlichen Verfassungsordnung

teriellen Sinn, ausschließen. Da aber das materielle Gesetz seine Rechtsgrundlage i m formellen Gesetz 87 findet 88 und finden muß 8 9 , i m formellen Gesetz m i t h i n die sachliche Entscheidung 90 getroffen wird, kommt der M i t w i r k u n g der Länder bei der Gesetzgebung i m materiellen Sinn keine so hervorragende Bedeutung zu; es dürfte wohl zulässig sein, das M i t wirkungsrecht der Länder bei der Gesetzgebung i m materiellen Sinn generell aufzuheben; anders bei der Gesetzgebung i m formellen Sinn: der Ausschluß der Länder von der M i t w i r k u n g i n diesem Bereich wäre mit der Garantie des A r t . 79 Abs. 3 GG i n keinem Fall i n Einklang zu bringen, auch dann nicht, wenn den Ländern auf der anderen Seite ein ausnahmsloses Mitwirkungsrecht bei der Gesetzgebung i m materiellen Sinn eingeräumt wäre; denn die Rechtsetzung der Exekutive kann — da abhängig vom Gesetz i m formellen Sinn — jederzeit von der Gesetzgebung i m formellen Sinn überspielt, ersetzt und ausgeschlossen werden; i n jedem Einzelfall, i n dem ein „Widerspruch" des Bundesrates zu erwarten wäre, könnte dadurch, daß sich der Bundestag selbst der Sache annimmt, die M i t w i r k u n g des Bundesrates umgangen werden. Das M i t wirkungsrecht des Bundesrates bei formeller Gesetzgebung ist also i m Grundsatz, d. h. i m Regelfall — m i t mehr oder weniger geringen Ausnahmen — unantastbar. Die Änderung des Grundgesetzes erfolgt durch ein Gesetz 91 , das von Bundesorganen zu erlassen ist. Die verfassungsändernde Gesetzgebung dürfte daher auch, obwohl hierarchisch über der „gewöhnlichen" Gesetzgebung i m formellen Sinne stehend, vom Begriff der Gesetzgebung i. S. des A r t . 79 Abs. 3 GG mitumfaßt sein. Die M i t w i r k u n g des Bundesrates ist daher, wenn auch nicht i n der Form des A r t . 79 Abs. 3 GG (Zustimmung von zwei D r i t t e l n der Stimmen), so doch im Grundsatz auch i n diesem Bereich unantastbar. 3. D i e b u n d e s s t a a t l i c h e

Homogenität

Die Bundesstaatsverfassungen enthalten i n der Regel auf die Verfassung des Bundes abgestimmte Rahmenvorschriften für die Landesverfassungen der Bundesglieder; doch bilden derartige Normativbestimmungen kein Wesenselement des juristischen Bundesstaatsbegriffs 92 ; auf ihre Aufnahme i n die Bundesverfassungen kommt für den föderativen Staatsaufbau rechtstheoretisch nichts an. Daher war das Deutsche Reich von 1871 — und zuvor schon der Norddeutsche Bund — 87

Ausnahmsweise i n der Verfassung selbst; s. A r t . 119 GG. S. A r t . 80 GG. 89 A r t . 20 Abs. 3 i n Verb, m i t A r t . 79 Abs. 3 GG; s. dazu Maunz-Dürig, R N 2 und 3. 90 I. S. Lerches, DVB1. 1958, S. 524 ff., 527. 91 S. A r t . 79 Abs. 1 Satz 1 GG. 02 S. dazu oben § 3 I V 5 a/cc. 88

A r t . 80

I I . Die Unantastbarkeiten i m einzelnen

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trotz mangelnder Normativbestimmungen f ü r die Gliedstaatsverfassungen ein Bundesstaat; denn dieser ist juristisch lediglich durch die A u f teilung hoheitlicher Aufgaben auf mehrere Staaten innerhalb eines Staates charakterisiert. Die regelmäßige Aufnahme von N o r m a t i v bestimmungen i n die Bundesverfassungen beruht andererseits auch nicht auf irgendwelchen Zufällen, sondern w o h l auf der von praktischer Erfahrung bestätigten Erkenntnis, daß die Funktionsfähigkeit eines Bundesstaates eine gewisse Homogenität des politischen Grundbestandes zwischen B u n d u n d Gliedern sowie unter den Gliedern bedingt. Dies hat bereits Montesquieu 93 — vor mehr als 200 Jahren — erkannt; er dürfte aber w o h l insofern zu w e i t gegangen sein, als er ein Zusammenleben n u r von Republiken i n einem Staatsverband auf die Dauer für möglich hält. Demgegenüber sei n u r erwähnt, daß ein halbes Jahrhundert i m Norddeutschen B u n d bzw. i m Deutschen Reich (mehr als 20) Monarchien (und drei Republiken) zusammenlebten u n d daß die Revol u t i o n von 1918, die das Ende des monarchischen Bundesstaates herbeiführte, ihre Ursache nicht i n Funktionierens-Schwierigkeiten des monarchischen „Bündnisses" hatte. Richtig ist jedoch, daß ein Staatenverband u n d i n ganz besonderem Maße ein Bundesstaat i n a l l seinen Teilen eine homogene politische Grundvorstellung voraussetzt 9 4 . I n der modernen Staatslehre hat vor allem Carl Schmitt 95 die Homogenität der Glieder zum wesentlichen Element eines Bundes 9 6 erklärt. Dem w i r d m a n grundsätzlich zustimmen dürfen, m i t der bereits erwähnten Einschränkung, daß es sich bei der Homogenität u m ein außerrechtliches, politisch-soziologisches Prinzip handelt, das zur Rechtsnormqualität erst noch der Transformation durch Verfassungssatz der konkreten Bundesstaatsverfassung bedarf. I m Bonner Grundgesetz ist dies durch A r t . 28 geschehen, der v o n A r t . 79 Abs. 3 GG nicht ausdrücklich i n Bezug genommen w i r d . Folgt daraus die grenzenlose (sc. legale) V e r änderlichkeit der gliedstaatlichen Verfassungen? K ö n n t e n sich die Länder — die Änderung des A r t . 28 G G vorausgesetzt — beispielsweise i n absolute Monarchien oder sozialistische Republiken verwandeln, ohne an die Schranken des A r t . 79 Abs. 3 GG zu stoßen? I n mehrfacher Hinsicht würde eine derartige Änderung verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen: 93

De l'esprit des lois, Buch I X , K a p i t e l 2: „Que la constitution fédérative doit être composée d'états de même nature, surtout d'états républicains." Vgl. a. Der Föderalist , S. 252 (Nr. 43). 94 U n d diese homogene Grundsubstanz existierte auch i m monarchischen Bundesstaat von 1867/71, wenngleich die Verfassungen formell darüber nichts aussagten; s. dazu Wenzel, HbdDStR 1, S. 604. 95 Verfassungslehre, S. 57, 65, 370 ff. 96 Unter dem C. Schmitt den Staatenbund u n d Bundesstaat versteht (s. Verfassungslehre, S. 363 ff.).

4 Unantastbare Elemente der bundesstaatlichen Verfassungsordnung

Erstens ergeben sich aus A r t . 79 Abs. 3 GG selbst gewisse Schranken für die Revision der Gliedstaats Verfassungen. Danach — i n Verb, m i t A r t . 20 GG — ist der Grundsatz, daß alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht, unverbrüchlich. Eine einschränkende Auslegung des A r t . 20 Abs. 2 Satz 1 GG geht nun dahin, daß er nur die Herleitung der Bundesgewalt vom Bundesvolk verlange, daß es aber nicht ohne weiteres notwendig sei, daß sich auch die Herleitung der Landesstaatsgewalt vom Landesvolk aus A r t . 20 Abs. 2 Satz 1 GG und nicht aus A r t . 28 Abs. 1 Satz 1 GG ergebe 97 . Unbedingt zwingend erscheint diese Interpretation des A r t . 20 Abs. 2 Satz 1 GG nicht: weder der W o r t l a u t 9 8 noch die systematische Stellung 9 9 noch die Entstehungsgeschichte des A r t . 20 Abs. 2 Satz 1 G G 1 0 0 fordern eine derart einschränkende Auslegung. Andererseits schließt sich der Satz, daß alle Staatsgewalt vom V o l k ausgeht, unmittelbar an die Grundentscheidung für den bundesstaatlichen Aufbau des deutschen Staates an, eines Staates also, der sich aus mehreren Staaten zusammensetzt. Wenn für diesen Staatenstaat die Forderung erhoben wird, daß alle Staatsgewalt vom Volk auszugehen hat, so möchte ich meinen, daß dieser demokratische Grundsatz für alle Staaten innerhalb des einen (Bundes-)Staates zu gelten hat. Bereits A r t . 20 Abs. 2 Satz 1 GG, nicht erst A r t . 28 Abs. 1 Satz 1 GG ist daher die Geltung des demokratischen Grundsatzes auch für die Länder zu entnehmen 1 0 1 , so daß der Grundsatz, daß alle Landesstaatsgewalt vom Landesvolk auszugehen hat, auch an der Revisionsschranke des A r t . 79 Abs. 3 GG teilhat. Von hierher verbietet sich schon die Einführung einer Monarchie i n den Ländern, es bedarf insofern keines Rückgriffs auf die (unantastbare?) Staatsform der Republik; denn i n einem Staat, i n dem alle Staatsgewalt vom V o l k ausgeht, ist kein Raum für einen Monarchen, und stünden i h m auch nur die „üblichen" Funktionen eines Staatsoberhauptes zu, als da sind: Ausfertigung und Verkündung von Gesetzen, völkerrechtliche Vertretung, Beamtenernennung, Gnadenrecht, Ordensverleihung. Muß alle Staatsgewalt vom V o l k ausgehen, dann auch die des Staatsoberhauptes. 97 Vgl. ζ. B. Maunz-Dürig, A r t . 20 R N 48, w o zunächst so interpretiert, anschließend aber an diesem Ergebnis nicht festgehalten w i r d . 98 A r t . 20 Abs. 2 Satz 1 G G spricht v o m „ V o l k " , nicht v o m „Bundesvolk"; auch i n A r t . 21 Abs. 1 Satz 1 GG versteht m a n den Begriff des „Volkes" nicht nur i. S. des Bundesvolkes, sondern ebenso i. S. des Landesvolkes, weshalb auch reine Landesparteien unter den Parteienbegriff des A r t . 21 GG fallen; vgl. Maunz-Dürig, A r t . 21 R N 19 m. Nachw. 99 I m I I . Abschnitt: Der B u n d und die Länder. 100 Vgl. JöR 1, S. 195 ff. 101 Daß A r t . 28 GG infolge dieser Auslegung teilweise keinen eigenen A u s sagewert besitzt, dürfte nicht sonderlich ins Gewicht fallen; ist es doch nichts Außergewöhnliches, daß der Verfassungsgeber i h m besonders wichtig Erscheinendes mehrfach zum Ausdruck bringt, so ζ. B. auch die „Bundesstaatlichkeit der Bundesrepublik".

I I . Die Unantastbarkeiten i m einzelnen

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Auch ein vom Volk gewählter Monarch, der sein A m t auf Lebenszeit innehat (und seinen Nachkommen vererbt), würde von A r t . 20 Abs. 2 Satz 1 GG nicht geduldet werden; denn der Grundsatz der Demokratie verlangt eine Kontrolle aller öffentlichen Organe und damit auch deren Absetzbarkeit durch das V o l k 1 0 2 , auch wenn ihnen das öffentliche A m t zunächst auf Lebenszeit — wie ζ. B. dem Richter — anvertraut wird. Das Verbot, i m Bunde sowie i n den Ländern eine Monarchie (oder Aristokratie) einzuführen, beruht bereits auf dem für Bund und Länder gleichermaßen geltenden Grundsatz der Demokratie. Zweitens: für die Unantastbarkeit insbesondere der Volkssouveränität spricht auch eine ganz allgemeine Erwägung, daß sich nämlich die verfassungsgebende Gewalt — mag ihr Träger aus einer Einzelperson, einer Personenmehrheit oder dem gesamten V o l k bestehen — nicht i n den Formen des Rechtes übertragen läßt, w e i l sie eine über — nicht i n — der Rechtsordnung stehende Gewalt darstellt. E i n Wechsel des Trägers der verfassungsgebenden Gewalt bedeutet immer Verfassungsvernicht u n g 1 0 3 , kann nicht auf legalem Wege vor sich gehen. So bedarf es an und für sich keiner ausdrücklichen Norm, u m die Volkssouveränität i n Bund und Ländern rechtlich zu sichern. Z u einem funktionsfähigen Bundesstaat gehört schließlich die bereits mehrfach angesprochene mehr oder weniger intensive Homogenität des politischen Grundbestandes zwischen Bund und Gliedern 1 0 4 . Danach dürfte es — von den erwähnten Gründen abgesehen — geradezu selbstverständlich sein, daß die Einführung einer absoluten Monarchie oder einer sozialistischen Republik i n einzelnen Teilen des Bundesstaates m i t der recht verstandenen Garantie des Bundesstaates unvereinbar w ä r e 1 0 5 ; unvorstellbar, wie derart verfaßte Staaten i n einem Verband zusammenleben und zusammenarbeiten sollten. I n der historischen Wirklichkeit findet sich denn auch kein derart heterogener Bundesstaat. Andererseits ist es keineswegs auf ein totes Einerlei abgesehen; doch eine solche Ungleichheit, welche einen Riß i n die Grundlagen der ganzen Gemeinschaft bringen kann, muß i n einem Bundesstaat — soll er lebensfähig sein — von Rechts wegen ausgeschlossen sein 1 0 6 . Insbesondere die staatsbürger102

Sei es mittelbar oder unmittelbar. So insbesondere auch Schmitt, Verfassungslehre, S. 94. 104 Dazu z.B. Anschütz, W D S t R L 1, S. 26 f.; W. Groß, DVB1. 1950, S. 5 ff.; Herb. Krüger, DVB1. 1951, S. 364 ff., 367 f. (insbes. zur Homogenität von Staatsund Wirtschaftsverfassung i m Bundesstaat); Maunz-Dürig, A r t . 28 R N 2 ff.; Maunz, Staatsrecht, S. 184; Wheare, S. 55. 105 Auch eine (partielle) konstitutionelle Landesmonarchie dürfte die bundesstaatliche Homogenität eines i m übrigen republikanisch verfaßten Gesamtstaates erheblich erschüttern (so Maunz-Dürig, A r t . 20 R N 3), v e r fassungsrechtlich daher ebenfalls unzulässig sein; es läßt sich einfach nicht denken, daß das Königreich Bayern auf legalem Wege wiederhergestellt w i r d . 106 I n diesem Sinn schon Waitz, Grundzüge, S. 204 f. 103

4 Unantastbare Elemente der bundesstaatlichen Verfassungsordnung

liehen Rechte — Zugang zu den öffentlichen Ämtern, Wahlrecht, ζ. B., auch der Frauen — werden i m Interesse der bundesstaatlichen Harmonie einen mehr oder weniger uniformen Charakter aufweisen müssen. Für die bundesstaatliche Gesamtheit ist es auf die Dauer unerträglich — u m an ein historisches und zum Teil noch gegenwärtiges Beispiel anzuknüpfen —, daß i m Süden des Landes Sklaven und Freie, i m Norden des Landes nur Freie leben. Die dadurch hervorgerufenen Spannungen erfordern eine Lösung, sei es durch (erfolgreiche) Sezession, sei es durch — eventuell auch gewaltsame — Herstellung einer gemeinsamen Basis für das soziale Zusammenleben. Konkret für das Verfassungsrecht des Bonner Grundgesetzes bedeutet dies, daß die verfassungsmäßige Ordnung i n Bund und Ländern den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates entsprechen und der Inhalt der i n Bund und Ländern geltenden Grundrechte i m wesentlichen gleich sein muß. Die darüber hinaus i n Art. 28 Abs. 1 Satz 2 m i t Abs. 2 GG noch enthaltenen die Staatsgewalt der Länder (sc. auf der Ebene der Verfassung) bindenden Rahmenvorschriften w i r d man zum unabänderlichen Homogenitätskern, ohne den sich Föderalismus nicht praktizieren läßt, nicht rechnen können. So w i r d die Gliederung der Länder i n Kommunalkörperschaften von A r t . 79 Abs. 3 GG sicherlich nicht erfaßt, sieht j a das GG an einer Stelle selbst vor, daß „ i n einem Lande keine Gemeinden bestehen" 1 0 7 . Von den Wahlgrundsätzen des A r t . 28 Abs. 1 Satz 2 und A r t . 38 Abs. 1 Satz 1 GG dürften die Grundsätze der allgemeinen, freien und gleichen Wahl wohl für die bundesstaatliche Homogenität von Interesse sein; doch w i r d man annehmen können, daß sie auch vom Grundsatz der Demokratie — und damit für Bund und Länder i n gleicher Weise — m i t garantiert sind, während die unmittelbare und geheime Wahl weder für die Demokratie noch für die Funktionsfähigkeit des Bundesstaates eine ausschlaggebende Rolle spielen sollte. Hier und i n den von A r t . 28 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 GG noch angesprochenen Fragen wäre es m. E. unschädlich, würde das GG den Ländern völlig freie Hand lassen. 4. D i e

Gliederung

in

Länder

M i t der Garantie der „Gliederung des Bundes i n Länder" sind der verfassungsändernden Gewalt Schranken gesetzt nicht nur für Kompetenzverlagerungen von den Ländern auf den Bund (und umgekehrt), sondern ebenso für territoriale Umgliederungen. 107

A r t . 106 Abs. 6 Satz 2 GG (Hamburg!).

I I . Die Unantastbarkeiten i m einzelnen

141

a) Begrenzte Zulässigkeit bundesfreier und bundesunmittelbarer Gebiete Der normalen Rechtslage i n einem Bundesstaat entspricht der Doppelcharakter jedes Gebietes als Bundesgebiet und als Landesgebiet 108 . Doch kennt die Theorie und die Verfassungsgeschichte auch Ausnahmen von diesem Grundsatz, nämlich sog. bundesfreie und bundesunmittelbare Gebiete. Unter einem bundesfreien Gebiet soll ein Gebiet verstanden werden, das zwar zum Bundesstaat (als Gesamtstaat) gehört, auf das sich jedoch nicht die Gewalt des Bundes erstreckt; vielmehr werden i m bundesfreien Gebiet auch die Bundesaufgaben von der Landesgewalt wahrgenommen. Das bundesunmittelbare Gebiet ist dadurch charakterisiert, daß es auch i n den Bereichen, i n denen sich i m übrigen Bundesgebiet eine eigene Landesgewalt erhebt, der Bundesgewalt unterliegt 1 0 9 . Das klassische Beispiel für ein bundes- (bzw. reichs-) unmittelbares Gebiet i n der deutschen Verfassungsgeschichte bildet Elsaß-Lothringen110, das auf Grund des Präliminar-Friedensvertrages von Versailles vom 26. 2. 1871 111 i n Verb, m i t dem Friedensvertrag von Frankfurt vom 10. 5. 1871 112 und dem Reichsgesetz vom 9. 6. 1871 113 „ m i t dem Deutschen Reiche für immer vereinigt" wurde. Die Staatsgewalt i n Elsaß-Lothringen wurde nach § 3 des genannten Reichsgesetzes ihrer ganzen Fülle nach vom Kaiser, zum T e i l zusammen m i t dem Bundesrat und dem Reichstag, also unmittelbar von der Zentrale, ausgeübt. Das „ V o l k " von Elsaß-Lothringen hatte keine eigene Volksvertretung 1 1 4 . Es 108 S. Maunz-Dürig, A r t . 23 R N 10; dazu a. Laband, Staatsrecht, l . B d . , S. 194 ff. 109 Dazu a. Nawiasky, Bundesstaat, S. 134, 191 f., m i t dem zutreffenden H i n weis auf die Ungenauigkeit des Ausdrucks „bundesunmittelbar". 110 Hingegen ist das Großherzogtum Hessen, das i n der Zeit v o n 1867 bis 1871 n u r m i t seinen nördlich des Mains gelegenen Gebieten dem N o r d deutschen Bund angehörte, kein Beispiel für bundesfreies Gebiet, da die südlich des Mains gelegenen Gebiete dem Norddeutschen B u n d überhaupt nicht angehörten. E i n Gebiet, das jedoch gar nicht zum Bundesstaat gehört, als bundesfrei zu bezeichnen, bedeutet keine f ü r dieses Gebiet charakteristische Aussage; von einem bundesfreien Gebiet zu sprechen, ist n u r dann sinnvoll, w e n n dieses Gebiet überhaupt zum Bundesstaat, aber nicht zum B u n d gehört; zwar gelten beispielsweise i n einem bundesfreien Gebiet auch die i m B u n d u n d allen übrigen Ländern geltenden Grundrechte (insofern Zugehörigkeit zum Bundesstaat als Gesamtstaat), die Aufgaben, die i n den übrigen Teilen des Bundesstaates v o m B u n d erfüllt werden, n i m m t jedoch die Landesgewalt w a h r (insofern bundesfrei); vielleicht w i r d m a n B e r l i n als Beispiel f ü r ein bundesfreies Gebiet nennen dürfen. — Auch hier zeigt sich wieder der Vorzug der dreigliedrigen Bundesstaatslehre, m i t der allein das Phänomen des bundesfreien Gebietes k l a r zu fassen ist. 111 RGBl. 1871, S. 215 ff. 112 RGBl. 1871, S. 223 ff. 113 RGBl. 1871, S. 212 f. 114 Es entsandte lediglich 15 Abgeordnete i n den Reichstag.

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unterstand i n vollem Umfang und unmittelbar dem Reiche. Auch nach Einführung der Reichsverfassung i n Elsaß-Lothringen stand bis zu anderweitiger Regelung durch Reichsgesetz 115 das Recht der Gesetzgebung auch i n den der Reichsgesetzgebung i n den übrigen Gliedstaaten nicht unterliegenden Angelegenheiten dem Reiche zu. Das von den übrigen Einzelstaaten versehene Komplement zur Bundes- (bzw. Reichs-)gewalt wurde also i n Elsaß-Lothringen von der Zentralgewalt selbst ausgeübt 1 1 6 . Die Weimarer Republik kannte weder reichsfreie noch reichsunmittelbare Gebiete. Doch diskutierte man auch i n der Staatsrechtslehre der Weimarer Zeit insbesondere das Problem des reichsunmittelbaren Gebietes. Dabei ging es nur u m die Frage, ob die Schaffung reichsunmittelbaren Gebietes sich m i t der geltenden Reichsverfassung vereinbaren ließe oder ein verfassungsänderndes Reichsgesetz bedingen würde; ob ein verfassungsänderndes die Schaffung reichsunmittelbaren Gebietes zulassendes Reichsgesetz legal überhaupt hätte zustande kommen können, war eine nicht diskussionswürdige Frage, da es nach der i n der Weimarer Zeit herrschenden Lehre für Verfassungsänderungen keine Schranken gab. Giese 117 folgerte die Möglichkeit der Schaffung von Reichsland außerhalb des damaligen Bestandes des Reichsgebiets aus A r t . 2 Satz 2 WRV, forderte dagegen für die Schaffung von Reichsland (Reichsprovinzen) innerhalb des damaligen Bestandes des Reichsgebiets unter allen Umständen ein verfassungsänderndes Reichsgesetz. Demgegenüber wies Anschütz 118 darauf hin, daß die WRV keinen Rechtssatz enthalte, der das Dasein reichsunmittelbarer Gebiete verbiete; insbesondere sei ein solcher Rechtssatz nicht i n A r t . 2 WRV enthalten; denn A r t . 2 WRV schreibe nicht vor, daß das Reich restlos i n Länder, d. h. i n gebietskörperschaftliche Gemeinwesen m i t Eigenstaatlichkeit, gegliedert sein müsse. Nach Anschütz 1 1 9 konnte reichsunmittelbares Gebiet grundsätzlich durch einfaches Reichsgesetz geschaffen werden, lediglich die Entstaatlichung eines ganzen Landes und die Verwandlung desselben in ein „Reichsland" hätten nach Anschütz eines verfassungsändernden Gesetzes bedurft, da dieser Fall nicht nach A r t . 18 WRV hätte behandelt werden können und auch sonst eine Kompetenz des einfachen Reichsgesetzgebers insofern durch die Verfassung nicht begründet gewesen sei. Mochte die Schaffung und Existenz reichsunmittelbaren und reichsfreien Gebietes — sei es m i t oder ohne vorherige Verfassungsände115 S. Reichsgesetz, betr. die Verfassung u n d die V e r w a l t u n g Elsaß-Lothringens, v o m 4. 7.1879, RGBl. 1879, S. 165 ff. 116 G. Jellinek, Staatslehre, S. 782/83, zog daraus den Schluß, daß ElsaßLothringen k e i n Staat, sondern eine „der Herrschaft des souveränen Bundesstaates unterworfene Landschaft" war. 117 HbdDStR 1, S. 232 Fußn. 92. 118 Komm., 14. Aufl., S. 43 f. na (Anm. 118), S. 44 f.

I I . Die Unantastbarkeiten i m einzelnen

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rung — m i t dem Recht und dem Geist der Weimarer Verfassung vereinbar sein, vor allem deswegen, w e i l der Verfassungsgeber von 1919 das bundesstaatliche Profil des „neuen Staates" nur wenig scharf zu zeichnen wußte und die Weimarer Republik auf ein insgesamt recht schwaches bundesstaatliches Fundament stellte; für das geltende Verfassungsrecht w i r d man sagen können, daß der Verfassungsgeber von 1949 eine ausgeprägtere Vorstellung vom Bundesstaat hatte, die denn auch i n der geschriebenen Verfassung, insbesondere i n A r t . 79 Abs. 3 GG, ihren Niederschlag gefunden hat. Ausdrücklich ist die Problematik des bundesfreien und bundesunmittelbaren Gebietes vom Grundgesetz i n keiner Norm angesprochen, so daß bereits zweifelhaft ist, von welcher N o r m her nach geltendem Verfassungsrecht die Frage nach der Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit dieser Sondergebiete zu beantworten ist. A r t . 23 GG w i r d man hierfür nichts entnehmen können, da sich diese N o r m nur m i t dem räumlichen Geltungsbereich des Grundgesetzes befaßt 1 2 0 , aber nicht die Aussage enthält, daß sich das gesamte Bundesgebiet aus Landesgebieten zusammensetzen muß. Eher wäre hier an A r t . 29 GG zu denken, der die Neugliederung des Bundesgebietes regelt, dabei aber wohl voraussetzt, daß jedes Stück, das ein Land bei einer Neugliederung verliert, entweder selbst ein eigenes Land oder Bestandteil eines anderen Landes wird, i n keinem Fall aber dem Bund allein unterstellt werden d a r f 1 2 1 . Bundesunmittelbare Gebiete sind damit nach geltendem Verfassungsrecht ausgeschlossen, während sich das Verbot bundesfreier Gebiete aus A r t . 30 GG i n Verb, m i t den Normen, die dem Bund Kompetenzen zuweisen (insbes. A r t . 70 ff., 83 ff. GG), ergibt. Aus diesen Normen ist unschwer zu erkennen, daß es nach geltendem Recht nicht zulässig ist, daß i n einem Land alle Staatsgewalt von Landesorganen ausgeübt wird. Es bedarf also keines Rückgriffs auf A r t . 79 Abs. 3 GG, u m die Unzulässigkeit bundesfreien und bundesunmittelbaren Gebietes nach geltendem Recht darzutun. Die Frage ist aber, ob sich das Bundesstaatssystem des Grundgesetzes derart umformen ließe, daß es auch bundesfreie und bundesunmittelbare Gebiete aufnehmen könnte 1 2 2 . Hier muß nun wieder von A r t . 79 Abs. 3 GG ausgegangen werden, dessen Wortlaut freilich für die Beantwortung der gestellten Frage nicht allzu viel hergibt. Immerhin folgt aus der 120

I n diesem Sinn auch Maunz-Dürig, A r t . 29 R N 8 i n Verb, m i t A r t . 23 R N 8. 121 I n diesem Sinn auch Kölble, D Ö V 1964, S. 222. 122 Zulässigkeit einzelner bundesunmittelbarer Gebiete innerhalb des territorialen Bereichs der Bundesrepublik (nach erfolgter Verfassungsänderung) einzig Giese, K o m m . z. GG, 4. Aufl., 1955, Erl. 3 zu A r t . 23; GieseSchunck, 6. Aufl., nehmen zu dieser Frage keine Stellung mehr; gegen die Zulässigkeit v. Mangoldt, Komm., S. 158; zweifelnd F. Klein, i n : v. MangoldtKlein, S. 653; Maunz, in: Maunz-Dürig, A r t . 23 R N 10 Fußn. 1 (auf S. 6).

4 Unantastbare Elemente der bundesstaatlichen Verfassungsordnung

Garantie der „Gliederung des Bundes i n Länder" wohl, daß auch die Gliederung des Bundesgebietes i n Landesgebiete grundsätzlich erhalten bleiben soll. Doch würde es m. E. eine Überdehnung des A r t . 79 Abs. 3 GG bedeuten, wollte man aus i h m das strikte — rechtlich unabänderliche — Verbot jeglichen bundesfreien und bundesunmittelbaren Gebietes herauslesen. Auch hier läßt sich, wie es Anschütz 1 1 9 für das Recht der WRV getan hat, darauf hinweisen, daß i n A r t . 79 Abs. 3 GG nichts davon zu lesen sei, daß der Bund „restlos" i n Länder gegliedert sein müsse 1 2 3 . Dem w i r d man nicht widersprechen können, sondern nur die prinzipielle Mahnung anfügen dürfen, m i t Interpretationen, die sich ausschließlich auf den Wortlaut einer N o r m stützen, vorsichtig zu sein; denn der Hinweis auf das mangelnde Wörtchen „restlos" i n A r t . 79 Abs. 3 GG scheint fast so etwas wie ein „Trick" zu sein, m i t dem sich jede Rechtsnorm aufweichen und sinnentleeren ließe. Wenn man nun bundesfreie und bundesunmittelbare Gebiete als m i t der Garantie des Bundesstaates vereinbar zuläßt, wo liegen dann die Grenzen für den Umfang, den diese Sondergebiete annehmen dürfen? Die reine Wortinterpretation läßt einen — wie ja überhaupt beim Bemühen, das Ausmaß der Bundesstaatsgarantie zu erforschen — auch hier wieder i m Stich. Wäre ein Sondergebiet — sei es nun bundesfrei oder bundesunmittelbar — von der Größe einer kleineren Gemeinde, eines gegenwärtigen Landes oder der halben Bundesrepublik m i t der recht verstandenen Garantie des Bundesstaates i n Einklang zu bringen? Die Frage w i r d man nur beantworten können, wenn man sich zuvor über den Sinn des A r t . 79 Abs. 3 GG klar geworden ist; und Sinn des A r t . 79 Abs. 3 GG kann es nicht sein, ein formales Bundesstaatsprinzip u m seiner selbst w i l l e n unbedingt erhalten zu wollen; vielmehr erhebt A r t . 79 Abs. 3 GG die Forderung nach dem Bestand eines ausgewogenen, gleichgewichtigen Bundesstaates 124 . I n diesem Bundesstaat wäre wohl Raum für ein bundesunmittelbares Naturschutzgebiet oder einen bundesunmittelbaren Truppenübungsplatz, wohl auch für eine bundesunmittelbare Gemeinde 1 2 5 , und sinngemäß Gleiches w i r d man von bundesfreien Gebieten sagen können. E i n Gebiet aber vom Ausmaß Elsaß-Lothringens dürfte bereits jenseits der Grenze bundesstaatlicher 123

So ζ. Β. Kölble, DÖV 1964, S. 222 unter Berufung auf Anschütz. S. dazu v o r allem unten § 4 I I 4 c. 125 Ä h n l i c h auch Kölble, D Ö V 1964, S . 2 2 2 1 ; — ob sich allerdings eine bundesunmittelbare Gemeinde m i t dem Gleichheitssatz, der sicher auch den verfassungsändernden Gesetzgeber bindet, ohne weiteres vereinbaren ließe, erscheint fraglich; i m Vergleich zu den anderen Staatsbürgern wären die Bürger eines bundesunmittelbaren Gebietes n u r durch das Bundesparlament vertreten; Abgeordnete aus dem ganzen Bundesgebiet w ü r d e n ζ. B. am Erlaß eines Schulgesetzes f ü r das bundesunmittelbare Gebiet m i t w i r k e n , während i n den Bundesländern f ü r die gleiche Materie „eigene" Landesorgane z u ständig wären; die Frage soll nicht weiter verfolgt werden, da es hier n u r auf die bundesstaatliche Gliederung ankommt. 124

I I . Die Unantastbarkeiten i m einzelnen

145

Ausgewogenheit liegen und daher vor A r t . 79 Abs. 3 GG nicht bestehen können, sei es nun bundesfrei oder bundesunmittelbar. Eine Ausnahme w i r d man allenfalls für nach A r t . 23 Satz 2 GG beigetretene „andere Teile Deutschlands" zulassen können. Das grundsätzliche Verbot bundesfreier und bundesunmittelbarer Gebiete sollte einer schrittweisen Wiedervereinigung Deutschlands nicht i m Wege stehen. Die Sonderstellung eines nach A r t . 23 Satz 2 GG beigetretenen Teils dürfte aber nur vorübergehender A r t sein; d. h., daß eine Übergangsregelung darauf abzielen müßte, den beigetretenen Teil als vollwertiges Land i n die Bundesrepublik einzugliedern. Eine derartige Regelung könnte man kaum als Verstoß gegen A r t . 79 Abs. 3 GG werten, dient sie doch gerade dazu, der Forderung des A r t . 79 Abs. 3 GG nachzukommen. b) Keine Garantie der Existenz jedes einzelnen Landes Das Bonner Grundgesetz spricht i n A r t . 79 Abs. 3 GG ganz allgemein von der Erhaltung der „Gliederung des Bundes i n Länder", insbesondere also nicht von einer Gliederung i n die bestehenden Länder. Daraus und aus A r t . 29 GG w i r d von der gesamten L i t e r a t u r 1 2 6 und der Rechtsprechung des B V e r f G 1 2 7 einmütig der (zutreffende) Schluß gezogen, daß es zwar von Rechts wegen ausgeschlossen ist, die bundesstaatliche Struktur zu beseitigen und an ihre Stelle irgendeine Form des Einheitsstaates zu setzen, daß aber die Existenz der gegenwärtigen Länder keine Unantastbarkeit i. S. des A r t . 79 Abs. 3 GG darstellt. Die Zusammenlegung mehrerer Länder zu einem „neuen" Land und die Aufspaltung eines gegenwärtigen Landes i n mehrere Länder sind danach grundsätzlich i n die Vorstellung des Verfassungsgebers von 1949 m i t aufgenommen; Änderungen dieser A r t sind zulässig, ohne daß die Kontinuität der Verfassung angetastet wird. Das B V e r f G 1 2 8 meint daher, das Grundgesetz habe sich damit zum „labilen Bundesstaat ( < i m Sinne Thomas 129 bekannt. Diese ohne nähere erläuternde Ausführungen getroffene Feststellung des BVerfG ist i n der Form, wie geschehen, sicherlich falsch 1 3 0 ; denn Thoma sah die juristische Labilität des Bundesstaates von Weimar darin, daß die föderalistischen Elemente ohne Rechtsbruch hätten beseitigt werden können. Gerade dieser Labilität aber hat das Bonner Grundgesetz auf Grund der Erfahrungen von 1934 eine klare Absage erteilt. Die bundesstaatliche Struktur als solche ist unter der Geltung des Bonner Grundgesetzes unverbrüchlich; insofern wäre es eher gerechtm Vgl. Maunz-Dürig, A r t . 29 R N 7 m. weit, umfangreichen Nachw. i n Fußn. 1 (auf S. 6/7). 127 BVerfGE 1, S.47f.; 5, S.38; 13, S. 75, 94. 128 BVerfGE 1, S. 48; 5, S.38. 129 HbdDStR 1, S. 182 ff. 130 Worauf bereits F. K l e i n , AöR 77, S. 461, u n d AöR 82, S. 343 f., h i n gewiesen hat.

10 Harbich

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fertigt, anstatt von einem „labilen", von einem „stabilen Bundesstaat" zu sprechen 131 . Doch steht nichts i m Wege, auch für das Verfassungsrecht des GG den Begriff des „labilen Bundesstaates" beizubehalten, wenn man sich nur darüber i m klaren ist, daß dieser Begriff nicht die bundesstaatliche Struktur als solche, sondern die Stellung der einzelnen Gliedstaaten i m System des GG charakterisiert 1 3 2 . Die Existenz jedes einzelnen Gliedstaates „für alle Zeiten" w i r d also von A r t . 79 Abs. 3 GG nicht gefordert. Jeder einzelne Gliedstaat — für sich betrachtet — kann untergehen; A r t . 79 Abs. 3 GG w i r d dadurch nicht berührt. Was aber sind nun die Voraussetzungen für einen verfassungsmäßigen Untergang eines Gliedstaates? Für das Recht der Bismarck'sehen Verfassung hielt Laband 133 zwar die Fortentwicklung des Bundesstaates zum Einheitsstaat, also die gleichzeitige Vernichtung aller Glieder für rechtlich zulässig, verneinte aber die Frage, ob ein einzelner Gliedstaat durch die Reichsgewalt — gegen den Willen des betroffenen Gliedstaates — unterdrückt werden könne; diese Existenzgarantie würde sich „aus dem Wesen des Bundesstaates, und zwar aus der prinzipiellen Gleichberechtigung aller M i t glieder" ergeben 1 3 4 . Unter der Weimarer Reichsverfassung konnte — wie Anschütz 135 lehrt — ein Land nach Maßgabe des A r t . 18 (WRV) einem anderen Land einverleibt oder m i t anderen Ländern zu einem neuen Lande zusammengelegt werden und dadurch sein Eigenleben verlieren. Eine Bestandsgarantie zugunsten des eigenstaatlichen Daseins der Länder kannte auch die WRV nicht. Bei der Diskussion der Frage, ob nach geltendem Recht der Bund einen Gliedstaat gegen dessen Willen „vernichten" kann oder ob hierzu ein Zusammenwirken des Bundes und des betroffenen Landes — bzw. der betroffenen Länder — erforderlich ist oder ob jeder Gliedstaat über seine Existenz selbständig entscheiden können muß, w i r d einerseits auf den i m Völkerrecht entwickelten und nach A r t . 25 GG innerstaatliches Recht gewordenen Grundsatz von der Selbstbestimmung der Völker 131 Vgl. Thomas Erläuterungen in: H W S t W 7, S. 738; ders., Grundriß, S. 38 ff.; F. Klein, AöR 77, S. 461. 132 Vgl. a. Maunz-Dürig, A r t . 29 R N 7 Fußn. 1 (auf S. 7). 133 Staatsrecht, 1. Bd., S. 129 ff.; ebenso Thoma } HbdDStR 1, S. 69 ff.; kritisch dazu Nawiasky, Grundgedanken der RV, S. 59. 134 Einen Überblick über den Stand der Meinungen für das Verfassungsrecht des Kaiserreichs enthält die Untersuchung v o n Jacobi (Der Rechtsbestand der deutschen Bundesstaaten), der selbst zu dem Ergebnis kommt, daß zu jeder Änderung i m Bestand der Gliedstaaten nach der R V von 1871 die Zustimmung aller Gliedstaaten erforderlich ist (a.a.O., S. 100). 135 Komm., 14. Aufl., S. 43, 148 Fußn. 1.

I I . Die Unantastbarkeiten i m einzelnen

hingewiesen 1 3 6 , andererseits m i t dem Überordnungsverhältnis Bund gegenüber dem Land argumentiert 1 3 7 .

147

vom

Bei allen Überlegungen, die sich bisher m i t der Lösung dieser Frage beschäftigt haben, w i r d jedoch ein Gesichtspunkt überhaupt nicht berücksichtigt: daß nämlich der Untergang wie die Entstehung eines Staates keine Rechtsfrage ist, sondern eine Tat- und Machtfrage 138; auch wenn es dabei nicht m i t Gewalt zugeht, handelt es sich jedenfalls nicht u m einen rechtlichen, sondern stets u m einen politisch-soziologischen A k t . W i l l man nun m i t der Staatlichkeit der Glieder eines Bundesstaates Ernst machen, w i r d man konsequenterweise einräumen müssen, daß i n dieser Frage für die Gliedstaaten nichts anderes gilt, nichts anderes gelten kann, als für jeden anderen Staat, als für den Staat schlechthin. Demgegenüber w i r d das Problem i n Wissenschaft und Praxis so behandelt, als wäre die Zusammenlegung und Aufgliederung der Gliedstaaten i m Wesen nichts anderes als die Umgliederung kommunaler Körperschaften. Doch sollte sich der (qualitative) Unterschied zwischen Gemeinde und Staat, der i n der Abgeleitetheit bzw. Ursprünglichkeit hoheitlicher Gewalt zu sehen i s t 1 3 9 , auch hier bemerkbar machen. Originäre Gewalt hat ihren Existenzgrund i n sich selbst, sie ist i n ihrer Existenz rechtlich nicht manipulierbar, sie läßt sich i n den Formen des Rechts nicht übertragen. Wo sie entsteht und untergeht, beruht dies immer auf einem meta-juristischen, soziologischen, politischen Ereignis. Juristisch kann man diesen Vorgang nur feststellen, nicht erklären. Ebensowenig wie ein Staat rechtlich von einem anderen Staat geschaffen werden kann, kann ein Staat auf rechtlichem Wege untergehen. Es kann daher auch kein Recht des Bundes geben, die Existenz eines Landes, d. h. eines Gliedstaates, zu vernichten. Der Prozeß des Unterganges läßt sich ausschließlich i n Rechtsnormen nicht fassen; er läßt sich durch Rechtsnormen allenfalls beeinflussen, i n eine gewisse Richtung lenken, der entscheidende A k t ist ein außerrechtlicher, nicht an Rechtsnormen meßbarer A k t . So gesehen — ist die (oben gestellte) Frage nach den Voraussetzungen für einen verfassungsmäßigen, also rechtlichen Untergang eines Gliedstaates falsch gestellt. A l l e Normen, seien sie nun i n der Verfassung oder i n einem Gesetz enthalten, die die Umgliederung der Gliedstaaten regeln, können daher keine echten Rechtsnormen i n dem Sinne sein, daß von ihnen allein der Untergang, die Zusammenlegung oder Aufspaltung eines Gliedstaates abhängt. Man w i r d i n ihnen vielmehr lediglich gewisse Richtlinien zu sehen haben, an die sich i m Einzelfall die betroffenen Länder, d. h. deren repräsentativen Organe 136

Vgl. dazu Maunz-Dürig, A r t . 29 R N 14 m. Nachw. Vgl. BVerfGE 1, S.51; 13, S. 76; kritisch (zum erstgenannten Urteil) F. Klein, AöR 77, S. 461 f. iss s. oben § 2 I V 3 a m i t A n m . 44 und 45. 139 S. oben § 1 I I 3. 137

10*

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bzw. die Landes Völker, halten können — oder nicht; denn der entscheidende A k t bewegt sich außerhalb des Rechts, was sich auch daran zeigt, daß der „alte" Gliedstaat untergeht bzw. der „neue" Gliedstaat entsteht, auch wenn das Umgliederungsverfahren, w i e es die Verfassung oder das Gesetz, also das Recht, vorsieht, Mängel aufweist, also rechtlich fehlerhaft i s t 1 4 0 . Es ist rechtlich unmöglich, daß das BVerfG eine vollzogene, von der Bevölkerung akzeptierte Umgliederung, die neue bereits funktionierende Staaten „hervorgebracht" hat, wirksam für nichtig e r k l ä r t 1 4 1 ; denn ein Staat ist nicht nur ein Gebilde rechtlicher Normen; ob er existiert oder nicht, ist nicht eine vom Gericht zu entscheidende Rechtsfrage, sondern eine Frage der politischen Realität, die ein Gericht nur deklaratorisch feststellen kann. Aufgabe des Rechts und Gerichts ist es, die Rechte der betroffenen Staaten und Völker zu achten und zu schützen; daher w i r d man — wenn sich das Recht der Umgliederung schon annimmt — aus dem Begriff des demokratischen Staates — originäre i m Staatsvolk wurzelnde Gewalt — zu folgern haben, daß das Verfahrensgesetz eine irgendwie geartete M i t w i r k u n g der betroffenen Gliedstaaten bzw. deren Völker vorzusehen hat. Soweit also A r t . 29 Abs. 7 GG auch eine Umgliederung großen Stils erfaßt 1 4 2 , sollte das (noch ausstehende) Verfahrensgesetz nicht jeden beliebigen Inhalt haben können 1 4 3 ; jedenfalls sollte es nicht die Möglichkeit vorsehen, einen (Glied-)Staat gegen den Willen seines Volkes zu vernichten 1 4 4 . Das Verfahrensgesetz kann also für die Umgliederung einen Weg weisen, jedoch nicht den Anspruch erheben, ausschließlich für die Umgliederung maßgebend zu sein; dem politisch Handelnden gebührt letztlich der V o r z u g 1 4 5 » 1 4 6 . 140 Daher konnte es nicht zur Auflösung des „Südweststaates" führen, daß das BVerfG das Erste Neugliederungsgesetz u n d einzelne Vorschriften des Zweiten Neugliederungsgesetzes für nichtig erklärte (E 1, S. 14ff.); s. MaunzDürig, A r t . 118 R N 3. 141 Allenfalls k a n n der Verfahrensmangel festgestellt werden. 142 Z u dieser Streitfrage Maunz-Dürig, A r t . 29 R N 79 m. weit. Nachw. 143 Denn die Zuständigkeit des Bundes sagt noch nichts über dessen materielle Befugnisse aus; vgl. Nawiasky, Bundesstaat, S. 181; die Bedenken des Bundesrates gegen den Gesetzentwurf der Bundesregierung zu A r t . 29 Abs. 7 GG (s. Bayer. Staatszeitung v. 23. 10. 1964, S. 7) erscheinen daher nicht unberechtigt. 144 Zutreffend Schnorr, AöR 76, S. 279 f.; bedenklich Herb. Krüger, Festgabe f ü r Kaufmann, S. 243; vgl. a. Jerusalem, Festschrift f ü r Laforet, S. 48; Redelberger, DVB1. 1953, S. 690. 145 Z u m Vorzug des politisch Handelnden vgl. a. Lerche, Z u m Kompetenzbereich des Deutschlandfunks, B e r l i n 1963, S. 9. 146 Die zwischen A r t . 29 GG u n d der Staatlichkeit der Länder bestehende Spannung mußte wegen des i n A r t . 20 Abs. 1 u n d 79 Abs. 3 GG v o m V e r fassungsgeber zum Ausdruck gebrachten Vorranges der Staatlichkeit der Länder zugunsten der Länderstaatlichkeit entschieden werden; zutreffend daher v. d. Heydte, Arch. f. Rechts- u n d Sozialphilosophie, Bd. 39, S. 470/71: „ A r t . 20 und 29 GG stehen i m Verhältnis der Über-UnterOrdnung; A r t . 29 baut auf A r t . 20 auf u n d erscheint v o n i h m abhängig." — Soweit m a n dem A r t . 29

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c) Grenzen der Umgliederung Wenn der Verfassungsgeber von 1949 m i t seiner Entscheidung für den Bundesstaat die Forderung nach Bestand jedes einzelnen Gliedstaates „ f ü r alle Zeiten" nicht verbunden, für Umorganisationen also durchaus Raum gelassen hat, andererseits aber die „Gliederung i n Länder" unter die rechtlich höchste Garantie gestellt hat, so fragt sich, wo angesichts der Synthese labiler und stabiler Elemente die verfassungsrechtlichen Grenzen für territoriale Umgliederungen liegen. Die Literatur hat dieses Problem bisher recht stiefmütterlich behandelt und sich i n der Regel m i t der Formel begnügt, daß unter allen Umständen mindestens zwei Länder, „irgendwelche Länder", übrig bleiben müssen; denn anderenfalls würde eine Gliederung i n „Länder" (Mehrzahl!) nicht mehr vorliegen 1 4 7 . Ausgehend nur von der juristischen Seite des Bundesstaates sieht diese Auffassung i n A r t . 79 Abs. 3 GG die Bestandsgarantie eines vornehmlich formalen (Bundesstaats-)Prinzips; die politische Seite des Bundesstaates w i r d hier vollkommen vernachlässigt. Lediglich bei Walter Schmidt 148 w i r d als Grenze einer territorialen Umgliederung der Bestand eines funktionsfähigen Bundesstaates gesehen. Dies scheint m i r — nicht nur bei der Frage nach den Schranken der Kompetenzverlagerung von den Ländern auf den Bund (und u m gekehrt), sondern auch — für eine Untersuchung der Grenzen des labilen Bundesstaates der richtige Ansatzpunkt zu sein 1 4 9 . Bei der Auslegung des A r t . 79 Abs. 3 GG gilt es daher immer, einen funktionsfähigen Bundesstaat i m Auge zu behalten, der den i m Grundgesetz sich niedergeschlagenen Vorstellungen des Verfassungsgebers von 1949 entspricht. Die Vorstellungen des Verfassungsgebers von 1949 werden plastischer und leichter erkennbar durch einen Vergleich m i t den früheren deutGG den Vorrang einräumt, dergestalt, daß sich die Neugliederung allein nach i h m bzw. dem noch ausstehenden Verfahrensgesetz, also ausschließlich v o n Rechts wegen, vollzieht, ist es nicht inkonsequent, die Bundesstaatlichkeit der Bundesrepublik z u leugnen u n d i n i h r lediglich einen dezentralisierten Einheitsstaat zu sehen; so Usteri, S. 335, der jedoch A r t . 79 Abs. 3 GG nicht berücksichtigt; i m übrigen müßte i. S. der Theorie Usteris die Frage gestellt werden, ob die den Bundesstaat charakterisierende komplexe Grundnorm unbedingt eine starre K o m p l e x i t ä t erfordert oder ob die Grundnorm des Bundesstaates nicht auch variabel komplex sein kann. 147 So insbes. Maunz-Dürig, A r t . 23 R N 11, 29 R N 7, A r t . 79 R N 34; ebenso Geiger, Bay VB1. 1964, S. 65; Curtius, Schranken der Änderung, S. 79; Laux, S. 106. 148 AöR 87, S. 281; s. a. Frowein, S. 77. 149 überhaupt das K r i t e r i u m des Funktionierens f ü r die Auslegung u n d Rechtfertigung v o n Rechtssätzen eine maßgebende Rolle spielt; so werden beispielsweise die 5 °/σ- u n d 10 Vo-Klauseln der Bundes- u n d Landeswahlgesetze auch durchweg m i t einer funktionsfähigen parlamentarischen Demokratie gerechtfertigt.

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sehen Bundesverfassungen, unter denen insbesondere die Reichsverfassung von 1871 m i t ihrem hegemonialen Föderalismus herausragt: Die Führungsrolle und das Übergewicht Preußens i m Deutschen Reich war politisch gleichsam eine notwendige Konsequenz der tatsächlichen Gegebenheiten und der geschichtlichen Aufgabe und Leistung des preußischen Staates. M i t einer räumlichen Ausdehnung von mehr als 50 °/o des gesamten Reichsgebietes und einer diesem Ausmaß entsprechenden Bevölkerung war Preußen der mächtigste deutsche Staat i m Reich. Die Verfassung des Deutschen Reiches von 1871 — das Werk des preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck — mußte die politischen Kräfteverhältnisse rechtlich widerspiegeln: die Hegemonie Preußens fand ihren Ausdruck i n der verfassungsrechtlich verankerten Verbindung des Preußischen Königtums m i t dem Deutschen Kaisertum 1 5 0 , i n dem Recht des Kaisers, den Reichskanzler, dem der Vorsitz i m Bundesrate und die Leitung der Geschäfte zustand, zu ernennen 1 5 1 , i n der Stimmen Verteilung i m Bundesrat, wonach Preußen m i t den ehemaligen Stimmen von Hannover, Kurhessen, Holstein, Nassau und Frankfurt 17 von insgesamt 58 Stimmen — bei 25 Gliedstaaten ! — f ü h r t e 1 5 2 , und i n A r t . 78 Abs. 1 der Reichsverfassung, wonach sich Preußen jeder Verfassungsänderung widersetzen konnte, da eine Änderung der Verfassung als abgelehnt galt, wenn sie i m Bundesrate 14 Stimmen gegen sich hatte. K r a f t seiner politischen und und rechtlichen (Über-)Macht bestimmte Preußen die Geschicke des Reichs 1 5 3 ; von Miniaturstaaten, wie ζ. B. von Schaumburg-Lippe — das 22 000 Einwohner zählte gegenüber 33 M i l l i onen Einwohner i n Preußen, Verhältnis von 1 :1500! — konnte ein politisches Gegengewicht nicht erwartet werden. M i t diesem hegemonialen Föderalismus hat die Weimarer Reichsverfassung gebrochen. Zwar konnte sie nichts an der Tatsache ändern, daß Preußen drei Fünftel des Gebietes und der Bevölkerung des Reichs umfaßte 1 5 4 , rechtlich versuchte sie dieser faktischen Übermacht durch A r t . 61 Abs. 1 Satz 4 und Art. 63 Abs. 1 Satz 2 (WRV) zu begegnen 155 . Doch blieb — nicht zuletzt auf Grund der ausstrahlenden Wirkung 150

A r t . 11 Abs. 1 Satz 1 aRV. A r t . 15 Abs. 1 aRV. A r t . 6 Abs. 1 aRV. 153 Vgl. z. B. Treitschke, Politik, 2. Bd., S. 346. — Das Verhältnis Preußen — Reich sah i n der politisch-soziologischen W i r k l i c h k e i t so aus, daß die Leiter der Reichsämter gleichsam avancierten, w e n n sie zu preußischen Staatsministern ernannt w u r d e n ; vgl. dazu Wermuth, E i n Beamtenleben, Berlin 1922, S. 289, zitiert nach Bilfinger, V V D S t R L 1, S. 42. 154 Doch schwebte dem Verfassungsgeber v o n 1919 eine Beseitigung dieser bundesstaatlichen Anomalie vor; s. A r t . 18 WRV. iss wonach i m Reichsrat k e i n L a n d durch mehr als zwei Fünftel aller S t i m men vertreten sein durfte (Art. 61 Abs, 1 Satz 4) u n d die Hälfte der preußischen Stimmen nach Maßgabe eines Landesgesetzes von den preußischen Provinzialverwaltungen bestellt wurde (Art. 63 Abs. 1 Satz 2). 151 152

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seiner Vergangenheit — die Stellung Preußens i n der Weimarer Repub l i k so bedeutsam, daß Bilfinger 1924 auf der Tagung der deutschen Staatsrechtslehrer zu Jena die Frage stellen konnte, ob „es zum Wesen (!) des Föderalismus (gehöre), daß er ein hegemonialer sei, konkreter gesagt, daß i m deutschen Bundesstaat der Großstaat Preußen den bündischen Kreis der Einzelstaaten f ü h r e " 1 5 6 . Unter der Geltung des Bonner Grundgesetzes ist einer derartigen Fragestellung jeglicher Boden entzogen. Schon vom M a i 1945 an war Preußen faktisch nicht mehr vorhanden; durch das Kontrollratsgesetz Nr. 46 vom 25. 2. 1947 wurde es auch formalrechtlich als selbständiges staatliches Gebilde aufgelöst. Die i m Gebiet der Bundesrepublik Deutschland liegenden ehemaligen preußischen Provinzen verteilen sich heute auf die Länder Schleswig-Holstein, Niedersachsen, NordrheinWestfalen, Rheinland-Pfalz, Hessen, Baden-Württemberg und B e r l i n 1 5 7 . Einen Gliedstaat m i t mehr als der Hälfte des Gebietes und der Bevölkerung des gesamten Bundesstaates gibt es i n der Bundesrepublik Deutschland — i m Gegensatz zum Kaiserreich und zur Weimarer Republik — nicht (mehr). Zwar besteht auch die Bundesrepublik aus größeren und kleineren Gliedern; doch ist kein Land allein kraft seiner Größenverhältnisse i n der Lage, die Führungsrolle i m Gesamtstaat zu übernehmen; auch das Verfassungsrecht kennt keine politischen Vorrechte eines oder einzelner L ä n d e r 1 5 8 ; vielmehr werden die faktischen Übergewichte der größeren gegenüber den kleineren Ländern durch die Stimmenverteilung i m Bundesrat kompensiert 1 5 9 : so verfügen die vier größten Länder der Bundesrepublik, nämlich Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, über weit mehr als 50°/o der gesamten Bundesbevölkerung und des gesamten Bundesgebietes 160 , nach heutiger Rechtslage m i t je 5 Stimmen aber nicht über die absolute Mehrheit i m Bundesrat 1 6 1 . Der Verfassungsgeber hat durch die Regelung des A r t . 51 Abs. 2 G G 1 6 2 auch den kleineren Ländern ein entscheidendes Mitwirkungsrecht i m Zentralstaat eingeräumt. So gibt es also heute i m westdeutschen Bundesstaat weder faktisch noch rechtlich ein den übrigen Ländern überlegenes Land. Das Bonner Grundgesetz enthält nicht die geringsten Spuren eines hegemonialen Föderalismus; 156

Bilfinger, W D S t R L 1, S. 38. 157 Vgl. Maunz, Staatsrecht, S. 2, 401. 158 A r t . 138 u n d 141 GG interessieren, da nicht v o n politischem Gewicht, i n diesem Zusammenhang nicht. 159 Vgl. dazu a. Maunz-Dürig, A r t . 51 R N 3. 160 vgl. die Tabelle über Bevölkerung u n d Größe der deutschen Länder i n : Über die bundesstaatliche Ordnung der Bundesrepublik. Beiträge zu Fragen des deutschen Föderalismus; herausgegeben v o m Sekretariat des Bundesrates i n Zusammenarbeit m i t der Bundeszentrale f ü r Heimatdienst, B o n n 1962, S. 8. lei Die Gesamtzahl der Bundesratsstimmen beträgt derzeit 41. 162 Die insofern wesentlich von der Regelung der aRV und W R V abweicht.

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denn hierfür bildete die politische Situation Deutschlands nach 1945 keine geeignete Grundlage; Preußen war endgültig zerschlagen; es existierte kein Großstaat (mehr), der die Errichtung eines neuen deutschen Bundesstaates von sich aus hätte betreiben können. Vielmehr erfolgte die Gründung der Bundesrepublik Deutschland auf Initiative der Siegermächte durch koordiniertes Zusammenwirken aller westdeutschen Länder von 1949. Hegemoniale Elemente konnten somit i n die neue Bundesverfassung nicht eingehen. Ein Großstaat — wie Preußen 1871/1919 —, der i n einem Bundesstaat eine Anomalie darstellt und eine dauernde Störung des Gleichgewichts bedeutet 1 6 3 , ließe sich i n den Bundesstaatstypus, den der Verfassungsgeber von 1949 dem Grundgesetz zugrunde gelegt hat, nicht einfügen. Nicht i n einem hegemonialen Föderalismus, sondern i n einem ausgewogenen — oder wie Lerche 1 6 4 es nennt — gleichgewichtigen Föderalismus sah der Verfassungsgeber von 1949 die Funktionsfähigkeit des (deutschen) Bundesstaates am besten verwirklicht. Die i n einem Bundesstaat ständig erneuerungsbedürftige Einigung der zentralen und territorialen politischen Entscheidungszentren ist nicht nur — wie man früher glaubte — durch die Hegemonie eines Gliedstaates möglich und gesichert, sondern — wie m i r scheint — ebenso, wenn nicht besser, durch das Prinzip rechtlicher Gleichheit der Bundesglieder gewährleistet 1 6 5 . Das Interesse, die Bereitschaft und der Anreiz, sich für das Gesamtwohl zu engagieren, dürften i n einem gleichgewichtigen Föderalismus, i n dem die (faktisch) kleineren Glieder von den größeren nicht erdrückt werden, sondern wie alle anderen Glieder zur Mitarbeit und zum Einsatz ihrer Kräfte für das Ganze aufgerufen sind, intensiver und gewichtiger sein als i n einem hegemonialen Bundesstaat, i n dem die Entscheidungen für die Gesamtheit von „einem Großen" getroffen werden und die kleineren i n der vom Hegemoniestaat bestimmten Marschroute zu folgen haben. A m Typus des funktionsfähigen gleichgewichtigen Bundesstaates, der dem Verfassungsgeber von 1949 bei Erlaß des Bonner Grundgesetzes vorschwebte, hat sich jede territoriale Umgliederung zu orientieren 1 6 6 , soll die Kontinuität der Verfassung gewahrt bleiben. Damit w i r d nicht verlangt, daß die Gliedstaaten von je gleichem materiellen Gewicht seien — dieser Forderung würde schon die gegenwärtige territoriale A u f 163 So Nawiasky, Grundgedanken der RV, S. 62; Frantz, S. 233; Dennewitz, Föderalismus, S.48; Näf, S. 16. 164 I n einem Gutachten f ü r das L a n d Hessen; s. oben A n m . 3 zu § 4 I I . 165 I n diesem Sinn schon Frantz, S. 231 f.; Treitschke, Politik, 2. Bd., S. 328 f.; ebenso Dennewitz, Föderalismus, S. 49; a. A . Kaufmann, Gesammelte Schriften I, S. 259. 166 Vgl. a. die Ausführungen i n BVerfGE 5, S. 39 und bei Eschenburg, Neugliederung, S. 41; Blickpunkt a.a.O. ist jedoch nicht A r t . 79 Abs. 3, sondern A r t . 29 GG.

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gliederung nicht entsprechen 167 —, doch darf andererseits die Disproportion der einzelnen Glieder nicht allzu groß sein 1 6 8 ; die Grenze, die die Garantie des gleichgewichtigen Föderalismus nach A r t . 79 Abs. 3 GG einzuhalten gebietet, ist jedenfalls dann überschritten, wenn ein Gliedstaat für sich größeren Umfang angenommen hat als alle anderen zusammen; unzweifelhaft daher, daß eine „Verfassungsänderung", die alle deutschen Länder auflösen, zu einem einzigen (zweiten) Bundesgliedstaat zusammenschließen und daneben nur mehr beispielsweise die Republik Oberbayern bestehen ließe, der recht verstandenen Garantie des A r t . 79 Abs. 3 GG offensichtlich zuwiderlaufen würde. Ein Bundesstaat dieser Gestalt wäre zwar noch ein Bundesstaat i m juristischen Sinn, doch ist leicht einzusehen, daß der kleine Gliedstaat i n der politischen Wirklichkeit auf das Geschehen i m Gesamtstaat keinen irgendwie spürbaren Einfluß nehmen könnte; zwangsläufig würde dem größeren die Leitung des Gesamtstaates zufallen. Von einem ausgewogenen Föderalismus wäre keine Rede mehr. Dennoch lassen sich i n den Rahmen des gleichgewichtigen Bundesstaates territoriale Umgliederungen auch größeren Ausmaßes ohne weiteres einfügen: Daß A r t . 79 Abs. 3 GG nicht die „Weiterexistenz" jedes einzelnen Gliedstaates fordert, ist allgemeine Auffassung und auch hier bereits mehrfach erwähnt worden. Eine andere Frage aber ist, ob nicht vielleicht einzelne bestimmte historisch gewachsene Länder an der Garantie des Art. 79 Abs. 3 GG teilhaben; gedacht ist hier an die beiden Hansestädte Hamburg und Bremen und den Freistaat Bayern m i t seiner — wie es i n der Präambel der Verfassung vom 2.12.1946 heißt — „mehr als tausendjährigen Geschichte". Dies sind die einzigen drei Länder der Bundesrepublik Deutschland, die nach dem 8.5.1945 ihre Landeszugehörigkeit nicht geändert haben — und darüber hinaus auf eine geschichtliche Vergangenheit zurückblicken können; die übrigen deutschen Länder sind durch die Besatzungsmächte teilweise mehr oder weniger w i l l k ü r l i c h neugebildet worden. Dennoch w i r d man den drei historisch gewachsenen Ländern eine i m Verhältnis zu den anderen Ländern bevorrechtigte Stellung i m Rahmen des A r t . 79 Abs. 3 GG nicht zusprechen können; dem steht vor allem A r t . 29 Abs. 1 GG entgegen. Danach sind die landsmannschaftliche Verbundenheit und die geschichtlichen Zusammenhänge nur zwei von mehreren Richtbegriffen, an denen sich die Neugliederung des Bundesgebietes zu orientieren hat. Es wäre W i l l k ü r , wollte man diesen beiden — eben genannten — Richtbegriffen den Vorrang vor den anderen einräumen. Denn schließlich besteht der 167 s. A n m . 160. 168 „Der Löwe u n d die Maus können sich nicht konföderieren"; S. 232.

Frantz,

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Sinn des Föderalismus nicht i n der Existenz und Wahrung territorialer historischer Gewachsenheit und kultureller Eigenheiten 1 6 9 ; i m modernen Bundesstaat charakterisiert nicht die viel gerühmte romantische „Vielfalt i n der Einheit" das Ordnungsprinzip des Föderalismus, w i r d doch die territoriale Vielfalt durch die egalisierenden und nivellierenden — durch die Sozialstaatsklausel insofern geförderten 1 7 0 — Tendenzen der modernen Gesellschaft überspielt und unterlaufen. Auch das allerorten strapazierte Subsidiaritätsprinzip vermag das Wesen des föderalistischen Gedankens nicht auszufüllen 171 . Das föderative Bündnis w i r d auch nicht u m einer Gewalt enteilung w i l l e n geschlossen172, sondern die Zusammenführung mehrerer politischer Kräfte dient der Verfolgung gemeinsamer Aufgaben und Ziele 1 7 3 . Den Sinn des Föderalismus w i r d man daher i m Einsatz und Engagement der einzelnen zentralen und territorialen politischen Entscheidungszentren für das bundesstaatliche Gesamtwohl zu sehen haben 1 7 4 . „Die Vielfalt der Initiativen" erscheint als „ratio essendi des Bundesstaates" 175 . U m der Aufgabe echter Mitgestaltung und M i t w i r k u n g am Ganzen gerecht werden zu können, bedarf es außer einer starken zentralen Instanz politisch kräftiger Territorialgewalten. Für jede territoriale Umgliederung w i r d daher ein Bundesstaat, i n dem die „Einzelstaaten eine positive K r a f t quelle für das Ganze" 1 7 6 bilden, das L e i t b i l d abgeben müssen. Letztlich verlangt A r t . 79 Abs. 3 GG m i t der Aufrechterhaltung eines funktionsfähigen gleichgewichtigen Bundesstaates eine Gliederung des Bundes 169 Abgesehen davon, daß „Länder, die keine Vergangenheit haben, doch sehr w o h l eine Z u k u n f t haben können"; Küster, SJZ 1948, Sp. 120. — A n der territorialen Differenzierung als der Grundlage des Föderalismus hält insbesondere Scheuner nach wie v o r fest; vgl. D Ö V 1962, S. 641 ff.; D Ö V 1963, S. 198; V V D S t R L 21, S. 122 (Aussprache); ähnlich Salzwedel, ebenda, S. 132 (Aussprache). 170 Vgl. dazu Hesse, S. 13; zu den unitarischen Tendenzen i m Bundesstaat s. a. Grewe, Antinomien, S. 17 ff. 171 So aber z. B. Imboden, Z. f. SchwR 74, S. 218; w i e hier Lerche, V V D S t R L 21, S. 74; umfassend zum Subsidiaritätsprinzip Herzog, Der Staat, 2. Bd., S. 399 ff. 172 Daher vermag der Bundesstaat durch die Gewaltenteilung auch nicht gerechtfertigt zu werden (so aber v o r allem Hesse, S. 26 ff.; ebenso BVerfGE 12, S. 229; Pfeiffer, N J W 1962, S.566f.; Geiger, Bay VB1. 1964, S. 111), auch wenn der Föderalismus i n p r a x i Gewaltenhemmung b e w i r k t ; s. a. die K r i t i k bei Lerche, V V D S t R L 21, S. 80 ff.; Kaiser, ebenda, S. 121 ff. (Aussprache); Scheuner, ebenda, S. 122 (Aussprache). 173 Ebenso Maunz, D Ö V 1959', S. 2; Ridder f Blätter f. deutsche u n d internationale Politik, 1962, S. 520. 174 Vgl. Köttgen, Festschrift für das O L G Celle, S. 96 f. 175 Herb. Krüger, V V D S t R L 19, S. 158 (Aussprache); hier, jedenfalls nicht weit hiervon, w i r d m a n auch Lerches „Verfahrenshomogenität" ( V V D S t R L 21, S. 84 ff.) ansiedeln dürfen; jedoch k o m m e n bei der fast ausschließlich v e r fahrensmäßigen Betrachtung des föderativen Staatsaufbaus (durch Lerche, a.a.O.) die politischen Ernergien i n einem lebendigen Bundesstaat nicht zum Vorschein; insofern meldet Bullinger. AöR 88, S. 84, m. E. zu Recht K r i t i k an. 176 Smend, Verfassungsrecht, S. 118; s. a. ebenda, S. 127, 167 ff., 170.

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i n Länder, die dem Richtbegriff des A r t . 29 Abs. 1 Satz 2 G G 1 7 7 entsprechen. Man w i r d daher dem A r t . 29 Abs. 1 Satz 2 GG nicht nur gegenüber Art. 29 Abs. 1 Satz 1 GG den Vorrang einräumen 1 7 8 , sondern darüber hinaus i n A r t . 29 Abs. 1 Satz 2 GG auch einen Bestandteil des A r t . 79 Abs. 3 GG sehen dürfen, zumindest dergestalt, daß es sich von A r t . 79 Abs. 3 GG her verbietet, auf die Bildung von Zwergstaaten hinzuwirken, m i t denen der Bund oder/und die anderen Bundesstaatsglieder je nach ihrem Belieben umgehen — u m nicht zu sagen: umspringen — könnten 1 7 9 . Andererseits legt das Grundgesetz weder i n Art. 29 Abs. 1 noch i n einer anderen Vorschrift, insbesondere auch nicht i n A r t . 79 Abs. 3 GG, die ideale Größe eines Landes auch nur annähernd fest 1 8 0 . Daher müßte sich beispielsweise die Bildung größerer als der ζ. Z. bestehenden Länder, etwa der Zusammenschluß der heute i m Süden, Westen und Norden der Bundesrepublik existierenden Länder zu je einem Süd-, West- und Nordland, zu denen sich auch noch ein mitteldeutsches L a n d 1 8 1 gesellen könnte, m i t A r t . 79 Abs. 3 GG ebenso vereinbaren lassen wie etwa eine „Zerlegung" i n kleinere territoriale Einheiten. Von der Sicht des A r t . 79 Abs. 3 GG aus kommt es bei allen Umgliederungen des Bundesgebietes immer nur auf den Bestand eines funktionsfähigen gleichgewichtigen Bundesstaates an, für den nicht zuletzt die Stimmenverteüung im Bundesrat von entscheidender Bedeutung ist. Würde etwa bei der Umgliederung des Bundesgebietes eine Ländergruppe i. S. des A r t . 51 Abs. 2 GG völlig verschwinden oder die Gruppe der großen Länder i m Verhältnis zu den beiden anderen Gruppen übermächtig werden, dann w i r d man — mit Schäfer 182 — die Revision des A r t . 51 Abs. 2 GG erwägen, eventuell fordern müssen; denn „diese Regelung geht von dem Bestand der Länder und ihrer Größe i m Jahre 1949 aus. Ändern sich dieser Bestand und die Größe der 177 A r t . 29 Abs. 1 Satz 2 GG enthält nach dem Luther-Gutachten, S. 22, drei, nach v. Mangoldt-Klein, S. 729 f., zwei Richtbegriffe; Maunz-Dürig, A r t . 29 R N 32, nehmen anscheinend — w i e hier — einen Richtbegriff an. 178 Vgl. dazu Maunz-Dürig, A r t . 29 R N 22 (m. Nachw. i n Fußn. 1): A u f t r a g des A r t . 29 Abs. 1 Satz 2 GG, „lebens- u n d funktionsfähige Länder zu schaffen, zweifellos der K e r n p u n k t des ganzen Neugliederungskomplexes"; s. a. Schäfer, Neugliederung, S. 11 ff.; Wernicke, in: Bonner Komm., Erl. I I 1 c zu A r t . 29. 179 Vgl. a. Maunz-Dürig, A r t . 29 R N 23: „ W o h l schon aus dem Prinzip der Bundesstaatlichkeit ergibt sich, daß dem G G n u r leistungsfähige Länder entsprechen." 180 Maunz-Dürig, A r t . 29 R N 34. lei Etwa bestehend aus den Gebieten Hessen, Rheinland-Pfalz u n d evtl. auch der Saar; für den gleichgewichtigen Bundesstaat k o m m t es jedoch nicht auf die Grenzziehung i m einzelnen, sondern n u r auf das Gesamtbild an! 182 Bundesrat, S. 41; zu Recht kritisiert Schäfer (a.a.O., Fußn. 3) die A u f f. v. d. Heydtes (in Staatszeitung f ü r Rheinland-Plalz, 1952, Nr. 26), der eine Änderung des A r t . 51 Abs. 2 GG schon dann f ü r erforderlich hält, w e n n i n Verfolg der Neugliederung ein einzelnes L a n d verschwindet.

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Länder wesentlich 183, dann kann der gesunde Ausgleich, den der Grundgesetzgeber damals gefunden hat, illusorisch werden. Er w i r d dann durch eine andersartige Stimmenverteilung ersetzt werden müssen" 1 8 2 , sofern sich dadurch die Gleichgewichtigkeit des Bundesstaates wieder „herstellen" läßt; anderenfalls läuft schon die Umgliederung dem Art. 79 Abs. 3 GG zuwider. Zum Abschluß der Erörterungen über die Funktionsfähigkeit und Gleichgewichtigkeit des Bundesstaates noch ein kurzes Wort zu der Auffassung, es sei dem A r t . 79 Abs. 3 GG auch dann noch Genüge geleistet, wenn nach einer Umgliederung nur mehr zwei Länder übrig blieben. Daß es sich hierbei nicht u m „irgendwelche L ä n d e r " 1 8 4 handeln dürfte, sondern daß es mehr oder weniger gleichgewichtige sein müßten, sollte sich aus den vorstehenden Ausführungen zwanglos ergeben. Doch wie stünde es u m die Funktionsfähigkeit eines dergestalt „zweigliedrigen" Bundesstaates? Wie vor allem würde sich die M i t w i r k u n g von nur zwei Ländern durch den — von A r t . 79 Abs. 3 GG garantierten — Bundesrat gestalten? Für die Stimmenverteilung gäbe es zwei Möglichkeiten: Entweder hätte das eine Land mehr Stimmen als das andere; dann käme es bei den vom Bundesrat zu treffenden Entscheidungen immer nur auf die Stimmabgabe durch das mehr Stimmen führende Land a n 1 8 5 ; allenfalls bei Verfassungsänderungen würde dem anderen Land noch ein Mitspracherecht verbleiben, wenn es wenigstens über mehr als ein D r i t t e l der Gesamtstimmenanzahl verfügen sollte 1 8 6 . Das Gleichgewicht i m Bundesstaat wäre durch eine derartige Regelung nicht nur empfindlich gestört, es wäre w o h l bereits zerstört. Das Land m i t der geringeren Stimmenzahl wäre von einer M i t w i r k u n g durch den Bundesrat — bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes — rechtlich und dann w o h l auch praktisch ausgeschlossen. Von einer M i t w i r k u n g der Länder durch den Bundesrat könnte keine Rede mehr sein. Oder, die andere Möglichkeit der Stimmenverteilung i m Bundesrat: beiden Ländern stehen gleich viel Stimmen zu 1 8 7 . Dann hätten w i r theoretisch zwar ein ideales Gleichgewicht; auch i m praktischen Verfassungsleben ließe sich eine Zusammenarbeit i m Bundesrat und ein Zusammenwirken des Bundesrates m i t den übrigen Bundesorganen sehr wohl denken; andererseits ist aber auch die Gefahr für die Funktionsfähigkeit eines derart verfaßten Bundesstaates nicht zu übersehen: da beide Länder 183 Hervorhebung hier vorgenommen. 184 So aber Maunz-Dürig, A r t . 29 R N 7. 185 Die Stimmabgabe jedes einzelnen Landes hat notwendigerweise stets einheitlich zu erfolgen; s. dazu oben § 4 I I 2 a. 186 U n d w e n n f ü r Verfassungsänderungen weiterhin die Z u s t i m m i m g von zwei D r i t t e l n der Stimmen des Bundesrates erforderlich sein sollte. 187 D. h., es w ü r d e dann genügen, w e n n jedes der beiden Länder nur eine Stimme hätte.

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gleiche Rechte hätten, könnte der Bundesrat nur einstimmige Beschlüsse fassen; bei Uneinigkeit der Länder wäre der Bundesrat aktionsunfähig; jedes der beiden Länder könnte j e nach Belieben die Arbeit i m Bunde mehr oder weniger torpedieren 1 8 8 . Vor allem dann, wenn sich die Regierungen des Bundes und der Länder parteipolitisch verschieden zusammensetzen — und das dürfte i n der Regel der Fall sein —, wäre die Gefahr einer lähmenden Wirkung auf das Staatsleben i m gesamten Bundesstaat durch einen Bundesrat, der sich aus zwei gleichberechtigten Ländern zusammensetzt, nicht von der Hand zu weisen. I m übrigen Bereich staatlichen Lebens lassen sich desinteressierte, die Zusammenarbeit störende Organe entlassen und ersetzen 189 , eine i m Bundesrat ständig opponierende Landesregierung könnte allenfalls vom betreifenden Landesparlament gestürzt, nicht jedoch vom Bund her, dessen Arbeit sie stört, zur Raison gebracht werden. Ich möchte daher meinen, daß die Funktionsfähigkeit eines Bundesstaates, der aus zwei i m Bundesrat gleichberechtigten Ländern besteht, allzusehr i n Frage gestellt ist, es daher sehr zweifelhaft erscheint, ob A r t . 79 Abs. 3 GG w i r k l i c h nur den Bestand von mindestens zwei Ländern fordert. Drei und mehr Länder, deren Einflußrechte auf den Bund so verteilt sind, daß sich die Mehrheit i m Bundesrat von F a l l zu Fall verschieden zusammensetzen kann, dürften dem B i l d eines gleichgewichtigen funktionsfähigen Bundesstaates wohl eher entsprechen.

188 Etwaigen offensichtlichen Mißbräuchen könnte nach der h. M . auch m i t der Bundestreue nicht begegnet werden; denn (nach h. M.) greift die Bundestreue nur i n das Bund-Länder-Verhältnis korrigierend ein; w e n n sich aber beispielsweise die Bundesregierung m i t dem Bundesrat auseinandersetzt u n d der Bundesrat sich ablehnend verhält, „so zeigen sich nicht die Länder ,widerspenstig', sondern das eine Bundesorgan hat eine andere A u f f . als ein anderes Bundesorgan" (Maunz-Dürig, A r t . 50 R N 5 ) ; nach Auff. des Verf. (Gesamtstaatsbezogenheit der Bundestreue!) ließe sich auch bei mißbräuchlicher Machtausübung durch den Bundesrat „helfen". 189 So sind die Regierungschefs i n der Regel v o m Vertrauen des Parlaments abhängig, die einzelnen Minister dem Parlament entweder unmittelbar oder mittelbar über den Regierungschef verantwortlich etc.

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Literaturerzeichnis

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Literaturerzeichnis Mayer, Otto: Republikanischer u n d monarchischer Bundesstaat, AöR, Bd. 18, 1903, S. 337 ff. Melichar, E r w i n : Die Verfassungsgerichtsbarkeit i n Österreich, i n : Verfassungsgerichtsbarkeit i n der Gegenwart. Länderberichte u n d Rechtsvergleichung, K ö l n u n d B e r l i n 1962, S. 439 ff. Menzel, Eberhard: Rechtsformen der formalen Verfassungsänderung. Eine verfassungshistorische u n d verfassungsdogmatische Studie, in: Festschrift f ü r Friedrich Giese, F r a n k f u r t / M a i n 1953, S. 153 if. — Die auswärtige Gewalt der Bundesrepublik, W D S t R L , H e f t 12, 1954, S. 179 ff. Meyer, Georg: Grundzüge des Norddeutschen Bundesrechtes, Leipzig 1868. — Staatsrechtliche Erörterungen über die Deutsche Reichsverfassung, Leipzig 1872. — Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, 3 Teile, 7. Aufl., Leipzig 1914—1919; herausgegeben v o n Gerhard Anschütz (Meyer-Anschütz). Meyer-Arndt, Lüder: Rechtsfragen der Grundgesetzänderung, AöR, Bd. 82, 1957, S. 275 ff. Mosler, Hermann: Die völkerrechtliche W i r k u n g bundesstaatlicher Verfassungen. Eine Untersuchung zum Völkerrecht u n d z u m vergleichenden V e r fassungsrecht, in: Festschrift f ü r Richard Thoma, Tübingen 1950, S. 129 ff. Münch, Fritz: Föderalismus, Völkerrecht u n d Gemeinschaften, DÖV 1962, S. 649 ff. Näf, Werner: Föderalismus u n d Demokratie i n der Schweiz, Freiburg i m Breisgau 1947. Nawiasky, Hans: Forderungs- und Gewaltverhältnis. E i n Beitrag zum a l l gemeinen T e i l des privaten u n d öffentlichen Rechts, in: Festschrift für Ernst Zitelmann, München und Leipzig 1913, S. 1—36. — Der Bundesstaat als Rechtsbegriif, Tübingen 1920. — Die Grundgedanken der Reichsverfassung, München und Leipzig 1920. — Grundprobleme der Reichsverfassung, B e r l i n 1928. — A u f b a u u n d Begriff der Eidgenossenschaft. Eine staatsrechtliche Betrachtung, St. Gallen 1937. — Allgemeine Rechtslehre — als System der rechtlichen Grundbegriffe, 2. Aufl., Einsiedeln, Zürich u n d K ö l n 1948. — Die Grundgedanken des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland. Systematische Darstellung u n d kritische Würdigung, Stuttgart und K ö l n 1950. — Positives u n d überpositives Recht, J Z 1954, S. 717 ff. — Allgemeine Staatslehre, 4 Teile (2. Teil: 2 Bde.), Einsiedeln, Zürich u n d K ö l n 1952—1958. — Bundesstaat, Staatslexikon, 2. Bd., Freiburg 1958, Sp. 272 ff. Nawiasky, Hans u n d Claus Leusser: Die Verfassung des Freistaates Bayern vom 2. Dez. 1946. Systematischer Überblick u n d Handkommentar, München u n d Berlin 1948. Nawiasky, Hans u n d Hans Lechner: Die Verfassung des Freistaates Bayern vom 2. Dez. 1946. Ergänzungsband zu dem Handkommentar 1948 N a w i a s k y Leusser, München 1953. Nawiasky, Hans, Claus Leusser, K a r l Schweiger u n d Hans Zacher: Die V e r fassung des Freistaates Bayern. Systematischer Uberblick u n d H a n d -

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Literaturerzeichnis

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Literaturerzeichnis

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Personen- und Sachregister A b t r e t u n g von Hoheitsrechten 57 f. Anschütz 25, 73, 142, 144, 146 A p e l t 44, 111

Erforderlichkeit der Verfassungsänderung 116 ff. Eschenburg 44

Baden-Württemberg 151 Bayern 56, 63, 153 Berber 44, 109 (Anm. 4) B e r l i n 141 (Anm. 110), 151 Beschränkungen der Staatsgewalt (siehe auch Selbstbindung) 58 ff., 79, 96 Bilfinger 151 Bindung künftiger Generationen 99 f. Bremen 153 B r i e 14 Bullinger 44, 87 Bundesaufsichit 80 Bundesfreie Gebiete 141 ff. Bundesfreundlichkeit (siehe auch Bundestreue) 35 f., 47 Bundespräsident 70 Bundesrat 42, 69 f., 72 f., 131 ff., 155 ff. Bundesrecht bricht Landesrecht 75 ff., 81 f. Bundestreue 42, 47 ff., 87 Bundesunmittelbare Gebiete 141 ff. Bundesverfassungsgericht 70, 110 ff., 123 Bundesversammlung 70 Bundesvolk 69 ff. Bundeszwang 80 Bürgerkrieg 97

Finanzertragshoheit 130 Finanzwesen 129 f. Föderalistische Spannung 120 F r a n k f u r t e r (Reichs-) Verfassung 79 Funktionsfähiger Bundesstaat 119, 124, 137, 139 f., 149 ff. Fuß 44

Condorcet 106 Demokratie 68 ff., 92, 105 f., 138 ff. Doppelfunktion 67 f. Dreigliedriger Bundesstaat(sbegriff), Dreigliedrigkeitstheorie 38, 41 ff., 45 ff., 65, 68, 71, 85 ff., 108 D ü r i g 19 (Anm. 3), 98 Einheitsstaat 20, 26, 48 Elsaß-Lothringen 141 f., 144 Entstehung eines Bundesstaates 29, 53 ff. Entstehung einer Rechtsgemeinschaft 95

Geiger 47 Gemeinde 14 ff. Gemeinschaftseinrichtungen der Länder 86 f. Gesamtstaat 30 f., 37 ff., 52 f., 64 ff., 83 ff. Gesetzgebungsrecht 121 f., 127 ff. Gewaltenteilung 154 Giese 142 Gleichgewichtiger Bundesstaat 144, 152 ff. Gleichordnung von B u n d u n d Gliedern 23, 28 ff., 40, 74 ff., 85 Grenzen der Umgliederung 149 ff. G r u n d n o r m 35, 94 Grundrechte 71 Haegert 44 H a m a n n 44 H a m b u r g 153 Haug 103 Hegemonialer Föderalismus 150 ff. Heller 94 Herrschaftsrecht 15 Herzog 42 f., 45 Hesse 44 47 f. Hessen 62, 141 (Anm. 110), 151 v. d. Heydte 44 Hoheitsvakuum 55 Homogenität (Bund — Land) 79, 136 ff. Jellinek, G. 25, 54, 73 Justiziabilität der Verfassungsänder u n g 108 ff.

Personen- u n d Sachregister Kaiser, J. H. 41, 45 K a u f m a n n 94 Kelsen 20, 31 f., 65, 71, 93 ff., 98, 108 Kirche 84 K l e i n , Friedrich 77 K ö l b l e 44, 86 Kompetenzabgrenzung (siehe auch Kompetenzverteilung) 61, 83 Kompetenz-Kompetenz 40, 74 f., 83, 85, 107 Kompetenzverteilung 18, 23, 29 f., 39, 43, 59 ff., 641, 68, 76, 78, 85, 113 Kompetenzwidriges Recht 76, 78 K r a p p 44 K r ü g e r 44 Kultur(hoheit) 127, 129 K u m u l a t i v e Zuständigkeit 76 f. Laband 15, 25, 107, 146 Labiler Bundesstaat 145 ff. Laforet 129 f. Länder, Existenzgarantie 107, 118 ff.; Lebensfähigkeit 130 Landesvolk 69, 71, 79, 128, 131 ff. Larenz 94 Lerche 152 Maunz 43, 45, 131 Mehrheitsentscheidung 56 f. Meyer 25 Mitwirkungsrecht des Bundes an der Regierung der Länder 122 ff. Mitwirkungsrecht der Länder (bei der Bundesgesetzgebung) 130 ff., 151 Monarchie 138 f. Montesquieu 137 Nawiasky 18, 28 ff., 33, 43, 65, 84, 86, 131 Nicht-souveräne Staaten 25 ff., 107 Niedersachsen 151 Nordamerika siehe Vereinigte Staaten von A m e r i k a Norddeutscher B u n d 136 f. Nordrhein-Westfalen 63, 151 Originäre Hoheitsgewalt siehe Unabgeleitete Hoheitsgewalt Österreich 72, 86 (Anm. 236) Politischer Bundesstaat 119 ff., 125 ff. Pouvoir constituant (siehe auch Verfassungsgeber) 90 ff. Pouvoir constitué (siehe auch Verfassungsändernder Gesetzgeber) 92 ff. Preußen 150 ff.

Quaritsch

173

91 (Anm. 6)

Rechtspflicht gegen sich selbst 50 f. Rechtsstaat 113, 116 Reichsfreie Gebiete siehe Bundesfreie Gebiete Reichsunmittelbare Gebiete siehe Bundesunmittelbare Gebiete Reine Rechtslehre 71, 93 ff., 98 Revisibilität v o n Landesrecht 124 Revolution 59, 100, 106 Rheinland-Pfalz 151 Rosin 14, 25 Rousseau 56 Schäfer 41 f., 45, 155 Scheuner 17, 44, 68, 97 (Anm. 31) Schleswig-Holstein 63, 151 Schmid 96 (Anm. 28) Schmidt 44 f., 149 Schmitt 92, 102 f. Schweiz 72, 79 Sein u n d Sollen 93 ff. Selbstbeschränkung, Seibetbindung (siehe auch Beschränkungen der Staatsgewalt) 33 f., 59, 79 f., 83, 90 ff. Senat 133 Seydel 23 ff., 34, 59 f. Sieyès 92 (Anm. 9), 97 (Anm. 31) Smend 47 Souveränität 18 f., 22, 24, 26 f., 29, 36, 64, 74 f., 83 f., 107, 121 — T e i l b a r keit (Teilung) der S. 21 ff., 26, 30 Staatenbund 20 f. Staatenstaat 13 (Anm. 1), 23, 32 ff., 59, 61 f., 83, 88, 91 Staatsgewalt 16 ff., 24, 59, 66 f. Staatsorgane, Staatsorganisation (als M e r k m a l des Staates) 66 f. Steuerhoheit 130 Stier-Somlo 73 Stufenbau der Rechtsordnung 93 f. Subsidiaritätsprinzip 117 f., 154 Thoma 25, 112, 145 Totalrevision 100 Treuhänderschaft 68, 85 Übergreifende Verfassungsnormen 79 ff. Überordnung des Bundes über die Glieder 40 f., 75, 78 ff., 83, 85, 107, 147 Überordnung des Gesamtstaates über B u n d u n d Länder 83 ff. Überordnung der Glieder über den B u n d 80 f., 127

174

Personen- u n d Sachregister

Unabänderliche Normen, Unabänderliche Verfassungsentscheidung 59, 83, 89 ff. Unabgeleitete (Ursprüngliche) Hoheitsgewalt (siehe auch Souveränität) 16 f., 40, 53 ff., 63, 75 Untergang eines Gliedstaates 146 ff. Ursprung hoheitlicher Gewalt 16, 28, 58 USA siehe Vereinigte Staaten von Amerika Usteri 31 ff., 59 ff., 73 f., 83, 91, 98 Vereinigte Staaten v o n A m e r i k a 72, 79 Verfassungsändernder Gesetzgeber, Verfassungsändernde Gewalt 92, 96 f., 101 ff., 117, 126, 136 Verfassungsautonomie der Länder 121 Verfassungsgeber, Verfassungsgebende Gewalt (siehe auch Pouvoir constituant) 59, 69 f., 74, 80, 92 ff., 99 ff., 106, 139

Verfassungsgerichtsbarkeit 110 ff. — Garantie der V. 113, 123 f. Verfassungsgesetzgeber (siehe auch Verfassungsändernder Gesetzgeber) 90, 92 Verfassungsvernichtung 101, 139 Völkerrecht 109 f. Volkssouveränität 106, 139 Waitz 21 ff., 26, 30 Zentralstaat, Zentralgewalt 39, 41 ff., 55, 64 f., 67 f., 70 f., 73, 75, 80, 83, 86 f. Zorn 73 Z w a n g (als Begriffs element des Rechts) 108 ff. Zweck (des Staates bzw. der Gemeinde) 14 f. Zweigliedriger Bundesstaat(sbegriff), Zweigliedrigkeitstheorie 44 ff., 65, 70, 83, 85 f. Zwergstaaten 155