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German Pages 575 Year 1997
PETER CLAUS HARTMANN
Der Bayerische Reichskreis (1500 bis 1803)
Schriften zur Verfassungsgeschichte Band 52
Der Bayerische Reichskreis (1500 bis 1803) Strukturen, Geschichte und Bedeutung im Rahmen der Kreisverfassung und der allgemeinen institutionellen Entwicklung des Heiligen Römischen Reiches
Von Peter Claus Hartmann
Duncker & Humblot · Berlin
Gedruckt mit Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein sowie des Bayerischen Sparkassen- und Giro Verbandes in München
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Hartmann, Peter Claus: Der Bayerische Reichskreis (1500 bis 1803) : Strukturen, Geschichte und Bedeutung im Rahmen der Kreisverfassung und der allgemeinen institutionellen Entwicklung des Heiligen Römischen Reiches / von Peter Claus Hartmann. - Berlin : Duncker und Humblot, 1997 (Schriften zur Verfassungsgeschichte ; Bd. 52) ISBN 3-428-09057-8
Alle Rechte vorbehalten © 1997 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0553 ISBN 3-428-09057-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ
Vorwort Der vom bayerischen Herzog bzw. Kurfürsten und dem Salzburger Erzbischof gemeinsam geleitete, von 1500 bis 1803 bestehende bayerische Reichskreis, eine wichtige Institution des Heiligen Römischen Reiches in der frühen Neuzeit, ist bisher relativ unbekannt und wenig erforscht. Seine Struktur, Rolle und Bedeutung und seine historische Entwicklung, seine Aktivitäten, Stärken und Schwächen sollen hier dargestellt werden. Die vorliegende Arbeit versteht sich gleichsam als Grundlagenforschung, die den Rahmen der Entwicklung des Bayerischen Kreises in einem Zeitraum von etwa 300 Jahren steckt, die Verfassungsstrukturen und die großen Linien aufzeigt, die aber auch, wie im Text da und dort angedeutet wird, zu verschiedenen weiteren Detailstudien anregen will. Schließlich möchte die Studie ein Modell und Beispiel sein für eine Reichskreismonographie und somit für die Analyse einer Art Region des Alten Reiches in der frühen Neuzeit, eine Untersuchung, die auch jeweils für andere Kreise, etwa für den niedersächsischen, obersächsischen, niederrheinisch-westfälischen, oberrheinischen und kurrheinischen Reichskreis wünschenswert wäre und welche Reichsgeschichte und Landesgeschichte verbindet. Die Kreise spielten nämlich, und das zeigt meine Studie über den Bayerischen Kreis, eine weitaus größere Rolle, als von der Forschung bisher angenommen wurde. Da es bisher nur zwei wenig umfangreiche Dissertationen über die Anfange des Kreises gab, waren für diese Monographie eine gewaltige Masse von Archivquellen im Münchener Hauptstaatsarchiv, im Salzburger Landesarchiv sowie im Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Wien, zu analysieren. Diese Archivalien wurden durch einige Akten anderer Archive (Hofkammerarchiv Wien, Staatsarchive Amberg und Würzburg, Stadtarchiv Regensburg, Archives Nationales und Archives des Affaires Etrangères Paris) und gedruckte Quellen, die sich in Bibliotheken befinden, ergänzt. So ist die vorliegende Arbeit die Frucht von mehr als 10jährigen Forschungen zu diesem Thema, die betrieben wurden, soweit mir die anderen Verpflichtungen als Universitätsprofessor in Passau und dann in Mainz die Zeit dazu ließen. Mein Dank gilt zunächst den Archivaren, Bibliothekaren und dem sonstigen Personal der benützten Archive und Bibliotheken für ihre Mühen und teilweise auch ihre Beratung und Hilfestellung. Besonders hervorzuheben sind hier die Herren Dr. Leopold Auer (Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Wien), Dr. Wild und
6
Vorwort
Dr. Cramer-Fürtig (Bayerisches Hauptstaatsarchiv, München), Dr. Ambronn (Staatsarchiv Amberg) und Frau Spitzenberger (Staatliche Bibliothek Passau). Außerdem danke ich meinen Schülern Alexander Begert, Gerhard Fieguth, Boris Kling, Christian Ohler und Helmut Schmahl für ihre Hilfeleistung vor allem bei der Textherstellung auf dem PC. Große Verdienste hat sich Herr Begert erworben, der das Manuskript für das Fotoprintverfahren mit viel Mühe entsprechend formatiert und nach den Richtlinien des Verlages vereinheitlicht hat. Boris Kling fertigte unter Mitarbeit von Alexander Begert das Orts- und Personenregister an. Danken möchte ich auch meinen Schülern Hochschuldozent Dr. Konrad Amann und Helmut Schmahl, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl, die sich der Mühe unterzogen haben, die Korrekturfahnen mitzulesen, außerdem Herrn John Deasy für die Übersetzung. Schließlich gilt noch mein Dank dem Verlag Duncker & Humblot (Berlin), der das Buch in seine renommierte Reihe „Schriften zur Verfassungsgeschichte" aufgenommen hat, und den Bayerischen Sparkassen sowie der Böhringer-Stiftung (Ingelheim am Rhein), die den Band durch Druckkostenzuschüsse gefordert haben.
Mainz, im Februar 1997
Peter Claus Hartmann
Inhaltsverzeichnis I. Einleitung
17
II. Die Reichskreise
36
1. Die Reichskreise im Rahmen der allgemeinen Entwicklung der Reichsverfassung
36
1.1. Die Entstehung der Reichskreise 1.1.1. Vorgeschichte 1.1.2. Schaffung von sechs Kreisen 1500 1.1.3. Die zehn Reichskreise 1512
36 36 38 39
1.2. Entwicklung und wachsende Kompetenzen der Kreise 1.2.1. Die Kreise bis 1555 1.2.2. Der Augsburger Reichsabschied von 1555 als vorläufiger Endpunkt der Reichsreform des 16. Jahrhunderts 1.2.3. Entwicklung von 1555 bis 1600 1.2.4. Ausweitung der Kreisfunktionen im 17. und 18. Jahrhundert
41 41 44 45 48
1.3. Die Kreise als wichtigste Organe der Reichsexekutive 1.3.1. Erhebung der Reichssteuern 1.3.1.1. Kammerzieler 1.3.1.2. Römermonate 1.3.2. Aufstellung der Kreiskontingente als Teil des Reichsheeres 1.3.3. Exekution der Reichsgerichtsurteile 1.3.4. Münzwesen 1.3.5. Organe der Reichs- und Regional Verwaltung
52 53 53 58 63 67 68 70
2. Die Verfassung der Reichskreise
72
2.1. Geographische Lage, Umfang, Mitglieder
72
2.2. Einwohnerzahlen und Konfessionsverhältnisse
75
2.3. Institutionen 2.3.1. Kreisausschreibe- und Direktorenamt 2.3.2. Kreishauptmann bzw. -obrist 2.3.3. Kreistage
84 84 88 90
8
nsverzeichnis
2.4. Münzprobationstage
92
2.5. Kreisassoziationen
94
2.6. Reichskreistage - Reichsdeputationstage- Reichsmoderationstage
96
III. Allgemeine Struktur des Bayerischen Kreises 1. Geographische Lage
99 99
2. Entwicklung des Mitgliederstandes vom Anfang des 16. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts
102
2.1. Die Kreisstände bis Ende des 16. Jahrhunderts
102
2.2. Neue Kreisstände im 17. Jahrhundert 104 2.3. Laufende Reduzierung der Entscheidungsträger des Kreises unter Beibehaltung der Stimmen bis Ende des 18. Jahrhunderts 105 2.4. Dominanz der katholischen Kreisstände 3. Die einzelnen Kreisstände
106 110
3.1. Die Geistliche Bank 3.1.1. Erzstift Salzburg 3.1.2. Hochstift Freising 3.1.3. Hochstift Passau 3.1.4. Hochstift Regensburg 3.1.5. Fürstpropstei Berchtesgaden 3.1.6. Stift St. Emmeram 3.1.7. Stift Niedermünster 3.1.8. Stift Obermünster 3.1.9. Stift Kaisheim 3.1.10. Waldsassen - Chiemsee - Rot[t]
111 111 117 121 124 128 134 139 141 144 146
3.2. Die Weltliche Bank 3.2.1. Herzogtum/Kurfürstentum Bayern 3.2.2. Fürstentum (Herzogtum) Pfalz-Neuburg 3.2.3. Landgrafschaft Leuchtenberg 3.2.4. Grafschaft Haag 3.2.5. Grafschaft Ottenburg 3.2.6. Herrschaft Ehrenfels 3.2.7. Herrschaft Wolfstein (Sulzbürg-Pyrbaum) 3.2.8. Herrschaft/Grafschaft Hohenwaldeck (Maxlrain) 3.2.9. Reichsstadt Regensburg 3.2.10. Grafschaft Störnstein 3.2.11. Herrschaft Breitenegg
153 153 164 171 174 176 180 181 184 186 189 193
nsverzeichnis
3.2.12. Fürstentum (Herzogtum) Pfalz-Sulzbach 3.2.13. Herrschaft Degenberg 4. Die Kreisinstitutionen
194 197 200
4.1. Kreisausschreibende Fürsten
200
4.2. Kreisdirektoren
202
4.3. Kreishauptmann, -obrist und Kreisarmee
203
4.4. Kreistag
205
4.5. Kreiskanzleien und Kreisarchive
206
4.6. Finanz-, Rechnungs-, Münz- und andere Beamte des Kreises
208
4.7. Münzprobationstage von Bayern, Franken und Schwaben
209
IV. Wie funktionierte der bayerische Reichskreis? 1. Die Aufgaben der beiden Kreisausschreibenden Fürsten
214 214
1.1. Der Kreis und die Kreisausschreibenden Fürsten als regionale Verwaltungsorgane von Kaiser und Reich 214 1.2. Übermittlung des kaiserlichen Excitatoriums bzw. der Proposition
219
1.3. Gemeinsame Ausschreibung der Kreistage durch Bayern und Salzburg. 221 2. Wie wirkten der Kaiser und die Kreisstände auf die Verhandlungen und Diskussionen des Kreistages ein? 225 2.1. Entsendung kaiserlicher Kommissare
225
2.2. Die Instruktionen der Kreisstände fur ihre Vertreter
226
2.3. Vollmachten
229
2.4. Die Gesandtenrelationen vom Kreistagsgeschehen
230
2.5. Kosten der Gesandtschaften
232
3. Kreistage
233
3.1. Tagungsorte, Daten und Dauer der Kreisversammlungen
233
3.2. Sitzordnung
239
3.3. Die Vertreter der Kreisstände
242
3.4. Ablauf der Kreistage - eine Vorform des Parlamentarismus
247
3.5. Die konkrete Funktion des jeweiligen Direktoriums
253
3.6. Protokollführung
257
10
nsverzeichnis
3.7. Beschlußfassung
259
3.8. Kreisabschiede
260
3.9. Zeremoniell und gesellschaftliches Leben während der Kreistage
264
4. Ausführung der Kreisbeschlüsse 4.1. Bezahlung der Reichssteuern 4.1.1. Kammerzieler 4.1.2. Römermonate
268 268 268 273
4.2. Große finanzielle Belastung der kleinen und der geistlichen Kreisstände 276 4.3. Aufstellung der Kreiskontingente
279
4.4. Regelung des Münzwesens
288
4.5. Zoll- und Wirtschaftsangelegenheiten
290
4.6. Kreisexekution
291
4.7. Exekution von Reichsgerichtsurteilen
292
V. Entwicklung und Aktivitäten des Bayerischen Kreises von 1500 bis 1803... 295 1. Der Kreis im 16. Jahrhundert ( 1500-1593)
295
1.1. Die Anfange und das allmähliche Zusammenwachsen des Kreises bis 1537 295 1.2. Türkenhilfe, zunehmende Aktivitäten, Spannungen und Konsolidierung des Kreises von 1538 bis 1554 300 1.3. Zusammenfassender Rückblick über die Entwicklung des Kreises bis 1554 311 1.4. Entstehung einer dauerhaften Kreisverfassung 1555-1560
312
1.5. Weiterer Ausbau der Kreisinstitutionen und -aktivitäten in den Bereichen Münzwesen und Friedenssicherung ( 1561 -1579)
319
1.6. Der Kreis von 1580 bis 1593
335
2. Der Kreis im Zeichen von konfessionellen Spannungen, türkischer Bedrohung und Auseinandersetzungen mit Salzburg ( 1594-1617) 347 2.1. Die Türkenhilfe des Kreises 1594 und 1595
347
2.2. Konfessionelle Spannungen im Kreis und weitere Türkenhilfe 1596 und 1597 353 2.3. Der Bayerische Kreis von 1598 bis 1606
358
nsverzeichnis
2.4. Die Exekution in Donauwörth 1607
369
2.5. Der Landshuter Kreistag von 1611 und die Absetzung des Salzburger Erzbischofs 371 3. Der Kreis im 30jährigen Krieg
375
3.1. Der Bayerische Kreis und der böhmische Aufstand 1618/1619
375
3.2. Der Kreis von 1620 bis 1625
383
3.3. Der Kreis in der zweiten Kriegsphase (Niedersächsisch-dänischer Krieg) 1625-1629 385 3.4. Die Reaktionen des Kreises auf die Bedrohung durch die schwedischen Truppen 388 3.5. Der Kreistag von 1638
394
3.6. Bedeutende Zahlungen des Kreises - Ligaheer als Kreiskontingent in den 1640er Jahren 396 3.7. Der Kreistag von 1648/49 und der Streit um die Bezahlung und Abdankung der bayerischen und kaiserlichen Truppen 400 4. Der Kreis in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts
407
4.1. Der Regensburger Reichsabschied von 1654 und der Kreistag von 1655 407 4.2. Der Kreistag von 1664 und die Abwendung der Türkengefahr
414
4.3. Der Landshuter Kreistag von 1672
423
4.4. Die Kreisversammlung von 1681/82 und der Anteil des Kreises am Türkenkrieg 427 4.5. Rolle des Kreises beim Reichskrieg gegen Frankreich 1688-1697 5. Der Kreis im 18. Jahrhundert 5.1. Der Kreis während des Spanischen Erbfolgekrieges ( 1701 -1714)
433 444 444
5.2. Der Kreistag von 1727
454
5.3. Der Kreis während des Polnischen Thronfolgekrieges ( 1733-1738)
458
5.4. Der Kreistag von 1746
464
5.5. Der Kreis im Siebenjährigen Krieg (1756-1763)
468
5.6. Der Streit um Kaisheim
472
5.7. Kreisaktivitäten von 1764 bis 1792
476
5.8. Der Kreis während der Revolutionskriege
477
5.9. Das Ende des Kreises
485
12
nsverzeichnis
VI. Die Bedeutung des bayerischen Reichskreises im Rahmen der Kreis- und Reichsverfassung von 1500 bis 1803 - Zusammenfassung 488 VII. The importance of the Bavarian Imperial Circle within the framework of the Circle and Imperial Constitution from 1500 to 1803 - Summary 495 Quellen- und Literaturverzeichnis
502
1. Quellen 1.1. Ungedruckte Quellen 1.2. Gedruckte Quellen
502 502 504
2. Literatur
507
Register 1. Orte, Länder, Territorien 2. Personen
550 550 560
Verzeichnis der verwendeten Siglen und Abkürzungen 1. Archive AE AN Bay. Η StA GL HL Kurbay. Ä.A. K. bl. K. schw. Lit. HHStAW MEA RTA HKAW LA Salzburg StAAm StAR StAWü
Archives du Ministère des Affaires étrangères, Paris Archives Nationales, Paris Bayerisches Hauptstaatsarchiv, München Gerichtsliteralien Hochstifit-Literalien Kurbayern Äußeres Archiv Kasten blau Kasten schwarz Literalien Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien Mainzer Reichserzkanzler-Archiv Reichstagsakten Hofkanzlerarchiv Wien Landesarchiv Salzburg Staatsarchiv Arnberg Stadtarchiv Regensburg Staatsarchiv Würzburg
2. Weitere Abkürzungen und Siglen Abh. Abt. Adm. A KG AÖG ARG BAW bai. bay. Beih. Beitr. Bibl.
Abhandlung(en) Abteilung Administrator Archiv für Kulturgeschichte Archiv für österreichische Geschichtsquellen Archiv fur Reformationsgeschichte Bayerische Akademie der Wissenschaften baierisch [u.ä.] bayerisch [u.ä.] Beiheft Beiträge Bibliothek
14
Bll. BlldtLG Dte. RTA Ä.R. Dte. RTA J.R. Dte. RTA M.R. Dte. RTA RV Fasz. Forsch. FS Ges. Gesch. GFG HAB Hg. Hist. HistK BAW Η st. HZ Inst. Jb JbGMOD Jb westdt KG JModH KiG Komm. KuG LG LK MBM Μ GH MGM MIÖG Mitt. MÖStA NassAnn NZ Qu QuD QuF
Abkürzungsverzeichnis
Blätter Blätter für deutsche Landesgeschichte Deutsche Reichstagsakten, Ältere Reihe Deutsche Reichstagsakten, Jüngere Reihe Deutsche Reichstagsakten, Mittlere Reihe Deutsche Reichatgsakten, Reichsversammlungen Faszikel Forschungen Festschrift Gesellschaft Geschichte Gesellschaft für fränkische Geschichte Historischer Atlas von Bayern Herausgeber Historische(r) [u.ä.] Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften Hochstift Historische Zeitschrift Institut Jahrbuch Jahrbuch für deutsche Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands Jahrbuch für westdeutsche Kirchengeschichte Journal of Modern History Kirchengeschichte Kommission Kulturgeschichte Landesgeschichte Landeskunde Miscellanea Bavarica Monacensia Monumenta Germaniae Hi storica Militärgeschichtliche Mitteilungen Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung Mitteilungen Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs Nassauer Annalen Numismatische Zeitschrift Quellen Quellen und Darstellungen Quellen und Forschungen
Abkürzungsverzeichnis
QuF höchGR QuS RA RG RhVjbll SB Sehr. Schrr. Schrr. HistK BAW Sehr. VfgG SozG Stud. T. theol. Ver. Verh. Veröff. Veröff. GFG Veröff. KGL BW Veröff. IEG MZ (AU) VfgG VHOR Vortr. VSWG WestfZ Wiss. ZBLG ZGO ZHF ZNR ZRG GA ZRG KA
Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich Quellen und Studien Neue und vollständigere Sammlung der ReichsAbschiede... Rechtsgeschichte Rheinische Vierteljahresblätter Sitzungsberichte Schrift(en) Schriftenreihe Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften Schriften zur Verfassungsgeschichte Sozialgeschichte Studien [u.ä.] Teil theologisch [u.ä.] Verein(igung) Verhandlung [u.ä.] Veröffentlichungen Veröffentlichungen der Gesellschaft für fränkische Geschichte Veröffentlichungen der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz (Abteilung Universalgeschichte) Verfassungsgeschichte Verhandlungen des Historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg Vorträge Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Westfälische Zeitschrift Wissenschaft(lich) [u.ä.] Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins Zeitschrift für Historische Forschung Zeitschrift für neuere Rechtsgeschichte Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung
I. Einleitung Das Heilige Römische Reich deutscher Nation in der frühen Neuzeit, seine politische Entwicklung und seine Verfassungs-, Institutions- und Rechtsgeschichte sind in der kleindeutsch oder österreichisch bestimmten Geschichtsschreibung lange vernachlässigt worden. Einem Standort gemäß, der von der preußischen oder speziell österreichischen Vergangenheit ausging, wurden das Alte Reich, seine Institutionen und seine Verfassungsentwicklung meist recht negativ als Zeit des „Verfalls" gesehen. Dies trifft besonders für die Epoche nach 1648 zu, die noch in der 1987 erschienenen ,»Deutschen Geschichte begründet von P. Rassow" unter der Kapitelüberschrift „Zerfall und Untergang des alten Reiches (1648-1806)" oder in der „Deutschen Verfassungsgeschichte" von Otto Kimminich aus dem gleichen Jahr als Kapitel „Niedergang und Auflösung des Reiches" behandelt wird. 1 Im grundlegenden Handbuch der deutschen Geschichte betont außerdem Ernst W. Zeeden für die Zeit nach 1648: „[...] fortan war die deutsche Geschichte eine Summe von Sondergeschichten großer Territorien, Reichsgeschichte aber nur noch zum geringen Teil." 2 Für Kimminich ist das Reich nach 1648 sogar eine „Staatenkonföderation" und er betont, durch den Westfälischen Frieden sei „die Anerkennung der vollen und uneingeschränkten Souveränität der Landesherren" festgelegt worden. 3 Das Reich erschien somit vielen Historikern und Verfassungsrechtlern als morsches, schwaches, anachronistisches Gebilde, das praktisch bedeutungslos war gegenüber den modernen Macht- und Leistungsstaaten der Zeit. Nicht von ungefähr kamen die Historiker, die sich seit Ende der 50er und 60er Jahre dieses Jahrhunderts neben einigen Kirchen- und Rechtshistorikern speziell mit der Geschichte des Heiligen Römischen Reiches als Ganzem beschäftigt haben, weder von der preußisch-kleindeutschen noch von der österreichischen Geschichtstradition her. Als Forscher, die eine gewisse Pionierarbeit auf diesem Gebiet geleistet haben, sollen hier zunächst zwei genannt werden: der Nordita1
Hans Schmidt, Zerfall und Untergang des alten Reiches (1648-1806), in: Vogt (Hg.), Deutsche Geschichte, Stuttgart 1987, S. 218ff.; Otto Kimminich, Deutsche Verfassungsgeschichte, Baden-Baden 2 1987, S. 213. 2 Bruno Gebhardt!Herbert Grundmann (Hg.), Handbuch der deutschen Geschichte 2, Stuttgart 9 1970 (ND 1981), S. 237. 3 Kimminich, Verfassungsgeschichte, S. 215-228; positivere Wertung bei Heinrich Mitteis/Heinz Lieberich) Deutsche Rechtsgeschichte. Ein Studienbuch, München 18 1988 (Juristische Kurz-Lehrbücher), S. 336ff. und 402ff. 2 Hartmann
18
I. Einleitung
liener Emilio Bussi mit seinem „ I I diritto publico del sacro Romano Impero alla fine del X V I I I secolo" und der Bayer Karl Otmar Freiherr von Aretin mit seinem Werk „Heiliges Römisches Reich 1776-1806". 4 Nach der Darstellung des Heiligen Römischen Reiches in den letzten drei Jahrzehnten erscheint seit 1993 außerdem eine auf drei Bände angelegte Gesamtdarstellung des Alten Reiches von 1648 bis 1806 aus der Feder dieses Historikers. Im Band eins mit der Überschrift „Föderalistische oder hierarchische Ordnung (1648-1684)" analysiert v. Aretin zunächst ausführlich die Reichsverfassung nach dem Westfälischen Frieden, bevor dann die Politik im Reich von 1648-1684 behandelt wird. 5 In den beiden folgenden Bänden soll der Zeitraum von 1685 bis 1806 berücksichtigt werden. Einen guten Überblick über die letzten 43 Jahre des Reiches und seiner Territorien, seiner Politik, Gesellschaft und Kultur bietet auch der sechste Band der Propyläen Geschichte Deutschlands von James J. Sheehan.6 Seit den 1960er Jahren fanden außerdem das Reichslehenswesen7, der Reichstag8 und die obersten Reichsgerichte 9 wieder das Interesse namhafter 4 Emilio Bussi , Il diritto publico del sacro Romano Impero alla fine del XVIII secolo, 2 Bde., Padua/Mailand 1957/59; Karl Otmar Freiherr von Aretin, Heiliges Römisches Reich 1776-1806. Reichsverfassung und Staatssouveränität, 2 Bde., Wiesbaden 1967 (Veröff. IEG MZ, AU, 38). 5 Karl Otmar von Aretin, Das Alte Reich 1648-1806, Bd. 1: Föderalistische oder hierarchische Ordnung (1648-1684), Stuttgart 1993. 6 James J. Sheehan, Der Ausklang des alten Reiches. Deutschland seit dem Ende des Siebenjährigen Krieges bis zur gescheiterten Revolution 1763 bis 1850, Berlin 1994 (Propyläen Geschichte Deutschlands, 6). 7 Jean-Frangois Noèl , der eine große Monographie über den Reichshofrat vorbereitet, hat eine ganze Reihe bedeutender kleinerer Studien veröffentlicht, beispielsweise: Zur Geschichte der Reichsbelehnungen im 18. Jahrhundert, in: MÖStA 21 (1968), S. 106-122; ders., Der Reichshofrat und das Verfassungsleben der Reichsstädte zur Zeit Josefs II., in: Gesch. d. oberdeutschen Reichsstädte 16 (1970), S. 121-131.; ders., Le Saint Empire, Paris 31993 (Que sais-je? 1646). 8 Friedrich Hermann Schubert, Die deutschen Reichstage in der Staatslehre der frühen Neuzeit, Göttingen 1966 (Schrr. HistK BAW, 7); Walter Fürnrohr, Der immerwährende Reichstag zu Regensburg. Das Parlament des Alten Reiches. Zur 300-Jahrfeier seiner Eröffnung 1663, Regensburg/Kallmünz 1963. 9 Wolfgang Seifert, Über die Zuständigkeitsabgrenzung von Reichshofrat und Reichskammergericht insbesondere in Strafsachen und Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, Aalen 1965 (Untersuchungen z. deutschen Staats- u. RG, NF 4); außerdem erschien 1965 das Buch von Smend im Neudruck: Rudolf Smend, Das Reichskammergericht. Geschichte und Verfassung, Weimar 1911 (QuS z. VfgG d. Deutschen Reiches in Mittelalter und Neuzeit, 4,3); Wolfgang Sellert, Die Ordnungen des Reichshofrates 1550-1766, 2 Bde., Köln u.a. 1980/1990 (QuF höchGR, 8,1+2); ders., Richterliche Unabhängigkeit am Reichskammergericht und am Reichshofrat, in: Behrends (Hg.), Gerechtigkeit und Geschichte. Beiträge eines Symposions zum 65. Geburtstag von Malte Dießelhorst, Göttingen 1996 (QuF z. Recht u. seiner Gesch., 6), S. 118-132; siehe auch
I. Einleitung
19
Historiker. 1995 ist gerade rechtzeitig zum 500. Gründungsjubiläum des Reichskammergerichts eine zweibändige Monographie von Sigrid Jahns über das Kammerkollegium des Reichskammergerichts im Verfassungs- und Sozialsystem des Alten Reiches erschienen. In ca. 2350 Druckseiten werden hier die Verfassung des Kammerkollegiums dieses höchsten Reichsgerichtes von 1495 bis 1806, der Modus seiner Besetzung und sein Sozialprofil analysiert. Außerdem enthält der zweite Teil die Einzelbiographien all der Juristen, die im 18. Jahrhundert auf ein Kammergerichtsassessorat präsentiert wurden. 10 Einen guten, vielseitigen und umfassenden Eindruck von der Bedeutung, der Tätigkeit und der Verfahrensweise des Reichskammergerichts bietet auch der 1994 erschienene fast 480 Seiten umfassende Ausstellungskatalog mit dem Titel „Frieden durch Recht. Das Reichskammergericht von 1495 bis 1806". 11 Ferner ist ein instruktiver Band ,,Fern vom Kaiser. Städte und Stätten des Reichskammergerichts 1495-1806" von Jost Hausmann erschienen. 12 Viele einschlägige Einzelstudien sind auch in der Reihe „Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich" veröffentlicht worden. 13
Bernhard Diestelkamp, Bericht über den Stand der Arbeiten „Höchste Gerichtsbarkeit im Alten Reich", in: Schepper (Hg.), Höchste Gerichtsbarkeit im Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit, Amsterdam 1985 (Verzamelen en bewerken van de jurisprudentie van de Grote Raad, N.R., 9), S. 135-148. 10 Sigrid Jahns, Das Kammerkollegium des Reichskammergerichts im Verfassungsund Sozialsystem des Alten Reiches, Köln u.a. 1995 (QuF höchGR, 26). 11 Ingrid Scheurmann (Hg.), Frieden durch Recht. Das Reichskammergericht von 1495 bis 1806, Mainz 1994. 12 Jost Hausmann (Hg.), Fern vom Kaiser. Städte und Stätten des Reichskammergerichts 1495-1806, Köln u.a. 1995. 13 Adolf Laufs (Hg.), Die Reichskammergerichtsordnung von 1555, Köln u.a. 1976 (QuF höchGR, 3); Jürgen Weitzel, Der Kampf um die Appellation ans Reichskammergericht. Zur politischen Geschichte der Rechtsmittel in Deutschland, Köln u.a. 1976 (QuF höchGR, 4); Sellert, Ordnungen des Reichshofrates; Peter Schulz, Die politische Einflußnahme auf die Entstehung der Reichskammergerichtsordnung 1548, Köln u.a. 1981 (QuF höchGR, 9); Bettina Dick, Die Entwicklung des Kameralprozesses nach den Ordnungen von 1495 bis 1555, Köln u.a. 1981 (QuF höchGR, 10); Friedrich Battenberg, Beiträge zur höchsten Gerichtsbarkeit im Reich im 15. Jahrhundert, Köln u.a. 1981, (QuF höchGR, 11); ders., Die Gerichtsstandsprivilegien der deutschen Kaiser und Könige bis zum Jahre 1451, 2 Bde., Köln u.a. 1983 (QuF höchGR, 12,1+2); ders., Reichsacht und Anleite im Spätmittelalter. Ein Beitrag zur Geschichte der höchsten königlichen Gerichtsbarkeit im Alten Reich besonders im 14. und 15. Jahrhundert, Köln u.a. 1986 (QuF höchGR, 18); Klaus Mencke, Die Visitationen am Reichskammergericht im 16. Jahrhundert. Zugleich ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des Rechtsmittels der Revision, Köln u.a. 1984 (QuF höchGR, 13); Bernhard Diestelkamp (Hg.), Forschungen aus Akten des Reichskammergerichts, Köln u.a. 1984 (QuF höchGR, 14); ders. (Hg.), Das Reichskammergericht in der deutschen Geschichte. Forschungsstand und Forschungsperspektiven, Köln u.a. 1990 (QuF höchGR, 21); ders. (Hg.), Die politi2*
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I. Einleitung
In den 70er, 80er und 90er Jahren sind außerdem neben vielen kleinen Beiträgen 14 gewichtige Monographien zu einzelnen Perioden der Geschichte des Heiligen Römischen Reiches erschienen. Als gute Beispiele wären hier Schriften über die Reichsreform von 1410 bis 1555 15 , über das zweite Reichsregiment 1521 bis 1530 16 , die Friedenssicherung und politische Einheit des Reiches unter Kaiser Maximilian II. zu nennen,17 aber auch solche über die Reichspolitik von 1530 bis 1552 l x , das Reich und die Türkengefahr im späten 16. Jahrhundert 19 , insbesondere über den Reichstag 20 , sowie weitere über die Versuche, auf den sehe Funktion des Reichskammergerichts, Köln u.a. 1993 (QuF höchGR, 24); Markus Scheffer, Die Gerichtsbarkeit auf Reichs-, Wahl- und Krönungstagen, Köln u.a. 1995 (QuF höchGR, 27); Jost Hausmann, Die Kameralfreiheiten des Reichskammergerichtspersonals. Ein Beitrag zur Gesetzgebung und Rechtspraxis im Alten Reich, Köln u.a. 1990 (QuF höchGR, 20); Manfred Uhlhorn, Der Mandatsprozeß sine clausula des Reichshofrats, Köln u.a. 1991 (QuF höchGR, 22). 14 Z.B. Winfried Schulze, Reichstage und Reichssteuern im späten 16. Jahrhundert, in: ZHF 2 (1975), S. 43-58; Konrad Repgen, Über Lünigs „Teutsches Reichs-Archiv" (1710-1722): Aufbau und Zitierungsmöglichkeiten, in: Ders. (Hg.), Forschungen und Quellen zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, Münster 1981 (Schrr. d. Ver. ζ. Erforsch. d. neueren Gesch., 12), S. 240-285; Volker Press, Das Römisch-deutsche Reich. Ein politisches System in verfassungs- und sozialgeschichtlicher Fragestellung, in: Klingenstein/Lutz (Hg.), Spezi al forschung und „Gesamtgeschichte" Beispiele und Methodenfragen zur Geschichte der frühen Neuzeit, München 1982 (Wiener Beitr. z. Gesch. d. Neuzeit, 8), S. 221-242; Bernd Wunder, Die Erneuerung der Reichsexekutionsordnung und die Kreisassoziationen 1654-1674, in: ZGO 139 (1991), S. 494-502; Karl Otmar von A retin, Kaiser Joseph II. und die Reichskammergerichtsvisitation 1766-1776, in: ZNR 13 (1991), S. 129-144; Maximilian Lanzinner, Friedenssicherung und Zentralisierung der Reichsgewalt. Ein Reformversuch auf dem Reichstag zu Speyer 1570, in: ZHF 12 (1985), S. 287-310; Peter Claus Hartmann, Der Reichstag in Frankfurt im Jahr 1742, in: Schröder (Hg.), Beiträge zu Kirche, Staat und Geistesleben. FS für Günter Christ, Stuttgart 1994, S. 159-168. 15 Heinz Angermeier, Die Reichsreform 1410-1555. Die Staatsproblematik in Deutschland zwischen Mittelalter und Gegenwart, München 1984. 16 Christine Roll, Das Zweite Reichs-Regiment 1521-1530. Ständische Regierung oder kaiserliche Regentschaft?, Köln u.a. 1995 (Forsch, z. deutschen RG, 15). 17 Maximilian Lanzinner, Friedenssicherung und politische Einheit des Reiches unter Kaiser Maximilian II. (1564-1576), Göttingen 1993 (Sehr. HistK BAW, 45). 18 Albrecht Pius Luttenberger, Glaubenseinheit und Reichsfriede. Konzeptionen und Wege konfessionsneutraler Reichspolitik 1530-1552 (Kurpfalz, Jülich, Kurbrandenburg), Göttingen 1982 (Schrr. HistK BAW, 20). 19 Winfried Schulze, Reich und Türkengefahr im späten 16. Jahrhundert. Studien zu den politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen einer äußeren Bedrohung, München 1978. 20 Helmut Neuhaus, Reichstag und Supplikationsausschuß. Ein Beitrag zur Reichsverfassungsgeschichte der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, Berlin 1977 (Sehr. z. VfgG, 24); Rosemarie Aulinger, Das Bild des Reichstages im 16. Jahrhundert. Beiträge
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verschiedenen Reichs Versammlungen, d.h. Reichstagen, Reichskreis-, Reichsdeputations-, Kommissions-, Reichsmoderations-, Kurfürsten- und Kreistagen, die Probleme des Reichskammergerichts zu lösen 21 . Wichtige neuere Studien gibt es ebenfalls über den Reichstag im 17. und 18. Jahrhundert. So zeigt Anton Schindling, daß der Immerwährende Reichstag, dessen Bedeutung in der älteren deutschen Geschichtsschreibung gering geachtet wurde, eine beachtliche Rolle im Bereich der Verfassungs- und Rechtsordnung in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts gespielt hat. 22 Karl Härter weist nach, daß dieser Immerwährende Reichstag auch noch von 1789 bis 1806 als zentrale Institution der Reichsverfassung „zumeist aktiv und keineswegs nur als passiver Zuschauer am Rande, sondern inmitten des politisch-diplomatischen Geschehens an der Auseinandersetzung des Reiches mit der Revolution" teilgenommen hat.23 Über den Städtetag und die korporative Politik der Reichsstände handeln zwei Monographien von Georg Schmidt. 24 Außerdem beschäftigen sich Arbeiten mit dem Kaisertum. So untersucht Heinz Duchhardt die Frage, ob im Alten Reich auch ein protestantisches Kaisertum möglich gewesen wäre und welche Projekte oder Ansätze zur Durchsetzung eines solchen evangelischen Reichsoberhauptes es gegeben hat. Daneben analysiert er dementsprechend die Diskussion über die Konfession des Kaisers in den verschiedenen politischen, publizistischen und staatsrechtlichen Schriften.25 Welche Rolle die Konfession nach dem Westfälischen Frieden in der Reichspolitik der Kaiser gespielt hat, untersucht Frau Haug-Moritz 26 , während sich Martin Heckel mit der Religionsverfassung des Heiligen Römischen Reizu einer typologischen Analyse schriftlicher und bildlicher Quellen, Göttingen 1980 (Sehr. HistK BAW, 18). 21 Maximilian Lanzinner, Reichsversammlungen und Reichskammergericht 15561586, Wetzlar 1995 (Schrr. d. Ges. f. Reichskammergerichtsforsch., 17). 22 Anton Schindling, Die Anfänge des Immerwährenden Reichstags zu Regensburg. Ständevertretung und Staatskunst nach dem Westfälischen Frieden, Mainz 1991 (Veröff. IEG MZ, AU, 143; zugl. Beitr. z. Sozial- u. VfgG d. Alten Reiches, 11). 23 Karl Härter, Reichstag und Revolution 1789-1806. Die Auseinandersetzungen des Immerwährenden Reichstags zu Regensburg mit den Auswirkungen der französischen Revolution auf das alte Reich, Göttingen 1992 (Schrr. HistK BAW, 46). 24 Georg Schmidt, Der Städtetag in der Reichsverfassung. Eine Untersuchung zur korporativen Politik der Freien und Reichsstädte in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, Stuttgart 1984 (Veröff. IEG MZ, AU, 113; zugl. Beitr. z. Sozial- u. VfgG d. Alten Reiches, 5); ders., Reichsstädte, Reich und Reformation. Korporative Religionspolitik 1521-1529/30, Stuttgart 1984 (Veröff. IEG MZ, Abt. Abenländ.-Religionsgesch., 122). 25 Vgl. Heinz Duchhardt, Protestantisches Kaisertum und Altes Reich. Die Diskussion über die Konfession des Kaisers in Politik, Publizistik und Staatsrecht, Wiesbaden 1977 (Veröff. IEG MZ, AU, 7; zugl. Beitr. z. Sozial- u. VfgG d. Alten Reiches, 1). 26 Gabriele Haug-Moritz, Kaisertum und Parität. Reichspolitik und Konfession nach dem Westfälischen Frieden, in: ZHF 19 (1992), S. 445-482.
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ches beschäftigt. 27 Ferner wurden die Verfassung, die diversen Institutionen, aber auch die Friedenssicherung und die politische Einheit des Alten Reiches immer mehr Objekt von Quelleneditionen, 28 Darstellungen 29 und von breit angelegten Forschungen und entsprechenden Projekten, die von verschiedener Seite gefördert wurden bzw. werden. Zu nennen wären hier der inzwischen ausgelaufene, aber Jahre lang von der DFG geförderte Forschungsschwerpunkt „Sozial- und Verfassungsstruktur des Alten Reiches", der sich vor allem in den Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz niederschlug, 30 ferner der von der VW-Stiftung (Hannover) geförderte, allerdings 1996 nicht mehr fortgeführte Themenkreis „Das Alte Reich im europäischen Kontext", oder das 1970 angelaufene DFG-Projekt, das zum Ziel hat, bundesweit die in verschiedenen Archiven verstreuten Bestände des Reichskammergerichts zugänglich zu machen.31 Schließlich ist auch der „Interdisziplinäre Arbeitskreis Reichserzkanzler" in Mainz zu erwähnen, der sich besonders um die Erfassung des Reichserzkanzlerarchivs und um die Erforschung der Rolle die27
Martin Hechel, Itio in partes. Zur Religionsverfassung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, in: ZRG KA 95 (1978), S. 180-308. 28 Hanns Hubert Hofmann (Hg.), Quellen zum Verfassungsorganismus des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation 1495-1815, Darmstadt 1976 (Ausgewählte Qu. z. deutschen Gesch. d. Neuzeit, 13); Heinz Duchhardt (Bearb.), Quellen zur Verfassungsentwicklung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation (1495-1803), Darmstadt 1983 (Quellentexte z. neueren u. neuesten Gesch. = Texte der Forsch., 43); Hermann Conrad (Hg.), Recht und Verfassung des Reiches in der Zeit Maria Theresias. Die Vorträge zum Unterricht des Erzherzogs Joseph, Köln/Opladen 1964 (Wiss. Abh. d. Arbeitsgemeinschaft f. Forsch, d. Landes Nordrhein-Westfalen, 28); Arno Buschmann, Kaiser und Reich. Verfassungsgeschichte des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation vom Beginn des 12. Jahrhunderts bis zum Jahre 1806 in Dokumenten, 2 Bde., Baden-Baden 21994. 29 Vgl. neben der zitierten Arbeit von Schulze, Reich und Türkengefahr; ders., Die Erträge der Reichssteuern zwischen 1576 und 1606, in: JbGMOD 27 (1978), S. 169185; Press, Römisch-Deutsches Reich; Helmut Neuhaus, Reichsständische Repräsentationsformen im 16. Jahrhundert. Reichstag-Reichskreistag-Reichsdeputationstag, Berlin 1982 (Sehr. z. VfgG, 33); Bernd Roeck, Reichssystem und Reichsherkommen. Die Diskussion über die Staatlichkeit des Reiches in der politischen Publizistik des 17. und 18. Jahrhunderts, Stuttgart 1984 (Veröff. IEG MZ, AU, 112, zugl. Beitr. z. Sozial- u. VfgG d. Alten Reiches, 4); Johannes Kunisch (Hg.), Neue Studien zur frühneuzeitlichen Reichsgeschichte, Berlin 1987 (ZHF, Beih. 3); Heinz Duchhardt, Deutsche Verfassungsgeschichte 1495-1806, Stuttgart u.a. 1991 (Kohlhammer Urban-Taschenbücher, 417); Lanzinner, Friedenssicherung und politische Einheit. 30 Vgl. die verschiedenen Bände der von diesem Institut veröffentlichten, von Κ Ο. Freiherr v. Aretin, P. Moraw, V. Press und Η. Weber herausgegebenen Reihe „Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches". 31 Es handelt sich um die Akten, die 1850 in Wetzlar lagen und dann an die Archive der Bundesstaaten verteilt wurden. 16.000 solcher Prozeßakten befinden sich heute allein im Bayerischen Hauptstaatsarchiv.
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ses Reichserzkanzlers und Kurfürsten bemüht. 32 In diesem Zusammenhang ist auch ein Band eines Kolloquiums mit dem Titel „Der Mainzer Kurfürst als Reichserzkanzler" erschienen. 33 A l l diese Schriften und Forschungsprojekte zeigen, daß das Interesse für dieses Heilige Römische Reich und seine Friedensordnung, das dem deutschen und mitteleuropäischen Raum eine verfassungsmäßige Klammer bot, auch noch für das 17. und 18. Jahrhundert, stark zugenommen hat. Ernst W. Zeeden (vgl. obiges Zitat) und viele von der kleindeutschen Geschichtsschreibung geprägte Historiker vor ihm betonen mit der Schwäche des Reiches und der dominierenden Bedeutung der Sondergeschichten der Territorien sicherlich ein wichtiges Phänomen der deutschen Geschichte, aber nur eine Seite. Die Bedeutung der Reichsgeschichte wird dabei nämlich, wie sich aufgrund der neuesten Forschungen immer mehr herausschält, zu wenig gesehen. Zumindest im Westen und Süden Deutschlands lebten diese Reichsinstitutionen auch noch im 17. und 18. Jahrhundert in beachtlicher Weise weiter. Gerade auf der Ebene der Reichskreise und des Kreislebens lief vieles recht intensiv und nicht ohne Effizienz kollegial und genossenschaftlich ab. Immerhin fanden die Reichskreise in Versailles im 18. Jahrhundert eine immer größere Beachtung. In Frankreich, das als Garantiemacht des Westfälischen Friedens ab 1648 sehr aufmerksam alles, was im Reich vor sich ging, beobachtete, stießen die Reichskreise erst ab etwa 1682 auf das besondere Interesse der französischen Diplomatie. 34 Daß die Franzosen den Reichskreisen eine gewisse Bedeutung zumaßen, beweist auch die Tatsache, daß bei zahlreichen Karten des Pariser Nationalarchivs vom Ende des 17. und vom 18. Jahrhundert, die Deutschland als ganzes präsentieren, überall die Kreiseinteilung (und nicht die Einteilung in Territorien) die wichtigste politische Untergliederung Deutschlands darstellt. 35 32 Hier wurde an einem „Inventar der Wahl- und Krönungsakten im Erzkanzlerarchiv Wien" gearbeitet, außerdem sollen die Reichstagsakten dieses Archivs bis 1648 verfilmt werden, um die wertvolle Quelle für die Reichsgeschichtsforschung zugänglich zu machen. Allerdings geht dieses Projekt aus finanziellen Gründen z.Zt. nur sehr langsam voran. Von anderer Seite ist außerdem ein Repertorium über die Bestände dieses Archives, die sich im Haus-Hof-und Staats-Archi ν in Wien befinden, erschienen: Rudolf Schatz!Aloys Schwersmann, Inventar des Aktenarchivs der Erzbischöfe und Kurfürsten von Mainz aufgrund der Verzeichnisse in den heutigen Eigentümer-Archiven, 2 Bde., Koblenz 1990 (Veröff. d. Landesarchiwerwaltung Rheinland-Pfalz, 54/55). 33 Peter Claus Hartmann (Hg.), Der Mainzer Kurfürst als Reichserzkanzler. Funktionen, Aktivitäten und Bedeutung des Zweiten Mannes im alten Reich, Stuttgart 1997 (Geschichtl. LK, 45); Helmut Mathy, Ober das Mainzer Erzkanzleramt in der Neuzeit. Stand und Aufgaben der Forschung, in: Geschichtl. LK 2 (1965), S. 109-149. 34 Vgl. Inventaire sommaire du Département des Affaires Etrangères, Correspondence politique 1, Paris 1903, S. 149ff. 35 AN: NN 148/54-60, 148/65, 148/82-86, 148/156.
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Die Reichskreise werden auch in der berühmten Encyclopédie in einem eigenen Artikel behandelt.36 Dort finden sich ebenfalls andere Ausfuhrungen über die Reichsverfassung und die Reichsinstitutionen,37 die zeigen, daß man sich im Bourbonenreich durchaus kompetent und differenziert mit der schwierigen und den Franzosen fremden Verfassung des Heiligen Römischen Reiches beschäftigt hat. Diese französische Auseinandersetzung mit der Struktur und den Trägern des Alten Reiches, besonders aber dem Reichstag, den Reichskreisen und den Reichsgrundgesetzen hat Klaus Malettke in einem neuen Buch und mehreren Artikeln untersucht. 38 Während die französische Regierung schon früher Gesandte zu verschiedenen anderen Kreistagen schickte, tauchten ihre Diplomaten erst seit 1746 auch bei den bayerischen Kreisversammlungen auf. Dort berichtete im allgemeinen der Vertreter Frankreichs am kurbayerischen Hof in München über die dortigen Diskussionen, Konflikte und Beschlüsse sowie über das Leben und Wirken des Kreises. 39 Lange Zeit stand die Erforschung der Reichskreise in ihrer Gesamtheit und als wichtige Institutionen des Reiches im Schatten der deutschen und österreichischen Geschichtswissenschaft. Bietet eine maschinenschriftliche Wiener Dissertation von 1950 einen Überblick über die Entwicklung der Reichskreise während der Regierungszeit Kaiser Maximilians II., 4 0 so ist erst 1989 ein Band von Winfried Dotzauer 41 erschienen, der eine Zusammenfassung der politischen Geschichte der Reichskreise von 1500 bis 1806 bietet. Diese Arbeit stellt somit den ersten Versuch dar, die bisher vernachlässigten Reichskreise in ihrer Gesamtheit zu behandeln. Das interessante Buch, das seinem Überblickscharakter gemäß in weiten Teilen keinen Anmerkungsapparat aufweist, zählt umfassend die einschlägige Literatur, die gedruckten Quellen und für manche Kreise auch Archivquellen auf. So kann ich mich hier bei allgemeinen Fragen der an36
Encyclopédie, ou dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des metiers ... par Μ d'Alembert , 17 Bde., Paris 1751-1765, hier Bd. 2, S. 837. 37 Idem, Bd. 4, S. 64ff., 941 f. 38 Klaus Malettke, Frankreich, Deutschland und Europa im 17. und 18. Jahrhundert. Beiträge zum Einfluß französischer politischer Theorie, Verfassung und Außenpolitik in der Frühen Neuzeit, Marburg 1994 (Marburger Stud. ζ. Neueren Gesch., 4), S. 129ff., bes. 236-258; ders., Das Heilige Römische Reich und seine Verfassung in der Sicht französischer Juristen und Historiker des 17. Jahrhunderts, in: BlldtLG 124 (1988), S. 455-476; ders., Altes Reich und Reichsverfassung in derfranzösischen Enzyklopädie, in: ZNR 9 (1987), S. 129-151. 39 Siehe AE: Corr. pol. Bav., vol. 123, 135, 144, 145, 147, 160, 164, 173. 40 Alois Brusatti, Die Entwicklung der Reichskreise während der Regierungszeit Kaiser Maximilians II., Diss, masch. Wien 1950. 41 Winfried Dotzauer, Die deutschen Reichskreise in der Verfassung des alten Reiches und ihr Eigenleben (1500-1806), Darmstadt 1989.
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deren Kreise des öfteren darauf beschränken, für diese Reichskreise jeweils die wichtigsten Studien zu erwähnen und ansonsten auf das Buch von Dotzauer zu verweisen. Von der älteren Literatur bietet die breit angelegte Studie von Fritz Härtung 42 über den Fränkischen Kreis eine instruktive Übersicht über die Entstehung der Reichskreise. M i t der verfassungsrechtlichen Einordnung der Reichskreise in die Reichsorganisation beschäftigt sich Heinz Mohnhaupt. 43 Einen guten Überblick über die wichtige Rolle der Reichskreise im 30jährigen Krieg gibt Ferdinand Magen, 44 für das späte 17. Jahrhundert R. Wines. 45 Über die Bedeutung der Reichskreise im 18. Jahrhundert für Kaiser und Reich gibt ein Festschriftsbeitrag von Peter C. Hartmann Auskunft. 46 Den schwäbischen, fränkischen, oberrheinischen, niederrheinisch-westfälischen und obersächsischen Kreis behandelt ein Sammelband mit dem Titel „Regionen in der Frühen Neuzeit". Dort wird der Frage nachgegangen, inwieweit diese Kreise Regionen innerhalb des Heiligen Römischen Reiches darstellten. Im Vergleich dazu werden drei Provinzen im Frankreich des Ancien Régimes und zwei Territorien unter polnischer Oberhoheit analysiert. 47 Hervorzuheben ist auch ein kleines Buch von Ferdinand Magen mit dem Thema „Reichsexekutive und regionale Selbstverwaltung im späten 18. Jahrhundert". Magen weist dort nach, daß entgegen der bisher verbreiteten Forschungsmeinung die süd- und westdeutschen Reichskreise auch nach dem Siebenjährigen Krieg (1756-1763) wesentliche Funktionen als regionale Träger der Reichsexekutive ausübten. Er zeigt dies durch seine Analyse der Funktion und Rolle dieser Reichskreise „bei der Han-
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Fritz Härtung, Geschichte des Fränkischen Kreises. Darstellung und Akten, Bd. 1 : Die Geschichte des Fränkischen Kreises von 1521-1559, Leipzig 1910 (ND Aalen 1973, Veröff. GFG, 2,1), S. 1-155. 43 Heinz Mohnhaupt, Die verfassungsrechtliche Einordnung der Reichskreise in die Reichsorganisation, in: Aretin (Hg.), Der Kurfürst von Mainz und die Kreisassoziationen 1648-1746, Wiesbaden 1975 (Veröff. IEG MZ, AU, Beih. 2), S. 1-29. 44 Ferdinand Magen, Die Reichskreise in der Epoche des 30jährigen Krieges, in: ZHF 9 (1982), S. 409-460. 45 Roger Wines , The Imperial Circles and Reichsreform in the late Seventeenth Century. Princely Diplomacy and Imperial Reform 1681-1714, in: JModH 39 (1967), S. 129. 46 Peter Claus Hartmann, Zur Bedeutung der Reichskreise für Kaiser und Reich im 18. Jahrhundert, in: Dotzauer/Kleiber/Matheus/Spieß (Hg.), Landesgeschichte und Reichsgeschichte. FS für Alois Gerlich zum 70. Geburtstag, Stuttgart 1995 (Geschichtl. LK, 42), S. 305-319. 47 Peter Claus Hartmann (Hg.), Regionen in der Frühen Neuzeit. Reichskreise im deutschen Raum - Provinzen in Frankreich - Regionen unter polnischer Oberhoheit. Ein Vergleich ihrer Strukturen, Funktionen und ihrer Bedeutung, Berlin 1994 (ZHF, Beih. 17).
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delsregulierung im Reich aus Anlaß der Hungerkrise von 1770/72" auf. 48 Schließlich behandelt Bernd Wunder mit dem Chausseebau eine wichtige Funktion der Reichskreise im 18. Jahrhundert, die bisher kaum Beachtung gefunden hat. 49 Ansonsten ist man für die Kreisgeschichte allgemein, abgesehen von kurzen Abrissen in Werken oder Artikeln über die Entwicklung einzelner Kreise, auf die zeitgenössische Literatur von Reichsjuristen angewiesen.50 Speziell mit den im 17. und 18. Jahrhundert gebildeten Kreisassoziationen, ihrer Politik und Bedeutung beschäftigen sich mehrere neuere Studien.51 Relativ gut erforscht sind nur die beiden Kreise, die bis zuletzt besonders gut funktionierten: der Schwäbische52 und der Fränkische Kreis. 53 Diese Kreise ha48
Ferdinand Magen, Reichsexekutive und regionale Selbstverwaltung im späten 18. Jahrhundert. Zu Funktion und Bedeutung der süd- und westdeutschen Reichskreise bei der Handelsregulierung im Reich aus Anlaß der Hungerkrise von 1770/72, Berlin 1992 (Hist. Forsch., 48). 49 Bernd Wunder, Der Kaiser, die Reichskreise und der Chausseebau im 18. Jahrhundert, in: ZNR 18(1996), S. 1-22. 50 Vgl. u. a. Johann Jacob Moser, Von der Teutschen Crays-Verfassung (Neues Teutsches Staatsrecht, 10), Frankfurt/Leipzig 1773 (ND Osnabrück 1967); ders., Ternsches Staatsrecht, Bd. 26-32, Frankfurt/Leipzig 1746/47 (ND Osnabrück 1968); Matthäus Hoffmann , Versuch einer staatsrechtlichen Theorie von den teutschen Reichskreisen überhaupt, und dem Schwäbischen insbesondere, Bd. 1-2, Kempten 1787/1789; Johann Stephan Pütter, Historische Entwicklung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reiches, 3 Bde., Göttingen 1781-1789; ders., Institutiones iuris publici germanici, Göttingen 51792; Franz Dominicus Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts, 3 Bde., Berlin 1797; Η Conrad (Hg.) Recht und Verfassung, S. 419ff.; Johann Maximilian von Günderrode, Gründliche Untersuchung von dem Ursprung, Fortgang, und heutigen Zustand des Teutschen Creyss-Wesens, wobei von denen Creyss-Tägen gehandelt wird, Gießen/Frankfurt a. M. 1738; Nikolaus Christoph Baron von Lyncher ,
De reintegratione circulorum Sancti Romani Imperii, Jena 1686; Gottlieb Samuel Treuer, Bericht von der wahren Gelegenheit und dem rechten Ursprung der Reichskreise, Helmstedt 1722. 51 Bernd Wunder, Die Kreisassoziationen 1672-1748, in: ZGO 128 (1980), S. 167266; ders., Erneuerung der Reichsexekutionsordnung; Karl Otmar Freiherr
von A retin
(Hg.), Der Kurfürst von Mainz und die Kreisassoziationen 1648-1746. Zur verfassungsmäßigen Stellung der Reichskreise nach dem Westfälischen Frieden, Wiesbaden 1975 (Veröff. IEG MZ, AU, Beih. 2); Hanns Hubert Hofmann, Reichskreis und Kreisassoziation. Prolegomena zu einer Geschichte des fränkischen Kreises, zugleich als Beitrag zur Phänomenologie des deutschen Föderalismus, in: ZBLG 25 (1962), S. 377-413. 52 Unter der umfangreichen Literatur sei besonders hingewiesen auf: Adolf Laufs, Der Schwäbische Kreis. Studien über Einungswesen und Reichsverfassung im deutschen Südwesten zu Beginn der Neuzeit, Aalen 1971 (Untersuchungen z. deutschen Staatsund RG, NF 16); Peter-Christoph Storm , Der Schwäbische Kreis als Feldherr. Untersuchungen zur Wehrverfassung des schwäbischen Reichskreises in der Zeit von 1648 bis
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ben Großes geleistet und ein gewisses Gemeinschaftsbewußtsein schaffen können. Aber auch hier gibt es noch bedeutende Forschungslücken. Die anderen Kreise sind bisher nur sporadisch für jeweils kurze Zeitabschnitte behandelt worden. Während der Schwäbische und Fränkische Kreis relativ gut funktionierende, föderative, in ihrer späteren Zeit sogar genossenschaftliche Gebilde waren, die jeweils - allerdings mit großen Lücken - eine Stammesregion weitgehend zusammenfassen konnten, besaßen die anderen acht Kreise eine wesentlich geringere Bedeutung. Kein eigenes Kreisleben konnten der Burgundische und der Österreichische Kreis entwickeln. Beide kannten keine Kreistage; der Österreichische beteiligte sich immerhin an allgemeinen Reichskreistagen und Assoziationskonventen. 54 Deshalb spielte der Österreichische Kreis in bestimm-
1732, Berlin 1974 (Sehr. z. VfgG, 21); James Allen Vann, The Swabian Kreis. Institutional Growth in the Holy Roman Empire, 1648-1715, Brüssel 1975; Heinz-Günther Borck, Der schwäbische Reichskreis im Zeitalter der französischen Revolutionskriege (1792-1806), Stuttgart 1970 (Veröff. KGL BW, Β 61); Bernd Wunder, Frankreich, Würtemberg und der Schwäbische Kreis während der Auseinandersetzungen über die Reunionen (1679-97). Ein Beitrag zur Deutschlandpolitik Ludwigs XIV., Stuttgart 1971 (Veröff. KGL BW, Reihe B, 64); vgl. auch den Beitrag dess., Der Schwäbische Kreis, in: Hartmann (Hg.), Regionen in der Frühen Neuzeit, Berlin 1994 (ZHF, Beih. 17), S. 23-39; Reinhard Graf von Neipperg, Kaiser und Schwäbischer Kreis (1714-1733). Ein Beitrag zu Reichsverfassung, Kreisgeschichte und kaiserlicher Reichspolitik am Anfang des 18. Jahrhunderts, Stuttgart 1991 (Veröff. KGL BW, Reihe d. Forsch., 119). 53 Da der fränkische Kreis bzw. bestimmte Aspekte dieses Kreises von besonders vielen Autoren behandelt worden sind, seien hier nur einige wichtige Schriften genannt, die umfassende bibliographische Angaben enthalten: das Buch von Härtung, der gute Abriß von Rudolf Endres in Bd. 3,1 des von Max Spindler herausgegebenen Handbuchs der bayerischen Geschichte, München 21979, S. 193ff., 212ff., 245f.; Hofmann, Reichskreis; Bernhard Sicken , Das Wehrwesen des fränkischen Reichskreises. Aufbau und Struktur (1681-1714), 2 Bde., Nürnberg 1967; ders., Der Fränkische Reichskreis - Seine Ämter und Einrichtungen im 18. Jahrhundert, Würzburg 1970 (Veröff. GFG., 1); Rudolf Endres, Der Fränkische Reichskreis, in: Jeserich/Pohl/Unruh (Hg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 1: Vom Spätmittelalter bis zum Ende des Reiches, Stuttgart 1983, S. 603 ff.; vgl. auch die Beiträge von Bernhard Ebneth!Rudolf Endres, Der fränkische Reichskreis im 16. und 17. Jahrhundert, und Bernhard Sicken , Der Fränkische Kreis im Zeitalter der Aufklärung - Institutionen des Reichs oder staatenbündischer Zusammenschluß?, in: Hartmann (Hg.), Regionen in der Frühen Neuzeit, Berlin 1994 (ZHF, Beih. 17), S. 41-59 und 61-77; ders., Würzburg, seine Territorialnachbarn, der Fränkische Reichskreis und das Reich, in: Kolb/Krenig (Hg.), Unterfränkische Geschichte 3, Würzburg 1995, S. 131-164; Hans-Heinrich Kaufmann, Der Fränkische Kreis von 15591567. Ein Vorbericht, in: ZBLG 5 (1932), S. 243-255; ders., Der Gedanke fränkischen Gemeinschaftsgefühls in Politik und Geschichte des fränkischen Reichskreises, in: Archiv d. Hist. Ver. ν. Unterfranken u. Aschaffenburg 69,3 (1934), S. 190-242. 54
Vgl. Dotzauer, Die deutschen Reichskreise, S. 47ff., 58ff.
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ten Bereichen im Verfassungsleben des Reiches eine Rolle. 55 Diese beiden zuletzt genannten Kreise waren völlig von Habsburg dominiert. In zwei Kreisen prlosch das Kreisleben in den 80er Jahren des 17. Jahrhunderts weitgehend: der Obersächsische Kreis tagte vom 8. bis 26. November 1681 in Leipzig, der Niedersächsische 1682 in Lüneburg zum letzten Mal. Vorher traten durchaus immer wieder Kreistage zusammen und die beiden Kreise entfalteten, wenn auch mit Unterbrechungen und oft unter großen Schwierigkeiten, einige Aktivitäten. 56 Besser intakt blieb, bei allen Schwierigkeiten vor allem im 17. Jahrhundert, der Oberrheinische Kreis, der sich besonders oft im 16. Jahrhundert und das letzte Mal 1757 versammelte. 57 Zwischen diesen weniger gut funktionierenden, ihre Aktivitäten im Laufe der Zeit weitgehend einstellenden Kreisen Obersachsen, Niedersachsen, Oberrhein auf der einen Seite und dem Schwäbischen, Fränkischen Kreis mit ihrem besonderen Kreisleben auf der anderen Seite sind nach ihrer Bedeutung, ihrer Effizienz und ihrer Lebendigkeit die drei verbleibenden Reichskreise einzustufen: der Niederrheinisch-Westfälische, der Kurrheinische und der Bayerische Kreis, deren Aktivitäten sich bis in die Zeit der Revolutionskriege entfalteten und die auch noch in den 90er Jahren des 18. Jahrhunderts Kreistage abhielten.58 !
55
Vgl. Anton Karl Μ ally, Der Österreichische Kreis in der Exekutionsordnung des Römisch-Deutschen Reiches, Wien 1967 (Wiener Dissertationen aus dem Gebiete d. Gesch., 8). 56 Vgl. Dotzauer, Die deutschen Reichskreise, S. 105ff., 304ff, dort auch die entsprechende Literatur; vgl. zum Obersächsischen Kreis den Beitrag von Karlheinz Blaschke, Der Obersächsische Kreis, in: Hartmann (Hg.), Regionen in der Frühen Neuzeit, Berlin 1994 (ZHF, Beih. 17), S. 127-144. Dieser Artikel bringt viel Neues; Karl Häfner, Geschichte des niedersächsischen Kreises von der Augsburgischen Exekutionsordnung bis zum Abfall des Kaisers von der „gemäßigten Mittelpartei" 1555-1569, Jena 1940; Wilhelm Jaeger , Der Niedersächsische Kreis und die Kreis Verfassung vom Augsburger Religionsfrieden bis zum Jahre 1558, Halle 1911; Albert Neukirch, Der niedersächsische Kreis und die Kreisverfassung bis 1542, Leipzig 1909 (QuD d. Reformationsjahrhunderts, 10); Otto Schaefer, Der niedersächsische Kreis von 1558 bis 1562 mit besonderer Berücksichtigung Braunschweig-Calenbergs, Braunschweig-Lüneburgs und Mühlhausens, Diss. Halle 1914. 57 Gustav Adolf Süß, Geschichte des Oberrheinischen Kreises und der Kreisassoziationen in der Zeit des Spanischen Erbfolgekrieges (1697-1714) in: ZGO 103 (1955), S. 317-425, und ZGO 104 (1956), S. 145-224; Dotzauer, Die deutschen Reichskreise, S. 236ff.; vgl. auch ders., Der Oberrheinische Kreis, in: Hartmann (Hg.), Regionen in der Frühen Neuzeit, Berlin 1994 (ZHF, Beih. 17), S. 97-125. 58 Vgl. Dotzauer, Die deutschen Reichskreise S. 80ff., 177ff, 263ff.
I. Einleitung
Während der Niederrheinisch-Westfälische Kreis relativ gut 59 und der Kurrheinische mit zeitlichen Lücken 60 erforscht sind, ist dies für den Bayerischen viel weniger der Fall. Das ist umso erstaunlicher, da der bayerische Reichskreis bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts intakt blieb, funktionierte und noch 1793 in Wasserburg einen letzten Kreistag abhielt. Einigermaßen erforscht ist nur die Geschichte des Kreises bis 1580. Das Jahrzehnt von 1531 bis 1542 wird in einer 54 Seiten umfassenden gedruckten Dissertation von Eustach Schwend61 behandelt, während Rüdiger Conrad 62 die Verfassungsentwicklung des Kreises bis 1580 in seiner ebenfalls nicht allzu umfangreichen rechtshistorischen Doktorarbeit untersucht. Der Frage, inwieweit die Kreistage des Heiligen Römischen Reiches eine Vorform des Parlamentarismus darstellten, wird in einem Artikel von Peter C. Hartmann am Beispiel des bayerischen Kreises nachgegangen.63 Eine auf Archivquellen fußende, ausführliche Studie über den 59
Die Entwicklung des Kreises ist, wie Dotzauer betont, „nahezu vollständig im Rahmen von Dissertationen" untersucht worden (vgl. Dotzauer, Die deutschen Reichskreise, S. 303); siehe Paul Casser, Der Niederrheinisch-Westfälische Reichskreis 15001806, in: Aubin (Hg.), Der Raum Westfalen 2, Berlin 1934, S. 35-67; Helmut Neuhaus, Der Niederheinisch-Westfälische Reichskreis - eine Region des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation in der Frühen Neuzeit?, in: Hartmann (Hg.), Regionen in der Frühen Neuzeit, Berlin 1994 (ZHF, Beih. 17), S. 79-96; Hubert Salm, Armeefinanzierung im Dreißigjährigen Krieg. Der Niederrheinisch-Westfälische Reichskreis 16351650, Münster 1990 (Schrr. d. Ver. ζ. Erforsch, d. neueren Gesch., 16); Andreas Schneider, Der Niederrheinisch-Westfälische Kreis im 16. Jahrhundert. Geschichte, Struktur und Funktion eines Verfassungsorgans des Alten Reiches, Düsseldorf 1985 (Düsseldorfer Sehr. z. Neueren LG u. z. Gesch. Nordrhein-Westfalens, 16); Alwin Hanschmidt, Kurbrandenburg als Kreisstand im Niederrheinisch-Westfälischen Kreis vom Westfälischen Frieden bis zum Spanischen Erbfolgekrieg, in: Hauser (Hg.), Preußen, Europa und das Reich, Köln/Wien 1987 (Neue Forsch, z. brandenburg-preußischen Gesch., 7), S. 47-64; Karl Haberecht, Geschichte des Niederrheinisch-Westfälischen Kreises in der Zeit derfranzösischen Eroberungskriege (1667-1697), Diss. Düsseldorf 1935; Kurt Arnold, Geschichte des Niederrheinisch-Westfälischen Kreises in der Zeit des Spanischen Erbfolgekrieges (1698-1714), Diss. Bonn, Düsseldorf 1937; Benno Rode, Das Kreisdirektorium im Westfälischen Kreise von 1522-1609, Münster/Westf. 1916; vgl. auch Dotzauer, Die deutschen Reichskreise, S. 303f. 60 Siehe vor allem Helmut Neuhaus, Die rheinischen Kurfürsten, der kurrheinische Kreis und das Reich im 16. Jahrhundert, in: RhVjbll 48 (1984), S. 138-160; Winfried Dotzauer, Der kurrheinische Reichskreis in der Verfassung des Alten Reiches, in: Nass Ann 98 (1987), S. 61-104. 61 Eustach Schwend, Entwicklungsgeschichte der bayerischen Kreisverfassung von 1531 bis 1542, Diss. München 1919. 62 Rüdiger Conrad, Der Bayerische Reichskreis im 16. Jahrhundert. Die Entwicklung seinerVerfassung 1530-1580, Diss. jur. Köln 1974. 63 Peter Claus Hartmann, Die Kreistage des Heiligen Römischen Reiches - eine Vorform des Parlamentarismus? Das Beispiel des bayerischen Reichskreises (1521-1793), in: ZHF 19(1992), S. 29-47.
30
I. Einleitung
Kreis in den letzten Jahrzehnten des 16. sowie im 17. und 18. Jahrhundert fehlt völlig. Für diese Zeit war man bisher auf teilweise sehr kurze Überblicksdarstellungen oder Kapitel im zweiten Band des Handbuchs der bayerischen Geschichte, herausgegeben von Max Spindler 64 , und in verschiedenen Studien angewiesen,65 die diese Zeit behandeln. Vor kurzem wurde in dem 1995 erschienenen Band III/3 dieses Handbuchs, der nun zum ersten Mal als ein eigener Teilband herauskam, 66 neben der Oberpfalz auch die Geschichte des „bayerischen Reichskreises bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts" eigens im Titel mit aufgeführt, obwohl der Reichskreis, wie erwähnt, auch in Band zwei des Handbuchs kurz berücksichtigt wird. In dem neuen Band III/3 behandelt Wilhelm Volkert auf zehn Druckseiten die Rechtsform und die Aufgaben des Kreises und geht dabei auf Entstehung, Name, Mitglieder, Aufgaben und Einrichtungen kurz ein. Ähnlich wie bei Hartmann, Bayerns Weg, 67 werden in diesem Teilband im Gegensatz zu den früheren Auflagen das Erzstift Salzburg, die bayerischen Hochstifte, Reichsklöster, die Reichsstadt Regensburg und die kleinen weltlichen Reichsstände unter der Überschrift „Der Bayerische Reichskreis" behandelt (S. 239ff.) Somit wurde hier erfreulicherweise dem Kreis als größerer politischer Einheit zum ersten Mal in diesem Handbuch seine ihm zukommende Bedeutung beigemessen. W. Dotzauer bietet im entsprechenden Kapitel seines Buches nur einen nicht allzp langen Überblick ohne Anmerkungsapparat. 68 Er stützt sich dabei weitgehend auf die „Sammlung des baierischen Kreisrechts" von Johann Georg Lori. 6 9 Diese stammt aus dem Jahr 1764 und stellt die einzige große Quellensammlung zu diesem Thema allgemein dar. Dabei ist sie jedoch nicht immer zuverlässig und enthält in erster Linie die Kreisabschiede fur die Zeit von 1531 bis 1757, ferner mehrere einschlägige Münzprobationsabschiede, Verträge und andere Dokumente. Bei Lori sind die Texte nicht immer vollständig, enthalten 64
Dieter Albrecht, Staat und Gesellschaft. Zweiter Teil: 1500-1745, in: Spindler/Kraus (Hg.), Handbuch der bayerischen Geschichte 2, München 21988, S. 627f. 65 August Rosenlehner, Bayern und die Kreisassoziation von 1727, in: Oberbay. Archiv f. vaterländ. Gesch. 52,2 (1906), S. 173-214; Hans Rail , Kurbayern in der letzten Epoche der alten Reichsverfassung 1745-1801, München 1952 (Schrr. z. bay. LG, 45), S. 154-164; Peter Claus Hartmann, Bayerns Weg in die Gegenwart. Vom Stammesherzogtum zum Freistaat heute, Regensburg 1989, S. 180f.; Volker Press, Kriege und Krisen. Deutschland 1600-1715, München 1991 (Neue Deutsche Geschichte, 5), S. 95-105; einiges bringt auch Josef Karl Mayr, Die Türkenpolitik Wolf Dietrichs von Salzburg, in: Mitt. d. Ges. f. Salzburger LK 52 (1912), S. 181-244; 53 (1913), S. 193-254. 66 Max Spindler !Andreas Kraus (Hg.), Handbuch der bayerischen Geschichte, Bd. 3,3: Geschichte der Oberpfalz und des bayerischen Reichskreises bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, München 31995. 67 Hartmann, Bayerns Weg, S. 196-286. 68 Dotzauer, Die deutschen Reichskreise, S. 177-205. 69 Johann Georg Lori , Sammlung des baierischen Kreisrechts, München 1764.
I. Einleitung
Fehler und es sind Kreistage, z.B. der von 1672 nicht berücksichtigt, u.a. weil kein Kreisabschied zustande kam. 70 Bei Dotzauer fehlen diese Kreistage ebenfalls. Was die Münzprobationstage und das Münz- und Geldwesen des Kreises betrifft, so stellt Loris „Sammlung des baierischen Münzrechts" eine gute Ergänzung dar. Dieses dreibändige Werk enthält aber auch viele Dokumente, die nur das Herzogtum bzw. Kurfürstentum Bayern betreffen. 71 Vor kurzem ist auch ein sehr wertvolles, instruktives Repertorium zur neuzeitlichen Münzprägung des bayerischen Reichskreises im Rahmen eines großen, die Münzprägung ganz Europas berücksichtigenden Unternehmens des Instituts für Numismatik in Wien erschienen. 72 Da die Kreise als die wichtigsten Untergliederungen des Reiches angesehen wurden, gibt es eine ganze Reihe von geographisch-statistischen und topographischen Beschreibungen des Bayerischen Kreises. Besonders zu nennen wäre hier das von Georg Philipp Finckh 1663 zum ersten Mal herausgebrachte Tabellenwerk „Sacri Romani Imperii Circuii Et Electoratus Bavariae Tabula Chorographica". 73 Der gleiche Autor hat auch 1685 ein instruktives „TabellenBüchlein", d.h. eine Beschreibung der bayerischen Kreisterritorien veröffentlicht. 74 Eine weitere kurze Beschreibung des Bayerischen Kreises ist außerdem anonym 1703 in Nürnberg erschienen.75 Ein halbes Jahrhundert später veröffentlichte Johann Wilibald Widmer in Augsburg sein „Repertorium Bavariae". Es handelt sich um eine interessante und lehrreiche Beschreibung des Kreises mit Einteilung in die verschiedenen Kreisstände. Er schildert den Kreis als „ein von Gott sehr gesegnetes Land" und hebt den Getreideanbau in Niederbayern sowie die Salzgewinnung in Bayern und Salzburg hervor. 76 Ein umfassendes geographisch-statistisches Lexikon hat ferner Johann Wolfgang Melchinger Ende des 18. Jahrhunderts vorgelegt. Es bringt in alphabetischer Ordnung alle
70 71
Vgl. Kap. V.4.3. Johann Georg Lori, Sammlung des baierischen Münzrechts, 3 Bde., [München
1768]. 72
Repertorium zur neuzeitlichen Münzprägung Europas, Bd. 2: Heiliges Römisches Reich deutscher Nation und Nachfolgestaaten - Der bayerische Reichskreis, Wien 1996 (Veröff. d. Inst. f. Numismatik, Wien, 4). 73 Georg Philipp Finckh , Sacri Romani Imperii Circuii Et Electoratus Bavariae Tabula Chorographica: In Qua Fortissimorum Virorum Caesarum, Regum, Principum, ..., 1684 (ND München um 1930). 74 Georg Philipp Finckh , Tabellen-Büchlein über die sammentlich denen bairischen Craiss-Staenden zugehörige[n] Territoria, Land-, Pfleg- und Richter-Aempter etc., München 1685. 75 Circuii Bavarici succincta Descriptio, das ist kurtze gefaßte Beschreibung des baierischen Kreises, Nürnberg 1703. 76 Jfohann] W[ilibald] Widmer, Repertorium Bavariae oder kurtze Geographische Beschreib- und Eintheilung des Bayerischen Crayses, Augsburg 1752.
32
I. Einleitung
Kreisstände, Städte, Klöster, Dörfer, Hofmarken, Flüsse, Seen etc.77 Das Buch Johann Pezzls „Reise durch den Baierschen Kreis" von 1784 bietet schließlich eine lebendige Reisebeschreibung der Städte, Klöster, Bewohner usw. des Kreisgebiets vom Standpunkt eines von der Aufklärung geprägten Beobachters aus. Es bringt kaum etwas zu unserem Thema, zeigt allerdings wie die anderen zitierten Werke, daß der Kreis noch damals als die regionale geographischpolitische Einheit betrachtet wurde. 78 Einiges ist demgegenüber in der entsprechenden Staatsrechtsliteratur der Zeit, besonders bei dem grundlegenden allgemeinen Werk Johann Jacob Mosers über die „Crays-Verfassung" des Reichs zu finden. 79 Einschlägige Kapitel oder Passagen enthalten auch bayerische Staatsrechtswerke von Wiguläus Freiherr von Kreittmayr und H. G. Fessmaier.80 Wenn auch diese gedruckten Quellen wichtige Dokumente darstellen, so können sie nur ein gewisses Gerüst der Geschichte des Kreises bilden, sagen jedoch über wesentliche Bereiche, Fragestellungen und Probleme der Entwicklung dieser Institution nicht genug aus. Wenig wird man dort beispielsweise finden über die speziellen Absichten der Kreisstände, über die lebhaften Diskussionen, die erst zu den Beschlüssen und dann den Abschieden führten, ferner über die Frage: wie viel wurde wirklich bezahlt, welche Truppen wurden aufgestellt, welche Probleme waren dabei zu überwinden, wie funktionierte das eigentliche Kreisleben, welche Bedeutung hatte der Kreis im Reichsgefüge und während der bestimmenden historischen Ereignisse in diesen drei Jahrhunderten usw. Um auf diese Fragen Antworten zu erhalten, sind Korrespondenzen, Propositionen, Instruktionen, Beglaubigungsschreiben, Abrechnungen, Gutachten, Aufstellungen, Münzordnungen, Protokolle, Berichte u. a. durchzuarbeiten, die sich in ungeheuer großer Zahl in verschiedenen Archiven befinden. Die größte Masse einschlägiger Archivquellen liegt im Bayerischen Hauptstaatsarchiv in München,81 da der bayerische Herzog bzw. Kurfürst als Kreisausschreibender Fürst, Kreisdirektor, Kreisobrist und weitaus größter Kreis77
Johann Wolfgang Melchinger, Geographisches Statistisch-Topographisches Lexikon von Baiern oder vollständige alphabetische Beschreibung aller im ganzen Baiernschen Kreis liegenden Städte, Klöster, Schlösser, Dörfer etc., Bd. 1 -3, Ulm 1796/97. 78 Johann Pezzi , Reise durch den Baierschen Kreis, Salzburg/Leipzig 1784. 79 Moser, Crays-Verfassung, S. 60-68. 80 Wiguläus Freiherr von Kreittmayr, Grundriß des Allgemeinen Deutsch-Bayerischen Staatsrechts, München u.a. 2 1789; Johann Georg Fessmaier, Grundriß des bayerischen Staatsrechts zum Gebrauch akademischer Vorlesungen entworfen, Ingolstadt 1801, §§ 261 f. 81 Siehe das Verzeichnis der ungedruckten Quellen im Quellen- und Literaturverzeichnis 1.2.
I. Einleitung
stand die dominierende Rolle spielte und einen großen Teil des Kreisarchivs führte, und da in diesem Hauptstaatsarchiv auch die entsprechenden Dokumente, Korrespondenzen usw. fast aller anderen bayerischen Kreisstände - die Anfang des 19. Jahrhunderts zu Bayern kamen - lagern. Bei all diesen Quellen handelt es sich vor allem um Akten der Serien Kurbayern Äußeres Archiv, Kurbayern Literalien und Kasten schwarz. Im Bayerischen Hauptstaatsarchiv befindet sich in diesen Beständen das Material für Bayern aber auch teilweise das für kleine Stände wie Ortenburg oder Hohenwaldeck (Maxlrain), für die Fürstpropstei Berchtesgaden und die Abteien St. Emmeram und Ober- und Niedermünster, ferner unter speziellen Signaturen (HL Freising, H L Passau, H L Regensburg) die Akten der Hochstifte Freising, Passau und Regensburg. 82 Auch die einschlägigen Quellen für den drittgrößten Kreisstand, das Fürstentum (Herzogtum) Pfalz-Neuburg befindet sich in diesem Münchener Archiv, und zwar in den Serien Kasten blau, Verhandlungen mit der Landschaft (Reich-, Kreis- und Kriegssachen), Grasseggersche Sammlung und Pfalz-Neuburg Akten (Neuburger Abgabe). Das gilt sogar für die uns interessierenden Akten des Klosters Kaisheim, das gleichzeitig vom bayerischen und schwäbischen Reichskreis beansprucht wurde. 83 Dazu waren die einschlägigen Quellen des Salzburger Landesarchivs zu berücksichtigen, 84 d.h. die schriftlichen Überreste, die vom Salzburger Erzbischof, dem zweiten Ausschreibenden Fürsten und Direktor des Kreises noch erhalten sind. Leider hat man hier im 19. Jahrhundert Salzburger Akten teilweise vernichtet. 85 Als dritter großer Quellenkomplex mußten zur Ergänzung auszugsweise und stichprobenartig entsprechende Korrespondenzen, Gutachten, Abrechnungen usw. sowie Faszikel des Mainzer Erzkanzlerarchivs und hier besonders die Reichstagsakten im Haus-, Hof- und Staatsarchiv und verschiedene Quellen des Hofkammerarchivs, beide in Wien 8 6 , analysiert werden, da diese Stadt als Sitz des Kaisers das wichtigste Machtzentrum des Heiligen Römischen Reiches im Untersuchungszeitraum darstellte. Einschlägiges Material befindet sich auch im Staatsarchiv Amberg für verschiedene Kreisstände, die sich auf dem Gebiet der heutigen Oberpfalz befinden, wie Leuchtenberg, Störnstein, Breitenegg, und im Stadtarchiv Regensburg, wenn auch der größte Teil der Akten der Reichsstadt Regensburg nicht im Stadtarchiv, sondern im Bayerischen Hauptstaatsarchiv liegt. Zur Ergänzung wurden schließlich Bestände der
82
Siehe idem. Siehe idem. 84 Siehe idem. 85 Vgl. Leopold Auer, Die Schriftquellen der Geschichte Österreichs. Probleme ihrer Erhaltung und Erschließung, in: MIÖG 97 (1989), S. 13-51, hier S. 25; Gerson Wolf Geschichte der K.K. Archive in Wien, Wien 1871, S. 46f. 86 Siehe Quellen- und Literaturverzeichnis 1.2. 83
3 Hartmann
34
I. Einleitung
,»Archives des Affaires Etrangères" und der ,»Archives Nationales" in Paris sowie des Staatsarchivs Würzburg herangezogen. 87 Für die detaillierte Durcharbeitung all dieser äußerst umfangreichen Quellenbestände würde jedoch ein Gelehrtenleben wohl schwer ausreichen. Deshalb werden hier einerseits die allgemeine Struktur und Verfassungsentwicklung des Kreises, die Mitglieder, seine Form, das Funktionieren und die Bedeutung innerhalb der Reichsgeschichte und Reichsverfassungsentwicklung gebracht. Dabei soll die Darstellung aber gleichzeitig durch schwerpunktartige, beispielhafte Fallstudien ergänzt werden, d.h. es soll durch intensive Quellenanalyse an bestimmten Brennpunkten der Geschichte des Kreises das Funktionieren konkret und detailliert dargestellt und dadurch veranschaulicht werden. Im fünften Hauptteil wird schließlich die chronologische Entwicklung und die Politik des Bayerischen Kreises von 1500 bis 1803 in groben Zügen, eingefügt in die allgemeine Geschichte des Reiches, behandelt und analysiert. Dieses Verfahren hat den Vorteil, daß einerseits die großen Linien der Entwicklung dieses Kreises in den drei Jahrhunderten seines Bestehens nachgezeichnet werden und sichtbar bleiben, ohne daß man sich in Details des äußerst umfangreichen Quellenmaterials verliert. Gleichzeitig werden aber durch die Fallbeispiele noch besser konkrete Aktionen und handelnde Menschen in der Geschichte dieses Kreises greifbar. Dies ist angesichts der eher trockenen Materie wichtig, um die Darstellung trotz alledem lebendig und anschaulich zu gestalten. Die Beschränkung auf die Analyse nur eines Teils der einschlägigen Quellen ist auch deshalb angebracht, weil sich in den Archivbeständen viele Mehrfachausfertigungen und parallele Überlieferungen befinden. So wurden beispielsweise die Ausschreibebriefe von Bayern und Salzburg an alle Mitkreisstände geschickt. Sie liegen somit bei den überlieferten Archivalien all dieser Territorien, Abteien oder der Reichsstadt Regensburg. Das gleiche gilt für die Kreisabschiede, von denen jeder mitunterzeichnende und mitsiegelnde Stand ein (Original-)Exemplar erhielt. Das Protokoll wurde außerdem von den Sekretären der wichtigsten Stände parallel mitgeschrieben usw. Ferner bleibt angesichts des gesteckten Rahmens und der für die ganze Kreisgeschichte gelieferten Verfassungs- und Entwicklungsgeschichte, die sinnvolle Möglichkeit, spezielle Teilbereiche und hier nicht behandelte Details in verschiedenen Magister- oder Doktorarbeiten zu untersuchen. So versteht sich diese Arbeit gleichsam als Grundlagenforschung, die den Rahmen der Entwicklung des Bayerischen Kreises in einem Zeitraum von etwa 300 Jahren steckt, die Verfassungsstrukturen und die großen Linien aufzeigt. Sie soll aber gleichzeitig zu verschiedenen Detailstudien anregen, wie dies im Text und in der Zusammenfassung da und dort angedeutet wird. Schließlich 87
Siehe idem.
I. Einleitung
möchte die vorliegende Studie Beispiel für eine Reichskreismonographie und somit für die Analyse einer Art Region des Alten Reiches in der frühen Neuzeit sein, eine Untersuchung, die auch jeweils für andere Kreise, etwa für den Niedersächsischen, Obersächsischen, Niederrheinisch-Westfälischen, Oberrheinischen und Kurrheinischen Reichskreis wünschenswert wäre, denn in diesem teilweise noch viel zu wenig untersuchtem Bereich sind viele interessante Forschungen zu erwarten, die das Bild, das die Geschichtswissenschaft vom Heiligen Römischen Reich hat, korrigieren und ergänzen werden. Bei der Erforschung des Bayerischen Kreises, wie auch der anderen, ist eine Kombination von Reichsgeschichte und Landesgeschichte sowie ihrer jeweiligen Methoden nötig. Die Reichskreise waren zwar eindeutig Reichsinstitutionen und es vollzog sich dort in erster Linie Reichsgeschichte. Aber das Gewicht, die Interessen, das Verhalten und die Politik der Kreisstände sind ohne intensive Beschäftigung mit den landesgeschichtlichen Voraussetzungen und Hintergründen nicht zu verstehen. Deshalb müssen Quellen und Spezialliteratur zur Reichsgeschichte allgemein ebenso analysiert werden, wie solche zur Landes- und Lokalgeschichte. Dies erfordert es, auch sehr entlegene lokalgeschichtliche Werke und Zeitschriften, etwa für die kleineren Kreisstände, heranzuziehen. Diese Verknüpfung von Reichs- und Landesgeschichte, die lange Zeit in der Geschichtswissenschaft vernachlässigt wurde, führt zu neuen und tieferen Erkenntnissen.
I I . Die Reichskreise 1. Die Reichskreise im Rahmen der allgemeinen Entwicklung der Reichsverfassung 1.1. Die Entstehung der Reichskreise 1.1.1. Vorgeschichte Schon 1910 hat Fritz Härtung betont, daß die königliche Landfriedenspolitik des Spätmittelalters die wesentliche „Vorstufe der Kreisverfassung" darstelle.1 Die Kreise sind schließlich, wie mehrere Studien gut herausarbeiten, nach einer wechselhaften Geschichte im Zuge des Niedergangs des deutschen Königtums und des Aufkommens der Einungsbewegung ein wichtiges, bleibendes Ergebnis der Reichsreformbestrebungen des 15. und 16. Jahrhunderts geworden. 2 Nach der Ausbildung regionaler Landfriedenseinungen und den Bemühungen, wenigstens dezentral den Landfrieden zu bewahren, durchgeführt unter Rudolf I. (1273-1291), Ludwig IV. dem Bayern (1314-1347) und Karl IV. (1346-1378),3 unternahm König Wenzel (1376-1400) den ersten Versuch, durch den Nürnberger Landfrieden vom 11. März 1383 das Reich in Kreise einzuteilen.4 Durch 1
Härtung, Geschichte des Fränkischen Kreises, S. 3ff. Vgl. dazu vor allem Angermeier, Die Reichsreform, S. 141 ff., 245ff.; ders., Die Funktion der Einung im 14. Jahrhundert, in: ZBLG 20 (1957), S. 475-508; ders., Königtum und Landfriede im deutschen Spätmittelalter, München 1966, S. 108ff., 533ff.; Dotzauer, Die deutschen Reichskreise, S. 8ff.; Johannes Müller, Die Entstehung der Kreisverfassung Deutschlands von 1383 bis 1512, in: Deutsche Geschichtsbll. Monatsschr. f. Erforsch, deutscher Vergangenheit auf landesgeschichtl. Grundlage 15 (1914), S. 139-169; Laufs, Der Schwäbische Kreis, S. 18-54; Fritz Härtung, Deutsche Verfassungsgeschichte vom 15. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Stuttgart 91969, S. 1723; Ernst Langwerth von Simmern, Die Kreis Verfassung Maximilians I. und der schwäbische Reichskreis in ihrer rechtsgeschichtlichen Entwicklung bis zum Jahre 1648 1, Heidelberg 1896, S. 11-61. 3 Vgl. Angermeier, Königtum und Landfriede, S. 53ff., 123ff., 186ff.; Alois Gerlich, Studien zur Landfriedenspolitik König Rudolfs von Habsburg, Mainz 1963; Wilhelm Hanisch, Staat oder Reich, in: Seibt (Hg.), Kaiser Karl IV. Staatsmann und Mäzen, München 21978, S. 37, 38; Ferdinand Seibt, Karl IV. Ein Kaiser in Europa 1346-1378, München 1978, S. 321-325. 4 Dte. RTA Ä.R. 1, Reichstag zu Nürnberg, Nr. 205, B. Landfrieden, S. 367-374. 2
1. Im Rahmen der allgemeinen Entwicklung der Reichserfassung
37
diese Kreiseinteilung zur Durchführung des allgemeinen Landfriedens strebte das Reichsoberhaupt zum ersten Mal danach, die traditionelle Einungsbewegung mit der Reichsgesetzgebung zu verschmelzen. Das Projekt scheiterte allerdings und wurde im Landfrieden von Eger vom 5. Mai 1389 erneuert. Damals führte man immerhin eine Art Kreisordnung durch. Auch diese blieb jedoch wegen des machtlosen Königtums und der schwachen Reichsgewalt nicht lange bestehen. König Sigmund (1410/11-1437) versuchte dann erneut, im Reich die königliche Landfriedenspolitik und Einungsbewegung weiterzuentwickeln, während die Reichsstände andere Pläne einer Reichsreform verfolgten. Schließlich blieben alle Bemühungen ohne positives Ergebnis. 5 Auch die interessanten Vorschläge, die der bedeutende Staatstheoretiker, Philosoph, Bischof und Kardinal Nikolaus von Kues (1433) und andere Denker zur Reichsreform vorbrachten, führten zu keinem konkreten Erfolg. 6 Besonders wichtig für die Diskussion um die Schaffung von Reichskreisen war dann die kurze Regierungszeit König Albrechts II. (1438-1439). Aber auch damals scheiterte die Reichsreform. 7 In der langen Regierangszeit Kaiser Friedrichs III. (1440-1493) blieben weitere Versuche, diese Reform voranzutreiben, bis 1486 zwar vergeblich, 8 trotzdem sollte, wie H. Angermeier betont, „die Bedeutung dieser Epoche von 1440-1486 für die Gesamtentwicklung der Reichsreform nicht unterschätzt werden". Damals konzentrierte man sich nämlich auf die staatlichen Probleme in Deutschland, schaltete die Kirche als staatsbestimmenden Faktor weitgehend aus und drängte die Städte „als agierende und tragende Kräfte einer Reichsreform" zurück. 9 Das entscheidende Stichjahr für die Reichsreformbewegung, „die tiefste Zäsur in der Geschichte der Reichsreform" stellten das Jahr 1486 - als Maximilian I. (1486/93-1519) noch zu Lebzeiten des Vaters zum römischen König gewählt wurde - und der damals in Frankfurt abgehaltene Reichstag dar. Nachdem Kaiser Friedrich III. für zehn Jahre einen Landfrieden erlassen hatte, schlug Maximilian I. vor, das Reich in Kreise zu organisieren, um die Exekution dieses Friedens zu sichern. Auch auf dem Reichstag von Nürnberg 1491 präsentierte 5
Angermeier, Die Reichsreform, S. 5Iff., besonders S. 70-75; Härtung, Geschichte des Fränkischen Kreises, S. 27ff. 6 Vgl. Erich Aleuthen, Nikolaus von Kues (1401-1464). Skizze einer Biographie, Münster 1964 (Buchreihe der Cusanus Ges.), S. 39ff; Angermeier, Die Reichsreform, S. 84ff. 7 Vgl. Günther Hödl, Albrecht II. Königtum, Reichsregierung und Reichsreform 1438-1439, Wien/Köln u. a. 1978 (Forschungen zur Kaiser- u. Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii, 3), S. 185-196; Angermeier, Die Reichsreform, S. 75-84; Härtung, Geschichte des Fränkischen Kreises, S. 43ff. 8 Vgl. Härtung, Geschichte des Fränkischen Kreises, S. 49ff.; Angermeier, Die Reichsreform, S. 103-141. 9 Angermeier, Die Reichsreform, S. 141 f.
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II. Die Reichskreise
der Römische König ähnliche Projekte, stieß jedoch in diesen Jahren auf den Widerstand der Reichsstände, die unter der Führung des Mainzer Kurfürsten Berthold von Henneberg die Reichsreform im Sinne der Stände und unter Schwächung der Königsgewalt vorantreiben wollten. Die beiden Reformpositionen und -konzepte standen sich dann besonders auf dem Reformsreichstag von 1495 gegenüber. Es ging damals um die Forderungen nach einem Reichsregiment und die Einteilung des Reiches in Kreise für die Wahl der Vertreter dieses Regiments. Außerdem wurde das bisher bestehende königliche Kammergericht in ein königlich-ständisches Reichsgericht umgewandelt, das durch die Erhebung eines Gemeinen Pfennigs finanziert werden sollte. Das Reichskammergericht wurde allerdings erst 1527 fest eingerichtet. Der Reichstag von 1495 brachte für die Reichsreformbewegung einen wichtigen Neubeginn aber auch unfertige Lösungen, die sich in den kommenden Jahren erst bewähren mußten. Die damals vor allem vom Mainzer Kurfürsten Berthold betriebene Einführung des Gemeinen Pfennigs im Jahre 1495, einer auf vier Jahre angesetzten Kopfsteuer, führte nur zu sehr unbefriedigenden Ergebnissen. Sie sollte das Reichskammergericht finanzieren, nach dem Wunsch des Kaisers aber auch als Reichshilfe zur Verteidigung gegen die Türken im Osten und die Franzosen im Westen eingesetzt werden. Der Gemeine Pfennig war jedoch, wie Peter Schmid zeigt, „weitgehend ein finanzieller Mißerfolg". 10
1.1.2. Schaffung von sechs Kreisen 1500 Für die dauerhafte Schaffung der Reichskreise wurden der Augsburger Reichstag von 1500 und die dort beschlossene Errichtung des Reichsregiments entscheidend. Damals setzten die Reichsstände gegenüber Maximilian I. ihre Mitregierung durch. Das unter dem Vorsitz des Kaisers bzw. seines Vertreters stehende Regiment zählte 20 Mitglieder, und zwar sechs Kurfürsten, je einen geistlichen und einen weltlichen Reichsfürsten, ferner je einen Vertreter der österreichischen und burgundischen Territorien, je einen der Prälaten, Grafen, zwei Repräsentanten der Reichsstädte und je einen Vertreter der sechs Reichs10
Vgl. Pütter, Historische Entwicklung 1, S. 307ff.; Angermeier, Die Reichsreform, S. 145ff.; Härtung, Geschichte des Fränkischen Kreises, S. 68ff.; Heinz Angermeier, Einleitung: Der Reichstag von 1495 und die Grundsätze bei der Edition von Akten, in: Dte. RTA M.R., 5, S. 25-33; ders., Der Wormser Reichstag 1495 in der politischen Konzeption König Maximilians I., in: Lutz (Hg.), Das römisch-deutsche Reich im politischen System Karls V., München/Wien 1982 (Sehr. d. Hist. Kollegs, Kolloquien, 1), S. 1-13; Peter Blickle, Gemeiner Pfennig und Obrigkeit (1495), in: VSWG 63 (1976), S. 180-193; Peter Schmid , Der Gemeine Pfennig von 1495. Vorgeschichte und Entstehung, verfassungsgeschichtliche, politische undfinanzielle Bedeutung, Göttingen 1989 (Schrr. HistK BAW, 34), S. 83ff., 291ff. und bes. 573ff.; Eberhard Isenmann, Reichsfinanzen und Reichssteuern im 15. Jahrhundert, in: ZHF 7 (1980), S. 1-76, 129-218.
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kreise, die als Wahlbezirke in Anlehnung an den königlichen Entwurf von 1438 neu geschaffen wurden. 11 Als Entstehungsgrundlage für die Kreise dienten, wie schon F. Härtung betont hat, „die alten Stammesherzogtümer". Dies gilt jedoch mehr für den Fränkischen, Bayerischen und Schwäbischen Kreis, weniger für den Oberrheinischen, [Niederrheinisch-] Westfälischen und Sächsischen Kreis. Während das Reichsregiment sich schon 1502 wieder auflöste, stellte die Kreiseinteilung von 1500 ein grundlegendes und zukunftsträchtiges Ereignis der Geschichte der Reichskreise und der Reichs Verfassung dar. 12 Gemäß den Bedürfnissen der Reichsregimentsordnung wurden im Jahr 1500 die habsburgischen Territorien in Burgund, Österreich, Böhmen, Mähren, Schlesien, sowie die Kurfürstentümer des Reiches nicht in die Kreiseinteilung einbezogen. Das gleiche gilt für die Ritter. Somit war schon damals das „landschaftliche Prinzip der Kreisverfassung [...] gründlich durchbrochen", d.h. die Kreise bildeten keine geschlossenen einheitlichen Bereiche im modernen Sinne, wie sie etwa unsere Regierungsbezirke repräsentieren. Solange die Kreise nur Wahlbezirke darstellten, war diese mangelnde territoriale Geschlossenheit unproblematisch. Allerdings blieb sie dann auch 1512 bei der Neueinteilung der Kreise erhalten, als in der Folgezeit den Kreisen immer mehr Aufgaben und Kompetenzen zuwuchsen.13
1.1.3. Die zehn Reichskreise 1512 Für die endgültige Ausformung der Reichskreise bis zum Ende des Heiligen Römischen Reiches brachte der 1512 einberufene Reichstag von Trier, der Ende Juni 1512 nach Köln verlegt wurde, die Entscheidung. Damals wurde die Exekution des Landfriedens den Kreisen übertragen. 14 Heinz Angermeier schreibt dazu: „Die wichtigste und zukunftsträchtigste Neuerung des Reichstags von 1512 lag darin, daß sich die Stände nun endlich auf die seit Jahrzehnten von Maximilian gewünschte Reichskreisordnung einließen. Es waren viele Änderungen an den königlichen Wünschen vorzunehmen und Vorbedingungen zu akzeptieren, bevor die Stände dem Kreisprojekt zustimmten, aber daß es 11
Der Wortlaut der Regimentsordnung in: RA 2, S. 56-63; vgl. Angermeier, Die Reichsreform, S. 192ff.; Härtung, Geschichte des Fränkischen Kreises, S. 89ff.; Dotzauer, Die deutschen Reichskreise, S. 10, 11; Victor von Kraus, Das Nürnberger Reichsregiment. Gründung und Verfall 1500-1502. Ein Stück deutscher Verfassungsgeschichte aus dem Zeitalter Maximilians I. Nach archivalischen Quellen dargestellt, Innsbruck 1883 (Aalen 1969). 12 Vgl. Härtung, Geschichte des Fränkischen Kreises, S. 90ff, 93ff.; Moser, CraysVerfassung, S. 5-7; Pütter, Historische Entwicklung 1, S. 314f. 13 Härtung, Geschichte des Fränkischen Kreises, S. 98; Moser, Crays-Verfassung, S. 8-11; Pütter, Historische Entwicklung 1, S. 315. 14 Vgl. Härtung, Geschichte des Fränkischen Kreises, S. 100.
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schließlich doch möglich wurde, das Exekutionsproblem auf diese Weise zu lösen, hat den 1495 eingeschlagenen Weg der Institutionalisierung schließlich gerechtfertigt und die ganze Reichsreformbewegung entscheidend vorangebracht". 15 Da die Exekution des Landfriedens eine Aufgabe darstellte, die das ganze Reich betraf, war im Prinzip die Kreiseinteilung auf das volle Reichsgebiet auszudehnen. Die (Reichs-) Ritterterritorien, außerdem die schon weitgehend aus dem Reich herausgewachsenen eidgenössischen Gebiete, ferner Böhmen, Mähren und Schlesien sowie die noch zum Reich gehörenden Teile Italiens blieben jedoch auch weiterhin unberücksichtigt. Dies gilt auch für die weiteren Jahrhunderte. 16 Während der Bayerische, Fränkische, Schwäbische, Oberrheinische und der [Niederrheinisch-]Westfälische Kreis auch 1512 weiterhin erhalten blieben, teilte man den Sächsischen in einen Niedersächsischen und einen Obersächsischen auf, zu dem die Kurfürstentümer Sachsen und Brandenburg geschlagen wurden. Neu schuf man den Kurrheinischen Kreis, der neben ein paar kleineren Territorien die Gebiete der drei geistlichen rheinischen Kurfürsten von Mainz, Trier und Köln sowie der Kurpfalz umfaßte, den Burgundischen Kreis im Westen und den Österreichischen Kreis im Süden und Südosten des Reiches. Die Territorien der beiden letzteren waren größtenteils in der Hand der Habsburger. 17 Gemäß Reichsabschied von 1512 sollten die Kreise als eigene Institutionen Kreishauptleute und Zugeordnete bestellen, die die Exekution von Reichskammergerichtsurteilen durchzuführen hatten.18 Heinz Angermeier urteilt jedoch darüber: „Noch schlechter als mit dem immerhin bestehenden Reichskammergericht stand es aber mit den 1512 beschlossenen Reichskreisen. Waren hier schon die Einzelregelungen über Kompetenzen und Unterhaltung höchst ungenügend, so war der Kreisordnungsgedanke zu dieser Zeit für eine Realisierung überhaupt noch nicht reif 4 . 1 9 So wurden die Reichskreise nur zögernd und mangelhaft eingerichtet und die Kreishauptleute einfach nicht bestellt. Als Maximilian I. 1515 versuchte, den Oberrheinischen Kreis mit der Exekution der Reichsacht zu betrauen, stieß er nur auf Ungehorsam und Passivität. Er bemühte sich, durch Einberufung von Kreistagen und Ernennung von Kreishauptleuten einzugreifen, stieß jedoch auch hier auf mangelndes Interesse und passiven Widerstand. So ist also in der 15
Angermeier, Die Reichsreform, S. 209. Der von Dotzauer, Die deutschen Reichskreise, S. 135 aufgeführte Deutsche Orden war schon seit 1517 in die Kreisverfassung eingebunden; vgl. Härtung, Geschichte des fränkischen Kreises, S. 177. 17 Moser, Crays-Verfassung, S. 9ff. 18 RA 2: (Reichsabschied 1512), S. 138 §§ 9-12; vgl. Dotzauer, Die deutschen Reichskreise, S. 12. 19 Angermeier, Die Reichsreform, S. 213. 16
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Praxis die Reichskreisordnung von 1512 nie richtig in Kraft getreten. Deshalb nennt sie H. Angermeier nur einen Entwurf, betont jedoch, man könne trotzdem nicht von einem Scheitern sprechen, da ja „die Reichskreisordnung von 1512 nach einem weiteren vierzigjährigen Weg der Reform doch das Vorbild abgegeben hat für die Endlösung der Reichsreform 1555".20
1.2. Entwicklung und wachsende Kompetenzen der Kreise 1.2.1. Die Kreise bis 1555 In den über 40 Jahren von der Bildung der zehn Reichskreise im Jahre 1512 bis zur Reichsreform von 1555 haben die Reichskreise sich stetig weiter entwickelt und zusätzliche Funktionen übernommen. Nachdem es Kaiser Maximilian I. am Ende seiner Regierungszeit nicht gelungen war, die Kreise für die Reichsexekution zu mobilisieren, machten auf dem Reichstag in Augsburg 1518 die Stände den Vorschlag, man solle den Kreisen die Vollstreckung der Kammergerichtsurteile übertragen. Aber die Angelegenheit wurde wegen der Gegensätze zwischen Kaiser und Reichsständen nicht weiter verfolgt. So war beim Tode Maximilians I. am 12. Januar 1519 „die Kreisverfassung noch ein unfertiges Gebilde". 21 Ein Markstein für die weitere Entwicklung war erst wieder die Errichtung des zweiten Reichsregiments, das von 1521 bis 1530 bestand und 1521 zur Erneuerung der Kreisverfassung führte. Das Reichsregiment, das Karl V. zu seinem Herrschaftsinstrument machen wollte, war ein kaiserliches Organ, von den Habsburgern dominiert, mit rechtlichen Beschränkungen und politischer und finanzieller Abhängigkeit und konnte deshalb keine „eigenständige Position in Reichsverfassung und Reichsregierung" erringen. 22 Da auch das zweite Reichsregiment, abgesehen von zwei zusätzlichen kaiserlichen Vertretern, wie das erste zusammengesetzt war, mußten die sechs alten Wahlkreise von 1500 erneuert werden, die sechs Mitglieder des Regiments ernennen sollten.23 1521 wurde weiterhin in der Kammergerichtsordnung vom 20
Angermeier, Die Reichsreform, S. 213; vgl. auch Dotzauer, Die deutschen Reichskreise, S. 12, 13; zum Problem fremder Werbungen im damaligen Reich siehe Fridolin Solleder, Reichsverbote fremden Kriegsdienstes, fremder Werbung und Rüstung unter Maximilian I., in: ZBLG 18 (1955), S. 315-351; zu Maximilian I. und seiner Politik siehe Hermann Wiesflecker, Kaiser Maximilian I. Das Reich, Österreich und Europa an der Wende zur Neuzeit, 5 Bde., München 1971-1986. 21 Härtung, Geschichte des Fränkischen Kreises, S. 137, 138. 22 Angermeier, Die Reichsreform , S. 237ff. 23 Regimentsordnung abgedruckt: Dte. RTA, J. R. 2, Nr. 21, S. 222-233; vgl. Roll, Das Zweite Reichsregiment; Adolph Grabner, Zur Geschichte des zweiten Nürnberger
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26. Mai 1521 2 4 festgelegt, daß neben den Richtern, die vom Kaiser, den Kurfürsten, den Grafen und Herren zu wählen waren, diese sechs Reichskreise jeweils einen Beisitzer für dieses höchste Gericht bestimmen sollten. Drittens wurde unter gewissen Umständen den Reichskreisen die Exekution der Kammergerichtsurteile übertragen. 25 Eine weitere Station in der Entwicklung der Reichskreise bildete dann die vom Reichsregiment erlassene Exekutionsordnung vom 10. Februar 1522. Hier schrieb man vor, jeder Kreis solle einen Hauptmann und vier zugeordnete Räte wählen und „dieser neuen Exekutivbehörde von Reichs wegen in Landfriedens- und Exekutionssachen Hilfestellung leisten."26 Wenn auch die Realisierung der Ziele zu wünschen übrig ließ und diese Ordnungen keinen Abschluß der Entstehungsgeschichte der Kreisverfassung brachten, so bildeten „sie doch die Grundlage für die Sonderentwicklung der einzelnen Kreise, in denen langsam und lange Zeit in Abhängigkeit von der Initiative der Reichsgesetzgebung das alte genossenschaftliche Leben neu erwachse)". 27 Immerhin sanken die Kreise nicht mehr wie vor 1521 in die Bedeutungslosigkeit zurück, sondern entwickelten sich weiter, da das Reich laufend neue Anforderungen an sie stellte, die neue Kompetenzen und zusätzliche Aktivitäten der Kreise hervorbrachten. Zunächst waren es Kriegsbedürfhisse, welche die Kreisverfassung vorantrieben, die wegen der Bedrohung durch das türkische Reich hervorgerufen wurden. Durch ein Projekt des Reichsregiments von 1526 sollten die Kreise Schatz- und Pfennigmeister erhalten, damit man Kriegssteuern erheben und dadurch Kreissoldaten besolden konnte. Als auf dem Augsburger Reichstag von 1530 eine bedeutende Türkenhilfe bewilligt wurde, behielt man die Gliederung des Heeres nach Reichskreisen bei. Gleichzeitig trug der Reichstag den Kreisen auf, jeweils Hauptleute zu wählen. Dies führte dazu, daß 1531 und 1532 in verschiedenen Kreisen entsprechende Versammlungen zusammentraten. Außer in den Fragen der Münzordnung, der Verbesserung der Reichsmatrikel und der Erhöhung der Zahl der Beisitzer am Reichskammergericht wurden den Kreisen also durch den Augsburger Reichsabschied vom 19. November 1530 zunehmend militärische Funktionen zugewiesen und dadurch ihre Kompetenzen erheblich erweitert. Dies eröffnete „der Entwicklung der
Reichsregiments 1521-23, Berlin 1903 (ND Vaduz 1965); vgl. Heinz Angermeier, Die Reichsregimenter und ihre Staatsidee, in: HZ 211 (1970), S. 265-315. 24 Kammergerichtsordnung, 26.5.1521: Dte. RTA J. R. 2, Nr. 27, S. 267-311. 25 „Execution der urteil belangend" abgedruckt: Dte. RTA J. R. 2, Nr. 27, S. 297ff.; vgl. Dotzauer, Die deutschen Reichskreise, S. 13f. 26 Dotzauer, Die deutschen Reichskreise, S. 14; Dte. RTA J.R. 4. 27 Härtung, Geschichte des Fränkischen Kreises, S. 154, 155.
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Kreise ganz neue Bahnen", die jetzt zu „lebendigen Organisationen über den einzelnen Ständen" wurden. 28 Eine weitere wichtige Etappe zur Aktivierung der Reichskreise wurde die Bekämpfung und schließlich Vernichtung des radikalen Täuferreiches von Münster 1534/35, für welche die Koblenzer Kreisstände-Versammlung 29 vom Dezember 1534 und der Reichstag von Worms 1535 von Bedeutung waren; denn sie legten die Hilfe zur Belagerung Münsters durch die verschiedenen Kreise fest. 30 Die Aufgaben der Kreise wurden hierauf auf dem Regensburger Reichstag von 1541 weiter präzisiert und ausgeweitet. Diese sollten bei Aufbringung der Türkenhilfe wieder aktiv werden, bei der Ordnung des Reichsmünzwesens helfen und bei der Umverteilung und der Festlegung des neuen Matrikelanschlags der Steuern mitwirken. Von großer Bedeutung für die weitere Entwicklung der Kreise zeigte sich auch der 1550/51 in Augsburg abgehaltene Reichstag, der den zehn Reichskreisen die Kompetenz zuwies, das Reichsmünzwesen zu regeln, jeweils im Kreis einen Münzwardein zu wählen und die Münzangelegenheiten zu kontrollieren. 31 Im November 1554 versammelte sich auf Vorschlag des Schwäbischen Kreises ein General-Kreis-Konvent in der freien Reichsstadt Frankfurt. Dort berieten, abgesehen vom Oberrheinischen Kreis, Vertreter von neun Kreisen vor allem über die Sicherung des Landfriedens. Dabei akzeptierten acht Kreise gegen die Stimmen des Kurrheinischen die Vorschläge des Schwäbischen Reichskreises für die „Ordnung und Erklärung der Exekution des Landfriedens". Diese diente hierauf dem Augsburger Reichstag von 1555 zur Beratungsgrundlage und als Basispapier für die dann beschlossene Exekutionsordnung, die in dem 28
Vgl. Härtung, Geschichte des Fränkischen Kreises, S. 175ff.; Dotzauer, Die deutschen Reichskreise, S. 15-17; vgl. zum Reichstag von 1530 auch Johannes von Walter, Der Reichstag zu Augsburg 1530, in: Luther-Jahrbuch 12 (1930), S. 1-90; Alfred Teiche, Reichssteuerbestrebungen und Karl V. (bis zum Sturze des zweiten Nürnberger Reichsregiments), Leipzig 1910; Gustav Wolf Der Augsburger Religionsfriede, Stuttgart 1890; zur Politik der Reichsstände und ihrer Opposition gegen die Wahl Ferdinands I. zum römischen König vgl. Alfred Kohler, Antihabsburgische Politik in der Epoche Karls V. Die reichsständische Opposition gegen die Wahl Ferdinands I. zum römischen König und gegen die Anerkennung seines Königtums 1524-1534, Göttingen 1982 (Schrr. HistK BAW, 19); zur Politik von Kurpfalz, Jülich, Kurbrandenburg siehe: Luttenberger, Glaubenseinheit und Reichsfriede. 29 Zu den Reichskreistagen siehe Kap. II.2.5. 30 Vgl. Neuhaus, Reichsständische Repräsentationsformen, S. 36ff.; Dotzauer, Die deutschen Reichskreise, S. 17. 31 Vgl. Dotzauer, Die deutschen Reichskreise, S. 18-20; Angermeier, Die Reichsreform, S. 288ff.; Härtung, Geschichte des Fränkischen Kreises, S. 182ff.; Wolfgang Steglich, Die Reichstürkenhilfe in derZeit Karls V., in: MGM 11 (1972), S. 7-55.
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II. Die Reichskreise
Reichsabschied vom 25. September 1555 aufgenommen wurde. 32 Dieser Reichstag markierte einen wichtigen historischen Einschnitt, und der Reichsabschied von 1555 wurde mit seinen konfessionellen (Religionsfriede) und institutionellen Bestimmungen „zur Genealogie der Verfassung". H. Angermeier betont sogar, „auch die Reichsreform [sei] tatsächlich zum Abschluß gekommen". 33
1.2.2. Der Augsburger Reichsabschied von 1555 als vorläufiger Endpunkt der Reichsreform des 16. Jahrhunderts Der Religionsfrieden und die Landfriedensordnung, die beide 1555 nach den Beschlüssen des Augsburger Reichstags in den Reichsabschied aufgenommen wurden, beinhalteten, so schreibt Angermeier, „fundamentale Entscheidungen, ihre politische Unabwendbarkeit und ihre verfassungsmäßige Unumkehrbarkeit machen sie zum historischen Ereignis". 34 Während man jetzt das Kaisertum aus der friedensrechtlichen Exekutionsgewalt im Heiligen Römischen Reich ausschaltete,35 wurden nun die Reichskreise, wie Conrad hervorhebt, „zu selbstständigen Trägern wichtiger Reichsaufgaben". 36 Diese von Kurmainz und Kurpfalz initiierte Kreisordnung war das Resultat einer „seit 1546 einsetzenden Entwicklung", die nichts mit den konfessionellen Zwisten zu tun hatte.37 Aufgrund dieser Ordnung von 1555 erhielten die Reichskreise neben den bisherigen Kompetenzen der Sicherung des allgemeinen Landfriedens im Reich, der Vollstreckung der Urteile des Reichskammergerichts, der Wahl der Beisitzer dieses Gerichts und der Regelung des Münzwesens38 zahlreiche neue, zusätzliche Aufgaben. Dies gilt für das Reichsmilitärwesen, die Wirtschaft, das Steuerund Polizeiwesen. Wichtig ist dabei, daß die noch 1554 angestrebte „starke autonomistische Ausbildung der Kreisinstanzen" aufgegeben wurde und daß man auf die reichspolitische Zentralisierung dieser Kreisordnung jetzt verzichtete. Vielmehr organisierte man die Kreisverfassung nun nach dem Interesse einzelner Kreisstände von unten her. So erhielten diese weitgehend die Entscheidungsgewalt über die Kompetenzen und Aktionen des jeweiligen Kreises und mußten kollegial und solidarisch dessen Aufgaben übernehmen. Dabei wurde 32
Hermann Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 2: Neuzeit bis 1806, Karlsruhe 1966, S. 103; vgl. auch Neuhaus, Reichsständische Repräsentationsformen, S. 315f.; Alfred Kohler, Die Sicherung des Landfriedens im Reich. Das Ringen um eine Exekutionsordnung des Landfriedens 1554/55, in: MIÖG 24 (.1971), S. 140-168. 33 Angermeier, Die Reichsreform, S. 317. 34 Idem, S. 317f. 35 Idem, S. 320. 36 H. Conrad, Rechtsgeschichte 2, S. 103. 37 Angermeier, Die Reichsreform, S. 320. 38 Vgl. dazu: Laufs (Hg.), Reichskammergerichtsordnung.
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eigens festgelegt, daß die Rechte, Freiheiten und Privilegien sowie die fürstlichen Würden der Kreisstände garantiert blieben. Der Kreisoberst sollte von den Ständen gewählt werden und keine Hoheitsgewalt über andere Kreismitglieder erhalten. Geldmittel, aber auch alle Fragen der Aufrüstung und Bewaffnung blieben im Zuständigkeitsbereich der Stände. Die Kreisspitze durfte - so wurde festgelegt - gegen zahlungsrückständige Mitglieder nur dann vorgehen, wenn gegen sie ein Urteil des Reichskammergerichts vorlag. Die Reichskreise waren somit „nur noch Hilfsorgane der Reichsstände". Angermeier schreibt dazu resümierend: „Der politischen Anerkennung und verfassungsmäßigen Verankerung, welche das ständisch-libertäre Prinzip durch diese Kreisordnung gefunden hat, entspricht natürlich die verfassungsmäßige Schwächung der monarchischen Reichsgewalt und die volle Föderalisierung des Reiches". Da die in Kreisen zusammengefaßten Territorien praktisch die Reichsgewalt übernahmen, wurden ihre Positionen auch dem Kaiser gegenüber geschützt und der Reichstag „aus der freien Verfügungsgewalt des Monarchen herausgenommen. Das Reich wurde umorganisiert „zu einem primär friedengarantierenden und friedenorganisierenden Reichsverband mit starker Betonung des Reichsrechts". 39 Dadurch entwickelten sich die Kreise nicht in erster Linie zu Reichsprovinzen, sondern zu regionalen „Selbstverwaltungskörperschaften", deren Evolution sich allerdings entsprechend der Struktur des jeweiligen Kreises und nach den historischen Umständen verschieden gestalten konnte. 40 Obwohl auf dem Augsburger Reichstag von 1555 „das verfassungsmäßige Grundgerüst der Reichskreise für die nächsten 250 Jahre erstellt" wurde, 41 hing in der Praxis viel davon ab, mit welchem reellen Leben all die Bestimmungen des Reichsabschiedes von 1555 erfüllt wurden.
1.2.3. Entwicklung von 1555 bis 1600 Trotz der grundlegenden Beschlüsse von 1555 ließ deren Umsetzung in die Tat vielfach auf sich warten. Während die bestorganisierten Kreise die Bestimmungen des Abschieds durchzuführen versuchten, mußten die Reichstage von 39
Angermeier, Die Reichsreform, S. 321, 332f.; zur allgemeinen Politik damals vgl. Heinrich Lutz, Christianitas afflicta. Europa, das Reich und die päpstliche Politik im Niedergang der Hegemonie Kaiser Karls V. (1552-1556), Göttingen 1964; zum Religionsfrieden u.a.: Moriz Ritter, Der Augsburger Religionsfriede 1555, in: Historisches Taschenbuch VI,1 (1882), S. 213-264; Horst Rabe, Der Augsburger Religionsfriede und das Reichskammergericht 1555-1600, in: Rabe/Molitor/Rublack (Hg.), Festgabe für Ernst Walter Zeeden, Münster/Westf. 1976 (Reformationsgeschichtl. Stud. u. Texte, Suppl. 2), S. 260-280. 40 H. Conrad, Rechtsgeschichte 2, S. 103. 41 Dotzauer, Die deutschen Reichskreise, S. 23.
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II. Die Reichskreise
1557 und 1559 einen Teil der Kreise ermahnen, sie möchten doch endlich die 1555 beschlossenen Institutionen errichten und die Umsetzung der Exekutionsordnung in die Tat nicht mehr verzögern. Der Reichsabschied von 1559 legte das Mehrheitsprinzip in Exekutions- und Friedenssicherungsangelegenheiten fest. Trotzdem ging die Hilfe für den Deutschen Orden im Osten nur mangelhaft ein und die Landfriedensbrüche Herzog Erichs von BraunschweigCalenberg gegen das Hochstift Münster und der Überfall Wilhelms von Grumbach auf das Hochstift Würzburg zeigten die Schwächen der Exekutions- und Schutzorgane auf. 42 Aber gerade diese Raubzüge führten zu Reaktionen der Stände, welche die Entwicklung vorantrieben. Während nämlich die Reichsabschiede von 1557 und 1559 keine Erfolge aufwiesen, um den Ausbau des Exekutionswesens voranzutreiben, kam mit dem durch diese Raubzüge veranlaßten Reichsdeputationstag von Worms 1564 der Durchbruch, wie M. Lanzinner in seiner 1993 erschienenen Habilitationsschrift nachweisen kann. Von 1564 bis 1567 konnte sich demnach die Reichs- und Kreisexekutive gut und relativ effizient ausformen. Abgesehen vom Burgundischen, Österreichischen, Kurrheinischen und Obersächsischen fanden die übrigen sechs Kreise „zu einer Finanzund Militärorganisation, die sich zwar noch nicht mit der Verwaltung größerer Territorien messen konnte, aber doch Exekutionsmaßnahmen ermöglichte". 43 1564 schufen die Reichsstände ein „bahnbrechendes" Exekutionswesen auf Reifhsebene und eine Exekutionstruppe als Vollstreckungsorgan. Entgegen der bisherigen Forschungsmeinung zeigt Lanzinner, daß in der damaligen gespannten Situation die Reichsstände unter Federführung von Kursachsen mit Erfolg versucht haben, durch Einschaltung des Kreises als Koordinator, durch Kontrolle und auch Zwang die Reichs- und Kreisordnung zu straffen. 44 Im einzelnen beschloß man in Worms folgendes: erstens eine berittene Reichstruppe von 1500 Mann zur Ergänzung der Exekutionsordnung und als Abschreckung gegen weitere Raubzüge, zweitens die zentrale Einbeziehung des Kaisers in die Exekutionsordnung und drittens eine Stärkung der Position des Kreisobersten und der Kreisexekutive. Diese Beschlüsse führten zu einer „erheblichen Fortentwicklung der supraterritorialen Friedenssicherung". Außerdem begann eine Zentralisierung der Exekutive in den Kreisen, aber auch im Reich insgesamt. Diese Entwicklung war in der Ordnung von 1555 nicht vorgesehen.45 Einen weiteren Schritt vorwärts stellte der Augsburger Reichsabschied vom 30. Mai 1566 dar, denn nun wurde der feste organisatorische Rahmen für die Exekution der Acht gegen Grumbach geschaffen, der auch zur erfolgreichen Exekution gegen Gotha beitrug, wohin sich Grumbach und sein Protektor Her42 43 44 45
Vgl. Dotzauer, Die deutschen Reichskreise, S. 23f. Lanzinner, Friedenssicherung und politische Einheit, S. 21-75, 514. Idem, S. 515. Idem, S. 33-43.
1. Im Rahmen der allgemeinen Entwicklung der Reichserfassung
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zog Johann Friedrich von Sachsen zurückgezogen hatten. Den Erfolg dieser Exekution verdankte man vor allem dem Kurfursten von Sachsen, der den Reichskonstitutionen gemäß agieren konnte, wobei die Teilnahme der Kreise den Vollzug der Acht legitimierte. 46 Außerdem übernahmen die Reichsstände, die sich 1567 beim Regensburger Reichstag und Erfurter Reichskreistag versammmelten, die Kosten des Exekutionsunternehmens. 47 Nach dieser Stärkung von Exekutions- und Kreisordnung brachten allerdings die konfessionsbedingten Kriege in Frankreich und den Niederlanden 1567/68 eine Destabilisierung der Friedenssicherung im Reich, da jetzt durch die Konfessionspolitik und Sympathien für die jeweiligen Glaubensgenossen die bisherige solidarische Aktion gestört wurde. Das verhinderte eine Weiterentwicklung des Exekutionswesens.48 Als der kaiserliche Rat und Generalleutnant Lazarus von Schwendi in recht eigenständiger Weise eine relativ zentralistische Exekutionsordnung konzipierte, welche die inzwischen längst den Territorien zustehende Friedensgewalt im Reich dem Kaiser zurückgeben und ihm die militärische Befehlskompetenz über die Reichskreise zugestehen wollte, wurde dieses Projekt auf den Reichtag zu Speyer 1570 abgelehnt. So blieb das Übergewicht der Reichsstände im Bereich der Friedenssicherung erhalten. 49 In dieser Frage war die Entwicklung weitgehend abgeschlossen. Die Reichsdeputationstage berieten in den folgenden Jahrzehnten vor allem über Münz-
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Lanzinner, Friedenssicherung und politische Einheit, S. 51 -64. Idem, S. 64-75. 48 Idem, S. 77ff. 49 Eugen von Frauenholz (Hg.), Lazarus von Schwendis Denkschrift über die politische Lage des deutschen Reiches von 1574, München 1939 (Münchener Hist. Abh. 2, Reihe Kriegs- und Heeresgesch., 10); Lanzinner, Friedenssicherung und politische Einheit, S. 294-372; vgl. dazu: Roman Schnur, Lazarus Schwendi (1522-1583). Ein unerledigtes Thema der historischen Forschung, in: ZHF 14 (1987), S. 27-46. Lina Baillet, Schwendi, lecteur de Machiavel, in: Revue d'Alsace 112 (1986), S. 119-197; Maximilian Lanzinner, Die Denkschrift des Lazarus von Schwendi zur Reichspolitik (1570), in: Kunisch (Hg.), Neue Studien zur frühneuzeitlichen Reichsgeschichte, Berlin 1987 (ZHF, Beih. 3), S. 141-185; Wolf Dieter Mohrmann, Bemerkungen zur Staatsauffassung Lazarus' von Schwendi, in: Maurer/Patze (Hg.), FS für Berent Schwineköper zu seinem 70. Geburtstag, Sigmaringen 1982, S. 501-522; Eugen Dollmann, Die Probleme der Reichspolitik in den Zeiten der Gegenreformation und der politischen Denkschriften des Lazarus von Schwendi, München 1927; Adolf Eiermann, Lazarus von Schwendi. Freiherr von Hohenlandsberg. Ein deutscher Feldoberst und Staatsmann des XVI. Jahrhunderts, Freiburg i.Br. 1904; Wilhelm Edler v. Janko, Lazarus Freiherr von Schwendi. Oberster Feldhauptmann und Rath Kaiser Maximilians II., Wien 1871; Johann König, Lazarus von Schwendi 1522-1583, Schwendi/Witt. 1933; Adolf Warnecke, Diplomatische Tätigkeit des Lazarus von Schwendi im Dienste Karls V., Göttingen 1890. 47
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II. Die Reichskreise
und Matrikelfragen, Reichskammergerichts- und Polizeiordnung. 50 Da die reichsständischen Versammlungen für Erneuerungen der Verfassung offen waren, trat in der Folgezeit oft an die „Stelle der publizierten Konstitutionen eine ganz andere Verfassungspraxis". 51 Wichtig für die weitere Entwicklung der Kreise war die Reichsmünzordnung des Speyerer Reichstags von 1570; denn die Kreise mußten die Beschlüsse vollziehen und bauten ihre Aktivitäten in diesem Bereich aus. So errichtete wenigstens ein Teil der Kreise gemeinsame Münzstätten und hielt Münzprobationstage ab.52 Eine zunehmende Rolle spielten die Kreise auch bei der Türkenabwehr; denn sie hatten die vom Reichstag beschlossenen Römermonate einzusammeln. Die bewilligten Summen waren ab 1576 höher als je zuvor, und es festigte sich in diesem Bereich die Einheit und Solidarität des Reichs.53 Trotzdem wurde, wie Dotzauer betont, das landschaftliche Sonderbewußtsein zum Träger der künftigen Kreisentwicklung. Während Ende des Jahrhunderts wegen des Krieges in den Niederlanden und des Kölner Krieges konfessionelle Divergenzen einerseits die Aktivität der Kreise lähmten, wurde diese andererseits durch die Bedrohung durch die Osmanen ab 1594 wieder gesteigert. 54
1.2.4. Ausweitung der Kreisfunktionen im 17. und 18. Jahrhundert Während Dotzauer betont, daß Anfang des 17. Jahrhunderts wegen des Konfessionszwistes und der dadurch bedingten Krisensituation im Reich die Kreise ,nahezu bedeutungslos" wurden, 55 zeigt F. Magen gerade die zunehmende Bedeutung der Kreise im 30jährigen Krieg auf. 56 Dieses Ergebnis Magens steht der von K.O. von Aretin vertretenen Forschungsmeinung entgegen, der von ei50
Siehe dazu: Helmut Neuhaus, Zwänge und Entwicklungsmöglichkeiten reichsständischer Beratungsformen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in: ZHF 10 (1983), S. 279-298; ders., Reichsständische Repräsentationsformen; Lanzinner, Friedenssicherung und politische Einheit, S. 376ff. 51 Lanzinner, Friedenssicherung und politische Einheit, S. 318ff. 52 Idem, S. 38Iff.; Peter Lennartz, Die Probationstage und Probationsregister des niederländisch-westfälischen Kreises, in: NZ 46 (1913), S. 1-84; Arnold Keller, Der Münzvertrag der Rheinischen Kurfürsten mit Hessen vom Jahr 1572, in: Mitt. d. bay. Numismatischen Ges. 38/39 (1921), S. 17-114; Robert Wuttke, Die Probationsregister des Obersächsischen Kreises, in: NZ 29 (1897), S. 237-302; Rudolf Geyer, Zur österreichischen Münzpolitik 1524-1790, in: NZ 26 (1933), S. 73-108. 53 Lanzinner, Friedenssicherung und politische Einheit, S. 474ff; Schulze, Reich und Türkengefahr, S. 362f.; ders., Erträge der Reichssteuern. 54 Dotzauer, Die deutschen Reichskreise, S. 27ff.; Schulze, Reich und Türkengefahr, S. 193-198, 360ff. 55 Dotzauer, Die deutschen Reichskreise, S. 30. 56 Magen, Die Reichskreise.
1. Im Rahmen der allgemeinen Entwicklung der Reichserfassung
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nem „verlorenen" Dasein der Reichskreise vor 1648 spricht. 57 Für die Position Magens läßt sich anfuhren, daß diese Reichskreise für den Kaiser und das Reich deshalb so wichtig wurden, weil wegen des schweren Konfessionskonflikts, der Blockadepolitik protestantischer Reichsstände nach dem Reichstag von 1613 und des Krieges, fast 30 Jahre lang keine Reichsversammlung mehr zusammentreten konnte. Erst 1640/41 tagten die Reichsstände wieder gemeinsam. In dieser schwierigen Situation wich der Kaiser vor 1640 auf die Kurfürstentage und vor allem auch auf die Kreisversammlungen aus. Diese konnten nämlich dem Reichsoberhaupt wenigstens zum Teil Steuern bewilligen, die man als Abzahlungen für später vom Reichstag gewährte Römermonate ansah.58 Nachdem die Kreise Bestrebungen des Kaisers zurückgewiesen hatten, sie unter seinen Einfluß zu bringen und auch zunächst dessen Steuerforderungen meist abgelehnt hatten, bewilligten im Jahre 1624 z. B. der Obersächsische und Niedersächsische, der Fränkische und Schwäbische Kreis Steuern. Nach der Absetzung Wallensteins 1630 beschlossen die katholischen Kurfürsten beim Regensburger Kurfürstentag, daß die Kreise den Unterhalt des Reichs- und zu einem Drittel auch des Ligaheeres übernehmen sollten. 59 Dieser „Regensburger Beschluß", so betont Magen, „die Reichskreise zum Unterhalt der kaiserlichen und ligistischen Kriegsführung heranzuziehen, gab der Kreisverfassung belebende Impulse". Die Kreisversammlungen beanspruchten dabei durchaus das Recht, nur einen Teil der vom Kaiser geforderten Summen zu bewilligen. Statt der gewünschten 96 Römermonate gestand etwa der Niederrheinisch-Westfälische Kreistag von 1631 zu Köln nur 60 Römermonate und auf erneutes Drängen der kaiserlichen Kommissare 72 Römermonate zu, der Bayerische Kreistag vom Januar 1631 sogar nur 30, ein Betrag der dann auf einem weiteren Kreistag zuerst auf 35, hierauf auf 40 Römermonate aufgestockt wurde. Ähnlich war es 1638, als die kaiserlichen Ausschreiben der Kreistage ausdrücklich betont hatten, „daß alle Kreise statt des Reichstags zu Steuerbewilligungen herangezogen werden sollten". Die Kreise spielten außerdem eine große Rolle als „verfassungsmäßige Alternative zu den verfassungsrechtlich umstrittenen konfessionellen Sonderbünden". Sie versammelten sich oft, um das Kreisgebiet vor Gefahren zu schützen und konnten dabei den „politisch-militärischen Konfessionalismus" mäßigen und integrierend wirken, auch wenn es des öfteren zu katholischen bzw. protestantischen Partikularkonventen verschiedener Kreise kam. 60 Da es sehr wichtig war, in diesen Kriegszeiten das Münzwesen überterri57
Karl Otmar Freiherr von Aretin, Die Kreisassoziationen in der Politik der Mainzer Kurfürsten Johann Philipp und Lothar Franz von Schönborn 1648-1711, in: Ders. (Hg.), Der Kurfürst von Mainz und die Kreisassoziationen 1648-1746, Wiesbaden 1975 (Veröff. IEG MZ, AU, Beih. 2), S. 36. 58 Magen, Die Reichskreise, S. 422f.; Schubert, Reichstage in der Staatslehre, S. 311. 59 Magen, Die Reichskreise, S. 423, 436, 439. 60 Idem, S. 424. 4 Hartmann
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torial zu regeln und der weitverbreiteten Geldverschlechterung in dieser „Kipper- und Wipperzeit" entgegenzuwirken, verstärkte sich die Bedeutung und auch die Zusammenarbeit der Kreise in diesem Bereich. 61 Ein weiterer Aspekt war die Tatsache, daß neben dem Kaiser auch die überregionalen konfessionellen Sonderbünde wie Liga, Union, Leipziger Bund, Heilbronner Bund und die Schweden die Reichskreise mit ihrer Organisationsstruktur für ihre Zwecke nutzten. 62 Schließlich spielten die Kreise auch bei den Westfälischen Friedensverhandlungen von 1648 eine bedeutende Rolle, da sie die Vertreter der nicht kurfürstlichen Reichsstände benannten.63 Entsprechend dieser großen Bedeutung im 30jährigen Krieg wurde in das Westfälische Friedenswerk eigens zur umso besseren Erhaltung des öffentlichen Friedens (ut etiam pax publica tanto melius conservali possit redintegrentur) die Redintegration der Kreise festgeschrieben. 64 Diese Festlegung der Kreisverfassung war wesentlich für die weitere Evolution im 17. und 18. Jahrhundert. Allerdings entwickelten sich von nun an die verschiedenen Kreise je nach Mitgliederstruktur und historischem Geschehen recht unterschiedlich. 65 Während in Norddeutschland nach den Bewilligungen der Türkenhilfen in den 80er Jahren des 17. Jahrhunderts keine Kreistage mehr zusammentraten und diese sächsischen Kreise in vielen Bereichen auf ihrem Entwicklungsstand des 17. Jahrhunderts stehen blieben, wurden im Westen und Süden die Kreise die wichtigsten Säulen der Reichsmaschinerie. Alle staatlichen Funktionen des Reiches ruhten praktisch ausschließlich auf den Aktivitäten der Kreise und nicht auf denen des Reichstages. So wurden die Reichskreise ein sehr wichtiges Element in der Reichs Verfassung Ende des 17. und im 18 Jahrhundert. 66 Wines und Dotzauer unterstreichen mit Recht die große Bedeu-
61
Idem, S. 426ff; Karl 2 S. Bader, Der deutsche Südwesten in seiner territorialen Entwicklung, Sigmaringen 1978, S. 195; Max von Bahrfeld (Hg.), Niedersächsisches Münzarchiv. Verhandlungen auf den Kreis- und Münzprobationstagen des Niedersächsischen Kreises 1551-1625, Bd. 4, Halle 1930, z.B. S. 496ff., 514; Lennartz, Die Probationstage. 62 Magen, Die Reichskreise, S. 424, 442ff. 63 Idem, S. 455ff; Winfried Becker, Der Kurfürstenrat. Grundzüge seiner Entwicklung in der Reichsverfassung und seine Stellung auf dem Westfälischen Friedenskongreß, Münster 1973 (Schrr. d. Ver. ζ. Erforsch, d. neueren Gesch., 5), S. 154; Fritz Dickmann, Der Westfälische Frieden, Münster 4 1977, S. 168, 173ff. 64 Instrumenta Pacis Westphalicae, IPO, Art. XVII § 8, siehe dazu: Magen, Die Reichskreise, S. 456ff. 65 Vgl. Aretin, Kreisassoziationen in der Politik, S. 34-44; Magen, Die Reichskreise, S. 457ff.; Mohnhaupt, Die verfassungsrechtliche Einordnung, S. 1-29. 66 Siehe dazu: Hofmann, Reichskreis, S. 393; Friedrich Carl Moser, Sammlung des Heil. Römischen Reichs sämtlicher Crays-Abschiede und anderer Schlüsse 1, Leipzig u.a. 1747, Vorwort; Wines , The Imperial Circles, S. 2ff
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tung der Kreistruppen für die Reichsarmee bei den Türken- und anderen Kriegen bis hin zu den Revolutionskriegen. 67 Im Laufe des 18. Jahrhunderts entwickelten sich besonders der Schwäbische und der Fränkische Kreis zu lebendigen Regionen, wo die Kreisstände segensreich und nicht ohne Effizienz nicht nur das Münz- und Geldwesen, sondern auch zunehmend das gemeinsame Ernährungs-, Wirtschafts- und Sozialwesen, die Zollpolitik und den Straßenbau kooperativ, kollegial, ja oft genossenschaftlich regelten. 68 Die große Rolle des überterritorialen Chausseebaus im Schwäbischen Kreis wird von B. Wunder in seinen neuesten Forschungen besonders hervorgehoben. 69 Neben den Funktionen Landfriedenssicherung, Wahl der Assessoren des Reichskammergerichts, Erhebung der Reichssteuern, Aufstellung der Reichsarmee, Regelung des Münzwesens, gab es also im 18. Jahrhundert eine Ausweitung der Kreisfunktionen. Das gilt allerdings voll und ganz nur für den Schwäbischen und Fränkischen, teilweise auch für den Bayerischen und die westdeutschen Kreise. Mit dieser Einschränkung kann man den Ausführungen Dotzauers zustimmen, daß bis ins 18. Jahrhundert im Rahmen der „polizeilichen" Befugnisse diesen Kreisen weitergehende Funktionen zuwuchsen in den Bereichen „Wirtschaftsförderung, Marktordnung, Bestimmungen zur Sicherung des Nahrungsmittelbedarfs, Gesundheitsschutz, Reglements für Truppendurchmärsche und Truppenbewegungen, Sozialwesen, Abwehr von Räubern, Dieben und Zigeunern, Lebenshaltung von Knechten und Mägden, Verträge mit der Judenschaft, Verringerung von Feiertagen, Wirtshausaufsicht, Verbot von Lotterien, Schuldendienst und Straßenbau". 70 Noch in der Hungerkrise von 1770/72 spielten die süd- und westdeutschen Reichskreise eine große Rolle, um den Handel zu regulieren, die Hungersnot einzudämmen und überregionale Maßnahmen zu ergreifen und zu koordinieren. So gelang es z.B., durch das Zusammenwirken mehrerer Kreise, Beschränkungen des Getreidehandels durch einzelne Territorien zu unterbinden, welche die allgemeine Ernährungslage gefährdet hätten. Die Kreise in Süd- und Westdeutschland waren also damals noch wichtige Organe der Reichsexekutive und der regionalen Selbstverwaltung. 71
67
Wines, The Imperial Circles, S. 4-29; Dotzauer, Die deutschen Reichskreise, S. 35-
45.
68
Wunder, Der Schwäbische Kreis, S. 23-39; Sicken , Der Fränkische Kreis, S. 61-77. Bernd Wunder, Der Chausseebau in Württemberg während des 18. Jahrhunderts. Infrastrukturpolitik zwischen Regierung, Landschaft und Schwäbischem Reichskreis, in: Aus südwestdeutscher Geschichte. FS für Hans-Martin Maurer, Stuttgart 1994, S. 526538; ders., Der Kaiser, S. 6-14. 70 Dotzauer, Die deutschen Reichskreise, S. 7. 71 Vgl. Magen, Reichsexekutive, S. 1 Iff. und besonders S. 13Iff. 69
4*
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II. Die Reichskreise
1.3. Die Kreise als wichtigste Organe der Reichsexekutive Das Reich mit seiner föderativen Struktur und seiner schwachen Zentrale war bei den meisten seiner wenigen noch verbliebenen staatlichen Funktionen auf die Aktivitäten der Reichskreise angewiesen; denn sie allein setzten im allgemeinen die Reichstagsbeschlüsse in die Tat um. Dies geschah allerdings nicht im Sinne von reinen Exekutivorganen, sondern meist nach entsprechenden Kreistagsbeschlüssen, die nicht selten stark von den Vorgaben des Reichstags abwichen. Da letztlich die Zahlungen erfolgen mußten, ohne daß wirkliche Zwangsmaßnahmen angewendet werden konnten, wurde vor allem an die Reichspflichten und die Solidarität für das Reich appelliert und dies bei den Kreisen angemahnt. Zu den Leistungen für das Reich trugen demgemäß die Kreise und Stände unterschiedlich gewissenhaft und vollständig bei. 72 Johann Jacob Moser bemerkte dazu: „ I n Friedenszeiten würden ebenfalls die wenigste mittlere und kleine Reichsstände in der auf alle Fälle nöthigen Verfassung stehen, oder doch auf dieselbe im Nothfall kein Staat zu machen seyn, wann sie nicht durch die Crays-Verfassung darzu angehalten würden[...] Ja die mehrste schwache Stände wären wohl gar würcklich verschlungen, und wären keine Stunde vor weit hergeholten und mit überwiegender Macht unterstützten Prätensionen sicher, wann nicht ein solcher Prätendent wüßte, daß er es in Craysen, welche in ihrer gehörigen Activität stehen, solchen Falls mit dem ganzen Crays zu thun bekommen, und sich dessen, ja auch anderer benachbarter Crayse, zusammengesetzte Kräffte auf den Hals laden würde." 73 Die entscheidende Rolle des Kreisausschreibenden Fürsten und der Kreise geht aus „dem ReichsGutachten de dato Regensburg den lten Hornung 1793" des Reichstags, das an den Kaiser gerichtet war, hervor. Der Reichstag bat „Ihro römisch-kaiserliche Majestät" nicht nur, das Reichsgutachten „zu genehmigen", sondern auch darum, „durch ungesäumte Erlaßung der reichsoberhauptlichen Schreiben an die kreisausschreibenden Herrn Fürsten, die wirkliche Stellung, Zusammmenbringung und Vorrückung der beschlossenen Reichsarmatur zu befördern. 74 In die Tat umgesetzt wurden also die Reichstagsbeschlüsse nur durch die Kreise und die diese Zirkel leitenden Kreisausschreibenden Fürsten. So standen und fielen im allgemeinen auch die Zahlungen der Reichsabgaben mit dem guten Willen, dem Einsatz, der Gewissenhaftigkeit und der Durchsetzungskraft der Kreisausschreibenden Fürsten und der Kreise.
72
Vgl. F.C. Moser, Sammlung sämtlicher Crays-abschiede 1, Vorwort; Hofmann, Reichskreis, S. 393ff. 73 J. J. Moser, Crays-Verfassung, S. 31 f. 74 HHStAW: MEA, RTA Fasz. 671: Reichsgutachten, 1.2.1793.
1. Im Rahmen der allgemeinen Entwicklung der Reichserfassung
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1.3.1. Erhebung der Reichssteuern 1.3.1.1. Kammerzieler Nachdem zunächst der 1495 vom Reichtag bewilligte Gemeine Pfennig fur die Erhaltung des Reichskammergerichts gedacht war, allerdings auch für militärische Reichsaktionen gezahlt wurde, 75 erhob man seit 1548, wieder auf Beschluß des Reichstags, den Kammerzieler als regelmäßig zweimal im Jahr erhobene Matrikelsteuer zur Finanzierung dieses höchsten Reichsgerichts. Als Basis diente wie bei den Römermonaten die Wormser Reichsmatrikel von 1521.76 Angesichts der Strukturen des Reiches kam bei dieser Erhebung den Kreisen die Rolle der Koordination, Kontrolle, Gewährleistung und notfalls der Eintreibung der Zahlungen zu. Im allgemeinen wird immer wieder betont, daß die Kammerzieler nur unzureichend eingegangen seien.77 Wenn wir jedoch Quellen aus den 80er und 90er Jahren des 18. Jahrhunderts analysieren, läßt sich für die letzten 145 Jahre des Reiches ein differenzierteres Bild vermitteln; denn die hier heranzuziehenden Verzeichnisse aus dem Wiener Haus- Hof- und Staatsarchiv geben genaue Auskünfte über die Leistungen und Zahlungsrückstände ab etwa 1654.78 Bei einer Betrachtung des „Zehnte[n] Verzeichniß[es], was des Heiligen Römischen Reichs Churfürsten, Fürsten und Stände an des Kaiserlichen und Reichs Kammer-Gerichts Unterhaltung vom 1. Januar 1785 bis zum 31. Dezember d. a. bezahlet haben" im Detail ergeben sich interessante Aufschlüsse über die Zahlungsmoral der einzelnen Stände damals und deren Beitragsrückstände ab 1654. Beim Österreichischen Kreis waren die habsburgischen Lande nicht zur Zahlung des Kammerzielers verpflichtet, sondern nur die drei relativ kleinen Hochstifte Trient, Brixen und Chur sowie der Fürst von Dietrichstein. Während letzterer sehr gewissenhaft zahlte und überhaupt keine Rückstände hatte, betrugen die Schulden von Trient 2.147 Rtler 80 1/3 Kr., die von Brixen 304 Rtler 33 Kr. und die von Chur 2.383 Rtler 45 Kr. Wenn man bedenkt, daß nach der 1776 erfolgten Erhöhung etwa für das Hochstift Trient ein Ziel 101 Rtler 41 Kr., der Jahresbeitrag von zwei Zielern also 202 Rtler 82 Kr. ausmachte, waren diese Rückstände für über 130 Jahre doch recht gering. Das zu keinem Kreis gehörende, sehr große und volkreiche Böhmen beglich 1785 die 75
P. Schmid , Der Gemeine Pfennig, S. 83ff., 566ff. Siehe dazu: StAWü: Reichssachen Nr. 948: „Reichsanschlag A° 1521 zu Wormbs gemacht"; Standbuch Nr. 899; zum Reichskammergericht siehe: Laufs (Hg.), Reichskammergerichtsordnung; Wolfgang Sellert, Die Bedeutung der Reichskreise für die höchsten Reichsgerichte, in: Hartmann (Hg.), Regionen in der Frühen Neuzeit, Berlin 1994 (ZHF, Beih. 17), S. 170ff. 77 Vgl. Gebhardt/Grundmann (Hg.), Handbuch der deutschen Geschichte 2, S. 390. 78 HHStAW: MEA, RTA verschiedene Fasz. ab Fasz. 649. 76
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II. Die Reichskreise
wenigen angefallenen 1.416 Rtler 60 Kr. und hatte keine Schulden. Das gleiche gilt für den Burgundischen Kreis. Dieser mußte pro Jahr nur 1014 Rtler 47 Kr. beitragen. Besonders gut bezahlte der Fränkische Kreis seine Kammerzieler. Er hatte für 131 Jahre Rückstände von ganzen 4.864 Rtler 42 1/2 Kr., eine winzige Summe wenn man bedenkt, daß dieser Kreis allein 1785 mehr als 11.488 Rtler ablieferte. Der größte Schuldner des Kreises war mit 2.475 Rtler 20 Kr. die Reichsstadt Nürnberg. Aber dieser Betrag übersteigt nur wenig die 2.030 Rtler, die diese Stadt pro Jahr zu geben hatte. 79 Wesentlich höher waren die Schulden des Bayerischen Kreises mit 50.071 Rtler 69 Kr. Allerdings machten hier allein die Rückstände der Abtei Waldsassen mit 26.605 Rtler 39 2/3 Kr. mehr als die Hälfte aus, die sogar in diesem „Verzeichniß" als „ganz ungangbare[r] Posten" eingestuft werden. 80 Die Abtei wurde nämlich 1525 während des Bauernkrieges von kurpfälzischen Truppen aus der Oberpfalz besetzt, 1548 zur Landsässigkeit herabgedrückt und 1571 säkularisiert. 1623/28 kam das Stiftsland mit der Oberpfalz zu Bayern, blieb der bayerischen Landeshoheit unterstellt und dies auch nach der Wiederbegründung des Klosters 1661/69. Deshalb zahlte Bayern auch keinen Kammerzieler. 81 Ähnliche Fälle gab es auch im Schwäbischen Kreis. Dort häuften sich etwa die Rückstände der ,,Fugger-Raimundische[n] Hauptlinie wegen der Grafschaft Kirchberg" mit 10.308 Rtler, die ebenfalls als ganz ungangbare[r] Posten" eingestuft werden, ebenso die 25.495 Rtler 14 3/4 Kr. der „Stadt Costnitz". Dies war ein anderer Name für Konstanz, das schon 1548 seine Reichsstandschaft verloren hatte und seither vorderösterreichische Landstadt war. 82 Angesichts dieser zweifelhaften, imaginären Rückstände von ca. 35.800 Rtler, waren die 93.786 Rtler Gesamtschulden des Schwäbischen Kreises für mehr als 130 Jahre recht gering, wenn man in Betracht zieht, daß dessen 104 im Verzeichnis aufgeführten Kreisstände allein im Jahre 1785 24.869 Rtler 22 1/2 Kr. an Kammerzielern zahlten.83 Erstaunlich geringe Schulden hatte der Oberrheinische Kreis. Bei Zahlungen von 11.585 Rtler vom 1. Januar bis 31. Dezember 1785 betrugen die Rückstände der 60 Kreismitglieder für mehr als 130 Jahre ganze 30.353 Rtler 66 1/12 Kr. Den größten Posten machten dabei die umstrittenen Beiträge der Kurpfalz „wegen Simmern und wegen seines Antheils an der Vordem Grafschaft Sponheim" mit 15.033 Rtler 31 5/6 Kr. aus. Besonders vorbildlich, da ohne jeglichen Rückständ, zeigten sich hier die „Probstey Weisenburg", das Hochstift Basel, die gefürstete Propstei Prüm, aber auch weltliche Fürsten wie 79
HHStAW: MEA, RTA Fasz. 649: „Zehntes Verzeichnis" 1785, S. 3-5. Idem, S. 1, 6f. 81 Vgl. Kap. III.3.1.10. 82 Zu „Constanz oder Costnitz", siehe Anton Friedrich Büsching, Erdbeschreibung 7, Hamburg 71790, S. 386; zur Geschichte von Konstanz vgl. Otto Feger, Kleine Geschichte der Stadt Konstanz, Konstanz 21957, S. 64ff. 83 HHStAW: MEA, RTA Fasz. 649, S. 7-13. 80
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Hessen-Darmstadt, Baden-Baden, der Fürst zu Salm oder Nassau-Usingen, Idstein und Wiesbaden, Nassau-Saarbrücken oder die Freie Reichsstadt Frankfurt. 84 Relativ klein waren auch die Schulden des Kurrheinischen Kreises: 8.195 Rtler 10 3/4 Kr. fur mehr als 130 Jahre bei Zahlung von 6.911 Rtler 51 Kr. im Jahr 1785.85 Ein ganz anderes Bild bieten damals der Westfälische und der Obersächsische Kreis, die immerhin Rückstände von 152.459 Rtler bzw. 147.142 Rtler hatten, bei jährlichen Zahlungen von 8.072 bzw. 11.315 Rtler. Besser stand es um den Niedersächsischen Reichskreis, der 1785 einen Beitrag von 11.417 Rtler leistete und nur 52.133 Rtler Schulden an das Reichskammergericht hatte.86 Wenn wir die Zahlungen und Rückstände der einzelnen Kreismitglieder im Detail untersuchen, so zeigt sich, daß die wichtigsten Schuldner des Westfälischen Kreises die vom preußischen König regierten Territorien waren, nämlich das „Herzogthum Cleve mit denen Grafschaften Mark und Ravensberg" mit 68.185 Rtler 65 3/4 Kr., das Fürstentum Minden mit 4.468 Rtler 49 1/2 Kr. und die Fürstentümer Ostfriesland mit 16.925 Rtler 83 Kr. und Moers mit 5.635 Rtler 73 Kr. sowie die Grafschaft Tecklenburg mit 4.042 Rtler 89 3/4 Kr. Wenn wir diese preußischen Rückstände zusammenzählen, so ergibt sich eine Summe von fast 99.260 Rtler, das heißt 65% der Kreisrückstände. 87 Demgegenüber hatten viele andere Kreisstände wie die Hochstifte Münster und Paderborn, ferner Nassau-Siegen, Nassau-Dietz keine Schulden an das Reichskammergericht. 88 Ähnlich war die Situation im Obersächsischen Kreis. Während dort von 23 Kreisständen 13 (Sachsen-Weimar, Sachsen-Eisenach etc.) überhaupt keine Rückstände hatten und weitere neun nur recht geringe, waren wiederum die vom preußischen König regierten Territorien Kurbrandenburg mit 80.710 Rtler, „Chur-Brandenburg wegen Pommern" mit 24.493 Rtler, „Chur-Brandenburg wegen des Fürstenthums Camin" mit 10.673 Rtler, das Stift Quedlinburg mit 11.692 Rtler, der Magdeburger Teil der Grafschaft Mansfeld mit 11.002 Rtler die Zahlungssäumigen. Das waren immerhin 138.570 84
Idem, S. 13-17. Idem, S. 18. 86 Idem, S. 26. 87 Idem, S. 19-22; Hartmann, Bedeutung der Reichskreise, S. 310f.; Heinrich Blotevogel, Studien zur territorialen Entwicklung des ehemaligen Fürstentums Minden, o.O. 1939; Georg Mestwerdt, Das clevische Land seit der Vereinigung mit BrandenburgPreußen, Bd. 1: Die Zeit bis 1740, Cleve 1909; Hermann Tümpel (Hg.), MindenRavensberg unter der Herrschaft der Hohenzollern, Bielefeld/Leipzig 1909; Günther Möhlmann (Hg.), Ostfriesland. Weites Land an der Nordseeküste, Essen 31975 (Deutsche Landschaft, 10); Ludwig Henrichs, Geschichte der Grafschaft Moers bis zum Jahre 1625, Hüls-Crefeld 1914; Bernhard Gertzen, Die alte Grafschaft Tecklenburg bis zum Jahre 1400, Gütersloh 1939. 88 HHStAW: MEA, RTA Fasz. 649, S. 18-22. 85
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Rtler oder 94,17% der Kreisschulden an das Reichskammergericht von insgesamt 147.142 Rtler. 89 Aber auch im Niedersächsischen Kreis erwiesen sich die von Berlin regierten Territorien als die großen Schuldner, nämlich „ChurBrandenburg wegen des Herzogthums Magdeburg" mit 29.631 Rtler und das Fürstentum Halberstadt mit 16.286 Rtler. Das waren allein 45.917 Rtler oder 88% von 52.133 Rtler Rückständen des ganzen Kreises. Erstaunlicherweise hatten in diesem norddeutschen Reichskreis 16 von 24 bzw. 23 Ständen überhaupt keine Schulden, weder Kurhannover für die Kernlande, noch die Mecklenburger Herzogtümer, noch Holstein und die Reichsstädte Lübeck, Bremen und Hamburg. 90 Addiert man die Rückstände der brandenburgisch-preußischen Territorien, so ergeben sich 283.747 Rtler. Das waren immerhin fast 52,2% aller Schulden der Reichsstände an das Reichskammergericht von 543.825 Rtler. Berücksichtigt man noch, daß es sich bei mindestens 65.000 Rtler Schulden verschiedener aufgeführter Stände um theoretische, nicht mehr berechtigte Rückstandsforderungen handelt, so hatten die Reichsstände - abgesehen von den Territorien der brandenburgisch-preußischen Monarchie - nur Rückstände von 195.078 Rtler in einem Zeitraum von über 130 Jahren. Da diese Reichsstände allein 1785 mit 101.764 Rtler mehr als die Hälfte der Summe zahlten, ist sie doch als recht klein zu bezeichnen. Das heißt, abgesehen von den brandenburg-preußischen Territorien, beglichen in der zweiten Hälfte des 17. und im 18 Jahrhundert die Reichsstände erstaunlich gewissenhaft und loyal ihre Kammerzieler. 91 Noch überraschender ist jedoch der historische Befund, wenn man die Verzeichnisse der Reichskammergerichtspfennigmeister für die weiteren 15 Jahre bis Ende des 18. Jahrhunderts analysiert; denn nach der Aufstellung des „Kaiserl. Reichs Kammergerichts Pfennigmeisters" W. v. Hötzendorff vom 31. Dezember 1795 waren die Zahlungsrückstände nach zehn Jahren von 543.825 Rtler Ende 1785 auf 283.605 Rtler geschrumpft, bei Leistungen 1795 von 83.570 Rtler. 92 Da ein Jahr später nur 78.516 Rtler insgesamt gezahlt wurden, stiegen die Schulden an das Gericht leicht auf 307.742 Rtler. 93 1797 ent89
Idem, S. 23f.; vgl. Hartmann, Bedeutung der Reichskreise, S. 31 lf.; zu Brandenburg-Preußen mit seinen Nebenländern siehe Hans-Joachim Schoeps, Preußen. Geschichte eines Staates, Berlin 1966; Ludwig Tümpel, Die Entstehung des brandenburgisch-preußischen Einheitsstaates im Zeitalter des Absolutismus (1609-1806), Breslau 1915 (ND Aalen 1965) (Untersuchungen z. deutschen Staats- u. RG, 124); Ernst Opgenoorth, Friedrich Wilhelm. Der große Kurfürst von Brandenburg. Zweiter Teil: 16601688, Göttingen u.a. 1978, S. 228; Johannes Schultze, Die Mark Brandenburg, Bd. 5: Von 1648 bis zu ihrer Auflösung und dem Ende ihrer Institutionen, Berlin 1969, S. 12. 90 HHStAW: MEA, RTA Fasz. 649, S. 24f. 91 HHStAW: MEA, RTA Fasz. 649: „Zehntes Verzeichniß". 92 HHStAW: MEA, RTA Fasz. 685: Verzeichnis von 1795, S. 26. 93 HHStAW: MEA, RTA Fasz. 685: Verzeichnis von 1796.
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richteten die Stände noch 76.117 Rtler, während der Gesamtrückstand 337.157 Rtler betrug. Wo lag nun der Grund für diese gegenüber 1785 erstaunliche Reduzierung der Zahlungsrückstände? Wenn wir im einzelnen das „Zwey und Zwanzigste^] Verzeichniß" aus dem Jahre 1797 untersuchen, so zeigt sich, daß nach 1785 die brandenburgischpreußischen Territorien alle ihre Rückstände aus über 140 Jahren beglichen haben, also in den letzten Jahren des Reiches das vorher vom preußischen König vernachlässigte Reichskammergericht finanziell voll und ganz mit großer Loyalität unterstützt haben.94 Schon Ende 1797 hatten diese Territorien keine Rückstände mehr. Dadurch hatte der Obersächsische Kreis im Nordosten des Reiches mit nur 6.145 Rtler unter allen zehn Kreisen die geringsten Zahlungsrückstände an das Reichskammergericht. Ausgerechnet der ansonsten am besten funktionierende Schwäbische Kreis wies 1797 mit 113.902 Rtler die höchsten Schulden auf. Daß nun insgesamt von allen Reichsständen weniger Zieler pro Jahr gezahlt wurden, lag an den Besetzungen westlicher Territorien durch französische Truppen und an den Kriegseinwirkungen. 95 Dieser frappierende Befund, der die bisherige Forschungsmeinung korrigiert, zeigt, daß selbst in den letzten Jahren des Heiligen Römischen Reiches, kurz vor den Eroberungszügen Napoleons die Loyalität und die Solidarität der Reichsstände den Reichsinstitutionen gegenüber sehr groß war. Das gilt dem Reichskammergericht gegenüber auch für Brandenburg-Preußen unter König Friedrich Wilhelm II. (1786-1797).96 Dieser preußische König zeigte nämlich, wie Karl Otmar v. Aretin betont, „ein starkes Interesse für die Reichspolitik" und stand zumindest bis 1788 einer Verbesserung der Reichsjustiz positiv gegenüber. Diese funktionierte offensichtlich noch kurz vor dem Ende des Heiligen Römischen Reiches recht gut. Dabei spielte nach wie vor die Einteilung des Reiches und die Gruppierung und Zusammenfassung der Reichsstände in Kreise eine Rolle.
94
HHStAW: MEA, RTA Fasz. 685: Verzeichniß, was des Heiligen Römischen Reichs Churfürsten, Fürsten und Stände an des Kaiserlichen und Reichs KammerGerichts Unterhaltung . von 1. Jan. 1797 bis zum 31. Dee. d. a. bezahlet haben"; vgl. Hartmann, Bedeutung der Reichskreise, S. 314ff. 95 HHStAW: MEA, RTA Fasz. 671: „Sechzehndes Verzeichniß". 96 Zu Friedrich Wilhelm II. siehe Wilhelm Moritz Freiherr von Bissing, Friedrich Wilhelm II. König von Preußen, Berlin 1967; Karl Otmar Freiherr von Aretin, Vom Deutschen Reich zum Deutschen Bund, Göttingen 1980 (Deutsche Geschichte, 7), S. 47ff.
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II. Die Reichskreise
1.3.1.2. Römermonate Noch bedeutender war die Funktion der Kreise bei der Erhebung der Römermonate, einer jeweils nach Bedarf vom Reichstag bewilligten Steuer, die in erster Linie zur Finanzierung des Reichsheeres diente. Basis für den Steuersatz war auch hier die Wormser Reichsmatrikel, die das zu zahlende Simplum bzw. die Umrechnung der zu stellenden Soldaten oder Reiter in entsprechende Beiträge festlegte. Durch verschiedene Moderationen wurden diese allerdings im Laufe der Jahrhunderte da und dort abgeändert und vermindert. Während von 1576 bis 1587 ein Römermonat 61.050 fl. erbrachte 97 und von 1576 bis 1606 im Durchschnitt 57.338 fl. 9 8 , betrug im 18. Jahrhundert die Grundsumme (das Simplum aller Reichsstände) 58.280 fl. 30 Kr. Diese Grundsumme wurde dann vom Reichstag 30, 40, 50, 60, selten 100 oder gar 250fach bewilligt. Dann sprach man von 30, 40, 50, 60 etc. Römermonaten. 99 Gerade neuere Forschungen zeigen, daß die in Kreisen zusammengefaßten Reichsstände gewaltige Summen für die Verteidigung des Reiches, das heißt die Türkenabwehr und andere Reichskriege aufgebracht haben. Während die Reichssteuern im 16. Jahrhundert zunächst noch relativ gering waren und oft nur einen, vier, sechs, zwölf, 16 oder höchstens 24 Römermonate ausmachten, steigerten sich diese Zahlungen ab 1576 gewaltig. Dabei ist natürlich zu beachten, daß die bewilligten Mittel längst nicht alle auch wirklich gezahlt wurden. 100 W. Schulze zeigt, daß 1576 bis 1606 unter Kaiser Rudolf II. insgesamt 18.692.210 fl. an Türkensteuern von den Reichsständen aufgebracht wurden. 101 In den 90er Jahren des 16. Jahrhunderts leisteten die Kreise noch zusätzliche Türkenhilfen von 7 bis 8 Millionen fl. 102 Wichtig für die weitere Entwicklung im 17. und 18. Jahrhundert ist es, daß ab 1576 wesentlich höhere Steuersätze als vorher bewilligt wurden, nämlich 1576: 60, 1582: 40, 1594: 80, 1597/98: 60, 1603: 86 Römermonate. 103 Extrem hoch waren mit 250 Römermonaten die Steuerbewilligungen im Spanischen Erbfolgekrieg (1701-1714). Laut Berhard Sicken zahlte allein der Fränkische Kreis in den letzten Jahren des Krieges jährlich 800.000 - 1.000.000 fl., eine beträchtliche Summe.104 Sogar unter dem schwachen Wittelsbacher Kaiser Karl VII. bewilligte der Reichstag 1742 50 Römermonate, um dem in finanziellen Nöten stehenden Reichsoberhaupt ohne 97
Lanzinner, Friedenssicherung und politische Einheit, S. 469. Schulze, Erträge der Reichssteuem. 99 StAWü: Reichssachen, Nr. 948, 949; Standbuch Nr. 899, 900; Bay. HStA: K. schw. 300, 7023, 7024, 7025. 100 Lanzinner, Friedenssicherung und politische Einheit, S. 464-469. 101 Schulze, Erträge der Reichssteuern, S. 181. 102 Schulze, Reich und Türkengefahr, S. 361. 103 Lanzinner, Friedenssicherung und politische Einheit, S. 472f. 104 Sicken , Wehrwesen 1, S. 127; ders., Der Fränkische Reichskreis, S. 283ff. 98
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Land „von dem gesamten Reich eine austrägliche Hülffe" zu gewähren. Obwohl der Kaiser absolut keinen Druck ausüben und nur an die Solidarität der Reichsstände appellieren konnte, ging doch ein großer Teil des Geldes ein. 105 Wurde nicht gezahlt, so erhielten die säumigen Reichsstände Mahnungen von der kaiserlichen Reichshofkanzlei. 106 Aber auch noch in den 90er Jahren des 18. Jahrhunderts, während des Ersten und Zweiten Koalitionskrieges gegen das revolutionäre Frankreich, bewilligten die Reichsstände hohe Summen für das Reichsheer. Bis zum Jahr 1799 waren dies 30, 50, nochmals 50, dann 100 und schließlich weitere 100 Römermonate, das heißt von 1793 an zusammen 330 Römermonate. 107 Nimmt man das 1742 zugrunde gelegte Simplum von 58.280 fl., so wären das 19.232.400 fl. gewesen. In all den Jahrhunderten ging jedoch immer nur ein Teil der bewilligten Summen wirklich ein. Wenn 1548 bis 1576 die Türkensteuern im allgemeinen nur 70 bis 75 % „der fiskalischen, das heißt der von den Pfennigmeistern und vom Reichsfiskal verwendeten Matrikel" erbrachten 108, so konnte es in den 90er Jahren des 18. Jahrhunderts nur ein wesentlich geringerer Prozentsatz sein; denn wegen der Kriegseinwirkungen und französischen Besetzungen von Territorien fielen zahlreiche Reichsstände für die Entrichtung dieser Reichssteuern von vorne herein aus. Trotzdem ist es interessant, die damaligen Zahlungen einmal genau zu analysieren. Erfreulicherweise befinden sich verstreut bei den Reichstagsakten des Haus- Hof- und Staatsarchivs in Wien mehr als 60 Auszüge „aus dem Reichs-Operations-Kassabuche" über die „von den höchst- und hohen Reichsständefn] [...] eingegangene[n] [...] Gelder*', die eine solche Analyse ermöglichen. 109 Da die ab April 1793 gezahlten Gelder in all diesen Auszügen des „ReichsOperations-Kassabuches" fortgeschrieben wurden, genügt es hier, ein paar solcher „Extracte" genauer zu betrachten. Leider werden in diesen Quellen nur die wirklichen Eingänge, aber nicht die Rückstände und Schulden der Reichsstände aufgeführt. Immerhin waren schon nach zwei Monaten Ende 1793 Zahlungsraten von 337.782 fl. eingegangen. Im Juni des gleichen Jahres kamen weitere 223.756 fl. hinzu, und zwar u. a. 25.500 fl. vom Hochstift Würzburg, 170 fl. von der kleinen Reichsstadt Bopfingen, 4.040 fl. vom „Herzoglichen Haus 105
Bay. HStA: K. schw. 7027: „Billanz von einstehende 6 Tabellen".; vgl. Hartmann, Der Reichstag in Frankfurt, S. 162ff.; ders., Karl Albrecht - Karl VII. Glücklicher Kurfürst - Unglücklicher Kaiser, Regensburg 1985, S. 258ff. 106 Z.B.: HKAW: Reichsgedenkbuch Nr. 497, 498 passim. 107 HHStAW: MEA, RTA Fasz. 691: Neun und fünfzigster Extract aus dem ReichsOperations-Kassabuche", 8.1.1800. 108 Lanzinner, Friedenssicherung und politische Einheit, S. 469. 109 HHStAW: MEA, RTA versch. Fasz.
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II. Die Reichskreise
Sachsen-Gotha", 1.760 fl. vom Hochstift Passau, 4.320 fl. von der Reichsstadt Hamburg, 60.000 fl. von Kursachsen, 16.133 fl. vom Erzstift Trier und 14.000 fl. vom Herzogtum Württemberg. Es waren hier also Stände des Fränkischen, Schwäbischen, Bayerischen, Kurrheinischen, Ober- und Niedersächsischen Kreises vertreten. 110 Zu der Ende Juni 1793 auf 561.538 fl. angewachsenen Summe, kamen im Juli weitere 183.181 fl. hinzu. Einzahler waren Stände aus den drei süddeutschen Kreisen (u.a. die Hochstifte Bamberg, Freising und Passau, Kurbayern und das Reichsstift Kempten), aus dem Oberrheinischen (Nassau), dem Niederrheinisch-Westfalischen (Hochstift Münster, Schaumburg-Lippe), dem Niedersächsischen (Mecklenburg-Strelitz, MecklenburgSchwerin, die Reichsstädte Bremen, Lübeck und Nordhausen) und dem Obersächsischen (Kursachsen, Schwedisch Pommern). 111 Wenn auch ab August 1793 die Gelder langsamer zu fließen begannen und sich die Kriegseinwirkungen bemerkbar machten 112 , so trugen Stände aus all den acht Reichskreisen, die nicht von den Habsburgern beherrscht wurden (also außer Burgund und Österreich), zur Finanzierung des Reichsheeres bei. Besonders große Summen zahlte Pfalz-Bayern im September 1793 wegen Kurbayern samt Nebenländern im Bayerischen Kreis, aber auch wegen Kurpfalz im Kurrheinischen und Pfalz-Simmern, Lautern im Oberrheinischen und wegen Jülich und Berg im Niederrheinisch-Westfalischen Kreis. Karl Theodor ließ Sorbit im September für seine diversen Territorien Römermonatsbeiträge von zusammen 68.803 fl. anweisen.113 Waren 1793 noch die westlichen Kreise an den Zahlungen beteiligt, so fielen sie wegen der Kriegseinwirkungen in den folgenden Jahren zunehmend aus. Das zeigt sich, wenn man die Auszüge aus späteren Jahren analysiert. Nehmen wir zunächst den ,,Dreyßigste[n] Extract" vom 23. Oktober 1795 unter die Lupe, so findet man, daß „vom April 1793 bis ult. Aug[ust] 1795 auf die vom Reiche verwilligte[n] resp. 30, 50 und 50 R.M." 3.003.210. fl. bezahlt worden sind. 114 Mit dem oben zitierten Simplum von 58.280 fl. als Basis, hätten theoretisch 7.576.400 fl. in die Reichskasse fließen müssen. Die wirklichen Zahlungen machten also in diesen Kriegszeiten 39,6 % aus. Trotz der hohen Bewilligungen gingen bis letzten April 1800 nur etwa weitere 3.340.000 fl. ein; zusammen von Anfang April 1793 bis Ende April 1800 somit in sieben Jahren 110
HHStAW: MEA, RTA Fasz. 672: „Dritter Extract", 29.7.1793. HHStAW: MEA, RTA Fasz. 672: „Vierter Extract", 19.8.1793. 112 Siehe z.B. HHStAW: MEA, RTA Fasz. 672: „Summarische Vorlegung der dem Fürsten zu Nassau-Weilburg ... von den Franzosen zugefugten Vergewaltigungen und Schäden". 113 HHStAW: MEA, RTA Fasz. 672: „Fünfter Extract", 16.9.1793; „Sechster Extract", 22.10.1793; „Siebenter Extract", 15.11.1793. 114 HHStAW: MEA, RTA Fasz. 678. 111
1. Im Rahmen der allgemeinen Entwicklung der Reichserfassung
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6.344.770 fl. 115 Das waren zwar nur 33 % der bewilligten 19.232.400 fl., aber angesichts der Tatsache, daß die beiden Großmächte, Österreich-Böhmen und die preußische Monarchie, die ja selbst auf eigene Kosten den größten Teil der militärischen Lasten trugen bzw. getragen hatten und angesichts der durch die Kriegseinwirkungen bedingten Zahlungsunfähigkeit vieler Reichsstände im westlichen Deutschland sind diese Zahlungen in den letzten Jahren des Reiches beachtlich.116 Betrachten wir als Beispiel den ,,Dreyßigste[n] Extract" vom 23.10.1795, in dem detailliert die Zahlungen vom 31. August bis 30. September 1795 aufgeführt werden, so gewinnt man ein gutes Bild von der Loyalität der verschiedensten größeren, kleineren und winzigen Reichsstände. Abgesehen von denen der westlichen Reichskreise Oberrhein, Westfalen, Kurrhein, die inzwischen weitgehend ausfielen und abgesehen von den brandenburgisch-preußischen und habsburgischen Territorien sind hier fast alle Stände aus den drei süddeutschen Kreisen Schwaben, Bayern und Franken, aber auch verschiedene Reichsstände aus den beiden norddeutschen Reichskreisen Nieder- und Obersachsen vetreten. So gaben z.B. der Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel für sein Herzogtum und zwei Nebenländer am 2.9.1795 für die zwei ersten Zahlungstermine der zweiten 50 Römermonate 25.000 fl. und die Reichsstadt Hamburg 9.000 fl., oder am 5.9. die Herzöge von Sachsen-Weimar 2.279 fl. bzw. von SachsenMeiningen 1.845 fl. oder der Herzog von Sachsen-Gotha 8.080 fl. Selbst die beiden Kurstaaten dieser Kreise leisteten ihren Beitrag: am 24.9. „ChurBraunschweig-Lüneburg" (Kurhannover) im Niedersächsischen Kreis mit 43.105 fl. und „Chur-Sachsen" im Obersächsischen Kreis mit 50.000 fl. Im ganzen gingen im September 1795 etwa 210.830 fl. ein. 117 Auch in den folgenden Monaten ergibt sich ein ähnliches Bild. Neben den geistlichen Reichsständen, den kleinen und ganz kleinen Ständen trugen mittlere und größere Territorien aus den erwähnten Kreisen zur Finanzierung des Reichsheeres bei, wie Braunschweig-Wolfenbüttel (13.10.: 12.500 fl.), Kursachsen (27.10.: 50.000 fl.), Pfalz-Bayern mit Nebenländern (17.11.: 98.700 und 46.933 fl.), Kurhannover (20.11.: 43.105 fl.). 118 In den späteren Jahren wurden die zahlenden Reichsstände jedoch immer weniger. So tauchen im „Neun und fünfzigste[n] Extract aus dem Reichs-Operations-Kassabuche" vom 8. Januar 1800 und den folgenden letzten Auszügen fast nur noch Stände aus den zwei süddeutschen Reichskreisen Schwaben und Bayern, wesentlich weni115 HHStAW: MEA, RTA Fasz. 691: „Drey und sechzigster Extract aus dem ReichsOperations-Kassabuche". 116 Vgl. Hartmann , Bedeutung der Reichskreise, S. 315ff. 1,7 HHStAW: MEA, RTA Fasz. 678: „Dreyßigster Extract". 118 HHStAW: MEA, RTA Fasz. 678: „Ein und dreyßigster Extract", 14.11.1795; und „Zwey und dreyßigster Extract", 17.11.1795.
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II. Die Reichskreise
ger aus Franken auf. Hier und da ist auch noch als Ausnahme ein Reichsstand anderer Kreise verzeichnet, so das Hochstift Fulda vom Oberrheinischen Kreis, das am 14. Dezember 1799 „die ganze Matrikular-Quote an der neuen Umlage" mit 25.200 fl. oder Schwedisch Vorpommern aus dem Obersächsischen Kreis, das für „den neu verwilligten 100 Römer-Monaten" 21.996 fl. zahlte. Als besonders eifrig und gewissenhaft erwiesen sich damals kurz vor der Säkularisation und Mediatisierung die geistlichen Territorien, aber auch die Reichsstädte. Das Erzstift Salzburg lieferte z.B. noch am 1. Dezember 1799 „die ganze Quote an der neuen Umlage" mit 60.933 fl. oder das Hochstift Konstanz im Dezember des gleichen Jahres 3.894 fl., das „Deutsch-Ordens-Meisterthum zu Mergentheim" 3.333 fl. und das Hochstift Würzburg am 21. Februar 1800 genau 20.000 fl. Neben den vielen geistlichen Territorien der süddeutschen Kreise und einem Teil der Reichsstädte und kleineren Fürsten und Reichsgrafen dieses Raums taucht damals nur noch ein großer Reichsstand als Zahler auf: Kurbayern. In den zwei letzten erhaltenen Verzeichnissen der Reichsoperationskasse sind noch Leistungen von „Kur-Pfalzbaiern" von weiteren 97.155 fl. am 24. April 1800 verzeichnet. 119 Wenig später überrollten die militärischen Ereignisse auch die drei süddeutschen Kreise Schwaben, Bayern und Franken. Die Waffenstillstandslinie, die zwischen der österreichischen und französischen Armee durch die Konvention von Parsdorf am 15. Juli 1800 geschlossen wurde, verlief so, daß außer dem größten Teil des Oberrheinischen Kreises, der ganze Schwäbische, der größte Teil des Bayerischen und ein beträchtlicher Teil des Fränkischen Kreises auf die von Frankreich besetzte Seite fielen. 120 Anstelle der Anweisung von Beiträgen an das Reich, legte General Moreau z.B. für Schwaben die Zahlung einer Kontribution von 6 Millionen Livres fest, die von den Kreisständen „mit Ausnahme von Würtenberg und Baaden, nach der bestehenden Matrikel" bezahlt werden mußten. Der französische General bediente sich also der Kreisverfassung, um all die kleinen und kleinsten geistlichen und weltlichen Territorien und die Reichsstädte noch kräftig zu schröpfen, bevor wenige Jahre später durch Mediatisierung und Säkularisierung ihre Staatlichkeit beendet wurde. Im einzelnen mußten z. B. die Hochstifte Konstanz und Augsburg 65.189 bzw. 285.994 Livres zahlen, die gefürstete Äbtissin von Lindau 6.084 Livres, Öttingen-Wallerstein 104.303 Livres, der Prälat von Ochsenhausen 86.919 Livres, der von Roggenburg 42.589 Livres, die Reichsstädte Eßlingen 95.611 Livres,
119
HHStAW: MEA, RTA Fasz. 691: „Neun und fünfzigster Extract"; „Sechzigster Extract"; „Ein und Sechzigster Extract", 7. März 1800; „Zwey und sechzigster Exract", 5. April 1800 und „Drey und sechzigster Extract", 5. Mai 1800. 120 HHStAW: MEA, RTA Fasz. 692: „Deutliche Vorstellung der WaffenstillstandsLinie" [Karte].
1. Im Rahmen der allgemeinen Entwicklung der Reichserfassung
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Nördlingen 86.919 Livres, Heilbronn 90.396 Livres, Ulm 321.600 Livres, die Herrschaft Türkheim 17.384 Livres usf. 121
1.3.2. Aufstellung der Kreiskontingente als Teil des Reichsheeres Auch die Aufstellung des Reichsheeres wurde durch die Kreise vorgenommen, die entsprechende Kreiskontingente bildeten. Angesichts der großen Zahl kleiner und größerer Reichsstände bildeten die Kreise die einzigen Institutionen, welche die bunt zusammengewürfelten Soldaten des Reichsheeres effizient zusammenstellen, koordinieren, ausrüsten und befehligen konnten. 122 Johann Jacob Moser bemerkte noch 1773 dazu: „Ins besondere aber kan in KriegsZeiten durch die Crayse in denen Gegenden, wo äusserliche Gewalt dem Reich drohet, der erste Anfall viel besser aufgehalten werden, als wann kein so speciales Band zwischen denen Ständen eines gewissen Bezircks wäre; dann die, so das Gegentheil glauben, träumen, und haben weder die Teutsche Historie vor Errichtung der Crayse inne, noch sehen sie das, was täglich in Teutschland vorgehet, so an, wie es ist." 123 Die Grundlage für die Stellung von Fußsoldaten und Reitern für das jeweilige Kreiskontingent des Reichsheeres bildete die Wormser Reichsmatrikel von 1521. Demnach sollte der Fränkische Kreis 566 Reiter und 2.832 Fußsoldaten stellen, im einzelnen z. B. die Fürstbischöfe von Bamberg, Würzburg und Eichstätt 404 bzw. 416 bzw. 264 Soldaten und 72 bzw. 90 bzw. 60 Reiter, der Propst zu Camberg 2 Reiter und 6 Soldaten, der Markgraf zu Brandenburg als Burggraf zu Nürnberg 416 Soldaten und 90 Reiter, der Herr „zu Schwarzenberg" 2 Reiter und 6 Fußsoldaten, die Reichsstadt Nürnberg 80 Reiter und 500 Soldaten oder die Reichsstadt Weißenburg 8 Reiter und 36 Fußsoldaten. Der Bayerische Kreis sollte 507 Reiter und 2519 Mann zu Fuß beitragen, der Österreichische 420 Reiter und 2082 Soldaten, der Schwäbische 906 Reiter und 5.235 Mann, der Oberrheinische 1460 Reiter und 7.874 Mann, der Kurrheinische 518 Reiter und 2.409 Soldaten, der „Niderlendisch undt Westphalisch Krays" 1.040 Reiter und 5.476 Mann zu Fuß, der Obersächsische 478 Reiter und 3.223 Soldaten, der Niedersächsische Kreis 936 Berittene und 4.408 zu Fuß und schließlich der Burgundische Kreis 334 Reiter und 1684 Mann. Im ganzen war dies ein Heer von 7.315 Reitern und 38.722 Infanteristen. 124
121
HHStAW: MEA, RTA Fasz. 692: „Schreiben aus Schwaben v. 4ten Aug[ust]
1800." 122
Η; Conrad {Hg.), Recht und Verfassung, S. 521 \ Hofmann, Reichskreis, S. 393. JJ. Moser, Crays-Verfassung, S. 31. 124 StAWü: Reichssachen Nr. 948: „Reichs Anschlag A° 1521 zu Wormbs gemacht"; Standbuch Nr. 899: „Hernach volgen die Zehen Krays". 123
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II. Die Reichskreise
Dieser Reichsanschlag wurde im Laufe der Zeit immer wieder verändert, weil man ein größeres Heer benötigte, aber auch da Reichsstände ausschieden, andere um Ermäßigung baten etc. So kam es zu Umverteilungen, Erhöhungen der Kontingente, aber auch zu Verminderungen. Der Anschlag von 1542 war um etliches höher als der von 1521. So forderte er von Franken 722 1/2 Roß und 3.601 Mann, von Bayern jetzt 635 Reiter und 3.155 Soldaten, vom Österreichischen Kreis 525 Reiter und 2.602 1/2 Mann zu Fuß. Eine starke Erhöhung des Kontingents gab es auch beim Schwäbischen Kreis mit seinen vielen kleineren Reichsständen: 1.145 Reiter und 7.962 1/2 Soldaten. Das gleiche gilt für den Oberrheinischen Kreis mit 1.837 1/2 Reitern und 9.880 Soldaten und sogar den Kurrheinischen Kreis mit nunmehr 647 1/2 Berittenen und 920 Fußsoldaten. Der Niederrheinisch-Westfälische Kreis sollte 1.300 Reiter und 6.817 1/2 Soldaten stellen, der Obersächsische 785 Reiter und 4.037 1/2 Soldaten, der Niedersächsische 1.027 1/2 Berittene und 4.905 Infanteristen und der Burgundische 417 1/2 bzw. 2.105 Bei den Berittenen kam hier die Zahl von 9.042 1/2 zustande. Davon waren laut Quelle die 525 Reiter des Österreichischen Kreises abzuziehen, so daß 8.516 1/2 Reiter blieben. Dazu kamen 48.078 1/2 Infanteristen, davon abgezogen die 2.602 1/2 des Österreichischen Kreises, machten somit 45.476 Soldaten.125 1557 wurden dann vielen Reichsständen Ermäßigungen ihres Beitrages gewährt. 126 Bei diesem Stand blieb es dann auch 1594, wobei ein Reiter mit 12 fl. und ein Fußsoldat mit 4 fl. verrechnet wurde. Demnach mußten etwa die Kurfürsten von Mainz, Köln und der Pfalz je 60 Reiter, 277 Soldaten oder 1.828 fl. stellen, im Fränkischen Kreis etwa der Graf zu Castell einen Reiter, drei Soldaten oder 24 fl., die Reichstadt Nürnberg 40 Reiter, 250 Soldaten oder 1.480 fl. Es handelte sich jedoch um das Simplum. Dieses betrug demnach 1.983 Reiter, 26.836 Fußsoldaten oder 85.438 fl. 127 Diese Richtzahlen wurden selbstverständlich in der Praxis nicht voll eingehalten. Das lag teilweise auch daran, daß Stände wie die Herzöge von Savoyen oder Lothringen, die nur noch sehr locker zum Reich gehörten, hier mit aufgeführt wurden. Bei der Durchsicht der Matrikel von 1594 fällt ferner auf, daß die geistlichen Territorien im Verhältnis zu ihrer Größe wesentlich höher belastet wurden als die weltlichen und die kleinen und kleinsten Reichsstände proportional viel mehr als die großen. Dadurch gerieten vor allem die kleineren geistlichen Territorien oft in Zahlungsschwierigkeiten. 128 Moser teilte die Entwicklung der „Crays-Militär-Verfassung" in vier Perioden ein. Im ersten Zeitabschnitt, der bis 1555 dauerte, war man letztlich zu125
StAWü: Standbuch Nr.899: „Anschlag" 1542. StAWü: Reichssachen Nr. 949: „Des Heiligen Römischen Reichs Anschlag". 127 StAWü: Standbuch Nr. 900: „Matricull der Reichs Anlag A° 1594". 128 Idem; vgl. dazu auch Lanzinner, Friedenssicherung und politische Einheit, S. 177f., 355. 126
1. Im Rahmen der allgemeinen Entwicklung der Reichs Verfassung
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frieden, „wann nur ein jeder Stand im Fall der Noth so vile Mann zu Roß oder Fuß, als es ihm nach der Matricul betraff, schickte". Die Reichsexekutionsordnung von 1555 leitete die zweite Periode ein. Hier wurde beschlossen, „daß ein jeder Crays in Ansehung der Artillerie und Zugehör in einer beständigen Verfassung stehen solle". 129 Außerdem wurde festgelegt, daß jeder Kreisstand „sein Anzahl zu Roß und Fuß, dem angesetzten Anschlag nach" auf Forderung des jeweiligen Kreisobristen „unweigerlich und unsäumlich" zu stellen hatte. Darüber hinaus war er zu Leistungen nur verpflichtet, wenn ein Beschluß des Reichstages vorlag. Ein stehendes Kreisheer zu Friedenszeiten war hier nicht vorgesehen. 1654 begann mit dem Reichstag von Regensburg die dritte Zeitspanne. Dort sahen die drei Kollegien ein, „daß es nun nicht mehr angienge, im Fall der Noth bloß eine gewisse Anzahl Bürger und Bauern dem Feind entgegen zu stellen, sonders daß eine regulierte und exercierte Mannschaft erfordert würde." Deshalb beschloß man, jeder Kreis müsse so viele Truppen unterhalten, „als dessen Matricular-Simplum beträget". Allerdings blieben diese Soldaten nicht als Kreistruppe zusammen, sondern standen in den einzelnen Territorien. Ende des 17. Jahrhunderts beschloß man dann in einer vierten Periode, „auch in Friedenszeiten beständig eine gewisse Anzahl regulierter Trouppen, mit aller Zugehör, würcklich auf den Beinen zu halten." In der Praxis funktionierte das einigermaßen bei den assoziierten Kreisen (Franken, Schwaben, Oberrhein, Kurrhein, Österreich), im Bayerischen und Westfälischen nur bedingt. „ I n Ober- und Nider-Sachsen", so betonte Moser, „ist die ganze CraysVerfassung, mithin auch das Militare, völlig zerrüttet." 130 Angesichts der Reunionen Ludwigs X I V . und des 1684 fälligen Endes des 20jährigen Waffenstillstandes mit den Türken betrieb vor allem der Kaiser besonders ab 1679 die Schaffung einer allgemeinen Reichsverteidigungsorganisation mit einer Reichskriegskasse und warb fur dieses Projekt einer Reichskriegsverfassung emsig auf dem Regensburger Reichstag, während der dortige französische Gesandte Veijus dagegen agierte. Man sah die Aufstellung eines stehenden Reichsheeres von 60.000 Mann vor. Schließlich wurde entgegen den ursprünglichen Zielen Leopolds I. der Reichstag mit der Ausarbeitung der Reichskriegsverfassung betraut. Wie damals üblich waren dann die Reichskreise für die Umsetzung in die Tat zuständig. 131 Diese legten fest, wie die Kreiskontingente für die beschlossenen 40.000 Mann aufgeteilt und auf die Stände umgelegt werden sollten. 132 In den 90er Jahren des 18. Jahrhunderts, als während der Revolutionskriege das Reich in großer Gefahr stand und zahlreiche westdeutsche Territorien von 129
J.J. Moser, Crays-Verfassung, S. 447. Idem, S. 448f. 131 Vgl. Heinz Angermeier, Die Reichskriegsverfassung in der Politik der Jahre 16791681, in: ZRG GA 82 (1965), S. 190-222, hier S. 195ff. 132 Vgl. Kap. V.4.4. 130
5 Hartmann
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französischen Truppen besetzt wurden, geriet auch das Reichskriegswesen wieder in Bewegung. Damals gingen Flugblätter von Hand zu Hand, wie etwa ein , A u f r u f vom 14. Februar 1793, der sich bei den Mainzer Erzkanzlerakten befindet. Darin wurde zur Tat aufgerufen und geschrieben: „Das Vaterland ist in Gefahr! Umsturz drohet seiner Verfassung, seiner Religion, dem Eigenthum jeden Bürgers, dem Ruhigen im Lande." Anspielend auf die Schreckensherrschaft Robespierres schrieb der Autor weiter: „Enthüllet stehen sie nun da die bluttriefenden Grundsätze der französischen Ruhestörer, der süße name von Freyheit, von Gleichheit, decket nicht mehr den Abgrund, der sich unter unsern Füssen öffiiet [ . . . ] " . m In dieser allgemeinen Angst- und Aufbruchstimmung und unter dem Eindruck der Bedrohung war der Immerwährende Reichstag in Regensburg auch gewillt, „die Reichs-Usual-Matrikel" und die „Reichs- und KreisMannschafts Anschläge" im „Sinne des Reichsgutachtens" vom 28. März 1795 zu berichtigen, den aktuellen Einwohnerzahlen der Reichsstände anzupassen und entsprechend die Belastungen umzuverteilen und sich nach den neuen Erfordernissen zu halten. 134 Diese Reformprojekte kamen selbstverständlich zu spät. Das auf Defensive ausgerichtete Reichsheer mit seinen aus allen Territorien zusammengewürfelten Söldnern, war den durch Revolution und modernem Nationalismus motivierten offensiven französischen Massenheeren weit unterlegen.135 Damals beschloß am 1. Februar 1793 der Reichstag, für den Reichskrieg gegen den französischen Aggressor „die Reichs-Armatur in Triplo", das heißt die Aufstellung der dreifachen Zahl des laut Matrikel zu stellenden Reichskontingents durch die verschiedenen Kreise, und die Errichtung einer allgemeinen „Reichs-Operations-Kasse". Der Reichstag bat damals Kaiser Franz II., die kreisausschreibenden Fürsten unverzüglich aufzufordern, daß sie für die „wirkliche Stellung, Zusammenbringung und Vorrückung" der beschlossenen Reichsbewaffnung sorgen sollten. Es wurde vom Reichstag ferner bestimmt, daß „bey der zur vollständigen Rettung, Hülfe und Sicherheit des deutschen Reichs, und desselben so mannigfaltig bedrängter Stände nun gemeinverbindlich beschlossenen Anwendung der Reichsarmatur in Triplo" notwendig sei. 136 Die militärischen Aktionen des Schwäbischen Kreises in diesen Revolutions-
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HHStAW: MEA, RTA Fasz. 671. HHStAW: MEA, RTA Fasz. 678: „Tabellarische Darstellung". 135 Zum Reichsheer vgl. Hans Schmidt, Militärverwaltung in Deutschland vom Westfälischen Frieden bis zum 18. Jahrhundert, in: Paravicini/Werner (Hg.), Histoire comparée de Γ administration (IVe-XVIIIe siècles). Actes du XlVe colloque historique franco-allemand, München 1980 (Beih. d. Francia, 9), S. 570-580; Angermeier, Reichskriegsverfassung, S. 190-222; Aretin, Heiliges Römisches Reich, S. 103f. 136 HHStAW: MEA, RTA Fasz. 671: Reichsgutachten, „ad § 61 Diarii v. 6ten im Hornung 1793 nr: 24". 134
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jähren, 137 aber auch schon in der Zeit vom Westfälischen Frieden bis 1732 sind schon gut erforscht. 138 Auch das Wehrwesen des Fränkischen Kreises ist für die Zeit von 1681 bis 1714 genau analysiert worden. 139
1.3.3. Exekution der Reichsgerichtsurteile Wie erwähnt gehörte die Exekution von Kammergerichtsurteilen zu den frühesten Funktionen der Reichskreise. Schon die Kammergerichtsordnung von 1521 und die Exekutionsordnung des Reichsregiments von 1522 sahen dies vor. 140 1555 wurde das bestätigt und ausgebaut und 1564 das Exekutionswesen auch in der Praxis realisiert. 141 Moser beurteilte noch 1773 die Rolle der Kreise bei der Aufrechterhaltung des Landfriedens und damit verbunden deren Exekutionsgewalt recht positiv, wenn er schrieb: „Einmal ist gewiß, daß ohne diese Eintheilung der Landfriede und das Justiz-Wesen keinen Bestand gehabt haben, sondern alles wieder in die vorige Verwirrung verfallen seyn würde." 142 Ein Beispiel für eine solche Exekution war das Eingreifen des Westfälischen und Oberrheinischen Kreises und der anderen Kreise bei der Eroberung des Täuferreiches in Münster 1534/35. 143 Der spektakulärste Fall einer erfolgreich durchgeführten Reichsexekution der Kreise war jedoch die gegen Grumbach und seinen Protektor Herzog Johann Friedrich von Sachsen im Jahre 1566. 144 Ursache dieser Exekution war der als Grumbachsche Händel (1563-67) bekannte Überfall der Stadt Würzburg, den im Oktober 1563 der Reichsritter Wilhelm von Grumbach durchführte, der schon am Markgräflerkrieg teilgenommen hatte. Er wollte nach einer Fehdeansage Ansprüche gegen den Fürstbischof nach alter Art mit Gewalt durchsetzen. Schon am 13.10.1563 wurde er als Landfriedensbrecher geächtet, aber trotzdem von Herzog Johann Friedrich II. von Sachsen, in dessen Diensten er stand, gestützt. Deshalb wurde 1566 auch gegen den Herzog die Acht erklärt. 145 Der Reichstag von 1564 beschloß nun, daß der Ober- und Niedersächsische Kreis, sowie der Fränkische und Westfälische 137
Vgl. Borck, Der Schwäbische Reichskreis. Vgl. Storm , Der Schwäbische Kreis als Feldherr. 139 Sicken , Wehrwesen. 140 Vgl. Kap. II 1.3.3. 141 Vgl. Kap. II 1.2.2 und 1.2.3. 142 J.J. Moser, Crays-Verfassung, S. 31. 143 Helmut Neuhaus, Das Reich der Wiedertäufer von Münster, in: WestfZ 133 (1983), S. 9-36; Robert Stupperich, Der Münsterische Täuferkrieg im Lichte der Korrespondenzen aus dem Reichsgebiet. Zweiter Teil, in: Jb WestfKG 84 (1990), S. 54. 144 Vgl. Lanzinner, Friedenssicherung und politische Einheit, S. 51-64. 145 Siehe dazu: Friedrich Ortloff, Geschichte der Grumbachischen Händel, 4 Bde, Jena 1868-70. 138
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Kreis als Vollzugsorgane die Acht gegen Grumbach und Herzog Johann Friedrich exekutieren sollten. Federführend wurde dabei der Kreisausschreibende Fürst des Obersächsischen Kreises, Kurfürst August I. von Sachsen (15531586). Man beschloß 1566 die Aufstellung einer Reichstruppe, um die Acht gegen Gotha, wohin sich die Geächteten zurückgezogen hatten, zu vollziehen. Nach Zustimmung Kaiser Maximilians II. begann man im August sofort mit der Exekution, schaltete zunächst die Reichstruppe ein und forderte die Kreistruppen der entsprechenden vier Reichskreise an. Während die Stände des Obersächsischen Zirkels - größtenteils allerdings erst nach dringender Mahnung entsprechende Gelder, Reiter und Knechte schickten, war der Niedersächsische Kreis erst nach Abhaltung von zwei Kreisversammlungen in Lüneburg und Halberstadt im März bzw. November 1567 und nach langen Verhandlungen bereit, Truppen zu schicken, die jedoch nicht mehr zum Einsatz kamen. Aus dem Westfälischen Kreis ließ ebenfalls Hilfe lange auf sich warten, während der Fränkische Kreis seine Beistandspflicht voll und ganz erfüllte und 1.000 Reiter sowie 1.000 Schützen unter dem Befehl des Kreisobersten zur Belagerung von Gotha schickte.146 Die Expedition gegen Herzog Johann Friedrich II. und Grumbach endete mit der Kapitulation von Gotha und der Exekution. Wenn diese auch in erster Linie vom sächsischen Kurfürsten durchgeführt wurde, so war die Absicherung seiner Aktionen durch die Reichskonstitutionen wichtig. Lanzinner betont dazu mit Recht: „In bezug auf die Verfassungsordnung des Reichs war entscheidend, daß die Beteiligung der Kreise den Achtvollzug legitimierte; nur so wurde er uneingeschränkt als Friedenssicherung, nicht als Friedensstörung betrachtet." 147 Die Reichsstände übernahmen später auch, wie erwähnt, die Kostendeckung für die Exekution. 148
1.3.4. Münzwesen Eine ganz entscheidende Rolle spielten die Kreise beim Geld- und Münzwesen des Reiches. Angesichts der großen Zahl der Territorien und Reichsstädte, die im Prinzip alle das Recht der Münzprägung hatten, war es in diesem mitteleuropäischen Raum für Handel und Wirtschaft sehr wichtig, daß das Geld- und Münzwesen überterritorial koordiniert und geregelt wurde. Schon 1541 hatte der Regensburger Reichsabschied festgelegt, daß die Reichskreise bei der Ordnung des Münzwesens im Reich mithelfen sollten, nachdem bereits vorher die Reichstage von 1530 und 1532 Ähnliches beschlossen hatten. Der Reichstag von 1550/51 übertrug dann den zehn Reichskreisen die Regelung des Münzwe146
Siehe Lanzinner, Friedenssicherung und politische Einheit, S. 53-62; Dotzauer, Die deutschen Reichskreise, S. 145f., 273, 316f. 147 Lanzinner, Friedenssicherung und politische Einheit, S. 63. 148 Idem, S. 69ff.
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sens allein. Jetzt fiel den Kreisausschreibenden Fürsten die Aufgabe zu, die jeweiligen Kreisstände zu versammeln und einen Münzwardein ernennen zu lassen. Im Frühjahr 1551 versammelte sich ein eigener Reichskreistag als erster Reichsmünztag. Dort setzte man den jeweils richtigen, gültigen Wert der meisten gebräuchlichen Münzen fest und erarbeitete den Grundstock für die am 28.7.1551 von Kaiser Karl V. erlassene Reichsmünz- und Münzprobierordnung. Auch die Münzordnung von 1559 und die Ergänzungen und Verbesserungen von 1566, 1570 und 1571 sahen die Regelung des Münzwesens durch die Reichskreise vor. 149 Zu diesem Zweck fanden entsprechende Münzprobationstage statt.150 Dieses von den Kreisen geregelte Münzwesen spielte im Reich und auf den Reichstagen bis 1795 eine wichtige Rolle. 151 Besonders wichtig war für diese Fragen der Speyerer Reichstag von 1570, der die Münzordnung von 1559 bestätigte und beschloß, daß in Zukunft Scheidemünzen und kleine Münzen nur noch mit Genehmigung der Probationstage geprägt werden durften. Man versuchte die Prägung auf drei oder vier Kreismünzstätten zu konzentrieren, um dort eine bessere Kontrolle zu ermöglichen. Ferner schrieb dieser Reichstag den Kreisen vor, pro Jahr zwei Münzprobationstage abzuhalten. In der Praxis wurden diese Beschlüsse allerdings nur teilweise befolgt, zunächst am wenigsten im Schwäbischen und Westfälischen Kreis, der sich darauf berief, daß der Burgundische Kreis die Münzordnung nicht einhielt. Seit 1551 hat man immerhin versucht, den „Reichstaler" zur Leitwährung zu machen.152 Später war die Situation anders. So zählt Moser als solche Reichsmünzstätten auf: München, Salzburg und Regensburg im Bayerischen Kreis; Würzburg, Schwabach, Wertheim und Nürnberg im Fränkischen Kreis; Fulda, Darmstadt, Hanau und Frankfurt im Oberrheinischen und Stuttgart, Baden-Baden, Tettnang und Augsburg für den Schwäbischen Kreis. Da es schwierig war, die Interessen so vieler Reichsstände unter einen Hut zu bringen, wurde immer wieder über diese Fragen verhandelt und der Kaiser schickte wiederholt Mahnbriefe an verschiedene Kreisausschreibende Fürsten, man möge doch die entsprechenden Beschlüsse einhalten. So sandte er zum Beispiel am 9. Juni 1760 dem Mainzer Kurfürsten als dem Ausschreiber des Kurrheinischen Kreises oder am 16. August des gleichen Jahres an die Kreisausschreibenden Fürsten der Kreise 149
Dotzauer, Die deutschen Reichskreise, S. 18, 20. Vgl. Kap. II 2.4. 151 Siehe dazu: HHStAW: MEA, Münzsachen, Fasz. 1-29; vgl. allgemein: Herbert Rittmann, Deutsche Geldgeschichte 1484-1914, München 1975, S. 107ff., 185ff., 287ff. 152 Lanzinner, Friedenssicherung und politische Einheit, S. 379-393; Fritz Blaich, Die Wirtschaftspolitik des Reichstages im Heiligen Römischen Reich. Ein Beitrag zur Problemgeschichte wirtschaftlichen Gestaltens, Stuttgart 1970 (Sehr. z. Vergleich v. Wirtschaftsordnungen, 16), S. 23f.; Walter Haupt, Kleine sächsische Münzkunde, Berlin 1968, S. 106f. 150
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Oberrhein, Franken und Schwaben Mahnungen mit der dringenden Aufforderung, „dem Kayserl. Rescript vom 16. August ein Genüge zu leisten, damit es schärferer Kayserlicher Verordnungen nicht noth seye."153
1.3.5. Organe der Reichs- und Regionalverwaltung Die Reichskreise waren die wichtigsten Verwaltungs- und Exekutionsorgane des Reiches. Bei den verschiedenen Angelegenheiten, die das ganze Reich oder mehrere Kreise oder eine größere Zahl von Territorien anging, wandte sich entweder der Kaiser an die Kreisausschreibenden Fürsten mit der Aufforderung, die Angelegenheit zu regeln oder die Kreise ergriffen die Initiative von sich aus.154 Die kaiserlichen Reskripte, Dekrete etc., die das Reich betrafen, wurden nicht an jeden einzelnen Reichsstand direkt geschickt, sondern an den jeweiligen Kreisausschreibenden Fürsten. Sehr oft bat der Reichstag oder etwa das kurfürstliche Kollegium den Kaiser als Reichsoberhaupt, die Regelung bestimmter Bereiche zu veranlassen. Daraufhin schickte jeweils der Kaiser ein entsprechendes Reskript an die Ausschreibeämter. Moser zitierte zum Beispiel die nötigen „Anstalten wegen Mach-, Ausbesser und Erhaltung in gutem Stand derer Strassen und Wege", die sich in der Vielzahl der verschiedenen Territorien erstreckten und den überterritorialem Verkehr und den Handel ermöglichten und garantierten. Demnach schickte das erste Gremium des Reichstags, das kurfürstliche Kollegium im Jahre 1764 „ein Collegial-Schreiben an den Kayser wegen Verbesserungen derer Commercialstrassen". Moser bemerkte dazu: „Darauf erliesse der Kayser den 4. Aug. ein Rescript an alle CraysAusschreibeämter: Bey ihren samtlichen Mitständen zu veranlassen, daß die verfallene Heer- und Commercialstrassen wiederum in gutem Stand hergestellt, und hierzu ohne Zeitverlust Hand angelegt, so fort dises nützliche Werck nicht nur mit gemeinschafftlichen Kräfften vorgenommen, sondern auch mit denen angränzenden Reichscraysen die nöthige Einverständniß darob gepflogen werde; Worauf die Crays-Ausschreibeämter ihren Crays-Mitständen Nachricht davon ertheilten". 155 Bernd Wunder zeigt, inwieweit diese Aktion bei den westdeutschen Kreisen Beachtung fand und wenigstens ansatzweise realisiert wurde. Besonders beim Schwäbischen Kreis wurde der Chausseebau forciert, überterritorial organisiert und durchgeführt. 156 Im Prinzip waren die Kreise auch für die ganze Palette überterritorial zu regelnder ,,Policey-Sachen" als Verwaltungsorgane zuständig. 153
J.J. Moser, Crays-Verfassung, S. 744. Idem, S. 736ff. 155 Idem, S. 738. 156 Wunder, Der Chausseebau in Württemberg, S. 526-538; ders., Der Kaiser, die Reichskreise und der Chausseebau, S. 1-22. 154
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Es handelte sich um die Bereiche der öffentlichen Sicherheit, Bekämpfung von Räuberbanden und Brandstiftern, Gesundheitsmaßnahmen und Seuchenverhinderung, Kontrolle der Sittlichkeit und des religiösen Respekts, Bekämpfung des Bettlerwesens, Handwerksordnungen, Kontrolle von Wirten, Kaufleuten und Handwerkern und sogar von Kleiderordnungen, Sicherung der Ernährung, Bekämpfung von Wucher, Überprüfung fremder Händler und Kontrolle der Produkte, Regelung und Verhinderung der Auswanderung der Untertanen u. a. 157
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J.J. Moser, Crays-Verfassung, S. 735-758.
2. Die Verfassung der Reichskreise 2.1. Geographische Lage, Umfang, Mitglieder Von 1512 bis Anfang des 19. Jahrhunderts war das Heilige Römische Reich in zehn Reichskreise eingeteilt. Ausgenommen von dieser Einteilung waren die Reichsritterschaftsgebiete, die in Schwaben, Franken und im Rheinland eigene Ritterkreise bildeten, die Territorien der böhmischen Krone mit Böhmen, Mähren, Schlesien und den beiden Lausitzen, ferner die Schweizerische Eidgenossenschaft und die Gebiete Italiens, die noch locker zum Reich gehörten. Im Nordwesten des Reiches lag der Burgundische Kreis, zu dem ab 1648 nur noch die katholischen Niederlande mit der Hauptstadt Brüssel und Luxemburg gehörten, ferner ursprünglich die Gebiete der Grafen von Nassau-Breda und Dillenburg, der Herren von Horn, Egmond, Bergen und Wahlen. Seit 1579 wurde dieser westlichste Kreis infolge der Kriege und politischen Verträge „fortwährend verkleinert". 1654 gliederte man zwar die Freigraftschaft Burgund mit Besan