Demosthenes 3863123735, 9783863123734


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German Pages [247] Year 2013

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Table of contents :
Front Cover
Titel
Impressum
Inhaltsverzeichnis
Vorwort des Herausgebers
Vorwort
Der Demosthenes des Plutarch
Nach dem Peloponnesischen Krieg
I. Die Suche
Kindheit und Familie
Geburt und Vorfahren
Kampf um das Erbe
Vermögenswerte
Vermögenstausch
Lehrjahre
Die Anekdoten
Der Logograph
Der Trierarch
Der erste Auftritt
Der Bundesgenossenkrieg
Die Symmorien-Rede
Die Kasse der Schaugelder
Strategen, Rhetoren, Demos
Eubulos und Demosthenes
Orientierungsversuche
Der Fall Androtion
Der Fall Leptines
Vier Reden zur Außenpolitik
Die Megalopoliten-Rede
Die Aristokratea
Die erste Philippika
Die Rede für die Freiheit der Rhodier
II. Das Thema
Philipp II. von Makedonien
Die Vorgeschichte
Die Überlieferung
Die Anfänge
Betrüger und Betrogene: Das Beispiel Amphipolis
Nach Osten
Nach Süden
Olynth und die Folgen
Der Aufstieg Olynths
Philipp und Olynth
Athen und Olynth
Die Olynthischen Reden
Die Reden 1 und 2: Der äußere Feind
Die Rede 3: Der innere Feind
Olynth und Euboia
Meidias oder Zwei Ohrfeigen
Eine ungehaltene Rede
Eine Ohrfeige für Demosthenes
Eine Ohrfeige für die Reichen
Der Friede des Philokrates
Standortwechsel
Aischines und Demosthenes
Aischines und Philipp
Die Friedensbedingungen
VonWasser- undWeintrinkern
Der veruntreute Friede
Der Timarchos-Prozess
Demosthenes und der Areiopag
Neue und alte Fronten
Isokrates und Philipp
Thessalien und die Peloponnes
Die zweite Philippika
Zweierlei Verhandlungen
Auf Kriegskurs
Neue und alte Verträge
Die Mission des Diopeithes
Die dritte Philippika
Die persische Karte
Der Hellenische Bund
Chaironeia
Der Überfall
Rüstungen
Der Krieg aus Delphi
Das Bündnis mit Theben
Zenit und Sturz
Nach der Schlacht
Erste Beschlüsse
Siegesfeiern
Die Friedensbedingungen
Der Vertrag von Korinth
Der Epitaphios
Mauerbau und Flüchtlinge
Athen im Widerstreit
Vorletzte Irrtümer
Das Attentat
Vergeblicher Widerstand
Das thebanische Exempel
Hunde und Schafe
III. Verlust und Neubeginn
Die Wende
Voraussetzungen
Annäherungen
Letzter Widerstand
Geheimdiplomatie
Neuer Wohlstand
Prozesskrieg
Das Jahr 330
Die Welt Lykurgs
Der Kranz-Prozess
Exkurs über Verrat und Freiheit
Alexanders Schatten
Die Getreideversorgung
Die Ankunft des Harpalos
Das Verbanntendekret
Die Vergöttlichung
Die Gelder des Harpalos
Vor dem Areiopag
Der Prozess
Die letzten Jahre
Das Exil
Tod und Hoffnung
Hoffnung und Tod
Auf der Flucht
Das zweite Leben
Das Denkmal
Demosthenes redivivus
Cicero und Demosthenes. Statt eines Nachworts
Anmerkungen
Das Corpus Demosthenicum
Quellen und Quellensammlungen
Bibliographie
Literatur
Chronologie
Glossar
Register
Abbildungsnachweis
Back Cover

Demosthenes
 3863123735, 9783863123734

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GESTALTEN DER ANTIKE Herausgegeben von MANFRED CLAUSS

Wolfgang Will

Demosthenes

Den Freunden und Kollegen des althistorischen Seminars in Bonn gewidmet, das mehr ist als eine Abteilung

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. © 2013 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Umschlaggestaltung: schreiberVIS, Bickenbach Umschlagmotiv: Sogenannter Demosthenes Chiaramonti. Römische Marmorkopie (2. Jh. n. Chr.) nach einem hellenistischen Original. Rom, Vatikanische Museen, Inv. Nr. 1555. Foto: Wikimedia Commons, Marie-Lan Nguyen Satz: SatzWeise, Föhren Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-25335-7 Die Buchhandelsausgabe erscheint beim Primus Verlag. Umschlaggestaltung: Jutta Schneider, Frankfurt a. M. Umschlagabbildung: Demosthenes, Marmorbüste aus dem 2. Jh. n. Chr. (Kopie einer griechischen Bronze von Polyeuktos aus dem 3. Jh. v. Chr.); © akg / De Agostini Pict.Lib. ISBN 978-3-86312-373-4 www.primusverlag.de Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-86312-936-1 (Buchhandel) eBook (epub): 978-3-86312-937-8 (Buchhandel)

Inhaltsverzeichnis Vorwort des Herausgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Der Demosthenes des Plutarch . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

Nach dem Peloponnesischen Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

I. Die Suche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21

Kindheit und Familie . . . Geburt und Vorfahren Kampf um das Erbe . Vermögenswerte . . . Vermögenstausch . .

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21 21 24 25 27

Lehrjahre . . . . . . . . . Die Anekdoten . . . Der Logograph . . . Der Trierarch . . . .

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Der erste Auftritt . . . . . . . . . . Der Bundesgenossenkrieg . . . Die Symmorien-Rede . . . . . Die Kasse der Schaugelder . . . Strategen, Rhetoren, Demos Eubulos und Demosthenes

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Orientierungsversuche . . . . . . . . . . . . Der Fall Androtion . . . . . . . . . . . Der Fall Leptines . . . . . . . . . . . . Vier Reden zur Außenpolitik . . . . . . Die Megalopoliten-Rede . . . . . . . Die Aristokratea . . . . . . . . . . . Die erste Philippika . . . . . . . . . Die Rede für die Freiheit der Rhodier

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II. Das Thema

Inhaltsverzeichnis

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67

Philipp II. von Makedonien . . . . . . . . . . . . . . . Die Vorgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Überlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Anfänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Betrüger und Betrogene: Das Beispiel Amphipolis Nach Osten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nach Süden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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67 67 68 70 72 73 74

Olynth und die Folgen . . . . . . . . . . . . Der Aufstieg Olynths . . . . . . . . . . Philipp und Olynth . . . . . . . . . . . . Athen und Olynth . . . . . . . . . . . . Die Olynthischen Reden . . . . . . . . . Die Reden 1 und 2: Der äußere Feind Die Rede 3: Der innere Feind . . . . Olynth und Euboia . . . . . . . . . . .

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77 77 78 80 83 85 88 92

Meidias oder Zwei Ohrfeigen . . . . Eine ungehaltene Rede . . . . Eine Ohrfeige für Demosthenes Eine Ohrfeige für die Reichen .

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95 95 96 100

Der Friede des Philokrates . . . . Standortwechsel . . . . . . . Aischines und Demosthenes . Aischines und Philipp . . . . Die Friedensbedingungen . . Von Wasser- und Weintrinkern

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103 103 105 107 108 109

Der veruntreute Friede . . . . . . . Der Timarchos-Prozess . . . . Demosthenes und der Areiopag Neue und alte Fronten . . . . . Isokrates und Philipp . . . . . Thessalien und die Peloponnes . Die zweite Philippika . . . . . Zweierlei Verhandlungen . . .

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113 113 114 115 115 117 117 118

Auf Kriegskurs . . . . . . . . . Neue und alte Verträge . . Die Mission des Diopeithes Die dritte Philippika . . . .

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Inhaltsverzeichnis

Die persische Karte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Hellenische Bund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Chaironeia . . . . . . . . . Der Überfall . . . . . . Rüstungen . . . . . . . Der Krieg aus Delphi . Das Bündnis mit Theben Zenit und Sturz . . . .

129 131

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132 132 134 135 137 138

Nach der Schlacht . . . . . . Erste Beschlüsse . . . . . Siegesfeiern . . . . . . . Die Friedensbedingungen Der Vertrag von Korinth . Der Epitaphios . . . . . . Mauerbau und Flüchtlinge Athen im Widerstreit . .

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141 141 141 143 144 146 149 151

Vorletzte Irrtümer . . . . . . Das Attentat . . . . . . . Vergeblicher Widerstand . Das thebanische Exempel Hunde und Schafe . . . .

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153 153 154 155 158

III. Verlust und Neubeginn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Die Wende . . . . . . Voraussetzungen . Annäherungen . . Letzter Widerstand Geheimdiplomatie Neuer Wohlstand

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161 161 163 164 165 166

Prozesskrieg . . . . . . . . . . . . Das Jahr 330 . . . . . . . . . . Die Welt Lykurgs . . . . . . . Der Kranz-Prozess . . . . . . . Exkurs über Verrat und Freiheit

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169 169 169 171 175

Alexanders Schatten . . . . . Die Getreideversorgung . Die Ankunft des Harpalos Das Verbanntendekret . .

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Inhaltsverzeichnis

Die Vergöttlichung . . . Die Gelder des Harpalos Vor dem Areiopag . . . Der Prozess . . . . . . Die letzten Jahre . . . Das Exil . . . . . Tod und Hoffnung Hoffnung und Tod Auf der Flucht . .

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. 189 . 189 . 190 . 191 . 193

183 185 186 187

Das zweite Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Denkmal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Demosthenes redivivus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

195 195 197

Cicero und Demosthenes. Statt eines Nachworts . . . . . . . . . .

205

Anmerkungen

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207

Das Corpus Demosthenicum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quellen und Quellensammlungen

. . . . . . . . . . . . . . . . . 230

Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur

228

232

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233

Chronologie

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239

Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

241

Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

244

Abbildungsnachweis

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Vorwort des Herausgebers „Gestalten der Antike“ – die Biographien dieser Reihe stellen herausragende Frauen und Männer des politischen und kulturellen Lebens jener Epoche vor. Ausschlaggebend für die Auswahl war, dass die Quellenlage es erlaubt, ein individuelles Porträt der jeweiligen Personen zu entwerfen, und sie konzentriert sich daher stärker auf politische Persönlichkeiten. Sie ist gewiss auch subjektiv, und neben den berühmten „großen Gestalten“ stehen interessante Personen der Geschichte, deren Namen uns heute vielleicht weniger vertraut sind, deren Biographien aber alle ihren je spezifischen Reiz haben. Die Biographien zeichnen spannend, klar und informativ ein allgemeinverständliches Bild der jeweiligen „Titelfigur“. Kontroversen der Forschung werden dem Leser nicht vorenthalten. So geben auch Quellenzitate – Gesetzestexte, Inschriften, Äußerungen antiker Geschichtsschreiber, Briefe – dem Leser Einblick in die „Werkstatt“ des Historikers; sie vermitteln zugleich ein facettenreiches Bild der Epoche. Die Darstellungen der Autorinnen und Autoren zeigen die Persönlichkeiten in der Gesellschaft und Kultur ihrer Zeit, die das Leben, die Absichten und Taten der Protagonisten ebenso prägt wie diese selbst die Entwicklungen beeinflussen. Die Lebensbeschreibungen dieser „Gestalten der Antike“ machen Geschichte greifbar. In chronologischer Reihenfolge werden dies sein: Hatschepsut (1479–1457), von den vielen bedeutenden Königinnen Ägyptens nicht nur die bekannteste, sondern auch die wichtigste, da sie über zwei Jahrzehnte die Politik Ägyptens bestimmt hat; Ramses II. (1279–1213), der Pharao der Rekorde, was seine lange Lebenszeit wie die nahezu unzähligen Bauvorhaben betrifft; Alexander (356–323), der große Makedonenkönig, dessen Rolle in der Geschichte bis heute eine ungebrochene Faszination ausübt; Hannibal (247–183), einer der begabtesten Militärs der Antike und Angstgegner der Römer; seine Kriege gegen Rom haben Italien mehr geprägt als manch andere Entwicklung der römischen Republik; Sulla (138–78), von Caesar als politischer Analphabet beschimpft, weil er die Diktatur freiwillig niederlegte, versuchte in einem eigenständigen Konzept, den römischen Staat zu stabilisieren; Cicero (106–43), Philosoph, Redner und Politiker, von dem wir durch die große Zahl der überlieferten Schriften und Briefe mehr wissen als von jeder anderen antiken Persönlichkeit; sein Gegenpart, Caesar (100–44), ein Machtmensch mit politischem Gespür und einer ungeheuren Energie;

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Vorwort des Herausgebers

Kleopatra (69–30), Geliebte Caesars und Lebensgefährtin Marc Antons, die bekannteste Frauengestalt der Antike, die vor allem in den Darstellungen ihrer Gegner unsterblich wurde; Herodes (73 v.–4 v. Chr.), der durch rigorose Anpassung an die hellenistische Umwelt die jüdische Monarchie beinahe in den Dimensionen der Davidszeit wiederherstellte, dem seine Härte jedoch letzten Endes den Ruf des „Kindesmörders“ eintrug; Augustus (43 v.–14 n. Chr.), der mit unbeugsamer Härte, aber auch großem Geschick das vollendete, was Caesar angestrebt hatte; da er den Bürgerkriegen ein Ende setzte, wurde er für die Zeitgenossen zum Friedenskaiser; Nero (54–68), der in der Erinnerung der Nachwelt als Brandstifter und Muttermörder disqualifiziert war, auch wenn ihn die zeitgenössischen Dichter als Gott auf Erden feierten; Marc Aurel (161–180), der so gerne als Philosoph auf dem Thron bezeichnet wird und doch immer wieder ins Feld ziehen musste, als die ersten Wellen der Völkerwanderung das Römische Reich bedrohten; Septimius Severus (193–211), der erste „Nordafrikaner“ auf dem Thron, aufgeschlossen für orientalische Kulte; er förderte die donauländischen Truppen und unterwarf das Reich zahlreichen Veränderungen; mit Diocletian (284–305) lässt man die Spätantike beginnen, die sich vor allem durch konsequente Ausübung der absoluten Monarchie auszeichnet; Konstantin der Große (306–337), der im Zeichen des Christengottes in die Schlacht zog und siegte, hat den Lauf der Geschichte nachhaltig verändert; dem Christentum war nun der Weg zur Staatsreligion vorgezeichnet; Athanasius (295–373), unter den großen politischen Bischöfen der Spätantike einer der radikalsten und erfolgreichsten in dem Bemühen, den neuen Glauben im und gegen den Staat durchzusetzen; Julian (361–363), dessen kurze Regierungszeit vieles von seinen Plänen unvollendet ließ und deshalb die Phantasie der Nachwelt anregte; Theodosius der Große (379–395), von dem man sagt, er habe mit einer rigorosen Gesetzgebung das Christentum zur Staatsreligion erhoben; er bewegte sich mit Geschick durch eine Welt religiöser Streitigkeiten; Theoderich der Große (474–526), der bedeutendste jener „barbarischen“ Heerführer, die das Weströmische Reich beendeten, und schließlich Kaiser Justinian (527–565), der zusammen mit Theodora die Größe des alten Imperium Romanum wiederherstellen wollte; die Beschreibung seiner Herrschaft kann insofern einen guten (chronologischen) Abschluss bilden. Bonn, im Mai 2009

Manfred Clauss

Vorwort Das Klassische Athen, die Zeit zwischen dem Sieg über die Perser (479 v. Chr.) und der Niederlage gegen die Makedonen (338 v. Chr.), manifestiert sich in drei Männern: Themistokles, der das athenische Reich begründete, Perikles, der es zur höchsten Machtentfaltung brachte und Demosthenes, der sich seinem Niedergang entgegenstemmte. Die Moderne benannte sowohl nach Perikles als auch nach Demosthenes ein ganzes Jahrhundert. Beide wurden zur Verkörperung ihrer Zeit. Das ist im Falle des Demosthenes überraschend, denn er steht für eine Niederlage. Er ist der einzige Staatsmann der Antike, den gerade sein Scheitern unsterblich machte. Das, was ihn berühmt werden ließ und ins Gedächtnis zweier Jahrtausende einging, trägt den Namen seines Gegners. Es sind die Philippicae orationes, die Reden gegen Philipp von Makedonien. Demosthenes bewährte sich als großer Staatsmann, als Militär verdiente er keine Meriten. Gerade das, was in der Antike ein Makel war, macht ihn jedoch für die Moderne interessant. Die athenische Demokratie war eine direkte, dennoch ist Demosthenes der einzige bekannte Politiker der Antike, der sich mit modernen Parlamentariern vergleichen lässt. Sein Handeln war von demokratischen Strukturen bestimmt, er agierte nicht innerhalb oligarchischer Cliquen, wie sein römisches Pendant Cicero es tat, und er war auch kein Perikles, der nach der Einschätzung des Historikers Thukydides als vom Volk gewählter Strategos dieses nach Gutdünken lenkte. Die Demokratie des 4. Jahrhunderts war gefestigt, sie wurde nicht wie diejenige vor dem Peloponnesischen Krieg von Aristokraten dominiert. Demosthenes kam aus einem bürgerlichen, einst vermögenden, aber nach dem frühen Tod des Vaters fast ruinierten Haus, er musste sich sein Ansehen als demokratischer Politiker erwerben, und einmal zu Ansehen gekommen, musste er dieses durch stete Bestätigung seiner politischen Kompetenz zu wahren suchen. Die Ämter, die er bekleidete, waren kurzfristig, das (formal) höchste erreichte er nie. Demosthenes’ Wirkungsfeld war die Rednerbühne, hier feierte er seine Erfolge und erlebte seine Niederlagen. Er besaß im Positiven wie Negativen, was Staatsmänner auszeichnet: Er war Patriot und Egomane, er erbrachte großzügige Schenkungen (Leiturgien) und wirtschaftete in die eigene Tasche, wie niemand sonst verfocht er die Ideale der Demokratie und handelte doch auch am Demos vorbei, er war im Erfolg integer, nach der Niederlage scheint auch er sich bereichert zu haben. In ihm spiegelten sich die Stärken und die Schwächen der Demokratie. Demosthenes war alles, was den Politiker seiner Zeit ausmachte, zum

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Vorwort

viel beschworenen Freiheitskämpfer wurde er erst nach seinem Tod (gemacht). Zu Lebzeiten kämpfte er gegen Philipp um die Vormachtstellung Athens in Griechenland, nach der Niederlage und der Ermordung des Königs arrangierte er sich mit den Machtverhältnissen, bis zu seiner Verbannung trat er für den Kompromiss mit Alexander dem Großen ein. Erst die Nachfahren setzten ihm, über 30 Jahre nach dem Selbstmord, das Denkmal, das ihn als Widerstandskämpfer feierte. Der Demosthenes, von dem in diesem Buch die Rede sein wird, ist also kein Märtyrer der Freiheit; er ist ein Politiker, der, wie gesagt, den Zwängen der Demokratie unterworfen ist und deren Möglichkeiten seinen Aufstieg verdankt. In seiner politischen Karriere lassen sich drei Phasen unterscheiden: erstens eine Zeit der Suche, in der er das Thema zu finden trachtete, welches der Demos mit ihm identifizierte und das ihm in der Volksversammlung Kompetenz verlieh; zweitens die Jahre, in denen Demosthenes in Philipp II. den ihm gemäßen Gegner gefunden hatte und die Auseinandersetzung mit Makedonien zur Schicksalsfrage für Athen machte; drittens die Phase, in der Demosthenes nach der Niederlage bei Chaironeia (338 v. Chr.) und dem Tod Philipps nach Momenten des Verharrens neue Wege, und zwar die des Ausgleiches mit Alexander, beschritt, um Athen aus der Isolation eines wenig erfolgversprechenden Widerstandes zu führen und gleichzeitig sich selbst an der Spitze der athenischen Politik zu behaupten. Wie seine Gegner in Athen bediente sich Demosthenes aller politischen Möglichkeiten, auch zweifelhafter, die das demokratische System zuließ; von Philipp II. unterschied er sich nur im Ziel, nicht in den (ins Auge gefassten) Methoden, dorthin zu kommen. Als Vorbild, wie der Biograph Plutarch ihn sich vorstellte, als er seine Lebensbeschreibung begann, eignete sich Demosthenes nur insofern, als sich vitia und virtutes, Fehler und Vorzüge, die Waage hielten. Seine Größe liegt vielleicht gerade in dem, was ihm mit Entschiedenheit abgesprochen wird, in seiner Fähigkeit, nicht nur Irrtümer, sondern auch Überzeugungen korrigieren zu können.

Der Demosthenes des Plutarch Unter den 50 Lebensbeschreibungen, die Plutarch, der große Biograph aus der Kleinstadt Chaironeia, im 2. Jahrhundert n. Chr. der Nachwelt hinterließ, findet sich auch diejenige seines griechischen Landsmannes Demosthenes. Ohne das Material, das eine antike Vita bietet, lässt sich eine moderne nicht schreiben. In den antiken Biographien dominiert freilich die Lücke. Sie sind bruchstückhaft wie die Überlieferung, auf der sie wiederum basieren. Im Falle des Demosthenes helfen allerdings Selbstzeugnisse weiter. Das Corpus Demosthenicum versammelt rund 60 authentische und unechte Reden, die Leben und Politik des Demosthenes besser verstehen lassen. Die politischen Reden sind aber – abgesehen von der Symmorien- und der Kranzrede – auf gerade ein Dezennium von 351 bis 341 beschränkt, und sie vermitteln allein die Sicht des Autors. Auch in ihrer Beschränktheit zeigt Plutarchs Biographie demgegenüber, wie Demosthenes als Person und Politiker in der Antike gesehen wurde. Zudem wurde Plutarchs Bild auch für die Neuzeit konstituierend, seitdem die Biographie im 15. Jahrhundert von Byzanz in den Westen gelangte und dort zuerst ins Lateinische und dann in die Nationalsprachen übersetzt wurde. Das Mittelalter kannte Demosthenes nur aus der Alexandergeschichte und spärlichen Anekdoten lateinischer Autoren. Die Probleme beginnen also bei Plutarch und den bruchstückhaften Informationen, die ihm vorlagen. Im Hellenismus und im republikanischen Rom wurde die Erinnerung an Demosthenes vor allem von den Rhetoren bewahrt. Sie kommentierten die Reden ihres Vorgängers und stellten ihnen manchmal biographische Abrisse voran. Plutarch bezieht hieraus reiches anekdotisches Material und kleine Erläuterungen zu den Reden. Er selbst hat diejenigen des Demosthenes ausführlich studiert, was ihn an diesen interessierte und beeindruckte, scheint freilich vor allem der Stil gewesen zu sein. Er entnahm ihnen nur wenige biographische Details und kaum politische. Das Geschehen um die Eroberung der Stadt Olynth, dem drei der sieben Philippiken gelten, fehlt zum Beispiel gänzlich. Auch Reden der athenischen Gegner des Demosthenes hat Plutarch herangezogen. Er weiß, dass er sie nur mit Vorsicht als Quelle benutzen kann und wägt genau ab, was aus den Äußerungen eines Aischines oder Hypereides an Fakten zu gewinnen ist. Gegebenenfalls überlässt er es dem Leser, was dieser für glaubhaft halten will und was nicht. Die wichtigste, teilweise alleinige historische Quelle für Plutarch war die „Philippische Geschichte“ (Philippiká) des Theopomp, eines Mannes, der

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lange am Hofe Philipps gelebt hatte, dessen Privatleben mit wüsten Schmähungen bedachte, aber ansonsten sicherlich ein Vertreter makedonischer Politik und Interessen war und der sich später auch als Agent Alexanders weit über Griechenland hinaus unbeliebt machte. Als Mensch mit konservativ-aristokratischen Idealen war Theopomp kein Freund der athenischen Demokratie und noch weniger ihrer Repräsentanten. In einem Werk, in dem der makedonische Sieg gefeiert wurde, mussten die Ziele des Demosthenes als abseitig erscheinen, und Plutarch, der die griechische Sache für die gerechte hielt, war gezwungen, es gleichsam gegen den Strich lesen. Er nimmt Demosthenes in Schutz gegen politische Angriffe Theopomps, doch das Versagen des Redners als Soldat und seine offenkundige Unfähigkeit, einen hohen militärischen Rang zu bekleiden, will er nicht übergehen. Das bleibt in den Augen Plutarchs ein großes Manko und veranlasst ihn, seinen Helden gleichsam herabzustufen: „Was aber, wie man sagt und glaubt, am besten den Charakter eines Mannes erweist und erprobt, ein hohes Amt und eine Machtvollkommenheit, die jede Leidenschaft weckt und jedes verborgene Laster enthüllt, das ist dem Demosthenes nicht zuteil geworden, und er hat in dieser Hinsicht keine Probe seines Charakters abgelegt, da er keins der hohen Ämter verwaltet und auch über die von ihm zusammengebrachte Kriegsmacht nicht die Führung gegen Philipp gehabt hat … Hätte darum seinem edlen Streben in seiner Zielsetzung und seiner hohen Redegewalt militärische Tüchtigkeit und Uneigennützigkeit in allem Handeln zur Seite gestanden, so wäre er nicht in die Reihe der Redner vom Schlage eines Hypereides einzuordnen, sondern verdiente es, höher hinauf, neben Kimon, Thukydides und Perikles gestellt zu werden.“ 1 Plutarch sieht in seinen Helden zumeist Vorbilder, sein pädagogischethischer Impetus ist unverkennbar. Er ordnet sein Material aber keineswegs diesem Zweck unter; er betrachtet seine Quellen kritisch, aber akzeptiert auch Kritik dieser Quellen an seinen Helden. Wo er sich ein eigenes Urteil anmaßt, versteht er, es auch zu begründen. Zum Problem wurde Plutarch dabei, dass sich die rhetorische Überlieferung in Anekdoten erschöpfte und die historiographische den Makedonenkönig Philipp als Mittelpunkt sah. So weist seine Biographie die genannten Lücken auf und leidet dennoch an Längen. Fast die Hälfte der Vita machen Anekdoten aus. Dazu kommen Reflexionen über politische und menschliche Größe oder über Charakter und Tugend. Das an Fakten spärliche oder wenig geeignete Material war nur schwer zu einer geschlossenen Vita zu formen. Erst im zwölften Kapitel von 31 (moderner Zählung) kommt Plutarch zur politischen Karriere des Helden, die er im Jahre 352 beginnen lässt. Nach drei Kapiteln, die sich allgemein mit den Reden und dem politischen Kurs des Demosthenes befassen, befindet sich der Biograph bereits im Jahre

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Abb. 1: Demosthenes-Statue aus Kopenhagen, Detail

346, ein Kapitel später im Jahre 341. Die Geschehnisse von Chaironeia (339/38) werden umfassender behandelt, da Plutarch hier auf seine Heimatstadt zu sprechen kommt. Es folgen als kurze Intermezzi der Tod Philipps, das Verhalten des Demosthenes zu Beginn der Alexander-Ära, der Aufstand des Agis und die berühmte Kranzrede. Lediglich die letzten zwei Jahre (324–322), Harpalos-Prozess, Verbannung, Freitod und Nachleben, sind ausführlicher gestaltet, denn hier hatte sich eine umfangreiche Überlieferung gebildet. In zweierlei Weise hat Plutarch die spätere Sicht des Demosthenes bestimmt. Zum einen ist das die Unterschätzung der Mechanismen der Demokratie. Plutarch war ein kaiserloyaler römischer Bürger und stand daher der demokratischen Regierungsform teils mit Skepsis, teils mit Unverständnis gegenüber. Oft wird dem Willen Einzelner zugesprochen, was doch am Ende ein Beschluss der Volksversammlung war. Demosthenes ist Plutarch dort am liebsten, wo er sich – der Autor ist hier stark vom Periklesbild des Thukydides beeinflusst – am wenigsten den Launen des Volkes unterwarf. So findet er besonderes Lob für ihn, als dieser eine Entscheidung der Volksversammlung nicht akzeptiert, die verhandelte Sache dem Areiopag, dem Adelsrat, übergibt und mit dessen Hilfe gleichsam die Volksmehrheit überstimmt. Für Plutarch ist solche Politik aristokratisch und es gilt ihm als Auszeichnung, wenn er Demosthenes’ Handlungsweise mit diesem Adjektiv schmücken kann.2 Für den fundamentalen Irrtum in der Demosthenes-Vita zeichnet der Biograph nicht verantwortlich, doch er hat ihn kanonisch gemacht. Das

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Bild vom Freiheitskämpfer gegen die makedonische Fremdherrschaft nahm seinen Ursprung schon kurz nach Demosthenes’ Tod, als sich Athen dem Sieger Antipater beugen und eine makedonische Besatzung aufnehmen musste. Gegen dieses Diktat sträubten sich die Athener, und der Mann, der Philipp (nicht aber Alexander) getrotzt hatte, wurde zum Symbol für den Widerstand gegen die makedonische Herrschaft. Für die Athener der hellenistischen Zeit war das tatsächlich ein Kampf um die Freiheit, was für Demosthenes ein Kampf um die Hegemonie gewesen war. Dennoch machten sie den Redner zu ihresgleichen und den Kampf, der für Demosthenes gerade eineinhalb Jahrzehnte dauerte, zu einem lebenslangen. Die Rhetorenschulen verbreiteten dieses Bild, und Plutarch machte es sich mit beredten Worten zueigen. Von ihm aus ging es nach der Wiederentdeckung seiner Werke in die Moderne ein und bestimmte deren Sichtweise bis ins 21. Jahrhundert. Plutarch übertrieb – als Reaktion auf die Angriffe des Theopomp – das Lob und zollte Demosthenes Anerkennung in einer Sache, die nicht nur als Festigkeit und Charakterstärke gesehen werden kann, sondern auch als Sturheit und mangelnde Einsicht. So lange der Kampf gegen Makedonien auch in der Neuzeit als derjenige für die gute Sache verstanden wurde, blieb damit das höchste Lob für Demosthenes verbunden. Erst als Alexanders Siegeszug als Fortschritt der Menschheit deklariert wurde, sank auch das Ansehen derer, die sich ihm in den Weg stellten. 3 Das war eine Entwicklung vor allem in der von Hegel beeinflussten deutschen Historie des 19. Jahrhunderts, 4 das 20. und 21. kehrte wieder zu Plutarch zurück.

Nach dem Peloponnesischen Krieg Als Demosthenes im Jahr 384 v. Chr. geboren wurde, lag der Tiefpunkt der athenischen Geschichte genau zwei Dekaden zurück. Im April des Jahres 404 war die spartanische Flotte unter dem Kommando des Admirals Lysander in den Piräus eingefahren und hatte das Zeitalter des imperialen Athen, das mit dem Sieg über die Perser in der Seeschlacht von Salamis 480 eröffnet worden war, abrupt beendet. Athen hatte den siebenundzwanzigjährigen Krieg um die Vorherrschaft in Griechenland verloren. Die Verbannten kehrten zurück, und unter den Klängen von Schalmeien wurden die Mauern der Stadt niedergerissen. Der Sieger Sparta verkündete, dass nun der Tag der Freiheit für alle Griechen gekommen sei. Athen musse seine auswärtigen Besitzungen räumen, alle Schiffe bis auf zwölf abliefern.1 Der erzwungene Eintritt in den Peloponnesischen Bund bedeutete die Aufgabe eigener Außenpolitik. Im Innern installierte Lysander eine provisorische Regierung von 30 Männern, die sich bald den Titel „Dreißig Tyrannen“ verdienten. Auf der Akropolis zog eine spartanische Besatzung ein, es folgten willkürliche Hinrichtungen politisch missliebiger oder einfach nur denunzierter Athener, Morde an Bürgern wie Metoiken, die durch ihren Reichtum den Dreißig und ihrem Anhang auffielen. 1500, nach einer anderen Quelle sogar 2500 Athener wurden exekutiert. Interne Streitigkeiten und finanzielle Schwierigkeiten, verursacht durch den kostspieligen spartanischen Schutz, schwächten das Regime. Es wurde schon bald von außen gestürzt, im Jahre 403 etablierte sich erneut die Demokratie, zurück blieb die Erinnerung an eine oligarchische Schreckensherrschaft, und diese festigte die wiedergewonnene Demokratie besser, als es alle Gesetze tun konnten. Oligarchen und Aristokraten waren für Jahrzehnte diskreditiert. Im übrigen Griechenland schützte Sparta die neue Ordnung, indem es namentlich im früheren attischen Reich Zehnerherrschaften, sogenannte Dekadarchien einführte. Spartanische Besatzungen und spartanische Harmosten (Militärbefehlshaber) wurden zu rigorosen Wächtern der versprochenen Freiheit. Auf dem Höhepunkt ihrer Geschichte begann freilich auch schon der Zerfall der spartanischen Macht. Sparta hatte sich mit der selbstgestellten Aufgabe, Nachfolger Athens als Herr der Ägäis zu werden, übernommen. Die persischen Subsidien, die geholfen hatten, den Krieg zu gewinnen, flossen jetzt in andere Städte, um in Griechenland ein Gleichgewicht der Schwachen zu schaffen. Auch Athen gehörte plötzlich zu den Empfängern, und das persische Geld, das im Ionischen Krieg zur Bekämpfung der Stadt

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ausgegeben wurde, diente nun zum Neubau von Hafenanlagen, Mauern und Schiffen. Nach nur zehn Jahren zerbrach die spartanische Seeherrschaft am Widerstand der einstigen Verbündeten, der Perser. Viele der von Athen abgefallenen Inseln schlossen sich wieder der Stadt an, die Ägäis wurde wieder zu ihrem Handlungsfeld. Noch ein letztes Mal konnte Sparta seine Kräfte bündeln. Unter Preisgabe der kleinasiatischen Griechen, denen sie einst die Freiheit versprochen hatten, sicherten die Spartaner im sogenannten Königsfrieden von 387/86 ihre Herrschaft im Mutterland. Als „Bewahrer“ eines umfassenden Friedens garantierte der Großkönig die neue Ordnung, welche die einzelnen Städte formal für autonom erklärte, Sparta aber die Hegemonie im Peloponnesischen Bund beließ. 2 Gegen die allgemeine Ohnmacht trat der Publizist Isokrates als Ideologe eines neuen Imperialismus hervor und rief in seinem Panegyrikos von 380 zu einem panhellenischen Feldzug gegen Persien unter der Führung Athens und Spartas auf. 3 Später wechselte er freilich die Ansichten und wurde zu einem der Wegbereiter zunächst für die Expansion Philipps II. und dann für Alexanders Asienfeldzug. Demosthenes war sieben Jahre alt, als Athen wieder an seine alte Macht im 5. Jahrhundert anzuknüpfen versuchte. Fast exakt 100 Jahre nach dem Ersten Attischen Seebund, der die Basis für das athenische Reich der Perikleischen Zeit gebildet hatte, gründete Athen eine neue maritime Allianz, in der die Bündner nun aber gleichberechtigt sein sollten. Neu waren nur die guten Vorsätze und die Termini. Die (potentiellen) sy´mmachoi mussten nicht mehr die verhassten Tribute (phóroi) zahlen, nun wurde von Beiträgen (syntáxeis) gesprochen. Überhaupt verdrängte man die Erinnerung an das Athen der späten Pentekontaetie und an Perikles. Die Verbündeten sollten auf der Basis des Königsfriedens frei und autonom sein und auf ihrem Gebiet keine Besatzungen stationiert werden. Auf dem Höhepunkt umfasste der Bund etwa 70 Städte und Inseln, nicht einmal ein Viertel dessen, was einst die athenische Herrschaft (arché) ausgemacht hatte. 4 Dennoch beflügelte er die Hoffnung auf die Rückkehr zu einer beherrschenden Stellung in der Ägäis. 371 in der Schlacht von Leuktra wurde auch das spartanische Landheer geschlagen, die Stadt Theben, verkörpert in der Person des Epameinondas, stieg kurz zur Hegemonialmacht auf. Ihre Rolle ist jedoch nicht vergleichbar mit derjenigen Spartas nach 404 und schon gar nicht mit derjenigen Athens davor. Die Thebaner suchten im Norden in Thessalien und im Süden auf der Peloponnes ihre Position auszubauen. Das einst so mächtige Sparta trudelte immer schneller in die politische und militärische Ohnmacht. 370 gründeten die Arkader auf der Peloponnes einen Bundesstaat, 369 fielen die Messenier von Sparta ab, mit Hilfe Thebens gelang es ihnen auch endlich, einen eigenen Staat zu gründen.

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In Athen lavierte man zwischen dem alten Feind, den Spartanern, und dem neuen, den Thebanern, um sich schließlich 362 in der Schlacht von Mantineia auf die Seite der ersteren zu stellen. Es war der insgesamt vierte Feldzug, den die Thebaner seit Leuktra gegen die Spartaner unternahmen. Sie behielten zunächst die Oberhand, doch als mit Epameinondas der entscheidende Mann auf ihrer Seite fiel, ging der Sieg verloren. Der sinnlose, von ständig wechselnden Bündnissen kleiner Städte und ethnischer Verbünde begleitete Streit der Griechen gegen Griechen, geführt um kleiner territorialer und ebensolcher materieller Gewinne willen oder um ephemere Vorherrschaften, war für diejenigen, die in die Kriege zogen und diejenigen, die sie finanzieren mussten, so unerquicklich wie teuer, ohne dass freilich irgendjemand daraus Konsequenzen zu ziehen vermocht hätte. Der Kampf um die Hegemonie endete damit, dass sie niemand erringen konnte. Der Historiker Xenophon schließt mit Mantineia und dem Jahre 362 seine große griechische Geschichte, die er als Nachfolger und Fortsetzer des Thukydides mit den Ereignissen des Jahres 411 begonnen hatte: „Mit dem Abschluss der Kämpfe war das Gegenteil von dem erfolgt, was alle Welt erwartet hatte. Denn da fast ganz Griechenland zusammengekommen und gegeneinander angetreten war, gab es keinen, der nicht geglaubt hätte, wenn eine Schlacht stattfinde, würden hernach die Sieger zur Herrschaft gelangen und die Besiegten ihnen untertan sein. Aber der Gott ließ es geschehen, dass beide Parteien wie Sieger ein Siegeszeichen errichteten und keine von beiden die andere am Aufrichten desselben hinderte, die Toten gaben beide Parteien wie Sieger unter dem Schutze eines Vertrages heraus und beide nahmen die Ihrigen wie Besiegte unter dem Schutze des Vertrages in Empfang; und indem jede von beiden behauptete, gesiegt zu haben, besaß doch offenkundig keine von beiden weder an Land noch an Städten noch an Macht auch nur das Geringste mehr als vor der Schlacht; aber Unordnung und Verwirrung wurden nach der Schlacht in Hellas noch größer als sie vorher waren.“ 5 Es waren „Mäusekriege“, die im Griechenland des 4. Jahrhunderts geführt wurden. Der Ausdruck, den Alexander der Große später über den vergeblichen Aufstand der Spartaner prägte, besitzt Geltung über den Anlass hinaus. 6

I. Die Suche Kindheit und Familie Geburt und Vorfahren Von der Kindheit und Jugend ihrer Helden besaßen die antiken Biographen keine Nachrichten. Sie füllten die Lücke mit Anekdoten und Legenden: Wer ein Heros werden wollte, ließ dies schon früh erkennen. Der Weg zu historischer Größe war so dornig wie unausweichlich, vor allem aber war er fromme Erfindung. Allein über das frühe Leben des Demosthenes besitzen wir Quellen, die mehr sind als Fiktionen. Er ist – und dies im 4. vorchristlichen Jahrhundert – der erste Mensch seit Erschaffung der Welt, über dessen Jugendgeschichte wir etwas Genaueres wissen. Mit dieser Erkenntnis jedenfalls hat der Humanist und Altphilologe Werner Jaeger sein Buch über Demosthenes eröffnet.1 Vom jungen Demosthenes kennen wir, was in der antiken wie der modernen Demokratie aus ähnlichen Gründen am meisten verschwiegen wird: die finanziellen Verhältnisse. Die Auskünfte gibt Demosthenes selbst, aber er gibt sie nicht freiwillig. Sie stammen aus Gerichtsreden, mit denen er, volljährig geworden, gegen seine Vormünder wegen Veruntreuung des väterlichen Vermögens klagte. Die Details, die Demosthenes gibt, verdienen nur begrenzt Glauben. Im Kampf um sein Erbe übertrieb, kaschierte oder beschönigte auch er, die Reden geben aber dennoch ein Bild von den Problemen, welche die Jugend eines durchaus reichen Mannes überschatteten. Während der junge Caesar – nach Plutarch – davon träumte, Alexander an Heldentaten gleichzukommen, war es Ziel des jungen Demosthenes, das verlorene Vermögen zurückzugewinnen. Demosthenes war, als er im Oktober 322 auf der Insel Kalaureia Selbstmord beging, nach Ausweis eines byzantinischen Lexikons 62 Jahre alt. Er teilt damit Geburts- und Sterbejahr mit dem Philosophen Aristoteles. Die Familie, der er entstammte, gehörte zur reichen Oberschicht. Eine Galerie adliger Vorfahren, deren es noch bis in die Anfänge des Peloponnesischen Krieges bedurfte, um Karriere zu machen, besaß Demosthenes nicht. Dergleichen war unter den Bedingungen der neuen Demokratie nicht erforderlich. In einem Staat, in dem es allgemein an Geld fehlte, war der selten gewordene Besitz von Geld politischen Bestrebungen umso dienlicher. Zwei der Großväter lassen sich identifizieren, väterlicherseits ein Mann

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namens Demomeles, von dem inschriftlich bezeugt ist, dass er Baumeister war und 421/20 eine Brücke über den Fluss Rheitos bei Eleusis errichtete. Der Großvater mütterlicherseits hieß Gylon, und mit ihm beginnen die genealogischen Schwierigkeiten. Zu den Gerichtsreden gehörte die Invektive, die persönliche Beschimpfung des Gegners, und so erfahren wir einiges über Gylon und nichts über Demomeles, denn dieser war offenbar ein angesehener Mann, dem Übles nachzusagen wenig Widerhall bei den Richtern fand. Anders verhielt es sich mit Gylon. Nach den Behauptungen seiner Gegner wurde Demosthenes’ Großvater von der Volksversammlung zum Tode verurteilt, weil er Nymphaion, einen Handelsplatz am europäischen Ufer des Kimmerischen Bosporos, an Satyros, den Regenten des Bosporanischen Reiches, verraten und dafür die Stadt Kepoi auf der asiatischen Seite des Bosporos als Geschenk erhalten habe. Dort habe Gylon auch eine reiche Skythin geheiratet, deren Tochter Kleobule dann Mutter des Demosthenes wurde. In diesen wenig berechtigten Vorwürfen – Nymphaion war offenbar kein Mitglied des Attischen Seebundes, Satyros kein Feind, sondern wichtigster Getreidelieferant Athens – steckte viel Klatsch und Verleumdung. Damit ließ sich Stimmung machen, zu Konsequenzen führte es nicht. Ein attischer Musterbürger war Gylon dennoch nicht, denn Demosthenes muss einräumen, dass dieser von Staats wegen mit einer größeren Geldstrafe belegt worden war. Das war ein dunkler Fleck, doch die hohe Mitgift, die Gylons Tochter mit in die Ehe gebracht hatte, überdeckte ihn. Zweifellos beruhte das relativ hohe Vermögen, das der ältere Demosthenes – Vater und Sohn führten den gleichen Namen – bei seinem frühen Tod hinterließ, auch auf dieser Heirat. 2 Der Vater war im Demos Paiania beheimatet, einer Gemeinde, die östlich von Athen in der Mesogeia, der Mittelebene, lag. In den Demen wurden die Bürgerlisten geführt, und da das Demotikon, die Angabe des Heimatdemos als Zusatz zum Namen, seit dem 5. Jahrhundert erblich war, übernahm es auch der Sohn. Der Vater starb an einer Krankheit, als der junge Demosthenes etwa sieben, knapp acht Jahre alt war, und so musste für ihn und seine zwei Jahre jüngere Schwester ein Vormund gefunden werden. Es wurden dann deren drei, zwei Neffen des verstorbenen Vaters, Aphobos und Demophon, sowie ein älterer Freund des Hauses, der aus demselben Demos Paiania stammte, mit Namen Thersippides. Alle drei erhöhten später unser Wissen vom Bürgerleben in Athen, denn Demosthenes zog sie, wie eingangs gesagt, wegen Veruntreuung vor Gericht, und drei dieser Reden sind erhalten. Bevor er dies tun konnte, musste er mündig sein, und das wurde er mit 18, wenn sein Name nach entsprechender Prüfung in die Bürgerlisten der Demen aufgenommen wurde. Danach folgte der Ephebendienst, der aus einer zum Teil kasernierten militärischen Aus-

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Abb. 2: Demosthenes-Büste

bildung in Attika bestand; gleichzeitig sollten die „Rekruten“ politisch und religiös auf ihre Polis verpflichtet werden. 3 Demosthenes wuchs bei den Verwandten der Mutter auf und erhielt ungeachtet der schlechten finanziellen Lage die damals bestmögliche Aus-

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bildung. Die Vormünder mögen zwar das Vermögen heruntergewirtschaftet haben, den Unterhalt für die Familie in Höhe von sieben Minen (700 Drachmen) pro Jahr scheinen sie zumindest regelmäßig gezahlt zu haben. Mit Stolz wird Demosthenes jedenfalls später in öffentlichen Reden auf seinen Schulbesuch verweisen. 4 Kindheit und Adoleszenz des Demosthenes waren zumindest nach außen weitgehend die eines wohlhabenden und wohlbehüteten jungen Atheners. Dass die Sorgen um die Unterschlagungen der Vormünder, die gebrochenen Versprechen und das schwindende Vermögen die Mutter umtrieben und sich später auf den Sohn legten, steht auf einem anderen Blatt. Schroffheit und Unversöhnlichkeit des Redners wurden später auf diese Kindheitserlebnisse zurückgeführt. Das kann, muss aber nicht sein. In Plutarchs Biographie trägt Demosthenes die Züge eines Mannes, der von Anfang an gegen die Widrigkeiten des Lebens zu kämpfen hat und dessen Größe in der ständigen Bewährung gegen Anfeindung liegt: per aspera ad astra. Dass es Demosthenes an einer „einem frei geborenen Knaben zukommenden höheren Bildung“ fehlte, wie Plutarch vermutet, ist sicherlich irrig, zumal der Biograph zum Beweis wieder Anekdoten und umständliche Etymologien bemüht: „Doch war auch seine körperliche Schwäche und Verzärtelung daran schuld, weil die Mutter ihm keine körperlichen Anstrengungen zumuten wollte und die Pädagogen ihn nicht dazu anhielten. Er war nämlich von Kind auf sehr mager und kränklich und soll daher seinen Schimpfnamen Batalos („Weichei“) von den Knaben, die ihn seiner Körperlichkeit wegen verspotteten, bekommen haben. Batalos war, wie einige sagen, ein schwächlicher Flötenspieler … Andere nennen Batalos einen Dichter ausgelassener und unanständiger Lieder.“ 5

Kampf um das Erbe Den testamentarischen Vorstellungen des Vaters nach hätten seine beiden Neffen zu passender Zeit Witwe beziehungsweise Tochter heiraten sollen, um deren Versorgung sicherzustellen und das Vermögen in der Familie zu belassen. Eine lohnende Mitgift stand beiden in Aussicht. Witwe und Tochter wurden nicht gefragt, sie besaßen auch kein Einspruchsrecht in dieser Sache. Die Neffen freilich erhofften sich doppelten Verdienst. Sie suchten sich am demosthenischen Erbe zu bereichern und sahen sich gleichzeitig nach Ehen um, die noch mehr Gewinn versprachen. Hochzeiten waren unter vermögenden Athenern oft nur eine Art von Geschäftsabschluss. Die Möglichkeit, sein Erbe zu verteidigen, bestand für den jungen Demosthenes nicht. Als Geschädigter musste er persönlich klagen,

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und das konnte er eben nicht vor der Mündigkeit. Außerdem war jeder der Vormünder einzeln zu belangen. In seinem Werdegang erschöpfte sich Demosthenes vom Anfang bis zum Ende in Prozessen, politischen und privaten. Er war immer gehetzt, oder fühlte sich so, und das erklärt auch zum Teil die Härte seiner Anschauungen. Das frühe Erlebnis, von denen betrogen zu werden, denen er vertraute, machte Misstrauen zu seiner sorgsam gepflegten Haltung, und diese richtete sich eher gegen Freunde als gegen Feinde, von denen ohnehin nichts Gutes zu erwarten war. Den ersten Prozess führte er gegen seinen Vormund Aphobos, und nur aus diesem Rechtsstreit sind auch Reden erhalten. Sie geben Einblick in die wirtschaftlichen Verhältnisse der Familie, auch wenn, was Demosthenes an Zahlen aufführt, mit größter Vorsicht zu betrachten ist. Das Testament war verloren gegangen, nur ein Teil dessen, was er aufzählte, konnte – wie die Außenstände bei Banken – durch Geschäftsbücher belegt werden, Demosthenes selbst war zu jung gewesen, um die Vorgänge zu erfassen. Übertreibungen waren erforderlich, um zumindest einen Teil des Verlorenen zurückzuerhalten.

Vermögenswerte Wenn sich so auch kein Aufschluss über die genaue Höhe des Vermögens ergibt, das Demosthenes auf ungefähr 14 Talente beziffert, so doch über dessen Verteilung. Die wichtigsten Posten, die er selbst als energá bezeichnet, das heißt als „werteschaffendes Kapital“, sind zunächst zwei Werkstätten (Ergasterien). Die eine war eine Art Waffenfabrik, in der 30 Sklaven Schwerter produzierten. Das musste in der Zeit fortgesetzter Kriege eine lukrative Sache sein, und Demosthenes beziffert den Gewinn, den der Betrieb jährlich abwarf, auf 30 Minen. Dabei waren die Kosten für den Unterhalt der Sklaven bereits abgezogen. Dazu kam eine Schreinerei mit 20 Sklaven, die Liegebetten und Stühle herstellte und einen Reingewinn von zwölf Minen pro Jahr erwirtschaftete. Sie war dem Vater des Demosthenes als Pfand für eine Summe von 40 Minen übergeben worden. Ein Talent bares Geld war ausgeliehen und brachte pro Jahr über sieben Minen, es war also mit zwölf Prozent verzinst. Römische Geschäftsleute verliehen später an Provinzbewohner im Osten gelegentlich auch mit einem Satz von zwölf Prozent monatlich. Insgesamt machten die energá etwa fünf Talente aus und erbrachten knapp 50 Minen jährlich. Das war eine Größenordnung, in der ein athenischen „Normalbürger“ nicht denken konnte. Er lebte mit seiner Familie von etwa drei Obolen täglich. Drei Obolen

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entsprachen einer halben Drachme, 6000 Drachmen addierten sich zu einem Talent oder 60 Minen. Auch totes Kapital war reichlich vorhanden. Elfenbein und Eisen, Holz für Bettgestelle, insgesamt 80 Minen wert, dazu Galläpfel und Kupfer, um 70 Minen eingekauft, Hausrat, Trinkgeschirr, Geschmeide und Kleider für rund 10.000 Drachmen und schließlich ein Haus für 3000 Drachmen. Dazu kamen noch 80 Minen an Bargeld. Das ist eine vergleichsweise hohe Summe, so sie korrekt ist, und das lässt vermuten, dass hier – wie es gängige Praxis war – Vermögen verschleiert werden sollte, um nicht zu Abgaben herangezogen zu werden. Vielleicht war die Summe aber auch als Mitgift gedacht. Als dritte Gruppe zählt Demosthenes schließlich Außenstände auf, die eigentlich zu den energá gezählt hätten, doch er gibt hier keinen Zinsgewinn an. 70 Minen waren als Seedarlehen vergeben, ein bekannt risikoreiches Unterfangen, da bei Schiffbruch die Summe verloren war. Auf der Bank (trápeza) des Pasion waren 24 Minen und auf der des Pylades sechs Minen deponiert, an Demomeles, einen Verwandten, 16 Minen verliehen und an kleineren Summen zu zwei oder drei Minen insgesamt etwa 60 Minen. Alles in allem reklamiert Demosthenes eine Hinterlassenschaft von, wie gesagt, etwa 14 Talenten für sich. 6 Hauptbeweis für sein einstiges Vermögen ist aber die Steuerabgabe, für die ihn seine Vormünder veranschlagt hatten. In seiner Symmorie, einer der – die Zahl ist umstritten – 20 Steuergruppen, in welche die 1200 reichsten Athener zusammengefasst waren, sollte Demosthenes mit 500 Drachmen von 25 Minen besteuert werden, die von ihm bezifferte Steuerveranlagung von drei Talenten führt also auf ein Vermögen von etwa 15 Talenten zurück. Detailliert schildert Demosthenes, wie Aphobos sich die Mitgift und Sachwerte aneignete, schließlich die Werkstatt herunterwirtschaftete, wie sich die beiden anderen Vormünder bereicherten und ihm dann nach Eintritt der Mündigkeit nur noch knapp die Hälfte der Sklaven, das Haus und 31 Minen Bargeld übrig blieben, insgesamt, wie er stark untertreibend zusammenrechnet, 70 Minen. Dazu macht er dann die Gegenrechnung auf, was korrektes Wirtschaften mit den vorhandenen Kapitalien an Gewinn ergeben hätte, und kommt mittels eines Beispieles auf das Dreifache des hinterlassenen väterlichen Vermögens, eine horrende Gesamtsumme also von 42 Talenten, die sein Besitz im Jahre 366 wert gewesen sein soll. Die Forderung, die er schließlich an jeden der drei Vormünder richtete, belief sich auf zehn Talente.7 Demosthenes betrieb eine Art Zahlenmagie. Da ihm jede Möglichkeit fehlte, genaue Zahlen vorzulegen, vor allem, wenn es um den ohnehin hypothetischen Gewinn ging, versuchte er, die Richter mit einer raschen Abfolge von Zahlen, die sie kaum erfassen und schon gar nicht überprüfen

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konnten, zu beeindrucken: „Aus meinem Vermögen empfangen zu haben, bekennt Aphobos 108 Minen, … Therippides zwei Talente, Demophon 87 Minen. Das macht zusammen fünf Talente 15 Minen. Was davon nach und nach unterschlagen wurde, sind etwa 77 Minen, der Ertrag der Sklaven dagegen das, was sie mit einem Male nahmen, nicht viel weniger als vier Talente, und wenn ihr dazu noch die Zinsen auf zehn Jahre nur zu zwölf Prozent schlagt, so werdet ihr finden, dass das zusammen mit dem Kapital acht Talente und 1000 Drachmen macht. Zunächst sind nun von den 77 Minen betragenden Einkünften der Fabrik die Kosten für den Unterhalt der Arbeiter abzuziehen. Therippides nämlich gab hierzu jährlich sieben Minen her, und soviel empfangen zu haben, bekennen wir. Sie haben mithin 70 Minen in zehn Jahren auf unseren Unterhalt verwandt. Den Rest, die 700 Drachmen lege ich ihnen zu, und um so viel schlage ich diesen Posten höher an. Dasjenige ferner, was sie mir nach meiner Mündigkeit ausbezahlt und was sie für mich als Steuer an den Staat entrichtet, ist von den acht Talenten und, was darüber ist, abzuziehen. Nun haben er und Therippides 31 Minen zurückgezahlt, an entrichteten Steuern aber berechnen sie 18 Minen. Ich will jedoch, um ihnen den Mund zu stopfen, auch hier ein übriges tun und 30 Minen sagen. Von den acht Talenten (48.000 Drachmen) nur dies eine abgezogen, bleiben sieben, und diese müssen sie nach dem, was sie empfangen zu haben selbst bekennen, notwendigerweise in Händen haben.“ 8

Vermögenstausch Das war eine Finanzoperette, der Kläger, die Beklagten und die (Laien)Richter wussten das. Tatsächlich kam dann auch nur der Prozess gegen Aphobos zustande, mit den beiden anderen wurde offenbar ein Vergleich geschlossen. Nach Ausweis der dritten Rede gegen Aphobos, deren Echtheit freilich umstritten ist, wurde der Beklagte zu einem Schadenersatz in Höhe der genannten zehn Talente verurteilt, eine fiktive Summe, die nicht auch nur annähernd einzutreiben war. 9 Aphobos war in der Lage, sich im attischen Rechtsdschungel zu behaupten, und dies hatte er schon vor Prozessbeginn bewiesen. Er nutzte dazu eine der ungewöhnlichsten Einrichtungen, welche die Demokratie reichen Bürgern bot. In Athen wurde die Hauptlast des Steueraufkommens von den Reichsten getragen. Die ärmeren waren gar nicht in der Lage, auch nur eine Obole an Steuern zu entrichten. Im Gegenteil, sie mussten von der Demokratie alimentiert werden. Seit deren Wiedereinrichtung im Jahre 403 wurde der Besuch der Volksversammlung zuerst mit einer, dann mit zwei und bald danach mit drei Obolen vergütet. Später bekam ein Besu-

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cher der Volksversammlung, ein ekklesiastés, eine Drachme für eine Normalsitzung und eineinhalb für die einmal pro Prytanie stattfindende Hauptsitzung. Diäten erhielten schon seit Perikles die Ratsherren und die jährlich erlosten 6000 Richter. Ab der Mitte des Jahrhunderts wurden auch noch die Theorika (Schaugelder) zunächst für den Besuch der Dramenaufführungen, danach für den aller Feste gewährt. Wer von den Reichen zu einer Leiturgie herangezogen worden war, die in der Übernahme der Kosten für die Ausstattung eines Festes oder der Ausrüstung einer Triere bestand, konnte einen Bürger benennen, den er für reicher hielt und für diesmal an einer Verpflichtung vorbeigekommen war. Dieser musste dann statt seiner die Leiturgie übernehmen oder in einen Vermögenstausch, Antidosis genannt, einwilligen. Psychologisch geschickt lenkte dies den Unwillen vom Staat ab, öffnete gleichzeitig aber Denunziation und Betrug Tür und Tor. Freilich gab es auch Athener, welche die Übernahme einer Leiturgie als Ehre ansahen und damit um öffentliche Anerkennung buhlten.10 Ein gewisser Thrasylochos forderte nun zusammen mit seinem Bruder Meidias, der später zu den wirkmächtigen Feinden des Demosthenes zählen sollte, diesen auf, seine Trierachie zu übernehmen oder eben das Vermögen zu tauschen. Die Sache war unzweifelhaft mit Aphobos abgesprochen. Demosthenes aber befand sich in einem Dilemma. Willigte er in den Tausch ein, ging sein aktuelles Vermögen zusammen mit den Forderungen, die er gegen Aphobos hatte, an Thrasylochos über und war damit verloren. Verweigerte er den Vermögenstausch, musste er die Kosten der Trierarchie übernehmen und zwangsläufig seine ohnehin zerrütteten Finanzen weiter schmälern. Der Versuch, die Sache durch ein gerichtliches Verfahren, die sogenannte Diadikasía, im Vorfeld zu klären und die Sache abzuwenden, scheiterte. Demosthenes musste, da er auf das (falsche) Angebot nicht einging, den Anteil des Thrasylochos an der Trierarchie in Höhe von 20 Minen übernehmen. Er konnte dies schon nicht mehr aus eigener Kasse tun und musste dazu einen Kredit aufnehmen.11 Demosthenes ging das Risiko wohl aus zwei Gründen ein. Zunächst versprach er sich von einem erfolgreichen Prozess einen finanziellen Gewinn, der weit über den Kosten der Trierarchie lag, zum anderen beförderte die Trierachie seine Chancen, den Prozess auch zu gewinnen. Vor Gericht stritten meist Reiche um ihren Reichtum, die Geschworenen dagegen gehörten in ihrer übergroßen Mehrzahl zu den ärmeren Bürgern, für die das heliastikón, der Richtersold, einen wichtigen Teil ihres Unterhalts darstellte. Für Reiche hatten sie kein Mitleid.12 Es galt daher, sich als arm, den Gegner als reich darzustellen. Wer eigenen Besitz nicht verbergen konnte, musste betonen, mit diesem vor allem seine finanziellen Verpflichtungen für den Staat bereitwillig und großzügig zu erfüllen. So

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wird Demosthenes auch nie müde zu betonen, dass das, was er tue, der Gemeinschaft nütze, das Tun seiner Gegner aber dieser schade. Dass dies auch oft auf plumpe Weise geschehen konnte, zeigt der Schlussappell der zweiten Rede, mit der er den Zuhörern versichert, sich unweigerlich jeder öffentlichen Leistung zu unterziehen, wenn er nur wieder in den Besitz seines Eigentums gelange.13 Aphobos aber werde das, was er sich angeeignet habe, verhehlen, zum Schaden des Staates und – das braucht Demosthenes nicht zu sagen – zu dem der hier anwesenden Geschworenen. Demosthenes überzeugte die Richter, entweder von seiner Sache oder von ihrer oder von beiden. Aphobos’ Angebot, ein Talent rückzuerstatten, nahm er nicht an, und der Ausgang des Verfahrens gab ihm recht, denn Aphobos musste, wenn auch nur auf dem Papier, zehn Talente bezahlen. Dies freilich überschritt seine Möglichkeiten und für Demosthenes begannen neue Schwierigkeiten. Er musste die Pfändung des Schuldners selbst einleiten und versuchen, die Summe irgendwie einzutreiben. Aphobos aber hatte bis zum Abschluss des Prozesses genügend Zeit, Bargeld und Gerätschaften zur Seite zu schaffen. Für die Immobilien fand er noch eine andere Lösung. Wir wissen um die Machenschaften des Aphobos und seiner Freunde, weil der Ausgang des Prozesses den nächsten zeitigte. Einen Prozesskrieg nennt das die Moderne, und eine Art Krieg herrschte tatsächlich zwischen den Reichen und den Armen, aber auch unter den Reichen. Demosthenes’ Gegner, von dem zwei erhaltene Reden kundtun, hieß nun Onetor und war – zumindest für zwei Jahre – der Schwager des Aphobos. Im Jahre 366, dem Jahr, in dem Demosthenes mündig wurde, hatte Aphobos die Schwester des Onetor geheiratet. Sie brachte mehr Mitgift als Demosthenes’ Mutter Kleobule, und außerdem hatte er deren Mitgift bereits ausgegeben. Onetors Schwester war zuvor mit einem Mann namens Timokrates verheiratet, der bald danach Archon wurde. Dieser konnte sich verbessern, als er eine lukrative Erbtochter fand. Die 80 Minen Mitgift, die er von Onetor erhalten hatte, gingen daher zurück an den Absender, und dieser konnte sie jetzt an Aphobos als seinen neuen Schwager weiterreichen. Da aber inzwischen bereits ein unglücklicher Ausgang des Verfahrens drohte, fanden beide mit Timokrates als Dritten eine erstaunliche Lösung. Timokrates behielt die Mitgift, die ja nun Aphobos zustand, und verzinste sie mit zehn Prozent. Gleichzeitig ließ sich Aphobos 364 zum Schein wieder scheiden, sodass sie wieder an Onetor zurückfiel. Als Demosthenes Güter des Aphobos beschlagnahmen wollte, tauchte wie der Igel im Märchen vom Wettlauf mit dem Hasen Onetor auf und behauptete, er habe Ansprüche auf Haus und Grundstück, weil die Mitgift nicht zurückerstattet worden sei. Nach längeren Auseinandersetzungen nahm Demosthenes Haus und Inventar, sprich Sklaven, im Wert von 20 Minen in Besitz, das große Grund-

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stück im Wert von einem Talent verwehrte ihm Onetor weiterhin, und so begann 362 das nächste Verfahren. Mit jedem Vermögensstreit stieg die Zahl der Feinde des Demosthenes, und manche blieben es ein ganzes Leben lang. Demosthenes verklagte jetzt Onetor auf Herausgabe des Grundstückes, indem er nachzuweisen versuchte, dass Entzweiung, Scheidung und Mitgiftrückforderung nur den schlechten Schein eines weiterhin bestehenden Einvernehmens zwischen Aphobos und Onetor bildeten. Der Ausgang des Verfahrens ist nicht bekannt.14

Lehrjahre Die Anekdoten Nach dem kurzen Streiflicht, das die Reden auf die Vermögensverhältnisse des Demosthenes werfen, versinkt seine Biographie wieder im Dunkel. Plutarch erhellt es mit Anekdoten, und die bilden, wie gezeigt, die Grundlage seiner Demosthenes-Vita. Er schöpft dabei aus einer langen, in frühhellenistischer Zeit entstandenen Tradition, die Demosthenes neben Perikles zum größten Redner griechischer Zunge stilisierte. Manches davon mag Plutarch geglaubt haben, anderes diente ihm dazu, den Charakter seines Helden herauszuarbeiten. In der Vita des Perikles ist der Aufstieg programmiert, denn dieser kam aus einer angesehenen aristokratischen Familie; hohe Staatsämter lagen gleichsam in seiner Wiege. Demosthenes verdankte seinen Aufstieg seinem eisernen Willen, dem demokratischen System und harter Arbeit, mit der er seine Fähigkeiten ausbildete. Er war ein Außenseiter, da er zwar aus einer reichen, aber letztlich fast ruinierten Familie kam. Für einen Perikles waren nur die besten Philosophen der Zeit als Lehrer geeignet. Demosthenes liest – bei Plutarch – heimlich Lehrschriften, den Unterricht bei dem berühmten Isokrates kann er nach Vermutungen später Rhetoren als Halbwaise nicht bezahlen. Einige Quellen lassen ihn bei Platon in die Schule gehen; Plutarch selbst ist überzeugt, dass er den Redelehrer Isaios hörte, der als Metöke in Athen lebte und etwa eine knappe Generation älter war. Der Unterricht trug freilich keine schnellen Früchte, das Debüt auf der politischen Bühne wird – so wiederum Plutarch – zum Fehlschlag: „Das erste Mal freilich, da er vor das Volk trat, erntete er Lärm und Gelächter, weil seine Art zu sprechen aller Gewohnheit widersprach und seine Rede durch verwickelte Periodisierung und verkünstelte Argumentation allzu herb wirkte und Missfallen erregte. Dazu kam, wie es scheint, eine Schwäche der Stimme, eine Undeutlichkeit der Aussprache und eine Knappheit des Atems, die durch das Zerreißen der Perioden den Sinn des Gesagten nicht recht klar werden ließ. Als er sich darum schließlich von der politischen Tätigkeit zurückzog und einmal niedergeschlagen im Piräus herumtrieb, sah ihn der Thriasier Eunomos, ein schon sehr alter Mann, und machte ihm Vorwürfe, dass er, obschon sein rednerischer Stil dem des Perikles sehr ähnlich sei, sich aus Mutlosigkeit und Weichlichkeit aufgebe, sich nicht beherzt der Masse stelle, nicht seinen Körper für die politischen Kämpfe stähle, sondern ihn aus Verzärtelung verkommen lasse.“

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Abb. 3: Jean Lecomte du Nouy (1870): Demosthenes übt sich im Reden

Doch die ersten Misserfolge – auch der zweite Auftritt scheitert – werden, wenn wir der Überlieferung vertrauen dürfen, zum Ansporn. Was bei Perikles Talent und Begabung ist, das ersetzt Demosthenes durch Zielstrebigkeit und Zähigkeit. Er baut sich einen unterirdischen Übungsraum, den Plutarch über 400 Jahre später noch gesehen haben will, um sich dort im Vortrag zu üben und seine Stimme auszubilden. Täglich sei er dort hinuntergegangen, berichtet die antike Vita, und um konzentriert üben zu können, habe er sich die eine Hälfte seines Kopfes scheren lassen, damit er, aus Furcht sich lächerlich zu machen, das Haus längere Zeit nicht verlassen konnte. Hier wurzelt auch die berühmte Legende vom maritimen Kieseltraining. Sie ist eine Verknüpfung zweier Anekdoten und beginnt mit Demetrios von Phaleron, dem Statthalter von Makedoniens Gnaden im nachdemokratischen Athen, dem der greise Demosthenes einst selbst die schwieri-

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Abb. 4: Das Lysikrates-Monument: „Die Laterne des Demosthenes“

gen Anfänge gestanden haben soll. „Die Undeutlichkeit und das Anstoßen mit der Zunge habe er weggebracht und eine klare Aussprache erzielt, indem er Steine in den Mund nahm und gleichzeitig lange Dichterstellen vortrug, und die Stimme habe er geübt, indem er bei raschem Lauf und beim Bergansteigen sprach und Reden oder Verse mit aufs äußerste angespanntem Atem vortrug; er habe auch zu Hause einen großen Spiegel gehabt und vor diesen hintretend seine Redeübungen gehalten.“ Einer zweiten Überlieferung zufolge ging Demosthenes bisweilen in den Hafen von Phaleron hinunter und sprach gegen das Brausen des Meeres an, um nicht aus der Fassung zu geraten, wenn es in der Volksversammlung zu einem Tumult käme. Beide Geschichten verdichteten sich dann zu der populär gewordenen Version, Demosthenes habe sich, Kieselsteine im Mund und laut am Meeresufer deklamierend, auf die Reden in der Ekklesia vorbereitet.

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Ein anderes Manko, das Demosthenes nachgesagt wurde, war seine angebliche Unfähigkeit, aus dem Stegreif zu reden: Demosthenes’ stets ausgefeilte Reden mit ihren langen Perioden und ausgesuchten Sentenzen bedurften einer langen Vorbereitung. Vermutlich geht der Tadel auf den Aristoteles-Schüler Theophrast zurück, der in dem Athener Demades das größere Talent sah: „Freilich, in Bezug auf Demades waren sich alle darüber einig, dass er, indem er einfach von seiner natürlichen Anlage Gebrauch machte, unüberwindlich wäre und mit seinen Reden aus dem Stand die mühsam erarbeiteten Produkte des Demosthenes aus dem Felde schlug.“ Dem Redner Pytheas wird die spöttische Bemerkung zugeschrieben, Demosthenes’ Argumentation röche nach Lampe, das heißt nach dem Öl, das Demosthenes durch nächtelanges Arbeiten in seinem Studierzimmer verbrannte. Sogar Diebe sollen sich durch das ständige Lichtbrennen in ihrer Tätigkeit gestört gefühlt haben. Demosthenes selbst störte die Kritik – wenn wir Plutarch glauben wollen – kaum, er verwandelte sie vielmehr in einen demokratischen Topos, der modern anmutet: Ein Mann, der sich auf seine Reden vorbereite, beweise damit demokratische Gesinnung, denn sich vorzubereiten sei ein Akt der Höflichkeit gegen das Volk, und sich nicht darum zu kümmern, wie die Menge die Rede aufnehmen werde, verrate einen überheblichen Aristokraten, der mehr an Gewalt als an Überzeugung denken lasse. Von den Demosthenes-Anekdoten leuchtete die vom nächtlichen Redenverfasser besonders ein. Die Fama überdauerte die Antike, und seit dem Mittelalter hieß das berühmte Denkmal, das sich der Athener Lysikrates für seinen Sieg im Choregenwettstreit des Jahres 335/34 unterhalb der Akropolis errichtete und das als Anbau an ein Kloster unzerstört blieb, im Volksmund die „Laterne des Demosthenes“, da die Athener vermuteten, Demosthenes habe sich hier eine Studierstube erbauen lassen, um ungestört seine Reden ausarbeiten zu können.1

Der Logograph Demosthenes’ erste Tätigkeit, die sich als Beruf bezeichnen lässt, war diejenige eines Redenschreibers, eines Logographen. Seine forensischen Auftritte waren offenbar erfolgreich, und so fand er bald Zuhörer, die sich seines Talentes bedienen wollten. Ein Logograph trat nicht selbst auf, er schrieb im Auftrag, und der Klient hielt dann die bestellte Rede im eigenen Namen. Freilich konnte der Logograph durch Publikation der Reden für sich und sein Können werben. Dass er sich mit der Sache identifizierte, wurde nicht erwartet, lediglich, dass er sie geschickt vertrat. Je nach Streitwert und Vermögen des Klienten konnte er gut oder weniger gut verdienen.

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Abb. 5: Das Lysikrates-Monument Mitte des 18. Jahrhunderts, Zeichnung von Le Roy

Möglicherweise begann Demosthenes seine Tätigkeit aus finanziellen Gründen, in den späteren Jahren war dies aber ein untergeordneter Aspekt oder jedenfalls nicht mehr der einzige. Angesehen waren die Logographen zumindest bei den reichen Athenern nicht, doch mag dies auch nur für die Gruppe gelten, die allein mit Redenschreiben ihren Unterhalt bestritt. Wie die Zöllner der Bibel in einem Atemzug mit den Sündern genannt wurden, so verbanden sich Logographos und Skythe zu einem Schimpfwort. 2 Als Redenschreiber und bezahlter Advokat sei er zum reichsten Mann Athens geworden, moniert später einer von Demosthenes’ Feinden, 3 doch machten solche Vorwürfe wenig Eindruck und fochten den Getadelten kaum an. Aus der frühen Phase als Redenschreiber, vielleicht noch aus der Zeit vor 360, sind zwei kleinere Reden erhalten, eine gegen einen Mann namens Spoudias, eine gegen einen namens Kallikles. Behandelt werden in ihnen die in Athen üblichen Zänkereien, zum einen unter Verwandten, zum anderen unter Nachbarn. Es ging in dem einen Prozess um Erbschaft, Mitgift und Mietzins, um die Überschwemmung eines Grundstücks im anderen. Die Summen, um die gestritten wurde, waren verhältnismäßig gering, für den Logographen also wenig Geld und Anerkennung zu erwerben.4 Das mag sich bald geändert haben, denn im Nachlass des Demosthenes fanden sich weitere Reden, die meisten aus den vierziger Jahren, die er im Auftrag einer wohl überwiegend wohlhabenden Klientel für Geld oder zur

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politischen Unterstützung geschrieben hatte. 5 Anders als der Publizist Isokrates hat er diese Tätigkeit nicht aufgegeben. Ein Fall, in dem Demosthenes die Verteidigungsrede beisteuerte, erregte besonderes Aufsehen. Er betraf das ehemalige Bankhaus des Pasion, und es ging um die erkleckliche Summe von 20 Talenten (120.000 Drachmen). Es war das Jahr 350/49, Philipp II. bereitete seinen Angriff auf Olynth vor, Demosthenes zeigte sich auf der Höhe seiner Redekunst. Die Rede, die er für den ehemaligen Sklaven Phormion schrieb, der zum Banker und attischen Bürger aufgestiegen war, gilt als seine beste Auftragsarbeit. In jedem Fall war sie äußerst erfolgreich, denn der Gegner bekam nicht einmal ein Fünftel der Stimmen und musste deswegen die dafür festgelegte Buße bezahlen. Pasion hatte 370/69 kurz vor seinem Tod Bank und Schildmanufaktur an Phormion verpachtet, bis sie sein Sohn Pasikles nach Eintritt der Mündigkeit übernehmen konnte. Dies war im Jahre 361. Phormion, der auf Wunsch des Verstorbenen auch dessen Witwe geheiratet hatte, gründete ein eigenes Bankgeschäft, Streitigkeiten mit Pasikles’ Bruder Apollodor wurden gütlich beigelegt. So überraschte es, als Apollodor 350/49 Phormion plötzlich auf die Herausgabe eines von seinem Vater übernommenen Betriebskapitals von 20 Talenten verklagte. Demosthenes unternahm es, die Klage als unberechtigt und formal unzulässig zu erweisen. Das offenkundig Unplausible einer so späten Klage scheint es ihm auch leicht gemacht zu haben, und dennoch spart er nicht mit Kritik an Apollodor als einem Mann, der sein Vermögen vergeudet und verschwendet habe, und – dies vor allem für die patriotischen Geschworenen – der sich zwar mit aufwändigen Trierarchien und Choregien brüste, realiter aber kaum etwas für den Staat geleistet habe. 6 Einen Verleumder und notorischen Sykophanten (Denunzianten) nennt ihn Demosthenes, der, obwohl verheiratet, es mit Hetairen treibe und überhaupt ein übles Subjekt sei. 7 Da die Herabsetzung des Gegners zum notwendigen Instrumentarium der Gerichtsparteien gehörte, war es nicht leicht, einen rechtschaffenen Athener zu finden. So ist auch derjenige, mit dem es Demosthenes (als Logograph) im nächsten, wenig später im Jahre 349/48 stattfindenden Prozess zu tun bekam, in dem eine Anstiftung zu falschem Zeugnis verhandelt wurde, kein geringerer Schurke, als es Apollodor gewesen war: Ein Feind der menschlichen Natur sei er – notiert der Logograph in seiner Rede für den neuen Klienten –, ein Barbar, der ewige Wechsler, der nichts anderes im Sinn hätte, als sich zu bereichern und dem Staat die fälligen Leistungen zu entziehen. 8 Der Mann, der nun so beschimpft wurde, war Phormion, Demosthenes’ Klient, der die von ihm verfasste Rede vortrug, aber Apollodor. Kläger und Beklagter hatten die Seiten gewechselt, der Redenverfasser war sich gleich geblieben.

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Ein Logograph schrieb nicht aus Überzeugung, sondern für Geld. Dennoch war es ungewöhnlich, dass Demosthenes das im ersten Prozess von seinem Klienten erworbene Wissen im zweiten gegen ihn einsetzte. Ein anderes war, dass sich Demosthenes mit seiner Logographentätigkeit viele reiche Mitbürger zu Feinden machte. Jedenfalls erregte die Sache unter den Athenern Anstoß. Die diesbezüglichen Vorwürfe kommen zwar von einem eingefleischten Demosthenes-Gegner, von Aischines, doch kann dieser sie auch nur erheben, weil er glaubte, damit jenem schaden zu können. „Du schriebst gegen Bezahlung eine Rede für den Bankier Phormion, dann verrietst Du sie an Apollodor, der gegen Phormion eine persönliche Klage führte.“ Für Aischines war einem Mann, der seinen Klienten hinterging, nicht zu trauen. 9 Plutarch entwickelte später auch moralische Bedenken: Demosthenes sei zu einem üblen Ruf gekommen, da er „den streitenden Parteien gleichsam aus einer Waffenhandlung stammende Dolche zum Kampf gegeneinander verkaufte.“ 10 Plutarchs Urteil verkennt die Realität des 4. Jahrhunderts. Demosthenes agierte, um ein Wort Ciceros abzuwandeln, nicht in Platons Idealstaat, sondern in Kleisthenes’ Schweinestall. 11 Die Gerichtsreden aus dem Corpus Demosthenicum enthüllen eine sehr vertraut scheinende Gesellschaft. Die, welche Prozesse führen, sind reich oder wollen es werden. Gegen Arme lohnte es nicht, Prozesse anzustrengen. Die Reichen beschworen in ihren Reden eine gemeinsame Vergangenheit, die eine gemeinsame Zukunft versprechen sollte. Das, was sie am Staat interessierte, waren die Geschäfte, die sie mit ihm machen konnten. Öffentlich lobten sie die Demokratie, privat suchten viele (nicht alle) ihr Vermögen zu verstecken, um möglichst wenig Leiturgien leisten zu müssen.

Der Trierarch Im Leben eines jungen Atheners gab es in der Regel wenig, das jenseits des Verwandten- und Freundeskreises von Interesse war. So begegnet uns Demosthenes – außerhalb der Gerichtshöfe – erst im Jahre 359 in der Öffentlichkeit. Seit der Schlacht von Mantineia, die das innergriechische Patt herstellte, waren drei Jahre vergangen, in Makedonien begann der Aufstieg Philipps. Athen hatte nach der Gründung des Zweiten Seebundes wieder imperiale Ziele im Blick. Besonders die nördliche Ägäis und speziell der Hellespont standen dabei im Visier äußerer Politik. Athen war auf Getreideimporte aus dem Gebiet des Schwarzen Meeres angewiesen und brauchte den Zugang zu den Rohstoffen Thrakiens. So galt die Sorge der Sicherung der Schifffahrtsroute in den Norden. Zum Schutz athenischer Handelsplätze war eine Flotte auf Thasos stationiert, doch der Versuch, von dort das im Peloponnesischen Krieg verlorene Amphipolis zurück-

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zugewinnen, das den Zugang zu den Bergwerken des Pangaion-Gebirges beherrschte, scheiterte Ende der sechziger Jahre. Von wechselndem Erfolg waren die Bemühungen, die 405 verlorene thrakische Halbinsel (Chersones) wieder unter athenische Kontrolle zu bringen. Als sich 359 erneut eine Chance dazu bot, schickten die Athener eine Flotte unter dem Strategen Kephisodotos aus. Demosthenes befehligte (nominell) als Trierarch das Flaggschiff, auf dem der kommandierende Strategos mitfuhr. Bei ihren Vorstößen erlitten die Athener Verluste und mussten schließlich in einen ungünstigen Vertrag mit dem Thrakerkönig Kersobleptes sowie Charidemos, einem Söldnerführer aus Euboia, einwilligen. Charidemos bot seine Dienste alternierend Königen, Fürsten oder Stadtstaaten an. So versprach er zunächst den Athenern, für sie die Chersones wiedergewinnen zu wollen, verdingte sich aber dann dem Thrakerkönig Kotys und nach dessen Tod 360 dem Nachfolger Kersobleptes. Später wechselte er wieder die Seiten, wurde Ehrenbürger Athens und kämpfte als athenischer Strategos gegen Philipp. Mit dem als schmählich empfundenen Vertrag war 359 die Mission des Kephisodotos fehlgeschlagen. Er wurde zurückberufen, seines Amtes enthoben – im 4. Jahrhundert eine Routinemaßnahme der Volksversammlung – und zu einer Geldbuße von fünf Talenten verurteilt. Das militärische Debakel hatte Demosthenes nicht zu verantworten; er hatte als Trierarch seine Pflicht getan, und die bestand weniger darin, an der Fahrt teilgenommen, als sie mitfinanziert zu haben. Anders als die späte römische Republik kannte die athenische Demokratie, in der die meisten Ämter verlost wurden, keine festgelegte politische Laufbahn, die Schritt für Schritt zu durchlaufen war, doch wer dazu in der Lage war, hatte viele Wege, um auf sich aufmerksam zu machen. Das konnte mittels eines Gesetzesantrages, mittels einer beeindruckenden Rede oder am einfachsten mittels einer Leiturgie sein, also in Form von Geld. 359 übernahm Demosthenes die Hälfte einer Trierarchie, das heißt er rüstete zusammen mit einem anderen Athener eine Triere aus und bezahlte die laufenden Unkosten. Mit solchen Leistungen für den Staat, hier einer Syntrierarchie, konnte ein aufstrebender junger Mann schon früh öffentliches Ansehen erwerben. Der Staatsmann Perikles war vermutlich erst 18 Jahre alt, als er den Chor für das Perserkriegsdrama des Aischylos finanzierte. Die Trierarchie erforderte einiges an Investition, aber die Ausgaben ließen sich gleichsam als Werbungskosten für eine spätere Rhetorenkarriere absetzen. Fünf Jahre nach den Klagen gegen und über die Vormünder war Demosthenes offenbar wieder liquide. Vielleicht war der Ruin doch nicht so groß, wie vor Gericht behauptet, vielleicht war auch einiges von den veruntreuten Geldern zurückbezahlt worden, vielleicht hatte der Redner zusätzliche Einnahmen als Logograph. Auch lässt sich annehmen, dass er

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die Geschäfte des Vaters weiterführte, Waffen produzierte und mit ihnen handelte und sein Geld anlegte, wie es reiche Athener taten. Zum Bankhaus Pasion & Nachfolger bestanden jedenfalls auch weiterhin gute Beziehungen. Nach seiner Rückkehr von der Fahrt erhob Demosthenes Anspruch auf eine Auszeichnung, den sogenannten trierarchischen Kranz, der ohne Ansehen des Erfolgs einer Mission demjenigen „Kapitän“ verliehen wurde, der sein Schiff zuerst als segelfertig melden konnte. Demosthenes besaß Konkurrenten, die ihm diese Ehre streitig machen wollten, und diesem Umstand verdanken wir auch die erste Rede, die er nicht vor Gericht hielt, die Rede um jenen trierarchischen Kranz, gehalten – die Datierungen schwanken von 360 bis 357 – um das Jahr 359, und zwar vor dem Rat der Fünfhundert, dem die Vergabe dieser Auszeichnung oblag. Über dem Persönlichen vergaß Demosthenes aber nicht die Kritik am Grundsätzlichen. Sie zielte auf die gängige Praxis, die Trierarchie sozusagen zu verpachten. Reiche Athener, die wenig Interesse an einer langen und vielleicht auch noch gefahrvollen Flottenfahrt hatten, mieteten sich einen Kapitän, der die Sache für sie besorgte. Das war geduldet, aber gesetzlich offenbar nicht vorgesehen, denn beim Scheitern der Flottenexpedition konnten die (hauptamtlichen) Trierarchen vor Gericht gezogen werden. Demosthenes selbst nennt einen solchen Fall. Offenbar pflegten die Ersatzkapitäne ihr Salär noch durch private Beutezüge aufzubessern, und auch das wurde für Athen ein Problem, wenn es auf dem Gebiet von Bundesgenossen geschah. Über den privaten Anlass hinaus berührte Demosthenes also in seiner Rede ein allgemeines Problem. Vielleicht hatte er wenig zu verlieren, da er nur einen einzigen Fürsprecher für seinen Anspruch auf den Kranz besaß, noch dazu den gescheiterten Strategen, dennoch war die Rede mutig, denn Demosthenes sparte nicht mit Kritik an den anwesenden Ratsherren. Der Ausgang ist ungewiss, in jedem Fall aber hatte der junge Redner auf sich aufmerksam gemacht. 12

Der erste Auftritt Der Bundesgenossenkrieg Als Demosthenes 354 seine erste große Rede vor der Volksversammlung hielt, war er 30 Jahre alt, also in dem Alter, in dem er Ratsherr oder Richter werden und alle großen militärischen und Finanz-Ämter bekleiden konnte. Seit er 359 mit der Rede über den trierarchischen Kranz vor der Boulé aufgetreten war, hatte sich die außenpolitische Situation wiederum gravierend geändert. Wenn die Geschichte eine Lehrmeisterin ist, so hat sie keine Schüler. Athen griff wieder zu den Methoden, mit denen die Stadt sich schon einmal ruiniert hatte.1 Unter Umgehung der Bundesversammlung wurde die Besteuerung der Bundesgenossen erhöht, athenische Schiffe landeten im Norden und Osten der Ägäis, Sestos und Krithote auf der thrakischen Chersones, Poteidaia und Torone auf der Chalkidike wurden erobert. Den athenischen Kriegsschiffen folgten im Falle des Sieges athenische Siedler. Bereits im Jahre 365 war das wichtige Samos von den Persern befreit und danach bald von attischen Kleruchen besetzt worden. Sie taten, was die Perser nicht gemacht hatten, sie vertrieben weitgehend die einheimische Bevölkerung, auch Samos wurde athenische Kleruchie. Die wichtigsten Verbündeten Athens in Kleinasien und am Hellespont waren nun 357 die stetigen territorialen Übergriffe Athens und die zu entrichtenden Abgaben leid. Byzanz und die Inseln Rhodos, Chios und Kos sagten sich, unterstützt von dem karischen Satrapen des Perserkönigs, Maussolos, der sich kurz danach mit seinem Tod unsterblich machte, von der Vormacht los. Die Athener entsandten Söldner und erprobte Strategen. Der erste von diesen fiel beim Kampf um Chios (Chabrias), der zweite erlitt dort eine Niederlage (Chares) und den Rest besorgten die Athener selbst, indem sie – wieder einem Muster des Peloponnesischen Krieges folgend – die verbliebenen Feldherrn (Iphikrates, Timotheos, Menestheus) vor Gericht stellten. Von 357 bis 355 dauerte der sogenannte Bundesgenossenkrieg. Am Ende mussten die Athener klein begeben und die Autonomie ihrer früheren Verbündeten anerkennen, denn jetzt drohte auch noch der Großkönig mit seinen unerschöpflichen Ressourcen zu Gunsten der Gegner einzugreifen. In seiner Friedensrede von 355 trat der Publizist Isokrates für eine rasche Beilegung des Konflikts ein, und zwar nicht nur mit Chios, Rhodos, Byzanz und Kos, sondern mit der ganzen Welt, und dies in Anerkennung dessen, was im Königsfrieden vereinbart worden sei. Dies war eine oppositionelle Meinung, denn der Königsfrieden galt in Athen als Schmach, und

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zwar vor allem deswegen, weil dort der Großkönig und Sparta die Rolle einnahmen, in der sich Athen gern gesehen hätte. Isokrates legte den Finger noch in eine andere Wunde: Die (verbliebenen) Bundesgenossen müssten wie Freunde behandelt werden, nicht weiter dürften sie der Willkür der (athenischen) Feldherrn preisgegeben werden. Wie ein Bundesgenosse, nicht wie ein Herr solle Athen an der Spitze des Bündnisses stehen. 2 Die Furcht vor dem Großkönig schlug ein zweites Mal zu Athens Gunsten aus. Im 5. Jahrhundert hatte sie zum Flottenbauprogramm geführt, mit dem Athen führende Seemacht wurde, nun brachte sie mit dem (erzwungenen) Verzicht auf ebenso teure wie unnötige Seeoperationen eine wirtschaftliche Erholung. Die erhaltenen Listen der Poletai, welche die Bergwerkkonzessionen vergaben, scheinen auf einen wirtschaftlichen Aufschwung schon in den siebziger Jahren zu deuten, 3 doch spricht eine finanzAbb. 6: Statue Maussolos’ II. politische Schrift dieser Zeit, Xenophons aus dem Maussoleum Poroi („Über die Einkünfte“), mit der er Vorschläge zur Sanierung der Staatsfinanzen machte, dagegen, dass Athen vor dem Bundesgenossenkrieg finanzielle Rücklagen bilden konnte. Es sind der Friede von 355 und mit Eubulos ein neuer Mann an der Spitze des Amtes, das bald zum wichtigsten der athenischen Demokratie werden sollte, der Kasse der Schaugelder, welche die Finanzen konsolidierten.

Die Symmorien-Rede Politisch war Demosthenes in den fünf Jahren nach 359 kaum hervorgetreten, zumindest wissen wir nichts davon. Als Neuling musste er in irgendeiner Weise Interesse wecken, er musste ein Thema finden, das die Athener mit ihm verbanden und das für ihn warb. Das würde Zeit brauchen, und bis dahin war es angeraten, sich dort Unterstützung zu suchen, wo Erfolg zu haben für den Moment am aussichtsreichsten erschien. Athen kannte keine Parteien. Politiker sammelten mit einem Programm Anhän-

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ger um sich, die sie, indem sie sich ein bestimmtes Image gaben, länger an sich zu binden versuchten. Demosthenes war Mitte der fünfziger Jahre noch ein Mann ohne Profil, er musste erst einen eigenen Stil entwickeln und eben seine politische Thematik finden. Die erste – der Nachwelt bekannte – Staatsrede, die Demosthenes auf seinem Karriereweg im Jahre 354 hielt, versucht einen innen- mit einem außenpolitischen Gegenstand zu koppeln.4 Ihr Doppelcharakter zeigt sich auch in den Titeln, die sie in hellenistischer Zeit bekam. Der Grammatiker Kallimachos sah im 3. Jahrhundert den Inhalt der Rede vornehmlich in den Vorschlägen zu einer Reform der Steuerklassen, den Symmorien, und nannte sie entsprechend. Die Rede kreiste jedoch auch um das wieder aktuell gewordene Verhältnis zum Großkönig und so schlugen andere antike Philologen den Titel Perì tôn basilikôn (Über die Angelegenheiten des Großkönigs) vor. Demosthenes hielt später das außenpolitische Feld für geeigneter, Kenntnisse zu zeigen, und so betont er in jüngeren Reden wie der über die Freiheit der Rhodier aus dem Jahr 351, er habe als Erster in der Politik gegenüber dem persischen König das Richtige geraten. 5 Die Rede ist kunstvoll aufgebaut, sie beginnt und schließt mit den Vorfahren, die als Folie für eine kleine Schelte der konkurrierenden Redner dienen. Es folgen, unterbrochen durch Reformvorschläge im Kern der Rede, etwas lang geratene Ausführungen, wie Athen sich zum Perserkönig zu stellen habe. Dass der Großkönig der Feind aller Griechen sei, war nicht neu; auch nicht die Behauptung, dass einige der Griechen dies nicht wüssten und andere Geld von ihm nähmen. Schon in den Perserkriegen des 5. Jahrhunderts hatte sich höchstens ein Drittel der Hellenen am Bündnis gegen Xerxes beteiligt. Persisches Geld genommen hatten später jedoch alle, denen es angeboten wurde. Auch Demosthenes selbst wird noch auf persisches Gold zugreifen, in seinem Fall natürlich für einen guten, also patriotischen Zweck. Offene Feindseligkeit werde nach Meinung des Demosthenes die Perser zwar nicht zum Krieg provozieren, könne sie aber veranlassen, Athens innergriechische Feinde, von denen die Stadt noch genügend besäße, mit Geld zu unterstützen. Die Sache der Gerechtigkeit, also die Athens, aber und derer, die sie verteidigten, sei stärker als alle Verräter in Griechenland und alle Barbaren. Die Athener müssten den Krieg weder übermäßig fürchten noch sich dazu verleiten lassen, ihn anzufangen.6 Das war sozusagen mutiger Pazifismus, und damit konnten die meisten übereinstimmen. An eine aktuelle Gefahr glaubten wenige, und die Hoffnung mit einem Angriff den persischen Koloss in die Knie zwingen zu können, hegten noch weniger. In diesem Punkt hatten die Athener tatsächlich aus ihrer Geschichte gelernt. Demosthenes’ weitere Vorschläge zu einer Reform der Trierenfinanzie-

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rung waren sicherlich ernst gemeint, doch kann er nicht damit gerechnet haben, dass sie auch angenommen wurden. Die entsprechenden Kompetenzen lagen bei anderen Rednern. Für den politischen Neuling kam es mehr darauf an, sich in den beiden wichtigsten Themen der Zeit, den Finanzen und der Außenpolitik, als kenntnisreich zu empfehlen. Das gelang, denn wenn die öffentliche Rede die Details enthielt, die in der veröffentlichten zu lesen waren, werden nur wenige Zuhörer in der Lage gewesen sein, dem Gesagten in allen Punkten auch zu folgen. Es war erst gut drei Jahre her, dass die 1200 reichsten Bürger in 20 Symmorien (Steuerklassen, Finanzierungsverbände) eingeteilt worden waren, die sich die hauptsächlichen Kosten für eine Trierarchie teilen sollten. Offensichtlich aber gab es Probleme, da zu viele von ihnen Steuerfreiheit reklamieren konnten. Das ist der Punkt, an dem Demosthenes ansetzt. Er möchte, um diese Ausfälle auszugleichen, die Zahl der Bürger auf 2000 erhöhen (damit die Zahl von 1200 realiter erreicht wird). Zusätzlich sollte die Symmorie mit 60 Teilnehmern (synteleîs) in fünf Abteilungen (mére) zu je zwölf unterteilt werden, wobei Reichere mit weniger Begüterten jeweils einer Gruppe zuzuordnen waren. Die 300 einsatzbereiten Trieren sollten dann in 20 Unterabteilungen mit je 15 Schiffen, wobei wiederum nach dem Erhaltungszustand nach drei Klassen unterschieden wurde, einzelnen Symmorien zugewiesen werden, sodass auf die Untergruppen von zwölf Personen je drei Trieren entfielen. Das war ein bisschen Zahlenspielerei, denn im Kern blieb nur die Erhöhung der Zahlungspflichtigen um 800 Bürger das Neue.7 Auch zum Geldbedarf nahm Demosthenes Stellung. Er gab das Gesamtvermögen der reichsten Athener, das zur Berechnung der Steuerschuld herangezogen werden sollte, mit 6000 Talenten an, und die auf dieser Grundlage errechneten Steuerbelastungen sollten dann anteilsmäßig auf die 20 Symmorien und ihre fünf Unterabteilungen verteilt werden. Je nach Anzahl der auszurüstenden Kriegsschiffe, ob 100, 200 oder 300, wie der Redner vorrechnet, stieg oder sank die Belastung des Einzelnen, der offenbar – die Stelle ist dunkel und wird unterschiedlich interpretiert – das aus eigener Tasche bezahlen musste, was nicht durch den Steueranteil und die Beiträge der Teilnehmer gedeckt war. Demosthenes zeigte bereits früh das Talent zum großen Politiker. Er wählte ein heikles Thema, und das waren Steuern, zumal hohe, immer, und versetzte zugleich diejenigen, die zu zahlen hatten, nämlich die Reichen, nicht in Aufregung. Der Popanz, mit dem er drohte, war der Großkönig, aber gleichzeitig war das, was von diesem drohte, in zeitliche Ferne gerückt. Demosthenes war sich sicher, dass gezahlt werde, wenn es notwendig sei. Wenn sie, die Besitzer des großen Geldes, sähen, dass das, was sie jetzt mit Worten schrecke, zur Tat werde, dann werde keiner so töricht sein, seinen Beitrag nicht als Erster zu leisten. Wer nämlich würde es vor-

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ziehen, eher Leib und Leben zu verlieren, als einen Teil seines Vermögens zu geben, um sich und das Verbleibende zu retten. Geld werde also da sein, behauptete er, wenn es wirklich gebraucht werde, aber auch nicht früher. „Ihr müsst nun alles andere vorbereiten, das Geld aber lasst nun in den Händen derer, die es besitzen, denn es gibt keinen besseren Platz, an dem es zum Wohl der Stadt aufbewahrt werden könnte. Wenn aber der rechte Zeitpunkt kommt, dann empfangt es von ihnen als freiwilligen Beitrag.“ 8 Besser konnte es niemand sagen. Das Volk von Athen werde das erforderliche Geld bekommen, die Besitzenden würden zahlen, freiwillig und irgendwann. Damit konnten alle zufrieden sein. Plutarchs Behauptung, Demosthenes sei bei seinen ersten Auftritten durchgefallen, kann für die Symmorienrede kaum gelten. Der Redner hatte gut und folgenlos gesprochen; damit erregte er kaum jemandes Zorn. Demosthenes benannte Feinde, bei Hellenen oder Barbaren, doch ein Name, für den die Nachwelt sich sehr und die Mitwelt kaum interessierte, schien zu fehlen, derjenige Philipps. Auch für die Antike war der Redner schon als Philippgegner geboren. Bereits Dionysios von Halikarnassos sah in der Symmorienrede eine versteckte Philippika, und die Moderne stimmte dieser Meinung zu. Wo er von den erklärten Feinden Athens spreche, da müsse er zweifellos Philipp vor Augen haben. Die beiden Stellen jedoch, an denen Demosthenes auf vorhandene Feinde zu sprechen kommt, ohne sie mit Namen zu nennen,9 können sich nur auf die Thebaner beziehen, die er zum einen nicht zu nennen brauchte, weil die Zuhörerschaft es ohnehin wusste, und zum anderen auch nicht nennen wollte, da er auf eine Einigung der Hellenen gegen die Perser hoffte. Philipp, den er ja unter die Barbaren einreihte, hätte er ohne weitere Rücksicht benennen können, wenn er es beabsichtigt hätte, und benennen müssen, wenn er hätte verstanden werden wollen.

Die Kasse der Schaugelder Strategen, Rhetoren, Demos Die Geschichte der attischen Demokratie ist in der Überlieferung meist eine Geschichte von Einzelpersonen. Es gab, wie schon gesagt, keine Parteien, die bestimmte Interessen vertraten und durchzusetzen versuchten. So stehen Einzelpersonen oft repräsentativ für eine bestimmte Politik zum Nutzen einer bestimmten Gruppe. Aristoteles sieht die innere Geschichte Athens des 6. und 5. Jahrhunderts von zwei Kräften geprägt, vom Volk und von den Adligen, und konstruiert dazu eine Liste von Führern oder besser „Oberhäuptern“, die dem Demos beziehungsweise den Aristokraten „vorstanden“. Seine Liste reicht auf der einen Seite von Solon und Peisistratos

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über Kleisthenes, Themistokles und Ephialtes bis zu Perikles, Kleon und Kleophon, auf der anderen von Lykurg und Isagoras über Miltiades und Kimon bis Thukydides (Melesiou), Nikias und Theramenes. Hier schließt die Aufzählung, für das 4. Jahrhundert kennt der Autor bereits keine adligen Führer mehr, und diejenigen des Volkes werden – wohl nach oligarchischen Quellen – in Bausch und Bogen verdammt: „Endlich, von Kleophon an, übernahmen in ununterbrochener Reihenfolge diejenigen die Führung des Volkes, die vor allem ihre Unverfrorenheit hervorkehren und dem Volke nach dem Munde reden wollten, wobei sie (in Wirklichkeit nur) ihren augenblicklichen Erfolg im Auge hatten.“ 10 Adlige traten im 4. Jahrhundert vor der Volksversammlung kaum noch auf, doch wer das tat, war in der Regel nicht unvermögend. Im Prinzip konnte jeder attische Bürger initiativ werden. Wer Anträge stellte, musste weder reich sein noch für dieses Unterfangen gewählt werden. Jeder idiótes (Privatbürger) konnte das tun, doch war es schließlich nur eine Minderheit, die von diesem Recht aktiven Gebrauch machte. Wer erfolgreich agieren wollte, brauchte eine rhetorische Ausbildung, und die kostete Geld. Angeblich konnte sich Demosthenes die besten, ergo teuersten Redelehrer nicht leisten. Die meisten Bürger blieben Zuhörer. Sie gingen oft auch der Tagegelder wegen auf die Pnyx. Nicht wenige fungierten als Geschworene, da auch hierfür ein Sold ausbezahlt wurde. An den Debatten der Volksversammlung beteiligten sich die meisten Bürger mit den Händen, teils, dass sie sie hoben, um sie zählen zu lassen, teils, dass sie sie zum Applaus rührten. Sicher konnten sie auch über die Redner lachen oder sie auspfeifen – beklagt werden von den Rhetoren regelrechte akustische Krawalle 11 –, selbst aber blieben sie ansonsten stumm. Sehr wenige nur brachten Anträge und Argumente ein, noch weniger taten dies – wie ein Demosthenes – regelmäßig.12 Gegenüber der großen Zeit des Ersten Seebundes hatte sich vieles verändert. Wer im 5. Jahrhundert militärische Expeditionen beantragte, stand auch für deren Exekutierung ein. Der auf ein Jahr gewählte Strategos sprach vor dem Volk und führte das Heer zu Wasser oder zu Land. Das galt für Miltiades, Themistokles oder Perikles. Diese Personaleinheit driftete nach dem Peloponnesischen Krieg auseinander. Das Amt spaltete sich gleichsam auf. Die Kriegführung wurde komplizierter, die Redekunst artifizieller. Es gab technische Neuerungen auf dem Militärsektor, Söldnerarmeen ergänzten zunehmend die Bürgertruppen, und um erstere effizient zu führen, bedurfte es des Berufsoffiziers. Die Strategen, die nun die auswärtigen Kriege im Namen Athens führten – ein Charidemos, Chares oder Chabrias –, hielten sich selten in Athen auf und sprachen noch seltener zum Volk.

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Die Rednerbühne beherrschten Männer, die bei den Feldzügen allenfalls als Soldaten dienten.13 Lediglich mit Kallistratos von Aphidna findet sich in der ersten Hälfte des vierten Jahrhunderts noch ein Athener, der als Redner und Stratege – er wirkte maßgeblich bei der Reorganisation des Attischen Seebundes mit – kurzfristig zu Erfolgen kam. Da es an großen Kriegen im 4. Jahrhundert mangelte, und der einzige, der eine solche Bezeichnung verdiente, mit einer Niederlage endete, waren ohnehin kaum Siegeslorbeeren zu erwerben. Das Interesse der Bürger am wirtschaftlichen Bereich stieg, weil die Einnahmen sanken und Einkünfte, die im 5. Jahrhundert selbstverständlich waren, fehlten. Es entstanden neue Ämter für Finanzen, und auf diese und ihre Verwalter richtete sich der Blick der Bürger. Wer in diese Ämter gewählt wurde, kam zu Popularität und Einfluss. Eubulos und Demosthenes Zwei Staatsmänner ragen dabei heraus, die Athens Finanzen seit den fünfziger Jahren wieder reorganisierten. Zunächst Eubulos, der von 354 bis 346 zu den Verwaltern der Kasse der Schaugelder zählte, und dann Lykurg, der als ho epi tei dioikései von 338 bis 325 agierte und nach dem eine ganze Ära benannt wurde.14 Demosthenes, der selbst Leiter (árchon) dieser Kasse wurde,15 begann seine Laufbahn unter, mit und gegen Eubulos; seine akmé, der Höhepunkt seines politischen Wirkens, fällt in etwa in die Zeit zwischen Eubulos und Lykurg. Das Verhältnis des Demosthenes zu ersterem lässt sich nicht leicht beschreiben, die Quellen lassen zu viele Fragen offen. Wer größeren Einfluss auf die athenische Politik gewinnen wollte, kam seit Mitte der fünfziger Jahre nicht an Eubulos vorbei. Dieser hatte sich damals eine gewisse Machtstellung verschafft, da offenbar er es war, der die Schaugelder-Kasse initiierte oder zumindest bei ihrer Schaffung beteiligt war. Plutarchs Meinung, sie gehe auf Perikles zurück, ist längst widerlegt.16 Unter der Ägide des Eubulos wurden zum ersten Mal Schaugelder für Theaterbesuche an das Volk ausgezahlt. Später wurde Geld nicht nur für den Besuch der Dramen-Aufführungen verteilt, sondern auch an anderen Festtagen entrichtet.17 Die Kasse, das theorikón, verwaltete ein Kollegium, das vermutlich vierjährlich durch Handabstimmung gewählt wurde und jeweils von den einen Großen Panathenaien bis zu den nächsten amtierte.18 Die Auszahlung der Schaugelder blieb nicht dessen einzige Aufgabe, wenn auch unter dem Aspekt, sich Popularität zu verschaffen, die attraktivste. Die Mitgliedschaft in dem Ausschuss für die Theorika brachte nicht nur Ansehen im Volk, sie bedeutete Macht. Wenn Überschüsse im Jahreshaushalt erzielt wurden, so flossen diese in Kriegszeiten zwar in die Kriegskasse (stratiotikón), in Friedenszeiten jedoch an das theorikón.19 Ein eigenes Gesetz verbot eine Umwidmung der Gelder. 20

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Die Mitglieder beteiligten sich in Anwesenheit des Rates mit den Verkäufern (polétai) an der Verpachtung von Staatsland, Minenkonzessionen und Steuereinnahmen.21 Dem Redner Aischines zufolge, 22 der die Befugnisse der Kommission aber vielleicht etwas überbetont, vereinigte diese in der Zeit des Eubulos auf sich auch die Ämter des antigrapheús (Gegenschreiber), eines Finanzfunktionärs, der die Einnahmen der Stadt kontrollierte und zehnmal im Jahr darüber Bericht erstattete, und die der Apodekten, einem zehnköpfigen Gremium, das die eingenommenen Gelder weiter verteilte. Die Kasse finanzierte Schiffswerften, den Bau von Arsenalen und Straßen.23 Sofern Aischines Glauben verdient, hätte die Behörde und damit Eubulos Ende der fünfziger und Anfang der vierziger Jahre „nahezu die gesamte Verwaltung des Staates“ in ihrer beziehungsweise seiner Hand gehabt. Eubulos’ erstes Ziel, für das er sicherlich die Unterstützung anderer Vermögender besaß, war es, die durch den Bundesgenossenkrieg zerrütteten Finanzen Athens zu sanieren. Kriege und Interventionspolitik waren teuer, und im 4. Jahrhundert durch den Einsatz von Söldnern noch teurer geworden als zur Zeit eines Themistokles oder Kimon, sodass Athen sich nun mit Einmischungen in die Belange anderer Staaten zurückhielt, abgesehen von Territorien, in denen wie auf Euboia zentrale Interessen der Stadt auf dem Spiel standen. Von einer isolationistischen Politik kann dennoch nicht gesprochen werden, allenfalls von einer vorsichtigen. Eine Alternative dazu gab es Ende der fünfziger Jahre nicht, und so lässt sich zunächst schwer erkennen, wer Parteigänger des Eubulos war und wer nicht. Demosthenes’ erste Reden waren, wie gesagt, tastende Versuche, eine Linie und ein Thema zu finden. Wer sich einen Namen machen wollte, musste zu gegebener Zeit zustimmen und zu anderer Zeit provozieren. Es scheint, dass Demosthenes dies – soweit es Eubulos betraf – genau in dieser Reihenfolge tat. Das erste Zeugnis einer Gegnerschaft zu Eubulos ist jedenfalls auffallend spät, es stammt aus der Rede gegen Meidias, die ins Jahr 347 zu datieren ist. Demosthenes weist darin jegliche Schuld an dem Dissens von sich und schiebt sie auf eine von Eubulos zu verantwortende Verhaltensänderung. Er spricht – der Text ist allerdings korrupt – von einer persönlichen Feindschaft, doch trägt auch diese ganz offenkundig politische Züge. 24 Vorausgegangen war Demosthenes’ Forderung nach Abschaffung oder Umwidmung der Schaugelder. Das war im Jahre 349/8 in der Zeit der olynthischen Krise, und diese könnte zum Bruch beigetragen haben.

Orientierungsversuche Der Fall Androtion In der Zeit nach dem Bundesgenossenkrieg verfasste Demosthenes drei Reden als Logograph. Es sind Auftragsarbeiten, doch zwang ihn die finanzielle Situation nicht mehr dazu, jede anzunehmen. Er konnte sich seine Kundschaft aussuchen. Da die Reden zu Werbezwecken veröffentlicht wurden, lässt sich annehmen, dass Demosthenes in ihnen nicht allzu sehr von den politischen Positionen abrückte, die er auch sonst vertrat. Zwei dieser drei Reden verfasste Demosthenes für einen Mann namens Diodoros, über den sonst nichts bekannt ist. Die erste Rede fällt in etwa in das Jahr 354.1 Diodoros und ein weiterer Athener mit Namen Euktemon hatten gegen Androtion, einen Mann, der noch Bedeutung für die Geschichte der Demokratie erlangen sollte, 2 eine graphé paranómon, eine Klage wegen eines gesetzwidrigen Antrags, gestellt. Androtion hatte beantragt, den Rat der Fünfhundert nach Ende seiner Amtszeit mit der Verleihung eines Kranzes zu ehren.3 Dabei hatte er nach Meinung der Kläger bestimmte Formalia nicht eingehalten, vor allem aber hätte er den Antrag nicht stellen dürfen, da es der Rat versäumt hatte, die vom Gesetz verlangte Anzahl von Trieren bauen zu lassen. Das alles ist Vorwand, auch die lange Reihe von persönlichen Vorwürfen, welche die Ankläger erheben, insbesondere über die rigide Eintreibung von Steuerschulden, für die Androtion als Mitglied einer Zehnmännerkommission verantwortlich zeichnete. Diodoros (Demosthenes) wagt sogar den Vergleich mit der Herrschaft der Dreißig, die wenigstens den privaten Raum verschont hätten, und beklagt die Hausdurchsuchungen mit einer Schilderung, die nicht ohne Komik ist: „Doch was denkt ihr wohl, Athener, wenn so ein armer Mann, oder auch ein Reicher, der große Ausgaben gehabt und vielleicht gerade kein Geld hatte, über das Dach zu den Nachbarn hinübersteigen oder unter das Bett kriechen musste, um nicht verhaftet und ins Gefängnis geschleppt zu werden, oder sonstwie in unwürdige Lagen kam, die für Sklaven, aber nicht für Freie passen, und das vor den Augen seiner Frau, mit der er sich als freier Mann und Bürger ‚verlobt‘ hatte. Wer aber an allem schuld war, das ist dieser Androtion, dem das Gesetz nach seinem ganzen Vorleben nicht einmal seine eigene Sache zu führen erlaubt, geschweige denn die des Staates.“ 4 Die beiden Kläger waren in Athen unbekannte Größen, offenbar auch keine allzu vermögenden Leute. Das legt nahe, dass sie vorgeschoben waren, hinter ihnen also Mächtigere standen, die ein Interesse daran hatten,

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Androtion politisch kalt zu stellen. 5 Sich bezahlter Strohmänner zu bedienen, war eine nicht ungewöhnliche Praxis in der athenischen Demokratie. Dass die beiden Kläger zudem von Androtion in irgendeiner Weise geschädigt worden waren, lässt sich um ihrer Glaubwürdigkeit Willen annehmen und war wohl auch der Grund, sie auszuwählen. Schon ein Jahr später, 353/52, tauchen die beiden wieder als Kläger auf. Die Rede, die Demosthenes für sie schreibt, richtet sich diesmal gegen einen Mann namens Timokrates, doch dies vor allem auf dem Papier, hauptsächliches Ziel war wiederum Androtion. Die Gruppierung, die bei ihrem ersten Angriff erfolglos geblieben war, unternahm also mit demselben Personal einen neuen Versuch. 6 Der Prozess gibt einen guten Einblick in das Athen der fünfziger Jahre und das Selbstverständnis der Athener, des Einzelnen wie des Demos. Während einer Gesandtschaftsreise im Jahre 355 zu Maussolos in Kleinasien, angeführt von Androtion, war gleichsam en passant ein ägyptisches Handelsschiff gekapert worden, welches das Pech hatte, den Weg der Athener Triere zu kreuzen. Die athenischen Gesandten, insgesamt drei, verkauften die Ware in einem nahe gelegenen Hafen und behielten den nicht geringen Erlös von etwa neuneinhalb Talenten für sich. Zwar forderten die ägyptischen Kaufleute in Athen vor der Volksversammlung Rückerstattung, doch der Demos, der das Geld für Athen beanspruchte, wies das ab, zumal sich gleichzeitig das Verhältnis zum Großkönig etwas entspannen ließ. Da sich Ägypten im Kriegszustand mit den Persern befand, wurde das ägyptische Schiff als feindliches eingestuft und die Kaperung als rechtens betrachtet.7 Die Gesandten waren aber keineswegs bereit, das so unverhofft gewonnene Geld abzugeben, erst eine Denunziation brachte die Sache ins Rollen. Androtion und seine Mitgesandten wurden dazu verurteilt, das Geld an die Staatskasse zu zahlen, und zwar in doppelter Höhe. Um die drohende Schuldhaft abzuwenden, beantragte Timokrates, ein Freund der Betroffenen, ein Gesetz, das Staatsschuldnern die Haft ersparte, wenn sie jemand fanden, der dafür bürgte, dass die ausstehenden Gelder bis zu einem festgesetzten Zeitpunkt bezahlt wurden. Dagegen erhoben nun – um zum Ausgangspunkt zu kommen – Euktemon und Diodoros eine Klage wegen Gesetzwidrigkeit. Die ganze Sache war verworren und wurde auch nicht klarer dadurch, dass Androtion schließlich die neuneinhalb Talente bezahlte. Es ist offenkundig, dass ihm auf dem Umweg über das Wirtschaftliche politisch geschadet werden sollte, doch wer die Hintermänner waren, wird nicht klar, allenfalls ist zu vermuten, dass Demosthenes mit ihnen übereinstimmte, denn das muss das Motiv gewesen sein, noch einmal eine Rede in dieser

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Sache zu schreiben. Um – mit aller Vorsicht – Demosthenes’ politische Position zu erschließen, ist es erforderlich, diejenige des so konsequent angegriffenen Androtion zu kennen. Androtions Karriere lässt sich bis in die Zeit des Königsfriedens zurückverfolgen. Bei der Fahrt zu Maussolos ging es offenbar darum, einen Krieg gegen die Perser zu koordinieren. Hervorgetreten, und dies offenbar bei einer Mehrheit der Athener negativ, ist er aber vor allem als Steuereintreiber, und gerade darauf legt Demosthenes die Betonung in beiden Reden. Genaugenommen wiederholt er einfach die entsprechenden Passagen aus der Rede gegen Androtion in der gegen Timokrates. 8 Auch in der Antike lag die Wirksamkeit von Propaganda in ihrer Wiederholung. Seine Tätigkeit in der Zehnmänner-Kommission, die rückständige Steuern eintreiben sollte, brachte Androtion mit dem damals renommierten Politiker Aristophon zusammen, der als Vertreter einer rigorosen Steuer- und Kriegspolitik galt. 9 Somit hätten Demosthenes und Eubulos zu dieser Zeit zumindest gemeinsame Gegner gehabt.

Der Fall Leptines Identische Feinde waren ein gemeinsamer Nenner, doch scheint die Nähe zwischen beiden in dieser Zeit vertraulicher gewesen zu sein. Dafür spricht jedenfalls ein politischer Prozess aus dem Jahr 354, in dem Demosthenes selbst mit einer Rede auftrat. Sie richtete sich gegen den angesehenen Athener Leptines, der ein Gesetz beantragt hatte, Steuerprivilegien abzuschaffen, also nicht nur künftighin keine neuen Ehrungen mehr zu verleihen, sondern auch denjenigen, denen Steuerfreiheit (atéleia) als Ehrenrecht zugesprochen war, dieses Privileg wieder zu entziehen – ausgenommen die Nachkommen der Tyrannenmörder Harmodios und Aristogeiton. Das war Teil einer rigiden Sparpolitik, die Mittel für die teure Flotte verfügbar machen sollte. Vielleicht ging es dabei aber auch gar nicht so sehr um die Einsparung von Geldern, und das Gesetz durfte vor allem ein Zeichen setzen: Selbst für verdiente Bürger sollte es keine finanziellen Geschenke geben. Das kam auch beim Volk gut an, denn unter den Normalbürgern besaß niemand solche Privilegien. Gleichzeitig war es schwierig für die Gegner des Leptines, einem Gesetzesantrag zu widersprechen, der Bevorzugung aufhob, also demokratischen Charakters schien. Der Versuch, den Antragsteller durch eine Klage wegen Gesetzwidrigkeit persönlich haftbar zu machen, war bereits gescheitert. Der eine Kläger war gestorben, der zweite hatte sich von seinen Gegnern überreden lassen, der dritte die Frist versäumt. Jetzt war nur noch ein Einspruch gegen die Sache selbst möglich, die nun von einer Fünferkommission, zu der auch

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Aristophon gehörte, verteidigt wurde. 10 In diesem Fall wurde die Auseinandersetzung direkt ausgetragen, nicht über vorgeschobene Stellvertreter. Demosthenes’ Rede gegen Leptines erhielt schon in der Antike hohes Lob, und die Moderne schloss sich dem an. Insbesondere wurde auf ihre Vornehmheit verwiesen, die sich wohltuend von späteren Schimpftiraden abhebe. Tatsächlich verliert Demosthenes kaum ein böses Wort über Leptines, aber das hat auch seinen guten Grund, denn die Klage wurde nicht, wie sonst üblich, ad personam geführt. Demosthenes’ Argumentation ist geschickt und durchdacht. Zunächst sprach er die Zuhörer auf ihre demokratische Ehre an. Er redete zwar nicht vor der Volksversammlung, sondern vor einem Gerichtshof, doch in seiner sozialen Zusammensetzung ähnelte sich das Publikum; es bestand aus vorwiegend ärmeren Athenern. Erst werde dem Volk, weil es angeblich leicht zu täuschen sei, ein Recht abgesprochen, nämlich das, Privilegien zu erteilen, dann mit den gleichen Gründen alle Rechte, und schließlich verlöre es seine ganze politische Handlungsfähigkeit.11 Vom Politischen kommt Demosthenes auf das Wirtschaftliche. Er denkt an den Außenhandel, bei dem die Atelie in erster Linie Zollfreiheit bedeutete. Als Beispiel nennt er Leukon, den „Beherrscher des Hellespont“, und seine Nachkommen, mit denen er ein einleuchtendes Rechenexempel vorführt. Indem diese angesichts der athenischen Ehrung auf den Dreißigsten als Zollabgabe verzichteten, schenkten sie den Athenern zu den jährlich importierten 400.000 Scheffeln Getreide 10.000 Scheffel für dreimal 100.000 und nochmals ungefähr 3000 für 100.000 Scheffel hinzu.12 Der Redner jongliert hier mit hohen Zahlen und macht ihren Wert für den Einzelnen gleichzeitig konkret, indem er sie in Getreide umrechnet, dem wichtigsten Import Athens. Angesichts dieses Volumens musste den Athenern das geringfügig vorkommen, was sie beispielsweise verdienten Feldherren an Steuererlass zukommen ließen. Demosthenes nennt hier zwei Namen, die des Konon und des Chabrias, bei denen das militärische Verdienst ein wirtschaftliches bedeutete, die also gleichsam ihre „Unkosten“ selbst deckten.13 Der Redner gibt sich ganz uneigennützig, ohne Neid und politische Motive. Nur die Sorge um den hinterbliebenen Sohn des Chabrias habe ihn zu seiner Rede veranlasst, erklärt er schon mit dem ersten Satz.14 Nicht einmal die ihm gewogene antike Überlieferung konnte soviel Uneigennützigkeit glauben und vermutete, Demosthenes habe bloß die Witwe des Chabrias heiraten wollen.15 Die Rede gegen Leptines gilt als eine Art Selbstporträt des frühen Demosthenes und räumt zumindest mit einer Vorstellung späterer Zeit auf. Demosthenes war bei seinem Eintritt in die Politik noch nicht der unbeug-

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same Philippgegner, zu dem ihn die Überlieferung und auch teilweise die Moderne stilisierten. Der Makedonenkönig hatte bereits Poteidaia und Pydna an sich gebracht, und doch erschien er Demosthenes noch nicht als große Gefahr. Zumindest lässt er das nicht erkennen. Er streift die Expansion Philipps allenfalls und fordert die Athener auf, das gleiche zu tun, um sich in den Besitz der genannten Städte zu setzen, nämlich dort mit dem Versprechen von Geld und Ehre Parteigänger für die eigene Sache zu gewinnen.16

Vier Reden zur Außenpolitik Der Bundesgenossenkrieg hatte viele Hoffnungen zerstört, Athen aber auch von Verpflichtungen befreit. Die Stadt konnte sich auf innere Reformen konzentrieren. Pragmatiker wie Eubulos kontrollierten zusammen mit dem Rat der Fünfhundert weitgehend die Finanzen und verhinderten sinnlose Ausgaben für außenpolitische Abenteuer. Aufsteiger wie Demosthenes erhielten Gelegenheit, vor der Volksversammlung vielerlei Vorschläge zur äußeren Politik zu machen. Es drohten keine Möglichkeiten, sie auch umzusetzen. Für Demosthenes wurde es Zeit, sich nach seinem Einstand mit der Symmorienrede wieder in der Ekklesia zu profilieren und sein Thema zu finden. Ein Jahrhundert vorher war dies Perikles in überzeugender Manier gelungen, indem er sich mit dem bekannten Bürgerrechtsgesetz, nur der dürfe athenischer Bürger sein, dessen beide Elternteile Athener waren, der grassierenden Ausländerfeindlichkeit angenommen hatte. Demosthenes suchte das ihm gemäße Feld, wie gesagt, in der Außenpolitik, die aufgrund allgemeiner Orientierungslosigkeit viele Chancen versprach. Die vier Reden, die noch aus den fünfziger Jahren erhalten sind, drei Staatsreden und eine Gerichtsrede, führen in alle Himmelsrichtungen und alle Gegenden um das ägäische Meer, in denen Athen einst Herrschaft ausübte und sich jetzt neuerlichen Einfluss versprach. Der geographische Rahmen spannt sich vom tiefen Südosten der Ägäis, von der Insel Rhodos, bis hoch in den Norden zur thrakischen Chersones und zum Hellespont, von dort nach Westen zum Reich der Makedonen und wieder hinab auf die südliche Halbinsel des Mutterlandes, zur Peloponnes. Das Denken in großen Räumen wollte Demosthenes sich von der Realität, die Athen Beschränkung auferlegte, nicht nehmen lassen. Die Megalopoliten-Rede Für die Verträge, auch den Frieden von 362/61, galt in Griechenland, was Thukydides nicht allzu lange vorher über das Verhalten im Peloponnesi-

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schen Krieg geschrieben hatte: Eide, falls sie überhaupt noch bei Verträgen geleistet würden, besäßen für beide Seiten nur für den Augenblick der Not Gültigkeit, solange sie nicht anderswo Hilfe fänden. Sogleich aber, wenn nur einer wieder Mut fasse und den Gegner ungeschützt sähe, räche er sich lieber durch Missbrauch des Vertrauens als in offenem Kampf.17 Es waren die Spartaner, die in den fünfziger Jahren die Chance sahen, die Uhr wieder zurück zu drehen. Ihre wichtigsten Gegner, die Thebaner, fühlten sich von dem nördlich siedelnden Volk der Phoker bedroht, die unter dem Strategos Autokrator Onomarchos Mitte der fünfziger Jahre an militärischem Gewicht gewonnen hatten. Der Grund, dass ein verhältnismäßig kleines Volk für kurze Zeit zur ersten Militärmacht Griechenlands aufsteigen konnte, war geographischer Natur. Die Phoker lebten in der Nähe Delphis und nutzten diese Lage, Abb. 7: Demosthenes-Büste aus München um die Schatzhäuser des Heiligtums zu plündern. So hing ihnen das Stigma der Tempelräuber an. Der Unterschied zu den anderen Griechen bestand aber mehr darin, dass sie ihre Raubzüge nicht bemänteln konnten. Und so sahen Athener und Spartaner auch nicht davon ab, sich mit ihnen zu verbinden, wenn es der eigenen Sache nutzte.18 Für die Spartaner war das in blutigen Kriegen unterworfene und um den Preis weiterer verlustreicher Kriege über Jahrhunderte unterdrückte Messenien, das 370/69 in den Kriegen gegen Theben unabhängig geworden war, Ziel einer mit allen Kräften begonnenen „Rollback“-Strategie. Dabei geriet auch die mit Messenien verbündete Stadt Megalopolis, eine um 368/ 67 gegründete „Groß-Stadt“ aus etwa 40 arkadischen Gemeinden, ins Blickfeld der Spartaner. Zumindest glaubten das die Megalopoliten und schickten Gesandte nach Athen, wo auch Delegierte aus Sparta eintrafen. Demosthenes hielt in dieser Frage – soweit bekannt – seine zweite große Rede in der Volksversammlung. Da er zu den Neulingen gehörte, durfte er noch nicht in vorderer Reihe sprechen. Als er auftrat, war die Diskussion schon im heftigsten Gang und vielleicht auch bereits entschieden. Über-

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zeugte Anhänger jeweils einer Seite, derjenigen der Thebaner beziehungsweise Spartaner, hätten hitzige und einseitige Voten abgegeben, befand Demosthenes im Prooimion seiner Rede. Er selbst wolle die Verhältnisse nun genau abwägen und das raten, was allein zum Nutzen Athens sei. Höchstwahrscheinlich hatten die Vorgänger das auch gesagt. Zweifellos war es schwierig für Demosthenes, nachdem viele Argumente ausgetauscht waren, neue zu finden. Was das Besondere an dieser Rede war, lässt sich heute mangels Kenntnis der anderen nicht sagen. Sicherlich ist Demosthenes nicht der Erfinder dessen, was jetzt „Balance of Power“ genannt wird und wofür ihm seit der frühen Neuzeit Bewunderung von Staatsmännern und Historikern gezollt wurde. Demosthenes hielt eine Rede, die seine politischen Fähigkeiten zeigen sollte, und das tat sie. Er begann, wie gesagt, mit einem Angriff auf seine Vorredner, vorsichtshalber ohne Namen zu nennen. Zweck war, ihn als Patrioten vorzustellen. Danach kam die Sache, zunächst allgemein formuliert. Ziel der augenblicklichen athenischen Politik müsse es sein, Theben wie Sparta zu schwächen. Das war nicht originell. In den genannten Städten wurde – mit geändertem Adressaten – Ähnliches gedacht und gesagt. Wichtiger war die Konkretisierung: So sollten nach Demosthenes die Athener sich dafür einsetzen, die von den Thebanern zerstörten Städte Orchomenos, Thespiai und Plataiai wieder aufzubauen und zu besiedeln, damit diese ein Gegengewicht gegen Theben bilden könnten.19 Im Falle der Spartaner würde es genügen, deren Angriff auf das neu gegründete Messene und eben auf die Arkader von Megalopolis – der Anlass der Rede – abzuwehren. In der thebanischen Sache bestand Konsens – sogar mit den Spartanern. Anders verhielt es sich mit Megalopolis. Manche athenische Politiker sahen in den Spartanern, seitdem diese 362/61 in Mantineia an der Seite der Athener (gegen Theben) gekämpft hatten, zumindest keine aktuellen Feinde mehr: Mit der Unabhängigkeit Messenes seien sie zudem so geschwächt, dass eine Rückkehr zur alten Macht unmöglich scheine. Demosthenes beschwört gerade das und stellt eine – wenn auch nur aus zwei Steinen bestehende – antike Domino-Theorie auf. Wenn Megalopolis falle, dann sei auch Messene bedroht. Im Falle Messene bestand Bündnisverpflichtung, im Falle von Megalopolis dagegen nicht. Die Arkader waren mit den Thebanern verbündet, und das stellte eine weitere Hürde im Hilfsplädoyer des Demosthenes für jene dar. Die Rede ist wohlüberlegt, jedes Gegenargument wird aufgenommen oder antizipiert und dann im einzelnen widerlegt. Das belegt eine frühe Meisterschaft, auch wenn die Argumente zur Sache nicht immer überzeugend sind. Offenbar hatte Demosthenes auch das aus dem Nachlass herausgegebene Werk des Thukydides und insbesondere den Melier-Dialog studiert, denn ihn beschäftigt die Antinomie von symphéron und díkaion,

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von Vorteil und Recht. 20 Wie er diesen Widerspruch auflösen zu können vermeint, so glaubt er auch, mit seinem Ratschlag die Probleme gemeistert zu haben: Athen könne die Thebaner demütigen, ohne die Spartaner zu mächtig werden zu lassen. 21 Folge die Versammlung seinem Vorschlag, den Arkadern zu helfen, sei – gleich, was geschähe – Athen die Gewinnerin: „Sind schließlich die Thebaner im Krieg niedergerungen, wie sie es verdienen, so werden die Lakedaimonier nicht mächtiger als nötig, denn sie haben als Gegengewicht die Arkader als feindliche Nachbarn. Erholen sich die Thebaner aber wieder und retten sich, werden sie geschwächt, weil die Rettung der Arkader sich dann uns als ihren Bundesgenossen dankt. So ist es in jeder Beziehung vorteilhaft, die Arkader nicht zugrunde gehen zu lassen und, sofern sie denn gerettet werden, nicht den Eindruck entstehen zu lassen, sie hätten dies aus eigener Kraft oder mit jemandes anderer Hilfe, ausgenommen der unseren, getan.“ „Ich habe, Männer von Athen, bei den Göttern hier weder aus persönlicher Freundschaft zu einer der beiden Richtungen oder aus Abneigung gegen sie gesprochen, ich habe allein das gesagt, was euch nach meiner Meinung nützt. Und so fordere ich euch auf, weder die Megalopoliten preiszugeben noch überhaupt einen Schwächeren einem Stärkeren“. 22 Die Mehrheit der Volksversammlung entschied sich anders. Megalopolis wurde keine Hilfe geleistet. Dies bedeutete freilich keine Niederlage des Demosthenes. Er war aufgetreten, um sein politisches Profil zu schärfen, und das war ihm mit seiner Rede gelungen. Dass die Mehrheit des Volkes neun Jahre nach Mantineia den eigentlichen Feind noch in Theben sah, verwundert nicht. Schon bald erwies sich die militärische Hilfe, die Sparta verprellt hätte, auch als unnötig. Die Arkader wehrten alle Angriffe ab. Dass diese sich aber später an Philipp von Makedonien wenden sollten, sahen weder die Gegner einer Unterstützung noch sah es Demosthenes. Und wenn diese Entwicklung dann zu einem außenpolitischen Problem führen sollte, lag es nicht daran, dass der Antrag des Demosthenes abgelehnt worden war, sondern dass die Politik gegenüber Makedonien verfehlt war. Die Aristokratea Seine nächste große Rede hielt Demosthenes nicht in der Ekklesia, sondern vor athenischen Geschworenen. Es handelte sich um eine graphé paranómon. Er klagte wieder gegen einen Redner, der einen Beschluss beantragte hatte, der nach Meinung des Demosthenes nicht im Einklang mit den geltenden Gesetzen stand. Bis entschieden war, ob es sich tatsächlich so verhielt, wurde der Beschluss ausgesetzt. In diesem Fall ging es erneut um eine außenpolitische Frage. Sie betraf einen neuralgischen Punkt in der Geographie der attischen Macht, nämlich eine lang gestreckte Halbinsel,

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die schon genannte thrakische Chersones, welche die Einfahrt in den Hellespont begleitet. Hier verlief die Schifffahrtsroute ins Schwarze Meer, aus dessen Küstenregionen Athen die für die Versorgung der Stadt unentbehrlichen Lebensmittel importierte. Seit der Mitte des 6. Jahrhunderts versuchten sich die Athener dort festzusetzen, und Herodots große Darstellung der Perserkriege endet mit der Einnahme der persisch besetzten Hafenstadt Sestos, um die es auch Demosthenes zu tun war. Anfang der fünfziger Jahre waren dort mit der Machtübernahme Philipps II. die Verhältnisse in Fluss geraten, und es hatte ein zäher Kampf um Besitz und Einfluss begonnen. Demosthenes entwickelte sich bald zum Experten in diesen Angelegenheiten, und da sie spätestens seit 348 für Athen lebenswichtig wurden, ist mit ihnen auch sein politischer Aufstieg verbunden. Es ist die Situation bei den Thrakern, die diese Interventionen für Athen so erfolgversprechend wie schwierig machte. Was die Griechen mit dem Namen Thraker bezeichneten, war kein einheitliches Volk, sondern eine Ansammlung in sich zerstrittener Stämme im Norden der Ägäis. So zerteilte sich das Reich der Odrysen in drei Gebiete. Östlich von Makedonien bis zum Fluss Nestos herrschte Berisades, bis etwa zum Hebros Amadokos und östlich von diesem folgte Kersobleptes. 23 Diese gegeneinander auszuspielen und alle drei zusammen gegen Philipp, war die Politik Athens, freilich auch mit umgekehrten Vorzeichen diejenige Philipps. Als Alleinherrscher war Philipp in der Lage, schnell zu reagieren, und damit im Vorteil. In Athen wurden, wie erwähnt, im 4. Jahrhundert militärische Aktionen oft von Berufsstrategen geführt, die weiterhin jährlich vom Volk gewählt werden mussten und auch während des Amtsjahres abgesetzt werden konnten. Für Aufsehen sorgte der genannte euboische Söldnerführer Charidemos, der, von reinem Eigeninteresse gelenkt, ein undurchsichtiges Spiel trieb, einmal für, einmal gegen Athen wirkte. So versprach er zunächst den Athenern, für sie die Chersones wiedergewinnen zu wollen, verdingte sich aber dann dem Thrakerkönig Kotys und nach dessen Tod 360 dem Nachfolger Kersobleptes, dessen Schwager er wurde. 357 vollzog er wieder einen Schwenk. Ein Vertrag mit dem thrakischen Fürsten sprach Athen die Chersones zu, und Charidemos erhielt für seine Vermittlung das Bürgerrecht.24 Dieser Besitz stand aber nur auf dem Papier. Die Athener mussten das, was ihnen vorgeblich zustand, erst durch teilweise recht brutale Aktionen sichern. Der Stratege Chares eroberte Sestos, die wichtige Hafenstadt nahe der engsten Stelle des Hellespont, und tötete oder versklavte die gesamte Bevölkerung, um Platz für athenische Neusiedler zu schaffen. 25 Bald danach machte Charidemos den Athenern ein unmoralisches An-

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gebot. Für die Preisgabe ihrer bisherigen Bundesgenossen Amadokos und Berisades beziehungsweise dessen Söhnen erbot er sich zusammen mit Kersobleptes, den Athenern die Stadt Amphipolis zu verschaffen. Athen hatte diese zentral gelegene nordgriechische Stadt, die auch als Umschlagplatz für Schiffbauholz diente und den Zugang zu benachbarten Gold- und Silberminen beherrschte, nie verloren gegeben und sich so stetig wie vergeblich bemüht, sie wieder in die Hand zu bekommen. Das alles waren Illusionen, aber die machten sich die Athener gerne. In Athen besaß Charidemos eine starke Partei von Fürsprechern, und für diese brachte ein Mann namens Aristokrates 353 einen besonderen Antrag vor das Volk: „Wenn irgendjemand Charidemos tötet, so soll er vogelfrei sein; wenn aber irgendjemand, sei es eine Stadt, sei es ein Privatmann dem Mörder Schutz bietet, soll er von den Verträgen ausgeschlossen sein.“ 26 Demosthenes bekämpfte diesen Antrag und die Politik, die dahinter stand. Er positionierte sich dabei aber im Hintergrund. Die graphé paranómon stellte ein Mann namens Euthykles, Demosthenes schrieb und hielt das lange Plädoyer für ihn. Er hatte mit Euthykles zusammen sieben Jahre vorher an einem Seeunternehmen der Athener im Hellespont teilgenommen. Daher rührten offenbar die Freundschaft und der Glaube, die chersonesischen Angelegenheiten aus gemeinsamer Anschauung beurteilen zu können. Demosthenes eröffnet, indem er die politische Tragweite des Aristokrates-Antrags darlegt. Der Besitz der Chersones sei für Athen nur garantiert, wenn das Zerwürfnis zwischen den drei Machthabern in Thrakien, dem Amadokos, dem Kersobleptes und den Söhnen des Berisades, durch ein Gleichgewicht der rivalisierenden Kräfte aufrecht erhalten werde, das Vorhaben des Aristokrates aber trage dazu bei, Kersobleptes die Alleinherrschaft zu verschaffen. 27 Bevor er aber zum politischen Teil seiner Rede kommt, demonstriert er seitenlang seine juristischen Kenntnisse. Beginnend mit dem halbmythischen Gesetzgeber Drakon zählt er eine ganze Reihe von Gesetzen auf, gegen die der Antrag des Aristokrates angeblich verstieß, bevor er dann nach der knappen Hälfte der Rede zur Frage kommt, ob denn die Sache bei aller Gesetzwidrigkeit zumindest außenpolitisch vorteilhaft für die Athener sei. 28 Er verneint dies vehement, und da er offenbar Freude an seiner aus den Verhältnissen in Zentralgriechenland entwickelten Theorie des Kräftegleichgewichts hat, 29 wendet er sie nun, wie sich bald herausstellen wird, am ungeeigneten Objekt an: „Ihr wisst, dass es für euch von Vorteil ist, wenn weder die Thebaner noch die Lakedaimonier stark sind, wenn für jene die Phoker, für diese andere ein Gegengewicht bilden. Wenn sich die Dinge so verhalten, so sind wir am stärksten und können in Sicherheit leben. Genauso, müsst ihr euch vorstellen, ist es auch für unsere Bürger auf

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der Chersones von Vorteil, wenn niemand unter den Thrakern zu stark ist. Streit und gegenseitiges Misstrauen unter diesen ist nämlich das beste und weitaus sicherste Bollwerk für die Chersones.“ 30 Es folgen noch reichlich Argumente ad personam. Demosthenes bangt um das Ansehen der Stadt, das durch Leute wie Charidemos befleckt werde, 31 offenbar aber nicht durch Strategen wie Chares, der vor Jahresfrist die Bevölkerung von Sestos ausgerottet hatte. Der Redner stellt ein Sündenregister all der Feindseligkeiten zusammen, die sich Charidemos als Söldnerhauptmann gegenüber Athen zu Schulden kommen ließ. 32 Da dieses in offenkundigem Widerspruch zu den Ehrungen durch das Volk stand, beschuldigt Demosthenes Strategen und Politiker pauschal der Korruption; allein er, Demosthenes, habe sich der Wahrheit verpflichtet. 33 Weder das eine noch das andere war allzu ernst zu nehmen. Zwar übertreibt Demosthenes bei seiner Schilderung des Charidemos nicht ganz, aber wie die anderen Redner bemaß er einen Menschen nicht nach Charakter, sondern nach Nützlichkeit, und so sollte auch noch die Zeit kommen, in der er und Charidemos sich als Vertraute erwiesen. In einem späten Brief des Demosthenes heißt es, dass Athen kaum Männer finden werde, die der Stadt ergebener dienten als Charidemos, Philokles und er selbst. 34 Offenkundig wird, dass Demosthenes – wie die anderen Athener – auch im Sommer 352 noch keine klare Vorstellung vom makedonischen Machtpotential hat. Philipp wird in der umfangreichen Darstellung der nordgriechischen Politik, welche die Aristokratea bietet, nur viermal und das eher en passant erwähnt. Dass aber gerade er eine entscheidende Rolle für das Kräftegleichgewicht oder die Kräfteverschiebung in Thrakien spielte, erhellte schon das kommende Jahr. Demosthenes war aber noch weit davon entfernt, Philipp als Hauptfeind Athens zu erkennen. Das war auch gar nicht möglich, denn er selbst hat ihn erst dazu gemacht. 35 Die erste Philippika Noch während die Athener darüber diskutierten, veränderten sich die Verhältnisse im Norden: Was Demosthenes riet, war obsolet, bevor es Beschluss wurde. Es war gerade die Zerrissenheit Thrakiens, die es Philipp leicht machte, dort einzugreifen. Amadokos lief alsbald zu ihm über, nicht weil die demosthenischen Ratschläge nicht befolgt wurden, sondern weil Amadokos angesichts der Machtentfaltung des nahen Makedoniens keine andere Möglichkeit blieb. Kersobleptes, der angeblich jedes Vertrauens unwürdige Barbar, 36 dessen Macht Demosthenes hier noch mit allen Mitteln beschneiden will, wird in den vierziger Jahren einer der wichtigsten Verbündeten im Kampf gegen Philipp werden und Demosthenes sein Freund. In den damaligen Wirren die rechte Voraussicht zu haben, die

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von Thukydides als wichtigste Eigenschaft eines Staatsmannes so hoch geschätzte prónoia, war nicht möglich, zumal genaue Informationen nur schwer erhältlich waren. Demosthenes war kein Prophet, sondern ein Politiker, der sich mühte, Athens Position in diesen Kräftekonstellationen bestmöglich zu bestimmen. Irren war dabei programmiert. Philipp jedenfalls kümmerte sich nicht um athenische Analysen. Kaum ausgesprochen, waren Warnungen und Vorschläge Makulatur. Philipp widerlegte sie mit den besten Argumenten, die er hatte, mit seinen Truppen. Überraschend und ohne auf Widerstand zu stoßen, rückte er bis zum Hellespont vor. Das war Teil seiner Griechenlandpolitik. Im Sommer hatte er die Phoker auf dem sogenannten Krokosfeld am Golf von Pagasai geschlagen, die Gefangenen als Tempelräuber niedermetzeln lassen. Ein weiterer Vorstoß tief nach Mittelgriechenland hinein war jedoch an den Athenern gescheitert. Diesmal hatten sie sich entschlossen gezeigt und in einer raschen Aktion die Thermopylen besetzt. Philipp besaß aber Geduld, denn er wusste, nach Griechenland konnte er auch auf einem Umweg gelangen, nämlich über den Hellespont. Ohnehin mussten erst die Probleme in Thrakien – in seinem Sinne – gelöst werden. Dazu hielt er sich über ein Jahr dort auf. Da sich Kersobleptes, wohl auf Vermittlung des Charidemos, wieder den Athenern zugewandt hatte, war dieser sein erster Gegner. Philipp belagerte Heraion Teichos an der Propontis, nordöstlich des Hellespont, und eroberte es. Die südlicher gelegene, griechisch besiedelte Stadt Kardia, die den Landzugang zur Chersones kontrollierte, trat auf seine Seite, im Kriegsfall konnten die athenischen Kleruchen nur auf dem Seeweg erreicht werden. 351 musste Kersobleptes Frieden schließen, seine Herrschaft wurde eine von Philipps Gnaden. Das, wofür Demosthenes in der Aristokratea so entschieden plädiert hatte, ein geteiltes und geschwächtes Thrakien, war allein Philipp zu gute gekommen, der nun offenbar neue Dynasten einsetzte und alte wie Kersobleptes an sich band.37 Mit der Kontrolle des Gebietes bis zum Hellespont tat sich ein neues Ziel auf, über das freilich niemand sprach, nämlich das Reich der Perser. Demosthenes tat, was ein guter Politiker tun muss, er korrigierte seinen Irrtum rasch, ohne sich anmerken zulassen, dass er je einen begangen hatte. Das war der Moment, auf den die Nachwelt gewartet zu haben scheint: Er begann Philipp II. als Hauptfeind zu entdecken. Im Sommer 351 schrieb und hielt er seine erste Rede gegen Philipp. Noch aber sah er diesen nur als Mann, der Athens Streben zu alter Machtstellung entgegenstand, er war noch nicht der persönliche Gegner späterer Jahre. Auch erkannte Demosthenes noch nicht das ganze Machtpotential Philipps; ob er mehr war als ein ephemerer Gegner, dem die Feindschaft zugunsten eines anderen ge-

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kündigt werden konnte, musste erst die Zukunft zeigen. Zwar hatte Philipp seinen Machtbereich in Nordgriechenland nach Osten ausgeweitet, doch bedrohte er die athenisch kontrollierte Chersones noch nicht direkt, und in Mittelgriechenland hatte sich seine Schwäche gezeigt, als Athen entschlossen agierte. Die erste Philippika ist eine leidenschaftliche Rede, sie hat weder das Ermüdende der Aristokratea, noch das Taktierende der Megapolitenrede. Sie besitzt ein Ziel und macht realistische Vorschläge, dieses auch zu erreichen. Manches von dem, was Demosthenes sagt, wurde zum Topos der politischen Rede, aber bei ihm hat es die Frische all dessen, was zum ersten Mal gesagt und gehört wurde. Dabei ist überdies zu berücksichtigen, dass die Rede für die Veröffentlichung überarbeitet und geglättet wurde. Demosthenes in der Volksversammlung reden zu hören, war sicher erregender, als ihn in der Studierstube zu lesen. Bei ihm muss kein Ruck durch Athen gehen, 38 er beruft sich hier nicht auf die Taten ferner Vorfahren, die immer dann beschworen werden, wenn es schlecht um die Gegenwart bestellt ist. Noch sind es keine Hasstiraden gegen Philipp. Philipp ist krank, vielleicht ist er schon tot. Doch das spielt keine Rolle. Stirbt dieser Philipp, dann tritt ein anderer Philipp auf. 39 Die gegenwärtige Stärke des Königs ist nichts anderes als die Schwäche Athens; 40 was er ist, dazu haben ihn die Athener gemacht. Doch Athen ist stark genug, ihn zu besiegen. Es muss sich nur auf sich selbst besinnen. Demosthenes redet Philipps Macht nicht klein, sondern versucht aus ihrer Entstehung die richtigen Lehren für Athen zu ziehen. Mit einer überraschenden Wendung wird der Makedonenkönig zum Vorbild für die demokratischen Bürger Athens. Philipp habe die Stadt Pydna in seine Gewalt gebracht, weiterhin Poteidaia und Methone, dazu das ganze Gebiet im Umkreis und viele Völkerschaften, die früher autonom und frei waren. Von Natur aus falle, was dem Abwesenden gehöre, dem Anwesenden zu; wer bereit sei, Mühe und Gefahren auf sich zu nehmen, eigne sich an, was den Sorglosen gehöre. Seine Einstellung sei es, die Philipp groß mache, und genau diese müssten die Athener nun zu der ihrigen machen und sich nicht auf den jeweiligen Nachbarn verlassen, der erledige, was man selbst versäume. 41 Demosthenes zielt nicht wie sonst auf andere Politiker. Er ist sich seiner Sache sicher, und so tritt er auch als Erster vor das Volk. Er will nicht die Meinungen der Anderen diskutieren, vielmehr seine eigene vorgeben. Er fühlt sich politisch als der Stachel des Volkes, ein Bild, das Sokrates in anderem Zusammenhang vorgab. Gezänk auf der Rednerbühne, halbherzige Beschlüsse führten nur zu Flottenunternehmen, welche die Verbündeten ängstigten und die Feinde belachten. Es sei der Krieg selbst, der Philipps Schwächen zeigen werde. 42

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Für die athenische Militärpolitik findet Demosthenes einen Vergleich, der treffender nicht sein kann und besser als alle antiken und moderne Analysen die Sache beschreibt: „Ihr aber, Männer von Athen, die ihr die größte Streitmacht besitzt, Kriegsschiffe, Schwerbewaffnete, Reiterei, Einkünfte an Geldmitteln, ihr nutzt bis heute nichts davon in erforderlicher Weise; ihr legt vielmehr alles darauf an, den Krieg gegen Philipp nach der Art zu führen, wie die Barbaren den Faustkampf ausüben. Denn auch bei ihnen fasst der Getroffene nach der Stelle des Schlages und die Hände greifen, immer wenn man ihn anderswohin trifft, an den jeweiligen Körperteil; doch sich zu decken oder den Gegner zu beobachten, das versteht er nicht und will er nicht. Und genauso ist es mit euch: Wenn ihr erfahren habt, Philipp sei auf der Chersones, so beschließt ihr, dorthin Hilfe zu schicken, wenn in Pylai, dahin; er mag sein, wo er will, nach allen Richtungen lauft ihr ihm nach und lasst euch von ihm kommandieren, selbst hingegen habt ihr keine brauchbaren Kriegspläne entwickelt, und ihr seht auch nichts von dem, was bevorsteht, voraus, bis ihr erfahren habt, dass etwas geschehen ist oder gerade geschieht. So zu handeln war früher vielleicht möglich, nun aber steht die Sache auf des Messers Schneide, so dass es so nicht weitergeht.“ 43 Nachdem Demosthenes die Hörer eingestimmt hat, wird er konkret. Es folgen die Vorschläge zur Art der Rüstung, zu den Geldmitteln dafür und zur Art der Beschaffung: Zuerst sollten 50 Kriegsschiffe ausgerüstet werden, die, zweitens, im Falle der Not mit Bürgern zu besetzen seien. Drittens müssten für die Hälfte der Reiter Pferdetransportschiffe und Lastkähne bereitgestellt werden. Deren Aufgabe sei es, als in Reserve gehaltene schnelle Eingreiftruppe Überfälle abzuwehren, die Philipp gegen Olynth, die Chersones und die Thermopylen unternehme. Der militärische Erfolg an den Engpässen der Thermopylen im Sommer 352 diktierte hier unzweifelhaft den Plan. Ständig müsse eine Streitmacht in Bereitschaft stehen, um Philipp zu beunruhigen und ihm Schaden zuzufügen. 44 Das war sozusagen der defensive Teil der Vorschläge, danach kam das eigentliche Anliegen. Demosthenes fordert ein Operationskorps im ständigen Kriegseinsatz. Er präzisiert die Größe auf 2000 Mann Fußtruppen, von ihnen 1500 Söldner und 500 Bürger, die in festem Rhythmus abgelöst werden sollten. Dazu verlangt er 200 Reiter, davon 50 Bürger, mit entsprechenden Transportschiffen. Weiterhin sollten zehn schnelle Kriegsschiffe ausfahren. Die Order für alle lautete, den offenen Krieg mit Philipp zu vermeiden, stattdessen Streifzüge zu unternehmen, also eine Art Guerillakrieg zu führen.45 Dann kam ein wichtigerer Punkt, nämlich die Finanzen. Demosthenes sagt nur: „Geldmittel: Der Unterhalt, und zwar nur die Verpflegung, beträgt für diese Streitmacht neunhundert Talente und etwas mehr: für die

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zehn schnellen Schiffe vierzig Talente, zwanzig Minen pro Schiff jeden Monat, für die zweitausend Mann Fußvolk ebenso viel, damit ein Soldat im Monat zehn Drachmen für Verpflegung bekommt, und für die zweihundert Reiter zwölf Talente, wenn jeder dreißig Drachmen im Monat erhält. Wenn jemand meint, nur das Vorhandensein von Verpflegung für die Truppen sei eine schwache Grundlage, so sieht er die Sache falsch; denn ich bin davon überzeugt, dass in diesem Falle sich das Heer den übrigen Bedarf mit Hilfe des Krieges selbst beschaffen wird, ohne irgendeinem der Griechen oder der Verbündeten Unrecht zu tun, so dass es vollen Sold hat.“ 46 Auch Demosthenes weiß, der Krieg ernährt sich selbst, wenn auch nicht ganz. Und so kommt er zum Wichtigsten, zur Frage, woher das Geld kommen soll. Gerade da aber wird in der erhaltenen Rede abgeblendet. „Nachweis für die Beschaffung der Geldmittel“, heißt es noch, aber dann folgt nichts beziehungsweise anderes. Dionysios von Halikarnassos, der antike Kommentator, will entsprechend die erste Philippika hier abbrechen und mit dem nächsten Passus eine fünfte beginnen lassen. 47 Das ist wenig wahrscheinlich, aber die Gründe für die Lücke bleiben unklar. Vielleicht strich Demosthenes diese tagesaktuelle Passage bereits bei der Veröffentlichung, vielleicht ging sie auch später verloren.48 Demosthenes schließt mit einer Attacke auf die Gerüchtemacher und einem Resümee: „Doch ich glaube, Männer von Athen, wahrhaftig bei den Göttern, dass Philipp aufgrund der Größe seiner Taten im Rausch ist und vielen derartigen Dingen in seinen Träumen nachhängt, da er sieht, dass es an Leuten, die ihn hindern könnten, mangelt, und er durch seine Erfolge ermuntert ist; auf keinen Fall jedoch, bei Zeus, hat er die Absicht, etwas so zu unternehmen, dass auch die Unbedarftesten unter euch seine Ziele durchschauen; denn die Unbedarftesten sind die Gerüchteverbreiter. Doch wenn wir davon ablassen und zur Einsicht kommen, dass dieser Mensch unser Feind ist, dass er uns unseren Besitz raubt, dass er uns lange Zeit gedemütigt hat, dass alles, was wir jemals als Hilfe für uns von jemandem erwarteten, sich als gegen uns gerichtet erwiesen hat, dass die Zukunft in unseren eigenen Händen liegt und dass wir, wenn wir nicht dort gegen ihn Krieg führen wollen, dann vielleicht hier dazu gezwungen werden – wenn wir zu dieser Einsicht kommen, dann werden wir auch die notwendigen Entscheidungen treffen und keine unnützen Reden mehr führen; denn ihr dürft nicht die Frage stellen, was die Zukunft bringen wird, sondern ihr müsst darauf gefasst sein, dass sie schlecht sein wird, wenn ihr nicht den Willen habt, auf die Dinge euer Augenmerk zu richten und eure Pflichten zu erfüllen.“ 49 351 war Philipp krank, von zähen Kämpfen in Thrakien aufgehalten oder an Orten unterwegs, die für Athens Machtbestrebungen ohne Bedeu-

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tung waren. Er bedrohte weder die Chersones noch die Schifffahrt durch den Hellespont. Demosthenes vergaß ihn zwar nicht völlig, in der nächsten großen Staatsrede wird er jedoch nur im Vorübergehen erwähnt. Er ist ein unversöhnlicher Feind, aber doch nur einer neben anderen wie dem Perserkönig. „Ich bemerke“, sagt Demonsthenes dort, „dass einige von euch häufig Philipp als jemand betrachten, der kaum der Rede wert ist, den Großkönig aber als starken Gegner für alle fürchten, die er als Feind betrachtet.“ 50 Demosthenes hat letzteres in seiner Symmorienrede selbst getan, ersteres jedoch vermieden, indem er gar nicht erst auf den Makedonenkönig zu sprechen kam. Er korrigierte beides, aber selbst im Sommer 350 ist der Makedonenkönig noch nicht der vordringliche Feind, denn jetzt geht es um den Handel im Südosten der Ägäis und darüber hinaus bis nach Zypern und Ägypten. Die Rede für die Freiheit der Rhodier Im 5. Jahrhundert hatten die reichen Bürger noch dreimal gegen die Demokratie geputscht, im 4. gerierten sich selbst die Allerreichsten – zumindest in der Öffentlichkeit – als Demokraten. Sie sprachen auf der Rednerbühne in demokratischen Floskeln und Worthülsen, in den Gerichtshöfen betonten sie ihren (finanziellen) Einsatz für den Staat, und tatsächlich trugen sie mit den verschiedenen Leiturgien auch alle wesentlichen Belastungen. Demosthenes’ Vater gehörte zu den reicheren Bürgern und hatte entsprechende Zahlungen für die Gemeinschaft zu leisten. So dürfen wir seinen Sohn zunächst nicht in der Reihe der lupenreinen Demokraten vermuten. Und in keinem Fall war er, wie es von den Demosthenes-Apologeten immer behauptet wird, zeit seines Lebens ein Kämpfer für die „demokratische Freiheitsidee“. 51 Das erste, was dazu beigetragen haben kann, seine Zugehörigkeit zum sicherlich nicht einheitlichen Lager der eher konservativen Reichen zu erschüttern, waren wohl die Streitigkeiten um sein Erbe, die er mit seinesgleichen zu führen hatte. Aus dieser persönlichen Erfahrung und aus seiner Tätigkeit als Logograph lernte er eine Welt der Habgier kennen, die ihn in seinen frühen Ansichten offenbar wanken machte. Zum überzeugten Demokraten machte Demosthenes vermutlich erst der Kampf gegen den Alleinherrscher Philipp, den er zum Kampf der Systeme stilisierte. Auch in der Rede für die Freiheit der Rhodier betont Demosthenes Athens Rolle als Vorkämpferin für die Durchsetzung demokratischer Institutionen in den griechischen Städten, doch fehlt dieser noch die Emphase, die später die Philippiken auszeichnet. 52 Im Sommer 350 war eine Abordnung der Demokraten von Rhodos in Athen erschienen. Es war für sie ein Canossa-Gang. Möglicherweise er-

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hielten sie Absolution, aber sicherlich nicht die Hilfe, wegen der sie gekommen waren. Die Mehrzahl der Athener zeigte sich schadenfreudig. 53 Es war nur wenige Jahre her, dass Rhodos, angetrieben von dem persischen Satrapen in Karien, Maussolos, der damit sowohl Politik für den Großkönig als auch in eigener Sache betrieb, zusammen mit Chios, Kos und Byzanz dem Attischen Seebund den Rücken gekehrt hatte und Athen nach kurzem, wenig aussichtsreichem Kampf, dem genannten Bundesgenossenkrieg, in einen Frieden einwilligen musste, der Rhodos die Unabhängigkeit bescherte. Maussolos hatte dabei vor allem auf die Zusammenarbeit mit den Oligarchen gesetzt, das aber erst erkennen lassen, als die Athener als Unterstützer der Gegenpartei ausfielen. Nun wurde – nach erlangter Autonomie – die demokratische Regierung in Rhodos (daneben auch in Chios, Kos und Mytilene) gestürzt, und den vertriebenen Demokraten blieb nichts anderes übrig, als in Athen um Hilfe nachzusuchen, denn in Griechenland gab es sonst niemanden, der Volksherrschaften unterstützte. Zweifellos wäre es vordergründig im Interesse Athens gewesen, die erlittene Kränkung zu vergessen, die rhodischen Demokraten in einer großen Flottenaktion zurückzuführen und den alten Einfluss in der Südägäis wiederherzustellen. Das hat sicher nicht allein Demosthenes erkannt. Zwei Gründe sprachen dagegen. Zum einen hätte eine militärische Aktion über den Satrapen von Karien hinaus auch den Großkönig involviert, dessen Machtpotential Athen immer noch fürchtete, zum anderen stellte sich die Frage der Finanzierung in einer Situation, in der Athen wenig Reserven hatte. Auf dieses Problem war Demosthenes in der ersten Philippika mit ausführlichen Vorschlägen eingegangen, nun fehlte ihm der Mut dazu – oder auch die Phantasie. Er schweigt vom Wichtigsten. In seiner Rede triumphiert die Ideologie; was Demosthenes vorschlägt, nämlich kompromisslose Unterstützung der vertriebenen Rhodier, ist unrealistisch, und es scheint so, dass er auch gar nicht damit gerechnet habe, die Athener könnten seinen Ratschlag umsetzen. Unter diesen Voraussetzungen lässt sich aus vollem Mund tönen. Für Demosthenes ist es ein erneuter Versuch, seinen Standort zu bestimmen, denn er hat immer noch keinen, mit dem ihn das Volk identifizieren konnte. Gegen die herrschende politische Strömung verficht er einen Kurs der Intervention, und somit knüpft seine Rede an diejenige für die Megalopoliten an. Dort freilich lautete das Ziel nur, sich durch Einmischung potentielle Verbündete zu schaffen. Ignoriert wurde, dass dies auf der anderen Seite auch neue Feinde brachte. Im Falle von Rhodos waren dies Maussolos und danach Artemisia, dessen Witwe, insbesondere aber der Großkönig. Weite Teile der Rede sind denn auch dem Versuch gewidmet, diese Gefahren klein zu reden. 54 Tatsächlich sind es Großmachtträume, die Demosthenes hier träumt, als

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Abb. 8: Münze aus Rhodos: Sonnengott und Rose

hätte es den Bundesgenossenkrieg nie gegeben. Mit der Illusion, nach Rhodos würden auch andere Inseln und Städte wieder zu Athen zurückkehren, war die von einer erneuerten Herrschaft Athens über die Ägäis verbunden. Das mögen die Besucher der Volksversammlung gerne gehört haben, solange die Kosten von anderen, den Reichen oder den kaum noch existenten Bündnern, getragen wurden. Demosthenes zündet ein Feuerwerk demokratischer Freiheitsparolen. Es ist kein Lob der inneren Demokratie, wie es beispielsweise im Epitaphios des Perikles kulminiert, den Demosthenes aus seinen ThukydidesStudien kannte. 55 Dem Redner geht es hier um die Demokratie im Kampf der Systeme. Auch mit Demokratien könne Athen Krieg führen, wenn Probleme nicht anders zu lösen seien. Mit Oligarchien aber bestehe ein grundsätzlicher Krieg, und zwar für die eigene Verfassung (politeía) und für die Freiheit. Besser sei es, von allen Griechen mit demokratischer Verfassung bekriegt zu werden, als mit oligarchischen Staaten in Freundschaft zu leben. Mit freien Menschen könne jederzeit Frieden geschlossen werden, mit oligarchisch Gesinnten sei selbst Freundschaft unsicher. Unmöglich sei es, dass Oligarchen (olígoi) mit Demokraten (polloí) in Eintracht lebten, Leute, die nach Herrschaft strebten, mit Bürgern, welche die politische Gleichberechtigung gewählt hätten. Wenn nicht nur Chios, Mytilene und Rhodos oligarchisch regiert würden, sondern fast alle Staaten in diesen Zustand der Sklaverei gerieten, dann wachse auch die Gefahr für Athen. Die oligarchisch verfassten Poleis würden nicht ruhen, um auch die Demokratie in Athen abzuschaffen. Sie wüssten nämlich, dass niemand anderes den Städten die Freiheit zurückbringen könne als Athen, und so würden sie das vernichten wollen, von dem sie Unheil für sich erwarteten. 56 Das ist defensiv formuliert, um vor dem Demos mit demokratischen Argumenten die inneren Gegner zu schlagen, gedacht ist es aber offensiv: Der Weg zur alten Vormachtstellung führt über Rhodos und die ionische Küste, wo die Athener ihre Herrschaft verloren hatten.

Abb. 9: Elfenbeinernes Miniaturporträt aus Vergina. Wahrscheinlich Philipp II.

II. Das Thema Philipp II. von Makedonien Die Vorgeschichte Das Jahr 359 ist das geheime Epochenjahr im Leben des Demosthenes. Das liegt nicht daran, dass er damals als Trierarch die nördliche Ägäis befuhr. 359 begann der Aufstieg Philipps II., dessen Kampf gegen Athen den Nachruhm des Demosthenes begründete. Philipp übernahm in diesem Jahr als Nachfolger seines Bruders Perdikkas und Vormund seines Neffen Amyntas die Regierung Makedoniens und führte das Land in rund 20 Jahren zur europäischen Großmacht. Aus kleinen Anfängen hatte sich seit etwa dem 7. Jahrhundert von der Residenzstadt Aigai aus, nördlich des Olympos-Massivs gelegen, unter dem Königshaus der Argeaden ein stetig expandierender Staat gebildet. Die frühe Geschichte liegt bis zu den Perserkriegen und Herodot weitgehend im Dunkeln. Aus ihm tritt als erster Makedone, der in nähere Beziehung zu Athen zu setzen ist, Alexander I., König von etwa 494 bis 454, der zur Unterscheidung von Alexander III., genannt der Große, den Beinamen Philhellene erhielt. Er ist, als Xerxes seine Invasion gegen Griechenland beginnt, próxenos, Gastfreund der Athener, ein Titel, der für Wohltaten irgendwelcher Art verliehen wurde, die Alexander den Athenern erwiesen hatte. In dieser Eigenschaft verhandelte er im Frühjahr 479 auch im persischen Auftrage nach der Schlacht von Salamis in Athen, um die Stadt zu einem Bündnis mit Xerxes zu bewegen. Der Erste Attische Seebund, der sich kurz darauf zur Abwehr einer befürchteten neuerlichen persischen Invasion formiert hatte, war bald zu einem militärischen Instrument der Hegemonialmacht Athen herabgesunken. Deren Interessen lagen in der Ägäis, aus genannten Gründen aber besonders an deren Nordrand, dem makedonischen Territorium so nah, dass athenische Aktivitäten dort auch immer als Bedrohung aufgefasst werden mussten. Und dieser Bedrohungen waren viele. Die Athener nahmen die Makedonien benachbarten griechischen Küstenstädte in ihr Bündnis auf, und sie suchten immer wieder – durch Krieg oder Siedlungsprojekte –, die thrakischen Bergbauregionen einschließlich der wichtigsten Handelsrouten unter ihre Kontrolle zu bekommen. Den Athenern lag nur dann an guten Beziehungen zu Makedonien, wenn diese billiger waren als

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Philipp II. von Makedonien

Krieg. Einen irgendwie gleichberechtigten Bündnispartner sahen sie in den Makedonen nie. Das imperiale Denken Athens verrät sich in einem Prozess, der in den sechziger Jahren des 5. Jahrhunderts gegen den Strategen Kimon angestrengt wurde. Er hatte den abtrünnigen Verbündeten Thasos in einer Seeschlacht besiegt und die von den Thasiern ausgebeuteten Goldbergwerke auf dem nahen Festland in den Besitz Athens gebracht. Dies war freilich seinen Gegnern in Athen noch zu wenig. Sie warfen ihm vor, er habe dabei die günstige Gelegenheit gehabt, auch gegen Makedonien vorzurücken und große Teile des Landes zu annektieren, dies aber unterlassen, weil er vom Makedonenkönig bestochen worden sei.1 Ob letzterer Vorwurf berechtigt war, spielt keine Rolle; Tatsache ist, dass für das mächtige Athen die Möglichkeit, Beute zu machen, auch ein hinreichender Grund war, es zu tun. Über hundert Jahre, ausgenommen vielleicht zwei Jahrzehnte nach der Niederlage im Peloponnesischen Krieg 404, gestaltete sich die athenische Politik nach einfachen Prinzipien. Offiziell suchten die Athener gute Beziehungen zu den makedonischen Königen, unter der Hand unterstützten sie deren Gegner. Je mehr Prätendenten Anspruch auf den Thron erhoben, desto wohler fühlte sich die athenische Diplomatie. Mit Küstenstädten der Pieiria oder der Chalkidike wurden Verträge geschlossen, einzelne Poleis wie beispielsweise Methone geradezu als Bastionen gegen Makedonien ausgebaut. Auch gegenüber den thrakischen Völkern im Osten Makedoniens betrieb Athen die Politik der Spaltung, nur in ihrer antimakedonischen Ausrichtung sollten diese einig sein. 2 Gerade in der Zeit des Perikles, als der Seebund seine größte Macht entfaltete, schreckte Athen vor keiner Einmischung zurück, um seine Interessen durchzusetzen. Es ist die historische Erfahrung langjähriger Aggressionen der Athener und gelegentlich – im Rahmen des Peloponnesischen Krieges – auch der Spartaner, welche die Politik Philipps II. mitbestimmen wird. Dieser Umstand wird nur dadurch verdeckt, dass es Demosthenes gelang, Philipp zum alleinigen Aggressor zu stempeln und seine Politik gegenüber Athen weitgehend als voraussetzungslos erscheinen zu lassen. Ganz im Gegensatz dazu ist Philipps Politik gegenüber den Griechen nicht zuletzt eine Reaktion auf die Politik der Griechen gegenüber Makedonien.

Die Überlieferung Das neuzeitliche Bild antiker Herrscher ist in erster Linie von den Viten des Plutarch geprägt. Im Falle Philipps geschieht dies indirekt, nämlich über die Biographie des Demosthenes. In ihr ist Philipp notwendigerweise

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auf die Rolle eines Gegenspielers reduziert. Nach Meinung Plutarchs vertritt Demosthenes, an dem er durchaus auch Kritik übt, die bessere Sache, und so kommt er kaum über das hinaus, was er den Philippiken entnimmt. Die Antike konnte sich dennoch ein besseres, wenn auch kein gutes Bild machen, denn Philipp steht, wie schon der Titel kundtut, im Mittelpunkt eines der umfangreichsten Geschichtswerke der Antike, den Philippiká (Philippische Geschichte) des Theopomp. 3 Das verloren gegangene Werk, das noch in römischer Zeit Bewunderer und Nachahmer fand, entwarf auf mehreren tausend Seiten ein Bild der Zeit mit Philipp als monströsem Helden. Die erhaltenen Fragmente, obwohl so zahlreich wie von keinem anderen antiken Historiker, lassen Tendenz und Zielrichtung nur erahnen, zwiespältig ist insbesondere das Porträt des Titelhelden. Theopomp hatte, von Philipp finanziert, lange am makedonischen Königshof gearbeitet, 4 kannte also den Aufstieg Makedoniens aus eigener Anschauung. Als konservativem Griechen mit vergangenheitsorientierter Sparta-Begeisterung fehlte ihm freilich das Verständnis für die Bedingungen eines Königtums, das unterschiedlichste Völker unter seine Herrschaft vereinigen musste. Zwar konnte er die Leistungen Philipps anerkennen, den er im Vorwort als größten Mann bezeichnete, den Europa, worunter er die südliche Balkanhalbinsel mit Epirus, Thessalien, Makedonien, Illyrien, Thrakien und Griechenland samt den Inseln verstand, jemals hervorgebracht habe, 5 doch die Schilderung seines Lebenswandels troff von moralinsaurer Kritik. Für den antiken Klatsch, der sich in Werken wie dem Gelehrtenmahl des Athenaios sammelte, waren die Philippika eine Fundgrube, die es auszubeuten galt, und so befassen sich weit mehr der erhaltenen Fragmente mit Philipps Lebenswandel als mit seiner Politik. „Philipp lehnte alle, die einen anständigen Lebenswandel hatten und die sich um ihre häuslichen Verhältnisse kümmerten, ab, die Verschwender aber und diejenigen, die ihr Leben bei Würfelspiel und Trinkgelagen zubrachten, hielt er durch seine Anerkennung in Ehren. Auf diese Weise brachte er sie nicht nur dazu, an einer solchen Lebensweise festzuhalten, sondern machte sie auch zu wahren Meistern jeder Art von Verbrechen und Abscheulichkeit. Denn welche Schändlichkeit und Ungeheuerlichkeit gibt es, die ihnen nicht nahe, welche gute und ernsthafte Regung, die ihnen nicht fern gelegen hätte? Ließen sich nicht die einen noch als erwachsene Männer am ganzen Körper rasieren und glätten, und erdreisteten sich die anderen nicht, Unzucht mit bärtigen Männern zu treiben? Und sie führten stets zwei oder drei Lustknaben mit sich herum, und selbst erlaubten sie es auch anderen, es in derselben Weise mit ihnen zu treiben. Von daher hätte man sie mit Recht nicht für Gefährten (sondern für Gefährtinnen) halten können und sie nicht Soldaten, sondern Dirnen nennen können: Denn Männermörder waren sie von Natur, Männerhuren aus Gewohnheit. Außerdem liebten sie

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statt des Nüchtern- das Betrunkensein und suchten statt nach einem anständigen Lebenswandel nach Gelegenheit zu Raub und Mord. Die Wahrheit zu sagen und sich an Vereinbarungen zu halten, hielten sie nicht für ihre Sache, Meineide zu schwören und zu hintergehen, zählte bei ihnen zu den heiligsten Dingen. Und was sie hatten, interessierte sie nicht; was sie nicht hatten, darauf waren sie aus, und das, obwohl sie doch schon einen Teil Europas in ihren Händen hatten.“ 6

Die Anfänge Aus den Reden des Demosthenes ist über die Ziele und Absichten Philipps nur zu erfahren, was der Redner das attische Volk glauben machen wollte. Als Gegner der athenischen Demagogen hätte Theopomp, wie gesagt, ein wichtiges Korrektiv sein können. Doch die erhaltenen Fragmente beschäftigen sich mehr mit dem Bauch als dem Kopf Philipps, und die antiken Autoren, die noch den ganzen Theopomp kannten, übernahmen wenig von ihm. Was Philipp plante, wird so nur ersichtlich aus dem, was er tat. Das war zunächst der Versuch, das Land zu konsolidieren und die vorerst inoffizielle Herrschaft zu festigen. Erst 356/55 ließ sich Philipp von der Heeresversammlung die Königswürde übertragen, die in der Thronfolge zunächst seinem Neffen gebührt hätte. In der kurzen Herrschaft des jungen Perdikkas III. (365–359) war Makedonien nicht zur Ruhe gekommen. Umringt von Feinden wie den Illyrern, Paionen und Thrakern musste das Land auch die Einmischung der erstarkten Thebaner, der benachbarten Thessalier und immer wieder der Athener hinnehmen. Als Perdikkas 359 im Kampf gegen die Illyrer gefallen war, hatte sich sein Bruder Philipp dazu der Thronansprüche von makedonischen Prätendenten zu erwehren, die mit externer Hilfe an die Macht zu kommen suchten. Im Äußern wie im Innern schien Makedonien in einer schwierigen Lage. Die Athener hielten Philipp deshalb für schwach, wie sie dann später auch seinen Nachfolger Alexander unterschätzten. Was für Schwäche gehalten wurde, war freilich auch Klugheit. Philipp wehrte, solange Makedonien selbst instabil war, die äußeren Feinde mit geschickter Diplomatie ab, erst als er sich stark genug sah, setzte er auch militärische Mittel ein: 358 wurden die Paionen und Illyrer geschlagen. Athen hatte seine Politik fortgesetzt, die Makedonenherrscher zu schwächen, wo es möglich schien. Philipp war noch nicht König und sah sich bereits mit athenischer Feindseligkeit konfrontiert. Ende der sechziger Jahre (363 oder 362/61) hatte der Stratege Timotheos die makedonischen Küstenorte Methone und Pydna eingenommen.7 Um Unruhe zu stiften, protegierte Athen einen makedonischen Adligen nicht genau be-

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Abb. 10: Karte Makedoniens

stimmbarer Herkunft namens Argaios, der schon in den achtziger Jahren für kurze Zeit König gewesen war. Möglicherweise befand er sich in Athen im Exil, und nun schickten die Athener ihn nach Makedonien zurück, weil sie in ihm einen Garanten ihrer Interessen sahen. Es war eine ostentative Verletzung makedonischer Interessen, wie sie sich umgekehrt Philipp (noch) nicht zuschulden kommen ließ. Dahinter stand nichts anderes als einfache Machtpolitik. Die Athener dingten 3000 Söldner und schickten sie mitsamt einer größeren Flotte unter dem Befehl des Strategen Mantias nach Methone. Unter Begleitung der Söldner brach Argaios nach Aigai auf, um sich dort als König begrüßen zu lassen. Das Unternehmen scheiterte. Als Argaios mit den Söldnern zur Küste zurückkehren wollte, hatte Philipp seine Truppen gesammelt. Er überfiel die Söldner, zwang sie zur Kapitulation und Auslieferung der Verbannten. Die mitgefangenen Athener, die sich nur als Invasoren bezeichnen lassen, gab er – ein überdeutliches Signal guten Willens – ohne Lösegeld frei. Es war sein erster Sieg, und dieser festigte seine Stellung. 8 Mit ihrer ersten Intervention hatten die Athener das Gegenteil dessen erreicht, was sie wollten. An ihrer Einschätzung änderte das nichts. Makedonien und Philipp wurden weiterhin als schwach erachtet. Erst aus

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der Rückschau des Demosthenes in den vierziger Jahren ergibt sich das Bild eines kontinuierlich expandierenden, Athen bedrohenden Makedonien.

Betrüger und Betrogene: Das Beispiel Amphipolis 358/57 glaubten die Athener noch, mit Hilfe eines aufgrund innerer wie äußerer Schwierigkeiten zwangsläufig kooperationswilligen Philipp sich wieder in den Besitz des schon genannten Amphipolis setzen zu können. Die Episode ist ein Possenspiel, in welchem die eine Seite die andere betrügen wollte und aus dem die Athener endlich als die Düpierten hervorgingen. Begonnen hatte es mit einem Scheinerfolg für Athen. Philipp hatte nach Antritt seiner Regentschaft die makedonische Besatzung, die sein Vorgänger Perdikkas in Amphipolis hatte installieren können, wieder zurückgezogen. Er wollte nicht zur Unzeit in einen Kampf mit Athen verwickelt werden. Stattdessen bot er den Athenern bald nach der misslungenen Rückführung des Argaios einen Tausch an. In einer geheimen Zusatzklausel eines damals geschlossenen oder erneuerten Freundschaftsvertrages versprach Philipp den Athenern, Amphipolis zu übergeben, wenn sie ihm im Gegenzug die für Makedonien aktuell wichtigere Hafenstadt Pydna überließen.9 Das war ein auf die Zukunft abgeschlossenes Geschäft, denn weder besaßen die Makedonen Amphipolis noch die Athener Pydna. Es ist ein (freilich missglücktes) Lehrstück dafür, wie sich Philipp und Athen Politik in Griechenland vorstellten, und dass diese durchaus eine gemeinsame Basis hatten – auf Kosten Dritter eben. Den zwielichtigen Handel, von dem Demosthenes aus verständlichen Gründen nur in Andeutungen sprechen konnte,10 deckte schließlich der Historiker Theopomp auf,11 zweifellos mit Billigung seines Mäzens Philipp, der ein Interesse daran hatte, Athen in den Augen der griechischen Öffentlichkeit zu diskreditieren, die Athens Versuch, eine freie griechische Stadt an einen Barbarenkönig zu verschachern, sicherlich nicht goutierte. Zudem brachte dies einige athenische Politiker in Bedrängnis, denn nur der Rat der Fünfhundert und nicht, wie es selbstverständlich gewesen wäre, die Volksversammlung war über den „Handel“ informiert worden. Als Philipp 357 daran ging, den ersten Teil seines Versprechens zu erfüllen, und Amphipolis belagerte – um es zurückzugeben, musste er es ja zuerst besitzen –, sahen die Athener dem, was sie ansonsten als Akt der Aggression verurteilten, trotz dringender Hilfegesuche der Amphipoliten, die sich nun sogar bereit erklärten, Athens Oberhoheit zu dulden, gelassen zu. Sie durften sich als baldige Nutznießer des Geschehens fühlen. Die Probleme begannen für Athen, nachdem Philipp Amphipolis er-

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obert hatte. Er legte zwar wieder eine Besatzung in die Stadt, gewährte den Amphipoliten aber weitgehende Autonomie, nur die wichtigsten Makedonengegner mussten in die Verbannung gehen.12 Die Athener hätten jetzt ihren Teil des Geheimvertrages erfüllen und Pydna Philipp übergeben müssen. Abgesehen davon, dass sie es vermutlich gar nicht wollten, konnten sie dies auch nicht. In der Konsequenz behielt Philipp Amphipolis und nahm sich schließlich im folgenden Jahr selbst, was die Athener zu geben versprochen hatten. Anfang 356 eroberte er Pydna,13 wenig später auch noch die auf der Chalkidike gelegene, von athenischen Kleruchen besiedelte Stadt Poteidaia.14 Die Athener antworteten mit einer Kriegserklärung, bei der sie es schließlich beließen, denn inzwischen war der Bundesgenossenkrieg ausgebrochen. Philipp nutzte das, um auch die letzte der an der makedonischen Küste verbliebenen Griechenstädte, das nördlich von Pydna gelegene Methone, in seinen Besitz zu bringen.15 An Kriegsgründen gebrach es ihm nicht, denn von Methone aus war der Versuch der Exilmakedonen gestartet worden, ihn zu stürzen. Die Athener erhoben das übliche „Haltet-denDieb“-Geschrei, das immer dann ertönte, wenn ihnen ein anderer zuvorgekommen war. Wenn überhaupt eine der Parteien Anspruch auf Methone erheben konnte, dann besaß Philipp den älteren, denn Methone hatte im 5. Jahrhundert bereits einmal zu Makedonien gehört.

Nach Osten Philipps vorrangiges Interesse richtete sich zunächst nach Osten. Mit der Besetzung von Amphipolis dehnte sich sein Einfluss bereits bis zum Fluss Strymon aus. Damit gerieten auch die Goldminen des Pangaion in den Blick. Als es nach dem Tod des thrakischen Fürsten Berisades, unter dessen Kontrolle sie standen, zu Zwistigkeiten der Erben mit den griechischen Siedlern von Krenides, eines nordöstlich des Pangaion gelegenen Ortes, kam, bot sich die Gelegenheit weiteren Vordringens. Auf einen Hilferuf der Siedler hin vertrieb Philipp die Thraker und besetzte selbst das Pangaiongebirge.16 Der König schickte weitere Siedler, und Krenides trug von nun an den Namen Philipp(o)i, der durch Antonius, Brutus, Paulus und Shakespeare ungeahnte Berühmtheit erlangte. Der Vorstoß brachte Philipp in die Schwierigkeit, jetzt thrakisches Gebiet bis zum östlich gelegenen Fluss Nestos sichern zu müssen, verschaffte aber seiner Herrschaft eine neue finanzielle Basis, von der aus er auf unterschiedliche Weise operieren konnte. Nach antiker Überlieferung erbrachten die Goldgruben des Pangaion bald einen Ertrag von 1000 Talenten jährlich. 17 Zum Vergleich: Selbst in der Hochphase des Attischen Seebundes belief sich die Gesamt-

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summe der Tribute, welche die Verbündeten an Athen zahlten, auf nicht mehr als 460 Talente. Philipp bezahlte mit dem Geld seine Söldnerarmeen, Grundlage der makedonischen Expansion, und er finanzierte damit seine Anhänger in Griechenland. Später kursierte ein Diktum Philipps, ein mit Gold beladener Esel habe noch jede Stadtmauer überschritten.18 Das traf nur teilweise zu. Besser als seine Feinde wusste Philipp, dass Köpfe zu gewinnen wichtiger war als Stadtmauern zu erobern.

Nach Süden Philipps Wendung nach Thessalien erschien später als planvoller Anfang einer Invasion in den Süden bis hinunter nach Mittelgriechenland, nach Theben und Athen. Das aber ist eine Projektion, mit den Augen des späten Demosthenes gesehen und mit seinem Kopf gedacht. Aus Thessalien drohte Makedonien keine direkte Gefahr, doch die Streitigkeiten und Rivalitäten unter den Adelsfamilien und Städten innerhalb des Thessalischen Bundes, dem politisch-militärischen Zusammenschluss der thessalischen Ethnien und Poleis unter der Führung eines vom gemeinsamen Landtag gewählten Tagos, riefen oft auswärtige Mächte auf den Plan und verunsicherten das Land. Neben Athen oder Theben hatten sich auch die makedonischen Könige eingemischt, und auch Philipp tat das nolens volens. Etwa 354 hatte sich das Adelsgeschlecht der in Larisa residierenden Aleuaden an Philipp um Hilfe gegen die Tyrannen des benachbarten Pherai gewandt, die Anspruch auf die Führung im Thessalischen Bund erhoben. Damit wurde der Konflikt internationalisiert, Philipp in den sogenannten Dritten Heiligen Krieg verwickelt. Heilige Kriege wurden nominell zum Schutz des den Griechen gemeinsamen großen Heiligtums von Delphi geführt, faktisch aber um die Gelder, welche die Priester in Delphi verwalteten. 356 hatten die Phoker, die zu den Umwohnern des Heiligtums gehörten, in einem Streit mit Theben kurzerhand Delphi besetzt und eine Anleihe auf die Tempelschätze gemacht, die sie nicht zurückzuzahlen gedachten. Mit den Geldern finanzierten sie eine Söldnerarmee, wie sie sich selbst ein Philipp zunächst nicht leisten konnte. Als die Phoker auf die Seite der Tyrannen traten, kam es 353 zum direkten Aufeinandertreffen mit den Makedonen, und Philipp wurde zweimal geschlagen. Im nächsten Jahr war der König besser gerüstet, in der schon erwähnten Schlacht auf dem Krokosfeld (beim antiken Pagasai) besiegte er die Phoker. So neu wie geschickt war, dass Philipp seine Soldaten mit den Lorbeerkränzen des Apollon geschmückt in die Schlacht ziehen ließ, „gleichsam wie unter der Führung des Gottes selbst“, wie es in den Philippicae des

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Pompeius Trogus hieß, und sich damit als Rächer einer griechischen Gottheit an den phokischen Tempelräubern präsentierte.19 In Pherai und Pagasai – eine athenische Flotte, welche die Hafenstadt entsetzen sollte, kam zu spät – wurden makedonische Besatzungen stationiert. Thessalien kam nun unter die Oberhoheit Makedoniens, mit Unterstützung der Aleuaden wurde Philipp zum Führer mit dem Titel eines Archon gewählt. Freilich durften auch Demosthenes und Athen einen Sieg feiern. Philipp hatte nach dem Sieg auf dem Krokosfeld auf eine sofortige Bestrafungsaktion verzichtet. Es war ihm wichtiger, zunächst die Verhältnisse in Thessalien zu regeln. Erst als Archon des Bundes und wohl in dessen Auftrag, vielleicht auch auf Bitten der Thebaner, unternahm er einen Zug gegen die Landschaft Phokis. Den Phokern und ihren Alliierten, Spartanern und Athenern, blieb genug Zeit zu Gegenmaßnahmen. Gemeinsam sperrten sie die Thermopylen, Philipp kehrte auf halbem Weg zurück. Dort wo die Spartaner 480 gegen Xerxes versagten, da bewährten sich 352 die Athener, und zwar ganz alleine, da, wie Demosthenes später behauptete, weder ein Hellene noch ein Barbar den Phokern Beistand leisten wollte. 20 Die Athener taten, als hätten sie Philipp bei seinem Vormarsch gegen Athen und darüber hinaus in die Peloponnes aufgehalten. Es ist eine aus den Ereignissen von Chaironeia abgeleitete Schlussfolgerung, die Philipp eine Aggression gegen Athen schon in den fünfziger Jahren planen lässt. Dass es zu dieser schließlich 338 kam, liegt aber nicht zuletzt daran, dass Demosthenes Philipp falsch einschätzte und die Schlüsse aus dieser Einschätzung zu den Grundlagen seiner Politik machte. Dass die Antike das Geschehen auch ganz anders interpretieren konnte, zeigt im übrigen der genannte römische Historiker Pompeius Trogus: „Als die Athener aber den Ausgang des Kampfes vernahmen, besetzten sie aus Sorge, dass Philipp jetzt nach Griechenland eindringen werde, den Thermopylenpass ganz ebenso wie damals bei der Ankunft der Perser, aber sie taten es keineswegs mit der gleichen Tapferkeit und schon gar nicht aus der gleichen triftigen Ursache; damals nämlich geschah es für die Freiheit Griechenlands, nun zugunsten einer öffentlichen Tempelschändung, damals, um die Tempel vor feindlichem Raub zu schützen, jetzt um Tempelräuber gegen ihre Rächer zu verteidigen. So spielen die Rolle von Vorkämpfern des Frevels die, für die es schon eine Schande war, dass andere als sie selber zu seiner Sühnung sich hatten erheben müssen, und dachten gar nicht mehr daran, dass sie, als es um ihre eigenen Angelegenheiten gegangen war, sich desselben Gottes als des Urhebers ihrer eigenen Entschlüsse dankbar bedient hatten, und dass sie unter seiner Führung so viele Kriege siegreich bestanden, so viele Städte unter glücklichen Vorzeichen gegründet, ein solches Reich zu Land und See erworben hatten, schließlich dass sie nie ein privates oder öffentliches Vorhaben zum guten Ende gebracht hatten ohne

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Segen und Hilfe dieses erhabenen Gottes. Und eine solche Ungeheuerlichkeit haben Menschen übers Herz gebracht, deren Geist, in jeglicher Wissenschaft gepflegt, durch die trefflichsten Gesetze und Einrichtungen gestaltet war, so dass ihnen von da an nichts mehr übrig blieb, um dessentwillen die Barbaren mit Recht geringer zu achten sein sollten als sie.“ 21

Olynth und die Folgen Das Ende der Stadt Olynth wurde zum Beginn einer wunderbaren Feindschaft. Von nun an schien für Demosthenes Versöhnung mit Philipp nicht mehr möglich. Der Fall der reichen chalkidischen Metropole im Jahre 348 hat die politische Laufbahn des Demosthenes nachhaltiger gefördert als jedes andere Ereignis. Er legte sich von da an auf den Kampf mit Philipp fest und hatte damit das Thema gefunden, mit dem ihn die Athener künftig identifizierten: die makedonische Bedrohung. Athen besaß nun – zumindest nach dem Willen des Demosthenes – in der Person Philipps wieder einen Feind, nachdem die Thebaner und Spartaner dieser Rolle in den letzten Jahren kaum gerecht geworden waren. Demosthenes’ Prophezeiungen hatten sich erfüllt, seine Warnungen ihre Berechtigung erwiesen. Er konnte auf dem Gebiet der Außenpolitik Kompetenz reklamieren, und diese oder zumindest ihr Anschein waren die Voraussetzung für erfolgreiche Politik in der Volksversammlung. Von da an wird Olynth – als wäre es ein Erfolg seiner Politik – stetes Thema der Staatsreden des Demosthenes.

Der Aufstieg Olynths Um von der Volksversammlung Unterstützung für seine Politik zu erhalten, hatte Demosthenes die Geschichte der athenisch-olynthischen Beziehungen ein klein wenig geklittert. Tatsächlich gab es die von ihm quasi postum so vehement beschworene Freundschaft kaum. Sie kam eigentlich erst nach dem Hinscheiden des einen Partners auf. Im 5. Jahrhundert war Olynth Mitglied des Attischen Seebundes gewesen. Als solches erscheint die Stadt schon auf den ersten Tributlisten des Jahres 454, belegt mit einer Abgabe von zwei Talenten.1 Wie viele andere Inseln und Städte gehörte Olynth zunächst freiwillig und dann gezwungenermaßen diesem Bündnis an. Entsprechend nützte die Stadt, ebenfalls wie viele andere, auch die erste gute Gelegenheit aus, von Athen abzufallen. Sie kam im Jahre 432. Im Vorfeld des Peloponnesischen Krieges standen, so schreibt der Historiker Thukydides, weitaus die meisten Menschen mit dem Herzen – das sparte Rüstungskosten – auf Seiten der Spartaner. 2 Es wurde ein chalkidischer Bundesstaat mit Olynth im Mittelpunkt gegründet, die küstennahen Städte wurden wegen der Bedrohung durch die athenische Flotte aufgegeben. Der Nikias-Frieden von 421 brachte den chalkidischen Städten Auto-

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nomie und die Freiheit, sich Athen nun aus freien Stücken anzuschließen. Die Olynthier, deren Staatenbund mit den Friedensvereinbarungen quasi aufgelöst war, blieben Feinde der Athener 3 und unternahmen um die Jahrhundertwende einen neuen Anlauf, einen Bundesstaat mit den Nachbarstädten zu bilden. 4 Zwar wurde 393 ein Bündnisvertrag mit dem Makedonenkönig Amyntas III. geschlossen,5 doch der erstarkte chalkidische Bund wurde schon bald zur Bedrohung für Makedonien, das Teile seines Gebietes, nämlich die umkämpfte Landschaft Anthemous im Norden der Chalkidike, abtreten musste. 6 Als damalige Hegemonialmacht Griechenlands stoppten die Spartaner dieses Vordringen und zwangen Olynth 379 zur Kapitulation. Doch wieder gründete sich der Bund um die Stadt neu und trat 375 dem gerade gebildeten Zweiten Attischen Seebund bei, freilich nur, um ihn bald wieder zu verlassen. Die wechselvolle Geschichte Olynths war die einer Stadt mit eigenen Ambitionen, die sich zwischen den wechselnden Mächten, das heißt zwischen Sparta, Athen und Makedonien zu behaupten suchte, um da, wo es möglich wurde, eigenen Territorialgewinn anzustreben. Nach dem Vorbild der größeren Mächte bezeichneten auch die Olynthier ihre Gebietsgewinne in Makedonien stets als Befreiung.7 Expansionsstreben war in Griechenland immer die Sache der anderen.

Philipp und Olynth 357/56 wurde zwischen den Chalkidiern und Philipp ein förmliches Friedens- und Freundschaftsbündnis geschlossen und bei Zeus, Helios, Poseidon und anderen Göttern beschworen. Für die griechische Öffentlichkeit wurde der Pakt dokumentiert, indem Abschriften im Heiligtum des Zeus in Dion und vor allem in Delphi aufgestellt werden sollten. Die Inschrift, die für das Heiligtum der Artemis in Olynth bestimmt war, wurde 1934 bei Ausgrabungen gefunden.8 Philipp brachte auch noch eine Morgengabe für seinen neuen Bündnispartner mit. Er eroberte, wie erwähnt, die chalkidische Stadt Poteidaia, welche die Athener 363 besetzt und mit Kleruchen besiedelt hatten, und übergab sie den Olynthiern. Die Einwohner verkaufte er in die Sklaverei, die athenischen Siedler dagegen durften in ihre Heimatstadt zurückkehren. 9 Sie genossen also die gleichen Privilegien wie ihre in Pydna gefangengenommenen Landsleute. Philipp wollte bei aller Konfrontation nicht vorzeitig die Chance vergeben, das Verhältnis zu Athen doch noch zu normalisieren.10 Zunächst waren ihm die Olynthier aber nicht allein räumlich näher. Er schenkte ihnen auch Anthemous, das nach dem kurzen chalkidischen Intermezzo wieder makedonisch geworden war. Es ist schwer zu

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entscheiden, ob er die Abtretung des Landes nur als Leihgabe betrachtete. Vielleicht war auch Poteidaia ein Danaergeschenk, denn die Übergabe der Stadt musste den Konflikt Olynths mit Athen erneuern. Und das zählte sicherlich zu Philipps Absichten. Er brauchte in seinen Beziehungen zu den chalkidischen Städten Zuverlässigkeit und Konstanz, und dazu trug neben gemeinsamen Interessen auch ein gemeinsamer Feind bei. Doch bot die makedonische Macht auch Schutz vor diesem Feind. Die Chalkidike war – wie Olynth im einzelnen – bis dahin ein Zankapfel der griechischen Großmächte gewesen. Athen, Korinth und Sparta, sie alle trugen ihre Kämpfe auch im Norden aus. Nach dem Fall Athens 404 hatten die Spartaner dort ihre Herrschaft aufgerichtet, und nach deren Sturz 371 versuchten wieder die Athener unter dem Feldherrn Timotheos, dort eine Machtbasis zu erringen. Wie die Periöken in Lakonien durch die spartanische Präsenz waren nun die Chalkidier durch die makedonische gesichert, wie jene mussten sie damit vielleicht mit einer, allerdings geringeren, Einbuße von Autonomie zahlen. Dieses Minus aber zeitigte ein Plus auf der wirtschaftlichen Seite. Die griechische Chalkidike war für Makedonien das Handelstor nach Griechenland, der Historiker Theopomp erwähnt sogar eine Währungsangleichung, die diesem Zwecke diente. 11 Philipp wickelte einen Teil seiner Geschäfte über den Bund ab. Der Wohlstand wuchs,12 und dies lässt sich direkt an der militärischen Leistungsfähigkeit ablesen. Vermochte der chalkidische Bund mit Olynth als Vormacht in den siebziger Jahren gerade 400 Reiter und 5000 bewaffnete Bürger aufzubieten, so stieg jetzt die Zahl auf das Doppelte: 1000 Reiter und 10.000 Hopliten.13 Die neue Macht verführte dazu, die Eigenständigkeit gegenüber Philipp wieder stärker zu betonen. Dazu trug auch das Gefühl zunehmender Isolation bei. Im Osten hatte Philipp Amphipolis erobert, Byzanz und Perinth waren auf seine Seite getreten, schließlich hatte er Heraion Teichos auf der Chersones besetzt und kontrollierte die thrakische Küste. Im Westen fielen die griechischen Küstenstädte wie Dominosteine, die Thessalier wählten Philipp zu ihrem Kriegsherrn. In gewisser Weise wurde die Chalkidike zu einer makedonischen Enklave. Freie Zufahrt gab es nur auf dem Seeweg, alle Landwege wurden von Makedonien kontrolliert. Das vertrug sich nur schwer mit der griechischen Vorstellung von Autarkie und Autonomie. Je stärker eine Polis war, desto stärker war auch dieses Denken. So wuchs das Bewusstsein politischer Abhängigkeit in dem Maße, in dem die Chalkidike wirtschaftlich prosperierte, und in dem Maße, in dem sie prosperierte, wuchs das Bewusstsein militärischer Stärke. Die Olynthier stellten das Bündnis mit Philipp – wörtlich genommen – ohne Not in Frage. Sie suchten wieder die Nähe zu Athen, weil sie sich Philipp und weil sie sich Athen gewachsen fühlten. Wohl im Jahre 352, als die Athener durch die vorüber-

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gehende Besetzung der Thermopylen Philipp die von diesem eigentlich längst akzeptierten Grenzen aufzeigen zu können meinten und damit aus der ersten, freilich imaginären Schlacht als gefühlte Sieger hervorgingen, schickten die Olynthier Gesandte nach Attika und schlossen – vermutlich auf der Basis des Status quo – Frieden.14 Darüber hinaus wurde sogar ein Bündnis in Aussicht gestellt. 15 Auch ohne die Verwirklichung einer Symmachie bedeutete der bloße Friedensschluss aber bereits einen Bruch des Vertrages mit Philipp, denn 357 hatten sich beide Seiten dazu verpflichtet, gegen die Athener gemeinsam Krieg zu führen oder sich gemeinsam mit den Athenern zu verständigen. Olynths Alleingang war eine Provokation Philipps, und entsprechend lobt Demosthenes diesen Schritt als vorausschauend und weise.16 Das Misstrauen zwischen Makedonen und Chalkidiern wurde wieder größer. Die Athener sahen die Chance, die Olynthier in einen bewaffneten Konflikt zu treiben, und das kann nur mit dem Versprechen militärischer Hilfeleistung geschehen sein.17 Doch Philipp blieb – nach außen – gelassen. Einen Feldzug gegen die Bisalten in Thrakien brach er 351 an der Grenze zur Chalkidike ab. Dennoch war es eine Warnung, die auch dadurch nicht abgeschwächt wurde, dass er den Olynthiern eilends Gesandte schickte, die sie seiner friedlichen Absichten versichern sollten.18 Dies diente auch der Unterstützung derjenigen, auf die Philipp mehr als auf gute Worte setzte. Die makedonische Politik und der wirtschaftliche Aufschwung bevorteilten in Olynth eine Reihe von Bürgern, insbesondere wohlhabende, die nicht geneigt waren, sich in militärische Abenteuer mit ungewissem Ausgang einzulassen. In der demosthenischen Propaganda erscheinen diese allesamt als Verräter, und der Redner hat zweifellos recht, solange er meint, dass sie es an der athenischen Sache oder – genauer – an der demosthenischen waren. Was er sich, seinen Argumenten und seiner Redekunst anrechnete, sprach er in Philipps Fall dem Gold zu, nämlich die Fähigkeit zu überzeugen. Auch nach der Annäherung Olynths an Athen bekleideten offenbar immer noch politische Freunde Makedoniens wichtige Ämter, der führende Sprecher der proathenischen Fraktion wurde in die Verbannung geschickt. Er erhielt Aufnahme und Bürgerrecht in Athen, freilich auch nur, solange er sich als nützlich erwies.19

Athen und Olynth Philipps Angriff auf Olynth erfolgte nicht aus heiterem Himmel. Es gingen ihm Blitz und Donner voraus. Die Olynthier wussten, dass Philipp den Vertragsbruch nicht ohne weiteres hinnehmen konnte. Zwischen Makedonien und Athen herrschte Kriegszustand, und so war der Friedensschluss

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der Chalkidier mit Athen mehr als eine diplomatische Affäre. Indes hoffte Philipp lange Zeit, die Sache ohne Krieg zurechtrücken zu können. Über zwei Jahre vergingen, in denen er nichts anderes tat, als seine Anhänger in den chalkidischen Städten zu unterstützen und seine Gegner dort für sich zu gewinnen. Dabei hatte die aufstrebende Großmacht Makedonien mit ihrem Bedarf an Gütern aller Art mehr zu bieten als nur einfältige Bestechungen, wie es Demosthenes Zeitgenossen und Nachwelt einreden will. Etwa 350 stellte Philipp an Olynth die Forderung, seinen Stiefbruder, der sich dorthin geflüchtet hatte, auszuliefern. 20 Hier ging es um einen innermakedonischen Machtkampf, in den einzumischen sich Philipp verbat. Das Auslieferungsverlangen wird allgemein als Vorwand für einen Kriegszug interpretiert. Wahrscheinlicher ist, dass Philipp Olynth die Möglichkeit geben wollte, durch eine Geste die Dinge ins Reine zu bringen. Jedenfalls brauchte Philipp keinen Vorwand für einen Krieg. Er besaß einen Grund, nämlich den Bruch der Verträge. Die Olynthier lehnten ab, im Sommer 349 rückte Philipp schließlich mit seiner Armee gegen die Chalkidike vor. Er war sich offenbar sicher, dies nur zu Demonstrationszwecken tun zu müssen. Philipp hoffte, schreibt Demosthenes, alles durch seine bloße Ankunft „an sich reißen zu können“, und vermutlich ist diese Aussage – abgesehen von der militanten Wortwahl – sogar glaubhaft, denn sie korrespondiert mit einer anderen, der zufolge Philipp auch nach Beginn der Operationen zu einer Verständigung bereit war. 21 Für Demosthenes ist das selbstverständlich eine Finte, doch spricht der Gang der Ereignisse gegen diese Meinung. Er war nämlich demonstrativ schleppend. Philipp wollte den Chalkidiern Zeit geben, sich für ihn zu entscheiden. Dass er als Entscheidungshilfe sein Heer aufbot, lässt sich kritisieren. Freilich war das eine Methode, die er von den Athenern erlernt hatte, welche sie in den Zeiten des Ersten Seebundes erfolgreich angewandt hatten. Ein Teil der chalkidischen Städte ging denn auch zu Philipp über, die Festung Zereia wurde belagert und zerstört, danach offensichtlich auch Stageira, die Heimatstadt des Aristoteles. Olynth, die Stadt, an die das Ultimatum gerichtet war, sparte Philipp zunächst aus. Philipp schob selbst dann noch den Entscheidungskampf hinaus, als die Olynthier keine Anstalten machten, sich mit ihm zu einigen und stattdessen um so drängender Hilfe aus Athen erbaten. Olynth war nun – über den Friedensvertrag hinaus – zum Bündnis mit Athen bereit. Unklar muss bleiben, ob Philipps Einmarsch der Grund dafür war oder umgekehrt die Verschiebung der inneren Machtverhältnisse in Olynth der Grund für Philipps Invasion. Die Ereignisse sind nur schwer aufzuhellen, da über allem der Schatten der wirkungsvollen demosthenischen Propaganda liegt. Das Bündnis mit Athen, das gegenseitige Hilfe

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bei feindlichem Angriff vorsah, wurde jedenfalls 349 geschlossen, 22 und als Konsequenz wurde auf ein erstes Hilfegesuch der Olynthier der Stratege Chares mit 2000 Söldnern und 30 Trieren ausgesandt. Dazu sollten acht weitere Kriegsschiffe bereitgestellt werden.23 Athenische Bürger, wie es Demosthenes verlangt hatte, rückten nicht ins Feld. Über das, was Chares erreichte, gibt es keine Nachrichten. Er wurde jedenfalls bald abgelöst. Auf einen zweiten Hilferuf, ebenfalls noch aus dem Jahre 349, wurde mit Charidemos ein weiterer, bekanntlich mehr berüchtigter als berühmter Feldherr mit der Mission betraut. Charidemos stand damals gerade am Hellespont, und so traf er mit 18 Kriegsschiffen, 4000 Söldnern und 150 Reitern bald auf der Chalkidike ein. Das verschaffte Olynth kurzfristig Entlastung, mit athenischer Hilfe versuchten die Olynthier verlorene Positionen wie auf der Halbinsel Pallene zurückzugewinnen und sogar makedonisches Gebiet anzugreifen und zu verwüsten. Dadurch gewarnt, bereitete Philipp, der im Winter mit Problemen in Thessalien beschäftigt war, den nächsten Zug im Frühjahr 348 besser vor und fiel mit einer stärkeren Truppenmacht in der Chalkidike ein. Die Städte Mekyberna und Torone traten nun auf seine Seite, die Olynthier wurden wieder in Athen vorstellig, und wieder wurde Hilfe beschlossen. An der Reihe war diesmal erneut Chares, der 17 Trieren, 2000 Hopliten und 300 Reiter für seine Aufgabe erhielt. Zum ersten Mal wurde ein Bürgerheer entsandt. Da traf es sich für die – jedenfalls nach Demosthenes – meist dienstunwilligen Athener gut, dass die nach der Sommersonnenwende oft auftretenden Winde die Fahrt so lange aufhielten, bis Olynth gefallen war. Philipp hatte 348 zunächst in zwei Landschlachten gesiegt. Als sich die Olynthier danach doch noch verständigen wollten, soll er den Gesandten in Sichtweite Olynths gesagt haben, es gäbe jetzt nurmehr eine Alternative, nämlich dass entweder sie in Olynth oder er selbst in Makedonien leben und wohnen dürfen.24 Die Stadt wurde erobert, geplündert, zerstört und, wie es hieß, dem Erdboden gleich gemacht. Sie wurde nicht wieder besiedelt und lieferte daher bei den Ausgrabungen in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts den Archäologen wichtige Hinweise zum Grundriss griechischer Städte des 4. Jahrhunderts v. Chr. Ein Teil der Einwohner fiel, ein anderer wurde in die Sklaverei verkauft, ein dritter rettete sich nach Athen. Olynth bzw. Athen hatte den Krieg verloren, Demosthenes aber, der alles dies (in seinen post eventum veröffentlichten Reden) vorausgesagt hatte, eine Schlacht gewonnen. Er war zum einflussreichsten Bürger der Stadt aufgestiegen.

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Abb. 11: A. Eisenmenger (1885): Demosthenes spricht zum Volk, Fries im österreichischen Parlament (Detail)

Die Olynthischen Reden Der Kampf um Olynth hatte wenig zum Fortgang der Weltgeschichte beigetragen. Der „schönste Gewinn dabei für die Menschheit“ aber waren, um ein Wort Hegels über Thukydides zu variieren, die Reden, die Demosthenes in dieser Sache hielt. Diese drei sogenannten Olynthiakoí (lógoi) zählen zu den insgesamt sieben Philippischen Reden (im engeren Sinn), die Demosthenes’ Ruf als größter Redner des Altertums begründeten, und sie sind aufgrund ihrer thematischen Geschlossenheit auch diejenigen, welche immer wieder als Beispiel eines entschlossenen politischen Widerstandes rezipiert wurden. In seinen Olynthischen Reden nahm Demosthe-

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nes vieles vorweg, was Staatsmänner und Politiker über zwei Jahrtausende lang immer wieder zu sagen pflegten, wenn treffende Argumente fehlten. Später wurde Schablone und Worthülse, was bei ihm noch oft den Reiz der Neuheit besitzt. Was Demosthenes publizierte, entspricht im Wortlaut keinesfalls dem, was er in der Volksversammlung sagte. Im römischen Senat wurden zu Ciceros Zeiten stenographische Protokolle geführt. In der athenischen Ekklesia war das nicht der Fall. Im übrigen eignete sich, was kunstvoll in langen Satzperioden erarbeitet wurde, auch nicht für den mündlichen Vortrag. Die Ekklesiasten, die Teilnehmer der Volksversammlung, wusste Demosthenes durch sein Auftreten und sein Charisma mitzureißen. Manche seiner Vorschläge konnten in der Emotion der Stunde ihre Wirkung auch unter Umgehung des Verstandes entfalten. An den Publikationen bewunderten die Leser dagegen die Eleganz des Stiles, die Logik des Aufbaus, die Psychologie der Argumente. Formale Elemente, wie sie der Auftritt vor dem Volk verlangte, konnten entfallen, Adressaten waren, wenn auch immer noch vorrangig, so doch nicht mehr alleine, die Athener. Als Demosthenes seine Reden veröffentlichte, war die Schlacht um Olynth geschlagen. Sie hatten nun also einen anderen Zweck als die in der Volksversammlung gehaltenen, genau genommen zwei: Zum einen sollten sie zeigen, dass er mit seinen Warnungen Recht behalten hatte, zum anderen für diejenigen seiner Vorschläge werben, die nach dem Fall Olynths noch Sinn hatten, also für die von ihm angestrebte Finanzreform in Athen. Desungeachtet hielt sich Demosthenes weitgehend an das, was er vor dem Volk gesagt hatte. In jedem Fall vermied er Anachronismen; möglich ist allerdings, dass er Fehleinschätzungen stillschweigend korrigierte. Wissen kann das zwar nur, wer auch die Reden hörte, doch es gibt Anhaltspunkte, die dafür sprechen. In der Antike versuchten Kommentatoren wie Dionysios von Halikarnassos die drei Reden den drei Volksversammlungen zuzuordnen, in denen militärische Hilfe für Olynth beschlossen wurde. Das ist möglich, aber nicht zwingend. Dieselbe Wahrscheinlichkeit besitzt die These, sie seien in ein und derselben Volksversammlung gehalten worden. Offensichtlich sind zumindest die publizierten Reden aufeinander abgestimmt. Demosthenes achtete auf ihre Geschlossenheit und vermied allzu viele Wiederholungen. Jede der Reden enthält drei einander bedingende und tragende Elemente: die psychologische Einstimmung und Vorbereitung der Hörer oder Leser, Ratschläge für die einzuschlagende Kriegführung und die dafür erforderliche Rüstung sowie die Finanzierung des Ganzen. Die erste und die zweite Rede sind vor allem auf die Kriegführung und ihre psychologische Vorbereitung zugeschnitten, die dritte auf die Finanzierung. Wenig spricht daher gegen die tradierte Reihenfolge, allenfalls lassen sich die

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erste und die zweite Rede vertauschen. Unverkennbar steigert sich aber die dritte Rede zu einem furiosen Finale. Die Reden 1 und 2: Der äußere Feind Demosthenes beginnt seine erste Olynthische Rede mit der üblichen captatio benevolentiae, die eigene Person nimmt er zurück. Es spricht nicht er, Ratgeber ist allein der gegenwärtige Augenblick, der in der griechischen Bedeutung des Kairos – das Hauptthema der olynthischen Reden – auch der richtige Zeitpunkt ist. Er, nicht Demosthenes, erhebt die Stimme und mahnt die Athener, nun sofort die Sache in die Hand zu nehmen, Hilfe zu beschließen und eine Gesandtschaft zu entsenden. Bis dahin fallen keine Namen. Demosthenes sagt zunächst nicht, von wem die Bedrohung ausgeht. Er spricht von einem Schurken, gerissen darin, sich die Umstände zunutze zu machen. Er droht und verleumdet und ist nachgiebig, wenn dies von Vorteil ist. 25 Der Feind heißt Philipp von Makedonien, aber Demosthenes braucht das nicht zu sagen, schon sind sein Name und der Philipps untrennbar miteinander verbunden. Demosthenes steht vor einem Dilemma. Macht er Philipp zu stark, weckt er die Furcht der Athener – statt eines Söldnerheeres soll eine Bürgerarmee in den Krieg ziehen –, auf fremdem Terrain um einer fremden Sache willen zu fallen. Redet er Philipp schwach, konterkariert er sein eigenes Ansinnen. So wechselt das Bild Philipps in stetem Hin und Her. Der Redner beginnt mit dem Bedrohlichen. Philipp sei als mon-archos Herr über alles, über öffentliche und geheime Angelegenheiten; in einer Person sei er Feldherr (strategós), unumschränkter Herrscher (despótes) und Schatzmeister (tamías); er verweile ständig und überall beim Heer, ein großer Vorteil, um militärisch effizient zu handeln und die Gunst des Augenblicks, den Kairos, zu nutzen. Gerade dies aber, wendet Demosthenes das Blatt, schlage ihm gegen die Olynthier zum Gegenteil aus. Denn als freie Bürger einer freien Stadt misstrauten diese den Tyrannen. Und so wüssten sie, dass jetzt Vernichtung und Versklavung drohten. Was sich die Athener stets gewünscht hätten, die Olynthier in einen Krieg mit Philipp zu verwickeln (um, was Demosthenes hier nicht sagt, beide zu schwächen), das sei nun von selbst eingetreten. 26 Das sei auch die Gelegenheit für Athen, Philipp entgegenzutreten. Frühere günstige Gelegenheiten habe man versäumt, nun käme die letzte. Philipp freilich stand nicht wie einst die Perser vor den Toren Athens. Die Städte, die er eroberte, lagen in weiter Entfernung. Wie sollte der König Athen bedrohen? Auf dem Meer war die athenische Flotte überlegen, zu Lande schützten die Thermopylen und die Stadtmauern. So musste Demosthenes den Athenern die Gefahr – wörtlich genommen – näher bringen. In eindringlicher Weise rekapituliert er Philipps bisherigen

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Weg, um daraus den künftigen abzuleiten, und der führe – so der Redner – über Olynth direkt nach Attika. Demosthenes greift wieder auf die Domino-Theorie zurück, und im Gegensatz zu derjenigen neuzeitlicher Epigonen war sie so glaubhaft, dass selbst heute noch die meisten Handbücher Demosthenes folgen. Zweifellos hat niemand Philipps Expansion treffender verkürzt: „Wenn wir diese Leute hier – Demosthenes weist auf die in der Volksversammlung anwesenden Gesandten aus Olynth – ihrem Schicksal überlassen werden und jener (Philipp) Olynth unterwerfen wird, so soll mir einer sagen, was ihn noch aufhalten wird vorzurücken, wohin es ihn gelüstet. Überlegt denn einer von euch und bedenkt, wie Philipp groß wurde, der anfangs so schwach war. Zuerst nahm er sich Amphipolis, danach Pydna, später Poteidaia, dann wieder Methone, schließlich wandte er sich Thessalien zu. Hierauf regelte er in Pherai, Pagasai und Magnesia alles nach Wunsch und Laune und rückte in Thrakien ein. Dort vertrieb er einige der Könige, andere setzte er ein. Erkrankt und wieder genesen, blieb er nicht untätig, sondern griff sofort die Olynthier an.“ Weitere Feldzüge Philipps, die außerhalb des athenischen Blickfeldes lagen und chronologisch nicht einzuordnen waren, folgen unter Verwendung der Stilfigur der Präteritio. Demosthenes sagt, was er vorgeblich verschweigt: „Seine Feldzüge gegen Illyrer, Paionier, gegen Arybbas (König von Epirus) und sonstwohin, die übergehe ich.“ 27 Für den Redner ist es vor allem Philipps Philopragmosyne, seine rastlose, nie nachlassende Umtriebigkeit, die ihn zu steter Steigerung seiner Aktivitäten zwingt und nur einen Schluss zulässt: Der Krieg werde nach Athen kommen, wenn er nicht vor Olynth geführt werde. 28 „Noch“, verspricht Demosthenes und benennt eine Alternative ohne Alternative, „habt ihr, Männer von Athen, die Wahl, ob ihr den Krieg dort oder Philipp ihn hier führt.“ 29 Wenn Olynth standhalte, dann werde der Kampf um Makedonien geführt, falle Olynth, werde niemand Philipp hindern, Athen anzugreifen. Demosthenes erfindet dazu zwei neue Dominosteine, die bereits ohne Berührung fallen, die Phoker und die Thebaner. Die einen seien zu schwach, um ihr eigenes Land zu schützen, die anderen würden gar zusammen mit Philipp in Attika einfallen. 30 Die augenblickliche Stärke des Königs kann und will Demosthenes nicht leugnen, schließlich begründet sie ja die Notwendigkeit des Krieges. Für die direkte Konfrontation in der Schlacht war den athenischen Bürgern ein schwacher Gegner naturgemäß lieber. Das war eine Zwickmühle, doch Demosthenes findet einen Ausweg. Der Feind ist nur stark, weil er von den Athenern dazu gemacht wurde, weiß er. 31 „Wenn nämlich, Männer von Athen, einer wahrheitsgemäß abwägen würde, so würde er erkennen, dass Philipp von hier aus groß geworden ist, nicht aber aus eigener Kraft.“ Dank schulde er vor allem denjenigen, die in Athen (und anderswo in

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Griechenland) seine Interessen vertreten hätten. 32 Philipps scheinbar so eindrucksvolle Macht – so Demosthenes – beruhe auf Täuschung und Betrug, ihrem innersten Wesen nach sei sie morsch und werde leicht fallen. Wie er in der ersten Rede die militärischen Erfolge Philipps aneinanderreihte, um dessen Gefährlichkeit zu zeigen, zählt er nun in der zweiten die Schandtaten des Königs auf, „damit diejenigen, die vor Angst außer sich sind, als ob er unbezwingbar wäre, sehen, dass alle seine Mittel erschöpft sind, mit denen er früher durch Täuschung groß erschien, und seine ganze Macht dem Ende entgegen geht.“ 33 Mit falschen Versprechungen habe Philipp Athener, Olynthier und Thessalier hinters Licht geführt, ja überhaupt jeden, mit dem er in Beziehung trat, betrogen, 34 mit pleonexía – diesen furchtbaren Begriff, der alles Negative: Habsucht, Eigennutz, Übervorteilung oder Betrug enthält, borgt sich Demosthenes bei Thukydides – und ponería (Schlechtigkeit) sei er zur Macht gekommen, und so lasse der erstbeste Anlass und der geringste Anstoß alles zusammenstürzen: „Denn unmöglich, ganz und gar unmöglich ist es, Männer von Athen, dass jemand, der Unrecht begeht, meineidig ist und betrügt, dauernde Macht gewinnt, solche Konstrukte halten nur eine Belastung aus und währen nur kurze Zeit; sie blühen – im Glücksfall – wegen der damit verbundenen Hoffnungen auf, werden nach einiger Zeit entlarvt und fallen in sich zusammen“. „Wie Häuser ein festes Fundament und Schiffe einen starken Rumpf benötigten“, schließt Demosthenes mit einem Vergleich, so müsse auch „das Handeln auf den Wurzeln und Grundlagen von Gerechtigkeit aufbauen“. 35 Demosthenes bleibt nicht dabei stehen. Makedonische Macht und Herrschaft (dy´namis kaì arché) sind für ihn nur im Bündnis mit anderen Kräften von Bedeutung. Auf sich gestellt aber seien sie schwach und voller Mängel. Gerade durch seine Feldzüge, wegen derer er für mächtig gehalten werde, habe Philipp sie weiter unterhöhlt. Schließlich konstruiert der Redner einen Interessenkonflikt zwischen den Makedonen und ihrem König, zwischen Herrscher und Untertanen, zwischen Kriegsherr und Söldnern. Mit seiner philotimía, dem zweiten von Thukydides geborgten Negativschlagwort in der Bedeutung von Ehrsucht und Geltungsdrang, verdränge er alle redlichen und fähigen Männer aus seiner Umgebung; übrig blieben am Königshof Räuber, Schmarotzer, schamlose Tänzer, Possenreißer und derartiges mehr. 36 Philipps Schwäche werde sich zeigen, wenn er an den Grenzen seines Landes Krieg führen müsse. Jetzt verdecke noch der Erfolg all dies, was sich im Falle des Misserfolges zeigen werde. 37 Nur Cicero wird später die Technik der Invektive noch besser beherrschen. Die konkreten Vorschläge, die Demosthenes zu machen hat, sind nicht neu und in ihrer Einfachheit verblüffend. Er wiederholt, was er bereits – ohne Erfolg – in der ersten Philippika gesagt hat, beschränkt sich aber auf

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zwei Infinitive: exiénai kai eisphérein. 38 Der erste beinhaltet die schlichte Aufforderung, aus der Stadt hinauszuziehen – auch vor der Schlacht von Marathon lautete der kurze, von Aristoteles überlieferte Beschluss, es sei nötig aus der Stadt auszurücken – und Philipp vor Ort, also vor Olynth, entgegenzutreten. Der zweite imperativische Infinitiv gilt der „Heimatfront“. Es war die Aufforderung Kriegssteuern zu bezahlen. Viel, wenn viel erforderlich sei, schränkt Demosthenes ein, wenig, wenn wenig erforderlich sei. 39 Die gesamte Gemeinschaft müsse zusammensteuern und jeder – Demosthenes zählt drei Gruppierungen, Klassen oder Schichten – seinen Beitrag leisten: Die Begüterten einen kleinen Obolos, damit sie das Viele, das sie besäßen, in Ruhe genießen könnten, die Wehrfähigen, damit sie mit der Erfahrung des Krieges in Philipps Land abschreckende Beschützer des eigenen würden und die Politiker (légontes), damit es ihnen leicht falle, über ihr Tun Rechenschaft abzulegen. 40 Die Rede 3: Der innere Feind In der Volksversammlung war die dritte Rede sicherlich die emotionalste. Das Frühjahr 348 bot die letzte Chance, Olynth zu Hilfe zu kommen. Tatsächlich wurde auch ein größeres athenisches Kontingent beschlossen, doch es kam bekanntlich zu spät. Die dritte Olynthiaka ist auch als Broschüre immer noch die dichteste der drei Reden, doch scheint sie Demosthenes am stärksten umgearbeitet zu haben. Formal ist weiterhin das Plädoyer für Olynth die Hauptsache, Demosthenes’ Agitation hat nichts von ihrer Verve eingebüßt. Selbst, wo er nur Fragen zu stellen scheint, attackiert er: „Männer von Athen, auf welche günstigere Gelegenheit, auf welche bessere Chance wollt ihr denn noch warten? Wann werdet ihr tun, was getan werden muss, wenn nicht jetzt? Hat dieser Mensch nicht alle unsere auswärtigen Besitzungen an sich gerissen? Harrt unserer nicht die größte Schmach, wenn er sich auch noch dieses Landes bemächtigt? Führen jetzt nicht diejenigen Krieg, denen wir für diesen Fall schnellste Hilfe versprochen haben? Ist er nicht unser Feind? Hat er nicht von unserem Eigentum geraubt? Ist er denn kein Barbar? Ist er nicht die Verkörperung alles erdenklich Schlechten?“ 41 Philipp ist aber nicht der einzige Angriffspunkt. Er ist auch Katalysator für ein anderes Thema, das in den vorherigen Reden nur angedeutet wurde und das nur sekundär mit der aktuellen Situation zu tun hatte, denn die Klärung der aufgeworfenen Frage brauchte weit mehr Zeit, als zur Verfügung stand. Sie war brisant; wer gesetzwidrige Anträge stellte, riskierte hohe Strafen. Im Falle des Demosthenes ging es um die mehr als heiklen Schaugelder, die Theorika. Die Gelder, die in dieser Kasse verwaltet wurden, waren schnell verfügbar und ersparten es, zusätzliche Kriegssteuern zu erheben. Ein entsprechender Antrag konnte freilich mit einer Klage auf

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Gesetzwidrigkeit beantwortet werden. Zudem waren es Gelder, auf die vor allem ärmere Bürger Anspruch erhoben, um deren Votum Demosthenes warb. So war er das Thema in der ersten Olynthischen Rede zunächst vorsichtig angegangen. Es war sozusagen ein Test. Er stellte die Theorika zur Debatte, ohne ihre Abschaffung zu fordern. Die Athener, behauptet Demosthenes dort,42 hätten für Kriegszwecke genügend Geld, mehr Geld als alle anderen. Allein, sie verschwendeten es nach Gutdünken, fährt er fort, ohne dieses Verschwenden näher zu benennen, denn es geht ja um eine Zahlung an das Volk. Stattdessen lockt er vorsichtig: Wenn dieses Geld nun für Sold verwendet würde, dann müssten keine weiteren Geldmittel beschafft, das heißt Steuern erhoben werden. Was er eigentlich tut, aber nicht sagen will, kleidet er dann in die Form einer rhetorischen Frage: „Wie denn, mag jetzt einer sagen, du stellst den Antrag, diese Gelder (das Wort Theorika fällt nirgends) in Kriegsgelder umzuwidmen?“ Und das ermöglicht Demosthenes das rhetorische Kunststück, etwas mit Überzeugung zu verneinen, das er im gleichen Atemzug befürwortet. Der politische Gegner mochte sich seinen Reim darauf bilden, das Volk konnte es nicht: „Bei Zeus, das tue ich keineswegs. Ich bin nämlich der Meinung, dass Soldaten ausgerüstet und Geld für Kriegszwecke aufgebracht werden muss, dass, wer Geld empfängt, auch Pflichten erfüllen muss; ihr aber glaubt, dass ihr es nur so und ohne Gegenleistung für festliche Gelegenheit empfangen könnt. Dann allerdings bleibt nach meiner Meinung nur übrig, dass ihr alle eure Steuern entrichtet, wenn hohe erforderlich sind, dann hohe, wenn niedrige, dann niedrige“. 43 Demosthenes ließ danach das Thema vorerst auf sich beruhen, bevor er nun in der dritten Olynthiaka, jetzt aber mit Entschiedenheit und Aggressivität, wieder darauf zurückkommt. Hier fällt endlich das bisher vermiedene Wort, Demosthenes versteckt sich nicht mehr: Es geht um die Schaugelder. Gleichzeitig mit seinem Plädoyer für ihre Verwendung als Kriegsfonds attackiert er entschieden seine inneren Gegner, allen voran – freilich ohne den Namen zu nennen, den ohnehin alle Besucher der Volksversammlung kannten – Eubulos, den obersten Verwalter der Kasse. Das war in der Rede die Vorwegnahme des mit dem Fall von Olynth ausbrechenden innenpolitischen Kampfes, mit der Veröffentlichung als Broschüre seine Fortsetzung. Der Angriff war mutig und geschickt kalkuliert. Für den Augenblick (im Frühjahr 348) war der innere Kampf vertagt. Es ging in erster Linie darum, wie Olynth zu helfen war – und damit Athen. War die Hilfe erfolgreich, hielt Olynth stand, konnte Demosthenes dies seinem Eintreten für die Chalkidier zuschreiben. Fiel Olynth, erwiesen sich seine Warnungen als berechtigt, seine Reformvorschläge, die auf der Angst der Bürger aufbauten, erhielten eine neue Notwendigkeit. Demosthenes beherrschte die Kunst, heiße Eisen anzufassen, ohne sich

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zu verbrennen. Auch hier umging er die Gefahr, eine Klage wegen Gesetzwidrigkeit zu riskieren. Und die Vorsicht war berechtigt. Die Gegner um Eubulos verteidigten entschlossen und mit allen in Athen rechtlich möglichen Mitteln ihre Kontrolle über die Schaugelder. Das musste Apollodor, ein Klient des Demosthenes, dem verschiedene Reden im Corpus Demosthenicum zugeschrieben werden,44 mehr als schmerzlich erfahren. Als Mitglied des Rates für das Jahr 349/48 erwirkte er wohl noch in der ersten Hälfte des Amtsjahres einen Vorbeschluss, ein proboúleuma, in der Volksversammlung offen darüber abzustimmen, ob die Überschüsse der Verwaltung in den Fonds für Militärausgaben oder in den für die Schaugelder eingehen sollten: Das Volk müsse in Bezug auf seinen Besitz die Macht haben, alles zu tun, was es wolle. In der Anspannung der Krise stimmte zwar die übergroße Mehrheit für eine Überführung der Gelder in den Kriegsfonds, doch zum Tragen kam der Beschluss nicht. Ein Mann namens Stephanos, möglicherweise ein Strohmann des Eubulos, erhob dagegen eine Klage wegen gesetzwidrigen Antrags, und vor Gericht wurde der Beschluss kassiert, sein Antragsteller Apollodor zu der hohen Geldstrafe von einem Talent verurteilt. Angeblich hätte Stephanos sogar eine Strafsumme von 15 Talenten beantragt, was zweifellos auf den Versuch hinauslief, die bürgerliche Existenz des Apollodor zu vernichten, auch wenn die genannten drei Talente, die dessen Gesamtvermögen ausgemacht haben sollen, wenig glaubhaft sind, denn die Schätzung stammt vermutlich von Apollodor selbst. 45 Warum Stephanos in der Sache, nicht aber im Strafmaß recht bekam, ist nicht ganz klar. Der Grund verbirgt sich vielleicht in dem Satz, das Volk müsse Herr seines Besitzes sein, denn dass in Kriegszeiten die Überschüsse in den Militärfonds gingen, war gesetzlich verankert. Wie dem auch sei, um weitere Angriffe auf die Schaugelder und seine Machtstellung abzuwehren, setzte Eubulos daraufhin ein Gesetz durch, das jeden Antrag, die Theorika in Stratiotika umzuwandeln, mit dem Tode bedrohte. 46 Eubulos und seine Anhänger ließen, wie der Prozess gegen Apollodor ohnehin klar gemacht hatte, in dieser Sache nicht mit sich spaßen. Die Schaugelder waren für Eubulos die Grundlage seines politischen Einflusses, und deswegen sah Demosthenes auch hier den archimedischen Punkt, um seinen Gegner sozusagen auszuhebeln. Doch verbot sich ein frontaler Angriff, Demosthenes beantragte nicht, die Theorika als Kriegskasse zu verwenden. Er rief vielmehr dazu auf, eine gesetzgebende Kommission einzurichten, die nicht wie sonst üblich, neue Gesetze beschließen – davon gäbe es genug –, sondern (für die gegenwärtige Lage) schädliche außer Kraft setzen solle. Dazu zählten neben dem Gesetz über die Schaugelder auch einige andere, die es ermöglichten, sich dem Militärdienst zu entziehen. 47 Demosthenes beklagte die Gefahr, in der ein Einzelner schwebte, der

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für die Stadt nützliche Vorschläge machte, und verteidigte damit den eigenen Vorschlag, die Verantwortung auf mehrere Schultern, nämlich die der Nomotheten (Gesetzgeber) zu verlagern. Ein letzter Angriff auf seine Gegner schloss den Vorstoß ab: Im übrigen müssten diejenigen, die das Theorika-Gesetz eingebracht hatten, es auch wieder abschaffen und dürften sich nicht in einer falschen Popularität sonnen.48 Das Beispiel der Vorfahren spielt in den Publikationen der attischen Redner des 4. Jahrhunderts eine überragende Rolle. Anders als in der römischen Republik, in der die Adelsfamilien die Geschichte ihrer eigenen Gens (Sippe) hervorhoben oder schlichtweg erfanden, war das demokratische Athen stolz auf eine gemeinsame Vergangenheit. Sie zu beschwören, diente immer aktuellen politischen Zwecken. Die ruhmreiche Vergangenheit ließ sich gegen äußere und innere Gegner ausspielen. Dazu musste sie nicht geklittert werden. Demosthenes war Propagandist und Pamphletist, aber kein Historiker. An die Adresse der Griechen gewandt, wird bei ihm, was nichts als ein großer Raubzug des imperialen Athen war, zu einem Muster von Gemeinnutz: 49 Wo die Athener (des Ersten Seebundes) ihre Kassen mit den Geldern der Verbündeten füllten, da hätten sie nach Demosthenes’ Darstellung ihr eigenes Vermögen aufgebracht, um ihnen zu helfen, wo sie den Verbündeten alle Rechte nahmen, da hätten sie diese gegen die Feinde verteidigt. An die Adresse der inneren Gegner gerichtet, waren die Ahnen, die realiter Aufwand in großem Stil betrieben, idealiter Muster an Sparsamkeit und Bescheidenheit. Niemand verstand es besser als Demosthenes – das hatte er bereits mit der Rede gegen Aristokrates im Jahre 352 gezeigt 50 – die gemeinsamen Ahnen gegen die politischen Gegner in Stellung zu bringen. Sein Generalangriff auf diese, die von ihm bekämpften Herren der Theorika, ist gleichzeitig eine Reise in die glanzvolle Vergangenheit Athens: „Unsere Vorfahren, denen die Staatsmänner nicht wie diese hier nicht nach dem Mund redeten, herrschten 45 Jahre lang über die Griechen mit deren Einvernehmen; sie brachten mehr als zehntausend Talente auf die Akropolis und der König dieses Landes (Makedonien) war ihnen untertan, wie es sich für einen Barbaren gegenüber Griechen gehört. Sie zogen selbst in den Krieg und errichteten für ihre Erfolge zu Land und zur See viele prächtige Siegeszeichen … Im öffentlichen Bereich errichteten sie so großartige Bauwerke und solche Wunder von Tempeln mit Weihegeschenken, dass kein Nachfahre sie übertreffen kann. Privat lebten sie bescheiden und hielten sich streng an die Verfassung … Wie aber stehen die Dinge bei uns unter unseren ehrenwerten Politikern? … Was könnte da wohl jemand anführen? Etwa die Mauerzinnen, die wir anstreichen, die Straßen, die wir ausbessern, die Brunnen, die wir instand setzen und ähnliches Larifari. Blickt auf diese Leute, die solche Politik betreiben: Aus Bettlern wurden

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Millionäre, aus gemeinen Leute geehrte Persönlichkeiten, manche leben in Privathäusern, welchen die öffentlichen Gebäude an Glanz übertreffen. Wie sich die Lage der Stadt verschlechterte, so verbesserte sich deren.“ Damals nun, behauptet er, hätte das Volk den Mut besessen, selbst zu handeln und Krieg zu führen. Die Politiker haben es unter Kontrolle und alle Vorteile für sich gehabt. Nun sei das Gegenteil eingetreten. Die Politiker genössen alle Privilegien und regelten alles in ihrem Sinn, das Volk aber („ihr“, sagt Demosthenes), nur noch eine Figur in deren Spiel, sei paralysiert, habe Wohlstand und Bundesgenossen verloren: „Sie haben euch in die Stadt selbst eingesperrt, gewöhnen euch daran, machen euch kirre und handzahm.“ 51 Demosthenes zieht nur scheinbar eine Trennungslinie zwischen Gestern und Heute, Vor- und Nachfahren, zwischen Erstem und Zweitem Seebund. Tatsächlich verläuft seine Grenze zwischen den Reichen und dem Volk. Hier deuten sich die inneren Kämpfe des nächsten Jahrzehnts an, und Demosthenes weiß, dass er seinen Gegnern das wichtigste Instrument, das Volk bei Laune und auf ihrer Seite zu halten, gleichsam aus der Hand schlagen muss, die Schaugelder, den „Leim der Demokratie“, wie es sein späterer Gegner Demades nannte. 52

Olynth und Euboia Parallel zum Kampf um Olynth verteidigte Athen seine Interessen auf der Insel Euboia. Von allen auswärtigen Besitzungen waren diejenigen in Euboia immer die wichtigsten gewesen. Schon Ende des 6. Jahrhunderts besiedelten attische Kleruchen in großer Zahl die Insel. Wo ein Abfall von Städten drohte, die mit Athen verbündet waren, reagierte die Stadt wie im Jahre 446, als ein Expeditionsheer unter dem Strategen Perikles ausgesandt wurde, rasch und entschlossen. Für die Ernährung Athens war Euboia so unentbehrlich wie die Getreideimporte von den Küsten des Schwarzen Meeres. Als die Spartaner 414 die Grenzfestung Dekeleia im Nordosten Attikas besetzten und die Landverbindung nach Euboia blockierten, verteuerten sich die nun auf dem Schiffsweg nach Athen transportierten Lebensmittel schnell. Die engen wirtschaftlichen Beziehungen führten dazu, dass am Ende des Peloponnesischen Krieges, als die euboiischen Städte unabhängig wurden, dennoch die wichtigsten Athen verbunden blieben und dann auch Mitglieder des Zweiten Seebundes wurden. Die Vorherrschaft Thebens nach der Schlacht von Leuktra (371) war nur Intermezzo. Mit seinem Ausgreifen nach Thessalien war Philipp auch in die geographische Nähe Euboias vorgerückt. Seiner Politik der Einmischung folgend

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suchte er auch dort an politischem Einfluss zu gewinnen. Philipps Mann auf Euboia war Kallias, der führende Politiker der Stadt Chalkis. 53 Die Ereignisse sind freilich verworren und lassen sich aus den Quellen nur schwer entschlüsseln. Demosthenes’ Konzentration auf die olynthischen Ereignisse führte dazu, dass von den euboiischen nur Spuren in der Überlieferung blieben. Auch die Chronologie ist unsicher. Rekonstruieren lässt sich, dass sich im Jahre 349 Plutarch, der Tyrann der benachbarten Stadt Eretria, um Hilfe an die Athener wandte. Die Volksversammlung beschloss etwa in der Zeit, in der auch die Hilfe für Olynth diskutiert wurde, den Feldherrn Phokion zu entsenden. Die Insel lag Athen in doppelter Hinsicht näher. Bezeichnenderweise sahen die Gegner des Demosthenes dort und nicht vor Olynth die wirtschaftlichen und militärischen Prioritäten, und am Schluss wog der Verlust von Euboia mehr als derjenige Olynths. Als Phokion etwa im November 349 auf der Insel eintraf, waren die Verhältnisse freilich nicht so, wie er sie erwartet hatte. Er geriet bald in Schwierigkeiten, die Plutarch, der Biograph aus Chaironeia, in seiner Phokion-Vita mit dem etwas kryptischen Satz begründete: „Er fand jedoch alles voll von Verrätern und durch Bestechungen verseucht und untergraben und geriet so in große Gefahr.“ 54 Die Volksversammlung intensivierte daher im Frühjahr 348 ihre Hilfe, nun wurde ein Auszug pandemeí, also mit der gesamten Heeresmacht, unter dem Strategen Hegesilaos beschlossen, 55 und das kollidierte natürlich mit den Hilfsbemühungen für Olynth. Durchgesetzt wurde das Unternehmen von Eubulos und den Befürwortern seiner Politik. Es war zunächst auch erfolgreich, auch wenn der Tyrann Plutarch, um dessen Unterstützung es zunächst gegangen war, im Laufe der Ereignisse die Seite wechselte. Phokion konnte sein und das Gesicht Athens wahren, doch sein Nachfolger, der Stratege Molossos, wurde – angeblich – durch Verrat gefangen genommen und konnte erst gegen ein hohes Lösegeld freigekauft werden. Das mit so großem Aufwand betriebene Unternehmen wurde schließlich doch zu einem Fehlschlag, Athen konnte seine Positionen auf Euboia nicht halten. Der Einfluss schwand auf Jahre, die Stimmung gegen Athen blieb lange feindselig. 56 Daß die Hilfe für Euboia dringlicher schien als die für Olynth, hielt Demosthenes naturgemäß später nicht davon ab, seine damalige, andere Sicht als die einzig richtige zu erklären. In gewisser Weise gaben ihm die Fakten ja auch Recht. Die Pose des Märtyrers, der allein die gute Sache vertreten hatte, nahm er daher bereitwillig an und kostete sie, wie die Friedensrede von 346 zeigt, auch aus. Im innenpolitischen Kampf war es immer nützlich, auf Fehler der Gegenseite zu verweisen, auch wenn diese nicht so sehr in den kritisierten Beschlüssen als im nicht kalkulierbaren militärischen Ergebnis lagen: „Denn, Männer von Athen, als euch … gewisse Leute wäh-

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rend der politischen Wirren auf Euboia zu überzeugen suchten, dem Plutarch zu helfen und einen unrühmlichen und aufwändigen Krieg auf euch zu nehmen, trat ich als erster und einziger auf und widersprach, und ich wurde beinahe in Stücke gerissen von denen, die euch zu überreden suchten, um kleiner Vorteile willen viele große Fehler zu begehen. Und kurze Zeit danach, als ihr euch obendrein noch die Schande zugezogen und Demütigungen erfahren hattet, wie es kein Volk der Welt von Menschen, denen es geholfen hatte, erlebt hat, da stand euch allen die Niedertracht derer, die euch damals dazu überredet hatten, vor Augen und dass ich euch damals den besten Rat gegeben hatte.“ 57

Meidias oder Zwei Ohrfeigen Eine ungehaltene Rede Die Olynth- und Euboia-Krise wird für Demosthenes von einem heftigen Streit mit persönlichen Gegnern überlagert, der schließlich in einen – im Wortsinne – handfesten öffentlichen Skandal überging. Ausführlich behandelt wird er in einer Rede, die nie gehalten, sondern erst aus dem Nachlass publiziert wurde, die aber dennoch zu den wichtigsten des Corpus zählt, der Rede gegen Meidias über die Ohrfeige.1 Sie mischt in merkwürdiger Weise Privates und Politisches; keinen Sektor des öffentlichen Lebens klammert sie aus, behandelt Religiöses, Finanzielles, Juristisches, Militärisches. Der politische Kampf in Athen beschränkte sich nicht auf die Rednerbühne, die Gegner bekämpften sich, wo sie sich öffentlich trafen, vor Gericht und auch im Theater. Als Anwalt in eigener wie in fremder Sache hatte sich Demosthenes viele Feinde gemacht. Zu seinen bevorzugten Gegnern gehörte aber seit den Tagen der Vormundschaftsprozesse jener Meidias, der als Freund und Anhänger des Eubulos durch die olynthischen Ereignisse von einem privaten nun auch noch zu einem politischen Feind wurde. 2 In einer personell überschaubaren Demokratie wie der athenischen begegnete sich, zumal wer reich war, in fast allen Lebensbereichen. Für Demosthenes verliefen diese Begegnungen mit Meidias meist unangenehm, denn dieser verstand es, ihn dort zu treffen, wo es am schmerzhaftesten war, am Geldbeutel und an der Ehre. Um letzteres ging es auch in dem Prozess, auf den sich Demosthenes mit seiner Rede vorbereitete, der aber dann doch nicht zustande kam, weil sich die Parteien auf das einigten, was Demosthenes in der ungehaltenen Rede kategorisch ausschloss, auf einen Vergleich. Nicht ganz klar wird, ob es sich um ein Kriminalstück in mehreren Akten handelte, wie Demosthenes behauptet, oder einfach nur um eine attische Lokalposse. Die Sache trägt Züge von beidem. Daneben aber ist die Rede, da allerlei Beispiele eingeflochten sind, eine Art Sittenspiegel, der vor allem den reicheren Athenern vorgehalten wird, und der Eindruck ist nicht ganz von der Hand zu weisen, dass diese entweder prozessierten oder sich betranken – gelegentlich das eine wegen des anderen.3 Feldzüge waren unter den Reichen wenig populär. Ganz abgesehen von den üblichen Risiken eines unkalkulierbaren Kriegszuges drohte eine empfindliche Störung des bürgerlichen Lebens. Geschäftskonkurrenten oder politische Gegner mochten die Zeit der Abwesenheit für ihre Zwecke

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nutzen. So versuchte, wer sich nicht drücken konnte, zumindest das Militär- zu einem privaten Geschäftsunternehmen umzufunktionieren.4 Manche desertierten auch oder kooperierten mit dem Feind, wenn er nicht gerade Philipp hieß. Aber selbst zu diesem unterhielten später athenische Kaufleute die besten Beziehungen. Beide Parteien, Meidias und Demosthenes, bezichtigten sich im Vorfeld des geplanten Prozesses der Fahnenflucht und des Mordkomplotts, bewarfen sich mit Unrat und stellten einander juristische Fallen. So gleicht die Rede einer Fund-, Fall-, Mörder- und Senkgrube in einem. Demosthenes beherrschte alle Verfahrenstricks, juristischen Volten und psychologischen Finessen, zu denen zu greifen er seine Gegner für fähig hielt, und so erfahren wir aus dem virtuellen Prozess, den er Meidias macht, mehr, als ein tatsächlicher je offenbart hätte. Unverkennbar versucht Demosthenes eine Front aufzubauen: auf der einen Seite die reichen Athener, Freunde des Meidias 5 und des Eubulos, auf der anderen Seite die Masse des Volkes, geschädigt durch die Politik der Reichen. In der Meidiana betont Demosthenes den Konflikt zwischen Arm und Reich in Athen besonders und sucht ihn für sich zu nutzen. Was Meidias verdächtig macht, ist nicht allein sein Reichtum, sondern die Zurschaustellung dieses Reichtums. Wie nebenbei lässt der Redner einfließen, Meidias habe sich zu Eleusis ein riesiges Haus gebaut, das allen am Ort das Licht nehme, lasse sich auf dem Markt von drei oder vier Sklaven begleiten und renommiere mit kostbarem Hausgerät, während seine Frau mit einem Viergespann fahre, das – Gipfel des Luxus – aus der seit Homers Zeiten berühmten Pferdezucht 6 von Sikyon stamme. Kurz: Wer reich sei, könne sich alles kaufen: Luxusgüter, Zeugen, Ämter und Geschworene. Auch das Selbstverständnis des Demosthenes erhellt die Rede auf ungewohnte Weise. Er schrieb die Rede offenbar in der ersten Erregung; weder die heftige Kritik an den Gegnern noch an den sozialen Verhältnissen wurde gemildert, da eine ungehaltene Rede dazu keinen Anlass bot.

Eine Ohrfeige für Demosthenes Eine sogenannte solidarische Gesellschaft war Athen weder in Kriegsnoch in Friedenszeiten. Demosthenes hat darüber des öfteren in seinen Reden Klage geführt. Als aufstrebender Politiker war er selbst jedoch Vorbild und musste das erbringen, was er so vehement von anderen forderte. Demosthenes tat dies auch und zählt damit zu den wenigen Ausnahmen, die er gelegentlich rühmend erwähnt. Als gewöhnlicher Bürgersoldat zog er im Winter 349/48 auch in den euboiischen Krieg. Dies war für ihn in jedem Fall ein Opfer, denn er war

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einer der wenigen, die sich gegen ein Eingreifen in Euboia und für die Verteidigung von Olynth ausgesprochen hatten. Nun musste er sich einem Beschluss der Volksversammlung beugen. Nach wenigen Wochen wurde er freilich bereits beurlaubt, damit er als Choregos an den etwa Mitte März stattfindenden Großen Dionysien teilnehmen konnte.7 Um den reibungslosen Ablauf dieses für Athen so wichtigen Festes zu garantieren, gab es verschiedene Bestimmungen, die eine großzügige Freistellung vom Militärdienst ermöglichten. 8 Demosthenes persönlich hatte den Missbrauch solcher Regelungen angeprangert. Zu einem Chor zählten 50 Sänger, ein Textdichter, ein Flötenbläser und ein Chorleiter, der den Gesang einstudierte. Wichtigster Mann des Ensembles war freilich der Choregos, denn er bezahlte alle anderen. Er durfte dafür zwar die Ehrungen stellvertretend für seine Phyle in Empfang nehmen, in deren Namen der Chor den alljährlichen Wettkampf mit den anderen neun Phylenchören bestritt, doch dies war teuer bezahlt. Die Choregie war eine Leistung für den Staat, die viel Geld kostete, und deswegen war die Bereitschaft, eine solche zu übernehmen, wenig ausgeprägt. Als 349 in der Phyle Pandionis, der Demosthenes angehörte, sich lange niemand für diese Aufgabe vordrängte, übernahm sie schließlich dieser selbst. Den finanziellen Verlusten stand immerhin eine politische Aufwertung gegenüber. Vermutlich wird auch derjenige dem Redner nicht unrecht tun, der ihm noch ein weiteres Kalkül in Rechnung stellt. Spätestens seit dem Sommer 349 war offenkundig, dass Athen zwei Kriege drohten, die nicht allein mit Söldnern ausgefochten werden konnten. Dass er sich durch die Übernahme der Choregie zeitweilig davon zu befreien trachtete, wird Demosthenes kaum jemand übel genommen haben. Noch unbeliebter als die Teilnahme an Kriegszügen war unter vielen Reichen die Übernahme einer teuren Leiturgie. Demosthenes hat den „Heimaturlaub“ bekanntlich nicht untätig verbracht. Es ist die Zeit seines intensivsten Eintretens für Olynth, das sich in der Endphase des Kampfes mit Philipp befand. Daneben erregte er als Choregos Aufmerksamkeit, auch wenn das Amt vor allem aus Repräsentieren und Bezahlen bestand. Meidias hatte, kaum dass Demosthenes sein neues Amt ausübte, sich zum Aufseher der Dionysien per Handabstimmung wählen lassen. Mit ein bisschen finanzieller Nachhilfe erfolgte dies offenbar problemlos. In dieser Funktion widersetzte er sich zunächst der üblichen Freistellung der Choreuten des Demosthenes vom Wehrdienst. 9 Geschah dies noch im Rahmen legaler Obstruktionsmöglichkeiten, so nahm die nächste Aktion bereits kriminelle Züge an. Meidias drang nachts in die Werkstatt des Goldschmiedes ein (vermutlich erledigten dies einschlägige Fachkräfte für ihn), der die golddurchwirkten Festgewänder und die goldenen Kränze für den

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Chor anfertigte, und suchte den Schmuck unbrauchbar zu machen. 10 Dann bestach er den Chorleiter; Demosthenes musste ihn entlassen, die Einstudierung des Chores übernahm nun der Mann, den der Redner als Flötenspieler verpflichtet hatte. Vor der Aufführung an den Dionysien bestach Meidias den Archon, der bekränzt das Fest präsidierte, hetzte die übrigen Choregen gegen den Mitbewerber auf, versuchte mit Drohungen die Kampfrichter einzuschüchtern und versperrte und vernagelte schließlich die Zugänge zur Orchestra.11 Den Höhepunkt sparte sich Meidias für den letzten Akt auf. Er gebrauchte ein Argument, das bis heute nicht zu entkräften ist und auch in der modernen Demokratie wieder Einzug hielt. Als Demosthenes im Festgewand des Choregen das Dionyos-Theater betrat, ging Meidias auf ihn zu und versetzte ihm vor allen Zuschauern eine an diesem Ort zweifellos schallende Ohrfeige. Demosthenes wurde überrascht und schlug nicht zurück – eine angesichts der ihm zugeschriebenen geringen Körperkräfte vernünftige Entscheidung.12 Die öffentliche Ohrfeige war für Demosthenes eine Schmach, für Meidias aber sichtlich keine Heldentat, für die ihm das Publikum Anerkennung zollte. Um sich zu revanchieren, hielt Demosthenes also den Weg ein, den er am besten kannte, den Gerichtsweg. Meidias war über den Kreis hinaus, den er mit Spenden erreichte, unbeliebt – „reich, verwegen, hochfahrend, großmäulig, gewalttätig, unverschämt“, nennt ihn sein Gegner 13 –, und schon das sicherte diesem, abgesehen davon, dass er offenkundig im Recht war, gute Chancen. Als am nächsten Tag in der Volksversammlung auch über Störungen des Festes verhandelt wurde, trat Demosthenes vor und erhob öffentliche Klage gegen die von Meidias an ihm in seiner Eigenschaft als Chorege verübten „Gaunereien und Frevel“. Meidias wurde schon beim Betreten des Theaters ausgezischt und ausgebuht, per Handabstimmung wurde durch eine Mehrheit – bei Demosthenes sind es die üblichen 100 Prozent – sein handgreifliches Auftreten verurteilt.14 Das Verfahren hieß probolé und war eine Art von Vorbeschluss, aber kein mit einer Strafe verbundenes gerichtliches Urteil. Es stellte für den Augenblick die Ehre oder, wessen auch immer der Kläger verlustig gegangen war, wieder her. Für Demosthenes eröffnete das Gerichtsverfahren gute Chancen, da seine Version offenbar die glaubhaftere war. Mehr bedeutete es zunächst aber nicht. So wird nicht klar, warum die Posse auch an diesem Tag weiterging. Nach Demosthenes’ Bericht, und dafür hatte er nun Hunderte von Zeugen, umringten ihn nach dem Beschluss betuchte Freunde des Meidias – der Redner spricht von den Superreichen15 – und verwendeten sich für diesen. Das Volk erwartete aber mit der üblichen Schadenfreude, wenn es um die Reichen ging, auch eine richterliche Verurteilung des Meidias und hätte es Demosthenes übel genommen, wenn er sich die Klage sofort hätte ab-

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kaufen lassen. Als der Bankier Blepaios auf ihn zutrat, befürchtete Demosthenes offenbar eine Geldübergabe coram publico und wich – gespielt oder wirklich erschrocken – zurück, so dass dieser statt des Demosthenes dessen Mantel in Händen hielt und Demosthenes im Untergewand in der Orchestra stand, und dieses hatte nun tatsächlich keine Taschen. Wie im Zirkus ertönten Anfeuerungsrufe, Demosthenes solle sich nichts gefallen lassen, und der Redner scheint diese Absicht anfangs auch wirklich gehabt zu haben.16 Dass sich das später änderte, verschwieg er sittsam. Etwas übertreibend, doch mit einigem Recht sprach Demosthenes davon, dass sich Meidias nicht nur an seiner Person und seinem Eigentum vergriffen habe, sondern an allem, was ihm wichtig war, an seiner Stellung im Staat, an seiner Familie, an seinem guten Namen, an seinen Zukunftsaussichten.17 Das allein wird nicht alle Athener beeindruckt haben, und so bringt Demosthenes auch sein Amt ins Spiel. In und mit ihm sei nicht allein die Privatperson öffentlich beleidigt worden, sondern mit dem Choregen, der er war, alle Choregen und mit allen diesen die Feier der Dionysien, an denen sie auftraten.18 Nicht nur er sei verunglimpft worden, sondern auch seine Phyle um den verdienten Sieg im Wettstreit und damit um den Preis, den goldenen Dreifuß, betrogen worden.19 Demosthenes steigert sich schließlich in ein berauschendes Finale. Mit der Beleidigung seiner Person seien auch die Gesetze verletzt worden, auf denen jedermanns Sicherheit beruhe, mit ihm sei der Gott, in dessen Dienst er als Chorege aufgetreten sei, beleidigt und alles Ehrwürdige und Heilige mit Füßen getreten worden. 20 Der Beschluss der Volksversammlung, einen Tag nach der großen Kränkung, war nur ein Präjudiz. Wie und ob es weiterging, lag allein an Demosthenes selbst. Dank der Vehemenz seiner Beschuldigungen, die er sicherlich nicht nur in der berühmten Schreibstube unter der „Laterne“ zu Papier brachte, sondern auch öffentlich äußerte, hatte die Sache an Dynamik gewonnen. Meidias und seine Freunde rechneten mit einem Prozess, der einiges an Ungemach bringen konnte. Wechselweise mit freundlichen Worten, Geldangeboten, Drohungen und weiteren Beleidigungen, suchten sie den Redner von etwas abzubringen, über das er nicht mehr der alleinige Herr war. Falsche Verdächtigungen von Mord und Desertion wurden ausgesprochen,21 bestochene Zeugen vorgeführt.22 Demosthenes hatte zwei Möglichkeiten, Klage einzureichen; zum einen eine Privatklage wegen Schädigung, zum anderen eine öffentliche wegen Beleidigung. 23 Das Strafmaß, das Demosthenes selbst beantragen konnte, besaß eine große Bandbreite. Es schwankte zwischen dem Todesurteil und einer hohen Geldstrafe. 24 So ist es verständlich, dass Meidias den drohenden Prozess verhindern oder zumindest auf einen für ihn günstigeren Zeitpunkt zu verschieben trachtete, auch wenn realistisch nur die Höhe des

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Bußgeldes strittig sein würde. Auch reichen Athenern konnte der Ruin drohen. Zwar war die öffentliche Ohrfeige in der Wahrnehmung der Athener zuvorderst eine private gewesen, doch die Ereignisse des Jahres 348 brachten es mit sich, dass die Händel zwischen Demosthenes und Meidias, wie gesagt, immer mehr vom Politischen überschattet wurden. Olynth fiel, und in Euboia scheiterte der athenische Feldzug. Vor allem letzterer war ein Anliegen des Eubulos und seiner Anhänger gewesen, Meidias selbst soll gute Beziehungen zum Tyrannen von Eretria, Plutarch, gehabt haben, 25 der nun die Seiten wechselte und zum Feind überlief. Die schlechten Nachrichten für Athen waren für Demosthenes, ohne dass er das sicherlich so empfand, gute.

Eine Ohrfeige für die Reichen Der große Krieg, der am Ende des 5. Jahrhunderts die politische Landschaft Griechenlands veränderte, tat dies auch mit den sozialen Verhältnissen in Athen. Noch unter Perikles begann der allmähliche Abstieg der Aristokratie, die trotz Demokratie in der Zeit der Pentekontaetie (479–431) die bestimmende Schicht war, da nahezu alle, die höhere Ämter bekleideten, ihr entstammten. Es gab einen militärischen Aderlass, viele adlige Strategen fielen im Kampf, manche wurden auch wegen Misserfolges von den Athenern selbst hingerichtet. Entscheidend jedoch war, dass Athen den Krieg verlor. Dies traf die Aristokraten, die vornehmlich Land besaßen, stärker als die Handeltreibenden. Es etablierte sich im 4. Jahrhundert eine besitzende Schicht, die dann zwar die hauptsächlichen finanziellen Lasten tragen musste, im Gegenzug aber auch den stärksten Einfluss auf das politische Geschehen hatte. Demosthenes gehörte via Geburt zu diesen Reichen, und sein Weg schien damit, sofern er sich der Politik zuwandte, auch vorgezeichnet. Das, was nicht vorauszusehen war und worüber wir durch die erhaltenen Reden bestens informiert sind, war die Veruntreuung seines Vermögens durch die bestellten Vormünder und die Prozesse, die daraus resultierten. Im Gefühl des erlittenen Unrechts entzweite sich Demosthenes nicht allein mit den Vormündern, sondern auch deren reichen Freunden. Er wurde, ohne dass er das wollte, zumindest vorübergehend zum Außenseiter in seiner Schicht. Diese Isolierung mag ihn zunächst gelähmt haben, nach ersten Erfolgen aber beflügelte sie ihn. Wie Kleisthenes im 6. Jahrhundert gegen seine überlegenen adligen Konkurrenten das Volk als seine Hetairie betrachtete, Perikles gegen den reichen Kimon seine durch einschlägige Gesetze gewonnene Popularität setzte, so sah Demosthenes in der „schweigenden Mehrheit“ der Athener seine Klientel. Die Prozesse gegen andere Reiche

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und schließlich auch die Ohrfeige des Meidias, der zu den „hässlichen“ Reichen zählte, machten seine Rhetorik glaubhaft. Grundsätzlich gehörte es bei den Rednern vor der Volksversammlung und vor den Geschworenengerichten zum richtigen Ton, von den reichen Wenigen oder den wenigen Reichen auf Distanz zu gehen. Je weiter jemand von diesen entfernt zu sein vorgab, desto näher musste er der Mehrzahl des Volkes stehen. Zweifellos finden sich solche Topoi der Volksnähe auch in den Reden des Demosthenes, doch seine sich wiederholenden Angriffe auf die Reichen sind mehr als rhetorische Versatzstücke, die sicherlich nicht fehlen. Zu ihnen zählt der wiederholte Vorwurf an die Adresse des Gegners, sich auf Kosten des Volkes zu bereichern: Vom Armen zum Reichen, vom Bettler zum Millionär, vom Sklaven zum Freien, vom unbedeutenden Menschen zur berühmten Persönlichkeit, vom Mittellosen zum Wohlhabenden seien Rhetoren und Politiker aufgestiegen. 26 Diese Schelte zieht sich durch die Reden der vierziger Jahre, von der dritten Olynthiaka bis zur vierten Philippika, und wird selbst noch in der Kranzrede von 330 wiederholt, in der Demosthenes mit dem Angriff auf den langjährigen Gegner Aischines schließlich auch einen konkreten Namen nennt.27 Dies alles gehört zum Formelschatz der Invektive – ob die Zuhörer dem mehr Glauben schenkten als der frommen und patriotischen Beteuerung des Redners, Verbündete, Vertrauen und Wohlwollen seien der wahre Reichtum, 28 steht dahin. Demosthenes spielt die Neidkarte, wenn er den privaten Luxus mit der öffentlichen Armut kontrastiert. Den Applaus der Ärmeren brachte auch sein Versuch, die Reichen von den Neureichen zu trennen. Als Hauptquelle neuen Reichtums erschien ihm Philipps Gold, das auf unterschiedlichen Wegen nach Athen floss. Es kam in der Form direkter Bestechung, aber auch – etwas versteckter – in Form der Wohltaten, die der König manchem Gesandten oder Fürsprecher erwies (was umgekehrt auch die Athener taten), und schließlich vor allem in Gestalt der finanziellen Vorteile, die aus dem Handel mit der aufstrebenden, neuer Kriegstechnologie bedürfenden Großmacht Makedonien entstanden. Gleichzeitig empfiehlt sich Demosthenes als der Politiker, dem allein das Volk am Herzen liegt. Die Reichen waren im engeren Sinne diejenigen, die ein größeres Vermögen von einem oder mehr Talenten besaßen, im weiteren all diejenigen, die nicht täglicher Arbeit nachgehen mussten, um sich zu ernähren.29 Demosthenes’ Gegner in der Meidiana zählen entweder zu den Reichen mit ererbtem Vermögen oder zu denen, die, indem sie sich auf Kosten der Allgemeinheit bereicherten, die Seite gewechselt und sich zu den Reichen gesellt haben. Als Arme, deren Sprecher Demosthenes sein will, figurieren in dieser Vorstellung nicht wirkliche Bettler, sondern die athenischen Normalbürger. 30

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Die Rede gegen Meidias zeigt einen Demosthenes, dessen Angriffe gegen die Reichen auch persönliche Kränkung zu verraten scheinen. Das liegt zum einen daran, dass es hier um die öffentliche Demütigung durch einen der Reichen und seine Freunde geht, zum anderen dass eine letzte, vermutlich entschärfende Überarbeitung fehlt, da die Rede nicht gehalten wurde und die Empörung über die Beleidigung bei der ersten Niederschrift mehr Emotionen provozierte, als sie sich Demosthenes ansonsten zugestand. Die Rede erweckt den Eindruck, dass Demosthenes sich von der Gruppe der Reichen ausgeschlossen fühlte, zu der er der Geburt nach gehörte. Die Angriffe sind schärfer und individueller, sie scheinen mehr zu sein als der Versuch, das Volk oder die Geschworenen durch Abgrenzung von den Anderen, den Vermögenden und Arroganten, für sich zu gewinnen. Beispiele für den Missbrauch des Reichtums werden aufgeführt, 31 erzählt, was der, der nur einer aus dem Volk ist, sich von dem gefallen lassen muss, den der Reichtum übermütig gemacht hat. 32 Während der Normalbürger, einer aus den métrioi und demotikoí, ein bescheidener, zur Masse des Volkes gehörender Bürger, ohne Gnade und Barmherzigkeit für ein Vergehen bestraft wird, treiben Reiche oft ungestraft, was ihnen einfällt. Sie entziehen sich der Strafe, weil sie es sich leisten können, Zeugen zu kaufen: 33 Ihnen gegenüber könne ein normaler Bürger niemals gleichberechtigt sein. 34 Mit der Verunglimpfung durch Meidias war sich Demosthenes offenbar wieder der Demütigungen seiner Jugendjahre bewusst geworden, die ihn in die Rolle eines Außenseiters drängten. Aus dem oft vergeblichen Kampf um Anerkennung seines Erbes und damit seiner gesellschaftlichen Position entstand allmählich Verbitterung und Distanzierung von der Schicht, zu welcher der Vater zählte. Der Meidiana ist der Grimm anzumerken, mit dem er das Gehabe mancher Reichen geißelt, von Choregien und Trierarchien oder der Zahlung von Steuern zu prahlen, den Worten aber kaum Taten folgen zu lassen.35 Demosthenes, der selbst bemüht war, vorbildhaft seine Dienste für den Staat zu erfüllen, zeigte sich nicht ganz zu Unrecht empört. Was den Reichen fehlt und was die Armen besitzen, ist etwas, das sich nicht kaufen lässt: Patriotismus. Sicherlich war die athenische Gesellschaft zwischen den Besitzenden und denen gespalten, die die Volksversammlung besuchten und sich zu Richtern losen ließen, um sich einen Teil des Lebensunterhaltes zu verdienen. Demosthenes aber vertieft in der Meidiana den Riss. Er verweigert den Reichen die Anerkennung als Träger der Demokratie, welche sie zu sein glaubten, weil sie die Leiturgien übernahmen, ohne die kein Kriegsschiff ausfuhr und kein Staatsfest gefeiert wurde.

Der Friede des Philokrates Standortwechsel Die Eroberung und Zerstörung Olynths waren ein Schock, der zusammen mit der euboiischen Niederlage die Machtlosigkeit Athens bloßlegte. Die Stadt war militärisch und finanziell zu schwach, um eine Großmachtpolitik führen zu können. Rhetorisch lebten viele Politiker noch im 5. Jahrhundert, als Athen ein ägäisches Reich regierte. Die Quittung für die Illusionen waren Niederlagen. Sie belehrten Demosthenes und seine Anhänger kaum, denn was Schwäche war, wurde als Mangel an Willen ausgelegt. Der Schock weckte auch das schlechte Gewissen, einem Verbündeten nicht ausreichend und überdies zu spät geholfen zu haben. So hatte für einige Monate wieder Kriegsrhetorik Konjunktur, und dies um so mehr, als niemand befürchten musste, den Worten auch Taten folgen zu lassen. Das machte es Eubulos und seinen Freunden leicht, scheinbar von ihrer bisherigen Politik abzurücken und in einem Maße gegen Philipp zu agitieren, das bisher Demosthenes vorbehalten war. Dieser hatte auf seinem ureigenen Feld das Nachsehen, und so begnügte er sich damit, die Bemühungen der Gegenseite in einer späteren Rede ins Lächerliche zu ziehen. Eubulos habe Gesandtschaften bis ans Rote Meer, das heißt, wie die Scholien erklären, an alle Orte der bewohnten Welt entsandt, um vor den Gefahren zu warnen, die Athen von Philipp drohten. Die griechischen Städte wurden auf Beschluss der Volksversammlung zu einem Kongress nach Athen eingeladen, um dort über einen gemeinsamen Frieden und den Kampf gegen Philipp zu beraten.1 Offen wurde wieder von einer neuen Führungsrolle Athens geträumt, 2 welche die übrigen Poleis unter dem Eindruck der makedonischen Gefahr sua sponte anzuerkennen bereit wären. Gerade hundert Jahre waren es her, dass Perikles, um das Fortbestehen einer persischen Gefahr zu beschwören, zu einem allgemeinen Friedenskongress nach Athen gerufen hatte. Der Plan scheiterte, doch die Vorzeichen waren andere. Athen war damals Hegemonialmacht und blieb es. Nun appellierte eine zweitklassige Macht an die Griechen, die außer Worten nichts zu bieten hatte. Der Aufruf des Eubulos wirkte wie eine Karikatur des Perikleischen und wurde von den Griechen nicht viel anders wahrgenommen. Unter den Gesandten, die Athen schickte, tat sich insbesondere ein Mann hervor, der neu in der Politik war und später, zumindest von den zeitgenössischen Griechen, als Hauptgegner des Demosthenes in Athen wahrgenommen wurde: Aischines von Sphettos. Er war 390 geboren, also

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sechs Jahre älter als Demosthenes. Dieser nannte später Aischines’ Vater einen Sklaven, seine Mutter eine Hetäre, 3 doch dies gehört zum üblichen Umgang der Redner untereinander und ist wie alle Schmähungen dieser Art aus der Luft gegriffen. Niemand von den Hörern nahm das ernst. Vom Sekretär des Eubulos stieg Aischines, durch Cheirotonie (Abstimmung durch Heben der Hand) gewählt, zum Stadtschreiber auf. 4 Aischines befand sich an der Spitze einer Delegation, die in die Peloponnes reiste, um dort Verbündete gegen Philipp zu finden. Das Unternehmen war aussichtslos und das Ergebnis erwartungsgemäß niederschmetternd. Vielleicht hatte Eubulos selbst auch gar nicht mehr erwartet und sich mit der Idee des Kongresses – der augenblicklichen Kriegsstimmung in Athen gehorchend – nur an die Spitze der Philippgegner setzen wollen. Jedenfalls griff Demosthenes’ Argumentation jetzt ins Leere, denn seinen Part hatte vorübergehend Eubulos übernommen. Für Aischines wurde die Peloponnesreise zur Lehrstunde. Sie war seine erste außenpolitische Mission für Athen, und zweifellos nahm er die Aufgabe ernst, eine Allianz gegen Philipp zu schaffen. Es mag die Enttäuschung über das Misslingen gewesen sein, die ihm die Vergeblichkeit solchen Tuns um so stärker vor Augen führte, denn das Jahr 347 sieht einen Wandel. Aischines begreift die Chancen für Athen nurmehr in einem Frieden mit Philipp, für den er von nun an auch eintritt. „Ich tat alles dafür, die Arkader und die übrigen Griechen zu einem Bündnis gegen Philipp zu bewegen. Da aber niemand bereit war, unserer Stadt zu helfen, die einen zunächst abwarten wollten, wie sich die Dinge entwickelten, andere mit Philipp ins Feld zogen und die Politiker in Athen den Kriegszustand benutzten, um sich in die Tasche zu wirtschaften, unter diesem Eindruck nun gestehe ich, dem Volk geraten zu haben, sich mit Philipp zu vergleichen und Frieden zu schließen.“ 5 Allgemein vollzog sich 347 ein Umschwung von der Kriegshysterie zur Friedensbereitschaft. Olynth war nicht vergessen, aber der Druck, post eventum zu handeln, ließ nach. Das Bewusstsein der Isolierung nahm nach den ergebnislosen Gesandtschaftsreisen wieder zu, außerdem war die Bereitschaft der attischen Bürger, selbst in einen auswärtigen Krieg zu ziehen, seit längerem gering. Eubulos kehrte nebst Anhang wieder zur früheren Politik zurück, aber nun fand er den Platz besetzt. Wie Eubulos nach Olynth eine Volte geschlagen hatte, indem er zum Kriegspolitiker geworden war, so tat dies jetzt Demosthenes: Er wurde zum Friedenspolitiker. Das dankte sich sicherlich der Einsicht in die gegenwärtige Lage, denn Demosthenes wollte diesmal das Feld nicht allein der anderen Seite überlassen. Er fühlte sich inzwischen als Experte in der Außenpolitik und insbesondere darin, wie Philipps Politik einzuschätzen war. Zugleich wurde Demosthenes im Sommer 347 für ein Jahr Mitglied des Rates der Fünf-

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Abb. 12: Das Theater des Dionysos

hundert. Dies verschaffte ihm mehr politische Möglichkeiten, denn als Bouleute konnte er Anträge via Rat in die Volksversammlungen bringen. 6

Aischines und Demosthenes Der Friedensschluss von 346, der sogenannte Friede des Philokrates, ist eines der am besten dokumentierten Ereignisse des 4. Jahrhunderts. Dazu stammen die Nachrichten von Personen, die unmittelbar beteiligt waren, und diese äußerten sich nicht allzu lange nach dem Geschehen, so dass Erinnerungslücken eine untergeordnete Rolle spielen. Das einzige Problem besteht darin, dass die Hauptzeugen Unterschiedliches gehört und gesehen hatten. Ein Prozess, den Demosthenes drei Jahre nach dem Frieden gegen seinen Mitgesandten Aischines anstrengte, kulminierte in einer Orgie von Unterstellungen, Verdrehungen und Falschaussagen. Niemand nannte das Lügen, denn jeder der 1500 Richter wusste, dass jede der Parteien nur das zu Protokoll gab, was ihr nutzte und dem Gegner schadete. Die Forschung des 19. Jahrhunderts machte es sich leicht, da sie die Wahrheit immer auf der Seite ihres Helden, und der hieß Demosthenes, sehen

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wollte.7 Näher liegt, niemandem zu glauben, doch das führt nicht weiter. Immerhin gibt es gelegentlich Sachverhalte, die sich annähern. Da der Grad der inneren Widersprüche in vielen Punkten unterschiedlich ausfällt, ist auch das ein möglicher Ansatz, von Fall zu Fall dem einen oder dem anderen zu folgen. Wie oft in der antiken Überlieferung vereinfacht sich das komplexe politische Geschehen zu einem Politiker-Zweikampf. Demosthenes und Aischines agieren wie in einem Marionetten-Theater, in dem sich der Teufel mit dem Wachtmeister herumprügelt. Doch Athen war keine Oligarchie wie die späte römische Republik, in der Familienclans und Einzelne die Politik regierten, sondern eine Demokratie. Die Ekklesia entschied, und die Redner, die dort auftraten, vertraten die Interessen des Volkes oder die einzelner Reicher, die ihre Interessen als die des Volkes ausgaben. Alle Politiker waren auf Resonanz angewiesen, ohne eigene Anhänger konnten sie wenig bewirken. Anfang März des Jahres 346 beriet die Volksversammlung über die Entsendung einer Friedensdelegation an Philipp nach Pella und wählte dafür zehn Gesandte, unter denen die einflussreichsten Demosthenes und Aischines waren. Die Gesandtschaft beeilte sich, den Vertrag abzuschließen, Athen hatte im Vorgriff darauf seine Rüstungen bereits weitgehend eingestellt. 8 Philipp stand unmittelbar vor einem Feldzug nach Thrakien gegen Kersobleptes, sein Eingreifen in Mittelgriechenland gegen die Phoker bereitete er vor. Die athenischen Gesandten kamen aus verschiedenen Lagern, doch herrschte zu Beginn der Reise unter ihnen weitgehend Einigkeit über die Ziele, der Dissens entwickelte sich erst später. 9 Alle wollten einen möglichst günstigen Frieden für Athen erreichen, doch trennten sie die unterschiedlichen Vorstellungen vom Weg dorthin. Obwohl sie in Pella und damit weit entfernt von Athen auftraten, herrschte Konkurrenzkampf unter den Delegierten, als sie ihre Reden in einer vorher abgestimmten Reihenfolge vor Philipp hielten. Sie wollten nicht nur vor dem anwesenden König, sondern auch vor den abwesenden Athenern Eindruck machen. Aischines’ Schilderung der Mission gibt, so parteilich sie ist, einen unmittelbaren Einblick in den Umgang attischer Politiker untereinander, der vom Bemühen bestimmt war, die jeweils anderen auszustechen. In allen Details schildert Aischines, wie er mit seinem historischen Wissen – er habe nichts ausgelassen, brüstet er sich 10 – Philipp beeindruckt habe. Umgekehrt berichtet er mit unverkennbarer Häme, wie Demosthenes, dessen Ruf als großer Redner sich schon zu festigen begann, ins Stottern gekommen sei, erneut angesetzt und wieder den Faden verloren habe: „Nachdem ich dies und anderes gesagt hatte, kam nun unter den Gesandten die Reihe zu reden an Demosthenes. Alle erwarteten eine Rede von außerordentlicher Kraft zu

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hören. Verheißungsvolle Kunde war nämlich, wie wir später erfuhren, schon bis an den Hof und zum König gedrungen. Als wir alle zum Hören bereit sind, beginnt diese Kreatur mit einer Vorrede – dunkel und von Feigheit gelähmt –, kommt dann ein klein wenig zum Thema zu sprechen, schweigt unvermittelt, gerät in Verlegenheit und fällt schließlich ganz aus der Rolle. Als Philipp ihn in diesem Zustand sah, sprach er ihm gut zu und richtete ihn auf, er solle nicht wie ein Bühnenschauspieler glauben, ihm widerfahre Besonderes, sondern Ruhe bewahren, sich ein wenig konzentrieren und mit der vorgesehenen Rede fortfahren. Aber dieser, einmal aus dem Konzept gebracht und unfähig, seine Aufzeichnungen zu ordnen, vermochte sich nicht mehr zu sammeln und brach auch den zweiten Versuch ab. Stille trat ein; dann forderte der Herold uns auf, uns zu entfernen.“ 11 Was Aischines zu berichten hat, ist unstreitig gehässig, aber nicht ganz unrichtig, denn es wurde offenbar von den Mitgesandten bestätigt.12 Die eigentliche Demütigung für Demosthenes mag dabei Philipps wohlwollender Versuch gewesen sein, ihm aus der rednerischen Verlegenheit zu helfen. Vielleicht trug auch dies dazu bei, die politische Auseinandersetzung mit dem König zu einem persönlichen Zwist zu erweitern. Der Groll, den Demosthenes später noch gegen den toten Philipp hegte, saß jedenfalls tief.

Aischines und Philipp Aischines’ Bericht gibt auch eine gute Vorstellung von der Atmosphäre am makedonischen Königshof. Das Bild, das er von Philipp entwirft, steht konträr zu dem, das sich die meisten griechischen Zeitgenossen machten. Nach Athen waren längst Gerüchte von den orgiastischen Festen des Königs gekommen und verschmolzen dort mit den einschlägigen BarbarenTopoi zu einem Ferment antimakedonischer Propaganda. Vielleicht fanden auch schon einzelne Bücher aus der monumentalen Philippischen Geschichte des Historikers Theopomp Verbreitung, in der nach Ausweis der erhaltenen Fragmente Philipp als der größte Trinker erschien, „den Europa hervorbrachte“ – eine Position, die ihm erst später der Sohn Alexander streitig machte. Nur in der Pytine („Die Flasche“), einer Komödie des Kratinos, wurde mehr getrunken als in den Philippika des Theopomp. Die Überraschung der athenischen Delegierten war jedenfalls groß und vielleicht nur mit der vergleichbar, die Cato erlebte, als er im Alter von über achtzig Jahren zum ersten Mal die Stadt des karthagischen Erzfeindes betrat. Denen, die einen trunksüchtigen Barbaren erwarteten, trat ein Mann mit griechischer Bildung gegenüber, der ohne Mühe den historischen Verweisen und Anspielungen der athenischen Redner folgen und

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Abb. 13: Aischines-Statue aus Herculaneum

deren rhetorische Feinheiten goutieren konnte. Dass Philipp bei festlichen Anlässen auch zu trinken verstand, gehörte zu seinem Beruf als König. Er musste nicht nur im Feld der Erste sein. Aischines schildert eindrücklich, wie Philipp beim anschließenden Bankett auf jeden Redner und alle Argumente eingegangen sei, und er wird nicht müde, das gute Gedächtnis des Königs auch später noch hervorzuheben. Dass der König dabei Aischines am häufigsten, Demosthenes aber kaum oder gar nicht erwähnte, gehört dann wieder zum Repertoire des Selbstlobes, in dem beide Redner schwelgten.13 Ktesiphon, der älteste unter den Gesandten, erklärte später, in seinem ganzen Leben habe er keinen so angenehmen und charmanten Gastgeber erlebt. Von Demosthenes selbst weiß Aischines, etwas übertreibend, aber nicht ganz unglaubwürdig, dass der ob seines Reinfalls geknickte Redner Philipp den eindrucksvollsten Menschen unter der Sonne genannt habe.14

Die Friedensbedingungen Zunächst zweifelte kaum jemand in Athen daran, dass diese erste Gesandtschaft nach Pella, die in die Zeit etwa zwischen dem 11. März und dem 4. April 346 fiel, ein Erfolg war.15 Philipp hatte nicht nur in einen Frieden auf der Basis des gegenwärtigen Besitzstandes eingewilligt, sondern wollte diesen auch durch ein Bündnis mit Athen verknüpft sehen, was dort die Hoffnung keimen ließ, Theben schädigen und die eigene Position stärken zu können. Die Friedensvorschläge sollten nun in Athen diskutiert und dann ratifiziert werden. Demosthenes zählte zu den entschiedensten Verfechtern dieses Abkommens, mit dem er später möglichst wenig zu schaffen haben wollte. Als Ratsherr stellte er den üblichen Antrag auf Bekränzung der makedonischen Gesandten – mit Antipater und Parmenion hatte Philipp hochrangige Generäle geschickt –, auf freies Geleit für die Delegation und auf Einberufung der Volksversammlung, um

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die Friedensbedingungen zu diskutieren und zu beschließen.16 Der Athener Philokrates arbeitete das Abkommen aus, einen Friedensvertrag mit Defensivbündnis (eiréne kaì symmachía) entsprechend den Vereinbarungen von Pella, und der Rat legte ihn der Volksversammlung vor. Neben dem gegenwärtigen Besitz wurde die Sicherheit des Meeres garantiert, für den Fall eines gegnerischen Angriffs Hilfeleistung vereinbart. Die Bundesgenossen beider Seiten sollten im Vertrag mit Ausnahme von Phokis und Halos eingeschlossen sein.17 In Athen gab es noch eine starke Kriegsfraktion, zu der Demosthenes damals freilich nicht gehörte. So wurde die Diskussion verschleppt. Erst als Eubulos die Alternative zum Frieden vor Augen stellte, nämlich in den Piräus hinabzusteigen, also die Flotte zum Auslaufen bereit zu machen, Kriegssteuern zu bezahlen und – als schlimmste Drohung – die Theatergelder in die Kriegskasse umzuwidmen,18 fügte sich die Mehrheit, beharrte aber darauf, die Klausel über Phokis und Halos zu streichen. Die Phoker waren zwar notorisch unzuverlässig, sozusagen Bundesgenossen zweiten Grades, und in ganz Griechenland als Tempelräuber geächtet, aber hier ging es ums Prinzip und vor allem um die Thermopylen, deren Kontrolle die Athener gerne selbst übernommen hätten, da sie (vermeintlich) den einzigen Zugang vom Norden nach Attika bildeten. Ihre Besetzung wäre ein wichtiges Faustpfand gewesen.19 Es war schließlich etwa Mitte April 346, als die Volksversammlung dem Vertrag zustimmte und damit ihrerseits einen seit 357 währenden Kriegszustand beendete. Philipp selbst musste noch samt seiner Bundesgenossen vereidigt werden, und zu diesem Zweck reiste eine Delegation etwa Anfang Mai nun zum zweiten Mal nach Pella. Der Makedonenkönig war inzwischen nach Osten aufgebrochen und hatte Mitte/Ende April in einem schnellen Feldzug den thrakischen König Kersobleptes besiegt, der sich vergeblich noch unter die athenischen Bundesgenossen hatte schmuggeln wollen. Damit hatte er die Propontis (Marmarameer) erreicht, es ließen sich neue Ziele stecken – am asiatischen Ufer. 20

Von Wasser- und Weintrinkern Die athenischen Gesandten waren bereits in Pella eingetroffen, als Philipp noch im Osten weilte, und warteten dann mehrere Wochen (Mai/Juni) bei guter Verpflegung auf die Rückkehr des Königs, um ihn zu vereidigen. Demosthenes sprach bei der Zeremonie als Erster und hatte einen Augenblickserfolg. 21 Anfang Juli traten die Delegierten nach erfüllter Mission wieder den Heimweg an. Auf dem Rückweg nahmen sie im thessalischen Pherai auch noch Philipps Bundesgenossen den Eid ab, und um den 9. Juli

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– nach gut zwei Monaten – waren alle wieder in Athen, um der Volksversammlung Bericht zu erstatten und die Modalitäten des inzwischen abgeschlossenen Friedens noch einmal zu diskutieren. Philipps Position erschien zum damaligen Zeitpunkt einem Gutteil der athenischen Führung als glaubwürdig. Philokrates, Aischines und Eubulos sahen die Realitäten des Jahres 346 und waren bereit, sich längerfristig mit den Makedonen zu einigen, zumal sie an die Möglichkeit glaubten, die Interessensphären abgrenzen zu können. Für Demosthenes konnte ein Frieden mit Makedonien nur ephemer sein. In der gegenwärtigen Schwächephase brauchte Athen eine Atempause, um sich zu erholen. Irgendwann jedoch musste der Kampf um die Hegemonie in Griechenland zur Entscheidung kommen. Öffentlich konnte er eine solche Position jedoch nicht vertreten, denn der Frieden war nicht auf Zeit geschlossen. So stand Demosthenes in der Volksversammlung nach der (zweiten) Rückkehr aus Makedonien unter großem Druck. Er war seit Olynth die Verkörperung des antimakedonischen Kampfes, und nun hatte er als Gesandter mitgeholfen, Frieden mit dem Erzfeind zu schließen. Das musste seine Anhänger irritieren, auch wenn für den Frieden alle Vernunftgründe, und diese hatte auch Demosthenes, sprachen. So versuchte er das Unmögliche, nämlich zum Frieden zu raten und ihn gleichzeitig zu denunzieren, indem er sich von den Mitgesandten distanzierte. Er schürte das Misstrauen gegen Philipp und beharrte auf einer Unterstützung der von allen isolierten Phoker, 22 für die es zu diesem Zeitpunkt längst zu spät war. Mit seinen Aussagen, die so widersprüchlich wie die Situation waren, hatte Demosthenes einen schweren Stand in der Volksversammlung und musste den Befürwortern des uneingeschränkten Friedens das Feld überlassen. Philokrates, der die Modalitäten ausgearbeitet hatte, konnte sich mit einem Witz begnügen, um – ganz wörtlich – die Lacher auf seiner Seite zu haben. Demosthenes’ vollmundige Distanzierung konterte er genüßlich, es sei kein Wunder, dass sie unterschiedlicher Meinung seien: „Demosthenes trinkt Wasser, ich aber Wein!“ Mehr als eines Kalauers – Abstinenzler sind übellaunig und misstrauisch – bedurfte es also nicht, 23 um Demosthenes scheitern zu lassen. Philokrates beantragte noch im gleichen Atemzug, den Vertrag auch auf Philipps Nachkommen auszudehnen und – ohne den Namen zu nennen – Philipp bei seinem Vorgehen gegen die phokischen Tempelräuber Hilfe zu leisten, wenn diese nicht täten, was sie tun müssten, nämlich das delphische Heiligtum an die Amphiktyonen zurückgeben. 24 Nur kurz danach, etwa Mitte Juli, als die Athener gerade eine dritte Gesandtschaft beschlossen hatten, um Philipp diese Beschlüsse mitzuteilen, trafen Boten von diesem mit der Aufforderung ein, Truppen für die Maßnahmen gegen die Phoker zu stellen. 25 Philipp führte diesen Feldzug auf Bitten der Thessalier und der Thebaner, und auch sonst gab es in Griechen-

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land außerhalb Athens niemand, der nicht eine Bestrafung der Tempelräuber wünschte. Ob er athenische Hilfe wirklich benötigte, steht daher dahin. Vermutlich ging es ihm nur darum zu beweisen, dass Athen jetzt gemäß dem gerade ausgehandelten Vertrag zu seinen Bundesgenossen gehörte. Eine symbolische Beteiligung hätte also genügt. Die Volksversammlung lehnte jedoch ab, die Philippgegner befürchteten – ein durchsichtiges Argument –, der König könne die Truppen als Geiseln nehmen. Unberührt davon sollte aber die gerade gewählte Gesandtschaft zu Philipp reisen. Das hatte wenig Sinn, und so sagte Demosthenes seine Teilnahme von vornherein ab, Aischines ließ sich krank schreiben; wichtiger war, was nun in Athen geschah. Die dritte Gesandtschaft war kaum aufgebrochen, als sie erfuhr, dass sich der phokische Kommandant ergeben hatte, und so kehrte sie wieder um. Mit der Ablehnung von Philipps Bitte hatten sich die Athener auch um jede Möglichkeit gebracht, an den nun zu erwartenden Maßnahmen gegen die Phoker beschwichtigend mitzuwirken, und so blieb ihnen nichts anderes übrig als abzuwarten, was weiter in Mittelgriechenland vor sich ging. Zwar reiste – Ende Juli – eine vierte Gesandtschaft zum Amphiktyonenrat, der die Beschlüsse über die Phoker mit direkter oder heimlicher Einflussnahme Philipps fassen sollte, aber mehr als Bitten für eine milde Behandlung dieser war nicht möglich. 26 Die 22 phokischen Städte wurden zerstört, die Einwohner in Dörfer umgesiedelt. Für die geraubten Schätze mussten jährliche Reparationszahlungen geleistet werden, Flüchtlinge und Tempelräuber galten als vogelfrei. 27 Politisch am wichtigsten war, dass die Phoker ihre beiden Sitze im Rat verloren und diese Philipp als Person – der Abstammung von Herakles nach war er Grieche – zugesprochen wurden.28 Die Kapitulation der Phoker bedeutete, dass die Thermopylen-Linie nicht mehr zu halten war. Warum dies aber in Athen Panik auslöste, wird nicht ganz klar. Vielleicht verband sich die Erinnerung an Xerxes mit der antimakedonischen Propaganda eines Demosthenes zu einem seltsamen Schreckensszenario. Auf Antrag eines Kallisthenes sollte die ganze Landbevölkerung evakuiert werden und sich hinter die langen Mauern zwischen Stadt und Piräus zurückziehen, als befände sich der Spartanerkönig Archidamos wie 431 mit dem gesamten peloponnesischen Heerbann im direkten Anmarsch.29 Der Evakuierungsbeschluss war zum Teil Routine, er zeigt aber auch, dass die Entspannungsbemühungen die von Demosthenes geschürte Angst vor Philipp nur kurzzeitig überdeckt hatten. Dessen Aversionen gegen Philipp wurden ungeachtet des Friedens von 346 allmählich zur Staatsdoktrin, und eine solche ließ sich von den Realitäten nicht erschüttern. Philipp aber marschierte nicht gegen Athen. Wie erst die Zukunft zeigen sollte, hatte er nichts weniger vor als dies. Als Anfang September in Delphi das alle vier Jahre begangene Götter-

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fest der Pythien stattfand, unterließ es Athen demonstrativ, die übliche Festgesandtschaft zu entsenden.30 Dies bedeutete eine Brüskierung Philipps als eines neuen Mitglieds im Rat der Amphiktyonen und eine Infragestellung der Beschlüsse dieses Rates. So dauerte es nicht lange, bis dieser Gesandte nach Athen schickte, um die Stadt aufzufordern, seine Beschlüsse anzuerkennen.31 Aischines setzte sich dafür ein und wurde niedergeschrien. Gegenüber den in der Ekklesia anwesenden Gesandten Philipps kaschierte er die Peinlichkeit mit einem Bonmot: Der Schreier gebe es viele, aber wenige, die im Ernstfall auch kämpften. 32 Der Tumult mag im Sinne des Demosthenes gewesen sein, doch wusste er auch, dass hier eine Grenze erreicht war, die nicht überschritten werden durfte. Er fürchtete – und hat dies expressis verbis formuliert – „unter dem Vorwand“ eines Amphiktyonenbeschlusses könne ein gemeinsamer Krieg von Thessaliern, Thebanern und Philipp gegen Athen entstehen.33 Demosthenes war im April für die Ratifikation des Friedens eingetreten, in den Monaten danach hatte er sich von ihm und seinen Mitgesandten in Pella distanziert, schließlich folgte nun im September – zur Überraschung seiner Anhänger und derjenigen, die noch energischer den Krieg forderten – ein erneuter Schwenk: Er trat in einer Rede vor der Volksversammlung für den gerade geschlossenen Frieden ein. Schon antike Interpreten wollten nicht glauben, dass hier der Philipphasser Demosthenes sprach. Libanios, ein Rhetoriker des 4. nachchristlichen Jahrhunderts, kam zu dem seltsamen Schluss, Demosthenes habe die Rede vielleicht geschrieben, aber niemals gehalten. 34 Tatsächlich wechselte er mehrfach seine Meinung, aber er blieb der Sache treu. Dass die Sache nicht immer so gut war, wie er dachte, konnte er nicht mehr erkennen. Zu sehr hatte er sich festgelegt. Die Friedensrede schlägt zunächst die bekannten Töne an. Demosthenes bedauert, was versäumt wurde: Vieles hätte Athen aufgegeben, was damals, als es noch zu Gebote stand, den Krieg risikoloser gemacht hätte. Vorsichtig kommt er zum Zwang der Umstände: Besser wäre, der jetzige unwürdige Friede wäre nie geschlossen worden, als dass er jetzt wieder gelöst werde, und zieht dann die unerwartete Folgerung: Ein nun ausbrechender Krieg sei zu fürchten, denn der könne zu einer „unheiligen“ Allianz gegen Athen führen. Töricht, ja verantwortungslos aber sei es, Krieg um den Schatten von Delphi zu führen. 35 Demosthenes’ Anhänger werden schwerlich mit dieser Rede zufrieden gewesen sein, und doch war sie die beste, die Demosthenes halten konnte, wenn er sein Ziel im Auge behalten wollte, den Sturz Philipps. Er schürte die antimakedonischen Emotionen weiter, suchte sie aber sozusagen auf kleiner Flamme zu halten. Für den Augenblick verlangte er Raison, die günstige Gelegenheit, der kairós, würde noch kommen.

Der veruntreute Friede Der Timarchos-Prozess Mit der Friedensrede hatte Demosthenes die Situation gerettet, aber außenpolitische Initiativen waren kaum mehr möglich. Umso schärfer wurde die Auseinandersetzung in Athen um die richtige Deutung der Vorgänge geführt. In der Demokratie boten sich viele Möglichkeiten, einen inneren Gegner zu bekämpfen: Intrige, Verleumdung und der in der Stadt alltägliche Prozessweg. Schon im Juli 346 hatte Demosthenes in Verbindung mit einem Mann namens Timarchos eine Klage gegen Aischines wegen Verletzung der Gesandtschaftspflichten (parapresbeía) eingereicht. Timarchos war ein in der Wolle gefärbter Makedonenfeind. Während seiner zweiten Tätigkeit als Ratsherr 347/46 hatte er sich für die Ausbesserung der Befestigungsanlagen als Signal gegen Philipp eingesetzt und ein Gesetz beantragt, das die Ausfuhr von Waffen und Schiffsgerätschaften mit der Todesstrafe ahnden sollte.1 Aischines hatte mit einer Gegenklage geantwortet: Wer sich erhob und zum Volk sprach, also als Redner oder Kläger auftrat, musste einen untadeligen Lebenswandel führen und konnte, wenn er dies nicht tat, gerichtlich belangt werden. Bevor über die Klage des Timarchos verhandelt werden konnte, musste also geklärt werden, ob er überhaupt berechtigt war, sie zu stellen. 2 Philipp spaltete die athenische Gesellschaft. Da Denunziation, Diskriminierung und Diffamierung zum gängigen Repertoire beider Seiten gehört, lässt sich über die von Aischines und Timarchos eingereichten Klagen wenig sagen, außer dass sie auf rein politische Gründe zurückgehen. Diese bildeten, egal was die beiden Parteien vorbrachten, in der Regel auch den Ausschlag für die Entscheidung der Richter. Timarchos war schon 361 Ratsherr gewesen, er übte mehrere Ämter aus und soll über hundert Dekrete beantragt haben.3 Im Winter des Jahres 346/45 war aber überraschend eine große Mehrheit der Richter der Meinung, er sei zu alldem nicht befugt gewesen, da er – sie folgten damit dem Vorwurf des Aischines – in seiner Jugend gegen Geld „widernatürliche Unzucht“ getrieben habe. Timarchos’ Karriere war damit beendet. Späte antike Quellen erfanden noch einen Selbstmord dazu. Demosthenes gehörte zu den Verteidigern des Timarchos, und dessen Niederlage war seine wie umgekehrt Demosthenes’ Niederlage die des Timarchos. Tatsächlich war das, was den Ausschlag gab, ein überraschendes Tief in der Popularität des Demosthenes. Die Richter wurden durch Los ermittelt, hier ließen sich nicht in dem Maße wie in der Volksver-

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sammlung Anhänger mobilisieren. Der Prozess zeigte jedoch, dass sich Athen nach der Aufregung des Sommers wieder beruhigt hatte. Die Evakuierungen waren ohne Sinn gewesen, Philipp zog nicht nach Süden, sondern nach Norden, in den nächsten beiden Jahren lagen die illyrischen Grenzen im Blickfeld. Eine direkte Bedrohung für Athen war da nur schwer zu suggerieren, und sie allein konnte Demosthenes wieder Aufwind verschaffen. Im Verfahren gegen Timarchos kann Aischines den Frieden des Philokrates noch als sein Werk (und das des Namensgebers) präsentieren, knapp drei Jahre später wagt er das nicht mehr. 4 In der Demokratie schwankte das Ansehen der Redner, sie mussten sich ständig beweisen, Erfolge blieben temporär, das Volk verteilte Gunst nach dem Augenblick. Demosthenes’ Ansehen war nicht eigentlich beschädigt, doch in einem durch den Friedensprozess verursachten Tief.

Demosthenes und der Areiopag In einer Zeit der Unklarheit wurde die innere Auseinandersetzung zunehmend härter, Demosthenes musste das Gefühl der makedonischen Bedrohung wachhalten. Kurz nach dem Timarchos-Prozess ließ er einen Bürger namens Antiphon in seinem – wie er sagte – Versteck im Piräus festnehmen und vor die Volksversammlung schleppen. Er beschuldigte ihn, als Agent Philipps versucht zu haben, die athenischen Werften anzuzünden und forderte das Todesurteil. 5 Nun kamen also nicht nur Boten mit thrakischem Gold aus Makedonien, sondern auch Saboteure und Terroristen. Der Vorwurf war lächerlich, und nach Protesten auch des Aischines – Demosthenes hatte keinerlei Vollmacht der Volksversammlung, in ein Privathaus einzudringen – kam Antiphon frei. Doch der Redner wollte ein Exempel statuieren. Er ließ nicht locker, schaltete den Areiopag ein und hatte damit Erfolg. Die Areiopagiten brachten Antiphon abermals vor Gericht; er wurde gefoltert und hingerichtet. Plutarch nennt das Vorgehen des Demosthenes „streng aristokratisch“. 6 Im Areiopag saßen die ehemaligen Archonten, und das waren bis in die Anfänge des 5. Jahrhunderts nur Aristokraten. Im 4. Jahrhundert hatte sich das sicherlich geändert, aber die große Mehrheit dürfte doch von den Wohlhabenden gestellt worden sein, und deren Liebe zur Demokratie war – zumindest wenn es um Leiturgien ging – begrenzt. Demosthenes selbst hielt den Areiopag – zumindest öffentlich – für oligarchisch gesinnt,7 und umso mehr verwundert die Nähe, die er wiederholt zu ihm suchte. Im Kampf gegen Philipp schien jeder Verbündete recht, und Demosthenes beantragte – vermutlich aber erst nach der Niederlage von Chaironeia – sogar ein Gesetz, das den Areiopag ermächtigte, alle Gesetzesverstöße zu

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bestrafen und Delinquenten zum Tode zu verurteilen und hinrichten zu lassen, ohne dass Volksversammlung und Volksgericht eingeschaltet werden mussten.8

Neue und alte Fronten In den Jahren 345 und 344 gab es erstaunlich wenige Streitpunkte zwischen Makedonien und Athen, und wenn Demosthenes nicht Quisquilien zu Staatsaktionen aufgebläht hätte, gar keine. Im Frühjahr 345, kurz nach den Timarchos- und Antiphon-Affären, brachten die Einwohner von Delos eine Klage gegen die Athener vor den Amphiktyonenrat. Athen betrachtete das Apollon-Heiligtum auf Delos schon lange als sein Eigentum. Nun aber sahen die Delier einen günstigen Moment, dies zu ändern, da sie glaubten, seit den Herbstpythien 346 bestünden im Amphiktyonenrat Ressentiments gegen die Stadt. Um die Sache Athens in diesem Streitfall zu vertreten, nominierte die Volksversammlung Aischines. Demosthenes schaltete den Areiopag ein, und dieser ersetzte Aischines durch den Redner Hypereides. Die Klage der Delier wurde abgewiesen, ein Umstand, der sicherlich weniger der Redekunst des Hypereides als dem Eingreifen Philipps zu danken ist. Der Makedonenkönig untermauerte sein Bemühen um Athen und vermied es, neuen Zündstoff für Demosthenes zu liefern. 9 Mit dem Auftreten des Hypereides erscheint ein neuer Gegner Philipps von Format auf der politischen Bühne. Offenbar begannen sich in der Zeit nach dem Philokrates-Frieden Gegner und Befürworter Philipps neu zu formieren. Auf der Seite der Ersteren wird Lykurg aus einer angesehenen Priesterfamilie noch langfristig eine große Rolle spielen, auf der anderen Seite ist es vor allem der Stratege Phokion, von dem noch zu hören sein wird.

Isokrates und Philipp Das Jahr 344 sah Philipp an den Nordwestengrenzen seines Reiches. 10 Er sicherte dort die Grenzen zu den Illyrern, und offenbar waren die Kämpfe härter als erwartet, denn er selbst wurde dabei schwer verwundet. Die Kunde davon erreichte bald Athen, und je nach Einstellung wurde um das Leben des Königs gebangt oder sein Tod erhofft. Den berühmten Publizisten Isokrates, einen der angeblichen Lehrer des Demosthenes, trieb Ersteres um und veranlasste ihn zu einem öffentlichen Brief, in dem er seine Sorge um Philipps Wohlergehen aussprach, von dem er sich die Führung eines panhellenischen Feldzuges gegen die Perser erhoffte.11

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Viel Substantielles ist dem Brief nicht zu entnehmen. Isokrates beweist seine Geschichtskenntnisse und widersteht seiner vorgeblichen Absicht, sich kurz zu äußern. Immerhin legt er aber indirekt Zeugnis davon ab, dass es auch im Sommer 344 eine Kampagne gegen Philipp gab, denn er spricht auch von Verleumdern des Königs, mit denen er nur Demosthenes und seine Anhänger gemeint haben kann. Philipp könne freilich durch die Tat alle Worte entkräften. Keine Stadt könne ihm dabei so von Nutzen sein wie gerade Athen.12 Die angesprochene Idee des Asienzuges hatte eine lange Vorgeschichte. Sie wurde geboren aus dem Gefühl der Machtlosigkeit, das die griechischen Städte nach dem großen Bürgerkrieg (431–404) erfasst hatte und im sogenannten Königsfrieden von 387 seine Manifestation fand. Isokrates war einer der Ersten gewesen, der die Lehren aus dem Geschehen zog und in dem berühmten Panegyrikos von 380 einen gemeinsamen Krieg der damaligen griechischen „Hegemonialmächte“ Sparta und Athen gegen Persien forderte. Er versprach sich davon auch das Ende der innergriechischen Zwistigkeiten. Die folgenden Jahre zeigten jedoch, dass diese eher mehr denn weniger wurden. Isokrates zog daraus den Schluss, dass Einigung nur von außen kommen könne, und zog als Führer eines Feldzuges zunächst die Tyrannen Iason von Pherai (380–370) und Dionysos I. von Syrakus (405–367) in Betracht. Spätestens mit Beginn der vierziger Jahre rückte aber Philipp in sein Blickfeld, in dem er schließlich, als dieser seine Macht bis zum Hellespont auszudehnen begann, den geeigneten Mann erkannte. Im Sommer 346, als mit dem Abschluss des Philokrates-Friedens ein günstiger Zeitpunkt kam, richtete er sein Sendschreiben, den Philippos, an den König, in dem er ihn aufforderte, die Griechen zu einigen und gegen die Perser zu führen.13 Das Programm war, obwohl ausführlich begründet, kurz: „Ich will Dir nämlich den Rat erteilen, die Führung in einem vereinigten Griechenland zu übernehmen und den Feldzug gegen die Barbaren anzuführen. Überredung ist gegenüber den Griechen von Vorteil, Zwang gegenüber den Persern von Nutzen. In groben Umrissen ist das der Inhalt meiner ganzen Schrift.“ 14 Der Philippos umfasste darüber hinaus noch weitere Punkte. So sollte Philipp in Kleinasien Städte gründen, dort die vielen Verbannten ansiedeln, die heimatlos durch Griechenland irrten, und schließlich auch die griechischen Städte an der kleinasiatischen Küste befreien.15 Es ist nicht auszumachen, wie weit die Denkschrift Philipp bestätigte oder erst anregte. An seinem Hof weilten griechische Dichter, Philosophen und Historiker. Sie warben allein durch ihre Anwesenheit für Philipp als Griechenfreund. Isokrates’ Denkschrift war weder bestellt noch bezahlt. Umso tiefer musste sie wirken, und sie tat dies nicht nur für Philipp, selbst für seinen Sohn Alexander war sie noch Programm. Den Griechen ein

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Wohltäter, den Makedonen ein König und den Barbaren ein Feind, das waren Schlagworte, die sich einprägten.16 Sie entfalteten sicherlich auch ihre Wirkung gegen die von Demosthenes immer wieder unternommenen Versuche, mit dem persischen Erbfeind, dem Großkönig, zu paktieren.

Thessalien und die Peloponnes Nach seiner Genesung fasste der König 344 eine Neuordnung Thessaliens ins Auge. Entsprechend den vier Landschaften Thessaliens setzte er ihm untergeordnete Tetrarchen („Vierfürsten“) ein. Demosthenes spricht von der Etablierung einer Dekadarchie, einer Zehnerherrschaft.17 Was das genau war, und ob nicht einfach eine Verschreibung vorliegt, ist umstritten. Auf jeden Fall baute Philipp damit seine Macht aus und verschaffte sich regelmäßige Einkünfte. Die Meinungen dazu waren in Athen gespalten. Während die einen, nämlich Demosthenes und die Philippgegner, die Unterdrückung freier Verfassungen und Städte anprangerten, sprachen die anderen von gerechten und für die Thessalier vorteilhaften Maßnahmen.18 Diodor weiß gar von der Vertreibung von Tyrannen.19 Auf jeden Fall hatte Philipp damit seine Herrschaft an den Grenzen im Norden und Süden stabilisiert. Was folgt, lässt sich als Atemholen nach einer langen Reihe von Kriegen oder als Pause vor der Umsetzung eines großen Planes, der nach Süden und Osten wies, deuten. In Athen ging es Demosthenes vornehmlich um die Bekämpfung des inneren Gegners, nach außen besaß er wenig Optionen. Im Spätsommer 344 reiste er als Gesandter Athens in die Peloponnes. Auch dorthin waren Philipps Emissäre bereits gekommen. Megalopolis, Argos, Messene fühlten sich weiterhin von Sparta bedroht und waren für finanzielle Hilfe dankbar. Söldner und Geldmittel versprach Philipp, Athen hatte nur patriotische Worte zu bieten. 20 Dem wurde gerne applaudiert, aber dabei blieb es. Demosthenes’ beliebte Warnung vor dem Schicksal der Olynthier, denen gegenüber Philipp sich erst großzügig zeigte und denen er fremdes Land schenkte, nur um sie am Schluss aus dem eigenen zu vertreiben, verfing nicht. 21 Er selbst gestand später den Misserfolg ein. Sonderlich überraschend sei es nicht, wenn die Messenier und einige Peloponnesier gegen ihre Überzeugung handelten, an der Freundschaft mit Philipp festhielten und an seine Versprechungen glaubten. 22

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Die zweite Philippika Im Spätherbst 344 hielt Demosthenes seine zweite Philippika, sieben Jahre nach der ersten und vier Jahre nach den Olynthischen Reden. Sie scheint keinen aktuellen Anlass zu haben, vielmehr wirkt es gerade so, als wollte Demosthenes sich eben genau deswegen wieder in Erinnerung bringen. Philipp war sein Feld, und seine außenpolitische Reputation war mit ihm verknüpft. Doch der Makedonenkönig hatte in letzter Zeit wenig getan, um Demosthenes’ Warnungen zu bestätigen. So kommt Demosthenes nochmals auf die Thermopylen und die Phoker zu sprechen, 23 obgleich Philipp weder im einen noch im anderen Fall viel vorzuwerfen war. Der Redner schlägt die Kriegstrommel, aber die Vorwürfe sind recht allgemein. Philipp trachte nicht nach Frieden, Ruhe und Recht, alle seine Pläne und sein ganzer Ehrgeiz richteten sich auf ein einziges Ziel, nämlich alles unter seine Herrschaft zu bringen. 24 Demosthenes schürt das Misstrauen gegen alle Formen der Alleinherrschaft, ob König oder Tyrann. Ein unaufhebbarer Gegensatz liege zwischen Demokratie – Demosthenes sagt wie schon Herodot in der berühmten Verfassungsdiskussion plêthos (Menge) – und der Tyrannis. Das Volk strebe nach Freiheit. Zu dieser aber stünden schon allein die Titel, die Philipp führe, ganz im Widerspruch. „Jeder König nämlich und jeder Tyrann ist ein geschworener Feind von Freiheit und Gesetz.“ 25 Das waren Gemeinplätze. Freiheit ist bei Demosthenes selten präzise definiert. Sie ist das, was Athen verteidigt und Philipp angreift. Athen ist das letzte Bollwerk der Freiheit, und damit sind Philipps Aktionen in letzter Konsequenz auch immer gegen Athen gerichtet. 26 Das ermüdet und hat in seiner Unbestimmtheit nicht die Kraft, die Demosthenes sonst in seinen Reden entwickeln kann. Freilich ist Philipp in der zweiten Philippika auch nur der Beelzebub, mit dem Demosthenes den Teufel austreiben will, und der heißt Aischines. 27 Er und seine Freunde seien die Verantwortlichen für den faulen Frieden, den das Volk – durch falsche Versprechungen verführt – geschlossen habe. Sie hätten die Phoker preisgegeben und damit zu verantworten, dass Philipp nun die Kontrolle über die Thermopylen ausübe und ihm der Zugang nach Attika und zur Peloponnes geöffnet sei. 28 Wie Demosthenes sich aus seiner Mitverantwortung für den Frieden entlässt, hat rednerisches Format. Mit großer Geste beschwört er den attischen Krieg, den Krieg, der jeden in Athen hart treffen werde, wenn er dorthin komme. Längst schon habe er begonnen, nämlich genau am ersten Tag des Friedens. 29

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Zweierlei Verhandlungen Athen konnte sich über das Verhältnis zu Philipp auch nach dem Friedensschluss nicht einigen, doch es scheint, dass sich die Waage seit 344 wieder zugunsten der Makedonengegner neigte. Die Athener sahen keinen der Vorteile, die sie sich von dem Frieden mit Philipp erhofft hatten, stattdessen fühlten sie sich offenbar eingekreist, seit der König auch auf der Peloponnes und in Euboia an Einfluss gewonnen hatte. Philipp war dies nicht entgangen, und im Frühjahr 343 sandte er eine Delegation nach Athen, um Verhandlungen zur Verbesserung des Friedens anzubieten. Er fühlte sich dazu wohl auch ermutigt, da Athen kurz vorher ein Ansuchen des Großkönigs um militärische Hilfe beim geplanten Ägyptenzug abgelehnt hatte, und dies mit Berufung auf die Allianz mit Makedonien. 30 Philipp ließ durch seine Gesandten erklären, es sei nicht zweckmäßig, den Frieden aufzukündigen. Wenn die Athener aber etwas daran verbessern wollten, was unpassend erscheine, werde er tun, was sie beschlössen.31 Neu verhandeln ließen sich aber nur Details, der König konnte den Frieden auf keinen Fall grundsätzlich revidieren. So war sein Angebot gewagt, und die athenischen Makedonengegner erkannten auch sehr schnell die Schwäche des Vorschlags. Sie brauchten nur ein einziges Wort zu verändern, um Philipp in eine schwierige Situation zu bringen. Im Vertrag war die Wahrung des gegenwärtigen Besitzstandes vereinbart: „Beide Seiten (sollten) besitzen, was sie (gegenwärtig) besitzen.“ 32 Die Athener machten nun daraus, beide Seiten (sollten) besitzen, was – nach dem Verständnis Athens – ihr Eigentum war, 33 und schickten eine Delegation zu Philipp, diese geänderte Formel in den Vertrag aufzunehmen. Vermutlich betrachtete die Mehrheit der Volksversammlung, welche die Gesandtschaft beschloss, diese Finesse der Philippgegner nur als Bagatelle. Für Philipp war sie das freilich nicht, denn die Änderung bedeutete, dass Athen auch Anspruch auf die Stadt Amphipolis erhob, die im Frieden von 346 noch Philipp zugestanden worden war. 34 Für Demosthenes war das eine Situation, aus der er nur profitieren konnte. Gab Philipp nach, war dies ein Erfolg seiner Politik der Härte, weigerte er sich, die neue Klausel zu akzeptieren, bestätigte er, wovor Demosthenes immer gewarnt hatte: Der König halte keine Versprechungen, alles, was er tue, richte sich gegen die Athener. Philipp reagierte, wie es seine Gegner vermutlich erwartet hatten. Er wies den Änderungsvorschlag brüsk zurück. Das war das Signal, Demosthenes konnte den Empörten spielen. Das Volk sammelte sich hinter ihm. Die Jagd auf die Vertreter des Friedens war eröffnet. Das erste Ziel war naheliegend der Mann, der dem Frieden den Namen gegeben hatte: Philokrates. Im Sommer erhob Hypereides eine eisaggelía-Klage gegen ihn. Es

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ging jetzt nicht mehr nur um die falschen Versprechungen, die Philokrates im Auftrag Philipps verbreitet haben soll. Nun wurde ihm vorgeworfen, von den Widersachern des Volkes Geld und Geschenke erhalten zu haben, um dieses schlecht zu beraten. Den Beweis sah Demosthenes in den Handels- und Baugeschäften, die Philokrates betrieb. Zweifelsfrei mussten es die Silberlinge Philipps sein, die ihm das ermöglichten. Die Öffentlichkeit war leicht zu überzeugen, die Stimmung richtete sich so sehr gegen Philokrates, dass er noch vor dem festgesetzten Termin aus Athen floh. Damit lieferte er auch den von Demosthenes nicht zu erbringenden Beweis. Das Volk verurteilte ihn in Abwesenheit zum Tode. 35 Aischines wusste, was auf ihn zukommen würde. Schon hatte Demosthenes erklärt, es könne nicht allein Philokrates bestochen worden sein, neun weitere Gesandte seien zu Philipp gereist. 36 Im Spätsommer 343 wurde dann der Prozess ausgetragen, der von Demosthenes schon drei Jahre vorher initiiert, dann aber zunächst durch die Gegenklage des Aischines gegen Timarchos ausgesetzt worden war. Wer für die weitere Verschleppung verantwortlich war, ist unklar. Nach der Flucht des Philokrates war sich Demosthenes jedenfalls sicher, ihn zu gewinnen. Er warf Aischines vor, dieser habe die für Athen so schädlichen Aktivitäten des Philokrates unterstützt, die Gesandtschaftsreise nach Pella zum Nutzen Philipps verzögert und sei überhaupt am Untergang der Phoker zumindest mitschuldig. 37 In der aufgeheizten Atmosphäre konnte Aischines nicht mehr politisch argumentieren. Zumindest wagte er es nicht und distanzierte sich von Philokrates. 38 Freilich erwiesen sich Demosthenes’ Beschuldigungen als unbeweisbar. Vielleicht konnte auch ein Teil der Richter die immer wieder vorgebrachten Bestechungsvorwürfe nicht mehr glauben. Aischines wurde freigesprochen.39 Das beweist, dass sich ein Teil des Volkes noch eine gewisse Urteilsfähigkeit bewahrt hatte. Eine Rolle spielte vielleicht auch, dass sich Eubulos und Phokion, zwei ungeachtet der antimakedonischen Grundstimmung immer noch hochgeachtete Männer, für Aischines einsetzten. 40 Allerdings fehlten Demosthenes nur 30 Stimmen (von 501 oder 1001 abgegebenen). Angesichts der völligen Haltlosigkeit seiner Vorwürfe war dies aber ein Erfolg. Hätte er auch noch Argumente gehabt, wäre ihm die übergroße Mehrheit sicher gewesen.

Auf Kriegskurs Neue und alte Verträge Nach dem Prozess zog sich Aischines aus der Politik zurück. Er wird drei Jahre schweigen. Die Klage, die er danach gegen Demosthenes vorbereitete, reichte er aber nicht mehr ein. Zu mächtig war dieser geworden, und je näher der Krieg mit Makedonien rückte, desto geschlossener standen dessen Anhänger hinter ihm. Die Finanzen kontrollierte weiterhin Eubulos, aber im Bereich der Außenpolitik galt inzwischen das Wort des Demosthenes. Das Volk vertraute seinem Rat, denn es war ihm gelungen, sich zum Experten zu stilisieren. Dabei ging unter, dass manche der negativen Reaktionen Philipps, die er so weitblickend vorausgesagt hatte, auch deswegen eingetroffen waren, weil er sie selbst provoziert hatte. Da Demosthenes den Krieg wollte und alle seine Aktivitäten in dessen Dienst stellte, fiel es ihm nicht schwer, schlüssig zu behaupten, auch Philipp wolle ihn. Vielleicht erstrebte das Volk auch wieder einen sichtbaren Feind, gegen den es sich einigen konnte; weder Perser noch Spartaner oder Thebaner waren für diese Rolle inzwischen tauglich. Insofern füllte Philipp auch eine Lücke aus. Nach Mantineia (362) waren die Verhältnisse unüberschaubar geworden. Wer Freund und Feind war, musste in einem komplizierten Mechanismus ständig neu überprüft werden. Nun hatten sich die Verhältnisse wieder vereinfacht, und sie hatten ein Gesicht, das Schrecken erzeugte: Philipp, der einäugige Barbar aus dem Norden der Ägäis. Jetzt, da der innere Gegner gelähmt war, unternahm Demosthenes auf der Suche nach Verbündeten große Gesandtschaftsreisen in all die Gegenden, die früher die Beamten des Ersten Attischen Seebundes bereist hatten, nach Thessalien und Thrakien, nach Ambrakia und Illyrien, ins ferne Byzanz und ins nahe Theben.1 Es war keine Privatinitiative, er hatte das Volk überredet, ihn dorthin zu entsenden. Demosthenes betrieb offene Kriegspolitik, aber sie hatte etwas, das athenischer Außenpolitik bis dahin mangelte, nämlich eine klare Linie. Im Sommer 343 hatte Philipp einen Vertrag mit dem Großkönig geschlossen. Die Modalitäten sind nicht bekannt, doch lief die Verabredung wohl darauf hinaus, dass Philipp sich nicht in Kleinasien, der Großkönig nicht in Griechenland einmischen sollte. Das verschaffte Philipp freie Hand für Griechenland, dem Großkönig für seine Ägyptenexpedition. 2 Einen Versuch, den makedonischen Einfluss bis nach Megara, also bis fast vor die Tore Athens vorzuschieben, hatten die Athener kurz vorher abge-

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wehrt. Die Megarer schlossen darauf mit ihnen ein Bündnis. Das war ein Erfolg, misslich für Demosthenes war, dass die Thebaner, die er noch in seine Koalition gegen Philipp aufnehmen wollte, dabei mit diesem paktiert hatten. 3 Inzwischen wurde auch der griechische Westen, der bisher zumindest auf Athener Seite kaum Beachtung gefunden hatte, in die Auseinandersetzung hineingezogen. Nach Epirus hatte Philipp verwandtschaftliche Beziehungen, seine Frau Olympias stammte von dort. Als es zu einem Thronwechsel kam, intervenierte Philipp und verstand es, Alexander, den Bruder der Olympias, als neuen König zu installieren. 4 Das sicherte die westliche Flanke Thessaliens, öffnete Häfen zum Ionischen Meer und stellte einen ganz neuen Zugang zur Peloponnes in Aussicht. Die Athener waren nun jedenfalls alarmiert, und Demosthenes gab sich alle Mühe, sie ständig in diesem Zustand zu halten. Der Redner reiste selbst mit einer Gesandtschaft nach Ambrakia, im Süden von Epirus gelegen, Truppen wurden entsandt. Die Aufregung war freilich größer als die Gefahr. Demosthenes rühmt sich, Philipps Vormarsch vor Ambrakia zum Stehen gebracht zu haben. Es gibt aber gar keinen Hinweis, dass dieser 342 auch dorthin ziehen wollte. 5 Philipps Aufgabenfeld lag im nördlichen Epirus. Im übrigen aber war Demosthenes in seiner diplomatischen Mission erfolgreich, die ihn auch noch auf die Peloponnes geführt hatte. Es wurden Verträge mit Achaia, Arkadien, Argos, Megalopolis und Messenien geschlossen, ein Bündnis mit Ambrakia liegt nahe, dasjenige mit Korinth ist umstritten. 6 Das alles dämmte den Einfluss Philipps ein, militärisch war es aber ohne Bedeutung, da niemand – die Messenier vielleicht ausgenommen – zur Hilfeleistung im Kriegsfall verpflichtet war. Freilich lagen Philipps Ziele zu diesem Zeitpunkt schwerlich auf der Peloponnes. Er bereitete einen Feldzug gegen das östliche Thrakien vor – und dahinter lag nur noch das persische Reich. Es ist – jedenfalls ex eventu – offensichtlich, dass er nach Kleinasien zielte. Voraussetzung dafür war aber, dass in Griechenland keine neuen Kriege drohten. Er besaß also weiterhin Interesse an Athen und dazu an einem allgemeinen griechischen Frieden, einer koinè eiréne, in der auch allen Griechen Freiheit und Unabhängigkeit garantiert wurde, die nicht in dem zwischen Athen und Philipp sowie den jeweiligen Verbündeten ausgehandelten Frieden eingeschlossen waren. Philipp erklärte sich bereit, im Streit um die von ihm zu Unrecht besetzten Plätze ein Schiedsgericht zuzulassen, er wollte ein gemeinsames Vorgehen und einen Handelsvertrag, schließlich erbot er sich noch, den Athenern die Insel Halonnesos zu übergeben.7 Dies war eine letzte Chance für Athen, den drohenden Krieg zu verhindern und einen angemessenen Platz in einer Welt zu finden, die sich mit dem Aufstieg Makedoniens neu ord-

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nete. Die Befürworter des Ausgleichs in Athen setzten sich auch sofort für die Vorschläge Philipps ein, doch sie waren in der Minderheit. Die Gegner mussten sich gar nicht erst um ernsthafte Argumente bemühen. Hegesippos hielt in Abstimmung mit Demosthenes die Rede, die Philipps Angebot zurückwies. „Alle Athener, die, obwohl sie Athener sind, ihr Wohlwollen Philipp und nicht ihrer Heimatstadt schenken, verdienen es als Übeltäter, die sie sind, durch euch schmählich zugrunde zu gehen, wenn ihr denn euer Gehirn zwischen euren Schläfen habt und nicht zertreten von euren Fersen.“ 8 Die Makedonengegner waren sich einig: Der König könne den Athenern die Insel gar nicht geben (didónai), er könne sie ihnen allenfalls zurückgeben (apodidónai). Das war, wie Aischines Demosthenes vorwarf, nichts als Wortklauberei9, und die attische Komödie hat sich über die „Haarspalterei mit Silben“ entsprechend lustig gemacht. 10 Für Philipp war klar, er würde, was er tun wollte, dann eben ohne die Athener tun.

Die Mission des Diopeithes Der Schauplatz der nächsten Ereignisse war wieder der Norden, nämlich Ostthrakien, die Chersones und der Hellespont. Hier berührten sich die Interessen Philipps und Athens stärker als in Mittelgriechenland. Seit dem 6. Jahrhundert siedelten dort Athener Kolonisten. Die Zufahrt zum Schwarzen Meer war für die Versorgung der Stadt von höchster Bedeutung. Wer die Küste kontrollierte, kontrollierte auch die Schifffahrt. Nachdem er schon 346/45 viele Städte der thrakischen Küste in seine Hand gebracht hatte, begann Philipp im Sommer 342 die planmäßige Eroberung jenseits des Flusses Nestos und konnte sie – mit einigen Schwierigkeiten – ein Jahr später abschließen.11 Die Athener blieben nicht müßig. Sie entsandten den Strategen Diopeithes zur thrakischen Chersones und hielten damit – ohne dies zu sagen – Kriegskurs. Neue Siedler sollten dort die athenischen Positionen sichern. Diopeithes hatte aber noch einen anderen Auftrag, von dem nicht so laut gesprochen wurde. Er sollte eine Art zweiter Front gegen den mit den Thrakern kämpfenden Philipp eröffnen, Philipps Aktivitäten stören und – wo es ihm möglich war – die Makedonen schädigen.12 Das war Teil einer Absprache mit Demosthenes und den Makedonengegnern. Einen offiziellen Auftrag der Volksversammlung gab es dafür nicht, Demosthenes führte seine Kriegspolitik teilweise auch an ihr vorbei. Größere finanzielle Mittel wurden für das Unternehmen nicht bereitgestellt. Offenbar wurde erwartet, dass Diopeithes sich und seine Truppen gleichsam selbst versorgte. Demosthenes beklagte, dass der Stratege, da

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Abb. 14: Griechenland, Makedonien und Thrakien





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die Athener ihm keinen Sold zahlten, das, was er brauchte, auf irgendeine Weise „zusammensammeln, erbetteln und borgen“ müsse. 13 Letztlich lief das aber auf etwas heraus, das nach heutigen Vorstellungen mit dem Begriff Terrorismus beschrieben werden kann. Diopeithes brandschatzte Städte, plünderte Inseln, kaperte Handelsschiffe und erpresste Schutzgelder. Gegen Zahlung einer bestimmten Summe verpflichtete er sich, die Schiffe vor (anderen) Piraten zu schützen.14 Das Geschäft war so einträglich, dass Diopeithes eigene Söldner anwerben konnte. Er fiel sogar in makedonisches Gebiet ein, zog sich aber wieder zurück, bevor es zu größeren Kämpfen kam. Philipp reagierte schließlich mit einer Protestnote an Athen. Es ging darin auch um die Stadt Kardia, die – obwohl mit Makedonien verbündet – Ziel athenischer Angriffe war. Das war etwa im April/Mai des Jahres 341. Die Vorwürfe wogen schwer, weil Diopeithes’ Erpressungen sich auch gegen Griechen richtete, sein Einfall in makedonisches Gebiet ein offenkundiger Bruch des Friedens war und er obendrein noch grob das Gesandtschaftsrecht verletzte.15 Das löste eine Debatte in der Volksversammlung aus. Noch ließ sich Schlimmeres verhindern, Philipp hatte ein Schiedsgericht für die strittigen Fragen angeboten. Als Demosthenes im Frühjahr 341 in der Ekklesia sprach, hatte er keinen einfachen Stand. Philipps diplomatische Intervention hatte ihre Berechtigung, und sie war angesichts der Vertragsverletzungen des Diopeithes noch moderat. Wer die Lage richtig einschätzte, wusste, dass dessen Tätigkeit die Kriegsgefahr eskalieren ließ. Die Befürworter des Friedens forderten daher seine sofortige Ablösung. Für Demosthenes kam das nicht in Frage. Die Umtriebe des Diopeithes waren freilich zu offenkundig, als dass er sie als rechtmäßig erscheinen lassen konnte. So beschränkt er sich auf das Kinderargument, Philipp täte all dies auch, und zwar als Erster. Das verfing, weil Demosthenes’ Rhetorik auf Patriotismus setzte. „Wenn aber Philipp trotz unseres Friedensschwures … von Anfang an, noch ehe Diopeithes und die Kleruchen in See gestochen waren, … in unrechter Weise viele unserer Besitzungen an sich gerissen hat …, und wenn er die ganze Zeit unablässig das Eigentum der übrigen Griechen und Barbaren in seine Gewalt bringt und gegen uns rüstet, was soll denn dann die Äußerung dieser Leute, dass es nur Krieg oder die Wahrung des Friedens gibt? Ja, es besteht für uns keine Wahl, sondern es bleibt nur die ganz gerechte und völlig unumgängliche Maßnahme, die diese Leute absichtlich übergehen. Und welche ist das? Sich gegen den zur Wehr zu setzen, der gegen uns einen Krieg anfängt. Es sei denn, sie sagen, bei Zeus, dass Philipp, wenn er sich von Attika und dem Piräus fernhält, der Stadt kein Unrecht zufügt und keinen Krieg beginnt.“ 16 Demosthenes rief dazu auf, Athen in Thrakien zu verteidigen. Zweifel-

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los war es für Athen besser, einen Krieg fern von Attika zu führen, denn der athenischen Flotte hatte Philipp für den Moment nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen. Freilich waren die Bürger für einen auswärtigen Krieg schwerer zu motivieren. Demosthenes wusste jedoch, wo er ansetzen musste. Er kannte den Stolz seiner Hörer auf das eigene politische System und machte dessen Verteidigung zur Ehrensache. Dazu kam eine Freiheitsrhetorik, die dem attischen Bürger das Gefühl vermitteln sollte, er kämpfe für die Autonomie aller griechischen Städte: „Denn Philipp weiß genau, dass ihm, auch wenn er über alle anderen Völker die Macht hätte, noch keine Sicherheit gegeben wäre, solange bei euch die Demokratie besteht. … Eurem Wesen entspricht es nämlich nicht, euch zu bereichern und eine Zwangsherrschaft zu führen, aber ihr seid imstande, sie einem anderen zu entreißen …, und überhaupt seid ihr bereit, den Herrschsüchtigen Widerstand zu leisten und allen Menschen zur Freiheit zu verhelfen. Daher will Philipp nicht, dass eure Freiheit seine Interessen beeinträchtigt … Als erstes müsst ihr ihn als unversöhnlichen Feind unseres freiheitlichen Staates und unserer Demokratie ansehen …“ 17 Denjenigen, die nicht so ganz glauben wollten, dass es Philipp allein um den Sturz der Demokratie zu tun war, lieferte Demosthenes – und dies mit ungewohnter Ironie – handfestere Motive für die makedonische Aggression: „Denn keiner von euch ist doch so naiv, anzunehmen, Philipp strebe nach dem Besitz der thrakischen Nester … und er nehme, um diese in seine Gewalt zu bekommen, Strapazen, Winterstürme und die größten Gefahren auf sich, er habe es aber nicht auf den Besitz der Häfen von Athen, der Werften, Kriegsschiffe, Silbergruben und ähnlicher reicher Einnahmequellen abgesehen; vielmehr das lasse er in eurem Besitz, sondern kampiere um den Preis der Hirse und des Getreides in den thrakischen Korngruben zur Winterzeit in den Löchern.“ 18 Über rationale Erwägungen hinaus treibt Demosthenes Ende der vierziger Jahre der Hass auf Philipp. Der Vernichtungswille, den er ihm unterstellt, wurde spätestens 338 als Erfindung entlarvt, aber er erfüllte seinen Zweck in einer Agitation, die sich auch immer stärker gegen die innere Opposition richtete: „Denn Philipp will die Stadt nicht in seine Gewalt bringen, vielmehr sie völlig vernichten. Er weiß nämlich, dass ihr weder in Knechtschaft werdet leben wollen, noch, wenn ihr es wolltet, euch einer Herrschaft unterwerfen könntet, denn ihr seid gewöhnt zu herrschen … Es muss euch also bewusst sein, dass der Kampf auf Biegen und Brechen geht, und ihr müsst diejenigen, die sich Philipp verkauft haben, mit eurem Hass verfolgen und zu Tode prügeln; denn es ist euch unmöglich, ja unmöglich, über die äußeren Feinde der Stadt Herr zu werden, bevor ihr nicht die in der Stadt selbst im Zaum haltet.“ 19

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Die dritte Philippika Die Jahre von 343 bis 338 sind die Jahre des Demosthenes. 341 stieg seine Popularität auf einen Höhepunkt. Seine verbalen Kampagnen gegen Philipp stifteten Identität, die nichts kostete. Die Athener schickten Truppen aus, ohne dass ein Bürger ins Feld rücken musste. Im Falle des Diopeithes zahlten sie, wie gesehen, nicht einmal Sold: Der Krieg, den dieser mit angeworbenen Söldnern führte, ernährte sich selbst. Demosthenes wusste freilich, dass hier die Grenze zur Illegalität überschritten worden war, und vor allem wusste er, dass ein solches Söldnerunternehmen ein Provisorium war. Um den (noch nicht erklärten) Krieg zu gewinnen, bedurfte es des Einsatzes der Bürger, und es bedurfte der Kriegssteuern. Fürs erste galt freilich noch der 346 beschworene Frieden, und es ist gut möglich, dass sich die Athener von Demosthenes auf einen Krieg einschwören ließen, weil sie ihn für weit entfernt hielten – zeitlich wie räumlich. In der Kriegsagitation ging unter, dass Philipp trotz der Vertragsverletzungen zu einer Einigung bereit war. Sein vorrangiges Interesse lag nicht in Zentralgriechenland. Selbst Demosthenes mag dies gesehen haben. Dass er durchaus Sinn für Realitäten hatte, zeigte sich nach der Niederlage. Doch bis dahin blieb er ein Gefangener seiner selbst – und des demokratischen Systems, das ihn an seine „Klientel“ band. Demosthenes verdankte die Autorität der Stunde dem Demos, den er mit seinen antiphilippischen Tiraden überzeugte. Ein Wechsel der Ansichten stellte seine mühsam erworbene Kompetenz in Frage und konnte ihn das auf ihr beruhende Ansehen kosten. Damit drohte ein Absturz in die Reihe der zweit- und drittklassigen Politiker. Auf eine gewisse Weise hatte Demosthenes seine politische Karriere an die Person Philipps gebunden. So wich er von diesem Weg nicht ab, und der führte ihn zunächst auf bis vor kurzem noch nicht geahnte Höhen. Reden wie die dritte Philippika vom Sommer 341 sind es, die seinen kurzen Ruhm zu Lebzeiten und seinen langen danach begründeten. Modernen Lesern erschließt sich, wie gesagt, die Kunst des Demosthenes nicht sogleich. Zum einen ist viel der Brillanz des Vortrages geschuldet. Gestik und Mimik beeindruckten die Massen, 20 es ist seine deinótes, die Gewalt seiner Rede, die Demosthenes berühmt gemacht hat. Er beherrschte die Volksversammlung, und in der dritten Philippika ist er seiner Sache so sicher, dass die Angriffe auf die Opposition wie nebenbei erfolgen. Das größere Problem ist für ihn die Passivität der Athener: „Doch ich sehe, dass alle Menschen – und ihr voran – Philipp etwas zugestanden haben, was jedesmal bisher Anlass zum Krieg unter Griechen war. Und was ist das? Dass er tun kann, was er will, so einen nach dem anderen unter den Griechen ausraubt und ausplündert und im Angriff die freien Städte unterjocht … Wir sehen zu, wie dieser Mensch immer mächtiger wird, ein jeder

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nur darauf bedacht, die Zeit als Gewinn zu betrachten, in der ein anderer zugrunde geht, ohne dabei einen Gedanken an die Rettung Griechenlands zu verlieren oder etwas dafür zu tun.“ 21 Und an die Adresse aller Griechen gerichtet: „Doch obwohl die Griechen (die Umtriebe Philipps sehen), lassen sie es geschehen, und zwar ebenso, wie sie – so scheint mir – den Hagel betrachten; jeder für sich betet darum, dass er ihm selbst nichts antut, niemand aber unternimmt etwas dagegen.“ Demosthenes geht weit in die griechische Geschichte zurück, 22 um die Gefahr, die von Philipp ausging, als die größte erscheinen zu lassen, von der Hellas je bedroht war. Selbst eigene, das heißt athenische (und spartanische) Sünden ist er bereit einzuräumen, nur um diejenigen Philipps größer erscheinen zu lassen: Was Spartaner und Athener in hundert Jahren angerichtet hätten, sei weit geringer als das Unrecht, das Philipp in den nicht ganz dreizehn Jahren, in denen er an der Macht sei, den Griechen zugefügt habe, ja nicht einmal ein Bruchteil davon: „Olynth, Methone, Apollonia und die 32 thrakischen Städte übergehe ich, die er alle in unmenschlicher Weise zerstört hat, so dass der Besucher nur schwer zu sagen vermag, ob dort jemals Siedlungen gestanden haben; auch über die Vernichtung eines so bedeutenden Volkes wie der Phoker schweige ich. Doch wie sieht es mit den Thessaliern aus? Hat er ihnen nicht ihre freien Städte genommen und Tetrarchien eingerichtet … ? Stehen nicht bereits die Städte auf Euboia unter der Tyrannenherrschaft, und das auf einer Insel in der Nähe von Theben und Athen? … Er dringt zum Hellespont vor, schon vorher marschierte er in Ambrakia ein, in der Peloponnes hat er eine so bedeutende Stadt wie Elis in seiner Hand, und vor kurzem hat er Megara bedroht; weder Hellas noch das Barbarenland ist für das Machtstreben dieses Menschen groß genug.“ 23 In kühner Steigerung wird Philipp, dessen griechische Abstammung selbst das Haupt der Platonischen Akademie, der Philosoph Speusipp, in einem Denkschreiben bestätigte, 24 zum barbarus barbarorum: „Er ist nicht nur kein Grieche, noch hat er mit den Griechen etwas zu tun, er ist nicht einmal ein Barbar, der aus einem Land kommt, das sich mit Ehren nennen lässt, er ist ein Schurke aus Makedonien, von wo früher nicht einmal ein brauchbarer Sklave zu beziehen war.“ 25 Auffällig ist, wie Demosthenes, der früher wechselweise gegen Sparta oder Theben sprach, jetzt wieder zum Panhellenen wird, dem nichts heiliger ist als das Wohl von Hellas. Nun gilt es nach seiner Meinung, „über die Lage aller Griechen zu beraten, die in großer Gefahr sind“. 26 Sein erstes Ziel war es 341, das große Bündnis gegen Philipp zu knüpfen, die Griechen oder zumindest einen Teil von ihnen gegen Philipp zu einigen.

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Die persische Karte Wenig später hielt Demosthenes seine vierte Philippika. Sie weist starke Bezüge zu früheren Reden auf, aus der Chersonesos-Rede sind sogar ganze Teile wörtlich übernommen worden.27 Dies ließ die Vermutung aufkommen, sie sei eine Fälschung oder eine spätere Nachahmung. Die Themen des Demosthenes blieben aber wie die Gefahr, vor der er nun seit sieben Jahren ununterbrochen warnte, gleich, und so spricht nichts gegen die Echtheit. Eine Rede stilistisch so sorgfältig auszuarbeiten, wie es Demosthenes tat, erforderte Zeit und so bediente sich dieser auch immer wieder bei sich selbst. Auf die Idee, dies ein (Selbst)plagiat zu nennen, kam niemand. Allenfalls lässt sich vorstellen, dass die vierte Philippika keine Rede war, die er vor der Volksversammlung hielt, sondern eine Flugschrift, die in Athen und darüber hinaus verbreitet war. Vielleicht war sie aber auch beides. Unverkennbar enthält die vierte Philippika die ganze Welt, wie Demosthenes sie sah. Durch diese Welt geht ein Riss, und der teilt die Menschen in gute und böse: „Darum also haben sich die Menschen in den Städten in zwei Parteien gespalten. Die einen lehnen es ab, über jemanden eine Gewaltherrschaft auszuüben oder unter dem Joch eines anderen zu stehen, sondern wollen in Freiheit und nach den Gesetzen gemäß dem Gleichheitsprinzip ihr politisches Leben bestimmen; die anderen streben nach der Herrschaft über die Bürger und sind zu einer Abhängigkeit von einem anderen bereit, mit dessen Hilfe sie glauben, einmal ihre Ziele durchsetzen zu können; Leute, die auf Philipps Seite stehen und die nach Tyrannis und Gewaltherrschaft streben, haben überall die Oberhand gewonnen, und ich weiß nicht, ob unter allen Städten außer der unseren noch eine vorhanden ist, die fest demokratisch geführt wird.“ 28 Philipp bleibt der ewige Feind, „der nicht aufhören wird, allen Menschen Unrecht zuzufügen und alles unter seine Macht zu bringen“. 29 Es folgt das große „Wenn nicht“, und verkörpert ist dies in Demosthenes selbst. Die vierte Philippika zeigt Demosthenes von neuer Hoffnung beseelt. Sie richtete sich wieder verstärkt auf den Großkönig. Der Redner war sich sicher, dass dessen Bündnis mit Philipp nur von begrenzter Dauer war. Wahrscheinlich gab es bereits Pläne Philipps, nach Kleinasien vorzustoßen, unklar ist, ob Demosthenes davon wusste. Bis Persien waren sie jedoch nicht gedrungen, doch allein Philipps Eroberungen an Hellespont und Propontis mussten die kleinasiatischen Satrapen alarmieren und den Großkönig beunruhigen. Im Februar 343 war Demosthenes noch mit dem Versuch einer Annäherung an den Großkönig gescheitert, die persische Delegation wurde zurückgewiesen. Inzwischen hatte sich das innere Kräfteverhältnis verändert, Demosthenes konnte eine Gesandtschaft an den Großkönig vorbereiten, die Volksversammlung würde ihr zustimmen. Er

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macht in der vierten Philippika bereits Anspielungen, lässt durchblicken, dass er mehr weiß, als allgemein bekannt ist. 30 Das makedonisch-persische Verhältnis wird sich verschlechtern: Der Mann, der alles vorbereitet und auch gewusst habe, was Philipp gegen den Großkönig plante, sei gefasst, lässt er die Athener im Ungewissen. Demosthenes sprach, ohne ihn namentlich zu nennen, von Hermeias, dem Herrscher von Atarneus, einer Stadt an der kleinasiatischen Küste gegenüber der Insel Lesbos. Hermeias war philosophisch interessiert, Aristoteteles weilte mehrere Jahre an seinem Hof, bevor er 342 nach Pella ging, um dort als Erzieher des Prinzen Alexander zu wirken. In diese Zeit fällt auch die Kontaktaufnahme des Hermeias mit Philipp. Um die Absprachen ranken sich Gerüchte, die insbesondere Nahrung fanden, als Hermeias vom Großkönig verhaftet und hingerichtet wurde. 31 Demosthenes versprach sich jedenfalls von der Entlarvung des Hermeias den Bruch des Großkönigs mit Philipp, doch darin wurde er enttäuscht, als im Herbst 341 eine athenische Delegation zu Artaxerxes reiste. Ein Vertrag mit Athen kam nicht zustande; noch galt das Bündnis mit Philipp, das der Großkönig öffentlich nicht brechen wollte. Unter der Hand sandte er freilich Gelder, wie er es immer schon getan hatte, wenn er persischen Einfluss geltend machen wollte. Das Geld floss allerdings nicht in öffentliche Kassen, sondern in private. Makedonengegner wie Hypereides und Demosthenes waren die Nutznießer dieser Art von Diplomatie. Die Überlieferung will wissen, dass beide davon Erkleckliches für sich selbst abgezweigt haben. Das sind die üblichen Korruptionsvorwürfe, denen nicht geglaubt werden muss. Mögen sie eigene Spesenrechnungen aufgestellt haben, das Gros der Gelder wurde sicherlich für Aktivitäten ausgegeben, die sich gegen Philipp richteten. Wichtiger ist aber anderes: Die selbsternannten Verteidiger von Demokratie und Freiheit verstießen damit wieder gegen elementare Prinzipien der Staatsform, die sie eigentlich schützen wollten, indem sie am Volk vorbei ihre eigene Politik nach eigenem Ermessen betrieben. Das war eine größere Bedrohung der Demokratie als sie Philipp damals darstellte. 32 Doch Demosthenes trieb vermutlich das um, was auch Cicero in seinem Konsulatsjahr 63 bewegte, als er die Verschwörung des Catilina niederschlug, die er – eine weitere Parallele zu Demosthenes – erst provoziert hatte: Er fühlte sich als der Retter der Vaterstadt. Er hielt die Fäden in der Hand und er stellte die Anträge, die das Volk annahm.

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Der Hellenische Bund Das Ziel eines großen Bündnisses vor Augen und im Bemühen, alle Kräfte zu bündeln, sprang Demosthenes auch über Schatten, die sich bisher als unüberwindbar für attische Politiker erwiesen hatten. Er überzeugte die Volksversammlung, neue Verbündete gleichberechtigt zu behandeln. Mit den wichtigen Städten Chalkis und Eretria auf der Insel Euboia, die Philipp angeblich zu einem „Bollwerk“ gegen Athen hatte ausbauen wollen, 33 wurden Verträge mit gegenseitiger militärischer Hilfeleistung abgeschlossen, ohne dass diese sy´mmachoi wie früher Beiträge bezahlen oder zu Sitzungen nach Athen kommen mussten.34 Im Herbst 341 gingen Delegationen nicht nur nach Persien, sondern auch nach Byzanz, Chios und Rhodos. 35 Bündnisse wurden keine geschlossen; doch versicherten sich beide Seiten jeweils des gegenseitigen Wohlwollens. Es herrschte jedenfalls in Athen der Eindruck von Zielstrebigkeit, und tatsächlich konnten die Makedonengegner im Frühjahr 340 auch Ergebnisse vorweisen. In Athen gründete sich der Hellenische Bund, zweifellos ein Erfolg der Bemühungen des Demosthenes. Allein schon der Name erinnerte an das große Bündnis, das 481 die Griechen (besser: ein Teil von ihnen) gegen die Perser geschlossen hatten. Am 16. Anthesterion (Februar/März) versammelten sich die Verbündeten, so Akarnanien, Euboia, Korinth, Leukas, Kerkyra, Lokris, Megara und Achaia in Athen und besiegelten den Pakt, der gegenseitige Hilfeleistung im Fall eines makedonischen Angriffs vorsah. Einige der Verbündeten sollten Truppen stellen, andere zahlten in eine gemeinsame Kasse, um daraus Söldner anwerben zu können. Die Bundesversammlung, das Synhédrion, trat in Athen zusammen, und der Stadt kam auch die Führung zu. 36 Alle diese Punkte, vor allem die freiwilligen finanziellen Leistungen, die sich immerhin auf mindestens 100 Talente beliefen, zeigen, wie überzeugend die Argumentation des Demosthenes gewesen sein muss. Da kann die Verleihung eines goldenen Kranzes, den ihm die Bürger im Frühjahr 340 zusprachen, nicht überraschen. Demosthenes hatte den Zenit seiner politischen Karriere erreicht, als diese ´Ehre im Theater an den Dionysien vor Beginn der Tragödienaufführungen verkündet wurde. 37

Chaironeia Der Überfall Mit der Entscheidung für Demosthenes und seine Politik hatten die Athener den Krieg gewählt. Im Frühjahr 340 wussten alle Seiten, dass er kommen würde. Philipp kam er ungelegen. Seine Ziele lagen, wie gesagt, im Augenblick nicht in Griechenland, sondern offenbar östlich des Hellespont. Dazu hatte sicherlich auch der Philippos des Isokrates beigetragen. Der persische Krieg war propagandistisch schon vorbereitet, bevor Philipp ihn auch erklären konnte. Wer den Hellespont überqueren wollte, musste seine Küsten beherrschen. Zwischen dem makedonisch kontrollierten Gebiet und dem Meer lagen zwei große Städte, Perinth und Byzanz. Noch im Frühjahr 340 begann Philipp, Perinth zu belagern. Vermutlich wollte er zunächst die vermeintlich schwächere der beiden Poleis ausschalten. Das erforderte große Truppenbewegungen, Erfolg stellte sich aber zunächst nicht ein. Perinth wurde von Byzanz unterstützt, und da die östliche Stoßrichtung Philipps mittlerweile auch am Hofe des Großkönigs bekannt war – die Athener werden mit ihrer Gesandtschaft vom vergangenen Herbst sicherlich vor dieser Gefahr gewarnt haben –, unterstützten auch die kleinasiatischen Satrapen, zweifellos auf Geheiß des Großkönigs, Perinth mit Geld und Söldnern.1 Philipp konnte zunächst nur von Land aus operieren, es brauchte Zeit, die Flotte heranzuführen, die im übrigen noch zu schwach war, um sich tatsächlich für Seekämpfe zu eignen. Philipp erschöpfte seine Kräfte und kam dennoch wenig voran. Zudem konnte die Verletzung athenischen Gebietsbesitzes in der Chersones auch Athen zu einer schnellen militärischen Einmischung veranlassen, zumal die Stadt mit dem Strategen Chares einen erfahrenen Kommandeur zum Hellespont geschickt hatte. Philipp beeilte sich daher, einen Brief nach Athen zu senden, in dem er diesen Vertragsbruch mit militärischen Notwendigkeiten entschuldigte und Athen seinerseits eine Reihe von Verletzungen des Friedens vorwarf. 2 Das Ganze ähnelte der Diopeithes-Affäre, allerdings mit umgekehrten Vorzeichen. Athen verhielt sich zunächst ruhig; vermutlich war es schwer, wegen dieser vergleichsweise geringen Sache die Bundesgenossen zu aktivieren. Perinth, das nun von der Landseite eingeschlossen war, verteidigte sich auch ohne athenische Hilfe, so dass Philipp im Herbst die Belagerung von Byzanz eröffnete, ohne die von Perinth abgeschlossen zu haben. Das schadete seinem militärischen Ruf, und vielleicht ist das einer der Gründe, wa-

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rum er jetzt eine Eskalation der Ereignisse provozierte. Vielleicht hatte er die Hoffnung aufgegeben, sich noch mit Athen zu einigen. Die Stadt hatte einen Verteidigungsbund organisiert, sie suchte die Verbindung mit Persien und wurde – zumindest in der Person einzelner Redner – von dort finanziell unterstützt. Der Übergang nach Asien wäre somit eine Halbherzigkeit gewesen, solange Philipp einen starken Feind im Rücken zurückließ, ein Zweifrontenkrieg hätte gedroht. So macht er mit einer einzigen Aktion, die ein bisschen an Pearl Harbor erinnerte, aus dem faulen Frieden einen offenen Krieg. Jeden Herbst versammelten sich die athenischen Schiffe, die mit Getreide und anderen Waren aus dem Schwarzen Meer kamen, im Hellespont, um von dort im geschützten Geleitzug zum Piräus zu fahren. Philipp und seine Armee waren in der Nähe, und so ist unklar, warum sich die athenischen Kapitäne nicht vorsahen, Abb. 15: Der Löwe von Chaironeia der Stratege Chares sogar den Schauplatz verlassen hatte, um sich mit persischen Satrapen zu unterreden. So gelang es Philipp mit einem Überraschungscoup nicht weniger als 230 Schiffe aufzubringen. Aus dem Verkauf der Ladung erzielte er – dem Historiker Theopomp zufolge, der sich am makedonischen Königshof aufhielt – einen Erlös von rund 700 Talenten. 3 Die meisten der gekaperten Schiffe endeten als Belagerungstürme vor Byzanz. In Athen war die Empörung groß. Zur Schmach des erlittenen Unrechts trat der wirtschaftliche Schaden. Letzterer war es auch, der eine sofortige Kriegserklärung verhinderte. Zunächst wurde die Rückgabe der Schiffe gefordert. Erst als Philipp das verweigerte, stellte Demosthenes in der Volksversammlung den Antrag, Philipp den Krieg zu erklären. Es war etwa Mitte September/Anfang Oktober 340, als die steinerne Stele mit dem Text des Friedensvertrages zum Zeichen des Krieges umgestürzt wurde. Schiffe sollten bereitgestellt, bemannt und alles zum Krieg Dienliche in Angriff genommen werden.4

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Rüstungen Die Kriegserklärung war diesmal keine Pro-forma-Angelegenheit. Athen unterstützte nun direkt das von Philipp bedrohte Byzanz. Chares sicherte mit seiner Flotte die Zufahrt, die makedonischen Schiffe mussten ins Schwarze Meer ausweichen. Von der Seeseite hatte Philipp keine Unterstützung zu erwarten. So zog sich die Belagerung hin, obwohl die neuesten Erfindungen der Poliorketik eingesetzt wurden. Noch im Spätherbst entsandte Athen zudem eine zweite Flotte unter dem Kommando des Phokion. 5 Im Gegensatz zu Chares besaß er das Vertrauen der Byzantiner und konnte die Verteidigung noch effektiver gestalten. 6 Für Demosthenes hing viel von einem athenischen Erfolg in der Anfangsphase des Krieges ab, und so hatte er, um ein Beispiel zu setzen, auch selbst auf eigene Kosten eine Triere ausgerüstet. Er war zum Beauftragten für die Flotte, zum epistátes toû nautikoû, gewählt worden7 und vermochte in dieser Eigenschaft auch (bescheidenen) militärischen Einfluss auszuüben. Das Volk, und das hieß nicht nur die Mehrheit in der Volksversammlung, sondern auch die unter den Nomotheten, vertraute ihm, und das ermöglichte ihm, sogar umstrittene Gesetze zu beantragen. Die Trierarchie wurde neu geordnet, die Kosten, die als Vorauszahlung zu leisten waren, wurden nun gleichmäßiger verteilt. Da die Beträge proportional zum Vermögen zu leisten waren, wurden die 300 Reichsten zugunsten anderer stärker belastet. Wer aus seinem Vermögen nicht alleine eine Triere ausrüsten konnte, musste sich diese Pflicht mit einem anderen oder mehreren anderen teilen; wessen Vermögen größer war, musste auch noch zu einer zweiten Triere beisteuern.8 Der Antrag war mutig, denn Demosthenes machte sich damit – das war freilich nicht neu – die Reichsten zum Feind. Die Klagen über das Gesetz „über die 300“, wie es Aischines nennt, waren jedenfalls groß, und es ist möglich, dass es nach Chaironeia wieder teilweise zurückgenommen wurde. Indes, dass es Demosthenes 340 gelang, seine Reform zu verwirklichen, offenbart seine machtvolle Position, die noch stärker dadurch wurde, dass er sich des Wohlwollens des „Mittelstandes“, der damit von Zahlungen entlastet wurde, sicher sein konnte. Schon im Sommer 341 hatte Demosthenes mit Befriedigung konstatieren können, dass die Staatseinkünfte von 130 auf 400 Talente gestiegen waren, auch wenn das nicht sein Verdienst, sondern das seines zumindest zeitweiligen Gegners Eubulos war. 9 Unter dem Archon Lysimachides (339/ 38) konnte Demosthenes schließlich durchsetzen, was er schon lange anstrebte. Auf seinen Antrag hin beschloss die Volksversammlung, die Überschüsse im Haushalt in den Militärfonds (Stratiotika) zu überweisen.10 Das Volk verzichtete aus freien Stücken auf die Auszahlung der „Schaugelder“.

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Einen größeren Beweis für die Überzeugungskraft des Demosthenes konnte es in der Athener Demokratie nicht geben.11

Der Krieg aus Delphi Im Frühjahr 339 brach Philipp die Belagerung von Byzanz ab. Auch Perinth hatte er nicht erobern können. Sein Rückzug war das Eingeständnis der Niederlage, Demosthenes hatte den Athenern bewiesen, dass mit Entschlossenheit Kriege gegen Philipp gewonnen werden konnten. Freilich war das zunächst nur mit der Flotte gelungen, die immer noch die stärkste in Griechenland war. Das Problem würde der Landkrieg sein, zu dessen erfolgreicher Führung noch weitere Verbündete gebraucht wurden. Inzwischen blieb Phokion mit seinen Schiffen noch am Hellespont und plünderte die thrakisch-makedonische Küste,12 die Beute konnte er als eine Art Reparationszahlung für die gekaperten athenischen Schiffe betrachten. Perinth und Byzanz ehrten Demosthenes für seinen Einsatz, inzwischen galt er auch außerhalb Athens als Verkörperung des antimakedonischen Widerstandes.13 Was jetzt alle erwarteten, geschah nicht. Philipp schenkte dem neuen Krieg anscheinend keine Beachtung mehr. Er zog nicht nach Süden, um die Entscheidung zu suchen, sondern gegen die Skythen im Nordosten.14 Jenseits der strategischen Überlegungen brauchte er auch ein Erfolgserlebnis für seine Truppen und konnte obendrein demonstrieren, dass das, was nun in Griechenland geschah, ihn nicht beunruhigen musste. Nach außen propagierte er weiterhin einen allgemeinen Frieden,15 an den zumindest die Athener nicht mehr glaubten. Sie erwarteten den Krieg in Mittelgriechenland und wurden dennoch überrascht, als er kam. Demosthenes will ihn – in der Rückschau – als Erster erkannt haben, und dazu auch den Schuldigen, nämlich seinen Gegner Aischines. In der Kranzrede von 330 erinnerte er seine Mitbürger daran, dass er, als Aischines von einer Versammlung des Amphiktyonischen Rates in Delphi zurückkehrte, dessen Bericht mit den Worten quittiert habe: „Du bringst einen Krieg nach Attika, einen Amphiktyonischen Krieg.“ 16 Die Ereignisse, die Demosthenes zu seiner durchaus richtigen Einschätzung ihrer Folgen, nicht aber ihrer Hintergründe führten, sind verworren und werden durch die differierenden Berichte der beiden athenischen Kontrahenten nicht einfacher.17 Zur regulären Versammlung der Amphiktyonie im Frühjahr 339 hatten die Athener eine Delegation entsandt, in die auch Aischines und Meidias gewählt worden waren. Beide waren entschiedene Gegner des Demosthenes, und so überrascht ihre Wahl zu einem Zeitpunkt, als dieser unange-

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fochten das Volk hinter sich versammeln konnte. Vermutlich erwartete niemand vom Amphiktyonenrat weitergehende Beschlüsse. In Delphi wurde die Delegation aber von der Ankündigung überrascht, die Lokrergemeinde der Stadt Amphissa wolle gegen die Athener eine Klage einbringen, weil diese im noch nicht geweihten delphischen Tempel zwei goldene Schilde aufgehängt hätten. Die beste Verteidigung war ein Angriff, und so erhob Aischines die Gegenklage. Er bezichtigte die Einwohner von Amphissa, sie hätten unrechtmäßig heiliges Land bebaut. Damit war er erfolgreich. Es wurde beschlossen, eine außerordentliche Versammlung der Amphiktyonie einzuberufen, um über Strafmaßnahmen gegen Amphissa zu beraten, vermutlich eine militärische Operation.18 Ein neuer Heiliger Krieg aber nutzte Philipp, denn er gab ihm die Möglichkeit, für den Fall, dass er als Hegemon gewählt wurde, gleichsam offiziell in Mittelgriechenland Krieg zu führen. Demosthenes versteigt sich denn auch zur Behauptung, Aischines habe in Absprache mit Philipp allein zu diesem Zweck die Klage gegen Amphissa erhoben. Das ist ex eventu betrachtet und sicherlich eine Verleumdung. Näher liegt, hinter der Klage von Amphissa eine Intrige Philipps zu vermuten. Dieser stand zum Zeitpunkt der Klage im Kampf gegen die Skythen, einen aktuellen Heiligen Krieg hätte er gar nicht führen können, sein vorrangiges Interesse bestand darin, Theben und Athen zu entzweien, um ein Bündnis beider zu verhindern.19 Wie sich auch immer die Sache verhielt, es war ein Possenspiel mit einem ernsten Ende. Die außerordentliche Tagung beschloss den Krieg gegen Amphissa. Athen wie Theben hatten an ihr aber nicht teilgenommen. Theben stand mit Amphissa in gutem Einvernehmen,20 und in Athen hatte Demosthenes in kluger Voraussicht die Entsendung einer Delegation verhindert,21 um Theben nicht zu brüskieren. Falls also Philipp das Ganze inszeniert hatte, um einen Keil zwischen Athen und Theben zu treiben, war er gescheitert. Der Krieg gegen Amphissa war eine halbherzige Angelegenheit, die mit der Auferlegung einer Geldbuße endete. Erst als diese nicht bezahlt wurde, beschloss der von Philipp dominierte Amphiktyonenrat bei der Herbstversammlung etwa im Oktober 339, den Krieg zu erneuern und ihm den inzwischen von den Skythen zurückgekehrten König zu übertragen.22 Der Krieg sollte kommen, aber es gehört schon die besondere Sicht eines Demosthenes dazu, um ihn dem Aischines anzulasten. Zudem schien der Zugang nach Attika verschlossen, da die Thebaner im Sommer mit der Vertreibung einer makedonischen Besatzung aus dem Ort Nikaia die Kontrolle über die Thermopylen übernommen hatten 23 und nicht daran dachten, diese wieder Philipp zu überlassen. Als dieser mit der Führung des Heiligen Krieges betraut wurde, zögerte er nicht und zog noch im November in Eilmärschen nach Mittelgriechen-

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land. Die Thebaner blieben gelassen, in Nikaia stand ihre Besatzung und versperrte den Weg durch die Thermopylen. Sie hielt den Ort auch noch besetzt, als Philipp längst an ihm vorbeigezogen war und über das westlich der Thermopylen gelegene Heraion Teichos entlang des Kephissos-Tales das strategisch wichtige Elateia erreicht hatte. 24 Von dort führte die Straße nach Süden, nach Theben und Athen. Das Einfallstor war weiterhin fest verschlossen und gesichert, die Türe daneben stand weit offen.

Das Bündnis mit Theben Post eventum erwies sich die Kriegspolitik des Demosthenes als eine Art ungedeckter Wechsel, denn sie beruhte auf dem Glauben, die Thermopylen schützten Athen vor einem Angriff zu Land. Entsprechend groß war das Entsetzen in Athen, und niemand hat es besser beschrieben als derjenige, den die Nachricht am stärksten traf, Demosthenes: „Abend war es. Da kam ein Bote mit der Meldung zu den Prytanen, dass Elateia genommen sei. Sogleich standen diese mitten in der Mahlzeit auf, trieben die Leute aus den Buden auf dem Markt fort und steckten das Flechtwerk in Brand, andere schickten nach den Strategen und riefen den Trompeter herbei. Die Stadt war in größter Bewegung. Am folgenden Morgen bei Tagesanbruch beriefen die Prytanen den Rat aufs Rathaus, ihr aber begabt euch in die Versammlung, und ehe der Rat noch verhandelt und ein vorläufiges Gutachten abgefasst hatte, saß das ganze Volk schon oben. Und als hierauf der Rat eintrat und die Prytanen öffentlich bekanntmachten, was ihnen gemeldet worden war, den Überbringer der Nachricht vorführten, und auch dieser gesprochen hatte, da fragte der Herold: ‚Wer meldet sich zu Wort?‘ Niemand aber meldete sich. Obwohl nun der Herold seine Frage oft wiederholte, trat dennoch auch nicht einer auf, obgleich alle Strategen zugegen waren und alle Redner und das Vaterland einen Sprecher für seine Rettung aufrief, denn wenn der Herold dem Gesetz gemäß seine Stimme ertönen lässt, so kann man mit Recht dies für die Stimme des Vaterlandes insgesamt ansehen. Und doch, wenn die, welche die Rettung der Stadt wünschten, hätten auftreten sollen, da wärt ihr alle und die anderen Athener aufgetreten, und zur Rednerbühne geeilt, denn ihr alle, ich weiß es, wünschtet die Rettung der Stadt … Jene Zeit aber und jener Tag erforderten nicht bloß einen patriotischen und reichen Mann, sondern einen, der den Gang der Ereignisse von Anfang an verfolgt und richtig erwogen hatte, weshalb Philipp so handelte und was seine Absicht dabei war.“ 25 Demosthenes war ungeplant und unvorhergesehen der Mann der Stunde. Aber er fand sofort das richtige Wort, um die erste Panik zu bannen: Das Übel sei den Thebanern näher als Athen und die Gefahr treffe diese

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früher, eine Behauptung, die sich sogar in Kilometern ausdrücken ließ. Demosthenes beantragte die ersten Maßnahmen. Der Auszug des Heeres nach Eleusis hatte zunächst symbolische Bedeutung, doch war auch die Grenze nach Boiotien nicht mehr fern. Entscheidend waren die Verhandlungen mit Theben. Zehn Gesandte mit außerordentlichen Vollmachten sollten gewählt werden, um den Thebanern Bündnis und Hilfe anzubieten, ohne, was vorher undenkbar war, jetzt aber eine kluge Überlegung des Demosthenes darstellte, irgendwelche Gegenforderungen dafür zu erheben. 26 Selbstverständlich führte Demosthenes die Gesandtschaft an. Als sie in Theben eintraf, waren die Emissäre Philipps bereits da, verstärkt um diejenigen seiner Bundesgenossen, die der Sache mehr Nachdruck verleihen und den gesamtgriechischen Aspekt betonen sollten. Philipp forderte die Thebaner auf, mit ihm gegen Attika zu ziehen, und versprach für diesen Fall reiche Beute. Das Mindeste sei aber freier Durchmarsch, damit werde ein zerstörerischer Krieg in Boiotien selbst vermieden. 27 Vermutlich war es die unerwartete Bereitschaft Athens, in einem Bündnis hinter Theben zurückzustehen, die den Ausschlag gab. Doch gehörte ein Anteil auch dem Auftreten des Demosthenes. Selbst der Historiker Theopomp, der unter seinen Zeitgenossen nur wenige seines Lobes für würdig hielt und der alles andere als ein Freund der athenischen Redner war, über die er ein eigenes Pamphlet publizierte, konnte in diesem Fall seine Anerkennung nicht versagen: „Aber die Redegewalt des Demosthenes entfachte ihren Mut, entflammte ihre Ehrbegier und stellte alles andere in den Schatten, so dass sie, durch seine Rede für Recht und Ehre begeistert, Furcht, Überlegung und Dankbarkeit hintansetzten.“ 28 Noch im November kam das von Demosthenes ersehnte Bündnis zustande. Sein Verdienst war es auch, in der athenischen Volksversammlung die Konzessionen durchgesetzt zu haben, die dessen Voraussetzung waren. Theben wurde der Oberbefehl zu Lande zugesprochen. Es sollte auch an der Leitung des Seekrieges beteiligt werden, obwohl der ausschließlich von Athen geführt werden konnte, denn die seit Epameinondas bestehende thebanische Flotte war schwach. Außerdem übernahmen die Athener zwei Drittel der Kriegskosten.29

Zenit und Sturz Es kommt die große Zeit des Demosthenes; sie währte etwa zehn Monate, so dass der Sturz im August 338 vom Gipfel seines Ansehens erfolgte. Demosthenes arbeitete Hand in Hand mit den Boiotarchen, dem Führungskollegium in Theben, er erhielt Applaus in der Versammlung, obwohl die

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Thebaner in den Perserkriegen, im Peloponnesischen Krieg und in vielen Kämpfen des 4. Jahrhunderts erbitterte Gegner der Athener gewesen waren; seine Vorschläge wurden dort wie in Athen gleichermaßen gehört. 30 Gleichzeitig gingen Gesandtschaften an die Mitglieder des Hellenischen Bundes, denn Philipps Besetzung von Elateia musste als Angriffskrieg gewertet werden, auch wenn er darauf beharrte, nur den amphiktyonischen Krieg zu führen. In Iustins Auszug der Philippicae historiae des römischen Historikers Pompeius Trogus werden die Aktivitäten, hinter denen vor allem Demosthenes stand, auf eine kurze Formel gebracht: „Nach diesem Bündnis (mit Theben) schickten sie Gesandtschaften über Gesandtschaften nach Griechenland hinaus, in der Meinung, der gemeinsame Feind müsse gemeinsam abgewehrt werden, denn Philipp werde nicht eher ruhen, bis er ganz Griechenland in seiner Gewalt habe.“ 31 Zum Frühjahr 338 sammelten sich die angesprochenen Verbündeten; von den Städten der Peloponnes schloss sich zwar inklusive Spartas keine an, aber auch Philipp konnte nicht auf seine dortigen Verbündeten zählen. 32 Insgesamt kam dennoch ein Bündnis zustande, auf das in den Jahren nach dem verlorenen Bundesgenossenkrieg kein Athener mehr hatte hoffen können. Die Athener dankten es Demosthenes und verliehen ihm bei den Großen Dionysien im März 338 wieder einen goldenen Kranz. 33 Die militärischen Operationen begannen mit einem Rückschlag. Die Griechen hatten sich auf die Defensive festgelegt, die ihrer komplizierteren Kommandostruktur besser entsprach. Zudem wären sie wohl zufrieden gewesen, wenn Philipp seinen Vormarsch aufgegeben und sich nach Makedonien zurückgezogen hätte. Die Bürgerheere sollten Philipp an einem weiteren Vormarsch im Kephissos-Tal hindern, 10.000 Söldner sperrten den Weg nach Amphissa.34 Gegen diese wandte sich Philipp zunächst. Vielleicht war deren Bezahlung schlecht und die Motivation gering. Jedenfalls ließen die Söldner sich überraschen – Plutarch spricht von einem Glücksfall –, ihr Heer wurde zersprengt, Amphissa, danach Delphi und schließlich der Hafen Naupaktos, der eine Verbindung zur Peloponnes unter Umgehung des Isthmos darstellte, besetzt. Das war ein wichtiger Auftakt, Philipp konnte nach der (milden) Bestrafung der Lokrer von Amphissa behaupten, er habe die Aufgabe, zu der ihn der Amphiktyonenrat gewählt hatte, erfüllt. Der Sieg verbesserte Philipps Lage, doch noch immer standen zwei der großen Militärmächte Griechenlands gegen ihn. So entschied er sich nochmals für ein Friedensangebot. Sein Ziel war nicht die Unterwerfung Griechenlands. Erster Adressat war Theben, und so ging eine makedonische Delegation mit Vorschlägen dorthin. Es waren jedoch keine Geheimverhandlungen, Athen war informiert und in das Angebot einbezogen. Die Thebaner schienen auch anfangs geneigt, sich der Sache nicht zu verschlie-

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ßen. Philipps Heer vor den Toren zeigte ihnen die Nähe eines blutigen Konfliktes. Vielleicht hätte sich unter den Boiotarchen eine Mehrheit gefunden, doch in der thebanischen Volksversammlung gewann Demosthenes mit verbalen Attacken gegen die Befürworter des Friedens und mit Freiheitsparolen gegen Philipp das Volk für den Krieg. In Athen war es angesichts der aufgeheizten Stimmung aussichtslos, den Frieden zu befürworten. Der Stratege Phokion sah sich den Angriffen von Denunzianten ausgesetzt, die um so wütender wurden, je überzeugter diese waren, die Mehrheitsmeinung zu vertreten. Die Rüstungen waren in vollem Gange, die Truppen nach Boiotien beordert, die Bundesgenossen alarmiert, Demosthenes hätte nur bei Strafe eines großen Verlustes seiner Reputation vom eingeschlagenen Weg abweichen können.35 Damit hatte er das Seine getan. Das Übrige lag jetzt in den Händen der militärischen Führung. Das griechische Heer zog sich in die Kephissos-Ebene bei Chaironeia zurück, da Philipp die alte Stellung von zwei Seiten bedrohte. Am 2. August des Jahres 338 kam es bei Chaironeia zur Schlacht. Sie war so kurz wie die Diskussion über ihre Folgen lang. Demosthenes kämpfte als einfacher Hoplit mit den Athenern auf dem linken Flügel. Er war, wie gesagt, zeitlebens niemals Stratege. Auf makedonischer und griechischer Seite standen sich jeweils ungefähr 30.000 Mann gegenüber. Philipp befand sich seit nahezu zwanzig Jahren in ständigen Kriegen, er besaß die Erfahrung und die Kompetenzen, an denen es der anderen Seite fehlte. Dazu kam hier ein Mangel an Absprachen und Verständigung, eine Planung ist nicht ersichtlich. Der unkoordinierte Vorstoß der Athener schenkte diesen für den Moment sogar die Zuversicht eines nahen Sieges, doch wich Philipp, der ihnen gegenüberstand, offenbar nur aus taktischen Gründen zurück. Den Thebanern auf dem rechten Flügel – die anderen Verbündeten bildeten die Mitte –, stand die makedonische Reiterei unter dem Befehl eines jungen Offiziers gegenüber, der später als Alexander der Große in die Geschichte einging. Die sogenannte Heilige Schar der Thebaner wurde – so die bekannte Floskel – bis zum letzten Mann vernichtet, die übrigen Griechen fielen nach teilweise heftigen Kämpfen, von den Athenern sollen allein 1000 Bürger gestorben sein, 2000 gerieten in Gefangenschaft. 36

Nach der Schlacht Erste Beschlüsse Mit der Schlacht von Chaironeia endete abrupt Demosthenes’ Traum einer neuen athenischen Hegemonie; er selbst begann sich allmählich aus seiner antimakedonischen Gefangenschaft zu lösen und eine an den neuen Realitäten orientierte Politik zu betreiben. Das freilich brauchte Zeit. So lange Philipp lebte, war Demosthenes an ihn gleichsam gekettet. Zunächst agierte er zwischen Beharren und Zurückweichen, zwischen Mut und Furcht, zwischen Hoffnung und Pessimismus. Es musste ihm schwer fallen, sich von einer über zehnjährigen – abgesehen vom Ausgang – erfolgreichen Politik zu verabschieden. Demosthenes hatte die Etappen gewonnen, aber das Ziel verfehlt. Das Bündnis mit Theben hatte die trügerische Hoffnung genährt, Philipp besiegen zu können. Nun war der Schock groß, in Eile wurden Verteidigungsmaßnahmen getroffen. Hypereides war in der Stadt geblieben und stellte die ersten Anträge. Auch in der Niederlage blieb Athen eine Demokratie, die Volksversammlung musste die Beschlüsse fassen. Die Bouleuten vom Rat der Fünfhundert zogen in den Piräus, um dort die Arbeiten zu beaufsichtigen; auch Bürger, die über fünfzig Jahre alt waren, konnten jetzt für den Kriegsdienst rekrutiert werden.1 Zudem wurde beschlossen, das flache Land zu evakuieren. Die Behörden verstärkten allerdings nur die allgemeinen Ängste, indem sie die Flucht aus Athen mit Strafe bedrohten, sogenannte Deserteure sollten als Verräter behandelt werden. Ein ehemaliger Archon wurde allein aus dem Grund zum Tode verurteilt, weil er seine Familie aus der Stadt brachte. Auch der Areiopag gebärdete sich wieder als der Wächter der Stadt und ließ einen Bürger, welcher in den Verdacht der Flucht geriet, noch am Tag der Festnahme hinrichten. Ein Psephisma des Hypereides, die Sklaven der Silberminen freizulassen und für den Kampf zu rekrutieren, ging den Bürgern dann doch zu weit. Mit einer Klage wegen Gesetzwidrigkeit wurde der Antrag kassiert. 2 Es schien, als wollten die Makedonengegner die anderen Bürger mit in den von ihnen befürchteten Untergang reißen.

Siegesfeiern Von Chaironeia waren es drei Tagesreisen nach Athen, und dies hielten die in Panik geratenen Athenern auch für die Frist, die ihnen noch blieb, um

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sich gegen die Truppen Philipps zu verschanzen. Allein, kein makedonischer Soldat betrat attischen Boden. Der König feierte stattdessen seinen Sieg, und er feierte ihn so, wie es die Griechen nach den Berichten eines Theopomp vom makedonischen Hof auch erwarteten: mit einer nächtlichen Orgie. Demosthenes hatte, so berichtet es jedenfalls Plutarch mit Bezug auf einen Augenzeugen, das Schlachtfeld schnellstmöglich unter Zurücklassung der nun hinderlichen Waffen verlassen, „ohne sich der Aufschrift seines Schildes zu schämen, auf dem mit goldenen Buchstaben geschrieben stand: Mit gutem Glück“. Philipp auf der Rednerbühne und auf dem Schlachtfeld zu bekämpfen, waren verschiedene Dinge, und Demosthenes beherrschte eben das erste besser als das zweite, so dass Plutarchs Kritik, er habe schmählich seinen Posten verlassen, nicht ganz gerecht ist. 3 Von Philipp berichtet der Biograph, er sei nach dem Sieg vor Freude „außer Rand und Band“ gewesen. Er und seine Getreuen seien in einem bacchanalischen Zug über das Schlachtfeld geschwärmt, wobei der König im Takt des Verses, dazu mit den Füßen stampfend, den Anfang des von Demosthenes (gegen Philipp) beantragten Volksbeschlusses rezitierte habe: „Demosthenes, Demosthenes’ Sohn, von Paiania beantragte dies.“ Die Athener beklagten die Missachtung der Toten, doch hatte Philipp nicht Unrecht, wenn er Demosthenes’ Kriegspolitik mitverantwortlich machte. Die Quellen zeichnen ein unterschiedliches Bild von Philipps Verhalten nach der Schlacht. Der orgiastische Zecher kontrastiert mit dem kühl rechnenden Staatsmann, der den militärischen Sieg baldmöglichst in einen politischen umzuwandeln gedachte. Vermutlich haben alle späteren Berichte aber einen gemeinsamen Ursprung, und das ist die Darstellung Theopomps. Sie zeigte offenbar den Doppelcharakter Philipps, in dem sich vernunftbestimmtes Handeln mit einem Hang zur Ausschweifung und zum Derbkomödiantischen zu einer für Griechen schwer verständlichen Mischung verband.4 Auch Philipp wurde wieder nüchtern. Sein vorrangiges Ziel war nun, zu einem Abkommen mit Athen zu gelangen, und der beste Weg dahin führte über Theben. Hier zeigte er Härte, nicht zuletzt, um sich gegenüber Athen milde erweisen zu können. Zudem spielten dabei vielleicht persönliche Motive eine Rolle. Philipp hatte mehrere Jahre als Geisel in Theben verbracht. 5 Die thebanischen Makedonengegner, die im Vorjahr das Bündnis mit Athen durchgesetzt hatten, wurden hingerichtet oder in die Verbannung geschickt. Gleichzeitig installierte Philipp aus den vormals Exilierten eine Regierung von 300 Oligarchen und legte eine makedonische Besatzung in die Kadmeia, die Burg von Theben. 6

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Die Friedensbedingungen Schon am Tag nach der Schlacht hatte Philipp auch die Zeichen gesetzt, unter denen seine Politik gegenüber Athen nun stehen sollte. Er gab die Gefallenen zur Bestattung frei, anders als die Thebaner mussten die Athener kein Lösegeld für die Gefangenen bezahlen.7 Den Athenern, die im Peloponnesischen Krieg die spartanischen Gefangenen als rabiates Erpressungsmittel benutzt hatten, war klar, welches Pfand Philipp damit ungenützt aus der Hand gab. Aber dieser verfolgte eine andere, weitsichtigere Strategie. Er setzte auf neue athenische Politiker, die einen Ausgleich mit Makedonien befürworteten, und mit diesen handelte er auch die ersten, für die Stadt unerwartet günstigen Bedingungen aus. Zu den Politikern, denen Philipp vertraute, zählte Demades, der in den folgenden Jahren noch an Einfluss gewann. Er war als Gefangener in Chaironeia geblieben und wurde deshalb erster Verhandlungspartner des Königs. Nach Athen zurückgekehrt, übernahm Demosthenes die Koordinierung der Verteidigungsmaßnahmen. Stolz berichtet er später in der Kranzrede, wie ihm das Volk trotz der Niederlage vertraut und die Ekklesia alle seine Anträge gebilligt habe. Die Furcht vor Philipp war noch allgegenwärtig, und den Wenigsten war bewusst, dass die Quelle dafür weniger die Taten des Makedonenkönigs als die Reden des Demosthenes waren. Auf seine Initiative wurden Gräben angelegt, Festungsmauern ausgebessert, Wachen aufgestellt. 8 Danach ließ sich Demosthenes zum Beauftragten für die Getreideversorgung, offenbar ein außerordentliches Amt, wählen. Er verließ Athen, um finanzielle Unterstützung von den Bundesgenossen einzufordern. 9 Böswillige behaupteten, er wolle sich in Sicherheit bringen, doch war Demosthenes als Organisator des Hellenischen Bundes der bestgeeignete Mann für diese außenpolitische Mission. Um Friedensverhandlungen mit Philipp zu führen, bedurfte es Politiker, die nicht als Kriegstreiber kompromittiert waren. Demosthenes hätte es auch kaum gewagt, dem König gegenüberzutreten. So wurden der genannte Demades, der vor 338 kaum hervorgetreten war, dazu wieder Aischines, dessen Politik durch die Ereignisse rehabilitiert war, und Phokion für diese Aufgabe ausgewählt. Mit Phokions nachträglicher Wahl zum Strategen, der mit der Verteidigung der Stadt beauftragt wurde, war bereits eine erste Entscheidung über das weitere Verhältnis zu Philipp gefallen. Wie Plutarch überliefert, hatten die „Maulhelden“ und „Umstürzler“, und damit meint der Biograph an dieser Stelle niemand anders als die radikalen Anhänger des Demosthenes und des Hypereides, für diesen Posten den Feldherrn Charidemos, einen geschworenen Feind Philipps, ausersehen, waren aber am Widerstand der Begüterten gescheitert, die um ihre Besitzungen

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und Handelsmöglichkeiten fürchteten, sollte Athen unter Preisgabe des offenen Landes zur geschlossenen Festung ausgebaut werden.10 Philipp empfing die athenische Gesandtschaft mit allen Ehren; es ging ihm auch darum, seine großzügigen Friedensbedingungen gerade mit diesen Politikern in Verbindung zu bringen und zumindest auf mittlere Frist den Einfluss der Makedonengegner zurückzudrängen. Der König verlangte die Auflösung des Seebundes, doch war das nur der Schlusspunkt hinter einer schon lange vorher begonnenen Entwicklung. Die großen externen Besitzungen wie Samos, Lemnos, Imbros und Skyros blieben Athen erhalten. Zwar beherrschte Philipp nun die thrakische Chersones, aber deren wichtigste Funktion, die Schifffahrt ins Schwarze Meer zu sichern, wurde vom König garantiert. Zudem erhielt Athen Oropos, eine Stadt an der attischen Ostküste, zurück, freilich ein Geschenk mit Doppelcharakter, denn es sollte auch neuen Dissens zwischen Athen und Theben schaffen.11 Die Gefangenen kamen frei, die Asche der Gefallenen wurde ehrenvoll nach Athen überführt. Philipp sandte als Eskorte seinen Sohn Alexander und den General Antipater. Auch das war als Auszeichnung gedacht. Die Volksversammlung akzeptierte den Frieden und beschloss einen Freundschaftspakt (philía kaì symmachía) mit Philipp. Die Verleihung des athenischen Bürgerrechts an diesen und Antipater besiegelte den Vertrag. 12 Vor dem Hintergrund des thebanischen Exempels war die Mehrheit in Athen der Überzeugung, „noch einmal davon gekommen“ zu sein. Vergebens mühte sich Demosthenes, die philanthropía Philipps als bloße Finte zu entlarven.13 Philipps Entgegenkommen war politisch und militärisch kalkuliert, die Einigung mit Athen nutzte ihm aktuell, und sie entsprach seinen Plänen. An Täuschung konnte nur Demosthenes glauben. Für den Fall der Invasion Kleinasiens, und der stand unmittelbar bevor, musste Philipp ein Bündnis des Großkönigs mit Athen ausschließen. Die athenische Flotte war immer noch die schlagkräftigste der Ägäis, und sie sicherte die Versorgung der Stadt. Dies leitet zum zweiten Problem Philipps über: Eine Belagerung Athens kostete Zeit, und ein Erfolg war fraglich. Zwar hatte der König vor Byzanz und Perinth bereits neueste Belagerungstechnik eingesetzt, ob sie aber auch zur Erstürmung Athens taugte, war jedoch fraglich. Eine solche gelang erst 307 v. Chr. Demetrios Poliorketes.

Der Vertrag von Korinth Auf den ersten Schritt folgte der zweite. Nach dem Abschluss des Separatfriedens konnte Athen die Teilnahme am allgemeinen Landfrieden, der im Winter 338/37 (oder im Frühjahr 337) in Korinth unter der Führung Make-

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doniens geschlossen werden sollte, nicht verweigern. Dennoch gab es eine Diskussion darüber in der Volksversammlung, an der sich freilich Demosthenes nicht beteiligte. Es mag sein, dass er sich zurückhalten wollte, da die Erleichterung über die in den Direktverhandlungen erzielten Friedensbedingungen groß war. Vielleicht war er aber auch noch auf einer seiner Gesandtschaftsreisen unterwegs. So brachte überraschend Phokion Einwände, die freilich nicht substantieller Natur waren. Demades’ Antrag, die Stadt solle am allgemeinen Frieden und am Kongress der Griechen teilnehmen,14 fand die Zustimmung der Mehrheit, und das bedeutete auch, dass das, was in Korinth beschlossen werden würde, akzeptiert werden musste. Der Vertrag von Korinth zwischen Philipp und den griechischen Staaten, ausgenommen Sparta, ist das politische Ergebnis von Chaironeia. Er umfasste eine allgemeine Friedensordnung und ein Bündnis (symmachía) unter der Führung Makedoniens. Das war eine Zäsur. Wenn Antike wie Moderne den Vertrag meist als Ende der griechischen Freiheit begriffen, spiegelt das aber namentlich die Klagen der Athener wider. Das Abkommen nahm ihnen tatsächlich eine Freiheit, nämlich diejenige, anderen Poleis die Freiheit zu nehmen. Demosthenes hatte einen Kampf verloren, den Kampf um die Hegemonie. Athen konnte nicht mehr außenpolitisch agieren. Für viele der kleineren griechischen Städte bot der Vertrag aber Vorteile. Sie waren seit den Zeiten der Perserkriege nur Objekt in den Auseinandersetzungen der großen Mächte Athen, Sparta und Theben gewesen, die von Demosthenes immer wieder beschworene Freiheit galt für sie kaum. Sie jedenfalls verloren 338/37 politisch wenig und konnten wirtschaftlich viel gewinnen. Allen beteiligten Städten wurde die innere und äußere Unabhängigkeit garantiert und Abgabenfreiheit zugesichert. Makedonien war die Garantiemacht, und das hieß freilich auch, dass jede Auflehnung gegen Philipp Sanktionen der übrigen Mitglieder nach sich zog. Expressis verbis ließ sich Philipp den Bestand des eigenen Königshauses sichern. Weiterhin beinhaltete der Vertrag auch den ausdrücklichen Schutz aller „Verfassungen, die bestanden bei einem jeden, als sie die Eide über den Frieden schworen“. 15 Das implizierte zum einen, dass Philipp alle die mit politischem und militärischem Druck installierten promakedonischen Regierungen an der Macht hielt, es bedeutete aber auch, dass der Korinthische Bund zum Garanten der Demokratie in Athen wurde. Alle Prophezeiungen des Demosthenes, Philipp werde die Verfassung stürzen, erwiesen sich als haltlos. Dass dies den Redner nicht hinderte, weiterhin darauf zu beharren, liegt in eben dieser Demokratie begründet. Demosthenes hatte sich seine politische Reputation im Kampf gegen Philipp erworben, ein schnelles Umschwenken hätte seine mühsam erworbene Kom-

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petenz und damit seine Wirkungsmöglichkeiten in der Volksversammlung in Frage gestellt. Auch nach 338 war Demosthenes zunächst noch Geisel seiner eigenen Politik. Es brauchte Zeit, bis er begriff, in welcher Weise auch Athen von den Ergebnissen in Korinth profitieren konnte. Der Vertrag eröffnete für die Stadt große wirtschaftliche Aussichten. Mit dem allgemeinen Frieden sanken die Militärausgaben, die Schifffahrt wurde sicher, Häfen und Ankerplätze genossen besonderen Schutz. Als im Frühjahr 337 in Korinth auch der erwartete, von Isokrates in einem Sendschreiben an Philipp 16 unmittelbar nach Chaironeia geforderte, panhellenische Rachzug gegen Persien proklamiert wurde, zeichneten sich weitere ökonomische Möglichkeiten ab. Philipp brauchte in großem Stil Rüstungsgüter, und Athen war in der Lage, sie zu liefern. Zugleich verlieh die Charakterisierung als Rachezug Athen einen besonderen Status, denn es war die Zerstörung vor allem athenischer Tempel im Jahre 480, die eine solche Begründung möglich machte. Athen wurde für Philipp gleichsam sakrosankt. Von ihm soll das Apophthegma stammen, Athen sei die Bühne des – sprich seines – Ruhms. Die Athener sahen zunächst aber nur das Naheliegende, und das waren neue Kosten. Im Vertrag waren auch ein Bundesrat (synhédrion), der nach Größe und militärischer Kraft der im Bund zusammengeschlossenen Städte beschickt wurde, und ein gemeinsames Bundesheer festgelegt worden. Die Stärke der einzelnen Kontingente für dieses Heer legte der Hegemon fest, und zu diesem war Philipp gewählt worden. Die Athener beschwerten sich über die Zahl der Reiter und der Trieren, die sie zu stellen hatten, denn diese verursachten die höchsten Ausgaben.17 Die Gemüter beruhigten sich aber bald wieder; es ging nur um die Sollstärke. Aischines zufolge soll Demosthenes sogar erwogen haben, für Athen als Abgeordneter nach Korinth zu gehen, vom Volk aber kein Mandat dafür bekommen haben.18

Der Epitaphios Etwa im Oktober 338 kehrte Demosthenes von seinen Gesandtschaftsreisen zurück. Der Separatfriede war abgeschlossen, es drohte keine Gefahr mehr. So schlug die Stimmung wieder um. Da niemand für die Niederlage politisch verantwortlich sein wollte – die entscheidenden Beschlüsse waren, wenn auch auf Antrag des Demosthenes und seiner Freunde, vom Souverän, dem Volk, selbst gefasst worden –, wurden die Schuldigen nach bewährter Manier anderswo gesucht. Offenkundig hatte die militärische Führung versagt. Chares wurde ob seiner früheren Verdienste verschont, die Wut richtete sich gegen Lysikles, den verantwortlichen Strategen von Chaironeia.19 Er wurde wie Perikles 430 mitten im Amtsjahr durch Apo-

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Abb. 16: Demosthenes-Statue aus Kopenhagen

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cheirotonie (Abstimmung mit der Hand) seines Feldherrnpostens enthoben. In der Volksversammlung erhob Lykurg selbst Anklage, das Todesurteil folgte. 20 Damit hatte die Politik ihr Versagen bemäntelt, die Makedonengegner verblieben in den Ämtern, in die sie das Volk im Sommer gewählt hatte. Nur Demosthenes sah sich Angriffen und Klagen ausgesetzt, konnte diese aber offenbar erfolgreich parieren. 21 Im Winter 338/37 fand im Stadtteil Kerameikos die Feier für die Gefallenen des Kriegsjahres statt, ein Brauch, der weit in die Vergangenheit Athens zurückreichte. Der Historiker Thukydides hat beschrieben, wie dieser Staatsakt im Jahre 431 ablief: „Die Gebeine der Verstorbenen stellen sie drei Tage vorher in einem Holzbau aus, und jeder bringt seinem Angehörigen Ehrengaben nach eigenem Ermessen. Dann beim Leichenbegängnis führen sie auf Wagen Zypressenholzsärge hinaus, für jeden Stamm einen; darin liegen die Gebeine der einzelnen Stammesangehörigen. Eine Bahre wird leer mitgetragen, ausgestattet für die Vermissten, die man bei der Bergung der Toten nicht gefunden hatte. Am Zug nimmt jeder, der will, teil, Bürger und Fremde, auch die angehörigen Frauen sind am Grabe anwesend und wehklagen. Dann setzen sie die Toten im öffentlichen Grabmal bei, das in der schönsten Vorstadt liegt – immer begraben sie die Kriegsgefallenen dort, außer denjenigen von Marathon: Ihre Tapferkeit zeichneten sie besonders aus und gaben ihnen an Ort und Stelle ein Grab. Wenn sie das Grab mit Erde bedeckt haben, hält ein von der Stadt gewählter, als klug bekannter und hochangesehener Mann die ihnen gebührende Lobrede. Dann gehen sie weg.“ 22 Thukydides schließt, dass dieser Brauch während des ganzen Krieges eingehalten wurde, und vermutlich hatte sich auch ein Jahrhundert später nichts am Zeremoniell geändert. Die Totenrede zu halten, war eine besondere Auszeichnung, und entsprechend bewarben sich die führenden Politiker um diese Ehre. Gegen Demades und Aischines wählte die Volksversammlung Demosthenes und bestätigte damit scheinbar noch einmal die Richtigkeit seiner Kriegspolitik. 23 Das freilich war eine Momentaufnahme, kein Votum für die Fortsetzung des Kurses, der nach Chaironeia geführt hatte. Im Mittelpunkt der Feier standen die Angehörigen der Toten, und es war ihnen schwerlich zuzumuten, nur wenige Monate nach der Schlacht die Opfer als sinnlos zu akzeptieren. Die Wahl des Demosthenes war ein Schlussstrich, kein Neubeginn. Demosthenes’ Rede ist von entsprechender Zurückhaltung, und dies war der hauptsächliche Grund, warum die antiken Philologen, und danach auch moderne, ihr die Echtheit absprechen wollten. 24 Sie vermissten die Schärfe und Gradlinigkeit der Philippiken. Aber abgesehen davon, dass das literarische Genos den Rahmen des Möglichen einengte, gebot die Situation Zurückhaltung. Die Zustimmung für Demosthenes konnte

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schnell in Ablehnung umschlagen. Nur wenige Wochen, nachdem er den Epitaphios gehalten hatte, wurde Perikles 430 bekanntlich seines Amtes enthoben und entging nur knapp dem Todesurteil. Eine Niederlage in einen Sieg umzudeuten, vermochte auch Demosthenes nicht. So benutzt er die üblichen Formeln von Freiheit und Würde, die es zu verteidigen galt. 25 Doch er geht darüber hinaus. Für Demosthenes war es die Tapferkeit der Gefallenen, die Philipp bewog, nicht gegen Attika vorzurücken, der Stadt milde Friedensbedingungen zu gewähren und mit ihr Freundschaft zu schließen. Das mögen Worte gewesen sein, welche die Familien der Getöteten erwarteten, doch sie belegen auch, dass Demosthenes das Ergebnis des Krieges zu akzeptieren gelernt hatte. 26 Den Sieg mochte er Philipp nicht gönnen. Es war der daímon oder der Wille eines grausamen Schicksals, der über den Ausgang des Krieges entschied. So kommt auch der Name des großen Feindes im Epitaphios nicht vor. Demosthenes spricht vom Gebieter (ky´rios) der Feinde oder vom Hegemon der Gegner, das so oft malträtierte Wort Philipp kommt nicht über seine Lippen. 27 Dass er Philipps militärische Leistung anerkennen könnte, war für den Epitaphios nicht zu erwarten. Schuld am Ausgang der Schlacht waren auch die Thebaner, die den Makedonen nicht standhielten. Später wird er diesen Grund noch um die Untauglichkeit der militärischen Führung und die bekannten Verräter ergänzen. 28 Der Gedanke, in eigenen Berechnungen nach Fehlern zu suchen, stand außerhalb des Demosthenes Möglichen.

Mauerbau und Flüchtlinge Die Kompetenzen, denen Demosthenes in den vierziger Jahren seinen großen Einfluss in der Volksversammlung verdankte, lagen, wie gesagt, auf außenpolitischem Gebiet und in einer Politik, die mit Chaironeia obsolet geworden war. Er besaß weiterhin eine Anhängerschaft in denen, die zumindest verbal die veränderten Verhältnisse nicht anerkennen wollten. Eine solche Politik war in der Volksversammlung jedoch nicht mehr mehrheitsfähig. Demosthenes resignierte aber nicht. Die Wahl zum Sprecher des Epitaphios gab ihm Rückhalt, und so fand er schon bald eine neue Rolle für sich, die Zeit öffentlicher Zurückhaltung war kurz. 29 Im Juni 337 stellte er in der Volksversammlung den Antrag, die Phylen einzuberufen und von ihnen Aufseher (epimeletaí) und Zahlmeister (tamíai) für die bevorstehenden Arbeiten am athenischen Mauerring ernennen zu lassen. Er wurde auch selbst von seiner eigenen Phyle zum Aufseher für die Mauern (teichopoiós) gewählt und leitete Befestigungsarbeiten im Piräus. Dazu erhielt er Zahlungen aus der Staatskasse, er selbst

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spendete aus eigenem Vermögen eine beträchtliche Summe. 30 Das besaß Beispielfunktion und signalisierte den ungebrochenen Einsatz des Redners für seine Stadt. Archäologisch lassen sich Bau- und Instandsetzungsarbeiten kaum nachweisen, doch müssen sie, wenn die zehn Talente für die Phyle des Demosthenes auf alle Phylen hochgerechnet und zusätzlich private Spenden berücksichtigt werden, von großem Umfang gewesen sein. Im Frühjahr 337 hatte der Kongress von Korinth stattgefunden, auf dem der Krieg gegen Persien beschlossen wurde. Wie sich später zeigte, als Alexander der Große seine Invasion begann, war für diesen Fall jederzeit mit einem persischen Gegenschlag zu rechnen. So ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Baumaßnahmen in Absprache mit Philipp stattfanden. Zumindest aber sah er keinen Grund einzugreifen. Obwohl die Arbeiten längere Zeit in Anspruch nahmen, konnten sie unbehindert zu Ende geführt werden. Auch fast ein Jahr nach der Schlacht blieb Chaironeia noch das Thema. Es war die größte Landschlacht seit Plataiai 479, und die Athener wollten sie nicht so schnell dem Vergessen anheim stellen wie später die Gallier Alesia. In einem Volksbeschluss aus dem Monat Thargelion wurden zwei Männer aus Akarnanien geehrt, die im Gegensatz zur offiziellen philippfreundlichen Haltung des Landes mit ihrer Streitmacht aus Freiwilligen und Verbannten den Athenern zu Hilfe gekommen waren und in der Schlacht mit ihnen gekämpft hatten. Den überlebenden akarnanischen Kombattanten wurde der Status von Metoiken zuerkannt, „bis sie zurückkehren könnten“. 31 Athen nahm, vielleicht auf Initiative des Demosthenes, auch Verbannte aus Troizen – hier verpflichtete schon die Haltung der peloponnesischen Stadt vor der Schlacht von Salamis 480, als sie Evakuierte aus Athen beherbergte – und vor allem aus Theben auf. 32 Letzteres kann wieder in Abstimmung mit Philipp geschehen sein. Der Kampf in den griechischen Städten zwischen Demokraten und Oligarchen, zwischen Makedonenfreunden und -gegnern, hatte viele Bürger heimatlos werden lassen. Die Verbannten wurden zu einem sozialen Problem, das selbst in der Endphase der Alexanderära noch nicht gelöst war. Wenn die Athener Flüchtende aufnahmen, so wurden sie nicht nur dem großen Anspruch der Stadt als Ort des Asyls gerecht, wie ihn etwa Euripides in seinen Tragödien aus den zwanziger Jahren des 5. Jahrhunderts beschworen hatte, sie trugen auch zur Umsetzung des in Korinth beschlossenen allgemeinen Friedens bei. Freilich besaß für Philipp das von den Athenern gewährte Asyl auch eine Kehrseite, die Demosthenes sicherlich im Blick hatte. In Athen sammelten sich nun viele Makedonengegner, die nur bei einem – von den korinthischen Verträgen ausgeschlossenen – Sturz der heimatlichen Regierungen Hoffnung auf Rückkehr hatten.

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Athen im Widerstreit Noch im Herbst 337 begann Philipp damit, erste Truppen nach Kleinasien überzusetzen. Es war eine Demonstration seiner Stärke. Er signalisierte damit, dass er in Griechenland keinen Widerstand mehr erwartete, und bot den einzelnen Städten Selbstbestätigung in einem gemeinsamen Feldzug, der die Erinnerung an den Erfolg in den Perserkriegen wieder belebte. Die erwartete Beute bot Kompensation für die Kosten. In Athen schien sich jetzt die Einsicht durchgesetzt zu haben, dass die Stadt sich der neuen Entwicklung nicht verschließen konnte. Das war ein allmählicher Prozess ohne radikale Brüche. Die früheren Makedonengegner waren nicht abgewählt worden, Lykurg bekleidete weiterhin das zentrale wirtschaftliche Amt, sein Schwager Kallias von Bate war tamías tôn stratiotikôn, und Demosthenes selbst war Verwalter des theorikón. 33 Hier ging es um wirtschaftliche Kontinuität und Stabilität. Auch innenpolitisch verhielt sich die Volksversammlung pragmatisch. Mochten viele einstiger Größe nachtrauern oder dem, was im 4. Jahrhundert nur noch der Schein davon war, die Mehrheit akzeptierte – jedenfalls nach außen – die neuen Verhältnisse. Wie eine Stele mit einem Athenarelief bezeugt, beschloss die Ekklesia Anfang 336 auf Antrag des Demades die Proxenie für einen makedonischen Gesandten.34 Eine gezielte Provokation gegen Demosthenes und die Antimakedonen verbarg sich unter einem wenig später wiederum von Demades eingebrachten Psephisma. Diesmal sollte die Proxenie dem Olynthier Euthykrates verliehen werden. 35 Im Gegensatz zu seinen Landsleuten hatten die Athener diesem nach der Vernichtung Olynths das Exil in ihrer Stadt verweigert. Demosthenes hatte ihn in seinen Reden dämonisiert und zum Paradebeispiel des Verräters und Philippfreundes stilisiert. Gegen die geplante Ehrung ging Hypereides mit einer Gegenklage wegen Gesetzwidrigkeit vor. Über den Ausgang ist nichts bekannt. Demades war auch der Antragsteller eines dritten Psephisma, das die Beziehungen zu Philipp verbessern sollte. Athen ehrte darin einen Makedonen, der sich am Königshof für athenische Interessen eingesetzt hatte. 36 Als Philipp vor seinem offiziellen Aufbruch nach Asien im Sommer 336 die griechische Welt zur Hochzeitsfeier in seine Residenz nach Aigai einlud, drängte sich – so jedenfalls der Historiker Diodor – die athenische Delegation in den Vordergrund, indem sie ihm einen goldenen Kranz verlieh und ihm in besonderer Weise die Loyalität bekundete. 37 Alle Ehren waren vorher von der Volksversammlung beschlossen worden. Demosthenes und andere Philippgegner scheinen sich in dieser Phase weitgehend zurückgehalten zu haben. Gegen die Ehrungen, die für prominente Makedonen beschlossen worden waren, war kaum oder nur sehr

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indirekt Widerstand möglich. Ein Psephisma, hochrangige Makedonen auszuzeichnen, passierte 338/37 trotz Formfehler der próhedroi (Vorsitzende der Ekklesia) anstandslos die Volksversammlung. Unter den gegebenen Umständen wagte keiner der Makedonengegner dagegen vorzugehen. Erst als der Antragsteller, ein Mann namens Philippides, auch noch die Ehrung dieser próhedroi durchsetzen wollte, strengte Hypereides eine Klage wegen Gesetzwidrigkeit an, bezeichnenderweise aber erst nach der Ermordung Philipps. 38 Auch der Versuch der Anhänger des Demosthenes, die eigene Politik wieder stärker in den Vordergrund zu stellen, scheiterte. Ein Antrag, Demosthenes wegen seiner allgemeinen Verdienste und seiner besonderen bei der Erneuerung der Befestigungsanlagen zu ehren, wurde zunächst suspendiert. Die Klage des Aischines wegen Gesetzwidrigkeit kam in den Wirren nach Philipps Tod nicht zur Verhandlung, so dass die Auszeichnung für Demosthenes zwar nicht verhindert, aber doch für lange Zeit aufgeschoben war. 39 Einblick in die innenpolitischen Kämpfe gewährt möglicherweise eine weitere, auf der athenischen Agora gefundene Marmorstele. Sie zeigt im Relief eine Frau als Verkörperung der Demokratie, die einen sitzenden Mann, Verkörperung des Demos, bekränzt. Die Inschrift warnt vor der Gefahr einer Alleinherrschaft und verspricht Entsühnung im Falle des Widerstandes: „Wenn sich einer gegen das Volk mit dem Ziel der Tyrannis erhebt oder die Tyrannis mit einführt oder das Volk der Athener oder die Demokratie in Athen stürzt, dann soll derjenige, der einen derartigen Täter tötet, entsühnt sein.“ Ein Umsturz drohte in Athen nicht. Der Gedanke, Philipp könne versuchen, eine Tyrannis in Athen zu erzwingen, war abwegig. Das Dekret stand im übrigen ganz im Einklang mit der Garantie der Verfassungen in den Korinther Verträgen. Zur Schreckenspropaganda des Demosthenes und seiner Freunde hatte freilich immer die Warnung vor makedonisch inspirierten Umsturzversuchen gehört. So könnte es sich auch hier um einen Versuch dieser Gruppe handeln, ihre inneren Gegner mit Unterstellungen zu diskriminieren. Tatsächlich aber ist die Inschrift in jede Richtung interpretierbar. 40 Die Stimmungslage in Athen im Sommer 336 lässt sich schwer rekonstruieren. Sicherlich mochten viele die alten Großmachtträume nicht aufgeben. Andererseits hatte Philipps Verhalten die Prophezeiungen eines Demosthenes längst widerlegt, es bestand weder Gefahr für Athen noch war militärischer Widerstand sinnvoll. So schien es am besten, die kommenden Dinge abzuwarten. Dies verlangte auch keine finanziellen Opfer, wie sie Demosthenes immer gefordert hatte.

Vorletzte Irrtümer Das Attentat Als Philipp im Herbst 336 die Hochzeit seiner Tochter Kleopatra feiern ließ, befand er sich auf dem Höhepunkt der Macht. Der Spartaner Lysander hatte als erster Grieche göttliche Ehrungen beansprucht. Nun ließ Philipp in einem großen Umzug neben den Bildern der zwölf Olympischen Götter auch sein Konterfei mitführen. Tatsächlich war er den Göttern nie so nah, denn noch am selben Tag wurde er beim Betreten des großen Theaters von Aigai vor Tausenden von Zuschauern ermordet.1 Der Täter war ein makedonischer Offizier, der sich gekränkt fühlte. Er wurde auf der Flucht getötet, was zahlreichen Gerüchten über mögliche Hintermänner und eine Hinterfrau, nämlich Philipps Ehefrau Olympias, Nahrung gab. Unter den Verdächtigen waren der junge Prinz Alexander, der Großkönig und auch Demosthenes. Dieser hatte, wie er sich rühmte, seine Informanten am Hof, die sich im übrigen bald als unzuverlässig erweisen sollten. Über eine Rolle, die neuerdings wohlfeil mit Hassprediger beschrieben wird, war er aber schwerlich hinausgekommen. Gab es politische Motive, so waren sie innermakedonischer Natur. Was der Regierungswechsel bedeutete, sollte die Welt bald erfahren. Wenn Demosthenes sich täuschte, war er in guter Gesellschaft. Über die Ziele Philipps wissen wir wenig, doch es spricht manches dafür, dass er sich bei seinen Eroberungen auf die im griechischen Bewusstsein fest verankerte Halysgrenze in Kleinasien beschränken wollte: Ein ägäisches Reich mit Pella als Zentrum ist eine der Möglichkeiten. Alexander der Große als Nachfolger sollte sich später seine Ziele immer etappenweise stecken, so war er – spätestens seit der Schlacht bei Gaugamela – kein Faktor mehr, mit dem griechische Politiker zuverlässig kalkulieren konnten. Nach Plutarch erhielt Demosthenes im Geheimen Nachricht aus Aigai, noch bevor die athenische Delegation, die ja vor Ort war, nach Hause berichten konnte. Informant des Redners war der Stratege Charidemos, der damals im Norden weilte und dem gute Verbindungen zur makedonischen Opposition nachgesagt wurden, und tatsächlich war er später der einzige der athenischen Makedonengegner, der auf Druck Alexanders ins Exil gehen musste. 2 Die athenischen Delegierten in Aigai taten das, was im Augenblick das Vernünftigste schien. Sie bekundeten der makedonischen Führung ihre Loyalität, indem sie zusagten, den Mörder beziehungsweise seine Komplizen auszuliefern, wenn sie sich denn nach Athen flüchteten. 3 Nachdem die Nachricht Athen auch offiziell erreicht hatte, erschien De-

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mosthenes, der sich bisher auf Andeutungen beschränkt hatte, bekränzt und in einem Festgewand in der Öffentlichkeit. Er veranlasste den Rat, Dankopfer zu bringen, beantragte, den Mörder Pausanias zu ehren, und nannte den jungen Alexander einen Tölpel (Margites), was dieser damals vermutlich auch war. 4 Demosthenes’ einzige Tochter war nur wenige Tage vorher gestorben, so dass sein Auftreten auch unter den Athenern einiges Befremden auslöste. Das Moralisieren der Quellen – Aischines über Demosthenes, Plutarch über Aischines 5 – sagt nichts über das private Verhalten des Redners, sein politischer Auftritt erscheint aber mehr als zwanghaft. Demosthenes’ Denken hatte sich so auf die Person Philipps eingeengt, dass ihm offenbar der Mord als Erfolg eigener Politik erschien. Da Demosthenes Philipp als den Tyrannen betrachtete, der Griechenland knechtete, schien ihm jetzt das Tor zur Freiheit aufgestoßen. Er irrte so gründlich wie später Cicero, als er die Iden des März feierte. Weit rationaler dachte Demosthenes’ Gegner Phokion, der dem Antrag auf Dankopfer widersprach und die Gemüter mit einer knappen Bemerkung abkühlte: Die Macht, die ihnen bei Chaironeia entgegengetreten sei, habe sich nur um einen Mann vermindert.6

Vergeblicher Widerstand Mit dem Tode Philipps verschwand der Feind, der Demosthenes groß gemacht hatte. Für den König war Demosthenes lange Zeit ein ebenbürtiger Gegner gewesen, für Alexander war er einer der besiegten athenischen Redner, die sich der neu geschaffenen Ordnung nicht fügen wollten. Eine ähnliche Bedeutung wie für den Vater hatte Demosthenes für den Sohn nicht. Zunächst freilich beruhte das Verhältnis beider auf gegenseitigen Fehleinschätzungen. Als erste Reaktion auf die Ereignisse von Aigai nahm Demosthenes Verbindungen zu den Makedonengegnern in den verschiedenen griechischen Städten auf und suchte auch Kontakte zur innermakedonischen Opposition. Diese brach rasch zusammen, da sich Philipps Generäle für Alexander als Nachfolger entschieden.7 Dagegen organisierte sich der Widerstand insbesondere auf der Peloponnes, auf der sich einige Poleis durch die Verträge von Korinth gegängelt fühlten. Gleichzeitig riefen die Aitoler ihre Verbannten zurück, in Ambrakia wurde die makedonische Besatzung vertrieben und die Demokratie wieder eingeführt, die Thebaner bereiteten den Sturm auf die Kadmeia vor. 8 Der Biograph Plutarch sieht Demosthenes im Zentrum all dieser Aktivitäten als nimmermüden Koordinator, bei dem die Fäden eines griechen-

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landweiten Aufstandes zusammenliefen: „Von Demosthenes aufgehetzt, traten jetzt die Städte wiederum zusammen, die Thebaner griffen die makedonische Besatzung an und töteten viele – wobei ihnen Demosthenes bei der Beschaffung der Waffen behilflich war –, die Athener rüsteten sich, um an ihrer Seite in den Krieg einzutreten, und Demosthenes beherrschte die Rednerbühne und schrieb an die Feldherren des Königs in Kleinasien, um auch von dort her den Krieg gegen Alexander zu entfachen.“ Diese „Verdichtung“ der Ereignisse ist dem Wesen der Biographie geschuldet; zudem fasst Plutarch hier die Vorkommnisse zweier Jahre zusammen, vor und nach dem ersten Griechenlandzug Alexanders, die hier nicht mehr zu entwirren sind. 9 In Anbetracht der großen Worte Plutarchs war das Ergebnis schmal. Der junge König handelte rasch. Er ließ sich als Archon des Thessalischen Bundes bestätigen, zog durch die Thermopylen und erreichte bald darauf Theben.10 Das genügte, um in Athen die Kräfteverhältnisse wieder zugunsten der Promakedonen umzukehren. Zwar wurden die üblichen Präventivmaßnahmen getroffen und zum dritten Mal binnen kurzer Zeit die Landbevölkerung evakuiert, doch dies war nur die eine Seite des Beschlusses. Gleichzeitig ging eine Delegation zu Alexander, um ihm die Anerkennung als Thronfolger zu überbringen.11 Athen hatte gar keine andere Wahl als an den Verträgen von Korinth festzuhalten. Dies sah auch Demosthenes ein, der seinen inneren Gegnern aber nicht das Feld überlassen wollte und sich mutig in die Gesandtschaft wählen ließ. Er befand sich schon auf dem Weg, als offenbar neue, ihn kompromittierende Details bekannt wurden – möglicherweise ein belastender Brief –, so dass er sich doch zur vorzeitigen Heimkehr entschloss. Das erleichterte sicherlich die Unterhandlungen, Alexander konnte sich wohlwollend zeigen.12 Der mit Philipp geschlossene Frieden wurde erneuert, wie sein Vater erhielt Alexander das Bürgerrecht, dazu vermutlich einen goldenen Kranz und eine Statue im Odeion.13 Alexander zog weiter nach Korinth und wurde dort gemäß den Verträgen als Strategos Autokrator des begonnenen Perserfeldzuges bestätigt.14

Das thebanische Exempel Nachdem er in Griechenland relativ mühelos die makedonische Ordnung wiederhergestellt hatte, musste der junge König, seinen Generälen, dem Heer und sich selbst beweisen, dass er auch militärisch der geeignete Nachfolger Philipps war. In Chaironeia hatte er mit gerade 18 Jahren als Reiterkommandant den Anfang dazu gemacht. Im Frühjahr 335 brach er auf, um die Nordgrenzen zu sichern. Nicht nur die Griechen hatten geglaubt, die Ermordung Philipps sei eine günstige Gelegenheit, sich der makedo-

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nischen Vorherrschaft zu entledigen. Das Heer überquerte die untere Donau, ein Manöver, das sich nur als Vorbereitung des Zuges nach Asien verstehen lässt. Hier war inzwischen der makedonische Vormarsch zum Stehen gekommen. Das persische Reich wurde seit 336 von einem neuen Monarchen, Dareios III., regiert, dessen Bild zu Unrecht von der späteren glücklosen Niederlage gegen Alexander geprägt ist. Mit ihm rückte sofort die Westpolitik wieder in den Vordergrund. Persische Truppen unter Führung des griechischen Strategen Memnon drängten das makedonische Vorauskommando an den Hellespont zurück. Immerhin konnten mit Rhoiteion und Abydos zwei Brückenköpfe auf der asiatischen Seite der Meerenge gehalten werden.15 Dareios verstärkte aber auch die diplomatischen Bemühungen. Persisches Gold floss wieder nach Griechenland, wo es freilich nur die Spartaner, die sich dem Bund von Korinth verweigert hatten, ungeniert annehmen durften. Sie hatten Erfahrung mit persischer Währung, denn schon die Flotte, mit der sie 404 den Peloponnesischen Krieg gewannen, war auf diese Weise finanziert worden. Die offene Annahme des Geldes hätte die übrigen Griechen, soweit sie die Verträge von Korinth unterschrieben hatten, kompromittiert, und so gewann Demosthenes in Athen eine neue Funktion, das heißt er übernahm eine alte. Während die Volksversammlung unter dem Einfluss eines Demades, Phokion oder Aischines die Annahme des persischen Geldes ablehnte und sich damit zu Korinth bekannte,16 fühlte sich Demosthenes als Privatperson nicht an die Beschlüsse gebunden und unternahm es, das Geld – laut Aischines 300 Talente – in den Kampf gegen Alexander zu investieren.17 Am persischen Hof galt Demosthenes nach den bisherigen guten Erfahrungen als der geeignete Mann. Der richtige Zeitpunkt, das Geld auch einzusetzen, kam im Frühjahr 335. Alexander verwickelte sich in langwierige Kämpfe mit den makedonischen Nachbarn im Westen und im Norden, mit Illyrern und Triballern. Der Nachrichtenfluss versiegte, mit der Opposition hatte Alexander auch die Informanten am Hof ausgeschaltet. Das war die Zeit der Gerüchte, und von diesen verbreiteten sich die am schnellsten, die am liebsten geglaubt wurden. So fand die Fama von Alexanders Tod zunächst in Theben bereitwilliges Gehör. Thebanische Verbannte, die aus Athen in ihre Heimatstadt zurückgekehrt waren, hatten sie mitgebracht. Es war nach Aussage des Historikers Iustin Demosthenes selbst, der hinter diesem Gerücht stand, an das er wohl selbst glauben wollte. So ließ er einen Augenzeugen in der Volksversammlung auftreten, der berichtete, der König sei gefallen, das ganze Heer vernichtet, und zum Beleg für diese Aussage Wunden vorwies, die er selbst in diesem Kampf erlitten haben wollte.18 Mit einem Teil der persischen Talente hatte Demosthenes Waffen gekauft – vermutlich auch aus eigener Produktion –, ein anderer Teil war für die Anwerbung von

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Söldnern gedacht. Die thebanischen Exilierten brachten also nicht nur Gerüchte, sondern auch Waffen mit. 19 In einer nächtlichen Aktion lynchte ein thebanischer Mob zwei Angehörige der makedonischen Besatzung, welche die Kadmeia ahnungslos verlassen hatten. 20 Die Volksversammlung trat zusammen und radikalisierte sich unter dem Eindruck des Geschehens. Falsche Hoffnungen und irrige Versprechungen verdichteten sich zum Glauben an einen Erfolg, dessen einzige konkrete Grundlage die mit persischem Geld finanzierten Waffenlieferungen waren. Daneben hatte Demosthenes offenbar auch athenische Truppenhilfe in Aussicht gestellt. Der Alexanderhistoriker Arrian verspottete später die thebanische Naivität und denunzierte die (demosthenische) Parole von der Freiheit als althergebrachte und schönklingende Phrase, die nurmehr zum Vorwand eines – aus des Historikers Sicht – sinnlosen Aufstandes diente. 21 Demosthenes glänzte noch einmal mit seiner Rhetorik, seine Zuversicht auf einen Erfolg der Thebaner war groß. In der Volksversammlung erwirkte er so ein Dekret, Theben zu Hilfe zu kommen.22 Das Volk war freilich klüger als der Demagoge. Es fasste zwar den Beschluss, exekutierte ihn aber nicht. Die Athener hörten auf die Warnungen eines Phokion. Keine Nachrichten von Alexander waren nicht zwangsläufig auch gute Nachrichten. Antipater, Alexanders Reichsverweser, hatte Gesandte nach Griechenland geschickt und vor einem Bruch der Korinther Verträge gewarnt. 23 Demosthenes ließ sich freilich von der eigenen Begeisterung mitreißen. Alexander stand mit seinen Truppen bereits vor Theben, und immer noch attackierte er den König. Nochmals trat Phokion, zu dem Zeitpunkt gewählter Stratege, vor dem Volk auf, um Schlimmeres zu verhüten.24 Vor Theben zeigte der später romantisch verklärte Alexander, was die Welt von ihm erwarten konnte. Noch nicht ganz einundzwanzig Jahre alt, gelang ihm das erste größere Massaker seiner Laufbahn. Die Thebaner selbst waren nicht ganz schuldlos. Alexanders Vorgehen gegen die innermakedonische Opposition hätte eine Warnung sein können. Doch selbst als der König schon im Anmarsch war, hielten sie, während andere Makedonengegner wie Arkader und Eleer längst auf dem geordneten Rückzug waren, 25 an der Wunschvorstellung fest, er sei tot. Er belehrte sie eines Besseren. Nach kurzer Belagerung eroberte und zerstörte er – mit nachträglicher Billigung des synhédrion – die Stadt. 6000 Menschen wurden getötet, angeblich 30000 in die Sklaverei verkauft. 26 Ersteres diente der Abschreckung, letzteres füllte die klammen Kassen des Königs. Das Entsetzen in Griechenland war groß; selbst im Peloponnesischen Krieg hatte es nichts Vergleichbares gegeben. Die Erinnerung an das athenische Debakel in Sizilien wurde wach, für das Thukydides das singuläre Wort von der panolethría, der Ganzvernichtung, geprägt hatte. 27

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Die Athener redeten sich ein, dies sei die verdiente Strafe für die propersische Haltung der Thebaner während der Xerxesinvasion, und überhaupt hätten die Thebaner ja auch 404 nach der Niederlage Athens die Vernichtung der Stadt gefordert,28 nahmen aber dann doch die flüchtigen Thebaner – vielleicht auf Antrag des Demosthenes – bei sich auf. 29 In Athen waren gerade die Mysterien gefeiert worden, als die Nachricht von der Zerstörung Thebens eintraf. Das Fest wurde abgebrochen, zum wiederholten Male die Landbevölkerung evakuiert, die Volksversammlung einberufen. Widerstand war kein Thema, es ging nur um die Frage, wie sich die Stadt am besten reinwaschen konnte. Auf Antrag des Demades wurden zehn Delegierte gewählt, von denen das Volk glaubte, dass Alexander ihnen gewogen war. Sie sollten dem König die Glückwünsche des Demos überbringen, dass er unversehrt von den Kämpfen im Norden zurückgekehrt sei – und die Thebaner für ihren Abfall bestraft habe. 30 Vermutlich wurde die Schuld für die Unterstützung Thebens auf eine kleine Gruppe Makedonengegner geschoben. Die Volksversammlung hatte zwar den Beschluss gefasst, Theben zu helfen, es waren aber nur Worte gewesen, kein athenischer Soldat war gegen Alexander ins Feld gezogen.

Hunde und Schafe Alexander hatte kein Interesse an einer weiteren Eskalation, er brauchte wie sein Vater Athens Flotte für den Perserkrieg, und das Exempel hatte er bereits an Theben statuiert. So kam er den Gesandten entgegen, forderte aber die Auslieferung seiner heftigsten Gegner in Athen und der thebanischen Flüchtlinge. In der athenischen Volksversammlung kam es zu tumultuarischen Szenen. Das Schicksal Thebens blieb den Bürgern erspart, aber die Forderung, die geflohenen Thebaner auszuliefern, war für eine Stadt, die sich immer als Hort der griechischen Freiheit gesehen hatte, besonders demütigend. Alexanders Katalog umfasste zehn Politiker und Strategen, an vorderster Stelle Demosthenes. Für diesen ging es daher um mehr, als nur sein Gesicht zu wahren. Es ging um den Kopf. Redner forderten die belasteten Antimakedonen auf, sich freiwillig zu stellen und Schaden von der Stadt abzuwenden. Phokion erklärte, er würde es sich als Ehre anrechnen, für das Volk zu sterben. Er stand allerdings nicht auf der Liste. Demosthenes selbst bewahrte in dieser Situation die Ruhe. Er widersprach mit der Fabel von den Schafen, welche die Hunde, die sie beschützen sollten, dem Wolf auslieferten. Seine Anhänger spendeten ihm Beifall, Phokion musste die Rednerbühne räumen. 31 Alexander ließ sich zunächst nicht auf die Ablehnung seines Ansinnens

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ein. In Verhandlungen zwischen Phokion und Demosthenes wurde dann offenbar ein Kompromiss gefunden, den Alexander, der kein Interesse an einer womöglich längeren Belagerung Athens und des Piräus hatte, akzeptierte. Die Athener sicherten zu, eine Untersuchung gegen die kompromittierten Politiker einzuleiten – sicherlich nicht mehr als ein formaler Akt – und beteuerten nochmals ihre Loyalität. Auch Demosthenes verpflichtete sich, die Verträge von Korinth anzuerkennen.32 Alexander verzichtete auf seine Hauptforderungen. Auch die thebanischen Flüchtlinge konnten in Athen bleiben. Allein der Stratege Charidemos musste in die Verbannung gehen. Die Kriegspolitik des Demosthenes war damit endgültig gescheitert. Die Initiative in der Volksversammlung ging für längere Zeit an Politiker des Ausgleichs wie Demades und Phokion.33 Demosthenes musste, wollte er in der athenischen Politik weiter mitbestimmen, eine neue Rolle finden. Die antimakedonische Agitation hatte ausgedient. Plutarch gebraucht ein Bild: „Demosthenes’ Feuer erlosch“. 34

III. Verlust und Neubeginn Die Wende Die zwölf Jahre von 334 bis 322, die Jahre, in denen Alexander durch Asien zog, sind das letzte große Kapitel der athenischen Demokratie. Sie scheiterte, weil mit Alexanders Tod die Ordnung zerbrach, die sein Vater errichtet hatte. Philipp hatte die Voraussetzungen für ein stabiles makedonisch-griechisches Reich geschaffen, das im Osten vielleicht bis zum Halys, dem einstigen Grenzfluss zwischen Lydern und Persern, gereicht hätte. Der westöstliche Kosmos von Italien bis Indien, der Alexander in den letzten Jahren seiner Herrschaft vorschwebte, war dagegen ein hypertrophes Gebilde, das ihn keine Stunde überlebte. Die Verteilungskämpfe um das Erbe rissen dann auch Athen in einen Krieg, den niemand gewinnen konnte.

Voraussetzungen Die Zerstörung Thebens bot Athen 335 die Chance zu einem Neuanfang. Anschaulich war klar geworden, wohin der bewaffnete Widerstand gegen Makedonien führten konnte, und ernsthaft hat bei allem Verbalradikalismus keiner der führenden Politiker Athens einen solchen in den nächsten Jahren in Erwägung gezogen. Die Trauer um die verloren gegangene Hegemonie hielt sich in Grenzen, denn seit 404 bestand sie nur in der Vorstellung, an frühere Größe anknüpfen zu können. Bald schon öffnete sich der Blick für die Vorteile, welche die Niederlage bot. Theben war zerstört, Sparta nur noch eine Karikatur einstiger Macht. So brauchte Alexander in mehrfacher Hinsicht Athen. Sein Feldzug war als Racheakt für die von den Persern zerstörten Heiligtümer deklariert, und auch wenn das für alle griechischen Tempel galt, so waren diejenigen auf der niedergebrannten Akropolis doch repräsentativ. Die Einnahme Athens war der Kulminationspunkt der persischen Invasion im Jahre 480. Als im Frühjahr 334 Alexander überstürzt mit einem Minimum an Mannschaften und Finanzen nach Kleinasien aufbrach, versprach das Unternehmen im Falle eines erfolgreichen Beginns einen Bedarf an Rüstungsgütern, den zu decken vor allem Athen in der Lage war. Die Stadt verfügte zudem über die geeignete Logistik. Militärisch hätte einzig die athenische Flotte der phoinikischen, die auf Seiten der Perser kämpfte,

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Paroli bieten können. Sofern Alexander die athenischen Schiffe nicht für den Kampf einsetzen wollte, brauchte er sie für Transportaufgaben. Die Großzügigkeit von 335 enthielt ein Angebot des Königs an Athen, sich in eine neue Rolle einzufügen, die es in dem nun entstehenden west-östlichen Kosmos noch zu definieren galt. Freilich brauchte es Zeit, die sich entwickelnden neuen Möglichkeiten zu sehen und zu nutzen. Im Zweifelsfall siegte aber zunächst der Bauch über das Herz – mit dem Verstand hatte er ohnehin leichtes Spiel –, obwohl von den Freiheitsparolen nur einige Redner satt wurden. Zuerst nahmen nur Wenige die neuen Vorteile wahr, und zu ihnen gehörte überraschenderweise neben Lykurg auch Demosthenes. Die Feindschaft der einstigen politischen Freunde war ihm deswegen sicher und verfolgte ihn bis ins letzte Lebensjahr. Lykurg und Demosthenes hatten 335 zusammen an der Spitze der Auslieferungsliste Alexanders gestanden. Spätestens zwei Jahre danach waren sie es, jener aber noch mehr als dieser, die Athen auf den Weg einer erfolgreichen Koexistenz brachten. Lykurg, vermutlich etwas älter als Demosthenes, vermögender Abkömmling einer angesehenen Priesterdynastie, war vor Chaironeia politisch kaum in Erscheinung getreten. Keine seiner vierzehn oder fünfzehn Reden, von denen nur eine vollständig erhalten ist, lässt sich in diese Zeit datieren. Eine politische Nähe zu Demosthenes war bereits früh festzustellen, und sie scheint die politischen Wechsel überdauert zu haben. Nach Lykurgs Tod setzte sich Demosthenes jedenfalls für dessen Söhne ein.1 Lykurgs Aufstieg begann nach 338, als er das offenbar neu geschaffene Amt eines Magistrates übernahm, dessen Aufgabe es war, die Finanzverwaltung der Stadt zu überwachen. Es war eines der seltenen Wahlämter, und die Amtszeit dauerte eine Penteteris, nach altem Sprachgebrauch also vier Jahre. 2 Lykurg wird dieses Amt in so überzeugender Weise ausüben, dass in der Forschung der Name Lykurgische Ära für das Athen der Alexanderzeit aufkam. 3 Er tat dies kraft seiner Fähigkeiten, aber auch weil die Verträge von Korinth einen griechischen Frieden garantierten und mit Beginn des Alexanderzuges zudem die Einnahmen der Stadt stetig stiegen. Bezeichnenderweise sind es auch erst die zweite und die dritte Amtszeit, in denen Lykurgs Wirtschaftspolitik besonders wirksam wird. Die Bedeutung der strategoí, die schon seit 404 zurückging, schwand noch weiter gegenüber den Politikern mit finanzpolitischer Kompetenz. Demosthenes war, wie gesagt, kein militärischer Fachmann, der Kreis seiner militärischen Operationen beschränkte sich auf die Rednerbühne. So bot sich für ihn nun eine neue Chance, sich beispielsweise gegenüber einem Mann wie Phokion zu behaupten, der bis dahin in der Volksversammlung vor allem wegen seiner militärischen Erfahrungen geschätzt wurde. Demosthenes war weiterhin einer der Vorsteher der theorikón-Kasse; Schatzmeister der

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so wichtigen Kriegskasse (Stratiotika) wurde 334 auf vier Jahre Demades, und das war zweifellos auch ein Programm. 4

Annäherungen Die große Wende des Demosthenes fand nicht an einem Tag statt, sondern ist das Ergebnis einer Entwicklung von 335 bis 333. Sie begann erzwungen mit einer Absprache im Sommer 335, der es zu verdanken ist, dass Alexander überraschend von der Auslieferung des Redners Abstand nahm. Danach hing sie mit der militärischen Entwicklung in Kleinasien zusammen und war sicherlich erst abgeschlossen, als im November 333 mit der Schlacht von Issos klar geworden war, dass vom Perserkönig künftig weder militärische noch finanzielle Hilfe erhofft werden konnte. Überhaupt waren die Monate bis Issos eine Art Übergangszeit, in der die Athener mit Anspannung nach Osten blickten und auszuloten versuchten, wieviel an Eigeninteresse gegenüber den Makedonen durchzusetzen war, ohne dass die Stadt Gefahr lief, in einen militärischen Konflikt zu geraten. Alexander wiederum zeigte seine Bevorzugung Athens, ohne deswegen von den Prinzipien seiner griechischen Politik abzuweichen. Das begann mit der Heeresforderung für seinen Asienfeldzug. Die Verträge von Korinth geboten die Entsendung griechischer Truppen, doch Alexander beschränkte sich auf 600 Reiter und 7000 Mann Infanterie, darunter etwa 700 bis 800 Athener. 5 Damit stellte er die Beziehungen zu Athen nicht auf die Probe. Im Gegenteil. Das griechische Kontingent rekrutierte sich meistenteils aus ärmeren Bürgern, von denen viele bezeichnenderweise nach der offiziellen Beendigung des Rachekrieges 331 weiterhin bei Alexander blieben. Der König übernahm, ohne durch die Verträge dazu verpflichtet zu sein, Ausrüstung und Soldzahlung. Das bedeutete für eine übervölkerte Stadt wie Athen eher eine Entlastung. Für die griechische Flotte von 160 Schiffen stellten die Athener 20 Trieren,6 bemannt mit Theten, Angehörigen der untersten Klasse in Athen. Auch deren Unterhalt bezahlte Alexander trotz finanzieller Engpässe. Als er wegen der Überlegenheit der persischen Flotte seine eigene auflöste, behielt er für Kurier- und Transportdienste nur die athenischen Schiffe, die für diese Aufgaben am tauglichsten waren. Dies setzt eine Absprache mit Athen voraus. Die Soldzahlungen stellten schon bald einen Wirtschaftsfaktor dar, später floss auch Beutegut nach Athen. Als Geiseln eigneten sich die griechischen Kontingente nicht, und Alexander hat sie auch nie als Druckmittel gegen Athen eingesetzt. Er hätte dies beispielsweise schon im Herbst 334 tun können, in dem es zur einzigen größeren Konfrontation kam. Als

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im Rahmen einer makedonischen Seeblockade in der Ägäis, mit der die Versorgung des in persischen Diensten stehenden Strategen Memnon aus dem Norden unterbunden werden sollte, auch athenische Lastschiffe aus dem Pontos aufgebracht wurden, gab Alexander nach, nachdem die Athener beschlossen hatten, gegebenenfalls ein Geschwader von hundert Schiffen auszurüsten, um die freie Fahrt zwischen Hellespont und Piräus zu sichern. Die auf der Insel Tenedos festgehaltenen Schiffe wurden ohne weitere Verhandlungen freigegeben.7 Darüber hinaus zeichnete er die Stadt öffentlich aus. Nach dem Sieg am Granikos schickte er 300 persische Rüstungen als Weihegabe nach Athen,8 um sie auf der Akropolis zur Schau stellen zu lassen. Der Sieg machte Eindruck im Volk. Demades, der Mann, der seit Chaironeia das Vertrauen der Makedonen besaß, wurde von der Ekklesia mit einer lebenslangen Speisung im Prytaneion geehrt, seine Bronzestatue auf der Agora aufgestellt. 9

Letzter Widerstand Ganz waren die Probleme zwischen Athen und Alexander nicht ausgeräumt. Im Frühjahr 333 reiste eine Delegation nach Kleinasien, um die Freilassung der athenischen Söldner zu erbitten, die – im Dienste des Großkönigs – nach der Schlacht am Granikos gefangen worden waren und zur Zwangsarbeit nach Makedonien geschickt werden sollten. So lange weiterhin griechische Söldner sich bei Dareios verdingten, konnte Alexander in dieser Frage allerdings nicht nachgeben und vertröstete auf das Ende des Rachefeldzuges.10 Als er aber obendrein noch weitere attische Trieren für seinen Feldzug forderte, wurde in der Volksversammlung Widerspruch laut. Auch Demosthenes plädierte dafür, Alexanders Aufforderung nicht Folge zu leisten. Unerwartet hatte er in diesen Monaten eine nachträgliche Bestätigung seiner Politik vor Chaironeia erfahren. Gegen den von Demomeles, seinem Neffen, und Hypereides im Sommer 338 eingebrachten Antrag, Demosthenes für seine Verdienste mit einem goldenen Kranz zu ehren, hatte ein Gegner namens Diondas Klage wegen Gesetzwidrigkeit erhoben, und diese war nun mit fast vierjähriger Verspätung verhandelt worden. Diondas bekam nicht einmal ein Fünftel der Stimmen. Nochmals war Demosthenes glänzend bestätigt worden. Ein letztes Mal erhob sich in jenem Sommer 333 in Athen Widerstand gegen Alexander,11 dessen Situation kurz vor der ersten Schlacht gegen die als überlegen eingestuften Truppen des Großkönigs vielen Griechen als unsicher erschien. Fassbar wird die Stimmung in Athen in einer Rede, die fälschlich Demosthenes zugeschrieben wurde, weil er der Nachwelt als

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ewiger Makedonenfeind galt. Der wahre Verfasser ist nicht bekannt. Er appelliert an das Volk, die günstige Gelegenheit, den kairós, zu nutzen – offenbar stand die Schlacht gegen den Großkönig unmittelbar bevor – und die Waffen gegen Alexander zu erheben. Der Grund des Aufrufs ist entlarvend und zeigt, dass die Verträge von Korinth eine Ordnung geschaffen hatten, an der nicht mehr zu rütteln war. Dieselben Makedonenfeinde, die zunächst die Verträge bekämpft hatten, stellten sich nun als deren Hüter dar: Gegen Alexander sei eine gemeinsame Bundesexekution aller Griechen zu beschließen, weil er permanent die beschworenen Verträge verletzte. Als gröbsten Vertragsverstoß gegenüber Athen prangert der Redner das Einlaufen eines makedonischen Schiffes im Piräus an.12 Spätestens hier wird die Rede zur Karikatur. Die Stadt wegen dieses vorgeblichen Deliktes in einen Kampf um die Existenz zu verwickeln, war unverantwortlich und zeigt, auf welches Niveau die antimakedonische Opposition gesunken war. Dass sich Demosthenes daran nicht mehr beteiligte, überrascht nicht. Als wenig später die Nachrichten vom Sieg Alexanders und der Flucht des Dareios eintrafen, war der Boden für eine neue Politik des Demosthenes bereitet. Sie erhielt ihr besonderes Gewicht dadurch, dass in dieser Zeit ein griechischer Aufstand gegen Alexander geplant und begonnen wurde. Er ging jetzt freilich nicht mehr von dem Mann aus, der zu Philipps Zeiten das Symbol des griechischen Widerstandes war, sondern kam aus dem seit 338 marginalisierten Sparta, das dem Korinthischen Bund nicht beigetreten und in Bedeutungslosigkeit versunken war.

Geheimdiplomatie Währenddessen beschlossen die Mitglieder des Korinthischen Bundes bei den Isthmischen Spielen im April 332 die Verleihung eines goldenen Siegeskranzes für Alexander, um ihn für das zu ehren, was er für „das Heil und die Freiheit Griechenlands“ getan hatte.13 Anfang 331 gelangten die Gesandtschaften nach Memphis, wo sich Alexander nach seiner Rückkehr vom Besuch des Ammon-Orakels aufhielt. Die Athener sprachen für alle Griechen und erbaten mit den Glückwünschen erneut die Freilassung aller am Granikos gemachten Gefangenen.14 Wenig später traf in Tyros eines der beiden athenischen Staatsschiffe, die „Paralos“, mit einer neuen Delegation bei Alexander ein. Die „Paralos“ wurde wie das Schwesterschiff „Salaminia“ vor allem für eilige und dringende Missionen verwendet, und so lässt sich der Grund ihrer Fahrt leicht erraten. Die Athener distanzierten sich vom Aufstand des Spartanerkönigs Agis und ließen sich dafür von Alexander belohnen. Der König erfüllte

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ihnen alle Wünsche, wegen derer sie gekommen waren, neben anderen die Freilassung der Granikos-Gefangenen, meldet der Historiker Arrian.15 Politik, die über die Grenzen Attikas hinausreichte, war nur in Abstimmung mit Alexander möglich. Dieser hatte mehrmals zu verstehen gegeben, dass er bereit war, Athen eine besondere Rolle im Westteil seines Imperiums zuzugestehen. In Athen konnte somit nur noch Einfluss ausüben, wer dem Rechnung trug. Demosthenes hatte das spätestens nach Issos begriffen, und so vollzog er einen Bruch mit der Vergangenheit, geschickterweise ohne sich von ihr zu distanzieren, denn durch sie hatte er sein Ansehen erlangt. Ein Mann namens Kallias aus dem euboiischen Chalkis, dem Demosthenes nach seiner politischen Konversion auf die Seite Athens das Bürgerrecht verschafft hatte, reiste in seinem Auftrag zu Olympias, Alexanders Mutter, die weiterhin großen Einfluss auf ihren Sohn ausübte; ein anderer Vertrauter des Demosthenes namens Aristion suchte Alexander direkt auf und bahnte offenbar einen brieflichen Dialog an, in dem sich der Redner in günstigem Licht zeigen konnte. Dies war schon geschehen, bevor die Athener in Tyros offiziell Kontakt zu Alexander aufgenommen hatten, denn die athenische Delegation traf dort Aristion bereits in Gesellschaft des Königs an. Demosthenes betrieb Geheimdiplomatie, und entsprechend lässt sich nichts Genaueres sagen als dass er bereit war, die neuen Machtverhältnisse zu akzeptieren und für Athen (und sich) das Beste daraus zu machen. Aischines spricht unwidersprochen davon, dass Demosthenes sich mit Alexander ausgesöhnt habe, und auch Demosthenes’ alte Freunde warfen ihm dies vor.16 Dem Historiker Marsyas von Pella zufolge war auch Hephaistion, der einflussreiche Freund Alexanders, an der Vermittlung beteiligt.17 Der Kontakt zu Alexander war langfristig angelegt, denn Aristion kam bereits im Winter 332/31 zum König und hielt sich auch im Sommer 330 und vermutlich noch länger in dessen Umgebung auf.

Neuer Wohlstand Ohne Athen und seine Bundesgenossen war der Aufstandsversuch, den der spartanische König Agis seit 333 unternahm, zum Scheitern verurteilt. Lediglich auf der Peloponnes fand er nennenswerte Unterstützung. Das reichte nicht, um den Truppen des Antipater, der als Statthalter Alexanders (strategós tês Európes) fungierte, erfolgreich Widerstand zu bieten. Im Spätsommer 331 unterlag Agis in der Schlacht bei Megalopolis auf der Peloponnes. Alexander kommentierte das Ganze als Mäusekrieg. Einer der Gründe, warum Agis außerhalb der Peloponnes nicht auf Un-

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Abb. 17: Die Pnyx 330–326 v. Chr.

terstützung hoffen konnte, war wohl die allgemein einsetzende wirtschaftliche Prosperität. Vor allem in Athen ist sie spürbar. Nach Chaironeia wuchsen die Einkünfte Athens auf etwa 1500 Talente jährlich – nochmals zum Vergleich: Die athenischen Bundesgenossen zahlten, wie gesagt, im blühenden 5. Jahrhundert des Perikles an Tributen insgesamt 460 Talente im Jahr. Während seiner Amtszeit verfügte Lykurg über 18900 Talente.18 Dies verdankt sich neben den üblichen Einnahmen aus Verpachtungen, Konfiskationen und Sondersteuern auch dem stetig zunehmenden Handel. Seit Korinth herrschte ein innergriechischer Frieden, durch energische Maßnahmen waren die Seeräuber erfolgreich bekämpft worden, mit Alexanders Vordringen nach Osten entstanden neue Absatzmärkte. Die Bautätigkeit in Athen belegt den Aufschwung besser als Zahlen. Die Zeiten, in denen Demosthenes in seinen Reden noch beklagen konnte, dass die Privathäuser besser hergerichtet seien als die öffentlichen Bauten,19 waren vorbei. Spätestens seit Mitte der vierziger Jahre verstärkte Athen den Ausbau militärischer Einrichtungen, von Mauern, Befestigungsanlagen, Arse-

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nalen und Schiffshäusern, seit dem Friedensschluss mit Alexander errichtete die Stadt auch Bauten für kulturelle, staatspolitische und religiöse Zwecke. Im Gebiet des Flusses Ilissos wurde an einem Gymnasium, einer Palaistra und am Panathenaischen Stadion gebaut. Tempel, Propyla, Stoen entstanden auf der Agora, im Heiligtum des Dionysos und des Asklepios, außerhalb Athens in Oropos und Eleusis, des weiteren war auf der Agora ein Gerichtsgebäude vorgesehen. Von besonderer Bedeutung war die Umgestaltung der Pnyx, auf der neue große Hallen mit einer Ladenkette die Attraktivität für die Besucher der Volksversammlungen erhöhen sollten. Seit den vierziger Jahren des 5. Jahrhunderts, als neben anderem der Parthenon entstand, gab es in Athen keine vergleichbare Bautätigkeit. Ziel war eine noch stärkere Beteiligung der Bürger am staatlichen Leben, Athen bereitete sich auf neue Aufgaben vor. So wurde die Ephebenausbildung, die ein militärisches Training der Jugend wie auch einen religiösen und staatspolitischen Unterricht vorsah, intensiviert. Ein neues Bewusstsein der eigenen Geschichte zeigte sich in der Ehrung der klassischen Dichter, deren Bronzestatuen auf Antrag Lykurgs im Theater aufgestellt werden sollten, 20 der Einführung weiterer Chor- und Komödienagones oder der finanziellen Absicherung von Kultbelangen. 21 Es ist anzunehmen, dass Demosthenes an den Reformen beteiligt war, auch wenn sich das genaue Ausmaß nicht feststellen lässt. Als gewählter Finanzmagistrat, der die Staatseinnahmen ordnete und neue Einkommensquellen erschloss, war zwar Lykurg zum wichtigsten Politiker aufgestiegen. Daneben fand aber auch Demosthenes seine Rolle, obwohl seine außenpolitischen Kompetenzen nicht mehr in dem Maße gefragt waren wie vor Chaironeia. Als langjähriger Verwalter der theorikón-Kasse besaß auch er finanzielle Kenntnisse. Zudem gab ihm seine inoffizielle Verbindung zum Königshof und zu Alexander neues Gewicht.

Prozesskrieg Das Jahr 330 Im Oktober 331 hatte Alexander bei Gaugamela gesiegt, der Großkönig entfloh und wurde schließlich ermordet. Anfang des nächsten Jahres beendete der makedonische König, der nun auch einer von Asien war, offiziell den Rachefeldzug, indem er den Palast von Persepolis, mittlerweile sein eigener, anzünden ließ. Innerhalb von acht Jahren hatte sich die griechische Welt stärker verändert als in den sieben Jahrzehnten seit dem Peloponnesischen Krieg. Die Athener hatten die Hegemonie den Spartanern, die Spartaner den Thebanern und alle drei den Makedonen überlassen. Die Geschichte kennt kein Zurück, sondern nur den irrigen Glauben daran. Aber nicht einmal diesen besaßen die Athener im Jahre 330. In der Rede des Aischines, die er in diesem Jahr hielt, hat sich ein Zeugnis über die Verwunderung der Zeitgenossen erhalten, in welcher rapide sich verändernden Welt sie lebten: Kein gewöhnliches Leben hätten sie geführt, sondern eines, über das die Nachwelt nur staunen könne. Der König der Perser, der einst den Hellespont überbrückt und sich angemaßt habe, aller Menschen Herr vom Aufgang bis zum Untergang der Sonne zu sein, kämpfe jetzt nicht nur um die Herrschaft, sondern bereits um die bloße Existenz. Die Nachbarstadt Theben, verblendet und mit Unvernunft geschlagen, sei an einem einzigen Tag mitten aus Hellas getilgt worden, die Spartaner, die einst die Herren von Griechenland hätten spielen wollen, schickten gedemütigt Geiseln, und Athen selbst, die eigene Stadt, kämpfe nicht mehr um die Vorherrschaft, sondern nur noch um den Boden, auf dem sie stehe.1 Aischines fiel diese Einschätzung nicht schwer, erblickte er doch eine Mitverantwortung für die athenische Situation bei Demosthenes, durch dessen Politik ganze „Flotten, Heere und Städte untergegangen seien“. 2

Die Welt Lykurgs Die Makedonenherrschaft war irreversibel, daran war 330 nicht mehr zu zweifeln. Jeder neue Aufstandsversuch war angesichts eines so mächtigen Alexander ausgeschlossen, und das machte es wieder auch leichter, über die Vergangenheit zu sprechen. Sie zu beschwören, konnte niemand mehr als Aufruf zur Tat missverstehen. So war der Zeitpunkt für eine letzte Auseinandersetzung zwischen den Antipoden der späten vierziger Jahre, zwi-

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Abb. 18: Das Bema: Rednerbühne auf der Pnyx

schen Aischines und Demosthenes, gekommen. Nun ging es freilich nicht mehr um die Zukunft der Stadt, sondern um die Vergangenheit zweier Politiker. Es war ein Kampf um die Gunst der Zuhörer, die noch einmal an die Zeiten erinnert werden wollten, als in der Ekklesia die Geschicke Griechenlands verhandelt wurden. In Zeiten der Niederlage muss die Erinnerung an einstige Größe für den Verlust an ihr entschädigen. Und so wurde auch in Athen die große Vergangenheit desto heftiger beschworen, je weiter sich die Stadt von ihr entfernte. Das Wort von der pátrios politeía, von der „Väterverfassung“, das am Ende des Peloponnesischen Krieges ein antidemokratisches Schlagwort der Oligarchen gewesen war, wurde nun zu einem Erziehungsideal umstilisiert, das freilich nicht so leicht mit Inhalten zu füllen war. 3 Im Sommer 330, kurz vor dem Kranzprozess, zog Lykurg einen Bürger namens Leokrates vor Gericht, der sich 338 nach der Schlacht von Chaironeia aus Angst vor einer makedonischen Invasion mit seiner Familie nach Rhodos geflüchtet hatte. Sieben Jahre später führten ihn seine Geschäfte wieder nach Athen, für Lykurg eine Gelegenheit, sein Bild des Bürgers modellhaft ex negativo zu demonstrieren. Leokrates war der Deserteur, der die Prinzipien des Ephebeneides verletzt hatte, die heiligen Waffen nicht zu entehren, die Gefährten im Kampf nicht zu verlassen, an dem Platz zu bleiben, an den jeder gestellt wurde, das Vaterland nicht geringer zu übergeben, sondern größer und besser, den Amtsträgern zu gehorchen

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wie den Satzungen, den jetzigen wie den künftigen. 4 Das war die Vorstellungswelt des Lykurg. Seine Rede gegen Leokrates ist ein einziger Gang durch die Geschichte Athens, denn es wurde offenkundig: In einem Reich, das bis Indien reichte, würde auch Athen, das Hellas der Hellenen, zu einem Kleinstaat schrumpfen, und um so wichtiger war es, sich jetzt seiner Identität zu versichern. Dass Lykurg damit auch ein drakonisches Exempel statuieren wollte und die Todesstrafe beantragte, befremdete die Geschworenen, und sie sprachen Leokrates frei, wenn auch nur mit der geringsten möglichen Stimmenzahl. 5

Der Kranz-Prozess Der Leokrates-Prozess war ein auf Athen begrenztes Politikum, der Kranzprozess, der nur wenig später stattfand, wurde zum gesamtgriechischen Ereignis. Aus ganz Hellas kamen Gäste nach Athen, um das Rededuell der beiden berühmtesten Rhetoren ihrer Zeit zu hören. Neben den 1001 oder gar 1501 Geschworenen drängten sich vor den Schranken des Gerichts die Schau- und Hörlustigen in Massen. Die Protagonisten waren sich dessen bewusst und versäumten nicht, darauf hinzuweisen.6 Doch der Prozess entschied über nichts als die Ehre, ihn zu gewinnen. Der Prozess war sechs Jahre verschleppt worden. Im Frühjahr 336 hatte ein Mann namens Ktesiphon den Antrag gestellt, Demosthenes für seine aktuellen Verdienste, so zum Beispiel als teichopoiós, und darüber hinaus für sein gesamtes politisches Wirken mit einem goldenen Kranz zu ehren. Der Rat der Fünfhundert fasste einen Vorbeschluss, der dann von der Volksversammlung entschieden werden sollte. Dagegen ging Aischines vor, indem er eine Klage wegen Gesetzwidrigkeit einreichte. Sie verwies auf formale Verstöße, sprach aber auch Demosthenes jegliches Verdienst für die Stadt ab und entzog der Ehrung damit die Grundlage.7 In den Wirren dieser Zeit wurde der Prozess vertagt, und offenbar hatten danach weder Demosthenes noch Aischines ein Verlangen, ihn wieder aufzunehmen. Zu unsicher war offenbar sein Ausgang. Wer nun 330 die Sache erneut aufrollte, ist unklar. Allgemein wird an Aischines gedacht, dem die historischen Ereignisse in Griechenland Recht gaben. Andererseits wusste Demosthenes, dass sich die Verhältnisse so weit geklärt hatten, dass er gefahrlos über seine Sicht der Vergangenheit sprechen konnte. Was einst Agitation war, war jetzt Erinnerung. Im Sommer 330 stand so ein Prozess an, der zu den ganz großen der athenischen Geschichte gehörte. Aus den jährlich gelosten Geschworenen musste am Tag des Prozesses – der späte Termin sollte Bestechungen verhindern – per Losmaschine eine Auswahl getroffen werden. Das Prozedere

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war umständlich, aber offenbar hatten die Athener – abgesehen von den Bezahlungen, die sie dafür erhielten – auch Freude daran, denn die morgendliche Auslosung fand Tag für Tag an den etwa 200 Gerichtstagen des Jahres statt. Noch in der Dämmerung versammelten sich die berechtigten 6000 Athener – oder zumindest ein Gutteil von ihnen – auf der Agora. Der Prozess würde mehrere Stunden dauern, beide Seiten hatten je drei Stunden für ihr Plädoyer. Bei der großen Anzahl der Interessierten würde die Auslosung etwas länger dauern, aber die Athener besaßen Routine darin, so dass sich das Verfahren nicht allzu sehr in die Länge zog. Die Gerichtsgebäude befanden sich im Nordosten der Agora und waren eingezäunt. An den zehn Eingängen versammelten sich die Angehörigen jeweils einer der zehn Phylen. Jeder der für ein Jahr bestimmten Geschworenen besaß ein mit einem Buchstaben gekennzeichnetes Richtertäfelchen, das in eine der zwanzig Losmaschinen, je zwei an den zehn Eingängen, gesteckt wurde. Mittels schwarzer und weißer Bällchen wurden dann gruppenweise die Geschworenen ausgewählt. 8 Falls mehrere Verhandlungen an einem Tag stattfanden, wurden die Geschworenen dann anschließend wiederum durch Los diesen zugeordnet. Durch Los wurden auch die leitenden Magistrate bestimmt sowie diejenigen, welche die Wasseruhr kontrollierten, die Stimmen auszählten und den Geschworenen schließlich das Salär auszahlten. 9 Die Reden des Demosthenes wie des Aischines sind erhalten. Nach der Verlesung der Klageschrift sprach zunächst der Kläger, also Aischines, dann der Beklagte, in diesem Fall Ktesiphon, der aber die Hauptrede seinem synégoros („Rechtsvertreter“) Demosthenes überließ. Für die Verlesung der oft zahlreich eingebrachten Dokumente wurde die mit der Wasseruhr minutiös gemessene Redezeit jeweils unterbrochen. Auch wenn den Rednern damit die volle Zeit für ihre Plädoyers zur Verfügung stand, so sind die erhaltenen Reden doch wesentlich länger, als dass sie sich in drei Stunden vortragen ließen. Beide sind – auch wenn sich das nur für die des Aischines nachweisen lässt – für die Veröffentlichung überarbeitet und ergänzt. Die Geschworenen waren Laien, aber aus langer Gewohnheit Fachleute der Rhetorik, die zu schätzen wussten, was die Redner an rhetorischem Schmuck und an Stilfiguren zu bieten hatten. Es gab nichts zu beweisen – das konnte an dieser Stelle gar nicht geleistet werden –, es galt, die Argumente des Gegners zu schwächen und mit den eigenen zu glänzen. Demosthenes verteidigte sich und seine Politik vor Chaironeia, und wie noch jeder gescheiterte Politiker betrachtete er sie als richtig. Da die Resultate dem nicht entsprachen, musste der Fehler anderswo liegen, und Demosthenes entdeckt ihn – wie die Athener schon 338 – im militärischen Bereich, den er, der vor Chaironeia nur einfacher Hoplite war, nicht zu

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verantworten hatte. Das Ungenügen im Politischen wurde mit dem massenhaften Auftreten eines Phänomens erklärt, dem die Griechen fälschlich schon die Niederlage an den Thermopylen zuschrieben, dem Verrat. Der Redner deklarierte zum Kampf für Freiheit,10 was ein Kampf um die Hegemonie, um Einflusssphären und Märkte gewesen war. Aus einem politisch-wirtschaftlichen Kalkül wurde ein Prinzip, das zu verfechten – unabhängig vom Ausgang – Verpflichtung war. Das war die hehre Seite der Argumentation. Daneben dominierte, was in den antiken Reden oft Usus war, die ungehemmte Beschimpfung des Gegners. Im Streit um die schlechteste familiäre Abkunft – Prostituierte, Sklaven und so fort werden aufgezählt – unterlag Aischines.11 Das Publikum kannte derlei Topoi der Invektive, und wenn es Beleidigungen auch nicht glaubte, so honorierte es doch die kräftigeren. Es erwartete Unterhaltung auf hohem rhetorischem (nicht moralischem) Niveau, und dazu gehörten Beschimpfungen. Es ging nicht mehr um einen politischen Richtungskampf, von diesem Prozess würde kein Fanal ausgehen, und entsprechend kümmerte sich Demosthenes nicht um den lebenden Alexander, der ganz im Schatten des toten Philipp blieb.12 Er wollte ein Attest, das ihm die bessere Vergangenheit bescheinigte, und er bekam es. Demosthenes war der überzeugendere Redner, und in der Kranzrede brillierte er, wie ihm alle Redelehrer der Antike bestätigten. Zudem verklärten auch die Athener gerne eine Niederlage in einen Beinahe-Sieg. Der Ausgang war, wie gesagt, ungewiss, und das erklärt auch, warum sich beide Seiten nicht beeilt hatten, die Sache wieder aufzunehmen. Die Abstimmung am Nachmittag des Prozesstages war geheim. Die Geschworenen hatten dafür – neben einer Marke, die sie zur Auszahlung des Salärs vorlegen mussten – zwei runde Stimmblättchen aus Bronze erhalten, beide von einer Achse durchbohrt, von welcher die eine hohl, die andere ein Stift war. Bei der Abstimmung hielten die Geschworenen den Stift des Stimmblättchens zwischen Daumen und Zeigefinger, um ihre Entscheidung geheim zu halten und warfen dasjenige, das gültig sein sollte, in eine bronzene, das nicht gültige in eine hölzerne Urne. Anschließend wurden die Stimmen aus der Bronzeurne ausgezählt – das Blättchen mit dem Hohlstift zugunsten des Klägers, dasjenige mit dem vollen zugunsten des Beklagten, also für Freispruch.13 Sie brachten eine Überraschung. Aischines erhielt nicht einmal ein Fünftel der Stimmen, und das bedeutete nicht allein, dass die Klage gegen Demosthenes abgewiesen war. Aischines musste zudem die für einen solchen Fall vorgesehene Buße von 1000 Drachmen bezahlen.14 Seine politische Karriere war damit, sofern er sich nicht schon vorher zurückgezogen hatte, weitestgehend beendet, sein Ansehen als Redner zumindest außerhalb Athens aber noch so groß, dass er die Stadt verließ und zuerst nach Ephesos und dann nach Rhodos ins freiwillige Exil ging.15

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Abb. 19: Losmaschinen (vgl. S. 222)

Abb. 20: Stimmsteine

Acht Jahre nach Chaironeia hatte Demosthenes seinen früheren politischen Einfluss nicht wiedergewonnen, doch sein Ansehen als Redner in Griechenland überstrahlte das.

Exkurs über Verrat und Freiheit Ende der fünfziger Jahre wurden sie noch kaum gesehen, seit 348 vermehrten sie sich sprunghaft und traten noch später in Rudeln auf. Gemeint sind die sogenannten Verräter, die exklusiv die Reden des Demosthenes bevölkern und allein durch ihre Existenz die Schwierigkeiten erklären, die dem Redner in seinem Kampf gegen Philipp erwuchsen. Das Motiv ist nicht neu: Schon die Griechen des 5. Jahrhunderts erklärten Niederlagen mit Verrat, aber Demosthenes machte es zum Massenphänomen.1 Wie eine Seuche breiteten sich nach seiner Meinung die Verräter geradezu epidemisch in Griechenland aus: „Eine verderbliche Krankheit hat ganz Griechenland ergriffen … Die Angesehensten in den Städten, betraut mit der Führung des Staates, verraten ihre eigene Freiheit und bürden sich, unselige Geschöpfe, die sie sind, eine selbst gewählte Knechtschaft auf, indem sie für diese allerlei Namen von Freundschaft und dergleichen (xenía, hetairía, philía) finden. Die übrigen aber, all die Mächtigen in den verschiedenen Städten, deren Aufgabe es wäre, diese zu bestrafen und auf der Stelle zu töten, sind so weit davon entfernt, dass sie diesen gar schmeicheln, ihnen nacheifern und jeder sich selbst an ihre Stelle wünscht.“ Die Thessalier habe dieses Treiben, fährt Demosthenes fort, um die Hegemonie, ihr Ansehen und schließlich die Freiheit gebracht. In die Peloponnes sei die Seuche eingefallen und habe die Elier mit solchem Wahnsinn geschlagen, dass sie, um über einander zu herrschen und Philipp zu Gefallen zu sein, Verwandte und Mitbürger massakrierten. Aber auch dort sei die Krankheit nicht stillgestanden, sondern zu den Arkadern weitergezogen, habe bei ihnen alles auf den Kopf gestellt und das Unterste nach Oben gekehrt. 2 Demosthenes sah überall, wo Philipp erfolgreich war, Verräter am Werk. Sie waren es in Olynth, das ihm zum wichtigsten und einprägsamsten Beispiel eines Verratsfalles wurde, sie lauerten aber auch in fast jeder Stadt Griechenlands, angefangen von der Chalkidike im Norden bis zur Südspitze der Peloponnes. Sie trieben ihr Unwesen in Thessalien, auf Euboia in Oreos und Eretria, bei den Arkadern und den Argivern, in Elis und Messene, in Sikyon und Korinth, in Megara, Theben, ja sogar und gerade vor den Augen des Demosthenes selbst, in Athen. Aischines, Philokrates und andere hatte er schnell entlarvt. Doch Demosthenes kannte auch die Namen der Verräter außerhalb Athens: Daochos, Kineas, Thrasydaos, Kerkydas, Hieronymos, Eukampidas, Myrtis, Teledamos, Mnaseas und zwanzig weitere zählt er an nur einer einzigen Stelle der Kranzrede auf und schließt seinen Katalog der Schande mit den Worten, der Tag würde

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nicht lang genug sein, um alle Verräter mit Namen zu nennen.3 In Demosthenes’ Welt gab es lange Zeit nur zwei Gruppen von Menschen, Patrioten und Verräter. Patriot war, wer einem gegen Philipp gerichteten Panhellenismus huldigt, Verräter waren die anderen. Ohne Zweifel, Philipp verteilte großzügig Gastgeschenke; aber das taten auch griechische Städte, und selbst in Athen waren Ehrungen für Auswärtige mit materiellem Vorteil verbunden. Geschenke anzunehmen war nirgends verboten. Vielleicht waren die Athener weniger spendabel, glaubten sie doch, was Fremde erhielten, ginge ihnen von der eigenen Wohlfahrt ab. Vielleicht gab Philipp im Besitz der thrakischen Goldbergwerke etwas mehr als andere, und das weckte sicherlich den Neid, der Demosthenes’ Propaganda durchaus erfolgreich werden ließ. 4 Schon der Historiker Polybios machte auf die Problematik des Begriffs „Verräter“ aufmerksam und kritisierte speziell Demosthenes, dem er ansonsten Lob zollte: „Daher muss man auch Demosthenes … tadeln, als er unbesehen und leichtfertig die heftigsten Schmähungen gegen die ausgezeichnetsten Männer Griechenlands geschleudert hat, weil sie mit Philipp im Bunde standen … Er maß alle Dinge am Nutzen seiner eigenen Stadt, bildete sich ein, alle Griechen müssten auf Athen schauen, und wenn einer das nicht tat, hieß er ihn einen Verräter: ein schwerer Irrtum, wie mir scheint, ein völliges Verfehlen der Wahrheit, um so mehr, als das, was damals geschah, nicht den politischen Weitblick des Demosthenes bestätigte.“ 5 Eine Prosopographie der genannten Verräter erbringt, soweit sich von ihnen noch Daten ermitteln lassen, keine Belege für Demosthenes’ pauschale Diffamierung. Von all den gekauften Verrätern in Athen wurde gerade Philokrates verurteilt, der sowohl mit seinem Namen als auch wegen seines Namens dafür büßen musste, dass die Athener mit dem 346 geschlossenen Frieden später nicht mehr zufrieden waren. Schmähungen und Beschimpfungen waren, wie auch die Reden Ciceros zeigen, Teil eines Vokabulars der Invektive. Ob Cicero an die Vorwürfe, die er erhob, immer glaubte, dürfen wir bezweifeln, bei Demosthenes wissen wir es nicht. Vermutlich kam seine Überzeugungskraft aus dem Glauben an die eigene gute Sache, die für ihn selbstverständlich die schlechte der anderen war. Demosthenes’ Verräterschelte besaß eine doppelte Funktion. Nach außen richtete sie sich, gekoppelt mit dem Vorwurf des Betrugs, gegen den Makedonenkönig, im Innern gegen die Opposition. Solange der Kampf mit Philipp währte, signalisierte sie, Verhandlungen mit dem König seien sinnlos, da dieser kein ehrlicher Partner sei; nachdem die Entscheidung gefallen war, rechtfertigte Demosthenes mit der Verräter-Topik seine gescheiterte Politik. 6 Ihm gelang es, ein emotionales Schlagwort zu prägen,

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das jeden, den es charakterisierte, ohne Nachfrage zum Verräter stempelte. Philippizein, die Sache Philipps vertreten, wurde zum vernichtenden Urteil über das, was die Gegner des Demosthenes taten: Es genügte, mit Philipp in einem Satz genannt zu werden, um in den Augen der Athener diskreditiert zu sein.7 Zur Verräter-Topik gesellte sich die Freiheitspropaganda. Beides ist meistens verbunden, da weder das eine noch das andere Gegenargumente verträgt: Auf der einen Seite standen diejenigen, die als Agenten Philipps arbeiteten, und auf der anderen Seite diejenigen, die für die Freiheit stritten, die Demosthenes meinte. 8 Freiheit ist eine Vokabel, welche Demosthenes in seinen Reden zur athenischen Außenpolitik zunächst sparsam verwendet. In der ersten Philippika kommt sie wie in den drei Olynthischen Reden von 348 gar nicht vor. Die Freiheitsparolen setzten erst mit der zweiten Philippika im Jahre 344 ein, wurden dann in den Staatsreden der folgenden drei Jahre ausgiebig benutzt, aber erst in der berühmten Kranzrede von 330 inflationär. Freiheit war ein buntes Gefäß, aus dem Demosthenes nach Gusto schöpfte. Zunächst war Freiheit für ihn der Besitz der demokratischen Verfassung. Damit adelte er bereits den Kampf gegen oligarchisch verfasste Städte oder die Unterstützung demokratisch verfasster wie beispielsweise Rhodos 352 zum Freiheitskampf. Unter der gleichen Voraussetzung wurde Philipp als König und damit Tyrann quasi allein per Amt zum Feind von Freiheit und Gesetzlichkeit. Schon der Titel König assoziierte für Demosthenes Knechtschaft. Die in den Perserkriegen erkämpfte Freiheit galt als Erbe der Ahnen, als ein nicht zu diskutierendes Gut. Es stand einerseits neben Werten wie Würde, Hegemonie oder Verfassung, schloss sie andererseits aber auch ein. Wo Demosthenes mit panhellenischer Attitüde um Bundesgenossen warb, war Freiheit die aller Griechen vor Philipp, wo er von Athen für Athener sprach, war Freiheit ganz im Gegensatz dazu nichts anderes als der Hegemonieanspruch der Stadt, der von der Expansion Philipps bedroht war. In der großen Schlussabrechnung von 330 wurde der Begriff der Freiheit schließlich zum Synonym für die verspielte Vorherrschaft Athens und verkam damit zum exklusiven Besitz des Demosthenes. In einer Welt von Feinden war er ihr letzter Repräsentant, und wenn er sie dann doch nicht bewahren konnte, so blieb ihm das immerwährende Verdienst, es doch versucht zu haben: „Diese alle (die Verräter in den griechischen Städten) hegten in ihrer Heimat dieselben Absichten wie diese hier auch (die athenischen Verräter), Menschen mit Schande bedeckt, Schmeichler und Unruhestifter, von denen jeder sein Vaterland schmählich verstümmelte und die Freiheit erst Philipp, dann Alexander leichtfertig preisgab, Leute, die nach dem Bauch und den schändlichsten Genüssen die Glückseligkeit ab-

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maßen, die Freiheit aber, die für die früheren Hellenen Ziel und Maßstab des Guten war, die Freiheit von Gewaltherrschaft, vernichteten. Von diesem schändlichen und berüchtigten Verein, von dieser Schlechtigkeit, oder vielmehr, wenn man die Wahrheit sagen will, von diesem Verrat an der Freiheit der Hellenen ist diese Stadt durch meine Politik in aller Menschen Augen frei geblieben und ich in euren … Ich sage dir (Aischines) also, dass, während die Staatsmänner bei den Hellenen insgesamt, du an der Spitze, bestochen sind, früher von Philipp, jetzt von Alexander, mich weder Zeitumstände noch freundliche Worte noch Verheißungen, weder Hoffnung noch Furcht noch etwas Anderes dazu gebracht haben, von dem, was ich für richtig und heilsam für das Vaterland hielt, etwas preiszugeben. Noch habe ich mich je bei irgendeinem Rat, den ich hier erteilt habe, nach eurer Weise wie eine Waage nach der Seite des persönlichen Vorteils geneigt, sondern ich habe bei allem geradeheraus, gerecht und unbestochen gehandelt, und wie keiner von all meinen Zeitgenossen mit den wichtigsten Staatsangelegenheiten betraut, habe ich sie alle mit Umsicht und Uneigennützigkeit geführt.“ 9

Alexanders Schatten Die Getreideversorgung Der Erfolg im Kranzprozess bestätigte Demosthenes als einen der führenden Politiker der nächsten Jahre. Mit der Niederschlagung des Agisaufstandes und den Erfolgen Alexanders im Osten hatten sich die innergriechischen Verhältnisse weiter stabilisiert. Die Ausweitung der Märkte und der Zufluss neuer Gelder nach Griechenland durch die ausgemünzten Schätze des Großkönigs stellten auch neue Aufgaben. Wie archäologisch nachweisbar, stieg der Wohlstand in Athen. Mit zunehmendem Wohlstand wuchsen freilich auch die Bürgerzahlen und mit ihnen die Probleme. Die Auseinandersetzungen in der Volksversammlung kreisten vornehmlich um innere Angelegenheiten, und das war für die in erster Linie an Kriegen interessierte antike Historiographie von geringem Interesse. Zwar hatte sich seit dem Ende des 5. Jahrhunderts als eigenes Genos auch die (attische) Lokalgeschichte herausgebildet, alle Werke der sogenannten Atthidographen sind jedoch verloren gegangen und nur noch in Fragmenten fassbar. So gibt es bis zum Beginn des letzten großen Prozesses im demokratischen Athen, bezeichnenderweise eines Korruptionsprozesses, kaum mehr Nachrichten über Demosthenes. Die Kranzrede von 330 ist auch die letzte von ihm erhaltene Rede. Über seine politische Arbeit besagt das nichts. Er war immer noch der Athener mit den besten äußeren Kontakten, die weit über Griechenland hinaus bis zu den Fürsten Thrakiens und denen der Schwarzmeerküsten reichten. Vermutlich waren es neben anderem auch diese, die ihm zu einem Amt verhalfen, das nur für seine Person bezeugt ist: Demosthenes wurde Beauftragter für die Getreideversorgung (sitónes). Plutarch kritisierte Demosthenes, er habe anders als Cicero nie ein wirklich hohes Amt innegehabt. Er denkt an das Konsulat, das er offenbar der strategía gleichsetzt. Der Vergleich hinkt freilich, denn die Politik Athens wurde in der Volksversammlung gemacht und nicht in der elitären Körperschaft des Senats. Wie wichtig gerade die Organisation der Getreideversorgung war, hätte Plutarch ein Blick auf die außerordentlichen Imperien des Pompeius oder den Rechenschaftsbericht des Augustus lehren können, der sich gerade dieser besonders rühmt. Demosthenes war bereits in der schwierigen Phase nach Chaironeia sitónes gewesen, und er wurde es nun auch in der Zeit einer großen Getreidekrise.1 Das Amt war sicherlich ein außerordentliches, es wurde nach Bedarf eingerichtet, und dieser bestand offenkundig Anfang der zwanziger Jahre.

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Getreideknappheit und Teuerung hatten viele Ursachen, von denen manche noch in der Vergangenheit lagen. Es gab Missernten; Piraterie, die durch die Verträge von Korinth eingedämmt schien, breitete sich wieder aus, vor allem aber trug Kleomenes von Naukratis, der von Alexander als Finanzadministrator des wichtigen Exportlandes Ägypten eingesetzt worden war, mit einer geschickten Politik der Verknappung erheblich zur Preissteigerung bei. Kleomenes verfügte über Agenten in den verschiedenen griechischen Häfen, die ihm den jeweiligen Stand des Getreidepreises meldeten, sodass die Lastschiffe immer dorthin gelenkt werden konnten, wo dieser besonders hoch war. 2 Dies traf die Athener hart, und sie führten mit anderen Städten Klage bei Alexander. 3 Der griff offenbar nicht in die Belange des Kleomenes ein, kompensierte den Schaden aber durch großzügige Getreidespenden über seinen Schatzmeister Harpalos, dem Athen dafür das Bürgerrecht verlieh. Auch aus Kyrene kamen große Getreidelieferungen, hinter denen sich als Initiator wieder Alexander vermuten lässt, denn sie gingen an alle griechischen Staaten außer Sparta und Aitolien, welche die führende Rolle beim Aufstand von 331 gespielt hatten. 4 Der athenische Getreidefonds diente vermutlich dazu, Preisschwankungen auszugleichen und Getreide zu subventionieren. Im Vergleich zu den vierziger Jahren kletterten die Preise zum Teil auf das Dreifache. Zugleich war der Fonds eine erfolgreiche Probe auf das neue Gemeinschaftsgefühl der Polis. Die Bürger spendeten für den Fonds; Demosthenes selbst ging wieder mit gutem Beispiel voran und gab aus seinem Vermögen die hohe Summe von einem Talent. 5 Immer wieder wurden Kaufleute für Getreideimporte aus Tyros, aus Sinope und dem weiteren Pontosgebiet, aus Samos, Kypros und Kyrene belobigt und geehrt. 6 Demosthenes beantragte selbst Auszeichnungen für Getreidelieferungen wie die Aufstellung einer bronzenen Statue auf der Agora. Seine genannten vielfältigen überseeischen Verbindungen zu einigen pontischen Herrschern erwiesen so ihren Nutzen für Athen. Die Stadt überstand die Krise und plante wieder für die Zukunft. 324 sollte eine größere Anzahl von Trieren, Tetreren und Dreißigruderern in die Adria geschickt werden, um dort eine Bürgerkolonie mit der Aufgabe zu gründen, Getreidetransporte vor den tyrrhenischen Piraten zu schützen. Alexander war inzwischen schon aus Indien zurückgekehrt, und so mag das Unternehmen auch mit dessen neuen Plänen in Übereinstimmung gestanden haben. Der Anspruch der Athener ging jedenfalls weit über nationale Partikularinteressen hinaus. Die neue Flottenstation (Naustathmos) sollte Griechen wie Barbaren die Sicherheit des Meeres garantieren.7

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Die Ankunft des Harpalos Als im Hochsommer 324 eine kleine Flotte von etwa dreißig Schiffen den Piräus ansteuerte, ahnte niemand in Athen, dass ihre Ankunft die Geschichte der Stadt verändern würde. Für Demosthenes werden es zwei hochdramatische Jahre, in wenigen Monaten wiederholt sich nochmals, was seine lange Karriere bestimmte: entschiedenes Beharren und abrupter Kurswechsel, Erfolg und Niederlage, Triumph und Katastrophe. Im Unterschied zu den vierziger Jahren war Demosthenes noch weniger Herr seines Tuns. Die Dynamik, die Alexanders Zug in den Osten und der rasche Zusammenbruch seines Reiches entwickelte, entlud sich in Jahrzehnten von Kriegen und Aufständen, die gewöhnlich der Bildung neuer Ordnungen vorausgehen. In diesen umfassenden Kämpfen waren Griechenland und seine einstige Hegemonialmacht Athen an den Rand gedrängt; es war weniger die Freiheit, welche die griechischen Städte mit dem Aufstieg Philipps und Alexanders verloren, als ihre einstige Bedeutung. Die Schiffe, die 324 Kurs auf den Piräus genommen hatten, fuhren eine dreifach brisante Ladung. Zum einen hatten sie tonnenweise Gold und Silber im Wert von mehreren hundert Talenten an Bord, zum anderen 6000 Söldner und, zum dritten und am gefährlichsten, Harpalos, den Schatzmeister Alexanders und Ehrenbürger Athens. Willkommen war dort nur das Erste. Konsequenterweise verweigerte der Kommandant des Piräus den Schiffen die Einfahrt. Harpalos ankerte und wartete ab. Er war anerkannter Wohltäter Athens, hatte die Stadt mit Getreide versorgt und Bauaufträge in Millionenhöhe vergeben. Zudem hatte er – im Besitz von Söldnern und Geld – ihr ein Angebot zu machen, und das war der Grund, warum er überhaupt nach Athen gekommen war. Harpalos, ein Jugendfreund Alexanders, war in der Hierarchie des Reiches bis an die Spitze gelangt, vom Aufseher über die Kriegskasse war er zu einer Art Generalfinanzdirektor aufgestiegen, der in Babylon residierte und durch dessen Hände, wenn auch nur bildlich, die Gelder des Reiches flossen. Er verdingte die Söldner und lieferte Alexander den Nachschub nach Indien. Über seinen Lebenswandel empörten sich vor allem die, die nicht davon profitierten, an der Spitze Theopomp von Chios. Der Historiker, überzeugter Gegner Athens, musste mit ansehen, wie gerade diese Stadt Vorteile aus Harpalos’ Verschwendungssucht zog, und informierte eilends den König. Der hatte sicherlich seine eigenen Zuträger, und als er Ende 325 aus Indien zurückkehrte, wo ihn Harpalos für die längste Zeit seines Lebens wähnte, blieb dem Schatzmeister nur die Flucht. Alexanders Strafgerichte über untreue Satrapen zeigten Harpalos, was er zu erwarten hatte. Er besaß zwar Geld, Schiffe und Söldner, aber noch kein Ziel außer dem, die Distanz zu Alexander möglichst groß zu halten.

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Das Verbanntendekret Harpalos’ erstes Ziel war Athen nicht, denn er hielt sich mehrere Monate im östlichen Mittelmeer und in Kreta auf, bevor er sich entschloss, den Piräus anzulaufen. 8 Der Grund lag möglicherweise in einer neuen politischen Entwicklung, die Harpalos hoffen machte, nun leichter Aufnahme in Athen zu finden. Nach seiner Rückkehr aus Indien hatte Alexander begonnen, in Angriff zu nehmen, was er über zehn Jahre lang versäumt, während des Versuches, den östlichen Rand der oikouméne, der bewohnten Welt, zu erreichen, wohl auch vergessen hatte, nämlich die Lösung der ständig wachsenden sozialen Probleme Griechenlands, die den Frieden von Korinth immer stärker bedrohten. Das Problem war alt, ein Ergebnis des Kampfes zwischen Oligarchen und Demokraten in den griechischen Städten, aber es war durch den Sieg Philipps, der viele seiner Gegner ins Exil trieb, verschärft worden. Tausende Verbannte vagabundierten durch Griechenland, durch Kleinasien zogen marodierende Söldner aus den Heeren des Großkönigs und Alexanders, die keine der griechischen Heimatstädte mehr aufnehmen wollte. Alexander entschied sich für eine Brachiallösung, und dies vor allem auch, weil er wusste, dass er sie gegebenenfalls durchsetzen konnte. Per Beschluss verfügte er die Rückführung aller Verbannten in ihre Heimatstädte und – der Kern des Problems – die Wiedererstattung ihrer konfiszierten Güter. Die Athener traf das Verbanntendiagramma besonders hart. Sie hatten einen Teil der Bevölkerung von Samos vertrieben und dort eigene Kleruchen angesiedelt. 9 Diese Siedler würden ihre Besitzungen aufgeben müssen, und dann blieb ihnen nur die Rückkehr in das ohnehin schon übervölkerte Athen. Das war die Situation, in der sich Harpalos entschloss, Athen anzulaufen, und sein Angebot lautete, Athen mit Söldnern und Geld zu unterstützen. Vor dem Verbanntendekret war das wenig aussichtsreich, jetzt aber durfte er hoffen, zumindest unter den Makedonengegnern Fürsprecher zu finden. Vielleicht rechnete er auch noch Demosthenes dazu. Wenn dem so war, erlebte er freilich eine unangenehme Überraschung, denn dieser war es, der am entschiedensten einer Aufnahme des Flüchtlings widersprach: Nicht ohne Not und aus ungerechtem Anlass solle sich die Stadt in einen Krieg verwickeln lassen.10 Zu anderen Zeiten war es gerade dieser Krieg, den er sich gewünscht hätte. Der Bruch mit den athenischen Makedonengegnern war nun, wie deren Angriffe auf Demosthenes zeigen, vollständig. Die Politik, die Demosthenes jetzt betrieb, orientierte sich an dem, was er vor 338 weniger im Blick hatte, an den gegebenen Machtverhältnissen. Es gab für ihn keine Alternative zu einem Ausgleich mit Alexander. Harpalos segelte nach Tairanon im Süden der Peloponnes, wo der tradi-

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tionelle Anwerbeplatz für Söldner lag, kehrte aber schon bald nach Athen zurück, ohne Söldner, aber mit viel Bargeld. Beides fand nun Aufnahme in Athen, und das, obwohl Demosthenes einen Beschluss erwirkt hatte, welcher den Hafenkommandanten ausdrücklich anwies, Harpalos die Einfahrt zu verwehren.11 Harpalos’ Schätze waren das Zugangsbillet. Demosthenes scheint in der Frage des so wichtigen Verbanntendekrets jetzt die Initiative übernommen zu haben. Alexander hatte inzwischen einen Abgesandten nach Griechenland geschickt, Nikanor, einen Schwiegersohn des Aristoteles, der in Olympia offiziell die Rückführung der Verbannten verkünden und die detaillierten Bestimmungen des Dekrets erläutern sollte.12 Das bot die Möglichkeit für Verhandlungen, und so reiste auch eine athenische Delegation nach Olympia, zu deren Führer Demosthenes gewählt worden war. Rund 20000 Verbannte hatten sich dort versammelt, die auf Rückkehr in ihre Heimat hofften. Demosthenes traf sich zu einer Unterredung mit Nikanor, über deren Ergebnisse allerdings nichts bekannt wurde.13 Aus dem, was danach geschah, lässt sich jedoch in etwa ablesen, was verhandelt worden war. Alexanders Gesandter hatte sicherlich keine unbeschränkten Befugnisse, und so liegt nahe, dass der Konflikt verschoben wurde und in direkten Unterhandlungen mit dem König gelöst werden sollte. Für Demosthenes galt es, dazu die richtigen Vorbedingungen zu schaffen, und so beantragte er gleich nach seiner Rückkehr etwa Mitte August die Inhaftnahme des Harpalos. Noch war keine Auslieferungsforderung von Alexander eingetroffen, aber die würde nicht lange auf sich warten lassen.

Die Vergöttlichung Die zweite Vorleistung ist noch augenfälliger, nämlich das Umschwenken der Stadt in der Frage der Deifikation Alexanders. 331 hatte dieser das berühmte Ammon-Orakel in der Oase Siwah besucht und sich von den dortigen Priestern als Sohn des Ammon-Zeus begrüßen lassen. Es folgte später der Versuch, als Erbe des Großkönigs das persische Hofzeremoniell der Proskynese, der kniefälligen Verehrung, auch für Griechen und Makedonen einzuführen. Nach der Rückkehr aus Ägypten begann Alexander insbesondere mit Blick auf die Integration der östlichen Völker, aber auch mit dem Ziel, alle Untertanen gleichzustellen, einen eigenen Herrscherkult mit ihm als Staatsgott zu etablieren. Das stieß auf weniger Schwierigkeiten als die gescheiterte Einführung der Proskynese. Im Gegensatz zu dieser war jenes Ansinnen den Griechen nicht fremd, und so antworteten die Spartaner gelassen, wenn Alexander ein Gott sein wolle, dann solle er es sein.

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Abb. 21: Münze Philipps II.: Zeuskopf und Reiter

Die Athener zierten sich zunächst, wohl mehr aus Prinzip als dass sie glaubten, ihre Götter bekämen nun einen unerwünschten Kollegen. Demosthenes trat zunächst entschieden dagegen auf, auch Lykurg, der 326 nicht mehr wiedergewählt worden war, widersprach: Was solle das für ein Gott sein, wenn sich der Besucher beim Verlassen und nicht beim Betreten seines Tempels mit Weihwasser besprengen müsse. Das taugte als Bonmot, politisch brachte es nichts. Mit Alexanders Forderung nach Rückkehr der Verbannten hatte sich die Situation verändert. Demosthenes war dies bei den Verhandlungen mit Nikanor klar geworden, und nun war er ein ebenso entschiedener Befürworter der göttlichen Ehren für Alexander. Er beantragte in der Volksversammlung, Alexander als Sohn des Zeus anzuerkennen. Der Philosoph Speusipp hatte, wie gesagt, bereits Philipps Abstammung von Herakles, dem Zeussohn, nachgewiesen. Genealogisch war Demosthenes’ Forderung daher problemlos. Auf entschiedeneren Widerstand stieß vermutlich Demosthenes’ Verlangen, Alexander zudem eine Bildsäule zu errichten, die ihm als theòs aníketos, als unbesiegbarem Gott, geweiht war. Es gab erneut Widerstand, doch Demades, der schließlich den Antrag einbrachte, Alexander als dreizehnten Gott neben die zwölf Olympischen zu stellen, besaß das Argument der Stunde: Die Athener sollten sich vorsehen, über den Himmel nicht die Erde zu verlieren. Das unersetzliche Samos war bekanntlich eine Messe wert. Dies und vermutlich auch der Gesinnungswandel des Demosthenes, der das Samos-Argument glaubhaft machte, gaben den Ausschlag.14 Der Antrag wurde angenommen, eine Gesandtschaft gewählt, die sich im Herbst auf den Weg nach Babylon machte. Bekränzt, wie es

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für Festgesandtschaften zu Ehren von Göttern üblich war, wurden die Gesandten im Frühjahr 323 von Alexander zur Audienz empfangen und beglückwünschten ihn zu seinen Siegen.15

Die Gelder des Harpalos Es war etwa Ende August, als der von Demades beantragte Beschluss gefasst wurde. Noch aber stand das Problem aus, ohne dessen Lösung die Gesandtschaft eigentlich nicht zu Alexander aufbrechen konnte. Das Problem hieß weiterhin Harpalos, und es hatte sich verschärft, da inzwischen gleich von drei Seiten seine Auslieferung gefordert wurde: einmal von Antipater, dem strategòs tês Európes, zum andern von Olympias und drittens von Philoxenos, dem in Sardes residierenden Finanzdirektor Kleinasiens. In dieser Situation wählten die Athener einen Mittelweg, der in Gefahr bekanntlich der untauglichste ist. Sie deponierten die Gelder des Harpalos auf der Akropolis und ermöglichten diesem heimlich die Flucht. Das ersparte ihnen den Vorwurf, einen Ehrenbürger der Stadt ausgeliefert zu haben und beließ die Hoffnung, sich an den zurückgelassenen Schätzen bereichern zu können. Tatsächlich aber stürzte der Streit um die Talente des Harpalos und vor allem ihre genaue Anzahl die Stadt in die größte Korruptionsaffäre ihrer Geschichte. Eine vom Volk eingesetzte Kommission hatte als Gesamtsumme der von Harpalos mitgebrachten Gelder 700 Talente errechnet. Sichergestellt wurde aber nur in etwa die Hälfte davon. Vermutlich waren die Angaben des Harpalos über die Höhe des mitgebrachten Geldes etwas übertrieben, aber dennoch war nicht zu leugnen, dass ein wesentlicher Teil in den Privattresoren einzelner Bürger versickert war. Die Erregung war groß, denn nun wurde offensichtlich, wie sehr das Volk von seinen führenden Politikern, und das von einer großen Anzahl, betrogen worden war. Harpalos war widerrechtlich nach Athen gekommen, und er hatte die Stadt widerrechtlich verlassen, beides ließ sich am sichersten mit Bestechung erklären. Nicht alles war Eigennutz. Es gab auch „schwarze Kassen“,16 in denen früher die Dareiken des Großkönigs gehortet worden waren und in die jetzt die Drachmen des Harpalos flossen. Sie dienten der Finanzierung geheimer Aktionen, vielleicht auch der Vorbereitung auf eine mögliche militärische Konfrontation mit Alexander. In jedem Fall wurde hier illegal am Demos vorbei und auch gegen ihn Politik gemacht. Es war eine Aushöhlung der Rechte der Bürger, und das wollten diese nicht hinnehmen. Zur Wut gesellte sich noch Angst. Die von Harpalos geraubten Gelder waren Alexanders Gelder, und wenn auch deswegen noch nicht Krieg

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drohte, würde dieser sich zumindest das von den Athenern ersetzen lassen, was Harpalos in die Stadt gebracht hatte.

Vor dem Areiopag Demosthenes war Sprecher des Untersuchungsausschusses,17 dessen Ergebnisse sich nun gegen ihn selbst richteten. Er stand im Mittelpunkt der Ereignisse der letzten Wochen, und so musste er jetzt mit einem öffentlichen Prozess rechnen. Seine Verteidigung, er habe das, was er von Harpalos erhalten habe, für die theorikón-Kasse verwendet,18 verfing nicht. In dieser Situation trat er die Flucht nach vorn an. Er musste zunächst Zeit gewinnen. Zu welchen Urteilen die Athener fähig waren, wenn sie in kollektive Wut geraten waren, hatten sie an mehreren Beispielen, von der Absetzung des Perikles über das Todesurteil gegen die aufständischen Mytilener bis hin zum Mysterienskandal, demonstriert. So stellte Demosthenes vor der Volksversammlung den Antrag, das Verfahren vor den Areiopag zu bringen.19 Das war in Fällen von Verrat, Umsturz und Korruption möglich. Um diese Körperschaft hatte er sich Ende der vierziger Jahre verdient gemacht, 20 vielleicht sogar bei der Einführung dieses Verfahrens, das seinen Namen apóphasis nach dem abschließenden Bericht trug, den der Areiopag am Ende der Untersuchung vorlegte. Jedenfalls war ihm dieses Gremium schon einmal in kritischer Lage, als es um den Verbleib der persischen Gelder ging, gefällig gewesen. 21 Der Areiopag tat auch sein möglichstes und verschleppte die Untersuchung immer weiter, aber die Unruhe in Athen legte sich nicht, denn kein einziges der Probleme mit Alexander war gelöst. Es brauchte sechs Monate, bis der Areiopag Anfang März 323 seinen Bericht dem Volk vorlegte. 22 Ohne die Gründe im einzelnen offenzulegen, veröffentlichte er eine Liste mit den Namen derjenigen Politiker, die nach Meinung der Areiopagiten der Bestechung überführt waren. Da das Volk alle verdächtigte, gab es keine Überraschungen, vielleicht abgesehen davon, dass die Liste nur neun Namen enthielt. 23 Immerhin waren immense Geldmengen verschwunden. Die Liste ließ keine bestimmte politische Richtung erkennen. Bestechung war eine Aktivität (oder Passivität), die überparteilich war. An vorderster Stelle fanden sich die Namen von Demosthenes und Demades. Dies hing sicherlich aber nicht mit den letzten Beschlüssen wie dem Vergöttlichungsdekret zusammen, auch Gegner dieser Entscheidung fanden sich auf dieser Liste ein. Der Areiopag konnte kein Urteil fällen, so überwies das Volk die Sache an einen Gerichtshof, für den 1501 Geschworene bestellt wurden. Die Areiopagiten sahen die Beschuldigten als der Bestechung überführt an,

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das war ein Präjudiz, aber keiner der Geschworenen musste sich an das Ergebnis der Untersuchung halten, zumal die Beweise, sofern es sie gab, unter Verschluss blieben.

Der Prozess Zehn öffentliche Ankläger wurden gewählt, und im Duell mit den Beschuldigten entschied derjenige die Sache für sich, der die Stimmung des Volkes besser traf. Vier der Anklagereden sind erhalten – zwei davon gegen Demosthenes –, aber keine der Verteidigung. Es war ein Spektakel, das den Kranzprozess noch übertraf, und es war die größte Krise der Demokratie seit ihrer Wiedereinführung im Jahre 403. Demosthenes wurde bezichtigt, von Harpalos zwanzig Talente erhalten zu haben, Demades 6000 Goldstatere – das war in etwa dieselbe Summe und beiden Politikern angemessen. Die Bestechungssummen der Antike wahrten noch menschliches Maß. Hypereides, der einstige Gesinnungsgenosse des Demosthenes, wütete gegen diesen, als seien dieser und seine Politik die Quelle allen Übels. Unter dem Vorwand, für das Volk zu sprechen, arbeite Demosthenes offen für Alexander, behauptete er, und mahnte im gleichen Atemzug, die Richter müssten Demosthenes verurteilen, damit Athen nicht wegen der Rückforderung der Gelder in einen Krieg mit Alexander verwickelt werde: Um solch schmutziger Dinge willen dürfe kein Krieg geführt werden.24 Es verwundert nicht, dass Hypereides zur selben Zeit, zu der er die Korruption anprangerte, in der Komödie selbst der Bestechung bezichtigt wurde. Das Volk hielt ihn nicht für integer, sondern bestenfalls für geschickter. 25 Es wurden Sündenböcke gesucht, mit deren Opferung der Zorn Alexanders besänftigt werden konnte. 26 Demosthenes war bestens dazu geeignet. Seine Möglichkeiten, sich am Königshof Gehör zu verschaffen, waren mit dem plötzlichen Tod des Hephaistion,27 über den seine Kontakte liefen, nahezu erloschen, ganz abgesehen davon, dass ein Herrscher, der inzwischen ein Weltreich regierte, kaum noch Notiz von ihm nahm. 28 Demosthenes’ Hauptproblem war freilich, dass die von ihm initiierte Gesandtschaft an Alexander diesen frühestens im Februar in Babylon erreichen konnte, positive Nachrichten in der Samosfrage also ausstanden. Die Richter verurteilten schließlich Demosthenes, nicht weil Hypereides die besseren Argumente hatte – solche kommen in den Redefragmenten, die überliefert sind, gar nicht vor –, sondern weil sie es wollten. Hier half auch die vor kurzem noch so gerühmte Redekunst nicht. Demosthenes wurde zu einer Geldstrafe von fünfzig Talenten verurteilt, für Demades gab es einen Nachlass. Obwohl er die gleiche Bestechungssumme erhalten

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hatte, belief sich seine Buße nur auf zwanzig Talente, der Hafenkommandant Philokles kam mit fünfzehn Talenten davon. Es gab sogar einen Freispruch, und zwar für Aristogeiton, einen stadtbekannten Sykophanten. Harpalos hatte ihn freilich auch nur auf 2000 Drachmen taxiert. 29

Die letzten Jahre Das Exil Die Urteile im Harpalos-Prozess kühlten die Gemüter ab, und das war auch ihr Zweck. Demades blieb in Athen und stand schon einige Wochen später wieder auf der Rednerbühne. Offenbar hatte er die Geldbuße bezahlen können, zu der er verurteilt worden war. Sie entsprach ja genau der vermuteten Bestechungssumme, und offenbar hat er jene mit dieser beglichen. Auch Philokles gelangte rasch wieder zu Ehren. Eine bei Oropos gefundene Inschrift belegt seine Bekränzung durch die Epheben einer Phyle für Ende August 323.1 Überhaupt wurden alle Beteiligten bis zum Beginn des Hellenischen Krieges amnestiert. 2 Die Ausnahme blieb Demosthenes. Eine Geldstrafe von fünfzig Talenten war auch für einen relativ reichen Mann wie ihn nicht zu bezahlen. Noch mehr freilich könnte ihn der erneute Vertrauensverlust in der Bürgerschaft geschmerzt haben. Nun da er sich in den zwanziger Jahren wieder an die Spitze der athenischen Politik gearbeitet und in jenem Krisenjahr 324 maßgeblichen Einfluss auf die Volksversammlung ausgeübt hatte, muss er den Vertrauensentzug durch das Volk als besonders bitter empfunden haben. Da er die geforderte Summe nicht bezahlte, kam er in Schuldhaft, aus der er aber mit Hilfe von Freunden entfliehen konnte. 3 Was er in Athen besaß, wurde beschlagnahmt. Für einen solchen Fall hatte er aber offenbar vorgesorgt und entsprechende Gelder vorher aus der Stadt gebracht, sodass er zumindest die materielle Grundlage für das Leben im Exil hatte. Er lebte dort teils auf der Insel Aigina gleichsam in Sichtweite Athens beziehungsweise in Troizen auf der Nordpeloponnes. Plutarch erzählt über das Exil, das Demosthenes – wie noch jeder Politiker – als ungerecht empfand, die zu diesem passenden Anekdoten: So habe Demosthenes beim Verlassen der Stadt die Arme empor gestreckt und gerufen: „Herrin Athena! Warum findest du an den drei bösesten Tieren Gefallen, der Eule, der Schlange und dem Volk?“ Jungen Leuten, die ihn im Exil besuchten, riet er dringend ab, sich der Politik zu widmen. Zu Beginn seiner Laufbahn hätte er zwischen zwei Wegen wählen können, von denen der eine zur Rednerbühne und zur Volksversammlung, der andere aber geradezu ins Verderben führte. Hätte er die Übel gekannt, welche die Politik mit sich bringe, Furcht, Hass, Verleumdungen und ewigen Kampf, so hätte er den Weg beschritten, der geradezu in den Tod führte. 4 Das sind Gemeinplätze. Über Demosthenes’ Verhalten im Exil lässt sich wenig sagen, denn die Briefe, die er angeblich von dort geschrieben hat,

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sind fingiert. Immerhin scheint er sich, soweit das möglich war, weiterhin politisch betätigt und natürlich vor allem die Rückkehr in die Heimat betrieben zu haben. In Athen war Lykurg zwei Jahre nach Ende seiner Amtszeit im Jahre 324 vor Gericht gestellt worden, weil er ein Defizit in der Staatskasse zu verantworten hatte. Nach seinem baldigen Tod wurden seine Söhne für die angeblichen Unterschlagungen haftbar gemacht und, da sie nicht zahlen konnten, in Gewahrsam genommen. Demosthenes setzte sich nun aus dem Exil entschieden für sie ein, und tatsächlich gelang ihm zusammen mit Hypereides auch deren Rehabilitierung. 307/306 wurde Lykurg sogar mit einer Statue und einer Inschrift geehrt. 5

Tod und Hoffnung Demosthenes befand sich erst wenige Wochen im Exil, als das Ereignis eintrat, auf das sich die Makedonengegner angeblich bereits in aller Heimlichkeit militärisch vorbereitet hatten. Alexander starb. Auch für Demosthenes’ Überlegungen soll nach moderner Auffassung die vorsichtige Bewahrung der Machtmittel Athens für die Zeit nach Alexander und die in ihr zu erwartenden Umbrüche zentral gewesen sein. Das ist schwer vorstellbar. Als Alexander starb, war er 32 Jahre alt; sein Tod kam überraschend, die Planungen für den nächsten großen Feldzug waren schon weit fortgeschritten. Nichts sprach dafür, dass Alexander als jugendlicher Heros enden sollte. Die Opposition war längst ausgeschaltet. Bezeichnend ist, dass in den Gerüchten, die nach Alexanders Tod aufkamen, ausgerechnet der Philosoph Aristoteles als Giftmörder herhalten musste. Wie aber sollte sich Athen auf ein Ereignis vorbereiten, das vermutlich erst in drei, vier, fünf Jahrzehnten stattfand, abgesehen davon, dass ein Imperium, das so lange bestand, auch gefestigt war. Die einzige Chance der Stadt war, sich in den entstehenden Kosmos Alexanders einzuordnen. Diese Chance war am 11. Juni 323 Vergangenheit. Was jetzt geschah, lässt sich nur mit den Stichworten Verwirrung und Chaos beschreiben. Tatsächlich hatte niemand in Athen einen vernünftigen Plan für diesen Tag, und die Angst vor dem Verlust von Samos komplizierte die Sache, indem sie diese auf die militärische Option zu vereinfachen schien. Als die ersten Gerüchte vom frühen Tod des Königs nach Athen gelangten, trat die Volksversammlung zusammen. Eine Diskussion um die Folgen entbrannte, doch Phokion und vor allem Demades erreichten eine Vertagung. Alexander sei auch morgen und übermorgen noch tot, soll Phokion gesagt haben. Demades’ diesbezügliches Apophtegma (Ausspruch) ist das erste Zeugnis für die bald einsetzende Alexanderlegende: „Wenn Alexander tot wäre, würde sein Leichnam die Erde verpesten.“ 6

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Als aus den Gerüchten Gewissheit wurde, erneuerte sich die Diskussion. Der Glaube, die makedonische Macht verkörpere sich in Alexander,7 war weit verbreitet. Einen Thronfolger gab es nicht, und den Feldherren und Statthaltern Alexanders wurde wenig zugetraut. Dass es nicht die Zentralmacht war, die den Agisaufstand ohne Anstrengung niederschlug, sondern Antipater, war vergessen. Noch einmal suchten Phokion und Demades, die Gemüter zu beruhigen.8 Seit der Harpalos-Affäre war freilich Hypereides der Mann, dem das Volk am meisten vertraute. Samos war der Stachel, der Athen in den Krieg trieb. Der Überlieferung zufolge war es die Masse, die – von Demagogen aufgehetzt – zum Kampf drängte, 9 indes fanden sich auch unter den Besitzenden genügend Befürworter. Eine große Rolle spielte dabei das Auftreten des Strategen Leosthenes. Er war ein Athener, über dessen Vergangenheit, bevor er 324/23 und 323/ 22 zum Strategen gewählt wurde, wenig bekannt ist. In Tainaron, wo nach ihrer von Alexander verfügten Entlassung aus den Diensten der Satrapen größere Söldnerverbände eintrafen, rekrutierte er 324/23 in geheimen Verhandlungen ein Heer von schließlich rund 8000 Mann. Auf sein Ersuchen hin soll der Rat in Athen ihm – an der Volksversammlung vorbei – fünfzig Talente für deren Bezahlung zur Verfügung gestellt haben.10 Für das Volk kam diese Entwicklung überraschend. Vermutlich hörte es erst in jener Kriegssitzung von etwa September 323 von dieser Sache. Gleichzeitig enthüllte Leosthenes, dass auch mit anderen Feinden Makedoniens wie den Aitolern bereits über Bündnisse verhandelt werde. Dies machte den Eindruck weitgediehener Vorbereitungen und mag dazu beigetragen haben, die Athener zum Kriegsentschluss zu bewegen.

Hoffnung und Tod Für Demosthenes bot der Tod Alexanders und der Kriegseintritt Athens die Chance zurückzukehren. In Kriegszeiten war der Drang zum Zusammenhalt groß, eine Amnestie, wie die Athener sie schon vor der Xerxes-Invasion beschlossen hatten, schien möglich. So unterstützte Demosthenes von Troizen aus die athenischen Gesandten, die auf der Peloponnes für die athenische Sache warben. In der Bundesversammlung der Arkader plädierte er für eine Unterstützung des unter Führung Athens neu gebildeten Hellenenbundes.11 Ihm entgegen trat der Athener Pytheas, einst Freund, dann Feind des Demosthenes. Er war nach Alexanders Tod zu den Makedonen übergegangen und vertrat nun makedonische Interessen – auf der Bundesversammlung offenbar erfolgreich, denn die Arkader blieben dem Krieg fern.12 Die Athener honorierten indes Demosthenes’ Eintreten für die Vaterstadt. Auf Antrag des Demon von Paiania, eines Vetters des Demosthenes, be-

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schloss die Volksversammlung, ihn aus dem Exil zurückzurufen. Eine Triere wurde nach Aigina geschickt, um ihn von dort zu holen.13 Inzwischen schien sich das Kriegsglück auf die Seite der Athener zu wenden. Leosthenes, ein fähiger Feldherr, wie sie Athen im 4. Jahrhundert nur wenige besaß, schlug zunächst die mit Makedonien verbündeten Boioter, besetzte die Thermopylen, besiegte den ihm entgegen geeilten Antipater bei Herakleia und schloss ihn im benachbarten Lamia ein.14 Antipater war zur Kapitulation bereit, allerdings nicht zu den von Athen verlangten harten Bedingungen, und so ging der Kampf weiter. Als Demosthenes Ende des Jahres 323 zurückkehrte, war Athen euphorisiert. Er wurde empfangen wie Alkibiades, von dessen Rückkehr aus der Verbannung die Athener 408 einen Sieg im Peloponnesischen Krieg erhofft hatten: „Als Demosthenes vom Piräus heraufzog, blieb kein Magistrat, kein Priester in der Stadt zurück, und auch alle anderen Bürger gingen ihm entgegen und hießen ihn freudig willkommen“, berichtet Plutarch und zitiert einen Grammatiker des 1. Jahrhunderts, dem zufolge Demosthenes angesichts dieser Begrüßung die Hände erhoben und sich um dieses Tages willen glücklich gepriesen habe, da er ehrenvoller heimkehre als Alkibiades. Aus freiem Willen nämlich empfingen ihn die Bürger, nicht von ihm gezwungen.15 Es gab freilich noch einen wesentlichen Unterschied zu Alkibiades. Dieser bestimmte, alsbald zum strategòs autokrátor gewählt, die Politik Athens. Demosthenes kehrte nicht in die Stellung zurück, die er vor dem Harpalos-Prozess noch gehabt hatte. Die wichtigsten Entscheidungen nach Alexanders Tod waren ohne ihn gefallen, angesichts des bevorstehenden Krieges dominierten die Strategen, auf der Rednerbühne hatte Hypereides die Auseinandersetzung mit Phokion und Demades gewonnen. Hypereides hielt auch die Staatsrede auf die Gefallenen des Jahres 323.16 Selbst in dieser Ausnahmesituation ging in Athen alles seinen korrekten formaljuristischen Gang. Die Geldstrafe wurde Demosthenes nach seiner Rückkehr nicht erlassen, stattdessen wurden ihm, da er sie auch jetzt nicht bezahlen konnte, der ehrenvolle Auftrag erteilt, den Altar des Zeus Soter für das Opferfest zu schmücken. Das war eine Leistung, die aus öffentlichen Kassen bezahlt wurde. 323/22 gab der Staat also fünfzig Talente dafür aus.17 Bei der Belagerung von Lamia war inzwischen Leosthenes verwundet worden und wenige Tage später seinen Verletzungen erlegen. Athen stritt um den geeigneten Nachfolger. Phokion war vorgeschlagen worden, seine Gegner, die fürchteten, er würde den Krieg beenden, setzten jedoch den ihnen genehmen Antiphilos durch. Im Belagerungsheer zeigten sich inzwischen erste Auflösungstendenzen. Die Aitoler zogen ab.18 Die Entscheidung fiel freilich zur See. Obwohl Athen eine Flotte aufbot, die noch stärker war als diejenige, die 480 bei Salamis die Perser besiegt

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hatte, außerdem zu den bisher verwendeten Trieren auch schon fast fünfzig der moderneren Tetreren (Vierruderer) eingesetzt wurden, unterlag die Stadt bei Amorgos, einer kleinen Ägäisinsel südöstlich von Naxos, der Reichsflotte unter dem Befehl des Admirals Kleitos.19 Auf dem Land erhielt inzwischen Antipater Verstärkung und entschied bei der thessalischen Stadt Krannon nun auch diesen Krieg für Makedonien. Die athenischen Bundesgenossen waren kaum motiviert, das Bürgerheer ineffizient, und die Söldner waren nur so lange im Einsatz, solange die Gelder des Harpalos reichten. Aus der eigenen Kriegskasse konnten die Athener wenig beisteuern.20 Es war ein Desaster der athenischen Kriegspolitik, wie sie seit dem Moment betrieben wurde, als die Beschlagnahme der Gelder des Harpalos den Makedonengegnern vorgaukelte, sie könnten den Krieg um Samos gegen Alexander, seine Stellvertreter oder Nachfolger gewinnen. Demosthenes hatte an dieser Verschärfung der Lage keinen Anteil. Er konnte das makedonische Potential inzwischen besser einschätzen. Vor der Verbannung hatte er sich für den Ausgleich mit Alexander eingesetzt, nach seiner Rückkehr mag er daher trotz seiner patriotischen Bekenntnisse vielen Vertretern einer harten Linie suspekt gewesen sein. Jedenfalls trat er nicht mehr hervor. Dass er die überheblichen Kapitulationsforderungen an Antipater, immerhin Ehrenbürger von Athen, unterschrieben hätte, ist unwahrscheinlich.21 Er hatte aus den Erfahrungen von 338 und 336/35 gelernt. Zu spät entzog die Volkversammlung den Kriegsbefürwortern das Vertrauen, Demades wurde wieder in seine Rechte eingesetzt und zusammen mit Phokion als Gesandter zum anrückenden Antipater geschickt. 22 Die Friedensbedingungen waren hart, doch hatten die Athener von Antipater schwerlich Besseres zu erhoffen. Sie verloren ihre externen Besitzungen, in den Hafen von Munichia zog eine Besatzung ein, die demokratische Verfassung wurde außer Kraft gesetzt. 23 Als eine ihrer letzten Handlungen verurteilte die Volksversammlung die Makedonenfeinde, denen sie kurz zuvor noch zugejubelt hatte, in einem pauschalen Urteil zum Tode, um den Vorbedingungen für die Friedensverhandlungen zu genügen.24 Anschließend verhalfen die Athener ihnen zur Flucht, wohl wissend, dass diese nicht mehr als ein Aufschub war.

Auf der Flucht Das von Makedonien beherrschte Griechenland war klein, und es gab viele Denunzianten, die sich eine kleine Belohnung verdienen wollten. Antipater beschäftigte ein eigenes Kommando, das auf die Ergreifung Flüchtiger spezialisiert war. Der Führer dieser Truppe, Archias, hatte seinen

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Beruf zum Ehrennamen gemacht, wie Plutarch berichtet, denn er führte den Beinamen Phygadotheras, „der Flüchtlingsjäger“. Hypereides stand an der Spitze der Fahndungsliste. Archias stellte ihn und andere Makedonengegner im Heiligtum des Aiakos auf Aigina. Wer an die Altäre der Götter flüchtete, besaß Asylrecht, aber das hatten die Athener und Spartaner schon gründlich missachtet, und so bestand kein Grund, dass sich ausgerechnet die Makedonen von den griechischen Göttern in die Pflicht nehmen ließen. Hypereides wurde festgenommen und zu Antipater geschickt. Der ließ ihn hinrichten. Phokion, der schon 338 mit Philipp und 336 mit Alexander verhandelt hatte, war auch 322 Delegierter, als der Frieden mit Antipater geschlossen wurde. Vier Jahre gehörte er dann zu den maßgeblichen Politikern Athens, doch als Antipater starb und Athen für kurze Zeit zur Demokratie zurückkehrte, stürzte er über den Verdacht oligarchischer Umtriebe. 25 Demosthenes wurde die Vergangenheit zum Verhängnis. Er gehörte nicht zu denen, die den Konflikt mit Antipater forciert hatten, auch wenn er sicher auf eine neue Autonomie Athens gehofft hatte. An eine Wiedererrichtung irgendeiner Art von Hegemonie war nicht zu denken. Aus den Zeiten seines Kampfes gegen Philipp war ihm außerhalb Athens der Ruf des Makedonenhassers ungeachtet seiner Wende unter Alexander geblieben, und in der Kranzrede hatte er diesen Ruf ja in gewisser Hinsicht verteidigt. So geriet auch er in das Visier Antipaters. Archias erhielt Nachricht, dass Demosthenes sich von Troizen auf die nahe Insel Kalaureia in den versteckt gelegenen Tempel des Poseidon geflüchtet hatte. Mit einer Truppe thrakischer Söldner setzte Archias zur Insel über und umstellte den Tempel. Er suchte Demosthenes zu überreden, diesen zu verlassen und ihm freiwillig zu Antipater zu folgen. Hypereides war wenige Tage vorher hingerichtet worden, und Demosthenes ahnte, was ihm bevorstand. So nahm er Gift, das er zu diesem Zweck frühzeitig besorgt hatte. Die Demosthenes-Legende hat den Tod des Helden breit ausgeschmückt, Plutarch lag schon eine ganze Reihe verschiedenster Berichte vor. Nach der Version, die ihm am glaubwürdigsten schien, starb Demosthenes außerhalb des Tempels vor dem Altar des Poseidon. Der Biograph nennt auch das genaue Datum, und er gibt ihm, als Priester in Chaironeia mit religiösen Kalendern vertraut, auch seine Symbolik: „Demosthenes starb am sechzehnten des Monats Pyanepsion, dem Tage, den die Frauen als den düstersten des Thesmophorienfestes begehen und beim Tempel der Göttin fasten.“ 26 Nach moderner Rechnung war das der 12. Oktober 322. 27

Das zweite Leben Das Denkmal Mit seinem Freitod im Oktober 322 wurde Demosthenes für die Nachwelt zu dem Helden, der er die wenigste Zeit seines Lebens gewesen war. 322 ist auch das Jahr, in dem der Philosoph Aristoteles starb und in dem die athenische Demokratie ihr (vorläufiges) Ende fand. Wenige Wochen vor Demosthenes’ Tod war auf dem Munichia-Hügel in Athen eine makedonische Besatzung eingezogen, die für die Exekution der festgesetzten Kapitulationsbedingungen sorgte. Athen hatte Kriegsentschädigung zu leisten, die besagte Besatzung aufzunehmen und die makedonenfeindlichen Politiker, unter ihnen den inzwischen geflohenen Demosthenes, auszuliefern.1 Wie 404 die Spartaner erzwangen nun 322 die Makedonen eine Verfassungsänderung. Die Demokratie wurde nicht enthauptet, aber sie wurde halbiert. Antipater machte einen Mob von „Unruhestiftern“, die er unter den ärmeren Bürgern suchte, für die Kriegsbeschlüsse verantwortlich. Jetzt wurde durch die Einführung eines Zensus von 2000 Drachmen das Bürgerrecht auf 9000 Bürger beschränkt, 12000, die ihn nicht erfüllen konnten, verloren es. Athen kehrte zu einer timokratischen Ordnung zurück, wie sie Solon einst in anderer Form eingerichtet hatte. 2 Es war aber nicht der Zusammenbruch eines lange schon zerrütteten Systems, es war ein von außen erzwungener Umsturz, getragen freilich von athenischen Politikern, die – wie Demades und Phokion – lange Zeit die Demokratie verkörpert hatten. Als Teil des Alexanderreiches wurde Athen nun in den Kampf der Diadochen um dieses allzu große Erbe hineingerissen. Wer Herr über Makedonien war, suchte auch Herr über Athen zu werden. Wie in Makedonien die Herrscherhäuser, Argeaden, Antipatriden oder Antigoniden, wechselten, so wechselte auch die Vormundschaft über Athen. Die äußeren Turbulenzen spiegelten sich in den inneren. Wer gestern geehrt wurde, konnte heute hingerichtet und morgen – als Toter – wieder rehabilitiert werden. Keiner der führenden Politiker in der Ära Alexanders starb eines natürlichen Todes. Sie starben durch Gift, den Strang oder das Schwert, in der Heimat, im Exil oder in Gefangenschaft. In den erbitterten Kämpfen der Erben Alexanders gegeneinander versuchten die Athener einen gegen den anderen auszuspielen, und so kamen auch immer wieder Momente der Unabhängigkeit.3 Seitdem der Kampf um die Hegemonie 338 verloren worden war, bildete Makedonien den Nenner aller athenischen Aktivitäten, gegen die makedonischen Herr-

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scher galt es die Freiheit zu erkämpfen oder sie in den wenigen Momenten der Autonomie zu bewahren. Das war die Grundlage für den Nachruhm des Demosthenes, der zum Symbol des Freiheitskampfes wurde, obwohl er selbst keinen geführt hatte. Demosthenes’ Kampf gegen Philipp wurde um die Vorherrschaft in Griechenland geführt, nicht um die Freiheit Athens. So schnell wie die Verfassungen wechselten nach 322 die exempla historica. Als Antipater 318 starb, versprach sein Nachfolger Polyperchon den Griechen die Freiheit und den Athenern eine neue Demokratie. Phokion wurde hingerichtet. Nur ein Jahr später knüpften die Athener Verhandlungen mit Polyperchons Gegner Kassander an, weil die makedonische Besatzung noch immer nicht abgezogen war. 4 Wieder wechselte die Macht. An die Spitze des Staates gelangte als Gefolgsmann des Kassander der Athener Demetrios von Phaleron. Aus der Demokratie wurde wieder eine Timokratie, wenngleich gemäßigt, denn nun betrug der Zensus nur noch 1000 Drachmen. 5 Phokion wurde rehabilitiert, mit einer ehernen Statue geehrt, sein Leichnam erhielt ein Staatsgrab. 6 Demetrios war ein Schüler des Philosophen Theophrast, veröffentlichte selbst eine Reihe von philosophischen, staatspolitischen und historischen Werken und bestimmte als Erster das Bild des Redners Demosthenes. Er war ihm wie sein Lehrer wenig freundlich gesinnt und setzte seine Redekunst herab. Außerdem nahm er die zeitgenössischen Vorwürfe der Bestechlichkeit, Feigheit und militärischen Unfähigkeit auf und verbreitete ein – vor allem im Vergleich zu Phokion – ungünstiges Bild des Demosthenes.7 Zehn Jahre dauerte die Herrschaft des einen Demetrios, dann eroberte ein anderer Demetrios mit dem Beinamen Poliorketes (der Städtebelagerer) Athen, und wieder begann eine neue Zeit mit einem flüchtigen Schein von Freiheit. Demetrios und sein Vater Antigonos, der zweite der großen Diadochen, restaurierten die Demokratie, und die Athener nahmen sie als Retter (sotêres) in den Kreis der Götter auf, der Alexander dem Großen zunächst verschlossen bleiben sollte. Jetzt wurden diejenigen rehabilitiert, die 322 von Antipater hingerichtet worden waren.8 Diese Geschichtsrevision brachte auch die Leistungen des Demosthenes wieder in Erinnerung. Einzelne Reden hatte dieser selbst schon zu Lebzeiten publiziert. Nun wurde nach solchen aus dem Nachlass oder aus privaten Archiven gesucht. Sie wurden gesammelt und bewahrt, später auch geordnet und kommentiert. 9 Das Verhältnis der Athener zu Demetrios Poliorketes verschlechterte sich: Noch 301 wurde er vertrieben, 294 kehrte er zurück, um Athen sieben Jahre später erneut verlassen zu müssen.10 Im Jahre 287 erkämpften sich die Athener für eine etwas längere Zeit die Unabhängigkeit, und das demokratische System, dessen Strukturen nie gänzlich ausgelöscht waren,

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erlebte eine letzte Blüte, bevor es schließlich nur noch eine Hülse war, in der sich in der zweiten Jahrhunderthälfte wieder eine Oligarchie etablierte. Das Verdienst, Demosthenes in den achtziger Jahren wieder ins Bewusstsein der Athener gerückt zu haben, gebührt Demochares, einem der führenden Politiker der Zeit. Er war ein Neffe des Demosthenes und überzeugter Verfechter der Demokratie der Vorfahren. Als Historiker schrieb er ein Werk über seine Zeit, über Demetrios (negativ) und sich selbst (positiv). Im Jahre 280 – 42 Jahre nach dem Freitod von Kalaureia – beschlossen die Athener auf seinen Antrag, eine bronzene Porträtstatue des Demosthenes auf dem Marktplatz aufzustellen und dem jeweils Ältesten seiner Nachkommen die ehrenvolle Speisung im Prytaneion sowie einen Ehrensitz im Theater zu gewähren.11 Dieses im Wortlaut erhaltene Psephisma ist gleichsam die Gründungsurkunde der Demostheneslegende. 12 Am meisten von allen seinen Zeitgenossen habe er sich mit seiner Politik für Freiheit und Demokratie eingesetzt. Von der Oligarchie verbannt, sei er auf Kalaureia gestorben aus Liebe zur Demokratie, der er die Treue und Ergebenheit auch bewahrt habe, als Antipater Soldaten zu seiner Ergreifung ausgesandt habe. Niemals habe er sich der Gewalt der Feinde unterworfen und auch in höchster Gefahr nichts getan, was der Demokratie unwürdig gewesen sei. Das Denkmal des Demosthenes wurde schnell berühmt, und bald spannen sich die ersten Geschichten um die Gedenkstätte. Das Original ging verloren, erhalten haben sich römische Kopien.13 Es war aber vor allem die Inschrift, welche die Gemüter bewegte und die Demosthenes zusammen mit seinen erhaltenen Reden gegen Philipp zum zweitausendjährigen Freiheitskämpfer machte: „Wäre deine Kraft, Demosthenes, deiner Gesinnung gleichgekommen, niemals hätte der makedonische Kriegsgott über Hellas geherrscht.“ 14

Demosthenes redivivus Während Athens politischer Niedergang nicht aufzuhalten war, blieb es doch eine kulturelle Metropole, deren Bedeutung mit der Eroberung durch die Römer eigentlich noch wuchs. In der Zeit des Hellenismus hatten die Rhetoren-Schulen die Erinnerung an Demosthenes wach gehalten, die Bewunderung für den Redner übertrug sich dabei auf den Politiker. Anekdoten, die ursprünglich Demosthenes karikieren sollten, wurden bald ins Positive gewendet, um der Person hinter den Reden ein Gesicht zu geben. Demosthenes avancierte zum größten Redner der griechischen Welt, und er wurde bald auch rhetorisches Vorbild für die Römer. Bereits der ältere Cato, der unerbittliche Agitator gegen Karthago, lernte von der

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Redekunst des Atheners, und Brutus, der bekannte Caesar-Gegner, stellte ein Bronzebildnis des Redners in seiner tuskulanischen Villa auf.15 Junge Aristokraten kamen im 1. Jahrhundert v. Chr. der rhetorischen Ausbildung und der Geschäfte wegen zahlreich nach Athen und besuchten dort auch die Stätten, an denen große Staatsmänner, Philosophen, Dichter und Redner gewirkt hatten. Auch Cicero war in Athen und beschreibt beredt, wie römische Verehrer des Demosthenes die Stätte der Rededuelle mit Aischines aufsuchten oder zum Hafen von Phaleron hinunterstiegen, nur um den Ort kennenzulernen, an dem Demosthenes der Überlieferung nach mit seiner Stimme die Brandung zu übertönen suchte.16 Cicero selbst lernte Demosthenes erst allmählich schätzen, doch bald schon stilisierte er ihn in seinen rhetorischen Schriften zum größten aller Redner und die Kranzrede, die er selbst ins Lateinische übersetzte, zur besten aller Reden.17 Mit der Autorität eines Cicero wurde diese Einschätzung dann kanonisch und überdauerte die Zeiten, in denen im Westen Europas das Griechische nicht mehr verstanden wurde. Durch die Reden und Briefe Ciceros zucken – eine anschauliche Umsetzung von Klang in Licht – die fulmina Demosthenis, und in seiner Korrespondenz mit Brutus, der inzwischen zum Tyrannenmörder avanciert war, werden die Philippischen Reden wirklich unsterblich. Cicero zeigt, und das wird ein Vorbild für über zwei Jahrtausende, wie sich diese berühmten Reden instrumentalisieren und für die Tagespolitik nutzen lassen. Zunächst offenbar nur spielerisch, aber dann überzeugt und von Brutus auch bestärkt, nennt er seine wütenden Reden und Flugschriften gegen Antonius, Caesars Mitkonsul von 44 und politischen Erben, Philippicae orationes. Die Philippica (oratio), eingedeutscht Philippika, als Inbegriff der leidenschaftlichen Kampf- und Strafrede ist geboren, und sie wird – oft gelöst von ihrer Herkunft – ein langes, zähes Leben führen. Wie Alexander zum Urbild des Eroberers wurde Demosthenes zur Inkarnation des Widerstandes, dessen Beispiel immer dann beschworen wurde, wenn es einen inneren oder äußeren Feind unter dem Signum der Freiheit zu besiegen oder zu vertreiben galt. 18 Cicero hatte rhetorisches Interesse zu Demosthenes geführt, und dieses blieb auch in der römischen Antike vorrangig. Es entstanden im Jahrhundert vor und nach der Zeitenwende Demosthenes-Übersetzungen, Einführungen und Kommentare wie die des Grammatikers Didymos, stilästhetische und stilkritische Schriften wie diejenigen des Pseudo-Longinos oder des Dionysios von Halikarnassos beziehungsweise Rhetorikhandbücher wie die Institutio Oratoria des Quintilian oder die rhetorische Streitschrift Dialogus de oratoribus des Tacitus. Selbst die Satire, so Petronius oder Iuvenal, nahm sich des Demosthenes an. In dem Lukian zugeschriebenen Lob des Demosthenes ist die Verklä-

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rung des Redners – der größeren Wirksamkeit wegen einem Gegner in den Mund gelegt – bis ins Groteske gesteigert. Die verkappte Satire, die vermutlich doch nur ein allzu gut gemeintes Lob ist,19 entstammt dem 2. Jahrhundert n. Chr., als die Zweite Sophistik die klassischen Schriftsteller und Redner wieder in den Blickpunkt rückte. Mit dem rhetorischen Werk des um 160 geborenen Hermogenes von Tarsos festigte sich der Ruf des Demosthenes als größter Redner der Antike und verbreitete sich über das Byzantinische Reich, wo sein Werk zur Grundlage des rhetorischen Unterrichts wurde, bis er schließlich am Ende des 14. Jahrhunderts auch den Westen erreichte. Daten zum Leben und zur Politik bewahrten im 2. nachchristlichen Jahrhundert, wie vorgestellt, Plutarch mit seiner großen Vita und der ihm fälschlich zugeschriebene, wohl erst später entstandene Traktat Über das Leben der zehn Redner eines Anonymus. Gelehrte Sammelwerke mit reichem kulturellem Material wie das Gelehrtenmahl des Athenaios oder die Attischen Nächte des Gellius überlieferten den anekdotischen Demosthenes mit Zitaten, Aussprüchen und biographischen Details, wie sie schon vorher die Facta et dicta memorabilia des Valerius Maximus gebracht hatten, die in der Bunten Geschichte des Älian ihre Fortsetzung fanden. 20 Demosthenes ging in die Rhetoren-Lexika wie dem des Harpokration ein, und er gelangte in Philosophen-Viten oder in die Leben der Sophisten des Philostratos, wobei er dies kurioserweise seinem Gegner Aischines verdankt, den Philostratos zum Begründer der Zweiten Sophistik machte. 21 Einen letzten Höhepunkt erreicht die antike Demosthenes-Begeisterung im Werk des griechischsprachigen Rhetors Libanios. Er verfasste eine Vita des Demosthenes, eine comparatio, die Demosthenes mit Aischines vergleicht, und schließlich noch ein egkómion, eine Lobschrift des Redners. Die argumenta (hypothéseis), die er als Einführungen insgesamt 58 Reden des Corpus voranstellte, bleiben bis heute eine wichtige Informationsquelle. 22 Libanios’ vorrangig ästhetisch-stilistisches Interesse verengte allerdings auch den Blick auf Demosthenes und ließ, wie die gleichzeitigen Schmähreden auf die Gegner des Demosthenes belegen, die politischen Inhalte zur rhetorischen Deklamation verkommen. Über Libanios gelangte Demosthenes zu den griechischen Kirchenvätern des 4. Jahrhunderts und später auch nach Byzanz. Stand am Beginn der römischen Rezeption im 2. Jahrhundert v. Chr. in der Person des älteren Cato ein republikanischer Demosthenes, so beschließt sie am Ende des 4. Jahrhunderts in der Gestalt des Gregorios von Nazianzos ein christlicher Demosthenes. 23 Der heidnische Athener hatte sich auch im Christentum akklimatisiert. Das Mittelalter kannte Demosthenes kaum. Griechisch war eine unbekannte Sprache geworden, die Reden des Atheners waren im Westen ver-

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loren gegangen. In den Geschichtswerken, die gelesen wurden, der Geschichte gegen die Heiden des Orosius oder der Weltgeschichte des Iustin, kam Demosthenes nur am Rande vor, er schrumpft – und dieses Schicksal teilt er mit seinem großen Gegner Philipp – zum Anhängsel an die Alexandergeschichte. Der Alexander-Roman des Pseudo-Kallisthenes war um 320 und nochmals um 950 ins Lateinische und von dort aus in verschiedene Nationalsprachen übersetzt worden und entfaltete eine große Wirkung. Alexander, der in fernen Ländern mit Fabelwesen kämpft, wurde der griechische Held des Mittelalters. In einem kleinen Teil der Überlieferung behielt Demosthenes die Rolle als Gegner Alexanders bei, die er nur anfangs bekleidet hatte, in einem größeren erlebte er eine erstaunliche Metamorphose. Aus dem Mann, der zum Krieg gegen Philipp hetzte und der 336/35 den Widerstand gegen den jungen Alexander organisierte, wird ein Staatsmann des Ausgleichs, ein Politiker, der den Frieden rät. Der Irrtum beruht auf einer simplen Verwechslung bereits in der griechischen Urquelle. Der anonyme Autor vertauschte unwissentlich – oder doch bewusst, um den größten Redner nicht gegen den größten Feldherrn auszuspielen – Demosthenes und Demades, der 336 die Verhandlungen mit dem Makedonenkönig führte. Als Folge verwandelte sich Demosthenes bei vielen der mittelalterlichen Autoren vom orator zum philosophus, 24 dessen Wirken leichter zu verstehen war als das eines Redners in der Volksversammlung. Die Vorstellung des Philosophen Demosthenes, der weise Ratschläge zu geben vermag, blieb in der frühen Neuzeit erhalten, und so findet sich eine Statue des Redners (als Umwidmung des Propheten Jesaja) in Gesellschaft von Cicero, Aristoteles und Platon auch am Bremer Rathaus. 25 In Byzanz war das Corpus der Reden bewahrt worden, von dem der Westen, wie gesagt, keine Kenntnis mehr hatte. Sie gelangten 1396, über ein halbes Jahrhundert, bevor die Türken Byzanz eroberten, nach Italien, und schon Anfang des 15. Jahrhunderts erschienen die ersten lateinischen Übersetzungen des Leonardo Bruni. Weitere Übertragungen wie die des Lorenzo Valla schlossen sich bald an – die erste lateinische Gesamtausgabe von Hieronymus Wolf folgte 1549/50 – und bereiteten den Boden für die Rezeption in den Nationalsprachen. Auch Plutarchs Demosthenes war inzwischen mit den anderen Parallelbiographien im Westen angekommen, doch dort interessierten zunächst die großen Römer, Griechenland war noch fern. Zudem waren es vor allem die Reden, die Demosthenes zum neuzeitlichen Freiheitskämpfer machten. Demosthenes’ erste Gegner werden dann diejenigen, die ihn aus Byzanz vertrieben. 1470 schließt Kardinal Bessarion seinen Reden gegen die Türken eine Übersetzung der ersten olynthischen Rede an: Wie sich die Athener gegen die Tyrannis Philipps wehrten, sollte sich die ganze

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Christenheit zum gemeinsamen Handeln gegen die türkische Gefahr zusammenschließen. 26 Demosthenes fand 1493 Eingang in die Schedelsche Weltchronik, er fuhr 1494 auf dem Narrenschiff des Sebastian Brant, einer spätmittelalterlichen Satire, mit 27 und kam schließlich auch nach Deutschland: 1495 erschien – aus der Feder von Johann Reuchlin – die erste Übersetzung ins Deutsche und zugleich die erste neuzeitliche Übersetzung des Demosthenes in eine Volkssprache überhaupt. Sie war auch als aktueller Aufruf zur Einigkeit gegen einen äußeren Feind gedacht, hinter dem sich – wie bei Kardinal Bessarion – die freilich weit entfernten Türken vermuten lassen. Für die Humanisten des 16. Jahrhunderts, für Erasmus und Melanchthon, war die – nun wieder unpolitische – BeAbb. 22: „Demosthenes“ am Bremer Rathaus schäftigung mit Demosthenes schon selbstverständlich, wenn auch Erasmus die Rhetorik im allgemeinen und der rednerische Überschwang des Demosthenes im besonderen fremd blieb, Melanchthon dagegen – in den Zeiten des Bauernkrieges – ein Volk in Waffen gefährlich schien und er dementsprechend die politische Umtriebigkeit des Demosthenes als schädlich einstufte. Demosthenes wurde im 16. Jahrhundert in allen wichtigen Sprachen Europas heimisch: in Frankreich in den Schriften Bodins, den Essais Montaignes oder den Satiren Rabelais’, in Spanien in den Übersetzungen des Pedro de Valencia oder auch in den Komödien des Lope de Vega, in Italien bei Staatstheoretikern und Historikern wie Francesco Guicciardini, bei Dichtern und Philosophen wie Torquato Tasso und Giordano Bruno, in England schließlich auch im 17. Jahrhundert noch im Werk Bacons. Mit der ersten Übersetzung ins Englische 1570 durch Thomas Wilson trat auch ein neuer Gegner des Demosthenes auf, der passenderweise den Namen eines alten trug: Philipp II. (von Spanien). Schon im Titel der Ausgabe wurde auf den Nutzen verwiesen, den Demosthenes „in these dayngerous dayes“ für alle bot, „that love their countries libertie“, und diese Freiheit schien Wilson bedroht von der Unterstützung Philipps für die Thronansprüche Maria Stuarts und durch eine mögliche spanische Invasion.28 Das 17. und das 18. Jahrhundert waren Demosthenes – von England viel-

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leicht abgesehen – wenig günstig. Er trat wieder hinter Cicero zurück, mehr aber schadeten ihm die großen Kriege wie der Dreißigjährige und zuvor schon in Frankreich die Hugenottenkriege, vor allem aber die absolutistischen Königsherrschaften in Spanien oder Frankreich, die einem Demokraten naturgemäß feind sein mussten. Nur der französische Übersetzer Jacques de Tourreil verstand es, seine Demosthenes-Ausgabe mit einer eleganten Wendung Ludwig XIV. zu widmen: Hätte Demosthenes ihn gekannt, wäre er sofort zum Anhänger der Monarchie bekehrt worden.29 Im Deutschland der Fürstenherrlichkeit war auch noch danach – zumindest in Weimar – wenig demokratischer Staat mit Demosthenes zu machen. Goethe, der von griechischen Freiheitsparolen wenig hielt („Die Griechen waren Freunde der Freiheit, aber jeder nur seiner eigenen“) 30, verglich die Philippiken mit „Kapuzinaden“ (Strafpredigten) 31, für Schiller war Demosthenes kaum der Rede wert, und Herder galt er als einer der „Schwätzer“, denen es in Athen zu danken war, dass auch noch der „würdigste Mann vertrieben wurde“ 32. Nur Hölderlin – der Außenseiter – zeigte sich voll Bewunderung, wie Demosthenes „mit heiligem, selbst erwähltem Tode aus den Macedonischen Ketten und Dolchen sich zur Freiheit geholfen“, als Athen „Alexanders Dirne geworden“ war, und ließ Hyperion zur Insel Kalaureia wallfahren, auf der Demosthenes sich vergiftet hatte. 33 In Frankreich fegte die Revolution von 1789 das Ancien Régime hinweg, doch die Sieger orientierten sich mehr an spätrepublikanischen Vorbildern – als gestürzter Tyrann taugte Caesar besser als Philipp –, allein Mirabeau verdiente sich den Titel eines „Demosthenes der Revolution“. In den inneren Auseinandersetzungen in England vertrat Demosthenes demokratische Ideen der Whigs gegen die konservativen Torys, zum Kämpfer gegen äußere Feinde wurde er aber erst wieder in den Koalitions- und Befreiungskriegen des 19. Jahrhunderts. Barthold G. Niebuhr, Begründer der kritischen Geschichtswissenschaft, der die Griechen als die Deutschen des Altertums sehen wollte, setzte im November 1805 mit einer Übersetzung der ersten Philippika auf das machtvolle Beispiel des Demosthenes. Doch die irdische Macht, welche der griechische Redner befeuern sollte, der russische Zar Alexander, versagte nur einen Monat später kläglich, als er versuchte, bei Austerlitz den Gallus rebellis (Napoleon) niederzuwerfen.34 Für den Philologen und Neuhumanisten F. Jacobs war Philipp das Vorbild des „corsischen Erobereres“, und so stellt er in seinem Vorwort zur Gesamtübersetzung der Staatsreden des Demosthenes ebenfalls 1805 die Parallelen zwischen einst und jetzt heraus und macht den Athener zum aktuellen Streiter gegen „Despotismus und Sclaverey“. 35 Dass Philipp für Napoleon stand und die Athener die Deutschen vertraten, brauchte zu dieser Zeit niemand sagen, und so kann sich der Historiker Heinrich Lu-

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den 1815 damit begnügen, seiner Übersetzung der dritten Philippika schlicht das Horaz’sche mutato nomine vorauszuschicken. 36 Auch Kleist nennt die Namen nicht, die zu nennen überflüssig war, wenn er mit Demosthenes’ (fiktivem) Aufruf „an die griechischen Republiken“ die fehlende Einheit Deutschlands beklagt. 37 So willkommen der vermeintliche Freiheitskämpfer Demosthenes den deutschen Philologen und Historikern des 19. Jahrhunderts freilich war, so verdächtig war ihnen jedoch der Demokrat Demosthenes, und so warnen sie vor ihm in seiner Eigenschaft als „Prediger des Demokratismus“ und mahnen, sich nicht am „Weine der Demokratie“ zu berauschen. 38 Dem Philosophen Hegel galt Demosthenes nicht einmal als Heros der Freiheit. Er sah ihn eher als einen Mann, der sich dem entgegenstemmte, was historisch notwendig war, doch zollte er ihm noch Anerkennung als einem der „großen griechischen Individuen“. 39 Mit der Verbannung Napoleons, dem Ende der Befreiungskriege und mit Hegels Neubewertung der Geschichte des 4. Jahrhunderts tritt Demosthenes in Deutschland vorerst von der politischen Bühne ab; was folgt, ist Wissenschaftsgeschichte. Der Bonner Althistoriker Arnold Schaefer gruppiert in drei Bänden nochmals ein ganzes Jahrhundert um Demosthenes, 40 doch den meisten anderen deutschen Historikern erschien dieser bereits als Staatsmann, der die neue Zeit, die mit Alexander anbrach, nicht mehr erkannte. Für Droysen war mit dem „schwatzhaft, unkriegerisch und banausisch gewordenen Bürgertum Athens“, mit der „verschlissenen und vernutzten Demokratie, ihren Sykophanten, Demagogen und Soldtruppen“ keine große Politik mehr zu machen. Der Glaube daran sei ein Irrtum des Demosthenes, der vielleicht seinem Herzen, gewiss aber nicht seinem Verstande Ehre mache, befand er. 41 Der Kulturhistoriker Jacob Burckhardt sah dies ähnlich: In seiner „Griechischen Culturgeschichte“ treibt der „unselige Demosthenes“ das „vergnügungssüchtige und verlotterte Volk“, dessen Bürgerheer nichts taugte, zum Existenzkampf. 42 Das negative Bild des Demosthenes in Deutschland kulminierte schließlich im Ersten Weltkrieg, als Engelbert Drerup den Redner zum bezahlten Agenten stempelte und die athenische Demokratie zu einer Winkeladvokatenrepublik machte, die „wiederum im heutigen Frankreich in dem trügerischen Gewande einer demokratischen Parlamentsherrschaft“ entgegentritt. Demosthenes, der „Held der klingenden Phrase und der pathetischen Geste“, wurde für ihn zum Vorgänger der Advokatenpolitiker vom Schlage eines Lloyd George, Poincaré oder Briand. 43 Drerups Wunsch, die „Geschichtslüge Demosthenes“ fallen zu sehen, ging jedoch nicht in Erfüllung; es siegten die „Lügen“ der Advokaten. 44 Drerup ging wie sein Kaiser nach Holland. Der Verketzerung folgte die Heiligsprechung. Die Entente mobilisierte

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Abb. 23: Überreste des Poseidon-Tempels auf Kalaureia

im Kampf gegen die Kaiserreiche die antiken Demokraten, verkörpert in Perikles und Demosthenes, auch wenn diese – leicht anachronistisch – nicht gegen Perser und Makedonen, sondern gegen Hunnen zu kämpfen hatten. Nach erfolgreichem Einsatz publizierte der französische Ministerpräsident Georges Clémenceau einen der Zukunft zugewandten Demosthenes, hinter dem unschwer der Autor zu vermuten war. Er wurde zum Dritten im Bunde der Demokraten, nachdem ihm – so Clémenceau – Washington als „siegreicher“ und Lincoln als „glücklicher Demosthenes“ vorangegangen waren 45 Mit dem Zweiten Weltkrieg neigte sich das neuzeitliche Leben des Demosthenes einem vorläufigen Ende zu, doch durfte er sich vorher nochmals auf der Höhe seines rednerischen Könnens zeigen. Frederick H. Cramer warnte mit Demosthenes Redivivus in „Foreign Affairs“ die Amerikaner davor, den gefährlichen Isolationismus der Griechen zu wiederholen, und Adela M. Adam rechtfertigte mit ihm den Bombenkrieg. So wie Demosthenes die Athener aufgefordert habe, Philipp „mit unseren Schiffen und anderen Kräften zu jagen“, müsse auch die RAF (Royal Air Force) Ziele in Deutschland bombardieren. 46 Den Sieg über die Feinde, der ihm im ersten Leben nicht gegönnt war, bescherte ihm das zweite. Demosthenes triumphierte (in den Reden Ciceros) über Antonius, er verteidigte (mit seinen wiederabgedruckten Reden) das Abendland gegen Mehmed, den Eroberer, und England gegen Philipp II. von Spanien. Mit der Berufung auf ihn wurden Potentaten, Kaiser und Diktatoren geschlagen, mit seiner Hilfe die Demokratie vor Hitler gerettet.

Cicero und Demosthenes Statt eines Nachworts Seit Plutarch im 2. Jahrhundert n. Chr. Demosthenes und Cicero in einer seiner Parallelbiographien gegenüberstellte, ist der Vergleich zwischen beiden, dem größten Redner griechischer und dem größten Redner lateinischer Zunge, kanonisch. Plutarch kannte das 4. und das 1. Jahrhundert v. Chr. genau, das republikanisch-römische vielleicht noch besser als das griechisch-hellenistische. Die wohl beste Parallelbiographie Plutarchs, diejenige Caesars und Alexanders, besitzt nicht zufällig denselben zeitlichen Rahmen. Das Ende der griechischen Poliswelt hat Plutarch ebenso fasziniert wie das der römischen Republik. Zu letzterem flossen die Quellen reichlicher, und so ist Cicero das Medium, mittels dessen Plutarch Demosthenes betrachtet. Eigentümlicherweise findet sich die beste Würdigung des Atheners auch nicht in der Synkrisis, dem Vergleich, mit dem der Autor eine Parallelbiographie abzuschließen pflegte, auch nicht am Ende der Demosthenes-Vita, sondern überraschend an deren Anfang, und sie verknüpft Cicero und Demosthenes untrennbar miteinander: „Mir will scheinen, die Gottheit habe Cicero von Anfang an dem Demosthenes gleich erschaffen wollen und viele ihm ähnliche Züge in seinen Charakter gelegt: den Ehrgeiz, die Liebe zur Freiheit beim politischen Handeln, den Mangel an kühnem Mut in Gefahren und Kriegen; habe aber auch viele Ähnlichkeiten der Erlebnisse und Schicksale darein gemischt. Denn ich glaube, man wird kaum zwei andere Redner finden können, die aus Ruhmlosigkeit und Unbedeutendheit zu Größe und Macht aufstiegen, mit Königen und Tyrannen in Streit gerieten, ihre Töchter verloren, aus ihrem Vaterland verbannt wurden, mit Ehren wieder zurückkehrten, abermals weichen mussten, ihren Feinden in die Hände fielen und zugleich mit dem Ende der Freiheit des Vaterlandes ihr Leben beschlossen. Könnte es zwischen Natur und Schicksal wie zwischen Künstlern einen Wettstreit geben, so würde schwer zu entscheiden sein, ob die Natur die beiden Männer in ihren Anlagen oder das Schicksal sie in ihren Erlebnissen einander ähnlicher gemacht hat.“ Plutarch hat, auch aus seiner Unkenntnis des demokratischen Systems heraus, das Leben des Demosthenes auf Kampf und Widerstand reduziert. Dieses Porträt war in sich stimmig und setzte sich durch, weil alle erhaltenen Staatsreden des Demosthenes der Zeit entstammen, in der Athen um

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Cicero und Demosthenes

Abb. 24: Félix Boisselier (1805), Der Tod des Demosthenes

die Hegemonie in Griechenland kämpfte. Die Welt, wie sie Plutarch in seiner Redner-Parallelbographie sah, auf den kürzestmöglichen Nenner zu bringen, blieb dem Epigrammatiker Konrad Pfeffel vorbehalten: Wenn Cicero von der Tribüne stieg, Rief alles Volk entzückt: Kein Sterblicher spricht schöner. Entstieg ihr Demosthen, so riefen die Athener: Krieg gegen Philipp, Krieg! 1

Anmerkungen Der Demosthenes des Plutarch 1

Plut. Cicero 53 (comp. 3), Dem. 13 f. Plut. Dem. 14. 3 Dass Demosthenes’ Widerstand sich auf Philipp und den frühen Alexander beschränkte, war zuviel der Differenzierung und wurde selten wahrgenommen. 4 Das mehrbändige Werk Schaefers bildet hier eine Ausnahme. 2

Nach dem Peloponnesischen Krieg 1

StVA II 211. StVA II 242. 3 Die eigentliche Führungsrolle dachte er Athen zu. S. Panegyrikos (4) 22–23. 4 StVA II 257. Erhalten ist ein Volksbeschluss, der zum Eintritt in den Bund aufruft. S. IG II2 43 = HGIÜ 2 215, Z. 1–26. 5 Xenophon, Hellenika 8.5.26 f. 6 Vgl. Welwei, Athen 290–293. 2

Kindheit und Familie 1

Jaeger 22. Geburt: Suidas s. v. Demosthenes.; zur Familie s. Davies, Athenian Propertied Families 113 ff.; Kirchner, Prosopographia Attica (PA) Nr. 3597 I 239, Nr. 3554 I 235, Nr. 2989 I 196, vgl. Jaeger 22 ff.; Lehmann 29 ff.; Schaefer I 261–270; Schmähungen der Familie: Aisch. 3.171–172; Geldstrafe für Gylon: Dem. 28.3. 3 Vater: Kirchner, PA Nr. 3595 I 238 f.; Mutter Kleobule: Plut. mor. 844a. Zur Ephebie: Aristoteles, Ath. pol. 42 (Das Kapitel gilt allerdings nur bedingt für das Jahr 366, da es nach der Ephebenreform von 336/5 verfasst wurde); Vormundschaftsreden: Nr. 27–29 des Corpus. 4 Unterhalt: Dem. 27.36; Schule: Dem. 18.265. 5 Plut. Dem. 4. Plutarch fügt noch einen Satz hinzu und kann damit zu seinem eigenen Vergnügen etwas ansprechen, was er nicht aussprechen darf: „Auch scheint ein Körperteil, das man in guter Gesellschaft nicht mit Namen nennt, bei den Athenern damals ‚Batalos‘ geheißen zu haben.“ 6 Energá: 27.7; zur Definition von energá und argá (sog. tote Kapitalien wie Rohstoffe, Haus, Geräte, aber auch Geldbeträge) s. Schwahn 1929, 6 f.; zur Aufstellung der Posten und Verwendung des Geldes s. Korver 9–18, Buermann 801 ff., Schulthess 1 ff., Schaefer I 261 ff., Schwahn 3 ff., Oertel 233 ff. 7 Steuer: Dem. 27.7–9; Hinterlassenschaft nach zehn Jahren laut Dem.: 27.6,37; 28.8; Schwahn 1929, 3 f. Verdreifachung des Vermögens 27.58 f. Schaefer I 273 f.; Forderung an Vormünder: Aisch. 2.99, Libanios, Hypothesis zu Dem. 27, Schaefer I 274. Ste. Croix 53– 56 bzw. 62 schätzt das Vermögen des Demosthenes auf höchstens 13 2/3 Talente; möglicherweise lag es aber auch unter 12 Talenten. 8 Dem. 27.34–37 (Übers. A. Westermann, H. A. Pabst). 9 Die Authentizität der dritten Rede gegen Aphobos (Dem. 29), angeblich in einem Nebenprozess gehalten, wurde, wiewohl Libanios sie für echt hielt, seit dem 19. Jahrhundert mit Recht bestritten. Sie ist aus den Informationen der vorherigen Reden, aus denen viele wörtliche Wiederholungen stammen, abgeleitet und enthält nichts substantiell Neu2

208

Anmerkungen zu S. 27–42

es, die Argumentation ist umständlich und wirr. Dass Demosthenes (29.1) seinen ersten Prozess gewann, war leicht zu vermuten. Zur Diskussion Jackson/Rowe 49–52. 10 Zur Volksversammlung s. Hansen 128–166; zu den Theorika Buchanan 1 ff.; 57 ff.; nach Hansen, Theoric Fund 235 ff. wurde die Kasse nicht nur aus den Überschüssen gespeist, sondern auch aus jährlichen Zuweisungen. 11 Dem. 21.78–80. 12 Dem. 27.53. 13 Dem. 28.10. S. dazu Brown 18 ff. 14 30.7–10, 25, 33 f. und passim; A. Raubitschek, RE XVIII.1,1939, 471, Schaefer I 298– 302, Lehmann 40–47.

Lehrjahre 1 Der Abschnitt, der Demosthenes als jungen Redner behandelt, ist bei Plutarch ungewöhnlich lang (Kap. 7–11). Es gab dazu, wie gesagt, eine reiche rhetorische Überlieferung. Zur Übung am Meer s. Plut. mor. 844F. 2 Aisch. 2.180. Skythische Sklaven verrichteten in Athen niedere Polizeidienste. 3 Deinarch 1.111. 4 Dem. 41 (Gegen Spoudias), 55 (Gegen Kallikles); Blass 3.1 249–253, 253–257. 5 Rede 54 Gegen Konon, 356/5?, Blass 3.1 456–461, Rede 39 Gegen Boiotos, 349/8 (348/ 7) Blass 3.1 473–477, Rede 37, Gegen Pantainetos 346/5?, Blass 3.1 477–481, Rede 38 Gegen Nausimachos, 346/5?, Blass 3.1 482–485, Rede 57 Gegen Eubulides, 345, Blass 3.1 486– 492, Rede 32 Gegen Zenothemis, 343–340, Blass 3.1 492–498; andere Datierung Lehmann 235 Anm. 2 (Alexanderära). 6 Dem. 36.41 f. 7 Dem. 36.45, 53, 58. 8 Dem. 45 passim. 9 Aisch. 2.165, 3.173. 10 Plut. Dem. 15 11 Die Demosthenes-Apologeten des 19. Jahrhunderts lösten das Glaubwürdigkeitsproblem, indem sie die Rede für Apollodor für unecht erklärten und damit den Widerspruch beseitigten. Die neuere Forschung rettet Demosthenes, indem sie das Motiv verändert. Nicht für Geld habe der Logograph Demosthenes im zweiten Fall geschrieben, sondern um einen politischen Freund zu unterstützen. Apollodor hatte 349/8 den wichtigen, aber auch gefährlichen Antrag gestellt, die Theorika als Kriegsfond zu nutzen bzw. genauer, die Überschüsse nicht der theorikón-Kasse, sondern der stratiotikón-Kasse zukommen zu lassen. Mithin war es die Sache der Freiheit, die hinter dem Klientenwechsel des Demosthenes steckte. S. dazu vor allem Lehmann 45 f. 12 Zu den Ereignissen der Fahrt nahm Demosthenes erst sieben Jahre später Stellung, nämlich in der Rede gegen Aristokrates (23.163–168); zur Rede über den trierarchischen Kranz (51) s. Karvounis 2008, 26 ff.; zur Datierung s. Blass 3.1.242–245 (358 und später). Nach Lehmann 53 wurde die Rede noch vor der Ausfahrt gehalten; ebenso MacDowell 134. Brown 47 plädiert für 359. Libanios, Hypothesis 51 spricht die Rede Apollodor zu.

Der erste Auftritt 1

Dazu s. Mossé 52 ff. und bes. 60 (Das Aufleben des athenischen Imperialismus). Isokrates, Friedensrede 8.16,134. 3 S. Mossé 64–73. 4 Brown 87–90, MacDowell 142–147. Dionysios Hal. Ad Amm. 1.4 datiert die Rede ins Jahr 354/3. 5 Dem. 15.6; vgl. Dionysios Hal. Art. Rhet. 9.10; Blass 3.1 276 f. 2

Anmerkungen zu S. 42–49

209

6

Dem. 14.3–14, 28–40; Zitat 14.35. S. auch Karvounis 2001, 52–68. 8 Dem. 14.26–28. Zur Schätzung des Gesamtvermögens der Athener auf 6000 Talente (vgl. Dem. 14.19) s. Ste. Croix 30 ff. Die Stelle ist schwer zu interpretieren. Gemeint ist offenbar, dass jede Unterabteilung durchschnittlich das Gesamtvermögen von 60 Talenten aufweisen sollte, um so die Vermögensunterschiede zwischen den Leiturgen auszugleichen. Wurden beispielsweise 100 Schiffe gebraucht, dann musste jede Unterabteilung 1 Schiff ausstatten, d. h. die 12 Mitglieder einer Unterabteilung bestritten die Kosten für 1 Schiff, das höchstens 1 Talent kostete, bei einem durchschnittlichen Vermögen der 12 Mitglieder von jeweils 5 Talenten. 9 Dem. 14.11,41. Zur Antike Dionysios, Art. Rhet. 8.7, 9,10. Zur Moderne s. Schaefer I 469. 10 Aristoteles, Ath. pol. 28.1–4 (Übers. M. Chambers). 11 Bekannt ist der Lärm, der im Prozess gegen Sokrates immer wieder aufbrandete (s. Platon, Apologie passim). Zur Volksversammlung gab es hier keine Unterschiede. Das Publikum war zum Teil identisch. 12 S. hierzu überzeugend Hansen 276–278. 13 Hansen 278–280. 14 Aisch. 3.24, Harpokration s. v. Eubulos und Theorika; zur Biographie s. Engels, Leokrates-Rede 13–28; zum Programm s. Engels 1992, 5–29. 15 Aisch. 3.24. 16 Plut. Perikles 9. S. Ruschenbusch 303–308. 17 Dem. 3.16, 44,37, Hyp. 1.26, Plut. mor. 818e-f. Hansen 100. 18 Aristoteles, Ath. pol. 43. S. Hansen 273, Leppin 559. Anders Rhodes 235–237 (einjährig). 19 Dem. 59.4. 20 Libanios, Hypothesis 5 zu Dem. 1, Hansen 273, Lehmann 68 f. 21 Aristoteles, Ath. pol. 47.2. 22 Aisch. 3.25. 23 Aisch. a. a. O. Harpokration s. v. theorikon. S. Hansen 273 und mit weiterer Literatur Leppin 560. 24 An den Dionysien 348 scheint die genannte Feindschaft noch nicht bestanden zu haben, denn Eubulos verweigerte Demosthenes’ Gegner Meidias – so jedenfalls der Redner – die Unterstützung, als dieser sie am Tag der probolé öffentlich von ihm erbat. Danach freilich unterstützte Eubulos seinen (politischen) Freund Meidias in der Auseinandersetzung mit Demosthenes. S. 21.205–208. Burke 165 ff. zeigt, dass Demosthenes zunächst auf der Eubulos-Linie agierte und sich erst später davon absetzte. 7

Orientierungsversuche 1 Plut. Dem. 15, Gellius 15.28, Dionysios Hal. Ad Amm. 1.4 setzt sowohl diese wie auch diejenige gegen Leptines ins Jahr 354/3. Dagegen gibt es keine überzeugenden Argumente. Zur Rede MacDowell 167–181. 2 Androtion musste 342/2 nach Megara in die Verbannung gehen (T 8). Dort schrieb er eine Atthis, eine Geschichte Athens (FGrHist 324), die Aristoteles als Grundlage des historischen Teils seiner Athenaion Politeia verwendete. 3 S. dazu Blass 3.1 258–264, Schaefer I 350–364, Brown 65–75. 4 Dem. 22.52 f. (Übers. W. Jaeger); s. Jaeger 59–65; vgl. Lehmann 70–72. 5 So schon Jaeger 60 f. 6 S. Blass 3.1 280–288, Schaefer I 366–390, Brown 96–104. 7 Alle Informationen dazu in der Timokratesrede (24).

210 8

Anmerkungen zu S. 50–62

Dem. 24.160–186 entspricht Dem. 22.47–56 bzw. 65–78. S. Jaeger 217 Anm. 36. S. Lehmann 71, der allerdings die Verbindung zwischen Aristophon und Androtion für „zumindest fraglich“ hält. Anders vor allem Jaeger 59, aber auch Schaefer I 366. Aischines, Demosthenes’ nachmaliger großer Gegner, gehörte zu seinen Anhängern (Dem. 18.162). 10 Dem. 20.114–146. S. Jaeger 65. Zur Rede MacDowell 156–167, Kremmydas 1 ff. 11 Dem. 20.2–3. Demosthenes spricht vom Verlust der politeía. 12 Dem. 20.30–38. 13 Dem. 20.68–72, 20.75–80. 14 Dem. 20.1, 80–83. 15 Plut. Dem. 15. 16 Dem. 20.61–63. 17 Thukydides 3.82.7 18 Vgl. Lehmann 79 f. 19 Dem. 16.4. Zur Megapolitenrede s. MacDowell 207–210, Brown 112 f., Ingenkamp 195–205; Dionysios Hal. Ad Amm. 1.4 setzt die Rede ins Jahr 353/2. 20 Dem. 16.10, vgl. 27, 30. 21 Dem. 16.24. 22 Dem. 16.31 f. 23 Dazu Errington 49. 24 StVA II 303; Dem. 23.145, 185, 187. 25 Diodor 16.43.3. 26 Dem. 23.91. Zur Rede gegen Aristokrates s. MacDowell 196–206; Brown 113–124. Dionysios Hal. Ad Amm. 1.4 hat das Jahr 352/1. 27 Dem. 23.8–9. 28 Dem. 23.100–101. 29 Dem. 23.102. 30 Dem. 23.102 f. 31 Dem. 23.138. 32 Dem. 23.138–183. 33 Dem. 23.184 f., 188. 34 Dem. Briefe 3.31 f. Zur Echtheit Blass III.1 444–450. Auch wenn der Brief fingiert ist, kann der Inhalt auf gutem Material basieren. 35 Als Beweis des Gegenteils wird gelegentlich eine partizipiale Wendung aus dem Zusammenhang gerissen (23.121), in der Philipp als entschiedenster Feind Athens bezeichnet wird. Demosthenes äußert freilich nur eine Vermutung, deren einzige Funktion es ist, die Ehrung für Charidemos zu relativieren. 36 Dem. 23.135. 37 S. dazu Wirth 1985, 50–54, Errington 52 f. 38 So W. Unte (Dem. 4.7). 39 Dem. 4.11. S. dazu MacDowell 210–218; Brown 126–130; Dionysios Hal. Ad Amm. 1.4 hat als Datum 352/1. 40 Dem. 4.2. 41 Dem. 4.4–8. 42 Dem. 4.44 f. 43 Dem. 4.40 f. (Übers. W. Unte). 44 Dem. 4.16–19. 45 Dem. 4.19–23. 46 Dem. 4.28 f. (Übers. W. Unte). 47 Dionysios Hal. Ad Amm. 4.10. 9

Anmerkungen zu S. 62–78

211

48

Lehmann 240 f. Anm. 8. Dem. 4.49 f. (Übers. W. Unte). 50 Dem. 15.24. Er fährt dort fort: „Wenn wir uns aber gegen den einen nicht wehren, weil er als unbedeutend erscheint, dem anderen aber in allem nachgeben, weil er als gefährlich erscheint, gegen wen, Athener, wollen wir dann überhaupt noch kämpfen?“ 51 So Jaeger 93. 52 So wieder Jaeger 92–94. 53 Dem. 15. 2–3, 15. Zur Rede MacDowell 218–229; Brown 130–132. Das Datum ist nach Dioynsios Hal. Ad Amm. 1.4 das Jahr 351/0. 54 Dem. z. B. 15.11–13. 55 S. 15.10,29. Zur Thukydides-Nachahmung bei Demosthenes s. Dionysios Hal. Dem. 9–10, ad Pomp. 3, Plut. mor. 844B, Lukian, Der ungebildete Bücherfreund 4. 56 Dem. 15.17–19. 49

Philipp II. von Makedonien 1

Plut. Kimon 14. Dazu überzeugend Errington 19–33, speziell 22. 3 Zu Leben und Werk s. jetzt B. und J. Gauger, Theopomp von Chios 1–19, vgl. Meister 85–93. 4 Brief des Philosophen Speusipp an Philipp; Theopomp FGrHist 115 T 7. 5 Theopomp FGrHist 115 F 27 (= Polybios 8.11.1) 6 Theopomp FGrHist 115 F 225 (= Athenaios 6.260 D-261A; vgl. Polybios 8.11.5–3); Übers. B. Gauger. 7 Deinarch 1.14. 8 Diodor 16.2.6, 3.4–5. 9 Der Vertrag ist umstritten. S. mit Quellen StVA II Nr. 298. 10 Dem. 2.6 („Jene damals viel beredete geheime Abmachung“). 11 Theopomp FGrHist 115 F 30 a mit den Demosthenes-Scholien zu 2.6 (F 30 b). 12 Diodor 16.8.2, Dem. 12.20–23 (Brief Philipps), HGIÜ 2 Nr. 237. 13 Diodor 16.8.3, Dem. 1.5,9; 20.63. 14 Diodor 16.8.3,5; 15.81.6 (Kleruchen). 15 Iustin 7.6.13–16, Diodor 16.31.6, 34.4 f. 16 Stephanos v. Byzanz, Philippoi; s. Beloch, Griechische Geschichte II.1 230–232, Errington 50 f. 17 Diodor 16.8.6. 18 Cicero, An Atticus 1.16.12; Plut. mor. 178B verdirbt den Witz. 19 Trogus bei Iustin 8.2.1–7, Diodor 16.35. 20 Dem. 19.319 f. Zu den Ereignissen überzeugend Errington 61–66, Wirth 1985, 44–51. 21 Trogus bei Iustin 8.2.8–12. 2

Olynth und die Folgen 1

HGIÜ 1 Nr. 62 Athenische Tributliste (lapis primus) Sp. V. Thukydides 2.8.4. 3 Vgl. Thukydides 5.39.1. 4 Zur Geschichte und Olynths und des chalkidischen Bundes Zahrnt 1 ff.; zu den Quellen M. Gude 1 ff. 5 StVA II Nr. 231. 6 Diodor 14.92.3. 7 Xenophon, Hellenika 5.2.12 f. 8 StVA II Nr. 308 2

212 9

Anmerkungen zu S. 78–90

Diodor 15.81.6 (Timotheos), Diodor 16.8.5 (Philipp). Nach Diodor (16.8.5) ließ Philipp gegenüber den Athenern „wegen der Bedeutung und des Ansehens der Stadt besondere Vorsicht walten“. 11 Theopomp FGrHist 115 F 139. 12 Theopomp FGrHist 115 F 149 (= Athenaios 10.442). Bei Theopomp ist das in die bekannte Wohlstandskritik eingekleidet. 13 Schaefer II 118–121. 14 StVA II Nr. 317. 15 Schaefer II 121. 16 Rede gegen Aristokrates 23.108. 17 Dem. 3.7. 18 Schaefer II 122 bezieht darauf Theopomp FGrHist 115 F 127. 19 Dem. 9.56, 63 f. 66; 59.91; Schaefer II 123. 20 Iustin 8.3, Orosius 3.12, Scholion zu Dem. 1.5. Iustin spricht von zwei Stiefbrüdern, doch scheint damals nur einer in Olynth gewesen zu sein. S. Schaefer 2.124 Anm. 1. Zum Datum s. Wirth 1985, 65 f.; anders Lehmann 108 (Sommer 349). 21 Dem. 1.21, 8.59. 22 StVA II Nr. 323. 23 Philochoros FGrHist 328 F 49, 50, 51, Schaefer II 118–165. 24 Dem. 9.11. 25 Dem. 1.1–3. 26 Dem. 1.4,5,7. 27 Dem. 1.12–13. 28 Dem. 1.14–15. 29 Dem. 1.25. 30 Dem. 1.25,26. 31 Auch hier nimmt Demosthenes – mutatis mutandis – scheinbar modernes Gedankengut voraus, wie das klassisch gewordene Buch von W. Keller, Ost minus West gleich Null, 1960, zeigt. 32 Dem. 2.4. Es ist dies ein Motiv, das in den nächsten zehn Jahren breiten Raum in den Reden einnehmen wird, denn es dient Demosthenes zur wirkungsvollen Bekämpfung jedweder Opposition. 33 Dem. 2.5. 34 Dem. 2.6,7. 35 Dem. 2.9–10. 36 Dem. 2.14–19. 37 Dem. 2.20–21. 38 Dem. 1.6, 2.13, 2.27, 2.30 f.; vgl. 1.2, 1.17 f. 39 Dem. 1.20. 40 Dem. 1.28. 41 Dem. 3.16. 42 Dem. 1.19–20. Vgl. Jaeger 139 f. 43 Dem. a. a. O. 44 Nach Jaeger 39 f. umfasste das Corpus Demosthenicum drei verschiedene Gruppen von Reden. Zunächst diejenigen, die vom ihm selbst noch zu Lebzeiten herausgegeben wurden, danach das, was sich in seinen Unterlagen an unediertem Material fand und drittens diejenigen zweifelhafter Provenienz, welche die Herausgeber in Privatarchiven ermittelten. Im Falle des Apollodor genügte offenbar der Umstand, dass Demosthenes eine Rede für ihn geschrieben hatte (45), um sechs weitere, die sich im Nachlass des Klienten fanden, für demosthenisch zu erklären und aufzubewahren. Es handelt sich aber um Pro10

Anmerkungen zu S. 90–98

213

dukte, die unbekannte Logographen oder Apollodor selbst verfassten (46, 49, 50, 52, 53, 59). Desungeachtet sind sie wertvolle Zeugnisse vor allem für die Sozialgeschichte der Zeit. 45 Grundlage für die genannten Details ist die Rede 59 des Corpus Demosthenicum, die schon von dem spätantiken Redner Libanios (314–393 n. Chr.) in seiner Hypothesis (Einleitung) dem Demosthenes abgesprochen wurde. Von ihm stammt auch die Nachricht, dass Apollodor in dem Prozess, in dem die Rede gehalten wurde, als sy´nergos (ein Anwalt, der als Freund oder Verwandter einen Teil der Redezeit bestritt) auftrat. 46 Scholion zu Dem. 1.1; vgl. die Scholien zu 1.19, 2.1, 3.11–13, Libanios, Einleitung zu den olynthischen Reden. Diese Nachricht geht allerdings auf die Scholiasten zurück, und es ist nicht ganz sicher, ob sie nicht auf deren eigener, etwas übertreibenden Schlussfolgerung beruht oder auf zuverlässigen Quellen. 47 Den Scholiasten zufolge war es möglich, vom Kriegsdienst befreit zu werden, um an Festveranstaltungen der Dionysien teilzunehmen. Dabei sollen Choregen junge Leute aus Gefälligkeit für den Chor ausgewählt haben, um ihnen den Kriegsdienst zu ersparen. Scholia Demosthenica 1 (Dilts), S. 91 Z. 26–28 zu Dem. 3.11. 48 Dem. 3.10–13. 49 Dem. 2.24. 50 Dem. 23.203–210. 51 Dem. 3.21–31. Zum Teil finden sich hier wörtliche Übernahmen aus der Aristokratea a. a. O., s. Jaeger 142. 52 Plut. mor. 1011 B. Zur Entwicklung der athenischen Demokratie s. Engels 1992, 425– 451. 53 Aisch. 3. 87. 54 Plut. Phok. 12. 55 Scholion zu Dem. 19.290 (Dilts II S. 85 Z. 24–26). 56 Dem. 18.234. 57 Dem. 5.5 (Übers. Unte).

Meidias oder Zwei Ohrfeigen 1 Gegen das Zeugnis des Aischines (3.52) versucht H. Erbse auf philologischem Wege den Nachweis zu erbringen, dass die Rede gegen Meidias auch vorgetragen wurde. S. Erbse 135–151. S. Dreyer 2000, 56–63. 2 Demosthenes hat die Zusammengehörigkeit von idia, von Privatem, und koina, von Politischem, in dieser Sache auch immer wieder betont Vgl. 21.62, 65. 3 So schildert Demosthenes einen Fall, in dem die Attacke auf eine „Amtsperson“ mit Milde zu behandeln war, weil der Angreifer verliebt und betrunken war. S. 21.38. Zu weiteren Trunkenheitsdelikten s. 21.73 und 180. 4 Vgl. 21.103, 168. 5 21.208, 215. 6 Scholion zu Homer, Odyssee 9.271. 7 S. dazu Lehmann 120–125. 8 Scholion zu Dem. 21.62. 9 S. im einzelnen 21.13 bzw. 159 bzw. 15. 10 21.16, 22, 25, 63. Natürlich sind das zunächst nur die Anschuldigungen, die Demosthenes erhebt; ob ihnen in allen Punkten vertraut werden kann, bleibt unklar. 11 21.17. 12 21.1,70–76; Aisch. 3.52. 13 21.201. 14 21.2, 6, 19, 28, 120, 199 f. 217, 226 f.

214

Anmerkungen zu S. 98–107

15

21.215 (sphódra ploúsioi). Vgl. 21.214–216, wo er jeden Ausgleich verneint. 17 21.106. 18 21.32–34. 19 21.5. 20 21.126–127. 21 21.103–104. 22 21.139. 23 21.25,28,32. 24 21.70, 12, 21, 151. 25 21.110, 200. 26 Dem. 3.29, 8.66, 10.68, 18.131. 27 Dem. 18.131. 28 Dem. 8.66. 29 Vgl. Ober 1989, 194–196. 30 Das ist Rhetorik, und konnte in ähnlicher Form, auch von anderen Rednern vorgetragen worden sein. Exzeptionell ist die Verschärfung der Terminologie, wie sie in der vierten Philippika zu beobachten ist. Hier konstruiert Demosthenes auch einen Gegensatz zwischen eúporoi (Wohlhabenden) und áporoi (Mittellosen), zwischen kektémenoi (Besitzenden) und ousías endeeîs (Habenichtsen). Doch gehört dies in die Auseinandersetzung um die Theorika. Zum Gegensatz von Armen und Reichen, Begüterten und Mittellosen, Besitzenden und Bedürftigen, von ptochoí und ploúsioi, eúporoi und áporoi, kektémenoi und ousías epideeîs s. 3.29, 8,66, 10.35–45, 10.68 u. a. 31 Dem. 21.167 f. 32 Dem. 21.96. 33 Dem. 21.139. 34 Dem. 21.112. 35 Dem. 21.152 f. Selbstverständlich ist vieles vom Gegensatz zwischen Arm und Reich, den Demosthenes hier beschwört, nicht mehr als Rhetorik (vgl. dazu Ober z. B. S. 20, 83, 88, 120). Dennoch muss gefragt werden, warum Demosthenes so starke Mittel einsetzt, um sich von den Reichen abzuheben. Das Leiturgie-System funktionierte, aber sicherlich zahlten die Reichen nur auf Druck. Anders als im 5. Jahrhundert war ihnen nach der Herrschaft der 30 Tyrannen der Weg in eine Oligarchie versperrt. 16

Der Friede des Philokrates 1

Dem. 19.10, 16, 304, Aisch. 2.57, Diodor 16.54.1. Aisch. 3.58. 3 Dem. 18.129 f. Ramming 24 f. 4 Dem. 19.249. 5 Aisch. 2.79; vgl. Dem. 18.20. 6 Die 500 Bouleuten wurden jährlich durch Los in den verschiedenen Demen bestimmt. Da jeder Bürger nur zweimal Ratsmitglied werden konnte, war es nicht leicht, Jahr für Jahr 500 Ratsherren zu finden. Es gab Konkurrenzkampf, aber oft genügte auch, sich freiwillig zu melden, um Aufnahme im Rat zu finden. 7 Schaefer II 197 ff. 8 Dem. 18.26. 9 S. Libanios, Hypothesis II zu Dem. 19 (mit den Namen der Delegierten). 10 Dem. 19.26. 11 Aisch. 2.34–35. 2

Anmerkungen zu S. 107–113

215

12 Aisch. 2.46. Diese Meinung wird auch von Lehmann vertreten s. 131–134, 246 f. Anm. 13. 13 Aisch. 2.38 f. 42. 14 Der Superlativ (deinótatos), den Demosthenes hier verwendet, ist zwar doppeldeutig (einschüchternd gewandt, gefährlich), aber Aischines kann ihn nur positiv verstanden haben, sonst wäre die Erwähnung in diesem Zusammenhang ohne Sinn. Später wird Demosthenes nichts anderes einfallen, als das Charisma Philipps und seine Ausstrahlung auf die Zeitgenossen mit der großzügigen Verteilung makedonischen Goldes zu begründen. Wie wenig das erklärt, zeigt Demosthenes’ eigenes Verhalten im Frühjahr 346. 15 S. Ramming 145. 16 Aisch. 2.53 ff.,109 ff., 3.63, 67, Dem. 18.28, 19.234 ff. 17 StVA II 329. 18 Dem. 19.291. 19 Als im Februar 346 der Streit zwischen Thebanern und Phokern eskalierte, jene sich erst an den Perserkönig um finanzielle, dann an den Makedonenkönig um militärische Hilfe wandten (Diodor 16.40,58.2), kamen nach einem Machtwechsel bei den Phokern auch die Athener ins Gespräch, die als Konkurrenten der Thebaner nominell mit den Phokern verbündet waren, ohne dass sie allzu viel taten, um diesen Status auch zu rechtfertigen. Eine phokische Delegation versprach den Athenern im Gegenzug gegen Hilfe wichtige Orte zu überlassen, von denen aus sie die Thermopylen hätten überwachen können. Athen nahm dankend an und entsandte eine Flotte mit 50 Kriegsschiffen. Indes hatte es inzwischen eine Restauration der alten Machtverhältnisse gegeben, die Athener waren plötzlich nicht mehr willkommen, weder in diplomatischer noch in militärischer Mission (Aisch. 2.132 ff.). 20 Philipp eroberte auch mehrere Festungen mit athenischen Besatzungen (Dem. 18.27), eine Klage Athens blieb aber aus. Die Festungen gehörten zum Reich des Kersobleptes. 21 Aisch. 2.101 ff. 22 Dem. 19.18. 23 Dem. 19.46; s. Paulsen 111 mit Verweis auf Aristophanes, Ritter 85 ff. Ein Wassertrinker ist offenbar ein „mürrischer und starrsinniger Mensch“, wie Demosthenes in 6.30 die Sache selbst erklärt. Hypereides galt als „Fischkenner“ (Gourmet). Nach Pseudo-Longin, Perì hy´psous 34.1–4 misslang es Demosthenes, wenn er witzig sein wollte. Vgl. Quintilian 6.3.2,21, Plut. Dem. comp. 1.4. 24 Dem. 19.46–49. 25 Dem. 19.51, Aisch. 2.137. 26 Aisch. 2.142. Datierung nach Ramming 145. 27 Dem. 19.128, 18.96 ff., Aisch. 2.5, 116, 3.80, Pausanias 10.13.1. 28 Syll.3 229 ff. 29 Dem. 18.36 f., 19.86, Aisch. 3.80. 30 Dem. 19.28. 31 Dem. 19.111. 32 Dem. 19.113. 33 Dem. 5.19. 34 Libanios, Hypothesis zu Dem. 5. 35 Dem. 5.13–19,25.

Der veruntreute Friede 1

Aisch. 1.80, Dem. 19.286.

216

Anmerkungen zu S. 113–119

2 Aischines strengte eine sogenannte dokimasía tôn rhetóron (s. Hansen 277) gegen Timarchos an. Als Vergehen nannte er Prostitution, Verschwendung des elterlichen Vermögens und Bestechlichkeit. (Aisch. 1.154). 3 Suda s. v. Timarchos. 4 Aisch. 1.174, 2.56. S. Wüst 46; danach Ramming 91 f., Lehmann 146. 5 Dem. 18.132. Zur Datierung Ramming 93 Anm. 1. Demosthenes handelte sicherlich in amtlicher Eigenschaft, auch wenn die nicht zu präzisieren ist. S. Schaefer II 370. 6 Plut. Dem. 14. Er erwähnt in diesem Zusammenhang ein weiteres Todesurteil, das Demosthenes erwirkte, und zwar gegen eine Priesterin. 7 Deinarch 1.62. Zelnick-Abramovitz 103 ff. unternimmt den Versuch zu zeigen, dass der Areiopag als Hüter der der demokratischen Ordnung agierte oder als solcher angesehen wurde. 8 Das Gesetz, mit dem das Volk die eigenen Rechte beschnitt, passt nach Hansen 302 f. am besten in die Zeit der größten Philipp-Hysterie, also in die Monate nach Chaironeia. Lehmann datiert es mit Wankel 721 und 1360 in die Zeit der Antiphon-Affäre, die er nicht erwähnt. Vermutlich geht diese Datierung von Deinarch (a. a. O.) aus, wo beides hintereinander erzählt wird, ohne dass freilich auf einen direkten Zusammenhang geschlossen werden muss. 9 Datierung nach Wüst 52–54, Ramming 94–96, Wirth 1985, 109. Mit guten Gründen plädiert Engels 1989, 74–80 für 343. In diesem Fall hätte Philipps Entscheid für Athen noch mehr Gewicht. Fragmente der Rede des Hyp. (or. XIII Jensen) sind erhalten, 10 Diodor 16.69.7; Iustin 8.6; Wüst 54–58. 11 Isokrates, Brief 2.2. 12 Isokrates, Brief 2.14–17. 13 Die Schrift enthält auch eine Spitze gegen all die Redner – Isokrates meint Demosthenes und seine Gesinnungsfreunde –, die in der Ekklesia „toben und rasen“ und so das Volk für vernünftige Argumentation unzugänglich machen. S. Isokrates Philippos 128 f. 14 Isokrates Philippos 16 (Übers. Ch. Ley-Hutton). 15 Isokrates Philippos 119–124. 16 Vgl. Isokrates Philippos 154. 17 Dem. 6.22. 18 Dem. 9.26, Isokrates 2.20. 19 Diodor 16.69.8. 20 Dem. 6.15,23. 21 Dem. 6.20 f. 22 Dem. 6.20. 23 Dem. 6.7,35. 24 Dem. 6.7.; zur Rhetorik der Rede s. Mader 56–68. 25 Dem. 6.24 f. Freiheit und Gesetz sind ein Topos, der noch ins 5. Jhdt. zurückgeht. S. Raaflaub, Freiheit 293–296. 26 Dem. 6.6,16. 27 Dem. 6.28–35. 28 Dem. 6.35. 29 Dem. a. a. O. 30 Dem. 12.6 (Schreiben Philipps), 10.34, Philochoros FGrHist 328 F 157, Diodor 16.44.1; Lehmann 147. Für eine Ablehnung sprach sich der Demosthenes-Gegner Androtion aus. 31 Dem. 7.22 (Rede des Hegesippos). 32 Scholion zu Dem. 7.32 (hekatérous hà échousin échein). 33 Dem. 7.18 (hekatérous échein tà heautôn), 24.

Anmerkungen zu S. 119–131 34 35 36 37 38 39 40

217

Dem. 7.26; vgl. StVA 2, 314. Hyp. 4.29, Aisch. 2.6. Dem. 19.114–120. Dem. 19.116. Dem. 19.15,17,30; Ramming 99–101, Engels 2000, 174–189. Aisch. 2.56. Aisch., Hypothesis zur 2. Rede; Plut. Dem. 15, mor. 840B. Aisch. 2.184, Dem. 19.290.

Auf Kriegskurs 1

Dem. 18.244. StVA II Nr. 333. 3 Plut. Phok. 15; Dem. 9.17, 27, 74; StVA II Nr. 332; Gehrke 40–43. 4 Diodor 16.72.1. 5 Dem. 9.72. 6 StVA II Nr. 336, Nr. 337; Wüst 93–95. Die Aitoler schlossen sich Philipp an 7 S. zu allen Punkten die Rede des Hegesippos Über Halonesos (Demosthenes 7); Schaefer II 432–442; Wüst 95 f. 8 Demosthenes (Hegesippos) 7.45. 9 Aisch. 3.83; vgl. 7.5 f. lambánein und apolambánein. 10 Plut. Dem. 9; Athenaios 6.223Df. 11 Wüst 102–108. 12 So Wirth 1985, 122, Wüst 117. 13 Dem. 8.26. 14 Dazu Wirth 1985, 121 f. („Terrormaßnahmen“); Wüst 114–117. 15 Zu Diopeithes s. die Chersones-Rede (8) des Demosthenes. Zur Lösegelderpressung Dem. 12.3. 16 Dem. 8.5–7 (Übers. W. Unte). 17 Dem. 8.41–43 (Übers. W. Unte). 18 Dem. 8.44 f. (Übers. W. Unte). 19 Dem. 8.60 f. (Übers. W. Unte). 20 Plut. Dem. 11, 50. Pseudo-Longin, Perì hy´psous 34.1–4 kommt zum Schluss, dass Demosthenes im Gegensatz zu Hypereides nie gefällig, prunkvoll oder elegant war. 21 Dem. 9.22, 29 (Übers. W. Unte). 22 Dem. 9.33. 23 Dem. 9.26–28. 24 S. E. Bickermann/J. Sykutris, Speusipps Brief an König Philipp, Leipzig 1928, 7–18. 25 Dem. 9.31. 26 Dem. 9.20. 27 Vgl. Dem. 10.11–27 und 8.38–51; 10.63–70 und 8.61–67; 10.55–62 und 8.52–60. 28 Dem. 10.5. 29 Dem. 10.10. 30 Dem. 10.31–34. 31 Diodor 16.52.1–6. 32 Plut. mor. 847F, 848A. 33 Dem. 8.66. 34 StVA II Nr. 339 (Frühjahr 341), 340 (Sommer, Herbst 341); Wüst 108 ff. Im Frühjahr 340 gründete sich der euboische Bund und die verschiedenen Gemeinden verbündeten sich ebenfalls mit Athen. S. StVA II Nr. 342. 35 Dem. 18.302; Plut. mor. 850A, Hyp. or. 50 (Rhodiakós), or. 65 (Chiakós). 36 Dem. 18.237, Aisch. 3.95–98, Plut. mor. 851B (Ehrendekret für Demosthenes); dazu 2

218

Anmerkungen zu S. 131–139

StVA II Nr. 343. Nicht ganz klar ist, ob alle Verbündeten schon seit Gründung dem Bund angehörten. 37 Dem. 18.83; Wirth 1985, 121.

Chaironeia 1

Pausanias 1.29.10, Arrian 2.14.5, Dem. 12.5, Diodor 16.75.2; zu den Vorgängen Wüst 126–132. 2 Der Brief ist als or. 12 im Corpus Demosthenicum erhalten. Zur umstrittenen Echtheit s. Wüst 133–136, der sich für die Authentizität ausspricht. Die athenische Antwort darauf (or. 11) wird – wohl fälschlich – Demosthenes zugeschrieben. 3 Theopomp FGrHist 115 F 292. Als Schiffszahl hat Theopomp 180, Philochoros FGrHist 328 F 162 dagegen 230. Nach Wüst kamen die 50 überzähligen Schiffe aus neutralen Städten und Inseln. 4 Philochoros FGrHist 328 F 55a, Aisch. 3.55, Theopomp FGrHist 115 F 217, Diodor 16.77.2; Gehrke 44 f. Anm. 24. 5 Plut. Phok. 14, Diodor 16.77.2. 6 Plut. mor. 851A. 7 Dem. 18.102–107, Aisch. 3.222, Deinarch 1.42. 8 Aisch. 3.222, Deinarch 1.42, Dem. 18.102–108, 312; Busolt/Swoboda 1204 f.; Ruschenbusch 1978, 275–284, Gabrielsen 207 ff. 9 Dem. 10.38 f. 10 Philochoros FGrHist 328 F 56a. 11 Zu den Rüstungsmaßnahmen gehörten der Bau neuer Schiffshäuser und einer Skeuothek im Piräus (Philochoros a. a. O.); die Reorganisierung der Reiterei ist umstritten. S. Will, Athen 4 f. 12 Plut. Phok. 16. 13 Dem. 18.89, 92. 14 Aisch. 3.128, Dem. 18.44, Diodor 16.1.5; Wüst 144–146. 15 Diodor 16.77.3; 84.1; Wüst 145. 16 Dem. 18.143. 17 Die Vorgänge geben in unterschiedlicher Sichtweise Aisch. 3.106–129 und Dem. 18.140–158 wieder. 18 Aisch. 3.124. 19 Weihung: Aisch. 3.116; Intrige: Wüst 149. Die Aufschrift auf den athenischen Schilden bezog sich noch auf die Schlacht von Plataiai (479 v. Chr.) und erinnerte daran, dass die Thebaner damals mit den Persern gegen Griechenland kooperiert hatten. 20 Aisch. 3.116. 21 Aisch. 3.125–127, Dem. 18.144. 22 Aisch. 3.129, Dem. 18.143,151. 23 Philochoros FGrHist 328 F 56b. 24 Aisch. 3.140, Dem. 18.169–179, Philochoros FGrHist 328 F 56a, Diod. 16.84.1, Plut. Dem. 18. S. Wüst 156, Ramming 114 f.; nach Lehmann 170 zog Philipp durch die Thermopylen. 25 Dem. 18.169–172 (Übers. F. Jacobs). 26 Dem. 18.177 f. 27 Dem. 18.211, 213. 28 Theopomp FGrHist 115 F 328 (Plut. Dem. 18). 29 StVA II 216. 30 Plut. Dem. 18; Theopomp FGrHist 115 F 328 bestätigt dies indirekt als Zeitzeuge. S. dazu den Kommentar von J.-D. Gauger 240.

Anmerkungen zu S. 139–149

219

31

Iustin 9.3 (Übers. F. Wüst). Gehrke 57. 33 Dem. 18.222; Schaefer II 557 f. Anm. 5. 34 Aisch. 3.146, Deinarch 1.74; Wüst 163 f. 35 Aisch. 3.148–151, Plut. 18, Phokion 16. Zur Ernsthaftigkeit der Friedensofferte Philipps s. Gehrke 52–60; Lehmann setzt das Friedensangebot vor die Besetzung Amphissas 172 f. 36 Quellen: Diodor 16.85 f. Polyain 4.2.2,7, Frontin, Strategemata 2.1.9, Iustin 9.3.9, Pausanias 9.10.1, Plut. Alexander 9. S. Wüst 165 f., Wirth 1985, 133, Lehmann 173 f. 32

Nach der Schlacht 1

Lukian, Der Parasit 42, Lykurg, Leokrates 16, 36–39; S. Will, Athen 8 f.; Lykurg, Leokrates 41, 52 f.; zu weiteren Quellen s. Will, Athen 9 f. 3 Plut. Dem. 20. Der Biograph macht seinen Tadel jedoch schnell wett, indem er an Philipps Verhalten die Größe der demosthenischen Redekunst illustriert: „Als er aber wieder nüchtern geworden war und die Größe der Gefahr, die ihn bedroht hatte, überdachte, grauste es ihm vor der Redegewalt und der Macht des Mannes, der ihn gezwungen hatte, in einem Bruchteil eines einzigen Tages den Entscheidungskampf um seine Herrschaft und um seine Person zu wagen.“ 4 Will 2008, 37–48. 5 Plut. Pelopidas 27, Aisch. 2.27 ff. 6 Iustin 9.4.7–8, Pseudo-Demades 17, Diodor 16.87.3; Will, Athen 14 f. 7 Iustin 9.4. 8 Dem. 18.248. 9 Plut. mor. 846A; vgl. Aisch. 3.159, Deinarch 1.81. 10 Plut. Phok. 16. S. Gehrke 60–63. Die negative Zeichnung der Demosthenes-Anhänger erklärt sich aus Plutarchs Zweifeln an der Demokratie, aber auch dem Umstand, dass hier Phokion und nicht Demosthenes der Held der Biographie ist. 11 Pausanias 1.34.1. 12 S. u. a. Diodor 16.87.3, Dem. 18.285, Iustin 9.4.5, Plut. Dem. 22; Gehrke 63–65, Will, Athen 13–15. 13 Dem. 18.231. 14 Plut. Phok. 16. 15 IG II2 236; HGIÜ 2, 256 Z. 12–14; zusammenfassend StVA III 403. 16 Isokrates, 2. Brief an Philipp. 17 Plut. Phok. 16. 18 Aisch. 3.159. Nach Lehmann (183 f.) zog Demosthenes seine Kandidatur zurück, als er erkannt hatte, wie gering das politische Eigengewicht dieser Versammlung war. Aischines sieht das anders. 19 Diodor 16.85.2. 20 Diodor 16.88.1; Will, Athen 22 f. 21 Dem. 18.249 f., 25.36 f., Plut. Dem. 21. Dazu Will, Athen 20 u. 23 f. 22 Thukydides 2.34.2–6 (Übersetzung H. Vretska, W. Rinner). 23 Dem. 18.285. 24 Zur antiken Beurteilung s. Dionysios Hal. Dem. 23, 44. Den Nachweis der Echtheit erbrachte Sykutris 241–258. 25 Dem. 60.23 f. 26 Dem. 60.20 f. 27 Dem. 60.20–23. 28 Dem. 60.22; 18.300, 303. 2

220

Anmerkungen zu S. 149–156

29

Aisch. 3.159, Plut. Dem. 21. Aisch. 3.27–31; Plut. mor. 845F wird die Summe mit 100 Minen (1 Talent, 4000 Drachmen), 851A mit 3 Talenten beziffert. 31 IG II/III3 316, IG II2 237; Hicks/Hill Nr. 149 (Datierung). 32 Will, Athen 17, 25 f., 40 f. 33 Will, Athen 22 f. 34 IG II/III3 319, IG II2 239, Hyp. F 77. 35 Hyp. F 76. 36 IG II/III3 320, IG II2 240. 37 Diodor 16.92.1 f. „Schließlich bekränzten ihn nicht nur einzelne Notabeln mit Goldkränzen, sondern auch die Mehrzahl der bedeutenden Städte, darunter Athen. Als diese Auszeichnung durch den Herold verkündet wurde, endete dieser mit der Erklärung, dass im Falle jemand nach einem Anschlag auf König Philipp schutzsuchend nach Athen komme, dieser ausgeliefert werde.“ (Übers. O. Veh). Letzteres ist wohl eine späte Erfindung. 38 Hyp. Rede 2 (Gegen Philippides); Engels 1989, 137–141 (Rede vor Philipps Tod). 39 Aisch. 3.17–23, 219,236 f. 40 G. Pfohl, Griechische Inschriften, München o. J. Nr. 106 (Übers. G. Pfohl); zur Diskussion s. Engels 1988, 181–209. 30

Vorletzte Irrtümer 1

Diodor 16.91–94; s. dazu Th. Frigo, Diodoros, Buch XVI, Stuttgart 2007, 173–176. Aisch. 3.77; vgl. Plut. Dem. 22.1. 3 Diodor 16.92.2. Diodor (oder seine Quelle) verschmilzt hier zwei Nachrichten zu einer, um das dramatische Geschehen zu steigern. 4 Aisch. 3.160; Plut. Dem. 23. Aischines spricht bildhaft davon, dass Demosthenes dem Pausanias Tempel errichtet. Vermutlich ist daraus bei Plutarch ein Beschluss der Volksversammlung geworden. Plutarchs Quelle war jedenfalls, wie er selbst in dem Kapitel angibt, Aischines’ Rede gegen Ktesiphon. 5 Aisch. 3.77, Plut. Dem. 22. 6 Plut. Phok. 16. Gehrke 67 f. glaubt, dass Phokion nicht durchdrang. Entscheidend scheint hier aber Aisch. 3.160, der Entsprechendes nur dem Rat der Fünfhundert zuschreibt. 7 Bekannt wurde die Kontaktaufnahme Philipps mit Attalos, einem Onkel jener Kleopatra, die Philipp 337 geheiratet hatte. Er galt als Feind des jungen Alexander, ohne dass er dadurch das Vertrauen Philipps verloren hätte. So gehörte er zum makedonischen Vorauskommando in Kleinasien. Nach dem Scheitern seiner Pläne suchte sich Attalos von dem Verdacht der Konspiration zu befreien, indem er Alexander u. a. einen Brief des Demosthenes übergab. Diodor 17.2.1; 5.1, Plut. Dem. 23. 8 Diodor 3.3–5. 9 Plut. Dem. 23. Auch Diodor 17.3–5 vermengt das Geschehen. 10 Diodor 17.4. 11 Diodor 17.4.6, Pseudo-Demades 14, Iustin 11.3.5; Will, Athen 35 f. 12 Diodor 17.4.9. 13 Arrian 1.1.3; dazu A. B. Bosworth, A Historical Commentary on Arrian’s History of Alexander, Vol. I, Oxford 1980, 51. Zur Statue Pausanias 1.9.4. 14 Arrian 1.1.1 f. Diodor 17.4.9 f. Iustin 9.2.5, Plut. Alexander 14. 15 Diodor 17.7.2–3,10, Polyain 5.44.5. 16 Aisch. 3.239. 17 Deinarch 1.10, 1.18; Aisch. 3.239. 18 Iustin 11.2.7–8; Pseudo-Demades 17. 2

Anmerkungen zu S. 157–166

221

19

Diodor 17.8.5. Arrian 1.7.1; Bosworth z. St. 21 Arrian 1.7.2. 22 Diodor 17.8.6. 23 Vgl. Deinarch 1.18. 24 Plut. Phok. 17. 25 Vgl. Deinarch, Gegen Dem. 1.18 ff., Will, Athen 41 f. 26 Arrian 1.7–9, Diodor 17.8–17, Plut. Alexander 11, Iustin 11.3.7–4.8. 27 S. die Vergleiche bei Arrian 1.9.1–5. 28 Arrian 1.9.7. 29 Iustin 11.4.9. 30 Der glaubwürdige Bericht dazu bei Arrian 1.10; s. Bosworth 92. Vgl. Plut. Phok. 17, Dem. 23. 31 Plut. Dem. 23. Die Fabel wurde später zum festen Teil der Demosthenes-Rezeption. Zum Ablauf s. vor allem Diodor 17.15. 32 Gehrke 73 Anm. 27; Beloch 1884, 243. 33 Plut. Dem. 23: „Nachdem Alexander abgezogen war, waren diese (Demades und Phokion) die großen Männer und Demosthenes in den Hintergrund gedrängt.“ 34 Plut. Dem. 23. 20

Die Wende 1

Plut. mor. 842E; Dem. Brief 3; Engels, Leokrates-Rede 23 f. Hansen 165, 274, 312. Das Amt ist erst spät bezeugt (IG II2 463 Z. 36; s. Will, Athen 24 Anm. 24). 3 So wandelt F. W. Mitchel seinen ursprünglichen Titel „Athens in the Age of Alexander“ (G&R 12, 1965,189 ff.) in der umfassenderen Neubearbeitung des Themas in „Lykourgan Athens 338–322“ (Cincinnati 1970) um. Vgl. Hintzen-Bohlen 1 ff., Schwenk 1 ff. 4 Demosthenes: Aisch. 3.24; Demades: IG II2 1493–95. Zu Lykurg s. Mitchel 1970, 163 ff. 5 Diodor 17.7.4; dazu Will, Athen 49 f. 6 Vgl. Arrian 1.11.6, 1.18.4, Diodor 17.22.5 7 Dem. 17.20. 8 Arrian 1.16.7. 9 Deinarch 1.101; Plut. mor. 820F. 10 Arrian 1.29.5 f.; Curtius 3.1.9. Als der seit längerem bekannte sog. Archimedes-Palimpsest vor wenigen Jahren wieder lesbar gemacht wurde, entdeckten die Wissenschaftler auch fünf Seiten mit Fragmenten aus zwei Reden des Hypereides. Das längere Fragment (Text und Übersetzung s. C. Carey 1–19) erwies sich bald als Ausschnitt einer dem Namen nach schon aus der Antike bekannten Rede (vgl. Dem. 18.222; Plut. mor. 848 f.), der Rede gegen Diondas für den Kranz. Anspielungen auf die Schlacht von Chaironeia, die Zerstörung Thebens und die Entsendung von Trieren für Alexanders Asienfeldzug sichern die Datierung ins Jahr 334 (s. Carey 2 f., Horváth 187–197). 11 Plut. mor. 847C, 848E, Plut. Phok. 21. 12 Dem. 17.26–28; s. Will 1982, 202–213. 13 Curtius 4.5.11, Diodor 17.48.6, Arrian 3.5.1. 14 Curtius 4.8.12. 15 Arrian 3.6.2. Im Anschluss berichtet der Historiker von direktem Maßnahmen Alexanders gegen die Aufstandsbewegung. 16 Aisch. 3.162, Hyp. 1 col. 19 f. 17 FGrHist 135 F 2 (Harpokration s. v. Aristion). Aischines legt homoerotische Bezie2

222

Anmerkungen zu S. 166–173

hungen nahe, wenn er behauptet, dass der für seine außerordentliche Schönheit bekannte Aristion lange im Hause des Demosthenes gewohnt habe. Dies bleibt ein Gerücht, doch scheint Demosthenes mit der Wahl des Aristion als Kontaktmann zu Alexander und Hephaistion dem Rechnung getragen zu haben, was über die beiden bekannt war. 18 Vgl. Plut. mor. 852B; Will, Athen 78 f., Engels, Leokrates-Rede 21. 19 Dem. 3.29. 20 Plut. mor. 841 f. 21 S. Will, Athen 136 und 77–100; Will, Alexander 101–107; vgl. Mitchel 1970 1 ff., Hintze-Bohlen. 1 ff. Auch das Dionysos-Theater, in dem nun häufig Volksversammlungen stattfanden, wurde aufwendig umgebaut. S. Knell 126 ff.

Prozesskrieg 1

Aisch. 3.132–135. Aisch. 3.136. 3 S. Witte 1 ff., Wirth 1999, 51, 90,112,146,148,170 f. 4 Lykurg 1.77. 5 Aisch. 3.252.; zur Rede gegen Leokrates umfassend Engels, Leokrates-Rede 30 ff. 6 Aisch. 3.56, Dem. 18.196; vgl. Plut. Dem. 24. 7 Eine kluge Darstellung der Ereignisse bei Schuller 190–200; vgl. Hansen 213–219. 8 Losmaschinen bzw. Teile von ihnen wurden bei Ausgrabungen schon früh entdeckt, ihre genaue Funktion konnte aber erst bestimmt werden, nachdem Ende des 19. Jahrhunderts (Erstpublikation 1891) Papyri mit der Abschrift der „Athenaion Politeia“ des Aristoteles gefunden worden waren. Das Kleoterion war eine Marmorstele, etwa mannshoch, mit fünf senkrechten Reihen von Schlitzen, welche die Größe eines Richtertäfelchens besaßen. Insgesamt ergaben sich, da bei jedem Eingang zwei Losmaschinen standen, 10 senkrechte Reihen, bezeichnet mit den Buchstaben Alpha bis Kappa, die jeweils auch auf den Richtertäfelchen standen. Die Täfelchen wurden nach Buchstaben gesammelt, in einem Kistchen gemischt und dann jeweils unter ihrem Buchstaben in die Schlitze des Kleoterions gesteckt. In dieses war eine senkrechte Röhre gebohrt, die nach oben in einem Trichter auslief, in den Bällchen gefüllt wurden. Diese Bällchen fielen ungeordnet durch die Röhre und wurden dann durch eine mit einem Hahn oder Kork verschlossene Öffnung einzeln herausgelassen. Wenn das erste Bällchen weiß war, waren diejenigen, deren Täfelchen in der obersten Reihe steckten, für diesen Tag als Richter bestätigt, wenn es schwarz war, mussten sie nach Haus gehen. Diese Prozedur wurde Reihe für Reihe von oben nach unten so lange wiederholt, bis schließlich alle Richter gewählt waren. Die Anzahl der weißen Bällchen entsprach also einem Fünftel der erforderlichen Richter dieses Tages. S. Hansen 205 f., Flacelière 316–320, J. D. Bishop, The Cleroterium, JHS 90, 1–14. 9 Hansen 203–210 (mit Quellen). 10 Dem. 18.66 ff. 11 Vgl. Aisch. 3.51 f. 171; Dem. 18.129–131, 258 f., Schuller 194 f. 12 Nach Lehmann 202 war der makedonische Asienzug in der Sicht des Demosthenes „eine zerstörerische Untat und ein Unrecht, das der gesamten Oikumene zugefügt wird“. In der Übersetzung von F. Jacobs lautet die dafür herangezogene Passage aus der Kranzrede (18.270): „Wenn du, Aischines, von den Menschen hier unter der Sonne einen nennen kannst, der unbehelligt früher von Philipp, jetzt von Alexanders Herrschaft geblieben ist unter den Hellenen oder den Barbaren, dann mag es sein, dann will ich dir zugeben, dass mein Geschick oder Missgeschick, wie du es nennen willst, schuld an allem gewesen sei.“ 13 Hansen 209 f., Flacelière 320–323. 14 Plut. Dem. 24. 15 Ramming 121 f. 2

Anmerkungen zu S. 173–186

223

Exkurs über Verrat und Freiheit 1 ZumVergleich: In den insgesamt 20 Reden und 10 Briefen des Zeitgenossen Isokrates tritt kein einziger Verräter auf. 2 Dem. 19.259–262. 3 Dem. 18.295; vgl. Wankel II 1243–1254. 4 Vor allem besaß sie eine lange Nachwirkung. Noch der Dichter Iuvenal (4.12.46 f.) nennt Philipp den callidus emptor (schlauen Käufer) Olynthi. Philipp wurden später allerhand Aussprüche zugeschrieben, mit denen er die Vorzüge des Edelmetalls pries. So soll er über seine militärischen Eroberungen gesagt haben, keine Stadtmauer sei so hoch, dass sie ein goldbeladener Esel nicht überschreiten könne. 5 Polybios 18.13 f. (Übers. H. Drexler). 6 S. Will, Callidus emptor Olynthi 58 ff. 7 Bei Demosthenes entsprechend nur in der Kranzrede von 330 bezeugt: 18.176; vgl. 18.294. Zum Philippismos s. Barthold 72 f. 8 So expressis verbis Plut. mor. 844F. Anachronistisch findet dort Demosthenes bei seinem Eintritt in die Politik diese Zweiteilung schon vor. 9 Dem. 18.296–298; zum Freiheitsbegriff vgl. Dem. 6.25; 8.42; 9.36, 70, 71; 10.4, 14, 50; 15.19,21, 30; 14.32; 18.46, 65, 68, 99, 100, 177, 184, 185, 196, 205, 208, 259, 296; 19.260; 23.124, 139, 205.

Alexanders Schatten 1

Dem. 18.248, Plut. mor. 845F, 851B. Dies schildert anschaulich eine Rede gegen Dionysodoros aus dem Corpus Demosthenicum: 56.7 ff. Eine Kleomenes gewogene Interpretation hat Seibert 45 f. 3 Arrian 7.23.6. 4 Athenaios 596Af., Diodor 17.108.9. Inschrift Tod Nr. 196. 5 Plut. mor. 851B; vgl. Dem. 34.39, IG II2 360 Z. 12. 6 S. Will, Athen 107–213, hier 109. 7 IG II2 1629. 8 Zu Harpalos s. Berve II 75–80. 9 Diodor 18.8.7. 10 Plut. Dem. 25.3, Plut. mor. 846A; vgl. Deinarch 3.1, Diodor 17.108.6 f. 11 Hyp. 3.1. 12 Hyp. 1 col. 18, Diodor 17.109.1, Deinarch 1.169,175. 13 Über Demosthenes’ Aufenthalt in Olympia gibt es nur eine Anekdote (Plut. Dem. 9, mor. 845C). Als ein Redner in einer Laudatio auf Philipp und Alexander die Olynthier und Thebaner verunglimpfte, soll Demosthenes ihm mit einer Aufzählung der Verdienste dieser Städte entgegengetreten sein. Das würde bestätigen, was auch die Kranzrede von 330 zeigte, nämlich, dass Demosthenes den Bruch mit der Vergangenheit vollzogen hatte, ohne sich von ihr abzuwenden. 14 Spartaner: Aelian, var. hist. 2.19, Plut. mor. 219e; Demades: Aelian, var. hist. 5.12 (100 Talente), Athenaios 6.251B (10 Talente); Valerius Maximus 7.2. ext. 13; Demosthenes: Hyp. 1 col. 31 f., Deinarch, 1.94, Lykurg: Plut. mor. 842D. 15 Arrian 7.19.1 f., 23.2. 16 Lehmann 211. Zumindest bestand das Problem, unter welchem Titel die persischen Gelder oder diejenigen des Harpalos als Überschüsse in die theorikón-Kasse fließen konnten. 17 Hyp. 1 col. 10; vgl. Badian 1961, 32. 18 Hyp. 1 col. 13. 19 Hyp. 1 col. 13, Deinarch 1.4 f. 61. 2

224

Anmerkungen zu S. 186–193

20

Eder 2000, 210. Vgl. Deinarch 1.10 f. 22 Zum Harpalos-Prozess s. Eder 2000, 201–215, Lehmann 206–216, Hansen 304 f., Will, Athen 113–127, Engels 1989, 308–322, Jaschinski 1 ff. 23 Deinarch, 1.6,7,9,11,45,53, 69, 89,104 Hyp. 1 col. 10, 25, 40, Plut. mor. 808A, Plut. Phok. 22. 24 Hyp. 1 col. 17, col. 34–35. 25 Timokles in der Komödie „Delos“ F 4 (Kassel/Austin; Edmonds II 603 f.); Athenaios 341ef. 26 Eder 2000, 212. 27 Arrian 7.14.1 ff. Das war Ende Oktober, spätestens im Januar erreichte die Nachricht auch Athen. Zu den Kontakten zwischen Demosthenes und Hephaistion s. auch Badian 1961, 34, Lehmann 211 f. 28 Schon als in den Archiven des Großkönigs belastende Briefe des Demosthenes gefunden worden waren, hatte dies kaum Reaktionen ausgelöst; im übrigen war seine Verbindung ja bekannt gewesen. S. Plut. Dem. 20. 29 Dem. Brief 3.31,37,42, Plut. Dem. 27, Deinarch 2.15. 21

Die letzten Jahre 1

Treves, RE XIX.2, 1938, 2489 f. Engels 1989, 312 Anm. 655. 3 Dem. Brief 2.17. Die im Corpus Demosthenicum erhaltenen sechs Briefe stammen, wie gesagt, höchstwahrscheinlich nicht von ihm, aber enthalten durchaus zuverlässiges, wenn auch im Einzelfall zu prüfendes Material, da der unbekannte Verfasser sie wohl noch in der 1. Hälfte des 3. Jahrhunderts schrieb. Plut. Dem. 26. 4 Plut. Dem. 26. 5 Plut. mor. 842E, 852 (Inschrift), Dem. Brief 3 (Angeblicher Brief des Demosthenes für die Kinder des Lykurg an den Rat in Athen). 6 Plut. Phok. 22. 7 Nach Demades (F 9; Falco 26) glich die makedonische Macht dem geblendeten Kyklopen. 8 Plut. Phok. 23. 9 Diodor 18.10.1, dessen Bericht auf dem oligarchenfreundlichen Hieronymos beruht. S. Rathmann, Diodoros z. St. 10 Diodor 18.9.1 (8000 Söldner), 17.111.3 (Verbindung zum Rat); Berve II 236 f., Engels 1989, 316–360. 11 Zum Hellenenbund s. STVA III 413. 12 Plut. Dem. 27. Die Pointe von Pytheas’ Argumentation überliefert Plutarch: Wie von einem Haus, in das Eselsmilch gebracht werde, angenommen werden müsse, es sei übel mit ihm bestellt, so müsse notwendig auch eine Stadt, in die die athenische Gesandtschaft komme, krank sein. Demosthenes soll gekontert haben, wie die Eselsmilch der Förderung der Gesundheit diene, so kämen die Athener, um Kranke zu heilen. 13 Plut. Dem. 27. 14 Will, Athen 131; zu den Fakten ausführlich Schmitt 73–82. 15 Plut. Dem. 27. Die Anekdote wird von Demetrios von Magnesia Alkibiades hatte Bedingungen gestellt. 16 S. Lehmann 218 f. 17 Plut. Dem. 27. 18 Diodor 18.13.1–5, 18.15.1 Plut. Phok. 24; s. Schmitt 83 f., Gehrke 77–86. 19 Lehmann 11–13, Schmitt 130–142. 2

Anmerkungen zu S. 193–198

225

20

Diodor 18.9.1; Will, Athen 131 f. Zu Krannon s. Schmitt 143–157. S. dazu Lehmann 218 f., 11–17. 22 Diodor 18.18.2, Plut. Phok. 26. 23 Plut. Phok. 27 f. In der Samos-Frage erreichten Phokion und Demades sogar einen Aufschub (Diodor 18.18.6). 24 Arrian FGrHist 156 F 9.13 f., Engels 1989, 381 f. 25 Diodor 18.64–67, Plut. Phok. 31–37. 26 Plut. Dem. 29 f. 27 Schaefer III 394; Plutarchs Festlegung auf den genannten Fasttag ist in diesem Fall nicht zu halten. 21

Das zweite Leben 1

StVA III 415. Diodor 18.18.4 f.; gl. Plut. Phok. 28. 3 Zu nennen sind hier das Jahr 318 und die Jahre nach 307 bzw. 287. 4 Diodor 18.74. 5 Zur Geschichte Athens nach 322 s. vor allem Habicht 47–153, Dreyer 17–281, Papastavrou, RE Suppl. X, 1965, 81–84. 6 Plut. Phok. 38. In den Viten des Phokion und des Demosthenes hat Plutarch – einer frühen Überlieferung folgend – die Geschichte der makedonisch-athenischen Beziehungen polarisiert: Auf der einen Seite steht Phokion, der Mann des Ausgleichs, auf der anderen Demosthenes, der Makedonenhasser. S. Plut. Dem. 14. 7 Demetrios FGrHist 228 F 16–19 (Plut. Dem. 9, 11, 14, 28); Jacoby, Kommentar IIB 649. Zu Theophrast s. Plut. Dem. 10., Drerup 1923, 30 ff. 8 Lykurg wurde, wie oben gesagt, durch eine Statue und eine Inschrift geehrt. S. Plut. mor. 852e. 9 Der Nachlass wurde höchstwahrscheinlich von Demochares herausgegeben. Er bildete den Grundstock für das sich später herausbildende Corpus Demosthenicum. S. Drerup 1923, 83. 10 S. dazu Grieb 51 ff. 11 Plut. mor. 850F-851C (Dekret des Demochares), 847D, Plut. Dem. 30, Zosimos, Leben des Demosthenes 151. Eine ähnliche Ehrung mit ähnlicher Begründung erhielt auch Demochares selbst. S. Plut. mor. 881D-F: Um der Demokratie willen sei er verbannt worden, nie habe er an einer oligarchischen Regierung teilgenommen und ein Amt nach dem Sturz der Volksherrschaft bekleidet. Er allein unter allen athenischen Politikern seiner Zeit habe niemals für eine andere Regierungsform denn die Demokratie Sorge getragen. Mit seinem politischen Handeln gewährte er den Gesetzen, den Gerichtshöfen und ihren Entscheidungen und dem Eigentum aller Athener Sicherheit und nie, weder in Tat noch in Wort, handelte er den Interessen der Demokratie zuwider. 12 Drerup 1923, 82–97. 13 Samotta 115 f. 14 Plut. Dem. 30, Plut. mor. 847A, Zosimos, Leben des Demosthenes 151, Suidas s. v. Demosthenes 2. 15 Plut. Cato 2,4, Diodor 34.33.3, Cicero, Orator 105. 16 Cicero, De finibus 5.2.5. Zur Demosthenes-Rezeption Drerup 1923, 1 ff., V. Buchheit, Demosthenes, in: RAC III, 1957, 712–735, Lehmann 18–28 und 220–228, Tangri 1 ff. sowie Pernot 2006, 1 ff. Die bisher umfassendste Monographie stammt von A. Düren (Die Rezeption des Demosthenes von den Anfängen bis ins 17. Jahrhundert) und erscheint voraussichtlich 2014. Sie wird hier nach Kapiteln zitiert. 2

226

Anmerkungen zu S. 198–202

17 Ciceros Schrift De optimo genere oratorum ist eigentlich die Vorrede zur Übersetzung der Kranzrede und der Rede des Aischines gegen Ktesiphon. 18 Fulmina Demosthenis: Cicero, Ad Atticum 15.1a.2, Philippicae orationes: Cicero, Ad Brutum 2.3.4 (Brief des Brutus, der hier von Philippici spricht, da er es auf libelli (Schriften, Reden, Bücher) bezieht. Vgl. Plut. Cicero 48. S. Düren Kap. 2.3.1. 19 Dem Werk mangelt es gänzlich an der Lukian eigenen Schärfe des Witzes. Es ist vermutlich unecht und in seinem Lob des Demosthenes durchaus ernst gemeint. Jedenfalls fällt es schwer, eine Satire darin zu sehen. Wie Lukian mit griechischen Autoren umgeht, zeigt das Beispiel Herodot. Vgl. Düren Kap. 2.6.3. 20 Athenaios (Anf. 3. Jhdt.), Deipnosophistai; Aulus Gellius (2. Jhdt.), Noctes Atticae; Aelian (ca. 170–240), Varia Historia; Valerius Maximus (1. Jhdt.), Facta et dicta memorabilia. 21 Philostratos, Vitae sophistarum 1 pr. 481, vgl. 1,18,507. Dazu Düren Kap. 2.6.8. 22 Ausgenommen sind or. 11 (Brief Philipps) und 60–62. Die argumenta für die beiden Aristogeiton-Reden sind zusammengefasst. 23 Mit ähnlichen Worten, mit denen Demosthenes die Kämpfer von Marathon beschwor, erinnert Gregorios an die Makkabäer. (Dem. 18.208; Log. XV 5; Migne, Patrologia Graeca, XXXV 917). S. Düren Kap. 2.6.10. Ausführlich zum Nachleben der Beschwörung der Gefallenen von Marathon bereits Pernot 2006, 177 ff.; zur christlichen Umformung besonders 231 ff. 24 So bei Thomas von Kent, im englischen Kyng Alisaunder oder im Wernigeroder Alexander. Bei Rudolf von Ems hat Demosthenes eine Doppelrolle. Vom Anführer des Widerstandes wird er zum Berater. Das Bild des Philosophen scheinen auch die spärlichen Episoden, die sich außerhalb des Alexanderromans in der lateinischen Überlieferung finden, und das gelegentliche Erscheinen des Demosthenes neben Aristoteles in vielen Weltchroniken nahe zu legen. S. Düren Kap. 3.2. 25 Mit dem Renaissance-Gelehrten und -Dichter Francesco Petrarca (1304–1374) beginnt – auf Ciceros Werke und Briefe gestützt – eine neue Wahrnehmung, doch ist auch bei Petrarca Demosthenes noch ganz rednerische Größe: dieser und Cicero, Homer und Vergil bilden einen griechisch-römischen Kanon der bedeutendsten Redner und Dichter. S. Düren Kap. 3.2.2. Zu Demosthenes in der Renaissance besonders Tangri 545–582. 26 Migne, Patrologia Graeca CLXI 674 f.; hierzu Düren Kap. 5.7. 27 Kap. 19 Vom vielen Schwatzen: „Wenn noch auf Erden Demosthenes/ Oder Tullius wäre und Aeschines,/ Man schätzte nicht ihre Weisheit heute,/ Wenn sie nicht könnten beschei … die Leute“. 28 Übersetzt hatte Wilson die 3 olynthischen und 4 philippischen Reden. Vor allem die 3. Olynthiaka war als Aufruf gegen Spanien zu lesen. S. Schindel 79. Ausführlich dazu Düren Kap. 6.3.5. Düren zufolge könnte Jean Lalemant mit der ersten französischen Übersetzung von 1549 ebenfalls schon antispanische Tendenzen verfolgt haben. S. Düren Kap. 6.2.2. 29 J. de Tourreil, Harangues de Demosthene, Paris 1691, Philippiques de Demosthene, Den Haag 1701. Zitiert nach Schindel 78 f. 30 Gespräch nach Riemer vom 20. 11. 1813; Goethes Gespräche, hrsg. v. W. Herwig, II (1805–1817), Zürich 1969, 851. 31 Gespräch mit Riemer vom 12. Juni 1814, in: Goethe von Tag zu Tag, hrsg. von E. Steiger und A. Reimann, VI (1814–1820), Zürich/München 1993, 82. 32 Johann Gottfried von Herder, Sämtliche Werke, hrsg. v. B. Suphan, 9, Hildesheim 1994, 386. 33 F. Hölderlin, Sämtliche Werke und Briefe 1, München 1992, 680 f. 34 So bekundete Niebuhr später die Eitelkeit seines Vertrauens und gab, als geglückt

Anmerkungen zu S. 202–206

227

war, was Austerlitz noch verhindert hatte, die Rede ein Vierteljahrhundert später heraus, ergänzt um ein neues Vorwort: Demosthenes habe vieles gesprochen, was eine andere schwer gefährdete Zeit für sich vernehmen, sich daran erbauen und dadurch belehren sollte. S. B. G. Niebuhr, Politische Schriften, hrsg. v. G. Küntzel, Frankfurt/Main 1923, 316 f. S. Schindel 27–29. Zum Demosthenes-Bild Niebuhrs s. u. a. B. G. Niebuhr, Vorträge über alte Geschichte, an der Universität zu Bonn gehalten, hrsg. v. M. Niebuhr, 2, Berlin 1848, 334–341, 3, 54 f. 35 Demosthenes’ Staatsreden, übers. v. F. Jacobs, Leipzig 1805, Vorrede XI-XIV, F. Jacobs, Vermischte Schriften 1823/40, VII, 65. Dazu Schindel 25–29. 36 Heinrich Luden, Nemesis IV, 4, 1815. S. Schindel 25. Horaz, Satiren 1.1.69 f. quid rides? mutato nomine de te fabula narratur. („Wie? Du lachest? Ist die Fabel nicht unter anderm Nahmen deine eigene Geschichte?“; Übers. C. M. Wieland, 2. Aufl. 1804) 37 H. v. Kleist, Sämtliche Gedichte, Brandenburger Ausgabe III, Frankfurt 2005, 50 (Phöbus, Juni 1808). 38 F. Jacobs, Vorrede V bzw. XIIf. („Der, welcher sie (d. h. vaterländischen Gefühle) an der Fackel des Alterthums zu entzünden rät, ist darum nicht als ein Prediger des Demokratismus anzusehen.“). Zitiert nach Schindel 26. 39 G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie I, Werke 18, Frankfurt/M. 1986, 181. 40 A. Schaefer, Demosthenes und seine Zeit, I-III, Leipzig 1856–1858. 41 J. G. Droysen, Geschichte des Hellenismus I, München 1980, 26. 42 J. Burckhardt, Griechische Culturgeschichte IV, München/Basel 2012, 419. Im Hintergrund von Droysens und Burckhardts Demokratie-Kritik steht Platons Verdikt, das schon Plutarch – zumindest in der Perikles-Biographie – irritierte. 43 Drerup 1916, 3, 189 44 Drerup 1916, 191; ders. 1923, 1. 45 Georges Clémenceau, Démosthène, Paris 1924; deutsche Ausgabe Basel 1926, S. 123; zum Demosthenes Clémenceaus vgl. ausführlich Pernot 2006, 115 ff. 46 Adela M. Adam, Philip alias Hitler, 1941, 105–113; Frederick H. Cramer, Demosthenes Redivivus, Foreign Affairs 1941; vgl. J. Riecker, „Das Geheimnis der Freiheit ist der Mut“, Berlin 2005, 88 ff.

Cicero und Demosthenes Statt eines Nachworts 1

K. Pfeffel, Demosthenes und Cicero (1790); Zitat: Plut. Dem. 3.

Das Corpus Demosthenicum Die Reden vor der Volksversammlung 1. Erste Olynthische Rede 2. Zweite Olynthische Rede 3. Dritte Olynthische Rede 4. Erste Philippische Rede 5. Über den Frieden 6. Zweite Philippische Rede 7. Rede über die Insel Halonnesos (Autor Hegesippos) 8. Rede über die Angelegenheiten in der Chersonesos 9. Dritte Philippische Rede 10. Vierte Philippische Rede 11. Antwort auf Philipps Brief (Autor Anaximenes?) 12. Brief Philipps II. 13. Rede über die Syntaxeis (umstritten) 14 Rede über die Symmorien 15 Rede über die Freiheit der Rhodier 16 Rede für die Megalopoliten 17 Rede über die Verträge mit Alexander (Anonymus)

349/348 349/348 349/348 351 346 344 342 341 341 Herbst 341 340/339 340/339 351–349 354 351 353 333? 331?

Reden in politischen Prozessen 18 Rede über den Kranz 19 Rede über die Truggesandtschaft 20 Rede gegen Leptines 21 Rede gegen Meidias 22 Rede gegen Androtion 23 Rede gegen Aristokrates 24 Rede gegen Timokrates 25 Rede gegen Aristogeiton 1 (umstritten) 26 Rede gegen Aristogeiten 2 (unecht)

330 343 355/354 348/347 355/354 352 353/352 326/324 326/324

Reden in privatrechtlichen Prozessen 27 Rede gegen Aphobos 1 28 Rede gegen Aphobos 2 29 Rede gegen Aphobos 3 (umstritten) 30 Rede gegen Onetor 1 31 Rede gegen Onetor 2 32 Rede gegen Zenothemis 33 Rede gegen Apatourios (umstritten) 34 Rede gegen Phormion (umstritten) 35 Rede gegen Lakritos (umstritten) 36 Rede für Phormion 37 Rede gegen Pantainetos 38 Rede gegen Nausimachos 39 Rede gegen Boiotos I 40 Rede gegen Boiotos II

364/363 364/363 363/361 362/361 362/361 343/340? nach 341 327/326 350? 341? 350/49 347/345 346/345 348/347 348/347

229

Das Corpus Demosthenicum

41 Rede gegen Spoudias 42 Rede gegen Phainippos 43 Rede gegen Makartatos (umstritten) 44 Rede gegen Leochares (unecht) 45 Rede gegen Stephanos I (umstritten) 46 Rede gegen Stephanos II (Apollodor) 47 Rede gegen Euergos und Mnesiboulos (von Apollodor?) 48 Rede gegen Olympiodoros (umstritten) 49 Rede gegen Timotheos (von Apollodor) 50 Rede gegen Polykles (von Apollodor) 51 Rede für den trierarchischen Kranz Rede vor dem Rat 52 Rede gegen Kallipos (von Apollodor) 53 Rede gegen Nikostratos (von Apollodor) 54 Rede gegen Konon 55 Rede gegen Kallikles 56 Rede gegen Dionysodoros (umstritten) 57 Rede gegen Euboulides 58 Rede gegen Theokrines (unecht) 59 Rede gegen Neaira (von Apollodor)

361? 356? 328/327 345–340 nach 330? 350–348 350/348 356/353 343/341 362 359/358 360/359 369/368 368/365 356/355? 361? 356? 323/322 346/345 341–339 343–339

Preisreden Epitaphios (in der Antike umstritten) Erotikos (umstritten)

Winter 338/337 nach 350? 337?

Prooemien-Sammlung (größtenteils unecht) Briefe (umstritten)

vor 349 323/322

Weitere Reden Aischines 1 Rede gegen Timarchos 2 Rede über die Truggesandtschaft 3 Rede gegen Ktesiphon (über den Kranz)

343 346 330

Deinarchos 1 Rede gegen Demosthenes 2 Rede gegen Aristogeiton 3 Rede gegen Philokles

323 323 323

Hypereides 1 Rede gegen Demosthenes 2 Rede für Lykophron 3 Rede für Euxenippos 4 Rede gegen Philippides 5 Rede gegen Athenogenes 6 Epitaphios Rede gegen Diondas (Fragment)

323 333 330/329 336/335 330 322 334

Lykurg 1 Rede gegen Leokrates

330

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Chronologie

239

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Chronologie 431–404 386 384 380 377 377 371 366–364 364–362 362 359 357 357–355 355–343 353/352 348 346 343

Peloponnesischer Krieg Antialkidas-Friede (Königsfriede) Geburt des Demosthenes in Athen Panegyrikos des Isokrates Gründung des 2. Attischen Seebundes Vormünder übernehmen die Aufsicht über Vermögen und „Fabriken“ des Demosthenes. Sieg der Thebaner bei Leuktra. Ende der spartanischen Hegemonie Ephebie des Demosthenes Prozesse des Demosthenes gegen seine Vormünder Nach der Schlacht von Mantineia Zusammenbruch der thebanischen Vormachtstellung; militärisches Patt zwischen Athen, Theben und Sparta Philipp II. übernimmt die Macht in Makedonien. Beginn der Regierungszeit des Artaxerxes III. Ochos in Persien Heirat Philipps mit Olympias Bundesgenossenkrieg „Ägide“ des Eubulos Philipp interveniert im „Heiligen Krieg“ gegen die Phoker. Philipp zerstört Olynth (Spätsommer). Friede des Philokrates, Demosthenes in Pella, Philippos des Isokrates Vertrag zwischen Philipp und Artaxerxes

240 343 342 340

Chronologie

Prozess um den sogenannten Gesandtschaftsverrat (Parapresbeia) Aristoteles kommt nach Pella. Gründung des sogenannten Hellenischen Bundes (Frühjahr). Alexander wird zum Stellvertreter Philipps in Makedonien berufen. 338 Artaxerxes fällt einem Giftanschlag zum Opfer. August: Philipp besiegt den Hellenischen Bund in der Schlacht von Chaironeia. Herbst: Konstituierung des Korinthischen Bundes 337 Offizieller Kriegsbeschluss des Bundes gegen Persien 336 Beginn der Asieninvasion unter der Führung Parmenions und des Attalos Sommer: Ermordung Philipps. Als König der Makedonen folgt der knapp 20-jährige Alexander. Ausschaltung der makedonischen Opposition Herrscherwechsel in Persien: Dareios III. Kodomannos wird Großkönig. Herbst: Die Thessalier erkennen Alexander als Archon ihres Bundes an, der Rat der Amphiktyonen bestätigt ihn als Hegemon, der Korinthische Bund als strategòs autokrátor. 335 Frühjahr: Alexanders Krieg gegen die Triballer auf dem Balkan. Überquerung der Donau. Sommer: Auf dem Rückweg Niederwerfung eines Aufstandes der Illyrer und Taulantier Aufstand mehrerer griechischer Städte, antimakedonischer Umsturz in Theben Rückkehr Alexanders nach Griechenland Herbst: Zerstörung Thebens, milde Behandlung Athens 335/334 Winter: Makedonische Rüstungen 334 Frühjahr: Alexander verlässt mit seinem Heer Pella. Antipater bleibt als sein Stellvertreter in Makedonien. Ende Mai: Die Schlacht am Granikos endet mit einem Sieg Alexanders über die Satrapen Kleinasiens. Sommer: Auflösung der griechischen Bundesflotte bis auf 20 athenische Schiffe 333 November: Schlacht bei Issos, Flucht des Dareios 331 Gründung Alexandreias an der Küste Ägyptens. September: Antipater siegt in der Schlacht bei Megalopolis. Agis fällt. 1. Oktober: Schlacht bei Gaugamela. 330 Alexander in Persepolis: Ende des panhellenischen Rachefeldzuges Kranzprozess in Athen (Hochsommer) 325/4 Athenischer Plan einer Adria-Kolonie 324 Januar: Der Schatzmeister Harpalos flieht mit 6000 Söldnern aus Babylon. Frühjahr: Alexander in Susa. Bestrafung mehrerer Satrapen Alexander befiehlt die Rückführung der Verbannten. Verkündung des Verbanntendekrets in Olympia (Sommer) Forderung nach göttlicher Verehrung in griechischen Poleis Sommer: Der Schatzmeister Harpalos trifft in Athen ein, wird inhaftiert und nach seiner Flucht in Kreta ermordet. Demades beantragt, Alexander als aníketos (unbesiegbar) unter die attischen Staatsgötter aufzunehmen. Herbst: Alexander in Ekbatana 323 Rückkehr Alexanders nach Babylon. Vorbereitung des Arabienzuges Frühjahr: Gesandtschaften aus Griechenland treffen zu Verhandlungen ein. Ende Mai: Erkrankung Alexanders, 10./11. Juni: Tod 323–301 Diadochenkämpfe

Glossar

241

323/322 Sogenannter Lamischer Krieg gegen den Statthalter Antipater 322 Niederlage der Athenischen Flotte bei Amorgos, Kapitulation Athens (September) Freitod des Demosthenes im Poseidon-Tempel auf der Insel Kalaureia (Oktober) 318 Hinrichtung des Phokion 317 Etablierung des Herrschaft des Demetrios von Phaleron unter Kassander (Frühjahr) 307 „Befreiung“ Athens durch Demetrios Poliorketes und Antigonos. Restituierung der Demokratie (Sommer) 301 Schlacht bei Ipsos; Athen sagt sich von Demetrios los (Herbst); Friedensschluss mit Kassandros: Anerkennung der Unabhängigkeit Athens 295/4 Belagerung Athens 294 Übergabe an Demetrios Poliorketes (März). Makedonische Besatzungen in Athen 287 Erhebung in Athen. Wiedereinrichtung der demokratischen Verfassung 280 Errichtung eines Denkmals für Demosthenes auf Antrag seines Neffen Demochares

Glossar Agon, Agones Agorá Amphiktyonie Antídosis Apocheirotonie Arché Árchon Argumentum Areiopag Atelie Atthidograph Boiotarchen Boulé Bouleuten Cheirotonie Chorege Choregie Demos

Dikastés

Wettkampf, Wettkämpfe Marktplatz Verband von Staaten zum Schutze eines Heiligtums Vermögenstausch Abstimmung in der Volksversammlung, durch die ein Magistrat vorläufig seines Amtes enthoben werden konnte Herrschaft, Reich Oberbeamter. In Athen gab es neun jährlich wechselnde Archonten Siehe Hypothesis Staatsgerichtshof, der aus ehemaligen Archonten gebildet wurde Steuer-, Abgabenfreiheit Verfasser einer Atthis, eines Geschichtswerkes über Athen Jährlich gewählte Leiter des Boiotischen Bundes Rat der 500 in Athen: vorberatende Behörde für die Volksversammlung Mitglieder der Boulé, jährlich gewählt, später gelost Abstimmung durch Handheben Bürger, der Schauspieler und Chor bei der Aufführung eines Dramas bezahlte Ausrüstung eines Chores auf eigene Kosten Gesamtheit der Bürger; Volk als Gegensatz zur Aristokratie; beschlussfassende Mehrheit in der Volksversammlung; Verwaltungseinheit in Attika Für einen Tag aus einer jährlich erstellten Liste von 6000 geloster Geschworener

242 Drachme Eisangelia Eisphorá Ekklesía Ekklesiastes Epheben Ephoren Epimeletés Epitáphios Eponym Graphé Paranómon Hegemón Hellenotamíai Heliastikón Heloten Hetairie Hippeis Ho epi tei dioikései Hopliten Hypóthesis Invektive Isonomie Koiné Eiréne Leiturgie Logográphos Medismós Metoike Mine Naúarchos Nomotheten Obole Ostrakismós

Panathenaien

Parapresbeía Peisistratiden Pentekontaetie Philippismos Philotimía Phóros, -oi

Glossar Währungseinheit: 1 Drachme = 6 Obolen, 100 Drachmen = 1 Mine, 6000 Drachmen =1 Talent Klage beim Volk oder bei der Boule Direkte Vermögenssteuer Volksversammlung in Athen Besucher der Volksversammlung Junge Männer, die ab dem 18. Lebensjahr eine zweijährige staatliche Ausbildung absolvierten Die fünf höchsten, jährlich gewählten Beamten Spartas Aufseher Totenrede auf die Gefallenen eines Kriegsjahres „Namengebend“. Das attische Jahr wurde nach dem eponymen Archonten benannt Klage wegen Gesetzwidrigkeit Herrscher, Führer, Gebieter Zehn athenische Beamte, die die Tribute der Bündner verwalteten Richtersold Von den Dorern unterworfene Bewohner Lakoniens; Staatssklaven in Sparta Zuschlammenschluss oligarchisch Gesinnter in politischen Cliquen „Ritter“; seit der Reform Solons die zweite Vermögensklasse Seit 338 für vier Jahre gewählter Finanzmagistrat Schwerbewaffnete Fußsoldaten Hier Vorwort des Grammatikers Libanios zu den Reden des Demosthenes Schmährede „Rechtsgleichheit“; Synonym für Demokratie Allgemeiner Friede Leistung für den Staat Verfasser von Prozessreden Parteinahme für die Perser Nichtathenischer Mitbürger Währungseinheit: 1 Mine = 100 Drachmen Flottenführer Gesetzgebender Ausschuss von 1000, aus der Geschworenenliste gelosten Bürgern Währungseinheit: 6 Obolen = 1 Drachme Scherbengericht, durch das ein attischer Bürger zu 10 Jahren Verbannung ohne Ehr- und Vermögensverlust verurteilt werden konnte Fest der Göttin Athena, das mit Wettkämpfen und einer Prozession begangen wurde. Die Großen Panathenaien fanden nur alle vier Jahre statt, die Kleinen Panathenaien alljährlich. Truggesandtschaft, Gesandtschaftsverrat Söhne bzw. Anhänger des Tyrannen Peisistratos „50 Jahre“; die Zeit zwischen den Perserkriegen (480/79) und dem Peloponnesischen Krieg (431–404) Parteinahme für Philipp II. Ruhmsucht Beitrag der Bundesmitglieder im Ersten Attischen Seebund

Glossar Phyle

243

„Stamm“; in Athen seit 508/7 eine von zehn Unterabteilungen der Bürgerschaft, die im Krieg eine militärische Einheit stellte und 50 Bouleuten in den Rat entsandte Pleonexía „Mehr-haben-wollen“, Habgier Pnyx Hügel südwestlich der Agora, auf dem Volksversammlungen stattfanden Polis, -leis Stadt(staat) Proxenie Staatsgastfreundschaft Prytanen Geschäftsführende Mitglieder der Boulé: für jeweils ein Zehntel des Jahres je 50 Bouleuten aus einer der zehn Phylen Prytanie Amtsdauer der Prytanen (35/36 Tage) Pséphisma, -ta Beschluss (der Volksversammlung) Pythien Spiele zu Ehren des Apollon von Delphi Satrap Statthalter des (persischen) Großkönigs Sitónes Getreideeinkäufer Stele Säule, Pfeiler Stratege Feldherr; einer der 10 obersten, jährlich gewählten Beamten Athens Strategós Autokrátor Feldherr mit unumschränkter Vollmacht Stratiotiká Kriegsgelder Sykophant Denunziant, der Klagerecht zu Erpressungen missbrauchte Symmachía Bündnis Sy´mmachoi Verbündete, Mitglieder einer Symmachie (Kampfgemeinschaft) Synhédrion Beratende Versammlung (des 1. Attischen Seebundes) Syntáxeis Beiträge der der Symmachoi im Zweiten Attischen Seebund Talent Währungseinheit: 1 Talent = 6000 Drachmen Tamías Finanzbeamter in Athen Tamías tôn Schatzmeister der Kriegskasse Stratiotikôn Theten Seit der Reform Solons die vierte Vermögensklasse Theoriká „Theatergelder“; ursprünglich Zuschuss für die Bürger zum Besuch von Aufführungen an den Dionysien und anderen dramatischen Festen Theorikón Kasse der Theatergelder, die unter Eubulos zur Hauptkasse Athens wurde Trierachie Ausrüstung eines Kriegsschiffes auf private Kosten für ein Jahr Triere Dreiruderer

Register Abydos 156 Achaia 122, 131 Adam, Adela M. 204 Aelian 199 Ägäis 17 f., 37, 40, 52, 56, 63, 65, 67, 103, 121, 144, 153, 164, 193 Agis III. 15, 165 f., 179, 191 Ägypten 49, 63, 119, 121, 180, 183 Aigai 67, 71, 151, 153 f., Aigina 189, 192, 194 Aischines 13, 37, 47, 101, 103–121, 123, 134–136, 143, 146, 148, 152, 154, 156, 166, 169–175, 178, 198 f., 210, 215 f., 219–222 Aischylos 38 Aitoler (-ien) 154, 180, 192, 217 Akarnanien 131, 150 Alesia 150 Aleudaden 74 f. Alexander der Große 12–16, 18, 21, 70, 107, 116, 130–140, 144, 150, 153–197, 207, 220– 223 Alexander I. (von Epirus) 122 Alexander I. 67 Alexander I., Zar 202 Alkibiades 192, 224 Amadokos II. 56–58 Ambrakia 121 f., 154 Amorgos 193 Amphipolis 37, 57, 72–73, 79, 86, 119 Amphissa 136, 139, 219 Amyntas III. 78 Amyntas IV. 67 Androtion 48–50, 209 f., 216 Antiogonos Monophthalmos 196 Antipater 16, 108, 144, 157, 166, 185, 191–197 Antiphon 114 f., 216 Antonius 73, 198, 204 Aphobos 22, 25, 27 f., 30 Apollodor 36 f., 90, 208, 212 f. Apollonia 128 Archias 193 f. Archidamos II. 111 Argaios 71 f.

Argos 117, 122 Aristogeiton (Politiker) 188 Aristogeiton (Tyrannentöter) 51 Aristokrates 56–58 Aristophon 50 f., 210 Aristoteles 21, 34, 44, 80, 88, 183, 190, 195, 222, 226 Arkader (-ien) 18, 53–55, 104, 122, 157, 175, 191 Arrian 157, 166 Arrybas 86 Artaxerxes III. 40, 42, 49, 63, 121, 129 f., 132, 144, 215 Artemisia II. 64 Attika 25, 80, 86, 92, 109, 118, 125 f., 135 f., 138, 149, 166 Augustus 179 Aulus Gellius 199 Austerlitz 202, 227 Babylon 185, 187 Bacon, Francis 201 Berisades 56 f., 73 Bessarion, Basileios 200 Bisalten 80 Blepaios 99 Bodin, Jean 201 Boiotien 138, 140, 192 Bosporos 22 Brant, Sebastian 201 Briand, Aristide 203 Bruni, Leonardo 200 Bruno, Giordano 201 Brutus (d. J.) 73, 198, 226 Burckhardt, Jacob 203 Byzanz 13, 40, 64, 79, 121, 131–135, 144, 199 f. Caesar 21, 198, 202, 205 Canossa 63 Chabrias 40, 45, 51 Chaironeia 12–14, 75, 93, 114, 132–141, 143, 145 f., 148–150, 154 f., 162, 164 167 f., 170, 172, 174, 179, 194, 216, 221 Chalkidike 40, 68, 73, 78–82, 175

Register Chalkis 93, 131, 166 Chares 40, 45, 56, 58, 82, 132–134, 146 Charidemos 38,45, 56–59, 82, 143, 153, 159, 210 Chersones (thrakische) 38, 40, 52, 56–61, 63, 79, 123, 132, 144 Chios 40, 64 f., 131, 181 Cicero 11, 37, 84, 87, 130, 154, 176, 179, 198, 200, 202, 205 f., 226 Clémenceau, Georges 204 Cramer, Frederick H. 204 Daochos 175 Dareios III. 163, 169, 179, 182 f. Dekeleia 92 Delos 115 Delphi 53, 74, 78, 110–112, 135 f., 139 Demades 34, 92, 143, 145, 148, 151, 156, 158 f., 163 f., 184–193, 200, 225 Demetrios Poliorketes 144, 196 Demetrios von Magnesia 224 Demetrios von Phaleron 32, 196 f. Demochares 197, 225 Demomeles (Großvater des Demosthenes) 22 Demomeles (Neffe des Demosthenes) 26, 164 Demon von Paiania 191 Demophon 22, 27 Demosthenes (Vater des Demosthenes) 22, 24 f. Didymos 198 Diodor (Historiker) 117, 151 Diodoros (Politiker) 48 Dion 78 Diondas 164, 220 Dionysios I. von Syrakus 116 Dionysios von Halikarnassos 44, 62, 84, 198 Diopeithes 123–127, 132, 217 Drakon 57 Drerup, Engelbert 203 Droysen, G. A. 203 Elateia 137, 139 Eleusis 22, 96, 138, 168 Elis (Eleer) 128, 157, 175 Ems, Rudolf von 226 Epameinondas 18 f., 138 Ephesos 173

245

Ephialtes 45 Epirus 69, 122 Erasmus 201 Eretria 93, 131, 175 Euboia 38, 47, 92–95, 97, 100, 119, 131, 175 Eubulos 41, 46 f., 50, 52, 89 f., 93, 95 f., 100, 103 f., 109 f., 120 f., 134, 209 Eukampidas 175 Eukrates 57 Euktemon 48 Europa 69 f., 107, 166, 185, 200 Euthykles 57 Gaugamela 153, 169 George, Lloyd 203 Goethe, Johann Wolfgang v. 202 Granikos 164–166 Gregorios von Nazianzos 199 Guicciardini, Francesco 201 Halonnesos 122 Halos 109 Halys 153, 161 Harmodios 51 Harpalos 15, 180–189, 191–193, 223 Harpokration 199 Hebros (Fluß) 56 Hegel, G. W. F. 16, 83, 203 Hegesilaos 93 Hegesippos 123, 216 f. Hellespont 37, 40, 51 f., 56 f., 59, 63, 82, 116, 123, 128 f., 132 f., 135, 156, 164, 169 Hephaistion 166, 187, 222, 224 Heraion Teichos 59, 137 Herakleia 192 Herder, Johann Gottfried v. 202, 226 Hermeias von Atarneus 130 Hermogenes von Tarsos 199 Herodot 56, 67, 226 Hieronymos (Politiker) 175 Hieronymos (Historiker) 224 Hitler, Adolf 204 Hölderlin, Friedrich 202 Horaz 203 Hypereides 13 f., 115, 119, 130, 141, 143, 151 f., 164, 187, 190–191, 194, 215, 217, 221 Iason von Pherai 116 Ilissos (Fluß) 168 Illyrien (-er) 69 f., 86, 114, 116, 121, 156

246

Register

Imbros 144 Indien 161, 171 f. Iphikrates 40 Isagoras 45 Isaios 31 Isokrates 18, 31, 36, 40 f., 115–117, 192, 196, 216, 223 Issos 163, 166 Iustin 139, 156, 200, 212 Iuvenal 198, 223 Jacobs, F. 202 Kadmeia 142, 154, 157 Kalaureia 21, 194, 197, 202 Kallias von Bate 151 Kallias von Chalkis 93, 166 Kallikles 35 Kallimachos 42 Kallisthenes 111 Kallistratos von Aphidna 46 Kardia 59, 125 Karien 64 Kassander 196 Kent, Thomas von 226 Kephisodotos 38 Kephissos (Fluß) 137, 139 f. Kepoi 22, 29 Kerameikos 148 Kerkydas 175 Kerkyra 131 Kersobleptes 38, 56–60, 106, 109, 215 Kimon 14, 45 f., 68, 100 Kineas 175 Kleinasien 40, 49, 116, 121 f., 129, 144, 151, 153, 155, 161, 163 f., 182, 185, 220 Kleist, Heinrich v. 203 Kleisthenes 37, 45, 100 Kleitos 193 Kleomenes von Naukratis 180, 223 Kleon 45 Kleopatra (Ehefrau Philipps) 220 Kleopatra (Tochter Philipps) 153 Kleophon 45 Konon 51 Korinth 79, 122, 131, 144–146, 150, 152, 154–157, 159, 162 f., 165, 167, 175, 180, 182 Kos 40, 64 Kotys I. 38, 56 Krannon 193, 135

Krenides 73 Krithote 40 Krokosfeld 59, 75 Kypros s. Zypern Kyrene 180 Lakedaimonier 55, 57 Lamia 192 Larisa 74 Lemnos 144 Leokrates 170 f. Leosthenes 191 f. Leptines 50–52, 209 Lesbos 130 Leukas 131 Leuktra 18 f., 92 Libanios 112, 199, 207, 213 Lincoln, Abraham 204 Lokris (-rer) 131, 136 Luden, Heinrich 202 f. Ludwig XIV. 202 Lukian 198, 226 Lykurg (6. Jhdt) 45 Lykurg 46, 115, 148, 151, 162, 167–171, 184, 190, 224 f. Lysander 17, 153 Lysikles 146 Lysikrates 34 Magnesia 86, 224 Mantias 71 Mantineia 19, 37, 54 f., 121 Maria Stuart 201 Marmara-Meer s. Propontis Marsyas von Pella 166 Maussolos 40 f., 49 f., 64 Megalopolis 52–55, 64, 117, 122, 166 Megara (-rer) 121 f., 128, 131, 173 Mehmed II. 204 Meidias 28, 47, 95–102, 135, 209, 213 Mekyberna 82 Melanchthon 201 Memnon 156, 164 Memphis 165 Menestheus 40 Messene (-ien, -ier) 18, 53 f., 117, 122, 175 Methone 60, 68, 70 f., 81, 86, 128 Miltiades 45 Mirabeau, H. G. R. 202 Mnaseas 175

Register Molossos 93 Montaigne, Michel 201 Munichia 193 Myrtis 175 Mytilene (-er) 64 f., 186 Napoleon Bonaparte 202 Naupaktos 139 Naxos 193 Nestos (Fluß) 56, 73, 123 Niebuhr, Barthold G. 202 Nikaia 137 Nikanor 183, 185 Nikias 45, 77 Nymphaion 22 Odrysen 56 Olympos 67 Olynth 13, 36, 47, 61, 77–95, 97, 100 f., 103 f., 110, 117, 128, 151, 175, 177, 211–213, 223 Onetor 29 f. Onomarchos 53 f. Oreos 175 Orosius 200 Pagasai 59, 74 f., 86 Paionen (-ien) 70, 86 Pallene 82 Pangaion (Gebirge) 38, 73 Pasikles 36 Pasion 26, 36, 39 Paulus 73 Pausanias (Makedone) 154 Pearl Harbor 133 Peisistratos 44 Pella 106, 108 f., 112, 120, 130, 153, 166 Peloponnes 18, 52, 75, 104, 117–119, 122, 128, 139, 154, 166, 175, 183, 189, 191 Perdikkas III. 67 f., 72 Perikles 11, 14 f., 28, 31 f., 38, 45 f., 52, 65, 68, 92, 100, 103, 146, 149, 186, 204, 232 Perinth 79, 132, 135, 144 Persepolis 169 Perser 9, 17, 40, 44, 50, 85, 115 f., 131, 161, 192, 204 Petrarca, Francesco 226 Petronius 198 Phaleron 33, 198 Pherai 74 f., 86, 109, 116 Philipp II. von Spanien 201, 204

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Philipp(o)i 73 Philippides 152 Philokles 58, 188 f. Philokrates 105, 109 f., 114–116, 119 f., 175 f. Philostratos 199 Philoxenos 185 Phokion 93, 115, 120, 134 f., 140, 143, 145, 154, 156–159, 162, 190–196, 219–221, 225 Phormion 36 f. Piräus 17, 32, 109, 111, 114, 125, 133, 141, 149, 159, 164 f., 181 f., 192, 218 Plataiai 54, 150, 218 Platon 31, 37, 200 Plutarch (Tyrann) 93 f., 100 Plutarch (Biograph) 12–16, 21, 24, 31 f., 34, 37, 44, 46, 68 f., 93 f., 100, 114, 139, 142 f., 153, 155 159, 179, 189, 192, 194, 199 f., 205, 207, 219 f., 224 f., 227 Poincaré, Raymond 203 Polybios 176 Polyperchon 196 Pompeius Magnus 179 Pompeius Trogus 75, 139 Poteidaia 40, 52, 60, 73, 78 f., 86 Propontis 59, 109, 129 Pseudo-Kallisthenes 200 Pseudo-Longinos 198, 215, 217 Pydna 52, 60, 70, 78, 86 Pylades 26 Pytheas 34, 191, 224 Quintilian 198 Rabelais, Francois 201 Reuchlin, Johann 201 Rheitos (Fluß) 22 Rhodos (-ier) 40, 42, 52, 63–65, 131, 170, 173, 177 Rhoiteion 156 Rom 12, 15 Salamis 17, 67, 150, 192 Samos 40, 144, 180, 182, 184 f., 187, 190 f., 193, 225 Sardes 185 Satyros 22 Schaefer, Arnold 203, 207 Schiller, Friedrich 202 Schwarzes Meer (Pontos) 37, 56, 92, 123, 133 f., 144, 164, 179 f.

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Register / Abbildungsnachweis

Sestos 40, 56 f. Shakespeare, William 73 Sikyon 96 Siwah (Oase) 183 Skyros 144, 168, 189 Skythe(n) 22, 35, 135 f., 144, 208 Solon 44, 195 Sparta 17–19,41,53–55, 68 f., 75, 77–79, 92, 111, 116 f., 121, 128, 139, 143, 145, 153, 156, 161, 165 f., 169, 180, 184, 194 f. Speusipp 128, 184, 211 Spoudias 35 Stageira 81 Stephanos 90 Tacitus 198 Tainaron 183, 191 Tasso, Torquato 201 Teledamos 175 Tenedos 164 Thasos 37, 68 Theben (-aner) 18 f., 44, 53–55, 70, 74 f., 77, 86, 92, 108, 110, 112, 120, 128, 136–144, 149 f., 154–159, 171, 168, 175, 215, 218, 220, 224 Themistokles 11, 45, 47 Theophrast 24, 196 Theopomp 13 f., 16, 69 f., 72, 79, 107, 133, 138, 142, 182, 218 Theramenes 45 Thermopylen 59, 61, 75, 80, 85, 109, 111, 118, 136 f., 155, 173, 192, 215, 218 Thersippides 22 Thespiai 54

Thessalien (-er) 18, 69 f., 74 f., 79, 82, 86, 92, 109 f., 112, 117, 121 f., 128, 155, 175, 193 Thrakien (-er) 37, 56–59, 62, 67–70, 73, 79 f., 86, 106, 110, 121–123, 126, 128, 135, 176, 179 Thrasydaos 175 Thrasylochos 28 Thukydides (Historiker) 11, 15, 19, 52, 54, 59, 65, 77, 85, 87, 148, 158, 211, 232 Thukydides Melesiou 12, 45 Timarchos 113 f., 120, 216 Timokrates (Archon) 29 Timokrates (Redner) 49 f. Timotheos 40, 70, 79, 212 Torone 40, 82 Tourreil, Jacques de 202 Troizen 150, 189, 191, 194 Tyros 165 f., 180 Valencia, Pedro de 201 Valla, Lorenzo 200 Vega, Lope de 201 Vergil 226 Washington, George 204 Wilson, Thomas 201, 226 Wolf, Hieronymus 200 Xenophon 19,41 Xerxes I. 42, 67, 75, 111, 158, 191 Zereia 81 Zypern 63, 180

Abbildungsnachweis akg-images: S. 15 (Ausschnitt aus S. 147), 32, 66, 147, 206; Bestand Manfred Clauss: S. 33, 105, 133, 170, 174; Hirmer Bildarchiv: 184; Mike Ranz, Wien: S. 83; Nach V. Duruy, Histoire des Grecs depuis les temps les plus reculés jusqu’a la réduction de la Grèce en province romaine, Band 3, Paris 1889: S. 41, 53, 65, 71, 108; Nach R. Flacelière, Griechenland, Stuttgart 1977: S. 174; Nach J. Travlos, Bildlexikon zur Topographie des antiken Athen, Tübingen 1971: S. 35, 167; Peter Palm, Berlin (Karte): S. 124; WBG-Archiv: S. 23; wikimedia commons: S. 201 (Tarawneh), 204 (Robin Iversen Rönnlund).