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German Pages 392 Year 2019
David Scheller Demokratisierung der Postdemokratie
Urban Studies
Für meinen Opi, meine Eltern und meine Kinder
David Scheller (Dr. phil.) forscht an der Fachhochschule Potsdam und der Universität Göteborg zu kollektiven Wohnformen, Teilhabe, Solidarität und nachhaltiger Stadtentwicklung. Seine Forschungsschwerpunkte liegen thematisch in der politischen Soziologie – hauptsächlich auf sozialen Bewegungen und der Zukunft der Demokratie – sowie methodisch in partizipativen Forschungsansätzen insbesondere in der Fundierung einer Citizen Social Science.
David Scheller
Demokratisierung der Postdemokratie Städtische soziale Bewegungen in Berlin und New York City
Diese Veröffentlichung ist eine überarbeitete Version der Dissertation »Städtische soziale Bewegungen als Demokratisierungsbewegungen – Berlin und New York City im Vergleich«, die im Rahmen des International Graduate Centers for the Study of Culture (GCSC) im Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften an der Justus-Liebig-Universität Gießen eingereicht wurde. Der Druck wurde unterstützt durch Mittel des FuE-Fonds der Fachhochschule Potsdam.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2020 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: Matthias Coers, Berlin, April 2016 Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4863-8 PDF-ISBN 978-3-8394-4863-2 https://doi.org/10.14361/9783839448632 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download
Inhalt
Danksagung | 9 1 Einleitung | 13 2 Städtische soziale Bewegungen zwischen Neoliberalisierung und Postdemokratie | 23
2.1 Stadt, Urbanität, soziale Bewegungen | 24 2.1.1 Von Stadt zu Urbanität | 25 2.1.2 Städtische soziale Bewegungen | 28 2.1.3 Phasen städtischen Protests. Politisierungen neoliberaler Widersprüche | 30 2.2 Recht auf und durch die Stadt | 32 2.2.1 Städtische Aneignung | 34 2.2.2 Subjekte des Protests. Heterogen und fragmentiert | 36 2.2.3 Kritik am Strukturdeterminismus und radikale Demokratie | 38 2.3 Neoliberale Urbanisierung und ökonomische Krise(n) | 41 2.3.1 Neoliberalismus, Neoliberalisierungen und politische urbane Ökonomie | 42 2.3.2 Protestursache neoliberale Urbanisierung | 46 2.3.3 Gegen-Neoliberalisierung | 55 2.4 Die postpolitische Stadt in der Krise repräsentativer Demokratie | 58 2.4.1 Demokratie – Ein umkämpfter Begriff | 58 2.4.2 Protestursache Postdemokratie – Drei aktuelle Krisenbefunde | 61 2.4.3 Repolitisierung der postpolitischen Stadt | 71 2.5 Städtische soziale Bewegungen als Demokratisierungsbewegungen | 79 3 Hegemonietheorie. Postfundamentalistische Forschungsperspektive | 85
3.1 Laclau und Mouffe. Hegemonietheorie revisited | 86 3.1.1 Konstruktion sozialer Wirklichkeit und die Unabgeschlossenheit von Gesellschaft | 88 3.1.2 Diskurs und artikulatorische Praxis | 95
3.1.3 Subjektpositionen und das widerständige Subjekt | 102 3.1.4 Antagonismen zwischen Äquivalenz und Differenz | 109 3.2 Postfundamentalistische Operationalisierung | 116 3.2.1 Hegemonie und Gegenhegemonie. Analysekategorien | 116 3.2.2 Drei Strukturen einer hegemonietheoretischen Diskursfunktionsanalyse | 123 3.2.3 Politischer Raum und Räume des Politischen. Möglichkeitsräume | 128 4 Methodisches Vorgehen | 139
4.1 Auswahl empirischer Fälle | 140 4.1.1 Zwei nicht vergleichbare Metropolen | 141 4.1.2 Untersuchungszeitraum | 142 4.1.3 Protestfelder | 145 4.1.4 Initiativen, Aktionen, Veranstaltungen | 146 4.2 Ethik und Praxis der Forschung | 147 4.2.1 Selbstpositionierung in Berlin und New York | 148 4.2.2 Fremdwahrnehmung | 150 4.2.3 Bewegt Forschen | 152 4.2.4 Solidarische Wissensproduktion | 154 4.3 Erhebung und Analyse des empirischen Materials | 157 4.3.1 Erhebungsmethoden | 157 4.3.2 Analyseschritte | 161 5 Städtischer Protest. Diskurse und Spannungsfelder | 165
5.1 Nicht nur Mietenproteste – Von der Mietenstopp-Demonstration zum Berliner Ratschlag | 166 5.1.1 Mietenstopp-Demonstration | 167 5.1.2 Mietenpolitisches Dossier | 169 5.1.3 Konferenz ‚Sozialer Wohnungsbau‘ | 175 5.1.4 Wir bleiben alle! | 177 5.1.5 Berliner Ratschlag | 180 5.2 Stadtplanung aufhalten und selber machen | 183 5.2.1 Tempelhofer Feld | 184 5.2.2 Dragoner-Areal | 192 5.3 Konflikte in der Kreativen Stadt – Proteste von Kunstund Kulturschaffenden | 198 5.3.1 Living Levels am Spreeufer für alle | 199 5.3.2 Koalition der Freien Szene | 205 5.3.3 Haben und Brauchen | 210 5.4 You can’t evict a movement – Proteste von Refugees | 216 5.4.1 Der Marsch der Würde | 217 5.4.2 O-Platz ist überall | 218
5.4.3 Refugee-Strike-House | 222 5.4.4 Verzweiflung nach der Einigung | 226 5.4.5 Weiter mit politischen Inhalten und Bündnissen | 227 5.5 Nach Occupy Wall Street – Horizontale Freiräume, Aktionen und Netzwerke in New York | 231 5.5.1 Occupy Wall Street | 232 5.5.2 Von Räumen zu Netzwerken | 237 5.5.3 Beyond the City | 240 5.6 Bedrohlicher Shelter-Industrial Complex – Von Rent Freeze, Homelessness und Community Land Trusts | 249 5.6.1 Stadtweit Zwangsräumungen verhindern | 250 5.6.2 Stärkung von Mieter*innenrechten | 253 5.6.3 Vom Shelter zu Community Land Trusts | 260 6 Stadtpolitische Proteststrukturen | 271
6.1 Postautonome Forderungsstrukturen | 272 6.1.1 Forderungsdimensionen | 272 6.1.2 Partikularer Fokus | 273 6.1.3 Thematischer Fokus | 274 6.1.4 Systemischer Fokus | 276 6.2 Postidentitäre Subjektivierungsstrukturen | 280 6.2.1 Diverse Betroffenheit | 281 6.2.2 Deindividualisierung von Verantwortung | 282 6.2.3 Defragmentierung von Protestthemen | 283 6.2.4 Vernetzung und Koalitionsbildungen | 285 6.3 Postpolitische Kontraritätsstrukturen | 289 6.3.1 Vom Widerspruch zum Antagonismus | 290 6.3.2 Antagonismus. Stadt(entwicklungs)politik | 292 6.3.3 Stadtpolitische Antagonist*innen | 295 7 Konvergenzen und Demokratisierung. Eine neue Phase städtischen Protests | 299
7.1 Konvergenzen. Stadtpolitischer Raum und Gegenhegemonie | 300 7.1.1 Diskursive Offenheit und Anschlussfähigkeit | 301 7.1.2 Politischer Horizont. Wechselspiel von Äquivalenz und Differenz | 304 7.1.3 Aneignen. Gegenhegemoniale Praxis | 305 7.1.4 Entwicklung gegenhegemonialer Netzwerkstrukturen | 308 7.2 Demokratisierungen. (Stadt-)Politik von Unten | 312 7.2.1 Demokratisierungen auf drei Ebenen | 313 7.2.2 Demokratische Praxis | 315 7.2.3 Demokratisierung des Wissensraumes | 316
7.2.4 Soziale Räume der Demokratisierung | 319 7.2.5 Demokratisierung der Postdemokratie | 322 7.3 Resümee. Demokratisierung-durch-die-Stadt-Bewegungen | 323 8 Schlussbetrachtungen und Ausblick | 327 Abkürzungsverzeichnis | 339 Abbildungsverzeichnis | 341 Bibliographie | 343
Danksagung
Eine Dissertation bedeutet individuelles und zuweilen einsames Arbeiten. Dennoch ist die Forschungsarbeit nicht losgelöst vom wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Kontext zu verwirklichen, sondern verweist auf einen genuin kollektiven Prozess solidarischer Wissensproduktion. So hätte auch die vorliegende Arbeit nicht ohne die tatkräftige ideelle, emotionale und organisatorische Unterstützung vieler Menschen verwirklicht werden können. Daher bin ich all jenen unendlich dankbar, die mir und meiner Arbeit in den vergangenen Jahren interessiert und aufgeschlossen begegnet sind. Danken möchte ich an dieser Stelle ganz besonders all jenen stadtpolitisch Aktiven, die sich trotz knapper Zeit auf mich und meine Forschung eingelassen haben. Für die finanzielle und ideelle Unterstützung bin ich dem Graduate Center for the Studies of Culture (GCSC) der Justus-Liebig-Universität Gießen zu Dank verpflichtet. Zuvorderst gilt mein herzlichster Dank meinem Erstbetreuer Prof. Dr. Andreas Langenohl, insbesondere für die geduldige Beratung in Momenten des Zögerns und Stillstands sowie für das gründliche inhaltliche Feedback zu den verschiedenen Manuskriptfassungen. Ich bin meiner Zweitbetreuerin Prof. Dr. Encarnación Gutiérrez-Rodríguez ganz besonders dankbar für die kritisch-konstruktiven Anstöße zur Überarbeitung des Manuskripts. Diese trafen stets den Kern meiner Arbeit, wodurch deren Ausrichtung weiter geschärft werden konnte. Dr. Andrej Holm hat mich von Beginn an mit Rat und Tat in der Vorbereitung und Durchführung der Forschungsarbeit unterstützt und auch das finale Manuskript kommentiert. Für diese informelle Drittbetreuung gilt ihm mein uneingeschränkter Dank. Prof. Dr. Margit Mayer hat sich immer wieder Zeit für mich genommen und mir ganz besonders in der Endphase einen Weg zum pragmatischen Abschluss der Arbeit aufgezeigt. Ohne meine Familie und meine engsten Freund*innen wäre die Arbeit niemals vorstellbar und auch nicht zu bewältigen gewesen. Meiner Partnerin Anika Michaelis kann ich gar nicht genug danken für ihre Geduld, ihr Verständnis und ihre Fürsorge in all den entbehrlichen Monaten der egozentrischen Schreibphase. Ohne diese Rücksichtnahme und emotionale Unterstützung wäre ich nicht in der Lage gewe-
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sen diese Arbeit zu schreiben. Meiner Tochter Levke Michaelis danke ich für die wunderbaren Lichtblicke in den grauen Berliner Wintertagen, in denen die Arbeit fertig geschrieben werden musste. Meinen Eltern Karla und Johannes Scheller danke ich für ihren bedingungslosen Glauben an mich und mein Tun. Dank gilt auch allen anderen in meiner Familie, die sich immer wieder den Arbeitsstand und Gründe für das Verschieben der nächsten Deadline anhören mussten. Dr. Stefan Friedrich danke ich für sein erbarmungslos konstruktives Zerreißen und Wiederzusammensetzen des Forschungsdesigns zu allen Zeiten der Arbeit. Dr. Judith Vey danke ich für ihre kompromisslose poststrukturalistische Perspektive auf soziale Bewegungen und entsprechend zielführende Anmerkungen zum Manuskript. Dr. Kristin Nikolaus, Maria Busse und Dr. Stefan Engel habe ich vor allem für fortwährende Ermutigungen zum Durchhalten zu danken. Ein ganz besonders dickes Dankeschön gilt Zoey Laskaris, die mich mit ihrem untrüglichen Sinn mit den richtigen Leuten in Brooklyn bekannt gemacht und mir damit das Ankommen und einen Start im Forschungsfeld ermöglicht hat. Dr. Susann Huschke und Ulrike Schulz danke ich darüber hinaus für das gründliche Korrektorat. Für unendlich viele inspirierende Diskussionen und Feedback zu einzelnen Kapitelfassungen rund um das Forschungsprojekt möchte ich ganz besonders meinen großartigen Freund*innen und Kolleg*innen danken, insbesondere Nina Fraeser, Susan Schröder, Dr. Lisa Vollmer, Ben Kerste, Ebbe Volquardsen, Dr. Laura Naegler, Marcel Wrzesinski, Dr. Veronika Zink und Dr. Daniel Mullis. Sie haben mir gezeigt, dass eine solidarische Wissensproduktion in der neoliberalisierten Hochschule möglich ist. Raul Gschrey und Vera Kartschewski sowie Gisela von Wallersbrunn möchte ich zudem dafür danken, dass ich mich in Hessen zu Hause fühlen durfte. Für ein akademisches Zuhause während der Zeit in New York, sowie für jede Menge inhaltlicher Impulse für das Forschungsprojekt gilt Dr. Mary Taylor, Prof. Dr. Peter Marcuse, Prof. Dr. Joseph Heathcott, Prof. Dr. Robert von Mahs, Prof. Dr. David Harvey, Prof. Dr. John Mollenkopf und Prof. Dr. Don Mitchel mein Dank. Besonders Brian McCarthy, Dr. Zoltán Glück und Dr. Manissa McCleave Maharawal bin ich dankbar für ein politisches Heimischfühlen in New York. Prof. Dr. Håkan Thörn und Dr. Cathrin Wasshede sowie Prof. Dr. Stefan Thomas gilt in erster Linie mein Dank für weitere Einblicke in eine kritische Forschungspraxis und für eine finanzielle Basis zum Abschluss meiner Promotion. Dr. Doris Bachmann-Medick, Prof. Dr. Hubertus Büschel und Dr. Hendrik Lebuhn danke ich für die punktuelle unterstützende Auseinandersetzung mit meinem Forschungsprojekt in verschiedenen Workshops und Arbeitsgruppen. Prof. Dr. Helgard Kramer und Dr. Rolf-Dieter Hepp für ihre Empfehlungsschreiben als Starthilfe, die mir mein Stipendium ermöglicht haben. Für eine institutionelle Infrastruktur und einen Arbeitsplatz während der Feldphasen danke ich dem Center for Metropolitan
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Studies (CMS) der TU Berlin sowie dem Center for Place, Culture and Politics (CPCP) der City University of New York. Für ein wohlwollendes konstruktives Feedback habe ich dem AK Stadt/Raum des Instituts für Protest und Bewegungsforschung in Berlin, dem Kolloquium FB03 an der Justus-Liebig-Universität Gießen (2012–2015), der Resistance Study Group an der Universität Göteborg zu danken. Und nicht zuletzt danke ich auch der Dissertations-Bürogemeinschaft in der Stockholmer Straße für ein produktives und solidarisches Schreibumfeld. Berlin, Oktober 2019
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Einleitung
Berlin und New York1 sind in aller Munde. Als Weltstädte und kulturelle Hotspots ziehen sie Menschen aus aller Welt an, dort zu leben. Als Anlagemöglichkeit für Investitionen sind insbesondere lokale Immobilien zu rentablen Spekulationsobjekten auf dem globalen Markt geworden. Was für New York schon seit längerem gilt, steht Berlin nun auch unmittelbar bevor. In der einstmals „günstigsten Hauptstadt der Welt“ erreichen Immobilienpreise derzeit Rekordmarken und entsprechend steigen auch die Mietpreise unaufhörlich (vgl. Fabricius, 16.12.2017). Gleichzeitig regt sich Widerstand in beiden Städten gegen diese Entwicklungen, die den gebauten, ökologischen, sozialen Alltag der Stadtbewohner*innen2 bestimmen. Protest kehrt in die Mietwohnungen, Ateliers und Clubs sowie auf Straßen, Plätze und in urbane Gärten zurück. Die Stadtbewohner*innen kommen in einer Vielzahl von Initiativen und Netzwerken zusammen und tragen ihren Protest in Demonstrationen, Nachbarschaftsversammlungen, Blockaden von Zwangsräumungen, Besetzungen und Referenden nach außen. Sie protestieren gegen den Verkauf von Mietshäuser und gründen Wohnprojekte, um sich gegenseitig abzusichern und füreinander zu sorgen (Schröder/Scheller 2017). Dabei wird der Eindruck erweckt, dass seit einigen Jahren – verstärkt seit der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 – besonders in den Metropolen weltweit nicht nur die Widersprüche derzeitigen kapitalistischen Wirtschaftens offen zu Tage treten, sondern auch deren Alternativen zusehends erstarken (vgl. Badiou 2012b). Ge-
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Im weiteren Verlauf des Textes verwende ich der Lesbarkeit halber die Kurzform ‚New York‘ für ‚New York City‘. Gemeint ist damit immer die Stadt und nicht der Bundesstaat, es sei denn diese Konkretisierung wird mit angeführt.
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Ich verwende im Folgenden anstelle des generischen Maskulinums ein Sternchen zur Kenntlichmachung des Gender Gaps, um einer kognitiven Überbewertung, die in der Verwendung der männlichen Form mitschwingt, zu entgehen (vgl. Irmen/Steiger 2005). Stattdessen sollen mit dem Sternchen alle Geschlechter, also sowohl weibliche, transgender, intergender, queere als auch cis-Positionen sichtbar gemacht werden.
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sellschaftliche Widersprüche, die sich in der Produktion und Krise der postfordistischen Stadt selbst mehr denn je zeigen, bilden den fruchtbaren Boden für zahlreiche Protestassoziationen. Eine wachsende Zahl von Menschen erfahren politische Entscheidungen einerseits als Prekarisierung ihrer individuellen Lebenssituationen (vgl. Marchart 2013b) und anderseits als direkten Ausschluss von der Entscheidungsfindung (vgl. Thörn et al. 2016). Diese Entwicklungen bilden den konkreten Erfahrungshorizont der Betroffenen, sowohl für reale stadtentwicklungspolitische Konsequenzen, die sich beispielsweise in Form von steigenden Mieten und Verdrängung aus ihrem gewohnten Wohnumfeld manifestieren, als auch für jene politischen Strukturen und Verfahren, die diesen Entscheidungen zugrunde liegen. In der Art und Weise, wie Städte heute gesehen und beschrieben werden, spiegelt sich das unaufhörliche Wechselspiel der symbolischen und materiellen Produktion. Seit dem proklamierten „Ende der Geschichte“ (Fukuyama 1992) lautet das politische Credo unverändert ‚ökonomisches Wachstum und liberaldemokratische Grundordnung sorgen für gesellschaftlichen Zusammenhalt‘. Die initiale Eruption der hegemonialen Ordnung vollzog sich in der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008. Mit groß angelegten Rettungsaktionen für Banken und unter dem steten Druck sozialer Bewegungen verloren die großen Erzählungen des einst übermächtigen neoliberalen Diktums der ‚Selbstregulierung‘ des freien Marktes deutlich an Überzeugungskraft. Die Legitimationskrise des Neoliberalismus verbindet sich in den letzten Jahren deutlich mit der Krise der repräsentativen Demokratie (vgl. Agamben et al. 2012, Brown 2015, Crouch 2004, Lammert/Vormann 2017, Purcell 2013b). Die Mehrfachkrise hat auch den Blick auf den paradigmatischen Kern neoliberaler Stadtentwicklung freigelegt, wonach die sogenannten ‚sozialen Nebenkosten‘ unberücksichtigt bleiben sowie soziale und politische Verantwortung der Institutionen selbst im Angesicht der Krise negiert wird. Darin liegt gerade der soziale Zündstoff für ein sich ausbreitendes Empören und Aufbegehren gegen diese Produktionsweisen der sogenannten depolitisierten Stadt (vgl. Roskamm/Michel 2013, Mullis/Schipper 2013, Swyngedouw 2013). Die hegemoniale Logik der unternehmerischen, kreativen Stadt und das oft angeführte dazugehörige Versprechen, dass ‚alle es schaffen können, wenn sie sich nur bemühen‘ impliziert bereits ihre ureigenste Sollbruchstelle. Die Stadt erscheint wie ein Brennglas, in dem sich die Widersprüche und Ambivalenzen eines sich global hegemonialisierenden neoliberal-postdemokratischen Konsenses (vgl. Rancière 1996) zeigen lassen. Alltägliche politische Auseinandersetzungen und Proteste spiegeln jedoch nicht nur diese gesellschaftlichen sozialökonomischen Widersprüche wider, sondern weisen auch über diese hinausgehend schon auf alternative Praxisformen und Strukturen jenseits aktueller liberaldemokratischer Entscheidungsfindung und einhergehender städtischer Raumproduktionen hin. Regina Kreide beschreibt in „Die verdrängte Demokratie“ (2016), wie Demokratie nicht mehr selbstverständlich
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ist und sich sowohl eine Kluft und Entfremdung gegenüber intakt scheinenden demokratischen Institutionen entwickelt als auch demokratietheoretische Konzeptionen vor Herausforderungen gestellt sind. Das „Ende der Demokratie“ (Hofstetter 2016) beschreibt die ultimative hegemoniale Geste der Alternativlosigkeit derzeitiger politischer Figurationen in einer dystopischen Vision digitaler Fremdbestimmtheit. Hingegen ermöglicht insbesondere die These vom „Ende der repräsentativen Demokratie“ (Tormey 2015) die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem konkreten politischen Kontext. Aus einer Kritik des Bestehenden eröffnet sich hierbei ein politischer Möglichkeitsraum für eine „Demokratisierung der Demokratie“ (Offe 2003). Eine zentrale These dieser Arbeit lautet, dass sich solche Demokratisierungen in der Stadt konzentrieren. In ihren Protestartikulationen benennen und kritisieren städtische soziale Bewegungen den vermeintlichen postpolitischen Konsens liberaldemokratischer Alternativlosigkeit entlang konkret erfahrener Widersprüche. Wie in dieser Arbeit gezeigt wird, ist derzeit eine Tendenz zur Konvergenz in der Demokratisierung kennzeichnend für eine neue Phase städtischer sozialer Bewegungen, die bisherige Periodisierungen verschiedener Phasen der Neoliberalisierung und städtischer Proteste aktualisiert (vgl. Mayer 2011). An dieser Stelle wird allerdings auch die Brisanz des Gegenstandes ‚Demokratie‘ klar. Im Fokus der vorliegenden Arbeit stehen zwar städtische soziale Bewegungen als Demokratisierungsbewegungen. Doch bilden diese Assoziationen einen ganz konkreten Ausschnitt aus dem weiteren Spektrum thematischer Ausrichtungen, die sich im Rahmen der Mehrfachkrise verstärkt zusammenfinden. Not-in-mybackyard-Bewegungen (NIMBY)3 und auch rechtsradikale Bewegungen protestieren ebenfalls gegen die Auswirkungen aktueller postpolitischer (Stadt-)Politiken (vgl. Daphie et al. 2015, Heim 2017, Rehberg et al. 2016). Inwiefern Demokratisierung zum entscheidenden Bestimmungs- und Unterscheidungsmerkmal hinsichtlich der Protestinhalte und Forderungen avanciert, ist ebenso Gegenstand dieser Forschungsarbeit. Zwar sind diese Bewegungen nicht explizit Gegenstand der Untersuchung, jedoch wird an verschiedenen Stellen in Auseinandersetzung mit dem empi-
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Marcus Menzl (2014: 79f.) weist darauf hin, dass für eine konkrete Bestimmung von NIMBY-Protesten nicht zuvorderst eine normative Perspektive ausschlaggebend sein sollte. Vielmehr sei eine analytisch differenzierende Auseinandersetzung mit den konkreten Protestkontexten und Artikulationen nötig. Praktisch heisst das, den Unterschied zwischen Protesten gegen das erste innerstädtische IKEA-Möbelhaus in Altona und gegen die Eröffnung einer Notunterkunft für Geflüchtete analytisch nachzugehen ist. So könne zwischen einem ‚neuen Partizipationsinteresse‘ und einem ‚zerfallenden Gemeinwesen‘ differenziert werden, nämlich ausgehend vom Verhältnis zwischen partikularen und gemeinwohlorientierten Interessen.
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rischen Material die distinktive Relevanz aus Sicht der untersuchten (emanzipatorischen) städtischen sozialen Bewegungen herausgestellt. Das Forschungsvorhaben widmet sich speziell städtischen sozialen Bewegungen in Berlin und New York, die sich für ein ‚Recht auf Stadt‘ einsetzen. Dieser Protest richtet sich vor allem gegen steigende Wohnraummieten, Gentrifizierung4, Segregation, Luxussanierungen, Zwangsräumungen und bestimmte städtebauliche Projekte und setzt sich gleichzeitig für den Erhalt alternativer, nichtkommerzieller Projekte und Räume sowie für ökologische Belange ein. Dabei wird ersichtlich, dass Kritik vor allem aus einer alltäglichen Praxis im Kontext eben solcher Stadtpolitiken und ihren Akteur*innen erwächst. Die Proteste und ihre Protagonist*innen gewähren Einblick in die politischen und materiellen Ambivalenzen und Widersprüchlichkeiten neoliberalisierender stadtpolitischer Entwicklungen (vgl. Brenner/Theodore 2002, Mayer 2013). Mit Berlin und New York stehen zwei Städte im Fokus, die einzeln für sich als globale Metropolen historisch, kulturell, ökonomisch und politisch bereits recht gut erforscht worden sind. Auch sind städtische soziale Bewegungen im Kontext kritischer Analysen des neoliberalisierten Kapitalismus zum Gegenstand zahlreicher Untersuchungen geworden (vgl. Brenner/Theodore 2002, Harvey 2005b, Mayer/ Künkel 2012, Mayer 2014). Allerdings liegt bisher noch keine komparative Studie zu städtischen sozialen Bewegungen in beiden Städten vor.5 Ein entsprechender translokaler empirischer Vergleich6 eines weiten Spektrums städtischer sozialer Bewegungen über Mieter*innen hinaus, sowie eine am Punkt der Demokratisierung ansetzende Untersuchung, erscheint für eine Diskussion aktueller Protesttendenzen des Globalen Nordens7 und deren konkrete strukturelle Hintergründe als vielversprechend.
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In dieser Arbeit wird ausschließlich der eingedeutschte Begriff ‚Gentrifizierung‘ verwendet, außer in Zitaten in englischer Sprache.
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An einer systematischen Gegenüberstellung derzeitiger Mieter*innenbewegungen in Berlin und New York hat Lisa Vollmer gearbeitet (2018). In einem ersten gemeinsamen Aufsatz geben wir einen Überblick über unsere jeweiligen Forschungsergebnisse zur Relevanz von Mieter*innenbewegungen für stadtpolitische Entwicklungen (vgl. Vollmer/Scheller 2018).
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Hierbei ist allerdings kein Vergleich in einem strengen Sinne gemeint, sondern eine anreichernde, gegenüberstellende Analyse und Diskussion der unterschiedlichen Fallbeispiele der Protestartikulationen beider Städte (vgl. Kap. 4.1.1). Davon ausgehend werden abschließend Fragen nach Unterschieden und Gründen für Unterschiede gefragt und diskutiert, was mögliche Konsequenzen wären (vgl. Kap. 8).
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In Abgrenzung zu diskriminierenden entwicklungspolitischen Terminologien wird in dieser Arbeit unter dem Begriff ‚Globaler Süden‘ eine „im globalen System benachteiligte
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Mit lautwerdenden Forderungen nach basisdemokratischen und selbstermächtigenden Partizipationsformen, so die zentrale These meines Forschungsprojektes, artikulieren stadtpolitische Initiativen den Anspruch sich jenseits ihrer partikularen Interessen für die allgemeine Reformulierung liberaldemokratischer Beteiligungsund Entscheidungsprozesse einzusetzen. Auseinandersetzungen um die Zugänglichkeit und Verteilung städtischen Raums fallen zusammen mit Artikulationen zur Rekonfiguration politischer Entscheidungsprozesse auf lokaler und staatlicher Ebene. Stadtpolitische Proteste können demzufolge als spezifische Symptome einer „Krise der repräsentativen Demokratie“ (Crouch 2004, Rancière 2014) und damit als eine konkrete empirische Basis für die Analyse von Dynamiken derzeitiger politischer Aushandlungs- und Transformationsprozesse verstanden werden. Unter diesem Aspekt können sie als in ihrer Ausprägung als Demokratisierungsbewegungen untersucht werden (vgl. Marchart 2013b: 219). Einerseits konzentriert sich die einschlägige Forschung zu städtischen sozialen Bewegungen besonders auf die Heterogenität der Initiativen und deren Akteur*innen. Das Hauptinteresse liegt hierbei auf der Frage unter welchen Umständen sich breite Netzwerke herausbilden um wirkungsvoll auf die Stadtpolitiken einwirken zu können (vgl. Brenner et al. 2012). Das „Recht auf Stadt“ (Lefebvre 2016) ist in diesem Zusammenhang zu einem zentralen Slogan, zu einer Forderung, aber auch zu einem Organisationsansatz geworden (vgl. Holm/Gebhardt 2011). Andererseits fokussiert die Forschung zu Demokratisierungsbewegungen und Austeritätsprotesten in den letzten Jahren zunehmend auf die Besetzung öffentlicher Plätze, sozusagen vom Tahir Platz über Zuccotti Park bis Gezi Park (vgl. Graeber 2013, Sitrin/Azzellini 2014). Dabei werden besonders die alltäglichen radikaldemokratischen Praktiken unter dem Aspekt präfigurativer Politik hervorgehoben, also als bereits gelebte Alternativen beispielsweise in horizontal ausgerichteten Entscheidungsfindungen in großen horizontal ausgerichteten Versammlungen (assemblies) (vgl. Sitrin 2012). Die vorliegende Forschung verbindet diese beiden Forschungsfelder zu städtischen sozialen Bewegungen und Demokratie- und Austeritätsforschung. Sie widmet sich konkret den diskursiven Strukturen des Protests und dabei den spezifischen affektiven Konstitutionsbedingungen städtischer Protestinitiativen. Dabei wird untersucht, wie in spezifischen neoliberalisierten stadtentwicklungspolitischen Kontexten verschiedene Assoziationen und politische Subjektivitäten zustande kommen. Den erkenntnistheoretischen Ausgangspunkt dafür bildet – in Anlehnung
gesellschaftliche, politische und ökonomische Position“ verstanden und unter ‚Globaler Norden‘ hingegen eine mit Vorteilen bedachte Position, die unterschiedliche Erfahrung mit Kolonialismus und Ausbeutung berücksichtigt und nicht geographisch gedacht ist (vgl. glokal e.V. 2013: 8).
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an Ernesto Laclau und Chantal Mouffe (1985) – die These, dass einzelne Protestinitiativen selbst keineswegs als stabile funktionalistische, politische Organisationen zu verstehen sind, sondern in erster Linie relativ fragile Assoziationen darstellen, die sich kontinuierlich in kollektiven Artikulationsprozessen konstituieren und temporär stabilisieren. Ein Zustandekommen breiter Bündnisse unterschiedlicher Interessenlagen in der neoliberalen Stadt ist aus hegemonietheoretischer Sicht als ein langwieriger diskontinuierlicher Prozess zu verstehen. Die Protestartikulationen selbst rücken hierbei explizit ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Als diskursive Aggregationen verschiedener Mangelerfahrungen können sie über die Formulierung konkreter inhaltlicher Knotenpunkte Verbindungen zwischen verschiedenen Themenfeldern ermöglichen und verunmöglichen. Erst eine postfundamentalistische Perspektive, die den Doppelcharakter des Politikbegriffs und dessen immanente Differenz von ‚der Politik‘ und ‚dem Politischen‘ (vgl. Marchart 2010: 245, Mullis 2017: 32f.) erfassbar macht, ermöglicht auch eine kritische Reflexion der eigenen forschungsleitenden ontologischen Prämissen. Einerseits beschreibt Politik die ontische Ebene der politischen Praxis. Anderseits gerät mit dem Politischen die ontologische Ebene und damit das grundlegende Fundament dieser Politiken in den Blick. Das, was das Politische ausmacht und was als politisch artikuliert wird, wird damit explizit gemacht. Diese Differenzierung konkretisiert die metaanalytischen Parameter der Diskussion über die radikaldemokratischen oder auch antidemokratischen Protestartikulationen städtischer sozialer Bewegungen als Brüche in der hegemonialen Ordnung gesellschaftlicher Wirklichkeit, die politische Alternativen aufzeigen. Ein entsprechend ausgerichtetes Forschungsprojekt, das sich dem konkreten inhaltlichen Zustandekommen von städtischen sozialen Bewegungen in Berlin und New York unter dem Aspekt der Demokratisierung widmet, beginnt mit einer intensiven Auseinandersetzung mit dem derzeitigen Forschungsstand. Dementsprechend beschreibt Kapitel 2 das Forschungsfeld städtischer sozialer Bewegungen. Es umreißt zunächst einen theoretischen Bezugsrahmen der kritischen Stadt- und Bewegungsforschung, an den ich mit der vorliegenden Forschung anschließen möchte. Aus der Breite der Forschungsbeiträge wird die Diskussion inhaltlich auf politökonomische Neoliberalisierungen und Postdemokratie enggeführt. Dabei wird einerseits der theoretische Rahmen der vorliegenden Forschungsarbeit skizziert und andererseits werden konkrete theoretische Anschlussstellen herausgearbeitet. Es wird speziell auf den Zusammenhang von stadtpolitischen Neoliberalisierungsprozessen und verschiedenen erkenntnistheoretischen Perspektiven auf die ‚Krise repräsentativer Demokratie‘ eingegangen. Über die thematische Anbindung von entsprechenden Postdemokratiekonzeptionen an Perspektiven einer kritischen Stadtforschung werden städtische Protestbewegungen (re-)kontextualisiert. Schrittweise werden die grundsätzlichen Gegenstände des Forschungsprojekts erläutert und eine einleitende
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Klärung davon vorgenommen, wie Stadt, Urbanität und soziale Bewegungen in der Arbeit verstanden werden (Kap. 2.1). Gesondert wird danach dem Recht auf und durch die Stadt in seinen unterschiedlichen Bedeutungen und Auslegungen in der Forschung nachgegangen (Kap. 2.2). Anschließend werden zwei verschiedene Stränge in der Beschreibung von Protestursachen städtischer sozialer Bewegungen diskutiert, die einerseits die ‚Krise der Ökonomie‘ (Kap. 2.3) und anderseits die ‚Krise der Demokratie‘ (Kap. 2.4) zentral setzen. Jenseits deterministischer Präferenzen wird schlussendlich vorgeschlagen städtische soziale Bewegungen als Demokratisierungsbewegungen zu untersuchen (Kap. 2.5). Kapitel 3 stellt einen erkenntnistheoretischen Zugang zu einer postfundamentalistischen8 Forschungsperspektive vor, der prädeterminierende Prämissen in der Konzeptionalisierung von städtischen Protestbewegungen zu vermeiden sucht. Hierbei wird zunächst Ernesto Laclaus und Chantal Mouffes diskurstheoretische Hegemonietheorie (1985) in ihren einzelnen Kategorien rekonstruiert und am Ende der jeweiligen Unterkapitel werden erkenntnistheoretische Prämissen für eine postfundamentalistische Forschungsperspektive auf städtische soziale Bewegungen formuliert (Kap. 3.1). In einem weiteren Schritt (Kap. 3.2) wird ein entsprechendes methodologisches Analysewerkzeug für die diskurstheoretische Analyse der Protestartikulationen und Protestformen in unterschiedlichen kategoriale Analysedimensionen operationalisiert – als (a) Gegenhegemonie, als (b) Diskursfunktionsanalyse und als (c) politische Möglichkeitsräume. Die hegemonietheoretische Forschungsperspektive wird durch Henri Lefebvres Überlegungen zur ‚Produktion des Raumes‘ erweitert, was wiederum einen dreidimensionalen Bezugsrahmen für die Analyse eröffnet.9 Die erkenntnistheoretischen und methodologischen Vorüberlegungen dieser beiden Kapitel bilden das Fundament für die empirische Analyse, als Momentaufnahme eines kleinen Ausschnitts der derzeitigen gesellschaftlichen Debatte zur Antizipation radikaldemokratischer Entscheidungsstrukturen in städtischen Protestbewegungen. Kapitel 4 rekonstruiert die zum Einsatz gekommenen empirischen Forschungsmethoden. Dabei wird auf grundsätzliche, eher technische Fragen eingegangen, wie die Auswahl der empirischen Fälle, der Untersuchungszeitraum, der Städtever-
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Eine postfundamentalistische Perspektive zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sie Letztbegründungen und vermeintliche Objektivität von erkenntnistheoretischen Epistemen kritisch hinterfragt, in ihrer Konstitution dekonstruiert und damit eine fortlaufende Selbstreflexion der Grundlagen der eigenen Heuristik ermöglicht (vgl. eingehend dazu Kap. 3.1).
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Marc Purcell (2013a) und Daniel Mullis (2017) verfolgen einen ähnlichen Ansatz, konzentrieren sich jedoch hauptsächlich in der Analyse und Diskussion des empirischen Materials auf Lefebvres Überlegungen zum ‚Recht auf Stadt‘ und ‚Autogestion‘.
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gleich und die konkrete Fallauswahl der Initiativen und Netzwerke in beiden Städten (Kap. 4.1). Es schließt sich daran die forschungsethische und -praktische Reflexion hinsichtlich der kritischen Aspekte einer Selbst- und Fremdwahrnehmung des Forschers10, bewegten Forschens sowie solidarischer Wissensproduktion (Kap. 4.2). Den Abschluss bildet eine Rekonstruktion der empirischen Erhebung und der analytischen Aufarbeitung des empirischen Materials, also der Erhebungsphase und der konkreten Analyseschritte einer Diskursfunktionsanalyse nach Marchart (2013b) (Kap. 4.3). Die darauffolgenden Kapitel widmen sich der Darstellung der Forschungsergebnisse, also der konkreten Deskription der Fälle, sowie der Analyse und Auswertung des empirischen Materials. Kapitel 5 beschreibt Diskurse und Spannungsfelder sowie konkrete Assoziationen und Netzwerkbildungen in verschiedenen Protestfeldern. Dabei soll ein möglichst breites Spektrum an Protestbewegungen aufgezeigt werden. Die Heterogenität der Proteste in beiden Städten soll explizit nicht einander gegenübergestellt werden, sondern nebeneinander verlaufen. So entsteht ein angereichertes Bild städtischer sozialer Proteststrukturen, bei dem zwar lokalen Besonderheiten mitgedacht werden, aber die Gemeinsamkeiten im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Für Berlin stehen Mietenproteste (Kap. 5.1), Proteste um Stadtplanung (Kap. 5.2), Proteste von Kunst- und Kulturschaffenden (Kap. 5.3) und Refugeeproteste11 (Kap. 5.4) im Fokus, und für New York heterogene Protestaktionen, Räume und Netzwerke nach Occupy Wall Street (Kap. 5.5) sowie ebenso Mietenproteste (Kap. 5.6). Kapitel 6 erläutert die Ergebnisse der Diskursfunktionsanalyse entlang dreier Ebenen: (a) postautonomer Forderungsstrukturen (Kap. 6.1), (b) postidentitärer Subjektivierungsstrukturen (Kap. 6.2) sowie (c) postpolitischer Kontraritätsstrukturen (Kap. 6.3). Diese drei Ebenen sind im Rahmen der urbanen Protestartikulationen in beiden Städten auszumachen und liegen quer zu den unterschiedlichen Protestfeldern. Sie beschreiben die konkreten Modi der Assoziation der Protestartikulationen und markieren gleichsam eine neue Phase städtischer Proteste, die eingehender im sich anschließenden Kapitel diskutiert wird.
10 Ich beschreibe mich selbst als weißer heterosexueller cis-Mann mit akademischem Hintergrund und verwende daher die männliche Form ‚Forscher‘. 11 Die Begriffe ‚Refugees‘ und ‚Geflüchtete‘ werden in dieser Arbeit synonym verwendet, während auf den Begriff ‚Flüchtling‘ aufgrund seiner potenziellen negativen sprachlichen Konnotation durch die Verwendung des Diminutiv und der Verunmöglichung eines gendersensiblen Gebrauchs verzichtet wird (vgl. Pro Asyl, 01.06.2016). Ich verwende die Begriffe auch, weil sie die gängigen Begriffe in der Selbstorganisation und Repräsentation der Geflüchteten sind.
Einleitung | 21
Kapitel 7 widmet sich aufbauend auf die vorangegangenen beiden empirischen Kapitel den Konvergenzen und Demokratisierungen, die ausgehend vom erhobenen empirischen Material in städtischen sozialen Bewegungen in Berlin und New York auszumachen sind. Dabei wird herausgearbeitet inwiefern sich Konvergenzen über die Konstitution eines (gemeinsamen) stadtpolitischen Raumes und gegen hegemoniale Praxen vollziehen (Kap. 7.1). Darüber hinaus werden anschließend entlang dreier – unterschiedlicher, jedoch unauflöslich miteinander verwobener – Ebenen von politischen Möglichkeitsräumen verschiedene Aspekte der Demokratisierung beschrieben (Kap. 7.2). Zusammenfassend wird daraus der Befund einer neuen Phase städtischen Protests vorgestellt, der sich im Idealtypus von Demokratisierung-durch-die-Stadt-Bewegungen manifestiert (Kap. 7.3). Dieser Befund fungiert als Aktualisierung und Konkretisierung der bisherigen Periodisierungen (vgl. Mayer 2011, Keil 2009) und Beschreibungen städtischer sozialer Bewegungen, die zuletzt als „Recht-durch-die-Stadt-Bewegungen“ beschrieben worden sind (vgl. Nicholls/Vermeulen 2012, Lebuhn 2014). In Kapitel 8 wird abschließend aus Sicht der Forschungsergebnisse die Forschungsperspektive dieser Arbeit in ihrer erkenntnistheoretischen, methodischen und politischen Relevanz konfrontiert. Insbesondere für Konzeptionalisierungen (städtischer) sozialer Bewegungen und die empirische Demokratieforschung versprechen die Analyseergebnisse aufschlussreiche Anhaltspunkte zur Diskussion und Schärfung grundsätzlicher erkenntnistheoretischer Prämissen. Zu guter Letzt wird die politische Relevanz einer notwendigen kategorischen Unterscheidung zwischen Demokratie und Demokratisierung herausgestellt. Gerade in den Auseinandersetzungen um die ‚Zukunft der Demokratie‘ verdeutlicht sich die Dringlichkeit einer entsprechenden analytisch fundierten Distinktion. Erst mit analytischem Abstand wird eine feingliedrige Unterscheidung zwischen emanzipatorischen und antidemokratischen Positionen möglich, die nicht auf normativer Ebene ihren eigentlichen Ausgangs- und Zielpunkt bereits setzt.
2
Städtische soziale Bewegungen zwischen Neoliberalisierung und Postdemokratie „Privatisierung öffentlicher Güter und Dienste, der Ausbau von Sicherheitsmaßnahmen, die Ausbreitung segregierter Zonen, der Abbau kommunaler Angebote und Infrastrukturen haben allesamt zum Verschwinden von Räumen für Vergemeinschaftung und zum Zerfall von öffentlichen Räumen beigetragen, die für die Entstehung und Politisierung von (Klassen)Subjekten sowie für die Schaffung von Koalitionen eine zentrale Voraussetzung darstellen.“ (Mayer 2011: 71) „Extrapolating democracy as a virtual object requires much effort because we live in a world that equates democracy with a liberal-democratic state, which is a form of oligarchy that sets severe limits on democracy and insists that anything beyond those limits is impossible.“ (Purcell 2013: 26)
In der Soziologie, Geografie, Stadtplanung, Anthropologie und in den Kultur- und Politikwissenschaften sind eine Vielzahl an Forschungsarbeiten entstanden, für die Neoliberalisierungen des städtischen Raums und Stadtentwicklungspolitiken den Erklärungszusammenhang städtischer Proteste und sozialer Bewegungen bilden. Zugespitzt formuliert konzentrieren sich derzeitige Kontextbeschreibungen städtischer sozialer Bewegungen entweder auf ökonomische Krisen oder auf demokratische Krisen. Dabei wird einerseits ein „Kapitalozentrismus“ (Gibson-Graham 2006) deutlich, wobei ökonomische Strukturen in neomarxistischer Tradition den primären Ausgangspunkt für Proteste bilden (vgl. Harvey 2012a, 2012b, Marcuse 2009, Mayer 2011, Brenner et al. 2010). Anderseits stehen in neogramscianischer
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Tradition Befunde zu Postdemokratie und politischer Desintegration im Fokus (vgl. Mullis/ Schipper 2013, Mullis 2017, Purcell 2002, Swyngedouw 2013). Erscheinen bei ersterem Demokratisierungen sonderbar abwesend beziehungsweise nachgeordnet, so rücken bei letzterem die ökonomisch-materialistischen Gesichtspunkte in hegemonialen Auseinandersetzungen um diskursive Strukturen und kontingente Bedeutungsproduktionen in eine nachgeordnete Position. Wie im Folgenden gezeigt wird, ist für die Analyse städtischer sozialer Bewegungen eine vermittelnde Position zwischen den beiden vermeintlichen Polen ‚Ökonomie‘ und ‚Demokratie‘ der Politikbegriff entscheidend. Eine Darstellung des Forschungsfeldes zu städtischen Protestartikulationen zwischen diesen beiden Polen ist Gegenstand dieses Kapitels. Der Fokus liegt auf der Verhandlung der Frage in welchem Verhältnis politische und ökonomische Mangelstrukturen und entsprechende Subjektivierungen stehen. Dabei werden die heuristischen Potenziale der verschiedenen Ansätze herausgestellt die verschiedenen, mal lauten und mal leisen, aber stets relationalen Stimmen des Protestes zu berücksichtigen. Eingangs ist das Verständnis von Stadt, Urbanität und sozialen Bewegungen zu klären (Kap. 2.1). Daran schließt sich die Verhandlung vom polysemantischen Recht auf Stadt an und die Frage, inwiefern städtische Protestartikulationen über die Stadt hinausweisen (Kap. 2.2). Dies wird als Ansatzpunkt genommen für die unterschiedlichen Kontextualisierungen der Protestursachen- und Gegenstände in der Krise der Ökonomie (Kap. 2.3) und der Krise der Demokratie (Kap. 2.4). Abschließend wird zusammengefasst dargelegt inwiefern städtische soziale Bewegungen als Demokratisierungsbewegungen zu untersuchen sind (Kap. 2.5), was schließlich den Boden für die erkenntnistheoretischen und methodologischen Überlegungen zur postfundamentalistischen Operationalisierung einer diskurstheoretischen Hegemonietheorie für die Analyse bereitet (vgl. Kap. 3).
2.1
STADT, URBANITÄT, SOZIALE BEWEGUNGEN
Der Wandel von Stadt und Urbanität als Ort und Gegenstand sozialer Bewegungen bildet den Einstieg in derzeitige Debatten der kritischen Stadtforschung und gleichzeitig der sozialen Bewegungsforschung. Dafür muss allerdings noch etwas weiter ausgeholt und auf einige historische Theorieentwicklungen eingegangen werden. Es steht mittlerweile die Frage im Raum, ob es die Stadt überhaupt noch gibt, oder genauer gesagt, ob es noch sinnvoll ist von Stadt zu sprechen (vgl. Brenner/Schmid 2013). Ähnliches ließe sich auch über soziale Bewegungen sagen, denn die wissenschaftlichen Fassungen unterscheiden sich mitunter enorm. Diese zugespitzte Frage nach dem Gegenstand und den Subjekten des soziopolitischen Wandels verdeutlicht bereits die Brisanz und die Notwendigkeit einer begrifflichen Klärung hinsichtlich
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der konzeptionellen Fassung und der Reichweite (Kap. 2.1.1). Dies bereitet den Boden für die sich anschließende Diskussion der unterschiedlichen Konzeptionalisierungen (städtischer) sozialer Bewegungen (Kap. 2.1.2). Den Einstieg in die Erklärungszusammenhänge von Neoliberalisierungen und städtischen sozialen Bewegungen bildet schließlich ein Abriss der gesellschaftlichen Transformationen und entsprechender Protestartikulationen (Kap. 2.1.3). 2.1.1
Von Stadt zu Urbanität
Die kritische Stadtforschung hat sich seit ihren Anfängen mit den Widersprüchen der kapitalistischen Stadt auseinandergesetzt und sich dabei stets auch auf Protestpotenziale und soziale Bewegungen konzentriert, die sich aus den sozialen Voraussetzungen kapitalistischer Produktion und Stadtentwicklung in ihrer jeweiligen Zeit ergeben haben. Dieses dynamische Verständnis ist bestimmend für die Analyse städtischer Raum- und Sozialverhältnisse, die aus einer solchen Perspektive prinzipiell als historisch kontingent und veränderbar angesehen werden (vgl. Kemper/Vogelpohl 2013: 7). Als Klassiker der Stadtsoziologie und der empirischen Sozialforschung gilt Friedrich Engels Arbeit „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“ (1845), in dessen Fokus die konkreten Ausprägungen von Armut und Verelendung in den alltäglichen Lebensverhältnissen der Arbeiter*innen standen. Engels machte ein revolutionäres Potenzial jedoch weniger auf dieser Alltagsebene der Reproduktionsarbeit aus, als vielmehr in den machtvoll geprägten Produktionsverhältnissen der Fabrik.1 Im Anschluss an diese Perspektive waren lange Zeit auch Arbeiter*innenbewegungen, allen voran Gewerkschaften, die sich aus diesem Klassenantagonismus entwickelten, Dreh- und Angelpunkt der sozialen Bewegungsforschung. Mit den „neuen sozialen Bewegungen“ verbreiterte sich allerdings Ende der 1960er Jahre schließlich auch der Fokus der Bewegungsforschung über die Produktionsprozesse in den Fabriken hinaus (Laclau/Mouffe 1985, Roth/Rucht 1987). Laut Margit Mayer (2008, 2014) wurde die Stadt zunächst jedoch, zumindest in der deutschsprachigen Bewegungsforschung, mehr als Ort diskutiert, an dem Protest stattfindet, und nicht als primärer Gegenstand sozialer Bewegungen selbst.
1
Dabei konzentriert sich Engels explizit auf das antagonistische Klassenverhältnis zwischen Proletariat und Bourgeoisie sowie speziell auf die Konsequenzen der industriellen Revolution für die in der Stadt lebende Arbeiter*innenschaft. Seiner Diagnose zufolge müssten die widrigen Arbeits- und Lebensverhältnisse der profitorientierten kapitalistischen Produktion zwangsläufig in radikale Umwälzung der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse münden (vgl. Engels 1845).
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In der kritischen Stadtforschung jedoch verschob sich bereits in den späten 1960er Jahren mit Henri Lefebvres „Recht auf die Stadt“ (2016) der Forschungsschwerpunkt hinsichtlich sozialer Bewegungen von der Fabrik auf die Stadt. Lefebvre machte in den widersprüchlichen urbanen Produktionsmodi an der Schwelle zum Postfordismus den „Appell und die Forderung“2 nach einem Recht auf Stadt aus. Er beschreibt dabei eine zentrale Forderung der Exkludierten nach Partizipation am gesellschaftlichen Reichtum und nach uneingeschränkter Teilhabe an allen Formen städtischer Vergesellschaftung – sowohl am gesellschaftlichen Wohlstand als auch am urbanen Raum und an politischen Entscheidungen. Lefebvre (1990) erkennt in den alltäglichen Exklusionserfahrungen der Stadtbewohner*innen den Keim einer urbanen Revolution. Mit seiner populären These der vollständigen Verstädterung der Gesellschaft betont er den Stellenwert der Versprechungen des Urbanen für die Auseinandersetzungen um die Widersprüche kapitalistischer Vergesellschaftung.3 Die ‚urbane Revolution‘ tritt an die Stelle der „proletarischen Revolution“ (Marx/Engels 1968), als Beschreibungshorizont sozialer Revolten des 19. und 20. Jahrhunderts (vgl. Mullis 2014: 56).4 Durch weitere konzeptionelle Fokusverschiebungen auf die Produktion des Raumes wird die Krise des Städtischen aus ihrer partikularen Rolle transzendiert zu einer allgemeinen Verhandlung gesellschaftlicher Krisenphänomene, wodurch sowohl eine ontische als auch eine ontologische Dimension auf städtischen Protest eröffnet wird (vgl. Lefebvre 1991, Mullis 2014: 139). Inspiriert durch diesen Paradigmenwechsel entwickelte sich seit den 1970er Jahren eine marxistisch ausgerichtete kritische Stadtforschung, die sich sowohl auf die strukturellen Widersprüche urbaner politischer Ökonomien (vgl. Harvey 1973, 1985), als auch auf die alltäglichen Praktiken und Konsumgewohnheiten (vgl. Castells 2012a, 1983) im Kontext konkreter urbaner Protestbewegungen (vgl. u.a. Mayer 1991, 2011) konzentrierte. Für die zeitgenössische Stadtforschung und die Kontextualisierung städtischer sozialer Bewegungen bilden diese Autoren zentrale Bezugspunkte (vgl. Holm 2014c, Schmid 2005, Mullis 2017, Wiegand 2012.5 In dieser
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Ich folge hierbei der aktuellen Übersetzung von Birgit Althaler „Das Recht auf Stadt“ (Lefebvre 2016: 165).
3
Wie Stefan Kipfer (2008) ausführt, kommt es dabei zu einer an Antonio Gramscis Konzept der ‚kulturellen Hegemonie‘ inspirierten hermeneutischen Verschiebung in der Analyse sozialer Protestbewegungen.
4
Spätestens mit den beginnenden 2000er Jahren werden Lefebvres frühe Werke erneut zu einem zentralen Bezugspunkt der kritischen Stadtforschung und erleben ein Revival (vgl. Holm/Gebhardt 2011: 9).
5
Darüber hinaus sind allerdings neben diesen neomarxistischen Ansätzen auch anarchistische Perspektiven auf die Stadt gerichtet, wie beispielsweise Bookchins „demokratischer
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Tradition macht die aktuelle städtische Protestforschung in der neoliberalisierten Stadt und im sogenannten neoliberalen Urbanismus die widersprüchliche Mangelstruktur als Ausgangspunkt für emanzipatorische Forderungen und Subjektivierungen aus, welche die soziale Frage (wieder) aufbringen. Mit den lauter werdenden Protesten, spektakulären Platzbesetzungen und Riots der letzten Dekade ist der „Kampf in den Städten“ (Castells 2012a), „rebellische Städte“ (Harvey 2012b) und insbesondere das „Recht auf Stadt“ (Lefebvre 2016) in aller Munde. Die Forschungsperspektive auf einen „planetary urbanism“ nimmt Lefebvres These der vollständigen Urbanisierung auf und entwickelt diese als empirischen Erklärungszusammenhang einer global wirkmächtigen Logik neoliberaler Ausrichtung (vgl. Brenner/Schmid 2013, Merrifield 2011). Neben der Stadt als Ort des Protestes bildet das Städtische den konkreten Gegenstand von Protesten, die als städtische soziale Bewegungen konzeptionalisiert werden (vgl. Gestring et al. 2014, Mayer 2008, 2016, Mayer/Roth/Brandes 1978) oder auch als „incubator of contentious relations and control“ (vgl. Nicholls 2008, Uitermark et al. 2012). Dies geht über klassische Definitionen von Stadt hinaus, wonach diese durch ihre komprimierte Dichte hinsichtlich ihrer baulichen Struktur, Zahl von Bewohner*innen oder auch als Schmelztiegel sozialer und politökonomischer Konflikte bestimmt werden (vgl. Wirth 1938). In Anbetracht der Frage, ob die Stadt angesichts der Hegemonie der planetaren neoliberalen Urbanisierung überhaupt noch existiert, geht es darum die Rolle der Stadt und des Städtischen hinsichtlich aktueller Protestbewegungen zu bestimmen (vgl. Schmid 2011: 20, Mayer 2014: 31, Merrifield 2011: 476). Zwar verhandeln diese unterschiedlichen Ansätze unter verschiedenen epistemologischen Vorzeichen Stadt und Urbanität als Protestursache, aber weniger aus der Perspektive hegemonialer Kämpfe um die Wissensproduktion und die Durchsetzung und Fixierung von Bedeutungen. Diese manifestieren sich sowohl in der materiellen Ausgestaltung der Stadt als gebaute Umwelt, als auch in den politischen Entscheidungsstrukturen, die der Stadtentwicklung zugrunde liegen. Stadt als diskursives Spannungsfeld ist hingegen der grundsätzliche Ansatzpunkt der vorliegenden Studie. Dabei verstehe ich die Stadt auch als politische Arena diskursiver Auseinandersetzungen um die aktuelle und zukünftige Gestaltung und Ausrichtung politischer Entscheidungsstrukturen und der alltäglichen Lebensführung, die sich zwar räumlich konzentrieren, aber sich in ihrer gesellschaftlichen Relevanz nicht auf die Lokalität beschränken lassen. Das soll nicht heißen,
Konförderalismus“ (1986, 1990, 2015), der sich an Kropotkins (2009) Überlegungen zur (De-)Zentralisierung des städtischen Gemeinwesens orientiert (vgl. Lopez de Souza 2010: 318, Mullis 2017: 24).
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dass nur in der Stadt progressive und transformative Praktiken zu finden sind6, sondern vielmehr, dass in stadtpolitischen Auseinandersetzungen verstärkt, häufiger und vielgestaltiger die Widersprüche und Antagonismen aktueller neoliberaler Vergesellschaftungen verhandelt werden (vgl. Rinn 2016). 2.1.2
Städtische soziale Bewegungen
Gehen wir davon aus, dass wir in einer „Bewegungsgesellschaft“ (Haunss/Ullrich 2013: 290, Neidhard/Rucht 1993) mit Demokratie als deren basales Bestimmungsmerkmal (Roth/Rucht 2008) leben, so ließe sich das Diktum in Anbetracht aktueller Protestentwicklungen und kontextualisiert in planetarer Urbanisierung als urbane Bewegungsgesellschaft konkretisieren. Dabei ist es allerdings notwendig zu klären, was unter einer sozialen Bewegung zu verstehen ist. Den Begriff „städtische soziale Bewegungen“ hatte erstmals Castells in „The City and the Grassroots“ (1983) unter dem Aspekt der „kollektiven Konsumption“ als Klassenkampf in der Sphäre der Reproduktion bestimmt (vgl. Hohenstatt/Rinn 2014: 203, Holm 2014a: 53ff.). Während Castells sich einerseits auf die Stadt in ihrer Funktion als holistische alltägliche Reproduktionssphäre konzentriert und andererseits städtische soziale Bewegungen hinsichtlich der Selbstorganisation von ‚Community Culture‘ fokussiert, ist für Lefebvre die Stadt selbst das Produkt der kollektiven entfremdeten Arbeit, zu dessen Aneignung er aufruft (vgl. Bareis 2012: 17, Mayer 2008: 294f.). Dennoch gehen beide Fassungen von städtischen sozialen Bewegungen über die Stadt hinaus, bei Lefebvre (2016) als gesellschaftliche Utopie der (radikaldemokratischen) Selbstermächtigung und bei Castells (1977: 33) als politische Momente, die auf einen gesellschaftlichen Wandel zielen (vgl. Holm 2014a: 55). Diese zwei unterschiedlichen Fassungen städtischer sozialer Bewegungen, eine enge und eine weite, spiegeln generell das analytische Dilemma der sozialen Bewegungsforschung, nämlich was unter welchen Gesichtspunkten als soziale Bewegung verstanden und dementsprechend analysiert wird. Wie bereits angemerkt hat die soziale Bewegungsforschung, abgesehen von einigen Ausnahmen, die Rolle der Stadt und die Spezifika städtischer sozialer Bewegungen ignoriert oder diese anderweitig unter dem größten gemeinsamen Nenner subsummiert (vgl. Mayer 2008, Nicholls 2008). Das Novum in Abgrenzung zu tra-
6
Es gibt eine Vielzahl ruraler Bewegungen, die ebenso progressive Ansprüche vertreten. Nicht zuletzt sind viele derzeitige Proteste inspiriert von der Landlosenbewegung der Ejército Zapatista de Liberación Nacional (EZLN) in Chiapas. Im Sinne eines ‚planetaren Urbanismus‘ wäre die binäre Unterscheidung zwischen ‚städtisch‘ und ‚rural‘ hinfällig, da sich die der neoliberalen Logik zugrundeliegende Rationalität global hegemonialisieren konnte (vgl. Brenner/Schmid 2013).
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ditionellen sozialen Arbeiter*innenbewegungen wird vor allem in den neuen Mobilisierungs- und Organisationsmodi ausgemacht. Der Mainstream der sozialen Bewegungsforschung charakterisiert dementsprechend „neue soziale Bewegungen“ (Brand et al. 1986, Touraine 1988, Offe 1985) als auf sozialen Wandel ausgerichtete Protestformen, die sich durch ihre kollektive Mobilisierungs-, Organisations- und Identitätsbildung (vgl. Roth/Rucht 2008, Lahusen 2012, Mellucci 1989) auszeichnen oder auch über die Fähigkeit sich als kollektive Akteur*in mit entsprechenden Repräsentant*innen zu institutionalisieren (Della Porta/Diani 1999, Klein et al. 1989) bestimmt werden. Diese enge Definition sozialer Bewegungen, (re)produziert zugleich ein alternatives Vokabular für Protestphänomene, die nicht als soziale Bewegungen klassifiziert werden, wie Revolten, Empörungsmomente oder Aufstände (vgl. Roth/Rucht 2008: 13, Lahusen 2012: 717f., Bareis et al. 2010: 795). Es dominiert nach wie vor ein „instrumentalistisch-strukturalistischer Ansatz“ (Johnston 2009: 3) mit rational-strategischen Bewegungsakteur*innen, die nicht in ihrem relationalen Zustandekommen betrachtet werden, sondern prädiskusiv gesetzt werden (vgl. Vey 2015: 29ff.). Der in der Bewegungsforschung mittlerweile weit verbreitete Framing-Ansatz (vgl. u.a. Benford/Snow 2000, Tarrow 2005) zementiert die Dominanz des Rational-Choice-Paradigmas intentionaler prädiskursiver Subjektivitäten und entsprechende Klassifizierungen von Protestartikulationen und Aktionsformen (vgl. Leinius et al. 2017: 7). Kritik an dieser engen Fassung bezieht sich auf die zugrundeliegende spezifische Rationalität in der Bewertung von Protestartikulationen und deren voraussetzungsvolle formalisierte Diagnose-, Artikulationsund Organisationsfähigkeit, die zuvorderst eine akademische Mittelstandsperspektive reproduziert und marginalisierte kurzweilige, vermeintlich unorganisierte, informelle Protestartikulationen außen vor lässt (vgl. Bayat 2010: 46ff., Gestring et al. 2014: 14, Hohenstatt/Rinn 2014, Thörn et al. 2016: 19ff., Piven/Cloward, 1978: 5, Wacquant 2008). Eine zu enge Bestimmung städtischer sozialer Bewegungen brächte für die vorliegende Studie zu den Entwicklungen in Berlin und New York einige analytische und ontologische Beschränkungen mit sich, insofern als dass eine Reihe von Protestartikulationen und deren Inhalte aus der Analyse fallen würden und so ein anderes Bild der Bewegungslandschaft in beiden Städten gezeichnet werden würde. Daher wird demgegenüber eine weite Fassung städtischer sozialer Bewegungen für die verfolgte Fragestellung favorisiert, da dabei auch die eher unbeachteten oder oft auch delegitimierten Protestformen und Stimmen wahrgenommen werden können. Der gewählte hegemonietheoretische Zugang (vgl. Kap. 3) ermöglicht eine weite poststrukturalistische Perspektive auf soziale Bewegungen, was laut Leinius et al. (2017: 10ff.) eine Reihe analytischer Vorteile gegenüber den oben genannten ‚klassischen‘ Perspektiven mit sich bringt: Soziale Bewegungen werden als genuin politische Phänomene verstanden und in ihrem Ursprung als Ausdruck diskursiver Dy-
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namiken analysierbar, wobei Macht als Schlüsselkategorie berücksichtigt wird. Darüber hinaus zeichnet diesen Zugang eine enge Verbindung zwischen Theorie und Empirie aus, was sich schließlich auch in der konkreten Forschungspraktik und hinsichtlich einer aktiven Positionierung der Forscher*innen im Feld niederschlägt (vgl. Kap. 4.2). 2.1.3
Phasen städtischen Protests. Politisierungen neoliberaler Widersprüche
Margit Mayer (2011) hat eine Periodisierung des städtischen Protests vorgelegt, die sich an den verschiedenen „Phasen der Neoliberalisierung“ (Brenner/Theodore 2002) orientiert. Beginnend in den 1970er Jahren mit der Krise des Fordismus konstituierten sich städtische soziale Bewegungen in erster Linie in einer Revolte gegen den paternalistischen Wohlfahrtsstaat und dessen Stadtplanung (vgl. Mayer 2011: 55f). Charakteristisch für diese Protestphase war die Fokussierung auf die „reproduktive Sphäre“ und den „kollektiven Konsum“ (Castells 1983), was sich besonders in den Forderungen nach Autonomie und Selbstbestimmung und einer Aneignung der Stadt in kollektiven Projekten äußerte. Damit verbunden war eine deutliche Verlagerung der Klassenkämpfe aus der Fabrik in die Stadt und damit einhergehend eine Fokussierung auf die Steigerung der Lebensqualität. Weiterhin verbunden damit war eine grundsätzliche Kritik an defizitären Beteiligungsmöglichkeiten sowie das starke Aufkommen selbstorganisierter Projekte wie Kinderläden und Jugendzentren. Während in Europa hauptsächlich Jugendliche, Studierende und Migrant*innen die Kämpfe anführten, waren es in den USA insbesondere AfroAmerikaner*innen (vgl. Mayer 2011: 56). Wirkungsvolle breite Bündnisse zwischen den „politisch und kulturell Entfremdeten“ sowie den „ökonomisch Marginalisierten“ (Marcuse 2009) blieben jedoch aus (vgl. Mayer 2011: 55ff.). An diese erste Entwicklungsphase schloss sich in den 1980er Jahren die Phase der Roll-back-Neoliberalisierung an, eine reregulative Offensive der wohlfahrtsstaatlichen Institutionen, für die eine ausgeprägte Austeritätspolitik und die Globalisierung nationalstaatlich durchgesetzter Neoliberalisierungen bestimmend war (vgl. Mayer 2011: 57f.). Kennzeichnend war allerdings auch in Teilen der Bewegung ein kooperatives Verhältnis zum Staat und eine Institutionalisierung und Professionalisierung des Protests. Angesichts wachsender Armut, einer neuen Wohnungsnot und gleichzeitiger staatlicher Finanzierungsnöte arbeiteten Verwaltungen und Bewegungen vermehrt in Revitalisierungsprogrammen zusammen. Andere Bewegungen lehnten dies ab und verfolgten auch weiterhin einen radikalen und oppositionellen Kurs (vgl. Holm/Kuhn 2011). Dazu kamen neue Bewegungen der Mittelklasse, die sich hauptsächlich auf die Verteidigung der Lebensqualität ihres Kiezes konzentrierten, was sich sowohl in progressiven als auch reaktionären und
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fremdenfeindlichen Forderungen äußerte. Zusammengenommen führte dies zu einer zunehmend fragmentierten städtischen Bewegungslandschaft (vgl. Mayer 2011: 58). In den 1990er Jahren folgte die Phase der Roll-out-Neoliberalisierung, für die eine diskursive Offensive zur Durchsetzung unternehmerischer Stadtpolitiken und ausgeprägt fragmentierte Bewegungsmilieus charakteristisch waren (vgl. Mayer 2011: 58). Städtischer Raum hatte sich verstärkt als Wachstumsgarant unter marktökonomischen Gesichtspunkten durchgesetzt und als Konsequenz des anhaltenden Austeritätskurses wurde mittels kommunaler und stadtteilbezogener Reformprogramme versucht, die sozialen Nebenkosten zu regulieren. Die neuen Reformdiskurse betonten Flexibilisierung, Aktivierung und Exklusion und führten schließlich schrittweise zu einer individualisierten und kompetitiven Stadtentwicklung, die einerseits eine Erosion sozialer Rechte beinhaltet und andererseits eine paradigmatische Ausrichtung an Wettbewerb und entsprechenden Standortfaktoren forcierten. Mit Blick auf städtische soziale Bewegungen vollzieht sich eine trennende Doppelbewegung: Einerseits geht es darum, verbliebene Privilegien zu schützen und anderseits grundsätzliche stadtpolitische Fragen der Aneignung zu politisieren (vgl. Mayer 2011: 58). Die Aufwertung von Stadtvierteln und damit die verbundene Gentrifizierung wird zunehmend zu einem Ansatzpunkt reformpolitischer Einhegungen sowie für städtische Proteste. Die Slogans städtischer sozialer Bewegungen spiegelten lokale globalisierungskritische Mobilisierungen, beispielsweise mit dem Slogan ‚Eine andere Stadt ist möglich!‘ (vgl. Mayer 2011: 59), der sich anlehnt an den Slogan der Alter-Globalisierungsbewegung ‚Eine andere Welt ist möglich!‘. Den vorläufigen Höhepunkt bildet die beginnende ‚Krise der Neoliberalisierung‘ seit den frühen 2000er Jahren. Neoliberale Urbanisierung als eine primäre Investitionsmöglichkeit hatte sich global hegemonialisiert (vgl. Harvey 2008: 30). Gleichzeitig hatten grundlegende Reformen zu einem Paradigmenwechsel in der staatlichen Wohlfahrt gesorgt, was prekäre Beschäftigungsverhältnisse und soziale Polarisierungen forcierte. Staatliche Transferleistungen wurden nun an strenge Bedingungen geknüpft, zielten auf eine responsibilisierende Aktivierung der hilfebedürftigen der ‚städtischen Unterklasse‘ und räumten den Verwaltungsbeamt*innen Sanktionsmöglichkeiten ein. Dies spiegeln auch die Mobilisierungen der Bewegungen, die sich entlang zweier Bruchlinien vollziehen: zum einen wachstumsorientierter unternehmerischer Stadtentwicklungspolitiken und zum anderen austeritätsinduzierten Sozial- und Arbeitsmarktreformen. Trotz oder gerade wegen dieser schwierigen Ausgangslage war erstmals wieder eine Konvergenz zwischen verschiedenen städtischen Bewegungen seit den 1960er Jahren zu beobachten. Unter dem Motto ‚Recht auf Stadt‘ formieren sich weite Netzwerke und Bündnisse und sorgen dabei auch für eine globalere Artikulation städtischen Protests, beispielsweise mit der Forderung der Demokratisierung und Regulation suprastaatlicher Institutionen (vgl.
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Mayer 2011: 59ff.). Das Recht auf Stadt tritt nun in multiplen Bedeutungen in unterschiedlichen lokalen Kontexten im Globalen Norden und Süden auf, die sich vor allem entlang der Akteur*innen und der Unterscheidung zwischen Aneignung des städtischen Raums als transformative Praxis hin zu einer gerechteren Gesellschaft manifestieren (vgl. Mayer 2011: 61ff.). Darüber hinaus gibt Unterstützung von Institutionen der United Nations, beispielsweise nimmt die UNESCO das Thema auf (vgl. Brown/Kristiansen 2009). Roger Keil (2009) hat mit der Roll-with-it-Neoliberalisierung bereits eine weitere Phase der Neoliberalisierung beschrieben: „Roll-with-it neoliberalization refers straight to ‚ecological dominance‘ as a ‚natural‘ and often unquestioned condition of life under capitalism today“ (Keil 2009: 232, Herv. i. O.). Gleichzeitig haben sich mit dieser Verschiebung aber auch die Widersprüche verschärft, die sich in der unnachhaltigen regulatorischen Kapazität der Krisenbewältigung zeigen. Rollwith-it-Neoliberalisierungen haben zwei Ausprägungen, zum einen eine autoritäre revanchistische Version, wozu beispielsweise der ‚Disasterkapitalismus‘ (Klein 2008) zu zählen sei; und zum anderen eine neoreformistische Governanceversion des „Krisenkapitalismus“ (vgl. Klein 2012). Dies habe auch Auswirkungen auf die Protestbewegungen, die sich an den naturalisierenden Argumentationen und Legitimationsstrategien abarbeiten (vgl. Keil 2009: 240). Die Verhandlung der multiplen Legitimationskrise der liberalen Demokratie in städtischen sozialen Bewegungen, ein zentraler Ansatzpunkt für meine Forschungsarbeit, wird allerdings in den Forschungsbeiträgen konzeptionell eher vernachlässigt. Dies zeigt sich auch in den Beschreibungen der Subjekte des Protests. Demgegenüber verdeutlicht eine entsprechende erkenntnistheoretische Perspektivenschärfung auch eine konzeptionelle Rejustierung und Konkretisierung des Phasenmodells entlang der empirischen Fälle (vgl. Kap. 7).
2.2
RECHT AUF UND DURCH DIE STADT
Die aktuelle städtische Bewegungsforschung beschäftigt sich zuvorderst mit Rechtauf Stadt-Bewegungen und ihren unterschiedlichen Ausprägungen (vgl. Gestring et al. 2014, Holm/Gebhardt 2011, Marcuse 2009, Mitchell 2003). Dieser spezifische Fokus ist allerdings nicht unkritisch zu betrachten. Eine ganze Reihe von städtischen sozialen Bewegungen bezieht sich nicht explizit auf den Slogan. Dementsprechend erscheint dieser Fokus eher als gemeinsamer Bezugspunkt für die Forscher*innen, die damit Gefahr laufen den Rahmen auf die Bewegungen zu projizieren und dadurch Artikulationen jenseits des Slogans zu vernachlässigen (vgl. Uitermark et al. 2012: 2548).
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Allgemein lässt sich festhalten, dass die Recht-auf-Stadt-Forschung verschiedene Spielarten der sozialen, ökonomischen und kulturellen Exklusion und deren Überwindung behandelt, beispielsweise unter Aspekten wie „soziale Gerechtigkeit“ (Harvey 1973, 2000, Fainstein 2010, Soja 2010), „kollektive Konsumption“ (Castells 1983), die der „neoliberalen Urbanisierung“ (vgl. Kap. 2.3, Brenner et al. 2012, Harvey 2003, 2012b, Marcuse 2009, Mitchell 2003, Mayer/Künkel 2012) gegenübergestellt werden. Lefebvre selbst beschrieb das Recht auf Stadt in den späten 1960er Jahren, sozusagen am Vorabend der 1968er Revolten, als Appell und Forderung nach einem radikal anderen Ansatz zur Produktion von Stadt im Gegensatz zur funktionalen Stadt: „[T]he right to the city is like a cry and a demand. This right slowly meanders through the surprising detours of nostalgia and tourism, the return to the heart of the traditional city, and the call of existent or recently developed centralities. […] The right to the city cannot be conceived of as a simple visiting right or as a return to the traditional cities. It can only be formulated as a transformed and renewed right to urban life.“ (Lefebvre 1996: 158, Herv. i. O.)
Für Lefebvre handelt es sich dabei nicht um ein Recht im juristischen Sinne, sondern um eine normative Utopie und Praxis einer gerechten, inklusiven, kollektiven Wiederaneignung des städtischen Raumes durch all jene, denen die städtischen Qualitäten und Ressourcen verwehrt bleiben (Kap. 2.2.1). Das Recht auf Stadt orientiert sich demnach am Gebrauchswert, nicht am Tauschwert und beinhaltet eine Vielzahl unterschiedlicher Dimensionen: das Recht auf Zentralität, den Zugang zu Infrastruktur und Wissen, das Recht auf Differenz, den Zugang zu politischen Entscheidungen, strategischen Debatten und Planungsprozessen (vgl. Holm 2014a: 49, Schmid 2005, Kipfer 2008). Stadt wird hierbei nicht nur als ein Objekt, sondern als politischer Möglichkeitsraum der Wahrnehmung und Anerkennung von Differenzen verstanden. Im Folgenden diskutiere ich daher die Ambivalenzen der Forschung zum Recht auf Stadt hinsichtlich der Fassung der Objekte und Subjekte des städtischen Protests (Kap. 2.2.2), um mich schließlich mit meiner Forschungsarbeit zu positionieren. Das ‚Recht auf Stadt‘ stellt Lefebvre dem Begriff der ‚Urbanisierung‘ gegenüber, wobei der totalisierende Modus gesellschaftlicher Transformation durch Kapital auch die alltäglichen Praxen durchdringt und bestimmt. Diese strukturalistische Lesart wird von verschiedenen Seiten kritisiert (Kap. 2.2.3) und das ‚Recht auf Stadt‘ als ein möglicher Bezugspunkt verschiedener Protestartikulationen unter anderen betrachtet und die analytische Perspektive auf ein ‚Recht durch die Stadt‘ geweitet (vgl. Kap. 7, Lebuhn 2014, Nicholls/Vermeulen 2012, Merrifield 2011). So wird es zum einen möglich den Forschungsgegenstand der städtischen Protestartikulationen nicht bereits vor der Analyse inhaltlich zu bestimmen und zu begren-
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zen, zum anderen dem vermeintlichen analytischen „local-trap“ (Purcell 2006) zu entgehen. Stadt verstanden als „leerer Signifikant“ wird zum relationalen Bezugspunkt und Inkubator für ganz unterschiedliche Bewegungen (vgl. Uitermark et al. 2012: 2549), deren Relevanz über die Stadt hinausweist. Stadt fungiert entsprechend als Gegenstand, Bühne, Mobilisierungsraum und Ursprung sozialer Bewegungen (vgl. Gestring et al. 2014: 7ff.). 2.2.1
Städtische Aneignung
Eine ganze Reihe theoretischer und empirischer Beiträge verhandelt das Recht auf Stadt unter dem Aspekt der städtischen Aneignung (vgl. Holm/Gebhardt 2011, Lefebvre 2016: 188). Mit Blick auf eine heterogene städtische soziale Bewegungslandschaft und aufkommende neue Netzwerke arbeiten Andrej Holm und Dirk Gebhardt (2011: 12ff.) vier verschiedene Forschungsperspektiven auf das Recht auf Stadt heraus: Erstens ist das Recht auf Stadt als ganzheitliche Perspektive bereits in Lefebvres fragmentarischer Theorie zum Städtischen und zu städtischen Transformationsprozessen angelegt. Lefebvres Überlegungen nehmen quasi bereits den spatial turn vorweg und befreien das Urbane aus dem allzu engen Raumkorsett – ausgehend vom „Recht auf Stadt“ (1968) über die These der „vollständigen Urbanisierung“ (1970) bis hin zur „Produktion des Raumes“ (1974). Für Lefebvre wird die Stadt zum Gesamtkunstwerk, zum œuvre, der Gesamtheit aller materiellen, symbolischen und sozialen Prozesse (vgl. Holm/Gebhardt 2011: 14). Zweitens betont das Recht auf Stadt als gegenhegemoniales Projekt die utopische Vision von Stadtplanung als urbane Demokratie, die über die konkreten Auseinandersetzungen um Raum hinausgeht und eine grundsätzlich andere Stadt und Gesellschaft einfordert, was sich in dem Anspruch manifestiert, auf allen gesellschaftlichen Ebenen mitzubestimmen. Demnach geht es nunmehr um „eine Vision des Wandels, der die Umverteilung materieller, sozialer, politischer, kultureller und symbolischer Ressourcen umfasst und auf den Prinzipien der Demokratie, Gleichheit, Anerkennung von Differenz und Einbeziehung (inclusiveness) basiert“ (Holm/Gebhardt 2011: 15, Herv. i. O.). Drittens wird das Recht auf Stadt darüber hinaus in seiner pragmatischen Fassung als reformpolitischer Forderungskatalog vorrangig bei linken Stadtregierungen und internationalen Organisationen, aber auch von einer ganzen Reihe städtischer sozialer Bewegungen aufgegriffen. Das Recht auf Stadt zielt – mit Blick auf Mitbestimmung bei der Gestaltung öffentlicher Plätze, vielfältige Mobilisierungen für ein Recht auf Wohnen, Bleiberechte oder Bewegungsfreiheit von Migrant*innen – hauptsächlich auf die strukturelle Reorganisation politischadministrativer Systeme und ist beispielsweise in Brasilien bereits gesetzlich verankert worden (vgl. Holm/Gebhardt 2011: 16f.).
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Viertens fungiert das Recht auf Stadt als universalistischer Organisationsansatz und geteilter Bezugspunkt zur gemeinsamen Mobilisierung und koordinierten Protestartikulation. Die gemeinsamen Ausgrenzungserfahrungen und die Forderung nach der Anerkennung unterschiedlicher Lebenskonzepte bringen verschiedentlich Marginalisierte in ihren andernfalls fragmentierten Kämpfen und Protestartikulationen zusammen. Als Beispiel für ein neues heterogenes Bündnis städtischer sozialer Bewegungen wird die Right to the City-Alliance in den USA angeführt (vgl. Holm/Gebhardt 2011: 19f., Kap. 5.6.2). Holm und Gebhardt verweisen abschließend perspektivisch auf eine Gemeinsamkeit derzeitiger Recht-auf-Stadt-Bewegungen, nämlich, dass diese „neue städtische Orte herstellen, die sich nahe am Alltag der Stadtbewohner*innen befinden und der neoliberalen Verwertungslogik der Stadt zum Teil entzogen sind“ (Holm/Gebhardt 2011: 21f.). In Anschluss an Antonio Negri heben sie eine neue Dimension dieser Räume gegenüber den autonomen Freiräumen der 1980er Jahre hervor. Was diese neuen (postautonomen) Räume im Gegensatz dazu auszeichne, sei die Ermöglichung der politischen Artikulation von Gegenentwürfen in weitreichenden Bündnissen und durch Akteur*innen, denen dies bisher versagt gewesen sei, wie beispielsweise Wohnungslosen, (undokumentierten) Migrant*innen, oder auch Sexarbeiter*innen (vgl. auch Künkel 2011, Vollmer/Scheller 2018). An diesem Punkt setzt die vorliegende Arbeit an und versucht diese neuen städtischen Bewegungen exemplarisch in Berlin und New York in ihren aktuellen Ausprägungen zu betrachten, um ausgehend vom empirischen Material Aussagen darüber treffen zu können, ob und inwiefern sich eine neue Phase städtischen Protests beschreiben lässt. Margit Mayer (2009) weist in ihrer Analyse städtischer sozialer Bewegungen besonders auf die kohäsiven Potenziale des Rechts auf Stadt als eine gemeinsame Klammer in lokalen und globalen Zusammenhängen hin. Sie arbeitet in Anlehnung an Brenner und Theodore (2002) heraus, wie das Recht auf Stadt in städtischen sozialen Bewegungen in den unterschiedlichen Phasen der Krise des Postfordismus und einhergehender fortschreitender Neoliberalisierungen verwendet wurde. Dabei liegt ihr Fokus klar auf den Bewegungsmilieus, die entlang der Transformationen neoliberaler Urbanisierung aufgekommen sind. Die unterschiedlichen Auslegungen des Rechts auf Stadt in sich wandelnden gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Zusammenhängen bestimmt sie als eine Organisationsstruktur, eine Kernforderung, ein Slogan und nicht zuletzt auch als ein Menschenrecht (vgl. Mayer 2009).
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2.2.2
Subjekte des Protests. Heterogen und fragmentiert
Für diesen breit gestreuten sozialen Protest ist nach wie vor, sowohl für die kritische Stadtforschung als auch die städtischen sozialen Bewegungen selbst, die Frage nach der Überwindung der Fragmentierung von breiten Bündnissen ausschlaggebend (vgl. Mayer 2011: 53). Eben diese Fixierung auf das Recht auf Stadt einerseits und eine enge Fassung sozialer Bewegungen als strategisch-instrumentell handelnde Kollektivakteur*innen andererseits verstellt den Blick auf die subtilen widerständigen Alltagspraxen (vgl. Bayat 2004, Pithouse 2009) sowie auf die wachsende Bedeutung der ontologischen Ebene des Protests, nämlich ein grundsätzliches Infragestellen aktueller Stadtpolitik. Harvey beschreibt die aktuellen städtischen Mobilisierungen als global wirksame Gegenmacht und als treibende Kraft in der Repolitisierung der urbanen und sozialen Frage (vgl. Harvey 2012b: 115ff.). Er versteht das Recht auf Stadt als praktisches Recht die Welt und das persönliche Leben zu ändern, wobei die Stadtbewohner*innen gemeinsam die Stadt nach ihren eigenen Bedürfnissen und Vorstellungen neu erfinden können. Mit der Forderung nach dem Recht auf Stadt intervenieren die protestierenden Stadtbewohner*innen in den Status quo städtischer Planungsprozesse. „That collective right, as both a working slogan and a political ideal, brings us back to the age-old question of who it is that commands the inner connection between urbanization and surplus production and use“ (Harvey 2012b: 25). In einem ähnlichen Sinne hat Peter Marcuse bezüglich der Tragweite des Rechts auf Stadt darauf hingewiesen, dass Lefebvre keineswegs alle Stadtbewohner*innen als potenzielle Subjekte des Protests im Sinn hatte. Vielmehr seien der Appell und die Forderung als „a cry out of necessity and a demand for something more“ (Marcuse 2009: 109) zu verstehen. Damit ist gemeint, dass das Recht auf Stadt keineswegs eine Forderung sei, die für alle gilt. Da einige bereits darüber verfügen, beispielsweise Banker*innen, Immobilienspekulant*innen, private und staatliche Medienunternehmen, erachtet Marcuse (2009) die Orientierung an der Frage für maßgeblich, um wessen Recht auf welche Art von Stadt hier gestritten wird. Auch Margit Mayer betont, dass es nicht um eine Generalisierung gehen kann: „Es ist ein Recht auf Umverteilung und gilt keineswegs für alle Menschen, sondern für diejenigen, die dieses Rechtes beraubt sind und seiner bedürfen. Es ist ein Recht, das nur dann und insofern existiert, als genau diese Menschen es (und die Stadt) sich nehmen, sich aneignen.“ (Mayer 2011: 63)
Lefebvre selbst habe diese Frage recht offengelassen, doch zuvorderst mit den „deprived, excluded, alienated, exploited and discontented“ die am stärksten Marginalisierten im Blick gehabt (vgl. Marcuse 2012: 7). Harvey sieht das Recht auf Stadt
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derzeit in wissenschaftlichen Debatten hauptsächlich reduziert auf die regulatorische Kontrolle und Steuerung des gesamten urbanen Prozesses diskutiert, politisch hingegen seien die Privatinteressen ökonomischer Eliten ausschlaggebend, die das Recht auf Stadt in jeglicher Hinsicht ausüben und die Stadt nach ihren Vorstellungen gestalten (vgl. Harvey 2008: 38). Der originäre utopische Gehalt des Recht auf Stadt und dessen ursprüngliches transformatives Potenzial fungiert erst jetzt, über vier Dekaden später, wieder als gemeinsamer Bezugspunkt ganz unterschiedlicher städtischer Kämpfe (vgl. Marcuse 2012). Während in den 1968er Revolten eine starke Koalition zwischen protestierenden Studierenden und Arbeiter*innen nicht zustande gekommen sei, zeichne sich hingegen derzeit eine Tendenz zu Koalitionen zwischen der marginalisierten Arbeiter*innen- und Dienstleistungsklasse und der prekarisierten Mittelklasse ab. Dies führt Marcuse darauf zurück, dass es sich 1968 nicht um eine wirtschaftliche Krise gehandelt habe, sondern vielmehr um eine Legitimationskrise eines starken Staates und des auf Ungleichheiten basierenden Status quo, der kontrastiert wurde mit den Potenzialen einer gerechteren Gesellschaftsutopie. Die Krise seit 2008 hingegen will Marcuse ganz klar als eine ökonomische Krise verstanden wissen, die ausgehend von den Finanzmärkten eine existenzielle Not breiter Bevölkerungsschichten ausgelöst hat.7 Mit Blick auf die verschiedenen Organisationsformen des Protests merkt Marcuse an, „that there is a convergence of all groups, coalitions, alliances, movements, assemblies around a common set of objectives, which see capitalism as the common enemy and the right to the city as their common cause“ (2012: 34). Das Recht auf Stadt sei in erster Linie als moralischer Anspruch und weniger als ein Rechtsanspruch zu verstehen, und ebenso nicht nur als ein singuläres Recht, sondern als ein Set unterschiedlicher Rechte (vgl. Marcuse 2012: 35). Sowohl kritische Forschung als auch die Praxis städtischer sozialer Bewegungen habe sich daher an der fundamentalen Zurückweisung des bestehenden kapitalistischen Systems zu orientieren. Allerdings verstehen sich längst nicht alle städtischen Bewegungen als antikapitalistisch. Vielmehr erscheint derzeit als gemeinsamer Bezugspunkt eher eine demokratische Legitimationskrise, die sich aus dem politischen Umgang mit der Finanzkrise speist und die auf Teilhabe an politischen Prozessen und deren grundsätzliche Umgestaltung zielt (vgl. Kap. 2.4).
7
Allein in den USA wurde mit vier Millionen Zwangsvollstreckungen im Zuge der Krise gerechnet. Darüber hinaus ist die Arbeitslosigkeit gestiegen, lokale Steuereinnahmen und staatliche Dienstleistungen schrumpfen, der staatliche Bildungssektor ist ebenfalls von Kürzungen betroffen und Rentenfonds verlieren an Wert und gefährden die Altersvorsorge (vgl. Marcuse 2012: 28).
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Marcuse selbst weist darauf hin, dass erst auf Basis der praktisch gemachten Erfahrungen gemeinsamer demokratischer Entscheidungen eine bessere Zukunft gestaltet werden könne – eine „democratic society“ (Purcell 2006), „just society“ (Fainstein 2010), „human society“ (Nussbaum 1999) in einem Sinne der „Erfüllung des Menschen als Gattungswesen“ (Marx 1968). Dafür seien „spaces of hope“ (Harvey 2000) und „urban utopias“ (Miles 2007) entscheidend, die soziale Bewegungen mittels direkter Aktionen umsetzen und der profitorientierten, kommodifizierten Stadt als annehmbare und unterstützende Lebensräume für die bedürftigen Stadtbewohner*innen entgegenstellen (vgl. Marcuse 2012: 37f.). „The seeds of the future must be found in the present“, betont Marcuse (2012: 38) abschließend. So lässt sich schließlich daran anknüpfend festhalten, dass derzeit vor allem in den alltäglichen horizontalen, radikaldemokratischen Praktiken und Artikulationen städtischen Protests mögliche Impulse für eine gerechtere Zukunft zu finden sind. Auch Don Mitchell (2003) geht der Frage nach, wer ein Recht auf Stadt hat und untersucht dies am konkreten Beispiel des Zugangs zu und der Nutzung von öffentlichem Raum in US-amerikanischen Städten in den vergangen einhundert Jahren. Gegenstand seiner Untersuchung ist die Entwicklung der Idee und Praxis des Rechts auf Stadt, das sich für ihn deutlich sichtbar im Wandel politischer Strategien im Umgang mit öffentlichem Raum und dem einhergehenden Widerstand und Protest ausdrückt. Er zeigt, wie „revanchistische Stadtpolitiken“ (Smith 1996) und ihre aktuellen Policing-Strategien – explizit auf die Verdrängung und den Ausschluss von marginalisierten Stadtbewohner*innen aus dem öffentlichen Raum in New York fokussiert – dazu beitragen ein exklusives Recht auf Stadt durchzusetzen. Obdachlose begreift er als die prototypischen Subjekte dieses Protests. Für Mitchell ist die Schaffung von „spaces of justice“ (2003: 227ff.) eine stadtpolitische Notwendigkeit. Das bedeutet auch, dass eine umfassende Demokratisierung des öffentlichen Raums sowie darüberhinausgehend das Etablieren einer sozial gerechteren politischen Ordnung nur durch fortwährende Proteste zu erreichen sind. 2.2.3
Kritik am Strukturdeterminismus und radikale Demokratie
Bei allen heuristischen Stärken einer materialistischen Analyse der Protestursachen gibt es doch eine ganze Reihe von Schwierigkeiten, die hauptsächlich aus einer empirischen Perspektive des Globalen Südens auf andere zeitdiagnostische Episteme verweisen, die sich nicht zuvorderst in ökonomischen Materialitäten, sondern vielmehr im Politischen fundieren. Insbesondere Marcelo Lopes de Souza (2010: 315) weist darauf hin, dass mit der neuen Rezeptionswelle des Rechts auf Stadt eine Trivialisierung und Korrumpierung des Ansatzes einhergehe. Einerseits würde dies zu reformistischen Interpretationen führen. Andererseits kritisiert er auch eine politisch-strategische Auslegung des Rechts auf Stadt, da diese bisweilen in einer struk-
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turorientierten Perspektive verhaftet bleibt. Ein entsprechend ausgerichteter Fokus auf „statism, centralism and hierarchy“ sei antiquiert und werde aktuellen sozialen Bewegungen in Lateinamerika, Europa und Asien hinsichtlich ihrer „agency, potentials and strategies“ nicht mehr gerecht, die sich vor allem an Autonomie und radikaler Demokratie orientieren (vgl. Lopez de Souza 2010: 315). Dies geht einher mit einer sukzessiven Vernachlässigung der Dimensionen Geschlecht, Ethnizität und kolonialer Vergangenheit und Gegenwart (vgl. Lopez de Souza 2009). Lopez de Souza macht sich hingegen für eine an Murray Bookchin (1986, 1987, 1990, 1991) und Cornelius Castoriadis (1982, 1990a, 1990b) orientierte libertäre Lesart des Rechts auf Stadt stark, die eine Teleologie des historischen Materialismus ablehnt, ohne die politische Ökonomie zu ignorieren: „For libertarians free association, horizontality and mutual aid, communes, networks and confederations are seen as tools and strategies to overcome not only class and class exploitation, but oppression as a whole (including racism, patriarchy, and so on)“ (Lopez de Souza 2010: 327, Herv. i. O.). Mark Purcell (2003) diskutiert das Recht auf Stadt im Zusammenhang mit einem neu aufkommenden Verständnis von Citizenship, das sich in Abgrenzung zum liberaldemokratischen Verständnis in verschiedenen Protestbewegungen seit Seattle, Genua und Montreal als eine Kritik der dominanten kapitalistischen politökonomischen Ordnung abzeichnet. Er kritisiert ebenfalls die oberflächliche Lesart von Lefebvres Recht-auf-Stadt-Konzept, was dazu führe, dass dessen revolutionärer Gehalt dabei vernachlässigt werde. Purcell vertritt die Position, dass Lefebvres Überlegungen zum Recht auf Stadt und zur Produktion des Raumes bereits eine genuin politische Dimension und Reformulierung politischer Entscheidungen implizieren würden, welche die globalen und lokalen Restrukturierungen des Verhältnisses zwischen Staat und Wirtschaft sowie die damit verbundenen Reskalierungen des Regierens adressiert (vgl. Purcell 2003: 568ff. sowie Purcell 2002: 100ff.). Das Verständnis von Citizenship werde dabei rekonzeptualisiert und radikalisiert. Das Recht-auf-Stadt-Framework ermöglicht eine alternative Vision von sozialen und politökonomischen Beziehungen in der Stadt, die genuin über eine „kapitalozentristische Ausrichtung“ (Gibson-Graham 2006) hinausweisen: „The idea that inhabitants have a right to control their everyday life extends beyond the city and can be applied to inhabitants in all geographical contexts. It opens the door to a new citizenship and a new politics in which the decisions that produce space are made through deliberation among inhabitants, rather than through negotiation between capital and state. Such a politics doesn't necessarily guarantee a more just political economy. It does, however, point to a more democratic politics in which the current control of capital is undone, and a vibrant debate among inhabitants engages fundamental questions about the structure and purpose of global political economy.“ (Purcell 2003: 583f.)
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Ähnlich wie Lopez de Sousa und Purcell argumentiert auch Andy Merrifield, der kritisch darauf hinweist, dass das Recht auf Stadt einen zu weiten Bogen spannt, aber gleichzeitig zu eng für verallgemeinerte Protestmobilisierungen sei: „The right to the city quite simply isn't the right that needs articulating. It's too vast because the scale of the city is out of reach for most people living at street level; and it's too narrow because when people do protest, when they do take to the streets en masse, their existential desires frequently reach out beyond the scale of the city, and revolve around a common and collective humanity, a pure democratic yearning.“ (Merrifield 2011: 473)
Merrifield betont darauf aufbauend die Potenziale einer eher libertären transformativen Perspektive, die über rechtliche Forderungen und eine entsprechende Interpretation des Rechts auf Stadt hinausgeht. Dies sei konzeptionell ebenfalls schon an anderer Stelle bei Lefebvre in der „Kritik des Alltagslebens“ (2014) angelegt. Eine ‚Politik der Begegnung‘ (politics of the encounter) könne eher dazu beitragen, Solidarität zwischen verschiedenen Akteur*innen mit Ausgrenzungserfahrungen zu schaffen und passive durch aktive Affekte ersetzen (vgl. Merrifield 2011: 473ff.). Grundlegend sei dafür der Wunsch, demokratisch miteinander zusammenzuleben. Dieser könne in den alltäglichen Erfahrungen sozialer Beziehungen zu Affinitäten führen, die auf ein Anrufen von Menschenrechten oder das Recht auf Stadt verzichten könnten: „Politics of the encounter is potentially more empowering because it is politically and geographically more inclusive [and] utters no rights, voices no claims“ (Merrifield 2011: 474). Merrifield beschreibt diese Momente politischer Möglichkeiten und des affektiven Zusammenkommens in Kairo, Tunis oder New York als Formen (a) einer körperlichen Inbesitznahme von urbanem Raum durch „strong-tie offline face-to-face activism“ wie Besetzungen und Demonstrationen und durch (b) „posturbanen weak-tie online activism“ und virtuelle Netzwerke wie Twitter und Facebook (vgl. Merrifield 2011: 474). Die räumliche Dimension spiele stets eine entscheidende Rolle für politische Momente des Zusammentreffens. Aber Merrifield (2011: 475, Herv. i. O.) geht über den physischen Raum hinaus, wenn er betont: „it’s not in space that people act: people become space by acting.“ Dennoch müsse anderseits festgehalten werden, dass Politiken des Zusammentreffens, immer an einen räumlichen Treffpunkt gebunden sein werden: „It will always be an illicit rendezvous of human bonding and solidarity, a virtual, emotional and material topography in which something takes hold, something disrupts and intervenes in the parallelism, in the paralysis“ (Merrifield 2013: 475). Henrik Lebuhn (2014) weist darauf hin, dass sich in den letzten Jahren eine Tendenz in den sozialen Bewegungen hin zu einem „Right through the City“
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(Nicholls/ Vermeulen 2012) entwickelt hätte, in der sich städtischer Protest nicht auf die urbanen lokalen Problemlagen beschränkt, sondern darüber hinaus gehe: „In diesem Sinne speisen sich Right-through-the-City-Proteste zwar aus urbanen Netzwerken, Institutionen und Akteurskonstellationen, sind jedoch eng mit anderen Politikebenen verschränkt. Vor allem mobilisieren sie für eine Agenda von regionaler, nationaler oder gar globaler Bedeutung. Dabei erweist sich der Stadtraum mit seinem dichten und heterogenen Geflecht an Initiativen und Organisationen, mit ‚kurzen Wegen‘ und der Möglichkeit zur Faceto-Face-Kommunikation gerade für schwach institutionalisierte und ressourcenarme Akteure (sic!) sowie für die Entstehung neuer Netzwerke und Bündnisse als höchst funktional. (Lebuhn 2014: 486, Herv. i. O.)
Hierbei wird, ähnlich, wie bei den zuvor beschriebenen Ansätzen, Stadt sowohl als eine prädestinierte Arena für politische Auseinandersetzungen und Mobilisierungen beschrieben, die hauptsächlich über die Dichte von Akteur*innen und symbolischen Orten von politischer Relevanz ist, als auch durch verdichtete politökonomische Widersprüche. Entlang der Fallstudien in Berlin und New York zeige ich auf, inwiefern sich diese Tendenz und Ausprägung städtischer Proteste weiterentwickelt und schlage zudem vor eine nähere Bestimmung der konkreten Ausprägung als Demokratisierungsbewegung zu treffen (vgl. Kap. 7.3). Im Folgenden werden die unterschiedlichen Beschreibungsfolien städtischer sozialer Bewegungen zwischen Ausrichtung auf Ökonomie oder Politik diskutiert.
2.3
NEOLIBERALE URBANISIERUNG UND ÖKONOMISCHE KRISE(N)
Seit den späten 1990er Jahren bilden die lokalen Auswirkungen der Globalisierung auf den städtischen Raum sowie Raumpolitiken unter dem Aspekt der Neoliberalisierung den Gegenstand der Forschung (vgl. Brenner/Marcuse/Mayer 2012: 2ff.). Die Neoliberalisierungsthese bestimmt dabei den konzeptuellen Rahmen zur Beschreibung stadtpolitischer Widersprüche und städtischer sozialer Bewegungen. Wie nun gezeigt wird, bringt das eine Reihe von heuristischen Vorteilen, allerdings auch einige Schwierigkeiten mit sich, die vor allem in der epistemologischen Fundierung im kritischen Materialismus liegen. Ausgangspunkt bildet die grundsätzliche Charakterisierung neoliberaler Urbanisierung als wirkungsvolle interventionistische politische Reformprojekte, die sich in unterschiedlichen Kontexten und auf verschiedenen Ebenen ausmachen lassen. Neoliberaler Urbanismus wird charakterisiert durch die Ökonomisierung der Politik bei gleichzeitiger Tendenz zur Universalisierung, die sich über den kommodifizierenden Zugriff auf den urbanen Raum
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und die Gestaltung des Urbanen auf das gesamte Leben ausweitet (vgl. Brenner/Schmid 2013, Peck et al. 2011, Harvey 2005a, 2005b, Mayer/Künkel 2012, Mayer 2016, Merrifield 2013). Als entscheidende Charakteristika des derzeitigen neoliberalen Urbanismus wird eine Wachstumsorientierung, unternehmerische Governance, Privatisierung und soziale Polarisierung herausgestellt, die als Erklärungsfolie städtischer sozialer Bewegungen dienen (vgl. Mayer 2016: 64ff.). Dies bereitet sowohl den Boden für radikaldemokratische emanzipatorische Protestbewegungen (vgl. Harvey 2012a, 2012b, Purcell 2013b, 2013c, Vollmer/Scheller 2018, Vey 2015), als auch für antidemokratische autoritäre Protestbewegungen (vgl. Brown 2015, Rancière 2014). 2.3.1
Neoliberalismus, Neoliberalisierungen und politische urbane Ökonomie
‚Neoliberalismus‘ und ‚Neoliberalisierung‘ sind zu Schlüsselbegriffen der kritischen Stadtforschung geworden. Sowohl in der materialistischen als auch in der diskurstheoretischen Fassung wird die Implementierung von Ökonomisierungen in derzeitige politische Strukturen als grundsätzliche Neuordnung des Urbanen beschrieben. Die Schwerpunktsetzung der theoretischen Debatte changiert zwischen Ideologiekritik und der Beschreibung von Neoliberalisierung als fortlaufender, sich wandelnder Prozess. Städte spielen dabei eine entscheidende Rolle, insbesondere im Ausloten des politischen Verhältnisses von Staat und Markt. Zwischen Ideologie und Prozess Neoliberalismus wird verstanden als globales, strukturgebendes politisches Reformprojekt, das sich entlang von Krisen zu verschiedenen Zeiten erfolgreich hegemonialisieren konnte (Harvey 2007a, Peck/Tickell 2002). Konkrete Neoliberalisierungen werden zuvorderst über lokale Interventionen in Krisen realisiert (Brenner/Theodore 2002) und so immer stärker in allen möglichen alltäglichen Lebensbereichen verankert (Brenner et al. 2010). Neoliberalismus schreibt sich als hegemoniales strukturgebendes Projekt demnach tief mit seinen Bestimmungsmerkmalen in lebensweltliche Bereiche und somit in unsere Weltsicht ein: „Neoliberalism has, in short, become hegemonic as a mode of discourse. It has pervasive effects on ways of thought to the point where it has become incorporated into the commonsense way many of us interpret, live in, and understand the world. The process of neoliberalization has, however, entailed much ‚creative destruction’, not only of prior institutional frameworks and powers (even challenging traditional forms of state sovereignty) but also of divisions of labour, social relations, welfare provisions, technological mixes, ways of life and
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thought, reproductive activities, attachments to the land and habits of the heart.“ (Harvey 2007a: 3)
Dabei kommt das Diktum der „schöpferischen Zerstörung“ (Schumpeter 2005) als ein basales Prinzip des derzeitigen neoliberalen Kapitalismus zum Tragen, das nunmehr verstärkt auf die Neuausrichtung und Restrukturierung des urbanen Raumes gerichtet ist, „to create a social and physical landscape in its own image and requisite to its own needs at a particular point in time, only just as certainly to undermine, disrupt and even destroy that landscape at a later point in time“ (Harvey 2001: 333). Laut Peck und Tickell (2002: 33) wird allerdings erst mit einem Blick auf die diskursiven Produktionsmechanismen ersichtlich, wie der Neoliberalismus so erfolgreich wie kaum eine andere politische Reformanstrengung den städtischen Raum und die politischen Entscheidungsstrukturen und das Regieren in seinem Sinne transformieren konnte (vgl. auch Larner 2000). Sowohl der Neoliberalismus als globales politisches Projekt als auch die konkreten lokalen Neoliberalisierungen bilden den konzeptuellen Rahmen für die Fundierung städtischer sozialer Bewegungen als gegenhegemonial (vgl. Brenner et al. 2010). Demnach gründen die Protestartikulationen in den widersprüchlichen ökonomischen de- und reregulativen Interventionen in wohlfahrtsstaatliche Politik und das Regieren, die das effizienz- und optimierungsgeleitete Paradigma auf alle möglichen Lebensbereiche anwenden. Die konfliktgeladene, widersprüchliche Matrix der krisenhaften, neoliberalisierten, postfordistischen Stadt wird als Auslöser für stadtpolitische Proteste begriffen. Durch breit angelegte, gewinnorientierte Stadtentwicklungsprozesse und gleichzeitige Austeritätsmaßnahmen sind weit mehr Menschen von Ausschlüssen und Verdrängung betroffen als noch vor einigen Jahrzehnten in der fordistischen Stadt. Der urbane Raum wird in vielen Metropolen zu einem knappen Gut, der für neue Kapitalanlagemöglichkeiten erschlossen wird, während die Mieten weiter steigen, die Löhne größtenteils stagnieren und Kürzungen in sozialstaatlichen Sicherungssystemen fester Bestandteil der politischen Agenda geworden sind. Diese strukturellen politökonomischen Prekarisierungen betreffen die alltäglichen existenziellen Erfahrungen und damit die unmittelbare Lebenswelt einer wachsenden Zahl von Stadtbewohner*innen. Die kollektive Prekarisierungs- und Exklusionserfahrung macht die affektive Dimension des Protests aus. Auf einer diskursiven Ebene ist dieser Erfahrungshorizont gleichsam geprägt durch Ausschließungen und Delegitimierungen kritischer Stimmen hinsichtlich der symbolischen Produktion einer alternativen Stadt jenseits des neoliberalen Nexus (vgl. Butterwegge et al. 2008). Städtischer Protest erscheint hier nur als Reaktion auf die politökonomischen Strukturen, hauptsächlich als Störung und Irritation der hegemonialen Ordnung. In solchen Beschreibungen drohen allerdings die alltäglichen subversiven Praktiken,
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Visionen und das zugehörige Scheitern aus dem Blick zu geraten. Analog zur „Kritik am Kapitalozentrismus“ (Gibson-Graham 2006, Sauer 2016: 61, Vey 2015: 178) kann angemerkt werden, dass eine überdeterminierende, holistische und totalisierende Konzeptionalisierung den Neoliberalismus ins Zentrum setzt und den Protest marginalisiert. Die Ontologie der eigenen Episteme und eine diskursive Mitkonstitution der kritisierten Strukturen wird vernachlässigt (vgl. Gibson-Graham 2006: 4). Dies wird besonders deutlich in Harveys These von Neoliberalisierung als derzeitig hegemonialer Modus politischer Ökonomien, der sich in zyklisch auftretenden Krisen des Kapitalismus stabilisiert. Opposition von Staat und Markt Harvey beschreibt eine „urbane politische Ökonomie“ (2005a, 2007a, 2007b, 2012a, 2017), die durch massive Umstrukturierungen urbaner Räume vor dem Hintergrund zyklisch auftretender ökonomischer Krisen des Kapitalismus charakterisiert ist und in deren inhärenten Widersprüchen die Protestursachen zu verorten sind (vgl. auch Wiegand 2012). Demnach folgen derzeitige Stadtentwicklungsstrategien einem gemeinsamen Muster und konzentrieren sich zuvorderst auf das Städtische als Konjunkturmotor im Kontext kapitalistischer Überakkumulation (vgl. Harvey 2003, 2005b). Gegenstand staatlicher und unternehmerischer Anstrengungen ist die Bindung von Kapital und Arbeit in groß angelegten städtischen Bauprojekten zur Krisenstabilisierung durch Urbanisierungsprozesse. Stadtplanung von Oben verfolgt demnach zu allererst das Ziel neue Investitions- und Anlagemöglichkeiten durch kleine und große Bauprojekte zu schaffen. Hierbei stehen zuvorderst Akkumulationsprozesse im Fokus, die sich in der gebauten materiellen Umwelt manifestieren (vgl. u.a. Harvey 2007b, 1989). Gesellschaftliche Transformationsprozesse, in denen die politökonomische Praxis reorganisiert wird, vollziehen sich in zweiter Instanz in Diskursen, die als kontingente Produkte dieser sich wandelnden Akkumulationsprozesse und als vermittelnde Elemente zwischen Ökonomie und Staat verstanden werden (vgl. Harvey 2007a: 3).8 Dabei kommt dem Staat schließlich die primäre Aufgabe zu die politische und ökonomische Infrastruktur zu gewährleisten, sowie starke Privateigentumsrechte, freie Märkte und freien Handel zu sichern und ansonsten Interventionen in den Markt möglichst zu minimalisieren (vgl. Harvey 2007a: 2).
8
Christian Schmid (2005: 306) kritisiert Harvey in seiner zweidimensionalen BasisÜberbau-Logik, der er Lefebvres dreidimensionale Dialektik der Produktion des Raumes gegenüberstellt (vgl. auch Kap. 3.2.3). Die vorliegende Arbeit schließt sich der Kritik einer ökonomisch-materialistischen Fundierung an und verfolgt hingegen eine diskurstheoretische Operationalisierung der Raumtriade (vgl. Kap. 3.2.3).
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In den vergangenen ökonomischen Krisen haben Städte eine zentrale Rolle gespielt, sowohl zur Stabilisierung durch groß angelegte Bauprojekte als auch zur Vertiefung des neoliberalen Reformprojekts (vgl. Brenner et al. 2010, Harvey 2015). Dafür ist die politische Ausrichtung und Beschränkung staatlichen Handelns auf die Schaffung neuer Märkte mit einer Politik der ‚Akkumulation durch Enteignung‘ (accumulation by dispossession) entscheidend (vgl. u.a. Harvey 2005b). Demnach werden einerseits überschüssiges Kapital und Arbeitskraft hauptsächlich in urbanen Großprojekten aufgefangen und anderseits schrittweise staatliche und suprastaatliche Umstrukturierungen hin zu einem neoliberalen Staat durchgesetzt. Diese politökonomische Strategie begünstigt vor allem die Zentralisierung von Reichtum und Macht in wenigen Händen und sei somit als ein Bestandteil eines „Sets räuberischer urbaner Methoden“ in einem „Klassenkampf von oben“ zu verstehen (vgl. Harvey 2012b: 53ff.), einhergehend mit der schrittweisen Durchsetzung eines „austerity urbanism“ (Peck 2012). Entgegen Harveys holistischer Perspektive setzen Brenner und Theodore (2002) am anderen Ende der Skala an und arbeiten heraus, inwiefern neoliberale Reformprojekte eines „actually existing neoliberalism“ in konkreten lokalen Kontexten etabliert werden und zunächst zu einer Neuausrichtung und Formierung politökonomischer Räume im Kleinen beitragen. Mit einem auf die konkreten strukturellen und institutionellen Kontexte zielenden Fokus grenzen sie sich gegenüber ideologiekritischen Perspektiven auf Neoliberalisierung ab, wie sie bei Harveys Ansatz mitschwingen, und betonen „the contextual embeddedness of neoliberal restructuring projects insofar as they have been produced within national, regional, and local contexts defined by legacies of inherited institutional frameworks, policy regimes, regulatory practices, and political struggles“ (2002: 2, Herv. i. O.). Dabei wird deutlich, dass im Gegensatz zur Maximalforderung der neoliberalen Ideologie nach einem „befreiten Markt“ die Intensivierung regulatorischer Eingriffe durch staatliche Institutionen und Akteur*innen eine entscheidende Rolle spielt (vgl. Mayer 2016: 57ff., Peck et al. 2018). Es geht hier weniger um Deregulierung, als vielmehr um Reregulierung im Sinne einer „advanced liberal governance“ (Miller/Rose 2008) und eine Neuausrichtung und Formierung staatlichen Regierungshandelns unter ökonomischen Gesichtspunkten. Städte nehmen für diese reregulatorischen Eingriffe in die kapitalistischen Wettbewerbsformen und entsprechende Governanceregime eine besondere Stellung ein, als konkrete Arenen dieser institutionellen Neuausrichtung. Mit der beginnenden Krise des nordatlantischen Fordismus in den 1970er Jahren, so Brenner und Theodore (2002: 20), habe sich der urbane Raum verstärkt zum entscheidenden Scharnier zwischen Deregulierungs- und Austeritätspolitiken sowie als lokaler räumlicher Horizont zur Schaffung neuer Märkte zur Kapitalakkumulation entwickelt, die im Kern auf die Rekonfiguration einer ungleichen räumlichen Entwick-
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lung zielen. Charakteristisch für diese Entwicklung seien sowohl der Einsatz von Finanzmarktinstrumenten als auch eine fortlaufende Kommodifizierung städtischer Räume, die sich über nicht-lineare lokale Trial-and-error-Prozesse vollzieht und die davon ausgehend hochskaliert9 wird bis auf eine globale Ebene (vgl. Brenner/Theodore 2002: 28). 2.3.2
Protestursache neoliberale Urbanisierung
Das neoliberale Reformprojekt produziert durch „uneven development“ (Smith 2002) politökonomische Widersprüche und soziale Polarisierungen, die einen vielstimmigen Protest in unterschiedlichen Bereichen der Stadtentwicklung hervorrufen. Unternehmerische Stadtpolitiken, Stadtmarketing und Gentrifizierung stehen als zentrale politische Strategien und als Protestursachen im Fokus. Die Forschung zu städtischen sozialen Bewegungen widmet sich hauptsächlich veränderten politischen Strategien und Entscheidungsstrukturen hinsichtlich Konzeption, Gestaltung und Steuerung neoliberaler Urbanisierung (vgl. Holm/Gebhardt 2011, Holm 2014c, Brenner et al. 2012, Eckardt/Sánches 2015). Neoliberale politökonomische Paradigmen, Narrative und Diskurse bestimmen sowohl die Konturen lokalstaatlicher Handlungsspielräume und konkreter Governanceformen, als auch spezifische Subjektkonstitutionen in der unternehmerischen Stadt. Dies erfordert auch eine vermittelnde Perspektive zwischen politökonomischen, strukturalistischen und poststrukturalistischen Ansätzen (vgl. Mayer/Künkel 2012: 6). Ökonomisierung der Stadtpolitik Mit der „multiplen Krise der postfordistischen Stadt“ (Jessop 2000) seit den 1970er und frühen 1980er Jahren kam es zu einer Transformation städtischer Politiken und damit auch zu einer Neubewertung der Rolle des Städtischen unter politökonomischen Aspekten. „Unternehmerische Stadtpolitiken“ (Mollenkopf 1983, Harvey 1989), die zuvor bereits als ein Set politökonomischer Strategien neben anderen bestanden, wurden hegemonial (Brenner/Theodore 2002, Hall/Hubbard 1996: 153ff., Harvey 1989: 12, Jessop 1997). Aufbauend auf diesen Befund etablierte sich in den letzten beiden Dekaden das Konzept der ‚unternehmerischen Stadt‘ als analytischer und deskriptiver Rahmen für das Verständnis städtischer Umstrukturierungen: „[T]he city is being re-imagined – or re-imaged – as an economic, political, and cultural entity which must seek to undertake entrepreneurial activities to enhance its competitiveness
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Unter Skalen werden hier unterschiedliche räumliche Ebenen verstanden, auf die sich politökonomische Strategien und Handlungen fokussieren, wie beispielsweise die Stadt, eine Region oder auch ein Nationalstaat.
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[and] this re-imag(in)ing is closely linked to the redesign of governance mechanisms involving the city – especially through new forms of public-private partnership and networks“ (Jessop 1997: 17).
Hervorzuheben sind drei charakteristische Aspekte unternehmerischer Stadtpolitiken, die den konzeptuellen Rahmen aktueller Analysen städtischer sozialer Bewegungen bestimmen: Erstens orientiert sich Stadtpolitik an ökonomischen Gesichtspunkten und wird hauptsächlich auf Gewinnmaximierung und Wachstum ausgerichtet. Verwaltungen und Behörden werden umstrukturiert und agieren profitorientiert. Die Stadt wird wie ein Unternehmen geführt und orientiert sich primär an Effizienz und Wettbewerb. Einerseits wird städtischer Raum dabei zu einer zu kommodifizierenden Ressource gemacht, andererseits werden Stadtbewohner*innen zu Produzent*innen und Kund*innen. Zweitens geben die Stadtregierungen das Monopol der Stadtplanung auf und überlassen die Entscheidungen verstärkt privaten Planungsbüros. Öffentliche Flächen werden privatisiert und in Public-Private-Partnerships der Gestaltung durch Unternehmen übergeben. Öffentliche Mittel subventionieren oder finanzieren suprastaatliche, parastaatliche und private Planungen. Die Stadtregierung und verwaltung übernimmt nunmehr vorrangig die Aufgabe des Ausbaus der Infrastrukturen, der Gewährleistung des rechtlichen Rahmens und der Sicherheit sowie des Schutzes von Privateigentum. Gleichzeitig entwickelt sich das Narrativ der Stadtbewohner*innen als ‚aktive Bürger*innen‘ mit deren Privatinitiative gerechnet wird. Drittens befindet sich die Stadt als Wirtschaftsstandort im globalen Wettbewerb mit anderen Städten und Regionen um Investitionen und Ansiedlung von Unternehmen sowie die Anwerbung von hochqualifizierten Fachkräften. Als entscheidender Wirtschaftsfaktor und wachsender Markt gewinnt dabei der Tourismus an Bedeutung. Die Städte investieren hauptsächlich in sogenannte BrandingKampagnen und die Infrastruktur, um einerseits eine gezielte Aufwertung des urbanen Raumes zu betreiben und entsprechende Anreize zu schaffen, andererseits aber auch eine positive Identifizierung der Stadtbewohner*innen mit dem Image der Stadt zu stimulieren.10 Zum einen reduziert sich staatliche Regulation nunmehr auf das Gewährleisten der rechtlichen und materiellen Infrastrukturen für Investitionsprojekte. Zum anderen gewinnen durch eine unternehmerische Ausrichtung von Stadtplanung private Akteur*innen an politischer und planerischer Entscheidungsmacht. Dabei bilden 10 Kritische Auseinandersetzungen werden dabei unter anderem unter den Aspekten der „Festivalisierung“ (Häußermann/Siebel 1993) und zuletzt der „Touristifizierung“ (Wöhler 2011) geführt, die mittlerweile auch Gegenstand von Protest und Widerstand geworden sind (vgl. Colomb/Novi 2016).
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sich hinsichtlich der Planung und Gestaltung des urbanen Raumes neue Allianzen und Kooperationen zwischen unterschiedlichen Akteur*innen in der Stadt aus: „The power to organize space derives from a whole complex of forces mobilized by diverse social agents. It is a conflictual process, the more so in the ecological spaces of highly variegated social density. Within a metropolitan region as a whole, we have to look to the formation of coalition politics, to class alliance formation as the basis for any kind of urban entrepreneurialism at all.“ (Harvey 1989: 6)
Ein heterogenes Ensemble von Akteur*innen aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft verfolgt das gemeinsame Ziel die Stadt international wettbewerbsfähig zu machen. Dies beschränkt sich nicht nur auf die Restrukturierung politischer und ökonomischer Entscheidungsstrukturen, sondern zielt auch auf eine „politische Ökonomie des Ortes“ und die spezifische Konstruktion eines Images und einer Vorstellung der Stadt, die eine positive Identifizierung und Zugehörigkeit hervorruft (vgl. Harvey 1989: 8ff., Greenberg 2008, Schipper 2013). Im Zentrum stehen, mit Beschreibungen der „global city“ (Sassen 2001) und der „Stadt als ökonomischer Standort“ (Heeg 1998), Diskurse um Aufwertung und Ausbau städtischer Potenziale, eine notwendige Anpassung an kompetitive Globalisierungsprozesse. Das verweist auf eine grundsätzliche Verschiebung des ‚Primats der Politik‘ hin zum ‚Primat der Ökonomie‘ (vgl. Brenner 2004: 265). Ein grundlegender Wandel „von lokalen Politikformen, Problemdefinitionen und Aufgabenwahrnehmungen durch den lokalen Staat“ (Heeg/Rosol 2007: 493), eine „radikale Redefinition des städtischen Raumes nach ökonomischen Kriterien“ (Lebuhn 2007: 529) prägen die unternehmerische Stadt maßgeblich. Damit wird gewissermaßen auf die diesem Paradigmenwechsel immanente postdemokratische Dimension verwiesen, augenscheinlich im Crouch’schen Sinne wonach sich im fortschreitenden Prozess neoliberalisierender Ökonomisierung und Polarisierungen der Politik ein Übergang von Demokratie zur Postdemokratie abzeichnet (vgl. Kap. 2.4.1). Solcherlei Befunde zu unternehmerischen Stadtpolitiken beschreiben Verbindungen zwischen Politik und Ökonomie als ursächlich für Entdemokratisierungsprozesse. Unternehmerische Regierungsformen implizieren eine exkludierende und polarisierende Politik, die nicht nur eine ‚new urban underclass‘ produziert, sondern die auch eine grundlegende Trennung zwischen sozialer Gerechtigkeit und demokratischen Strukturen legitimiert. Die Hegemonie der Minorität und die damit verbundene soziale Ungleichheiten spiegeln sich auch in den territorialen Ungleichheiten.11 Dieser stadtpolitische Paradigmenwechsel beeinflusst die Rezeption der Stadt
11 Eine ähnliche Position vertritt auch Smith (1996) mit der These einer revanchistischen Stadtpolitik (vgl. Kap. 2.3.2).
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und seiner Bewohner*innen auf einer existenziell-affektiven Ebene und rechtfertigt soziale Fragmentierungen: „These changes are being felt at the level of experience, as the new urban politics forge a new cultural politics of identity at the urban level, changing the ways in which the peoples of the city see themselves and others. New group factions and interests are being thrown up as entrepreneurial policies exacerbate existing social divisions in the interests of the minority.“ (Hall/Hubbard 1996: 169)
Hierbei ist die Bedeutung diskursiver Strukturen in den Erzählungen der unternehmerischen Stadt und Region mit Blick auf die Grundlagen des Hegemonialwerdens von ‚Wettbewerbsfähigkeit‘ und ‚Wachstum‘ als zentrale stadtpolitische Parameter hervorzuheben: „The entrepreneurial city or region has been constructed through the intersection of diverse economic, political, and socio-cultural narratives which seek to give meaning to current problems by construing them in terms of past failures and future possibilities.“ (Jessop 1997: 3) Die Vermittlung der Relation von fiskalen und rechtlichen Zwängen wie auch das Erwirken einer aktiven Zustimmung der Stadtbewohner*innen prägt den stadtpolitischen Kurs (vgl. Schipper 2013). Der Fokus auf die diskursiven Strategien, widersprüchliche stadtpolitische Entscheidungen in konsensuellen Verfahren zu legitimieren, schärft den Blick auf die symbolische Dimension unternehmerischer Stadtpolitiken (vgl. Jessop 1997, Glasze/Mattissek 2009, Schipper 2013). Wenngleich sich unternehmerische urbane Governanceregime auch demokratisch geben, spiegeln sie den ungleichen Zugang zu politischen Entscheidungen und die privilegierte Position von unternehmerischen Akteur*innen. Dennoch bleiben auch unternehmerische Stadtpolitiken stets prekär in ihrer hegemonialen Position (vgl. Hall/Hubbard 1996: 165). Die Überzeugungskraft der am Markt orientierten Politiken und Diskurse ist ausschlaggebend für die Zustimmung der Stadtbewohner*innen, steht aber zunehmend im Widerspruch zu deren alltäglichen Erfahrungen und Bedürfnissen. Für die Herstellung positiver Bezugnahmen auf die Stadt spielt derzeit das so genannte „City Branding“ eine entscheidende Rolle. Stadtmarketing und Gentrifizierung sind die zwei Seiten der Medaille unternehmerischer Stadtpolitiken, in denen sich ein Prozess der Ökonomisierung und Entdemokratisierung kulturell und politökonomisch vollzieht. Kreative Stadt – Imageproduktion und Widersprüche Die Stadt selbst zu einer Marke zu machen ist ein Konzept, das auf den Paradigmenwechsel zu unternehmerischen Stadtpolitiken aufsattelt und sich in einem Prozess der „Selbstkulturalisierung der Stadt“ (Reckwitz 2013: 269ff.), also einer kulturorientierten Ausrichtung städtischer Politiken unter neoliberalen Gesichtspunk-
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ten vollzieht. Demzufolge kann von einem Paradigmenwechsel in einem doppelten Sinne gesprochen werden – von neoliberalen Kulturalisierungen sowie kulturellen Neoliberalisierungen. Denn in einer „kulturorientierten Gouvernementalität“ (Reckwitz 2009) bedingen sich Top-down- und Bottom-up-Strategien aktueller unternehmerisch ausgerichteter Stadtpolitiken wechselseitig. Charakteristisch ist dabei die erfolgreiche Kooption und Kommodifizierung gegenkultureller Codes städtischer sozialer Bewegungen in Brandingkampagnen (vgl. Scharenberg/Bader 2009: 331, Novy/Colomb 2012, Fraeser 2016, Mayer 2011: 64). Als Bezugsrahmen für innovative Stadtplanung und grundlegende Verschiebungen hin zu ‚creative industries‘ und ‚creative class‘ als primäre Adressat*innen städtischer Entwicklungsprozesse gilt derzeit hauptsächlich das Konzept der ‚creative city‘ (vgl. Landry 2000, Florida 2002). Die postindustrielle Stadt wandelt sich von der funktionalen fordistischen Ausrichtung hin zu einer an Wissen und Dienstleistungen orientierten Ökonomie, die Kreativität als zentrale Quelle für Fortschritt und Wohlstand ins Zentrum stellt (vgl. Reckwitz 2013: 274ff.). Die ‚kreative Stadt‘ als hegemoniales Leitbild für aktuelle Stadtentwicklungen hat sich als ein strategisches Instrument einer am ökonomischen Wachstum orientierten unternehmerischen Stadtpolitik global etabliert und ist als solches weiter entwickelt worden (vgl. Florida 2012, Landry 2006).12 Affirmative Forschung zur ‚kreativen Stadt‘ betont vor allem die kreativen Potenziale aller Stadtbewohner*innen und als inklusive Möglichkeitsräume einer Standortkonkurrenz: „[A] city should not seek to be the most creative city in the world (or region or state) – it should strive to be the best and most imaginative city for the world. This one change of word – from ,in‘ to ‚for‘ – has dramatic implications for a city’s operating dynamics. It gives citymaking an ethical foundation. It helps the aim of cities becoming places of solidarity, where the relations of the individual, the group and the outsider to the city and the planet are in better alignment. These can be cities of passion and compassion.“ (Landry 2006: 1)
Positive Visionen der ‚kreativen Stadt‘ antizipieren inkludierende Effekte auf das urbane Leben, sowohl für die ökonomischen als auch die sozialen Beziehungen. Die Entwicklungen der letzten Jahre zeigen, dass vor allem die prognostizierte Anziehungskraft und das Wachstumsversprechen der ‚kreativen Stadt‘ zum entscheidenden Motor unternehmerischer Stadtpolitiken geworden sind. Allerdings bleiben die ökonomischen und sozialen Vorzüge dieser Entwicklung einigen wenigen Stadtbewohner*innen vorbehalten, was die politökonomische Polarisierung weiter verschärft (vgl. u.a. Peck 2005, Zukin 2009, Florida 2017).
12 Mittlerweile gibt es mit der ‚smart city‘ und ‚green city‘ weitere Konzepte zur Ausrichtung stadtpolitischer Entwicklungsstrategien.
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Die Vokabulare einer ‚kreativen Stadt‘ liefern nicht nur ein ökonomisches Set an Entwicklungsstrategien, sondern implementieren gleichsam einen begrifflichen Deutungsrahmen, der progressive und emanzipatorische Konzepte aus der Gegenkultur wie ‚Freiheit‘, ‚Autonomie‘ und ‚Kreativität‘ kooptiert (vgl. Boltanski/ Chiapello 2003, Reckwitz 2013, Kuhn 2014).13 Stadtmarketing ist nicht nur als Ausdruck eines intentionalen Handelns zu verstehen, sondern als Bestandteil eines weitreichenden gesellschaftlichen Wertewandels hin zu einer Ökonomisierung der Stadtentwicklungspolitik (Mattissek 2008: 12f.). Es handelt sich um einen konsensuell ausgerichteten Prozess, der verschiedenste Akteur*innen mit einbeziehen und ‚aktivieren‘ möchte, von der Ebene des überzeugten individuellen unternehmerischen Handelns bis hin zu einer globalen makroökonomischen Ebene. Dies wirft jedoch gerade Fragen zum demokratischen Selbstverständnis und der tatsächlichen Teilhabemöglichkeiten der verallgemeinerten ‚kreativen Stadtbewohner*innen‘ auf. ‚Urbanes Rebranding‘ hat meist seinen Ursprung in fiskalen Krisen und spielt für die Durchsetzung unbeliebter Reformen und die Kohäsion verschiedener Akteur*innen, Vorstellungen und Interessen eine strategische Rolle (vgl. Greenberg 2008, Mattissek 2008). Für New York heißt es beispielsweise: „Thus marketing and PR have served in the formation of private-sector-led ‚crisis regimes,‘ the imposition of harsh ‚austerity‘ measures, and the suspension of forms of democratic oversight that, it is argued, would impair the executive branch in an ‚emergency‘ situation.“ (Greenberg 2008: 20, Herv. i. O.) Genau in dieser Ambivalenz und Widersprüchlichkeit liegen jedoch auch Potenziale der Subversion und des Widerstandes in City-Branding-Prozessen, die sich nicht zuletzt hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit und Höhe der Ausgaben von Imagekampagnen und Ausgaben im sozialen Sektor äußern (vgl. Cronin/Hetherington 2008: 9f.).14
13 Mit Blick auf die Konstruktion einer Brandingstrategie erscheint das Konzept der ‚Exzeptionalisierung‘ als hilfreiches heuristisches Instrument zur Untersuchung des Creative-city-Framings. Darunter ist ein Set diskursiver Strategien der symbolischen Produktion eines konkreten Mehrwertes einer Stadt gegenüber anderen zu verstehen. Die „exceptional city“ steht dabei für die paradigmatische Ausrichtung stadtentwicklungspolitischer Entscheidungen am Wettbewerb um Investitionen und um den Zuzug der kreativen Klasse, die Protest über ihre Exklusivität und einhergehende Exklusionsversprechen generiert (vgl. Scheller 2015). 14 Eine der teuersten Imagekampagnen fällt zusammen mit massiven Kürzungen im sozialen Bereich, was für eine der größten Demonstrationen und Counter-branding-Aktionen sorgt. Um den Parteitag der Republikaner 2004 in New York kamen circa eine Million Protestierende zusammen, die Symbole der Image-Kampagnen aufnahmen und in spektakulären Aktionen ironisierten und umdeuteten (vgl. Greenberg 2008: 36).
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Für aktuelle städtische Protestartikulationen lässt sich an dieser Stelle festhalten, dass hegemoniale Verschiebungen zum Bild und der Vorstellung von unternehmerischer Stadtentwicklung zu untersuchen sind. Werden Spannungsfelder, Widersprüche und Konflikte als diskursive Strukturen verstanden, die sich im und um Stadtmarketing ausmachen lassen in denen sich sowohl konkurrierende Deutungsansprüche als auch lokale Besonderheiten ausdrücken, dann wäre zu klären, ob und wie städtische soziale Bewegungen diese symbolische Dimension der Stadtproduktion in ihren Protestartikulationen aufnehmen, Alternativen formulieren und diese den bestehenden profitorientierten Strategien entgegen stellen (vgl. Kap. 5.3). Gentrifizierung zwischen sozialer Mischung und Polarisierung Es wurde bereits gezeigt, inwiefern Stadtmarketing im Zusammenhang mit unternehmerischen Stadtpolitiken als diskursives Instrument derzeitiger neoliberalisierter Stadtentwicklung zu verstehen ist. Gentrifizierung hingegen beschreibt in erster Linie die schrittweise strategische physische Aufwertung und Inwertsetzung von bestimmten Nachbarschaften und ganzen Stadtvierteln sowie einen damit zwangsweise verbundenen Austausch der Bevölkerung in diesen Gebieten. In Abgrenzung zur euphemistischen Typologie von Sanierungsprogrammen steht Gentrifizierung für Prozesse der ökonomischen Aufwertung von innerstädtischen Quartieren und stellt diese in den Zusammenhang klassenbasierter Verdrängungsdynamiken von Arbeiter*innenhaushalten aus ihren angestammten Nachbarschaften im Zuge einer „Invasion der besserverdienenden Mittelklasse“ (Glass 1964: xviii), durch „middle class homebuyers, landlords and professional developers“ (Smith 1982: 139). Zahlreiche Studien untersuchen die ökonomischen, sozialen und kulturellen Dimensionen von Gentrifizierung als Aspekt von Stadtentwicklung und bestimmen diese Prozesse als primäre Auslöser städtischen Protests sowie als kritisches Framework stadtpolitischer Protestartikulationen. Einerseits einer materialistischen und andererseits einer kulturellen Logik folgend bildeten sich seit den späten 1970er Jahren zwei Erklärungsansätze von Gentrifizierung heraus. In der vorliegenden Arbeit soll eine vermittelnde Perspektive verfolgt werden, die den vermeintlichen Dualismus zwischen Struktur und Subjekt umgeht und Gentrifizierung in ihrer Multidimensionalität begreift (vgl. Clark 1992, Hamnet 1991, Holm 2010, Lees 1994, Zukin 1989). Für das Verständnis der politökonomischen Dimension von Gentrifizierung ist die Rent-Gap-Theorie richtungsweisend (vgl. Clark 1987, Gale 1984, Smith 1979, 2008, Hamnett 1973, 1984, Lees 1994), die Gentrifizierung über Investitionsanreize und Profitinteressen erklärt. Gentrifizierung wird demnach dann profitabel, wenn die Ertragsspanne zwischen der aktuellen und der zu erwartenden Grundrente ein lukratives Maß erreicht, was Investitionen in die Sanierung und den Neubau von Wohnraum und Infrastruktur rechtfertigt. Diese Ertragslücken sind die mikroöko-
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nomischen Hebel, die für die Aufwertungsdynamiken in vernachlässigten Vierteln ausschlaggebend sind (vgl. Holm 2010: 25).15 Ein subjektwissenschaftlicher Ansatz beschreibt hingegen das Aufkommen einer ‚neuen Mittelklasse‘, deren Lebensstile und kulturellen Konsumptionsbedürfnisse als entscheidender stadtpolitischer Faktor für Gentrifizierung identifiziert werden. Ende der 1970er Jahre ist sie die tragende Schicht der ‚Suburbanisierung‘ bei gleichzeitiger Ablehnung in linksliberalen Milieus. Seit Ende der 1980er Jahre ist die ‚neue Mittelklasse‘ für die so genannten Back-to-the-City-Bewegungen und die einhergehenden Aufwertungsprozesse der Städte entscheidend: „The new middle class has experienced remarkable growth in recent decades […]. At the same time a minority of the new class […] were selecting an inner-city residence, and contributing in gentrification in those districts“ (Ley 1994: 58).16 Die Mehrdimensionalität derzeitiger Gentrifizierungsprozesse drückt sich sowohl im Zusammenspiel von Investitionszyklen und Ertragslücken aus, als auch in der damit verbundenen kulturellen Logik der Aufwertung, die sich in der kontinuierlichen Kommodifizierung kulturellen Kapitals und in der Inwertsetzung von Subkultur äußert (vgl. Holm 2010: 20ff.). Mittlerweile hat sich Gentrifizierung als „neuer städtischer Mainstream“ in der Stadtentwicklung durchgesetzt, wobei Stadtregierungen sich bemühen Aufwertungsprozesse zu legitimieren (vgl. Holm 2014b). Die ‚soziale Mischung‘ ist hierbei Inbegriff der diskursiven Auseinandersetzungen um die Bedeutung und normative Bewertung von Gentrifizierung, in denen einerseits Politiker*innen und Verwaltungsbeamt*innen und anderseits städtische soziale Bewegungen um Deutungshoheit ringen. Ein Gentrifizierungsmainstream verdeutlicht zweierlei, zum einen die Wirkungsmächtigkeit als stadtpolitisches Tool ökonomisierender Restrukturierung und zum anderen die Wandlungsfähigkeit der Strategie ökonomischer und kultureller Aneignung und Kommodifizierung. Über die vier klassischen Phasen von Gentrifizierung (Zukin 1982)17 – Pionierphase, Aufwertungsphase, Ökonomisierungsphase
15 Aus einer Perspektive, die kulturelle Paradigmen, Konsumption und distinktive Wahlmöglichkeiten als ausschlaggebende Faktoren in der Gentrifizierungsforschung untersucht hat, wurde diese primär ökonomistische Position besonders wegen der Überbetonung struktureller Zwänge und der sich daraus ergebenden Abwesenheit von Handlungsfähigkeit kritisiert (vgl. Butler 1997, Caulfield 1994, Ley 1986, 1996, Rose 1984). 16 Kritisiert wurde dieser Ansatz vor allem wegen Schwierigkeiten in der Definition des Subjekts des ‚Gentrifiers‘ und der inhärenten Überdetermination der Subjektebene, wobei die strukturellen Gesichtspunkte von Gentrifizierung aus dem Blick gerieten (vgl. Smith 1982). 17 Zum Phasenmodell der Gentrifizierung vgl. auch Berry (1985), Clay (1979), Friedrichs (1996) oder Rose (1996).
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und Verdrängungsphase – hinaus gibt es nun „Super-Gentrifizierung“ (Lees 2003), „Neubau-Gentrifizierung“ (Davidson/Lees 2005, Schipper/Wiegand 2015) und „Disaster-Gentrifizierung“ (Glück 2013, Lees et al. 2008: 173, Marcuse 2012). Dies spiegelt sich auch in der Zusammensetzung städtischer Protestbewegungen wider, die heterogener und breiter und nun auch wesentlich mittelstandsgetragener sind (vgl. Mayer 2011). Das Ringen um die Deutungshoheit ist nicht neu, denn spätestens seit den 1980er Jahren wird Gentrifizierung nicht mehr ausschließlich als kritischer Begriff verwendet, sondern stattdessen euphemistisch als Indiz für verbesserte Lebensbedingungen und eine erfolgreiche Stadtplanung umgedeutet, worin sich eine „Politik des Begriffes“ (Lees et al. 2008: 6) zeigt. Gentrifizierung galt lange Zeit als ein „dirty word“ (Smith 1996: 28) in der Stadtpolitik. Um den impliziten Klassencharakter des Begriffes zu umgehen wurde versucht, die negative Konnotierung umzudeuten (vgl. Lees et al. 2008: 6) oder es wurden vermeintlich ‚neutralere‘ Begriffe verwendet wie ‚Renaissance‘, ‚Revitalisierung‘, ‚Trendifizierung‘, ‚Upgrading‘, ‚Back-to-the-City-Bewegungen‘ (vgl. u.a. Holm 2010: 56). In aktuellen stadtpolitischen Diskursen ist verstärkt die Rede von ‚positiven Effekten der Gentrifizierung‘ oder gar von ‚positiver Gentrifizierung‘18, wobei Aufwertungsprozesse und der Zuzug von Menschen mit höheren Einkommen für eine ‚gesunde soziale Durchmischung‘ in vormals problematischen Quartieren sorgen und ‚Trickle-Down-Effekte‘ auch den weniger vermögenden Anwohner*innen zu Gute kämen (vgl. Butler 2003, Byrne 2003, Vigdor et al. 2002). Allerdings profitieren in den meisten Fällen nicht die bisherigen Bewohner*innen von den verbesserten Lebensbedingungen, sondern diese sind stattdessen gezwungen umzuziehen (vgl. Lees et al. 2010, Holm 2016). Erst ändern sich die Konsumangebote und schließlich steigen die Mieten über einen Punkt, der nicht mehr für Menschen mit geringen Einkommen bezahlbar ist. Neben empirischen Befunden, die einer These „positiver Gentrifizierung“ widersprechen, handelt es sich um ein Oxymoron, das die eigentliche Bedeutung des Wortes Gentrifizierung ad absurdum führt und auf die Verdrängung kritischer Perspektiven auf Gentrifizierung zielt (vgl. Slater 2006). Gentrifizierung tendiert als „new urban colonialism“ (Atkinson/Bridge 2005), „global urban strategy“ (Smith 2002) beziehungsweise „globaler Mainstream“ (Holm 2014b) zur Hegemonie. Als unternehmerisches Stadtentwicklungsinstrument wird sie derzeit nahezu als alternativlos präsentiert und dabei auch mithin als nicht aufzuhaltender Prozess beschrieben. Bemerkenswert sind die Dynamiken von Gentrifizierungsprozessen und der Einfluss eines Aufwertungsgebietes auf angrenzende
18 Ein Euphemismus, den der Zukunftsforscher Matthias Horx in Anwesenheit des Berliner Bürgermeisters Michael Müller in einem Vortrag zu Perspektiven der Stadtentwicklung verwendet (vgl. Friedrich-Ebert-Stiftung 2015).
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vernachlässigte Nachbarschaften: „Once this process of ‚gentrification‘ starts in a district, it goes on rapidly until all or most of the original working class occupiers are displaced, and the whole social character of the district is changed“ (Glass 1964: xviii, Herv. i. O). Diese Entwicklungen werden in einen direkten Zusammenhang mit derzeitigen städtischen Protesten gestellt. Am Beispiel von Berlin zeigt Holm (2010: 19), wie die in den letzten Jahren vollzogene Gentrifizierung mittlerweile den gesamten Innenstadtbereich erfasst hat. Als Konsequenz daraus kommt es täglich zu Zwangsräumungen, bezahlbarer Wohnraum ist ein knappes Gut geworden, wird teilweise zu Ferienwohnungen umgewandelt und sozialer Wohnungsbau ist quasi nicht mehr existent. Entsprechend vielseitig ist auch der Antigentrifizierungsprotest. Unterschiedliche Strategien und Praktiken zielen auf die ‚Deattraktivierung‘ von Nachbarschaften und die ‚Dekommodifizierung‘ der Wohnraumversorgung. Dabei bestehe nach wie vor die Gefahr, sich nur oberflächlich an den Ergebnissen von Gentrifizierung „wie neuen Kneipen und Läden […] abzuarbeiten oder vereinfachte Feindbilder von Yuppies, Schwaben (sic!) oder Tourist*innen zu bedienen“ (Holm 2010: 70). Solcherlei Stereotypisierungen essentialisieren, personalisieren und vereinzeln Gentrifizierung, wodurch einerseits deren strukturelle Dimension vernachlässigt und anderseits eine Kommunikation zwischen potenziellen Verbündeten im Widerstand gegen Verdrängung erschwert wird (vgl. Scheller 2015). 2.3.3
Gegen-Neoliberalisierung
Unternehmerische Stadtpolitiken, die damit verbundenen Privatisierungs- und Aufwertungsprozesse sowie eine systematische Verdrängung von einkommensschwächeren Stadtbewohner*innen an die Peripherie der Stadt werden als Ursachen eines sich ausweitenden städtischen Protestmilieus begriffen. Die sich ausbreitenden Aufwertungsmechanismen und flächendeckenden Spekulationen mit Wohnraum führen dazu, dass wesentlich heterogenere Milieus in ihrem Alltag von Verdrängung bedroht sind. Längst haben sich die kritischen Protestartikulationen aus den subkulturellen Kontexten gelöst, was in der Zusammensetzung von Nachbarschaftsinitiativen und Mieter*innenbewegungen und stadtweiten stadtpolitischen Netzwerken deutlich wird (vgl. Holm 2010: 67, Twickel 2011 Brenner et al. 2012). In Auseinandersetzung mit den konkreten Politiken innerhalb der dargestellten Dimensionen repolitisieren städtische soziale Bewegungen die Stadtentwicklungspolitik und ihre Instrumente aus unterschiedlichen Perspektiven und auf unterschiedlichen Skalen. Der Protest artikuliert sich genauso kleinteilig wie sich die Neoliberalisierungen vollziehen – im Haus bei einer Mietsteigerung, einer Zwangsräumung oder auch gegen die Privatisierung öffentlicher Plätze und gegen Großbauprojekte.
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Neoliberale Urbanisierungen und die neoliberalisierte Stadt bilden den zentralen Gegenstand und Knotenpunkt einer Vielzahl von Protesten und aufkommender rebellischer Subjektivitäten (vgl. Harvey 2012a, 2012b). In ihrer Analyse diskursiver Produktions- und Transformationsmechanismen des Neoliberalismus betonen Peck und Tickell die potenzielle Verletzlichkeit des neoliberalen Projektes. In Anlehnung an Michael Hardt und Antonio Negri (2000) kommen sie zu dem Schluss, dass dies gerade im Hinblick auf die steigende Bedeutung translokaler politischer Solidarität zwischen marginalisierten Gruppen entscheidend sei. Ausgehend davon wird eine Reihe von Imperativen formuliert: Erstens, analog zur Globalisierung des Neoliberalismus müssten sich Netzwerke des Widerstandes ebenso global entwickeln, um sich an den jeweiligen lokalen Schwachstellen der konkreten neoliberalen Projekte strategisch abzuarbeiten. Zweitens sei es angesichts der kontinuierlichen Hegemonie neoliberaler Eliten für den Widerstand entscheidend inwiefern Neoliberalismus explizit als politisches Projekt verstanden wird, das sich auf lokaler und globaler Ebene durchsetzt. Drittens müsse sich Protest daher an den intellektuellen und ökonomischen Eliten und Think Tanks abarbeiten und ebenso die Rolle des Staates in der Reproduktion des Neoliberalismus als fortlaufendes ideologisches Projekt berücksichtigen. Viertens sei schließlich das Schaffen lokaler Alternativen wichtig, wobei stets die Gefahr der Kooption bestehe, wenn nicht die global wirkenden Machtstrukturen als Ganzes herausgefordert werden (vgl. Peck/Tickell 2002: 54). Dabei verweisen Peck und Tickell auf ein potenzielles politisches Möglichkeitsfeld für Demokratisierungen, das sich aus den strukturellen Widersprüchen neoliberaler Urbanisierung abzeichnet: „At present time, it remains to be seen whether the powerful contradictions inherent within the current urbanized formation of roll-out neoliberalism will provide openings for more progressive, radical democratic reappropriations of city space, or whether, by contrast, neoliberal agendas will be entrenched still further within the underlying institutional structures of urban governance.“ (Brenner/Theodore 2002: 29)
Eine entscheidende Bedeutung wird dabei dem Vermögen städtischer Protestbewegungen beigemessen, inhärente Ambivalenzen und Widersprüche neoliberaler Urbanisierungen für die Wiederaneignung städtischen Raumes transformativ aufzunehmen. Besonders aus regulationstheoretischer Sicht werden ausdifferenzierte Ansprüche an die sozialen Bewegungen formuliert, um entgegen einer „deep neoliberalization“ eine „deep socialization“ auf allen möglichen skalaren Ebenen zu organisieren (vgl. Brenner et al. 2010: 342). Ein Scheitern der Bewegungen bewirkt hingegen eine fortschreitende Vertiefung und Konsolidierung des neoliberalen Projekts. Die hierbei in Anlehnung an Harvey betonten Parameter für die Ausrichtung stadtpolitischer Kämpfe auf eine alternative urbane Zukunft – radikale Demokratie,
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soziale Gerechtigkeit, Selbstermächtigung sowie der Aufbau breiter Allianzen zwischen unterschiedlichen Protestfeldern – sind mittlerweile für viele aktuelle städtische soziale Bewegungen ausschlaggebend (vgl. auch Kap. 5, Kap. 6, Kap. 7). Auch Harvey betont die besondere Bedeutung breiter Allianzen und Verbindungen zwischen unterschiedlichen Kämpfen, um Möglichkeiten zu schaffen „to mitigate if not to challenge the hegemonic dynamic of capitalist accumulation to dominate the historical geography of social life“ (Harvey 1989: 16). Was noch als Anspruch aus den Befunden zur fortschreitenden Neoliberalisierung der frühen 2000er Jahre formuliert wird, ist nunmehr bestimmend für die alltäglichen Praktiken der Organisierungen und Forderungen der Protestbewegungen geworden (vgl. Kap. 5, Kap. 6). Dies verweist mit Blick auf die stadtpolitischen Entwicklungen sowohl auf eine neue Phase der Neoliberalisierung als auch auf eine neue Phase des Protests, in der Demokratie sowohl abgelehnt wird (vgl. Brown 2015, Rancière 2002) als auch Gegenstand von radikalen Demokratisierungsforderungen geworden ist (vgl. Graeber 2013, Purcell 2003, ausführlich dazu Kap. 7). Fraglich bleibt jedoch ob ein explizit antikapitalistischer Anspruch dafür ausschlaggebend ist. Um diese Frage zu klären, analysiert das Forschungsprojekt zwar auch die Form und Ausprägung der Protestforderungen, also das Was, aber im Zentrum der Analyse steht die alltägliche Umsetzung und damit das Wie der Proteste. Bis hierhin wurde anhand einer Auswahl vorliegender Forschungsarbeiten skizziert, dass das dialektische Verhältnis zwischen neoliberaler Urbanisierung und Demokratisierung in Analysen zur neoliberalisierten Stadt schon angelegt ist. Jedoch wird aufgrund einer nach wie vor starken Orientierung an strukturanalytischen Erklärungsmustern städtischer Protest eher als Anhängsel neokapitalistischer Produktionsweisen verhandelt. Dabei kann zwar plausibel dargestellt werden, wie sich Protestfelder im Zuge neoliberaler Umstrukturierungen auf allen Skalen einschreiben und entsprechend städtische soziale Bewegungen heterogenisieren und fragmentieren. Zur Bearbeitung der Frage nach den Assoziations- und Dissoziationsformen der verschiedenen Bewegungen ist jedoch eine Perspektivenverschiebung hin zu den diskursiven politischen Artikulationsformen notwendig. Entgegen einer nicht in Gänze überwundenen Ontologisierung des Marktes möchte ich daher in einem nächsten Schritt die Dimension des Politischen in den Fokus rücken und eine postfundamentalistische „politische Ontologie“ (vgl. Kap. 3, Marchart 2013a) vorschlagen, die von der diskursiven Produktion und stetigen Konsolidierung des Neoliberalismus als sich fortlaufend hegemonialisierendes ideologisches Projekt ausgeht. Dabei werden insbesondere die Ambivalenzen und Widersprüche politischer Entscheidungsstrukturen in den Blick genommen, die konkreten Stadtpolitiken zugrunde liegen.
58 | Demokratisierung der Postdemokratie
2.4
DIE POSTPOLITISCHE STADT IN DER KRISE REPRÄSENTATIVER DEMOKRATIE
Ein weiterer Zugang zur Beschreibung städtischer sozialer Bewegungen fokussiert sich im Zuge der ‚Krise der repräsentativen Demokratie‘ auf das Politische beziehungsweise das Postpolitische. Aus historischer Sicht bilden Stadt und Demokratie eine Einheit, wird der Ursprung aktueller Demokratien doch stets in der griechischen Polis beschrieben. Demokratie ist einer der schillerndsten und in seiner Bedeutung umkämpftesten politischen Begriffe der Gegenwart (vgl. Kap. 2.4.1). Drei zeitdiagnostische Befunde zur Postdemokratie (vgl. Kap. 2.4.2) bilden den konzeptionellen Rahmen für die enggeführte Kontextualisierung städtischer sozialer Bewegungen in der postpolitischen Stadt (vgl. Kap. 2.4.3). Insbesondere Perspektiven der sogenannten neuen Theorien des Politischen tragen, trotz möglicher Widersprüche und Unvereinbarkeiten, dazu bei, die Debatte um die Stadt der neoliberalen Ordnung zu aktualisieren und heuristisch um die Dimension der politischen Differenz anzureichern (vgl. Rosskamm/Michel 2013: 10).19 2.4.1
Demokratie – Ein umkämpfter Begriff
Als Geburtsort der Demokratie (δηµοκρατία) gilt die Stadt (πόλις) Athen mit ihren öffentlichen Zusammenkünften des Volkes (δῆµος) zur politische Entscheidungsfindung auf dem zentralen Versammlungsplatz (ἀγορά). Bereits in ihrer Geburtsstunde wurde die Demokratie als Selbstregierung unter Gleichen (erwachsene männliche Vollbürger), jedoch verpönt und kritisch betrachtet. Dem vermeintlich „ungebildeten Pöbel“ (ὄχλος) sprach man gegenüber der gebildeten Aristokratie (ἀριστοκρατία) die Fähigkeit ab, vernünftige politische Entscheidungen zu treffen. Sowohl Platon und Aristoteles, als auch die Autoren der US-amerikanischen Verfassung missbilligten die Herrschaft der Mehrheit der städtischen Unterschicht und unterstellten ihr Manipulierbarkeit (vgl. Graeber 2013: 155ff., Demirović 2013: 208, Sitrin/Azzellini 2014: 65). Demokratie fungierte noch im 18. Jahrhundert als Gegenbegriff zu Republik, das heißt während ersteres für direkte Mitbestimmung und gemeinsame Konsensfindung stand, zielte letzteres auf ein repräsentatives System ab, das durch Wahlen bestimmt wird. James Madison beschrieb in einem Beitrag zu den 1787 veröffentlichteten „Federalist Papers“ die Gefahren eines auf Popular Assemblies basierenden demokratischen System wie folgt:
19 Für eine queere Perspektive auf ‚das Politische‘ im Zusammenhang von Hegemonie und Heteronormativität vgl. Varela et al. (2016).
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„[A] pure democracy, by which I mean, a Society, consisting of a small number of citizens, who assemble and administer the Government in person, can admit of no cure for the mischiefs of faction [...]. Hence it is that such democracies have ever been spectacles of turbulence and contention; have ever been found incompatible with personal security or the rights of property; and have in general been as short in their lives as they have been violent in their deaths.“ (Madison 1982: 54f.)
Ausgehend vom ‚Schreckenszenario‘ direkter Demokratie, insbesondere für die Eigentumsrechte, macht Madison zudem deutlich, dass er eine föderale Republik allen Formen direkter Versammlung und Selbstverwaltung nach athenischem Vorbild vorzieht (vgl. Madison 1982: 57f.). Die Begriffe Demokratie und Anarchie wurden bis Mitte des 19. Jahrhunderts synonym verwendet. Erst mit dem Hegemonialwerden der repräsentativen Demokratie wurden die negativen Attribute direkter Demokratie in Anarchie als „violent disorder“ delegitimiert (vgl. Graeber 2013: 187). Seit dem Ende der 1960er Jahre konkurrierten marxistische und konservative Modelle der Krise der Demokratie in wissenschaftlichen und politischen Debatten. Im Zentrum stand die Diagnose einer Überforderung demokratischer Institutionen, jedoch aus unterschiedlichen normativen Standpunkten. Jürgen Habermas weist auf eine „Legitimationskrise im Spätkapitalismus“ (1973) hin, wonach staatliche Institutionen nicht mehr in der Lage sind ökonomische Krisen zu kompensieren und eine Reform demokratischer Entscheidungsstrukturen ausgelöst wird, die auf deren Deliberalisierung hinausläuft. Michael Crozier, Samuel P. Huntington und Joji Watanuki hingegen unterstellen eine Bedrohung durch zu viel Mitbestimmung marginalisierter Gruppen, eine Tendenz, die als „Exzess der Demokratie“ (1975) bezeichnen. Demnach verlieren demokratische Regierungen mit verstärkten Forderungen nach politischer Beteiligung durch mehr und mehr Bürger*innen ihre Fähigkeit das Gemeinwohl zu formulieren oder ihre Politiken effektiv einbringen oder umsetzen zu können. Wie dieser kurze historische Exkurs zeigt, lässt sich Demokratie von je her als krisenhafter und umkämpfter Begriff verstehen. Nach dem proklamierten „Ende der Geschichte“ (Fukuyama 1992) wird derzeit das „Ende der repräsentativen Demokratie“ (Tormey 2015) ausgerufen. Im Zuge von Globalisierungsprozessen und postnationalen Konstellationen habe sich nach Jahren der Neoliberalisierung und entsprechender Umstrukturierungen politischer Institutionen und Entscheidungsprozesse eine „antipolitische Politik“ etabliert (vgl. Tormey 2015: 11, Agamben et al. 2012, Badiou 2012a, Brown 2015, Mouffe 2014, Rancière 2008). Obgleich das Modell demokratischer Repräsentation in die Krise geraten ist, stellt dies jedoch keineswegs einen historischen Endpunkt dar. Vielmehr verweist der Befund auf den prozesshaften Charakter der Repolitisierung von Demokratie, in welchem sich die Bürger*innen als tragende politische Akteur*innen wahrnehmen und über das derzeitige hegemoniale Verständnis des repräsentativen
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Regierens hinausgehen (vgl. Tormey 2015: 183). Neben dem bereits erwähnten antidemokratischen „Rechtsruck“20 stehen für emanzipatorische und transformative politische Selbstermächtigung exemplarisch Initiativen wie Occupy, Podemos oder auch Anonymus, die als zentrale Triebfedern für eine „Erneuerung der Demokratie“ ausgemacht werden (vgl. auch Bray 2013, Graeber 2013, Kastner et al. 2012, Lorey 2014, Sitrin/Azzellini 2014). Ein solcher Befund bezieht sich auf eine Sichtweise auf das Politische, in der eine Dimension der ‚Erneuerung von Unten‘ zum Tragen kommt, die allerdings in aktuellen wissenschaftlichen Untersuchungen allzu oft aus dem Blick gerät. In Diskussionen zur „unpolitischen Demokratie“ (Michelsen/Walter 2013) oder zur „Demokratie in Zeiten der Konfusion“ (Wilke 2014) wird zwar die in die Krise geratene Repräsentation verhandelt. Derzeitige Protestartikulationen werden hierbei allerdings entweder als „zahnlose“ spielerische Simulation wahrer Demokratie (vgl. Michelsen/Walter 2013: 358ff.) oder als Störungen einer bestimmten Funktionslogik politischer Systeme (vgl. Willke 2014: 145ff.) interpretiert. Eine tiefgreifende diskurstheoretische Analyse der Demokratisierungsartikulationen in sozialen Bewegungen bleibt in diesen Studien außen vor, was der eigenen epistemologischen Setzung des liberalen Demokratiemodells durch die Forscher*innen geschuldet sein dürfte. Auf einer metatheoretischen Ebene lässt sich hierbei eine einseitige Ausrichtung auf die ontische Dimension sozialer Proteste gegenüber einer ontologischen Dimension der Politisierung ausmachen, beziehungsweise eine Verengung der Fragestellung auf die Politik, während die tiefgreifende Frage danach, was das Politische des Protests ausmacht, vernachlässigt wird. Repräsentative Politik und Demokratie sind allerdings als eigenständige Forschungsobjekte zu verstehen (vgl. Keane 2010). Alex Demirović weist darauf hin, dass die Krise der Demokratie in einem größeren Kontext als „multiple Krise“ (2013) zu kontextualisieren ist (vgl. auch Altvater 2010). Der häufig angeführten These einer derzeitigen ‚Schwächung der Demokratie‘ durch die Wirtschafts- und Finanzkrise (vgl. Schneider-Wilkes 1997, Brie 2007, Crouch 2004, Demirović 2009, Wahl/Klein 2010, Nolte 2012, Streeck 2013, Ullrich 2015) geht er mit Blick auf den Verlauf, die Dynamik und die Gründe demokratischer Krisenprozesse nach. Dabei macht er auf drei Dimensionen der Demokratiekrise aufmerksam: Erstens auf die Bedrohung durch Finanzmarktakteur*innen, zweitens auf den tendenziellen Verfall staatlicher Institutionen und drit-
20 Exemplarisch stehen dafür rechtspopulistische und neofaschistische Tendenzen in Europa und den USA, für die durch nationalistische, kulturalistische, rassistische, mysogene trans-queer-phobische Positionen charakteristisch sind. Die Demarkationslinie zwischen linken und rechten Positionen verläuft entlang des inklusiven oder exklusiven Demokratieverständnisses (vgl. auch Varela/Ülker 2017).
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tens auf Potenziale zur Erneuerung der Demokratie in sozialen Bewegungen, die nicht nur deren Verwirklichung und Ausdehnung fordern, sondern die Demokratie selbst auf eine neue Entwicklungsstufe drängen (vgl. Demirović 2013: 193). Davon ausgehend widmet sich die vorliegende Arbeit explizit der dritten Dimension der sozialen Proteste und speziell der Frage nach Reformulierungen demokratischer Entscheidungsprozesse und bereits bestehender Manifestationen demokratischer Praktiken und alternativer Raumproduktionen in städtischen sozialen Bewegungen. Dabei werden auch die beiden anderen Dimensionen, die wachsende Macht der Finanzwelt und der Machtverlust staatlicher Interventions- und Steuerungsinstrumente, in den Blick genommen, allerdings aus den konkreten Perspektiven der stadtpolitischen Protestakteur*innen.21 Mit Demirović ist die ‚Multiple Krise‘ als vielschichtige und umfassende gesellschaftliche Dynamik zu verstehen. Sie hat direkte Auswirkungen auf den Lebensalltag der Menschen und schließt sowohl private Verluste, rigide Austeritätspolitiken und immense Profitraten in Hedgefonds im Zuge der Wirtschafts- und Finanzkrise, als auch die globale Klimakrise und deren lokale Auswirkungen mit ein. Dabei berücksichtigen Lösungsversuche zur Wirtschaftskrise meist nicht einmal formaldemokratische Entscheidungsrechte der Bürger*innen, was schließlich die Krise der Politik und der Demokratie forciert (vgl. Demirović 2013: 194ff.). Die Krise der Demokratie ist, wie eingangs skizziert, Gegenstand gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Auseinandersetzungen, wobei Krisenbewußtsein und Krisenartikulation von je her notwendigerweise Bestandteil von Demokratien sind (vgl. Merkel 2015: 7). Nicht zuletzt geht es um die Verhandlung darüber, was unter Demokratie und deren Krise verstanden wird und welche politischen Konsequenzen daraus gezogen werden. 2.4.2
Protestursache Postdemokratie – Drei aktuelle Krisenbefunde
Im Folgenden werden drei aktuelle Krisenbefunde diskutiert, die sich um die zunehmend einflussreiche Kategorie ‚Postdemokratie‘ herauskristallisiert haben (vgl. Buchstein et al. 2006, bpb 2011, Brown 2015, Crouch 2004, FJNSB 2006, Rancière 1996, Swyngedouw 2013, Wolin 2016). Zunächst wird Colin Crouchs (2004) prominente Konzeptionalisierung von Postdemokratie als Krise der postfordistischen Gesellschaften besprochen. Für die Analyse städtischer sozialer Bewegungen und deren Assoziationen und Dissoziationen ist eine Erweiterung des Crouch'schen An-
21 Dem zugrunde gelegt wird eine an Foucault orientierte Konzeptionalisierung von Macht als mäanderndes Konzept und eine diskurstheoretische an Laclau und Mouffe orientierte Fassung von Hegemonie (vgl. Kap. 3).
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satzes durch Jacques Rancières (1996) Konzeptionalisierung von Postdemokratie notwendig. Während Crouch einer vorrangig ontischen Ebene politischer Institutionen verhaftet bleibt, beschreibt Rancière auf der ontologischen Ebene des Politischen die konsensuelle Demokratie als Postdemokratie. Eine Scharnierfunktion zwischen politökonomischen und demokratietheoretischen – und in diesem Fall strukturalistischen und poststrukturalistischen – Perspektiven übernimmt Wendy Browns (2015) subjektwissenschaftliche Perspektive auf neoliberale Marktdemokratie und deren hegemoniale und totalisierende Rationalität der Ökonomisierung. Tendenzieller Verfall demokratischer Institutionen Derzeit viel beachtet sind zeitdiagnostische Beschreibungen, die von einer Gefährdung der repräsentativen Demokratie durch den Neoliberalismus ausgehen, was zu einer kontinuierlichen Erosion demokratischer Institutionen und deren Legitimation führt. Diese Defizitbeschreibung als „Postdemokratie“ (Crouch 2004, Ritzi 2013, Wolin 2004), „Fassadendemokratie“ (Streeck 2013, Streeck 2016) und „defekte Demokratie“ (Merkel et al. 2003) findet mittlerweile auch Beachtung unter Ökonomen, die auf eine zunehmende sozioökonomische Polarisierung in OECDStaaten als demokratische Herausforderung hinweisen (vgl. Piketty 2014, Stiglitz 2012, Krugman/Wells 2012). Exemplarisch für eine neomarxistische Fassung von Postdemokratie steht der Politologe Colin Crouch und dessen These, dass ein demokratischer Scheitelpunkt in Westeuropa und Nordamerika längst überschritten worden sei: „Globalization, deregulation, the loss of collective organizational capacity in society have eroded democracy from within. Formal processes and institutions of democracy continue to exist, but they are rapidly becoming a formal game that has lost its democratic substance“ (Crouch 2004: 22). Der Befund des tendenziellen Demokratieverlusts in formalisierten Verfahren und in demokratischen, rechtsstaatlichen Institutionen impliziert die Prämisse einer Blütezeit demokratischer Verfahren und Institutionen in der keynesianisch-wohlfahrtsstaatlich geprägten Nachkriegszeit. Daraus ergeben sich neben dem kritischen Potenzial einer Gegenüberstellung von Keynesianismus und Neoliberalismus auch eine Reihe konzeptioneller Schwierigkeiten mit Blick auf die Untersuchung städtischer sozialer Bewegungen. Wie zuvor schon in ähnlicher Weise in der Ausrichtung unternehmerischer Stadtpolitiken anklang (vgl. Kap. 2.3.3), wird der steigende Einfluss der Privatwirtschaft auf die Politik als ein entscheidender Faktor für Postdemokratisierungsprozesse ausgemacht, insbesondere die machtvollen Positionen globaler Unternehmen und der wachsende Einfluss von Lobbyist*innen. Privatisierungen und Neoliberalisierungen stellen den Gegenpol zu demokratischen Entscheidungen dar: „Privatization and (neo-)liberalization are inversely proportional to democracy in the postdemocratic age.“ (Crouch 2004: 57)
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Crouch beschreibt eine veränderte gesellschaftliche Machtkonstellation, die geprägt ist durch Entmachtung der Politik durch die Wirtschaft, was den Kern der Krise der Demokratie in seiner Fassung ausmacht. Auf der einen Seite erweisen sich Unternehmen als wirkungsstarke Akteur*innen hinsichtlich der Steuerung politischer Prozesse in ihrem Sinne. Auf der anderen Seite haben Gewerkschaften als Fürsprecher*innen einer egalitären ‚substantiven Demokratie‘ an Einfluss verloren. Die Einflussmöglichkeiten auf Kapital und Arbeit haben sich in den vergangenen Jahren maßgeblich verschoben, wodurch eine politökonomische Gleichheit illusionär erscheint und stattdessen eine weitere Polarisierung stattfindet (vgl. Merkel 2013: 7). Endogene Widersprüche in der liberalen Fassung von Demokratie bleiben dadurch unbeachtet, was schließlich auch den ausschließlichen Fokus auf erodierte traditionelle kollektive Organisierungsformen und Interessenartikulationen der unteren Klassen und Arbeitnehmer*innen nach sich zieht. Intersektionale Ausschlussmechanismen und entsprechende demokratische Defizite – beispielsweise von People of Color (POC), Frauen oder Homosexuellen – bleiben dabei außen vor, was zu einer zweifelhaften Affirmation und Fehleinschätzung der Inklusionskapazitäten des demokratischen Staates in der fordistischen Nachkriegsordnung führt (vgl. Merkel 2013: 18). Dies hat drei Gründe, die auf Crouchs politökonomischen Strukturdeterminismus zurück zu führen sind: Erstens besteht der grundsätzliche Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit, wobei sich entsprechend soziale Ungleichheit reproduziert. Zweitens zielt sein enger Politikbegriff auf Organisation, Identität und kollektive Aktionen, die sich im politischen System zu institutionalisieren haben. Drittens sind Subjekte des soziopolitischen Wandels nur in einer organisierten Gestalt als Klasse, Partei oder Gewerkschaft denkbar und als solche auf Kollaboration untereinander angewiesen. Zwar attestiert Crouch besonders den ‚unterprivilegierten Klassen‘ eine massiv verschlechterte Lebenssituation im Vergleich zu den 1950er und 1960er Jahren. In Ermangelung eines gut organisierten und institutionalisierten weiten Bündnisses entstehe so eine postdemokratische Machtkonstellation, der die demokratischen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts zum Opfer fallen. Aber mit dem Unvermögen ein gemeinsames Klassenbewusstsein als kollektive Akteur*in auszubilden verpufft gewissermaßen das korrektive und deliberative Potenzial sozialer Bewegungen. Entgegen starker politischer Parteien und der kollektiven Organisation sozialer Interessen sind diese klassischen politischen Organisationsformen jedoch tendenziell am verschwinden (vgl. Crouch 2004: 70ff.). Diese konzeptionelle Ausrichtung mag auch die einseitige Betonung der Sozialdemokratie als Retterin der liberalen Demokratie erklären und eine eher zurückhaltende Berücksichtigung der vielgestaltigen Demokratisierungsbewegungen der letzten Jahre, wie beispielsweise Occupy Wall Street (vgl. Crouch 2013).
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Crouchs historische Argumentation zeichnet das Bild einer demokratischen Parabel an dessen Anfang eine prädemokratische Zeit steht. Im Zenit steht der postfordistische keynesianische Wohlfahrtsstaat von 1940 bis 1970. Die postdemokratische Phase beginnt in den 1970er Jahren mit dem Aufkommen des neoliberalisierten postkeynesianischen Kapitalismus. Mittlerweile hat die Postdemokratie annähernd das Ende der Parabel erreicht. An diesem Tiefpunkt existieren zwar noch formale demokratische Organisationen, Institutionen und Vorgänge, diese werden jedoch durch den zunehmenden Einfluss nicht demokratisch legitimierter Akteur*innen des globalen Kapitalismus ausgehöhlt. Mit Blick auf die aktuellen sozialen und politischen Auswirkungen neoliberaler Globalisierungsprozesse ist nicht die ökonomische Krise ausschlaggebend, sondern der Triumph des neoliberalen postkeynesianischen Kapitalismus, welcher Demokratie von innen untergräbt und durch die wachsende politische Entscheidungsmacht von Banken und Konzernen zu charakterisieren ist. Eine solche Fassung von Postdemokratie greift konzeptionell zu kurz und ignoriert intersektionale Exklusions- und Marginalisierungsmechanismen. Eine affirmative Perspektive auf politische Akteur*innen und Parteien verkennt auch deren häufig tragende Rolle in Neoliberalisierungsprozessen. Einerseits erweist sich die paradigmatische Fixierung auf den Fordismus und den Wohlfahrtsstaat als erkenntnishemmend, wenn es um aktuelle Demokratisierungsprozesse im städtischen Raum geht. Anderseits werden auch soziale Bewegungen, ebenso wie in Jürgen Habermas Konzept „deliberativer Demokratie“ (1992), auf eine Rolle als politisches Korrektiv reduziert. Auch bleibt Crouch hinsichtlich der Organisation politischen Protests einem traditionellen, hierarchischen Verständnis verhaftet, wodurch aktuelle nichthierarchische Protestformen, neue Assoziationsformen und Netzwerkstrukturen kaum berücksichtigt werden. Letztlich erscheint seine These einer Aushöhlung bestehender liberaldemokratischer Institutionen nur bedingt dazu geeignet aktuelle Demokratisierungstendenzen zu erfassen, verbleibt sie doch an der deskriptiven Oberfläche, ohne die der Demokratie eigentümlich inhärente widersprüchliche politische Logik selbst zu hinterfragen. Dafür wäre eine Reformulierung von Politik und dem Politischen notwendig. Eine konzeptionelle Erweiterung um die grundsätzliche Frage nach dem Politischen in städtischen sozialen Bewegungen erachte ich als grundlegend für das Verständnis und die Interpretation von deren Demokratisierungsartikulationen. Diese Leerstelle einer ontologischen Diskussion der „politischen Differenz“ (Marchart 2010) kann mit Jacques Rancière geschlossen werden. Konsensuelle Demokratie als Postdemokratie Jacques Rancière macht in seinem Aufsatz „Demokratie und Postdemokratie“ (1996) ebenfalls auf den Verfall der Demokratie in westlichen Gesellschaften auf-
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merksam, jedoch in einem grundsätzlicheren Sinne als Crouch.22 Postdemokratie beschreibt hierbei keinen gesellschaftspolitischen Zustand, sondern eine spezifische Regierungsweise, die gleichbedeutend mit dem Begriff der „konsensuellen Demokratie“ zu verstehen ist (vgl. Rancière 1996: 116 und 2002: 105). Konsens fungiert hier als strategisches Element, welches das Ende von Politik markiert und nicht wie bei Habermas die Funktion einer politischen Ethik als „zwangloser Zwang des besseren Arguments“ (1995: 52f.) in einem vermeintlich gewaltfreien Prozess kommunikativen Handelns übernimmt (vgl. Rancière 2008: 36). Seine Diagnose verweist auf eine grundsätzliche systemimmanente Krise des Politischen in repräsentativen Demokratien. Demnach beschreibt Postdemokratie nicht einen Ausnahmezustand, sondern den Istzustand eines formalisierten ‚Spiels‘ zwischen staatlichen Institutionen und Gesellschaft, das im Kern durch die Abwesenheit politischer Aushandlungsprozesse gekennzeichnet ist. Ausschlaggebend ist in dieser Fassung von Postdemokratie ebenfalls eine Allianz zwischen staatlicher und wirtschaftlicher Oligarchie sowie den Wissenschaften, „that stakes a claim to all the power and proscribes the possibility that the people divide and multiply“ (Rancière 2014: 78). Als postdemokratisch zu kategorisieren sind demnach sowohl die politische Repräsentation und die Funktion des Rechtsstaats als auch die Erfassung politischer Stimmen über die empirische Meinungsforschung, die er als Bestandteile eines „technokratischen Dispositivs“23 zur Aufrechterhaltung einer gesellschaftlichen Ordnung betrachtet. Dieses auf das Zusammenspiel verschiedener Expert*innen aufbauende Ordnungsprinzip bezeichnet Rancière als ‚Polizei‘ (la police), die zuerst ‚eine Ordnung der Körper‘ ist und zudem eine ‚Ordnung des Sichtbaren und des Sagbaren.‘ Polizei verfügt dabei über
22 Rancières Aufsatz kann als eine Art Replik auf Francis Fukuyamas These vom ‚Ende der Geschichte‘ verstanden werden. Wobei er, im Gegensatz zu Fukuyama, das hegelianische Diktum der dialektischen Auflösung gegensätzlicher weltpolitischer Anschauungen in erster Linie als ein ‚Ende der Utopien‘ in einer Gleichsetzung von Demokratie und Rechtsstaat konzeptionalisiert (vgl. Rancière 1996: 95). 23 Unter dem Begriff ‚Dispositiv‘ fasst Rancière (2002: 110) das Zustandekommen von Demokratie unter drei Aspekten: Erstens im ‚Erscheinen und Sichtbarwerden des Volks‘; zweitens in dem politischen Subjekt der ‚Anteilslosen‘ und drittens im offen ausgetragenen Streit, in dem sich die konfligierenden Subjekte konstituieren (vgl. Hölzl 2015: 33). Dies steht im Gegensatz zu Foucault, der unter einem Dispositiv ein relationales machtdurchdrungenes Netz aller diskursiven und nicht-diskursiven Praktiken versteht, „ein entschieden heterogenes Ensemble, das Diskurse, Institutionen, architekturale Einrichtungen, reglementierende Entscheidungen, Gesetze, administrative Maßnahmen, wissenschaftliche Aussagen, philosophische, moralische oder philanthropische Lehrsätze“ (1978: 119f.).
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eine subjektivierende Macht, die sichtbar und sagbar macht, aber auch gleichzeitig die nichtzählbaren Anteilslosen ausblendet und verbirgt (vgl. Rancière 2002: 40f.). Dabei lässt sich eine expandierende Tendenz der rechtlichen Regulation in alle gesellschaftlichen Bereiche beobachten (vgl. Rancière 1996: 112f.). Als Gegenbegriff zur Polizei setzt er einen auf Dissens basierenden Politikbegriff: „Tatsächlich gibt es zwei Arten, die Teile der Gemeinschaft zu zählen. Die erste kennt nur reale Teile, die tatsächlichen Gruppen, die von den Unterschieden der Herkunft, der Funktionen und der Plätze bestimmt werden, die den Sozialkörper konstituieren. Die zweite benennt darüber hinaus ein Aufrechnen der Unberechneten (oder einen Teil der Anteillosen), das/der die gängige Berechnung in ihrer Gesamtheit stört. Ich schlage vor, die erste Polizei, die zweite Politik zu nennen.“ (Rancière 1996: 106)
Die Irritation der polizeilichen Aufteilung und Ordnung und das Wahrnehmen der ungehörten Stimmen ist damit im eigentlichen Sinne als Politik zu verstehen. Politik stellt hierbei einen paradoxen Handlungstyp dar, der sowohl eine Unterbrechung der gegebenen „(Ungleich)-Verteilungslogik“ voraussetzt, als auch das Ungehörte hörbar macht (vgl. Rancière 2008: 11ff.). Analog dazu bezeichnet Demokratie eine Störung eben dieser normierenden, normalisierenden und subjektivierenden Ordnung. Von Demokratie wäre erst zu sprechen, wenn jene bisher nur als ‚Lärm‘ abgetanen Stimmen auch als politische Artikulationen wahrgenommen werden. Soziale Proteste markieren demzufolge ein Aufflammen von Demokratie und Politik unter bestimmten Voraussetzungen, da sie eine Unterbrechung des vermeintlichen postdemokratischen Konsenses darstellen und auf systemimmanente Widersprüche aufmerksam machen. Politische Konflikte sind weniger bestimmt durch einen Dissens der Interessen als durch die aufeinandertreffenden unterschiedlichen Logiken (vgl. Rancière 2008: 28). Im Gegensatz zu dieser Konzeption einer radikalen Demokratie geht die Durchsetzung der formalisierten repräsentativen Demokratie einher mit der Ermangelung eines Raumes des Politischen im Sinne der gemeinsamen Aushandlung aller und explizit der Anteilslosen (vgl. Rancière 2008: 33ff.). Der demos24 hingegen tritt dort in Erscheinung, wo ein Streithandel um Gerechtigkeit stattfinden kann, wo unter-
24 Rancière orientiert sich konzeptuell am demos, als kleinster Verwaltungseinheit in der griechischen Polis – gleichbedeutend mit der Versammlung, auf der das Volk zusammenkommt, um sich in strittigen Fragen zu beraten: „Das [sic!] demos ist nämlich ein Subjekt, das sich von sich selbst unterscheidet, ein Subjekt dessen Berechnung immer ungewiss, immer ungleich ist: Es ist die Versammlung anstelle der Gemeinschaft, die Mehrheit anstelle des Parlaments, die Armen anstelle der Polis.“ (Rancière 1996: 100, Herv. D. S.)
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schiedliche Positionen aufeinandertreffen und besprochen werden. Popular Assemblies, Demonstrationen oder auch Riots konstituieren aus dieser Sicht politischen Räume, Orte oder Momente, an denen ungehörte Stimmen gehört werden können. Das politische Subjekt leitet Rancière (2002: 20f.) negativ her, durch die politische Nichtteilhabe und das Nichtgehörtwerden. Der demos bezeichnet für ihn ein ‚drittes Volk‘, „das keinen konsistenten Körper, sondern nur Momente, Orte, Zustände, Gelegenheitsfälle kennt. Es ist weder das Volk der Souveränität, der Repräsentation und des Gesetzes, noch das Volk der Arbeit und des Leidens, es ist vielmehr ihr Dazwischen, der zeitweilige Akteur“ (Rancière 1996: 104).25 Demokratie beschreibt also weder eine Regierungsform noch einen Modus des gesellschaftlichen Lebens, sondern den „Raum der Äußerung des Politischen als solchen, das System der Subjektivierungsformen (oder Desidentifizierungsformen)“ (Rancière 1996: 102). Dementsprechend ist jede hierarchische Ordnung, folglich auch die Postdemokratie, ihrer Kontingenz ausgesetzt und potenziell vorübergehend. Demokratie unterbricht das Fließen und reibungslose Funktionieren der Subjektivierungen und der Distribution der Körper durch die Polizei. Demokratie kommt zum Tragen, wenn sich Akteur*innen des Politischen konstituieren, die weder zum staatlichen Dispositiv zugeordnet werden können noch als statistische Subjekte der Meinungsforschung fungieren, nämlich genau dann wenn es „Kollektive gibt, die Identifikationen mit Staats- oder Gesellschaftsteilen verschieben“ (vgl. Rancière 1996: 101). An dieser Stelle kann ein wesentlich weiterer ontologisch fundierter Begriff von Postdemokratie und (radikaler) Demokratie festgehalten werden, der eine räumliche Dimension impliziert sowie die normative Vorstellung einer bisher nicht eingelösten Versprechung der politischen Gleichheit. Dementsprechend ist auch mit Blick auf städtische soziale Bewegungen die ‚Krise der repräsentativen Demokratie‘ als diskursive Auseinandersetzungen um die Bedeutung und normative Setzung von Demokratie mit zu reflektieren. Mit einer an Rancière orientierten Konkretisierung von Postdemokratie wird hinsichtlich der Legitimitätskrise demokratischer Repräsentation eine grundsätzliche Analyseebene eröffnet, die es ermöglicht politische Artikulationen und Verschiebungen zu erfassen. Den Ausgangspunkt für die Analyse städtischer sozialer Bewegungen bildet Rancières Konzept von Postdemokratie, das sich explizit auf im formaldemokratischen Dispositiv exkludierte Subjekte konzentriert, die sich erst Gehör verschaffen und mitunter nicht einmal als legitimer Teil der Zivilgesellschaft angesehen wer-
25 Rancière grenzt sich gegenüber dem Staatsvolk als auch dem Klassenbegriff ab. Seine Fassung wäre eher vergleichbar mit dem postoperaistischen Konzept der ‚Multitude‘, das eine Vielheit von Singularitäten beschreibt, die gemeinsam Handeln und so ein globales Netzwerk zur Demokratisierung konstituieren (vgl. Hardt/Negri 2004, 2013, 2017).
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den, wie beispielsweise Obdachlose oder Geflüchtete. Dies markiert eine entscheidende paradigmatische Verschiebung in der Ausrichtung auf das Subjekt der Forschungsperspektive. Denn während Crouch vordringlich auf Parteien und Gewerkschaften zur Rettung und Rückkehr zum sozialdemokratischen Staatsmodell setzt, stellt Rancière die Exkludierten und deren notorische Nichtberücksichtigung in repräsentativen Demokratien ins Zentrum seiner Analyse. Diese bietet damit den notwendigen epistemologischen und ontologischen Ausgangspunkt für die empirische Untersuchung einer Vielheit von Stimmen und Artikulationen, die lange Zeit nicht gehört wurden, aber langsam und besonders im städtischen Protest hörbar werden. Es sind die Stimmen des Protests, die das Politische und damit auch die Demokratisierung der Demokratie zurück auf die Agenda bringen. Mit Rancière wird folglich eine solche Demokratisierung auch als eine tatsächliche Erneuerung des demokratischen Denkens selbst in sozialen Bewegungen denkbar. Demokratie manifestiert sich demnach in Momenten des politischen Dissenses gegenüber dem Status quo. Der Befund der Krise der repräsentativen Demokratie selbst verweist hierbei auf das Versprechen der Demokratisierung der Demokratie, das bisher noch nicht eingelöst wurde. Mehr denn je verbinden sich neoliberalisierte Regierungstechniken mit den Versprechungen des Urbanen (vgl. Kap. 2.3.2) und sind damit sowohl entscheidende Elemente postdemokratischer Transformationsprozesse und entsprechender Subjektivierungen, als auch zunehmend Gegenstand von Protestartikulationen. Das schwindende politische Subjekt Wendy Brown (2015: 207) beschreibt eine grundsätzliche Verschiebung in der politischen Logik der Subjektivierungen vom homo politicus hin zum homo economicus. Ergänzend zu den bereits diskutierten Ansätzen von Crouch und Rancière wird hier Neoliberalismus als totalisierende Neuordnung des Denkens und ökonomisierendes Subjektivierungsregime in den Blick genommen, das die liberale Demokratie bedroht. Hierbei verschiebt sich der Fokus von den Institutionen und staatlichen Dispositiven direkt auf die Ebene der Subjekte, die entsprechend der unternehmerischen Rationalität bestimmt werden. „Humankapital“ adressiert Subjekte nicht mehr nur als Konsument*innen und Produzent*innen, sondern als Marktteilnehmer*innen, die sich damit auch Marktprinzipien zu unterwerfen haben: „Human capital’s constant and ubiquitous aim, whether studying, interning, working, planning retirement, or reinventing itself in a new life, is to entrepreneurialize its endeavors, appreciate its value, and increase its rating or ranking.“ (Brown 2015: 36) Mittlerweile ist die liberale Demokratie im Begriff abgelöst zu werden durch eine Marktdemokratie – mit ‚Governance‘ und ‚new management‘ als deren primäre Bestimmungsmerkmale – die sich in ihrer Logik in alle Lebensbereiche einschreibt
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und diese nach unternehmerischen Gesichtspunkten verändert. Diese Entwicklung, kann verheerende Konsequenzen für das demokratische Imaginäre haben: „[N]eoliberal reason, ubiquitous today in statecraft and the workplace, in jurisprudence, education, culture, and a vast range of quotidian activity, is converting the distinctly political character, meaning, and operation of democracy’s constituent elements into economic ones. Liberal democratic institutions, practices, and habits may not survive this conversion. Radical democratic dreams may not either.“ (Brown 2015: 17)
Diese reformierte neoliberale Rationalität unterscheidet sich grundlegend vom Neoliberalismus der 1950er Jahre. Wurden Neoliberalisierungen in der frühen Phase noch top-down unter Anwendung von Zwang und Gewalt durchgesetzt, so vollziehen sich diese nunmehr durch konsensorientierte weiche Regierungstechniken, die sich in ‚best practices‘ und ‚legal tweak‘ verwirklichen. Der gegenwärtige Neoliberalismus „governs as sophisticated common sense, a reality principle remaking institutions and human beings everywhere it settles, nestles, and gains affirmation“ (Brown 2015: 35). In der pragmatischen Umstellung der Regierungstechniken unter unternehmerischen Gesichtspunkten, in vielfältigen kapillaren politischen Entscheidungen, vollzieht sich die Abschaffung des politischen Subjekts der Bürger*innenschaft, des demos, und damit der Grundelemente der liberalen Demokratie selbst. Die Trennung von wirtschaftlicher und politischer Macht wird aufgehoben. Damit wird auch das gesamte Register politischer Interventionsmöglichkeiten obsolet. Die der liberalen Demokratie eigentümliche Logik basierend auf der Selbstregierung des Volkes (als Gegenprojekt zum Faschismus) und auf liberaldemokratischen Werten wie politische Freiheit, Gleichheit und soziale Gerechtigkeit, geht verloren (vgl. u.a. Brown 2015: 10 und 219). In den Worten von Sheldon Wolin (2004: xiv): „Adam Smith was now joined to Charles Darwin, the free market to the survival of the fittest.“ Der Paradigmenwechsel vom liberaldemokratischen Subjekt hin zum investitionssuchenden permanent prekären ‚Humankapital‘ beinhaltet erstens eine genuin kompetitive relationale Positionierung untereinander; zweitens avanciert Ungleichheit zum bestimmenden Faktor, während Gleichheit a priori gesetzt wird; drittens werden mit der Subjektivierung und Universalisierung von Kapital die Kategorien Arbeit und Klasse obsolet; und viertens verschwindet mit der Ökonomisierung des Politischen selbst die Grundlage für Citizenship und eine politische Öffentlichkeit, die sich dem Gemeinwesen widmet, wodurch letzten Endes die kollektive politische Souveränität verloren geht (vgl. Brown 2015: 37ff.). Im Ergebnis mündet dies in einen nihilistischen, traditionalistischen, antiintellektuellen, autoritären, rassistischen, misogynen Populismus, der sich der Verteidigung bürgerlicher, weißer, männlicher, heterosexueller Privilegien verschrieben hat (vgl. Brown 2017). Gehen
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wir davon aus, dass dieser antihumanistische Entdemokratisierungsprozess nicht einfach umkehrbar ist. Was kann dem Siegeszug der ökonomischen Rationalität, die sich in allen Lebensbereichen hegemonialisiert, entgegengesetzt werden? Diese Frage ist sowohl für die analytisch-deskriptive als auch für die normativ-politische Einordnung der untersuchten städtischen sozialen Bewegungen ausschlaggebend und wird schließlich am Ende der Arbeit wieder aufgenommen (vgl. Kap. 8). Brown führt uns vor Augen, inwiefern die Krise der liberalen repräsentativen Demokratie und der Siegeszug einer oligarchischen neoliberalen Marktdemokratie mit derzeitigen postdemokratischen Entwicklungen zusammenhängen. Diese Überlegungen erfordern Berücksichtigung in der Analyse städtischer sozialer Bewegungen, da sich darin auch eine grundsätzliche Verschiebung gegenüber den zeitdiagnostischen Überlegungen von Castells und Lefebvre vor 50 Jahren abzeichnet, auf die ich bereits im Phasenmodell städtischer Proteste zu sprechen kam (vgl. Kap. 2.2.2). Die Kritik der veränderten subtilen Regierungstechniken schlägt sich auch in den Protesten nieder, die sich sowohl an den Defiziten der repräsentativen liberalen Demokratie, als auch an den subjektivierenden Politiken und der zugrundeliegenden totalisierenden Logik der Ökonomisierung der neuen Marktdemokratie abarbeiten. Die dystopische Totalität des ökonomischen Imperativs und dessen diskursive Naturalisierung zementiert einerseits die Normen eines „bourgois white male heterosexual familialism“ (Brown 2015: 206). Doch obwohl liberale Demokratie nicht über immanente Mechanismen verfügt sich selbst zu regenerieren (vgl. Brown 2015: 210) und ein Erstarken faschistischer Elemente zu beobachten ist, konstituieren sich anderseits politische Stimmen im Protest gegen diese politökonomische Ordnung in den erodierenden und fragmentierten neoliberalen Solidaritäten (vgl. Brown 2015: 219f.). Die zentrale These des verschwindenden demos dämpft eine allzu optimistische Bewertung aktueller emanzipatorischer radikaldemokratischer sozialer Bewegungen und bietet zudem einen plausiblen Erklärungsansatz antidemokratischer autoritärer Bewegungen: „Democracy is an empty form that can be filled with a variety of bad content and instrumentalized by purposes ranging from nationalist xenophobia to racial colonialism, from heterosexist to capitalist hegemony; it can be mobilized within the same regimes to counter these purposes. But if democracy stands for the idea that the people, rather than something else, will decide the fundamentals and coordinates of their common existence, economization of this principle is what can finally kill it. […] Even a radical or direct democracy, or one not saturated with capital, racialism, and so forth, is capable of dark trajectories or simply of neglecting critical issues such as climate change, species extinction, or genocidal warfare beyond its borders.“ (Brown 2015: 209)
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Es ist wohl richtig, dass es keine wirkliche Garantie für eine emanzipatorische Fassung von Demokratie geben kann, was derzeitige nationalistische und faschistische Bewegungen nachdrücklich verdeutlichen. Dabei wird auch klar, dass die Demokratisierung der Demokratie nicht für alle Bewegungen eine treffende Beschreibung darstellt. Gerade wenn ‚direkte Demokratie‘ eingefordert wird, ist eine normative Distinktion hinsichtlich des Gehalts und der Ausrichtung im Kontrast zu ‚radikaler Demokratie‘ notwendig, um genauer bestimmen zu können was Demokratisierungen ausmachen. Denn in den konkreten Forderungen, politischen Bezugspunkten und Adressaten des Protests wird die normative Dimension sichtbar. Daher kann die gesellschaftliche und wissenschaftliche Relevanz radikaldemokratischer Forderungen, meines Erachtens angesichts immanenter normativer Ambivalenzen und antidemokratischer Bedrohungen nicht überbewertet werden. Entscheidend sind für Brown schließlich die konkreten Visionen einer demokratischen Zukunft, die der allgegenwärtigen Lösungsstrategie, immer neue Märkte und Wachstum zu forcieren, eine substantielle alternative Rationalität gemeinschaftlich getroffener Entscheidungen und kollektiver Kollaborationen entgegenstellen (vgl. Brown 2015: 221f.). Der Befund „[d]emocracy can be undone, hollowed out from within, not only overthrown or stymied by antidemocrats“ (Brown 2015: 16) bildet gleichsam den heuristischen und normativen Ausgangspunkt für die Untersuchung der radikaldemokratischen Semantik städtischer Protestartikulationen. In einem nächsten Schritt widme ich mich nun empirischen und theoretischen Ansätzen, welche die postdemokratische oder postpolitische Stadt als konkreten soziopolitischen Hintergrund städtischer Protestbewegungen kontextualisieren. 2.4.3
Repolitisierung der postpolitischen Stadt
Die postpolitische Stadt als Analyserahmen städtischer sozialer Bewegungen orientiert sich an den oben dargestellten Dimensionen der politischen Differenz zwischen Politik und dem Politischen, die für das Verständnis und die Beschreibung der Protestursachen ausschlaggebend sind. Die Rolle, die städtische sozialen Bewegungen aus einer Perspektive der sogenannten neuen Theorien des Politischen diagnostiziert wird, ist einerseits eine der Repolitisierung der postpolitischen erstarrten Ordnung und anderseits eine der bereits gelebten, präfigurativen radikaldemokratischen Alternativen (Sitrin/Azzellini 2014). Für die Diskussion der Ambivalenzen erweisen sich in der kritischen Stadtforschung insbesondere Gouvernementaltitätsperspektiven (vgl. Foucault 2005, Glasze/Mattissek 2009, Mayer/Künkel 2012) als hilfreich, um die Tendenz neoliberaler städtischer Ordnungen zur Stabilisierung von Krisen durch Einhegung und Kooption kritischer Positionen zu beschreiben (vgl. Füller/Michel 2012, Kuhn 2014, Mayer/Künkel 2012, Swyngedouw 2013).
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Brüche in der Logik der postpolitischen Stadt Eric Swyngedouw operationalisiert in seinem Artikel „Die postpolitische Stadt“ (2013) einen Postpolitik- und Postdemokratie-Ansatz, wie ihn Jacques Rancière oder auch Chantal Mouffe und Slavoj Žižek in unterschiedlichen Fassungen vertreten. Sein Anliegen ist es, das Politische in den Mittelpunkt der Debatte um das Urbane zu stellen (vgl. Swyngedouw 2013: 142). Dabei setzt er die neoliberale Stadt gleich mit der postpolitischen Stadt und argumentiert dabei in vier Schritten: Erstens zeigt er, wie sich ein Wandel von Regierungstechniken hin zu neoliberaler Gouvernementalität schrittweise depolitisierend auf Stadtpolitiken auswirkt. Über unternehmerische Stadtpolitiken und scheinbar horizontal organisierte und partizipatorisch ausgerichtete Praktiken und zivilgesellschaftliche Akteur*innen wird die Stadt zum entscheidenden Terrain der Umstrukturierung der Regierungstechniken. Es hat sich nunmehr eine neue, dem Anschein nach inklusive städtische Polizeiordnung herausgebildet, die auf der statistischen Erfassung und Kalkulation basiert und darauf zielt eine „konkurrenzfähige, kreative, innovative und globale Urbanität zu schaffen“ (Swyngedouw 2013: 145f.). Zweitens ist die postpolitische Stadt vor allem dadurch gekennzeichnet, dass sie das Politische verwirft und jegliche Widersprüche externalisiert. Eine Anerkennung radikaler Positionen wird verunmöglicht und ebenso eine grundlegende Kritik an der liberalen Perspektive oder eine prinzipielle Auseinandersetzung mit der proklamierten Alternativlosigkeit. Die Parameter demokratischen Regierens haben sich verschoben, hin zu einer ‚autokratischen Gouvernementalität‘. Postpolitik verweigert eine Politisierung, nämlich die Universalisierung partikularer Interessen und über bloße Interessenskonflikte hinausgehende systemkritische Perspektiven (vgl. Swyngedouw 2013: 147). Im Zentrum der postpolitischen Stadt steht ein Konsens, der keiner ist und alle abweichenden politischen Positionen werden als traditionalistisch oder fundamentalistisch in die Peripherie verdrängt. Wer außerhalb des Konsenses steht, wird ausgeschlossen, wie Geflüchtete oder Akteur*innen sozialer Unruhen und Riots in Paris, London oder Göteborg.26 Stattdessen konzentriert sich postpolitische Stadtpolitik auf die Produktion unternehmerischer und kreativer Eliten und schließt grundsätzliche Möglichkeiten und Alternativen jenseits der neoliberalisierten Logik aus. Drittens hat sich ein urbaner Populismus hegemonialisiert, der kennzeichnend für die Abwesenheit von Demokratie ist, der den Raum des ‚politischen Streithandels‘ zu delegitimieren versucht und durch eine konsensuelle technokratische städtische Polizeiordnung ersetzt. Dieser städtische Populismus ist gekennzeichnet
26 Zu einer konzeptionellen Diskussion jenseits der Dichotomisierung zwischen legitimen politischen Protestbewegungen und Praktiken und vermeintlich illegitimen Riots vgl. auch Mayer et al. (2016).
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durch (1) eine Homogenisierung der Stadt und ihrer Bewohner*innen; (2) das Motto die ‚Leute wissen es selbst am besten‘, gestützt durch wissenschaftliche Technokratie; (3) eine ‚apokalyptische Zukunftsvision‘, die technokratisches Handeln notwendig macht; (4) die Abwesenheit eines Subjekts des Wandels, hingegen durch Subjektivierungsprozesse einer gemeinsamen grundlegenden Zwangslage, die damit verbundene Externalisierung von innergesellschaftlichen Spannungen und die Abgrenzung von bedrohlichen Eindringlingen; (5) ein Anrufen von Eliten, an die unkonkrete Forderungen zum Handeln gestellt werden, wobei gleichzeitig eine transformative Perspektive jedoch ausgeschlossen wird; (6) vage Begriffe wie ‚kreative Stadt‘ an Stelle politischer Eigennamen; (7) die Abwesenheit einer positiven Version, stattdessen partikulare Forderungen, die partikulär bleiben und eine stadtpolitische Universalisierung verwerfen (vgl. Swyngedouw 2013: 149f.). In Abgrenzung zur postpolitischen Stadt orientiert sich die politische Stadt viertens am ausgetragenen Dissens. Swyngedouw verfolgt hier eine an Rancière orientierte Lesart des Politischen. Die Selbstwidersprüche der technokratischen Logik städtischer Ordnungen ermöglichen jedoch bereits politische Stadträume, die sich materialisieren und auch angeeignet werden, in denen die bisher nicht Gehörten zu Wort kommen (vgl. Swyngedouw 2013: 150ff.). Dies wird der Polizeiordnung als „Verwaltungs- und Distributionsapparatus“ (Dikeç 2007: 19) entgegengestellt. Von Politik kann also erst in dem Moment gesprochen werden, wenn ein Dissens aufkommt und ein entsprechender Raum geschaffen wird, der die quasi natürliche Ordnung stört, unterbricht oder gar aufzubrechen vermag. Politik wirkt dabei nicht innerhalb der bestehenden Polizeiordnung, sondern in den Zwischenräumen und bringe sogenannte „Intervalle der Subjektivierungen“ hervor (Dikeç 2005: 181f.), die zwischen Identitäten sowie zwischen Orten und Positionen konstruiert werden. Derzeitige unternehmerischen Stadtpolitiken mit ihren vielfältigen Interaktionen zwischen Staat und Wirtschaft entsprechen der derzeitigen spätkapitalistischen städtischen Polizeiordnung, die eben eine „wirklich demokratische Politik von den Orten öffentlicher Begegnungen [vertreibt]; sie säubert die Räume, indem sie dem Unmut einen separaten Raum außerhalb der polizeilichen Ordnung anweist – womit er aufgehoben und zum Schweigen gebracht wird“ (Swyngedouw 2013: 152). Im Kontrast dazu werden allerdings auch die Konturen ‚wirklicher Demokratie‘ als Bruch mit der bestehenden Ordnung und deren Legitimität geschärft, als symbolische Einsetzung und Inanspruchnahme der Macht durch jene, denen keine Macht zusteht. Erst ein Eingreifen in die bestehende Ordnung und die Parameter dessen, was als möglich angesehen wird, verändert auch den demokratischen Horizont. Demokratie entwickelt sich in den Intervallen und Zwischenräumen von Identitäten und Lebenswelten, die Gleichheitsordnungen immer wieder in Frage stellen. Derzeitige Gouvernementalität bildet hingegen die Antithese zur Demokratie. Dem ge-
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genüber stehen „große neue Fiktionen“ (Badiou 2005), die eine radikale andere Stadtpolitik durch die Eröffnung neuer ‚Möglichkeitsräume‘ voranbringen: „Dafür ist es erforderlich, andere urbane Zukunftsvisionen namhaft zu machen und in den Vordergrund zu stellen, das Neue und Unmögliche in die Sphäre der Politik und der Demokratie Einzug halten zu lassen sowie Konflikte, Differenzen und Kämpfe um die Benennung und Entwicklungslinien dieser Zukunftsszenarien anzuerkennen. Man sollte den städtischen Konflikt deshalb nicht in das homogenisierende Korsett eines populistischen Globalisierungsund Kreativitätsdiskurses zwängen, sondern ihn als konstitutiven Bestandteil einer demokratischen Ordnung legitimieren.“ (Swyngedouw 2013: 154)
Ausgehend vom Befund der postpolitischen, fragmentierten und kaleidoskopischen ‚glokalen Stadt‘ betont Swyngedouw die politischen Potenziale für städtische soziale Bewegungen, die in der Vielheit der ‚Brüche‘ und ‚Risse‘ angelegt seien und die bereits als Experimentierräume und Knotenpunkte neuer urbaner menschenwürdiger Möglichkeiten und Polizeiordnungen zu verstehen sind. In diesen „Dritten Räumen“ (Soja 1996) entstehen neue Visionen, Vorstellungen und Materialisierungen einer ‚wirklich demokratischen Stadt‘. Sie vermögen die ‚Kartografie des Möglichen‘ zu verändern und können dabei sowohl die Bedeutung von (Staats)Bürgerschaft als auch die Ausrichtung des Politischen und der Polis selbst in Frage stellen (vgl. Swyngedouw 2013: 155). Städtischer Protest wird zum Feld der Demokratisierungen, das potenziell über die Stadt hinausgeht und auch die politischen Strukturen und Rahmungen neu verhandelbar macht. Städtische soziale Bewegungen werden zu politischen Subjekten der Demokratisierung. Doch sozialer Wandel ist keineswegs eine geradlinige Entwicklung, sondern vielmehr ein fortlaufendes Versuchen und Scheitern, das sowohl Möglichkeitsräume eröffnet, als auch dazu beitragen kann die bestehende politische Ordnung wieder zu stabilisieren. Instabile Stabilität. Governance zwischen Kooption und radikaler Demokratie Governance spielt für dieses ambivalente Verständnis städtischer Proteste eine Schlüsselrolle, da sie den Knotenpunkt zwischen Staat, Ökonomie und Bürger*innen ausmacht. In der postpolitischen Stadt richtet sich ein heterogenes Set von unternehmerischen Regierungstechniken hauptsächlich auf die Vermarktung und Kommodifizierung, Co-Regulierung in Public-Private-Partnerships, einer veränderten Verteilung von Verantwortung und entsprechenden Responsibilisierungen und wird flankiert durch verschiedene Disziplinarmaßnahmen (vgl. Scheller/Thörn 2018, Thörn 2016). Eine entscheidende Stärke des Neoliberalismus besteht darin, widerständige Kritik im Angesicht von Krisen in die eigene Logik zu implementieren und sich erneut zu stabilisieren:
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„The relationship between, and mutual influence of, neoliberalism and urban social movements has become even stronger as, in the course of the neoliberalization of urban governance, a series of political demands as well as organizational forms of the movements have become directly incorporated into the neoliberal project.“ (Mayer/Künkel: 2012: 211)
Stadtpolitischer Protest ist demnach stets ambivalent in seiner Wirkung zu betrachten, denn er kann gleichzeitig Hindernis oder aber auch Bestandteil der Erneuerung des Neoliberalismus werden. Die Kapazitäten des neoliberalen Projekts radikale und kritische Gegenpositionen zu kooptieren und mit in die eigene politische Logik einzubinden sind also ein weiteres Bestimmungsmerkmal derzeitiger neoliberaler Governanceregime. Luc Boltanski und Ève Chiapello (2003: 556ff.) betonen die Anschlussfähigkeit der Forderungen nach einer freien, flexiblen und kreativen Lebensführung (Künstler*innenkritik) für projektorientierte Managementdiskurse, gegenüber der Inkommensurabilität der Kritiken an sozialer Ungleichheit, Ausbeutung und Prekarisierung (Sozialkritik). Ähnliches wird auch mit Blick auf linksradikale städtische soziale Bewegungen deutlich, nämlich eine eigentümliche Nähe und Anschlussfähigkeit zu neoliberalen Diskursen hinsichtlich der Betonung des Freiheitsimperativs verbunden mit einer Herrschafts- und Staatskritik. Wie Armin Kuhn (2014) am Beispiel von Hausbesetzungsbewegungen in Berlin und Barcelona seit den 1970er Jahren zeigt, gehen die radikalen Gegenprojekte zu kapitalistischer Stadtentwicklung nicht nur mit der Krise des Fordismus einher, sondern erweisen sich im Kontext neoliberalisierter Stadtentwicklung und fortlaufender Krisen rückblickend als äußerst anschlussfähig und stabilisierend. Seine Überzeugungskraft verdankt der neoliberale Diskurs vor allem seinem Freiheitsversprechen und weniger einer offenkundigen wirtschaftsliberalen Argumentation (vgl. Kuhn 2014: 53). Aus dieser Perspektive stehen identitär abgeschlossene autonome Freiräume nur scheinbar außerhalb gesellschaftlicher Machtverhältnisse. Stadtpolitische Forderungen sind in der sich fortsetzenden Radikalisierung27 neoliberaler Stadterneuerungspolitiken umgedeutet und zu einem Teil derzeitiger Herrschaftstechnologien und aktueller Governanceregime geworden (vgl. Kuhn 2014: 227). Konsensorientierte politische Entscheidungsprozesse und Partizipationsformate implizieren eine solche Vereinnahmung und Umdeutung, wenn Protestbewegungen in eine „behutsame Stadtentwicklung“ (Hämer 1990) eingebunden werden (vgl. Mayer/Künkel 2012: 208ff.). Während autonome Freiräume nach wie vor eher isoliert einer konkreten linksradikalen Szene vorbehalten seien, würden gleichzeitig prekarisierte Künst-
27 Radikalisierung wird in diesem Zusammenhang und im weiteren Verlauf der Arbeit in Anlehnung an Laclau und Mouffe (1985) gebraucht, als Ausweitung von Gleichheit und Teilhabe auf alle möglichen gesellschaftlichen Felder.
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ler*innen in kreativen Stadtentwicklungspolitiken vereinnahmt, so Kuhn. Dennoch produzieren die immanenten Widersprüche der stadtpolitischen Ausrichtung auf Inwertsetzung von Urbanität in Verbindung mit den zugehörigen Versprechen vor allem einen neuen städtischen Protest. Entscheidend für zukünftige Ausrichtungen des Protests sei nunmehr die Ausdehnung und das Infragestellen des ‚Feldes der Möglichkeiten‘ und „ob die Aktivist*innen eines noch immer subkulturell geprägten Bewegungsmilieus ihre ambivalent gewordenen Strategien und Identitätsentwürfe abschütteln können“ (Kuhn 2014: 228). Eine solche Diagnose ist auch für die vorliegende Arbeit relevant, fokussiert sie doch, unter verändertem Vorzeichen, konkret auf diese neuen oder gewandelten Artikulationen und Subjekte des Protests, die sich weit über ein bestimmtes sogenanntes subkulturelles Milieu hinausgehend ausmachen lassen (vgl. Kap. 5). Verschiebungen in Protestentwicklungen der letzten Jahre bei denen Besetzungen, Horizontalität und Selbstbestimmtheit eine Rolle gespielt haben, scheinen sich mittlerweile zu einer Tendenz politischer Praxen entwickelt zu haben, die über die linksradikalen und anarchistischen Milieus hinausgehend in „hybrid-autonomen Bewegungen“ (Lopez-Martinez 2016) oder „postautonomen städtischen sozialen Bewegungen“ (Vollmer/Scheller 2018) eine Rolle spielen (vgl. Kap. 6). Mit Blick auf die Empirie (Kap. 5) lässt sich eine neue Generation städtischer sozialer Bewegungen ausmachen, die sich gegenüber den angeführten Aspekten sensibilisiert zeigt. Es wird deutlich, dass aktuelle städtische soziale Bewegungen mitunter über die bloße Reaktion auf Neoliberalisierungen und als Gegenbewegung dazu hinausgehen und sich in ihren Forderungen auf die integrale Demokratisierung städtischer Raumproduktionen, sowie der damit verbundenen politischen Entscheidungen und Governance fokussieren. Dazu kommen eigentümliche Responsibilisierungen und Partizipationsanrufungen von Stadtbewohner*innen in der aktuellen neoliberalen Governance, die entweder als substanzlos oder legitimierend kritisiert werden. Die Responsibilisierung implementiert eine Disziplinierung und mitunter Sanktionsmöglichkeiten. Allerdings ist für die vorliegende Arbeit ein weiterer Aspekt ausschlaggebend, nämlich die inhärente Anrufung von politischen Subjekten, die sich dieser sanktionierenden Ordnung widersetzen. Als ausschlaggebend werden in den konkreten Protestartikulationen existenzielle Gründe angegeben, die in Verbindung mit der Krise der Repräsentation in liberalen Demokratien stehen. Demokratisierungsbewegungen (in) der Stadt Die Demokratisierungsbewegungen seit 2011 in Ägypten, Griechenland, Spanien, der Türkei oder den USA, die durch spektakuläre massenhafte Platzbesetzungen für Aufmerksamkeit gesorgt haben, stehen für eine „rejection of representative democracy and paying for the crisis“ (vgl. Sitrin/Azzellini 2014: 9). Auch hier lautet der Befund, dass bestehende Institutionen unter dem harten Austeritätskurs und
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fortschreitender Neoliberalisierung der liberalen Demokratie illegitim geworden sind und auf Ablehnung stoßen. Aktuelle Mobilisierungen setzen der unpolitischen repräsentativen antidemokratischen Demokratie allerdings „laboratories for democracy“ entgegen (vgl. Sitrin/Azzellini 2014: 6). Das Zurückweisen der bestehenden Ordnung geht einher mit der Konstitution eigener alternativer politischer Strukturen und eigener Institutionen, die sich an einer radikaldemokratischen Logik orientieren und nach Prinzipien der Horizontalität, Autonomie, Autogestion und Teilhabe aufgebaut werden (vgl. Sitrin/Azzellini 2014: 16ff.). Auf der Beziehungsebene und in Kommunikations- und Aushandlungsprozessen finden bereits transformative Praktiken statt. Zum Beispiel im Aufbau einer alternativen Gesundheitsversorgung oder der Selbstorganisation von Fabriken manifestiert sich die „alltägliche Revolution“ auf einer Mikroebene in den Brüchen und sich öffnenden Möglichkeitsräumen (vgl. Sitrin/Azzellini 2014: 7). Kommen die starren Ordnungen erst einmal in Bewegung und verlieren sie ihre Legitimierungskraft, dann wandeln sich auch die politischen Subjekte.28 Prefigurative Politiken ändern die Beziehungen der Subjekte zueinander und die Art und Weise wie Entscheidungen getroffen werden (vgl. Sitrin/Azzellini 2014: 57), wobei sich eine nachhaltige gesellschaftliche Veränderung in den Mikrostrukturen abzeichnet. Soziale Bewegungen sind die treibende Kraft sozialer Veränderungen, insbesondere die square-movements erscheinen als Indikatoren eines sogenannten new global movement. Die Erfahrungen der Selbstermächtigung und Selbstregierung (self-government) prägen die politische Vorstellungskraft und das politische Vokabular der Protestierenden. Neue Formen von Demokratie entwickeln sich in Abgrenzung zur liberalen Demokratie, deren immanente antidemokratische Widersprüche immer deutlicher werden (vgl. Sitrin/Azzellini 2014: 51). Im Vergleich zur eher pessimistischen Diagnose von Brown (vgl. Kap. 2.4.2) werden hier die sozialen Bewegungen explizit als Hoffnungsträger*innen für sozialen Wandel gefasst, der bereits stattfindet. Dies verdeutlicht bei aller epistemologischer Ähnlichkeit die Gegensätzlichkeit der Befunde: Einerseits ist bei Brown (2015) diese alternative Ordnung noch herzustellen und andererseits ist bei Sitrin/Azzelini (2014) diese potenziell in den bestehenden Strukturen bereits angelegt und muss sich nur noch materialisieren.29 Dabei kommt allerdings eine eigentümli-
28 Ein ähnliches Bild taucht immer wieder in den differenztheoretisch fundierten Arbeiten auf, die sich an Rancière, Mouffe, Laclau oder Žižek orientieren. Dies ist zurückzuführen auf die Orientierung an Carl Schmitt (1932) und seiner Freund-Feind-Dialektik, zwischen Ökonomie und Sozialem und der politischen Differenz (vgl. Diesing 2013, Marchart 2010, Roskamm/Michel 2013, Mullis 2017, Rancière 2002). 29 Eine Ähnliche Argumentation findet sich auch bei Hardt/Negri (2000, 2004, 2009) in ihren Befunden zur „Multitude“.
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che Teleologie und Notwendigkeit von strukturellen Konstellationen zum Zuge, die in die empirischen Beispiele eingelesen wird. Die Aussage „[yet] never has democracy been more necessary“ (Hardt/Negri 2004: xii) ist heuristisch nicht unproblematisch, wenn sie nicht nur den abschließenden Befund, sondern auch den strukturellen Ausgangspunkt der Beschreibung von Protestbewegungen liefert. Aus einer postfundamentalistischen Perspektive auf soziale Bewegungen kann sich dies als problematisch erweisen, da die Ambivalenzen von Protestartikulationen, die bei Brown (2015), Mayer und Künkel (2012) oder auch Kuhn (2014) deutlich hervorgehoben wurden, hier eher unterbelichtet bleiben. Die These einer Notwendigkeit der Demokratisierung als Fluchtpunkt des emanzipatorischen Projekts einer „world of equality and freedom“ (Hardt/Negri 2004: xi) hat sich stets der Empirie zu stellen. Für die vorliegende Arbeit bedeutet dies, dass die konkreten städtischen Protestartikulationen nicht per se auf Demokratisierungen ausgerichtet sind, sondern erst dahingehend auf ihren demokratischen Gehalt zu analysieren sind, ohne bereits einen übergeordneten Signifikanten oder politische Subjektivität vorauszusetzen. Noch deutlicher wird dieser Unterschied bei Murray Bookchin (2015: 48), der einen bereits existierenden „libertarian communalism“ als das Gegenprojekt zur repräsentativen Demokratie beschreibt. Wie Sitrin und Azzellini hebt auch Bookchin bereits vor den Platzbesetzungen hervor, wie sich die politische Logik in sozialen Bewegungen verschoben hat, hin zu einer radikaldemokratischen Lesart von citizenship und der Subjektposition der ‚Bürger*in‘ mit Horizontalität, Solidarität und Selbstregierung. Bürger*innen bestimmen selbst und gemeinsam, wie sie leben wollen. Assemblies sind dabei von zentraler Bedeutung, da sich darin sowohl Entscheidungsprozesse (decision-making) als auch eine politische Bildung (education) hin zu nachhaltigen Erfahrungen radikaler Demokratie entwickeln: „The concrete political dimension of Communalism is known as libertarian municipalism. In its libertarian municipalist program, Communalism resolutely seeks to eliminate statist municipal structures and replace them with the institutions of a libertarian polity. It seeks to radically restructure cities’ governing institutions into popular democratic assemblies based on neighborhoods, towns, and villages. In these popular assemblies, citizens – including the middle classes as well as the working classes – deal with community affairs on a face-to-face basis, making policy decisions in a direct democracy and giving reality to the ideal of a humanistic, rational society.“ (Bookchin 2015: 45)
Bookchin stellt allerdings ebenfalls heraus, dass die Gefahr einer Einhegung besteht. Er schlussfolgert daraus, dass der Protest und der Alltag sich weiter radikalisieren müssen (vgl. Bookchin 2015: 46). Insbesondere die sich weiter zuspitzende ökologische Krise macht er als gemeinsamen globalen Bezugspunkt und als Motivation für radikaldemokratische, selbstermächtigende Praktiken gesellschaftlicher
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Veränderungen aus (vgl. Bookchin 2015: 67). Es geht ihm dabei weniger um Forderungen als um die tatsächlichen alltäglich gelebten Alternativen. Mark Purcell (2006, 2013a, 2013b, 2013c) betont das Lefebvre’sche Framework (vgl. Kap. 2.2) und die Rolle städtischer sozialer Bewegungen für eine Analyse radikaldemokratischer Forderungen und Versuche der transformatorischen Einflussnahme auf die Restrukturierung von lokalen Governancestrukturen, die über die Stadt hinausgehen. Er hebt dabei das Prozesshafte, fortlaufend Prekäre von Demokratie und Demokratisierungen hervor: „We never achieve democracy, we can never be democratic, we can only ever continually become democratic, we must always struggle to manage our affairs for ourselves as much as we can“ (Purcell 2013a: 314). Die Entwicklung einer revolutionär utopischen Vision, die radikaldemokratische Räume eröffnet und die Vorstellung und Forderung nach ‚wirklicher Demokratie‘ impliziert, ist hier im Entstehen und deren Richtung keineswegs gesichert. Demokratie als fortlaufenden Prozess, als etwas nicht Abgeschlossenes und nicht Abzuschließendes zu denken hatte bereits Lefebvre im Hinblick auf das Objekt von autogestion eingefordert: „Democracy is nothing other than the struggle for democracy. The struggle for democracy is the movement itself. […] [I]t is a permanent struggle and it is even a struggle against the State that emerges from democracy.“ (Lefebvre 2009: 61) Für die vorliegende Forschung wäre an dieser Stelle folgendes festzuhalten: Ist Demokratisierung das Objekt und das Urbane der Inkubator derzeitiger soziopolitischer Auseinandersetzungen, so sind die Subjekte dieser transformativen Kämpfe derzeit städtische soziale Bewegungen. Es ist zu untersuchen, inwiefern die angeführten präfigurativen politischen Praxen sowie ein Infragestellen von Repräsentation und liberaler Demokratie für aktuelle emanzipatorische städtische soziale Bewegungen ausschlaggebend sind. Nicht nur die Repolitisierung, sondern Demokratisierungen markieren einen entscheidenden Paradigmenwechsel in der politischen Logik. An dieser Stelle setzt die Arbeit an und versteht stadtpolitische Protestbewegungen und Initiativen als stetig lauter werdende, kaleidoskopische und fragmentierte Stimmen, die Demokratisierungen (in) der neoliberalisierten postpolitischen Stadt einfordern und leben können. Im Folgenden werden die bisherigen Überlegungen zum theoretischen Rahmen für die Analyse städtischer sozialer Bewegungen als Demokratisierungsbewegungen zusammengefasst.
2.5
STÄDTISCHE SOZIALE BEWEGUNGEN ALS DEMOKRATISIERUNGSBEWEGUNGEN
In den vorangegangenen Abschnitten habe ich entlang verschiedener Forschungsbeiträge sowie epistemischer und konzeptioneller Überlegungen einen theoreti-
80 | Demokratisierung der Postdemokratie
schen Rahmen mit verschiedenen Bezugspunkten für das vorliegende Forschungsprojekt skizziert. An dieser Stelle werden die verschiedenen Fäden zusammengeführt und eine Forschungsperspektive auf städtische soziale Bewegungen unter dem Aspekt der Demokratisierung beschrieben. Im Nexus zwischen Neoliberalisierungen und Postdemokratie wurde die exponierte Stellung der Stadt beziehungsweise des Urbanen in der derzeitigen „multiplen Krise“ (Demirović 2013) herausgestellt. Es wurden Verbindungen zwischen unternehmerischen Stadtpolitiken und damit einhergehender Privatisierungen und Kommodifizierungen des Städtischen als politökonomischer Hintergrund für städtische Proteste um bezahlbaren Wohnraum, Verdrängung und Beteiligung aufgezeigt (vgl. Kap. 2.3.2). Gerade in Städten verdichten sich mit den Versprechungen die Widersprüche und Verwerfungen neoliberalisierter Vergesellschaftung. Über die Tendenz hinaus, die aufkommenden Rechtauf-Stadt-Bewegungen (vgl. Kap. 2) vorrangig unter ökonomischen Gesichtspunkten als Counter-Neoliberalisierung zu diskutieren (vgl. Kap. 2.3.3), erweist sich eine Berücksichtigung von Forschungsansätzen und Konzeptionalisierungen städtischer Proteste als hilfreich, die sich an den sogenannten neuen Theorien des Politischen orientieren und das Politische in den Blick nehmen (vgl. Kap. 2.4). Die Perspektive auf die Protestursachen erweitert sich dabei von der Krise des Neoliberalismus über die Krise der postpolitischen Stadt hin zur Krise der liberalen Demokratie. Im Zentrum der Demokratiekrise stehen damit sozusagen der Appell und die Forderung nach einer ‚Demokratisierung der Demokratie‘. Aus dieser Sicht wird postuliert, dass Demokratisierungen aktuell in städtischen Bewegungen eine wesentliche Rolle spielen, die es genauer zu untersuchen gilt. Mit Blick auf eine globale Demokratisierungsbewegung vollzieht sich eine notwendige Radikalisierung derzeitiger demokratischer Strukturen, die aus Sicht einer emanzipatorischen Linken immer weiter zu treiben ist (vgl. Bookchin 2015, Sitrin/Azzellini 2014, Hardt/Negri 2004). Demzufolge besteht die Radikalisierung insbesondere darin, direktdemokratische Aushandlungs- und Entscheidungsprozesse den derzeitigen in einer Legitimitätskrise befindlichen repräsentativen Institutionen entgegenzustellen. Radikale Demokratisierungen aber, verstanden als Expansion von Gleichheit, vollziehen sich zuvorderst auf einer Mikroebene der alltäglichen Praktiken, die in Ausnahmesituationen zu Tage treten, nämlich dann wenn die bestehende Ordnung ihre Legitimität verliert, sich neue Möglichkeitsräume öffnen und Menschen sich verändert gegenübertreten. Die normative Ausrichtung ist hierbei für eine emanzipatorische radikale Demokratisierung ebenso wenig von der Hand zu weisen wie auch für die analytische Perspektive, die nämlich genau darauf zu schauen hat, wen und was die in den Protesten artikulierten Forderungen und Subjektivierungen ein- und ausschließen und wogegen diese sich abgrenzen (vgl. Kap. 2.2.2, Kap. 3.6, Kap. 6). In den Protestartikulationen adressierte Äquivalenzen und Antagonismen sind aus-
Städtische soziale Bewegungen | 81
schlaggebend für den Gehalt der Demokratisierung, was den Fokus auf die diskursive Dimension des Protests lenkt (vgl. Kap. 3). Die oben dargestellten Postdemokratiebefunde erweisen sich für eine diskurstheoretische Perspektive auf Protestartikulationen als anschlussfähig, da einerseits die Ambivalenzen und Widersprüche derzeitiger politischer Entscheidungsstrukturen und Institutionen sowie andererseits explizit die ungehörten Exkludierten in den Blick geraten (vgl. Kap. 2.4.2). Das Politische entsteht erst im Dissens mit der bestehenden Ordnung, schreibt Rancière (2002). In und aus den Brüchen dieser Ordnung sprechen der Protest und damit die bisher ungehörten Stimmen, die nach Beteiligung, Selbstorganisation und Autonomie rufen – mal laut und mal leise, mal klar und mal unverständlich. Dabei wird die These aufgestellt, dass es sich bei der derzeitigen Fassung republikanischer, liberaldemokratischer oder repräsentativer Demokratie nach wie vor um eine prädemokratische Phase handelt. Das heißt, Demokratie in ihrem eigentlichen normativen Sinne ist noch nicht verwirklicht worden. Wirkliche Demokratie wird hierbei als direkter Aushandlungsprozess unter Gleichen bestimmt, sodass formale Verfahren der Entscheidungsfindung in repräsentativen Mehrheiten aus dieser engen Definition hinausfallen. Wird Gleichheit als bestimmender Faktor von Demokratie gesetzt, dann bildet deren Verwirklichung gleichsam die Zielvorgabe von Demokratisierungen. Die Voraussetzung dafür bildet wiederum eine Orientierung an den ungehörten und bisher ausgeschlossenen Stimmen. Diese implizite Entwicklungsidee ist allerdings keineswegs eine kontinuierliche oder gar teleologische, und, wie aktuelle politische Entwicklungen und ein Erstarken antidemokratischer Stimmen und Bewegungen zeigen, auch keineswegs ein sicheres Ziel.30 Brown (2015) warnt uns vor den Konsequenzen einer fortschreitenden internen Aushöhlung der basalen Fundierungen von Demokratie durch eine hegemoniale ökonomische Rationalität in der Marktdemokratie. Der Abstieg in den Faschismus ist nicht auszuschließen, sondern real möglich, was nur wenig Grund zu Optimismus bietet, wie derzeitige politische Entwicklungen hin zu einem ‚Rechtsruck‘ in den USA und Europa zeigen31. Um so wichtiger ist die ontologische Auseinandersetzung mit den emanzipatorischen Demokratisierungsbewegungen, die nicht als Selbstverständlichkeit aufgefasst werden können sondern als etwas, was stets aufs Neue herzustellen ist. Klar wird dabei auf
30 Ebenso zu beobachten, wenn auch nicht konkreter Gegenstand dieser Forschung, ist ein Erstarken kulturalistischer und rassistischer Bewegungen, die sich für einen exklusiven Nationalismus einsetzen (Daphi et al. 2015). 31 Gemeint sind hierbei beispielsweise das politische Umfeld des US-amerikanischen Präsident Donald Trump und das Erstarken rechter Parteien in Europa, wie Alternative für Deutschland (AfD), Goldene Morgenröte (Griechenland) oder auch Front National (Frankreich).
82 | Demokratisierung der Postdemokratie
jeden Fall auch, dass Demokratisierungen als genuin antifaschistisch zu verstehen sind und ebenso in ihrem Verhältnis zu klassistischen, sexistischen, rassistischen, kulturalistischen, misogynen und sonstigen Stereotypisierungen, Stigmatisierungen und Diskriminierungen berücksichtigt werden müssen. Insbesondere städtische soziale Bewegungen, wie sie in dieser Arbeit behandelt werden, stehen für ein emanzipatorisches Potenzial (vgl. Kap. 5). Nehmen wir die These ernst, dass die demokratische Stadt ihren eigentlichen Sinn als Polis32 eine direkte Mitbestimmung und einen gemeinsamen Raum politischer Entscheidungen für alle auf Basis der Versammlung bisher noch schuldig geblieben ist, dann impliziert dies auch politische Subjekte des Wandels. Auch wenn dies durchaus kritisch und ambivalent – unter anderem unter den Aspekten Governance und Einhegung – in der Forschung verhandelt wird, stehen nach wie vor städtische soziale Bewegungen für das Potenzial zur Veränderung in der neoliberalisierten postdemokratischen Stadt explizit für die Repolitisierung und die Demokratisierung der repräsentativen Demokratie. Allerdings stellt die Demokratisierung der Demokratie kein historisch notwendiges politisches Ziel dar, sondern bildet vielmehr einen politischen Möglichkeitshorizont, dessen notorische Abwesenheit zum Charakteristikum postpolitischer Konstellationen geworden ist. Wir haben es also mit einer Dialektik zu tun, wobei die Abwesenheit des Politischen nicht ohne das Potenzial zur Repolitisierung zu denken ist. Während die Repolitisierung die verfestigte Ordnung wieder verhandelbar macht, bestimmt Demokratisierung die normative Richtung und kann dadurch als genuin emanzipatorischer Kampfbegriff nicht aufgegeben werden. Da die konkreten diskursiven Mechanismen eines zustande gekommenen depolitisierenden Konsenses und einer repolitisierenden Artikulation der Widersprüche selbst bei den bisher dargestellten Postdemokratieperspektiven (vgl. Kap. 2.4.2) konzeptionell und metatheoretisch eher eine untergeordnete Rolle spielen, erscheint an dieser Stelle ein Anknüpfen an Ernesto Laclau und Chantal Mouffes hegemonietheoretische Überlegungen vielversprechend für eine empirische Analyse der konkreten Protestartikulationen. Wie im anschließenden Kapitel gezeigt wird, konzeptionalisieren Ernesto Laclau und Chantal Mouffe (1985) die dialektische Verbindung zwischen hegemonialen Argumentationen und einer einhergehenden Delegitimierung alternativer Positionen. ‚Kontingenz‘33 wird aus dieser Perspektive zum
32 Der Begriff der ‚Polis‘ wird hier verstanden als Ort der politischen Gleichheit, des gemeinsamen Streithandels aller und grenzt sich damit von der ursprünglichen von Platon und Aristoteles vertretenen exklusiven Fassung ab, die nur auf die männlichen, freien Stadtbewohner gerichtet war. 33 Wie Urs Stäheli (2000) herausarbeitet, stellt die Kontingenzbetonung ein wesentliches Bestimmungsmerkmal des Poststrukturalismus dar. Kontingenz, als Gegenbegriff zur his-
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allgegenwärtigen Bestimmungsmerkmal gesellschaftlicher Wirklichkeit und damit sowohl der bestehenden postpolitischen Ordnung, als auch jeglicher Ontologie, da sie Letztbegründungen des Politischen und der Politiken verunmöglicht (vgl. Marchart 2010: 185, Mullis 2017: 22). Deren Bestehen wird in erster Instanz diskursiv gesichert und ebenso erschüttert aufgrund inhärenter Widersprüche, die sich nicht zuletzt aus dem Einhegen alternativer konträrer Positionen ergeben. Als anschlussfähig erweist sich diese erkenntnistheoretische Perspektive auch für die kritische Stadtforschung. So wird davon ausgegangen, dass sich das politische Projekt der Neoliberalisierung auf unterschiedlichen politischen Ebenen in die politischen Vergesellschaftungssysteme sowie die gouvernementalen Regierungstechniken einschreibt und sich mittlerweile global hegemonialisieren konnte. Dabei haben auch tiefgreifende ökonomische Krisen keineswegs dazu beigetragen, dass ein grundlegender Paradigmenwechsel einsetzt, sondern es lässt sich empirisch zeigen, dass die Entwicklungen eher hin zu einer „deepening neoliberalization“ (Peck/Tickel 2002) tendieren, wobei Krisen für eine Verschärfung von „uneven development“ (Smith 2008) in der Produktion des Raumes beigetragen haben (vgl. Kap. 2.1.3, Kap. 2.3.2 und Kap. 2.4.3). Protest hat nach wie vor, trotz einiger Etappensiege und kleinerer „Halbinseln gegen den Strom“ (Habermann 2009), substanziell keineswegs einen grundlegenden Paradigmenwechsel hin zu einer ‚demokratischeren‘ und ‚gerechten‘ Stadt hervorrufen können (vgl. Kap. 2.4.3). Eine diskurstheoretische Perspektive widmet sich der diskursiven Produktion und fortlaufenden Konsolidierung des Neoliberalismus als ideologisches auf Totalität zielendes politisches Reformprojekt. Sie geht von den alltäglichen Praxen aus und beschäftigt sich mit den konkreten, aus lokalen neoliberalisierten Stadtentwicklungspolitiken erwachsenden städtischen Protestbewegungen. Dabei wird es möglich Ambivalenzen und Widersprüche aber auch alternative Formen der Schaffung von politischen Möglichkeitsräumen und Entscheidungsstrukturen durch eine Verschiebung des vermeintlich fixen Horizonts politischer Möglichkeiten zu erfassen. Städtischer Protest ist hierbei in seiner genuin politischen Dimension zu verstehen, die sich einerseits entlang der Crouch’schen Perspektiven als eine Reformbewegung zur Reformulierung sozialstaatlicher Instrumente beschreiben lässt. Andererseits, und das ist für die vorliegende Arbeit entscheidend, wird ein umfassenderes Bild städtischen Protests erst aus einer ontologischen Perspektive der politischen
torischen-teleologischen Ontologie, betont die gesellschaftliche Gewordenheit von Strukturen und deren vorübergehende, temporäre Fixiertheit. Der Möglichkeitshorizont selbst bleibt damit verhandlungsoffen, wonach immer alles auch anders sein könnte, wenn auch nicht beliebig. Kritisiert werden dabei die Begründungszusammenhänge für gesellschaftliche Strukturen, die deren Entstehungszusammenhänge naturalisieren (vgl. auch Makropoulos 2004, Rorty 1989).
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Differenz erfassbar (vgl. Marchart 2010 sowie u.a. Kap. 3.1). Verstanden als grundlegende ‚Störung der polizeilichen Ordnung‘ und als politische Momente und Sequenzen, werfen urbane Proteste nicht nur Fragen nach der Reformulierung der Paradigmen und Distributionsinstrumente gesellschaftlichen Wohlstands auf, sondern stellen in erster Linie das derzeitige demokratische System in seiner repräsentativen Ausprägung in Frage (vgl. Rancière 2014). In den Protestartikulationen zeichnet sich eine Tendenz dazu ab, dass die Akteur*innen städtischer Proteste sich nicht mit ihrer Rolle als Korrektiv politischer Entscheidungen abfinden wollen, sondern vielmehr nach einer Erneuerung des demokratischen Denkens und nach einem direkten Zugang zu politischen Entscheidungen drängen. Dabei soll insbesondere darauf geschaut werden, inwiefern städtische soziale Bewegungen „Räume der Artikulation und Rede der bisher nicht Gehörten“ (Swyngedouw 2013: 150) darstellen. Protestartikulationen und diskursive Auseinandersetzungen um die ‚wirklich demokratische Stadt‘ stehen damit im Zentrum der vorliegenden Untersuchung. Dabei wird deutlich, dass sich Demokratisierungsforderungen weder auf die Stadt oder das Urbane noch auf die Reform staatlicher Institutionen beschränken, sondern sich darüber hinausgehend der Frage nach dem Politischen und angemessener Politiken widmen. Nicht Antikapitalismus, sondern Demokratisierung bildet zuvorderst den gemeinsamen Bezugspunkt. Dabei bleibt auch zu klären, wie die Demokratisierung der Demokratie grundsätzlich in städtischen sozialen Bewegungen verhandelt wird und ob die Protestartikulationen über eine Deökonomisierung der Demokratie oder eine Demokratisierung der Ökonomie hinausgehen. In einem nächsten Schritt wird nun die an der diskurstheoretischen Hegemonietheorie orientierte Forschungsperspektive im Detail rekonstruiert und hinsichtlich ihrer Potenziale und Schwierigkeiten zur Untersuchung städtischer sozialer Bewegungen diskutiert. Um die städtischen Protestartikulationen in ihrer diskursiven Mehrdimensionalität beschreiben zu können, wird darauf aufbauend und in Anlehnung an die Operationalisierung einer postfundamentalistischen politischen Ontologie (vgl. u.a. Marchart 2013a, 2013b) ein analytisch-methodischer Rahmen für die vorliegende Untersuchung aufgezeigt (vgl. Kap. 3.6 und zur Umsetzung Kap 4.3).
3
Hegemonietheorie. Postfundamentalistische Forschungsperspektive „It is only when the open, unstructured character of the social is fully accepted, when the essentialism of the totality and of the elements is rejected, that this potential becomes clearly visible and ‚hegemony’ can come to constitute a fundamental tool for the political analysis of the left.“ (Laclau/Mouffe 1985: 192f.)
In der Diskussion aktueller Forschungsfelder, theoretischer Ansätze und analytischer Dimensionen kritischer Stadtforschung wurde ein dringender Forschungsbedarf zu städtischen sozialen Bewegungen unter dem Aspekt der Demokratisierung identifiziert. Insbesondere unter den aktuellen Entwicklungen zu einer heterogenen und fragmentierten sozialen Bewegungslandschaft, die sich allerdings zusehends stärker vernetzt als in den vergangenen Dekaden (vgl. Kap. 2.2.3), werden dabei Kritiken der Repräsentation verbunden mit Demokratisierungsforderungen laut (vgl. Kap. 2.5). Daran anknüpfend beschäftigt sich dieses Kapitel mit der Konzeptionalisierung einer analytischen Perspektive zur Untersuchung der aktuellen Protestartikulationen. Dazu wird die bereits begonnene Suche nach einer geeigneten Fassung des Politischen und der Politik, im Bereich der „neuen Theorien des Politischen“ (Marchart 2010) fortgesetzt. Ernesto Laclau und Chantal Mouffe haben mit ihrem Aufsatz „Hegemonie und radikale Demokratie“ (1985) einen poststructural turn in der Beschreibung der „neuen sozialen Bewegungen“ seit den 1960er Jahre angestoßen. Hinsichtlich der oben dargestellten heuristischen und epistemologischen Engpässe materialistisch fundierter Forschungsperspektiven auf städtische soziale Bewegungen (vgl. Kap. 2.3.3) bietet die diskurstheoretisch reformulierte Hegemonietheorie einen geeigneten konzeptionellen Rahmen für die Bearbeitung der zentralen Forschungsfrage nach Demokratisierungen und Kohäsionen, denn einerseits bilden zuvorderst ontologische Überlegungen zur Konzeptionalisierung so-
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zialer Wirklichkeit den Kern diese Forschungsperspektive, wovon sich anderseits eine diskurstheoretisch fundierte Analysemethodik ableiten lässt. Die hegemonietheoretische Diskursfunktionsanalyse wird für die in dieser Forschungsarbeit verfolgte Fragestellung zu den Konstitutionsbedingungen und diskursiven Auseinandersetzungen in städtischen Protestartikulationen gegenüber anderen möglichen Analyseansätzen vorgezogen. Beispielsweise wäre ein Framing-Ansatz nach Benford/Snow (2000) durchaus eine Alternative (vgl. Vey 2015: 31ff.). Allerdings impliziert dieser Ansatz bereits eine genuin strategische Ausrichtung der Protestartikulationen. Eine postfundamentalistische Perspektive auf die Konstituierung städtischer sozialer Bewegungen hingegen erfordert ein ontologisches Zurücktreten, um auch nicht strategische Aspekte in ihrer relationalen Kontingenz berücksichtigen zu können. Insbesondere die diskurstheoretische Hegemonietheorie scheint für ein solches induktive Vorgehen geeignet. In einem ersten Schritt widme ich mich den grundsätzlichen Paradigmen einer diskurstheoretischen Hegemonietheorie nach Laclau und Mouffe, mit Blick auf die Analyse des Zustandekommens, der Zusammensetzung und Ausrichtung städtischer sozialer Bewegungen (Kap. 3.1). Kontingenz bildet den Ausgangspunkt für eine konstruktivistische Sicht auf soziale Wirklichkeit und zieht die These einer unabgeschlossen und verhandlungsoffenen Gesellschaft nach sich, die sich stets nur temporär als soziale Ordnung stabilisieren kann (Kap. 3.1.1). Der Wegfall von naturalisierenden Letztbegründungen betrifft auch die Subjektebene und damit die Protagonist*innen von Protest und sozialem Wandel (Kap. 3.1.2). Für den radikalen Relationismus, der sowohl für die Konstitution von sozialen Ordnungen als auch für Subjektivitäten das zentrale Paradigma ausmacht, ist die Beschreibung von Antagonismen changierend zwischen Beschreibungen von Äquivalenzen und Differenzen entscheidend (Kap. 3.1.3). In einem zweiten Schritt (Kap. 3.2) werden darauf aufbauend deduktive Analysekategorien beschrieben, zunächst Hegemonie und Gegenhegemonie als metatheoretischer Analyserahmen (Kap. 3.2.1) und anschließend Forderungsstrukturen, Subjektivierungsstrukturen und Kontraritätsstrukturen als Operationalisierung für die feinteilige Diskursanalyse der politischen Funktionslogiken städtischer Protestartikulationen und die abschließende Diskussion der Prämissen und Dimension für die Beschreibung politischer Möglichkeitsräume (Kap. 3.2.2).
3.1
LACLAU UND MOUFFE. HEGEMONIETHEORIE REVISITED
Laclau und Mouffe beziehen sich mit ihrem Hegemoniebegriff auf Antonio Gramsci, was mit konzeptionellen Kontinuitäten und Brüchen einhergeht. So über-
Hegemonietheorie | 87
nehmen sie zwar Gramscis macht- und herrschaftskritische Implikationen, dekonstruieren jedoch seinen Ökonomismus insbesondere hinsichtlich der Konstitution politischer Subjektivitäten, wie ‚fundamentalen Klassen‘ (vgl. Wullweber 2012: 31). Bei Gramsci werden ‚Gegenhegemonie‘1 und die damit verbundenen politischen Subjektivitäten an ökonomische Voraussetzungen und die Arbeiterklasse gebunden gedacht (Laclau/Mouffe 1985: 76). Laclau und Mouffe wollen diesen ‚letzten Essentialismus‘ umgehen und Hegemonie nicht von strukturell bedingten, ökonomischen Positionen im Produktionsprozess ableiten, sondern als interrelationales und subjektkonstituierendes dynamisches Konzept verstehen (vgl. Vey 2015: 46f.). Es ist allerdings dabei zwischen zwei Ebenen zu unterscheiden, auf denen Laclau und Mouffe argumentieren. Einerseits wird Hegemonie auf eine postfundamentalistische Basis gestellt; ihre Analyse von Gegenhegemonie hingegen beschreibt auf einer praktischen Ebene andererseits eine politische Strategie2. Der grundsätzliche Impetus von Hegemonie bleibt erhalten: Gramsci begreift Hegemonie nicht als einfache Dominanz einer gesellschaftlichen Gruppe, sondern als konsensbasierten, auf Zustimmung ausgerichteten gesamtgesellschaftlichen Prozess (vgl. Gramsci 1980: 220). Hegemonie stellt keinen harmonischen Interessensausgleich dar, sondern eine „relative Stilllegung von Kämpfen […] über soziale (asymmetrische) Kompromisse, in denen die artikulierten Interessen mehr oder weniger berücksichtigt werden“ (Brand 2005: 9). Allerdings wird der Hegemoniebegriff von Laclau und Mouffe diskurstheoretisch gewendet und als Ontologie der „Logik des Politischen“ rekontextualisiert. Das heißt, es geht ihnen in erster Instanz um die Reflexion der theoretischen Voraussetzungen, wie soziale Wirklichkeit konstituiert wird, als Vorbedingung für die Beschreibung sozialer Wirklichkeiten (vgl. u.a. Howarth 1993). Hegemonie soll demzufolge als ausschlaggebender Bestandteil der Sinnproduktion sozialer Wirklichkeit gedacht werden, wonach die herrschenden Kräfte die legitimen Deutungsmuster und „die diskursiven und institutionellen Terrains der Auseinandersetzungen und Kompromissbildungen“ (Brand 2005: 10) vorgeben. Dadurch wird es schließlich möglich, neuen städtischen sozialen Bewegungen als gegenhegemoniale Projekte nachzuspüren.3
1
Gramsci entwickelt kein explizites Konzept von ‚Gegenhegemonie‘, beschreibt allerdings die Möglichkeitsbedingungen alternativer Strategien für die von Ungleichheit betroffenen Teile der Zivilgesellschaft (vgl. Brand 2005: 10).
2
Für den Hinweis danke ich Andreas Langenohl.
3
Auf die epistemologischen Unterschiede zwischen Gramscis sowie Laclau und Mouffes Fassung von Hegemonie und Gegenhegemonie werde ich nur am Rande eingehen, da der Fokus meiner methodischen Operationalisierung der Hegemonietheorie für die empirische Analyse städtischer sozialer Bewegungen auf der poststrukturalistisch-gewendeten
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Inwiefern diese ontologische Verschiebung sich auf die epistemologischen Paradigmen einer kritischen Forschungsperspektive auf städtische soziale Bewegungen auswirkt, ist Gegenstand der folgenden Kapitel. Den Ausgangspunkt bildet die diskurstheoretische Perspektive auf die Konstruktion sozialer Wirklichkeit und die Unabgeschlossenheit von Gesellschaft (Kap. 3.1.1). In einem nächsten Schritt werden Diskurse als die Produktionsstätten sozialer Wirklichkeit sowie die basalen Funktionsmechanismen artikulatorischer Praxis beschrieben (Kap. 3.1.2), als Vorrausetzung für die postfundamentalistische Reformulierung von Subjektpositionen und speziell des widerständigen Subjekts (Kap. 3.1.3) sowie Antagonismen als fortlaufende Auseinandersetzungen um politische Horizonte zwischen Äquivalenzen und Differenzen (Kap. 3.1.4). Hierbei geht es in erster Linie darum, die Prämissen einer solchen kritischen Forschungsperspektive herauszuarbeiten, die für die sich anschließende Operationalisierung einer analytischen Beschreibung der Protestartikulationen aus Sicht der diskurstheoretischen Hegemonietheorie ausschlaggebend sind (vgl. Kap. 3.2). 3.1.1
Konstruktion sozialer Wirklichkeit und die Unabgeschlossenheit von Gesellschaft
Den theoretischen Ausgangspunkt von Laclau und Mouffes politischer Ontologie zur Reformulierung von Gramscis Hegemonietheorie bildet der Befund der Kontingenz letzter Begründungen. Damit grenzen sie sich gegen fundamentalistische4 Paradigmen ab, die in strukturalistischer Tradition stehend, beispielsweise ökonomisch bestimmte historische Gründe als ausschlaggebende voraussetzen, von denen ausgehend dann auch Protest und sozialer Wandel erklärt wird. Einige Kritikpunkte am Strukturdeterminismus und deren Relevanz für das Verständnis und die Beschreibung städtischer sozialer Bewegungen, die bereits weiter oben diskutiert wurden (vgl. bspw. Kap. 2.2.3, Kap. 2.3.3), werden nun erneut aufgenommen. Diesem erkenntnistheoretischen Paradigmenwechsel folgend, erweitert sich auch der Fokus der vorliegenden Untersuchung hinsichtlich der Frage nach den politischen Konstitutions- und Funktionsbedingungen städtischer sozialer Bewegungen und breiterer Netzwerke.
Fassung von Hegemonie liegt. Für eine genauere Herleitung und Abgrenzung beider Konzeptionen vgl. u.a. Demirović (2007a), Vey (2015: 18ff.), Wullweber (2012: 31ff.). 4
Der Begriff ‚Fundamentalismus‘, als foundationalism im englischen Sprachraum wesentlich verbreiteter, bezieht sich in diesem Zusammenhang auf die basalen Paradigmen und Episteme sozialwissenschaftlicher und philosophischer Theoriebildung (vgl. u.a. Heil/Hetzel 2006, Howarth et al. 2000, Marchart 2007a, 2007b, 2010, 2013a, 2013b, Marttila 2015, Roskamm 2017b).
Hegemonietheorie | 89
Postfundamentalismus. Kontingenz als letzter Grund Nach Oliver Marchart sind unter Fundamentalismus „besonders jene Positionen zu verstehen, die von fundamentalen, d. h. revisionsresistenten Prinzipien, Gesetzen und objektiven Realitäten ausgehen, die jedem sozialen oder politischen Zugriff entzogen sind“ (2010: 15). Der Postfundamentalismus zeichnet sich gerade dadurch aus, dass er diese letzten Gründe und vermeintliche Objektivität kritisch hinterfragt und in ihrem Zustandekommen dekonstruiert. Postfundamentalismus kann somit verstanden werden als ein „Prozess unabschließbarer Infragestellung metaphysischer Figuren der Fundierung und Letztbegründung“ (Marchart 2010: 16). Marchart weist darauf hin, dass zwar der Hypothese der Abwesenheit eines „letzten Grundes“ widersprochen wird, jedoch nicht der eines „jeden Grundes“ (2010: 16). Demnach sind zwar essentialisierende Letztbegründungen ausgeschlossen, aber keineswegs fortlaufende kontingente Versuche das Soziale auf erklärende und stabilisierende Fundamente zu stellen. Hierbei handelt es sich um eine grundlegende Verschiebung des Zugangs zur Beschreibung ‚sozialer Wirklichkeit‘. Demzufolge sind schließlich alle theoretischen und konzeptionellen Gründungsversuche selbst umkämpft und stehen als solche zur Disposition. Kontingenz fungiert als Schlüsselkategorie für eine ungründbare Theorie von Gesellschaft, die Marchart (2010) als das „unmögliche Objekt“ beschrieben hat und von der Michael Mann schrieb, er würde sie gern „ganz abschaffen“, da sich Gesellschaft als Totalität nicht fassen lasse (vgl. 1994: 14f.). Kontingenz beschreibt das Unvorhersehbare, gramscianisch gesprochen den „Zufall gepanzert mit Zwang“ (Wullweber 2012: 42), die Tatsache, dass etwas auch anders sein könnte (Marchart 2010: 80). Aus hegemonietheoretischer Sicht steht Kontingenz einer Notwendigkeitslogik von Sachzwängen gegenüber, unterminiert diese und demaskiert die machtvolle (Aus)Schließung indem sie Alternativen aufzeigt. Für Michael Makropoulos bezeichnet Kontingenz „einen ambivalenten Bereich spezifischer Unbestimmtheit in der Wirklichkeit, in dem sich sowohl Handlungen als auch Zufälle realisieren“ (2004: 371). Zwar stellt Kontingenz ebenfalls eine fundamentale Setzung dar, allerdings kann sie keine naturalisierende Wirkung entfalten, da sie gegenüber ihrem Antagonisten, der Notwendigkeit, gleichzeitig ihre eigene Unabgeschlossenheit impliziert (vgl. Marchart 2010: 249, Makropoulos 2004: 370, Mullis 2017: 22). Für die Analyse von städtischen sozialen Bewegungen markiert Kontingenz einerseits die Sollbruchstelle vermeintlicher Objektivität und zeigt entsprechend die Unmöglichkeit einer vollständigen Schließung eines Diskurses auf (vgl. Laclau/Mouffe 1985: 122f.). Andererseits betont sie den Möglichkeitshorizont, wenngleich dieser keineswegs willkürlich, sondern stets an die historischen Gegebenheiten rückgebunden ist. Beispielsweise können stadtpolitische Protestartikulationen der hegemonialen Sachzwanglogik unternehmerischer Stadtpolitiken, die
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über den Druck finanzieller Krisen und Wettbewerbsfähigkeit begründet werden, (praktische) Alternativen entgegenstellen (vgl. insbes. Kap. 6.3 und Kap. 7.1). Die fundamentale ontologische Setzung von Kontingenz in der hegemonietheoretischen Diskurstheorie eröffnet die Perspektive eines radikalen Konstruktivismus, der ohne Essentialismen einen Zugang zum Verständnis sozialer Wirklichkeitskonstitution auskommt. Dadurch, dass alle Letztbegründungen und Prinzipien als kontingent verstanden werden, ist die Perspektive auf das, was wir unter Gesellschaft verstehen, tendenziell verhandlungsoffen und demnach prinzipiell unabgeschlossen. Der Postfundamentalismus bestimmt das Aufkommen des Politischen im Übergang von einer Welt, in der eine göttliche Ordnung oder auch ein Klassenantagonismus als stabiles Fundament fungierte, hin zu einer Welt der „Ungewissheitsgewissheit, dass jeder Gründungsversuch in letzter Instanz zum Scheitern verurteilt ist“ (Marchart 2010: 17).5 Wie wir später noch sehen werden, ist diese scheinbar paradoxe Überlegung ein entscheidender Ansatzpunkt für die Konzeption von Hegemonie – als Versuch diese Unabgeschlossenheit und Ungewissheit zu überwinden und einen positiven Diskurs zu stabilisieren – und davon ausgehend für die Analyse von städtischen sozialen Bewegungen. Historischer Kontext der ontologischen Intervention Den gesellschaftlichen Hintergrund für Laclaus und Mouffes Paradigmenwechsel bildet einerseits der erstarkende Neoliberalismus, der sich unter anderem in Margaret Thatchers Formulierung „There is no alternative!“ ausdrückt, und andererseits der Totalitarismus des „real existierenden Sozialismus“, die sich vor allem durch eine Schließung von Möglichkeitshorizonten durch deren einfache Negation manifestierten. Für Laclau und Mouffe bildet besonders das Aufkommen „neuer sozialer Bewegungen“, die Krisen des keynesianischen Wohlfahrtsstaates und des sozialdemokratischen Staatsreformismus bei gleichzeitiger neokonservativer Offensive und dem Scheitern des Ostblocksozialismus6 den gesellschaftspolitischen Rahmen dafür, eine alternative theoretisch-analytische und gesellschaftspolitische Perspektive zu entwickeln. Die Diagnose einer zunehmenden Bürokratisierung des liberaldemokratischen Staates, einhergehend mit dem Fordismus in Verbindung mit einer sich ausweitenden Kommodifizierung zahlreicher Lebensbereiche, erweitert und verschiebt auch die sozialen Konfliktfelder über den Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit hinaus:
5
Ein ähnliches Konzept verfolgt Judith Butler (1992) mit „contingent foundations“.
6
Das Scheitern bezieht sich auf das „emanzipatorische Projekt“ radikaler Demokratie, als Ausdehnung von Gleichheit auf alle möglichen gesellschaftlichen Bereiche, was sich innerhalb einer totalitären Diktatur als unmöglich darstellt.
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„This ‚commodification‘ of social life destroyed previous social relations, replacing them with commodity relations through which the logic of capitalist accumulation penetrated into increasingly numerous spheres. Today it is not only as a seller labour-power that the individual is subordinated to capital, but also through his or her incorporation into a multitude of other relations: culture, free time, illness, education, sex and even death. There is practically no domain of individual or collective life which escapes capitalist relations.“ (Laclau/Mouffe 1985: 161, Herv. i. O.)
Laclau und Mouffe beziehen sich ebenfalls auf den oben für die Neoliberalisierung charakteristischen Modus der „schöpferischen Zerstörung“ (vgl. Kap. 2.3.1). Jedoch fokussieren sie weniger die materielle Ebene (vgl. u.a. Harvey 2000, Peck/Tickell 2002), sondern die Ebene sozialer Beziehungen, die im Zuge des Hegemonialwerdens neoliberaler Artikulationen stattfindende expandierende Reorganisation sozialer Verhältnisse und Subjektivitäten nach profitorientierten Aspekten. Mit sich ausweitenden ‚kapitalistischen Beziehungen‘ erweitern sich gleichzeitig auch die Widerstandsfelder. Hierbei wird jedoch kein einfaches Ursache-WirkungsVerhältnis konstatiert, sondern die expansive Tendenz dieser hegemonialen Logik auf alle möglichen Felder hervorgehoben. Die Hegemonie der ‚Logik der kapitalistischen Akkumulation‘ wird hierbei als diskursives Projekt verstanden, das diese Totalität produziert. Auf einer analytischen Ebene der Protestartikulationen stellen sich dieser hegemonialen Formation verschiedene Diskurse des sozialen Wandels entgegen, hin zu (mehr) Gerechtigkeit und Liberalismus im Sinne von politischer Freiheit. Der analytische Befund von Laclau und Mouffe lautet dabei, dass sich ‚emanzipatorische‘ Protestartikulationen erst über den Bezug auf radikale Demokratie scharf zu jeglichen Formen des Totalitarismus abgrenzen. Allerdings sei darauf verwiesen, dass die ontologischen Überlegungen zur Konstitutionstheorie sozialer Wirklichkeiten dabei strikt getrennt von der analytischen Ebene der Protestartikulationen und ihrer Demokratisierungstheorie zu betrachten sind. Zwar verdeutlicht dieser ontische Befund der alternativen Diskurse zur ökonomischen Totalität, dass die politische Ontologie der Emanzipation von Laclau und Mouffe axiologisch auf radikale Demokratie zielt. Radikale Demokratie verstehen sie als Negation von totalitären holistischen Schließungen, als Demokratisierung der Demokratie, als „die Anerkennung der Differenz, des Besonderen, all dessen, was durch den Begriff des Menschen im Abstrakten ausgeschlossen wurde“ (Hintz/Vorwallner 2006: 11). In den analytischen Betrachtungen von Gegenhegemonie erscheint radikale Demokratie jedoch als eine mögliche Ausprägung unter anderen.
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Ende der Notwendigkeit Laclau und Mouffe dekonstruieren essentialistische naturalisierende Letztbegründungen für die Beschreibung sozialer Wirklichkeit, seien es ökonomische Notwendigkeiten, wie die Alternativlosigkeit freier Märkte im Neoliberalismus und die historische Notwendigkeit revolutionärer Umwälzungen im orthodoxen Marxismus, indem sie „kulturelle Hegemonie“ (Gramsci 1980) mit der „Diskurstheorie“ (Foucault 1981) und einer „libertären Politikkonzeption“ (Lefort 1981) zusammenbringen.7 Sie plädieren dafür, jedwedes a priori in seiner Funktion auf einer diskursiven Ebene zu betrachten und es als artikulatorische Praxis innerhalb einer machtdurchdrungenen Matrix der Bedeutungsproduktion zu befragen. Das zielt insbesondere auf Subjektkonzeptionen, die mit naturalisierenden Verallgemeinerungen menschlicher Wesenhaftigkeiten argumentieren, allen voran die Figur des homo oeconomicus. Die Charakterisierung ‚des Menschen‘ entlang ökonomischer Kategorien, allen voran die Begründung eines Kosten-Nutzen-Kalküls über einen ‚natürlichen Egoismus‘, stellt sich demnach als wirkmächtiges Konstrukt einer ökonomistisch-zweckrationationalen Argumentation dar. Die Hegemonie besteht darin, dass diese Charakterisierungen als naturgegeben dargestellt werden und damit in ihrer Konstitution nicht mehr als verhandelbar erscheinen (vgl. dazu auch Brown 2015 und Habermann 2009). Marchart (2007a) weist darauf hin, dass es in der diskursanalytischen Hegemonietheorie kein „objektives Außen“ zum Diskurs gibt, das nicht erst in seiner Bedeutung als Objekt diskursiv hervorgebracht worden wäre. Demnach wird auch das „materielle Außen“ erst in seiner Bedeutung im Diskurs produziert. Das soll nicht heißen, dass es keine Strukturen und Materialitäten außerhalb von Diskursen gäbe. Jedoch erlangen diese ihre eigentümliche sinnhafte Bedeutung als Objekte erst über Diskurse (vgl. Kap. 3.1.2). Gleichzeitig werden dabei Sachzwänge in ihrer politischen Logik erschlossen, wenn sie nämlich nicht als natur- und strukturell bedingter Grund verstanden werden, sondern als artikulatorische Fixierungen einer bestimmten Bedeutung unter anderen, die diese gleichsam anderen Möglichkeiten in ihrer eigenen Verwirklichung ausschließt und sich selbst ins Zentrum stellen. Nun bedeutet dieser ontologische Perspektivenwechsel zugleich auch eine epistemologische Öffnung hin zu vielfältigen politischen Imaginationen und Interventionen, da, wie noch gezeigt werden soll, in jeder diskursiven Schließung auch ihre Subversion schon mit angelegt ist (vgl. Kap. 3.1.4). Damit grenzen sich Laclau und Mouffe gegen Deutungen sozialer Wirklichkeit ab, die mit historischen, ökonomischen und politischen Notwendigkeiten sowie vordiskursiven Identitäten und Grundlagen für
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Ebenso wird auch die „demokratische Revolution“ als genuin linkes Projekt dekonstruiert, um diese auf ein neues postfundamentalistisches Fundament zu stellen und damit in ihrer epistemologischen Ausrichtung zu schärfen (vgl. Laclau/Mouffe 1985: 159ff.).
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Subjektivierungen argumentieren. „The logic of necessity is a logic of the literal: it operates through fixations which, precisely because they are necessary, establish a meaning that eliminates any contigent variation.“ (Laclau/Mouffe 1985: 12) Mit dem Paradigmenwechsel von der strukturellen hin zur artikulatorischen Ebene wird eine ‚Logik der Notwendigkeit‘ im Prozess diskursiver Bedeutungsproduktion als Konzept beschreibbar, als Bestandteil einer ‚politischen Logik der Hegemonie‘, die sich konkret durch den temporären Ausschluss weiterer kontingenter Möglichkeiten auszeichnet. Die umfassende Revolution gibt es nicht Daraus folgt, dass gesellschaftliche Widersprüche und Antagonismen (vgl. Kap. 3.1.4) keineswegs als naturgegeben oder prinzipiell in gesellschaftlichen Strukturen angelegt beschrieben werden können, die nur noch zu Bewusstsein kommen müssen und dann ein ‚revolutionäres Subjekt‘ konstituieren. Damit wird eine basale Denkfigur des (orthodoxen) Marxismus dekonstruiert. Lange Zeit wurde davon ausgegangen, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse zwei Klassen hervorgebracht haben, die maßgeblich durch die kapitalistischen Produktionsverhältnisse bestimmt sind. Qua der materiellen Ungleichverteilung stehen sich diese antagonistisch, also unvereinbar und feindlich gegenüber, sodass der Konflikt und schließlich die „revolutionären Umwälzungen“ vorprogrammiert sind. Die von Marx (1977: 180f.) in diesem Zusammenhang aufgeworfene Frage, wie das Proletariat an sich zum Proletariat für sich werden könne, bleibt laut Laclau und Mouffe dabei der jakobinischen Vorstellung einer konkreten und umfassenden historischen Transformation hinaus verhaftet: „The postulation of one foundational moment of rupture, and of a unique space in which the political is constituted.“ (Laclau/Mouffe 1985: 152, Herv. i. O.) Die historische Notwendigkeit der Konsolidierung verschiedener Proteste zu einer umfassenden Bewegung und der Herausbildung eines politischen Subjekts ist demnach auszuschließen. In einer vereinfachenden Vorstellung einer allumfassenden revolutionären Situation, in Verbindung mit der Vereinheitlichung des politischen Raumes, identifizieren Laclau und Mouffe das konzeptionelle Problem des Marxismus. Denn von Marx über Luxemburg bis Lenin und Gramsci seien jegliche theoretischen und praktischen Versuche, ein umfassendes, übergreifendes einheitliches politisches Subjekt zu fassen, zum Scheitern verurteilt gewesen (vgl. Laclau/Mouffe 1985: 152). Die Frage nach der Konstituierung eines Klassenbewusstseins sattelt auf die zwei zentralen Grundannahmen auf: Erstens manifestieren sich strukturelle Widersprüche im Antagonismus zwischen Kapital und Arbeit, und zweitens handelt es sich dabei um eine historische Notwendigkeit. Wie Laclau und Mouffe jedoch herausstellen, haben wir es mit einer folgenschweren diskursiven Reduktion komplexer Sozialstrukturen zu tun, die eine Homogenisierung vielfälti-
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ger Widerstandsformen und Kämpfe sowie die Schaffung eines einheitlichen politischen Raumes der Transformation mit sich bringen (vgl. Laclau/Mouffe 1985: 152). Die Prämisse struktureller Gründe für die Beschreibung sozialer Bewegungen ist nach wie vor weit verbreitet, erscheint jedoch ohne die ontologische Reflexion einer ‚Logik der Notwendigkeit‘ in Verbindung mit einer ‚Logik der Einheit‘ epistemologisch problematisch (vgl. Kap. 2.1.2). Laclau und Mouffe stellen diesen a priori gesetzten Prämissen eines einzigen bereits strukturell vorgegebenen politischen Raumes und einhergehender politischer Subjektivität indes eine diskurstheoretisch fundierte Perspektive entgegen, die sich an den postfundamentalen Prämissen der Kontingenz, Unabgeschlossenheit und radikalen Relationalität orientiert. Damit werden solcherlei Argumentationen des vordiskursiven Ursprungs eines übergreifenden historischen Antagonismus, hier zwischen Proletariat und Bourgeoisie, auf einer Metaebene mit in den Blick genommen, und zwar weniger als heuristische Beschreibungen sozialer Wirklichkeit, sondern vielmehr als Komponenten einer politischen Logik der diskursiven Objektivierung und Bedeutungsfixierung – der Hegemonie (vgl. Kap. 3.2.1). Prämisse 1: Protest macht die Kontingenz politischer Ordnungen sichtbar Diese Fassung einer postfundamentalistischen politischen Ontologie ermöglicht einerseits einen differenzierten Blick auf die Prämissen wissenschaftlicher Erkenntnis zu städtischen Protestbewegungen und verschiebt anderseits die Forschungsperspektive zum Zustandekommen von Protesten und sozialen Bewegungen auf die Ebene artikulativer Praktiken. Dies wird zudem verdeutlicht in der kategorischen Trennung zwischen dem ‚Sozialen‘ und dem ‚Politischen‘ bei Laclau und Mouffe, wobei ersteres den Gegenstand diskursiver Schließungsversuche zur Konstitution einer geschlossenen Wirklichkeit beschreibt und letzteres sich auf die Problematisierungen der Irritationen, Fissuren und Brüche dieser sozialen Ordnung bezieht. Übersetzt in den Kontext dieser Arbeit bezeichnet Postdemokratie somit die Politik der sozialen Schließung, während Protestartikulationen als konstitutives Außen die Kontingenz und das Politische zurück ins Spiel bringen (vgl. Kap. 2.4.3). An dieser Stelle ist vorerst für die weitere Argumentation in dieser Arbeit festzuhalten, dass städtische soziale Bewegungen als soziologischer Untersuchungsgegenstand weder in ihrem Zustandekommen noch in ihren Zielsetzungen auf eine, wie auch immer geartete natürliche oder strukturelle Externalität zurück zu führen sind, wie beispielsweise auf ‚den Kapitalismus‘, ‚den Neoliberalismus‘ oder auch ‚die Postdemokratie‘. Ausgehend von der Annahme der diskursiven Produktion sozialer Wirklichkeit im Allgemeinen, sowie unseren Interpretationen und Deutungen gesellschaftlicher Konflikte im Besonderen, wird eine Perspektive kontingenter Offen-
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heit, radikaler Unabgeschlossenheit und fortwährender Prozesshaftigkeit des Sozialen vertreten. Daraus ergibt sich auch eine entscheidende Perspektivenverschiebung im Umgang mit dem Aufkommen neuer Protestfelder und entsprechender politischer Subjektivitäten, sowie einhergehender Fragementierungserfahrungen der Subjekte und Initiativen des Protests. Seien es nun die in dieser Forschung in den Blick genommenen städtischen Proteste gegen Gentrifizierung, Privatisierungen und Inwertsetzung öffentlicher Plätze, künstlerische Interventionen oder auch Proteste und Platzbesetzungen von Refugees, entscheidend ist laut Laclau und Mouffe (1985: 184) eine gleichzeitige Spezifität und Unbestimmtheit unterschiedlicher Protestartikulationen. Kontingenz als letztes ontologisches Fundament (unter anderen) eröffnet Möglichkeitsräume, wo eigentlich aus hegemonialer Perspektive keine zulässig sind. Kontingenzerfahrung bestimmt damit auch das Verhältnis von hegemonialer Auseinandersetzung. Das heißt auch, es ist von einer Verschiedenheit von Protesten auszugehen, die sich erst relational zu einem kontingenten Anderen konstituieren. Verbindungen und Gemeinsamkeiten zwischen Protesten bestehen ebenso wenig aus sich heraus wie externe Bezugspunkte. Aufgabe der Forschung ist es nun, diese artikulatorische Ausrichtung auszuloten und zu bestimmen wie es zur Anerkennung der differenziellen gesellschaftlichen und historischen Protestspezifika kommt und wie diese in gegenhegemonialen Perspektiven verbunden werden (vgl. auch Kap. 3.5, Kap. 7.1). Wie in den folgenden Unterkapiteln gezeigt wird, sind somit problematische epistemologische Vorannahmen und fundamentale erkenntnistheoretische Setzungen zu vermeiden. Stattdessen werden soziale Bewegungen in ihrer ambiguitären Spezifität und situativen Pluralität als Bedingung und Ergebnis diskursiv hervorgebrachter politischer Möglichkeitsräume betrachtet. Zur genaueren Bestimmung der postfundamentalistischen Forschungsperspektive auf städtische soziale Bewegungen werden nun die diskurstheoretischen Prämissen eingehend erläutert. 3.1.2
Diskurs und artikulatorische Praxis
Mit dem postfoundational turn sind nunmehr symbolische Ordnungen, soziale Praxen, Identitäten und Subjekte nicht mehr auf letzte Elemente ihrer Gründung zurückzuführen (vgl. u.a. Laclau 2014). Die Bedeutung des Sozialen wird erst durch einen konflikthaften machtvollen politischen Prozess ihrer Aushandlung und Fixierung im Diskurs umgesetzt. Aus einer solchen Perspektive können ‚Neoliberalismus‘ und ‚Postdemokratie‘ als diskursive Schließungsversuche verstanden werden (vgl. Kap. 2.3 und Kapitel 2.4), die durch städtische soziale Bewegungen in ihrem holistischen Anspruch in Frage gestellt werden. Diese Schließungen beschreiben die Versuche, die eine Logik und Rationalität einer sozialen Wirklichkeit als alter-
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nativlos gegenüber anderen Möglichkeiten darzustellen. Diese Alternativen fungieren nun als außenstehende Negation und stabilisieren als Unmöglichkeiten, die innere sinnhafte Ordnung des Sozialen. Diese Schließungsversuche sind allerdings laut Laclau und Mouffe stets zum Scheitern verurteilt, da die Negation präsent bleibt und auch wieder politisiert werden kann. Dieses Unterkapitel beschreibt die machtvollen Mechanismen der Bedeutungs- und Sinnproduktion, die sich auf der Ebene der Diskurse vollziehen. Genauer gesagt, artikulatorische Praxis produziert konkrete Verbindungen und Ausschlüsse zwischen verschiedenen Diskurselementen und konstituiert somit soziale Wirklichkeit. Diskurse. Produktionsstätten sozialer Wirklichkeit Für Laclau und Mouffe stellen Diskurse nicht nur Räume dar, in denen Bedeutung und Sinn verhandelt wird, sondern es sind Diskurse, die sozialen Sinn und den Raum erst hervorbringen. Ein Diskurs bildet also nicht nur eine sogenannte soziale Wirklichkeit ab, sondern produziert diese immer wieder aufs Neue. Diskurse können demzufolge als die Produktionsstätten sozialer Wirklichkeit verstanden werden, und damit als Gegenstand politischer Auseinandersetzungen um Deutungsmacht und die Legitimierung von, dem was wahr und richtig ist. Was denkbar und undenkbar erscheint, ist damit ein basales Ergebnis von Praktiken und dem Zusammenwirken manifester Diskurse. Laut Marchart (2007b: 3f.) ist der Diskurs und die darin eingeschlossene Macht damit nicht mehr als eine Ebene sozialer Wirklichkeit zu verstehen sondern als Medium der Verhandlung und Fixierung von sozialer Wirklichkeit. Die entscheidende Konsequenz aus der diskursiven Produktion von sozialer Wirklichkeit äußert sich im Wegfall von Letztbegründungen, was auch die Ära der universellen Diskurse zu historischen Notwendigkeiten beendet, ebenso wie das Denken eines einzigen Diskurses und eines einzigen Kategoriensystems. Angesichts einer Vielzahl unterschiedlicher kontingenter Kämpfe und Protestartikulationen wird daher eine Perspektivverschiebung erforderlich, die sich auf die spezifischen Funktionsweisen diskursiver Formationen als Bestandteile hegemonialer Ordnungen konzentriert (vgl. Laclau/Mouffe 1985: 3). Diese „Diskursfunktionsanalyse“ (Nonhoff 2008: 301) orientiert sich an Michel Foucaults (1981) Forschungsperspektive auf vermachtete Bedeutungsproduktionen in diskursiven Praktiken sowie deren Materialisierungen. Foucault grenzt sich dabei gegenüber einem Verständnis von Diskursen als schlichte Summe von Zeichen ab, einem Verständnis, wie es beispielsweise in Teilen der Semantik vertreten wurde. Vielmehr sind Diskurse „als Praktiken zu behandeln, die systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen“ (Foucault 1981: 74f., Herv. i. O.). In der Bezeichnung von Dingen werde ein „Mehr“ produziert, das ans Licht gebracht und beschrieben werden müsse (vgl. Foucault 1981: 74f.). Wie gezeigt wird, bildet eben dieses ‚Mehr‘
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in der Bedeutungsproduktion einen wichtigen Baustein im Verständnis der Unabgeschlossenheit von Gesellschaft und Hegemonie. Kohäsion durch Dispersion An diesem Punkt gilt es zu klären, wie sich unterschiedliche Elemente zu einer Diskursformation ohne Letztbegründungen verbinden. Laclau und Mouffe orientieren sich in ihrer Konzeptionalisierung an Foucault (1981), der das ‚Prinzip der Vereinheitlichung‘ einer diskursiven Formation auf vier Ebenen verwirft: „reference to the same object, a common style in the production of statements, constancy of the concepts, and reference to a common theme“ (Laclau/Mouffe 1985: 105). Stattdessen beschreibt Foucault diskursive Formationen als ‚Systeme der Streuung‘ (Dispersion), betont deren Diskontinuität und grenzt sich gegenüber kausalen Ketten und Repräsentationen von a priori gesetzten Unterschieden ab: „In dem Fall, wo man in einer bestimmten Zahl von Aussagen ein ähnliches System der Streuung beschreiben könnte, in dem Fall, in dem man bei den Objekten, den Typen der Äußerung, den Begriffen, den thematischen Entscheidungen eine Regelmäßigkeit […] definieren könnte, wird man übereinstimmend sagen, dass man es mit einer diskursiven Formation zu tun hat, wodurch man Wörter vermeidet, die in ihren Bedingungen und Konsequenzen nach zu schwer, übrigens auch zur Bezeichnung einer solchen Dispersion auch inadäquat sind […]. Man wird Formationsregeln die Bedingungen nennen, denen die Elemente dieser Verteilung unterworfen sind […]. Die Formationsregeln sind Existenzbedingungen (aber auch Bedingungen der Koexistenz, der Aufrechterhaltung, der Modifizierung und des Verschwindens) in einer gegebenen diskursiven Verteilung.“ (Foucault 1981: 58, Herv. i. O.)
Foucaults Diskurskonzept geht davon aus, dass sich „Kommunikation sowie die Entstehung, Zirkulation und Distribution von Wissen als kontingente Effekte ‚überindividueller’, sozial strukturierter Praktiken entwickeln“ (Keller 2005: 8, Herv. i. O.), die bestimmten Formationsregeln folgen. Foucault (1981: 48ff.) konzentriert sich im Hinblick auf die Formationsregeln auf vier Schwerpunkte: erstens die „Formation der Gegenstände“, zweitens die „Formation der Änderungsmodalitäten“, drittens die „Formation der Begriffe“ und viertens auf die „Formation der Strategien“ (vgl. Keller 2011: 47f.). Laclau und Mouffe knüpfen an diese Überlegungen an und unterscheiden innerhalb der Konzeptionalisierung ihrer diskursanalytischen Hegemonietheorie zwischen den unterschiedlichen Kategorien Artikulation, Diskurs, Momente, Element: „In the context of this discussion, we will call articulation any practice establishing a relation among elements such that their identity is modified as a result of the articulatory practice. The structured totality resulting from articulatory practice, we will call discourse. The differ-
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ential positions, insofar as they appear articulated within a discourse, we will call moments. By contrast we will call element any difference that is not discursively articulated.“ (Laclau/Mouffe 1985: 105, Herv. i. O.)
Entsprechend Foucaults Fassung der Funktions- und Konstitutionsweisen einer diskursiven Ordnung spezifizieren Laclau und Mouffe ihre Kategorien für die Beschreibung sozialer Bewegungen hinsichtlich erstens der charakteristischen Kohärenz diskursiver Formationen, zweitens der Dimension und Ausdehnung des Diskursiven und drittens der Offenheit und Geschlossenheit diskursiver Formationen (vgl. Laclau/Mouffe 1985: 105). (1) Bezüglich des Zusammenhangs zwischen verschiedenen diskursiven Formationen für die Konzeption ihrer hegemonietheoretischen Perspektive auf die Pluralität sozialer Bewegungen konzentrieren Laclau und Mouffe sich besonders auf Foucaults negative Prämissen zu einer Vereinheitlichung diskursiver Formationen. Weder die Referenz auf dasselbe Objekt, noch ein gemeinsamer Produktionsstil von Aussagen, noch die begriffliche Kontinuität oder ein gemeinsamer thematischer Bezugspunkt bestimmen das ‚Prinzip der Vereinheitlichung‘. Stattdessen charakterisiert Foucault die Streuung von Aussagen selbst als modus operandi, vorausgesetzt, diese werden durch Formationsregeln ihrer komplexen Existenzbedingungen bestimmt. Einerseits kann über einen externen Bezugspunkt zwischen den verstreuten Elementen – bei Foucault die Abwesenheit von Einheit – eine Konsolidierung erreicht werden. Für Laclau und Mouffe (1985: 106) wirkt zudem auch eine „Regelmäßigkeit in der Verstreuung“ im Sinne eines „ensemble of differential positions“ als vereinheitlichendes Prinzip, vorausgesetzt, „[that the] ensemble is not the expression of an underlying principle external to itself“. Wie dabei diskursiv eine Totalität konstituiert wird, ist besonders interessant für den hegemonietheoretischen Fokus auf artikulatorische Praktiken. Übersetzt in die oben eingeführte hegemonietheoretische Terminologie folgt daraus: „in an articulated discursive totality, where every element occupies a differential position – […] where every element has been reduced to a moment of that totality – all identity is relational and all relations have a necessary character“ (Laclau/Mouffe 1985: 106). (2) Bezüglich der Dimension und Ausdehnung des Diskursiven nehmen Laclau und Mouffe von Foucaults Unterscheidung zwischen diskursiven und nichtdiskursiven Praktiken und Elementen Abstand. Wie schon angeführt gehen sie davon aus, dass jedes Objekt ein Objekt des Diskurses ist, und es daher keine Objekte außerhalb diskursiver Bedingungen des Auftauchens eines Diskurses geben kann. Demzufolge sind auch vermeintlich „nicht-diskursive Komplexe“ – wie Institutionen, Techniken und Ökonomie – ebenfalls Ergebnisse artikulatorischer Praktiken und einer diskursinternen Differenzlogik (vgl. Laclau/Mouffe 1985: 107). Dabei wollen sie nicht in Frage stellen, dass es eine (materielle) Welt jenseits des Diskur-
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ses gibt. Sie betonen vielmehr, dass die Art und Weise wie beispielsweise eine Naturkatastrophe interpretiert wird von der konkreten Beschaffenheit des diskursiven Feldes abhängt – beispielsweise ob wir es als natürliches Phänomen oder als Äußerung des „Zorns Gottes“ interpretieren. Auch grenzen sie sich gegen einen mentalen Charakter des Diskurses ab und betonen stattdessen den materiellen Charakter jedweder diskursiver Struktur. In Anlehnung an Ludwig Wittgensteins „Sprachspiele“ (2003) werden diskursive Praktiken in ihrer Performativität beschrieben, wobei sprachliche und nicht-sprachliche Elemente als konstitutive Bestandteile des Diskurses verstanden werden sollen: „The linguistic and the non-linguistic elements are not merely juxtaposed, but constitute a differential and structured system of positions – that is, a discourse.“ (Laclau/Mouffe 1985: 108) (3) Mit Blick auf die Offenheit und Geschlossenheit diskursiver Strukturen und der relationalen Totalität des Diskurses verweisen Laclau und Mouffe schließlich, darauf, dass eine diskursive Totalität nicht ohne Einschränkung gesetzt werden kann: „If we accept […] that a discursive totality never exists in the form of a simply given and delimited positivity, the relational logic will be incomplete and pierced by contingency. The transition from the ,elements’ to ,moments’ is never entirely fulfilled. A no-man’s-land thus emerges, making the articulatory practice possible.“ (Laclau/Mouffe 1985: 110f., Herv. i. O.)
Eine solche Perspektive lässt sowohl eine diskursive Totalität als auch eine geschlossene Totalität von Gesellschaft nicht zu. Verabschieden wir uns nun von Gesellschaft als gültiges einheitliches Objekt des Diskurses, dann kann es kein einfaches Grundprinzip geben, welches das „Feld der Differenzen“ fixiert und den Diskurs konstituiert (vgl. Laclau/Mouffe 1985: 111). Stattdessen ist nunmehr davon auszugehen, dass sich das Soziale eben exakt in dieser instabilen unauflöslichen Spannung zwischen einer unmöglichen Abgeschlossenheit des Innen wie auch des Außen konstituiert. Das so beschriebene niemals in Gänze zu fixierende ‚Feld von Identitäten‘ verstehen Laclau und Mouffe als ‚Feld der Überdetermination‘. Es ist weder eine komplette Schließung noch eine komplette Nicht-Schließung möglich. Laclau und Mouffe bezeichnen eben dieses Spannungsfeld als ‚Feld der Diskursivität‘, das sie wie folgt beschreiben: „We have referred ‚discourse‘ as a system of differential entities – that is, of moments. But we have just seen that such a system only exists as a partial limitation of a ‚surplus of meaning‘ which subverts it. Being inherent in every discursive situation, this ‚surplus‘ is the necessary terrain for the constitution of every social practice.“ (Laclau/Mouffe 1985: 111, Herv. i. O.)
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Wird nun der im Diskurs produzierte Bedeutungsüberschuss, also eben das, was Foucault als ‚Mehr‘ bezeichnet hat, als basales poststrukturalistisch gewendetes Konstitutionselement einer jeglichen sozialen Praxis verstanden, dann lässt sich daraus der diskursive Ursprung jeden Objekts und die Unmöglichkeit diskursiver Schließungen herleiten. Aus einer solchen Perspektive kann auch ein ursprüngliches oder transzendentales Signifikat mit Rekurs auf Derrida dekonstruiert werden: „This was the moment when language invaded the universal problematic, the moment when, in the absence of a centre or origin, everything became discourse […] that is to say, a system in which the central signified, the original or transcendental signified, is never absolutely present outside a system of differences. The absence of the transcendental signified extends the domain and the play of signification infinitely.“ (Derrida 1978: 354, Herv. D. S.)
Angesichts der Unmöglichkeit einer abschließenden Bedeutungsfixierung durch ein universelles und übergeordnetes Signifikat bleibt dennoch die Frage bestehen, wie Bedeutung trotzdem fixiert wird, wenn auch nur partiell. Schlussendlich kann jeder Diskurs als Versuch verstanden werden, „to dominate the field of discursivity, to arrest the flow of differences, to construct a centre“ (Laclau/Mouffe 1985: 112). Die Fixierung von Bedeutung vollzieht sich entlang diskursiver Knotenpunkte (nodal points) zwischen Äquivalenzketten (chains of equivalences). Äquivalenzketten In Anlehnung an Jacques Lacan (2011) und Ferdinand de Saussure (2001) entwerfen Laclau und Mouffe ein Konzept von Äquivalenzketten, die Bedeutungen produzieren und stabilisieren und somit Aussagen möglich machen. Ausgehend von einer unüberwindbaren Differenz zwischen Signifikat (Bezeichnetes) und Signifikant (Bezeichnendes) versuchen sie den Begriff der Artikulation genauer zu bestimmen. Der Übergang von diskursiven Elementen zu diskursiven Momenten könne niemals vollständig gelingen, da jede Identität radikal relational zu verstehen ist und auch ein Diskurs ständig im Diskursfeld überflutet wird. Elemente werden dabei verstanden als „flottierende Signifikanten“, die zu einer Äquivalenzkette artikuliert werden können (vgl. Laclau/Mouffe 1985: 113). Die Unvollständigkeit und der gleichzeitige Bedeutungsüberfluss werden infolgedessen bestimmend für jegliche soziale Identität und jede artikulatorische Praxis. Deren Ambiguität ist zurückzuführen auf die steigende Zahl flottierender Signifikanten, woraus sich einige theoretische Konsequenzen ergeben: „It is not the poverty of signifieds but, on the contrary, polysemy that disarticulates a discursive structure. That is what establishes the overdetermined, symbolic dimension of every social identity. Society never manages to be identical to itself, as every nodal point is constitut-
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ed within an intertextuality that overflows it. The practice of articulation, therefore, consists in the construction of nodal points which partially fix meaning; and the partial character of this fixation proceeds from the openness of the social, a result, in its turn, of the constant overflowing of every discourse by the infinitude of the field of discursivity.“ (Laclau/Mouffe 1985: 113, Herv. i. O.)
Daraus folgt, dass jede soziale Praktik zumindest in einer ihrer Dimensionen als artikulatorisch verstanden werden kann. Dabei kommt auch wieder die prekäre „Logik der Notwendigkeit“ zum Tragen, die immer schon die Kontingenz – als ihr unmögliches Anderes und als konstitutiver Teil – in sich trägt und damit hauptsächlich in ihrer Möglichkeit zur Subversion gesehen wird, beispielsweise durch Symbolisierungen, Metaphorisierungen und Paradoxa. Notwendigkeit im Kontext relationaler Identitätskonstitutionen übernimmt allerdings eine andere Rolle: „Necessity, therefore, exists not under the form of an underlying principle, of a ground, but as an effort of literalization which fixes the differences of a relational system. The necessity of the social is the necessity proper to purely relational identities – as in the linguistic principle of value – not natural ‚necessity‘ or the necessity of an analytical judgement. ‚Necessity‘, in this sense, is simply equivalent to ‚system of differential positions in a sutured space‘.“ (Laclau/Mouffe 1985: 114, Herv. i. O.)
Laclau und Mouffe extrapolieren hierbei das Zustandekommen von ‚Notwendigkeit‘ als eine vereinheitlichende diskursive Praxis zur Schließung des Sozialen durch eine Verknüpfung verschiedener Elemente und Positionen über deren Äquivalenzierung. Damit wird Notwenigkeit in ihrer paradigmatischen Verortung als ‚natürlich‘ oder ‚analytisch‘ als hegemoniale Strategie dekonstruiert. Prämisse 2: Protest kann alternative soziale Wirklichkeiten hervorbringen Für die Analyse städtischer sozialer Bewegungen kann festgehalten werden, dass diese in ihrer artikulatorischen Praxis zu untersuchen sind. Ihre Positionierungen und Schwerpunktsetzungen innerhalb stadtpolitischer Diskurse können dabei Aufschluss darüber geben, was der Status quo ist und welche kontingenten Alternativen auf welche Weise diskursiv hervorgebracht werden – in den partikularen Protestfeldern und darüber hinausweisend auch hinsichtlich einer expliziten oder impliziten universalisierbaren Dimension. Eine solche Perspektive reformuliert die ‚Logik der Notwendigkeit‘, was es ermöglicht stadtpolitische Proteste als kontingente und situativ auftretende Elemente zu verstehen, in einer fortlaufenden Auseinandersetzung darum wie Urbanität und Stadt produziert werden und Notwendigkeit als diskursives Element zur Hegemonialisierung auftritt. Stadtpolitische Diskurse werden
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damit nicht nur zu einer Ebene auf der die Ausgestaltung der Stadt verhandelt wird, sondern zum Medium dafür, wie sich diese konkret manifestiert und materialisiert. Stadtpolitische Proteste und deren unterschiedliche Manifestationen können aus einer solchen Perspektive in ihrem performativen Charakter verhandelt werden (vgl. Kap. 6.3). Die Pluralität der Proteste, verstanden als ‚System der Streuung‘, ist, positiv gewendet, als sinnstiftendes Moment zwischen unterschiedlichen Protestschwerpunkten zu verstehen. In der Analyse soll dementsprechend darauf geschaut werden, wie Pluralität und die Vermittlung zwischen unterschiedlichen Protesten und Positionen verhandelt wird und, genauer ausgedrückt, wie spezifische diskursive Räume gemeinsamer Protestartikulation eröffnet werden. Entsprechend der oben angeführten Kategorisierungen und der einhergehenden Reflexionen ergibt sich eine Forschungsperspektive, die Artikulationen, Diskurse, Momente und Elemente stadtpolitischer Proteste in den Blick nimmt und hinsichtlich ihrer Differenz, Konsolidierung und der Herausbildung politischer Subjektivitäten des Protests untersucht (vgl. Kap. 4). Letzteres soll im folgenden Abschnitt näher erläutert werden. 3.1.3
Subjektpositionen und das widerständige Subjekt
Im Zentrum der Analyse städtischer sozialer Bewegungen stehen die Akteur*innen und ihre Protestartikulationen. Aus Sicht der diskurstheoretischen Hegemonietheorie verschiebt sich allerdings die Perspektive auf die Subjekte des Protests, die sich über diskursiven Praktiken erst relational als solche konstituieren. Schrittweise wird nun ausgehend von der Dekonstruktion von vor oder außerhalb von Diskursen bestehenden Subjekten eine hegemonietheoretische Fassung von Subjektpositionen erläutert, und schließlich auf das widerständige Subjekt enggeführt, das sich in den diskursiven stadtpolitischen Auseinandersetzungen figuriert. Dekonstruktion des prädiskursiv existierenden Subjekts Als eine weitere Konsequenz aus den bisher dargelegten Überlegungen zur Konstruktion sozialer Wirklichkeit und zur postfundamentalistischen Konzeptionalisierung von Diskursen und artikulatorischer Praxis aus hegemonietheoretischer Perspektive wird im Folgenden mit einer weiteren in der Bewegungsforschung zentralen Kategorie gebrochen – dem rationalen Subjekt. Aus hegemonietheoretischer Sicht ist die ‚Aktivist*in‘, verstanden als ‚Agent*in‘ politischer Zielsetzungen, nicht mehr als prädiskursive Subjektivität denkbar. Die entscheidende Prämisse besagt, dass Subjekte nicht nur Diskurse und Praxen hervorbringen, sondern sich Subjektivitäten stattdessen entsprechend unterschiedlicher Positionen erst in diskursiven Praxen konstituieren. Dadurch wird das Subjekt mit einer Vielzahl verschiedener, oft auch widersprüchlicher, kontingenter Subjektivitäten innerhalb verschiedener Diskursfelder und entsprechender Relationalitäten denkbar. Dabei werden Es-
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sentialisierungen von wesenhaftigen Subjektivitäten als diskursive Praktiken dekonstruiert, die darauf zielen eine bestimmte Bedeutung festzuschreiben. Um hingegen dem radikal relationalen Charakter von Subjektivierungen Folge zu tragen, beschreiben Laclau und Mouffe Subjektivitäten im Zusammenhang mit Subjektpositionen innerhalb von Diskursen: „Subjects cannot, therefore, be the origin of social relations – not even in the limited sense of being endowed with powers that render an experience possible – as all ‚experience‘ depends on precise discursive conditions of possibility. […] As every subject position is a discursive position, it partakes of the open character of every discourse; consequently, the various positions cannot be totally fixed in a closed system of differences.“ (Laclau/Mouffe 1985: 115, Herv. i. O.)
Damit wird auch die strukturalistische Kategorie der ‚Subjektposition‘, wie sie bei Foucault noch vorausgesetzt wird, diskursiv reformuliert (vgl. Marchart 2017: 66). Zum einen geht es darum, wie eingangs zu diesem Unterkapitel schon aufgegriffen, das Verhältnis ihres diskursiven Charakters zu bestimmen, und zum anderen ist das Verhältnis zwischen unterschiedlichen Subjektpositionen zu behandeln. Gehen wir nun von einer diskursiven Konstituiertheit der Subjektpositionen als relationale Produkte symbolischer Ordnungen und Semantiken aus, dann ist das Verhältnis unterschiedlicher Subjektpositionen zueinander ebenfalls als entscheidend für deren Zustandekommen zu betrachten. Ganz im Foucault’schen Sinne wird dabei der Fokus auf die spezifischen kontingenten Konstitutionsbedingungen der Subjektpositionen verschoben. Dabei kommt das Verhältnis zwischen Partikularem und Universellem zum Tragen. Laclau und Mouffe erläutern dies am Beispiel des Menschenrechtsdiskurses, bei dem die Kategorie ‚Mensch‘ selbst zum Element einer hegemonialen artikulatorischen Praxis wird, wenn schließlich von einer ihr zugrundeliegenden vordiskursiven spezifisch menschlichen Wesenhaftigkeit abgesehen wird. Es kommt nun mithin darauf an zu fragen, wie der ‚Mensch‘ als universale Kategorie in der Moderne produziert worden ist und immer wieder produziert wird, wie seine genuine Differenz zugunsten einer übergeordneten Kategorie negiert wird, wie in religiösen Diskursen und juristischen Praxen ein Menschenbild (re-)produziert wird. Zwar habe die Kategorie ‚Mensch‘ zu einer Humanisierung der sozialen Beziehungen in den letzten zwei Jahrhunderten beigetragen. Jedoch seien erst in der Dekonstruktion dieser Kategorie selbst auch die etablierten und machtdurchdrungenen Beziehungen sichtbar zu machen, die diese Entwicklung hervorgebracht haben. Eine solche Perspektive eröffnet erst den Blick auf die unterschiedlichen Privilegien und Hierarchisierungen, wie sie beispielsweise feministische und antirassistische Positionen kritisieren (vgl. Laclau/Mouffe 1985: 116f.).
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Ausgehend von der potenziellen Offenheit diskursiver Differenzen werden somit neue soziale Beziehungen ermöglicht, die über die herkömmlichen essentialistisch fundierten Bezugspunkte und entsprechende Deutungsschemata hinausgehen. Laclaus und Mouffes Schlussfolgerungen aus der Kritik am Subjektbegriff des ‚essentialistischen Feminismus‘ lassen sich auch auf die unterschiedlichen Protestformen in der Stadt übertragen. Wird bestritten, dass es einen einheitlichen Unterdrückungsmodus der ‚Frau‘ gibt, eröffnet sich ein wesentlich umfangreiches Aktionsfeld, das die historischen und kontextuellen Besonderheiten diskursiver Produktionsmechanismen über Institutionen und artikulatorische Praxen in den Blick nimmt (vgl. Laclau/Mouffe 1985: 117). Für die Analyse städtischer soziale Bewegungen hieße das, nicht von einem einheitlichen Unterdrückungsmodus des ‚Neoliberalismus‘ a priori auszugehen, durch welchen politische Subjektpositionen hervorgebracht werden. Vielmehr konstituieren sich immer wieder situativ und punktuell Subjektpositionen in konkreten Kontexten entlang verschiedener konkreter Antagonismen, also eben in negativer Relation dazu (vgl. Kap. 3.4). Neoliberalismus als die Ursache eines Unterdrückungsverhältnisses zu bestimmen wäre dann bereits eine artikulatorische Praxis. Diskursive Anrufung Gehen wir nun davon aus, dass nicht die Vorstellung des handelnden Subjekts die Bedeutung einer diskursiven Praktik erzeugt, sondern, wie Urs Stäheli (1991: 199) es formuliert, diese über seine Position innerhalb eines Netzwerks diskursiver Differenzen bestimmt wird. Mit Judith Vey (2015: 68) kann außerdem ausgeschlossen werden, dass sich Identitäten und Handlungen von konkreten sozialstrukturellen Positionen und objektiven Gegebenheiten und Ereignissen ableiten lassen. Dann ist die Frage zu klären, über welchen Modus sich Subjektpositionen auf einer artikulatorischen Mikroebene konstituieren. Laclau und Mouffe erklären dies in Anlehnung an Luis Althusser über das Theorem der „Interpellation“ (2014). Damit wird die Praktik der diskursiven Anrufung beschrieben, in der ein Subjekt erst konstituiert wird. Im Kontext seiner Überlegungen zu Ideologie fasst Althusser die Interpellation wie folgt: „I shall then suggest that ideology ‚acts‘ or ‚functions‘ in such a way that it ‚recruits‘ subjects among the individuals (it recruits them all), or ‚transforms’ the individuals into subjects (it transforms them all) by that very precise operation which I have called interpellation or hailing, and which can be imagined along the lines of the most commonplace everyday police (or other) hailing: ‚Hey, you there!‘“ (Althusser 2014: 264, Herv. i. O.)
In einem ähnlichen Sinne verstehen auch Laclau und Mouffe das diskursive Anrufen als artikulatorische Praxis der Subjektivierung innerhalb einer ‚Logik der He-
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gemonie‘. Das Subjekt konstituiert sich demzufolge erst im Akt der Interpellation, nämlich dann, wenn es in einen spezifischen Bedeutungszusammenhang gestellt wird. Die Subjekte ‚Frau‘, ‚Obdachlose‘, ‚Refugee‘ oder ‚Aktivistin‘ werden wieder aufs Neue situativ als spezifische Subjektpositionen hervorgebracht. Subjektpositionen beschreiben daher nicht das Verhältnis zwischen Subjekten, sondern die diskursiven Relationen, in denen das Subjekt konstruiert, also subjektiviert wird. Verschiedene Subjektpositionen existieren unabhängig voneinander und häufig auch in einem Spannungsverhältnis in ein und derselben Person. Der konstitutive Akt der subjektivierenden Anrufung impliziert dabei auch immer eine machtvolle Unterwerfung unter eine „Ordnung der Dinge“ (Foucault 2003) und eine damit einhergehende Fixierung auf eine konkrete Subjektposition bei gleichzeitigen Ausschluss möglicher alternativer Subjektpositionen. Folgen wir hierbei einem Verständnis von Macht als „produktives Netz“ (Foucault 1977), dann beinhaltet diese totalisierende Unterwerfung bei fortwährender Polysemie eines unabgeschlossenen Subjekts schließlich auch eine subversive Dimension. „Die anderen Subjektpositionen schwingen bei einer spezifischen Anrufung stets mit, da sie eben nur temporär unterdrückt und folglich potenziell reaktivierbar sind.“ (Vey 2015: 69) In diesem Zusammenhang wird auch klar, dass die Subjekte selbst von Widersprüchen und Ambivalenzen durchzogen sind – von Paradoxien, mit denen sie sich selbst auseinander zu setzen haben. Entsprechend Foucaults Thesen zur „Gouvernementalität“ (2005) werden Regierungspraxen verinnerlicht, in das Subjekt hinein verlegt, sodass das Subjekt sich letztlich selbst unterwirft und regiert, sowie die Paradoxien in Eigenverantwortung zu regulieren hat. Das führt nach Vey (2015: 69f.) schließlich auch zu einer Vereinzelung des Subjekts, im Sinne einer ‚Auf-SichSelbst-Zurückgeworfenheit‘, die von äußeren Ursachen besonders im Falle eines ‚persönlichen Scheiterns‘ abstrahiert und dessen Ursachen gänzlich auf das Subjekt selbst zurückführt. Gleichzeitig ist in dieser diskurstheoretisch gewendeten Fassung internalisierter Paradoxien auch die Möglichkeit angelegt, dass sich soziale Subjektpositionen politisieren und politische Subjekte des Protests hervorbringen, wie beispielsweise die protestierenden Mieter*innen, Kleingärtner*innen, Künstler*innen oder auch Refugees (vgl. Kap. 5, Kap. 6.2). Marchart (2013b: 219ff.) macht genau hierin das Potenzial aktueller sozialer Bewegungen aus, nämlich, dass diese die hegemonialen Subjektivierungen reflektieren, kritisieren und unterwandern. Diskurse als Macht- und Herrschaftsräume bestimmen spezifische Wissens- und Bedeutungsproduktionen und subjektivierende Anrufungen. Sie produzieren und manifestieren dabei auch stets Ungleichheiten, Exklusionen und mithin Diskriminierungen. Das heißt, es existiert eine Hierarchie verschiedener Subjektpositionen, allerdings werden unterschiedliche Privilegien hegemonial unsichtbar gemacht, naturalisiert oder nivelliert. Genau dann, wenn diese Hierarchien in ihrer quasi-
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naturalisierten Legitimität argumentativ nicht mehr aufrecht zu erhalten sind, kann sich Widerstand entwickeln. Ein politischer Moment kann demnach entstehen, wenn einer hegemonialen sozialen Wirklichkeit die Legitimität abgesprochen wird und die hierarchischen Relationen verschiedener Subjektpositionen in Frage gestellt werden. Die von Laclau und Mouffe in Anlehnung an Claude Lefort idenifizierte „Leerstelle der Macht“ (1981) wird zum Gegenstand von Auseinandersetzungen um Hegemonie (vgl. Kap. 2.4.2). Damit kontextualisieren Laclau und Mouffe hinsichtlich aufkommender neuer Protestbewegungen die Foucault’sche These: „Wo es Macht gibt, gibt es Widerstand. Und doch oder vielmehr deswegen liegt der Widerstand niemals außerhalb der Macht.“ (Foucault 1977: 116) Prämisse 3: Politische Subjektivitäten konstituieren sich erst durch deren Artikulation im Protest Lassen wir die bisherigen Überlegungen einmal Revue passieren, dann kann für die hegemonietheoretische Analyse städtischer sozialer Bewegungen an dieser Stelle Folgendes festgehalten werden: Erstens soll davon ausgegangen werden, dass sich städtische Proteste genuin in konkreten Situationen entwickeln, in denen Antagonismen diskursiv zu Tage treten. Zweitens, erst in spezifischen Situationen der diskursiven Anrufung – weder aus historischer Notwendigkeit noch durch Zufall oder Spontanität – konstituieren sich auch politische Subjektivitäten, die ebenfalls zu differenzieren sind.8 Dadurch lässt sich drittens auch die Vielseitigkeit städtischer Proteste und entsprechender Subjektpositionen auf eine andere Art und Weise fassen. Auch wenn diese völlig unabhängig voneinander artikuliert werden, können sie doch als eine (Re-)Politisierung bestimmter Themenfelder und damit konkreter, hyperlokaler Unterdrückungsverhältnisse verstanden werden. Daraus entwickelt sich ein Gemenge sehr heterogener Protestfelder mit unterschiedlichen Protestartikulationen, Praxen, Strategien und Forderungen und ein Feld der Verstreuung von Subjektpositionen.9 Politische Subjektpositionen stabilisieren sich dabei auch keines-
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An anderer Stelle bin ich bereits auf die Unterscheidung zwischen einer Pluralität verschiedener politischer Subjektpositionen zwischen ‚Aktivist*in‘, ‚Reformer*in‘ und ‚Berater*in‘ eingegangen (vgl. Scheller 2014: 281ff.).
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Diese Positionen können auch sehr gegensätzlich sein. So kritisieren sowohl Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes (Pegida) als auch Refugees dieselbe politische Chimäre, – nämlich mangelnde Repräsentation partikularer Interessen in der repräsentativen Demokratie – jedoch aus äußerst konträren Positionen. Es geht um den Zugang und Nicht-Zugang zu existenziellen Rechten. Im Falle der Refugeeproteste wird auf der Ebene der Menschenrechte argumentiert. Auf Seiten der konservativen ‚Wutbürger*innen‘ wird auf völkischer und territorialer Ebene argumentiert. Ausschluss und Stereotypisierungen spielen bei Pegida eine entschiedene Rolle als artikulatorisches Mittel
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wegs einheitlich, sondern immer in Relation zu bestimmten sozialen Konstellationen prozesshaft und vorübergehend. Mit Fokus auf die punktuellen Kämpfe in der Stadt können die Produktionsmechanismen der Subjektpositionen im Kontext der Rechtsprechung, Sozialpolitik und vielfältigen kulturellen Formen im Einzelnen analysiert werden. Mit Blick auf die Konstitutionsbedingungen widerständiger Subjektivitäten soll auch der Überlegung Rechnung getragen werden, dass die Stadt als vielfältiges Protestfeld die Fabrik ablöst (vgl. Kap. 2.1 und insbesondere Castells 1983, Harvey 2012b, Lefebvre 1990). Dieser entscheidende Perspektivenwechsel in der Analyse der ‚Subjekte des Widerstandes‘ verschiebt ebenfalls, wie schon oben angedeutet, den Fokus vom Proletariat auf z. B. Protagonist*innen städtischer sozialer Bewegungen und damit von den Produktionsverhältnissen in der Fabrik auf die existenziellen Reproduktionsverhältnisse des Alltags – auf die „urbane Konsument*in“ (Castells 1983), die „Multitude“ (Hardt/Negri 2004)10 und zuletzt die „Prekarisierten“ (vgl. Lorey 2015, Candeias 2007, Marchart 2013b, Wacquant 2008). Während beispielsweise Lefebvre und Harvey nach wie vor an der Marx’schen Terminologie des Klassenkampfes festhalten (vgl. Kap. 2.3.1), der sich nunmehr jedoch im urbanen Raum abspielt, verlagern Laclau und Mouffe die Frage nach der politischen Bedeutung von Protest auf das Feld der Artikulationen: „Die politische Bedeutung einer Bürgerinitiative, eines ökologischen Kampfes, einer sexuellen Minderheitenbewegung, ist nicht von Anfang an gegeben: sie hängt entscheidend von ihrer hegemonialen Artikulation mit anderen Kämpfen und Forderungen ab.“ (Laclau/Mouffe 2006: 126)11 Damit sind wir nun an den Punkt gelangt, an dem zu klären ist, wie unterschiedliche Subjektpositionen in einer sozialen Bewegung zusammenkommen können. Für Laclau und Mouffe bilden Äquivalenzen, die unter Bezug auf ein gemeinsames Drittes diskursiv hergestellt werden, die Basis für eine identitäre Schließung. Dabei
der Delegitimierung und eines essentialistischen Kulturalismus. Sie befinden sich damit durchaus im Einklang mit dem neoliberalen egoistischen Subjekt. Im Sinne der demokratischen Revolution nach Laclau und Mouffe wäre in Bezug auf diese beiden Subjektpositionen zu untersuchen, ob und wie sie unterschiedliche Positionen anerkennen und auf einer Ebene der Universalisierungen von Privilegien ein höheres Maß an Gleichheit generieren. Aus einer solchen Perspektive kann Pegida nicht als Demokratisierungsbewegung verstanden werden, die Proteste der Refugees hingegen schon. Daher werden die Pegida-Proteste in der vorliegenden Arbeit nicht berücksichtigt (vgl. Kap. 2.5 und zu den sich daraus ergebenden forschungsethischen Überlegungen auch Kap. 4.2). 10 Hardt und Negris „Multitude“ (2004) konstituiert sich in der Stadt als Fabrik, als Ort der Verdichtung immaterieller Arbeit. 11 Kritisch dazu äußern sich beispielsweise Demirović (2008) und Opratko (2012).
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geht es nicht um eine objektiv vorgefundene Subjektposition, wie ‚das Proletariat‘ oder ‚die Multitude‘, sondern vielmehr darum, wie eine solche Subjektposition in ihrer übergreifenden diskursiven Bedeutung als gemeinsamer Bezugspunkt konstruiert wird. Sie halten fest: „[T]he specificity of the category of subject cannot be established either through the absolutization of a dispersion of ‚subject positions‘, or through the equally absolutist unification of these around a ‚transcendental subject‘. The category of subject is penetrated by the same ambiguous, incomplete and polysemical character which overdetermination assigns to every discursive identity. For this reason, the moment of closure of a discursive totality, which is not given at the ‚objective‘ level of that totality, cannot be established at the level of a ‚meaning-giving subject‘, since the subjectivity of the agent is penetrated by the same precariousness and absence of suture apparent at any other point of the discursive totality of which it is part.“ (Laclau/Mouffe 1985: 121, Herv. i. O.)
Demnach verstehen sie auch Objektivismus, Subjektivismus, Holismus und Individualismus als diskursive Spielarten des Strebens nach der endgültigen Schließung und Fixierung des Subjekts als totalisierte Entität. Dieses „Begehren“ bleibt zwangsläufig unerfüllt. Jedoch kann auch die Anerkennung der Verstreuung von Subjektpositionen keine Lösung bieten, diese als eigenständige Subjektivitäten hervorzubringen, wenn davon ausgegangen wird, dass es das „Spiel der Überdetermination“ ist, das den Möglichkeitshorizont einer unmöglichen Totalität bestimmt (vgl. Laclau/Mouffe 1985: 121f.). Dieses Spiel ermöglicht schließlich hegemoniale Artikulationen, durch die sich die voneinander fragmentierten Subjektivitäten unter einem gemeinsamen Horizont konsolidieren: „What we are witnessing is a politicization far more radical than any we have known in the past, because it tends to dissolve the distinction between the public and the private by a unified space, but in terms of a proliferation of radically new and different political spaces. We are confronted with the emergence of a plurality of subjects, whose forms of constitution and diversity it is only possible to think if we relinquish the category of ‚subject‘ as a unified and unifying essence.“ (Laclau/Mouffe 1985: 181, Herv. i. O.)
Im nächsten Abschnitt wird nun genauer erläutert, welche Rolle Antagonismen für die Konstitution politischer Räume und politischer Subjektivitäten spielen, bevor wir schließlich zum Konzept der Hegemonie als politischer modus operandi diskursiver Herstellung und Stabilisierung von Relationen zwischen verschiedenen Subjektpositionen selbst kommen, die in einem imaginären Kollektivsubjekt resultieren können.
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3.1.4
Antagonismen zwischen Äquivalenz und Differenz
Für die diskurstheoretische Konzeptionalisierung von Hegemonie und Gegenhegemonie nimmt der Antagonismus eine zentrale Rolle ein. Dieses Unterkapitel diskutiert daher Antagonismen innerhalb der diskurstheoretischen Hegemonietheorie als konstituierendes Element einer Logik des Politischen, also bestehender soziopolitischer Ordnungen und soziopolitischen Wandels gleichermaßen. Dabei wird zunächst auf die Beschreibung einer Pluralität von Antagonismen gegenüber der singulären Setzung eines zentralen Antagonismus eingegangen. Daran schließt sich die Diskussion um die Grenze(n) des Diskurses an sowie der dialektischen Verwobenheit von Äquivalenz- und Differenzlogik, die sich in einer stabilen Instabilität des Sozialen äußert. Eine hegemonietheoretische Fassung von Widerstand und politischen Momenten bildet den Übergang zum Kapitel zur Operationalisierung der postfundamentalistischen Forschungsperspektive. Vom Antagonismus zu Antagonismen War es bei Marx noch der eine allumfassende strukturelle Antagonismus zwischen Kapital und Arbeit, an dem sich das Politische kristallisiert, so öffnet der hegemonietheoretische Ansatz von Laclau und Mouffe nun das Feld für eine diskursive Pluralität von Antagonismen, die sich in dem Maße herausbilden, in dem sich die fortschreitende Inwertsetzung als Ausdruck von Kapitalinteressen auf alle Lebensbereiche ausdehnt. Diese Entwicklungen sind allerdings als explizit diskursive Verschiebung einer politischen Logik der Ökonomisierung hin zu einer ‚affirmativen Individualisierung‘ zu begreifen: „The fact that these ‚new antagonisms‘ are the expression of forms of resistance to the commodification, bureaucratization and increasing homogenization of social live itself explains why they should frequently manifest themselves through a proliferation of particularisms, and crystallize into a demand for autonomy itself. […] But in any case, and whatever the political orientation through which the antagonism crystallizes (this will depend upon the chains of equivalence which construct it), the form of the antagonism as such is identical in all cases.“ (Laclau/Mouffe 1985: 164, Herv. i. O.)
Laclaus und Mouffes Ansatz trägt hierbei den Entwicklungen seit den 1970er Jahren Rechnung, wonach die gesellschaftlichen Konfliktfelder und sozialen Kämpfe kontinuierlich heterogener und ausdifferenzierter geworden sind und daher auch in ihrer Heterogenität, Partikularität und Spezifität behandelt werden müssen. Das demokratische Vorstellungsvermögen ist mehr auf politische Rechte (liberty) als auf Gleichheit (equality) ausgerichtet, was eine Individualisierung der Kämpfe entgegen einer Kollektivierung begünstigt (vgl Laclau/Mouffe 1985: 164). Im Hin-
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blick auf die Frage, wie aus einer postfundamentalistischen Perspektive die Verbindung unterschiedlicher Konflikte und Kämpfe verstanden werden können, ist zunächst eine Rekapitulation der Charakterisierung des Antagonismus im Theoriegebäude von Laclau und Mouffe nötig. Den Ausgangspunkt bildet der Befund, dass in den Sozialwissenschaften hauptsächlich auf einer heuristischen Ebene danach gefragt wurde, wie und warum Antagonismen entstehen, jedoch der entscheidenden Frage selten nachgegangen worden sei, was ein antagonistisches Verhältnis eigentlich ausmacht (vgl. Laclau/Mouffe 1985: 124). Grundsätzlich charakterisieren Laclau und Mouffe einen Antagonismus als permanente Möglichkeit des Aufbrechens von Konflikt und des Auftretens von Krisen, die sie weder als zufällige noch als notwendige, sondern als kontingente Ereignisse verstanden wissen wollen. Stellt das Soziale sedimentierte Praxen dar, die nicht mehr hinterfragt werden, dann können diese durch Antagonisierung repolitisiert werden.12 Im Gegensatz zu klassistischen, voluntaristisch oder ökonomistischen Fassungen des Antagonismus kommt hierbei die zentrale Prämisse zum Tragen, dass Bedeutung nicht a priori existiert, sondern stets nur innerhalb von Diskursen und Artikulationen produziert wird (vgl. Wullweber 2010: 42). Joschua Wullweber (2012: 45f.) macht zudem darauf aufmerksam, dass zwischen einer ontologischen und einer ontischen Dimension des Antagonismuskonzeptes zu unterscheiden ist. Die ontologische Dimension des Antagonismus bezieht sich dabei auf die Konstruktionen des konstitutiven Außen, der ontische Antagonismus beschreibt den konkreten Konflikt auf realpolitischer Ebene zwischen verschiedenen Subjektpositionen.13 Zur Bestimmung der inhärenten Logik antagonistischer Verhältnisse auf einer ontologischen Ebene beziehen sich Laclau und Mouffe auf basale Überlegungen des ‚Othering‘ (vgl. Laclau/Mouffe 1985: 125). Demnach sei im Antagonismus das ‚Andere‘ als explizit internes konstitutives Element des ‚Selbst‘ angelegt und nicht als eine externe Objektivität. Also entsteht eine Identität nicht aus sich heraus, sondern erst in Relation zu einem ‚konstitutiven Außen‘. Zu einer Exteriorität, zum „negative[n] Pol“ (vgl. Nonhoff 2017), werde das ‚Andere‘ erst über hegemonial werdende Artikulationsketten. Ein Antagonismus entsteht durch das Verhindern und die Verunmöglichung anderer Identitäten. Diese bleiben
12 Wullweber (2012: 36) führt zur Illustration der Sedimentation und Reaktivierung das Modell eines Sees an, dessen unterschiedliche Bodenschichten relativ fixiert sind, aber auch wieder in Bewegung geraten können. Den sedimentierten Grund des Sees, machen in ihrer Entstehung in Vergessenheit geratene Äquivalenzketten aus, deren Elemente jedoch „flottieren“, also aufgewirbelt werden können. Dieses Aufwirbeln der Signifikanten bestimmt das Politische. 13 Laclau bezeichnet den ontologischen Antagonismus in Anschluss an Žižek einige Jahre später als ontologische Dimension des Subversiven, als „Dislokation“ (1990: 39ff.).
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jedoch weiterhin Bestandteil des inneren Diskurses. Da das ‚Andere‘ schon immer Teil des ‚Selbst‘ ist, werde auch dessen Schließung stets unterminiert: „But in the case of antagonism, we are confronted with a different situation: the presence of the ‚Other‘ prevents me from being totally myself. The relation arises not from full totalities, but from the impossibility of their constitution. The presence of the Other is not a logical impossibility: it exists; so it is not a contradiction. But neither is it subsumable as a positive differential moment in a causal chain, for in that case the relation would be given by what each force is and there would be no negotiation of this being.“ (Laclau/Mouffe 1985: 125, Herv. i. O.)
Ein ontologischer Antagonismus beschreibt also nicht den Widerspruch an sich, sondern die Grenzen dessen, was gesagt werden kann und bestimmt damit die Grenzen der Objektivität. Demzufolge ist er damit „the negotiation of a given order […], quite simply, the limit of that order, and not the moment of a broader totality in relation to which the two poles of the antagonism would constitute differential […] partial instances.“ (Laclau/Mouffe 1985: 126) Diese ontologische Fassung des Antagonismus beschreibt eine Grenze, die ausschlaggebend ist für die Konstruktion von Äquivalenzen und Differenzen. Doch wie Laclau (1999: 137) selbst betont ist in einer Gesellschaft, die immer schon disloziert und tendenziell unabschließbar ist, die Konstruktion eines ontologischen Antagonismus nur eine Möglichkeit unter vielen. Folgerichtig ist auch davon auszugehen, dass eine Dislokation nicht zwingend die Konstruktion eines ontischen Antagonismus auslöst, der auf einer konkreten Ebene der Politiken artikuliert wird. Für die vorliegende Arbeit ist diese Unterscheidung dahingehend wichtig, als dass sie eine Differenzierung zwischen der erkenntnistheoretischen Ebene und der Ebene politischer Praxis ermöglicht. Grenze(n) des Diskurses Antagonismen beschreiben also kein objektives Verhältnis zwischen einem Innen und einem Außen, sondern verweisen auf die Beschränkungen einer Objektivität und illustrieren dabei die ambivalenten Brüche in den Versuchen von diskursiven Schließungen des Sozialen. Laclau und Mouffe schließen auf zwei unterschiedliche Effekte von Antagonismen: Zum einen werden die handelnden Subjekte angesichts der Unmöglichkeit der Schließung von Gesellschaft in eine Identitätskrise gestürzt. Zum anderen müssen wir uns auch von der Vorstellung einer der Gesellschaft zugrundeliegenden, allumfassenden Rationalität als empirische Totalität verabschieden (vgl. Laclau/Mouffe 1985: 126; Marchart 2013a). Wullweber weist hiernach auf das Paradoxon einer Grenzziehung entlang der Äquivalenzen und Differenzen hin und auf die Unmöglichkeit ein Jenseits des Diskurses. Das Paradoxe besteht da-
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rin, dass „ein solches Jenseits eines differenziellen Systems nicht möglich ist, weil das Feld des Diskursiven, qua Definition alle Differenzen enthält.“ (Wullweber 2012: 44) Dadurch könne ein radikales Außen nur als politisches Konstrukt zustande kommen.14 Die Grenzen des Diskurses und damit die Antagonismen sind daher Gegenstand von politischen Auseinandersetzungen. Die ontischen Antagonismen bilden die politischen Räume, in denen soziale Wirklichkeit sich einerseits reproduziert anderseits jedoch auch neuverhandelbar wird (vgl. Kap. 3.2.3). Entscheidend ist dabei, dass eine in die Krise geratene symbolische Ordnung keineswegs auf eine völlig neue und in einem anderen Terrain, jenseits einer Grenze liegende objektive und positive Alternative verweist. Vielmehr müssen die Grenzen des Sozialen auch innerhalb des Sozialen selbst verstanden werden, als „something subverting it, destroying its ambition to constitute a full presence.“ (Laclau/Mouffe 1985: 127) Antagonismen implizieren nicht nur einen negativen Bezug in Abgrenzung zu etwas, sondern bestimmen die Grenzen von diskursiven Möglichkeitsräumen und sind damit folgerichtig immer das Ergebnis bestehender Diskurse und entsprechender Artikulationen. Als Versuche einer Schließung des Sozialen und der Konstitution von einer Gesellschaft als Entität werden diese kontinuierlich untergraben, denn „everything in it is penetrated by its limits, which prevents it from constituting itself as an objective reality” (Laclau/Mouffe 1985: 127). Stabile Instabilität. Dialektik von Äquivalenz und Differenz Damit kommen wir nun zur Funktionsweise der diskursiven Subversion selbst und schließlich zur Frage, wie diese ambivalente stabile Instabilität zustande kommt. Für Laclau und Mouffe sind Antagonismen auf einer allgemeinen Ebene durch das Zusammenwirken zweier miteinander eng verknüpfter Logiken des Diskursiven bestimmt, die ‚Logik der Äquivalenz‘ und die ‚Logik der Differenz‘. Während erstere dazu drängt, alle Bedeutungen äquivalent zu setzen, was in einer totalen Bedeutungslosigkeit enden würde, tendiert die letztere dazu, (unverbundene) Differenzen zu produzieren. Entlang dieser dialektischen Doppelbewegung von diskursivem Ein- und Ausschluss finden Prozesse der Assoziation und Dissoziation statt. Im relationalen Zusammenspiel der beiden ‚Logiken des Politischen‘ gründet die postfundamentalistische Fassung der Konstitution sozialer Bewegung, nämlich wie unterschiedliche partikulare Positionen entlang verschiedener Antagonismen in einem gemeinsamen Knotenpunkt ‚vernäht‘ werden. Zum entscheidenden Verbindungsstück zwischen den beiden Logiken werden sogenannte leere Signifikanten, die über kein fixes Signifikat verfügen wie zum Bei-
14 Der Antagonismus in einer solchen Fassung erinnert an Rancières Ausführungen zur Postdemokratie (vgl. Kap. 2.4.2).
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spiel ‚Freiheit‘, ‚Gleichheit‘ oder auch ‚Demokratie‘.15 Sie fungieren als jene Knotenpunkte, an denen sich unterschiedliche Diskurse kreuzen und verbinden lassen. So kann ein leerer Signifikant zu einem Verbindungsstück zwischen verschiedenen anderen Signifikanten avancieren, indem auf diesen Bezug genommen und ein mehr oder weniger konsistentes Bedeutungsfeld hergestellt wird.16 Eine solche Bedeutungsfixierung kann unter der paradoxen Dialektik zwischen Differenz- und Äquivalenzlogik im fortwährenden Modus der Dislokation demzufolge immer nur vorübergehend und prekär sein, da die zugrundeliegende Differenz nicht ausgelöscht werden kann, sondern nur temporär zu unterdrücken ist. Die Logik der Differenz lässt sich als Charakteristikum eines jeden Diskurses definieren, als Normalzustand diskursiver Arbitrarität und differenzieller Gleichzeitigkeit von miteinander verwobenen Unterscheidungen und Positionen.17 Wie Andreas Reckwitz (2006: 344) anmerkt, kommt die Logik der Äquivalenz dann zum Zuge, wenn verschiedene Partikularitäten unter einen gemeinsamen Nenner gebracht werden, um eine gemeinsame Identität zu konstituieren in der die komplizierten und komplexen Fragmentierungen temporär vereinfacht und konsolidiert werden. Mit Blick auf die ontische Ebene der städtischen sozialen Bewegungslandschaft lassen sich eine Vielzahl unterschiedlicher Proteste und Positionen ausmachen, wie beispielsweise jene gegen steigende Mieten, gegen Zwangsräumungen, Schließungen von Clubs oder auch zum Erhalt von Kleingärten. Themenübergreifende Netzwerke und Bündnisse verfolgen das Ziel diese unterschiedlichen Positio-
15 Das Konzept des ‚leeren Signifikanten‘ ist angelehnt an Claude Lévi-Strauss ́ Konzeption des „flottierenden Signifikanten“ (1977). Demnach existiert die Bedeutung eines Zeichens nicht einfach von sich aus, sondern sie beruht auf einer Art „Nullwert“ (Stäheli 2000). Das heißt, dass Bedeutungen erst ihre Ganzheit erlangen, wenn sie sich auf etwas Undefiniertes beziehen, welches sie verbindet und ihnen vorübergehend einen fixen Sinn gibt. Dieser flottierende Signifikant zirkuliert kontinuierlich durch die Struktur und verändert diese unentwegt (vgl. Stäheli 2000: 21f.). 16 Ein leerer Signifikant erfährt durch diese vielfachen Kontextualisierungen und Bedeutungsverschiebungen eine stetige Entleerung, denn „je mehr differenzielle Positionen er durch Äquivalenzierung einbegreift, desto weniger Konkretes bezeichnet er“ (Marchart 1998: 9). Ein eigentlich partikularer, entleerter Signifikant erlangt zeitweilig eine Position, von der aus er eine (quasi-)universelle Repräsentation übernimmt. Aus diesen Gründen werden die leeren Signifikanten Gegenstand der hegemonialen Auseinandersetzung um sinnhafte Ordnungen und erlangen dadurch politische Relevanz. 17 Hierbei kommt Laclau und Mouffes differenztheoretischer Ansatz zum Tragen, wonach auf einer ontologischen Ebene die Differenz zwischen Signifikat und Signifikant den basalen Ausgangspunkt einer jeden Artikulation bildet und Äquivalenz erst zu konstruieren ist (vgl. Laclau/Mouffe 1985: 112ff. und 127ff.).
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nen zu verbinden, dadurch, dass sie einen leeren Signifikanten auf einer abstrakteren Ebene oder eine übergeordnete Skala als Bezugspunkt einführen, wie beispielsweise die Slogans ‚Recht auf Stadt für Alle‘ oder ‚Wem gehört die Stadt?‘ (vgl. bspw. Kap. 5.1). Sozialer Wandel und radikale Demokratie In den vorangegangenen Abschnitten wurden die Prämissen der diskursiven Funktionsmechanismen vom dialektischen Verhältnis zwischen Assoziationen und Dissoziationen aus hegemonietheoretischer Perspektive rekonstruiert und eine postfundamentalistische Perspektive auf eine krisenhafte und permanent unabgeschlossene ‚Gesellschaft‘ entwickelt, in der ständig ‚Risse‘ in der hegemonialen Struktur aufkommen und gesellschaftliche Widersprüche konstruiert werden. Prinzipiell können Antagonismen alle möglichen politischen Positionen bezeichnen und bieten somit auch die potenziellen Ansatzpunkte für Demokratisierungen. Dabei wird nicht nur die Temporalität einer gesellschaftlichen Struktur betont, sondern auch die kontingenten Möglichkeiten zu deren Veränderung hervorgehoben. Oliver FlügelMartinsen (2017) betont hierin den zentralen Stellenwert der Kontingenz für Laclaus Demokratietheorie, wonach die Anerkennung einer kontingenten instabilen Stabilität von sozialer Wirklichkeit als basale Voraussetzung für das Politische und für Demokratie überhaupt verstanden werden kann (vgl. Kap. 3.1.1). Ähnlich wie bei Rancière steht der demokratische Streit damit selbst im Zentrum und „ist nicht irgendein Nebenschauplatz in einem gesellschaftlichen Bereich, sondern […] das Ringen um die Einrichtung von Gesellschaft.“ (Flügel-Martinsen 2017: 14) Radikalisierung meint dabei das ontische Streben nach einer fortlaufenden Expansion „des demokratischen Prinzips der Gleichheit auf immer weitere Bereiche des Sozialen“ (Marchart 2017: 3). Subjektpositionen bleiben hingegen ontologisch radikal, da sie stets auch ein Stück weit in ihrer pluralen Differenz und ihren eigenen Konfliktlinien verhaftet sind. Ausgehend von dieser nicht zu eliminierenden Differenz und auf Basis deren Anerkennung werden neue kollektive (vermeintlich homogene) politische Akteur*innen konstruiert (vgl. Kap. 3.1.3), die sich allerdings selbst nur vorübergehend stabilisieren lassen: „There is no unique privileged position from which a continuity of effects will follow, concluding with the transformation of society as a whole. All struggles, whether those of workers or other political subjects, left to themselves (sic!), have a partial character, and can be articulated to very different discourses. It is this articulation which gives them their character, not the place from which they come. There is therefor no subject – nor, further, any ‚necessity‘ – which is absolutely radical and irrecuperable by the dominant order, and which constitutes an absolutely guaranteed point of departure for a total transformation. Equally, there is nothing
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which permanently assures the stability of an established order.“ (Laclau/Mouffe 1985: 169, Herv. i. O.)
Sozialer Wandel ist demnach zwar in die kontingenten sozialen Beziehungen potenziell eingeschrieben, die sich in ihrer Bedeutungsstabilisierung als fortlaufend prekär erweisen. Jegliche Notwendigkeit, sowohl von Stabilität als auch von Transformation einer gesellschaftlichen Ordnung sowie entsprechender Subjektivitäten, stellt das Ergebnis artikulatorischer Praktiken dar (vgl. Kap. 3.1.2). Prämisse 4: Protestartikulationen bringen Antagonismen hervor Die Unmöglichkeit der Fixierung von Bedeutung in einer endgültigen Struktur, die sich im ontologischen Antagonismus (Singular) ausdrückt, bildet die Grundlage für eine Reihe ontischer Antagonismen (Plural) und damit für die Politisierung von gesellschaftlichen Widersprüchen. Dies kann sich in den Protestartikulationen und alltäglichen Praktiken vollziehen. Verbindungen zwischen verschiedenen ontischen Antagonismen sind als Konstruktionen zu verstehen, die sich in (gegen-)hegemonialen Praxen vollziehen. Für die Analyse städtischer sozialer Bewegungen lässt sich an dieser Stelle festhalten, dass eine unternehmerische, profitorientierte Stadtpolitik als Dislokation artikuliert wird, woraus wiederum verschiedene ontische Antagonismen hervorgehen (können). Dabei können auch Antagonismen zwischen Subjektpositionen konstruiert werden, beispielsweise zwischen ‚Mieter*innen‘ und ‚Hausbesitzer*innen‘. Jedoch muss es keineswegs notwendigerweise zu einer Äquivalenzkette in Form einer Allianz oder gemeinsamer Aktionen zwischen unterschiedlichen Mieter*innen kommen. Dies kann sowohl in einer temporären Assoziation oder in einem kontinuierlichen Prozess ermöglicht werden. Allerdings können gemeinsame Bezüge durch den Rückgriff auf andere Antagonismen entlang klassistischer, nationalistischer oder auch rassistischer Argumentationen sogar verunmöglicht werden. Denn die Grenzen des Möglichen bestimmen sowohl die Äquivalenzen als auch die Differenzen und das konstruierte ‚radikale Außen‘ (vgl. Kap. 7.). „Welcher konkrete Antagonismus gebildet wird, ist Resultat hegemonialer Prozesse und Auseinandersetzungen, in denen verschiedene hegemoniale Projekte um die Deutungshoheit der Krisenursache konkurrieren.” (Wullweber 2012: 47, Herv. D. S.) Nachdem die zentralen Kategorien in Laclau und Mouffes Hegemonietheorie geklärt wurden, geht es in einem nächsten Schritt nun um die Konzeptionen von Hegemonie und Gegenhegemonie selbst, die als Analysekategorien für die postfundamentalistische Untersuchung städtischer sozialer Bewegungen operationalisiert werden.
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3.2
POSTFUNDAMENTALISTISCHE OPERATIONALISIERUNG
In den vorangegangenen Kapiteln wurden die Prämissen einer postfundamentalistischen hegemonietheoretischen Forschungsperspektive für die Analyse städtischer sozialer Proteste herausgearbeitet, wonach erstens Protestartikulationen die Kontingenz politischer Ordnungen aufzeigen, zweitens Protest alternative soziale Wirklichkeiten hervorbringen kann, sich drittens in Protestartikulationen politische Subjektivitäten konstituieren, und viertens Protestartikulationen durch Antagonismen entstehen und diese gleichzeitig hervorbringen. Ausgehend vom Aufkommen „Neuer sozialer Bewegungen“ seit den 1960er Jahren, wie dem Feminismus, der Friedensbewegung, ökologischen oder auch antrirassistischen Bewegungen im Kontrast zur Arbeiter*innenbewegung, konzentrieren sich Laclau und Mouffe explizit auf eine neue Heterogenität sozialer Kämpfe und das Aufkommen neuer politischer Subjektivitäten und Subjektpositionen. Ausgehend von deren relationalen diskursiven Verhältnissen auf einer ontischen Ebene reformulieren sie Gramscis Konzeption der „kulturellen Hegemonie“, verstanden als gesellschaftliche Herrschaft, die weniger durch Zwang als vielmehr durch Konsens funktioniert (vgl. Gramsci 1991: 1587–90, § 24). Im Anschluss daran arbeitet Vey (2015) eine Typologie verschiedener Modi von Gegenhegemonie für die empirische Analyse der konkreten Protestartikulationen aus, die auch in der vorliegenden Untersuchung von stadtpolitischen Konvergenzen Anwendung finden (Kap. 3.2.1). Entsprechend einem Minimalmodell hegemonialer Artikulationen nach Laclau (1990) werden anschließend mit Oliver Marchart (2013b) drei Strukturen als analytischer Rahmen für die postfundamentalistische hegemonietheoretische Diskursanalyse vorgestellt (Kap. 3.2.2) und abschließend wird auf eine Konzeptionalisierung politischer Möglichkeitsräume unter Bezug auf Laclau und Mouffe sowie Lefebvre eingegangen (Kap. 3.2.3). 3.2.1
Hegemonie und Gegenhegemonie. Analysekategorien
Wie schon eingangs hervorgehoben nehmen Laclau und Mouffe den Hegemoniebegriff von Antonio Gramsci auf, um Machtbeziehungen in den Konstruktionen alltäglicher Vergesellschaftungen zu analysieren. Hegemonie beschreibt dabei keinen Zustand der Dominanz einer Gruppe, sondern betont den prozesshaften Charakter machtvoller diskursiver Konstitutionsbedingungen des Dominantwerdens einer spezifischen Gruppe oder diskursiver Narrative gegenüber anderen. Hegemonie beschreibt den Prozess in dem über artikulative Praktiken eine partikulare Position mit universeller Gültigkeit ausgestattet wird. Dabei lassen sie Gramscis letzte Essentialismen hinter sich, wenn sie Identitäten und Konfliktfelder aus einem verein-
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heitlichten politischen Raum des ‚Klassenwiderspruchs‘ auf eine Vielzahl von gesellschaftlichen Feldern erweitern. Anschlieβend an die bereits diskutierten konstitutionstheoretischen Überlegungen zu den kategorialen Elementen von Hegemonie wird nun die analytische Ebene genauer in den Blick genommen und ein Instrument zur Beschreibung urbaner Protestartikulationen vorbereitet. Die Zivilgesellschaft wird als Schauplatz gesellschaftlichen Wandels ausgemacht, wo hegemoniale Praktiken vollzogen werden und sich auch gegenhegemoniale Positionen artikulieren. Zivilgesellschaft als Feld gesellschaftlicher Transformationen In Anlehnung an Marx spielt, ähnlich wie bei Gramsci, die Zivilgesellschaft als Feld der sozialen Auseinandersetzungen die entscheidende Rolle. Für Gramsci stellen neben der Zivilgesellschaft – unter der er unter anderem auch die Familie, Vereine, Kirche und Zeitungen fasste – die politische Gesellschaft – ein institutionelles Ensemble aus Regierung, Parlament, Gesetz, Bürokratie, Polizei und Militär – sowie die Ökonomie die zentralen politischen Räume dar, in denen gesellschaftliche Transformationsprozesse stattfinden können (vgl. Wullweber 2012: 32f.). Unter Hegemonie versteht Gramsci (1971: 366) ein Bündnis hegemonialer Gruppen, die ihre Partikularität universalisieren und eine politökonomische sowie eine intellektuell-moralische Einheit generieren. Es müsse also eine breite Zustimmung zu partikularen Interessen hergestellt und gegebenenfalls auch abweichende Interessen temporär unterdrückt werden, um eine erfolgreiche Hegemonie zu etablieren, um einen ‚historischen Block‘ zwischen unterschiedlichen Interessengruppen zu schaffen.18 Die herrschende Klasse macht dabei reale Zugeständnisse an die Subalternen (oder Gruppen dieser), um einen sozialen Kompromiss herzustellen. Gramscis Machtverständnis betont insbesondere den affektiven, emotionsbetonten Charakter von Hegemonie, die hauptsächlich darauf beruhe, die Herzen und Köpfe der Menschen zu gewinnen und nicht nur eine „passive Toleranz“ zu generieren, sondern „aktive Unterstützung“ (vgl. Wullweber 2012: 34). Demnach sei auch der Begriff der Katachresis bei Gramsci inhaltlich dem Foucault’schen Begriff der „Gouvernementalität“ ähnlich. Der hegemoniale Prozess kann schlussendlich als „Ringen um die Produktion von Identitäten verstanden werden“ (Wullweber 2012: 34, Herv. D. S.). Laclau und Mouffe heben entgegen der Konzeption eines einheitlichen politischen Raumes die Heterogenität politischer Räume hervor und verwerfen die Idee eines historischen Blocks in einem einheitlichen politischen Raum. Mit der paradigmatischen Verschiebung hin zu erstens diskursiven Reproduktionsmechanismen
18 Für eine ausführlichere Rekonstruktion der Kontinuität und Diskontinuität zwischen Laclau/Mouffe und Gramsci siehe Wullweber (2012: 32), Vey (2015:19) und Demirović (2011).
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gesellschaftlicher Deutungsrahmen, zweitens der darauf aufbauenden poststrukturalistischen Reartikulation von Antagonismen als dialektisches Zusammenspiel zwischen den Logiken der Differenz und der Äquivalenz, sowie drittens der letztlich daraus resultierenden Unmöglichkeit jeglicher totalitären Schließungen, wird Hegemonie stattdessen vor allem als ein Typus politischer Relationen verstanden: „Hegemony is, quite simply, a political type of relation, a form if one so wishes, of politics; but not a determinable location within a topography of the social. In a given social formation, there can be a variety of hegemonic nodal points. Evidently some of them maybe highly overdetermined: they may constitute points of condensation of a number of social relations and, thus, become the focal point of a multiplicity of totalizing effects. But insofar as the social is an infinitude not reducible to any underlying unitary principle, the mere idea of a center of the social has no meaning at all.“ (Laclau/Mouffe 1985: 139)
Die These der Unabgeschlossenheit von Gesellschaft ist eine Grundvoraussetzung für hegemoniale Artikulationen. Denn in einem geschlossenen System relationaler Identitäten und vollständig fixierter Bedeutungen von Momenten gäbe es nichts zu hegemonialisieren, da in einem erfolgreichen Differenzsystem, das alle flottierenden Signifikanten ausschließt, keine Artikulation mehr möglich wäre, sondern nur noch Wiederholungen (vgl. Laclau/Mouffe 1985: 134). Hegemonie wird verstanden als universalisierende diskursive Schließung durch die Generalisierung eines Signifikanten gegenüber anderen Möglichkeiten. Eine hegemoniale Formation wird mit universeller Gültigkeit ausgestattet, sodass sie als quasi natürliche Gegebenheit erscheint. Alternativen zu dieser sich als hegemonial darstellenden Ordnung wird ihre Legitimität abgesprochen. Sie werden somit ins ‚Reich des Unmöglichen“ verschoben. Wird eine unternehmerisch ausgerichtete Stadtpolitik in der Gestaltung des Städtischen als alternativlos verstanden, dann ist dies das Ergebnis hegemonialer Praktiken, die eine gewinnorientierte Logik, die sich beispielsweise in der Privatisierung von Wohnraum ausdrückt, für die Ausgestaltung der Politiken universalisiert haben. Hingegen erscheint eine auf die Kollektivierung von Wohnraum zielende Logik nicht nur als Negation dieser hegemonialen Logik, sondern gewissermaßen als unmachbar und irrational oder zumindest als Ausnahme. Hegemonie besteht letztendlich darin, alternative politische Möglichkeitsräume zu verunmöglichen, während Gegenhegemonie auf dem Reflexivmachen dieser Brüche basiert (vgl. Kap. 3.2.3). Hegemoniale Praktiken Laclau und Mouffe unterscheiden zwischen einem Diskurs und einem allgemeinen Feld der Diskursivität. In letzterem werden durch hegemoniale Macht verschiedene Diskurse zusammengeführt und zwar durch das Instellungbringen dieser im Gegen-
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satz zu einem ‚externen Dritten‘ um die internen Differenzen zu verknüpfen. Dieses unpräzise artikulierte Dritte bildet die Grundlage einer hegemonialen Artikulation zwischen den Subjektpositionen und Elementen: „It is this ambiguity which makes possible articulation as a practice instituting nodal points which partially fix the meaning of the social in an organized system of differences.“ (Laclau/Mouffe 1985: 135) Für die Bestimmung hegemonialer Artikulationsbedingungen folgt daraus, dass zum einen antagonistische Kräfte am Wirken und zum anderen die trennenden Grenzen instabil sein müssen (vgl. Laclau/Mouffe 1985: 136).19 Dieser Ansatz ist gerade deshalb interessant für die vorliegende Analyse städtischer sozialer Bewegungen und heterogener Netzwerke zwischen diesen partikularen Bewegungen, da die diskursanalytische Hegemonietheorie an der Schnittstelle zwischen Partikularem und Universellem ansetzt und diskursive Bedeutungsproduktionen im Kontext einer politischen Logik begreift, ohne in einen reduktionistischen Universalismus zu verfallen. Das heißt, es wird nicht von den spezifischen Partikularitäten unterschiedlicher Proteste vorab selbst zugunsten eines übergeordneten Universalismus abstrahiert, wie etwa bei einem Universalwiderspruch zwischen Arbeit und Leben oder einem universalen Kollektivsubjekt ‚Proletariat‘. Vielmehr wird von einer nicht per se aufzulösenden Inkommensurabilität und Pluralität verschiedener Kämpfe und Konfliktlinien ausgegangen und darauf geschaut, wie gemeinsame Bezugspunkte gesucht werden, die diese Proteste zwar verbinden und integrative und konsolidierende Wirkungen entfalten können, während deren besondere Kontexte, Historizitäten und Horizonte aufrechterhalten werden: „[I]t is the new forms of struggle in the advanced capitalist countries, where during the last few decades we have witnessed the constant emergence of new forms of political subjectivity cutting across the categories of the social and the economic structure. The concept of ‚hegemony‘ will emerge precisely in a context dominated by the experience of fragmentation and by the indeterminacy of the articulations between different struggles and subject positions.“ (Laclau/Mouffe 1985: 13, Herv. i. O.)
Hegemonie fungiert als umkämpfte Universalisierung partikularer Elemente und Positionen. Sie beschreibt die artikulatorische Praxis zwischen diesen unterschiedlichen, mitunter auch gegensätzlichen Elementen eine Verbindung zu etablieren.
19 Dabei wird insbesondere hervorgehoben, dass Hegemonie erst mit der einsetzenden Moderne im 19. Jahrhundert als politische Logik dominant wird, nämlich im Übergang vom totalisierenden feudalen Ancien Régime hin zu einer Multiplizität sich ständig verändernder Reproduktionsbedingungen des Sozialen und der fortlaufenden Konstruktion neuer Differenzsysteme.
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Dabei wird ein leerer Signifikant als Knotenpunkt etabliert, der die differenziellen Elemente in einer Äquivalenzkette unterbringt und temporär die Unterschiede überbrückt oder nivelliert. Hegemoniale Praktiken werden demnach als diskursive Versuche verstanden, eine bestimmte partikulare Position als universell zu etablieren, das heißt, diese als wahr und richtig gegenüber alternativen Positionen darzustellen sowie gleichsam jene Alternativen zu delegitimieren. Definitionskämpfe darüber, was unter beispielsweise ‚Demokratie‘, ‚Freiheit‘ und ‚Gleichheit‘ oder auch unter einer ‚nachhaltig gerechten Stadtentwicklungspolitik‘ oder dem ‚Recht auf Stadt‘ zu verstehen ist, sind daher als hegemoniale und gegenhegemoniale Kämpfe zu begreifen, die sich in erster Linie darum drehen eine bestimmte Perspektive und Weltsicht als allgemein gültig gegenüber anderen Möglichkeiten zu etablieren. Hegemonie ist hierbei als das politische Ringen um eine artikulatorische Dominanz zu verstehen. Diese Dominanz wird durch Äquivalenzketten und flottierende Signifikanten hervorgebracht, die mit einer universellen Gültigkeit ausgestattet werden und diese quasi natürlich erscheinen lassen. Wenn eine soziopolitische Ordnung instabil wird, wenn also die internen Dislokationen hervortreten und Antagonismen wahrnehmbar und artikulierbar werden, erst dann entstehen Konflikte. Im stadtpolitischen Feld ließe sich das am Beispiel steigender Mieten bei gleichzeitiger Verknappung bezahlbaren Wohnraums und stagnierender Löhne zeigen – eben dann, wenn es langjährigen Mieter*innen nicht mehr möglich ist in ihrer gewohnten sozialen Umgebung zu bleiben und sie eine solche Äquivalenzkette artikulieren, um die Ursachen und das Problem zu benennen. Das Versprechen gleicher Möglichkeiten und einer ‚sozialen Mischung‘ in der Argumentationskette politischer Institutionen wird in einer hauptsächlich an Investitionen orientierten Stadtpolitik zunehmend sinnentleert (vgl. Kap. 6.3.2). Jedoch erst wenn diese Entwicklungen als Missstände artikuliert werden und diesbezügliche Forderungen entwickelt werden, entstehen Proteste und Antagonismen, erst dann wird die hegemoniale Ordnung in Frage gestellt und der Raum des Politischen geöffnet. Wird Hegemonie genau als jener Punkt verstanden „an dem Macht und Objektivität zusammenfließen“ (Mouffe 2007: 43), dann sind hegemoniale und ebenso gegenhegemoniale Praktiken die machtvollen Berührungspunkte an denen bestehende Ordnungen und neue Möglichkeitsräume verhandelt werden. Mit konkretem Blick auf die artikulativen Praktiken des Protests werden aus hegemonietheoretischer Perspektive verschiedene Protestfelder in ihrer stabilen Instabilität und in ihrer inneren politischen Logik analysierbar und zwar entlang spezifischer ontischer Antagonismen und Subjektpositionen, die in verschiedenen konkurrierenden Äquivalenzketten sichtbar werden. Wird die innere Logik einer hegemonialen Diskursformation brüchig und verliert an Dominanz und Überzeugungskraft, treten die inneren Paradoxien und Dislokationen in Protestartikulationen hervor, womit auch die Differenz- und Äquivalenzketten analysierbar werden. Das Ringen um Hege-
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monie, also um die Deutungshoheit darüber, was als wahr und richtig gilt, bestimmt den politischen Horizont. Im Zentrum der Analyse stehen damit konkurrierende Äquivalenzketten und entsprechende Ketten von Subjektpositionen, über die ontische Antagonismen gebildet werden. Hegemoniale Auseinandersetzungen werden um die hinreichende Bestimmung von leeren Signifikanten geführt, beispielsweise was unter einer ‚sozialen Stadtpolitik‘ zu verstehen ist oder entlang welcher Attribute die ‚demokratische Stadt‘ zu bestimmen ist. Drei Modi von Gegenhegemonie Hinsichtlich der Konzeptionalisierung von Gegenhegemonie bei Laclau und Mouffe ist in Anlehnung an die methodologischen Überlegungen zu einer Operationalisierung nach Vey (2015: 77ff.) zwischen drei verschiedenen Modi zu unterscheiden, die Gegenhegemonie als Strategie in den spezifischen Kontext von Handlungsfähigkeit stellen: Erstens die Ablehnung der hegemonialen Bedeutung eines leeren Signifikanten; zweitens die Umdeutung eines leeren Signifikanten und schließlich drittens die Etablierung einer neuen hegemonialen Argumentationskette durch einen leeren Signifikanten. Entlang dieser unterschiedlichen Spielarten von gegenhegemonialen Praktiken lassen sich in konkreten städtischen Protestartikulationen die diskursiven Bedeutungsverschiebungen in den Blick nehmen, die den politischen Horizont bestimmen und Konvergenzen zwischen verschiedenen Protestdiskursen ermöglichen (vgl. Kap. 7.1.3). Steht Hegemonie für eine dominante Diskursformation mit fixierten Äquivalenzketten und Subjektpositionen, dann soll Gegenhegemonie als Repolitisierung der zum Schweigen gebrachten Antagonismen verstanden werden, nämlich als politische Strategie, die neue und erweiterte Perspektiven auf gesellschaftliche Transformationsprozesse eröffnen kann. Beziehungsweise vermag Gegenhegemonie es, Alternativen überhaupt denkbar zu machen und das politische Imaginäre, das Vorstellungsvermögen zu entfachen: „Now, without ‚utopia‘, without the possibility of negating an order beyond the point that we are able to threaten it, there is no possibility at all of the constitution of a radical imaginary – whether democratic or of any other type.“ (Laclau/Mouffe 1985: 190, Herv. i. O.) Als politische Logik trägt Gegenhegemonie zur Etablierung eines ‚Horizonts der Möglichkeiten‘ gegenüber der postdemokratischen Hegemonie bei (vgl. Kap. 2.4). Ermöglichen Gegenhegemonien prinzipiell ein ‚radical imaginary‘, dann ist radikale Demokratie nur eine unter verschiedenen Möglichkeiten. Dabei wird jedoch auch der normative Impetus betont, dass Gegenhegemonie niemals nur als ontologische Kritik zu formulieren ist, sondern unbedingt ontische Alternativen hinsichtlich des komplexen Repertoires gesellschaftlicher Reproduktionsverhältnisse schaffen muss:
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„Juridical institutions, the educational system, labour relations, the discourses of the resistance of marginal populations construct original and irreducible forms of social protest, and thereby contribute all the discursive complexity and richness on which the program of a radical democracy should be founded.“ (Laclau/Mouffe 1985:192)
Hinzuzufügen ist an dieser Stelle, dass ein linkes gegenhegemoniales Projekt aus Sicht von Laclau und Mouffe dem normativen Projekt ‚radikale Demokratie‘ verpflichtet ist, da die Multiplizität von differenziellen Positionen nur durch eine fortwährende Ausweitung des Prinzips der Gleichheit von Teilhabemöglichkeiten in ein produktives und inklusives Verhältnis zu setzen wäre. Daher könne sich die Linke nicht darauf beschränken die ‚liberaldemokratische Ideologie‘ zu reformieren, sondern im Gegenteil sei es ihre Aufgabe „to deepen and expand it in the direction of a radical and pluralistic democracy“ (Laclau/Mouffe 1985: 176). Die Ausdehnung des Feldes demokratischer Kämpfe auf die gesamte Zivilgesellschaft sei demnach eine mögliche gegenhegemoniale Strategie für die Linke. „The multiplication of political spaces and the preventing of the concentration of power in one point are, then, preconditions of every truly democratic transformation of society.“ (Laclau/Mouffe 1985: 178) Die Schlussfolgerung von Laclau und Mouffe, dass radikale Demokratie darin besteht eine Äquivalenz zwischen den unterschiedlichen Kämpfen zu schaffen, ohne diese zu totalisieren, ist zentral für ihre demokratietheoretische Perspektive. Demnach sei es für eine wahre und ernst gemeinte Demokratisierungsbewegung entscheidend, unterschiedliche Proteste in ihrer kontingenten Singularität anzuerkennen: „It is only on this condition that struggles against power become truly democratic, and that demanding of rights is not carried out on the basis of an individualistic problematic, but in the context of respect for the rights to equality of other subordinated groups.“ (Laclau/Mouffe 1985: 184) Die Forderung nach ‚politökonomischer Gleichheit‘ (equality) kann demzufolge nur wirkungsmächtig werden, wenn sie mit der Forderung nach ‚politischer Freiheit‘ (liberty) verbunden wird und diese im Kontext radikaler und pluralistischer Demokratie gedacht wird. Das „Prinzip demokratischer Äquivalenz“ (Laclau/ Mouffe 1985: 183) scheint heute nicht nur zum Repertoire der gängigen Praxis städtischer sozialer Bewegungen zu gehören, sondern hat sich mittlerweile längst über die klassisch linken und autonomen Hausbesetzungsbewegungen hinaus zu einem konstitutiven Element städtischer Protestartikulationen und Assoziationen entwickelt (vgl. Kap. 6 und Kap. 7). Um sich den stadtpolitischen Protestartikulationen zugrundeliegenden diskursiven Funktionsmechanismen analytisch zu widmen, ist eine kleinteilige Operationalisierung der hegemonietheoretischen Überlegungen nötig, die im nächsten Unterkapitel beschrieben wird. So wird es möglich den de-
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mokratischen Praxen der urbanen Protestbewegungen nachzuspüren und diese in ihrem Zustandekommen und Scheitern zu analysieren. 3.2.2
Drei Strukturen einer hegemonietheoretischen Diskursfunktionsanalyse
Wie bereits eingehend herausgearbeitet wurde, bilden die Protestartikulationen städtischer sozialer Bewegungen für die hegemonietheoretische Diskursanalyse den empirischen Ausgangspunkt. Deren Analyse verspricht Einblick in die Funktionslogik politischer Diskurse und hegemonialer Formationen. Oliver Marchart betont den analytischen Zugewinn eines deduktiven diskursanalytischen Ansatzes, der in erster Linie darin bestehe, eine Kartografie eines bestimmten hegemonialen Raumes zu liefern, in welcher „Grenzziehungen, der Verlauf sich überkreuzender Antagonismen, Ein- und Ausschlüsse, Identitätsbildungsprozesse sowie Macht-, Dominanz- und Subalternitätsverhältnisse gründlicher und detaillierter bestimmt werden“ (2013b: 159). Die hegemonietheoretische Analyse stellt in dieser Lesart eine „Diskursfunktionsanalyse“ (Nonhoff 2008) dar, da diese sich zuvorderst mit der Funktionsweise politischer Diskursproduktionen auseinandersetzt (vgl. Marchart 2013b: 159). Zur Analyse stellt Marchart ein „Minimalmodell politischer Artikulation“ (2013b: 159) vor, das sich an der kontingenten Konstitution eines politischen Diskurses in Laclau’scher Lesart orientiert. Verbindungen zwischen den Elementen einer Äquivalenzkette kommen demnach erst durch den negativen Bezug auf ein „äußeres konstitutives Drittes“ zustande, was eine vorübergehende Stabilisierung ermöglicht (vgl. Kap. 3.1.4).20 Daraus lassen sich vier allgemeine Positionen ableiten, die in jedem politischen Diskurs zu finden sind: Erstens der Signifikant des Mangels, der „einen zu behebenden Zustand der verallgemeinerten Dislozierung der Identität eines Diskurses“ beschreibt; zweitens die Signifikanten der antagonistischen Kette, „denen der verallgemeinerte Mangel angelastet wird und die seiner Behebung im Wege stehen“; drittens die Signifikanten der protagonistischen Kette, „die auf die Behebung des Mangels zielen und nur vereint werden durch ihre gemeinsame Opposition gegenüber einem radikal negatorischen Außen (das im Innern des Diskurses von den antagonistischen Signifikanten repräsentiert wird)“; und viertens jene leeren Signifikanten, „die nicht ihren eigenen partikularen Inhalt sondern auch die Einheit der protagonistischen Kette selbst repräsentieren“ (Marchart 2013b: 160, Herv. i. O.).
20 Laclaus zentrale Prämisse des „konstitutiven Außen“ (1990: 84) ist Gegenstand längerer Kontroversen, auf die ich am Ende des Unterkapitels noch einmal aufgreife (vgl. auch Roskamm 2017a: 146ff.).
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An diese Überlegungen anschließend, schlägt Marchart eine Erweiterung des Minimalmodells hinsichtlich der Analyse des Inhalts von Protestartikulationen entlang der Kategorien der Forderungsstruktur, der Subjektivierungsstruktur und der Kontraritätsstruktur vor. Diese drei Analysekategorien sollen auch für die vorliegende Untersuchung die kategoriale Basis bilden entlang derer die städtischen Protestartikulationen deduktiv analysiert werden sollen. Innerhalb des Wechselspiels dieser drei Strukturen entstehen diskursive Möglichkeitsräume, die zunächst eine Artikulation der partikularen Dislozierungserfahrungen und darüber hinaus auch eine Verknüpfung dieser unterschiedlichen Positionen bis hin zu einer Generalisierung ermöglichen. Forderungsstruktur Die erste Kategorie für die hegemonietheoretische Diskursanalyse bezieht sich auf die Forderungen, die für Marchart (2013: 161) im Anschluss an Laclau (1990) eine allgemeine und zentrale Rolle in Protestdiskursen spielen. Denn auch wenn nicht allen Diskursen Forderungen immanent sind, so stelle diese Kategorie dennoch eine angemessene Analyseeinheit für Protestartikulationen dar. Im Prozess der kollektiven Aushandlung von gemeinsamen Forderungen werden sowohl Äquivalenzen als auch Antagonismen verhandelt. Mit der Formulierung einer Forderungsstruktur geht Marchart (2013: 162) über die Laclau’sche Kategorie der ‚Forderung‘ hinaus und versucht das relationale Verhältnis verschiedener umkämpfter Forderungen in den Blick zu nehmen. Für eine Protestbewegung seien Forderungsstrukturen charakteristisch, die in Verbindung mit einer ‚bewegungseigenen organischen Theorie‘ unter einer ‚leeren Forderung‘ konsolidiert werden. Identitäten sind demnach, wie bereits oben angedeutet, als instabiles Wechselspiel zwischen Äquivalenzen und Differenzen zu verstehen, das sich sowohl nach Außen richtet als auch im Inneren der Bewegungen vollzieht, beispielsweise im Ringen um Dominanz in der protagonistischen Kette. Über die Analyse der Forderungsstruktur können diese machtinduzierten Aushandlungsprozesse erschlossen werden. Dabei sei es wichtig, dass diese Aushandlungsprozesse nicht nur zwischen verschiedenen Gruppen stattfinden, sondern auch innerhalb dieser sogenannten Gruppen zu finden sind. Marchart (2013b: 163) hebt hervor, dass damit erstens die Grenzen der eigenen Identität fortlaufend zur Disposition stehen, was sich entlang der Frage nach den Forderungen entscheidet. Die Identität einer Gruppe oder Bewegung entsteht daher immer erst durch die Artikulation von Forderungen. Zweitens treten aus einem heterogenen Ensemble von Protagonisten auch immer wieder partikulare Forderungen heraus. Drittens sind Forderungsschwerpunkte stets Ergebnis von Aushandlungen und daher als kontingent und vorübergehend zu betrachten, was Inklusions- und Exklusionsoptionen ermöglicht oder auch verunmöglicht. Damit wird die instabile Stabilität sozialer Bewegungen entlang des Flottie-
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rens von leeren Signifikanten innerhalb der Protestartikulationen beschreibbar gemacht, die als ausschlaggebend für das Zustandekommen ebenso wie das Zerbrechen von Allianzen städtischer sozialer Bewegungen zu verstehen sind. Marchart entwickelt darüber hinaus ein Konzept der ‚organischen Theorien‘ und betont damit – in Anlehnung an Gramscis (1991) Konzepte der „organischen Intellektuellen“ und „organischen Ideologie“ – die Wichtigkeit der Theorieebene für das (Selbst)Verständnis sozialer Bewegungen. Für die Analyse der Forderungsstrukturen ist es demnach essentiell diese ‚organischen Theorien‘ in den Blick zu nehmen, da diese unter anderem über die strategisch-politische Funktion verfügen, eine Einheit durch ein kategoriales Raster zu konstituieren, welches eine Orientierung im politischen Raum ermöglicht. Dieses Raster muss nicht explizit sein, sondern kann auch implizit auf der Ebene des Unbewussten und Nicht-Intendierten bleiben. Für Marchart (2013b: 165) haben organische Theorien eine explikatorische Weltanschauungsfunktion, in denen sich Spezialdiskurse, Interdiskurse und Elementardiskurse zu einem Theorie-Praxis-Nexus verbinden (vgl. Link 1998, 2013). Demnach dienen Theoriediskurse zur Organisation, Stabilisierung und Selbstverständigung von sozialen Bewegungen, die einerseits in die alltäglichen Praktiken dieser einfließen oder auch reartikuliert daraus hervorgehen. Zusammenfassend besteht die Funktion organischer Theorien erstens in der Subjektivierung der Protestakteur*innen und deren Mobilisierung; zweitens dienen sie als Welterklärungsvorschlag in der Generalisierung und Ausweitung des Protests; drittens unterstützen sie die Legitimation von Forderungen in Spezialdiskursen, und viertens schließlich ermöglichen sie die (Selbst)Positionierung im politischen Feld in Abgrenzung zu anderen politischen Akteur*innen (vgl. Marchart 2013b: 165). Subjektivierungsstruktur Als zweite Kategorie geraten Subjektivierungsstrukturen in den Blick. Für die Konstellation einer protagonistischen Kette unterschiedlicher Subjektpositionen ist generell zu beobachten, dass Identitäten – verstanden als ‚imaginierte Vereinheitlichungen‘ – über Fremd- und Selbstanrufungen21 zustande kommen und dabei eine Verdichtung zu einem Subjektnamen für die Bewegung vollzogen wird. Die Identität einer sozialen Bewegung ergibt sich für Marchart (2013b: 167) also aus der Gesamtheit der Subjektpositionen, die mit in die Äquivalenzkette aufgenommen wurden und sie ist damit das Ergebnis der relationalen Konstellation dieser verschiedenen Subjektpositionen. Anrufungen vollziehen sich in politischen Diskursen und
21 Eine bestimmte Subjektposition selbst mit einem bestimmten Sinn zu besetzen, stellt eine identitätspolitische Strategie des Empowerment über die Artikulation und die Sichtbarmachung eines Antagonismus dar, was beispielsweise der Signifikant ‚Refugees‘ (vgl. Kap. 5.4) oder der Slogan ‚Black Lives Matter‘ (vgl. Kap. 5.5.3) illustrieren.
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richten sich einerseits auf politische Gegner*innen und Institutionen als Adressat*innen von Forderungen, anderseits kann es Bestrebungen zur Erweiterung der protagonistischen Kette und zur Vergrößerung des politischen Projekts geben. Drei verschiedene Aspekte fokussiert Marchart (2013b: 168f.) mit Blick auf die Assoziationsprozesse in sozialen Bewegungen: Erstens sei es für die Analyse von Subjektivierungsstrukturen sozialer Bewegungen wichtig, Artikulationen eines Eigennamens22 zu analysieren, denn die gemeinsame Suche nach einer Selbstbeschreibung als gemeinsamer Bezugspunkt erscheint als ein zentraler Punkt in der Konstitution eines gemeinsamen Projekts. Damit ist gemeint, dass einem größeren politischen Projekt ein Subjektstatus zugesprochen werden kann und unterschiedliche Subjektpositionen auf eine einzelne Position reduziert werden, die schließlich zu einem (gegen)hegemonialen Projekt der Anrufung werden kann. Auch kann ein leerer Signifikant die Funktion eines Eigennamens übernehmen und der ‚Fluss der Signifikanten‘ wird gestoppt – was potenziell jeder Signifikant zu leisten vermag, wenn dieser seines Partikularismus entledigt wird (vgl. Marchart 2013b: 167f.). Zweitens wird darauf hingewiesen, dass die in einem Text markierten Subjekte der Äußerung nicht notwendigerweise dem leeren Signifikanten entsprechen müssen. Daher sei es wichtig Signatoren zu berücksichtigen, die sich sowohl in den Signaturen der Protestartikulationen ausfindig machen lassen, aber auch außerhalb der protagonistischen Kette zu finden sind, adressiert als Unterstützer*innen oder auch Denunziant*innen, die sich dem antagonistischen Projekt anschließen. Drittens kann in vielen Diskursen ein leerer Signifikant die Rolle eines Metasubjekts übernehmen und ein politisches Projekt mit rationaler Evidenz und Legitimität ausgestattet werden, wie beispielsweise die ‚unsichtbare Hand der Märkte‘ oder das ‚Gesetz der Geschichte‘ (vgl. Marchart 2013b: 169f.). Kontraritätsstruktur Eine dritte zentrale Kategorie des Minimalmodells der hegemonietheoretischen Diskursanalyse stellt für Marchart die Kontraritätsstruktur dar. Damit bezieht er sich auf die Artikulation eines negativen antagonistischen Außen, der Prämisse von Äquivalenz- und Differenzlogik folgend (vgl. Kap. 3.1.4). Für die Analyse sozialer Bewegungen wird diese Dimension insofern berücksichtigt, als dass sich in der Konstellation verschiedener antagonistischer Forderungen, Subjektpositionen und Subjektnamen sowohl positive als auch negative Korrelate protagonistischer Signifikanten sichtbar werden. Dies kann sich in der verallgemeinerten Form eines Man-
22 Ein Eigenname kann eine zentrale Aussage oder Forderung formulieren, wie ‚Wir bleiben alle‘ (vgl. Kap. 5.1.4). Allerdings wird dem Eigennamen nicht zwangsläufig eine zentrale Bedeutung beigemessen, was beispielsweise Namensgebungen illustrieren, die das Prinzip der geteilten Identität ironisieren, wie beispielsweise die ‚Clowns-Army‘.
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gels und dessen Überwindung, aber auch in dessen Nicht-Überwindung ausdrücken (vgl. Marchart 2013b: 170). Zwar ist dieses konträre Außen nicht im Diskurs verfügbar, doch gibt es innerdiskursive Negativ-Korrelate zur ‚positiven‘ Struktur einer Bewegung. Bestimmte Signifikanten können zu ‚Feindsignifikanten‘ werden, die alle Widersprüchlichkeiten einer antagonistischen Kette in sich vereinen, zu deren Inbegriff und somit selbst zu einem Antagonismus werden können. Ein Beispiel dafür wären Sündenbockstrategien rassistischer Diskurse. Dennoch müsse laut Marchart (2013b: 171) das ‚Anti-Subjekt‘ nicht zwangsläufig in ein Schmitt’sches Freund-Feind-Schema gesetzt werden. In politischen Auseinandersetzungen wird es hingegen auf Basis radikaler Demokratie möglich, sich nicht als ‚Feind‘, sondern als ‚Gegner‘ zu begegnen (vgl. Mouffe 2007: 45). Die drei deduktiven Kategorien und die entsprechenden Unterkategorien ermöglichen eine diskursanalytisch fundierte Auseinandersetzung mit den Protestartikulationen auf einer Mikroebene der politischen Artikulationen. Die verschiedenen hegemonialen und gegenhegemonialen Bedeutungsproduktionen werden auf einer konstitutiven Ebene, in ihrem diskursiven Zustandekommen und Scheitern entlang von Äquivalenzketten und flottierenden Signifikanten, analysierbar. Das so beschreibbare Zusammenspiel einzelner Diskurselemente illustriert die fragilen temporären Assoziations- und Dissoziationspotenziale zwischen verschiedenen Konfliktlinien und dementsprechenden Subjektpositionen. Die dabei entstehenden politischen Möglichkeitsräume, beispielsweise für radikaldemokratische Forderungen und Transformationen, sind geprägt von diesen radikal relationalen und mithin dynamischen, kontingenten Strukturen. Wie im Folgenden gezeigt wird, ermöglichen diese ontologischen Prämissen erst eine empirische Sensibilität gegenüber den mithin kleineren und unauffälligen ontischen Verschiebungen in den Protestartikulationen. Für eine erkenntnistheoretische Konzeptionalisierung von politischen Möglichkeitsräumen in der „Kartografie einer hegemonialen Formation“ (Marchart 2013b: 159) bleibt nun noch das Verhältnis zwischen Laclaus und Mouffes singulärem Konzept des ‚politischen Raumes‘ und einer Pluralität verschiedener ‚politischer Räume‘ zu klären. Hier ergeben sich allerdings einige Schwierigkeiten in der Operationalisierung. Denn obwohl Laclau und Mouffe die erkenntnistheoretischen Voraussetzungen für ein analytisches Instrumentarium zur Analyse und Beschreibung politischer Möglichkeitsräume schaffen, bildet das ‚Vernähen‘ (suture) verschiedener Fragmente zu einem übergreifenden einzigen politischen Raum den Fluchtpunkt, eine Konstitutionstheorie des Sozialen. Es wird nun diskutiert inwiefern hingegen eine Fassung verschiedener Räume des Politischen zunächst für die erkenntnistheoretische Konzeptionalisierung von politischen Möglichkeitsräumen eine Rolle spielt, was schließlich ein erweitertes Analysespektrum städtischer Protestartikulationen eröffnet.
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3.2.3
Politischer Raum und Räume des Politischen. Möglichkeitsräume
Aufbauend auf den bisherigen erkenntnistheoretischen Überlegungen und deren postfundamentalistischer Operationalisierung zur Analyse von Protestartikulationen ist es das Ziel dieses letzten Unterkapitels, ein analytisches Konzept von politischen Möglichkeitsräumen zu entwerfen. Mit den Operationalisierungsversuchen der Hegemonietheorie wurde bereits das gewohnte Terrain der konstitutionstheoretischen Argumentation von Laclau und Mouffe verlassen. Die von Marchart vorgeschlagenen deduktiven Kategorien ermöglichen es zwar die Protestartikulationen in ihrer Konstitution und Ausprägung zu analysieren. Jedoch sehen wir uns zum einen mit dem Problem konfrontiert, dass die Hegemonietheorie spätestens mit dem Konzept der Gegenhegemonie auch auf einer normativen demokrietheoretischen Ebene argumentiert.23 Zum anderen erscheint für die Beschreibung und Konzeptionalisierungen von politischen Möglichkeitsräumen ein ausdifferenziertes Raumkonzept hilfreich. Dazu wird über die Verbindung von Laclau und Mouffes Konzeptionalisierung von Antagonismen als Räume des politischen und Lefebvres ‚Produktion des Raumes‘ mit in die Diskussion der empirischen Ergebnisse eingebracht. Diese beiden kritischen Punkte stehen im Fokus der folgenden konzeptionellen Überlegungen. Zunächst wird das Verhältnis zwischen einer singulären und einer pluralen Fassung von Raum diskutiert. Entgegen dieser Binarisierung wird anschließend ein integrales Verständnis von politischen Möglichkeitsräumen stark gemacht, dass sich an den geteilten Prämissen radikaler Kontingenz orientiert und zum einen eine permanente Unabgeschlossenheit, Situiertheit und Neuverhandlung und zum anderen politische Aushandlungs- und räumliche Produktionsprozesse (in der Stadt) als das Ergebnis artikulatorischer Praktiken versteht. Aufbauend auf diese Überlegungen werden abschließend im Anschluss an Lefebvre drei dialektisch verbundene Analysedimensionen zur erweiterten Beschreibung von politischen Möglichkeitsräumen vorgeschlagen, die auf den analytischen Boden der Diskursfunktionsanalyse von Forderungen, Subjektivitäten und Kontraritäten gestellt werden (vgl. Kap. 3.2.2).24
23 In diesem Zusammenhang wird dann auch ‚Gegenhegemonie‘ als analytische Kategorie kontextualisiert, deren Inhalte nicht schon gesetzt sind, sondern es ermöglicht auf einer analytischen Ebene Demokratisierungsartikulationen in den städtischen Protesten nachzuspüren (vgl. Kap. 7.1). 24 In Auseinandersetzung mit dem empirischen Material werden diese als ‚Möglichkeitsräume der Demokratisierung‘ konkretisiert (vgl. Kap. 7.2).
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Singulär und Plural Laclau und Mouffe verfolgen ein holistisches Konzept vom einem politischen Raum (im Singular), der Gegenstand von diskursiven Schließungsbestrebungen ist, welche aber nie gänzlich vollzogen werden können. Differenz als primäre und unauflösliche Prämisse bestimmt das Verständnis vom Politischen und von Räumen. Die Pluralität von Räumen, wie sie beispielsweise in den Urban Studies und insbesondere in der Geografie im Mittelpunkt der Analyse steht, ist nicht primärer Fokus der hegemonietheoretischen Überlegungen.25 Laclau und Mouffe beschäftigen vielmehr die Konstitutionsbedingungen sozialer Wirklichkeit und weniger die konkreten Raumproduktionen. Möglichkeitsräume werden entlang des politischen Horizonts, also entlang der Achse von artikulierten Antagonismen gedacht. Wie bereits oben angeführt, adressiert der ontologische Antagonismus die unmögliche Fixierung von sozialer Wirklichkeit und damit deren potenzielle Veränderbarkeit, die sich in verschiedenen ontischen Antagonismen ausdrücken kann. Es wird deutlich, dass der politische Raum bei Laclau und Mouffe eine zentrale Rolle spielt, gleichzeitig jedoch dessen begriffliche und inhaltliche Fassung konzeptionell außen vor gelassen wird. Exemplarisch für die Kritik an Laclau und Mouffes Raumbegriff steht die Geografin Doreen Massey, die diesen als starr und apolitisch beschreibt und demgegenüber die Prämisse vertritt, dass „Räume nicht nur als das Ergebnis einer sozialen Produktion zu verstehen sind, sondern die Konstitution von Räumen integraler Bestandteil der Konstitution des Sozialen ist“ (Glasze 2012: 157 zu Massey 1999: 10). Gegenstand der Kritik ist Laclaus Gegenüberstellung vom ‚Politischen‘ und ‚Raum‘ unter dem Aspekt der Zeit (vgl. Laclau 1990: 68). Im Raum sei Zeitlichkeit fixiert, das Politische hingegen wird mit Wandel gleichgesetzt, was es schließlich unmöglich mache, die politische Dimension von Räumen in den Blick zu nehmen (vgl. Massey 1999). Massey betont die Untrennbarkeit von Raum und Zeit und vertritt eine poststrukturalistische Cultural Studies-Perspektive mit deutlichem Bezug auf Lefebvres Konzept der heterotopen, pluralen, fragmentierten und interrelationalen Beschaffenheit von Räumen. Trotz einer geteilten poststrukturalistischen Ausrichtung und sogar eines direkten konzeptuellen Bezugs von Massey auf Laclau und Mouffe unterscheiden sich die konzeptionellen Schwerpunkte dieser Theoretiker*innen und somit auch die Fluchtpunkte ihrer Analyse (vgl. Glasze 2012: 159f.). Während Laclau sich für die ontologischen Konstitutionsbedingungen der sozialen Wirklichkeit interessiert, sucht Massey zuvorderst nach angemessenen Kategorien zur Beschreibung und
25 Zur Kontroverse zwischen den verschiedenen Ansätzen, die das ‚Politische‘ einer politischen Differenzlogik folgend ins Zentrum stellen und jenen, die ‚Räumlichkeit‘ als zentral setzen vgl. bspw. Roskamm (2017a), Glasze (2012) und Mullis (2017).
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Analyse sozialer Wirklichkeit (vgl. Glasze 2012: 160).26 Diese liefern Laclau und Mouffe zwar in ihren postfundamentalistischen Prämissen, sie verzichten aber auf eine Operationalisierung von entsprechenden Analysekategorien. Aus einer solchen Sicht stehen sich die unterschiedlichen Raumkonzeptionen nicht direkt gegenüber, sondern ergänzen sich, da Laclaus Raumbegriff auf einer generellen Ebene die Unabschließbarkeit des Raumes als fixierte Struktur betont und Massey hingegen auf einer ontischen Ebene die konkreten Räume konzeptionalisiert, in denen soziale Wirklichkeit produziert wird (vgl. Glasze 2012: 160). Obwohl die Kritik Masseys einem ontologischen Missverständnis geschuldet ist, verdeutlicht sie dennoch eine konzeptionelle Lücke beziehungsweise Anschlussmöglichkeiten zur Konkretisierung auf der analytisch-empirischen Ebene von politischen Räumen, die ich als politische Möglichkeitsräume bezeichne. Auch mit Marcharts „Kartografie einer hegemonialen Diskursformation“ (2013b: 159) verhält es sich ähnlich. Zwar beziehen sich die drei Analysekategorien implizit auf den gemeinsamen politischen Raum der Prekarisierungsproteste, jedoch wird auch hier keine explizite konzeptionelle Auseinandersetzung mit einer Pluralität der politischen Räume geführt. Da in stadtpolitischen Auseinandersetzungen und städtischen Protesten der ‚Raum‘ und das ‚Politische‘ zusammenfallen (vgl. Kap. 2.1.1), ist jedoch die in der Hegemonietheorie übliche Fassung von Räumen des Politischen, nämlich entlang verschiedener ontischer Antagonismen (vgl. Kap. 3.1.4) als Artikulationen der bisher Ungehörten (vgl. Kap. 2.4.1; Rancière 2008), für die vorliegende Untersuchung städtischer sozialer Bewegungen weiter zu konkretisieren. In der von mir vorgeschlagenen Lesart der hegemonietheoretischen Diskursanalyse soll demnach weder das Politische (Protestartikulationen) noch Raum (Urbanität) einander gegenübergestellt werden, noch eine der beiden Kategorien das Primat gegenüber der anderen zugesprochen bekommen (vgl. Roskamm 2017a: 157). Aus Laclau und Mouffes diskurstheoretischen Prämissen ergibt sich eine radikal dekonstruktivistische Perspektive auf die Konstitutionsbedingungen von Räumen, da die kategorische Unterscheidung zwischen Diskurs und Materialität im Konzept der artikulatorischen Praxis aufgehoben ist (vgl. Kap. 3.1.2). Wie bereits eingangs hervorgehoben, besteht die Besonderheit städtischer sozialer Bewegungen darin, dass Auseinandersetzungen stets einen räumlichen Bezug beinhalten (vgl. Kap. 2.1.1). Da sich dies auch deutlich in der Analyse des empirischen Materials niederschlägt (vgl. Kap. 5 und 6), wird neben dem ontologischen Konzept des politischen Raumes eine entsprechende ontische Fassung von Antagonismen und politischen Räumen um Lefebvres „Raumtriade“ (1991) erweitert. Dieser erkenntnistheoretische Anbau an die diskursfunktionsanalytischen Kategorien der Forderungs-, Subjekti-
26 Er knüpft damit auch an die Zurückweisung der Kritik durch die beiden Laclau-Schüler Howarth (1993) und Marchart (1998) an.
Hegemonietheorie | 131
vierungs- und Kontraritätsstruktur ermöglicht eine feingliedrige Beschreibung von politischen Möglichkeitsräumen, die zuerst wahrgenommen werden, dann konzipiert, und schließlich erlebt werden. Die Konzeptionalisierung von politischen Möglichkeitsräumen spannt sich damit in einer dreidimensionalen dialektischen Verknüpfungsmatrix zwischen alltäglicher Praxis, Wissensproduktion und Bedeutungsproduktion auf. Diskurs und Raum „Im Diskurs werden politische Identitäten und gesellschaftliche Machtverhältnisse hergestellt, die durch Prozesse der Hegemonialisierung und durch Sedimentierung temporär fixiert werden und dann als quasi-natürliche soziale Wirklichkeit wahrgenommen werden.“ (Glasze/Mattissek 2009: 157) Aus hegemonietheoretischer Perspektive ist davon auszugehen, dass jegliche Räume, also auch die Materialität physischer Räume, einzig diskursiv zugänglich sind. Das heißt, dass die Konstitution von Bedeutung und Deutung von Räumen das Ergebnis von hegemonialen Praktiken und damit Gegenstand von Auseinandersetzungen um deren Bestimmung und Deutung ist. Für die analytischen Überlegungen zu politischen Möglichkeitsräumen ergibt sich daraus die Prämisse, dass räumliche Ausprägungen, unabhängig davon, ob nun singulär oder pluralistisch gefasst, in ihrem Zustandekommen und in ihrer Materialität auf einer Ebene der Bedeutungsproduktion zu betrachten sind. Mit dem hegemonietheoretischen Vokabular, insbesondere in den vorgestellten Operationalisierungen verschiedener Modi von Gegenhegemonie (vgl. Kap. 3.2.1) und Diskursfunktionsanalyse entlang der Forderungen, Kontraritäten und entsprechenden Subjektivitäten (vgl. Kap. 3.2.2), wird der ontologische Befund zur Postdemokratie (vgl. Kap. 2.4.2) auch empirisch bearbeitbar und städtische soziale Bewegungen als Demokratisierungsbewegungen analysierbar (vgl. Kap. 2.5). Es ist davon auszugehen, dass sich auch Demokratisierungen zuvorderst auf einer Ebene der Praxis manifestieren und als solche geprägt sind von Wissensordnungen sowie den sozialen Relationen, in denen sich Bedeutungen manifestieren. So funktioniert beispielsweise die Forderung nach horizontalen Entscheidungsstrukturen auf Basis entsprechender bereits gemachter Erfahrungen und in Abgrenzung zu hierarchischen Strukturen. Entgegen des ontologischen Fluchtpunkts der holistischen Schließung eines Möglichkeitshorizonts, um einen gemeinsamen einheitlichen politischen Raum über einen ultimativen leeren Signifikanten zu konstruieren, zielt die von mir verfolgte Konzeption politischer Möglichkeitsräume auf die kleinteiligen diskursiven Gesten in unterschiedlichen Protestdimensionen. Eine konzeptionelle Analogie zwischen Laclau und Mouffes ‚Hegemonie‘ und Rancières ‚Momenten‘ (vgl. Mullis 2017: 45ff.) besteht, wenn auch unter verschiedenen Vorzeichen, in der differenztheoretischen Prämisse (vgl. Roskamm 2017a: 159), die den politischen Möglichkeitshorizont und die politischen Subjektivitäten
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bestimmen.27 Allerdings unterscheiden sich die Ansätze in der Konzeption des Antagonismus. Während die Ausgeschlossenen von Rancière zu entscheidenden politischen Subjekten stilisiert werden, mahnt uns aus hegemonietheoretischer Perspektive das „konstitutive Außen“ die Unabschließbarkeit des Politischen nicht aus dem Blick zu verlieren. Allerdings ist hervorzuheben, dass Möglichkeiten für Brüche, Neubesetzungen und Verschiebungen von Bedeutungen und damit für politische Transformationen nicht zwangsläufig auf die Konstitution eines gemeinsamen politischen Raumes zielen und in großen Umwälzungen münden müssen. Der Fokus verschiebt sich dabei von der tendenziellen Schließung des Sozialen hin zu einer Totalität als hegemoniales Projekt auf die gegenhegemonialen Praktiken in den Protestartikulationen. Diese Fokusverschiebung ist entscheidend für die Konzeption politischer Möglichkeitsräume, die es als Spielräume für Transformationen und Alternativen zum hegemonialen Diskurs konsequent in ihrem interrelationalen Verhältnis zu betrachten gilt. Die konzeptionelle erkenntnistheoretische Offenheit ist allerdings getrennt zu betrachten von der normativen Besetzung der politischen Möglichkeitsfelder. So dämpft beispielsweise Brown (2015) die Hoffnung auf eine Demokratisierungsbewegung in ihrer Analyse der neoliberalen Rationalität, die sich in alle möglichen kapillaren sozialen Beziehungen ausdehnt (vgl. auch Kap. 2.4.2). Laclaus „reine Negativität“ (Roskamm 2017a: 157) garantiert die Heterogenität in einem Sinne der permanenten Präsenz des konstitutiven Außen und der Fragilität und Kontingenz von sozialen Ordnungen und bewahrt so eine Verhandlungsoffenheit von alternativen Ordnungen. Demzufolge stellt die Differenz zwischen ‚Räumen des Politischen‘ und dem ‚politischen Raum‘ weniger einen grundsätzlichen epistemologischen Widerspruch dar, sondern eröffnet vielmehr unterschiedliche Dimensionen für die Analyse der Protestartikulationen einerseits und die Reflexion des Zustandekommens plausibler (alternativer) sozialer Ordnungen anderseits. Um das zu erläutern und zu konkretisieren soll jedoch die ontische Ebene der Politik sowie die räumliche Dimension für Demokratisierungen in städtischen sozialen Bewegungen zur genaueren Bestimmung dessen herangezogen werden, was unter politischen Möglichkeitsräumen im Kontext der Krise der repräsentativen Demokratie verstanden werden kann. Politische Möglichkeitsräume sind bis hierhin als relationale diskursive Strukturen zu verstehen, die rückgebunden sind an Wissens- und Deutungsordnungen und entsprechende Rationalitäten und Logiken des Sozialen. Sie bestimmen den politischen Horizont über Äquivalenzen und Differenzen und sind dahingehend stets
27 Für Rancière stellt der affirmative Akt der Äquivalenzierung gegenüber Unterdrückung das Politische dar, bei Laclau und Mouffe hingegen stellt die Äquivalenzierung stets nur ein temporäres Überbrücken der grundsätzlichen Differenz dar (vgl. auch Mullis 2017: 467).
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kontingent, unabgeschlossen und temporär stabilisiert. Jenseits der in den Protestartikulationen adressierten Forderungen, Subjektivierungen und Kontraritäten wird die ontische Ebene der praktischen Alltagserfahrungen eingeführt. Politische Möglichkeitsräume bilden damit zugleich integrale Bestandteile hegemonialer Formationen, wenn auch mithin als deren Negation. Damit sind sie einerseits konstitutiv für bestehende soziale Ordnungen, aber können anderseits auch als präfigurative Praxis über das Bestehende hinausweisen. Eben genau dieser Dreiklang zwischen Wissensraum, sozialem Raum‚ und Handlungsraum wird nun im Folgenden in seinem wechselseitigen Zusammenspiel betrachtet und in die Konzeptionalisierung politischer Möglichkeitsräume einbezogen. Dafür soll die hegemonietheoretische Dialektik der Diskursfunktionsanalyse raumtheoretisch erweitert beziehungsweise rekontextualisiert werden. Räumliche Trialektik Lefebvre hat in „The Production of Space“ (1991) ein trialektisches Verständnis von Raumproduktionen fragmentarisch entwickelt, welches sich in seiner gewollten Ambiguität für eine multidimensionale Konzeptionalisierung von politischen Möglichkeitsräumen anbietet. Versuche, Laclau und Mouffes Hegemonietheorie mit Lefebvres Überlegungen zur Raumproduktion konzeptionell zusammen zu denken, sind bereits verschiedentlich unternommen worden (vgl. Mullis 2014 und 2017, Purcell 2009 und 2013b, Roskamm 2017a). Jedoch handelt es sich dabei zuvorderst um ontologische Auseinandersetzungen mit den theoretischen Prämissen der Konstitutionsbedingungen des Sozialen, die nicht explizit für die konkrete Analyse empirischen Materials operationalisiert wurden. Eine Ausnahme bildet Mullis (2017: 90f.) Interpretation der drei Ebenen gesellschaftlicher Wirklichkeit – Alltag, Staat und Stadt – zur Integration der Produktion des Raumes in Lefebvres Theoretisierungen zur kapitalistischen Gesellschaft als ‚nahe Ordnung‘, ‚ferne Ordnung‘ und ‚vermittelnde Ebene‘. Mullis betont: „Die Konzeption der Ebenen soll helfen, ‚Totalität‘ als durch Praxis hervorgebrachte multiple, bruch- und konflikthafte gesellschaftliche Form zu fassen.“ (Mullis 2017: 90, Herv. i. O.) Neben deutlichen Analogien zur postfundamentalistischen Perspektive der Hegemonietheorie gliedere sich bei Lefebvre die soziale Wirklichkeit in diesen drei Ebenen unterschiedlicher Reichweite, die untrennbar miteinander verbunden gedacht werden. Im Zentrum steht die alltägliche Praxis als nahe Ordnung. Die staatlichen Strukturen als ferne Ordnung stehen diesen gegenüber und werden kontextualisiert in der fordistischen Gesellschaft. Das Verhältnis wird jedoch nicht dichotom gedacht, sondern als vermittelnde Ebene kommt die der Stadt hinzu (vgl. Mullis 2017: 90). Mullis leitet davon schließlich unterschiedliche analytische Scales ab, die zur Deskription historisch verschiedener politischer Konstitutionen von Räumen herangezogen werden (vgl. Mullis 2017: 92f. im Anschluss an Kipfer 2009).
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Ich orientiere mich in der Auslegung von Lefebvres Trialektik an Christian Schmids Lesart, möchte allerdings das triadische Modell gesondert von der Debatte um deren Einbettung in den Fordismus betrachten (vgl. Schmid 2005: 120f., ähnlich auch Ronneberger 2015: 75f. und Mullis 2017: 86ff.). Soll das Modell als multidimensionale, trialektische Matrix für die erkenntnistheoretische Konzeptionalisierung von politischen Möglichkeitsräumen operationalisiert werden, so ist es zunächst nötig, es auf einer dehistorisierten ontologischen Ebene zu konstruieren. Wie auch Laclau und Mouffe oder Rancière verfolgt auch Lefebvre einen differenztheoretischen Ansatz. Wenngleich er sich nicht von der dichotomen Prägung von Carl Schmitts „politischer Differenz“ (2005) leiten lässt, so stellt ‚Differenz‘ dennoch für ihn eine zentrale Kategorie dar. Differenz steht bei ihm nicht nur für eine gedachte abstrakte Form, sondern ist vor allem mit gelebter Praxis verbunden (vgl. Schmid 2005: 276). Mit Konzepten der ‚Isotopie‘ und ‚Heterotopie‘ greift er dabei auf Topoi der Semantik zurück, die für ihn die Differenz im städtischen Raum ausmachen. Isotopie steht für den konzeptuellen, technokratisch durchstrukturierten Raum, das was Rancière ‚Polizei‘ genannt hat. Unter Heterotopie versteht er hingegen kontrastierende, differenzielle Räume, in denen das ‚Ausgeschlossene‘ einbezogen wird (vgl. Schmid 2005: 277). Die Differenzierung dieser beiden idealtypischen Raumtypen ist dynamisch und dialektisch angelegt und kann sich auch zum Konflikt entwickeln. Zudem bringt er mit der ‚Utopie‘ eine dritte Raumdimension ins Spiel, die für die Möglichkeiten des Imaginären und des Symbolischen steht, allerdings nicht als abstrakter Raum, sondern als konkrete räumliche Praxis (vgl. Schmid 2005: 277). Das Urbane versteht Lefebvre als differenziellen Raum und als Ort der Heterotopie, wo Unterschiede und Gegensätze nebeneinander bestehen (vgl. Lefebvre 2016: 166) und an dem diese erkannt, erprobt und anerkannt werden können (vgl. Schmid 2005: 279). Für Lefebvre fällt Urbanität somit potenziell zusammen mit der Utopie und verkörpert den historischen Möglichkeitshorizont für eine ‚planetare‘ Demokratisierung des Alltagslebens und eine emanzipatorische Transformation der sozialen Beziehungen (vgl. Lefebvre 1990). ‚Wirkliche Demokratie‘ äußert sich nunmehr im Vermögen einer theoretischen und praktischen Negation in ‚Gegenprojekten‘ und ‚Gegenräumen‘ (vgl. Schmid 2005: 280). Hierbei wird auch deutlich, dass Lefebvre in Urbanität einen ontologischen Antagonismus der Ökonomisierung zentral setzt. Dieser wird zum historisch-dialektisch inspirierten Fluchtpunkt der umfassenden Revolution (Lefebvre 1990): 202). Trotz oder gerade wegen der zentralen Bedeutung von Urbanität für städtische soziale Bewegungen soll dieser historische Determinismus außen vorgelassen werden. Dies ist möglich, da sich auf einer erkenntnistheoretischen Ebene die räumliche Trialektik unabhängig von diesem teleologischen Entwicklungstheorem betrachten lässt. Es geraten dabei die Bedingungen in den Blick, unter denen Raum als gesell-
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schaftliches Produkt zustande kommt.28 Dabei wird Raum als Totalität gefasst, die nicht nur Objekt der Analyse ist, sondern „sich in und durch die theoretische Erkenntnis selbst erzeugt“ (Schmid 2005: 204, Herv. D. S.). Es gibt also keinen Raum vor der Praxis, mit Laclau und Mouffe auf den Punkt gebracht, vor der „artikulatorischen Praxis“ (vgl. Kap. 3.1.2). Sehen wir von der historischen Teleologie einmal ab und lassen diese außen vor, dann bleibt ein dreidimensionales Tableau zur Analyse des Zustandekommens von politischen Möglichkeitsräumen für Demokratisierungen in urbanen Protestartikulationen (vgl. Abb.1). Abbildung 1: Produktion des Raumes nach Lefebvre
Quelle: Eigene Darstellung nach Lefebvre (1991)
Den Ausgangspunkt dafür bildet die zentrale These, dass Raum ein soziales Produkt ist (vgl. Lefebvre 2016: 217f.). Davon wird abgeleitet, dass sich die Produktion des Raumes entlang der Zeitachse in einer ‚Dreiheit‘ von Feldern und entsprechenden Subräumen vollzieht, die sich in einem unauflöslichen Wechselverhältnis befinden (vgl. Schmid 2005: 205): Erstens ist das ‚physische Feld‘ bestimmt durch
28 Lefebvre gilt neben Foucault mit einem neuen sozialkonstruktivistischen Verständnis von Raumproduktionen als einer der zentralen Impulsgeber des spatial turn (vgl. BachmannMedick 2009: 284, Roskamm 2012: 176).
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seine Materialität als Natur und Kosmos und ist als solches Gegenstand von sensorischen Wahrnehmungen des physischen Raumes. Es ist dies das Feld der ‚räumlichen Praxis‘, der Handlungsraum. Zweitens ist das ‚mentale Feld‘ bestimmt durch Logik und formale Abstraktion. Hierbei handelt es sich um den logischepistemologischen Raum der ‚Repräsentationen des Raums‘, den Wissensraum, wie er in den Naturwissenschaften und der Philosophie als das Konzeptionelle bestimmt wird. Drittens ist das ‚soziale Feld‘ bestimmt durch gelebte Projekte, Projektionen, Symbole und Utopien. ‚Räume der Repräsentation‘ stehen für das Imaginäre und die konkrete Bedeutungsproduktion im sozialen Raum. Zu betonen wäre die unterennbare Verwobenheit aller Räume und Ebenen: „Every level is a ‚level of levels‘“ (Lefebvre 2014: 414, Herv. i. O.) Die Dreiheit (triplicité) der räumlichen Dimensionen ‚räumliche Praxis‘ (practique spatial), ‚Repräsentationen des Raums‘ (répresentation de l’espace) und ‚Räume der Repräsentation‘ (espaces de répresentation) beschreibt Lefebvre analog dazu in einer zweiten Reihe als ‚das Wahrgenommene‘ (le perçu), ‚das Konzipierte‘ (le conçu) und ‚das Gelebte‘ (le vécu). Die drei verschiedenen Felder, räumliche Dimensionen und Produktionsmodi zwischen Handlungsraum, Wissensraum und sozialem Raum stehen in einem unauflöslichen dialektischen Wechselverhältnis, über das sich die Produktion des Raumes vollzieht: „Zunächst die materielle Produktion von Gütern und Tauschobjekten, eine Produktion die durch Notwendigkeit bestimmt wird. Zum zweiten umfasst er die Produktion von Wissen: Der produktive Prozess wird auf einer höheren Ebene betrachtet, als Resultat von akkumulierten wissenschaftlichen Erkenntnissen, die den Arbeitsprozess durchdringen und somit materiell wirksam, schöpferisch werden. Und schließlich gehört noch der freieste schöpferische Prozess dazu, der Bedeutungsprozess, ein poetischer Prozess, der Werke hervorbringt und der mit dem Genuss und auch mit der Sexualität verbunden ist und der das ‚Reich der Freiheit‘ ankündigt.“ (Schmid 2005: 207; Herv. D. S.)
Diese dreidimensionale Matrix wird für die Analyse der politischen Möglichkeitsräume in den städtischen Protestartikulationen herangezogen und auf einen hegemonietheoretischen Boden gestellt. Das heißt, es wird den unterschiedlichen politischen Möglichkeitsfeldern auf diesen unterschiedlichen Ebenen in den städtischen Protestartikulationen nachgespürt. Ausgehend von der Auseinandersetzung mit dem empirischen Material, im Anschluss an die Diskursfunktionsanalyse der Forderungs-, Subjektivierungs- und Konfliktstrukturen (vgl. Kap. 6), kann somit ein dreidimensionales diskurstheoretisch fundiertes ‚Minimalmodell der Demokratisierung‘ beschrieben werden (vgl. Kap. 7.2). Das, was unter politischen Möglichkeiten hier konzeptionell diskutiert wurde, wird dabei empirisch in Auseinandersetzung mit der Praxis in den städtischen sozialen Bewegungen konkretisiert. Damit wird das he-
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gemonietheoretische Zusammenspiel der Äquivalenz- und Differenzlogik in der Konstitution eines singulären politischen Raumes der Konvergenz zwischen verschiedenen Protestfeldern erweitert (vgl. Kap. 7.1). Die Protestartikulationen werden somit in ihren verschiedenen Ausprägungen als konkrete demokratische Praxen, demokratische Wissensproduktion und demokratische Bedeutungsproduktion erfassbar und städtische Protestartikulationen in ihren demokratischen Gehalt aus einer postfundamentalistischen Perspektive analysierbar (vgl. Kap. 7.3). Es schließt sich nun aufbauend auf den erkenntnistheoretischen und konzeptionellen Überlegungen zur Operationalisierung einer postfundamentalistischen Forschungsperspektive die Beschreibung des konkreten methodischen Vorgehens des Forschungsprojekts an.
4
Methodisches Vorgehen „The privileges of research are powerful tools that protect the white political field, and offer important existential value to the ones who commit to them. Of these privileges, three are primary privileges and seven are derivative – but not less important. The primary privileges are the teleological privilege, the privilege of epistemic perspective and the privilege of ontology, respectively. These grant another set of privileges to the researcher, mainly through methodological and conceptual tools.“ (Decoloniality Europe 2013)
Dieses Kapitel widmet sich im Detail den angewandten Forschungsmethoden um das wissenschaftliche Vorgehen dieses qualitativen Forschungsprojekts transparent und nachvollziehbar zu machen. Hierbei werden sowohl die eher methodischen als auch die forschungsethischen Fragen und Herausforderungen diskutiert. Vor, während und nach der Erhebung des empirischen Materials haben sich konzeptionelle und methodische Verschiebungen ergeben, die eine fortlaufende kritische Reflexion während der Arbeit im Forschungsfeld notwendig gemacht haben. Forschung ist dementsprechend als ein fortlaufender Prozess zu verstehen, in dem keineswegs ein vorher festgelegter Plan schlichtweg abgearbeitet wird. Vielmehr ist der Forschungsprozess selbst als ein deutlich von Versuchen und Scheitern1 bestimmtes, bruchhaftes und unbedingt Selbstreflexion anregendes ‚forschendes Voranschreiten‘2 zu verstehen.
1
Zu den Grenzen methodischer und emanzipatorisch-anspruchsvoller Forschung zu städti-
2
Unter dem Titel ‚Forschend schreiten wir voran? Zum Verhältnis von Wissenschaft und
schen sozialen Bewegungen vgl. Frielinghaus (2016). Aktivismus‘ fand im Oktober 2016 ein Workshop des Arbeitskreises Stadt/Raum des In-
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Die Kapitelstruktur orientiert sich an den charakteristischen Forschungsphasen einer qualitativen Erhebung, die jedoch fortlaufende Fokussierungen und Rejustierungen der Forschungsfragen durchlaufen haben. Begonnen wird mit der Darstellung der Kriterien zur Auswahl der Fälle verschiedener Initiativen, Aktionen und Veranstaltungen in unterschiedlichen stadtpolitischen Themenfeldern (Kap. 4.1). Anschließend werden ausgehend vom normativen Selbstverständnis als Forscher einige grundlegende Überlegungen und Fallstricke rund um die Ethik und methodologische Praxis partizipativer Forschung mit und über (städtische) soziale Bewegungen reflektiert (Kap. 4.2). Dabei wird auch auf die forschungspraktischen Erfahrungen im teilweise schwierigen Wechselverhältnis zwischen wissenschaftlicher Forschung und (eigenem) Aktivismus im sensiblen Forschungsfeld sozialer Bewegungen eingegangen. Abschließend werden die einzelnen Erhebungsmethoden sowie die konkreten Schritte in der Aufbereitung und Analyse des empirischen Materials (Kap. 4.3) beschrieben.
4.1
AUSWAHL EMPIRISCHE R FÄLLE
Im Folgenden wird die Wahl des Untersuchungsgegenstandes, des zeitlichen Rahmens sowie der sich daraus ergebende Forschungszugang dargestellt. Es wurde ein exploratives Vorgehen gewählt, da zum Zeitpunkt der Konzeptionalisierung des Forschungsdesigns keine grundlegenden komparativen Analysen städtischer Protestartikulationen in Berlin und New York vorlagen. Laut Helmut Kromrey bietet sich daher eine wenig vorstrukturierende Herangehensweise an, wobei die Forscher*in darauf angewiesen ist „möglichst ‚offene‘ – d.h. wenig oder gar nicht standardisierte – Forschungsinstrumente einzusetzen, etwa Leitfadengespräche, Gruppendiskussionen, freie (wenig systematisierte) Beobachtungen.“ (Kromrey 2000: 67, Herv. i. O.) Auch weist er darauf hin, dass der Forschungsprozess mitnichten linear abläuft, sondern als eine „Reihe ineinander verzahnter Entscheidungen“ (Kromrey 2000: 71f.) zu verstehen ist, die sich von Beginn bis zum Schluss auf eine Fülle von zu lösenden Problemen richten. Daraus ergibt sich ein Changieren zwischen den unterschiedlichen Punkten und Phasen der Forschung, die mitunter bereits als ‚erledigt‘ betrachtet worden sind. Im günstigsten Falle werden im Verlauf sowohl das Forschungsdesign, der Forschungsgegenstand, die Erhebungsmethoden als auch die zeitdiagnostischen Befunde fortlaufend reformuliert und aufeinander abgestimmt, um empirische Aussa-
stituts für Protest- und Bewegungsforschung statt, wobei ich an der Vorbereitung und Durchführung mitgewirkt habe. Viele der angesprochenen Punkte sind in diesem Rahmen diskutiert worden.
Methoden | 141
gen zum anvisierten Forschungsfokus machen zu können. Das trifft insbesondere für die vorliegende Forschung zu, die sich dem äußerst dynamischen und wandelnden Feld städtischer sozialer Bewegungen und deren Protagonist*innen gewidmet hat. Eine solche temporäre Momentaufnahme kann bereits ihre politische Relevanz in der aktuellen stadtpolitischen Auseinandersetzung verloren haben, während die wissenschaftliche theoriegeleitete Analyse diese Momentaufnahme zu konservieren und sezieren sucht, um daraus relevante Befunde zu generieren. Bei alledem erscheint es dennoch essentiell, die Validität und Reliabilität der eigenen Forschungsaussagen zu gewährleisten, ohne sich notwendigerweise in eine positivistische szientistische Ecke zu stellen. 4.1.1
Zwei nicht vergleichbare Metropolen
Mit Berlin und New York sind zwei Metropolen ausgewählt worden, in denen zum Zeitpunkt der Konzeptionalisierung des Forschungsdesigns bereits ein heterogenes stadtpolitisches Protestmilieu sichtbar war. Für beide Städte ist eine beachtliche Anzahl städtischer Proteste charakteristisch. Diese Auswahl ist kontingent, so hätten vielleicht auch Hamburg, Mumbai oder Kapstadt ausgewählt werden können. Jedoch war die Entscheidung für die beiden bekannten Metropolen bestimmt durch eine Reihe von Kriterien, die sich zunächst an der Stadtgröße, Dichte und Heterogenität stadtpolitischer Proteste orientierten. Neben einer ganzen Reihe qualitativer und quantitativer Unterschiede lässt sich für beide Städte die gemeinsame Besonderheit herausstellen, dass sie dem Haushaltsbankrott nahe waren – New York in den frühen 1970er Jahren und Berlin in den frühen 2000er Jahren und sich daher enorm verschuldet haben, was wiederum als Ursache für die massiven ‚Umstrukturierungen‘ der vergangenen Dekade benannt wird. Darüber hinaus gelten beide Städte als liberale Hochburgen, die durch eine Vielzahl alternativer Freiräume und Lebensstile charakterisiert werden (vgl. Stemmler/Arnold 2008). Darüber hinaus war der persönliche Zugang zum Feld städtischer sozialer Bewegungen hinsichtlich beider Städte bereits durch persönliche Kontakte gewährleistet (vgl. Kap. 4.2). Wenn nun aber der direkte Vergleich nicht im Zentrum des Forschungsinteresses steht, was bildet dann das Verbindende? Ganz im Sinne eines „comparative urbanism“ (Robinson 2011, Roy 2011, Mullis 2017: 125) werden Urbanität und Demokratisierungen zum Gegenstand dieser Untersuchung. Wie Uitermark et al. (2012: 2548) herausstellen, ist es wichtig für die Forschung zu städtischen sozialen Bewegungen, sich nicht vom Recht-auf-die-Stadt-Fokus ablenken zu lassen und diesen über den Untersuchungsgegenstand aus gewissen Vorannahmen heraus bereits vorzustrukturieren. Stattdessen sei es die Rolle der Stadt für städtische soziale Bewegungen sowie soziale Bewegungen in der Stadt, die in den Blick genommen werden müssen. Für das Vorhaben zum Öffnen dieser black box schlagen auch sie
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eine relationale Perspektive vor, wonach die Stadt nicht nur als Raum für Forderungen zu verstehen ist, sondern aufgrund ihrer Dichte als „the relational conduits where movements connect and develop“ (vgl. Uitermark/Nicholls 2012: 2549).3 Margit Mayer (2006: 4) fragt für das Vorhaben eines Transatlantic Metropolitan Research: „Why should we have anything to learn from the other side of the Atlantic, from North American urban research – where conditions are so drastically different than in the European city?“ Sie stellt heraus, dass bisher die urbanen Probleme im US-amerikanischen Kontext wesentlich stärker ausgeprägt sind und ebenso intensiver beforscht worden sind (vgl. Mayer 2006: 5). Für das vorliegende Projekt wurde im Anschluss an diesen Befund die Hypothese formuliert, dass derzeit in Berlin ablaufende stadtpolitischen Entwicklungsprozesse bereits eine gewisse Vorlaufzeit in New York gehabt haben. Diese Annahme, dass auf ähnliche Prozesse zu unterschiedlichen Phasen geschaut werden kann, bestätigte sich bei einem intensiveren Blick in Kapitel 2.3 der Forschung zu „city branding“ (Greenberg 2008), „Gentrifizierung“ und „uneven development“ (Smith 2008, Susser 2012, Zukin 1989) und „städtischen sozialen Bewegungen“ (Castells 1983, Marcuse 2009, Mayer 2000, Liss 2012). Ausgangspunkt bleibt dennoch die Singularität der historischen, politischen und sozioökonomischen Strukturiertheit beider Städte. In der Analyse stadtpolitischer Diskurse werden allerdings auch Ähnlichkeiten und Unterschiede aus einer vergleichenden Perspektive besprochen, wenngleich auch nicht in einem strengen methodischen Sinne, wie beispielsweise als „Kreuzvergleich“ (Schütze 1978). Der komparative Ansatz und die relationale Perspektive werden vielmehr als ein „inhaltliches Anreichern“ verstanden, das empirisch mehr Aufschluss zur diskursiven Beschaffenheit stadtpolitischer Proteststrukturen und damit auch des Städtischen geben kann, als wäre nur eine der beiden Städte untersucht worden (vgl. Langenohl 2015). 4.1.2
Untersuchungszeitraum
Für die Auswahl der empirischen Fälle wurde zunächst ein Untersuchungszeitraum von drei Jahren festgelegt, der mit den Vorarbeiten zum Forschungsdesign und zur Ausarbeitung der Fragestellungen im Sommer 2011 begann und der schließlich mit der Erhebung und Auswertung der Daten und dem Verfassen des vorliegenden Textes noch um ein weiteres Jahr verlängert wurde. Der Untersuchungszeitraum des vorliegenden Forschungsprojekts wurde zunächst durch die vorgegebenen institutionellen Rahmenbedingungen zur Vorbereitung, Durchführung und Dokumentation
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Zur Rolle von Urbanität als besonders ‚fruchtbarer Boden‘ für die Emergenz sozialer Beziehungen und politischer Bewegungen vgl. Kapitel 2.1.
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der Forschungsarbeit bestimmt.4 Die Dynamik und Entwicklung der politischen Ereignisse war keineswegs vorhersehbar und hat einige thematische Verschiebungen und neue Konstellationen hinsichtlich der städtischen Protestbewegungen mit sich gebracht, auf die zu reagieren war – wie beispielsweise die Refugee-Proteste und Besetzungen in Berlin oder Anti-Fracking-Proteste in New York. In der sozialen Bewegungsforschung ist das Konzept der ‚Protestzyklen‘ verbreitet, um den Untersuchungszeitraum zu bestimmen beziehungsweise einzugrenzen. Es geht von einem festen Anfangs- und Endpunkt aus sowie von einer Kontinuität der Ereignisse bei gesteigerter oder auch sinkender Intensität (vgl. Tarrow 2005). Ausgehend vom empirischen Material (vgl. Kap. 5) ergibt sich jedoch ein gänzlich anderes Bild. Dieser vermeintlich linearen Forschungsperspektive auf Protestbewegungen stellt sich ein Forschungsfeld städtischer sozialer Bewegungen entgegen, das geprägt ist vom Wechselspiel zwischen Kontinuität und Diskontinuität, Latenzen und Brüchen, in dem Initiativen, kollaborative Aktionen, Netzwerke auftauchen und wieder verschwinden. Manche Assoziationen bleiben auch bestehen, wandeln sich und werden letztlich in einem anderen Zusammenhang wieder relevant. Ebenso verhält es sich mit den Subjekten des Protests. Sie können punktuell auftauchen, sind eine Zeitlang oder durchweg omnipräsent oder verschwinden mitunter wieder aus der zivilgesellschaftlichen Öffentlichkeit. Es waren also die konkreten stadtpolitischen Entwicklungen in Berlin und New York die den Ausschlag für den zeitlichen und inhaltlichen Rahmen gaben. Einen konkreten Anfangspunkt und Anlass für einen Protestzyklus zu benennen erweist sich dabei als heikel, und nicht weniger abenteuerlich wäre es, die empirische Relevanz eines solchen Ereignisses zu generalisieren. Die Forscher*in kann sich mithin daran orientieren, was die Kolleg*innen schreiben und sich an der wissenschaftlichen Produktion von relevanten Ereignissen beteiligen. Aber hauptsächlich ist es ausschlaggebend, was die Subjekte des Protests als ein initiales Ereignis benennen und welche Gründe sie dafür angeben. Tatsächlich gab es in beiden Städten solcherlei (stadt-)politische Entwicklungen ‚höheren Ranges‘ von einiger Nachhaltigkeit im Herbst 2011: In Berlin war dies die ‚Mietenstopp-Demonstration‘ (vgl. Kap. 5.1.1) und in New York die Besetzung des Zuccotti Parks durch Occupy Wall Street (vgl. 5.5.1). Diese beiden unterschiedlichen Events markieren rückblickend, verstanden als „politische Momente“ (Rancière 2002), jeweils eine konkrete Demarkation in den stadtpolitischen Initiativen. Manche Forscher*innen sprechen hinsichtlich der Zurückweisung von Parteien und repräsentativer (Post-)Demokratie von einem aktuel-
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Der zeitliche Rahmen, in dem ein Forschungsprojekt durchgeführt wird, ist häufig abhängig von den Finanzierungsmöglichkeiten, bei mir ermöglicht durch ein dreijähriges Promotionsstipendium von Oktober 2012 bis September 2015.
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len „populistischem Zeitgeist“ (Mudde 2004), vom „Ende der repräsentativen Demokratie“ (Tormey 2015) oder einem „Epochenbruch“ (Azzellini 2014), der sich in Verbindung mit der anhaltenden und sich verschärfenden Finanzkrise, daran anknüpfenden Austeritätspolitiken sowie der fortschreitenden „Neoliberalisierung des Städtischen“ (Belina et al. 2013, Peck et al. 2012, Harvey 2005a, Mayer 2016) und „städtischer Postpolitik“ (Mullis/Schipper 2013, Swyngedouw 2013) niederschlägt (vgl. Kap. 2). Der Arabische Frühling, die Anti-Austeritätsproteste, Platzbesetzungen und Blockaden von Zwangsräumungen im Süden Europas und den USA stehen dabei in direktem Zusammenhang, zeigen sie doch auf, dass vermeintlich feste politische Strukturen durch horizontal organisierte Proteste neu verhandelbar gemacht werden können (vgl. Birke/Henninger 2012, Candeias/Völpel 2013, Graeber 2013, Demirović et al. 2014, Mullis 2017, Schipper 2015, Sitrin/Azzellini 2014). Die Auswirkungen der Krise auf den globalen Finanzmärkten nach der Insolvenz der Lehman Brothers machte sich nicht nur in den USA bemerkbar, sondern ging auch an der Bundesrepublik Deutschland nicht spurlos vorbei (vgl. Mullis 2016: 5). Entsprechende „Krisenproteste“ gegen Austeritätspolitiken und Prekarisierungen, die sich in gegenhegemonialen Perspektiven linker Bewegungen ausdrücken (vgl. Vey 2015), tauchen nun auch verstärkt im Feld stadtpolitischer Protestartikulationen auf. Die Akkumulationskrise des globalen Finanzkapitals verschiebt sich, wie Harvey (2012b: 27ff.) herausgearbeitet hat, auf die Stadt und zentriert so die in stadtpolitischen Protesten artikulierten sozioökonomischen und politischen Widersprüche. Dies vollzieht sich in einem verstärkten Maße im Zuge der Finanzkrise von 2008. Die Krisen auf den lokalen Wohnungsmärkten in Berlin und New York – bei gleichzeitigem Bauboom – sind Ausdruck dieser Entwicklungen. Gleichzeitig wird dabei die stadtpolitische Ausrichtung hinsichtlich der Bewältigung dieser Krise deutlich, die sich in unternehmerischen Stadtpolitiken äußert (vgl. Harvey 1989, Heeg 1998, Hall/Hubbart 1996, Schipper 2013, Vogelpohl 2012). Das Ende des Untersuchungszeitraums wurde schließlich durch pragmatische Überlegungen bestimmt: die Erhebungsphase abzuschließen, um die Analyse und das Verfassen des Forschungsberichts zu forcieren. Dies fiel allerdings zusammen mit einer eher abfallenden Phase des Protests in Berlin mit dem ‚gescheiterten Mietenvolksentscheid‘ im Winter 2015/16, beziehungsweise mit einer neuerlichen Erweiterung des Protests auf kleingewerbliche Verdrängungsfälle, sowie dem Aufkommen von Black Lives Matter in den USA seit 2015. Aufgrund der längeren Vorlaufzeit und der Zeit vor Ort war in meiner derzeitigen Heimatstadt Berlin eine intensivere aktiv teilnehmende Phase im Forschungsfeld möglich als New York, wo ich insgesamt eine Zeit von circa vier Monaten verbracht habe. Die Feldphase in New York umfasste zwei längere Aufenthalte von September bis November 2013, von Juni bis August 2014 sowie einen kurzen Aufenthalt von Ende Mai bis Anfang
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Juni 2015 für ergänzende Interviews und Feedbackgespräche zu Zwischenergebnissen meiner Forschung. 4.1.3
Protestfelder
In Anlehnung an Ernesto Laclaus (2005) Überlegungen zu den elementaren diskursiven Einheiten des Protests sollen stadtpolitische Gruppen nicht als Grund, sondern als Ergebnis von Auseinandersetzungen um die Bestimmung des Sozialen verstanden werden (vgl. auch Kap. 3.1.2). Aus diskursanalytischer Perspektive sind Protestartikulationen demnach nicht einfach zurückzuführen auf eine Gruppe. Vielmehr verhält es sich umgekehrt, eine ‚kollektive Identität‘ konstituiert sich erst in der gemeinsamen Aushandlung und Artikulation von Forderungen (vgl. Marchart 2013b: 151f.). Dementsprechend wurden zu Beginn der Forschung verschiedene städtische Protestfelder identifiziert, in welchen eine Demokratisierung des Städtischen untersucht wurde. Die verschiedenen Protestartikulationen verstehe ich als Selbstverständigungsprozesse verschiedener prekarisierter Subjektpositionen, in denen sich sowohl stadtpolitische Kritik und Forderungen aus einer persönlichen Betroffenheit, als auch neue politische Subjektivierungen und Subjektpositionen konstituieren. Aus einer Fülle unterschiedlicher städtischer Proteste wurden die drei zu der Zeit prominentesten Protestfelder für den ersten Zugang fokussiert: Mietenproteste, Proteste um öffentliche Plätze und (sub)kulturelle Proteste. Bei diesen drei Protestfeldern handelt es sich um eine kategorische Trennung, die den ersten Zugang zum Feld bereitet hat und eine gewisse Schwerpunktsetzung ermöglichte.5 Verbindungen und Überlappungen zwischen den unterschiedlichen Protestfeldern sind vorhanden und machen einen wichtigen Ausgangspunkt für die diskursanalytische Auseinandersetzung mit verschiedenen Protestartikulationen in den unterschiedlichen thematischen Feldern aus, was hinsichtlich der oben herausgearbeiteten Forschungsfrage nach Demokratisierungen in und durch städtische soziale Bewegungen Aufschluss zu geben verspricht. Einen ersten Komplex städtischer Proteste bilden Mietenproteste. Proteste um bezahlbaren Wohnraum sind in den vergangenen Jahren zu einem der zentralen Protestfelder mit einer deutlichen Wahrnehmung und Einfluss auf stadtpolitische Diskurse avanciert. Mietenproteste umfassen verschiedene nachbarschaftliche Initi-
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Es hätten zudem auch noch weitere Protestfelder explizit fokussiert werden können, beispielsweise Bürgerrechtsbewegungen. Auch diese setzen sich für ein Recht auf die Stadt ein, wie LGBTQ- und Sans-Papier-Bewegungen. Diese thematischen Schwerpunkte sind Bestandteil der drei fokussierten Felder und entsprechende Protestartikulationen finden dahingehend auch Berücksichtigung (vgl. Marcuse 2009).
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ativen und haben insbesondere in Berlin im Verlauf meiner Forschung zu stadtweiten Koalitionen tendiert. Steigende Mieten, bezahlbarer Wohnraum und die steigenden Bewohner*innenzahlen sind für beide Städte momentan äußerst prominente stadtpolitische Herausforderungen, an denen sich sowohl die Planung als auch die Regulierung zukünftiger Entwicklungen orientiert. Insbesondere Mietenproteste verdeutlichen wie in erster Linie das Kapital von Privatpersonen und (globalen) Unternehmen die Möglichkeiten und Defizite im Zugang zum und der Gestaltung des Städtischen bestimmen und wie ein ständig lauter werdender Protest von eher randständig wahrgenommenen Stimmen in diesen Entwicklungsprozessen zustande kommt (vgl. Angotti 2008, Holm 2010, Vollmer 2015). Den zweiten thematischen Komplex städtischer Proteste bilden öffentliche Plätze und Liegenschaften sowie die damit verbundene Frage nach Zugang, Umgang und (Um-)Strukturierung dieser. Solcherlei Auseinandersetzungen sind eng verknüpft mit der Wohnungsfrage und der Planung von Bezahlbarkeit. Verdrängungsund Aufwertungsdynamiken sowie die Kontrolle dieser Plätze kommen hier facettenreich zum Tragen. Damit verbunden ist allerdings auch die grundsätzliche Auseinandersetzung um die Eigentumsfrage, die zwischen Privateigentum und Allmende (urban commons) – zwischen privaten Interessen und Gemeininteresse – changiert. In einem von „Nachverdichtung“, „Aufwertung“, „Verdrängung“ und „Bereinigung“ geprägten innerstädtischen Raum fällt demnach die Auseinandersetzung um die Ausgestaltung öffentlicher Plätze zusammen mit der Frage nach dem „Recht auf Stadt“ (vgl. Mitchell 2003). Den dritten Themenkomplex städtischer Proteste bilden Kunst und Subkultur. Hinsichtlich einer paradigmatischen Ausrichtung auf eine unternehmerische Stadtpolitik und der damit verbundenen strategischen Inwertsetzung subkultureller Räume im Zuge von Citybranding-Kampagnen formiert sich auch zunehmend Kritik auf Seiten der Kulturschaffenden (vgl. Scharenberg/Bader 2009, Colomb/Novy 2016, Fraeser 2016, Greenberg 2008, Scheller 2015). Die prominente Rolle subkultureller Räume und künstlerischer Produktionen für die symbolische Aufwertung des Images der beiden Metropolen steht im Widerspruch zu den meist äußerst prekären Lebens- und Arbeitsverhältnissen der Kunst- und Kulturschaffenden. Steigende Mieten und verknappte „Freiräume“ verschärfen diese Situation zunehmend. Dementsprechend wird in künstlerischen Protestartikulationen ebenfalls der modus operandi aktueller (Re-)Produktion des Städtischen verhandelt. 4.1.4
Initiativen, Aktionen, Veranstaltungen
In den drei dargestellten Themenfeldern wurden zunächst Einzelinitiativen und stadtweite Koalitionen und Bündnisse in den Blick genommen. Die Auswahl der Initiativen erfolgte nach den folgenden Kriterien: Selbstorganisation, thematische
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Ausrichtung und Anspruch an Reichweite über die direkte Nachbarschaft hinaus. Dazu wurde zunächst eine Übersicht zu aktuellen Protestinitiativen in Berlin und New York angefertigt und Kontaktmöglichkeiten sowie Kontaktpersonen ausfindig gemacht. Um ein möglichst umfassendes Bild der Protestartikulationen zu bekommen, besuchte ich eine Vielzahl von Veranstaltungen, wie Demonstrationen, Kundgebungen, Diskussionsveranstaltungen, Filmscreenings und öffentliche Treffen. Darüber hinaus beteiligte ich mich an „direkten Aktionen“ der Protestinitiativen – wie Blockaden, Go-Ins und Kunstaktionen. Zu all diesen unterschiedlichen Protestartikulationen habe ich Notizen in einem ‚Feldtagebuch‘ festgehalten. Vor diesem Hintergrund werden die Herausforderungen und Hindernisse partizipativer Forschungsmethoden und meine arbiträre Rolle als Bewegungsforscher im nächsten Abschnitt diskutiert.
4.2
ETHIK UND PRAXIS DER FORSCHUNG
Das Forschungsfeld sozialer Bewegungen ist ein voraussetzungsvolles, da das wechselseitige ambivalente Verhältnis von aktivistischer Forschung und forschendem Aktivismus einige forschungsethische und normative Fallstricke bereithält. Von Anfang an war klar, dass es unabdingbar ist mit den Protestierenden und stadtpolitisch Aktiven selbst direkt ins Gespräch zu kommen. Dafür ist nicht nur eine kontinuierliche Präsenz im Feld und eine aktive Beteiligung notwendig, sondern auch ein sensibler Umgang mit den Informationen und Kontakten erforderlich. Die hier grob umrissene Problemlage hinsichtlich des Forschungszugangs macht eine Reflexion der eigenen Rolle als Forscher*in – changierend zwischen Wissenschaft und Aktivismus – unabdinglich. Dazu hat Mullis (2017: 129ff.) drei Aspekte zur Reflexion der eigenen Verortung vorgeschlagen, die auch mein Vorgehen bestimmten: erstens die Selbstpositionierung zum Untersuchungsgegenstand (Kap. 4.2.1); zweitens die Fremdwahrnehmung im Forschungsfeld (Kap. 4.2.2); sowie drittens das Verhältnis zwischen solidarischer Wissensproduktion und dem stadtpolitischen Untersuchungsfeld (Kap. 4.2.3 und Kap. 4.2.4). In Anschluss an Spivak (2008) wird dabei dem Faktum Rechnung getragen, dass wir als Forscher*innen nicht für die stadtpolitischen Akteur*innen sprechen können, sondern von den subalternen Perspektiven lernend die eigene Position zu reflektieren haben. Mit Rancière (2014: 207) ginge es zudem darum, aus exemplarischen empirischen Befunden nicht einen allgemeingültigen normativen Anspruch für das eine „richtige methodische Handeln“ abzuleiten. Die Auswahl empirischer Fälle, Aktionen und Ereignisse, wie oben von mir bereits beschrieben, ist zwar höchst kontingent, aber letztlich das Ergebnis der Wech-
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selwirkung zwischen meinen Subjektpositionen als Forscher und als Aktivist.6 Zugleich sind die ausgewählten Diskurselemente aus den empirischen Materialien, wie beispielsweise Pamphlete, Dossiers und Demonstrationsaufrufe, stets das Ergebnis langer Aushandlungs- und Reflexionsprozesse sowie mithin strategischer Überlegungen in den Gruppen. Als Bestandteile unterschiedlicher normativer Episteme sind diese daher auch nicht als neutrales Wissen zu verstehen. Schlussendlich kann es nicht darum gehen diese forschungsethischen Aspekte zu vermeiden oder zu eliminieren, sondern vielmehr darum, diese ambivalenten Relationen und Fallstricke möglichst transparent zu machen – sowohl im Forschungsfeld als auch in der Diskussion der Forschungsmethoden. 4.2.1
Selbstpositionierung in Berlin und New York
Der Beginn meiner Forschung fällt zusammen mit dem geplanten Auszug aus einer Mietwohnung und Gruppenprozessen zu einem gemeinschaftlich selbstverwalteten Haus des Mietshäuser Syndikats7. Während der mehrjährigen Vorbereitung und Umsetzung des Wohnprojekts – der Suche nach einem Grundstück und schließlich der erfolgreichen Kollektivierung des Grundstücks sowie des Hausbaus – habe ich mich auch in die stadtpolitischen Thematiken in Berlin eingearbeitet. Ich engagierte mich vor allem an der Schnittstelle zwischen dem Haus und der Öffentlichkeit. Gegenstand von Interviews mit verschiedenen Pressevertreter*innen, Forscher*innen und auch politischen Akteur*innen waren vor allem die Bezahlbarkeit von Neubauten sowie die Selbstverwaltung und das kollektive solidarische Zusammenleben. Darüber hinaus habe ich hauptsächlich mit Beratungen in Berlin und mit Vorträgen
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Die Auswahl ist demnach zwar ausdrücklich durch meine subjektive Perspektive bestimmt, jedoch wurde diese auch immer wieder in verschiedenen Kolloquien und Feedbackrunden zur Disposition gestellt, womit sie vielmehr das Ergebnis kollektiver Reflexion und Interpretationen darstellt.
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Das Mietshäuser Syndikat ist ein solidarischer Verbund von 128 selbstorganisierten Hausprojekten und 17 Projektinitiativen in der Bundesrepublik Deutschland (vgl. MHS 2018). Die Projekte sind intern autonom organisiert. Die Immobilien sind im Besitz einer Haus-GmbH, deren Anteilseigner*innen auf der einen Seite der jeweilige Hausverein und auf der anderen Seite das Mietshäuser Syndikat sind. Da jeweils beide Anteilseigner*innen der GmbH über ein Vetorecht verfügen, wird ein Wiederverkauf des Hauses quasi verunmöglicht. Die Bewohner*innen bestehender Projekte beraten Interessierte zu Projektneugründungen. Darüber hinaus zahlen alle Hausprojekte in einen Solidarfond ein, aus dem neue GmbH-Gründungen kofinanziert werden.
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in New York zum Mietshäuser-Syndikats-Modell und zur Organisierung eines kollektiven Hausprojekts informiert.8 Meine praktische Expertise zur Finanzierung und Rechtsform dekommodfizierten Wohnraums stieß besonders in New York auf reges Interesse, aber auch in Berlin, wo das Konzept bereits bekannter ist. Ich habe mich demnach in einer Doppelposition im Feld bewegt – zum einen als Forschender und zum anderen als stadtpolitisch Aktiver. Für die Rolle als Forschender hatte ich von Anfang an auch den Anspruch, nicht nur Wissens- und Zeitressourcen der ‚Beforschten‘ abzugreifen, sondern auch „etwas zurückzugeben“ (vgl. Huschke 2014). Neben Informationen zum Mietshäuser Syndikat habe ich in persönlichen Gesprächen und in kleineren Vorträgen und Workshops zum jeweils anderen stadtpolitischen Kontext und den aktuellen städtischen Bewegungen berichtet. Im Laufe meiner Forschung haben sich meine Kontakte zu unterschiedlichen stadtpolitischen Akteur*innen weiterentwickelt, sodass ich zu Veranstaltungen und Skype-Terminen eingeladen wurde, um zu stadtpolitischen Themen zu sprechen. Ging es um Initiativen, in denen ich persönlich nicht aktiv war, habe ich Aktive aus diesen konkreten Initiativen in Diskussionsrunden eingeladen. Ich habe zudem auch meine Präsenz vor Ort in New York genutzt, um selbst Panels und Diskussionsrunden an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Aktivismus zu organisieren, beispielsweise im Rahmen der Konferenz ‚Left Forum‘ und selbstorganisierter aktivistischer Räume, wie ‚16 Beaver‘ und ‚The Base‘ (vgl. Kap. 5.6). Zeitweise habe mich als „privilegierter akademischer Forschungsreisender“ zwischen den verschiedenen Protestinitiativen wahrgenommen. Insbesondere in New York konnte ich mich, finanziell abgesichert durch das Stipendium und fern der alltäglichen Strukturen und Projekte in Berlin, ausschließlich den städtischen sozialen Bewegungen widmen. Ich hatte die Möglichkeit mit Akteur*innen in unterschiedlichen stadtpolitischen Themenfelder ins Gespräch zu kommen – mit Mieter*innen, Fahrradaktivist*innen, Besetzer*innen, Wohnungslosen, urbanen Gärtner*innen, Künstler*innen, Dokumentarfilmer*innen, Umweltaktivist*innen, Senior*innen und vielen mehr. Durch dieses ‚Dazwischen-Sein‘ konnte ich eine changierende Subjektposition innerhalb der unterschiedlichen Protestfelder einnehmen. In meiner Position als Forschender und als Aktiver im stadtpolitischen Kontext war es mir möglich mit inhaltlichem und persönlichem Abstand Diskussionsrunden, Fokusgruppen und Filmscreenings zu organisieren und so unterschiedliche Akteur*innen ins Gespräch zu bringen, die sonst eher nicht an einem Tisch sitzen. Im Laufe der Forschung habe ich mich auch an direkten Aktionen und Veranstaltungen beteiligt. Ich habe dabei jedoch, soweit das möglich war, meine Doppel-
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Diese Arbeit des solidarischen Wissenstransfers auf lokaler aber auch translokaler Ebene ist eine der drei Säulen des Mietshäuser Syndikats (vgl. MHS 2017: 5).
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position transparent gemacht. Als Forschender habe ich dabei stets eine zurückhaltende, moderierende und fragende Position bezogen, während ich in der Position als stadtpolitisch Aktiver eher informierend und mitteilend gewirkt habe. Eine strikte Trennung beider Positionierungen erwies sich mithin als schwierig. Für die Analyse wurden auch Veranstaltungen an denen ich inhaltlich und organisatorisch vorbereitend beteiligt war und die Moderation übernommen habe, miteinbezogen, da sie in ihrer inhaltlichen Ausrichtung besondere Einblicke in gemeinsame Reflexionen zum Forschungsgegenstand ermöglicht haben. Diese Diskussionsrunden boten als offene Workshops ein Forum zum gegenseitigen Ausstausch und Kennenlernen zwischen verschiedenen Aktiven aus unterschiedlichen Themenfeldern. 4.2.2
Fremdwahrnehmung
In den verschiedenen Protestzusammenhängen wurde ich unterschiedlich wahrgenommen. Die Haltung mir gegenüber changierte zwischen eher vorsichtig reserviert und interessiert offen, je nach Zusammensetzung der Gruppe und meinem Auftreten. Ich habe mich hauptsächlich in Zurückhaltung geübt, meine Doppelposition als Forschender und Aktiver offengelegt und wurde auch in dieser Rolle angesprochen. Je nachdem stieß mein Forschungsprojekt durchaus bei näherem Kennenlernen auf Interesse, oder aber in Ausnahmefällen auch auf Ablehnung. Die war meist dann der Fall, wenn bereits gruppenintern „eigene Forschung“ betrieben wurde oder meine Fragestellung nicht mit ausreichender Praxisrelevanz überzeugte. Dabei muss hinzugefügt werden, dass einige Gruppen bereits mit sehr vielen Anfragen von Seminargruppen und Promovierenden konfrontiert waren, sodass sich für persönliche Interviews keine Bereitschaft mehr finden ließ. In diesen Fällen wurden andere Methoden und Formate gesucht, um die Perspektive und die stadtpolitische Expertise zu erfassen. Beispielsweise war die Bereitschaft sich an Diskussionsrunden zu beteiligen wesentlich höher. Auch ich beteiligte mich an solchen Diskussionsrunden, meist auf Einladung von mir bekannten Aktiven aus stadtpolitischen Gruppen, und ich wurde später oft auch von anderen mir noch unbekannten Teilnehmenden angesprochen, die mich in einem solchen Zusammenhang gehört hatten. Ich wurde in meiner Doppelrolle wahrgenommen, woraus resultierend stadtpolitisch Aktive für ein Interview oder eine Fokusgruppendiskussion zu gewinnen waren oder ich auch einen Dokumentarfilm zeigen konnte, an den sich eine inhaltliche Diskussion anschloss. Allerdings waren dabei längst nicht alle Versuche erfolgreich. Viele Ideen, Vorschläge und Termine kamen nie zustande oder aber erst mit mehrfachem Anlauf. Schließlich kommen mir auch die gemachten Kontakte zu in stadtpolitischen Kreisen sehr aktiven und recht bekannten Akteur*innen und deren Fürsprache zur weiteren Kontaktaufnahme zu Gute. Diese Assoziationen haben teilweise einige
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Türen und Köpfe geöffnet, konnten aber vereinzelt auch den gegenseitigen Effekt haben. Auf jeden Fall hat meine aktive Teilnahme und Präsenz an Protestaktionen und Veranstaltungen dazu geführt, dass mein Gesicht bekannt wurde, wodurch auch ein paar Vorbehalte mir und meiner Forschung gegenüber abgebaut werden konnten. Darüber hinaus wurde ich auch von manchen Aktiven als eine Art „Katalysator“ oder „Mittler“ wahrgenommen, der unterschiedliche Akteur*innen durch seine heterogenen Kontakte an einen Tisch bringen kann: „You connect people.“ (Richard, 16 Beaver, 25.07.2014). Diese ‚Kompetenz‘ dürfte ein Stück weit meiner naiven Unwissenheit um mögliche persönliche Spannungen zwischen verschiedenen Positionen geschuldet sein. Aus meinem empirischen Interesse verschiedene Stimmen und Akteur*innen aus einer Außenperspektive zusammenzubringen, haben sich mithin gewisse Synergiemöglichkeiten zwischen den Teilnehmenden an den Veranstaltungen ergeben. Entscheidend war dabei das Angebot meine Expertise über Berichte und Vorträge zu stadtpolitischen Problemlagen und Protestformen in solchen Veranstaltungen einzubringen. Dies wurde zwar generell positiv bewertet, allerdings auch manchmal als „zu akademisch“ oder „zu trocken“ kritisiert (Linda, 16 Beaver, 25.07.2014). Dabei wurden auch die Reibungspunkte deutlich, was auf zwei unterschiedliche Logiken der Wissensproduktion verweist: die analytische, rationale, daraufblickende und die affektive, organisatorische, assoziative Aktivität. Im Laufe der Forschung wurde ich immer wieder angesprochen, mich an Gruppen und Aktionen zu beteiligen und diese durch meine Expertise zu unterstützen, beispielsweise die Öffentlichkeitsarbeit der Koalition der Freien Szene. Diesen Anfragen wollte ich nicht nachgekommen, hauptsächlich um eine gewisse Distanz für die Analyse der stadtpolitischen Artikulationen aufrecht erhalten zu können. Bei anderen Initiativen wurde ich durch meine Präsenz und das Einbringen meiner Expertise von einigen Aktiven als Mitglied der Gruppe angesehen (Picture the Homeless, 16Beaver, Stadt von Unten). Allerdings muss hierbei auch kritisch hinzugefügt werden, dass auch ich mitnichten vor der verpönten Subjektposition des ‚Protestforschungstouristen‘ gefeit bin. So wurden in New York immer wieder die temporäre Präsenz und die anschließende Abwesenheit von Forscher*innen ‚aus aller Welt‘ bemängelt. Dies illustriert wiederum die unterschiedlichen Funktionsweisen der unterschiedlichen Felder – der stadtpolitische Protest läuft weiter, auch wenn die Forscher*innen sich an den Schreibtisch setzen um zu schreiben. Insbesondere in den Monaten der Analyse und im Zuge der räumlichen Trennung lässt sich dies nicht gänzlich vermeiden. An dieser Stelle ist es wichtig mit den Forschungsergebnissen schließlich wieder in den Dialog mit den stadtpolitisch Aktiven und der Öffentlichkeit zu gehen,
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ähnlich der Ansprüche einer public sociology (Aulenbacher et al. 2017, Burawoy 2012). Somit wird es zunächst ermöglicht sowohl die eigene Forschungsperspektive zu dezentrieren, als auch in den fortlaufenden Reflexionsprozess sozialer Bewegungen mit einzustimmen, so dies gewollt ist. Zwar kann unter diesem Aspekt grundsätzlich die Notwendigkeit von Forschung an einem nicht heimischen und weit entfernten Protestort in Frage gestellt werden. Bei allen erfahrenen Ambivalenzen hat es sich jedoch dahingehend in mehrfacher Hinsicht als hilfreich erwiesen solidarische Formen der Wissensproduktion und des Wissenstransfers zwischen Forschung und Protestpraxis in Betracht zu ziehen. 4.2.3
Bewegt Forschen
Es gibt mittlerweile eine ganze Reihe qualitativer Forschungsansätze, die sich mit dem gemeinsamen partizipativen Forschen beschäftigen und die dualistische Trennung zwischen Forschung und Aktivismus kritisch hinterfragend neu verhandeln (vgl. Bergold/Thomas 2012, von Unger 2014); oder aber die Bedingungen kritischer Wissensproduktion selbst infrage stellen (vgl. Beurskens et al. 2016). Aus dem weiten Feld der „action research“ (Greenwood 1999, Lewin 1946, Reason/Bradbury 2001, Koshy 2009) wären insbesondere „participatory action research“ (Kemmis/McTaggert 2005, Foote Whyte 1990 Heron 1996, von Unger 2014 und „militant research“ (Militant Research Collective 2013, Sitrin 2012) als zwei geeignete kollaborative Forschungsstrategien zur Arbeit mit (städtischen) sozialen Bewegungen herauszustellen. ‚Critical participatory action research‘ ist nach Kemmis/McTaggart (2005: 563ff.) zu bestimmen durch eine geteilte Verfügung über das Forschungsprojekt, ‚community based analysis‘ sozialer Probleme; eine Orientierung an ‚community action‘ und der Ablehnung einer Neutralität, die den Status quo rechtfertigt. Critical participatory action research versteht sich in dieser Fassung als unbedingt kollaborative Forschung, die einen Empowerment-Ansatz verfolgt. In ihrer reflexiven, emanzipatorischen, kritischen Ausrichtung ist sie auf gesellschaftlichen Wandel gerichtet. Die gemeinsame Wissensproduktion zielt auf die Veränderung der Diskurse und Praktiken sowohl auf einer individuellen, als auch auf einer gesellschaftlichen Ebene (vgl. Kemmis/McTaggart 2005: 565). Dabei wird in einem Habermas’schen (1995) diskursethischen Sinne die Bedeutung eines „sicheren Raumes“ (Bergold/Thomas 2012: 12, Kemmis/McTaggart 2005, Kemmis et al. 2014, Wicks/ Reason 2009) hervorgehoben, indem ein moderierter rücksichtsvoller Austausch von Argumenten ermöglicht wird. Die Herstellung eines „herrschaftsfreien Raumes“ als communicative space selbst steckt jedoch voller Herausforderungen und Widersprüche, insbesondere hinsichtlich Niedrigschwelligkeit, Teilhabemög-
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lichkeiten, Ressourcenzugängen und Machthierarchien (vgl. Carstensen et al. 2014, Decoloniality Europe 2013, Thomas et al. 2019). Auch militant research ist darauf ausgerichtet in und mit den sozialen Bewegungen zu forschen und nicht nur über diese, das heißt eben forschungspraktisch die ‚Beforschten‘ zu ‚Mitforschenden‘ zu machen und diese in unterschiedlichem Maße in die Konzeptionalisierung der Forschung einzubinden (vgl. Sitrin 2012, PTH 2011, Carstensen et al. 2014). Militant research wird als Kontaktstelle zwischen Wissenschaft und Aktivismus beschrieben, die neue Handlungs- und Denkräume eröffnet: „You don’t think your way into a different way of acting; you act your way into a different way of thinking.” (Militant Research Collective 2013) Hier findet mit Blick auf die Critical participatory-action-research-Perspektive gewissermaßen eine Verschiebung vom ‚Kopf auf die Füße‘ statt. Handlungen, nicht Reflexionen und Kommunikationen, bilden den basalen Ausgangspunkt für gesellschaftliche und ebenso wissenschaftliche Perspektivenverschiebungen. Ebenso kommt ein Verständnis von solidarischer Wissenschaft zum Tragen, die sich nicht nur auf Fürsprache beschränkt, sondern sich engagiert in die Protestbewegungen einbringt. Dies geht über das Verständnis einer public sociology hinaus, die sich im Wesentlichen darauf konzentriert ihre Ergebnisse der Zivilgesellschaft zur Verfügung zu stellen. Die vorgestellten Ansätze haben gemeinsam, dass sie auf epistemischer und interpersoneller Ebene mittels kollaborativer Wissensproduktion zu gesellschaftlichem Wandel beitragen wollen (vgl. Carstensen et al. 2014: 258). Jedoch ist eine grundsätzliche Kritik an den vermachteten Strukturen und Repräsentationen akademischer Wissensproduktion notwendig, um die eigene Positionierung im Feld sozialer Bewegungen in den Blick zu bekommen und entsprechend die Fallstricke der eigenen Methodologie überhaupt dekolonialisieren zu können: „Academic knowledge production protects white privilege, and requires of the researcher that she or he inhabits white identity. One of the most salient ways in which this happens is through methodology.“ (Decoloniality Europe 2013) Inwiefern ein weitreichender Forderungskatalog, wie in der ‚Decolonial Research Charta‘ ormuliert, im Hinblick auf die Kollaboration zwischen Forschung und Aktivismus umgesetzt wird, bleibt Sache des Ermessens und der Bereitschaft aller Beteiligten, der zur Verfügung stehenden Ressourcen sowie der organisatorischen Rahmenbedingungen des jeweiligen Forschungsprojekts. Diese verschiedenen partizipativen Forschungsansätze haben meine Forschung geprägt, wobei in der Erhebungsphase einzelne partizipative Bausteine Eingang ins Forschungsdesign gefunden haben, wenngleich auch nicht eine umfassende partizipative Ausrichtung in der Wissensproduktion umzusetzen war.
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4.2.4
Solidarische Wissensproduktion
Die vorliegende ‚bewegte Forschung‘ verortet sich zwischen diesen verschiedenen Spielarten partizipativer Forschung und versucht Fragen nach Objekt und Subjekt der Forschung, eigene Kategorisierungen sowie den Umgang mit den Ergebnissen kritisch zu berücksichtigen. Eine solche (städtische) soziale Bewegungsforschung befindet sich in einer doppelten Zwickmühle, bewegt sie sich doch zwischen dem, was ich einerseits aus Sicht des Wissenschaftsbetriebes ‚Normativismusfalle‘ und andererseits den ‚Generalverdacht‘ sozialer Bewegungen nennen will. Das schlägt sich auch im Spannungsverhältnis zwischen den verschiedenen Subjektpositionen ‚Akademiker*in‘ und ‚Aktivist*in‘ nieder. Einen Zwischenweg, der sich seiner Ambivalenzen und seiner Arbitrarität bewusst ist, möchte ich in Anschluss an Mullis „solidarische Wissensproduktion“ (2017: 129) nennen. Sich solidarisch zu den Bewegungen und ihren Inhalten zu positionieren, bedeutet sich auch auf die Besonderheiten und Feinheiten der Protestartikulationen einzulassen. Voraussetzung ist allerdings insbesondere eine grundsätzliche Sympathie für die Forderungen und Organisationsformen, die sich beim vorliegenden Forschungsprojekt an einem emanzipatorisch-demokratischen Rahmen orientiert hat.9 Sympathie heißt allerdings nicht, dass die Forscher*in sich völlig hinter die sozialen Bewegungen zu stellen hat, zu, oder besser gesagt, mit denen geforscht wird. Gerade in der kritischen Distanz besteht auch das Potenzial sich einzubringen. Allerdings ist die Forscher*in näher dran am Verständnis dessen, was sich in den (städtischen) sozialen Bewegungen abspielt und den verschiedenen Artikulationsformen als bei einer einfachen Befragung. Dieses ‚Näher-dran-sein‘ verstehe ich im Anschluss an partizipative Forschungsansätze nicht als Makel, sondern bewerte es als heuristisch vielversprechend (vgl. Bergold/Thomas 2010, 2012, von Unger 2014). Damit begibt sich die Forscher*in aus positivistischer Sicht auf sehr dünnes Eis, werden doch normative Verstrickungen mit dem ‚Forschungsgegenstand‘ abgelehnt und eine möglichst wertfreie Herangehensweise (vgl. Popper 1970) oder eine Trennung von Wissenschaft und Politik eingefordert (vgl. Weber 1994). Die fachliche Debatte über eine vermeintliche ‚wissenschaftliche Objektivität‘ – und wiederum mit diesem Diktum verbundene Fallstricke – hat sich zwar seit der kritischen Entgegnung von Habermas (1970) im ‚Positivismusstreit‘ weiterentwickelt, aber dennoch bleiben diesbezügliche Ambivalenzen sowohl qualitativer als auch quantitati-
9
Es wird hierbei nicht behauptet, dass solidarische Wissensproduktion grundsätzlich in allen Forschungsfeldern sozialer Bewegungen ein probates Mittel wäre. So würde ein kritisches Forschungsprojekt zu rechten oder konservativen Bewegungen ein anderes Vorgehen und methodisches Selbstverständnis bedürfen (vgl. bspw. Teune/Ullrich 2015).
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ver Forschung bestehen. Es mag sein, dass sich qualitative Forschungsperspektiven gegen eine an den Naturwissenschaften orientierte Methodologie abgrenzen (vgl. Bryman 2004, Flick 2009, Hammersley 1999). Es kann aber meines Erachtens auch nicht darum gehen, sich auf einem vermeintlich wertfreien Standpunkt wissenschaftlicher Objektivität abzusichern, sondern vielmehr wie auch immer geartete implizite normative Verstrickung und mitunter gewollte ‚Kompliz*innenschaft‘ reflexiv explizit zu machen. Dabei sind insbesondere die machtvollen und privilegierten Positionen der Forscher*innen zu berücksichtigen, die sie im Forschungsfeld und in der Wissensproduktion einnehmen (vgl. Carstensen et al. 2014, Code 2007, Decoloniality Europe 2013, Beurskens et al. 2016, Mecheril et al. 2013). Darüber hinaus besteht zudem gerade in der kritischen Distanz, die sich aus der (mindestens) doppelten Positionierung im Forschungsfeld ergibt, das eigentliche Potenzial an einer „organischen Theorie der sozialen Bewegung“ (Gramsci 1991, Marchart 2013b). Ein Forschungsprojekt bietet die Möglichkeit, an egalitären Wissensproduktionen und politischen Alternativen mitzuwirken oder zumindest einige (neue) Impulse und Perspektiven zur Reflexion einzubringen, die mithin auch Relevanz für die sozialen Bewegungen haben können. Letztendlich sind allerdings unterschiedliche Interessen mit der Wissensproduktion im akademischen Kontext und in den sozialen Bewegungen nicht von der Hand zu weisen, sodass empirische Ergebnisse keineswegs per se Relevanz für die Bewegungspraxis haben müssen. Solidarische Wissensproduktion versucht jedoch sich dieser Herausforderung zu stellen und sich weder gänzlich in den akademischen Elfenbeinturm zurückzuziehen, noch sich unkritisch oder affirmativ gegenüber ihrem Forschungsfeld zu positionieren. Auf Seiten der sozialen Bewegung hingegen wird der ‚Generalverdacht‘ geäußert, dass ein spezifisches Wissen abgeschöpft wird und von der Forscher*in für die eigene akademische Karriere nutzbar gemacht wird. Dies ist ein ernst zu nehmendes Argument, da zumindest in Berlin und jenseits einiger bezahlter Stellen in NGOs in New York das gesamte stadtpolitische Engagement und auch die weitergehenden elaborierten Expertisen ehrenamtlich stattfinden. Ein weiterer sehr wichtiger Aspekt der solidarischen Wissensproduktion besteht darin, dass Forschungsprojekte ein Wissen produzieren können, das gegen die sozialen Bewegungen sowie gleichsam gegen die Forscher*innen gerichtet werden kann, zum Beispiel wenn es Gegenstand polizeilicher Ermittlungen wird, wie die prominenten Fälle der Stadtsoziologen Andrej Holm im Jahr 2007 und Bradley Garrett im Jahr 2012 zeigen.10 Mit der unklaren Grenze zwischen Wissenschaft und Aktivismus kann soli-
10 Holm war im Zusammenhang mit seiner Forschung zu Gentrifizierung ins Fadenkreuz der Ermittlungen wegen mutmaßlicher Mitgliedschaft in der „militanten gruppe“geraten und saß mehrere Wochen in Untersuchungshaft. Das Verfahren wurde schließlich nach
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darische Wissenschaft politisch verdächtigt werden. In Anbetracht drohender Observationen oder der Beschlagnahme von Forschungsunterlagen werden gewisse Vorkehrungen hinsichtlich des Datenschutzes und der Sicherung der Forschungskontakte und -inhalte notwendig. Unter Berücksichtigung dieser verschiedenen Aspekte ist die Skepsis in (städtischen) sozialen Bewegungen gegenüber der Wissenschaft also durchaus gerechtfertigt. Zudem wird, wie noch in der Analyse des empirischen Materials gezeigt wird, zunehmend auch innerhalb und aus den städtischen sozialen Bewegungen heraus Forschung betrieben. Im Rancièr’schen Sinne ist es auch hier unabdingbar darauf zu schauen, wer sich da wie artikuliert und inwiefern die ‚ungehörten Stimmen‘ hörbar gemacht werden. Anspruch solidarischer Wissensproduktion ist es eine für beide Seiten relevante Fragestellung möglichst früh in der Forschungskonzeption zu entwickeln. Hauptsächlich handelt es sich derzeit dabei um (klassische) Forschungsarbeiten zu den sozioökonomischen und politischen Rahmenbedingungen, die sich nicht unmittelbar auf die sozialen Bewegungen selbst konzentrieren, aber anschlussfähige wissenschaftliche Befunde für diese anbieten (vgl. Angotti 2008, Berner et al. 2015, Marcuse/Madden 2016, Altvater et al. 1998). In der vorliegenden Forschungsarbeit bilden zwar auch die sozioökonomischen und politischen Ungleichheiten, Defizite und Widersprüche den heuristischen Bezugsrahmen, allerdings wird explizit aus den Perspektiven der städtischen sozialen Bewegungen auf diese Zusammenhänge fokussiert. Der Beitrag einer solchen Forschungsarbeit zu einer solidarischen Wissensproduktion besteht hauptsächlich darin, sowohl die Potenziale als auch mögliche Fallstricke verschiedener stadtpolitischer Protestartikulationen aus komparativer Perspektive zu diskutieren (vgl. Kuhn 2014, Lebuhn 2008, Maharawal 2018, Mullis 2017, Uitermark et al. 2012, Purcell 2009, Vollmer/Scheller 2018, Vollmer 2019, Fraeser 2017). Eine praktische Umsetzung des Anspruchs ‚nicht nur Wissen abzuschöpfen‘, sondern ‚etwas an die Bewegungen zurückzugeben‘, kann beispielsweise in der Organisation von Diskussionsveranstaltungen bestehen, die einen (trans-)lokalen Wissenstransfer ermöglichen und so Synergien und Vernetzungen ermöglichen. Dabei kann auch das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Aktivismus im Sinne einer solidarischen Wissensproduktion ausgelotet werden. Im Rahmen meines Forschungsaufenthaltes – in meiner prädestinierten Position als ein mit einem Promotionsstipendium ausgestatteter weißer, männlicher akademisch Forschender – konnte
drei Jahren aus Mangel an Beweisen eingestellt. Garrett war im Rahmen seiner Forschung mit der Gruppe ‚place hackers‘, die verborgene urbane Orte sichtbar machen wollen, festgenommen und 2014 wegen Hausfriedensbruch (trespassing) und Sachschaden (criminal damage) in stillgelegten Londoner U-Bahntunneln verurteilt worden.
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ich mich Ende Mai 2015 beispielsweise beim Left Forum in New York mit zwei Vorträgen an eben dieser Schnittstelle einbringen. Ich war eingeladen worden auf einem Opening Panel zum Thema ‚Building a Global Solidarity Movement‘ zu sprechen bei dem aktuelle Perspektiven und Praktiken aus sozialen Bewegungen unter anderem in Spanien, USA, Deutschland und Nigeria diskutiert wurden. Zudem habe ich gemeinsam mit Brian McCarthy (16 Beaver, Hunter College) ein Panel zum Thema ‚Transformative Organizing in Berlin and New York City: From the Right to the City to Radical Democracy?‘ durchgeführt. Daran waren Aktive von Take Back the Land, Picture the Homeless, Berliner Mietenvolksentscheid sowie Peter Marcuse (Columbia University) beteiligt. Ich habe das Panel komoderiert und auch den einleitenden Vortrag zum Thema ‚Urban Social Movements and the Crisis of Representative Democracy‘ gehalten, der einen Rahmen für die sich anschließenden Präsentationen und Diskussionen der Initiativen anbot und als Zwischenergebnis meiner Forschung fungierte. Solcherlei Veranstaltungen sind, wie bereits oben angemerkt, ebenfalls mit in die Analyse eingeflossen, dienten aber gleichsam dem Zweck, das unterschiedliche Praxiswissen in den verschiedenen (trans-)lokalen Kontexten in einen Austausch zu stellen.11
4.3
ERHEBUNG UND ANALYSE DES EMPIRISCHEN MATERIALS
Aus diesen oben dargestellten unterschiedlichen, mithin für die Beforschten und den Forscher verunsichernden forschungsethischen Aspekten, ergibt sich ein notwendigerweise sensibles exploratives Vorgehen, dass auch in der Wahl der Erhebungsmethoden (Kap. 4.3.1) sowie der Dokumentation und Analyse der empirischen Materialien (Kap. 4.3.2) zu berücksichtigen ist. So wurden alle im Rahmen der Forschungsarbeit gesammelten Daten verschlüsselt abgelegt und schriftliche Notizen und Transkriptionen anonymisiert. 4.3.1
Erhebungsmethoden
Hinsichtlich der Wahl des Zugangs und der Methodik zur empirischen Auseinandersetzung mit Protestartikulationen städtischer sozialer Bewegungen sowie der verfolgten Fragestellung nach Demokratisierungsaspekten ist, wie herausgearbeitet wurde, in erster Linie ein Ansatz der solidarischen Wissensproduktion mit ver-
11 Dieser translokale Austausch wird meist ressourcenschonend über Skypetermine ermöglicht, ohne dass Reisekosten anfallen. Ab und an sind allerdings auch Aktive direkt vor Ort und können direkt an Aktionen und Veranstaltungen teilnehmen.
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schiedenen partizipativen Elementen vielversprechend. Über eine Kombination verschiedener qualitativer Forschungsmethoden entsteht ein schärferes Bild der Aushandlungsprozesse unterschiedlicher Positionen und Perspektiven, die den öffentlichen Protestartikulationen voraus- und auch über diese hinausgehen. In Anschluss an Bergold/Thomas (2012: 3) wird partizipative Forschung als ein „Forschungsstil“12 verstanden, dessen Erhebungsmethoden dadurch gekennzeichnet sind, dass sie „auf die Planung und Durchführung eines Untersuchungsprozesses gemeinsam mit jenen Menschen gerichtet [sind], deren soziale Welt und sinnhaftes Handeln als lebensweltlich situierte Lebens- und Arbeitspraxis untersucht wird.“ Des Weiteren sei eine „Kanonisierung des Forschungsstils in Form der einen partizipativen Methode als ein in sich geschlossenes Vorgehen“ nicht möglich, weil es gerade darum ginge, „die Eigensinnigkeit und Eigenwilligkeit der Forschungspartner*innen in dem Forschungsprozess zur Geltung zu bringen“ (Bergold/ Thomas: 4, Herv. D. S.). In einem solchen Sinne beinhalten auch die von mir angewendeten qualitativen Methoden partizipative Aspekte, die in unterschiedlichem Maße über das schiere Sammeln empirischer Daten hinausgehen. Abbildung 2: Action Research Spirale
Quelle: Modifiziert nach Kemmis/McTaggert (2005: 564)
Die Planung der Forschung selbst vollzog sich in unterschiedlichen Phasen, wobei in der fortlaufenden Reflexion einige Rejustierungen vorgenommen wurden, um
12 Vgl. auch Reason/Bradbury 2008.
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auf signifikante Veränderungen im Forschungsfeld zu reagieren und den Fokus der Erhebungsinstrumente zu schärfen (vgl. Abb. 2). Teilnehmende Beobachtung bildete den ersten Zugang zum heterogenen Feld städtischer sozialer Bewegungen. Im Untersuchungszeitraum von 2011 bis 2015 nahm ich in Berlin an 66 und in New York an 49 Aktionen (Blockaden, Besetzungen, Go-Ins) und Veranstaltungen (Demonstrationen, Kundgebungen, Diskussionsrunden, Konferenzen) teil. Waren diese öffentlich, wurden teilweise Audioaufzeichnungen gemacht, sowie Notizen und Protokolle in einem ‚Feldtagebuch‘ angefertigt. In Berlin sind sechs und in New York sind 14 Leitfadeninterviews, sieben Folgeinterviews und zwei Gruppeninterviews durchgeführt worden. Dabei wurden mit vier Personen in New York während der Aufenthalte in 2013 und 2014 jeweils zwei beziehungsweise drei Interviews geführt. Die Interviewpartner*innen gehörten immer zur Kerngruppe der jeweiligen Initiativen und waren zudem immer auch in unterschiedlichem Maße direkt in die Öffentlichkeitsarbeit eingebunden. Sie wurden als Expert*innen zu ihren stadtpolitischen Schwerpunkten befragt. Dabei wurde versucht Frauen und Männer zu gleichen Teilen zu befragen, was für die einzelnen Gruppen nicht immer umzusetzen war, aber in der Gesamtzahl der Interviews möglich war. Zur Vorbereitung wurde ein Leitfaden auf Deutsch und Englisch entwickelt, der sich auf drei inhaltliche Schwerpunkte konzentrierte: Nach einer kurzen Vorstellung meiner Person und des Forschungsprojekts wurde (a) eingangs der persönliche Weg zum Protest erfragt; (b) daran schloss sich ein Fragenkomplex zu Mobilisierungen und Lokalisierungen an, das heißt zum stadtpolitischen Hintergrund des Protests, zu Gruppenkonstellationen und zur internen Interaktion sowie zur Anschlussfähigkeit und externen Interaktion zu anderen Gruppen; (c) einen weiteren Schwerpunkt bildeten Fragen zu (trans-)lokalen Verbindungen und zum konkreten Interesse an Protesten in der jeweils anderen Stadt; (d) den Abschluss bildete eine Frage zur utopischen Prognose der stadtpolitischen Entscheidungsprozesse und die Möglichkeit, mich als Fragenden im Gegenzug zu befragen. In New York habe ich fünf semistrukturierte Fokusgruppendiskussionen mit stadtpolitischen Akteur*innen aus unterschiedlichen Initiativen und NGOs organisiert und durchgeführt. Darüber hinaus habe ich an elf nicht von mir organisierten Gruppendiskussionen und Arbeitstreffen teilgenommen. Die Fokusgruppendiskussionen erwiesen sich für die Teilnehmenden als interessant, da dabei neue Kontakte geknüpft und bereits vorhandene ausgebaut werden konnten. Teilweise wurden in die Diskussionsrunden auch Aktive aus Berlin via Videochat einbezogen. Filmscreenings und anschließende Diskussionen wurden als Spezialfall der Fokusgruppendiskussion eingebracht. Der visuelle Input zu anderen stadtpolitischen Protestartikulationen bot reichlich Diskussionsgrundlage und Vergleichsmöglichkeiten zu den eigenen lokalen Auseinandersetzungen.
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Eine Dokumentensammlung wurde analog zur Beteiligung an Aktionen, Veranstaltungen und Interviews angefertigt. Dabei wurden die Dokumente – wie beispielsweise Aufrufe, Einladungen, Pamphlete, Dossiers, E-Mails, Poster, Flyer – in gedruckter und digitaler Form thematisch und nach Initiativen archiviert. Insgesamt handelt es sich um 112 Quellen in Berlin und 51 in New York, die schließlich in der Analyse Berücksichtigung fanden. Es wurden hauptsächlich von den städtischen sozialen Bewegungen veröffentlichte Texte dem empirischen Materialkorpus hinzugefügt, ergänzend aber auch Zeitungsartikel und verschiedene Veröffentlichungen der jeweiligen Stadtverwaltungen berücksichtigt, die sich thematisch auf die Inhalte der Proteste bezogen. Nicht alle Methoden haben immer gleich gut funktioniert beziehungsweise unmittelbar zufriedenstellende Informationen oder empirische Materialien geliefert. Mitunter musste nachjustiert oder ein anderer Weg eingeschlagen werden, um die Stimmen des Protests zu hören. Am häufigsten kam es vor, dass Termine immer wieder verschoben wurden und teilweise gar nicht zustande kamen, weil Gespräche mit Forscher*innen nicht immer hoch auf der Prioritätenliste der Aktivist*innen standen. Einige Gruppen gaben an, sich schon ausreichend selbst zu befragen und vermissten eine konzeptionelle Offenheit des Forschungsprojekts hinsichtlich der Fragestellung und theoretischen Ausrichtung. Andere Gruppen waren bereits überhäuft worden mit Interviewanfragen von Kolleg*innen und Forschungsseminaren und hielten sich daher eher zurück in der Terminvereinbarung von Interviews. In diesen Fällen wurde auf die von der Gruppe zur Verfügung gestellten Materialien sowie öffentliche Auftritte in Veranstaltungen, Podiumsdiskussionen oder Demonstrationen und Kundgebungen zurückgegriffen. Zudem habe ich eine Vielzahl informeller Gespräche geführt, die nicht aufgenommen wurden, aber in Form von Gedächtnisprotokollen und Notizen protokolliert worden sind. Auch wenn ich eine ganze Reihe von Interviews mit unterschiedlichen Akteur*innen durchführen konnte, lässt sich als Quintessenz der Erfahrungen im Feld stadtpolitisch Aktiver in Berlin und New York ein möglichst ressourcenschonender Umgang mit deren Zeit anraten. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich der Zugang zum Forschungsfeld städtischer sozialer Protestbewegungen in New York für mich einfacher gestaltete, was mit meiner eigenen besonderen Position zu tun haben könnte, aber sicherlich auch mit einem höheren Interesse an meiner Forschung und der Offenheit der Aktiven mir gegenüber. In Berlin war zwar der Zugang auch gewährleistet, aber einerseits schien ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber (externer) Forschung und Befragung insbesondere in radikaleren und protesterfahreneren Kreisen ausgeprägter zu sein. Auch scheint mir in New York das Maß an kritischer Selbstbefragung frappierender zu sein. Allerdings verweist dieser vage Befund meines Erachtens auch auf ein grundsätzlich anderes Verhältnis zwischen Wissenschaft und Aktivis-
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mus in beiden Städten, was stets auch abhängig ist von den sozialen und politischen Subjektpositionen der Aktiven in den jeweiligen städtischen sozialen Bewegungsmilieus. In New York sind critical participatory action research und militant research traditionell, aber spätestens seit Occupy Wall Street, ein basaler Bestandteil aktivistischer Praxis. Genauerer Aufmerksamkeit könnte auch der Frage gewidmet werden, ob dabei Zusammenhänge zur politischen Praxis des transformative community organizing bestehen, welches sich in Berlin erst als Organisierungsansatz in den vergangenen Jahren in städtischen sozialen Bewegungen entwickelt hat (vgl. Maruschke 2014, Kratzsch/Maruschke 2016, Kotti & Co. 2016). 4.3.2
Analyseschritte
Im Forschungsverlauf wurde folgendes Vorgehen zur Aufbereitung und Auswertung des empirischen Materials gewählt: Erstens Vorbereitung, Sortieren und Einpflegen in die qualitative Analysesoftware MAXQDA; zweitens freies induktives Codieren; drittens Komposition und Aufbau der empirischen Deskription; viertens Feedbackrunden mit Aktiven13; fünftens Zuordnen ausgewählter Codes zu deduktiven Kategorien; sechstens Sezieren der Codes hinsichtlich der relationalen Zusammensetzung ihrer Signifikanten; siebtens Typenbildung verschiedener Signifikantenketten; achtens Komposition und Aufbau der analytischen Deskription. Auch der Analyseprozess verlief keineswegs linear, sondern ebenfalls in zirkulären Phasen, die ein Zurückgehen, Nachjustieren und Fokussieren beinhalteten und so schließlich zur Bewältigung und Auswertung der Fülle des empirischen Materials schrittweise beitrugen. (1) In Vorbereitung der hegemonietheoretischen Diskursanalyse wurden schließlich alle Audiodateien gesichtet und in sechs Fällen komplett, aber hauptsächlich selektiv-partiell transkribiert und für die weitere empirische Analyse in eine standardisierte Form gebracht. Alle digital verschriftlichten Materialien (Transkriptionen, Dokumente, Notizen) wurden zunächst nach Städten und Initiativen sortiert und in die MAXQDA eingepflegt. Aus zeitlichen Gründen konnten nicht alle Audiodateien transkribiert werden. Noch nicht transkribierte Audiodateien wurden ebenfalls in MAXQDA eingepflegt, in deren aktueller Version sowohl die Co-
13 Der Begriff ‚Aktive‘ beschreibt alle Personen, die sich in den jeweiligen Assoziationen auf unterschiedlichste Weise engagieren und an der Initiativenarbeit mitwirken. Die Bezeichnung ‚Aktive‘ wird anstelle der politischen Subjektposition ‚Aktivist*innen‘ verwendet, die bereits politische und normative Implikationen transportiert. Auf diese Weise sollen sowohl damit verbundene normative Fallstricke umgangen als auch starke identitätspolitische Implikationen vermieden werden. Einige meiner Interviewpartner*innen grenzten sich auch explizit gegenüber dem Label ‚Aktivist*in‘ ab.
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dierung von Textdateien und Bildern, als auch von Audiodateien möglich ist, so dass diese auch ohne Transkription in die Analyse einbezogen werden konnten. (2) An diese vorbereitenden Arbeiten, die über die gesamte Erhebungsphase fortgesetzt wurden, schloss sich ab Mitte 2014 eine Phase des induktiven Codierens an. Dabei ging es mit Howarth (2005: 318) gesprochen darum, die dichte Erfassung, Strukturiertheit und Konstitution von Welt zu erfassen und weniger dem Ansatz der Grounded Theory folgend um eine Theoriebildung (vgl. Glass 2001). Die verschiedenen Protestartikulationen, Aufrufe und die dazu in den Interviews getroffenen subjektiven Reflexionen wurden hierbei in einem ersten Schritt inhaltsanalytisch geleitet mit einer offenen Codematrix versehen. Diese Codes wurden in einem zweiten Schritt dann thematisch nach Oberkategorien geclustert und anschließend wurden die Codes entsprechend weiter sortiert. (3) Aus dieser induktiven Struktur wurden die Komposition und der Aufbau des empirisch-deskriptiven Texts mit Hilfe weiterer Sortierungsinstrumente, wie Mind Maps und Tabellen, erstellt (vgl. Kap. 5). Die Kategorisierungen der Codes wurden als verschiedene Diskurselemente und Diskursstränge identifiziert. Deren relationale Zusammenhänge sind bestimmend für meine Interpretation und Erzählung der stadtpolitischen Ereignisse im Untersuchungszeitraum 2011 bis 2015, die daraus hervorgehend nach verschiedenen Spannungsfeldern städtischen Protests gliedert wurden – Wohnraum, Stadtplanung, Inwertsetzung von Urbanität. Dabei lag der Fokus auf einer konkreten Darstellung übergreifender Argumentationsstränge und Diskurse. (4) Explizite Feedbackgespräche zu empirischen Zwischenüberlegungen und Auswertung- und Darstellungsansätzen habe ich nicht durchgängig mit allen Gesprächspartner*innen durchgeführt, aber in der Phase induktiven Codierens und während des Verfassens des empirischen Kapitels in drei Fällen mit verschiedenen Akteur*innen in New York und in zwei Fällen in Berlin. Eine „starke Erwartungshaltung“ (Flick 2009: 254) auf Seiten der Aktiven ist mir dabei nicht begegnet, sondern eher ein grundsätzliches Interesse an meiner empirischen Perspektive als eine Art „konstruktives Feedback“ zur Praxis des stadtpolitischen Engagements.14 Andersherum war es mir jedoch wichtig, einerseits die faktischen Zusammenhänge verschiedener Events und entsprechende Narrative vorzustellen und gemeinsam zu diskutieren, sowie anderseits die inhaltliche Analyse weiter fokussieren zu können. Diese „Vermittlungsarbeit im Spagat“ (Mensching 2006) wurde über einen kurzen Input zu den von mir angestellten Überlegungen zur Struktur der Beschreibung der verschiedenen Protestfelder eingeleitet und der sich anschließenden gemeinsamen
14 Die Erwartungshaltung ist abhängig von der tatsächlichen Eingebundenheit der ‚Beforschten‘ als ‚Ko-Forscher*innen‘ in ein Praxisforschungsprojekt und die Entwicklung einer gemeinsamen Fragestellung.
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Auseinandersetzung mit den sich darin herauskristallisierenden Hypothesen. Dementsprechend sehe ich die Feedbackgespräche nicht nur als „Vermittlung”, sondern als ein weiteres partizipatives Erhebungsinstrument, gemäß dem Diktum „all is data“ (Glaser 2001: 145), das es ermöglicht Kommentare und Anmerkungen aus dem Forschungsfeld in den weiteren Auswertungsprozess einfließen zu lassen. (5) Schließlich folgte der induktiven Phase des Codierens und Clusterns eine Phase des Zuordnens ausgewählter Codings zu den deduktiven Kategorien Forderungsstrukturen, Subjektivierungsstrukturen und Kontraritätsstrukturen der hegemonietheoretischen Diskursanalyse nach Marchart (2013b) (vgl. Kap. 3.2.2). Darüber hinaus wurde im Anschluss an die Sortierung eine weitere Codierungsphase zu den drei deduktiven Kategorien durchgeführt, um mit dem so geschärften Fokus ergänzend Codings zu generieren. (6) Die den drei Kategorien zugeordneten Codes wurden in einem abschließenden Schritt hinsichtlich der relationalen Zusammensetzung ihrer Signifikanten und signifikanter diskursiver Elemente „seziert“ und verschiedenen Unterkategorien zugeordnet. Die folgenden Unterkategorien in Anlehnung an Marchart (2013b: 151ff) wurden zur Analyse herangezogen: (a) Forderungsstruktur mit ‚Motto/Slogan‘, ‚Äquivalenzketten der Forderungen‘ und ‚leerer Signifikant‘; (b) Subjektvierungsstruktur ‚protagonistische Kette‘, ‚Subjektpositionen der Protagonist*innen‘, ‚Eigenname‘, ‚Signator*innen‘, ‚Metasubjekt‘ und (c) Konräritätsstrukturen mit ‚Äquivalenzkette der Mängel‘, ‚Negatives Korrelat‘, ‚Subjektpositionen der Antagonist*innen‘, ‚Feind/Sündenbock‘ (vgl. auch Kap. 3.2.2). Dabei wurden die Protestartikulationen in deren einzelne Elemente zerlegt und für die Dokumentation vorbereitet. Hauptaugenmerk lag hierbei jedoch auf den Aufrufen, Positionspapieren, Expertisen und Dossiers. (7) Aus dem gegenüberstellenden Vergleich der Protestartikulationen von insgesamt 18 stadtpolitischen Initiativen (elf in Berlin und sieben in New York) wurde schließlich eine inhaltliche Typenbildung der verschiedenen Signifikantenketten vorgenommen, die sich in erster Linie aus den Forderungsstrukturen ergeben haben, sich aber auch auf die Subjektivierungs- und Kontraritätsstrukturen niederschlagen (vgl. Kap. 6). (8) Zur Komposition und zum Aufbau der beiden analytischen Kapitel (6 und 7) lässt sich sagen, dass entsprechend der drei deduktiven Analysekategorien eine strukturierte Darstellung der verschiedenen Grassroots-Perspektiven verfolgt wurde: Erstens zu deren Forderungen und zweitens zu Subjektpositionen und sich (neu) herausbildenden politischen Subjektivitäten, sowie drittens zur Kritik an den Auswirkungen neoliberalisierter Stadtpolitiken (Privatisierung, Kommodifizierung, Gentrifizierung, Verdrängung, Exklusion, Beteiligungsforen usw.) und ihrer impliziten Tendenz zur Repolitisierung. Die geclusterten Kategorien wurden schließlich selektiv in den entsprechenden Unterkapiteln zusammengefasst.
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Nachdem bis hierhin die erkenntnistheoretischen Überlegungen und das methodische Vorgehen ausführlich dargestellt worden sind, schließt sich nun der deskriptiv-analytische Teil der Arbeit an, der die verschiedenen beforschten Protestbewegungen in Berlin und New York und deren artikulatorische Praxis ins Zentrum stellt.
5
Städtischer Protest. Diskurse und Spannungsfelder „Democracy is nothing other than the struggle for democracy. The struggle for democracy is the movement itself. […] And democracy is the struggle for democracy, which is to say the very movement of social forces; it is a permanent struggle and it is even a struggle against the State that emerges from democracy.“ (Lefebvre 2009: 61)
Die exemplarische Darstellung stadtpolitischer Initiativen und Netzwerke in Berlin und New York ist Gegenstand dieses Kapitels. Es wird versucht einen gewissen Querschnitt durch die heterogenen und fragmentierten städtischen sozialen Bewegungen aufzuzeigen. Die angeführten Protestartikulationen sind als exemplarische Illustrationen des derzeitigen weiten Protestspektrums zu verstehen (vgl. Kap. 4.1), in denen sich Demokratisierungsforderungen, präfigurative Praktiken radikaler Demokratie (vgl. Kap. 2.5) sowie das Herausbilden weiterer und themenübergreifender Forderungen in Kohäsionen und Kollaborationen unterschiedlicher Subjektpositionen ausmachen lassen (vgl. Kap. 3.2). Verschiedene Protestartikulationen, Aktionsformen, Events sowie Initiativen, Bündnisse und Netzwerke werden zur Darstellung der Protestentwicklungen innerhalb des Untersuchungszeitraums nebeneinander vorgestellt. Die inhaltliche Sortierung des empirischen Materials orientiert sich einerseits an verschiedenen thematischen ‚Protestzyklen‘, die jeweils in den Unterkapiteln eine lineare Darstellung ausgewählter Ereignisse verfolgen. Andererseits fließt bereits die fokussierte Beschreibung einzelner Initiativen, Aktionen und Events entlang ihrer Forderungsstrukturen, Subjektivierungsstrukturen und Kontraritätsstrukturen mit ein (vgl. Kap. 3.2.2). Teilweise gibt es dabei Überschneidungen der Auseinandersetzungen und Proteste in verschiedenen diskursiven Spannungsfeldern (a) Wohnraum, (b) Stadtplanung, (c) Inwertsetzung von Urbanität, (d) Politische Nicht-Repräsentation – nicht nur innerhalb von Berlin und New
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York, sondern auch zwischen beiden Städten. Die Unterkapitel illustrieren die Proteste in den ausgewählten Konfliktfeldern Mietenproteste, Öffentliche Plätze und Liegenschaften, (Sub-)Kultur, in denen diese thematischen Spannungsfelder auftreten (Kap. 4.1). Die ersten vier Unterkapitel widmen sich Berlin, die letzten beiden New York. Begonnen wird mit Mietenprotesten, um zu zeigen, wie diese über deren eigentlichen thematischen Ausgangspunkt ‚Mieten‘ hinaus eine Repolitisierung stadtpolitischer Konfliktfelder ausgelöst und entsprechende Synergien zwischen verschiedenen Akteur*innen vorangebracht haben (Kap. 5.1). Es folgen Beispiele von Protesten gegen aktuelle Ansätze der Stadtentwicklung, die den ‚politischen Willen‘ verschiedener Initiativen zu ‚wirklicher‘ direkter demokratischer Beteiligung an Stadtplanungsprozessen illustrieren (Kap. 5.2). Anschließend wird behandelt, wie sich Proteste von Kunst- und Kulturschaffenden der vergangenen Jahre im Kontext des ‚kreativen Berlin‘ entwickelt haben (Kap. 5.3). Proteste von Refugees und die wechselseitigen Dynamiken zu stadtpolitischen Protesten sind Gegenstand des nächsten Teils (Kap. 5.4). Daran schließen sich zwei Unterkapitel zu städtischen sozialen Protesten in New York an. Das erste widmet sich dem Aspekt, wie nach Occupy Wall Street (OWS) ein horizontaler Organisationsansatz verbunden mit der Forderung nach direkten demokratischen Entscheidungsstrukturen in New York in aktuellen stadtpolitischen Räumen, Veranstaltungen und Netzwerken räsoniert (Kap. 5.5). Abschließend werden mietenpolitische Initiativen und deren selbstermächtigende Ansätze im Kontext des omnipräsenten kommodifizierten ShelterSystems beschrieben (Kap. 5.6).
5.1
NICHT NUR MIETENPROTESTE – VON DER MIETENSTOPP-DEMONSTRATION ZUM BERLINER RATSCHLAG
Steigende Mieten und die Verdrängung von Mieter*innen haben sich in Berlin in den vergangenen Jahren zu einem zentralen stadtpolitischen Konfliktfeld entwickelt. Die Forderung nach bezahlbarem Wohnraum ist dabei stets lauter geworden und wird mittlerweile von einer weiten Basis unterschiedlicher Subjektpositionen getragen. Beginnend bei der ‚Mietenstopp-Demonstration‘ 2011 (Kap. 5.1), über zwei ‚mietenpolitische Dossiers‘ (Kap. 5.2), eine ‚Konferenz zum sozialen Wohnungsbau‘ (Kap. 5.3), diversen ‚Wir bleiben alle-Demonstrationen‘ (Kap. 5.4) bis hin zum ‚Berliner Ratschlag‘ (Kap. 5.5) wird gezeigt, wie die Mietenproteste die Stadt(entwicklungs)politik repolitisieren und sich mit anderen thematischen (städtischen) Protesten verknüpfen.
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5.1.1
Mietenstopp-Demonstration
Am 3. September 2011 zieht die ‚Mietenstopp-Demonstration‘ durch die Berliner Innenstadt. Die Demonstration wird von vielen stadtpolitischen Initiativen als eine initiale Veranstaltung zur Mobilisierung einer breiten Wahrnehmung des Themas ‚Wohnraumkrise‘ in der Öffentlichkeit beschrieben. Steigende Mieten und die sich zuspitzende Situation auf dem Berliner Wohnungsmarkt bilden die Kernpunkte der Demonstration, zu der ein breites Bündnis unterschiedlicher Kiezinitiativen, Hausgemeinschaften, Mietergemeinschaften und linksradikaler Gruppen eingeladen hat, die sich im Vorfeld unter dem Namen Stadtvernetzt zu einem Netzwerk zusammengeschlossen hatten. Unter dem Motto ‚Jetzt reicht’s! Gegen Mieterhöhung, Verdrängung und Armut‘ demonstrieren circa 6.000 Teilnehmer*innen. Im Aufruf zur Veranstaltung heißt es: „Jetzt reicht’s. Damit noch was zum Leben bleibt...“ (Stadtvernetzt, 01.08.2011). Unter diesem Motto werden verschiedene Diskurse rund um die Prekarisierung von Wohnen und Arbeiten verbunden. Es wird auf konkrete Forderungen verzichtet, stattdessen sind die Slogans gewollt allgemein gehalten: „Alle Menschen sollen wohnen können, wo sie wollen.“; „Bezahlbare Wohnungen für alle und überall!“; „Wohnen ist ein Menschenrecht und keine Ware“ und „Wir zahlen unsere Miete nicht für Rendite“. (Stadtvernetzt, 01.08.2011) Der Aufruf richtet in sich in einer ersten Anrufungskette zuvorderst an die sozialen Subjektpositionen ‚Mieter*innen‘, ‚Nachbar*innen‘ und die politische Subjektposition bereits bestehender ‚Stadtteilgruppen‘ (vgl. Stadtvernetzt, 01.08.2011). Dabei wird die bezirksübergreifende Brisanz des Themas ‚steigende Mieten‘ hervorgehoben indem verschiedene Berliner Stadtteile aufgezählt werden: „Prenzlauer Berg, Zehlendorf, Moabit, Wedding, Schöneberg, Mitte, Friedrichshain, Neukölln, Alt-Treptow, Kreuzberg“ (vgl. Stadtvernetzt, 01.08.2011). Daran schließt sich eine zweite Anrufungskette an, die sich generalisierend an die ‚ganze Stadt‘ richtet. In einer dritten Anrufungskette werden schließlich spezifische soziale Subjektpositionen adressiert, die in der Regel bis dato nicht signifikant auf wohnungspolitischen Demonstrationen vertreten waren, wie ‚Senior*innen‘ und ‚Menschen mit Behinderung‘ (vgl. Stadtvernetzt, 01.08.2011). Es wird auf besondere Unterstützung hingewiesen, um eine Teilnahme an der Demonstration zu ermöglichen: „Für Menschen, die nicht gut laufen können, sind Wagen zum Sitzen geplant.“ (Stadtvernetzt, 01.08.2011) Unterzeichnet wurde der Aufruf von einem Bündnis unterschiedlicher kleiner Mieter*innen- und Nachbarschaftsinitiativen aus den oben genannten Stadtteilen.1 Der Aufruf und die Demonstration zielen auf die Konstitution einer ‚stadt-
1
Die unterzeichnenden vorbereitenden Initiativen sind: Stadtteilinitiative Schillerkiez, AntiGen (Neukölln), Karla Pappel Initiative (Alt-Treptow), Wem gehört Kreuzberg (Graefe,Chamisso- & Großbeerenkiez), Café Reiche (Reichenberger Kiez), Wrangelkiez-
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weiten Mieter*innenbewegung‘ als politische Metasubjektivität, die allen diesen unterschiedlichen Gruppen als gemeinsamer Bezugspunkt dient (vgl. Stadtvernetzt, 01.08.2011). Wie bereits oben angemerkt, werden die ‚profitorientierte Stadtpolitik‘ und ihre Auswirkungen als Mangelstruktur und damit als antagonistisches Außen definiert, welches die unterschiedlichen Gruppen zusammenbringt. Eine entsprechende antagonistische Äquivalenzkette lautet: /Kommodifizierung von Wohnraum/ = /Profitorientierung/ = /Mieterhöhung/ = /Armut/ = /Verdrängung/ (vgl. Stadtvernetzt, 01.08.2011).2 Explizit verantwortlich gemacht für diese stadtpolitischen Fehlentwicklungen, und deswegen auf der Demonstration auch nicht erwünscht, sind „politische Parteien und deren Symbole“ (Stadtvernetzt, 01.08.2011). Der Ausschluss wird wie folgt begründet: „Jetzt ist Wahlkampf. Die Parteien versprechen uns viel, aber wir glauben ihnen kein Wort. In Wahrheit haben sie den Sozialen Wohnungsbau abgeschafft, öffentliches Eigentum wie die Wasserbetriebe verhökert, die städtischen Wohnungsbaugesellschaften verscherbelt oder auf Gewinn getrimmt. Ganz offensichtlich nehmen Politikerinnen und Politiker in Kauf, dass Leute mit kleinem Einkommen aus ihrem Zuhause verdrängt und ihren sozialen Zusammenhängen gerissen werden.“ (Stadtvernetzt, 01.08.2011)
Die Argumentationskette verbindet die Unzuverlässigkeit der Parteien, den eklatanten Mangel an kommunalem Wohnungsbau, die Privatisierung öffentlichen Eigentums sowie die primäre Gewinnorientierung als negatives Korrelat für eine sich zu konstituierende im Aufruf angerufene Mieter*innenbewegung. Als zentraler Mangelsignifikant wird eine /Wohnraumkrise/ – also der Mangel an und die Bedrohung von bezahlbarem Wohnraum – bestimmt und explizit in einen Kontext mit /Armut/ gesetzt (vgl. Stadtvernetzt, 01.08.2011). Dabei wird die gemeinsame Dislozierungserfahrung der Subjektposition als /Mieter*innen/ hervorgehoben, die durch das positive Korrelat der protagonistischen Signifikanten /Betroffenheit/ = /Selbstorganisation/ = /Stadtteilversammlungen/ = /Kiezspaziergänge/ = /Aktionen/ = /Demonstration/ bestimmt wird (vgl. Stadtvernetzt, 01.08.2011). Daraus wird als
Initiative, Kiezforum Rixdorf, Kampagne gegen Zwangsumzüge, Projekte-Vernetzung in Mitte Prenzlauer Berg und Wedding, Mieterinitiative Onkel-Tom-Siedlung, Mieter_innen der 23 an die GSW verschenkten Häuser, Kampagne Steigende Mieten Stoppen!, Spreepirat_innen, sowie die überlokalen Initiativen in Berlin Avanti, Antifaschistische Linke Berlin, Andere Zustände Ermöglichen (vgl. Stadtvernetzt, 01.08.2011). 2
Äquivalenzketten werden im Folgenden auf die hier verwendete Weise dargestellt, wobei verschiedene Signifikanten oder auch umfassendere diskursive Elemente in Schrägstriche gesetzt werden.
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Konsequenz das selbstermächtigende Argument „Wir nehmen das Problem jetzt selbst in die Hand!“ (Stadtvernetzt, 01.08.2011) abgeleitet, das als gegenhegemoniales politisches Rezept gegen die ‚Wohnungskrise‘ artikuliert wird. Selbstermächtigung wird durch das Misstrauen gegenüber Parteien im Besonderen und politischer Repräsentation im Allgemeinen legitimiert. Durch die Demonstration wird eine ‚mietenpolitische Brücke‘ zwischen Initiativen und Stadtteilgruppen in verschiedenen Nachbarschaften Berlins gebaut. Das Problem steigender Mieten und damit verbundener Verdrängung wird als bezirksübergreifend beschrieben. Die Demonstration markiert einen „inspirierenden“ Startpunkt für eine stadtpolitische Bottomup-Offensive, aus der sich unter anderem auch neue Kiezinitiativen gegründet haben, wie beispielsweise Donau-Fulda. Slogans wie ‚Hopp, hopp, hopp, Mietenstopp‘ und ‚Keine Rendite mit der Miete‘ resonieren nach wie vor auch in aktuellen stadtpolitischen Demonstrationen und Aktionen. 5.1.2
Mietenpolitisches Dossier
Im Anschluss an die ‚Mietenstopp-Demonstration‘ gründet sich im Herbst 2011 die Mietenpolitische Dossier-Gruppe (MDG) als ein Zusammenschluss unterschiedlicher Kiezinitiativen direkt betroffener Anwohner*innen in unterschiedlichen Teilen der Stadt. Darunter finden sich auch Expert*innen, wie unter anderem Stadtsoziolog*innen, Rechtsanwält*innen und Mediendesigner*innen. Zusammen wird in regelmäßigen zweiwöchigen Treffen ein Dossier zu dringenden stadtpolitischen Themen unter dem Motto ‚Recht auf Stadt für alle!‘ zusammengestellt und schließlich nach knapp zwei Monaten Arbeit gedruckt. Am 9. November 2011 übergibt die Initiative das Mietenpolitische Dossier im Roten Rathaus im Rahmen einer Besetzungsaktion den zuständigen Verantwortlichen aus Politik und Verwaltung: „Wir bleiben da solange bis sie dieses Dossier in Empfang nehmen. Das hat ein paar Stunden gedauert. Die hatten keinen Bock. Aber es war sehr lustig mit vielen sehr unterschiedlichen Mieterinnen und Mietern, die da auf den Treppen saßen. Irgendwann ist denen [Senatsverwaltung] aufgefallen, dass wir das echt ernst meinen, dass wir nicht wieder weggehen. Dann haben sie sich herabgelassen, es doch entgegenzunehmen.“ (Frida IB, 21.11.2014)
Das Mietenpolitische Dossier versucht einen Überblick zu den „vielschichtigen Problemen“ der Berliner Mieter*innen zu geben, um darauf aufbauend konkrete Forderungen an die Politik zu formulieren, die „allesamt sofort umsetzbar wären“ (Frida IB, 21.11.2014). Wie meine Interviewpartner*in betont, wird hier im Gegensatz zur ‚Mietenstopp-Demonstration‘ ganz explizit der Kontakt zur Politik gesucht mit dem Ziel Druck auf die politischen Entscheider*innen und auf die Verwaltung auszuüben. Das entsprechende Selbstverständnis wird wie folgt beschrieben:
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„Uns geht es nicht um ein Konservieren der bisherigen Zustände, sondern darum, uns als Bürgerinnen und Bürger aktiv an der Gestaltung unseres Lebensumfelds zu beteiligen. Wir wollen eine Stadtpolitik, die sich aus der Perspektive der in der Stadt lebenden Menschen ihrer sozialen und ökologischen Verantwortung stellt und die Menschen nicht in „verwertbar“ oder „Ausschuss“ einteilt. Aufgabe der Politik ist es sicherzustellen, dass die Bevölkerung Berlins selbst bestimmen kann, in welcher Stadt sie lebt.“ (MDG 2011: 2, Herv. i. O.).
In der Mietenpolitischen Dossier-Gruppe schließen sich unter anderem Aktive aus den Initiativen Kotti & Co. (Kreuzberg), Stille Straße (Pankow), Palisaden Panther (Friedrichshain) und das stadtweit agierende Bündnis Zwangsräumungen verhindern zusammen. Anhand der konkreten alltäglichen Erfahrungen und daraus erwachsender Proteste und Forderungen dieser Gruppen ist das Heft strukturiert. Es illustriert daher eindringlich ein breites Spektrum konkreter stadtpolitischer Problemlagen aus erster Hand. Gemeinsam wird die Stimme erhoben, als Selbstrepräsentation von „Berliner Mieter*innen“. Es geht nicht darum für andere zu sprechen, sondern in erster Linie für sich selbst. Allerdings erweisen sich die daraus hervorgehenden Forderungen als anschlussfähig für andere spezifische Fälle, die nicht explizit aufgeführt sind. In der ersten Ausgabe des Dossiers werden in einer Äquivalenzkette neun Forderungen nebeneinandergestellt: /Langfristige Sicherung der Sozialwohnungsbestände und Festlegung einer sozialen Richtsatzmiete, die der sozialen Lage der Mieter/innen gerecht wird/ = /neues soziales Wohn-Konzept für Mieter/innen mit niedrigem Einkommen/ = /Mieten sollten hier nicht mehr als 25% des Einkommens ausmachen dürfen und wesentlich unter den Vergleichsmieten liegen/ = /keine weiteren Mieterhöhungen im Sozialen Wohnungsbau, die durch Abbau der Aufwandsdarlehen- und Instandhaltungspauschalen (bis zu 0,33 €/qm) zustande kommen/ = /Schaffung einer sozialen Richtsatzmiete/ = /Härtefallregelung für Familien/Kranke/Rentner/innen bzw. Menschen über 65 Jahre und Menschen mit ALG II/ = /Hinterfragen der Förderungsgeschichte der einzelnen Häuser/Objekte, sowie Re-Evaluierung der Kostenmiete für jedes Objekt/ = /Überprüfung der Kosten soweit sie sich aus den Baukosten berechnen/ (vgl. MDG 2011: 8). Als gemeinsamer Bezugspunkt fungiert die Forderung nach einer /Wohnungspolitik, die Verdrängungen verhindert und dauerhaft preiswerte Mietwohnungen in allen Teilen der Stadt sichert/ (vgl. MDG 2011: 8). Als ‚vertrauensbildende Maßnahme‘ wird im Dossier ein ‚wohnungspolitisches Sofortprogramm‘ vorgeschlagen und damit eine weitere Äquivalenzkette artikuliert: /Mietsteigerungsmoratorium der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften/ = /Rücknahmen und Verzicht von Kostensenkungsaufforderungen und Sanktionen gegen Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften, deren Mieten über den Bemessungsgrenzen liegen/ = /Erlass einer Rechtsverordnung (nach § 28 WoBindG), um die Einbeziehung von fiktiven Kosten bei der
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Berechnung der Kostenmiete im Sozialen Wohnungsbau zu beenden/ = /Anerkennung der angespannten Wohnungsversorgungslage um Neuvermietungen zumindest im Rahmen des Wirtschaftsstrafgesetzes zu begrenzen/ (vgl. MDG 2011: 5ff.). Als leerer Signifikant verbindet diese unterschiedlichen Forderungen eine /inklusive, soziale, gerechte Stadtpolitik/, die sich an den Bedürfnissen /aller ihrer Bewohner*innen/ orientiert (vgl. MDG 2011: 5ff.). In einer ersten Anrufungskette werden die /Fraktionen des Berliner Abgeordnetenhauses/ = /Fraktionen der Bezirksverordnetenversammlungen/ = /Berliner Mieterverein e.V./ = /Berliner Mietergemeinschaft/ = /Haus- und Mietergemeinschaften/ = /Stadtteilinitiativen und die Presse/ (MDG 2011: 2f.) adressiert. In einer zweiten Anrufungskette richtet sich das Dossier an /all jene, die den Traum von einer sozialen Stadt noch nicht aufgegeben haben/ und in einer dritten Anrufungskette schließlich an die Ebene der /Bundespolitik/ (MDG 2011: 2f.). Es wird folgende Äquivalenzkette der Mängel aufgestellt: /Krise des Sozialen Wohnungsbaus/ = /Umwandlung von Miet- und Eigentumswohnungen/ = /Mietsteigerung bei Neuvermietung/ = /Mietsteigerung durch „energetische Sanierung“/ = /Wegfall der Anschlussförderung für Sozialwohnungen/ = /Eigentümer* innen bedrohen Hausgemeinschaften/ = /Mietsteigerung und Spekulation durch Verkauf landeseigener Wohnungsbaugesellschaften/ = /landeseigene Wohnungsbaugesellschaften als Preistreiber/ = /Verdrängung und Profite durch Abriss/ = /Auszug aufgrund KdU-Bemessungsgrenzen für Harz IV-Bezieher*innen/ (vgl. MDG 2011: 6). Als Beispiele werden nebeneinandergestellt verschiedene Berliner Mieter*inneninitiativen und eine Einzelperson vorgestellt, die damit eine exemplarische Äquivalenzkette der Betroffenen bilden: /Kotti & Co/ = /Wax 34/ = /Florian/ = /Fulda/Weichsel/ = /sozialmieter.de/ = /Kastanienallee 86/ = /gsw23/ = /Barbarossastr. 59/60/ = /Kampagne gegen Zwangsumzüge/. Für die einzelnen Fälle wird zunächst jeweils eine spezifische Problemdefinition vorgenommen, worauf ein kritisches Hinterfragen des politischen Kontextes folgt, der als ursächlich für die verschiedenen Mangelbeschreibungen angesehen wird. Die Rekontextualisierung und Verallgemeinerung der konkreten Situation liegt in der Botschaft „wir sind kein Einzelfall“. Daran anknüpfend werden Forderungen formuliert. Dabei basiert die Expertise zu den jeweiligen Problemlagen auf der Kontextualisierung und Analyse der jeweiligen strukturellen Gegebenheiten, die empirisch fundiert dargestellt werden. Die „Krise des Sozialen Wohnungsbaus“ wird anhand des Beispiels Kotti & Co. illustriert: „Überwiegend türkischdeutsche Familien sind am Kottbusser Tor von Verdrängung bedroht. Allein in den Häusern südlich der Hochbahn am ‚Kotti‘ sind mehr als 1.000 Wohnungen von dem Abbau der Förderung im Sozialen Wohnungsbau betroffen. Viele Mieter/innen können
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die jährlichen Mieterhöhungen von 0,13 €/qm zuzüglich steigender Verwaltungs- und Instandhaltungskostenpauschalen (§4 der NMV in Verbindung mit §10 WoBindG, derzeit 58 Cent/qm alle drei Jahre) mittlerweile nicht mehr bezahlen und überlegen auszuziehen. Dies betrifft insbesondere seit Jahrzehnten hier wohnende Familien. Viele Mieter/innen gehen ‚traditionell’ niedrig entlohnten Berufen nach, müssen teilweise Hartz IV beziehen. Die Einkommen liegen überwiegend weit unter 2000 €.“ (MDG 2011: 7, Herv. i. O.)
Ausgehend vom konkreten Fall, der von „Mietsteigerungen“ und „Verdrängung“ betroffenen langjährigen Bewohner*innen in den Sozialwohnungen am südlichen Kottbusser Tor, wird auf die umliegende Gegend eingegangen und schließlich das Bedrohungsszenario auf den sich anbahnenden planmäßigen Wegfall der Mietpreisbindungen im sozialen Wohnungsbau in Berlin generalisiert: „Auch nördlich des Kottbusser Tors im sogenannten Neuen Kreuzberger Zentrum sind die ähnlich gelagerten Probleme nur durch einen zins- und tilgungsfreien Kredit bis 2013 aufgeschoben. In ganz Berlin unterliegen noch etwa 150.000 Wohnungen (Stand Ende 2010) den Mietpreisbindungen des Sozialen Wohnungsbaus. Die mittleren Mieten liegen mit 5,40 €/qm über dem Durchschnitt des Berliner Mietspiegels.“ (MDG 2011: 8)
Entsprechend werden auch die Fragen an die Regierung und Verwaltung mit übergreifender verallgemeinernder Relevanz formuliert: Erstens, wie eine solch prekarisierende Konstellation für die Bewohner*innen hinsichtlich jahrzehntelanger Subventionen überhaupt möglich wäre; und zweitens, warum dabei keine Anteile an den Häusern erworben worden seien, was Möglichkeiten zur Regulation der Mietenentwicklung geboten hätte (vgl. MDG 2011: 8). Ebenso verhält es sich mit den anknüpfenden Forderungen, die nicht auf die Häuser am Kottbusser Tor beschränkt sind und so formuliert werden, dass sie „direkt umsetzbar“ wären. Als übergreifende Mangelsignifikanten werden /bezahlbare Mieten/, /Wohnraumkrise/ und daran anknüpfend /Selbstbestimmtheit/ formuliert (vgl. MDG 2011: 2). Das Mietenpolitische Dossier fungiert als exemplarische Expertise, als Forderungskatalog und Mobilisierungsschrift zugleich und beschäftigt sich mit den „strukturellen Problemen der Berliner Mieter*innen“ (MDG 2011: 5). Die Handreichung versucht einer gegenwärtigen Individualisierung der Mangelerfahrungen in der /Wohnraumkrise/ eine gemeinsame Perspektive entgegenzustellen und Lösungen für möglichst viele Betroffene zu ermöglichen. Die verschiedenen konkreten Erfahrungen der Mieter*innen werden hier ins Zentrum gestellt. Bewusst werden, trotz ihrer Heterogenität, die spezifischen Erfahrungshorizonte als verschiedene Symptome einer fehlgeleiteten und daher für die Mieter*innen fatalen Stadtentwicklungspolitik – als Negativfolie – in einer Äquivalenzkette nebeneinandergestellt. Die das Dossier beschließende Frage, „wer sich Wohnen in Berlin überhaupt
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noch leisten kann“ (MDG 2011: 24), markiert darüber hinaus den Versuch einer diskursiven Öffnung hin zur individuellen Anschlussfähigkeit und gleichzeitig auch das Ziehen einer politischen Grenzlinie in Abgrenzung zur bestehenden Politik. Als übergeordnete positive Klammer wird das /Recht auf Stadt für alle!/ angeführt. Dies kann als Versuch gelesen werden, über einen leereren Signifikanten eine Äquivalenz zwischen den unterschiedlichen stadtpolitischen Problemlagen und sozialen Subjektpositionen herzustellen: „Uns geht es um nichts weniger als um eine Wohnungspolitik, die Verdrängung und Ausgrenzung verhindert und dauerhaft preiswerte Mietwohnungen in allen Teilen der Stadt bietet. Ein Recht auf Stadt für Alle.“ (MDG 2012: 2) Mit der Übergabe des Dossiers an die Senatsverwaltung wurde ein Zeitrahmen von 100 Tagen gesetzt, in dem die Politik zum Handeln aufgefordert wurde, sich zu diesen Problemlagen nicht nur zu positionieren, sondern auch politische Schritte einzuleiten, um diese zu entschärfen. Nach der Veröffentlichung des ersten Heftes konnten einige Initiativen durchaus bemerkenswerte Erfolge verbuchen: Kotti & Co erreicht, dass die Mieten für 35.000 Wohnungen gedeckelt beziehungsweise sogar gekürzt werden. Die Senior*innen in der Stillen Straße 10 in Pankow haben eine Übernahme der Trägerschaft ihrer Senior*innentagesstätte durch die Volkssolidarität e.V. erwirkt und somit ist ihre Existenz vorerst gesichert. Trotz der vereinzelten Erfolge haben sich viele zentrale Problemlagen nicht wirklich verbessert, vielmehr spitzt sich die Situation auf dem Wohnungsmarkt durch steigende Mieten noch weiter zu, sodass bezahlbarer Wohnraum zu einer nahezu utopischen Forderung geworden ist. Das Bündnis Zwangsräumungen verhindern! macht die offiziell bekannten etwa zwanzig Zwangsräumungen, die täglich in Berlin durchgeführt werden, nicht nur sichtbar, sondern auch zu einem Politikum. Mittels Blockaden und Go-ins können einige Zwangsräumungen verhindert werden. Durch die kontinuierliche Arbeit der Initiative wird die Problematik Zwangsräumung erstmals auch in der medialen Öffentlichkeit wahrgenommen. Um die Politik an ihre Versäumnisse und Aufgaben zu erinnern wird am 7. April 2014 das zweite Mietenpolitische Dossier ‚Ein Recht auf Stadt für alle. 2. Mahnung‘ im Rahmen des ‚4. Stadtforums Berlin 2030‘ an Michael Müller, Senator für Stadtentwicklung und Umwelt, übergeben. Das Heft richtet sich an „die Fraktionen des Berliner Abgeordnetenhauses, Fraktionen der Bezirksverordnetenversammlungen, Berliner Mieterverein und Berliner Mietergemeinschaft, Haus- und Mieter*innengemeinschaften, Stadtteilinitiativen und Presse“ (MDG 2014: 2). Bei der Aktion werden zunächst Flyer und Hefte an die Teilnehmer*innen des Beteiligungsforums und auf den thematischen Tischen und Ständen verteilt. Später wird die Rede des Stadtentwicklungssenators von zwanzig stadtpolitisch Aktiven unterbrochen. Die Partizipationsveranstaltung, an der etwa 150 Menschen teilnehmen, wird zur öffentlichkeitswirksamen Bühne, um das neue druckfrische Heft vorzustel-
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len und dem Senator persönlich zu überreichen. Dabei stellen sich die Aktiven mit vorher vorbereiteten einzelnen Blättern vor das Podium, die in Kombination den Titel des Dossiers zeigen ‚Ein Recht auf Stadt für alle. Zweite Mahnung‘. Erneut werden verschiedene Problemlagen und Protestinitiativen anhand von konkreten Beispielen vorgestellt, um die sich weiter zuspitzende prekäre Situation auf dem Wohnungsmarkt zu verdeutlichen und Forderungen zu formulieren. Es wird Bilanz gezogen zu dem was erreicht wurde und was weiterhin zum Handeln und zum Protest drängt. Das Spektrum der Proteste, auf die Bezug genommen wird, hat sich deutlich erweitert. Neben zahlreichen Beispielen, die schon im ersten Dossier angeführt werden, geht es um: Studierende und steigende Mieten, die Zerstörung von Kleingärten zur Baulandgewinnung am Beispiel der Kleingarten Oase Pankow, gefährdete Kulturprojekte am Beispiel Hausprojekt Kastanienalle 86, die Unterbringung von 7.000 Geflüchteten in Lagern, Auswirkungen von Zwangsräumungen, Sozialwohnungen und Sozialer Wohnungsbau, Entmietung am Beispiel der Greifenhagener Straße und die Rolle großer Immobilienunternehmen am Beispiel Deutsche Wohnen AG in einer Siedlung in Zehlendorf (vgl. MDG 2014: 8ff.). Die protagonistische Äquivalenzkette sozialer Subjektpositionen wird demzufolge erweitert auf /Senior*innen/, /Studier*ende/, /Kleingärtner*innen/ und /Geflüchtete/ (vgl. MDG 2014: 3ff.). Als negatives Korrelat der protagonistischen Signifikanten wird der Antagonismus entlang der /Wohnungs- und Stadtpolitik/ = /Parteien/ = /Stadtverwaltung/ = /Wohnungswirtschaft/ = /Jobcenter/ gezogen (vgl. MDG 2014: 38). Insbesondere die stadtpolitischen Subjektpositionen /Bürgermeister/, /Bausenator/, /Finanzsenator/ und /Sozialsenator/ werden adressiert (vgl. MDG 2014: 4). Am Ende des Heftes wird als gemeinsamer Bezugspunkt der unterschiedlichen stadtpolitischen Problemlagen der /Traum von einer sozialen Stadt/ angegeben: „Unsere ‚2. Mahnung‘ richtet sich auch an all jene, die den Traum von einer sozialen Stadt noch nicht aufgegeben haben. Doch angesichts der drängenden und für viele von uns existenziellen Probleme reicht eine sporadische Unterstützung nicht mehr aus. Berlin ist eine Mieterstadt und Wohnungsfragen gehen alle an. Unsere Vorschläge und Forderungen zeigen, dass eine andere, eine gerechtere Stadtentwicklung möglich ist. Sie durchzusetzen kann nicht allein denen überlassen werden, denen das Wasser bis zum Hals steht und die alle Energie in die Sicherung ihrer Wohnexistenz stecken müssen. Hier sind all jene gefordert, die mit ihrem Wissen, ihrem Können, ihrer Erfahrung und ihrer Energie eine Stadt gemeinsam verändern können. Unsere Hausgemeinschaften und Initiativen zeigen, dass es geht: Trotz aller Unterschiede das Gemeinsame zu finden und zu formulieren.“ (MDG 2014: 39, Herv. i. O.)
Auch hier zeigt sich, dass sich die stadtpolitischen Proteste und deren unterschiedliche Spielarten in den vergangenen zwei Jahren einander angenähert haben und ver-
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sucht wird trotz aller singulärer Betroffenheitsszenarien gemeinsame Bezugspunkte zu benennen. Ziel ist eine /gerechtere Stadtentwicklung/, die sich durch ein solidarisches Netzwerk zwischen den unterschiedlichen Protestfeldern bereits praktisch im Kleinen in die Tat umgesetzt sieht. Dafür spielen insbesondere die zahlreichen Veranstaltungen, Demonstrationen und Aktionen eine entscheidende Rolle, die sich seit 2011 um Mietenproteste in Berlin verdichten und von dort ausgehend auch Brücken zu anderen stadtpolitischen Themen schlagen. 5.1.3
Konferenz ‚Sozialer Wohnungsbau‘
Am 13. November 2012 findet die von Kotti & Co und dem Bündnis Sozialmieter.de organisierte Konferenz „Sozialer Wohnungsbau. Nichts läuft hier richtig“ im Berliner Abgeordnetenhaus statt. Unterstützt werden die beiden Initiativen dabei von der Mietenpolitischen Dossier-Gruppe. Die Veranstaltung wurde nicht von fachpolitischer Seite oder wohnungspolitischen Interessenverbänden einberufen. Vielmehr haben die Mieter*innen selbst Betroffene, Expert*innen sowie Vertreter*innen aus Politik und Verwaltung eingeladen, um Lösungsvorschläge für die 140.000 Sozialwohnungen und die Mietenproblematik der Stadt zu diskutieren (vgl. Kotti&Co/Sozialmieter.de 2012: 7). Die Veranstaltung ist mit mehr als 500 Teilnehmenden sehr gut besucht.3 Im thematischen Input von Kotti & Co. zur Eröffnung wird betont, dass die ‚Trägheit der Politik‘ in brennenden Entscheidungen der Anlass zur Selbstorganisation und Selbstermächtigung sei: „Eine andere Politik ist notwendig. Die Parallelgesellschaft der Berufspolitik muss sich mit den Menschen befassen. [...] Heute sind wir hier um gemeinsam nach Lösungsansätzen zu suchen. Wir, nicht die Politik haben diese Konferenz organisiert. Wir haben Expertinnen und Experten eingeladen uns, der Zivilgesellschaft und der Politik dabei zu helfen. Dass wir dies im Berliner Abgeordnetenhaus tun, ist einem gemeinsamen Interesse geschuldet. Hier geht es um eine neue Form der Stadtpolitik, die sozialer Segregation entgegen wirkt.“ (Melanie Kotti & Co./Sozialmieter.de, 13.11.2012)
Im Programm zur Veranstaltung werden die folgenden Äquivalenzketten zwischen verschiedenen thematischen Schwerpunkten und Forderungen formuliert: /Sofortmaßnahmen gegen Verdrängung und Vertreibung/ = /Nachhaltige Lösungen für Sozialen Wohnungsbau/im Sinne der Mieter*innen/ = /Reformen und breite gesellschaftliche Debatte zu Berliner Stadtentwicklung und sozialem Wohnungsbau/
3
Abgeordnete aller Fraktionen im Abgeordnetenhaus und auch Ephraim Gothe, Staatssekretär für Stadtentwicklung, sind unter den Teilnehmenden.
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= /Steuerungs- und Kontrollinstrumente/ = /bezahlbarer Wohnraum/ = /ReKommunalisierung/ (vgl. Kotti & Co/Sozialmieter.de 2012: 8ff.). Eine erste Anrufung richtet sich an die sozialen Subjektpositionen der /Mieter*innen/ und die zweite Anrufungskette fokussiert /Expert*innen/ = /Politik/ = /Verwaltung/ = /Wohnungswirtschaft/ (vgl. Kotti & Co/Sozialmieter.de 2012: 9). In einer dritten Anrufungskette werden /alle, denen es darum geht, Lösungen im Sinne der Mieter*innen zu finden und jene, die in der Verantwortung für die Zukunft der Stadt stehen/ adressiert. Der Aufruf im Begleitheft zur Konferenz wird unterzeichnet von der /Mietenpolitische-Dossier-Gruppe, und dabei insbesondere von /Kotti & Co/ = /sozialmieter.de/ = /Architekt*innen/ = /Stadtplaner*innen/ = /Sozialwissenschaftler*innen/ = /Künstler*innen/ = /Journalist*innen/ (vgl. Kotti & Co/Sozialmieter.de 2012: 30). Als verbindendes Element werden die gemeinsamen Forderungen für /dringend benötigte Reformen und eine breite gesellschaftliche Debatte über die Berliner Stadtentwicklung und die Bedeutung des /Sozialen Wohnungsbaus/ angeführt (vgl. Kotti & Co/Sozialmieter.de 2012: 30). Als politische Metasubjektivität wird auch hier eine breite /Berliner Mieter*innenbewegung/ adressiert. Der Mangelsignifikant /Wohnraumkrise/ fungiert als vereinender Bezugspunkt für die unterschiedlichen Subjektpositionen und Forderungen und wird näher bestimmt durch den /Wegfall der Anschlussförderung und das Berliner Wohnraumgesetz/ sowie die /Kosten der Unterkunft im Sozialen Wohnungsbau/ (Kotti & Co/ Sozialmieter.de 2012: 30). Als Mangelsignifikanten und Protestursachen werden /Ineffektives politisches Handeln/ = /Konzeptlosigkeit/ = /Entscheidungen ohne Mieter*innen/ = /Mietsteigerungen/ = /Verdrängung/ angeführt und weiterführend /Modernisierungen/ = /Abriss/ = /Ferienwohnungen/ als Ursache für die /Vertreibung/ und /Verdrängung/ der Bewohner*innen /aus ihrem Zuhause und aus ihren zur Heimat gewordenen Kiezen/ (vgl. Kotti & Co/Sozialmieter.de 2012: 8). Auch wenn die derzeitige Regierung „kaum Antworten“ hat, sei das Problem nunmehr auf der politischen Agenda vertreten und werde nicht „verschwiegen oder ignoriert, wie in den Jahren zuvor“, was jedoch in erster Linie der Verdienst der „Zivilgesellschaft“ sei, die mit einer Vielzahl von Aktionen auf die /dramatische Lage/ aufmerksam gemacht hat (vgl. Kotti & Co/Sozialmieter.de 2012: 30). In einer weiteren angeführten Mängelkette wird im Hinblick auf die /wachsende Stadt/ = /Verdrängung/ = /Innenstadt/ = /soziale Mischung/ = /Toleranz/ vs. /Stadtrand/ = /Intoleranz/ = /Rassismus/ hervorgehoben (vgl. Kotti & Co/ Sozialmieter.de 2012: 8). Sowie auf den /Missbrauch von Steuersubventionen in Milliardenhöhe/ im bisherigen Programm des sozialen Wohnungsbaus in Berlin. Als Verantwortliche dafür werden die Subjektpositionen /Politik/ = /Verwaltung/ = /Wohnungswirtschaft/ benannt und den Bedürfnissen der /Mieter*innen/ gegenübergestellt. Als vereinende Dislozierungserfahrungen fungieren die /Auswir-
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kungen der Wohnraumkrise/. Einen positiven Bezugspunkt stellt eine gemeinsame Vision der /Zukunft der Stadt/ sowie die /Erfolge der Zivilgesellschaft/, nämlich /Probleme auf die politische Tagesordnung zu bringen und damit auf den /politischen Willen der Verantwortlichen/ einzuwirken ernsthafte politische Mittel zu entwickeln, die über die Simulation von Sorge hinausgehen (vgl. Kotti & Co/ Sozialmieter.de 2012: 8). In vier Arbeitsgruppen diskutieren die Teilnehmenden mit Expert*innen aus Rechtswissenschaften, Sozialwissenschaften und Ökonomie vorbereitete Konzepte und Vorschläge. Am Ende des Tages werden Ergebnisse aus den Arbeitsgruppen dem Senat und dem Abgeordnetenhaus als eine Art ‚Forderungskatalog‘ vorgelegt. Im Fokus steht die Diskussion beziehungsweise das Erarbeiten machbarer Alternativen für die /Zukunft des Sozialen Wohnungsbaus/ für eine /Anschlussförderung/ = /Kosten der Unterkunft = /Kostenmiete/ = /Re-Kommunalisierung/. Beispielsweise wird das Modell ‚revolvierender Fonds‘4 als mögliches Instrument zur Überführung der Häuser am Kottbusser Tor in die Selbstverwaltung diskutiert, aber auch als Modell für den Sozialen Wohnungsbau insgesamt (vgl. Kotti & Co/Sozialmieter.de 2012: 22ff.). Die Konferenz erarbeitet einerseits pragmatische politische Alternativen und formuliert anderseits explizit eine Kritik derzeitiger politischer Entscheidungsprozesse und ihrer tragenden Akteur*innen in Politik und Verwaltung, die nun zum Handeln aufgefordert werden. Dadurch, dass sich die ‚Betroffenen‘ einen Raum im städtischen Parlament temporär aneignen, wird das herkömmliche Format politischer Beteiligung quasi umgekehrt. Die damit verbundene Botschaft ist einerseits eine klarformulierte Kritik an den Defiziten des derzeitigen wohnungspolitischen Kurses. Andererseits wird der politische Wille illustriert, über konkrete, praktikable Vorschläge und Konzepte die politischen Entscheidungsträger*innen verstärkt in die Pflicht zu nehmen. 5.1.4
Wir bleiben alle!
Seit der ‚Mietenstopp-Demonstration‘ gibt es nahezu wöchentlich kleinere und größere stadtpolitische Demonstrationen und Aktionen. Sozialkürzungen, Privatisierungen, steigende Mieten, Verdrängung und Zwangsräumungen werden zu einem gemeinsamen Mobilisierungsfaktor – gleichsam für „Hausbesetzer, Migranten und Rentner“ (RBB Abendschau, 22.09.2012). Das Wir bleiben alle-Bündnis
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Bei einem revolvierenden Fond wird dessen Kapitalstock durch die zurückfließenden Darlehensraten, der mit diesem Geld finanzierten Projekte, fortlaufend aufgefüllt. So können immer neue Projekte finanziert werden. Ab einer bestimmten Größe trägt das Fördermodell sich selbst unabhängig von weiterem Geldzufluss von außen.
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(WBA), hauptsächlich bestehend aus Hausprojekten und Wagenplätzen, spielte dabei eine gewichtige Rolle. Waren die Teilnehmenden bei der WalpurgisnachtDemonstration ‚Wir bleiben alle! Gegen Mieterhöhung, Gentrifizierung und Vertreibung linker Projekte‘ am 30. April 2011 in Berlin-Mitte und Prenzlauer Berg noch hauptsächlich dem linksradikalen Spektrum zuzuordnen, so hatte sich das Spektrum der Demonstrierenden bei der großen Lärmdemonstration ‚Wir bleiben alle! Mitten drin statt Außen vor!‘ am 22. September 2012 wesentlich erweitert. Unbestritten ist die Walpurgisnacht-Demonstration seit jeher ein Protestmedium linksradikaler Assoziationen in Berlin und wird auch nach wie vor von diesen getragen. Doch wo liegen die Ursachen dafür, dass die großen stadtpolitischen Demonstrationen mittlerweile auf einer breiteren gesellschaftlichen Basis stehen? Es mag einerseits daran liegen, dass die stadtpolitischen Folgen der sich weiter zuspitzenden Wohnungskrise immer deutlicher werden. Anderseits macht sich der kontinuierliche Protest der unterschiedlichen Initiativen und deren Errungenschaften bemerkbar. Die scheinbar simple Botschaft lautet ‚Protest kann etwas bewirken‘. Das ehemals improvisierte Geçekondu von Kotti & Co ist mittlerweile mit einem beheizten laubenähnlichen Bau zu einem festen stadtpolitischen Treffpunkt und einer Art ‚Sozialen Zentrum‘ geworden. Die von Migrant*innen angeführte Nachbarschaftsinitiative ist sehr präsent in den Medien und auch Gegenstand zahlreicher Studien und Forschungsprojekte. Der in Pankow für einige Monate besetzte Senior*innen-Treff wird zu einem lokalen zu einem überregionalen medialem Ereignis (vgl. Connolly, 20.07.2012; The Australian, 04.08.2012, NBC News, 07.08.2012).5 Es handelt sich dabei außerdem um eine der wenigen erfolgreichen Hausbesetzungen in Berlin, die in den letzten Jahren überhaupt zugelassen wurden – abgesehen von der stillen Besetzung einer ehemaligen Eisfabrik an der Spree in Kreuzberg durch obdachlose bulgarische Migrant*innen im November 2014 und den Besetzungen der Gerhard-Hauptmann-Schule in der Ohlauer Straße in Kreuzberg durch Geflüchtete (vgl. Kap. 5.4). In Berlin Friedrichshain schließen sich im August 2012 in der Palisadenstraße 41–46 eine Gruppe von Senior*innen zu den Palisaden-Panthern zusammen, um gegen die Verdoppelung ihrer Miete von sechs Euro auf zwölf Euro pro Quadratmeter zu protestieren. Diese Gruppen führen nun im September 2012 die Lärmdemonstration ‚Wir bleiben alle! Mitten drin statt Außen vor!‘ an und rufen zur Teilnahme an diesem Protestmarsch auf. Und tatsächlich sind dieses Mal auch viele Senior*innen unter den knapp 500 Demonstrationsteilnehmer*innen zu sehen. Offensichtlich werden also mehr Menschen vom Protest angesprochen, fühlen sich betroffen oder solidarisieren sich mit Betroffenen.
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Ein umfassender Pressespiegel zur Berichterstattung um die Stille Straße findet sich auf der Website (vgl. Stille Straße 2012).
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Auch unter den Demonstrationsteilnehmer*innen ist Ali Gülbol, dessen Familie nach 17 Jahren die Wohnung gekündigt wurde. In einem Aufruf zur Blockade der Räumung von Stadtvernetzt heißt es: „Zwangsräumungen sind der unmittelbar brutalste Ausdruck einer aggressiven Mieterhöhungs- und Verdrängungswelle gegen einkommensschwache Bevölkerungsschichten.“ (nk44.blogsport, 06.12.2012) Das Bündnis Zwangsräumung Verhindern kann die Räumung der fünfköpfigen Familie in der Lausitzer Straße 8 zwar am 22. Oktober 2012 einmal verhindern, zum zweiten Termin am 14. Februar 2013 letztlich aber nicht aufhalten. Dennoch kommen circa 1000 Unterstützer*innen zur Blockadeaktion. Das Großaufgebot von mehr als 400 Polizist*innen und einem Hubschrauber wird als unverhältnismäßige Durchsetzung privater Profitinteressen durch die zuständigen Behörden mittels zweifelhafter Methoden skandalisiert. Das Bündnis Zwangsräumungen verhindern wird zu einer wichtigen Anlaufstation für zahlreiche von Zwangsräumungen bedrohte Mieter*innen. Oft beteiligen diese sich auch an den Unterstützungs- und Blockadeaktionen zu Gunsten anderer Betroffener. Besonders tragisch ist der Fall von Rosemarie F., einer 67-jährigen Rentnerin, die einige Tage nach der Zwangsräumung aus ihrer Wohnung in Reinickendorf am 11. April 2013 verstarb. Der Räumungstitel wird entgegen ärztlicher Atteste, Mietzahlungsgarantien lokaler Behörden sowie Vermittlungsversuche und Proteste des Bündnisses durchgesetzt. Sie selbst beteiligt sich zuvor an Protesten gegen die Zwangsräumung einer Familie in Neukölln (vgl. auch Nowak 2014: 43ff.). Solcherlei Ereignisse beeinflussen die Proteste in Berlin nachhaltig, sodass nunmehr stadtpolitische Themen die inhaltliche Ausrichtung zahlreicher Demonstrationen dominieren. Seit 2012 gehen die Walpurgisnacht-Demonstrationen durch Berlin-Wedding und machen /Mieten/ = /Verdrängung/ = /Gentrifizierung/ = /Rassismus/ = /soziale Kürzungen/ zu ihren Kernthemen. Zur gleichen Zeit etabliert sich auch auf den ‚Revolutionären 1. Mai Demonstrationen‘, die durch Kreuzberg und Neukölln gehen, ein mietenpolitischer Block hauptsächlich getragen von Kiezinitiativen und subkulturellen Projekten, die von Räumung bedroht sind, wie beispielsweise der offene, selbstorganisierte Jugendtreff Kirche von Unten sowie von selbstverwalteten Hausprojekten, wie der Linienstraße 206 und der Brunnenstraße 6/7 oder dem Wagenplatz Rummelplatz. Darüber hinaus organisiert Kotti & Co zwischen 2012 und 2015 über 30 Lärmdemos, zu denen Nachbar*innen und auch die oben genannten Gruppen lautstark auf Töpfe und Pfannen schlagend durch den Kiez rund um das Kottbusser Tor ziehen. In den Slogans werden die gemeinsamen Schnittmengen artikuliert: ‚Die Miete ist zu hoch‘; ‚Keine Rendite mit der Miete!‘; ‚Gegen den Ausverkauf der Stadt‘; ‚Hoch mit den Löhnen, runter mit der Miete.‘ Mit den Protesten rund um die Räumungsversuche der Kleingärten in der Beermannstraße 24 und der letzten Wohnungen in der Beermannstraße 20 und 22 in Berlin-Treptow im Zuge der A100-Verlängerung, der von Geflüchteten besetzten
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Gerhart-Hauptmann-Schule in der Ohlauer Straße (vgl. Kap. 5.4) und des Camps von Bauwagen, Zelten und Hütten auf der Cuvry-Brache in Kreuzberg wird das Thema Besetzungen virulent. Eine zentrale Rolle spielt dabei das Aktionsbündnis Besetzen statt Räumen. Es wird versucht verschiedene stadtpolitische Proteste und Problemlagen miteinander zu verbinden und Besetzungen nicht nur als subkulturelle politische Aktionsform, sondern als selbstermächtigende Antwort auf die Berliner Wohnungsnot auf eine breite Basis zu stellen, was sich auch in der Kombination von Slogans im Mobilisierungsaufruf ausdrückt: „Wohnraum statt Autobahn. Solidarität statt Rassismus.“ (Besetzen statt Räumen 2015) Das Bündnis ist aus einer Arbeitsgruppe des Berliner Ratschlags hervorgegangen. 5.1.5
Berliner Ratschlag
Unter der gemeinsamen thematischen Klammer ‚Wem gehört die Stadt?‘ treffen sich vom 4.–6. April 2014 in Berlin circa 150 Aktive aus verschiedensten stadtpolitischen Initiativen und Bündnissen zum Berliner Ratschlag. Diesem Vernetzungstreffen gingen eine Reihe Informations- und Mobilisierungsveranstaltungen voraus. Insgesamt nimmt es mehr als ein halbes Jahr an Vorbereitungen in Anspruch, den Berliner Ratschlag zu organisieren. Inspiriert vom Hamburger Recht auf StadtNetzwerk war der Versuch, eine ähnlich breit aufgestellte Vernetzung in Berlin zu initiieren, wie sie zwar in den vergangenen Jahren immer wieder thematisiert, aber bis dato nicht in die Tat umgesetzt worden. Nach den zahlreichen Demonstrationen, die von einem weiten Spektrum stadtpolitischer Initiativen und Bündnisse getragen werden, einer Aktionswoche im Frühjahr 2013 und dem ‚European Action Day of Affordable Housing‘ im November 2013 erscheint ein solcher Schritt nun nicht nur möglich, sondern auch angebracht, um den vielfältigen städtischen Protest besser zu koordinieren (vgl. Berliner Ratschlag 2014). Der Berliner Ratschlag wird als Netzwerk und Plattform ins Leben gerufen. Es werden keine konkreten Forderungen formuliert, um ein möglichst weites Spektrum städtischer Protestbewegungen anzusprechen und Anknüpfungspunkte offen zu halten. Dafür werden hingegen klare Mangelstrukturen und entsprechende Äquivalenzketten herausgestellt. Als übergreifender Bezugspunkt dient der als Frage formulierte Slogan ‚Wem gehört die Stadt?‘ und die allgemeinen Forderungen ‚Stadt für alle‘ und ‚Verdrängung stoppen‘ (vgl. Berliner Ratschlag 2014). Im Einladungsflyer für das konstituierende Netzwerktreffen wurden folgende Äquivalenzketten gebildet, um die Heterogenität des stadtpolitischen Widerstandes zu illustrieren: /immer mehr Menschen wehren sich/ = /gemeinsam Miete senken/ = /am Kottbusser Tor haben Mieterinnen und Mieter zuletzt gemeinsam die Miete gesenkt/ = /gegen Zwangsräumungen gibt es Blockaden/ = /Volksbegehren sozial / = /Andere starten Volksbegehren für ein soziales und ökologisches Stadtwerk/ =
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/gegen die Bebauung des Tempelhofer Feldes/ = /in vielen Vierteln von Berlin sind Initiativen aktiv und setzen sich für ihre Interessen ein/ (vgl. Berliner Ratschlag 2014). Als verbindendes Element der verschiedenen Proteste wird eine inklusive, nicht ausschließende Stadtplanung formuliert, die nicht top-down organisiert ist: „Wir wollen ein Berlin, in dem alle Menschen gemeinsam leben können und welches nicht von oben geplant und durchgesetzt wird.“ (vgl. Berliner Ratschlag 2014) Der Aufruf richtet sich an ein möglichst weites Spektrum unterschiedlicher sozialer und politischer Subjektpositionen. Eine erste Anrufung richtet sich an „alle Menschen, welche nicht zusehen wollen, wie Berlin immer weiter kommerzialisiert wird und sich gemeinsam wehren wollen“ (vgl. Berliner Ratschlag 2014). Signatoren des Aufrufs sind achtzehn nachbarschaftliche Initiativen und stadtpolitische Bündnisse.6 Die /Stadtbewohner*innen/ werden als selbstermächtigendenes politisches Metasubjekt unter dem gemeinsamen positiven Bezugspunkt ‚Berlin für alle‘ artikuliert (vgl. Berliner Ratschlag 2014). Im Aufruf und Programm des Berliner Ratschlags bildet ein „von oben an Bedürfnissen vorbei geplantes Berlin“ den negativen Bezugspunkt als generalisierender Mangelsignifikant. Spezifiziert wird dieser Kontext durch eine Auflistung verschiedener Mangelerfahrungen: /die Mieten steigen/ = /Menschen wird der Strom abgeklemmt/ = /das Camp am Oranienplatz ist von einer Räumung bedroht/ = /es kommt immer wieder zu Zwangsräumungen/ = /die Lebensbedingungen von vielen Leuten in Berlin verschlechtern sich/ (vgl. Berliner Ratschlag, 27.01.2014). Dabei wird betont, dass es „keine radikale Minderheit [ist], die hier den Aufstand probt, sondern große Teile der Bevölkerung sind mit der stadt- und gesellschaftspolitischen Entwicklung unzufrieden“ (vgl. Berliner Ratschlag, 27.01.2014). Zur Illustration der heterogenen Betroffenheit werden verschiedene partikulare Protestschwerpunkte in einer Äquivalenzkette von allgemeinen Überbegriffen aufgezählt, die zum Teil durch weitere untergeordnete Äquivalenzketten noch genauer bestimmt werden: /städtische Infrastruktur/ genauer bezeichnet durch /Bildung/ = /Gesundheit/ = /Wohnen/ = /Ressourcen/ = /Mobilität/ wird verbunden mit /Ökologie/ = /Diskriminierung/ = /Rassismus/ = /Alternativmedien/ und /sozialer Sicherheit/ genauer bestimmt durch /Hartz IV/ = /prekäre Arbeitsverhältnisse/ = /Altersarmut/ (vgl. Berliner Ratschlag, 27.01.2014). Der Fokus liegt auf der solidarischen Verknüpfung entlang mannigfaltiger stadtpolitischer Mangelerfahrungen und entspre-
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Eingeladen zum Berliner Ratschlag haben die folgenden Gruppen: A100 Stoppen, Andere Zustände Ermöglichen, Berliner Energietisch, Bündnis Solidarische Stadt, Café Reiche, GSW23, ID kritische Medienpraxis, Interventionistische Linke Berlin, Karla Pappel, Kotti & Co, Mietenpolitisches Dossier, Palisadenpanther, Steigende Mieten stoppen!, Studis gegen hohe Mieten, KUBI KLiZ e. V. – Mieterladen, Wem gehört Kreuzberg?, Wir bleiben alle, Bündnis Zwangsräumung Verhindern (vgl. Berliner Ratschlag 2014).
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chender Proteste, die über die Mangelsignifikanten /Vereinzelung/ = /Existenzängste/ = /Misstrauen/ in ihrem Verhältnis zueinander genauer bestimmt werden (vgl. Berliner Ratschlag, 27.01.2014). Diese verschiedenen Dislozierungserfahrungen bilden den stadtpolitischen Kontext für den Versuch einen leeren Signifikanten einzuführen, der diese verschiedenen Proteste unter der gemeinsamen Klammer ‚Wem gehört die Stadt?‘ in einer ‚stadtweiten Vernetzung‘ zu einer ‚Politik von Unten‘ verbindet: „Es geht mehr darum, strategisch gemeinsam zu überlegen, wie wir uns in den verschiedenen Einzelkämpfen solidarisch gegenseitig stärken können, um erfolgreich zu sein, um insgesamt wirkungsmächtiger in dieser Stadt zu werden; ein [sic!] Ort der Begegnung zu schaffen, an dem spürbar Vereinzelungen aufgebrochen und Existenzängste ernst genommen und verhindert werden können; durch persönliches Kennenlernen Mißtrauen [sic!] abzubauen […] und zu einem unübersehbaren stadtpolitischen Faktor – organisiert von unten – werden.“ (Berliner Ratschlag 2014)
Auffällig ist hierbei die Kampf-Semantik, die sich durch die Aufrufe zieht, aber auch kritisch auf der Konferenz hinterfragt wird. Der Berliner Ratschlag versteht sich als gegenhegemoniales Projekt, das darauf zielt eine Organisation alternativer stadtpolitischer Akteur*innen unter einen kleinsten gemeinsamen Nenner zu bringen beziehungsweise diese gemeinsame Suche nach einem leeren Signifikanten zu starten. Die Auftaktveranstaltung selbst ist geprägt durch eine offene und horizontale Organisationsstruktur. An den Seiten des 1960er-Jahre-Baus sind Informationsstände und Pinnwände aufgebaut, an denen die Ergebnisse aus den Arbeitsgruppen auf großen Papierbögen angeheftet werden. Plakate und Transparente hängen an den Wänden und von den Brüstungen. Besonders während der ‚Kennenlernphase‘ und der ‚Arbeitsgruppenphasen‘ wird die weite, offene und horizontale Architektur des Unigebäudes ausgenutzt, um miteinander darüber ins Gespräch zu kommen, wie ein stadtweites Netzwerk verschiedener stadtpolitischer Gruppen aussehen könnte. Horizontale Moderationsmethoden wie World Café und Open Space sollen dies unterstützen. Die weitere Arbeit wird zusammen auf Basis der Themen strukturiert, die während des World Café aufgebracht und von den Moderator*innen protokolliert werden. Es konstituieren sich verschiedene Workshops, die sich beispielsweise mit einem gemeinsamen Selbstverständnis und Grundkonsens auseinandersetzen, die Fragen der Organisation und Koordination der Zusammenarbeit behandeln oder auf inhaltlich-praktische Aktionen und Synergien zwischen unterschiedlichen Initiativen ausgerichtet sind. Über den gesamten Tag hinweg werden die Diskussionen in intensiver Gruppenarbeit fortgeführt.
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Nach der konstituierenden Veranstaltung trifft sich der Berliner Ratschlag einmal monatlich an wechselnden Orten – meist in Nachbarschaftstreffs oder Vereinsräumen. So wird über eine kontinuierliche Kommunikationsstruktur ein stadtweites Aktionskoordinationsnetzwerk entwickelt, aus dem heraus einzelne Initiativen unterstützt werden, wie beispielsweise das Volksbegehren 100% Tempelhofer Feld (vgl. Kap. 5.2), Aktionen vom Bündnis Zwangsräumungen verhindern oder das von einer Zwangsräumung bedrohte Kulturzentrum Allmende. Haus alternativer Migrationspolitik und Kultur. Über die am Anfang beteiligten Initiativen hinaus ist das Netzwerk jedoch in den folgenden Monaten nicht gewachsen. Auch die Teilnahme an den regelmäßigen Treffen hat mit der Zeit nachgelassen. Dennoch sind neue Assoziationen zustande gekommen, wie Besetzen statt Räumen und Stadt von Unten (vgl. Kap. 5.2), die versuchen sich auf eine wesentlich breitere Basis zu stellen und Aktionen und Mobilisierungen über den E-Mail-Verteiler zu koordinieren.
5.2 STADTPLANUNG AUFHALTEN UND SELBER MACHEN Die sich zuspitzende Wohnraumkrise wirft auch die stadtplanerischen Fragen auf, wie mit Häusern im Bestand umgegangen wird und wie und wo Neubauprojekte auf den Weg gebracht werden können. Laut des Stadtentwicklungsplans, der am 8. August 2014 vom Berliner Senat beschlossen wurde, müssten Flächen für 215.000 neu zu bauende Wohnungen geschaffen werden, um dem prognostizierten Bedarf bis 2025 zu decken (vgl. SenStadtUm Berlin 2014: 8). Zwar wird bereits viel gebaut in Berlin, aber vor allem im profitablen Segment der Eigentumswohnungen und Luxusappartments (vgl. Holm 2014b, Voigländer 2017). Überall in der Stadt werden vorhandene Baulücken geschlossen.7 Die öffentliche Hand privatisiert Liegenschaften. Um neues Bauland zu erschließen werden Kleingartenanlagen dem Erdboden gleichgemacht (vgl. Kap. 5.1.2). Seit 2012 schlägt Stadtentwicklungssenator Michael Müller vor, brachliegende Friedhöfe zu Bauland und Grünflächen zu machen: „Das sind riesige Flächen, zum Teil in bester innerstädtischer Lage. Es wäre unverantwortlich, darüber nicht nachzudenken“ (vgl. Jürgens, 18.08.2014). Der Protest gegen Stadtplanung und den Umgang mit öffentlichen Flächen hat sich an zwei Punkten konzentriert: Zum einen wurden top-down organisierte Planungs- und Partizipationsprozesse am Beispiel des Tempelhofer Feldes aus der Perspektive der Initiative 100% Tempelhofer Feld (THF100) kritisiert und aufgehalten (Kap. 5.2.1), zum anderen hat die Initiative Stadt von Unten einen ambitionierten
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Baulücken sind nicht nur Erinnerungen an den Krieg, sondern haben auch das Berliner Stadtbild durch mannigfaltige Zwischennutzungen, beispielsweise mit nachbarschaftlichen Gemeinschaftsgärten, in den letzten Jahrzehnten geprägt.
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Vorschlag zu einer selbstermächtigenden Bottom-up-Planung von bezahlbarem Wohn- und Arbeitsräumen für das Dragoner-Areal in Kreuzberg durchgesetzt (Kap. 5.2.2).8 Beide Flächen versprechen sowohl profitable Möglichkeiten zum Bau von Eigentum, als auch zur Förderung bezahlbaren Wohnraums und illustrieren zusammen die Antagonismen der jeweiligen Stadtplanungsparadigmen. 5.2.1
Tempelhofer Feld
Nachdem 2008 der erfolgreiche Bürgerentscheid „Spreeufer für alle“ des Initiativenbündnisses Mediaspree Versenken formal in der Planung entlang der Spree, zwischen Elsenbrücke und Jannowitzbrücke, in Berlin Friedrichshain-Kreuzberg durch den Senat Berücksichtigung findet (vgl. Asmuth, 14.07.2008), erscheint der ehemalige innerstädtische Flughafen als nächste potenziell geeignete Fläche für größere Bau- und Stadtentwicklungsprojekte. Das riesige Gelände ist von Beginn der Stilllegung an Gegenstand von Auseinandersetzungen um den Zugang und die Nutzung. Im Folgenden wird kurz die Vorgeschichte zur Initiative 100% Tempelhofer Feld umrissen, deren Aktivitäten bis zum erfolgreichen Volksentscheid genauer rekonstruiert werden. Von der Parkeröffnung zum Masterplan Der Flughafen Tempelhof wird am 31. Oktober 2008 stillgelegt und es beginnt ein Ausschreibungsprozess durch die Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, in dem vielfältige Ideen zusammen getragen werden, was aus der 380 Hektar großen Fläche mitten in Berlin werden soll.9 Gleichzeitig findet sich bereits vor der Schließung das Initiativenbündnis Tempelhof für alle (TFA) zusammen und fordert im August 2008 aus dem riesigen Gelände ein „Stück wilde Natur“ zu machen, das „allen jederzeit offen steht“ (vgl. TFA, 19.08.2008). Vor der Eröffnung des Feldes als Park wird von der Initiative Squat Tempelhof im Kontext der ‚Action Weeks against Gentrification‘ des Wir bleiben alle-Bündnisses dazu mobilisiert die Zäune einzureißen und das Gelände mittels zahlreicher Aktionen zivilen Ungehorsams zu besetzen: „Wir haben ein Recht auf diese Stadt und auf dieses Gelände. Es gibt keinen Grund, warum vier Millionen Quadratmeter mitten in der Stadt eingezäunt werden.“ (WBA, 04.03.2009) Die Besetzungsaktion wird von einem massi-
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Es handelt sich dabei um zwei relativ große Liegenschaften in der Berliner Innenstadt, die sich in öffentlicher Hand befinden. Während das Tempelhofer Feld in den Verwaltungsbereich des Landes Berlin gehört, wird das Dragoner-Areal auf Bundesebene verwaltet. Damit kommen auch unterschiedliche Skalen des Protests zum Tragen.
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Das Tempelhofer Feld wird als „die größte innerstädtische Freifläche der Welt“ beschrieben (Stephan, 10.09.2012).
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ven Großaufgebot der Polizei verhindert.10 Der Park ist seit dem 8. Mai 2010 täglich von morgens bis abends zugänglich und nachts geschlossen. Tausende Menschen nutzen die 355 Hektar ‚Tempelhofer Feld‘ täglich für die unterschiedlichsten Aktivitäten, beispielsweise für verschiedene Sportarten, urbanes Gärtnern oder Picknicks.11 Darüber hinaus werden kostenlose und kommerzielle Veranstaltungen durchgeführt (vgl. Kaschuba/Genz 2014). Abbildung 3: Masterplan Tempelhofer Freiheit
Quelle: SenBauWohn, Berlin 2013
10 Es werden mehr als 1.800 Polizist*innen eingesetzt, um die Besetzung zu verhindern, darunter auch Hundestaffeln, berittene Einheiten, Wasserwerfer und ein Helikopter (Morgenpost, 20.06.2009). 11 Die Verwaltung und Bewirtschaftung des Parks übernimmt die landeseigene Grün GmbH Berlin, die zur Sicherung und Überwachung der festen Schließzeiten den privaten Sicherheitsdienst der Firma Dussmann beauftragt (Jacobs, 08.04.2010).
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Im Mai 2011 veröffentlicht der Berliner Senat erstmals seine Umstrukturierungspläne zur Nutzung und Bebauung des Tempelhofer Feldes. Diese werden mehrfach überarbeitet schließlich 2013 als ‚Masterplan Tempelhofer Freiheit. Freiraum für die Stadt von Morgen‘ vorgestellt (vgl. Abb. 3).12 Geplant ist in eine ‚Randbebauung‘ mit mehr als 5.000 Wohnungen, darunter Eigentumswohnungen an der Oderstraße und Mietwohnungen in den südlichen Quartieren an der Stadtautobahn und am Tempelhofer Damm. Ein weiteres Kernstück des Masterplans bildet der Neubau der Zentral- und Landesbibliothek am südwestlichen Ende des Tempelhofer Feldes. Darüber hinaus sollen neue Sportplätze und eine Schule am südöstlichen Ende gebaut werden, der Zentrale Omnibusbahnhof (ZOB) soll an das südliche Quartier angeschlossen werden, ebenso eine neue S-Bahn Haltestelle ‚Tempelhofer Freiheit‘. Auch an der Freifläche sollen Veränderungen vorgenommen werden und diese zu einem ‚Designer Park‘ umgestaltet werden. Vorgesehen sind ein weitläufiges Wasserbassin und ein Kletterfelsen. Es sollen Toiletten gebaut und neue Wege angelegt, sowie Bäume gepflanzt und Bänke aufgestellt werden. Insgesamt ist für die Umsetzung des Masterplans bis 2025 ein Budget von mehr als 280 Millionen Euro vorgesehen.13 Die Umstrukturierungs- und Finanzierungspläne der Senatsverwaltung rufen nach wie vor Protest hervor und werfen nicht nur die Fragen auf, wie das Feld gestaltet werden soll, sondern wie Stadtplanung und politische Entscheidungsfindungen im Allgemeinen in Berlin aussehen sollten. Die zahlreichen Beteiligungsforen und Partizipationswerkstätten, in denen der Masterplan vorgestellt und zur Disposition gestellt wird, ändern daran wenig. Vielmehr werden diese zu Arenen konfligierender stadtpolitischer Vorstellungen davon, was unter einer partizipativen, nachhaltigen und sozialen Stadtentwicklung zu verstehen ist. Die Senatsverwaltung und Planer*innen sehen sich mit einer engagierten Zivilgesellschaft konfrontiert, die Teilhabe an den Entscheidungen einfordert, auf Akzeptanz ausgerichtete Formate kritisiert und stattdessen eigene Gestaltungsvorschläge einbringt.
12 Besonders interessant erscheint hier neben der strategischen Verwendung des Begriffes ‚Freiheit‘ auch die des Begriffes ‚Freiraum‘, der selbstermächtigenden Diskursen der linksalternativen Subkultur entlehnt ist. Es wird hierbei deutlich, dass die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt eine diskursive Offensive startet, um ihre Diskurshoheit zu behaupten. 13 Allein für die Ausschreibung, Planung und die zahlreichen Beteiligungsformate werden bis zur Durchführung des Referendums im Mai 2014 bereits neun Millionen Euro ausgegeben (vgl. Loy, 11.07.2014).
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100% Tempelhofer Feld Im September 2011 bildet sich die Initiative 100% Tempelhofer Feld und beginnt gegen die geplante Privatisierung und Bebauung des Geländes zu mobilisieren. Die Bürgerinitiative gründet sich mit dem Ziel, die „Nachnutzungspläne des Senats im Wege eines Volksbegehrens zu kippen und eine Bebauung des Geländes zu verhindern“, das heißt, die bestehende Freifläche soll weder mit „Neubauten der Landesbibliothek, Wohn- und Gewerbeimmobilien, noch der Internationalen Gartenausstellung“ versehen werden (vgl. THF100, 19.09.2012). Ziel und zentrale Forderung an den Berliner Senat ist es, „das Tempelhofer Feld in seiner Einzigartigkeit und Qualität als Ort der Erholung, als kulturhistorisches Denkmal und als Schutzraum für Pflanzen und Tiere zu erhalten“ (vgl. THF100). Gregor, einer der Pressesprecher der Initiative, betont, dass versucht wird einerseits eine „Naturschutzrechtskonstruktion“ aufzubauen, doch „prinzipiell wird es eher darum gehen, wie man dauerhaft sichern kann, dass die Berliner Bevölkerung Gestaltungsspielraum beziehungsweise Gestaltungsmacht auf diesem Tempelhofer Feld hat“ (Gregor IB, 13.05.2013). In der Gruppe kämen „extrem unterschiedliche Menschen“ zusammen „vom ewigen Aktivisten bis hin zum alten Staatssekretär, von den Parteien bis zu den Autonomen“ (Gregor IB, 13.05.2013). Die Initiative trifft sich wöchentlich zu einem offenen Plenum, um das gemeinsame Vorgehen zu diskutieren und zu planen. Es gibt einen sich wandelnden festen Kern von circa 20 Aktiven. Entscheidungen werden im Konsens getroffen. Mit der Gründung des Vereins Demokratische Initiative 100% Tempelhofer Feld e. V. im Juni 2012 ändert sich dies ein wenig: „Leider hat dieser Verein auch viel Missgunst erzeugt. Wenn man auf einmal eine operative Gruppe hat, die Träger ist, die formal dafür zuständig ist, die sich gegenüber dem Plenum dann natürlich auch ein bisschen abhebt, das hat zu Argwohn geführt zum Teil. Also es gibt da so Probleme, Machtproblematiken, die man überall auch findet. Jetzt haben wir einen Verein, ein Plenum – der Verein als Träger des Gesetzentwurfs, das Plenum als Korrektiv und auch als Grundinitiative, als offene Struktur. Und dann haben wir noch ganz viele AGs.“ (Gregor IB, 13.05.2013)
Die Initiative hat nicht zuletzt durch die erfolgreiche Medienarbeit einen regen Zulauf und macht somit einige Transformationen durch. Dabei bleiben auch Spannungen nicht aus: „Es gibt ganz viele Störer (sic!). […] Man will unbedingt jeden (sic!) bekommen und gleichzeitig hat man vor jedem (sic!) auch ein bisschen Angst. Man muss auch ein bisschen aussortieren. Und aussortieren ist ja auch ein Tabu.“ (Gregor IB, 13.05.2013) Inhaltliche Auseinandersetzungen drehen sich hauptsächlich um die Frage, ob nicht doch eine Randbebauung mit sozialen Mieten und selbstverwalteten Strukturen einzuräumen wäre. Die Schaffung der formalen Strukturen
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durch die Vereinsgründung für die Umsetzung des Volksentscheids und die Einbringung des zugehörigen Gesetzesentwurfes werden richtungsweisend für den Protest. In der Vereinssatzung sind die Vereinsziele festgelegt, die schließlich auch in den Gesetzentwurf Eingang finden (vgl. THF100, 19.09.2012). Der Protest bezieht sich erster Linie auf ökologische Diskurse. Es ist die Rede vom „Einfluss auf das Stadtklima“, von der „grüne Lunge“, einem „einzigartigem Biotop“ und immer wieder wird die „unvergleichbare Weite“ des Tempelhofer Feldes in der Innenstadt hervorgehoben (vgl. THF100, 19.09.2012). Darüber kommen historische Diskurse zum Tragen, wenn das Feld als Erinnerungsort an den Nationalsozialismus und die Berliner Luftbrücke beschrieben wird. Schlussendlich wird auch auf sozioökonomische Diskurse Bezug genommen, wenn das Feld als ‚Allmende‘ oder ‚Commons‘ bezeichnet wird, als Treffpunkt und Kohäsionspunkt der Stadtbewohner*innen; als Freiraum und Möglichkeitsraum für selbstorganisierte Gruppen. Dabei werden auch die derzeit vergleichsweise minimalen Betriebskosten mit den immensen Investitionskosten des Masterplans kontrastiert. Besonders bei den öffentlichen Veranstaltungen und Formaten von ‚Bürgerbeteiligung‘14 kommt es zum inhaltlichen Schlagabtausch zwischen den Aktiven von 100% Tempelhofer Feld und der Senatsverwaltung hinsichtlich der Pläne und des Planungsprozederes. Bei der ‚Standortkonferenz Tempelhofer Feld‘ am 6. März 2013 in der ehemaligen Abfertigungshalle des Flughafens stellen sich Stadtentwicklungssenator Müller und die Planer*innen der Bevölkerung, um die im Masterplan vorgesehenen Baumaßnahmen zu diskutieren. Die Veranstaltung ist mit annähernd 500 Menschen gut besucht. Drei Stunden sind dafür vorgesehen – davon ist eine Stunde der Präsentation des Masterplans gewidmet, eine Stunde lang soll in drei verschiedenen Foren der Masterplan, die Parklandschaft und der Wohnungsbau diskutiert werden, abschließend ist die Diskussion der Ergebnisse aus den Foren in großer Runde vorgesehen. Der Bausenator und auch das Planungsbüro werben für den Masterplan. Der Pressesprecher der Initiative 100% Tempelhofer Feld, Julius Dahms, spricht sich für die Erhaltung des Feldes aus und holt zum Rundumschlag aus: Kritisiert wird, dass es keine ‚echte beteiligende Mitgestaltung‘ am Planungsprozess gegeben habe, Entscheidungen seien elitär und jenseits von Konsens gefallen. Beteiligungsveranstaltungen funktionierten derzeit vielmehr als Instrumente zur Legitimierung bisher gemachter Planung, die als alternativlos dargestellt werden würden, als dass sie einen ergebnisoffenen Entscheidungsprozess darstellten. Für die Konferenz fordert er eine vierte Themengruppe, die das ‚große Ganze‘, also den Masterplan selbst, hin-
14 Das Konzept der ‚Bürger*innenbeteiligung‘ wird teilweise als zu eng kritisiert und abgelehnt, da es beispielsweise Menschen ohne Status, die in Berlin leben, grundsätzlich diskursiv ausschließe (vgl. RandNotizen 2014: 8f.).
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terfragt, da sich die vom Senat vorgesehenen Diskussionsforen nur Teilgebieten widmen. Die Politik orientiere sich an Investor*innen und nicht an den Bedürfnissen der Bewohner*innen. Hier treffen Überlegungen zum Gemeinwohl auf Privatinteressen, daher ginge es der Initiative um die Frage ‚Wem gehört die Stadt – der Bevölkerung oder der Lobby?‘. In der Abschlussdiskussion läuft es auf die Frage hinaus, ob jetzt hier wirklich gebaut werden muss. Michael Müller betont in seinen Schlussworten, dass die Diskussion erst begonnen habe und im Internet sowie in der sechsstündigen ‚Stadtwerkstatt Tempelhofer Freiheit‘ drei Tage nach der Standortkonferenz am 9. März 2013 fortgeführt wird. Alle Beteiligten sind sich darin einig, dass mit dem Tempelhofer Feld der Kurs für die ‚Stadt von Morgen‘ entschieden wird. Die Initiative 100% Tempelhofer Feld geht in den folgenden Monaten in die Offensive. Mit einer Vielzahl von Aktionen und Beiträgen auf Demonstrationen, Kundgebungen, Diskussionsrunden, stadtweiten und lokalen Veranstaltungen gelingt es eine breite Öffentlichkeit zu mobilisieren. Die Initiative ist auch mit anderen Berliner Bewegungen vernetzt, beispielsweise mit dem Berliner Energietisch, East Side Gallery Retten, A100 Stoppen und ist involviert in das Wir bleiben alleBündnis und das Berliner Ratschlag-Netzwerk. Nahezu täglich stehen Aktive an den Ein- und Ausgängen zum Park und verteilen Informationsmaterialien zum Bürgerentscheid und den Plänen des Senats. Luftballons, Sticker und T-Shirts sind bald auf dem ganzen Feld und in weiten Teilen der Stadt zu sehen. Der Protest professionalisiert sich. Es werden Imagefilme zur Verbreitung im Internet und Werbespots für Kinos gedreht. Dabei wird auch Anschluss an virale Medienevents gesucht, wie beispielsweise an Pharell Williams Videoclip zum Song ‚Happy‘, der weltweit Resonanz findet und in verschiedenen Kontexten interpretiert wird.15 Filmclips wie ‚Rettet das Tempelhofer Feld‘, die im Vorfeld des Volksentscheides veröffentlicht werden, portraitieren Menschen in ihrer individuellen Nutzung des Feldes. Dabei stehen immer wieder die vielseitigen Möglichkeiten, Weite, Gemeinschaft und Natur im Zentrum, und dass das Feld unbebaut, zentral und leicht zugänglich ist. Es fühle sich nicht an wie Stadt, sondern wie „Urlaub am Meer“ und biete „Luft zum Atmen“ (vgl. Rettet das Feld, 06.05.2014). Das Verfahren Um das formelle Verfahren zum Volksentscheid in Gang zu setzen, werden ein Verein gegründet und Unterschriften gesammelt, als notwendige Voraussetzung ei-
15 In der ‚Tempelhofer Feld-Edition‘ wird ein Querschnitt der Menschen auf dem Feld inszeniert. Es wird getanzt, Skateboard und Einrad gefahren und jongliert. Zu sehen sind Menschen allen Alters und unterschiedlicher Milieus, auf dem Rollfeld, in den Wiesen und den Gemeinschaftsgärten (vgl. Spektralfarben, 18.04.2014).
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nes Volksentscheids.16 Im September 2013 sind die benötigten Stimmen zusammen gekommen und das Abgeordnetenhaus von Berlin erklärt die Volksinitiative für zulässig. Innerhalb von vier Monaten werden, bis Januar 2014, in einem nächsten Schritt 185.328 gültige Unterschriften zur Einleitung des Volksbegehrens gesammelt. Überall in der Stadt liegen Unterschriftenlisten aus und Informationsstände mit Unterstützer*innen stehen an U- und S-Bahnhöfen.17 Der eigentliche Volksentscheid wird am 25. Mai 2014 im Kontext der EU-Parlamentswahlen durchgeführt.18 Abgestimmt wird dabei über zwei Gesetzesentwürfe: Erstens den Masterplan des Senats mit dem ‚Gesetz zum Erhalt der Freifläche des Tempelhofer Feldes‘, wonach mindestens 230 Hektar unbebaut bleiben; zweitens das ‚Gesetz zum Erhalt des Tempelhofer Feldes‘, dass eine Bebauung völlig ausschließt.19 Sowohl der Senat als auch die Initiative geben an im Interesse der ganzen Stadt zu argumentieren, wobei letztere mit dem Slogan ‚Uns gehört die Stadt‘ Anschluss zu anderen Protesten sucht und die Bedeutung des Volksentscheids für die städtischen sozialen Bewegungen hervorhebt (vgl. WBA, 23.04.2014). Im Vorfeld zum Volksentscheid wirbt der Berliner Senat für seine Planung und startet hingegen eine ‚StillstandKampagne‘, bei der er sich strategisch gegen die Forderungen von 100% Tempelhofer Feld abgrenzt. Dabei wird mit Plakaten und in Interviews versucht den Gesetzesentwurf gegen eine Bebauung des Tempelhofer Feldes zu delegitimieren und die Forderungen als destruktiv, das heißt als Stillstand für die Stadtentwicklung darzustellen (vgl. Abb. 4). Das ‚Gesetz zum Erhalt des Tempelhofer Feldes‘ (ThF-Gesetz) betont eine natürliche, kulturelle, soziale und historische Wertigkeit, die sich sowohl in der Heterotopie der Bedeutung und Nutzung des Feldes zeigt, als auch in der Entkoppelung von finanziellen Mitteln als Investitions- und Spekulationsobjekt. In einer Äquivalenzkette werden die Forderungen zur Bewahrung des Feldes spezifiziert und damit
16 Als erster Schritt ist eine Volksinitiative zu initiieren, die anschließend mindestens 20.000 Unterstützungsunterschriften sammeln muss. Teilnahmeberechtigt sind hierbei alle Bürger*innen ab 16 Jahren, deren alleinige Wohnung oder alleiniger Hauptwohnsitz in Berlin liegt. Staatsangehörigkeit oder Wahlberechtigung spielen keine Rolle. 17 Unterschriftsberechtigt sind hierbei alle Bürger*innen ab 18 Jahren, die mindestens drei Monate mit Hauptwohnsitz in Berlin gemeldet sind (vgl. Die Landesabstimmungsleiterin Berlin 2011: 7). 18 Es dürfen sich an der Abstimmung ausschließlich Menschen mit der deutschen Staatsbürgerschaft beteiligen (vgl. Die Landesabstimmungsleiterin Berlin 2011: 11). Nicht abstimmungsberechtigt hingegen sind in Berlin gemeldete Äusländer*innen sowie Menschen ohne Papiere, was von der Initiative kritisiert wird (vgl. Amjahid, 12.05.2014). 19 Die Stimmzettel sorgen für Verwirrung, da gleichzeitig für beide Vorschläge mit ‚Ja‘ gestimmt werden kann (vgl. Zylka, 09.05.2014).
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der Fokus der Argumentation für die Ausrichtung des Volksentscheids bestimmt: /innerstädtische Offenlandschaft/ = /wertvolles Landschaftsbild/ = /große, zusammenhängende Wiesenflächen/ = /den Schutz, die Erhaltung, Verbesserung und Pflege der Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes/ = /stadtklimatisch wirksame Ausgleichfunktion/ = /den Erhalt des eigentlichen Flugfeldes in seiner gesamten Größendimensionierung und Ausprägung mit seiner besonderen kulturhistorischen Bedeutung/ = /den Erhalt von und den angemessenen Umgang mit geschichtlichen Relikten aus der Zeit der NS-Herrschaft, als auf dem Tempelhofer Feld Konzentrations- und Zwangsarbeiterlager betrieben wurden/ = /die Ermöglichung solcher Erholungs- und Freizeitnutzungen, die den oben aufgeführten Zielen nicht widersprechen/ = /Anerkennung des Erholungsbedürfnisses der Bewohnerinnen und Bewohner im hochverdichteten Berliner Stadtgebiet/ (vgl. THF100, 14.06.2014). Der Slogan ‚Tempelhofer Feld für alle‘ fungiert als leerer, alle Forderungen verbindender Kontenpunkt, wobei das Feld als unkommerzielles Gemeingut, als Freiraum und Möglichkeitsraum artikuliert wird (vgl. THF100, 14.06.2014). Abbildung 4: Plakate ‚Volksentscheid Tempelhofer Feld‘
Quelle: SPD Berlin, Berlin 2014
Angerufen werden „alle Berliner*innen“ in ihrer sozialen Subjektposition als /Bewohner*innen/ und /Nutzer*innen/ und in ihrer als politischen Subjektposition als /(Stadt-)Bürger*innen/ und einer zweiten Anrufungskette richten sich die Forderungen an Politik und Verwaltung (vgl. THF100, 14.06.2014). Der Verein Demokratische Initiative Tempelhofer Feld e.V. fungiert als Signatorin des Aufrufes. Es wird eine antagonistische Kette zur Beschreibung der Planung des Senats gebildet: /Bebauung des Feldes/ = /Privatisierung/ = /Eigentumswohnungen/ = /(Nicht)Bezahlbarer Wohnraum/ = /Mietsteigerungen (im Umfeld)/ = /Lärmbeschwerden/ = /zu hohe Investitionskosten/ = /Großbauprojekt Landesbibliothek/ = /Designer-
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park/ (vgl. THF100, 14.06.2014). Zusammengefasst wird der Antagonismus in der Gegenüberstellung und Unvereinbarkeit von /Privatinteressen/ und /Gemeinwohl/ (vgl. THF100, 14.06.2014). Weitergehend wird die Frage formuliert ‚Wem gehört die Stadt?‘ und polarisierend zwischen den Metasubjekten /Bevölkerung/ und /Lobby/ differenziert (vgl. THF100, 14.06.2014). Die Initiative bringt die individuellen Mangelerfahrungen der Wohnraumkrise zusammen mit der Erfahrung der praktischen Aneignung des Feldes durch vielfältige Nutzung als Erholungsraum. Das Referendum ist letztendlich erfolgreich denn 64,3 Prozent der Wähler*innen stimmen für den Gesetzentwurf der Initiative 100% Tempelhofer Feld und erteilen damit der Planung des Senats eine Absage. Auf dem Tempelhofer Feld wird gefeiert. Das Gesetz tritt am 25. Juni 2014 in Kraft und das Feld bleibt wie es ist. Die Verwaltung des Feldes und des weiteren Beteiligungsverfahrens wird an den Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), Landesverband Berlin übergeben. Das erfolgreiche Referendum wird von den städtischen Bewegungen in Berlin als gemeinsamer Erfolg und als politisches Zeichen für ‚echte‘ Beteiligungsinstrumente interpretiert. Für den Berliner Senat bedeutet es in erster Linie eine Absage für seine konkrete Planung der ‚Tempelhofer Freiheit‘, aber auch für den stadtpolitischen Kurs insgesamt, besonders hinsichtlich einer Ausrichtung auf Investor*innen und wenig überzeugende Konzepte zur Schaffung von bezahlbarem Wohnraum. Ein Jahr später, im Mai 2015, kündigt der neue Regierende Bürgermeister Michael Müller an, der Volksentscheid sei nicht endgültig und die Diskussion um eine Randbebauung werde in naher Zukunft wiederaufgenommen (vgl. Rada/Schulz, 12.05.2015).20 5.2.2
Dragoner-Areal
Das Dragoner-Areal ist mit 4,7 Hektar hinter dem Finanzamt FriedrichshainKreuzberg – zwischen Mehringdamm, Yorckstraße, Großbeerenstraße und Obentrautstraße – eine der letzten großen innerstädtischen ‚Freiflächen‘.21 Die Liegenschaft wird verwaltet durch die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA), die unmittelbar dem Bundesfinanzministerium unterstellt ist. Damit unterliegen auch der Umgang und die Veräußerung des Grundstückes den gesetzlichen Vorgaben, wonach zum höchstmöglichen Gebot verkauft werden muss. In einem Bieter*innenverfahren erhält das Gebot von 36 Millionen Euro, abgegeben vom Pro-
20 Im Februar 2018 ist das Feld trotz vieler Kontroversen um eine mögliche Annullierung des Gesetzes nach wie vor unbebaut, abgesehen von einer im Dezember 2017 bezogenen Container-Notunterkunft für 400 Geflüchtete. 21 Genau genommen ist das Gelände keine ‚Freifläche‘, da sich darauf Garagen, verschiedene Kleingewerbetreibende, ein Club und ein Biomarkt befinden.
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jektentwickler Arne Piepgras für das Investor*innenkonsortium EPG Global Property Invest, den Zuschlag. Am 31. Juli 2014 gibt das Bündnis Stadt von Unten am letzten Tag des Höchstpreisverfahrens in einer öffentlichen Aktion das symbolische Gebot von einem Euro persönlich und in „bar“ ab, um gegen das gewinnorientierte Verfahren zu protestieren und die zu zugrundeliegende Logik zu ironisieren. Die folgenden Seiten besprechen die Protestartikulationen rund um diese begehrte Liegenschaft genauer. Stadt von Unten – Ein Modellprojekt Schon vor dem Volksentscheid zum Tempelhofer Feld gründet sich das Bündnis Stadt von Unten im April 2014 aus einer inhaltlichen Arbeitsgruppe des Berliner Ratschlags, (vgl. Kap. 5.1.5) als Zusammenschluss von Mieter*innen, Nachbar*innen, Gewerbetreibenden, Architekt*innen und Projektentwickler*innen, stadtpolitischen Aktivist*innen, Soziolog*innen und Stadtforscher*innen, Kunstund Kulturschaffenden und Hausprojektgruppen, die „wissen, was es bedeutet, wenn Wohn- und Arbeitsräume zu unbezahlbaren Waren werden“ (Stadt von Unten 2015). Das Bündnis arbeitet an „grundsätzlichen und konkreten Modellen, die bezahlbaren Wohnraum dauerhaft schaffen und sichern können und zugleich neue Möglichkeitsräume eröffnen“ (Stadt von Unten 2015). Gegenüber der ‚Konzeptionslosigkeit‘ des Berliner Senats in seinen Neubauambitionen wird ein konkretes alternatives Praxisbeispiel, unweit des Tempelhofer Feldes, auf einer bereits versiegelten Fläche in Kreuzberg vorgelegt: „In der Tempelhof-Abstimmung haben die BerlinerInnen auch der Stadtentwicklungspolitik des Senats eine rote Karte gezeigt. Wir sagen: Yes! in my backyard. Wir gestalten Stadt und wollen am konkreten Beispiel zeigen, dass es nicht um Stillstand, sondern um die Inhalte der sozialen Stadtentwicklung geht.“ (Stadt von Unten 2015)
Mit Bezug auf die ‚Stillstand‘-Kampagne des Senats, die sich hauptsächlich auf die Delegitimierung des Protests stadtpolitischer Initiativen rund um den ‚100% Tempelhofer Feld-Volksentscheid‘ konzentrierte (vgl. Kap. 5.2.1), werden die eigene Handlungsfähigkeit und der grundsätzliche und ernst gemeinte basisdemokratische Ansatz von Stadtentwicklung entgegengesetzt. So sind für das ehemalige Kasernengelände am Mehringdamm 700 Wohnungen, Kleingewerbe und Ateliers sowie kulturelle Orte und soziale Infrastruktur geplant. Dabei wird das ‚Modell einer Stadt von unten‘ und eines neuen kommunalen Wohnungsbaus mit Mieter*innenmitbestimmung in selbstverwalteten Wohn- und Arbeitsprojekten entworfen. Es soll „wirtschaftlich günstig, sozialmietenkompatibel, generationenübergreifend, experimentell, glitzernd, gut angebunden, nahversorgt, hyper- und interaktiv, mit guter Aussicht und queersolidarisch“ (Stadt von Unten 2015) sein. Ein Ansatz ‚wirkli-
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cher Einbeziehung‘ und ‚Selbstermächtigung‘ stadtpolitischer und lokaler Akteur*innen in die Stadtentwicklung wird nicht nur gefordert, sondern bereits am konkreten Beispiel des sogenannten Dragoner-Areals versucht in die Tat umzusetzen: „Ausgehend von unseren Erfahrungen aus der stadtpolitischen Praxis in Berlin haben wir ein Bündnis für eine Stadtentwicklung von unten geschlossen. Wir mobilisieren einerseits aktuell gegen die Vergabe des Geländes zum Höchstpreis und haben gleichzeitig damit begonnen das Areal am Mehringdamm als Modellprojekt für eine Stadtentwicklung mit langfristiger Perspektive von unten zu entwickeln – eine Mieterstadt, entwickelt durch die Mieter*innen.“ (Stadt von Unten 2015)
Eine erste Äquivalenzkette der Forderungen ergibt sich bereits aus dem Slogan /Stadt von Unten/ = /Selbstverwaltet und Kommunal/ = /100% bezahlbar/ = /100% öffentliches Eigentum/ = /100% sozial- und selbstbestimmt/ = /100% soziale Mieten/ (vgl. Stadt von Unten 2015). Die 100% Forderungen werden variabel mit weiteren passenden Forderungen versehen (vgl. Abb. 5). Abbildung 5: Flyer ‚Stadt von Unten‘
Quelle: Stadt von Unten, Berlin 2014
Eine zweite detaillierte Äquivalenzkette der Forderungen beschreibt die Vision einer radikaldemokratischen Stadtentwicklung: /für eine Mieter*innenstadt, entwickelt durch die Mieter*innen/ = /soziale Stadtentwicklung/ = /Mitbestimmung
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WAS entwickelt wird/ = /ohne Abhängigkeit von eigenem Kapital/ = /Einbezug stadtpolitische und lokale Akteure/ = /von Wohn-, Arbeits- und Lebensbedürfnissen getragenes Finanzierungsmodell/ = /Mietermitbestimmung/ = /möglichst viel gestalt- und nutzbaren Stadt- und Freiraum/ = /gemeinschaftlich nutzbare Flächen erhalten/ = /zugleich wirklich bezahlbare Wohn- und Arbeitsflächen schaffen/ = /Modellprojekt neuer kommunaler Wohnungsbau für eine Stadt von unten/ = /100% Mietwohnungen/ = /100% wirklich soziale Mieten/ = /100% dauerhaft abgesichert/ = /Moratorium zum Höchstbieterverfahren/ (vgl. Stadt von Unten 2015, Herv. i. O.). Um eine „alternative nicht-gewinnorientierte Nutzung“ und „sozialverträgliche Mieten“ zu garantieren, wird darüber hinaus gefordert, dass der Verkauf des Geländes nicht im Höchstbieter*innenverfahren, sondern zum Verkehrswert oder, bestenfalls, unter dem Verkehrswert zu tätigen wäre (vgl. Stadt von Unten 2015). Auch müsse die Vergabe der Flächen beispielsweise im ‚Erbbaurechtsmodell‘ erfolgen, um das Grundstück im kommunalen Besitz dauerhaft zu halten und zu sichern. Ähnlich dem „Modell des Solidartransfers“ beim Mietshäuser Syndikat sollen etwaige Gewinne aus dem Betrieb des Areals in dessen Weiterentwicklung oder in die Entwicklung ähnlicher Projekte gehen (vgl. MHS 2017: 10). In einer ersten protagonistischen Kette werden verschiedene soziale und politische Subjektpositionen nebeneinandergestellt: /Bewohner*innen und Mieter*innen dieses Stadtteils und dieser Stadt/ = /(Haus-) Projektgruppen und stadtpolitische Initiativen/ = /Architekt*innen und Projektentwickler*innen/ = /Stadtforscher*innen und Soziolog*innen/ = /Erwerbslose/ = /Aktivist*innen/ = /Verdrängte/ = /Nachbar*innen/ = /Gewerbetreibende/ = /Kunst- und Kulturschaffende/. Zudem werden Politik und Verwaltung auf Bezirks-, Landes-, Bundesebene angerufen zu handeln (vgl. Stadt von Unten 2015). Signator*innen des Aufrufs für ein Modellprojekt für eine Stadt von Unten sind elf Initiativen und Netzwerke22, „viele weitere Einzelpersonen, Anwohner*innen sowie Mieter*innen auf dem Gelände“ und 35 weiteren stadtpolitischen Initiativen (vgl. Stadt von Unten 2015). Als positives Korrelat der protagonistischen Signifikanten dient der hinreichend entleerte Signifikant /Stadtplanung von Unten/, der durch die oben genannten Forderungsketten genauer bestimmt wird und für eine grundsätzliche Demokratisierung des Planungsprozesses steht.
22 In Stadt von Unten kollaborieren mehrere Initiativen und Vereine, wie Aktionsbündnis Recht auf Wohnen, Gemeingut in BürgerInnenhand (GIB), Mietshäuser Syndikat, NETZ für Selbstverwaltung und Kooperation Berlin-Brandenburg e. V., Wem gehört Kreuzberg? sowie mehrere Hausprojekte und Kollektive, wie Cloud, INES e. V., SOL, Spring don't Panic, Vegan Explosion und Wax34.
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Die Forderungen arbeiten sich an den folgenden Mangelsignifikanten ab: /Vergabe zum Höchstpreis/ = /Profitorientierung/ = /bezahlbare Wohnungen fraglich/ = /Spekulation/ = /Höchstgebot/ = /Verdrängung/ = /Konzeptionslosigkeit des Senats / = /Neubau/. Als negatives Korrelat protagonistischer Signifikanten werden Dislozierungserfahrung /Verdrängungsdruck/ = /Privatisierung/ = /Profitlogik/ = /Investoreninteressen/ angeführt (vgl. Stadt von Unten 2015). Das Bündnis adressiert den Protest an die tragenden Personen im Vergabeverfahren, die für diese Mangelstruktur stehen, zunächst Investor Arne Piepgrass, die BImA und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Ringen um das Gelände Im Juni 2014 wird nach verschiedenen gescheiterten Verfahren erneut ein Höchstpreisverfahren durch die BImA gestartet. Das Bündnis Stadt von Unten begleitet Ortsbegehungen von Projektentwickler*innen mit Protestkunstaktionen und Kundgebungen. Besichtigungen werden bald nicht mehr öffentlich bekannt geben. Unter dem Motto „Hinter dem Finanzamt der Strand!“ stellt Stadt von Unten Ende Juli 2014 ihr Modellprojekt interessierten Nachbar*innen vor. Der Berliner Senat sowie die Bezirksverordnetenversammlung fordern im August 2014 in den Planungsgrundlagen die Errichtung von mindestens 33 Prozent preiswerter Wohnungen (Stadt von Unten, 28.08.2014). Am 6. September 2014 findet die Demonstration ‚Wohnraum ist keine Ware‘ statt, die mit einer Kundgebung vor dem DragonerAreal startet. Es demonstrieren verschiedene stadtpolitische Initiativen und Projekte gegen die Verdrängung einkommensschwacher Menschen aus der Innenstadt. Unter den Teilnehmer*innen sind auch Bewohner*innen im Alter zwischen 75 und 97 Jahren aus einem Senior*innenheim am Hansa-Ufer 5 in Berlin-Moabit, die auf einem Wagen sitzend mitdemonstrieren.23 Im Sommer 2014 beginnt der Senat mit dem Bund ein Vorkaufsrecht für das Land Berlin zum Verkehrswert zu verhandeln. Der Versuch ein Moratorium zum Höchstpreisverfahren zu erwirken scheitert im Oktober 2014 im Finanzausschuss des Bundestages. Die Eingabe der Linken und Grünen scheitert an der Mehrheit der Stimmen der Regierungsparteien CDU und SPD. Stadt von Unten diskutiert gleichzeitig mit der Nachbarschaft die Option Besetzung. In der TU Berlin wird ein ‚Projektlabor Selbstverwaltet und Kommunal‘ durchgeführt, indem Studierende und das Bündnis Stadt von Unten gemeinsam an der technischen Umsetzung und Projekt-
23 Sie sind durch eine Mieterhöhung im Zuge einer Privatisierung und Modernisierung um mindestens 40% bedroht und organisieren gemeinsam mit mietenpolitischen Aktiven Unterstützung mittels einer Onlinepetition (vgl. Flatau, 04.08.2014)
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planung für das Dragoner-Areal arbeiten, wobei ‚Allmende‘ als urbane Kategorie der Stadtentwicklung im Zentrum steht.24 In einem offenen Brief, verfasst Ende Oktober 2014, wird die Vereinnahmung von Kunst- und Kulturschaffenden durch Projektentwickler*innen der DragonerAreal GmbH kritisiert; ebenso wie die Zusammenarbeit von Arne Piepgras mit dem Atellierbeauftragten der Stadt Berlin Florian Schmidt25, der von Berufsverbandes bildender Künstler Berlin (BBK) gestellt wird. Unter Bezugnahme auf das Manifest der Künstler*innen Initiative Haben und Brauchen (vgl. Kap. 5.3.1) heißt es am Ende des Briefes: „Wir regen an, dass die Projektentwickler, die behaupten die Stadt neu zu denken, die Bedürfnisse der Kreuzbergerinnen nicht orakeln, sondern in den bestehenden Bündnissen und Gruppen erfragen. Sollte ihnen das zu mühsam sein, oder die Ergebnisse den eigenen Vorstellungen widersprechen, schlagen wir den Rückzug vom Dragoner-Areal vor. Sollte dem bbk als Künstlerinteressenvertretung, das Allgemeinpolitische der Kämpfe in Berlin aus den Blickfeld geraten, regen wir an, diese wieder stärker in den Blick zu nehmen und sich hier eindeutig zu positionieren. Wir schlagen vor, dass wir als Kulturschaffende dem Projekt eines Kulturstandortes auf dem Dragoner-Areal unsere Zustimmung verweigern und der BImA, dem Senat, dem Bezirk und den Projektverantwortlichen sagen: Investorenkultur haben wir schon genug. Brauchen wir nicht.“ (Stadt von Unten, 31.10.2014)
Im November wird eine Online-Petition gegen die Privatisierung bundeseigener Immobilien gestartet. Am 7. Dezember 2014 werden einige Gebäude auf dem Gelände im Rahmen der interaktiven Ausstellung ‚Reclaim your City‘ mit Werken von Street-Art-Künstler*innen und einer Eröffnungsfeier mit über 200 Teilnehmenden vorübergehend besetzt. Es werden weitere Informationsveranstaltungen mit Nachbar*innen durchgeführt. Der Protest konzentriert sich hauptsächlich darauf einerseits politisch Druck auf den Projektentwickler Arne Piepgras und das Investitionskonsortium aufzubauen und anderseits den Verkauf der Liegenschaft auf Bundesebene zu stoppen. Dazu wird eine Aktion ‚kreatives Schreiben‘ gestartet, bei der über 1.000 E-Mails an Bundestagsabgeordnete im Vorfeld der Abstimmung verschickt werden. Darin werden die Nachteile des Verkaufs an die Dragoner-Areal GmbH individuell erläutert. Unterstützung für den Verkaufsstopp wird vor allem von den Abgeordneten der Linken und Grünen in den Antwortmails zugesichert.
24 Das Projektlabor wird mit einer Ausstellung im Rathaus Kreuzberg in unmittelbarer Nähe des Dragoner-Areals beschlossen (Stadt von Unten, 27.02.2015). 25 Florian Schmidt (Grüne) ist Mitbegründer der Initiative Stadt neu Denken und Mitinitiator des Runden Tisches zur Liegenschaftspolitik im Berliner Abgeordnetenhaus. Im Frühjahr 2017 wird er zum Baustadtrat für Friedrichshain-Kreuzberg ernannt.
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Die letztendliche Entscheidung im Bundesrat wird seit April 2015 immer wieder vertagt und letztendlich für den 10. September 2015 angesetzt. Stadt von Unten fordert nach wie vor den Rückzug des Investorenkonsortiums und mit einer Demonstration von mehr als 250 Teilnehmenden Ende Juni 2015 „Wir brauchen Platz!“ für eine „wirklich soziale Stadtpolitik“ (vgl. Stadt von Unten, 24.06.2015). Am 10. September 2015 stimmt der Finanzausschuss des Bundesrates gegen eine Veräußerung des Dragoner-Areals. Das Bündnis reagiert überschwänglich auf den vorläufigen Etappensieg. Die Pressemitteilung ist folgendermaßen übertitelt: „Wir haben gewonnen! – Weg für Modellprojekt ist frei! – Dragoner-Areal bleibt Gemeingut!“ (Stadt von Unten, 10.09.2015).26
5.3
KONFLIKTE IN DER KREATIVEN STADT – PROTESTE VON KUNST- UND KULTURSCHAFFENDEN
Städtische Protestinitiativen und Netzwerke kritisieren den auf Investitionen ausgerichteten, unternehmerischen Kurs des Berliner Senats. Die diskursive Produktion der Stadt als Marke und Produkt wird über Imagekampagnen wie beispielsweise ‚Be Berlin‘ vorangetrieben.27 Im Zuge dessen werden sowohl große Teile der stadteigenen Immobilien und Flächen privatisiert, als auch Investitionen in Millionenhöhe in die ‚Marke Berlin‘ getätigt, um die Stadt im (trans)nationalen Ringen um Investitionen und die Ansiedlung der Kreativwirtschaft wettbewerbsfähig zu machen. Kulturpolitik ist dementsprechend in der „kreativen Stadt Berlin“ zu einem maßgeblichen Standortfaktor geworden. Kulturproduzent*innen sind zwar die Produzent*innen der kreativen Stadt, aber vom erwirtschafteten Mehrwert und den Profiten sind sie häufig abgeschnitten (vgl. auch Kap. 2.3.3). Exemplarisch werden nun verschiedene Proteste von Kunst- und Kulturschaffenden vorgestellt, die verschiedentlich mit anderen stadtpolitischen Protestfeldern verknüpft sind. Erstens werden mit den Protesten um die East Side Gallery am Spreeufer in Berlin Friedrichshain verschiedene Aktionsformen und Protestartikula-
26 Im Sommer 2017 wird bekannt, dass die Stadt das Grundstück vom Bund geschenkt bekommt und es als ein Experimentierraum für alternative Bauformen im Sinn der Initiative vorgesehen ist. Die Forderungen der Initiative wurden nun weiter präzisiert ausgearbeitet (vgl. Stadt von Unten 2017). 27 Im Jahr 2003 macht Bürgermeister und Kultursenator Klaus Wowereit aus der Tatsache, dass Berlin nach dem Berliner Bankenskandal nahezu bankrott ist, eine Tugend und behauptet „Wir sind zwar arm, aber trotzdem sexy!“ (vgl. Focus Money, 06.09.2003). Dieser diskursive Zug markiert den Beginn einer offensiven Anstrengung ‚Space Branding‘ als Teil einer unternehmerischen Stadtpolitik in Berlin zu etablieren.
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tionen vorgestellt, wobei Denkmalschutz mit Gentrifizierungskritik zusammenkommt (Kap. 5.3.1). Zweitens werden mit der Koalition der Freien Szene (Kap. 5.3.2) und mit Haben und Brauchen (Kap. 5.3.3) zwei Protestinitiativen vorgestellt, die sich explizit auf die Vereinnahmung von Kunst und Subkultur durch die Imagekampagnen im Stadtmarketing beziehen und die prekarisierten Lebensund Arbeitsumstände von selbstständigen Kunst- und Kulturschaffenden sowie die Kulturförderung problematisieren. Dabei zeichnet sich deutlich eine grundsätzliche Kritik am stadtpolitischen und kulturpolitischen Kurs des Senats hinsichtlich Transparenz, Teilhabe und Zustandekommen politischer Entscheidungen ab. 5.3.1
Living Levels am Spreeufer für alle
Als die Pläne zum Bau des 63 Meter hohen und 33 Millionen Euro teuren Luxusapartmentgebäudes ‚Living Levels‘ (vgl. Abb. 6) Ende Februar 2013 bekannt werden, formiert sich umgehend das Bündnis East Side Gallery Retten und mobilisiert zum Baustopp. Das Bündnis von Künstler*innen, Clubbetreiber*innen und stadtpolitisch Aktiven startet eine Protestkampagne gegen die Baupläne und zuvorderst gegen eine Teilentnahme von Mauerteilen, die für die Baustellenzufahrt notwendig wäre. Abbildung 6: Flyer ‚East Side Gallery Retten‘
Quelle: East Side Gallery Retten, Berlin 2013
Am 26. Februar 2013 finden sich circa 50 Menschen unweit des Ostbahnhofs auf dem Grünstreifen gegenüber der Baustelle zu einer ersten Pressekonferenz des
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Bündnisses ein.28 Vertreter*innen der beteiligten Initiativen kritisieren das Bauvorhaben und rufen zum Schutz der East Side Gallery auf, die als letzter verbliebener und längster zusammenhängender Mauerteil sowie des als letzter Teil des ehemaligen ‚Todesstreifens‘ zu erhalten sei. Clubbetreiber Sascha Disselkamp polemisiert: „Hier waren Selbstschussanlagen, an diesem Ort sind Menschen gestorben. Hier jetzt Luxuswohnungen hin zu bauen ist so, als würde man auf der Museumsinsel eine Tankstelle errichten.“ Dabei ginge es um eine historische Verantwortung, so der Vorsitzende des Künstler*innenvereins East Side Gallery e. V., Kani Alavi: „Wir sehen darin eine Zerstörung des Kunstwerkes, da kann man sie auch gleich ganz abreißen.“ Die Bundesregierung und die UNESCO müssten nun einschreiten und die Zerstörung des historischen Kunstwerkes aufhalten. Es sei zudem nicht hinnehmbar, dass der Bürgerentscheid ‚Spreeufer für alle‘ von 2008 ignoriert wird, bei dem mehr als 50.000 Abstimmungsberechtigte in Friedrichshain-Kreuzberg gegen eine Bebauung des Spreeufers in einem Bereich von 50 Metern vom Fluss gestimmt hatten. Es ginge weiterhin darum, das Spreeufer für alle Menschen zugänglich zu halten und gegebenenfalls ein Ersatzgrundstück zu finden. Petition ‚Nationales Denkmal East Side Gallery retten!‘ Mit der Pressekonferenz startet auch die Petition ‚Nationales Denkmal East Side Gallery retten! Keine Luxuswohnbebauung auf dem ehemaligen Todesstreifen‘. Das Bündnis East Side Gallery Retten (ESGR) führt die folgende Kette von Forderungen an: /die East Side Gallery muss erhalten bleiben/ = /das Gelände zwischen Mauer und Spree darf nicht bebaut werden/ = /Senat und Bezirk sind aufgefordert, einen Bau- und Planungsstopp zu prüfen und umzusetzen/ = /Senat und Bezirk müssen dem Parlament kurzfristig über die rechtliche und bauplanerische Situation berichten/ = /soweit es sich hier noch um Flächen in Landesbesitz handelt, ist die Einordnung in die Kategorie 4 – Flächen mit Entwicklungspotenzial – zu prüfen/ = /mit Investoren ist ggf. über Fragen eines Grundstückstauschs zu verhandeln/ = /Senat und Bezirk müssen unverzüglich einen umfassenden Denkmalschutz für die East Side Gallery anordnen/ = /Senat und Bezirk müssen dem Abgeordnetenhaus noch vor Ostern zu diesen Punkten umfassend berichten/ (vgl. ESGR 2013). Zum Handeln aufgefordert werden in erster Instanz die lokale Politik und allen voran der regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), sowie der zuständige Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne). Darüber hinaus wird explizit die Pres-
28 Eigentlich sei geplant gewesen, die Veranstaltung auf dem Grundstück stattfinden zu lassen. Jedoch sei vom Eigentümer Hausverbot erteilt worden, um eine Besetzung zu verhindern. Eine Hundertschaft Polizist*innen sichert das Baugrundstück, wo schon Bohrungen durchgeführt werden und der Weg durch den Park an der Spree versperrt ist.
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se angeregt, über den Fall zu berichten und eine Skandalisierung der Geschehnisse zu unterstützen. Die Bewohner*innen Berlins werden aufgerufen sich an den Protesten vor Ort und an der Petition zu beteiligen. Es gibt an die fünfzig Signator*innen des Aufrufs, darunter stadtpolitische Akteur*innen, Clubs, Expert*innen, wie Denkmalschützer*innen, Stadtplaner*innen oder Historiker*innen sowie Politiker*innen. Verfasst ist die Petition /im Namen der Bürgerinnen und Bürger/ und wurde insgesamt von 92.809 Menschen unterzeichnet (vgl. ESGR 2013). Der Investor und Bauherr, Maik Uwe Hinkel, wird zum personellen Bezugspunkt der Gegenüberstellung einer grundsätzlichen stadtpolitischen Mangelstruktur, die im Verhältnis von /Luxuseigentum/ zu /sozialem Wohnungsbau/ bestimmt wird (vgl. ESGR 2013). Die weiteren Koordinaten der Mangelstruktur werden bestimmt durch die Signifikanten /Bebauung des Todesstreifens/ = /Versetzung von Mauerstücken/ = /Luxusappartments/ = /Gentrifizierung/ = /Missachtung Bürgerentscheid / = /Living Bauhaus/ (vgl. ESGR 2013). Das Bauprojekt wird in den größeren Kontext einer unternehmerischen Stadtpolitik eingeordnet, die als ursächlich angesehen wird und ebenso Gegenstand der Kritik wird, die damit über den konkreten Protest hinausweist. Kontrastiert wird eine Kette von Mangelsignifikanten /längst überholtes Konzept/ = /Privatisierung/ = /Gewinnmaximierung/ = /Verdichtung/ = /Bebauung/ = /Hotels/ = /Büros/ = /Einkaufszentren/ = /Luxuseigentumswohnungen/ mit der Forderung /nachhaltige und zukunftsweisende Stadtplanung/ (vgl. ESGR 2013). Der Antagonismus wird artikuliert in der historischen Kontextualisierung des symbolträchtigen Ortes für das profitorientierte Bauprojekt: „Luxuswohnungen auf dem Todesstreifen sind nicht das Berlin, das wir uns wünschen“ (vgl. ESGR 2013). Auch wird beklagt, dass der riesige Baukörper das geschützte Denkmal in seiner einmaligen Wirkung und Darstellung des „geteilten Himmels“ zerstöre (vgl. ESGR 2013). Die unterschiedlichen Forderungen und sozialen und politischen Subjektpositionen des Protests werden vereint durch die übergeordnete Forderung der /Rettung des Denkmals/ (vgl. ESGR 2013). Als vereinender positiver Bezugspunkt wird der Signifikant /zukunftsweisende Stadtplanung/ genauer bestimmt durch /soziale und ökologische Kompetenz/ = /Erhaltung der sozialen Strukturen/ = /kulturelle Vielfalt/ = /besondere Berücksichtigung des Ökosystems der Spree/ = /Klima der Stadt/ (vgl. ESGR 2013). Blockaden, Kundgebungen, Performances Für den 1. März 2013 ist die Entnahme der ersten Mauerteile zur Schaffung eines Baustellenzugangs vorgesehen. Dies wird mit einer Blockadeaktion von circa 300 Menschen spektakulär und lautstark gestoppt. Eine Polizeiabsperrung auf dem Grünstreifen gegenüber der Baustelle wird von den Demonstrierenden durchbro-
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chen. Sie strömen auf die Mühlenstraße in Richtung Baustelle, sodass die Polizei den Verkehr stoppen und umleiten muss. Es haben bereits Bauarbeiter*innen begonnen ein Mauerteil aus der East Side Gallery heraus zu stemmen. Die Arbeiter sind sichtlich eingeschüchtert ob des Protestes und der Sprechchöre. Bemerkenswert und mit direktem Bezug zur historischen Situation 1989 ist besonders die Forderung „Die Mauer bleibt stehen!“ (vgl. Spiegel TV, 01.03.2013). Die Polizei hindert mit Tränengas und Hamburger Gittern die Protestierenden daran auf das Grundstück zu kommen. Dennoch ist bereits ein erstes schmales Mauerteil entnommen, bevor die Arbeiten an diesem Tag wegen nicht zu garantierender Sicherheit eingestellt werden. Dies wird als ein erster kleiner Erfolg des Protests verbucht, denn die Mauerteilentnahme und weitere Bauarbeiten auf dem Gelände werden vorerst ausgesetzt. Es beginnen Verhandlungen zwischen dem Bauherrn und dem Berliner Senat sowie dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Zwei Tage später, am 3. März 2013, findet die ‚Wall Parade‘ in der Mühlenstraße an der East Side Gallery statt. Zu dieser Kundgebung kommen mehr als 6.000 Menschen. Gekommen ist ein Querschnitt durch alle Bevölkerungsschichten und Altersklassen. Die verschiedenen Redebeiträge, von Kunst- und Kulturschaffenden, Politiker*innen, Prominenten und Zeitzeug*innen illustrieren das weite gesellschaftliche Spektrum des Protests. Der Wunsch, die East Side Gallery in ihrem derzeitigen Zustand zu erhalten, scheint die Protestierenden im Slogan mit der Forderung zu einen: „Wowereit, das Denkmal bleibt!“ Die Luxusbebauung wird gesondert diskutiert. Nahezu täglich wird nun in den Zeitungen, im Radio und im Fernsehen über den Konflikt an der East Side Gallery berichtet. Ein vorläufiges Moratorium hindert den Bauherren vorerst daran weitere Mauerteile zu entnehmen. Es gibt fortlaufende Verhandlungen zwischen Bezirk und Finanzsenat und auch mit dem Investor. Zwei Wochen später steht bereits das nächste Großevent an. Das Bündnis lädt zum ‚Mauerspaziergang‘ am 17. März 2013 mit Schauspieler und Sänger David Hasselhoff. Es ist mit annähernd 10.000 Teilnehmenden nochmal voller geworden. Hasselhoff stimmt immer wieder seinen Hit an: „I’ve been looking for freedom, since I left my hometown.“ Er mahnt dazwischen wiederholend, wie bereits in der vorherigen Pressekonferenz, dass dieses letzte Stück Mauer erhalten bleiben müsse, um der vielen Opfer zu gedenken, die auf der „Flucht in die Freiheit“ ihr Leben ließen (vgl. FilouBerlinVideo, 17.03.2013). Trotz der weltweiten Resonanz zeigen sich Politik und Investor eher unbeeindruckt ob der prominenten Unterstützung und des Medienrummels. Schon einen Tag später, am 18. März 2013, findet das ‚2. Forum StadtSpree‘ im Radialsystem V statt und wird quasi zur Arena des direkten Schlagabtausches zwischen dem Investor Living Bauhaus und dem Initiativenbündnis East Side Gallery
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Retten.29 Ziel des Forums ist es, „einen Dialog um die stadtentwicklungspolitischen Potenziale und Aufgaben dieses Gebiets zu führen“ (vgl. Forum Stadtspree 2013). An diesem Tag sitzen mehr als 100 Menschen in den Räumlichkeiten des Radialsystem V, darunter bekannte Gesichter von den Protesten an der East Side Gallery der vergangenen Wochen. Auch Investor Hinkel ist eingeladen, kommt aber nicht, sondern wird durch seinem Rechtsanwalt Jürgen Scheunemann vertreten. Es wird kritisiert, dass ein Interesse des Investors, sich tatsächlich an dem Forum und am Dialog um Beiträge zum Gemeinwesen zu beteiligen, nicht vorhanden sei. Im Rahmen des ‚Forum StadtSpree‘ wird keine Einigung erzielt. Die Verhandlungen werden ohne Einbezug von Vertreter*innen der Protestinitiative im Roten Rathaus geführt. Im Morgengrauen des 28. März 2013 um 5 Uhr werden unter höchster Geheimhaltung im Vorfeld und unter dem Schutz von 250 Polizist*innen die besagten Mauerteile entnommen und somit schließlich Fakten geschaffen. Umgehend werden die über einige Wochen ausgesetzten Bauarbeiten am Grundstück wiederaufgenommen. Die Bestürzung ist groß auf Seiten der Protestierenden, aber auch auf Seiten der Politik herrscht Verwirrung und Ratlosigkeit, da man sich noch in Verhandlungsgesprächen zu einer einvernehmlichen Klärung des Konflikts befunden hatte. Weder der Bezirk noch das Rote Rathaus sei über diese Aktion informiert gewesen. Klaus Wowereit spricht in diesem Zusammenhang von einem „Affront“ des Investors. „Wer in einer Nacht- und Nebelaktion die Mauer abreißt, legt keinen Wert auf demokratische Prozesse“, äußert sich ein Sprecher des Bündnisses, es handle sich um „einen typischen Fall, bei dem Privateigentum mit Polizeigewalt geschützt werde und ‚Allgemeingut mit Füßen getreten wird‘.“ (Fiedler et al., 28.03.2013, Herv. i. O.) Es wird umgehend zu einer „Demo gegen die Mauerteilentnahme“ vor dem Roten Rathaus aufgerufen. Trotz des kalten und regnerischen Wetters finden sich so kurzfristig immerhin circa 200 Protestierende ein. Auf dem großen Platz, unweit des Neptunbrunnens, wirkt die Kundgebung jedoch eher klein. Auf einem Hänger wird ein offenes Mikrofon bereitgestellt. Verschiedene Redebeiträge am offenen Mikrofon kritisieren das Vorgehen von Living Levels und der Politik. Kani Alavi kündigt an sein Bundesverdienstkreuz zurück zu geben, das er 2011 für seinen Einsatz um die East Side Gallery von Kulturstaatssekretär André Schmitz (SPD) überreicht bekommen hatte. Eine Gruppe von etwas 20 Menschen stellt sich vor einem
29 Das ‚Forum StadtSpree‘ wurde Ende Januar 2013 von Politik und Kulturschaffenden als eine Art Runder Tisch initiiert, an dem circa 30 feste Diskutant*innen unterschiedlicher Interessengruppen rund um die Spree zwischen Oberbaumbrücke und Jannowitzbrücke beteiligt sind – darunter Clubbetreiber*innen, Projektplaner*innen, Investor*innen, Protestbewegungen und Stadtplaner*innen (vgl. Forum StadtSpree 2013).
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Bauzaun vor dem Roten Rathaus mit selbst gemalten Schildern auf denen steht: „Ihr repräsentiert uns nicht!“. Ein Grundstückstausch ist nun sehr unwahrscheinlich geworden, nicht zuletzt da der Investor für diesen Fall Schadensersatzforderungen in zweistelliger Millionenhöhe angekündigt hat. Nach diesem Tag flacht der Protest an der East Side Gallery etwas ab, auch wenn die Online-Petition bereits über 88.000 Mal unterzeichnet worden ist. Das Bündnis organisiert nun auch weniger Großevents, sondern eher Kunstveranstaltungen, Konzerte und Partys. Eine letzte, vergleichsweise eher kleinere, Protestaktion findet mit der Kunstperformance „Der geteilte Himmel über Berlin. Divided Sky“ am späten Nachmittag des 15. Mai 2013 vor dem Eingang zur Baustelle an der Mühlenstraße statt. Es handelt sich dabei um eine Solidaritätsaktion des „CUT International Performance Festivals“, mit der die Künstler*innen gegen den Teilabriss an der East Side Gallery und das Bauvorhaben demonstrieren, sowie an die Mauertoten erinnern wollen (vgl. Belowskey, 16.05.2013). Die Performance, an der sich verschiedene Künstler*innen und 150 Teilnehmer*innen beteiligen, persifliert den Namen der Unternehmensgruppe Living Bauhaus, indem ein Mensch eingemauert wird und das Gemäuer wird „Resist Luxury Real Estate“ und „Greed“ geschrieben. Eine als Freiheitsstaue verkleidete Künstler*in verliest ein Pamphlet zur Verwertungslogik von Kunst und Stadt. Auf einer Leinwand wird getanzt sowie Farbe und Mörtel verkleckert. Abschließend wird mit der bunt bespritzten Leinwand die Lücke vor dem Tor wieder symbolisch geschlossen (vgl. Abb. 7). Abbildung 7: Performance ‚Divided Sky‘
Quelle: Eigenes Foto, Berlin 2013
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Übrig von den Protesten bleibt die ‚Mahnwache‘ vor der Baustelle. In einem Wohnwagen werden nachmittags bei Tee und Kaffee Informationsmaterialien ausgegeben und Gespräche mit interessierten Tourist*innen und Anwohner*innen geführt. Außerdem werden Risse, die durch den Bau in der Mauer entstanden sind, gemessen und die Ergebnisse archiviert. Die Initiative arbeitet weiter daran politische Unterstützung auf Ebene der Parteien zu mobilisieren, versucht vor allem auf einer Verwaltungsebene die Rechtswidrigkeit des Baus geltend zu machen: „Es ist eine denkmalschutzrechtliche Genehmigung erteilt worden, die eigentlich gar nicht, nach unserem Dafürhalten, genehmigungsfähig war. Man hat sich da über geltendes Recht hinweggesetzt und einfach rechtswidrig hier Fakten geschaffen“ (Jeremy IB, 12.06.2013). Im Herbst 2013 wird Klage beim Landgericht eingereicht, doch ohne profunde Konsequenzen. Unterstützend äußern sich auch weiterhin Prominente für den Erhalt der East Side Gallery, wie Bela B. von der Band Die Ärzte (vgl. Hofmann, 15.05.2013) und Roger Waters von der Band Pink Floyd (vgl. Pérez, 03.09.2013). Am 9. November 2014 wird, gemeinsam mit dem Techno-DJ Doktor Motte, eine Technoparty unter dem Motto ‚25 Jahre Mauerfall – Heute feiern, morgen abreißen? – Make love, not lofts‘ veranstaltet. Im Sommer 2015 wird ‚Living Levels‘ fertiggestellt und bezugsfertig. Die Verhandlungen mit dem Investor Alon Mekel um den daneben geplanten 130 Meter langen, neungeschossigen Hotelriegel ‚Waterfront Living‘ sind noch nicht abgeschlossen, die Baugenehmigung dafür ist jedoch im Januar 2015 erteilt worden (vgl. Loy, 13.08.2014).30 5.3.2
Koalition der Freien Szene
Im ‚kreativen Berlin‘ sind zunehmend auch die Arbeits- und Lebensbedingungen Gegenstand von Protest geworden. Im März 2012 wird die Koalition der Freien Szene aller Künste (KDFS) gegründet. Sie versteht sich als eine spartenübergreifende Plattform verschiedener Netzwerke, Initiativen, Gruppen und Einzelpersonen, die auf die „eklatanten Fehlentwicklungen im Berliner Kulturhaushalt“ aufmerksam machen und „Ideen für eine neue Kulturpolitik“ entwickeln wolle (vgl. KDFS, 12.03.2012). In regelmäßigen Treffen werden „kulturpolitische Forderungen diskutiert und formuliert, Konzepte entwickelt und Kampagnen organisiert“ (vgl. KDFS, 12.03.2012). Das Bündnis versteht sich als eine interdisziplinär organisierte, kulturpolitische Kooperation von Künstler*innen und Initiativen, die in freien Strukturen in verschiedenen künstlerischen Bereichen in Berlin arbeiten. Organisatorische
30 Zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieses Textes im Januar 2018 läuft eine erneute Protestwelle gegen den geplanten Bau des Hotelriegels an, wobei weitere Mauerteile entnommen werden sollen.
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Basis sind regelmäßige Treffen. Die Kommunikation zur Mobilisierung vollzieht sich hauptsächlich über einen Newsletter und Facebook. Im Zentrum der Forderungen steht eine bessere finanzielle Unterstützung für unabhängige kulturelle Produktionen, die durch 50 Prozent der geplanten City Tax31 finanziert werden sollen. 10-Punkte-Programm Im November 2012 legt die Koalition der Freien Szene allen Fraktionen im Abgeordnetenhaus ein 10-Punkte-Programm mit konkreten Berechnungen und Forderungen für eine an den Bedürfnissen der Kunst- und Kulturschaffenden der freien Szene orientierte künstlerische Praxis und entsprechende Förderinstrumente vor. Die Forderungskette umfasst: /Kulturförderung aus der künstlerischen Praxis heraus/ = /neue Förderinstrumente für entstandene Produktionsstrukturen/ = /Verbesserung der Förderstrukturen unter Gewährleistung von Mindeststandards/ = /Zeitstipendien/ = /Bedarfsgerechte Erhöhung der neuen Förderinstrumente Kofinanzierungsfonds und Wiederaufnahmefonds/ = /Ankerinstitutionen – Die Stärkung von Orten und Veranstaltern/ = /kulturelle Nutzung von Liegenschaften – Spartenübergreifender Erhalt und Ausbau künstlerischer Arbeitsräume/ = /bezirkliche Kunst- und Kulturförderung = /Solidaritätsprinzip/ = /Hauptstadtkulturfonds für freie Projekte/ = /Ertüchtigung der Selbstverwaltungsstrukturen/ (vgl. KDFS, 12.11.2012). Das Forderungsprogramm richtet sich explizit an den Berliner Senat und alle Entscheidungsträger*innen in der Stadt. Signator*innen eines offenen Briefes sind circa 50 Vertreter*innen aller Kunstsparten, in denen die ‚Freie Szene‘ aktiv ist. Unter diesem Überbegriff sind unterschiedliche Subjektpositionen und Genres vereint: die /Gesamtheit der frei produzierenden Künstler*innen, Gruppen, Initiativen und Einrichtungen in freier Trägerschaft/ in /Architektur/ = /Bildender Kunst/ = /Film/ = /Literatur/ = /Musik/ = /Neue Medien/ = /Tanz/ = /Theater/ (vgl. KDFS, 12.03.2012). Die derzeit vorherrschende Kulturförderpolitik bildet die Kontraritätsstruktur aus der sich die detaillierten Forderungen ergeben. Dabei wird immer wieder auf den Zusammenhang zur Prekarisierung der verschiedenen Künstler*innen und ebenso der Projekte und Produktionsstätten der ‚Freien Szene‘ hingewiesen. Aus Perspektive des Bündnisses stellt Kunst keineswegs ein „reines Imagetool“ dar, sondern erst „die Künste in ihrer Vielfalt und in ihrem Zusammenspiel machen die Attraktivität Berlins“ aus, was maßgeblich ist für die Inszenierung der Stadt als Wirtschafts- und Tourismusstandort (vgl. KDFS, 12.03.2012). Die derzeitige Kul-
31 Bei der City Tax handelt es sich um eine prozentuale Übernachtungssteuer, die im Januar 2014 einführt wurde (vgl. Berlin.de, 05.01.2016).
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turpolitik jedoch gefährde die Substanz des viel beschworenen und international gefeierten kreativen Berlin. Weiter heißt es auf der Website: „Die Koalition der Freien Szene wehrt sich gegen eine Politik, die die Künste in freien Strukturen zunehmend Verwertungszwängen aussetzt bzw. der Verdrängung preisgibt und damit die Autonomie der Kunst beschädigt und die gesellschaftliche Bedeutung von Kunst marginalisiert. Berlin steht an einem Scheideweg. Die Freien Kunstschaffenden werden eine Schlüsselrolle für die Zukunft der Stadt spielen. Deshalb brauchen wir eine Veränderung der Kulturpolitik.“ (KDFS, 12.03.2012)
Bei einem Interview mit dem Pressesprecher im Frühjahr 2013 betont dieser gleich zu Beginn die neuen horizontalen Entscheidungsstrukturen im Gegensatz zu eher klassischen Mehrheitsentscheidungen und einem entsprechenden Demokratieverständnis, auf welche die Koalition der Freien Szene wie auch andere stadtpolitische Initiativen aufbaut: „Das Interessante ist, dass in den ganzen, ich weiß nicht ob ich das basisdemokratisch nennen soll oder in diesen ganzen nicht in Strukturen organisierten Tätigkeitsformen – wie zum Beispiel der Koalition der Freien Szene, Haben und Brauchen, Stadt Neu Denken oder wie sie alle heißen – ist eine Mehrheitsentscheidung eigentlich die brutalst mögliche Form zu entscheiden. […] Es ist viel, viel stärker auf Vermittlung, viel, viel stärker auf permanente Rückkopplung oder Rückkommunizierung an so etwas wie die Basis, auf permanente Einbeziehung von verschiedenen Playern basierende Entscheidungsfindung und eben nicht auf pure Mehrheitsentscheidung ausgerichtet.“ (Markus IB, 17.04.2013)
Diese demokratischen Defizite gehen einher mit der Homogenisierung von Stadtvierteln durch Gentrifizierung, was zu sozialen Problemen und auch zu Gewalt führe, wie es mit den riots in Paris deutlich geworden sei, hebt Markus hervor. Gentrifizierung sorge vor allem dafür, dass es nahezu unerschwinglich geworden ist im Zentrum zu wohnen. Dazu kommt, dass die Honorare sehr niedrig sind. „Wie gesagt, vor zehn Jahren konntest du von […] 600 Euro im Monat hier leben. Und das ist heute fast nicht mehr möglich; eigentlich nicht mehr möglich.“ In diesem Zusammenhang betont er die prekären Arbeitsverhältnisse, in denen sich Künstler*innen in der Mehrzahl wiederfinden. Da die Fördersysteme nicht mit den Veränderungen in Berlin Schritt halten könnten, leide auch die Qualität der Kunstproduktionen. Es sei häufig an der Tagesordnung, dass „[…] wir zwar gefördert werden für unser Projekt, aber wir da trotzdem für zwei bis drei Euro pro Stunde arbeiten. Trotz staatlicher Förderung kann man eigentlich nicht wirklich arbeiten. Das hat ganz, ganz starke Auswirkungen auf die Qualität“ (Markus IB, 17.04.2013).
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Dabei grenzt er sich auch gegen die Subjektposition des /politischen Aktivisten/ ab: „Ich werde jetzt immer öfter als politischer Aktivist bezeichnet. Das ist nicht gegen meinen Sinn, aber das ist so ein ganz neues Label. […] Wir hatten Lust darauf einen freien Ort der Kunst zur Verfügung zu stellen.“ (Markus IB, 17.04.2013) Außerdem hätten ihn auch die kulturpolitischen Marketingkampagnen veranlasst, politisch aktiv zu werden: „Das ist ja im Grunde genommen einer der Anlässe gewesen auch für die Empörung […]., weil man überall in den Regierungserklärungen der Großen Koalition das gehört hat und von ‚Wir sind Berlin‘. Und von überall her eigentlich hört und liest. Und dann natürlich auch in so ärgerlichen Sachen wie zum Beispiel ‚Based in Berlin’ oder dieser furchtbare Spruch ‚Arm aber Sexy’. Dass man eigentlich überall sieht und um die Ohren gehauen bekommt, wie wichtig die Kunst und Kultur für Berlin ist.“ (Markus IB, 17.04.2013)
Doch genau mit der Kreativwirtschaft als wichtiger und wachsender Wirtschaftsfaktor sei es unabdinglich, dass die Stadt auch etwas für den Standort und die Szene tun müsse. Berlin habe aus den Entwicklungen großer Kulturmetropolen der Vergangenheit zu lernen, wie Paris, London oder New York, um sich weiterhin in seiner Attraktivität in künstlerischen Produktionen und (sub)kulturellen Freiräumen zu erhalten. Kampagne ‚Freie Szene Stärken!‘ Da die Resonanz in der Politik bis dato eher dürftig ausgefallen ist und die Forderungen der Initiative bisher weitestgehend ignoriert wurden, wird zwischen dem 23. August und dem 28. September 2013 die Kampagne ‚Freie Szene stärken! Geist ist noch flüchtiger als Kapital – haltet ihn fest!‘ organisiert. Zur Eröffnung findet am 22. August 2013 eine Pressekonferenz im Senatsreservespeicher in Kreuzberg statt. Neben zahlreichen Events wird eine Website zur Kartierung von Veranstaltungsorten der Freien Szene in Berlin angekündigt (vgl. Passow/Streb 2013). Darüber hinaus wird beim Aufrufen der Websites institutionell geförderter Veranstaltungsorte, wie den Sofiensälen, eine Art ‚Black Screen‘ mit dem Slogan der Kampagne angezeigt. Des Nachts wird an die großen Veranstaltungshäuser der Stadt, wie die Philharmonie und die Oper, der Slogan ‚Freie Szene Berlin stärken!‘ projiziert. Neben den konkreten Aktionsankündigungen werden unter anderem von Christophe Knoch, dem Pressesprecher und Jochen Sandig, Mitinitiator der Koalition der Freien Szene, die kulturpolitischen Hintergrundfakten präsentiert. Es wird betont, dass derzeit ein Budget von 18,8 Millionen Euro notwendig sei, um überhaupt den Status quo für die unabhängigen Kunstproduktionen zu bewahren. Eine kommende City Tax wird als ein potenzielles Instrument diskutiert, um an „frisches Geld“ dafür zu kommen. Es wird argumentiert, dass 50% dieser Steuer die Kosten für die
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Freie Szene decken könnten. Die „eklatante Unterfinanzierung der Freien Szene“ beginne diese aus der Stadt zu drängen, denn „nur 5 Prozent des Berliner Kulturhaushaltes fließt in die Förderung freier Künstler*innen und Kulturproduzenten*innen, obwohl sie 95 Prozent des Kulturschaffenden Berlins ausmachen“ (KDFS, 12.11.2012). Dringend notwendig sei daher die geforderte Neuausrichtung der Kulturpolitik und Förderungen an der veränderten und überwiegend prekären finanziellen Situation der mehr als 30.000 unabhängigen Künstler*innen und hunderter Veranstaltungsorte. Gleichzeitig wachse die Tourismusbranche um neun Prozent, was durchaus Finanzierungsspielräume über die City Tax ermögliche. Die lokalen Medien berichten wohlwollend über die Aktionen, bei denen beispielsweise Flyer und Luftballons vor der Philharmonie verteilt und Diskussionsrunden veranstaltet werden, oder auch von der abschließenden Demonstration an der sich etwa 1.000 Menschen beteiligen am 28. September 2013.32 Zwar wird die City Tax im Januar 2014 eingeführt, dennoch werden im Doppelhaushalt 2014/15 die Forderungen der Koalition der Freien Szene nicht berücksichtigt. Die ‚kulturpolitische Lobbyarbeit‘ wird also fortgeführt. Insgesamt wurden Treffen mit 64 von 90 Berliner Abgeordneten zur persönlichen Diskussion ermöglicht.33 Im Oktober 2014 wird der Arbeitskreis Räume initiiert, der eng mit der Senatsverwaltung für Kultur zusammen arbeitet und sich für eine bedarfsgerechte Infrastruktur der verschiedenen Kunstsparten einsetzt (vgl. KDFS, 22.04.2015). In einer Pressemitteilung zum ‚Doppelhaushalt Berlin 2016/17‘ wird davor gewarnt Berlins international renommierte und produktive Freie Szene zu vernachlässigen und kulturpolitisch zu provinzialisieren: „Die Berliner Freie Szene gehört zu den bekanntesten und produktivsten der Welt. Viele der in Berlin produzierenden KünstlerInnen und Gruppen wurden in den letzten Jahren zu maßgeblichen internationalen Impulsgebern aktueller ästhetischer Entwicklungen. […] Die Kombination aus der besonderen Geschichte der Stadt und einem künstlerischen Paradigmenwechsel, der neue, von Institutionen unabhängige Produktions- und Präsentationsformen hervorbrachte, sorgt dafür, dass Berlin als Welthauptstadt aktuellen und zeitgemäßen Kunstschaffens angesehen wird. Noch. Kulturpolitisch ist die Freie Szene seit langem eine Herausforderung; sie steht akut unter dem Druck der Unterfinanzierung, einer überholten Förderstruktur, steigender Lebenshaltungskosten sowie zunehmend markt-, nicht kunstorientierter Bewertungskriterien. Die Situation ist bedrohlich, es besteht die Gefahr, den aktuell fruchtbarsten Ort künstlerischen Schaffens in Kulturprovinz zu verwandeln.“ (KDFS, 07.07.2015)
32 Am selben Tag findet auch die große ‚Wem gehört Berlin-Demonstration‘ statt (vgl. 5.1). Eine Koordination beider Veranstaltungen findet erst an diesem Tag der Demonstration statt, da es im Vorfeld keine Abstimmung gegeben hatte. 33 Dabei handelt es sich um den Stand von September 2013 (vgl. KDFS, 26.09.2013).
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Es wird dabei wiederholt betont, dass es nicht nur um mehr Geld gehe, im Sinne von ‚ein bisschen mehr vom Alten‘, sondern vielmehr ein kulturpolitisches Umdenken und damit einhergehend neue Förderstrukturen gefordert werden. Nachdem die Freie Szene bereits bei den letzten Haushaltsverhandlungen 2015/16 betrogen worden sei, müsse nun endlich die die City Tax dem ursprünglichen Zweck als Abgabe für die Berliner Kunstszene dienen und „für einen strukturellen Wandel, ein Umdenken in der Berliner Kunstförderung eingesetzt werden“ (vgl. KDFS, 07.07.2015). Deren Einführung sei ohne das Werben der Freien Szene gar nicht denkbar gewesen. Jede Erhöhung im Sinne des 10-Punkte-Programmssei prinzipiell begrüßenswert, heißt es.34 Die Koalition der Freien Szene biete jedoch den Abgeordneten ihre Expertise und ihre Zusammenarbeit für den Haushaltsentwurf im Spätsommer 2015 an (vgl. KDFS, 07.07.2015). Es gibt durchaus Verbindungen der Koalition der Freien Szene zu anderen städtischen Protestinitiativen, beispielsweise zu Stadt Neu Denken und Haben und Brauchen, einer weiteren etwas breiter aufgestellten kulturpolitischen Initiative, die mit mehreren offenen Briefen und einem Manifest sowie Konferenzen die Arbeit der Koalition der Freien Szene quasi vorbereitet und diese auch später offiziell unterstützt. 5.3.3
Haben und Brauchen
Schon im Januar 2011 bildet sich die Diskussions- und Aktionsplattform Haben und Brauchen (HUB) als Reaktion auf die für den Sommer 2011 geplante ‚Leistungsschau junger Kunst aus Berlin‘ (vgl. Berlin.de, 26.10.2010). Die Initiative von Künstler*innen, Stadtplaner*innen, Architekt*innen, Sozial- und Kulturwissenschaftler*innen wendet sich in einem offenen Brief an den Berliner Kultursenator und Regierenden Bürgermeister, Klaus Wowereit, und kontrastiert dessen Pläne zur Errichtung einer Kunsthalle mit den prekären Produktions- und Lebensbedingungen bildender Künstler*innen in Berlin. Kritisiert wird insbesondere die neoliberale Rhetorik, die sich im Begriff ‚Leistungsschau‘ manifestiert, die intransparente organisatorische und finanzielle Struktur des Projekts und die Unverhältnismäßigkeit des geplanten Budgets gegenüber der ansonsten chronisch unterfinanzierten zeitgenössischen Kunst in Berlin (vgl. HUB, 25.01.2011). Das zentrale Argument fokussiert die kulturelle Attraktivität Berlins und deren Kommodifizierung, bei gleichzeitiger Prekarisierung der Kulturproduzent*innen:
34 Das Programm wird stets weiterentwickelt und präzisiert. So liegt im Winter 2016/17 ein aktualisiertes „11-Punkte-Programm“ vor (vgl. KDFS, 01.12.2016).
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„Die internationale Anziehungskraft der zeitgenössischen Kunst trägt maßgeblich zur Attraktivität Berlins bei. Doch vom damit verbundenen Profit und Imagegewinn für die Stadt fließt wenig zu den Akteuren zurück, im Gegenteil: die realen Arbeits- und Lebensbedingungen Berliner KulturproduzentInnen verschlechtern sich zusehends durch steigende Mieten und den Verlust selbstorganisierter Freiräume. Die ,Leistungsschau‘ instrumentalisiert künstlerische Arbeit zu Zwecken des Stadtmarketings und der Ökonomisierung der Kultur.“ (HUB, 25.01.2011, Herv. i. O.)
Die Kette der Forderungen umfasst eine /langfristige finanzielle Sicherung von Diversität und Dezentralität, als maßgebliche Charakteristika von Berlins zeitgenössischer Kunst- und Kulturlandschaft/ = /grundlegende Revision des konzeptionellen und kuratorischen Modells des geplanten Ausstellungsvorhabens/ = /öffentliche Diskussion über die stadtentwicklungspolitischen Effekte eines temporären Ausstellungsprojektes am Standort Humboldthafen vor dem Hintergrund der aktuellen Transformationsprozesse durch Privatisierung und Kommerzialisierung des öffentlichen Raumes/ = /ein öffentlicher Dialog darüber, wie die Produktionsund Präsentationsbedingungen von zeitgenössischer Kunst in Berlin außerhalb medienwirksamer Leuchtturm-Projekte nachhaltig gefördert und weiterentwickelt werden können/ (vgl. HUB, 25.01.2011). Im April 2013 wird ein zweiter offener Brief mit Forderungen zur kommenden City Tax und explizit zur Unterstützung der Koalition der Freien Szene an Klaus Wowereit verfasst. Darin wird die folgende Forderungskette formuliert: /100% der City Tax-Einnahmen für freischaffende KulturproduzentInnen, Projekträume und Spielstätten sowie prekär arbeitende Kunst- und Kulturinstitutionen/ = /öffentliche Positionierung des Kultursenators zum Thema/ = /Entscheidungen zur Verwendung der geplanten City Tax für den Kulturbereich müssen gemeinsam und auf einer Augenhöhe mit freien und institutionellen Akteuren entwickelt werden/ = /Umsetzung der, in der Koalitionsvereinbarung zwischen den Regierungsparteien getroffenen Aussagen, die freie Szene verstärkt fördern und deren Rahmenbedingungen verbessern zu wollen in konkretes und aktives politisches Handeln – unabhängig davon, wann und ob die City Tax letztlich kommt oder nicht/ (vgl. HUB, 19.04.2013). Nur auf diesem Wege könne „eine neue, qualifizierte und zukunftsfähige Kulturpolitik, die die Wirklichkeit und gesellschaftliche Bedeutung der selbstorganisierten künstlerischen Praxis anerkennt, die durch die besonderen historischen Bedingungen und Freiräume Berlins hervorgebracht wurde“, auf den Weg gebracht werden (vgl. HUB, 19.04.2013). Diese Positionen beziehen sich auf das Manifest, das Haben und Brauchen ein Jahr zuvor veröffentlicht hatte und auf welches bis heute in den kultur- und stadtpolitischen Diskursen Bezug genommen wird.
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Das Manifest Im Januar 2012 wird ein neunseitiges Manifest veröffentlicht, das von 40 Personen in gemeinsamer Arbeit verfasst wurde, „als Versuch, die vielfältigen Stimmen zur Situation der zeitgenössischen Berliner Kunstszene zu vermitteln und zur Diskussion zu stellen“ (vgl. HUB 2012: 1). Der Name des Bündnisses ist gleichzeitig Titel des Manifests, das in vier thematische Teile gliedert ist, die in Relation zueinander gesetzt werden und aufeinander aufbauen: /Gegen die Enteignung des Gemeinwesens/ = /Was heißt hier Arbeit/ = /Ökonomie: Teilhabe statt Abspeisung/ = /Bekenntnis zur Berliner Tradition der kollektiven und egalitären Stadtgestaltung/ (vgl. HUB 2012: 1). Dabei wird sowohl auf die aktuelle Situation der Kunst- und Kulturschaffenden eingegangen, als auch auf die historischen, strukturellen und stadtpolitischen Besonderheiten Berlins mit Bezug zu allgemeinen stadtpolitischen Entwicklungen.35 Problembeschreibung, Analyse und Forderungen gehen einher. Im Zentrum steht dabei die historische Gewordenheit der vielseitigen Berliner Kunstszene, die sich nun mit dem Paradox konfrontiert sieht, dass sich ihre Situation verschlechtert, während sie gleichzeitig ins Zentrum städtischer Marketingkampagnen gestellt wird. Daher sei es wichtig, dass sich die Kunstszene „nicht auf die Forderung nach städtischen Freiräumen und bezahlbaren Ateliers, nach Erhöhung und Neuorientierung der öffentlichen Kunstförderung“ beschränken darf, „sondern eine Anbindung an aktuelle Diskussionen um Stadtentwicklung, Liegenschafts- und Mietenpolitik zu vollziehen [hat] und sich im Hinblick auf die Begriffe und Realitäten von Arbeit, Produktivität und Gemeinwesen zu positionieren“ (vgl. HUB 2012: 1). Dementsprechend wird im ersten Teil „Gegen die Enteignung des Gemeinwesens“ die gesellschaftliche Bedeutung von Kunst als „zentraler Schauplatz des Gemeinwesens“ herausgearbeitet und davor gewarnt, sie auf den Bereich des privaten Konsums zu reduzieren oder als /reines wirtschaftliches Spekulationsobjekt/ zu betrachten (vgl. HUB 2012: 2). Die „Verhandlungsoffenheit von Kunst“ und die „Existenz dieses Gemeinwesens“ wird der „Unterwerfung der kulturellen Öffentlichkeit unter den ökonomischen Imperativ“ und dessen Tendenz im neoliberalen Kurs der „Inwertsetzung“ jeglichen städtischen Lebens gegenübergestellt (vgl. HUB 2012: 2). Es sei nicht hinnehmbar, dass die „schiere Existenznot und Armut“ das Wirken von Künstler*innen bestimmt, während sie als „kreative Einzelgänger (sic!)“, zum /Prototypen neoliberaler Subjektivierungen/ = /Zukunftsmotor/ = /Standortfaktor/ stilisiert werden (vgl. HUB 2012: 2). Folglich wird gefordert: „Die
35 Es erinnert in vielen Positionen an das im November 2009 in Hamburg veröffentlichte Manifest „Not in Our Name, Marke Hamburg!“, in dem sich ebenfalls Kunst- und Kulturschaffende gegen eine Instrumentalisierung für unternehmerische Stadtpolitiken und entsprechende Marketingkampagnen positionieren (vgl. NIONHH, 29.10.2009).
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Gesellschaft muss Verantwortung für den Erhalt des Gemeinwesens übernehmen. Sie darf sich nicht selbst abschaffen! Erst recht nicht in unserem Namen!“ (HUB 2012: 2f.). Der zweite Teil diskutiert die Frage „Was heißt hier Arbeit?“. Dabei wird von der Prämisse ausgegangen, dass „Kunst als Medium des Gemeinwesens die Auseinandersetzung mit grundsätzlichen, gesellschaftlichen Problemen“ diesen Widersprüchen auch ungeschützt ausgesetzt sei (vgl. HUB 2012: 3). „Die Tätigkeiten von Kulturschaffenden müssen dabei unfreiwillig Pate stehen für die Glamourisierung des Freiberuflertums in allen Sparten, wo deregulierte Arbeit gestalterische Züge trägt und mit Kommunikation zu tun hat.“ (HUB 2012: 3) Zwar lieferten Künstler*innen das „Image für eine ganze Industrie“, doch würden sie nicht für ihre Tätigkeiten bezahlt und schlichtweg ausgebeutet (vgl. HUB 2012: 3). Daran schließt sich die folgende Argumentationskette an: /künstlerische Arbeit/ = /Verdienstmöglichkeiten/ = /Brennpunkt gesamtgesellschaftlichen Widerspruchs/ = /neue Arbeitskultur/ = /flexibel/ = /künstlerisch/ = /kreativ/ = /Leistungsdruck / = /Existenzangst/ = /Kluft zwischen arm und reich/ (vgl. HUB 2012: 3). Über die künstlerischen Tätigkeiten sei daher „eine allgemeine Diskussion darüber anzustoßen, wie Arbeit heute gesamtgesellschaftlich verstanden und gerechterweise anerkannt und honoriert werden sollte“ (vgl. HUB 2012: 3). Die Warenförmigkeit sei nicht notwendigerweise ein Ziel künstlerischer Arbeit. Vielmehr lasse sich ein Großteil der künstlerischen Arbeit in immateriellen Kategorien jenseits von Produktivität fassen, da viel Recherche, Kommunikation, Ausprobieren und Verwerfen dazugehöre, wobei all diese Tätigkeiten Grundvoraussetzung dafür seien und daher auch als Arbeit Anerkennung finden sollten. Als Konsequenz daraus werden /bezahlbare Arbeitsräume/ = / ein gewisses Grundeinkommen/ = /Zeit/ gefordert, um die künstlerische Qualität von Produktionen zu sichern (vgl. HUB 2011: 4). Darüber hinaus verstehe sich künstlerische Arbeit heute zunehmend auch als Bildungs- und Demokratiearbeit, doch sei es nicht „Aufgabe der Kunst, den Abbau des Sozialstaats erträglicher zu machen“ (vgl. HUB 2012: 4). „Kunst ist kein gesellschaftliches Dekor. Ebenso wenig sind Künstler jungfräulich spirituelle Wesen, die irgendwo im Abseits des kapitalistischen Potenztheaters auf ihre Erlöser warten. Sie begreifen vielmehr kritisch und selbstbestimmt gesellschaftliche Entwicklungsprozesse als Gestaltungsprozesse. Kulturelle Arbeit produziert kulturelles, soziales und zwischenmenschliches Wissen. In den zugespitzten Widersprüchen der Kunst gelangt die Gesellschaft emotional und gedanklich zu einem Begriff von sich selbst. Kunst schafft Räume, in denen gesellschaftliches Handeln als Wert erfahrbar wird.“ (HUB 2012: 5)
Ein Erweitern oder Umdefinieren des Begriffes der Arbeit betreffe nicht nur die Kunst, sondern alle Bereiche, in denen gearbeitet, aber nicht bezahlt wird. ‚Knappe
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Kassen‘ seien kein Argument, da für andere Dinge und Projekte Geld selbstverständlich zur Verfügung gestellt wird. Beispielsweise werden ‚Leuchtturmprojekte‘ mit horrenden Budgets geplant, die Bezahlung freischaffender Mitarbeiter*innen bliebe darin jedoch meist unberücksichtigt und auch Ausstellungshonorare würden nach wie vor nicht gezahlt. Als Konsequenz werden /Mindestlöhne für Kulturarbeiter*innen/ gefordert, da das bisherige Lohnniveau von etwas vier Euro pro Stunde nicht akzeptabel sei (vgl. HUB 2012: 5f.). Der dritte Teil ‚Ökonomie: Teilhabe statt Abspeisung‘ widmet sich dem Grundwiderspruch, dass einerseits Kunst dafür benutzt wird, die Stadt zu bewerben und somit auch zur ‚Kulturalisierung der Ökonomie‘ beitrage, anderseits die meisten Künstler*innen arm blieben36 und /jenseits der Versprechen der Kreativökonomie die längerfristigen Förder- und Überlebensstrukturen der Kulturproduzent*innen abgebaut werden oder schlicht kollabieren/: „Berlin hat als Stadt dadurch eine massive Aufwertung erfahren, dass Künstlerinnen durch ihre vielfachen Tätigkeiten die Attraktivität des städtischen Lebens entscheidend gesteigert haben. Für die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Künstler hat dies jedoch bisher keinerlei positive Rückwirkung gehabt. Im Gegenteil: sie bleiben weiterhin desolat.“ (HUB 2012: 6)
Daraus wird die Notwendigkeit abgeleitet, dass die Stadt den mehr als 8.000 Künstler*innen und Kulturschaffenden etwas zurückgibt und sie nicht nur durch das Aufstocken der desolaten Förderungen unterstützt, sondern ihnen „langfristig eine wirkliche Teilhabe an der Aufwertung der Stadt durch längerfristige strukturelle Projekte“ ermöglicht (vgl. HUB 2012: 7). Solche Investitionen fließen in die Stadt zurück, im Gegensatz zur Immobilienbranche, wo hauptsächlich Profite in privatem Vermögen aufgingen, da das Geld für Kunst im Kreislauf des städtischen Lebens bleibe und diesem zugutekomme. Für diesen ambitionierten aber auch alternativlosen Vorschlag seien jedoch kooperative Verhandlungspartner*innen in der Politik unerlässlich. „Hier bieten sich Modelle der Selbstverwaltung an, wie die Überlassung von Liegenschaften und Anschubfinanzierung im Kunstbereich“ (vgl. HUB 2012: 7).
36 Um dies zu illustrieren werden Zahlen angeführt, die das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) ermittelt hat: Demnach lag im Jahr 2006 das im Monat verfügbare Einkommen von mehr 77 Prozent der befragten Künstler*innen unter 1.000 Euro. Laut einer Studie des Instituts für Strategieentwicklung (IFSE) stammen die Einnahmequellen von knapp 45 Prozent der Künstler*innen in 2011 aus kunstfremden Quellen, wie Hartz IV, Arbeitslosengeld, Familie und Freund*innen oder Festanstellungen und Nebenerwerb (vgl. HUB 2012: 6).
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Schließlich wird im vierten Teil ein ‚Bekenntnis zur Berliner Tradition der kollektiven und egalitären Stadtgestaltung‘ gefordert: „Artikuliert werden muss ein Bekenntnis zu einer Tradition, die im Umgang mit Wohnraum in und für Berlin immer von wesentlicher Bedeutung war: die Tradition eines kollektiven und egalitären Geistes in Raumproduktion und -nutzung im Wohnungswesen.[…] Herausgestellt werden müssen zugleich die weitreichende Kritik am überwiegend entmündigenden Berliner Wohnungswesen, die vielfältigen Praktiken der politischen Aktion und des zivilen Widerstands dagegen, sowie die entsprechenden planerisch-baulichen und gleichsam ökonomischsozialen Alternativen.“ (HUB 2012: 8f.)
Künstler*innen und Kulturproduzenten würden sich als einflussreiche Akteur*innen in der Berliner Stadtentwicklung erkennen und sich direkt oder indirekt /an der Instandsetzung und Modernisierung von Gebäuden und Flächen, Quartieren, Bezirken/ beteiligen und so /zur gesamtstädtischen Inwertsetzung/ beitragen (vgl. HUB 2012: 8f.). Der besondere Status von Berlin habe definitiv etwas mit der /Hauptstadtwerdung/ zu tun sowie mit der Entwicklung seit 1990, für die eine /Aneignungsoffenheit der Stadt/ und die /langjährigen, im internationalen Vergleich niedrigen Lebenskosten/ charakteristisch waren (vgl. HUB 2012: 8f.). Berlin gelte als ‚Mekka‘ des sogenannten urban pioneering, wobei nun selbst die Akteure der Zwischennutzung zunehmend von Aufwertung und Verdrängung betroffen seien: „Im Kontext dieses sowohl als auch, dieser häufig als partizipativ und selbst ermächtigend intendierten Gentrifizierung, geschieht zweierlei: Während sich die Einen mit den entstehenden Mehrwerten absichern und so, wenn alles gut geht, ökonomisch profitieren katapultiert es Andere aus dem Feld“ (HUB 2012: 7f., Herv. i. O.). Das Manifest schließt mit einer Reihe von Forderungen für eine /andere Liegenschaftspolitik/ = /Moratorium der Privatisierung öffentlicher Liegenschaften/ = /Diversifizierung und dauerhafte Aneignungsfähigkeit öffentlicher Wohnungs- und Gewerbebestände/ = /Vorkaufsrecht von privaten Liegenschaften für die öffentliche Hand/ = /erneuerte Wertschätzung und öffentlich geförderte Weiterentwicklung des Genossenschaftswesens/ = /Spekulationsverbot oder die Einführung einer Spekulations- und Gentrifizierungssteuer auf dem privaten Wohnungsmarkt/ = /Aktivierung von existierenden Instrumenten in Politik und Verwaltung – wie das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum und Kontrolle des Mietspiegels/ = /Kooperation von Kulturschaffenden mit Mietervereinen und ähnlichen Organisationen/ = /nachhaltige Förderung experimenteller Wohn-, Arbeits- und Präsentationsstätten/ = /1000 Mal ExRotaprint/ (vgl. HUB 2012: 8f.).
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5.4
YOU CAN’T EVICT A MOVEMENT – PROTESTE VON REFUGEES
Proteste von Refugees in Deutschland haben seit 2012 eine neue Qualität erreicht und speziell in Berlin eine so nicht zu antizipierende, bleibende stadtpolitische Wirkung hinterlassen. Refugees machen sich aus ihren peripheren Sammelunterkünften37 im ganzen Bundesgebiet aus auf den Weg, um in Berlin zu protestieren. In der Hauptstadt sollen ihre Forderungen die nötige politische und mediale Aufmerksamkeit bekommen. Das folgende Unterkapitel widmet sich einer kleinen Auswahl von Aktionsformen und Orten des Refugee-Protestes in Berlin und den vielschichtigen Verbindungen zu anderen städtischen sozialen Bewegungen. Die Geflüchteten organisieren den Protest selbst, durch dessen Kontinuität und Vernetzung sowie spektakuläre Aktionen eine breite Öffentlichkeit erreicht wird. Sie erheben ihre Stimmen gegen Kasernierung in Sammelunterkünften ohne Rechte, gegen Residenzpflicht, einen unsicheren legalen Status und die damit verbundene ständige Bedrohung durch Abschiebung, die nichtgewährte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, an Arbeit und Verdienstmöglichkeiten, an Bildung und Krankenversorgung und für eine selbstbestimmte Unterbringung. Krieg, Zerstörung, politische und wirtschaftliche Perspektivlosigkeit in ihren Herkunftsländern habe sie zur Flucht gezwungen, heißt es im Protest immer wieder. Die Gründe zu protestieren sind vielschichtig und unterschiedlich, die Erfahrung der Rechtlosigkeit und Fremdbestimmung in Deutschland teilen sie jedoch. Sie kann als eine Grundlage des Aufbegehrens und des anhaltenden Widerstandes verstanden werden. Hierbei wird die Demokratisierungsforderung am stärksten und deutlichsten formuliert. Das Kapitel beschäftigt sich chronologisch damit, wie die Refugee-Proteste aus verschiedenen Orten der Bundesrepublik Deutschland nach Berlin gekommen sind (Kap. 5.4.1), wie verschiedene Orte des Protests geschaffen wurden (Kap. 5.4.2 und Kap. 5.4.3) und mit den Entwicklungen im weiteren Verlauf der politischen Auseinandersetzung mit der lokalen Politik (Kap. 5.4.4) sowie mit den gemeinsamen Aktionen mit anderen Initiativen (Kap. 5.4.5).
37 Sammelunterkünfte sind kommunale oder landeseigene Unterkünfte, in denen Geflüchtete untergebracht werden. Für die Bewohner*innen werden Mehrbettzimmer zur Verfügung gestellt. Küchen und Bäder werden ebenfalls geteilt. Die Organisation der Unterkünfte wird von externen sozialen Trägern übernommen. Zudem wird häufig ein privater Sicherheitsdienst eingesetzt. Diese Unterkünfte liegen häufig am Rand oder auch außerhalb von Ortschaften. Die Art der Unterbringung wird von Geflüchtetenorganisationen kritisiert und häufig als ‚Lager‘ bezeichnet, unter anderem wegen der räumlichen und sozialen Isolation, dem Mangel an Selbstbestimmung und da sie den häufig traumatisierten Bewohner*innen zu wenig oder keinen Rückzugsraum bietet (vgl. Wendel 2014).
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5.4.1
Der Marsch der Würde
Schon im Frühjahr 2012 gibt es in verschiedenen Städten in Süddeutschland von ‚Non-Citizens‘38 organisierte Protestzeltcamps, um gegen die Asyl- und Migrationspolitik der Bundesrepublik zu demonstrieren. Am 9. September 2012 wird ein solches Protestcamp in Würzburg zum Ausgangspunkt des ‚Refugee Marsches nach Berlin‘, initiiert vom Koordinationskommitee protestierender Asylsuchender in Deutschland, in dem jeweils eine Person aus den fünf Protestcamps in Bayern vertreten ist. Der Protestmarsch besteht aus zwei Routen – einem Fußmarsch und einer Bustour. Ziel des 600 Kilometer langen Marsches über Landstraßen von 70 Geflüchteten und 100 Unterstützer*innen war eine Ausweitung der Proteste auf weitere Städte in einer bundesweiten Protestzeltaktion. Dabei werden weitere Sammelunterkünfte besucht und Demonstrationen veranstaltet. Die Kritik setzt auf einer Ebene der Subjektpositionen an und stellt konkret die das Label ‚Flüchtling‘ mit den Fluchtursachen in einen gemeinsamen Kontext: /kapitalistische Wirtschaftens/ = /Lebensumstände/ = /Grenzen/ = /sichere Länder/ = /Krieg/ = /Boykott/ = /Unterdrückung/ = /Ausbeutung/ = /Besetzung/ = /Zerschlagung/ = /Flucht/ (vgl. Non-Citizens, 31.08.2012). Eine zweite Kette der Dislozierungsbeschreibung bezieht sich auf die Situation in den Ankunftsländern: In den kapitalistischen Gesellschaften, in denen die Geflüchteten dann um Asyl bitten, herrsche „eine systematische Unterdrückung, die jeden Versuch dieser Menschen ignoriert oder gar verhindert, an der Gesellschaft, in der sie angekommen sind, teilzuhaben“ (vgl. Non-Citizens, 31.08.2012). Der Titel ‚Flüchtling‘ selbst sorge dafür, dass die Menschen einzig „in eine Position am Rande der Gesellschaft gedrängt werden, ohne grundlegende Möglichkeiten der Teilhabe“ (vgl. NonCitizens, 31.08.2012). Daraus wird die Notwendigkeit zum ‚Widerstand‘ abgeleitet: „Der Widerstand, um den es hier geht, hat zum Ziel, die zwei Antagonismen Citizen – NonCitizen, die diese Unterdrückung reproduzieren, zu zerbrechen. Nur so ist den Menschen, die zur Flucht gezwungen sind, der Zugang zur Gesellschaft ihres Zielortes möglich. Menschen, die vor der Unterdrückung in einer Gesellschaft geflüchtet sind, in der sie den Wohlstand der ‚sicheren Länder‘ mit geschaffen haben, und denen nun die Teilhabe an diesem Wohlstand weiterhin verwehrt wird. Im besten Fall werden sie nach dem Zutritt in die Gesellschaft der sogenannten sicheren Länder nur als billige Arbeitskräfte betrachtet, die das Wachstum und
38 Der Aktionskreis Unabhängiger Non-Citizen Kämpfe ist durch spektakuläre Aktionen bekannt geworden sind, zum Beispiel mit zugenähten Lippen bei einem Hungerstreik in Würzburg im Juni 2012. Der Aktionskreis gibt im September 2013 seine Auflösung bekannt und geht unter anderem auf in der Aktionsplattform ‚Refugee Struggle for Freedom‘.
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die Entwicklung der Länder der Metropolen sicherstellen.“ (Non-Citizens, 31.08.2012, Herv. i. O.)
Zentrale Forderungen sind in der folgenden Äquivalenzkette artikuliert: /Anerkennung aller Asylsuchenden als politische Geflüchtete/ = /Stopp aller Abschiebungen/ = /Abschaffung der Residenzpflicht/ = /Abschaffung der Lagerpflicht/ (vgl. Non-Citizens, 31.08.2012, Herv. i. O.). Der Marsch ging durch verschiedene Städte, unter anderem Leipzig und Wittenberg. In Erfurt wird eine Pressekonferenz der Refugees von Rechtsradikalen gestört. Diese werden jedoch von Unterstützer*innen vertrieben. Nach 28 Tagen erreichen die Protestierenden am 6. Oktober 2012 Berlin. Eines der entscheidenden Resultate, neben der medialen Öffentlichkeit, ist die Errichtung des Protestcamps auf dem Oranienplatz (O-Platz)39 in Berlin Kreuzberg, das zu einem zentralen Protestort wird. Es wird angekündigt den Protest solange aufrecht zu erhalten, bis die zentralen Forderungen umgesetzt sind. Am 13. Oktober 2012 gibt es in Berlin unter dem Motto ‚Willkommen in Berlin!‘ mit etwa 6.000 Teilnehmenden die bis dahin größte Demonstration für die Rechte von Geflüchteten. 5.4.2
O-Platz ist überall
Für den Berliner Refugeeprotest ist die Besetzung des O-Platzes der Ausgangspunkt einer Reihe öffentlicher Aktionen und auch weiterer Besetzungen. Mit dem Protestcamp mitten in Kreuzberg wird aber auch der Protest gegen das Asylrecht und die Behandlung von Geflüchteten in einem Maße sichtbar gemacht, wie es zuvor nicht möglich war: „Wir haben unsere Zelte in den Zentren errichtet, weil wir die Isolation nicht mehr ertrugen“, betont Turgay Ulu, ein politischer geflüchteter Journalist aus der Türkei, rückblickend in einem Interview mit dem Spiegel im April 2015 (vgl. Wiedemann, 22.04.2014). Damit wird der Protest von der kleinstädtischen Peripherie, in der sich häufig die Sammelunterkünfte für Geflüchtete befinden, ins Zentrum der Hauptstadt gebracht.40 Der O-Platz wird zu einer zentralen Anlaufstelle für Geflüchtete aus ganz Deutschland, die sich an den Protesten beteiligen wollen. „This protest camp has soon become our center of resistance, the place where we made our political demands visible.“ (Oplatz.net 2012) Es ist un-
39 Die Kurzform ‚O-Platz‘ wurde zu einer festen Bezeichnung für das Protestcamp am Oranienplatz in den Protesten in Berlin und wird im Folgenden auch von mir verwendet. 40 Dass dies in Berlin in diesem Maße funktionieren kann, ist nicht zuletzt auch dem Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) anzurechnen, der die Errichtung des Camps vorerst duldet und sie folgender Maßen kommentiert: „Wir unterstützen die politischen Forderungen der Flüchtlinge, wir halten sie für richtig“ (RBB Online, 16.10.2012).
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klar wieviele Menschen im Protestcamp leben, zeitweise sind es vermutlich bis zu 100 Protestierende. Das Camp wird hauptsächlich mit Sach- und Geldspenden aus der ‚linken Szene‘ unterstützt.41 Die organisatorische Basis der Proteste ist die horizontale Selbstorganisation der Geflüchteten für das Zusammenbringen sowie die Aufrechterhaltung der Autonomie verschiedener Perspektiven der Bewohner*innen. Dementsprechend sind auch die Organisationsstrukturen ausgerichtet. Es gibt unterschiedliche Arbeitsgruppen, die sich in einem wöchentlichen Plenum koordinieren, die aktuellen Ereignisse und das weitere Vorgehen besprechen. Ausgehend vom O-Platz werden Bustouren von Bewohner*innen organisiert, um Geflüchtete in ihren ‚Lagern‘ in anderen Städten zu informieren und in die Proteste miteinzubeziehen.42 Die Hungerstreiks am Brandenburger Tor gehen ebenfalls von Geflüchteten vom O-Platz aus.43 Für die Besetzung der Gerhart-Hauptmann-Schule und auch für weitere Aktionen, wie Proteste in und vor verschiedenen Botschaften, ist der O-Platz der Ausgangspunkt. Darüber hinaus wird der O-Platz aber auch zu einem Treffpunkt und einem Kommunikationspunkt verschiedener städtischer Proteste, von wo aus gemeinsame Aktionen zwischen den Bewohner*innen des O-Platz und stadtpolitischen Initiativen geplant und inhaltliche Schnittmengen gesucht werden:
41 Zu Beginn gibt es mehrere Aufrufe Lebensmittel, Hygieneartikel, Kleidung, Feuerholz, Töpfe, Besteck, Teller, Möbel, Stifte, Papier und was sonst noch zum Leben notwendig ist, vorbeizubringen. 42 Es gibt während der Zeit der Besetzung des O-Platzes verschiedene externe Schwierigkeiten, beispielsweise Auseinandersetzungen mit Nachbar*innen, so wurde am 17. Juni 2013 ein Bewohner des Protestcamps mit einem Messer von einem Anwohner attackiert und verletzt. Bei verschiedenen Räumungsversuchen wurden Bewohner*innen von Polizist*innen verletzt und beleidigt. Auch gibt es interne Probleme und Auseinandersetzungen, beispielsweise um Spendengelder, Entscheidungsstrukturen, Geschlechterrollen, die sanitäre Situation sowie Homophobie und Sexismus. 43 Hungerstreiks sind innerhalb der Refugee Proteste zu einer immer wieder angewendeten und vielleicht der radikalsten Protestform geworden. Erstmals tritt am 24. Oktober 2012 eine Gruppe von 25 Geflüchteten in einen unbegrenzten Hungerstreik. Dieser wird sieben Tage aufrechterhalten und erst nach Gesprächen mit der Flüchtlingsbeauftragten der Bundesregierungn Maria Böhmer (CDU) abgebrochen. Am 9. Oktober 2013, wird auf dem Pariser Platz erneut eine ‚Dauermahnwache‘ von 30 Refugees aus München angemeldet, die mit einem unbefristeten ‚trockenen‘ Hungerstreik unter anderem gegen rassistisch motivierte Polizeigewalt protestieren (vgl. Gennies/Dassler/Kuhla, 09.10.2013). Die Aktion endet erst nach elf Tagen unter Vermittlung verschiedener Politker*innen und Kirchenvertreter*innen.
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„In 2014 we brought our protest to the European level: In a march from Strassbourg to Brussels we broke the international borders in an act of civil disobedience together with refugeeactivists from various regions. Since more than two years now we have organized many demonstrations and activities from the base of resistance: Oranienplatz and Ohlauer Straße. Through different kinds of direct action, such as civil disobedience, occupations and blockades we made clear that we will not cease to fight for our rights. We also connected our protest with other struggles and groups like anti-gentrification and antifa-groups, workers, students and artists.“ (Oplatz.net 2012)
Hierbei werden Äquivalenzketten zwischen verschiedenen direkten Aktionsformen /civil disobedience/ = /occupations/ = /blockades/ sowie sowie zu anderen (städtischen) Protesten und mit /anti-gentrification/ = /antifa-groups/ = /workers/ = /students/ =/artists/ ein sehr weites Spektrum von entsprechenden Subjektpositionen artikuliert (vgl. Oplatz.net 2012). Es wird immer wieder der Versuch unternommen, den Protest zu delegitimieren. Ende 2013 wird von einigen Politiker*innen, unter anderem vom Schauspieler und Bundestagsabgeordneten Charles M. Huber (CDU), der Vorwurf formuliert, linke Gruppen würden die Refugees für ihre politischen Ziele instrumentalisieren, denn es sei verwunderlich, dass die Proteste so drastisch und radikal ausfielen (vgl. Frenzel, 15.12.2013). Vor allem nach einem weiteren missglückten Räumungsversuch des Camps und in der weiteren Debatte um die Räumung wird dies nun zu einem tragenden Argument. In einem Interview mit dem Tagesspiegel meint Patras Bwansi, einer der Aktiven vom O-Platz, diesbezüglich: „Wir sind doch keine Kinder. Niemand sagt mir, was ich tun muss. […] Und natürlich sind wir auf Unterstützung von Deutschen angewiesen, auch von politischen Gruppen. Je mehr Menschen sich mit uns solidarisieren, desto besser, desto schneller werden unsere Forderungen erfüllt“ (vgl. Frenzel, 15.12.2013). Für ihn ist der O-Platz ‚der Kampfplatz der Refugees‘ und als Anlaufstelle zentral für die Stärke des Protests. Für ihn steht fest, dass Europa Verantwortung gegenüber Afrika habe, da die ehemaligen Kolonialstaaten eine Mitschuld daran trügen, dass der Kontinent zerstört sei. Dies sei für ihn und viele andere eine grundlegende Legitimation des Protests (vgl. Frenzel, 15.12.2013). Die Radikalität und Kontinuität des Protests hat also konkrete historische und aktuelle politische Gründe. Dazu kommt, dass eine nicht geringe Zahl der Protestierenden auch schon in ihren Herkunftsländern politisch aktiv gewesen sind, worin nicht selten ihre Flucht gründet. Ab Mitte 2013 wird von den Behörden der Druck erhöht das Camp zu räumen. Es ist ein Wechselspiel zwischen verschiedenen Zuständigkeitsbereichen im Berliner Senat – zwischen Sozialsenator Mario Czaja (CDU), Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) und Innensenator Frank Henkel (CDU) sowie der neuen Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) werden verschiedene Vorschläge ver-
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handelt. Schließlich zieht ein Teil der Bewohner*innen im November in ein ehemaliges Caritas-Altenheim in Berlin Wedding mit einem Wohnrecht bis 2014. Innensenator Henkel stellt im Oktober 2013 den Bewohner*innen ein Ultimatum zur Räumung, das vom Regierenden Bürgermeister Wowereit im Januar 2014 mit einem Verhandlungsvorschlag unter Vorsitz von Integrationssenatorin Kolat gestoppt wird. Die Verhandlungen verlaufen kontrovers und auch die Meinung und Positionierung der Bewohner*innen ist mittlerweile gespalten. Am 3. März 2014 bauen sich Bewohner*innen Holzbuden an Stelle der provisorischen Zelte. Am 18. März 2014 präsentiert Integrationssenatorin Kolat mit dem ‚Einigungspapier Oranienplatz‘ einen Lösungsvorschlag, worauf sich ein Teil der Geflüchteten bereit erklärt, den Oranienplatz zu räumen. Der Vorschlag sieht unter anderem eine sechsmonatige Duldung vor, die Möglichkeit Deutsch zu lernen sowie die jeweiligen Berufsabschlüsse anerkennen zu lassen. Am 8. April 2014 wird der O-Platz endgültig geräumt. Dies wird von einer größeren Gruppe von Geflüchteten selbst umgesetzt. Einige Bewohner*innen beginnen morgens damit die Hütten und Zelte abzubauen. Hauptsächlich den von der italienischen Insel Lampedusa kommenden Geflüchteten waren Unterkünfte in Friedrichshain und in Marienfeld angeboten worden, die sie nun beziehen wollen. Es kommt zu Rangeleien und Handgreiflichkeiten, da die vom politischen Marsch von vor 17 Monaten verbliebenen Bewohner*innen sich nicht mit der Räumung abfinden wollen. Einer von ihnen ist Adam Bahar, der in einem Interview mit dem Tagesspiegel am Rand der Räumung meint: „Ich kämpfe nicht für mich, sondern für alle Menschen, die in Flüchtlingsheimen leben. […] Lagerpflicht, Residenzpflicht, Abschiebungen – alles gilt weiter, alles ist wie bisher“ (vgl. Hasselmann et al., 08.04.2014). Er wolle, wie einige andere auch, an den gesetzten politischen Zielen festhalten, eine Reform des deutschen Asylrechts zu erwirken. Da dieses Vorhaben noch nicht erfolgreich umgesetzt worden ist, müsse der Protest weitergehen. Eine andere Bewohnerin, Napuli Langa, klettert aus Protest auf eine Platane auf dem O-Platz und protestiert so über vier Tage gegen die Räumung und die nicht erfüllten Forderungen. Schließlich tritt eine Gruppe von Refugees für 21 Tage in einen Hungerstreik. Sie wollen den O-Platz nicht aufgeben. Gefordert wird die langfristige Etablierung des ‚Infopunktes‘ und eines großen Zeltes am O-Platz, um Treffen abhalten zu können. Darüber hinaus wird die Umwandlung der besetzten ehemaligen GerhartHauptmann-Schule in ein selbstorganisiertes politisches Zentrum für Geflüchtete gefordert.44 Am Abend nach der Räumung findet eine Demonstration mit mehr als 300 Teilnehmenden statt. Es kommt zu Auseinandersetzungen mit der Polizei so-
44 Der Hungerstreik wird erst nach einem Treffen mit Aydan Özoguz (SPD), der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration am 30. April 2014 mit der Zusage zu einem weiteren Gespräch unterbrochen.
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wie zu einigen Festnahmen. Es gibt verschiedene Versuche den Platz wieder zu besetzen, was jedoch von der Polizei nicht zugelassen wird. In einem Interview mit dem Spiegel im Mai 2015 betont Napuli Görlich (geb. Langa): „Oranienplatz ist überall und […] wir werden nicht leiser“ (vgl. Wiedemann, 22.04.2014). Nachdem die Installation ‚Die 28 Türen‘, errichtet aus den Trümmern der ehemaligen Hütten am 31. März 2015, einem Brandanschlag zum Opfer fällt, erinnert in den folgenden Monaten noch ein Informationsstand an das frühere Protestcamp auf dem O-Platz. Es dient nach wie vor als Anlaufstelle für Geflüchtete, die hier mit Informationen zu den Protesten und zu Beratungen versorgt werden. Auch werden von hier aus unter anderem die temporären Unterbringungen in ‚Solizimmern‘ bei Privatpersonen koordiniert. 5.4.3
Refugee-Strike-House
Am 8. Dezember 2012 besetzt eine Gruppe von circa 100 Geflüchteten und Unterstützer*innen das leerstehende Gebäude der Gerhart-Hauptmann-Schule in Berlin Kreuzberg. Das Protestcamp am O-Platz mit den sinkenden Temperaturen und Schnee ist kein geeigneter Ort um die kalten Nächte im Winter zu verbringen. Es waren bereits Zelte unter Schneemassen eingestürzt. Entgegen der sogenannten Berliner Linie45 wird den Besetzer*innen von Bezirksbürgermeister Franz Schulz eine vorläufige Duldung ausgesprochen. Die Geflüchteten dürften bis Ende März 2013 bleiben. Eine dauerhafte Nutzung als selbstverwaltetes Zentrum lehnt Schulz mit Verweis auf den Bedarf anderer Projekte ab.46 An der Besetzung sind zwei Gruppen beteiligt, die sich solidarisch aufeinander beziehen. Einerseits wird das Gebäude der ehemaligen Oberschule von den Refugees besetzt und andererseits ein Pavillon auf dem Gelände von einer Freiraum-Gruppe – es entstehen das RefugeeStrike-House und das Irving-Zola-Haus (vgl. Dubro, 20.12.2012). In einer gemeinsamen Erklärung heißt es: „Mit der Besetzung unternehmen wir einen selbstbestimmten praktischen Schritt hin zur Abschaffung der rassistischen Asylgesetzgebung, durch die wir unserer elementaren Zivil- und Menschenrechte beraubt werden, wie z.B. das Recht auf eine Wohnung. […] Wir führen die-
45 Hierbei handelt es sich um eine Verordnung von 1981, wonach neue besetzte Häuser binnen 24 Stunden nach Bekanntwerden der Besetzung von der Polizei zu räumen sind. 46 Die Freie Schule Kreuzberg – eines der Projekte, die im Gespräch sind das RefugeeStrike-House zu nutzen – veröffentlicht am 12. Dezember 2012 eine Pressemitteilung. Darin solidarisieren sich die Eltern mit der Besetzung und signalisieren die Bereitschaft für eine kooperative Nutzung des Refugee-Strike-House (vgl. Freie Schule Kreuzberg 2012).
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se Aktion zusammen und in Solidarität mit einer anderen selbstorganisierten Gruppe durch. Diese ist Teil einer weltweiten Bewegung gegen Gentrifizierung, steigende Mieten und die Verdrängung von Menschen aus Stadtteilen, die nicht in das sozio-ökonomische Profil einer kapitalistischen Stadtumstrukturierunspolitik passen. […] Wir fordern Wohnungen für alle! Wir sind keine Opfer, wir sind Widerstandskämpfer_innen! Wir bleiben alle!“ (Enough is Enough, 08.12.2012)
Das vierstöckige Refugee-Strike-House47 wird ausschließlich zur Unterbringung von Geflüchteten benutzt. Die Infrastruktur mit Strom, Heizung und warmem Wasser steht zur Verfügung. Es gibt erste Streitigkeiten zwischen den 50 Bewohner*innen um die Raumverteilung. Um Konflikte zu lösen wird hausintern ein ‚Antikonfliktteam‘ gebildet. Selbstorganisation und die offene Zugänglichkeit der Räume für alle Bedürftigen sind auch hier das grundlegende Organisationsprinzip. Die Plena und die Mahlzeiten sollen jedoch weiterhin auf dem O-Platz stattfinden. Das Irving-Zola-Haus wird von der Besetzer*innengruppe als „offenes, emanzipatorisches, barrierefreies und selbstbestimmtes soziales Zentrum im Kiez“ verstanden, als solidarischer Raum für alle von diskriminierenden Gesetzen Betroffenen, wie es in einem Interview heißt (vgl. Dubro, 20.12.2012). Die Plena sind offen und ein Veranstaltungskalender über eine Website einsehbar. Es werden Konzerte und Diskussionsrunden veranstaltet sowie Filme gezeigt. Ein ‚Umsonstladen‘48 wird eingerichtet. Mit der Zeit werden die Räume auch von den Refugees genutzt und auch betreut. Ein Refugee Café eröffnet im Juni 2013, wo fast täglich gekocht wird. Das Irving-Zola-Haus wird im August 2013 schließlich komplett von den Refugees übernommen. Schnell wächst die Anzahl der Bewohner*innen. Anfang 2013 ist bereits von mehr als 200 die Rede, nachdem auch einige wohnungslose RomaFamilien in der Schule untergekommen sind. Die katastrophalen hygienischen Bedingungen und die angespannte Lage werden von den politischen Entscheidungsträger*innen zum Anlass genommen die Schule räumen zu lassen.49 Nach verschiedenen gescheiterten Verhandlungen zwi-
47 Im weiteren Verlauf der Arbeit werden die Bezeichnungen ‚Refugee-Strike-House‘ und ‚Schule‘ synonym verwendet. 48 In ‚Umsonstläden‘ werden gespendete Waren kostenlos bereitgestellt und können von jedem mitgenommen werden. Ihren konsumkritischen Ursprung haben sie in der amerikanischen Free-Shop-Bewegung. Seit den späten 1960er-Jahren wurde dabei versucht eine Alternative zur Geldwirtschaft zu schaffen. 49 Es gibt immer wieder auch handgreifliche Auseinandersetzungen im Haus. So verletzt ein Mann drei Menschen am 21. Dezember 2012 mit einem Messer nach einem Streit. Auch die hygienischen Zustände werden von Bewohner*innen als katastrophal beschrieben. Es steht nur eine Dusche zur Verfügung. Die Heizungen funktionieren im Winter
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schen Bezirk und Senat beantragt die neue Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann am 24. Juni 2014 Amtshilfe bei der Polizei. Daraufhin beschließt der Berliner Senat in einer Sitzung am Morgen die Räumung. Ein Großaufgebot der Polizei beginnt mit der Vorbereitung der Räumung. Das Gebiet um die Schule wird weitläufig abgeriegelt. Es sind mehr als 1.700 Polizist*innen im Einsatz. Hamburger Gitter und zahlreiche Einsatzwagen der Polizei blockieren den Zugang zur Ohlauer Straße Es kommen nur Anwohner*innen, die ihren Ausweis vorzeigen, durch. Es sind Hundestaffeln im Einsatz und auch Pfefferspray wird eingesetzt, um den Gegenprotest von Unterstützer*innen zurückzudrängen und auf Abstand zur Schule zu halten. Die Schule selbst ist von den Bewohner*innen abgeriegelt und verbarrikadiert worden. Einige Protestierende befinden sich auf dem Dach und drohen zu springen, falls es zu einer Räumung durch die Polizei kommen sollte. Im Treppenhaus und in der Aula werden Möbel aufgetürmt und mit Benzin übergossen. Der Mehrheit der Bewohner*innen wird das zu anstrengend und sie verlassen das Haus. Sie haben Angst und nehmen das Angebot von Ersatzunterkünften der Behörden an. Vorgesehen ist eine Unterbringung in Sammelunterkünften und Hostels. Sie werden in das ‚Einigungspapier Oranienplatz‘ einbezogen. Ebenso wird eine Einzelfallprüfung ihrer Asylanträge garantiert. Eine Gruppe von etwa 160 Bewohner*innen lässt sich darauf ein und verlässt das Gebäude. Eine kleine Gruppe von etwa 40 Refugees bleibt zurück. Sie bleiben auf dem Dach und wollen unter keinen Umständen das Gebäude räumen. Über soziale Medien, wie Twitter und Skype, werden die Neuigkeiten in den Verhandlungen direkt an die Journalist*innen und die Unterstützer*innen und weitergegeben, die vor den Absperrungen zu hunderten bei Kundgebungen und Solidaritätsveranstaltungen ausharren und lautstark gegen die Räumung protestieren. Mit dabei sind auch viele Nachbar*innen aus der unmittelbaren Umgebung der Schule, die sich plötzlich in einem Ausnahmezustand wiederfinden. Das massive Auftreten der Polizei über mehrere Tage wird von vielen als ‚Besetzung‘ oder auch ‚Belagerung‘ des gesamten Stadtteils bezeichnet. Der Polizeieinsatz dauert insgesamt neun Tage und kostet etwa fünf Millionen Euro. Die verbliebenen Bewohner*innen lassen sich nicht auf die Vorschläge der Behörden ein. Es gibt täglich Solidaritätsaktionen in Berlin, auch in Hamburg, Brüssel oder Istanbul: Täglich finden mehrere
2013 nicht richtig. Es kommt zu mehreren Razzien von SEKs in der Schule, so beispielsweise am 14. November 2013 nachdem ein 20-jähriger Geflüchteter in der Nähe der Schule nach einem Streit schwer verletzt wird. Die Polizei zerstört Inventar, Türen und Möbel. Am 25. April 2014 kommt es unter zwei Geflüchteten zu einer tödlichen Messerstecherei, um die Benutzung der einzigen Dusche. Ein 29-jähriger Bewohner erliegt den Stichverletzungen. Ein 40-jähriger Mann wird daraufhin festgenommen und gegen ihn wird wegen Mordes ermittelt (vgl. Stollkowsky/Herrmann, 14.11.2013).
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Demonstrationen, unter anderem auch von Schüler*innen, statt; das Büro von Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann wird vorübergehend besetzt; es werden Konzerte gegeben und Filme vor den Barrikaden gezeigt (vgl. Squat.net, 28.06.2014). Am 2. Juli 2014 wird schließlich eine Vereinbarung mit dem Bezirksamt getroffen und der Polizeieinsatz beendet, auch wenn nicht alle Refugees die Vereinbarung unterschrieben haben. Die Verbliebenen sollen demnach namentlich erfasst werden und sie bekommen Bewohner*innenausweise für das Gebäude. Für Menschen ohne solche Ausweise ist der freie Zugang nun nicht mehr möglich. Den Bewohner*innen wird eingeräumt auch Besucher*innenkarten zu vergeben, allerdings sind die Regelungen dazu noch unklar. Überwacht durch einen privaten Sicherheitsdienst müssen Besuche seither beantragt werden.50 Ebenfalls Teil der Vereinbarung ist, dass die Bewohner*innen darüber bestimmen können, welche Projekte in der Schule stattfinden. Darüber hinaus werden ihnen dieselben Zugeständnisse zuerkannt wie den Bewohner*innen, die das Haus verlassen haben, also eine Einzelfallprüpfung der Anträge. Die Schule wird entrümpelt, renoviert und es werden Toiletten eingebaut. Den Bewohner*innen wird in den Verhandlungen versichert, dass sie nicht aufgrund ihres Aufenthaltsstatus strafrechtlich verfolgt werden (vgl. Ohlauerinfopoint, 02.07.2014). Damit bleibt dieser sichtbare Ort des Refugee-Protests vorerst erhalten, auch wenn die Offenheit und freie Zugänglichkeit nicht mehr gegeben ist. Die Bewohner*innen werden im April 2015 erneut dazu aufgefordert auszuziehen. Eine Räumung sei jedoch wegen eines laufenden Rechtsstreits zwischen drei Bewohner*innen und dem Bezirk nicht möglich. Stattdessen wird von den Besetzer*innen ein Kauf des Gebäudes ins Gespräch gebracht, um es in ein /internationales Flüchtlingszentrum/ umzubauen: „Kaufen statt Räumen!“, heißt es in einem Aufruf der Aktivist*innen (vgl. Oplatz.net, 01.04.2015). Ende Juli 2015 wohnen noch 24 Menschen in der Schule. Für Wachschutz, Instandhaltung und Betriebskosten kommen etwa eine Millionen Euro im Jahr zusammen. Es wird nun nach einer Finanzierungsmöglichkeit für die Umwandlung eines Teils des Gebäudes in ein selbstorganisiertes Zentrum gesucht (vgl. Kneist, 02.07.2015).51
50 Im Juni 2015 beantragt die US-amerikanische Bürgerrechtlerin Angela Davis Zugang zur Schule, um sich mit den Refugees zu treffen. Dies wird ihr jedoch von der Bezirksverwaltung versagt. Daraufhin trifft sie sich außerhalb der Schule mit den Besetzer*innen (vgl. Amjahid, 14.05.2015). 51 Am 11. Januar 2018 wird die Schule schließlich endgültig geräumt. Die verbliebenen letzten elf Besetzer*innen verlassen bereits am Vortag das Gebäude. Sie sind nun anderweitig untergekommen. Der Bezirk wolle nun ein ‚Zentrum für Geflüchtete‘ aus der ehemaligen Schule machen (vgl. Hasselmann, 11.01.2018).
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5.4.4
Verzweiflung nach der Einigung
Über den Kampf um die Erhaltung der Schule als ein symbolischer Ort des Refugee-Protests hinaus bleiben jedoch die grundsätzlichen Forderungen der Refugees bestehen, wie zahlreiche weitere Aktionen zeigen. Ein besonders hohes Frustrations- und Resignationsniveau herrscht letztendlich bei den Refugees, die sich auf die Angebote der Behörden eingelassen haben, denn es kommt zu einem folgenschweren Eklat. Die Unterschrift unter dem Einigungspapier sei die Falsche und dieses daher nicht rechtsgültig. Innensenator Henkel selbst hätte unterschreiben müssen, nicht Integrationssenatorin Kolat. Eine Klage auf Einhaltung des Vertrages ist nicht möglich (vgl. Heiser, 31.08.2014). Ein Großteil der Geflüchteten wird abgeschoben oder zurück in ihre ursprünglichen Sammelunterkünfte geschickt. Der Protest der Verbliebenen geht dennoch weiter und versucht wieder auf die eigentlichen Forderungen und Inhalte um einen dauerhaften Aufenthaltsstatus zurückzukommen, die bei der Räumung zumindest in der öffentlichen Debatte in den Hintergrund geraten waren, beziehungsweise individualisiert werden. Die realen persönlichen Konsequenzen der kompromissbereiten Bewohner*innen vom O-Platz und der Gerhart-Hauptmann-Schule kristallisieren sich in all ihrer Dramatik in den am 26. August 2014 beginnenden Protesten der Geflüchteten heraus, die auf dem Dach eines Hostels in der Gürtelstraße 39 in Berlin Friedrichshain gegen die Politik des Senats protestieren. Von einem Tag auf den anderen waren ihnen die Leistungen gekürzt worden sowie die Zahlungen für die Unterkünfte. Damit stehen sie nun vor der Obdachlosigkeit. In einer Presseerklärung vom 30. August 2014 äußern sie sich verzweifelt und wütend und werfen Integrationssenatorin Kolat Wortbruch vor, denn das ‚Einigungspapier Oranienplatz‘ sei nicht umgesetzt worden: Weder wären faire Einzelfallprüfungen erfolgt, noch gäbe es einen wirksamen Schutz vor Abschiebungen. Es werden neue Verhandlungen mit Kolat gefordert und eine faire und demokratische Einzelprüfung ihrer Fälle (vgl. Gürtelstraße, 28.08.2014). Insgesamt ist die Situation der Refugees vom O-Platz und aus der GerhartHauptmann-Schule ernüchternd. Nur drei Protestierende von 540 bisher abgeschlossen Fällen erhalten ein Bleiberecht. Alle anderen müssten wieder zurück in andere Bundesländer oder in andere europäische Länder, äußert sich Sozialsenator Czaja gegenüber dem Rundfunk Berlin Brandenburg (vgl. RBB, 07.01.2015).52
52 Im RBB heißt es: „Den Angaben zufolge sind bei den Oranienplatz-Flüchtlingen 345 Fälle abgeschlossen, sechs noch offen. Von den Flüchtlingen aus der Schule seien 195 Verfahren überprüft und 20 noch offen.“ (RBB Online, 07.01.2015)
Städtischer Protest | 227
5.4.5
Weiter mit politischen Inhalten und Bündnissen
Am Nachmittag des 9. Juli 2014, einige Tage nachdem sich die Lage in Kreuzberg beruhigt hatte, besetzt eine Gruppe von 37 Geflüchteten und Unterstützer*innen die Panoramaplattform des Berliner Fernsehturms in 207 Meter Höhe. Die Gruppe Refugee Struggle for Freedom macht erneut mit einer spektakulären und öffentlichkeitswirksamen Protestaktion auf die zentralen Forderungen der Refugees aufmerksam, nämlich die /Abschaffung der Residenzpflicht/, ein /dauerhaftes Bleiberecht/ und eine /generelle Arbeitserlaubnis/ (vgl. Langhammer/Gebauer, 10.07.2014). Zur Begründung der Aktion werden wieder die desolaten Zustände in den Unterkünften, die strukturelle Exklusion von gesellschaftlicher Teilhabe sowie das Verhalten der zuständigen Behörden angegeben: „Das jahrelange Warten, Lagerpflicht, Residenzpflicht, keine Arbeitserlaubnis, kein Recht zur Bildung und kein Recht auf Deutschkurse machen unser Leben unerträglich. […] Da wir auf den Behörden nur ausgelacht und nicht ernst genommen werden, sehen wir uns gezwungen, den Berliner Fernsehturm zu besetzen. Jeden Tag bringen sich in den Lagern in Deutschland Menschen um, weil sie dieses hoffnungslose und schmerzvolle Leben nicht mehr leben können. Wir fordern ein Gespräch mit den verantwortlichen Politikern. Auch wir sind Menschen.“ (Langhammer/Gebauer, 10.07.2014)
Am 25. September 2014 besetzen etwa 20 Geflüchtete die Zentrale des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Berlin-Brandenburg am Wittenbergplatz in Berlin Schöneberg. Wieder ist es die Gruppe Refugee Struggle for Freedom. Sie wollen in eine Mitgliedsgewerkschaft des DGB eintreten, da sie sich Hilfe von den Kolleg*innen im Hinblick auf ihre politischen Forderungen erhoffen. In der Erklärung zur Besetzung erläutern sie die Hintergründe für das drastische Hilfegesuch beim DGB: „Wir fordern den DGB auf, seine acht Mitgliedsgewerkschaften […] zu aktivieren und ihre Organisation und politische Schlagkraft zu nutzen, um das Denken der deutschen Gesellschaft über Geflüchtete zu ändern, sodass wir rechtlich als Menschen behandelt werden, die arbeiten dürfen und eine produktive Perspektive in der deutschen Gesellschaft haben. Wir wollen diese Gelegenheit nutzen, um unsere Solidarität mit dem Streik bei Amazon und mit den Kolleg*innen bei Osram, die eine unsichere Zukunft haben, auszudrücken. Wir gehören zum untersten Teil der Arbeiter*innenklasse. Deswegen sind wir hier beim DGB.“ (Refugees Struggle for Freedom, 29.09.2014)
Hier werden Äquivalenzen zwischen den politischen Bemühungen der Refugees und Arbeitskämpfen aufgezeigt, die in der Subjektposition der /Arbeiter*innen-
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klasse/ verknüpft werden (Refugees Struggle for Freedom, 29.09.2014). Als Mitglieder versprechen sie sich bessere politische Verhandlungsmöglichkeiten und weitere rechtliche Unterstützung. Die Verhandlungsführenden der Gewerkschaft jedoch sehen da keinen Verhandlungsspielraum. Eine Mitgliedschaft sei nicht möglich, da Gewerkschaften keine Geflüchteten aufnehmen könnten, heißt es von Seiten der Verhandlungsführer*innen des DGB (vgl. Flatau, 26.09.2014). Nach einer Woche Besetzung und Verhandlungen eskaliert die Situation. Am 2. Oktober 2014 erstattet die DGBSpitze Anzeige wegen Hausfriedensbruchs und lässt die Lobby des Gewerkschaftsgebäudes von 200 Polizist*innen gewaltsam räumen. Die Räumung löst eine Kontroverse innerhalb des DGB aus.53 Die Protestierenden hatten sich mit Eisenketten an den Hälsen aneinander gekettet, sodass sie erst mit Bolzenschneidern getrennt werden müssen. Der DGB sehe sich nicht zuständig und habe auch keine Möglichkeiten die Forderung nach einem Bleiberecht zu erfüllen, einzig ein Kontakt zum Bundestag könne vermittelt werden, so DGB-Sprecher Dieter Pienkny (vgl. taz, 02.10.2014). Am 27. September 2014 findet analog zur Besetzung des DGB-Gebäudes die Demonstration ‚United Neighbours – Bleiberecht und Wohnraum für alle!‘ statt. Die Demonstration von Geflüchteten und stadtpolitisch Aktiven startet am Spreewaldplatz in Berlin Kreuzberg, wo sich um die 1.500 Menschen einfinden. Aufgerufen haben Refugee Strike Berlin, das Bündnis Zwangsräumung Verhindern sowie weitere politische Gruppen und Einzelpersonen. Der thematische Schwerpunkt liegt auf dem gemeinsamen stadtpolitischen Erfahrungshorizont von Verdrängung und Zwangsräumung – von verschiedenen Refugeeprotesten über die Räumung der Cuvry-Brache, die Situation von Romafamilien im Görlitzer Park bis hin zu Mietenprotesten. Im Aufruf zur Demo heißt es zudem: „Die Proteste um den Oranienplatz, um die besetzte Schule in der Ohlauer Straße und nun in der Gürtelstraße haben den Kampf gegen Rassismus und Kapitalismus in der Stadt auf eine neue Ebene gehoben. Wir, Geflüchtete und stadtpolitische Aktive, kämpfen gemeinsam gegen Verhältnisse, in denen unser Bedürfnis nach Wohnraum, Bewegungsfreiheit, nach Solidarität und einem selbstbestimmten Leben von Politik und Polizei unterdrückt wird. Der Wi-
53 Besonders der Arbeitskreis Undokumentierte Arbeit, der seit circa einem Jahr arbeitsrechtliche Beratungen für Arbeitnehmer*innen mit unsicherem Aufenthaltsstatus anbietet, kritisiert in einer Stellungnahme das ignorante Vorgehen in den Verhandlungen und fordert eine Rücknahme der Anzeigen sowie einen anderen Umgang mit Geflüchteten. Auch wird richtiggestellt, dass bereits Geflüchtete in Hamburg DGB-Mitglieder geworden sind und bemängelt, dass auf die Expertise der erfahrenen Berater*innen in den Verhandlungen nicht zurückgegriffen wurde (vgl. LabourNet.de, 13.10.2014).
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derstand gegen das ausgrenzende Lager- und Asylsystem soll offenbar gebrochen werden […]. Auch in anderen stadtpolitischen Kämpfen wie dem gegen Mietsteigerung, Verdrängung und Zwangsräumungen gibt es Versuche, die betroffenen Menschen einzuschüchtern und eine ständige Kriminalisierung der Proteste – damit die neoliberale Stadtentwicklung widerstandslos ablaufen kann.“ (United Neighbours, 16.09.2014)
Das Motto der Bündnis-Demo lautete ‚Bleiberecht und Wohnraum für Alle‘, wobei die Signifikanten /Bleiberecht/ und /Wohnraum/ in einen gemeinsamen Zusammenhang gestellt werden, um mit der Anrufung des Subjekts /Alle/ eine größtmögliche offene Assoziation von Betroffenen zu erzeugen. Eine entsprechende Äquivalenzkette von Forderungen wird universal formuliert, wobei unter anderem /Wohnraum/ einen gemeinsamen Bezugspunkt bildet: /Recht auf eine Wohnung/ = /Bewegungsfreiheit/ = /Solidarität/ = /selbstbestimmtes Leben/ (vgl. United Neighbours, 16.09.2014). Im Aufruf zur Demonstration wird der Zusammenhang von Protesten von Refugees und von Protesten um Wohnraum insbesondere durch Mängel und Bedrohungsszenarien bestimmt.54 Mehrere Ketten von Mangelsignifikanten präzisieren den Kontext, in dem die Forderungen formuliert werden: /ausgrenzende Lager- und Asylsystem/ = /Polizeigewalt/ = /Entmenschlichung/ = /Vertreibung von öffentlichen Orten (mit dem Beispiel Görlitzer Park)/ = /Drangsalieren/ wird verbunden mit einer weiteren Kette von /stadtpolitischen Kämpfen gegen /Mietsteigerung/ = /Verdrängung/ = /Zwangsräumungen/ = /Einschüchterung/ = /Kriminalisierung der Proteste/ (vgl. United Neighbours, 16.09.2014). Adressiert werden im Aufruf sowohl /Geflüchtete/ als auch /stadtpolitisch Aktive/. In einer zweiten Anrufungskette werden dann diese Subjektpositionen in Kämpfen um Verdrängung präzisiert /Roma-Familien/ = /O-Platz/ = /GerhardtHauptmann-Schule/ = /Gürtelstraße/ = /Cuvry Brache/. Gezeichnet ist der Aufruf von /Refugee Strike Berlin/ und dem /Bündnis Zwangsräumungen verhindern!/ (vgl. United Neighbours, 16.09.2014). Als Metasubjekt wird mit /United Neighbours/ eine gemeinsame politische Subjektposition formuliert, die Verbindung zwischen den verschiedenen partikularen stadtpolitischen Kämpfen und den entsprechenden Subjektpositionen in nachbarschaftlichen Beziehungen betont. Der Aufruf richtet sich gegen eine /neoliberale Stadtentwicklung/, die als zentraler Mangelsignifikant und gemeinsamer negativer Bezugspunkt der partikularen stadtpolitischen Auseinandersetzungen fungiert und nicht /widerstandslos/ hingenommen werde (vgl. United Neighbours, 16.09.2014). Als weitere Mangelsignifikanten werden /Kapitalismus/ = /Rassismus/ = /Konkurrenz/ = /Repression/ für die genauere Bestimmung des zentralen Mangelsignifikanten angeführt (vgl. United
54 Der Demonstrationsaufruf ist in Deutsch, Englisch, Arabisch und Französisch verfasst.
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Neighbours, 16.09.2014). Den Protesten der Refugees am /Oranienplatz/, um die /besetzte Schule in der Ohlauer Straße/ und in der /Gürtelstraße/ wird in der Artikulation dieser Mangelstruktur und deren der Politisierung eine entscheidende Rolle für die /Proteste in der Stadt/ zugesprochen (vgl. United Neighbours, 16.09.2014). Die gemeinsame Dislozierungserfahrung in der /Stadt der Repression, der kapitalistischen Konkurrenz und des Rassismus/ und über diese hinaus ist bestimmt durch /Ausgrenzung/ = /Nicht-Teilhabe/ = /Bedrohung/ = /Entmenschlichung/ (vgl. United Neighbours, 16.09.2014). Dem entgegengestellt wird eine positive Vision von einer /Stadt der Menschlichkeit und Solidarität/, die sich gegen /Angst/ = /Spaltung/ = /Trennung/ = /Zwangsräumung/ = /Lager/ = /Abschiebungen/ = /Verdrängung/ stellt (vgl. United Neighbours, 16.09.2014). Als vereinend werden exemplarisch Erfolge des Protests, beispielsweise gegen die /Räumung der Schule/ und /abgewendete Zwangsräumungen/ angeführt (vgl. United Neighbours, 16.09.2014). Die Demonstration geht vorbei an verschiedenen Kreuzberger Protestorten. Vom Spreewaldplatz geht es in die Ohlauer Straße, vorbei an der GerhartHauptmann-Schule, die von Sicherheitspersonal und Polizei abgeschirmt wird, vorbei an der ebenfalls abgesperrten Cuvry Brache bis zum O-Platz. Der Duktus des Aufrufs zur Demonstration, verschiedene Proteste explizit in einen gemeinsamen Kontext zu stellen, ist auch in den Redebeiträgen präsent.55 Erfahrungen mit Repression, Rassismus, Diskriminierung und Kriminalisierung werden kritisiert als Faktoren und Subjektivierungspraktiken einer neoliberal ausgerichteten Stadtentwicklungspolitik mit fortlaufender Inwertsetzung, Privatisierung, Leerstand sowie demokratischen Defiziten. Ein Demonstrationsteilnehmer trägt ein Schild auf dem steht ‚Be illegalisiert. Be geräumt. Be wohnungslos.‘– eine Persiflage zur Imagekampagne ‚Be Berlin‘ (vgl. Kap. 5.3.1). Kotti & Co richtet sich explizit gegen die Stadtverwertung, betont die Stärkung sozialer Rechte, Beratung und konkreter Hilfe und kündigt den ‚Mietenvolksentscheid Berlin‘ (vgl. Kap. 5.1.3) an. Zur Abschlusskundgebung am OPlatz hebt das Bündnis Zwangsräumungen Verhindern! die Wut hervor, die nach den verschiedenen Räumungen und den Zerstörungsversuchen sozialer Strukturen des städtischen Protestes entstand. Dem könne nur mit Solidarität begegnet werden, um die Vereinzelung zu überwinden. „Wir sind nicht Opfer, sondern wir werden zu politischen Subjekten“, heißt es. Mit der Demonstration sollen Verbindungswege zwischen den ‚Kämpfen‘angestoßen werden, weg von individualisierter Schuld und der Mystifizierung struktureller Widersprüche ‚Für eine Stadt für alle‘. Aktive vom O-Platz haben das Schlusswort. Der Redner fasst die Geschichte und die Inhalte des
55 Die Beiträge werden in Deutsch, Englisch, Französisch und Romanes übersetzt, damit möglichst alle Teilnehmenden sie verstehen.
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Refugee-Protests zusammen und betont die Bedeutung der verschiedenen Besetzungen: „O-Platz was evicted but the struggle, for which O-Platz stands, [it] is not over, because the injustices against eviction are also not gone. Our struggle continues. […] We will continue our struggle until we achieve freedom.“
5.5
NACH OCCUPY WALL STREET – HORIZONTALE FREIRÄUME, AKTIONEN UND NETZWERKE IN NEW YORK
Für die städtischen sozialen Bewegungen in New York stellt Occupy Wall Street (OWS) eine historische Demarkationslinie dar. Es gibt ein davor und ein danach. Die grundlegenden Praktiken direkter Demokratie, wie sie in der New York City General Assembly56 und in den Arbeitsgruppen von OWS umgesetzt worden sind, finden sich in den kollektiven Narrativen des städtischen Protests und ebenso in den alltäglichen Praktiken. Die offene Kommunikationsstruktur wird von OWS als ein zentrales Instrument direkter partizipativer Demokratie umgesetzt. Angestrebt werden dabei Entscheidungen im Konsens, unter Einbeziehung aller Anwesenden. Die General Assembly hat eine Moderation, um zu garantieren, dass alle Anwesenden zu Wort kommen. David Graeber sieht in der General Assembly die Basis der erfolgreichen Mobilisierung von OWS, durch die sich eine neue epochale demokratische Kultur entwickelt (vgl. 2013: 42f.). In erster Linie wirken die während der Besetzung gemachten Erfahrungen radikaler Demokratie in den sozialen Beziehungen der Occupier*innen nach. Es lässt sich eine Kontinuität dieser Organisations- und Aushandlungsprozesse erkennen, die in horizontalen linken Freiräumen und Gruppen, aber auch jenseits dieser auszumachen sind. Entsprechende Prinzipien wie Antiautorität, Autonomie, Selbstermächtigung, Selbstverwaltung, Konsens, Transparenz und Solidarität sind wirkungsmächtig und resonieren nach wie vor in stadtpolitischen Diskursen sowie in Organisationsansätzen von Graswurzelinitiativen in New York. Besonders die Forderung nach direkter politischer Einflussnahme auf das politische Geschehen erstarkt zunehmend in städtischen Protestbewegungen und Netzwerken. Die Forderung nach radikaler Demokratie kontrastiert hierbei als allgemeine und grundlegende Systemkritik gängiger Spielarten repräsentativer Demokratie.
56 Unter einer ‚General Assembly‘ wird eine Versammlung verstanden, bei der ein horizontal ausgerichteter Open Space die Grundlage kollektiver (politischer) Diskussionen und Entscheidungen ist. Praktisch heißt das, dass alle sprechen können und so auch gehört werden, auch wenn es sich um eine Versammlung von mehreren hundert Menschen handelt. Das Modell geht zurück auf ähnliche politische Praktiken des antiken Griechenland.
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Formuliert wird sie allerdings immer im konkreten Zusammenhang stadtpolitischer Entscheidungen, die als krisenhaft erlebt werden. Wie nun anhand verschiedener Beispiele gezeigt werden soll, spielen dabei auch in New York physische Orte als radikaldemokratische Freiräume eine nicht zu vernachlässigende Rolle (Kap. 5.5.1). Als horizontale Treffpunkte zum Austausch, zur Vernetzung und zur Assoziation erweisen sie sich als Laboratorien partizipativer Demokratie und Ausgangspunkt konkreter Aktionen und Mobilisierungen (Kap. 5.5.2). Sind diese horizontalen Räume nicht vorhanden, werden sie gezielt durch gewaltfreie direkte Aktionen zivilen Ungehorsams im öffentlichen Raum geschaffen, vorzugsweise durch Besetzung (Kap. 5.5.3), wobei sie sich als Konvergenzpunkte zwischen verschiedenen thematischen Protesten erweisen. 5.5.1
Occupy Wall Street
Im Spätsommer 2011 herrscht in New York politische Aufbruchstimmung. OWS richtet sich als basisdemokratische Intervention gegen einen Jahrzehnte andauernden neoliberalen und postpolitischen Kurs (vgl. Kap. 2.4). Dafür steht in New York die von den Bürgermeistern Rudolph Giuliani (1994–2001) und Michael Bloomberg (2002–2013) betriebene Politik, Stadt nach unternehmerischen Gesichtspunkten zu organisieren. Die während der Besetzung von Zuccotti Park alias Liberty Square57 gemachten Erfahrungen und artikulierten Forderungen wirken auf verschiedene Weise in Protestartikulationen und Aktionsformen nach. Die folgenden Abschnitte greifen zur Illustration dieser Entwicklungen mit der Deklaration, Occupy Sandy und der ‚Participatory Walking Tour‘ einige thematische Schlaglichter von OWS auf. Die Deklaration Eine von mir interviewte Aktive bei OWS fasst die stadtpolitische Schwerpunktsetzung58 polemisch zusammen: „Well, I mean Bloomberg had no interest in developing policies that helped the vast majority of working New Yorkers. He wants to have a city for the rich and for realestate development.“ (Linda INYC, 30.10.2013)
57 Zuccotti Park wurde im Zuge der Besetzung durch OWS umbenannt in ‚Liberty Square‘. Im Folgenden verwende ich den Begriff der Besetzer*innen, da dieser auch nach der Besetzung häufig gebraucht wurde. 58 Im Grundton all meiner Interviews wurde New York unter Bloomberg als ein Ort sich verschärfender sozialer Ungleichheit und Exklusivität beschrieben. Bloomberg, der ‚Multimilliardär‘, verkörpert das postpolitische Subjekt einer Plutokratie, das Finanzwelt und Politik in einer Person vereint. Seine Politik baue auf Steuereinnahmen durch den Zuzug ‚Superreicher‘ nach Manhattan und Investitionsanreize durch Steuervergünstigungen.
Städtischer Protest | 233
Eben an diesem Punkt setzt auch OWS an und begreift sich selbst in erster Linie als systemkritische Demokratisierungsbewegung, die auch nach der gewaltvollen Räumung von Liberty Square am 15. November 2011 keineswegs beendet ist. Vielmehr geht es auch weiterhin darum, das alternative Projekt einer solidarischen Gesellschaft denkbar zu machen: „We are daring to imagine a new socio-political and economic alternative that offers greater possibility of equality. We are consolidating the other proposed principles of solidarity, after which demands will follow.“ (NYCGA 2011: 7) Unter dem Slogan ‚We are the 99 Percent‘ wird eine Reihe allgemeiner prinzipieller Ansprüche formuliert, die für die Vision dieser /soziopolitischen und ökonomischen Alternative/ maßgeblich sind: /Engaging in direct and transparent participatory democracy/ = /Exercising personal and collective responsibility/ = /Recognizing individuals’ inherent privilege and the influence it has on all interactions/ = /Empowering one another against all forms of oppression/ = /Redefining how labor is valued/ = /The sanctity of individual privacy/ = /The belief that education is human right/ = /Endeavoring to practice and support wide application of open source/ (vgl. NYCGA 2011: 7). OWS formuliert keine konkreten Forderungen, stattdessen werden unter dem Motto ‚We, the people‘ eine weit gestreute Auflistung verschiedener Dislozierungsbeschreibungen und thematischer Mängelketten nebeneinandergestellt, die eine Notwendigkeit von Protest und politischem Handeln begründen. Diese heterogene Kette von Mängeln beschreibt eine komlexe Mangelstruktur politischer, ökonomischer und kultureller Verfehlungen und Krisen. Dabei werden verschiedene Themengebiete adressiert und somit eine umfassende postdemokratische Kontraritätsstruktur konstruiert, die unter anderem Wohnen, Finanzen, Banken, Bildung, Lebensmittel, Landwirtschaft, Energieversorgung, Umweltschutz, Eigentumsverhältnisse, Gefängnisse, Rechtsstaat, bis hin zu Krieg und Folter miteinander ins Verhältnis setzt (vgl. NYCGA 2011: 12ff.). Als zentraler verbindender Signifikant für dieses vielfältige Spektrum an Mängeln wird eine /systemische Krise/ benannt, für die folgende Subjektpositionen in der Verantwortung stehen: /They/ = /Government/ = /Wall Street/ = /Bankers/ = /Corporations/ und die mit den negativen Attributen /plutocracy/ = /profits/ = /self-interest/ = /oppression/ = /corruption/ = /exploitation/ assoziiert werden (vgl. NYCGA 2011: 12). Daraus wird eine Notwendigkeit zur Kooperation aller Betroffener abgeleitet, mit dem Ziel die Bürgerrechte zu schützen gegen die Verbindung von ökonomischer Macht und Demokratie. /True democracy/ wird hingegen mit /the people/ in Verbindung gesetzt und nicht mit Unternehmen (vgl. NYCGA 2011: 12). Als positive Korrelate der verschiedenen Subjektpositionen wird der gemeinsame Bruch mit der Komplizenschaft durch Konsumption, Geld und Schweigen sowie das Praktizieren des friedlichen Versammlungsrechts, Platzbesetzungen, das Anstoßen eines Artikulationsprozesses von Problemen und das Generieren von Lö-
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sungen, die für alle zugänglich sind als Aufruf formuliert (vgl. NYCGA 2011: 12). Die Deklaration richtet sich an /the people of the world/ = /all communities that take action and form groups in the spirit of direct democracy/ mit dem offenen Aufruf ‚Join us and make your voices heard‘und ist unterzeichnet von der /New York City General Assembly/ wobei (vgl. NYCGA 2011: 15). Wie die Zeit im Park in den politischen Überzeugungen der Besetzer*innen nachwirkt, illustriert ein zum vierten Jahrestag der Besetzung geposteter Beitrag einer der OWS-Organizer*innen: „Four years ago today I passed under the red arches on Broadway and entered Liberty. I gave myself over to the space and time of occupation. There we made decisions by way of a directly democratic process. We organized working groups to meet our basic needs such as food and shelter. We built a new society. This did not come without challenges. Eventually, we were crushed by the weight of our own internalized oppressions as well as state violence. As I move on to other moments and movements I am haunted by this history. I have a feeling this is true of many who participated in OWS. We go to protests, we hit the streets, we try to do what we can. However, it never feels adequate. It’s never enough. I find myself asking, is this it? Is this really my life now? I still want to occupy everywhere! I still want to build alternatives to the state and capitalism!“ (Holmes, 17.09.2015)
Jeffrey, der in der Initiative Occupy Art and Labour aktiv ist, betont „relationships of solidarity“ (INYC, 18.10.2013), welche sich während der Besetzung entwickelt hatten und aus denen sich auch weiterhin politische Assoziationen bildeten, deren Ansprüche radikaldemokratischen Grundsätzen folgten. Occupy Sandy Viele Occupier*innen organisieren sich nach der Räumung dezentral in dutzenden Arbeitsgruppen.59 Wie Jeffrey hervorhebt, beschränkt sich OWS nicht auf einen temporären Protest, sondern es geht um kontinuierliche politische Arbeit in unterschiedlichen Themenfeldern: „One of the few grains of hope that I have noticed is the Occupy Wall Street movement, which is very active and very alive. It just doesn’t exist as a bunch of kids in a park. It’s become this network of activities throughout a very diversified group of people“ (Jeffrey INYC, 18.10.2013). Im Herbst 2012 während der verheerenden Auswirkungen von Hurrikan Sandy organisiert sich beispielsweise mit Occupy Sandy direkte selbstorganisierte Hilfe in Gebieten, in denen Betroffene tagelang von der Außenwelt abgeschnitten sind. Staatliche Institutionen wie Polizei und Feuerwehr können das Ausmaß der Kata-
59 Einige Arbeitsgruppen sind beispielsweise Occupy Museums, Occupy Art and Labour, Occupy Debt oder Occupy our Homes.
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strophe nicht bewältigen und auch das Rote Kreuz scheint völlig überfordert. Viele der ehemaligen Occupier*innen engagieren sich in den zerstörten Gebieten beim Wiederaufbau und bei Aufräumarbeiten. Das Occupy-Netzwerk erweist sich in diesem Zusammenhang als hilfreich und die oben angeführten Prinzipien einer demokratischen Ökonomie und gegenseitiger Hilfe werden im Angesicht der Naturkatastrophe und der humanitären Krise in die Praxis umgesetzt. Spendengelder und Hilfsgüter werden akquiriert und verteilt, wodurch der monatelange Aufbau zerstörter Häuser und Infrastrukturen in den von der Stadt eher vernachlässigten ärmeren Nachbarschaften unterstützt wird, beispielsweise in Redhook (Brooklyn) und Far Rockaway (Queens).60 OWS Walking Tour Am 15. September 2013 finden sich zwischen 80 und 100 Menschen im Financial District unweit der Wall Street ein, um im Rahmen einer ‚Participatory Walking Tour‘ miteinander Geschichten der Besetzung von Liberty Square durch OWS zu teilen. In einer Event-Einladung von Occupy Everything auf Facebook ist dazu folgendes zu lesen: „Participatory Walking Tour, 4 pm to 7 pm – Starting at Bowling Green, Beginning near the Charging Bull statue where it all began, we’ll walk together to different sites across the Financial District and share our stories of what happened there – the moments of triumph, the policy brutality, the corporate opponents in our midst. Facilitators will guide a participatory discussion in which all who come can be guides to one another.“ (Occupy Everywhere, 12.09.2013)
Ein Großteil der Anwesenden hatte sich aktiv an der Besetzung zwei Jahre zuvor beteiligt. Die meisten tragen Banner oder kleine Pappschildchen auf denen politische Statements zu lesen sind: ‚Occupy Memory‘ oder ‚Shit is still fucked up and bullshit‘. Viele der horizontalen Praktiken, die sich während der fünfwöchigen Besetzung im Herbst 2011 etabliert hatten, kommen auch an diesem Tag zum Einsatz.61 Es werden viele bekannte Chants und Slogans angestimmt, zum Beispiel ‚We are the 99 Percent‘ oder ‚All day all week, Occupy Wall Street‘. Die Mehrheit
60 Die Summe der akquirierten Spenden ging in die Millionen, was das Netzwerk vor einige organisatorische Herausforderungen stellte und so manche Kontroverse über den Umgang mit den Spendengeldern auslöste. 61 Beiträge werden mittels des People’s Mic vorgetragen, dem einfachen aber wirkungsvollen Werkzeug zur Verständigung mittels kollektiver Stimmverstärkung ohne technische Hilfsmittel. Die Aussagen der Sprechenden werden in kürzeren Abschnitten formuliert und anschließend von der Zuhörerschaft wiederholt.
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der Teilnehmenden hat sich mit Kameras, Videokameras und Aufnahmegeräten sowie Mikrofonen ausgerüstet, um die ‚Participatory Walking Tour‘ mit Fotos und Videos von Redebeiträgen zu dokumentieren oder für den Livestream ins Internet aufzunehmen. Es werden verschiedene zentrale Orte des Protests62 angesteuert, wo die Teilnehmenden über ihre persönlichen Erfahrungen und Geschichten aus der Zeit der Besetzung des Liberty Square berichten. Die Beiträge sind oft sehr emotional und persönlich, wie die Aussage einer Teilnehmerin illustriert: „Occupy Wall Street has saved my life. I was in a state of mania. I have the park to thank for liberating me from my own self.“ (OWS, 15.09.2013) Diese drei Sätze verdeutlichen recht drastisch was OWS auf affektiver Ebene ausmacht, nämlich ein Heraustreten aus einer persönlich erfahrenen Lebenskrise, weg vom Gefühl auf sich selbst zurückgeworfen zu sein und der damit verbundenen Perspektivlosigkeit. Liberty Square hatte demnach vor allem eine gemeinsame Ebene des Austauschs ermöglicht, in der individuelle Exklusionserfahrungen in die kollektive Erfahrung münden, nicht allein zu sein und gemeinsam aktiv zu werden zu können. Abbildung 8: Karten ‚Liberty Square‘ und ‚Financial District‘
Quelle: Eigenes Foto, New York 2013
62 Stationen sind unter anderem Bowling Green, Liberty Square, Wall Street Subway Station oder die Federal Hall. Zu einigen Stationen werden historische Fakten aus der Kolonialgeschichte rund um die Wall Street vorgetragen (vgl. dazu auch Manski, 17.09.2013).
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Im Anschluss an die Walking Tour findet am Abend in den Räumen der 16 Beaver Street, ebenfalls unweit der New Yorker Börse, eine Cartography Party mit Mitbringbuffet und Ausstellung statt, wo sich viele der Teilnehmer*innen weiter in persönlichen Gesprächen austauschen.63 An diesem Abend werden Materialien aus dem Fundus von OWS Archive ausgestellt. An Karten von Liberty Square und des Financial Districts können persönliche Erinnerungen angeheftet werden (vgl. Abb. 8). Gleichzeitig wird auch die Veröffentlichung zweier Bücher gefeiert, die während der Besetzung entstanden sind und die Geschehnisse reflektieren.64 5.5.2
Von Räumen zu Netzwerken
Eine stadtweite Bewegung horizontaler Gruppen unter einem gemeinsamen Nenner im konventionellen Sinne existiert derzeit nicht in New York. Dennoch werden auch weiterhin vorhandene Occupy-Netzwerkstrukturen aufrechterhalten, beispielsweise durch eine Mailingliste aus der Zeit der Besetzung 2011. Man begegnet sich vor allem im Umfeld thematischer Veranstaltungen in verschiedenen ‚alternativen Räumen‘ oder um konkrete Aktionen herum, die oft von OWSArbeitsgruppen ausgehen. In verschiedenen Diskussionsrunden um Stadtpolitiken und Protestinitiativen wird immer wieder ein tiefes Bedürfnis nach „wide-scale and continious networks of solidarity and mutual aid“ geäußert (vgl. Bert 16 Beaver, 25.07.2014). Eine weitere Teilnehmerin betont „social movements in New York are really disconnected and fractured“ (vgl. Laura 16 Beaver, 25.07.2014). Auf eine ähnliche Weise drückt es die in unterschiedlichen Kontexten wiederholte Aussage aus von Richard, der unter anderem bei Take Back the Land aktiv ist: „We live and organize in silos!“ (Richard 16 Beaver, 25.07.2014). Für ihn markiert diese organisatorische Vereinzelung gleichzeitig den analytischen Ausgangspunkt, den es zu überwinden gilt, um eine breite Bewegung für eine gerechte Stadtpolitik voran zu bringen. Seine favorisierte Strategie baut auf ‚Menschenrechten‘ als einem möglichen gemeinsamen Nenner zur Mobilisierung (vgl. Kap. 6.1) und Konvergenz (vgl. Kap. 7.1) auf: „One of the things I’ve learned very honest, how this human rights framework, which has basically cast aside in this country for years, can take you out of those silos and helps you organizing around structures that are preventing you from achieving what it is you want to
63 Die Räumlichkeiten der 16 Beaver Group wurden auch während der Besetzung des Liberty Square für einige Treffen der New York City General Assembly genutzt. 64 Beide Autoren hatten sich aktiv an OWS beteiligt und zahlreiche Interviews geführt und so die Geschehnisse aus unterschiedlichen Perspektiven analysiert und dokumentiert (vgl. Bray 2013, Schneider 2013).
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achieve. It allows all of us to organize around the same thing. And it brings us together rather than separating us. Still a hard sell. Still a very hard sell.“ (Richard INYC, 07.10.2013)
Wie Richard in verschiedenen Gesprächsrunden selbst anmerkt wird der Bezug auf Menschenrechte als ein gemeinsamer Rahmen zur Mobilisierung und Assoziation jedoch sehr kontrovers bewertet und diskutiert. Nicht wenigen bleibt dieser auf einer juristischen Basis operierende Begriff zu stark den bestehenden Strukturen verhaftet und inhaltlich zu unkonkret. 16 Beaver Group Die 16 Beaver Group stellt bereits seit Ende 1999 einen Raum für kontinuierlich stattfindende thematische Diskussionsrunden, Lesekreise und Workshops zu Kapitalismuskritik, Commons und widerständigen Praktiken zur Verfügung. Organisiert werden die Veranstaltung hauptsächlich von einer Kerngruppe, die aus Künstler*innen, Studierenden und Aktivist*innen besteht. Aber auch namhafte Professor*innen wie David Harvey, Silvia Federici, George Caffentzis, David Graeber und Michael Hardt beteiligen sich an den verschiedenen Veranstaltungen.65 Unter dem Titel ‚From Eviction Defense to Reclaiming a Common(s) City Barcelona, Berlin, New York and Beyond‘ diskutieren am 13. Oktober 2013 mehr als 50 Interessierte über verschiedene Graswurzelinitiativen gegen Zwangsräumungen, Gentrification, Verdrängung und ein Recht auf Stadt. Mit dem spanischen Netzwerk Plataforma de Afectados por la Hipoteca (PAH), dem von mir vorgestellten Mietshäuser Syndikat und dem Bündnis Zwangsräumungen verhindern! in Berlin, sowie den New Yorker Initiativen Organizing for Occupation (O4O) und Take Back the Land stehen sowohl direkte Aktionsformen als auch langfristige Kollektivierungsmodelle in Auseinandersetzung mit dem globalen spekulativen Immobilienmarkt und den lokalen Auswirkungen im Mittelpunkt. Dementsprechend ist in der Einladung zur Veranstaltung folgendes zu lesen: „After the various movements of the squares and occupations in cities, the imagination of reclaiming common spaces in the city and resisting various consequences of the megagentrification that Neil Smith described for us back in 2007 has become a central concern. The urban space has been a key engine for capital accumulation, investment, and ,development‘ in the last century. […] 5 years after the so-called crash of 2008, many questions remain around what forms of organization can combat and resist these ideas of ‚development‘ and what processes and struggles can pose alternate paths to the casino-cities we live in.“ (16beavergroup.org, 11.10.2013, Herv. i. O.)
65 Der E-Mail-Verteiler der 16 Beaver Group umfasst circa 3.000 Adressen und wird hauptsächlich für eigene Veranstaltungseinladungen verwendet.
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Diskutiert werden unterschiedliche Strategien und Aktionsformen, wie sie bei Protesten in Barcelona oder auch Berlin zum Einsatz gekommen sind. Diese Erfahrungen werden wiederum in den New Yorker Kontext gestellt und strukturelle Unterschiede sowie organisatorische Schwierigkeiten benannt. Zum einen wird, wie oben bereits angedeutet, der Mangel an breiten Netzwerken und einer starken Bewegung betont, welche die nötige ‚Heat on the Street‘ aufbringen würden, um ein notwendiges transformatives Potenzial zu entwickeln (vgl. 16 Beaver, 13.10.2013). Zum anderen, und eng damit verbunden, wird mehrfach die institutionalisierte Organisationsstruktur von NGOs und deren Abhängigkeit von öffentlichen und privaten Förderungen moniert und von einigen Anwesenden als ein zentrales Hemmnis für soziale Veränderung in New York identifiziert. Richard betont, dass es darüber hinaus unerlässlich ist, kontinuierlich Implikationen von „Racism, Sexism and Classism“ in vorhandenen Initiativen und solidarischen Netzwerken zu reflektieren und zu problematisieren (16 Beaver, 13.10.2013). Eine andere Teilnehmerin kritisiert ein „lack of productive solidarity“ zwischen verschiedenen zivilgesellschaftlichen Akteur*innen (16 Beaver, 13.10.2013). The Base Ein weiterer horizontaler Freiraum eröffnet im Sommer 2013 in Bushwick (Brooklyn). The Base wird mit OWS 2011 konzipiert und setzt eben an den konkreten Beschränkungserfahrungen der Protestform der Platzbesetzung an, wie einer mangelnden Verbindung zum alltäglichen Leben der Menschen in den Nachbarschaften, in denen die Occupier*innen wohnen: „At the conception of The Base, New York was in the midst of Occupy and other movements that were playing out in the streets of Manhattan. […] Yet while the demonstrations were dramatic, they were seemingly disconnected from the neighborhoods that we and many participants lived in, and seemingly disconnected from most people’s everyday lives. We realized that a public space would help these new relationships turn into long-term, cohesive organizing projects. We wanted to be situated in the midst of where we lived and ate, to allow for cross-pollination with people who were so clearly feeling the brunt of capitalism.“ (The Base 2014)
Die Wahl des Standortes war strategisch auf Bushwick gefallen, da es eines der Viertel in Brooklyn ist, das sich in den vergangenen Jahren rasant durch Gentrifizierung und kapitalistische Stadtentwicklung verändert hat. Der eigene Organisationsansatz wird explizit auf einer lokalen Ebene verortet: „to set up long lasting relationships with people outside of radical circles, and end the process of isolation of radicals have found commonplace“ (vgl. The Base 2014). Die Räumlichkeiten in der Myrtel Avenue sind gemietet und werden über Spenden finanziert. Sie sind of-
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fen für selbstorganisierte Veranstaltungen und ziehen neben Occupier*innen auch einige Nachbar*innen an. Es finden neben thematischen Diskussionsveranstaltungen auch Filmscreenings und Lern- und Lesekreise statt. Es gibt zudem eine kleine Bibliothek und einen Umsonstladen. Koordiniert wird die Raumnutzung durch eine kleine Gruppe von Aktiven. Am 13. September 2013 findet unter dem Titel ‚How to squat‘ ein Workshop statt, den John von Organize for Occupation gibt. Der Workshop mit circa 30 Teilnehmenden ist praktisch ausgelegt und beschäftigt sich mit grundlegenden Fragen der Infrastruktur, wie der Gewährleistung der Strom- und Wasserversorgung während einer Hausbesetzung über den Aufbau lokaler Unterstützer*innen-Netzwerke bis hin zu rechtlichen Konsequenzen. Darüber hinaus werden Hausbesetzungen an diesem Abend als realpolitisches Instrument der selbstermächtigenden Überwindung von Obdachlosigkeit diskutiert. Besetzungen sind demnach sowohl als Aneignung urbanen Raumes als auch als pragmatische Lösung für Wohnungslosigkeit denkbar, was in der Diskussion immer wieder in den Kontext mangelnden bezahlbaren Wohnraums in New York bei gleichzeitigen stadtweit umfangreichen Leerstand gestellt wird (vgl. Kap. 5.6, Kap. 7.1). 5.5.3
Beyond the City
Im Sommer 2014 dominieren vor allem zwei Themen die oben beschriebenen Räume: Zum einen der Protest von No Rockaway Pipeline (NRP) in Far Rockaway und zum anderen, und damit thematisch verbunden, der ‚People’s Climate March‘. Dabei sind die Räume The Base und 16 Beaver unter anderem Schauplatz der Reflexion und Vernetzung des Protests und sie dienen der Vorbereitung verschiedener Aktionen zwischen Juni und September 2014. Besonders um 16 Beaver konzentrieren sich in dieser Zeit fast wöchentliche Diskussionsrunden und Vernetzungstreffen. Einige Veranstaltungen und Aktionen rund um den ‚People’s Climate March‘ werden in den folgenden Abschnitten vorgestellt. Far Rockaway Pipeline Anfang Juni 2014 beginnen die Arbeiten am Rockaway Delivery Lateral Project vor der Küste von Far Rockaway (Queens) (vgl. Pipelines International 2015). Es handelt sich dabei um eine Pipeline, die New York mit durch Fracking gewonnenem Erdgas versorgen soll. Den Bauplänen entsprechend führt die Pipeline einige Kilometer vor der Küste entlang und wird zwischen Jacob Riis Park und Fort Tilden, zwei beliebten Strandausflugszielen der New Yorker*innen, auf das Festland geführt. Dieser Küstenstreifen war besonders stark von Hurrikan Sandy (2012) getroffen worden, sodass die Rekonstruktionsarbeiten am Strand in Fort Tilden erst kurz vor den Arbeiten an der Pipeline abgeschlossen wurden. Schon im November
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2012 formieren sich die ersten kritischen Stimmen an diesem Bauprojekt in der Coalition Against the Rockaway Pipeline66, verebben jedoch schon bald wieder, da es so aussieht, als wäre das Projekt nicht mehr aufzuhalten. Erst im Winter 2013 entwickelt sich eine neue Initiative im anarchistischen Umfeld Bushwicks. Im Juni 2014 wird zu einem Organisationstreffen in die 16 Beaver Street eingeladen, um sich den fortgeschrittenen Baumaßnahmen möglichst rasch und erfolgreich entgegen zu stellen: „This Saturday we hope to involve more people and networks in a conversation about building long-term resistance in the Rockaways, comparable to struggles against infrastructure in Europe [...]. What kinds of relationships need to be developed with residents of the area immediately affected by the pipeline, as well as those affected by the forms of extraction it promotes, in order to build a movement that can last for longer than a few hours, days, or weeks? […] And how to create, as have the longer-term struggles that currently inform our sense of what is possible, a relationship and sensitivity to place already felt by residents, gardeners, indigenous groups, and others?“ (16beavergroup.org, 14.06.2014).
Der Einladungstext verdeutlicht, dass eine langfristige soziale Bewegung angestrebt wird, die über temporäre Assoziationen weniger Stunden, Tage oder Wochen hinausgehen soll. Als konkreter Organisationsansatz wird eine breite Koalition mit bereits bestehenden Initiativen von Anwohner*innen ins Auge gefasst, die sich einerseits gegen /gentrification/, /exploitative development/ und andererseits für /affordable housing/, /alternative economies/ und /resilient building/67 engagieren. In der Veranstaltung selbst wird nach einer möglichst breiten Mobilisierungsbasis gesucht, die sich auf einer affektiven Ebene entwickeln müsse und unterschiedliche Kämpfe, wie gegen steigende Mieten und Gentrifizierung, zum Erhalt urbaner Gemeinschaftsgärten bis hin zu Naturschutz, generell als Schutz des (urbanen) Lebensraumes in sich aufzunehmen vermag (vgl. 16 Beaver, 14.06.2014). Im Zentrum der Diskussion steht der Kontakt zu lokalen Initiativen vor Ort, wie beispielsweise zu Rockaway Wildfire68, und verschiedene Veranstaltungen und Aktionen. Am 19. Juli 2014 findet ein ‚Anti-Pipeline Beachride‘ von Bushwick zur Kundgebung am Jacob Riis Beach statt, zu dem Fahrradaktivist*innen aus der Gruppe
66 Hierbei handelt es sich um ein Bündnis verschiedener Graswurzelinitiativen sowie der Green Party of Brooklyn, das sich während der Aufräumarbeiten in Far Rockaway konstituierte. 67 Gemeint sind damit Konstruktionen von Gebäuden die auch Umweltkatastrophen wie Hurrikans und Tornados standhalten können. 68 Die Gruppe konstituierte sich nach Hurrikan Sandy in Far Rockaway und war am Wiederaufbau des Stadtteils beteiligt (vgl. Occupy Sandy 2018).
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aufgerufen hatten. Etwa 70 Teilnehmende, hauptsächlich aus Bushwick sowie einige Anwohner*innen und Aktive von Rockaway Wildfire, finden sich am Strand zur Kundgebung vor der Kulisse der Offshore-Bohrinsel ein.69 Auf Handzetteln werden Informationen zur Pipeline an Badegäste im näheren Umfeld des Treffpunktes verteilt. Darin werden Pipelines generell mit einer ‚alten Machtordnung‘ assoziiert: „Every Pipeline is just an attempt to hold on to the old order of things no matter the cost.“ (NRP, 19.07.2014) Des Weiteren wird die folgende Gegenüberstellung vorgenommen: „something as beautiful and real as the costal territory of birds, fish, plants, waters, winds, where people have lived subsisted for centuries“ droht ein „dumping ground for industrial waste, an over-regulated, federally designated ‚recreational‘ zone, an underground throughway for fracked gas, an experimental site for resilient berms, or very soon, a poorly preserved underwater ruin“ zu werden (vgl. NRP, 19.07.2014). Einige Teilnehmer*innen der Kundgebung entrollen Transparente, auf denen unter anderem zu lesen ist ‚Get the Frack out of New York‘ und ‚Stop the Pipeline‘.70 Nach einem Redebeitrag setzt sich die Demonstration in Bewegung. Ziel ist die Baustelle auf dem Land vor der Marine Parkway Bridge, wo die unterirdischen Bohrungen für die Pipeline durchgeführt werden. Die Demonstrant*innen skandieren Slogans, wie ‚Whose beach? Our Beach!‘ und ‚Shut it down!‘. Dann wird ein Zaun beiseitegeschoben und die Baustelle betreten. In einem Beitrag auf Facebook werden die Ereignisse euphorisch zusammengefasst: „Today, we stopped the pipeline temporarily, but tomorrow, with more numbers, we can shut this thing down for good!“ (NRP, 22.07.2014). In den kommenden Wochen gibt es regelmäßig Aufrufe zu Kundgebungen und Demonstrationen am Jacob Riis Beach. Trotz verschiedener Versuche lokale /Communities/ einzubeziehen, setzt eine weite Unterstützung nicht ein. Die stockende Entwicklung des Protests wird fortlaufend von den Organisator*innen in verschiedenen Diskussionsrunden reflektiert, um Ursachen der ausbleibenden Resonanz und Unterstützung auszumachen und diese doch noch ins Rollen zu bringen. Beispielsweise werden auf einer Veranstaltung von Earth First!71 in The Base mög-
69 Die erhoffte breite Resonanz bleibt aus, obwohl Informationsmaterialien in den Briefkästen der Nachbarschaft verteilt worden waren. 70 Niemand weist sich gegenüber der Polizei als Veranstalter*in aus. Dies illustriert einerseits die subversive Dimension antiautoritärer Organisationsstrukturen und die damit verbundene ablehnende Haltung gegenüber Hierarchien. Anderseits wird dabei auch die Inkommensurabilität von staatlichen Institutionen und den Protestierenden sichtbar, die in ihrem horizontalen Selbstverständnis gängige Representationsprinzipien ausschließen. 71 Dabei handelt es sich um ein internationales Netzwerk radikaler Umweltschutzgruppen, die für spektakuläre Aktionsformen bekannt sind (vgl. The Base, 06.05.2010).
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liche Ursachen diskutiert, wobei es hauptsächlich um sprachliche Exklusionseffekte der Protestaufrufe und die Distanz der Aktionen am Strand zu den lokalen Communities geht (vgl. The Base, 26.7.2014). Abbildung 9: Flyer ‚People's Climate Action Camp‘
Quelle: No Rockaway Pipeline, New York 2014
Im Vorfeld des ‚People’s Climate March‘ mobilisiert die Initiative für ein ‚People’s Climate Action Camp‘ am 19. September 2014: „The camp will create a territory of resistance to the infrastructure of a world based on an alienated, destructive relationship to the land. This will be a space in which we can experiment with new, autonomous relationships to land, to food, to work, to care, to habitation“ (NRP, 19.09.2014). Die Ansprache unterschiedlicher thematischer Schwerpunkte ist das Resultat dutzender Vernetzungstreffen und Diskussionsrunden des Sommers, die sich thematisch zwischen Wohnungsmarkt und Klimawandel bewegten. Die Einladung vereint diese unterschiedlichen Kämpfe und Initiativen unter dem Signifikanten /Climate Change/. In den Beschreibungen und Visualisierungen sind die horizontalen Organisationsstrukturen von Liberty Square erkennbar (vgl. Abb. 9). Je-
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doch wird das ‚Action Camp‘ von der Polizei nicht zugelassen und damit endet auch der Protest relativ abrupt.72 People’s Climate March Am 21. September 2014 demonstrierten mehr als 400.000 Menschen in New York zum ‚People’s Climate March‘.73 Die Aufrufe zu dieser Großveranstaltung gehen von der Online-Kampagnen-Plattform Avaaz.org und der internationalen Klimaschutzorganisation 350.org aus, wird jedoch von zahlreichen lokalen und internationalen Initiativen und Organisationen sowie Parteien und auch Prominenten unterstützt. Ziel ist es, diese Demonstration zur größten in der Geschichte der USA zu machen und somit Druck auf die UN-Klimakonferenz in New York auszuüben. In der Mehrzahl der Redebeiträge werden die direkten Auswirkungen von /Klimawandel/ mit /sozialer Ungleichheit/ zusammengebracht und auch /Mietenproteste/ spielen eine prominente Rolle (vgl. auch Klein 2014). Es sind zahlreiche zu diesen Themenbereichen in New York aktive Protestinitiativen vertreten.74 Im Vorfeld allerdings werden der Eventcharakter der Demonstration und die Route fernab vom Konferenzgebäude kontrovers diskutiert. In Veranstaltungen der 16 Beaver Group und The Base wird besonders die nachhaltige politische Einflussnahme in Frage gestellt, die jedoch über das Ereignis selbst hinaus notwendig sei, um praktische Folgen zu haben. Der symbolische Akt der Demonstration wird nicht als nachhaltig genug für tatsächliche politische Konsequenzen gehalten, stattdessen müsse es darum gehen langfristig nicht nur Forderungen zu stellen, sondern auch politischen Druck aufzubauen (vgl. The Base, 26.07.2014).
72 Unter derselben Eventeinladung auf Facebook wird nach einer kurzen Stellungnahme zu den kommenden Events um „Flood Wall Street“ und das „Climate Camp at Battery Park“ in Manhattan am 22. September 2014 eingeladen. 73 Weltweit gibt es in großen Metropolen, wie London, Melbourne, Rio de Janeiro, Delhi und Berlin ebenfalls Demonstrationen und Kundgebungen. Insgesamt gibt es an diesem Tag 2.646 Solidaritätsveranstaltungen in 162 Ländern. Die Bilder der Menschenmassen, die sich in einem ‚bunten Protestzug‘ durch Midtown-Manhattan drängen, gehen um die Welt. Unter anderem berichtet der alternative Online-Nachrichtensender Democracy Now! durchgehend vom Rande der Demonstration und holt verschiedene Teilnehmer*innen für Statements vor die Kamera (vgl. Democracy Now, 21.09.2014). Ich verfolge die Übertragung live am Computer in Berlin und gehe später zur Kundgebung am Brandenburger Tor. 74 In der Demonstration ist ein breites Spektrum von Protestierenden, unterschiedlichen Protestformen und Protestartikulationen vertreten – von Bannern über Kostüme bis hin zu riesigen Puppen.
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Flood Wall Street Am darauf folgenden Tag zum ‚People’s Climate March‘ versammeln sich mehrere tausend Menschen am südlichen Ende Manhattans im Battery Park. Sie sind dem Aufruf zur direkten Aktion ‚Flood Wall Street‘ unter dem Motto ‚Stop Capitalism. End the Climate Crisis‘ gefolgt (vgl. Abb. 11).75 Der Tag beginnt mit mehreren Kundgebungen und Teach-ins der Free University of New York.76 Gegen Mittag setzt sich der Demonstrationszug dann in Richtung Broadway in Bewegung. Immer wieder sind die Slogans ‚Decolonize the water, decolonize the land. We’re changing up the system, we’re changing up the plan‘ oder ‚Who’s street? Our street!‘ zu hören. Banner und Schilder im Demonstrationszug verbinden deutlich Kapitalismuskritik und Klimaschutz, beispielsweise im Slogan ‚Green Capitalism can’t save us!‘. Unter den circa 4.000 Teilnehmenden sind zahlreiche Occupier*innen und viele andere Aktivist*innen, die extra für den Demonstrationszug des Vortags in die Stadt gekommen sind. Ein Teilnehmer fasst den Protest als eine neue Verbindung der kapitalismuskritischen OWS-Bewegung und der Klimaschutzbewegung zusammen: „They [OWS] have the climate movement on their side now. Before it was economics and then the economics improved a little bit, and it took a little the wind out of their sails. But everybody is on board with climate change“ (Vice News, 22.09.2014). Aus der Demonstration wird umgehend eine Sitzblockade. Diese Aktion zivilen Ungehorsams wird bis in den späten Nachmittag mit dutzenden Redebeiträgen und verschiedenen Kunstaktionen fortgesetzt.77 Bei einem Durchbruchsversuch in Richtung Wall Street wird von der Polizei Pfefferspray eingesetzt. Am Abend werden die letzten Sitzblockaden aufgelöst. Dabei gibt es mehr als 100 Festnahmen und mehrere Verletzte.78
75 Die Straßen um die Wall Street sollen mit blau gekleideten Protestierenden ‚geflutet‘ werden (vgl. McKee, 15.09.2014). 76 Die Initiative veranstaltet kritische Lehrveranstaltungen kostenlos im öffentlichen Raum. In Parks, Museen oder auf öffentlichen Plätzen werden Vorlesungen und Workshops veranstaltet. Sie hat sich im Zuge des Studierenden-Streiks im Mai 2012 als Kritik am exklusiven Universitätssystem in den USA konstituiert. Auch die Free University stellt sich in den Kontext radikaler Demokratie (vgl. FUNYC 2018). 77 Die gesamte Aktion wurde auf mehreren Kanälen live ins Internet übertragen, so zum Beispiel vom Online Nachrichtensender ‚Democracy Now!‘, der den ganzen Tag über vom Geschehen vor Ort berichtete. Ich verfolge die Kundgebung und die Aktion von Berlin aus am Rechner. 78 Aufsehen erregt besonders ein als Eisbär verkleideter Demonstrant, der am Ende des Tages festgenommen wird, was eine Serie obskurer Bilder liefert, auf denen ein aufrecht stehender Eisbär in Handschellen abgeführt wird.
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Abbildung 10: Plakat ‚Flood Wall Street’
Quelle: Seth Tobocman und David Solnit, New York 2014
This is not a moment, this is a movement Mit Black Lives Matters (BLM) erwächst seit 2012 eine starke Bürgerrechtsbewegung in den USA, die ab Ende September 2014 sehr laut wird und alle stadtpolitischen Mobilisierungen in New York dominiert. Im Zentrum stehen Polizeigewalt und strukturelle juristische Gewalt gegen ‚Black Americans‘, die als „neue Jim Crow-Gesetzgebung“ bezeichnet wird (vgl. Alexander 2012). Auslöser für die massiven Proteste sind eine Reihe tödlich endender Polizeikontrollen, insbesondere die Fälle des 43-jährigen sechsfachen Familienvaters Eric Garner79 am 17. Juli 2014 in
79 Garner wird wegen vermeintlichem illegalen Zigarettenhandels angesprochen und vom Polizisten Daniel Pantaleo in den Würgegriff genommen. Dieser lässt ihn nicht mehr los, auch als der mit Atemnot kämpfende Asthmatiker immer wieder ruft „I can't breath!“
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Staten Island (New York), des 18-jährigen angehenden Collegestudenten Mike Brown80 in Ferguson (Missouri) am 9. August 2014 und des 25-jährigen Freddie Gray81 am 19. April 2015 in Baltimore (Maryland). BLM wird infolgedessen zu einem politischen Mobilisierungsansatz, der in zahlreichen Städten in den USA tausende Menschen gegen willkürliche Stop-andFrisk-Kontrollen, racial profiling und Polizeigewalt sowie weitere Formen struktureller Diskriminierungen auf die Straße bringt. Fast täglich gibt es in New York direkte Aktionen gewaltlosen zivilen Ungehorsams, wobei Plätze, Kreuzungen und Brücken in Solidarität mit Ferguson (Missouri) oder auch Baltimore (Maryland) temporär besetzt werden. In beiden Städten gab es über mehrere Wochen massive Proteste gegen Polizeigewalt. Es werden nächtliche Ausgangssperren verhängt. Die US-Regierung sendet schließlich die Nationalgarde mit schweren Waffen in beide Städte, um die Proteste zu beenden. In zahlreichen Städten der USA stehen Protestierende mit erhobenen Händen vor den Polizist*innen und skandieren ‚Hands up, don’t shoot‘. Größere Gruppen von Protestierenden legen sich in symbolischer Geste auf den Boden, beispielsweise in der Grand Central Station (vgl. NYC Shut it Down, 05.08.2015). Immer wieder sind die Slogans zu hören ‚Black lives Matters‘, ‚We can’t breathe‘82, ‚What do we want? Justice. When do we want it? Now!‘, ‚NYPD – Who do you serve?‘ oder ‚This stops today‘.
Pantelo wird in einem Verfahren zum Tod Garners freigesprochen. Ramsey Orta hingegen, der die Festnahme gefilmt und veröffentlich hat, wird 2016 wegen Waffenbesitzes verurteilt. 80 Brown wird am 9. August 2014 auf dem Nachhauseweg nach einem mutmaßlichen Raubüberfall auf einen Lebensmittelladen vom Polizisten Darren Wilson angesprochen. Brown soll dabei Wilson in seinem Auto tätlich angegriffen haben. Daraufhin erschießt Wilson mit sechs Schüssen den jungen Mann, der anschließend viereinhalb Stunden auf der Straße liegen bleibt. Der genaue Tathergang ist unbekannt. Es wird kein Verfahren gegen Wilson eingeleitet, da dieser in Selbstverteidigung gehandelt habe. 81 Grey wurde am 12. April 2015 wegen Besitzes eines Springmessers festgenommen und ist nach der Verhaftung im Polizeiwagen in ein Koma gefallen. Eine Woche später verstarb er an den Folgen einer Rückenmarksverletzung, die ihm während der Festnahme zugefügt worden war. Gegen die sechs Polizist*innen, die an der Festnahme beteiligt waren, wurde wegen Mordes ermittelt. Sie wurden 2016 schließlich in allen Anklagepunkten freigesprochen. 82 Der Slogan bezieht sich auf die letzten Worte von Eric Garner „I can’t breathe!“, die er während seiner Festnahme wiederholte, als der Polizist Daniel Pantaleo ihm im Würgegriff hatte. Eine Videoaufnahme des Vorgangs wurde von der Zeitung New York Daily News veröffentlicht.
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Am 13. Dezember 2014 findet mit dem ‚Millions March. Fight against Police Brutality and Oppression‘, an dem sich mehr als 50.000 Menschen beteiligen, eine der größten Veranstaltungen im Kontext von BLM neben zahlreichen anderen Städten auch in New York statt. Ziel ist es „to disrupt business as usual, express their anger, and demand justice for victims of police violence and institutionalized racism“ (Urban Cusp, 10.12.2014). Synead Nichols, einer der Organisator*innen der Veranstaltung, beschreibt die Intention dessen folgendermaßen: „We want people to shut down their cities for justice. We are continuing where the freedom fighters of the Civil Rights Movement left off. We are a new generation of young multi-racial activists willing to take up the torch and we’re not going to stand for this anymore.“ (Urban Cusp, 10.12.2014) Für das was nicht mehr hinzunehmen sei, wird im Aufruf zum ‚Millions March‘ folgende Äquivalenzkette formuliert: /killing of Black people/ = /state-sanctioned violence against Black people/= /Jim Crow/ (vgl. Urban Cusp, 10.12.2014). Demgegenüber gestellt wird eine Kette von positiven Forderungen /justice/ = /equality/ = /value of human life/ = /No/ = /the senseless killing of Black people and the impunity of police who kill/ (vgl. Urban Cusp, 10.12.2014). Daran schließt sich eine weitere Kette konkreter politischer, rechtlicher und ökonomischer Forderungen an, die in einen Bürgerrechtsdiskurs eingebunden werden: /End all Forms of Discrimination and the Full Recognition of our Human Rights/ = /Immediate End To Police Brutality And the Murder Of Black, Brown & All Oppressed People/ = /Full Employment For Our People/ = /Decent Housing Fit For The Shelter Of Human Beings/ = /End to the School to Prison Pipeline & Quality Education for All/ = /Freedom from Mass Incarceration and an End to the Prison Industrial Complex/ (vgl. Urban Cusp, 10.12.2014). Osagyefo Uhuru Sekou, Pastor und Bürgerrechtler in Ferguson (Missouri), fasst am 31. Mai 2015 auf dem ‚Left Forum 2015‘ die ‚Essenz‘ von BLM zusammen, wonach die derzeitige Bewegung stark mit den Mitteln ‚occupation of public space‘ arbeitet, und auf ‚transformative intersectional leadership‘ und ‚transnational, anticapitalist, anti-imperialist‘ ausgerichtet sei, mit ‚queer black woman‘ als entscheidenden Akteur*innen: „And I have seen the face of god. And god is queer. And god is angry. God is a single mother. God says, Fuck the police. So what has happened was, they opened up a space to me, to kind of find my own radical voice in a different way to the point they forced me out of the poor pit.“ (Sekou, 31.05.2015) Monica Adams, eine LGBTQ- und Take back the land-Aktivistin, betont in dem Gespräch ebenfalls intersektionale, strukturelle Mehrfachdiskriminierungen als Mobilisierungspotenzial für BLM: „If you are black, if you are queer, if you are female assigned, you kind of gonna get killed by this country one or the other, anyway. Think about it. Every health dead is against me, from diabetis to HIV; every poverty, economic whatever is against me, from housing to jobless-
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ness; every status against me in terms of incarceration of freedom, every status against me in terms of sexual violence or domestic violence being acted out against me or my body; just everything around me says, ‚if you are black, if you are queer, if you are female, we are coming for you.‘“ (Adams, 31.05.2015)
Nachdem sich, spätestens mit OWS seit 2011, die Dimension Klasse in städtischen Protestartikulationen etabliert hat, erweitert BLM diese um die Dimensionen Rasse und Gender. Lokale stadtpolitische und umweltpolitische Protestartikulationen werden verbunden mit strukturellem Rassismus, der sich in Polizeigewalt und Gentrifizierung ausdrückt. Emblematisch für das formulierte Ziel das „bestehende System ins Wanken“ zu bringen steht die Aussage eines Teilnehmers am ‚Millions March‘: „We as black people, we need to do something other than just march. […] We need to educate, move forward and unite. […] We got to change how we are thinking. […] We have to start a movement, people need to stick together.“ (Y.B.S. Muzik, 17.12.2014)
5.6
BEDROHLICHER SHELTER-INDUSTRIAL COMPLEX – VON RENT FREEZE, HOMELESSNESS UND COMMUNITY LAND TRUSTS
In der Mietenstadt New York ist bezahlbarer Wohnraum ein knappes Gut. Der Wohnungsmarkt ist hoch kompetitiv und maßgeblich bestimmt durch Profitinteressen und Bonität. Mieter*innen geben häufig mehr als 50 Prozent ihres Einkommens für ihre Unterkunft aus. Besonders unter den einkommensschwachen Teilen der Bevölkerung ist die Not groß. Gentrifizierung, Verdrängung, Zwangsräumungen und Obdachlosigkeit gehören zur Tagesordnung zahlreicher New Yorker*innen, auch im staatlich regulierten sozialen Wohnungsbau. Dies ist das Ergebnis struktureller stadtpolitischer Reformen der vergangenen 20 Jahre, die New York zu einer der teuersten Städte der Welt gemacht haben. Dazu kommt, dass sich aus der Errungenschaft von offenen Notunterkünften, welche die Obdachlosen-Bewegung in den frühen 1990er Jahren erstritten hat, nunmehr eine ‚Milliarden-Dollar-Industrie‘ entwickelt hat (vgl. Coalition for the Homeless 2017). Längst sind sogenannte soziale Brennpunkte und ehemalige ‚Ghettos‘ in der Bronx und in East New York (Brooklyn) für Investitionen sowie Immobilien- und Grundstücksspekulationen interessant geworden. Die Knappheit bezahlbaren Wohnraums generiert auch vermehrt lokale und stadtweite Proteste. Dieses Unterkapitel widmet sich verschiedenen Mietenprotesten in New York. Begonnen wird mit dem Versuch, ein stadtweites Netzwerk gegen Zwangsräumungen zu organisieren (Kap. 5.6.1). Daran schließen sich verschiedene Initiativen und Mobilisierungen rund um die Stärkung und
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Selbstermächtigung von Mieter*innen (Kap. 5.6.2) an. Abschließend werden selbstermächtigende kritische Analysen und Alternativen zum strategischen Leerstand und dem sogenannten ‚Shelter-Industrial Complex‘ vorgestellt, die auf nachhaltige Rechtsformen zur Organisation und Sicherung bezahlbaren Wohnraums zielen (Kap. 5.6.3). 5.6.1
Stadtweit Zwangsräumungen verhindern
Im späten Sommer 2013 beginnt sich eine Gruppe von 15 stadtpolitisch Aktiven zu treffen, die mit dem New York City Anti-Eviction Network (NYCAEN)83 ein wirksames, dauerhaftes und nachhaltiges Aktionsbündnis aufbauen wollen.84 In dieser frühen Phase liegt der Fokus darauf, eine Organisationsstruktur in konkreten Nachbarschaften in Brooklyn, wie Crown Heights, Sunset Park und Bushwick aufzubauen. „All this sort of frontline communities were real estate is in the process of gentrification, where it hasn't totally won yet but it's in the process“ (Linda INYC, 30.10.2013). Als übergeordnete Mangelstruktur, in der sich das Bündnis verortet, wird von Amanda vom NYCAEN angeführt: „The urban policy in New York City for the past 12 years has been totally brutal“ (INYC, 21.10.2017). Sie konkretisiert, dass während der Regierungszeit von Bloomberg circa 40 Prozent der Stadtfläche durch ‚Rezoning‘85 neu definiert worden sind, was zu einer Krise des bezahlbaren Wohnraums geführt habe. Hauptsächlicher Fokus waren dabei „working class neighborhoods“ (INYC, 21.10.2017). Darüber hinaus habe Bloomberg wenig für den Schutz der Mieter*innen getan:
83 Die Definition von ‚Eviction‘ (Zwangsräumung) setzt in New York breit an. Gemeint sind dabei nicht nur gewaltsame Räumungen, die auf Basis eines rechtlichen Räumungsbescheids und mit Hilfe der Polizei durchgeführt werden, sondern auch ganz allgemein ungewollte Auszüge von langjährigen Mieter*innen, die durch steigende Mieten verursacht werden. 84 Beteiligt an den Treffen sind OWS- sowie erfahrene Housing-Aktivist*innen, die sich bereits in anderen Netzwerken und im Zuge der Besetzung von Liberty Square 2011 kennengelernt haben. 85 ‚Rezoning‘ bezeichnet die Neuklassifizierung eines bestimmten städtischen Gebietes und damit verbundener Auflagen durch die städtische Behörde, was sich in veränderten baurechtlichen Bestimmungen niederschlägt, beispielsweise in der Höhe der Gebäude und deren Nutzungszweck. So kann ein bisher industriell genutztes Areal für eine Wohnbebauung umgenutzt werden, oder die Beschränkung einer dreigeschossigen Bauhöhe wird aufgehoben. Dadurch erhöht sich die potenzielle Ertragsspanne der Eigentümer*innen bei gleichbleibender Grundfläche.
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„Rent stabilization is one of the main ways you can protect tenants. The board that votes on how much the rents should go up every year is appointed by the mayor. So we've had a really pro-landlord friendly board. There has been no affordable housing built in New York City. We have tons of new units that have been built. But there has been almost no affordable housing, almost nothing in 12 years. That's because the incentives given to developers to built affordable housing have been optional.“ (Amanda INYC, 21.10.2017)
Bloombergs hinterlieβ als politisches Erbe: „[New York] became a city where rich people from around the world can invest their money in property at the expense of the rest of us“ (Amanda INYC, 21.10.2017). Statt bezahlbarem Wohnraum seien vor allem Luxus-Eigentumswohnungen und Großprojekte wie das Barclays Center in Downtown Brooklyn umgesetzt worden. Ausgehend von dieser Mangelbeschreibung ist das Ziel des Aktionsbündnissis ein Netzwerk zwischen bestehenden Nachbarschaftsgruppen aufzubauen, das stadtweit agieren und lokal direkte Unterstützung zur Verhinderung von „evictions of tenants, foreclosures and displacement“ (Linda INYC, 30.10.2013) bieten kann. Darüber hinaus sollen aber auch „relationships of solidarity with other anti-eviction related and housing related groups on a national level and international level“ (Linda INYC, 30.10.2013) etabliert werden. Langfristig geht es darum, den Menschen die Kontrolle über Land und Wohnraum zurückzugeben: „Our mission is to liberate land and housing. It needs to be in the hands of people instead of speculators. And have control over land and housing that is based on peoples needs and not on Wall Street greed of profit. I mean, our goals are to defend tenants and homeowners against banks and other lenders and against the repression of the state, here the police, right. Because when we are talking about doing anti-eviction work the police are going to protect the interests of property holders and speculators. So to defend people but also to take and liberate space for people to live in and to produce and reproduce them.“ (Linda INYC, 30.10.2013)
Es geht also nicht nur um Schutz, sondern vielmehr um Selbstermächtigung entlang der alltäglichen Bedürfnisse der Mieter*innen. Kurzfristig soll zunächst mit /neighborhood assemblies/ gearbeitet werden, um /Kampagnen/ mit einer starken Betonung von /direct action/, /direct democracy/, /consensus/, /transformative politics/ zu entwickeln (Linda INYC, 30.10.2013) und schließlich langfristig /antieviction zones/ oder /anti-displacement zones/, die sich schließlich zu etwas wie /commons/ über den Schutz von Privateigentum hinaus entwickeln (vgl. Amanda INYC, 21.10.2013) zu schaffen. Die Zusammenarbeit mit Parteien oder gewählten Politiker*innen wird kategorisch abgelehnt: „We explicitly stated that we are not
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working with political parties or elected officials at all“ (Amanda INYC, 21.10.2013). In den regelmäßigen Treffen wird darüber diskutiert, wie das Netzwerk aussehen kann, welche Aktionsformen in Frage kommen und wie konkret Verbiundungen mit lokalen Nachbarschaftsinitiativen geknüpft werden können.86 „It has to be people who actually live in the neighborhood. So we need to do door-to-door work. Go to churches and schools and other existing community spaces and built from there. So that people can help each other in case of an eviction attempt.“ (Linda INYC, 30.10.2013) Erste Kontakte zu lokalen Initiativen bestehen bereits. Es werden Treffen von Sunset Park Rent Strike und der Crown Heights Tenant Union besucht, um gemeinsame Perspektiven auszuloten. In The Base finden offene Gesprächsrunden mit Anwohner*innen statt. Nach einem langen Selbstverständigungsprozess mit wöchentlichen Treffen und verschiedenen Gesprächen mit lokalen Nachbarschaftsinitiativen sollen 2014 schließlich konkrete praktische Schritte und erste Blockadeaktionen erfolgen. Es kommt allerdings nicht dazu. Im Frühjahr 2015 erläutert Richard von NYCAEN, warum es bisher noch nicht zu einer konkreten Aktion gekommen ist: „It was a struggle. We weren’t from the neighborhood we were organizing in. We were all a politicized group – activists, organizers, anarchists who had a vision. Some of us came from the Occupy Movement, some of us were homeless, like myself, but had a similar ideology of change and how to get there. And we thought, we had a certain set of tools that we could lend to certain neighborhoods to help them organizing to make change. I think there was a little resistance for a number of reasons. One, because we were ethnically mixed. And some people had to struggle with that in the community that we were in. It was mainly Latino. And none of us were Latino. We were Black and white. It was a little bit of a struggle. Although, I don’t think the entire neighborhood thought that way. Some of the bigger voices in the neighborhood thought it was problematic and would run wedges between us, which made it difficult for us to do that work.“ (Richard FNYC, 05.06.2015)
Neben internen Auseinandersetzungen in der Sunset Park-Gruppe, Legitimationsschwierigkeiten in der Zusammenarbeit zwischen NYCAEN und den lokalen Nachbarschaftsaktivist*innen sind es hauptsächlich konfligierende politische Überzeugungen und der Umgang mit Differenzen, die zu einem Scheitern der Kooperation und schließlich des NYCAEN führten: „We have to create space to talk about our differences. Because I think this [differences along the lines of race, class and
86 Eine Website als Anlaufstelle für Betroffene wird geplant, aber auch eine Telefonkette und ein E-Mail-Verteiler sollen eingerichtet werden.
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gender] is another thing that keeps us from our vision of thinking further.“ (Richard FNYC, 05.06.2015) 5.6.2
Stärkung von Mieter*innenrechten
Mieter*innen mit niedrigem oder ohne festes Einkommen, die auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, stehen angesichts von Verdrängung und steigenden Mieten stark unter Druck. In allen Teilen der Stadt entwickeln sich Initiativen, die sich lokal für die Stärkung von Mieter*innenrechten engagieren – einige davon auch stadt- und landesweit. Dabei verbinden sich Forderungen zum Erhalt von staatlich regulierten Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus und zur dringenden Errichtung bezahlbaren Wohnraums, über die Kritik der einseitigen Rezoning- und LuxusEigentums-Politik der Bloomberg-Ära hinaus. Crown Heights Tenant Union Die Crown Heights Tenant Union (CHTU) beginnt sich im Oktober 2013 regelmäßig zu treffen. Im Herbst 2015 engagieren sich bereits Mieter*innen aus mehr als 40 Häusern für den Schutz und die Stärkung der Rechte von Mieter*innen in der CHTU.87 Ausgangspunkt ist die folgende Mangelbeschreibung: /rampant gentrification/, /displacement/, /illegal rental overcharges in the neighborhood/, der der eigene Anspruch gegenübergestellt wird /building strong tenant associations/, /providing technical assistance to building residents/, /seeking democratically control and manage their homes/ (vgl. CHTU 2015a). Das Besondere an der CHTU ist der gemeinsame Organisationsansatz von alteingesessenen mit neuzugezogenen Anwohner*innen: „The Crown Heights Tenant Union has identified a cycle in which low paying tenants are pushed out, and newer tenants are charged rent far higher than the legally regulated limit. In response to this cycle, we have adopted a unique UNITE AND FIGHT strategy where longterm tenants and new residents of the neighborhood come together with the understanding that the landlords are the true target. We hope to set an example for changing neighborhoods across New York City and the rest of the country.“ (CHTU 2015a, Herv. i. O.)
In den Verhandlungen mit den Vermieter*innen arbeiten sie mit einer /collective bargaining strategy/, das heißt Forderungen der einzelnen Bewohner*innen und entsprechender Mieter*innenvereine werden gemeinsam von der CHTU getragen und sollen in schriftlicher Form von den Vermieter*innen unterzeichnet werden. Dabei werden eine strikte Einhaltung des rechtlichen Rahmens des Mie-
87 Unterstützt werden sie vom Urban Homesteading Assistance Board (UHAB).
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ter*innenschutzes, sowie neue und wirkungsvollere rechtliche Regelungen gefordert, um bestehende Gesetzeslücken zu schließen, die von Vermieter*innen immer wieder strategisch genutzt werden. Allgemein konzentrieren sich die Forderungen auf eine verstärkte Berücksichtigung der Stimmen der Mieter*innen hinsichtlich der rechtlichen Regelungen für Mietshäuser in New York. Speziell wird unter anderem ein Rent Freeze für fünf Jahre gefordert und schärfere Beschränkungen für das Herauskaufen von Mieter*innen aus rent-stabilized apartments sowie die Stärkung der Rechte hinsichtlich Reparaturen, Renovierungen, Gebäudezustand, Organisation von Mieter*innen-Versammlungen und hinsichtlich des Umgangs mit Zahlungssäumigkeiten. Darüber hinaus werden faire Mieten gefordert und eine spezielle Berücksichtigung von Senioren sowie körperlich und geistig beeinträchtigten Mieter*innen (vgl. CHTU 2015c). Beginnend im Kleinen mit einzelnen Wohnungen über Häuser und Nachbarschaften engagiert sich die CHTU zum auslaufenden Mietregulationsgesetz auch auf der bundesstaatlichen Ebene in Albany (New York) und arbeitet dabei auch mit politischen Repräsentant*innen auf allen Ebenen zusammen: „In Crown Heights, landlords are buying up rent regulated buildings at exorbitant prices. They are harassing long term residents into leaving the neighborhood, and illegally overcharging the new residents. As a result, our diverse and working class neighborhood is gentrifying overnight. The Crown Heights Tenant Union is fighting back – and we will not be defeated. […] The only agenda that our politicians should be pushing in Albany is an agenda to protect tenants rights. Housing is not a luxury, housing is a right. On June 15, 2015 the rent regulation laws expire. As the Crown Heights Tenant Union fights to strengthen rent regulation, we need representatives in Albany who will fight with us. Without stronger rent laws, Crown Heights and New York City will be changed forever.“ (CHTU 2015b)
Beim ‚Neighborhood March‘ am 7. Juni 2014 demonstrieren etwa 200 Menschen (vgl. Ellefson, 12.6.2014). Unter den Demonstrierenden sind neben verschiedenen Mieter*innenintitiatven auch Künstler*innen, die sich mit der CHTU solidarisieren und bezahlbare Arbeitsräume und Ateliers fordern. In den Redebeiträgen wird von Schikanen der Vermieter*innen,88 von Verdrängung und von Erfolgen der bisherigen Organisierungen berichtet. Dabei wird auch immer das Aussetzen der anstehenden Mieterhöhungen und ein ‚Rent Freeze‘ gefordert. Pappschilder werden getragen, auf denen unter anderem steht ‚Housing is a right!‘ und Slogans werden skandiert, wie ‚What do we want? Justice! When do we want it? Now!‘ oder ‚We shall not be moved!‘ Der Demonstrationszug zieht durch Crown Heights und stoppt
88 Beispielsweise werden das Wasser und die Heizung ohne Ankündigung abgestellt oder auch dringende Reparaturen nicht durchgeführt.
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an beteiligten Häusern, um exemplarisch Mieter*innen die Möglichkeit zu geben ihre persönliche Situation zu beschreiben, bevor er schließlich mit einer Abschlusskundgebung und einem großen ‚Barbecue-Potluck‘ ended. Die kontinuierliche Initiativenarbeit – mit Trainings, Workshops, Filmscreenings, Blockparties – zeigt im Spätsommer 2015 bereits erste Erfolge: Neben einer wachsenden Medienpräsenz führen Vermieter*innen nun Reparaturen schneller durch und die CHTU ist zu einer Anlaufstelle in der Nachbarschaft geworden, aber auch darüber hinaus in der Stadt zu einem Vorbild pragmatischer und kleinteiliger Nachbarschaftsarbeit und solidarischer Vernetzung über die binäre Grenzziehung zwischen Zugezogenen und Alteingesessen hinaus. Die CHTU engagiert sich jenseits der konkreten Nachbarschaftshilfe auch verstärkt für die Stärkung von Mieter*innenrechten stadtweit. Rent Freeze Jedes Jahr im März beginnt das Rent Guidelines Board (RGB)89 mit seinen öffentlichen Sitzungen. Anfang Mai gibt es mit dem ‚Invited Group Testimony‘ eine erste Anhörung von eingeladenen Berichten, und einige Tage später eine erste vorläufige Abstimmung. Von Mitte bis Ende Juni werden in der Bronx, in Queens, in Manhattan und in Brooklyn ‚Public Testimony-Veranstaltungen‘ durchgeführt, bis schließlich in der finalen Abstimmung festgelegt wird, um wieviel Prozent die Mieten in den rent-stabilized und rent-controlled apartments steigen dürfen. Zur Anhörung in der Bronx am 12. Juni 2014 hat unter anderem Community Action for Safe Apartments (CASA)90 zahlreiche Mieter*innen mobilisiert. Am Treffpunkt dem vor dem Hostos Community College werden Informationsmaterial und orangene CASA-T-Shirts verteilt, die auch den bereits zu Beginn fast voll besetzten Theatersaal mit 370 Sitzplätzen dominieren (vgl. Abb. 11). Auf der Bühne
89 Das RGB ist eine Kommission bestehend aus neun Vertreter*innen unterschiedlicher Interessengruppen, wie Mieter*innen, Eigentümer*innen und Vermieter*innen sowie die allgemeine Öffentlichkeit, die direkt vom Bürgermeister ernannt werden (vgl. NYCRGB 2015). 90 CASA ist ein „membership driven tenant organizing project“ der NGO New Settlement Apartments, das hauptsächlich in der Southwest Bronx arbeitet. Laut Mission Statement verfolgen sie das Ziel, bezahlbaren und sicheren Wohnraum durch gemeinsame Aktionen zu bewahren. CASA führen lokale Kampagnen gegen Verdrängung durch, organisieren Mieter*innen-Verbände, und geben regelmäßig Workshops und Trainings zu Mietrecht sowie zu Community Building- und Leadership Development. Darüber hinaus ist CASA an stadt- und landesweiten politischen Kampagnen beteiligt (vgl. CASA 2015).
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des Saals sitzen die Board-Mitglieder.91 Während der fünfstündigen Anhörung sprechen über einhundert Menschen. Immer wieder kommt es zu Unterbrechungen, da noch mehr Menschen in den Saal wollen, die sich auf die Redner*innenliste am Eingang geschrieben haben. Abbildung 11: RGB Public Hearing Bronx
Quelle: Eigenes Foto, New York 2014
Hauptsächlich sprechen People of Color, davon in einem hohen Maße Senior*innen. Auch einige Kinder und Jugendliche und Studierende berichten von ihrem Alltag in den Mietwohnungen. Spanischsprachige Beiträge werden übersetzt. Häufig wird angeführt, dass bereits ein erheblicher Teil des Einkommens für die Miete ausgegeben wird, teilweise bis zu 75 Prozent. Die überwältigende Mehrheit äußert ihre Angst vor ‚evictions‘ aus ihrer gewohnten sozialen Umgebung und davor obdachlos zu werden und auf ein ‚shelter‘ angewiesen zu sein. Eine weitere
91 Vor ihnen steht eine Digitaluhr, die von drei Minuten herunter zählt während die Anwohner*innen über ihre persönlichen Wohn- und Lebensverhältnisse berichten. Die gesamte Veranstaltung wird protokolliert und auf Video aufgezeichnet und später online zugänglich gemacht.
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Mieterhöhung würde für viele eine Bedrohung der ohnehin schon schwierigen Lebens- und Wohnverhältnisse bedeuten. Die in der Anhörung angeführten Darstellungen zeichnen ein sehr beklemmendes und emotional anrührendes Bild davon, was es heißt in New York mit einem ‚fixed income‘92 zu leben und unter welchem Druck viele Menschen mit niedrigen Einkommen oder Pensionen stehen. Auch wenn die individuellen Geschichten verschieden sind, enden die meisten Berichte mit der Forderung nach einem „rent freeze“ als alternativloses wohnungspolitisches Zeichen und praktische Unterstützung prekarisierter Lebensverhältnisse. Nach einer jungen Frau mit Kind, die unter Tränen ihre Angst vor einer Unterbringung in einem ‚shelter‘ zum Ausdruck bringt, fasst ein älterer Mann, der seit 1972 kontinuierlich die selbe Wohnung bewohnt, das Grundproblem aus seiner Sicht zusammen: „I have worked for 50 years. I am 68. My problem is that I don't want to be priced out; and I don't want my neighbors and friends to be priced out of affordable housing. Where are we going to go? We do not want to go in the streets. We do not want to be homeless. And the fees that we have to pay to live where we are, with the neighborhood is changing now for the better, we get the feeling that we are being pushed out of our communities […] by people who make more money than we do, because a lot of us live on fixed incomes. People that are making more money than we do, who are moving to our area that is being fixed up with the parks and the streets and the schools and all of that stuff. Give us a break. We don not need a rent increase. We cannot afford a rent increase. We have to maintain our style of living, such as it is right now. […] We worked all of our lives. But there is no place for us to go.“ (RGB, 12.06.2014)
Weitere Dislozierungsbeschreibungen der Mieter*innen beziehen sich beispielsweise auf statistische Hintergründe von bezahlbarem Wohnraum, Verdrängung und Diskrimierung, Armut, Obdachlosenzahlen und der besonderen Betroffenheit von Senior*innen und alleinerziehenden Müttern. Als ein Vermieter eine Anhebung der Mieten von 4 Prozent fordert mit der Begründung, dass auch laufende Kosten und Investitionen der Gebäude gedeckt werden müssen, wird es laut im Saal. Es werden Slogans, wie ‚Go CASA!‘ und ‚Freeze the rent!‘ skandiert (vgl. RGB, 12.06.2014). Dominieren in der Bronx vor allem die Mieter*innen die Anhörung, so ist das Verhältnis zwischen Mieter*innen und Vermieter*innen in der Brooklyn Borough Hall am 18. Juni 2014 etwas ausgeglichener. Auch dieser Raum ist übervoll mit Menschen, die auch auf dem Boden sitzen, und die ist Stimmung gereizt. Protestschilder werden gezeigt und Slogans gerufen. Zwar ist die Forderung nach einem
92 Gemeint ist hierbei ein stagnierendes Einkommen oder eine Pension, beziehungsweise wird ganz allgemein damit ein eingeschränkter finanzieller Spielraum bezeichnet.
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‚rent freeze‘ und die damit verbundene Artikulation der Ängste vor /Wohnungslosigkeit/ auch hier sehr deutlich zu hören und wird vor allem von Mieter*innen-Vereinigungen wie der CHTU getragen, wird jedoch auch die Position der /Small Business Owner/ stark vertreten, die geltend machen, dass sie mit steigenden Nebenkosten und Betriebskosten zu kämpfen haben und auf eine Erhöhung angewiesen sind. Als gemeinsamer Mangelsignifikant – von Mieter*innen, Bodegabesitzer*innen und industriellen Gewerbetreibenden – wird /displacement/ angeführt. Eine Aktive im Prospect Park East Network, einem Bündnis von Mieter*innen und Eigentümer*innen, erläutert am Beispiel der Hudson Development Company, die ein 23-stöckiges Luxusapartment-Haus baut, die Nachteile des städtischen ‚80/20-Programms‘93 zur Förderung bezahlbaren Wohnraums: „We, the tax payers, are financing the luxury development in our neighborhood. Eighty percent of their financing is state financing but we are getting twenty percent affordable apartments; and they are not even affordable.“ (RGB, 18.06.2014) Die Forderung nach einem ‚rent freeze‘ werden im Sommer 2014 nicht erfüllt, auch wenn die eingeräumten Mieterhöhungen die niedrigsten seit Bestehen des RGB sind. Erst ein Jahr später beschließt das RGB, zum ersten mal in seiner 46jährigen Geschichte, mit sieben zu zwei Stimmen einen „rent freeze“ für einjährige Mietverträge.94 Die im Vorjahr nur vereinzelt angeführte Forderung nach einem „rent rollback“, also einer Reduzierung der Mietpreise, stand dieses Mal im Zentrum der Mobilisierungen und persönlichen Berichte (vgl. Navarro, 29.06.2015) Right to the City-Alliance Neben lokalen Mieter*innenprotesten wird von verschiedenen Initiativen in New York überregionalen und auch transnationalen Vernetzungen ein hoher Stellenwert eingeräumt. Die Right to the City-Alliance (RTTC) organisiert seit 2007 als Bündnis verschiedener stadtpolitischer Initiativen95 und als non-profit NGO landesweite Mobilisierungen und Kampagnen: „Right to the City was born out of desire and need by organizers and allies around the country to have a stronger movement for urban justice. But it was also born out of the power of an idea of a new kind of urban politics that asserts that everyone, particularly the disenfran-
93 Das Förderprogramm sieht vor, dass bei einem Neubau 80 Prozent der Wohnungen zum Marktpreis angeboten werden können und 20 Prozent als ‚bezahlbarer Wohnraum‘ mitgeplant werden müssen (vgl. NYSHCR, 30.03.2011). 94 Die häufigste Vertragsdauer für Mietverträge in New York ist auf ein Jahr festgelegt. Darin getroffene Vereinbarungen können nach Ablauf der Zeit neu verhandelt werden. 95 In RTTC sind derzeit 47 Organisationen verbunden, die in 24 Städten in 18 Bundesstaaten aktiv sind (vgl. RTTCA 2017a).
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chised, not only has a right to the city, but as inhabitants, have a right to shape it, design it, and operationalize an urban human rights agenda.“ (RTTC 2014a: 2)
In ihrem Selbstverständnis als Plattform verbindet RTTC unter dem Motto /Fighting for Democracy, Justice and Sustainability in our Cities/ eine Kette thematischer Forderungen: /Land Ownership/ = /Economic Justice/ = /Indigenous Justice/ = /Environmental Justice/ = /Immigrant Justice/ = /Services and Community Institutions/ = /Democracy and Participation/ = /Reparations/ = /Internationalism/ = /Rural Justice/. Als verbindender und übergeordneter Slogan fungiert /Housing is a human right, not a commodity/ (vgl. RTTC 2017b). RTTC adressiert mit ihren Forderungen nach einer gerechten Stadt in erster Linie die sozialen Subjektpositionen /tenants/ = /homeowner/ = /youth/ = /women/ = /workers/ = /citizens/ = /immigrants/ und in einer zweiten Kette /low-income people/ = /people of color/ = /marginalized LGBTQ communities/ = /youths of color/ (vgl. RTTC 2017b). Dabei wird der*die /Mieter*in/ als politische Subjektposition artikuliert, die in Menschen- und Bürgerrechtsdiskurse eingebettet über den direkten und partikularen Bezug zum Wohnen hinaus als politisches Metasubjekt in einer /Renters Nation/ agiert (vgl. RTTC 2014a: 2). Als gemeinsam geteilte Mangelerfahrung werden /gentrification/ und /displacement/ und als zentraler gemeinsamer Bezugspunkt für die unterschiedlichen Forderungen und die verschiedenen Subjektpositionen der Mangelsignifikant /urban justice/ angeführt, der gleichzeitig auch Gegenstand positiver Forderungen ist und mit den oben genannten in eine progressive Richtung spezifiziert wird. Als politischer Antagonist wird beispielsweise der /corporate landlord/ (vgl. RTTC 2014b) herausgestellt, der mit dem Antagonismus /Housing is a human right, not a commodity/ assoziiert wird (vgl. RTTC 2017a). Die Mangelerfahrungen speisen sich aus verschiedenen (strukturellen) gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Benachteiligungs- und Diskriminierungsstrukturen. RTTC konzentriert sich explizit auf das diskursive Herausarbeiten eines gemeinsamen theoretischen Rahmens mit dem Ziel des Aufbaus einer landesweiten Bewegung (vgl. RTTC 2017a). Die verschiedenen Themenfelder werden über eine Reihe von Signifikanten beschrieben: /housing/ = /human rights/ = /urban land/ = /community development/ = /civic engagement/ = /criminal justice/ = /environmental justice/ = /and more/ (vgl. RTTC 2017a). Diese Signifikantenkette setzt ganz unterschiedliche politische urbane Protestfelder über die vorangestellten leeren Signifikanten /Gerechtigkeit/ und /Demokratie/ in einen gemeinsamen Kontext. Zudem ist sie mit dem Zusatz ‚and more‘ potenziell offen und anschlussfähig gehalten. RTTC führt verschiedene Kampagnen und Veranstaltungen durch, die einerseits ebenfalls translokale Netzwerke durch Wissenstransfer und Erfolgsgeschichten stärken und andererseits die Expertise gemeinsamer alternativer Visionen voran-
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bringen soll, beispielsweise die ‚21st Century Cities Campaign‘ und die Kampagne ‚Homes for All. Reclaim, Remain, Rebuilt our Cities‘ (RTTC 2015b). Gemeinsam mit RTTC wird auf Initiative eines Kurses an der New School for Social Research am 23. Mai 2015 in New York eine ‚renters assembly‘96 in der St. Jacobin Church in Sunset Park (Brooklyn) organisiert.97 Ziel ist es, Studierende mit langjährigen Mieter*innen, die von steigenden Mieten betroffen sind, zu vernetzen, um sich in Workshops und Diskussionsrunden kennenzulernen und Synergien im Widerstand gegen die prekären Wohn- und Mietverhältnisse zu entwickeln. Ausgangspunkt ist die Erfahrung, dass Studierende eine ambivalente Rolle in den Aufwertungsprozessen einnehmen. Sie sind meist nur einige Jahre während des Studiums in der Stadt und mieten häufig überteuerte Apartments an. Dadurch sind die 20 Prozent der Studierenden in New York ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für den hiesigen Immobilienmarkt. Thomas, ein Mitarbeiter von RTTC, fasst die Idee zusammen: „Renter Nation Assemblies strategically link our local fights across the country to replicate wins, gather momentum and build a genuine tenants’ movement for affordable, community controlled homes.“ (Thomas INYC, 30.06.2015) 5.6.3
Vom Shelter zu Community Land Trusts
Im März 2015 erreicht die Zahl der Wohnungslosen in New York ihren bisherigen Höchststand mit über 60.000 Übernachtungen in den ‚shelters‘, davon etwa 24.000 Kinder. Damit sind die Zahlen in den vergangenen zehn Jahren um mehr als 70 Prozent gestiegen (vgl. Abb. 12). Seit Bloomberg 2002 ins Amt gekommen ist, hätten sich die Wohnungslosenzahlen verdoppelt, betont Christel von PTH (vgl. INYC, 31.10.2013). Viele der Menschen in den Unterkünften sind berufstätig, haben sogar mehrere Jobs, und sind zum Teil auch in öffentlichen und städtischen Einrichtungen tätig. „Surveys of homeless families have identified the following major immediate, triggering causes of homelessness: eviction; doubled-up or severely overcrowded housing; domestic violence; job loss; and hazardous housing
96 ‚Renters assemblies‘ finden 2015 in 15 weiteren Städten statt und werden stets dezentral von lokalen Gruppen organisiert, die RTTC mit einem Tool Kit und teilweise personell in der Organisation und Durchführung unterstützt (vgl. RTTC 2015a). 97 Gemeinsam mit Daniel von Stadt von Unten berichte ich im Videochat über die Initiative und das Mietshäuser Syndikat. Neben uns sind noch eine Vertreter*in des Berliner Mietenvolksentscheides, ein Mitglied von PAH in Barcelona sowie weitere Mitglieder von RTTC aus Los Angeles zugeschaltet.
Städtischer Protest | 261
conditions“ (CFTH 2015).98Diese Statistiken berücksichtigen nicht die Menschen, die auf der Straße, in Parks oder U-Bahnschächten übernachten. Städtische Schätzungen des Homeless Outreach Population Estimate (HOPE) gehen 2015 hierfür von 3.182 Menschen aus und prognostizieren tendenziell sinkende Zahlen.99 Abbildung 12: Shelter-Übernachtungen New York
Quelle: Coalition for the Homeless, New York 2015
Picture the Homeless Picture the Homeless (PTH) wird 1999 als dringende Reaktion auf die Kriminalisierung von Obdachlosigkeit unter Bürgermeister Giuliani und entsprechender Medienberichterstattungen gegründet, um zuvorderst das Denken und die Vorurteile über Obdachlosigkeit zu verändern, sowie eine Anlaufstelle für Wohnungslose zu schaffen, sich selbst politisch zu engagieren und dafür Unterstützung zu organisie-
98 Laut der Coalition for the Homeless (CFTH) leide die Mehrheit der Straßenobdachlosen unter psychischen Krankheiten. Vier von fünf der Straßenobdachlosen seien Männer, heißt es da ebenfalls (vgl. CFTH 2015). 99 Die Genauigkeit der Ergebnisse der Zählung werden jedoch angezweifelt (vgl. City Limits, 21.08.2015). Auch nicht berücksichtigt werden hierbei die Zahlen derer, die bei Bekannten oder Familienmitgliedern untergekommen sind und sich mit mehreren Personen ein Zimmer oder Apartment teilen. Hierbei wird von mindestens 270.000 Menschen ausgegangen (vgl. Stringer, 05.10.2015).
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ren.100 Dafür steht auch von Beginn an der Slogan ‚Don't talk about us; talk with us.‘101 Daran orientiert sich auch das ‚Mission Statement‘: „Picture the Homeless was founded on the principle that homeless people have civil and human rights regardless of our race, creed, color or economic status. Picture the Homeless was founded and is led by homeless people. We refuse to accept being neglected and we demand that our voices and experience are heard at all levels of decision-making that impact us. […] We oppose the quality of life laws that criminalize homeless people in any form by the city, state and national governments. We work to change these laws and policies as well as to challenge the root causes of homelessness. Our strategies include grassroots organizing, direct action, educating homeless people about their rights, public education, changing media stereotypes, and building relationships with allies.” (PTH 2011: 3)
PTH konzentriert sich hauptsächlich auf /working class neighborhoods/ in der Bronx und Harlem, aber versteht sich als stadtweite Initiative. Angesprochen werden insbesondere die prekarisierten sozialen Subjektpositionen /homeless/ = /people in shelter/ = /former homeless/. Die verschiedentlich prekarisierten Lebenssituationen werden genauer bestimmt durch ihre individuelle Betroffenheit: „Members of PTH are living in shelters, doubled-up with friends and family, sleeping on subways, parks and transit facilities. Some have been unemployed or underemployed for the long term, some are juggling multiple low-wage or underground-economy jobs, others are union members who have recently lost work, others are disabled or senior citizens. All of them are extremely poor. Most are concerned with ending homelessness not only for themselves, but in working to make New York City a better place.“ (PTH 2011: 28)
PTH deckt das gesamte Spektrum der Betroffenheit von Wohnungslosigkeit ab. Dabei wird eine Äquivalenzkette artikuliert zwischen Menschen, die in Notunterkünften, bei Bekannten und Freund*innen oder im Freien in Parks und 100 Die Gründer Anthony Williams and Lewis Haggins, Jr. leben im Bellevue Men’s Shelter in Manhattan. Als in Midtown eine Frau mit einem Ziegelstein angegriffen wird, nimmt Giuliani dies zum Anlass einen restriktiven politischen Kurs gegenüber Obdachlosen mit den ‚Quality of Life‘-Gesetzen durchzusetzen. Es wird nicht nur automatisch angenommen, dass es sich bei dem Täter um einen Obdachlosen handle, sondern auch verkündet alle Mittel einzusetzen, um die ‚Verrückten‘ von der Straße zu bekommen (vgl. PTH 2017). 101 Mittlerweile hat PTH über 1.000 feste Mitglieder und mehrere ‚Committees‘ mit verschiedenen Schwerpunkten, wie Civil Rights, Housing und Education and Training. Bis zum Umzug nach Harlem im Frühjahr 2015 residiert PTH in einem zweigeschossigen Haus in der Morris Avenue in der Bronx.
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U-Bahnstationen übernachten. Betroffen sind gleichsam Langzeitarbeitslose und Unterbeschäftigte, wie auch Menschen in unterbezahlten Jobs in allen möglichen Sektoren, auch im Öffentlichen Dienst, sowie Menschen mit Behinderungen und Senior*innen. Diese doch sehr unterschiedlichen sozialen Subjektpositionen werden durch /extreme poverty/ als gemeinsamer Bezugspunkt vereint. Dislozierungserfahrungen sind unterschiedlich und sind näher bestimmt durch eine Aquivalenzkette zwischen /strategic vacancy/ = /rising rents/ = /priced out/ = /commodification of housing/ = /resultant housing exclusion/ = /extreme poverty/ = /racism/ = /gender and sexual identity discrimination/ = /immigration/ = /and other forms of economic marginalization/ (PTH 2011: 28). Die so beschriebene gemeinsame sozioökonomische und politische Mangelstruktur bildet einen gemeinsamen Bezugspunkt für die Entwicklungen lösungsorientierter Kampagnen und Projekte: „to build individual capacity and collective power for homeless New Yorkers as community stakeholders through grassroots organizing“ (vgl. PTH 2011: 28). Die Slogans ‚Organizing for Dignity and Respect‘ und ‚Housing not Warehousing‘ beziehen sich hauptsächlich auf bezahlbaren Wohnraum und darauf selbstbestimmt wohnen zu können sowie Wohnungslosigkeit in New York zu beenden (vgl. PTH 2011: 28). Ansatzpunkt für politische Aktionen von PTH ist eine Analyse der sozioökonomischen Ursachen für Wohnungslosigkeit. So werden die oben angeführten Obdachlosenzahlen und die prekäre Situation gering verdienender Stadtbewohner*innen in New York kontextualisiert im ‚Shelter-Industrial-Complex‘: Um die staatlich finanzierten Shelter-Übernachtungen hat sich ein lukrativer Markt entwickelt. Für die Übernachtungen in Shelters wird jährlich etwa eine Milliarde Dollar ausgegeben. Besonders private Unternehmen profitieren dabei von der Obdachlosigkeit in New York. Sie können seit 2000 mit der Einführung eines Notfallprogramms des Department of Homeless Services (DHS) sogenannte scatter-site shelters anbieten, in denen Bedürftige Nacht-für-Nacht untergebracht werden können (vgl. NYCDHS 2015). Gezahlt werden demnach pro Tag teilweise mehr als 100 Dollar. Dabei betragen die städtischen Ausgaben pro Person oft bis zu 3.500 Dollar im Monat, bei Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen werden auch bis zu 4.300 Dollar gezahlt (vgl. Hattem, 01.10.2014).102 Christel, Mitglied bei PTH, resümiert: „Homelessness in the city is a big business“, und weist darauf hin, dass gleichzeitig der Anreiz steigt ein Mietshaus in ei-
102 Diese Zahlen stehen häufig in einem eklatanten Widerspruch zu dem, was solche Unterkünfte an Service bieten. So sind diese mitunter so eingerichtet, dass sich vier oder mehr Menschen ein Zimmer teilen müssen. Es wird von Fällen berichtet, in denen Sicherheitsdienste nicht adäquat arbeiten und teilweise auch die Bewohner*innen unter Druck setzen und belästigen (vgl. Hattem, 01.10.2014).
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ne Notunterkunft umzuwandeln, um mehr Einnahmen zu generieren, was auch der Grund sei, warum private Hausbesitzer*innen versuchen würden, die weniger lukrativen rent-stabilized apartments leer zu bekommen (vgl. Christel INYC, 23.10.2013). Sie kritisiert diese Praktiken und identifiziert die Kommodifizierung der steigenden Obdachlosenzahlen als Ergebnis einer verfehlten Stadtentwicklungspolitik, die sich in den vergangenen 20 Jahren ausschließlich auf die Attraktivitätssteigerung der Stadt für internationale Investor*innen konzentriert habe. Steuervergünstigungen und /Rezoning/ hätten maßgeblich dazu beigetragen, dass vor allem /condos/ im Luxussegment gebaut werden (vgl. Christel INYC, 23.10.2013). Wie bereits in den ‚public hearings‘ des RGB deutlich geworden ist, sind Senior*innen in einem besonderen Maße von den steigenden Mieten betroffen: „Well, you don't have to be very smart to figure out the aim of the capitalistic society. When income is stagnant and cost of living escalates, a multitude of people are gonna fall between the cracks, for instance the elderly. The elderly usually exist on social security and pension. That's fixed income. The pension doesn't keep up with inflation. Social security increases don't keep up with inflation. So [...] we see the elderly now being institutionalized. That means that these elderly people are taken out of the community and they are being warehoused in this shelter-industrial complex.” (Steven INYC, 31.10.2013)
Mit ‚Banking on Vacancy. Homelessness and Real Estate Speculation‘ veröffentlicht PTH im Frühjahr 2012 eine Studie zu Leerstand in New York, die mit minimalem Aufwand selbstorganisiert und angeleitet durch PTH Mitglieder 3.551 leerstehende Gebäude und 2.489 Baulücken in allen fünf Stadtteilen erfasst.103 Den angestellten Berechnungen zufolge könnten bereits mit dem nur für einen Teil der Stadt ermittelten Leerstand 199.981 Menschen untergebracht werden und dafür sorgen, dass jede wohnungslose Person in New York eine eigene Wohnung bekäme und Notunterkünfte obsolet wären (vgl. PTH 2011: 10). Auf diese Ergebnisse aufbauend wird am Ende des Berichtes eine Kette von stadtpolitischen Empfehlungen formuliert: /End Warehousing/ = /Pass Legislation that Would Mandate a City Wide Count/ = /Three Year Vacancy Limit on Private Property/ = /Community Land Trust/ = /Freedom of Information/ = /Affordable Housing for Low- and Extremely-Low Income New Yorkers/ = /Usage of LLCs and MERS/ = /Count in Partial Vacancy/ (vgl. PTH 2011: 26f). Diese Punkte sind zu zentralen Forderungen von PTH geworden. Mit den öffentlichen Investitionen, die in das /Shelter-System/
103 Die Participatory Research-Studie ist in Zusammenarbeit mit Wissenschaftler*innen und Studierenden des Hunter College Center for Community Planning and Development, sowie 295 Freiwilligen, die 1.475 Stunden mit der Zählung verbrachten, entstanden (vgl. PTH 2011: 24).
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eingebracht werden, könnten die Menschen aus der Fremdbestimmtheit geholt werden und ein selbstbestimmtes Wohnen ermöglicht werden. Dabei wird auch der Wunsch nach „fairen“ politischen und ökonomischen Möglichkeiten deutlich: „I am not a person who says ‚Take the money from the rich and give it to the poor.’ But I do say ‚Give every poor person an opportunity.’ That’s what New York City always stood for. Let’s make New York City what it used to be. A beacon of hope. That if you come here and you apply yourself devotedly, you can assimilate, you can acculturate and you can achieve upward mobility. I am 74 years old. If I could see more transparency and more accountability and equal economic opportunity, I will go to heaven with a smile on my face.” (Steven INYC, 31.10.2013)
PTH beschränkt sich nicht nur auf die Kritik am ‚Shelter-Industrial Complex‘ als strukturierte Kommodifizierung von Wohnungslosigkeit, sondern setzt diesem mit dem Community Land Trust-Modell (CLT) eine praktische Alternative entgegen. Hierbei wird die Subjektposition /Obdachlose/ zu einer politischen Agent*in mit transformativem Potenzial in Diskursen und Praktik umgedeutet. Dwayne Austin, Mitglied von PTH: „This report demonstrates that homeless people are capable of doing what society says they can’t – and what city gouvernement won’t.“ (vgl. PTH 2011: 24) Langfristig soll ein Netzwerk von CLT etabliert werden, das schließlich PTH als Organisation in einer ‚city for everyone‘ selbst obsolet macht: „One of the things that we wanna do in order to stop this process of gentrification is to create community land trusts.“ (Paul Garcia/Padilla, 13.06.2014) New York City Community Land Initiative Bereits im Herbst 2012 wird die New York City Community Land Initiative (NYCCLI) als Allianz zwischen verschiedenen Organisationen und Akademiker*innen, die sich für ‚Social Justice‘ und ‚affordable housing‘ einsetzen, von mehreren PTH Mitgliedern initiiert.104 Die Koalition zur Schaffung von Modellen nicht spekulativen Wohnungsbaus agiert unter den Slogans ‚Homes with dignity‘ und ‚Housing for all‘. Ausgehend von der Prämisse ‚land is a common good‘, ist es das erklärte Ziel dauerhaft selbstverwaltete Wohnstrukturen in New York in Form von CLTs in Selbstverwaltung durch Mutual Housing Associations (MHA) zu etab-
104 In der NYCCLI sind mehr als zwanzig verschiedenen Initiativen aktiv, beispielsweise 596 Acres, East Harlem Preservation, UHAB, Rockaway Wildfire, sowie Akademiker*innen, wie Tom Angotti, Susan Saegert oder Peter Marcuse aktiv. Darüber hinaus gibt es noch eine Reihe von Unterstützer*innen, wie Cooper Square CLT oder Community Voices Heard (vgl. NYCCLI 2014a).
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lieren „as a promising tool in the fight to address the root causes of homelessness and displacement“ (vgl. NYCCLI 2014c). Die Kette der Forderungen der Initiative zielt auf die verbindliche Sicherung von bezahlbarem Wohnraum und auf die Selbstermächtigung der Bewohner*innen: /end homelessness/ = /preserve the right to live in the city/ = /permanently affordable/ = /democratically governed/ = /inclusive, alternative long term use and sustainability/ = /for the people and not for profit/ = /community-led and self-governance of housing and neighborhood development/ = /direct (democratic) decision-making processes/ (vgl. NYCCLI 2014c). Die NYCCLI bietet diesbezüglich /technical support, research, popular education, grassroots organizing, advocacy/. (vgl. NYCCLI 2014c) Das Bündnis besteht aus „grassroots, community- and faith-based, and citywide organizations, and labor groups“ (NYCCLI 2014c). Angerufen, sich an der Schaffung eines CLTs zu beteiligen, werden in erster Linie /low-income and very low-income households, residents, renters/ = /homeless/ = /members of the surrounding community/ und in einer zweiten Anrufungsreihe dann /public officials/ = /housing experts/ = /other advisors/ (vgl. NYCCLI 2014c). Dabei wird stark auf das gemeinsame Agieren einer /Community/ und auf die Etablierung basisdemokratischer, nicht-gewinnorientierter Strukturen zu Vergemeinschaftung des Grund und Bodens sowie der entsprechenden Immobilie abgehoben: „Community members work together to form a Community Land Trust (CLT), a non-profit, democratically governed organization that gets and keeps land in trust on behalf of the community.“ (NYCCLI 2014c) Angesprochen werden lokale Akteur*innen und Bewohner*innen und eine Nachbarschaft in ihren unmittelbaren und längerfristigen Bedürfnissen: /communitydriven planning/ = /community's immediate and long-term needs/ = /resident groups/ = /non-profit housing developers and other organizations/ = /Preserve and enhance low-income housing and other places of value to the community/ = /develop unused spaces to meet community needs/ (vgl. NYCCLI 2014c). Dem Slogan und der Forderung ‚Land for people‘ wird die Mangelbeschreibung ‚Land for profit‘ gegenübergestellt und somit der grundlegende Antagonismus bestimmt (vgl. Abb. 13). Als antagonistische Subjektpositionen werden /Wall Street/ und /Profit-oriented Real Estate/ ausgemacht. Den Kontext der Forderungen nach CLTs und MHAs bildet die gemeinsame Dislozierungserfahrung der Auswirkungen einer profitorientierten Wohnraumpolitik in New York. Die entsprechende generalisierende Äquivalenzkette der Mangelerfahrungen lautet /housing insecurity/ = /a community is struggling/ = /rising housing costs and commercial rents/ = /overcrowding and displacement/ = /lack of community spaces and vacant buildings/ (vgl. NYCCLI 2014c).
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Der übergeordnete Mangelsignifikant /Land for profit/ wird genauer spezifiziert durch weitere Ketten von Mangelerfahrungen /land is an exclusive and expensive commodity/ = /private market/ = /gentrification/ = /displacement/ = /homelessness/ = /affordable housing/ (vgl. NYCCLI 2014c). /Bezahlbarer Wohnraum/ besitzt dabei eine Scharnierfunktion, einerseits als Mangelsignifikant und anderseits als Forderung für die progressive Umdeutung der gesamten Kette hin zu /development without displacement/ und eine positive Vision /taking land out of the market to ensure housing truly affordable and inclusive housing/ (vgl. NYCCLI 2014c). Abbildung 13: Flyer ‚The Future of NYC Neighborhoods‘
Quelle: New York City Community Land Initiative, New York 2014
Konkret wird an einem Pilotprojekt in El Barrio (East Harlem) gearbeitet, als ein erster CLT dem weitere in New York folgen sollen. Darüber hinaus wird versucht mit bestehenden Genossenschaften zu kooperieren, um vorhandene Einheiten bezahlbaren Wohnraums zu bewahren, aber auch neue zu schaffen. Das von der NYCCLI favorisierte Modell für CLTs beruht auf der Trennung der Kosten für Land und Wohnraum. Eine CLT erwirbt ein Grundstück und sichert damit, dass es im Sinne einer lokalen Community gestaltet wird. Das im Besitz des CLT befindliche Grundstück wird unter der oben genannten Prämisse, langfristig erschwinglichen Wohnraum zu schaffen, an Organisationen, Unternehmer*innen oder auch Individuen verpachtet. Das Land beziehungsweise das Grundstück wird als Gemein-
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eigentum verstanden, das den Nutzer*innen das ganze Spektrum gemeinschaftlicher Rechte, Pflichten und Vorzüge einräumt. Der Vorteil wird vor allem darin gesehen, dass das Land nicht wieder auf dem privaten Markt meistbietend verkauft werden kann.105 Die Mieten werden so berechnet, dass sie die Ausgaben und notwendigen Investitionen decken und so das Funktionieren eines Wohnhauses garantieren. Auf der von mir organisierten Veranstaltung ‚From Squatting to Trusts‘ in The Base im Herbst 2013 zeigt sich Christel, Mitglied von PTH, auf dem Podium optimistisch: „You could be a home owner, you could be a renter, a limited equity, a coop. You may have housing for homeless, urban farming. You may have anything you want on it. So hopefully, we might see another CLT in New York City next April“ (Christel The Base, 11.11.2013). Richard, aktiv bei NYCAEC und Take back the land, macht sich für radikaldemokratische Selbstermächtigung und grassroots-organizing stark, da von der Regierung nichts zu erwarten sei: „We have to start building political waves and political power. Nothing’s gonna change. What I learned about Berlin is that they challenge the governement. We don’t think that way, right? […] People have to rise up and take control over their lives.“ (Richard The Base, 11.11.2013) In eine ähnliche Richtung argumentiert auch Evelyn, eine CASA-Organizerin, im darauffolgenden Jahr im Zusammenhang von Gentrifizierung und CLTs und hebt dabei die Schaffung neuer demokratischer Beziehungen besonders hervor: „The fight to transform the way the world is, isn't just a material struggle. It's not just about economics. It's not just about housing. It is actually a struggle to transform the nature of human relationships and how we work with one another; how we treat one another; how we work in community. Because we aren't taught to organize. We aren't taught to work democratically. We don't actually live in a democracy. We are taught to think that if we have a problem we go to people in power. We are not taught to think that we collectively have power. So we have a lot of unlearning to do. And all of that comes out in that kind of conversation about patriarchy, matriarchy and all of that stuff. We have to really unlearn that and be committed to relations of integrity and respect as part of the struggle.“ (Evelyn Garcia/Padilla, 13.06.2014)
Das ‚aktive Verlernen‘ bestehender Machtverhältnisse repräsentativer Demokratie und ihrer alltäglichen praktischen Entsprechungen wird demnach als Voraussetzung für den Aufbau alternativer Proteststrukturen gesehen. Dem liegt die Annahme zu
105 Dies wird geregelt über die Satzung des CLT, auf die sich auch alle Pachtverträge und Mietverträge beziehen. Darin sind auch dauerhaft die Selbstorganisation und stabile Mieten verankert.
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Grunde, dass die Verbindung zwischen verschiedenen Subjekten des Protests und stadtpolitischen Bewegungen im Ansatz ‚wirklicher‘ Demokratie gründet. Damit sind die empirischen Fälle im Einzelnen vorgestellt und es ist eine dichte Beschreibung unterschiedlicher Protestzyklen des städtischen Protests in Berlin und New York erfolgt. Das nächste Kapitel widmet sich nun der vergleichenden deduktiven Analyse der heterogenen Protestartikulationen in den verschiedenen Themenfeldern. Dabei wird auf relevante Tendenzen und Entwicklungen geblickt, die sich auf einer Mikroebene der artikulativen Praktiken, genauer in den Bedeutungsproduktionen und -verschiebungen vollziehen. Diese deduktiven Kategorien ermöglichen einen analytischen Blick auf die stadtpolitischen Proteststrukturen, der die bisherigen deskriptiven-analytischen Ausführungen erkenntnistheoretisch konkretisiert und einen Blick auf Funktionsmechanismen der sich konstituierenden städtischen sozialen Bewegungen offenlegt.
6
Stadtpolitische Proteststrukturen „The political act (intervention) proper is not simply something that works well within the framework of existing relations, but something that changes the very framework that determines how things work […]. Authentic politics […] is the art of the impossible – it changes the very parameters of what is considered possible in the existing constellation.“ (Žižek 1999: 199)
In diesem Kapitel werden die zuvor beschriebenen Protestartikulationen hinsichtlich ihrer Forderungen, Subjektivierungen und Kontraritäten zusammenfassend diskutiert. Dabei werden zum einen die soziopolitischen Widersprüche und Antagonismen exemplarisch entlang der artikulierten und politisierten Mangelsignifikanten herausgearbeitet und zum anderen die konstruierten politischen Subjektivitäten beschrieben. Im Fokus steht hierbei das Wechselverhältnis von Forderungen und Mangelstruktur sowie die entsprechenden Subjektpositionen. Ziel ist es, zentrale Aspekte in der Logik stadtpolitischer Protestartikulationen aufzuzeigen, die sich sowohl in der Äquivalenzierung verschiedener Forderungen, als auch in der Differenzierung und Grenzziehung manifestiert und eine tendenzielle Offenheit und Anschlussfähigkeit für andere Proteste impliziert. Dabei werden prominente Diskursstränge und Elemente des stadtpolitischen Diskurses herausgestellt und im Hinblick auf ihr relationales Verhältnis im Diskurs besprochen (vgl. Kap. 3.1). Die Forderungsstruktur (Kap. 6.1) wird hinsichtlich ihrer unterschiedlichen Dimensionen und Reichweiten als partikular, thematisch und systematisch fokussiert beschrieben. Dabei wird herausgestellt, dass diese derzeit (im Vergleich zu vergangenen städtischen Protestartikulationen) durch eine postautonome Ausrichtung charakterisiert werden kann. Für die Subjektivierungsstruktur (Kap. 6.2) lässt sich eine postidentitäre Ausrichtung zeigen. Ausgehend von einem expansiven heterogenen Betroffenheitsszenarium wird entlang der Deindividualisierung von Verantwortung
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und der Defragmentierung von Protestthemen auf die Tendenz zur Vernetzung und Koalitionsbildung geschaut. Inwiefern die Negativfolie der Protestartikulationen als postpolitische Kontraritätsstrukturen (Kap. 6.3) zu verstehen sind, wird über die Formulierung von soziopolitischen und politökonomischen Mangelerfahrungen hin zu Antagonismen und der Formierung eines übergreifenden Antagonismus ‚Stadt(entwicklungs)politik‘ und entsprechender Antagonist*innen gezeigt.
6.1
POSTAUTONOME FORDERUNGSSTRUKTUREN
In diesem Unterkapitel werden die oben vorgestellten stadtpolitischen Forderungen in ihren Gemeinsamkeiten und Unterschieden diskutiert. Die Forderungsstruktur ist hierbei ausgehend von unterschiedlichen sozialen Subjektpositionen unmittelbar ‚Betroffener‘ – aus der urbanen Unterschicht und zunehmend auch aus der prekarisierten Mittelschicht – als heterogenes Feld des diskursiven Wechselspiels zwischen Äquivalenzen und Differenzen zu verstehen (vgl. 6.2.1). Die politischen Artikulationen werden hinsichtlich ihrer aktuellen Tendenz untersucht, unterschiedliche Positionen und Forderungen in einer Äquivalenzkette zu verbinden und gemeinsame Bezugspunkte zu schaffen, die darauf zielen, die partikularen Positionen zugunsten einer gemeinsamen verallgemeinerten Position zu transzendieren. Dabei wird gezeigt inwiefern die Forderungsstrukturen hinsichtlich ihres Verhältnisses zu staatlichen Institutionen, ihrer Forderungen nach Selbstermächtigung und Autonomie sowie in ihrer spezifischen Artikulationsformen als postautonom1 zu verstehen sind (vgl. Vollmer/Scheller 2018). Dazu werden zunächst Forderungsdimensionen, die sich induktiv in der Analyse hinsichtlich ihrer Ausrichtung herauskristallisiert haben, in ihrem Verhältnis vorgestellt (Kap. 6.1.1) und dann einzeln in ihrer konkreten Ausprägung in ihrem partikularen Fokus (Kap. 6.1.2), thematischen Fokus (Kap. 6.1.2) und systemischen Fokus (Kap. 6.1.3) diskutiert. 6.1.1
Forderungsdimensionen
Mit Blick auf die diskursive Konstitution der Forderungsstrukturen städtischer sozialer Bewegungen erweisen diese sich nicht nur als äußerst heterogen und fragmentiert (vgl. Mayer 2011: 53ff.), sondern sie sind zugleich auch durch eine tendenzielle Offenheit und Anschlussfähigkeit gekennzeichnet. In den analysierten
1
Im Fokus stehen die konkreten diskursiven Praktiken der Protestartikulationen hinsichtlich ihrer Ausrichtung und weniger linke Strategie- und Theoriedebatten um einen „postautonomen Politikstil“ zur pragmatischen Öffnung hin zum „politischen Mainstream“ (vgl. Reitan 2012, Foltin 2016).
Stadtpolitische Proteststrukturen | 273
Pamphleten und Aktionen der einzelnen Gruppen werden Äquivalenzen zwischen unterschiedlichen Forderungen und damit einhergehend gemeinsame Bezugspunkte artikuliert (vgl. Kap. 5). Die entsprechenden Äquivalenzketten fallen in den einzelnen Initiativen ganz unterschiedlich aus und ebenso die leeren Signifikanten, über die Äquivalenzen gebildet werden. Dennoch lässt sich ein ähnliches Muster in den diskursiven Strukturen ablesen. Es zeichnen sich drei verschiedene Typen von Forderungsartikulationen ab, die sowohl einzeln als auch überlappend auftreten können. Hinsichtlich ihrer Ausrichtung und ihrer Reichweite lassen diese sich unterscheiden nach einem partikularen Fokus, einem thematischen Fokus und einem systemischen Fokus. Sie sind als stets vorhandene potenzielle Forderungsdimensionen zu verstehen, die je nach Ausrichtung adressiert werden können. Die unterschiedlichen Forderungsdimensionen können sowohl reformerische, als auch transformative Elemente beinhalten, die nebeneinander bestehen, ohne sich auszuschließen (vgl. Marcuse 25.03.2012). Alle drei Dimensionen bedingen eine Repolitisierung der jeweiligen konkreten soziopolitischen und politökonomischen Antagonismen. Während sich die ersten beiden Forderungstypen auf einer ontischen Ebene der Politik und ihrer Institutionen bewegen, richtet sich der dritte Typus auf die ontologische Ebene und hinterfragt das Politische selbst, also die Fundierung der Politiken auf einer Metaebene2 (vgl. Kap. 2.4.3). 6.1.2
Partikularer Fokus
Der Fokus ist auf die partikularen Bedürfnisse mit dem unmittelbaren Ziel der Verbesserung der eigenen dringlichen prekarisierten Situation gerichtet, zum Beispiel eine Zwangsräumung verhindern, den Auszug wegen Mietsteigerung abzuwenden oder auch dringend notwendige Reparaturen an der Wohnung gegenüber dem/r Hauseigentümer*in durchzusetzen. Die Forderungen richten sich auf die spezifischen Auswirkungen konkreter Stadtpolitiken und deren Defizite und Verfehlungen, ohne diese explizit im Allgemeinen zu adressieren. Dieser pragmatische und mitunter sehr spezifische und individualisierte Fokus kann sich mithin auch als anschlussfähig für weitere Forderungen erweisen oder verschiedene ähnliche Forderungen unter einem gemeinsamen Bezugspunkt vereinen. Vereinzelt können die partikularen Forderungen dann auch zum Platzhalter allgemeiner Forderungen werden, die dann eine weitere thematische Ausprägung (vgl. Kap. 6.1.3) oder systemische Ausprägung (vgl. Kap. 6.1.4) annehmen können und dann auch potenzielle Knotenpunkte für Konvergenzen und Demokratisierungsartikulationen darstellen
2
Diese Metaebene kann potenziell von allen drei beschriebenen Ebenen ausgehend adressiert werden, wird allerdings hauptsächlich von einer systemischen Ebene aus angesprochen.
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(vgl. Kap. 7). Meist adressieren diese Artikulationen dann ein spezifisches weites stadtpolitisches Feld unter Bezug auf rechtliche Grundlagen, wie beispielsweise den Signifikanten /Mietrecht/ und die damit verbundene Subjektposition der /Mieter*in/: „Wir haben versucht, das, wo wir konnten, öffentlich zu machen und den anderen zu zeigen, dass man sich dagegen wehren kann, auch wenn es Duldungspflicht gibt. Aber dass es Möglichkeiten und Wege gibt, dass es Sinn macht sich zu organisieren, dass es sich lohnt zu kämpfen. Wie wir das immer sagen, aktive Mieter zu sein und seine Mietverträge zu verteidigen. Wo wir auch diese Rechtsebene drin haben, weil wir schon auch argumentieren mit unserem Mietrecht, mit unserem Recht als Mieter*innen und sagen, dass wir Besitzer*innen unserer Mietverträge sind – die anderen sind zwar Eigentümer – aber wir sind Besitzer*innen unserer Mietverträge. Mieten ist halt eine Errungenschaft.“ (Frida IB, 13.06.2013)
Die partikulare Forderungsdimension ist stets auch schon eingebettet in umfassendere Diskurse, über die insbesondere Unterstützung von außen angerufen wird, um die konkreten Forderungen (kurzfristig) durchzusetzen. Beispiele für eine individuelle Betroffenheit und Dringlichkeit sind in New York in den public hearings des Rent Guidelines Board zur Festsetzung der Mieterhöhungen im kontrollierten Wohnsegment oder auch in den neighborhood assemblies der Crown Heights Tenant Union zu finden. Als Berliner Beispiele wären die Proteste gegen die Zwangsräumung von Familie Gülbol zu nennen oder auch die Proteste zur drohenden Schließung des Gemüseladens Bizim Bakkal im Kreuzberger Wrangelkiez. Die Protestartikulationen um die Far Rockaway Pipeline, die East Side Gallery und das Tempelhofer Feld stellen mit ihren Mobilisierungen als weite Bündnisse verschiedener Subjektpositionen ganz konkrete Forderungen ins Zentrum. Es geht dabei darum ein konkretes Projekt aufzuhalten, wie beispielsweise den Bau einer Fracking Pipeline in New York (vgl. Kap. 5.5.3), den Teilabriss der East Side Gallery zur Errichtung des Luxushochhauses (vgl. Kap. 5.3.1) oder die Bebauung des Tempelhofer Feldes (vgl. Kap. 5.2.1) in Berlin. 6.1.3
Thematischer Fokus
Der wesentliche Unterschied zwischen einer thematischen Fokussierung und dem vorangestellten Typus der partikularen Forderung besteht darin, dass primär ein konkretes politisches Themenfeld bestimmt wird, von welchem aus dann untergeordnete partikulare Aspekte artikuliert werden. Der thematische Fokus geht über die unmittelbaren pragmatischen Forderungen hinaus – trägt diese allerdings auch mit – und zielt auf die Verbesserung des konkreten stadtpolitischen Themenfeldes. Dabei werden die Themenfelder bestimmt durch übergeordnete hinreichend entleer-
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te Signifikanten, beispielsweise fokussiert darauf den /Sozialen Wohnungsbau/ zu retten und neu zu justieren (Mietenpolitische Dossier-Gruppe); /dauerhaft bezahlbare Mieten/ zu gewährleisten (Berliner Mietenvolksentscheid, Right to the CityAlliance); /selbstbestimmte kollektive Wohnformen/ zu schaffen (NYC Community Land Initiative, Mietshäuser Syndikat); /mietenpolitische Kontrollinstrumente/ zu etablieren (Mietenpolitische Dossier-Gruppe, Crown Heights Tenant Union); sowie /neue Finanzierungs-, Förderungs- und Distributionsmodelle/ (Picture the Homeless) zu schaffen. Diese thematisch übergeordneten Signifikanten bilden Knotenpunkte zwischen vielgestaltigen partikularen Forderungen. Exemplarisch für diese thematischen Signifikanten und deren Kontextualisierung in einer stadtpolitischen Mangelstruktur für Berlin steht die folgende Aussage: „Die Wohnungs- und Mietenfrage ist die Summe konkreter Probleme und hat viele Gesichter. Als Mieter/innen dieser Stadt fordern wir von unserer künftigen Regierung die Lösung dieser Probleme ein. Es geht uns dabei nicht nur um die Verbesserung unserer eigenen Situation, sondern um eine grundsätzliche politische Verantwortung für die Mietentwicklung der Stadt.“ (MDG 2011: 4)
Es wird dabei der hinreichend entleerte Signifikant /Wohnungs- und Mietenfrage/ ins Zentrum gesetzt, um das konkrete stadtpolitische Feld zu benennen, unter dem die heterogenen Problemlagen subsumiert werden. Für diesen Typus der Forderung ist es ausschlaggebend, dass explizit die verantwortlichen Institutionen und Personen auf Ebene der Stadtpolitik und Verwaltung adressiert und zum politischen Handeln aufgerufen werden. Hierbei wird in erster Linie klargemacht, wer die politische Verantwortung trägt oder zu tragen hat. Gleichzeitig wird allerdings auch die Ambivalenz der eigenen Subjektposition hinsichtlich des politischen Engagements verdeutlicht, nämlich aus einer unbedingten Dringlichkeit heraus selbst Verantwortung übernehmen zu müssen: „Wir machen das ja auch nicht, weil uns das Spaß macht, sondern weil es extreme Notwendigkeiten gibt.“ (Frida IB, 13.06.2013) Ähnlich verhält es sich auch bei der Koalition der Freien Szene, die mit dem leeren Signifikanten /Kulturförderung/ ein breites Ensemble partikularer Forderungen vereinen. Auch hier heißt es hinsichtlich des Zustandekommens des Bündnisses und des Forderungskataloges: „[D]ie Koalition der Freien Szene ist nicht aus einem Konzept geboren, sondern aus klaren oder handfesten Notwendigkeiten.“ (Markus IB, 17.04.2013) In New York steht Picture the Homeless exemplarisch für diesen Typus (vgl. Kap. 5.6.3). Hier wird dem Mangelsignifikant /Homelessness/ der Slogan ‚Housing is a human right‘ entgegengesetzt, um das übergeordnete Ziel und die Forderung /end homelessness/ für die partikularen Forderungen der Äquivalenzkette verschiedener Ausprägungsformen von Betroffenheit und die entsprechenden
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Subjektpositionen anzubieten: /street homelessness/ = /shelter/ = /triple-up in flats/ (vgl. PTH 2015). Die thematischen oder feldorientierten Forderungen erweisen sich gleichsam als fragmentiert und als genuin anschlussfähig für andere thematische Felder. Insbesondere der Bezug auf die leeren Signifikanten /Human Rights/ und /Social Justice/ – und die entsprechend damit verbundenen Diskurse – können für eine weitergehende Verallgemeinerung, Assoziation und mithin auch Konvergenz mit anderen Themenfeldern förderlich sein. Hierbei handelt es sich um eine diskursive Strategie, die darauf zielt Unterstützung und Solidarität über eine thematische Äquivalenzierung auszuweiten: „Picture the Homeless has worked since our founding to place ending homelessness on the agenda of the broader social justice movement, by pointing to the intersecting issues of racial, gender and economic justice.“ (PTH 2011: 28) 6.1.4
Systemischer Fokus
Liegt eine systemische Ausrichtung vor, werden explizit keine konkreten partikularen Forderungen zu Gunsten eines allgemeinen Bezugspunktes der (Re)Politisierung der Stadtpolitik und einer Vernetzung verschiedener Protestbewegungen artikuliert. Dies ermöglicht die Verbindung diverser partikularer Forderungen unter einem gemeinsamen Bezugspunkt, wie beispielsweise einem leeren Signifikanten /Stadtpolitik/, /Recht auf die Stadt/ oder auch unter einer verallgemeinernden Fragestellung /Wem gehört die Stadt?/ (vgl. Abb. 14). Die Unterbestimmtheit der Signifikanten -/Stadt/ und /Politik/ sorgt für mannigfaltige Assoziationsmöglichkeiten ganz unterschiedlicher partikularer Forderungen und Subjektpositionen. Gleichzeitig wird die notorische begriffliche Unschärfe aus einer Graswurzelperspektive spezifiziert und als gegenhegemoniales Projekt artikuliert. Dabei gerät das Paradigma einer Stadtpolitik, die von Oben gesteuert wird und zu deren modus operandi es gehört, dass Defizite durch zivilgesellschaftliches (ehrenamtliches) Engagement aufgefangen werden, als negative Bezugsfolie in den Blick (vgl. Kap. 6.3). Partikulare Forderungen, die auf einen ersten Blick nicht in einem direkten Zusammenhang stehen, wie /Wohnraum/ = /Bleiberecht/ = /Allmende/ = /Teilhabe/ = /höhere Löhne/ = /Rekommunalisierung von Liegenschaften/ werden in Verbindung gesetzt durch den Bezug auf leere Signifikanten. Das heißt die Abwesenheit von konkreten Forderungen ermöglicht die Anschlussfähigkeit für eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Forderungen. Äquivalenzketten solcher Art erweisen sich als potenziell offen für weitere Forderungen, die nebeneinander gestellt in ihrer Differenz bestehen bleiben können. Während einerseits die spezifische Unterbestimmtheit eines leeren Signifikanten die Anschlussfähigkeit gewährleistet, regu-
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liert andererseits die Formulierung einer antagonistischen Kette die Offenheit oder Abgrenzung gegenüber weiteren Forderungen und Subjektpositionen. Elemente des Aufrufs des Berliner Ratschlags stehen beispielhaft für diesen Typus: „Aber immer mehr Menschen wehren sich. […] Wir wollen ein Berlin, in dem alle Menschen gemeinsam leben können und welches nicht von oben geplant und durchgesetzt wird. […] Wir wollen ein Berlin von unten.“ (Berliner Ratschlag 2014) Das Metasubjekt /Wir/ steht dabei für eine höchstmögliche Diversität verschiedener Forderungen und Subjektpositionen (der Zivilgesellschaft), die sowohl über einen lokalen, als auch thematischen Bezug hinausgehen. Durch die Antagonisierung einer Stadtplanungspolitik von ‚Oben‘ und von ‚Unten‘ wird das politische Möglichkeitsfeld radikaldemokratischer Forderungen abgesteckt und eine tendenzielle Anschlussfähigkeit in diesem Sinne generiert. Abbildung 14: Kette der Forderungen
Quelle: Eigene Darstellung
In New York steht die Right to the City-Alliance exemplarisch für einen solchen übergreifenden verallgemeinernden Typus (vgl. Kap. 5.6.3). Hier werden im Kontrast zum Berliner Ratschlag (und zu anderen größeren Assoziationen) viel stärker Menschen- und Bürgerrechtsdiskurse adressiert. Der Slogan ‚Housing is a human right‘ fungiert als leerer Signifikant für eine Reihe von Forderungen, die aufgrund der Unterbestimmtheit des Rechtsbegriffes auch über den Themenschwerpunkt /Wohnraum/ hinausreichen:
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„Through shared principles and a common frame and theory of change, RTTC is building a national movement for racial justice, urban justice, human rights, and democracy […]. In the realm of ideas, a key resource and touchstone ‚Le droite à la ville‘ (Right to the City) a book published in 1968 by French intellectual and philosopher Henri Lefebvre. In the sphere of human rights, this powerful idea was adopted by the World Urban Forum and elaborated into the World Charter of the Right to the City in 2004. Building from this powerful idea, international principles, and forward looking grassroots organizing, the Right to the City Alliance was established in January 2007.“ (RTTC 2017)
Die Äquivalenzkette der leeren Signifikanten /Menschenrechte/ = /Recht/ = /Gerechtigkeit/ = /Demokratie/ bestimmen genauer, was unter dem /Recht auf Stadt/ verstanden werden soll. Das /Recht auf Stadt/ dient umgekehrt wiederum als gemeinsamer Bezugspunkt und als Rahmen für die Mobilisierung unterschiedlicher Initiativen und Bewegungen. Diese diskursive Strategie gründet einerseits in der historischen Überdeterminiertheit der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika und dem Erbe der Bürgerrechtsbewegungen sowie dem Protest und Kampf gegen soziopolitische Exklusions- und Rassismuserfahrungen. Andererseits wird versucht sich aktuellen transnationalen Diskursen, Netzwerken und Institutionen (UN Habitat) anzuschließen. Sowohl in New York als auch in Berlin ist der Bezug auf einen Rechtsdiskurs jedoch keineswegs unumstritten und wird teilweise kritisch als legalistisch eingeschränkter Ansatz hinterfragt, speziell aus anarchistischer Perspektive in OWS im Anschluss an die Alter-Globalisierungsbewegung (vgl. Kap. 5.5), in Teilen der Mieter*innenbewegungen (vgl. Kap. 5.1.1) sowie der Refugee-Proteste (vgl. Kap. 5.4) in Berlin. Positionen, die sich auf Bürgerrechts- und Menschenrechtsdiskurse beziehen, betonen das Potenzial als übergeordneter Knotenpunkt zur Verbindung verschiedener thematischer Antagonismen (vgl. bspw. Kap. 5.2, Kap. 5.3, Kap. 5.6). Das Ergebnis der Debatte zwischen Kritik und Potenzialen bleibt jedoch tendenziell ergebnisoffen: „Also über den Rechtsbegriff könnten wir jetzt nochmal eine Stunde allein diskutieren, weil es bleibt schwierig. Ich glaube, dass es auch eine Art Klammer ist. Ich finde es aber auch wiederum ganz treffend, weil es eben auch die Beschränkung aufzeigt. Also sozusagen ein Recht auf Stadt.“ (Frida IB, 13.06.2013) Die konträren Positionen illustrieren zudem eine zentrale interne Auseinandersetzung städtischer sozialer Bewegungen, nämlich zuvorderst hinsichtlich des Verhältnisses gegenüber kommunalen und staatlichen Institutionen, sowie der politischen Reichweite von Forderungen. So gibt es einerseits Positionen, die sich auf eine Zusammenarbeit mit Institutionen einlassen und diese explizit adressieren, wie beispielsweise die Mietenpolitische Dossier (vgl. Kap. 5.1.2) oder 100% Tempel-
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hofer Feld (vgl. Kap. 5.2.1) in Berlin oder aber auch die Crown Heights Tenant Union (vgl. Kap. 5.6.2) und Picture the Homeless (vgl. Kap. 5.6.3) in New York. Die Frage nach dem Umgang mit politischen Repräsentant*innen, Institutionen und der Verwaltung wird situativ und hinsichtlich der partikularen sowie weitergehenden politischen Forderungen und Zielsetzungen verhandelt. Dies stellt einerseits einen fortlaufenden Prozess der Selbstvergewisserung dar (vgl. Kap. 7.1.1), andererseits liegt in der Unterbestimmtheit des Signifikanten in dieser Frage eben auch das Potenzial konträre Positionen zu verbinden. Einhergehend mit der kritischen Selbstbefragung hinsichtlich der strategischen Ausrichtung lässt sich zeigen, dass die sogenannten politischen Verantwortlichen in ihrer verantwortungsvollen politischen Position angerufen werden und zum Handeln aufgefordert werden, insbesondere in den ersten beiden Forderungstypen. Die Selbsthinterfragung richtet sich also auch gegen eine Vereinnahmung und Einhegung der (stadt-)politischen Forderungen. Die Verhandlung des Verhältnisses zur Politik ist konstitutiv für alle Forderungsdimensionen der analysierten städtischen sozialen Bewegungen, jedoch besonders relevant für den systematischen Fokus in unterschiedlichen Reichweiten: „Die Beharrlichkeit der Proteste in der Fanny-Hensel-Siedlung, bei Kotti & Co und an vielen anderen Orten in Berlin hat für viele sichtbar gemacht, dass weder vom Wohnungsmarkt noch von der Politik wirklich überzeugende Lösungsvorschläge gegen steigende Mieten und Verdrängung zu erwarten sind. Die Konferenz steht für die Selbstermächtigung, eigene Lösungen zu suchen, die Stadtpolitik mit eigenen Forderungen zu repolitisieren und die sonst so typische Hierarchie zwischen BewohnerInnen und ExpertInnen aufzubrechen.” (Kotti & Co/Sozialmieter.de 2012: 7)
Für die Subversion des hegemonialen Diskurses neoliberaler Stadtpolitik ist die Artikulation eines gemeinsamen Mangelsignifikanten entscheidend. Dies gilt zwar für alle drei Ausrichtungen, ist allerdings auf der systemischen Ebene besonders ausschlaggebend. Kontingente Alternativen werden unter einer gemeinsamen ‚Klammer‘ denkbar und eröffnen eine diskursive Neubestimmung dessen, was unter Stadtpolitik gefasst wird. Die Formulierung eines positiven Bezugspunktes der /Selbstermächtigung/ und /Repolitisierung/ sowie dessen Spezifizierung ist untrennbar mit der Antagonisierung gegenüber den soziopolitischen Ursachen der stadtpolitischen Proteste verbunden. Darüber hinaus wird hierbei auch die Konstruktion von üblicherweise gebräuchlichen Subjektpositionen und deren Ungleichheitsverhältnis in Frage gestellt und unterminiert, wie der oben angesprochene vermeintliche Dualismus zwischen /Bewohner*innen/ und /Expert*innen/ illustriert. Dies wird nun in den folgenden Unterkapiteln genauer ausgeführt. Fungiert der ‚Staat‘ vor allem in ‚klassisch‘ autonomen Positionen als ultimativer leerer Signifikant, so wird er in den derzeitigen städtischen Protesten in Berlin
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und New York eher selten adressiert. Stattdessen steht ‚Demokratisierung‘ im Fokus, was ein spezielles Charakteristikum der postautonomen Ausrichtung der Protestartikulationen markiert (vgl. auch Vollmer/Scheller 2018). Postautonom sind die Forderungen dahingehend, als dass sie sich in einer tendenziellen Offenheit für weitere und auch mitunter konträre Positionen erweisen, die sich zwar an den Defiziten staatlicher Repräsentation abarbeiten, den ‚Staat‘ aber nicht grundsätzlich negieren, sondern zum Gegenstand selbstermächtigender Demokratisierungsforderungen machen (vgl. Kap. 7.2). Die postautonome Ausrichtung der Forderungen ist allerdings nicht getrennt zu betrachten von den postidentitären Subjektivierungen der heterogenen Subjektpositionen der Protestierenden und Aktiven.
6.2 POSTIDENTITÄRE SUBJEKTIVIERUNGSSTRUKTUREN In der Beschreibung der Forderungsstrukturen städtischer sozialer Bewegungen wurde herausgearbeitet, dass diese sich in ihrer Heterogenität als postautonom ausgerichtet sowie tendenziell offen und anschlussfähig charakterisieren lassen. Auch wurden die unterschiedlichen Reichweiten der diskursiven Mechanismen der Äquivalenzierung und Differenzierung in den Protestartikulationen angesprochen. Diese werden im folgenden Abschnitt nun genauer im Zusammenhang der Subjektivierungsstrukturen in den untersuchten städtischen sozialen Bewegungen diskutiert. Auch auf Ebene sozialer und politischer Subjektpositionen und Subjektivierungen erweist sich die Artikulation von Äquivalenzen und die Verhandlung von Antagonismen als ausschlaggebend für die Konstitution von Initiativen, Bündnissen und Netzwerken in unterschiedlichen Konstellationen. Dabei zeigt sich, inwiefern dabei nicht nur eine postautonome, sondern auch eine postidentitäre Ausrichtung der Subjektivierungsstrukturen charakteristisch für die (progressiven) stadtpolitischen Assoziationen ist (vgl. Vollmer/Scheller 2018). Dies soll allerdings nicht heißen, dass die Konstitutionen von kollektiven Identifikationen und politischen Metasubjektivitäten keine Rolle spielen. Es wird vielmehr herausgestellt, dass der derzeitige modus operandi städtischer sozialer Bewegungen maßgeblich geprägt ist durch ein kontinuierliches Hinterfragen hegemonialer und gegenhegemonialer Subjektivierungen und unweigerlich damit verbundener Grenzziehungen, die sowohl Assoziationen und Dissoziationen bedingen. Die eigene Identität bleibt verhandlungsoffen und gilt nicht schon als vorbestimmt (vgl. Marchart 2013b: 219f.). Marchart (2013b: 224) definiert Postidentität als „eine paradoxe Form der Selbstinfragestellung, eine reflexive Bewegung, die die eigene Identität – natürlich nie vollständig und in jeder Beziehung, aber doch hinsichtlich ihrer Grenzen und Grundlagen – in Frage stellt oder zu stellen bereit ist“.
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6.2.1
Diverse Betroffenheit
In der Beschreibung der stadtpolitischen Proteste ist ein weites Spektrum sozialer und politischer Subjektpositionen aufgezeigt worden, welches für die (neue) heterogene Zusammensetzung dieser Initiativen und Netzwerke ausschlaggebend ist. Es wurde bereits angeschnitten, dass die Ursachen dafür zuvorderst in einer grundsätzlichen Verunsicherungsbetroffenheit aller möglichen Lebensbereiche innerhalb verschiedener Mangelstrukturen artikuliert werden. Als drei zentrale städtische Konfliktfelder wurden beispielsweise ‚bezahlbarer Wohnraum‘, ‚Stadtentwicklung‘ und ‚Inwertsetzung‘ herausgearbeitet. In diesen großen stadtpolitischen Themenfeldern kommen eine Vielzahl von soziopolitischen Widersprüchen auf, die ein ebenso weites Spektrum sozialer und politischer Subjektpositionen betreffen, wie /Mieter*innen/, /Künstler*innen/, /Clubbetreiber*innen/, /Kulturschaffende/, /Geflüchtete/, /Hausbesetzer*innen/, /Kleingärtner*innen/, /Wohnungslose/, /Senior*innen/, /Empfänger*innen von Sozialleistungen/, /urbane Gärtner*innen/, /Schüler*innen/ oder /Student*innen/. Dabei handelt es sich hauptsächlich um Menschen, die aus ihrer direkten Betroffenheit politisch aktiv werden – weil sie „mit dem Rücken zur Wand“ (Frida IB, 13.06.2013) stehen – und sich für eine alternative /gerechtere/ Stadtpolitik engagieren (oder aus Solidarität mit Betroffenen). Entsprechend werden Äquivalenzketten zwischen diesen verschiedenen Subjektpositionen artikuliert, wobei die Betroffenheit und existenzielle Bedrohung als ein gemeinsamer negativer Bezugspunkt dienen. Hier kommt die umfassende Prekarisierung der alltäglichen Lebensführung zum Tragen (vgl. Lorey 2015) und bildet sich in den tendenziell offenen Äquivalenzketten der Betroffenen ab. Als prekär beschrieben wird nicht nur die Wohnraumkrise, sondern auch die Situation der Arbeitsräume für freischaffende Künstler*innen sowie deren Arbeitsverhältnisse und Abhängigkeiten von Fördermitteln im Allgemeinen und die sich daran anknüpfenden finanziellen Möglichkeitshorizonte für eine würdevolle Lebensführung (vgl. Kap. 5.3.2, Kap. 5.3.3). Unterfinanziert oder von Schließung betroffen sind jedoch nicht nur kulturelle Einrichtungen, sondern beispielsweise auch Räume von und für Senior*innen. Das bezieht sich auch auf den Zugang und die Gestaltung städtischer Flächen, die stadtpolitische Objekte der Inwertsetzung und damit Gegenstand von Auseinandersetzungen sind, seien es öffentliche Plätze, Parks, städtische Brachen, die anderweitig genutzt werden, Kleingärten, oder auch von Kleingewerbe genutzte Flächen.3
3
Wenn auch nicht expliziter Gegenstand dieser Arbeit, so sind jedoch darüber hinaus auch die Rekommunalisierung der Energieversorgung, ein kostenloser Nahverkehr oder ein stadtweit kostenloses Internet Gegenstand stadtpolitischer Initiativen und Forderungen für eine Demokratisierung der Stadtpolitik (vgl. Wenderlich 2016).
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In den Protestartikulationen, insbesondere im Zusammenhang größerer Demonstrationen wie zur ‚Revolutionären 1. Mai-Demo‘ oder dem ‚People’s Climate March‘, wird das breite Spektrum von Subjektpositionen von Betroffenen aufgezeigt, die sich nicht nur auf die ‚Urban Poor‘ und ‚Linksradikalen‘ sondern mittlerweile auch auf Menschen mit mittleren und höheren Einkommen beziehen: „Das bewegt sich auf einander zu. Die einen merken, hier können wir das Problem auch nicht lösen. So viele Hausprojekte haben wir nicht, die uns eine Alternative anbieten. (...) Auf der anderen Seite steht die Verbreiterung der Betroffenheit.“ (Daniel IB, 02.05.2013) Es treten völlig neue Akteur*innen auf, von denen nicht erwartet worden wäre, dass sie sich organisieren und sich dieser Protestformen annehmen, darunter beispielsweise /(migrantische) Senior*innen im Rollstuhl/ (vgl. Daniel IB, 02.05.2013). Dabei kann auch ein Eigenname, wie an den Beispielen /Nuriye Cengiz/ oder /Rosemarie F./ ersichtlich, als Symbol einer – innerhalb einer bestimmten Mangelstruktur – prekarisierten Subjektposition zum Knotenpunkt der Protestartikulationen werden (vgl. Kap. 5.1.2). Die Antagonismen treten offen hervor beziehungsweise werden politisiert. Die Verbindung zwischen aktuellen Betroffenheits- und Prekarisierungsdiskursen impliziert eine Verallgemeinerungstendenz und verweist somit zum einen auf eine Deindividualisierung von Verantwortung und schafft anderseits auch Anschlussmöglichkeiten für ganz unterschiedliche Symptome einer umfassenden Prekarisierung. 6.2.2
Deindividualisierung von Verantwortung
Dieser Logik der individualisierenden Responsibilisierung entspricht die folgende Formel: Werde ich aus meiner Wohnung geworfen oder kann ich mir mein Atelier nicht mehr leisten, dann ist das mein Verschulden und auch mein persönliches Problem. Städtische soziale Bewegungen setzen an diesem Punkt einer individualisierenden Responsibilisierung an und versuchen diese als eine konkrete Subjektivierungspraxis (neoliberaler Stadtpolitik) zu reflektieren und aufzuzeigen, dass es weniger um individuelle Probleme geht. Entgegen dieser hegemonialen Logik wird die Verallgemeinerung der partikularen Problematik unter Bezug auf einen übergeordneten (leeren) Mangelsignifikanten betont, beispielsweise /Gentrifizierung/, /Wohnraum/ oder /Kulturförderung/ oder /Stadtpolitik/. Durch die Äquivalenzierung wird diese Individualisierung der Verantwortung unterminiert und Unterstützung generiert. Diese politische Praxis der Deindividualisierung bildet die Basis für intersubjektive Solidarität.4
4
Entsprechende Diskussionen einer Ausweitung und Entwicklung hin zu einer translokalen und globalen Solidarität sind immer wieder auch Gegenstand von Diskussionsrunden,
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Die subjektive Betroffenheit korrespondiert mit den partikularen Forderungen, die potenziell äquivalenziert werden. Das heißt nicht, dass sie gleichgestellt werden oder ihnen ihre spezifische Besonderheit abgesprochen wird. Vielmehr wird das Gemeinsame hervorgehoben, in Form eines negativen Bezugs auf den zentralen Mangelsignifikanten /Mieten/ oder eine antagonistische Subjektposition der /Vermieter*in/ oder der /Wohnungsbaugesellschaft/, die beispielsweise eine Zwangsräumung durchsetzen will. Durch die Forderungen kann der Mangelsignifikant in einem Akt diskursiver Selbstermächtigung umgedeutet werden und einen positiven Bezug erhalten. Über die partikulare Betroffenheit des subjektiven Spezialfalles hinaus wird hierbei der Signifikant /Zwangsräumungen/ als verallgemeinertes Thema selbst politisiert. Durch eine diskursive Anbindung an den weiteren Themenbereich /Mietwohnungen/ und die entsprechende Verknüpfung in der Äquivalenzkette von Forderungen (respektive Mangelstruktur) wird eine Anschlussfähigkeit zu anderen Konfliktfeldern im konkreten Themenbereich sowie Möglichkeiten eines Upscalings auf translokaler Ebene weitergehender Äquivalenzierungen von Forderungen und Subjektpositionen konstruiert.5 Die im Kontext neoliberalisierter Governancestrukturen zu verortenden responsibilisierenden Subjektivierungen werden erweitert und in politische Handlungsfähigkeit übersetzt. Wie beispielsweise Vey (2015: 83) hervorhebt, liegt darin ein Aspekt gegenhegemonialer Praxis (vgl. auch Kap. 3.2.1 und Kap. 7.1.3). Es werden politische Subjektpositionen konstruiert, die beispielsweise das Verständnis der /Mieter*in/ als /Kund*in/ übersteigt und stattdessen über den Bezug zu /Rechtsdiskursen/ und das Einfordern von /Teilhabe/ politisch erweitert: „Hier erheben jene die Stimme, über die sonst gesprochen wird: MieterInnen aus verschiedenen Häusern des Sozialen Wohnungsbaus haben die Suche nach politischen Lösungen für ihre steigenden Mieten selbst in die Hand genommen […].“ (Kotti & Co/Sozialmieter.de 2012: 7) Eine solche politische Reformulierung der Subjektposition /Mieter*in/ kann Anschlussfähigkeit zwischen verschiedenen Betroffenheitsfeldern schaffen und für Konvergenzen zwischen den verschiedenen sozialen Subjektpositionen sorgen. 6.2.3
Defragmentierung von Protestthemen
Auf metasubjektiver Ebene verhält es sich ähnlich, da zwischen den verschiedenen Initiativen ebenfalls Vereinzelungen und Fragmentierungen auftreten, insofern als
wie beispielsweise beim Panel ‚Building a Global Solidarity Movement‘ auf dem Left Forum 2015. 5
Beispiele hierfür wären die Proteste gegen das Konsortium Blackstone Investments und die European Action Coalition for the Right to Housing and to the City.
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dass diese sich meist entlang spezifischer thematischer Schwerpunkte organisieren. Wird der politische Horizont partikularistisch begrenzt, erweist sich die thematische Spezialisierung eher als hinderlich für die Verbindung von Protestthemen mit dem Ziel gegenseitiger Unterstützung. Die thematische Fragmentierung und die entsprechenden Subjektivierungen werden allerdings in den Protestinitiativen kritisch reflektiert: „People separate. People organize in silos. ‚Oh. I do health care. I can‘t talk to Dave, because he does housing and public space‘.“ (Richard INYC, 07.10.2013) Auch in Berlin ist das ein kritisches Thema, allerdings in einem konkreten Themenfeld autonomer Mietenproteste und deren Weiterentwicklung: „Es sind unterschiedliche Bündnisse mit unterschiedlichen Geschichten, die unterschiedliche Schwerpunkte haben [WBA und Stadtvernetzt, D. S.]. Vielleicht ist es so, dass Berlin so groß ist, dass diese Idee, es gibt nur eine Bewegung, nur eine Gruppe, die alles umfasst, das funktioniert hier einfach nicht. Super wäre, alle würden wirklich gut an bestimmten Punkten zusammenarbeiten und diese Kommunikation würde richtig gut laufen und man würde sich nicht die ganze Zeit daran aufreiben, ihr seid aber so, und ihr macht das aber so und das ist aber die richtige Strategie und nicht so.“ (Frida IB, 13.06.2013)
Eine Überwindung der Fragmentierung hin zu einer gemeinsamen Koordination von Aktionen sowie punktuellen Kollaborationen wird durch den Bezug auf einen noch weiter entleerten Signifikanten aus der Forderungskette versucht, der sich als geeignet erweist ein möglichst diverses Feld von verschiedentlich betroffenen Subjektpositionen und Forderungen zu vereinen. Einerseits wird der Menschenrechtsdiskurs als ein potenzieller Metasignifikant für das (stadt-)politische Organizing jenseits der thematisch fragmentierten Fokussierung verhandelt: „One of the things I’ve learned very honest, how this human rights framework, which has basically cast aside in this country for years, can take you out of those silos and helps you organizing around structures that are preventing you from achieving what it is you want to achieve. It allows all of us to organize around the same thing. And it brings us together rather then separating us. Still a hard sell. Still a very hard sell.“ (Richard INYC, 07.10.2013)
Wie bereits angeführt, ist dies andererseits mit einer kritischen Auseinandersetzung um die Potenziale und Hindernisse verbunden, die der Menschenrechtsdiskurs mit sich bringt. Generell lässt sich allerdings festhalten, dass sich in den stadtpolitischen Initiativen und Netzwerken die Reflexion und Auseinandersetzung über gemeinsame Bezugspunkte (mithin auch jenseits des eigenen spezifischen Themengebiets) etabliert haben. Der Ansatz des Wir bleiben alle-Bündnisses in Berlin kann als ein pragmatischer beschrieben werden, wobei die gemeinsame Kommunikation und das Abwä-
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gen von Unterstützungsmöglichkeiten und praktischer Anschlussfähigkeiten im Zentrum stehen. Dieser Ausstausch muss allerdings nicht notwendigerweise auf gemeinsame Aktionen ausgerichtet sein: „Der Schwerpunkt liegt im Austausch. Es ist nicht mal so, dass man in allem möglichen zusammenarbeitet und zusammen einen Plan macht. Sondern es ist eher der Austausch, um zu kucken, wo was zusammen gemacht werden kann. Also die planen eine Demonstration und dann kommen die anderen mit ihren Ständen dazu. Darüber wird halt kurz geredet. Dann die aktuelle Bedrohungslage. Dann wird gemeinsam überlegt, was kann denn noch sein. Also um aus der politischen Praxis die Erfahrungen mit einzuspeisen bei den einzelnen. Man wirbt halt beieinander für Unterstützung.“ (Daniel IB, 02.05.2013)
Eine ähnliche Tendenz lässt sich auch in anderen Bündnissen und Netzwerken in Berlin ausmachen (und zum Teil auch in New York). Wurden in der vergangenen Dekade noch klare identitäre Trennungslinien zwischen autonomen Protesten gezogen (vgl. Kuhn 2014), so lässt sich nun – nicht zuletzt durch die sich ausweitende Prekarisierungserfahrung – eine größere Durchlässigkeit der in den Protestartikulationen adressierten Subjektpositionen feststellen.6 Die Strategie der Defragmentierung über potenziell offene Äquivalenzketten unter bestimmten leeren Signifikanten entwickelt sich zu thematisch übergreifenden Vernetzungen und Koalitionsbildungen sowie einem Upscaling lokaler Protestzusammenhänge auf städtischer, regionaler, landesweiter und transnationaler Ebene. 6.2.4
Vernetzung und Koalitionsbildungen
Marc Purcell beschreibt ‚networks of equivalences‘ als „counter-hegemonic articulations of differentiated but equivalent popular struggles“ (2009: 292). Wider der /Vereinzelung/ und des /Gegeneinanderausspielens/ wird versucht kollaborative ‚Netzwerke der Äquivalenz‘ zur Unterstützung und Solidarität zwischen den unterschiedlichen Subjektpositionen zu etablieren, ohne diese (unter eine gemeinsame Bewegungsidentität) zu assimilieren: „Eines unserer Hauptanliegen ist es, dass wir verhindern wollen, dass diese ganzen verschiedenen Gruppen immer gegeneinander ausgespielt werden. Migranten gegen Deutsche. Mieter gegen Kleingärtner und so weiter.“ (Frida IB, 13.06.2013) Das geschieht niemals einfach so aus sich heraus, sondern beinhaltet stets langwierige und aufwendige Kommunikations- und Aushandlungsprozesse auf unterschiedlichen Ebenen. Neben den bereits angesproche-
6
Dies illustrieren beispielsweise die Listen der Unterzeichnener*innen der Onlinepetition von East Side Gallery Retten, die Einladung des Berliner Ratschlags oder auch die Declaration of the Occupation of New York City.
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nen unterschiedlichen Protestartikulationsformen (vgl. Kap. 5) ist der direkte persönliche Kontakt meist der erste Schritt in Richtung Vernetzung und Koalitionsbildung. Diese Art von /Beziehungsarbeit/ wird in Berlin als entscheidend hervorgehoben. Ein Aktiver aus dem Wir bleiben Alle-Bündnis verweist auf die zentralen Punkte: „Die haben das von sich aus gemacht. (...) Wie ich vorhin schon beschrieben hatte, dieses Phänomen auf Andere zu zugehen und zu kucken was da los ist, ist glaube ich schon stärker geworden. Mir reicht das noch nicht aus. Ich finde, dass man sofort, wenn irgendwo was fackelt, hingehen muss und kucken was los ist. Und den anderen erzählen, was da los ist. Das ist das erste. Dass man weiß, aha da passiert schon wieder was. Dann kennt man die oder die und dann kann man mit denen mal reden und dann kuckt man, wie man dann zusammenarbeitet.” (Daniel IB, 02.05.2013)
Es geht zuvorderst also darum, sich zu interessieren, Präsenz zu zeigen, sich mit seinem Wissen unterstützend anzubieten und dann persönliche Netzwerke aufzubauen. Ebenso in eine solche Richtung gehen auch beispielsweise die OrganizingAnsätze von Take Back the Land, die um die spezifischen Themen (Sphere) /Land/ und /Housing/ herum strategisch kontinuierliche Kommunikationsräume schaffen, Mobilisierungsarbeit leisten und mit dem Angebot des Erfahrungsaustauschs verbunden sind: „We call our model of organizing the ‚sphere model‘. So we draw [on] positive action, nonviolent civil disobedience, eviction defense, take overs of vacant houses, take overs of urban farming. And then you hope that that leads to policy discussions. And coming out of that (...) alternative structures and then here collaboration and facilitation. Constantly traveling, talking to folks, understanding what's going on. So that’s like a basic model.” (Richard INYC, 07.10.2013)
Die kontinuierliche Bereitschaft da zu sein, zuzuhören, zu verstehen sowie sich offen und unterstützend zu positionieren sind ein grundlegendes Charakteristikum aktueller stadtpolitischer Organisierungs- und Mobilisierungsweisen. Ebenso wie die gewaltfreie Ausrichtung der postautonomen Aktionsformen des Protests. Allerdings wird dabei auch deutlich, dass eine solche vermittelnde Position meist nur einige Wenige übernehmen, die zwischen den unterschiedlichen Akteur*innen der verschiedenen Themenbereiche versuchen praktisch Verbindungen zu schaffen. Drei grundsätzliche normative Voraussetzung lassen sich dabei festhalten, die auch für die städtischen sozialen Bewegungen generell wichtig sind: Erstens ein gewisses Maß an Selbstreflexion hinsichtlich der Grenzen und Horizonte der eigenen thematischen Ausrichtung der Forderungen, entsprechender Subjektpositionen und Akti-
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onsformen; zweitens das explizite Ziel die Fragmentierungen zu überwinden und wechselseitige Solidarität zu schaffen; drittens aus gemeinsamen negativen Bezugspunkten zu positiven Umdeutungen und politischen Alternativen zu kommen. Die folgende Aussage illustriert diesen normativen Anspruch und das Konzept der persönlichen Vorbildfunktion im spezialisierten, fragmentierten und isolierten Kontext städtischer sozialer Bewegungen in New York: „I think leaders, like myself, we have to step up and set examples. And by that I mean, cross the line come out of your silo to go into another. The housing activist should work with health care activists. The labor organizers should work with the farmers. Everybody should be working together. The environmental folks should be working with housing folks. It’s all together. We have to do it by setting examples. So one of the things in my role as a volunteer here, I can work with a bunch of different organizations. So I tend to show up at different group's meetings like ‚Richard, what are you doing here?‘ ‚Ah. I want to support your work here. What's going on?‘ [...] We really have to organize some conversations that figurates of one agenda. That something that is an entry point for a good portion of us to work on. I think that’s how you build a base and bring people together. We are all working on something that is working for all of us.” (Richard INYC, 07.10.2013)
Die hier angesprochene Subjektposition des /Leader/, der oder die zwischen den unterschiedlichen fragmentierten stadtpolitischen Themengebieten unterwegs ist und dabei in einer Vorbildfunktion beschrieben wird, Brücken zu schlagen, zielt in letzter Instanz auf das ‚Vernähen‘ der fragmentierten stadtpolitischen Themen zu einem gemeinsamen politischen Raum. Das soll vor allem durch ein wechselseitiges Verständnis, eine gemeinsame Sprache, eine gemeinsame Agenda und gemeinsame Bezüge erreicht werden. Ein solcher an konkreten Subjektivitäten ausgerichteter Ansatz ist in Berlin nicht verbreitet und wird auch in New York, speziell in anarchistischen Kreisen, kontrovers diskutiert. Exemplarisch für die Tendenz zur Defragmentierung des stadtpolitischen Protests steht der Berliner Ratschlag (vgl. Kap. 5.1.5). Die Anstrengung der Überwindung liegt hierbei weniger in den Händen einzelner Subjekte, die als Knotenpunkte im Netzwerk fungieren. Vielmehr sind es Initiativen und bereits bestehende Netzwerke, über die in kollektiver Anstrengung versucht, wird den politischen Bezugsrahmen für die Vernetzung auszuweiten. Wie oben angeführt geht es um Reflexion und eine Suchbewegung nach einem gemeinsamen Rahmen mit verschiedenen Knotenpunkten als potenzielle Angebote, nach „something that is working for all of us“ (Bert 16 Beaver, 25.07.2014). Die protagonistische Äquivalenzkette der Mangelerfahrungen des Berliner Ratschlags /städtische Infrastruktur/ = /Bildung/ = /Gesundheit/ = /Wohnen/ = /Ressourcen/ = /Mobilität/ = /öffentlicher Raum/ = /Ökologie/ = /Diskriminierung/ = /Rassismus/ =
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/Alternativmedien/ = /soziale Sicherheit/ /Hartz IV/ = /prekäre Arbeitsverhältnisse/ = /Altersarmut/, versucht ein weites Spektrum stadtpolitischer Themen abzudecken und so einen gesamtstädtischen politischen Bezugsrahmen abzustecken (vgl. Berliner Ratschlag, 27.01.2014). Als übergeordneter Signifikant wird die Gestaltung der /solidarischeren Stadt/ angeführt, die als gemeinsamer Bezugspunkt für die unterschiedlichen /Kämpfe/ dienen soll (vgl. Berliner Ratschlag, 27.01.2014). Als Gelingensbedingung für das Zusammenbringen der unterschiedlichen Themen wird vorgeschlagen sich auf die Gemeinsamkeiten zu konzentrieren, ohne die Differenzen zu übergehen: „Wir sind überzeugt: durch den gemeinsamen Bezug auf unsere Kämpfe kann die Stadt solidarischer gestaltet werden. Trotz der unterschiedlichen Ansätze – die durchaus Konfliktpotenzial bergen – wollen wir uns auf die Gemeinsamkeiten konzentrieren ohne Differenzen zu ignorieren“ (Berliner Ratschlag, 27.01.2014). Diese Aussage ist kennzeichnend für die postidentitäre Ausrichtung, für die auch die offenen Äquivalenzketten unterschiedlicher sozialer Subjektpositionen, wie /Mieter*innen/ = /Künstler*innen/ = /Geflüchtete/ = /Gärtner*innen/ = /Senior*innen/ = /Studierende/, ausschlaggebend sind sowie der gemeinsame Bezug auf einen leeren subjektivierenden Signifikanten, in diesem Fall /Bürger*in/, dessen Bedeutung genauer bestimmt wird durch den Signifikanten /radikaldemokratisch/ (vgl. Abb. 15). Abbildung 15: Kette der betroffenen Subjektpositionen
Quelle: Eigene Darstellung
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Die Subjektvierungsweisen zielen auf eine Konvergenz verschiedener sozialer und politischer Subjektivitäten. Aktionsformen und Organisationsformen sind entsprechend auf Anschlussfähigkeit ausgerichtet. Es wird auf diese Weise eine politische Subjektivität /Bürger*in/ konstituiert, die durch ihre nähere radikaldemokratische Bestimmung, die hegemoniale Trennung zwischen /Expert*in/ und /Bürger*in/ unterläuft und auch die zwischen Bürger*in und Nicht-Bürger*in (Geflüchtete). Der politische Horizont dessen, was unter Bürger*in zu verstehen ist, wird erweitert und umfasst letztlich ein weites Spektrum verschiedener (radikaldemokratischer) Signifikanten. Diese politische Subjektposition wird keineswegs mehr nur auf Deliberation und Korrekturen beschränkt gedacht, sondern zielt auf viel stärkere und weitgehendere Formen direkter politischer Mitbestimmung und Teilhabe an politischen Entscheidungsprozessen sowie deren Instituierung und Institutionalisierung ab. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass für die Subjektivierungsstrukturen städtischer Protestartikulationen eine postautonome und postidentitäre Ausrichtung ersichtlich ist. Diese äußert sich zuvorderst in einer kontinuierlichen Selbstbefragung hinsichtlich der tendenziellen Offenheit und Unabgeschlossenheit der Äquivalenzketten der Forderungen, als auch der sozialen Subjektpositionen. Wie nun gezeigt werden soll, geht damit auch die Verhandlungsoffenheit der Antagonismen hinsichtlich möglicher Kollaborationen einher.
6.3
POSTPOLITISCHE KONTRARITÄTSSTRUKTUREN
Wie bereits in den vorangegangenen Abschnitten beschrieben, hat sich ein heterogenes Feld stadtpolitischer Proteste in Berlin und New York entwickelt. Dabei wurde bereits darauf verwiesen, dass die postautonome und postidentitäre Konstitution und Äquivalenzierung der Forderungen und Subjektpositionen nicht getrennt zu betrachten sind von Antagonisierungen innerhalb stadtpolitischer Mangelstrukturen. Im folgenden Teil wird nun eingehender gezeigt, wie diese Mangelstrukturen über verschiedene negative Bezugspunkte als eine postpolitische Kontraritätsstruktur konstruiert wird. Die Artikulation stadtpolitischer Widersprüche unterläuft dabei die hegemoniale unternehmerische Ausrichtung der jeweiligen Stadtpolitik. Wie gezeigt wird, werden durch die Protestartikulationen einerseits eine vermeintliche Alternativlosigkeit bestehender Stadtpolitiken in Frage gestellt und anderseits auch depolitisierte Subjektpositionen der Stadtbewohner*innen als /Konsument*innen/ und /Kund*innen/ reformuliert. Als postpolitisch sind die Kontraritätsstrukturen zu verstehen, weil sie als hegemoniale Formationen einen vermeintlichen neoliberalisierten Konsens, und aus dieser Perspektive eine universalisierende Deutung der Stadtpolitiken und des Gemeinwohls beanspruchen (vgl. Kap. 2.4 und Kap. 3.2.1). Dieser vermeintliche Kon-
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sens und die damit verbundene Notwendigkeitslogik sind Gegenstand von Kritik. Die stadtpolitischen Initiativen geben sich allerdings nicht damit zufrieden, die konkreten Stadtpolitiken zu kritisieren und diesen Alternativen entgegenzustellen. Vielmehr (je nach Reichweite der Forderungen) wird, mit der impliziten oder expliziten Kritik politischer Entscheidungsstrukturen und Repräsentationsformen, die Frage des Politischen selbst aufgeworfen. Innerhalb der heterogenen Mangelstruktur werden (radikal)demokratische Defizite artikuliert und beispielsweise ‚soziale Rechte‘ eingefordert, was schließlich auf eine Tendenz hin zur Demokratisierung der Demokratie verweist. Im Folgenden wird gezeigt, wie aus verschiedenen Widersprüchen Äquivalenzketten des Mangels und damit Antagonismen artikuliert werden (Kap. 6.3.1). Dabei lässt sich im Mangelsignifikanten /Stadt(entwicklungs)politik/ (Kap. 6.3.2) ein gemeinsamer negativer Bezugspunkt ausmachen, der verschiedene Themenfelder zusammenbringt. Für die Konstitution einer gemeinsamen (stadt-)politischen Subjektposition spielen die Ketten antagonistischer Subjektpositionen, die mit der hegemonialen postpolitischen Ordnung assoziiert werden, eine entscheidende Rolle (Kap. 6.3.3). 6.3.1
Vom Widerspruch zum Antagonismus
Die Artikulationen der stadtpolitischen Kontraritätsstrukturen sind durch die alltäglichen, subjektiven, oft in den Bereichen des Wohnens und Arbeitens als existenzielle Bedrohung erfahrenen Brüche und Verwerfungen in den hegemonialen soziopolitischen und politökonomischen Strukturen bestimmt. Entsprechend der oben beschriebenen mannigfaltigen Betroffenheitsszenarien diverser sozialer und politischer Subjektpositionen sowie der jeweiligen Forderungen werden stadtpolitische Widersprüche auf einer partikularen, thematischen oder auch systemischen Ebene artikuliert. Es geht hierbei ganz klar darum, zu benennen, was konkrete Defizite und Bedrohungen sind und ebenso darum, wie diesen wirksam und nachhaltig begegnet werden kann. Dabei ist es jedoch auch immer ein zentrales Anliegen, die subjektiven Mangelerfahrungen zu deindividualisieren und zu verallgemeinern beziehungsweise anschlussfähig für andere Mangelerfahrungen zu machen, um Unterstützung und Solidarität zu erfahren. Die Grenzen des progressiven stadtpolitischen Diskurses sind allerdings dabei nicht gänzlich, sondern wie oben angedeutet, nur bedingt verhandlungsoffen. So können beispielsweise rassistische Deutungen von Mangelstrukturen nicht ohne weiteres Anschluss an die artikulierten emanzipatorischen Kontraritätsstruktur finden, sondern sind Bestandteil der Mangelstruktur beziehungsweise der antagonistischen Kette. Negative Bezugspunkte in Form von hinreichend entleerten Mangelsignifikanten, die zur genaueren Bestimmung der Antagonismen beitragen, sind konstitutiv
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für die Äquivalenzierung zwischen den verschiedenen Forderungen und Subjektpositionen. Sie dienen gleichsam zur genaueren Bestimmung und Abgrenzung der eigenen Forderungen. So können die spezifischen Dislozierungserfahrungen, aber auch der Protest gegen ein konkretes Projekt, eine Maßnahme oder ein politisches Handeln, zu gemeinsamen (negativen) Bezugspunkten stadtpolitischer Protestartikulationen und nicht zuletzt auch zum Ansatzpunkt für (positive) eigene Forderungen werden. Forderungsstrukturen und Kontraritätsstrukturen sind nicht getrennt voneinander zu betrachten, ebenso wenig wie die jeweils damit verbundenen Subjektivierungsstrukturen. Darin spiegelt sich das Zusammenspiel der beiden Seiten der „Logik des Politischen“ wider (Laclau/Mouffe 1985, Mouffe 2000) – zum einen der Äquivalenzlogik und zum anderen der Differenzlogik. Wie eingehender diskutiert werden soll, ist dies von besonderer Relevanz für das Zustandekommen und Scheitern von Konvergenzen partikularer Forderungen und fragmentierter Subjektpositionen im Sinne einer Logik radikaldemokratischer Universalisierung (vgl. Kap. 7). Für das Formulieren eines gemeinsam geteilten Antagonismus erweist es sich in den stadtpolitischen Protestartikulationen als unabdinglich, den partikularen Fokus eines subjektiven oder lokalen Widerspruchs hin zu einer weiterreichenden Mangelstruktur zu verallgemeinern. Die spezifische Partikularität eines Mangels wird damit zu einem Symptom (unter anderen) einer übergeordneten Mangelstruktur, hinreichend offen bestimmt durch einen Mangelsignifikanten. So benennen beispielsweise die Signifikanten /Zwangsräumungen verhindern/, /Obdachlosigkeit/, die /Verlängerung der A100/ oder die /Bebauung des Tempelhofer Feldes/ ganz klar jeweils spezifische Mängel und bieten gleichsam ganz unterschiedlichen Subjektpositionen und mithin weitergehenden Forderungen Raum. Liegt den artikulierten Mangelstrukturen in den Protesten ein thematischer Fokus zugrunde, verhält es sich genau andersherum und die Protestartikulation verläuft vom Allgemeinen zum Besonderen. Von einem übergeordneten Mangelsignifikanten ausgehend – wie zum Beispiel /Wohnungsfrage/ oder /Kulturförderung/ – werden unterschiedliche Symptome oder Ausprägungen in einer Art „Mangelregister“ (Marchart 2013b: 178) aufgezählt und zueinander ins Verhältnis gesetzt: „Mieterhöhungen und Angst vor Verdrängung gehören für viele Mieterinnen und Mieter in Berlin inzwischen zum Alltag. Ob neuer Mietspiegel, Wohnungsangebote oder Sozialmieten, der Trend kennt nur eine Richtung – nach oben. Doch steigende Mieten sind keine abstrakten Zahlen und Tabellen, sondern für sehr viele Menschen in dieser Stadt mit ganz konkreten Modernisierungsankündigungen und rücksichtslosen Bauarbeiten, mit Mieterhöhungen, Räumungstiteln und erhöhten Betriebskostenabrechnungen verbunden.“ (MDG 2011: 4)
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Für die mietenpolitischen Protestartikulationen in Berlin und New York sind solche Mangelregister charakteristisch. Die Äquivalenzkette der thematischen Mangelsignifikanten /Privatisierung/ = /Sanierung/ = /Steigende Mieten/ = /Aufwertung/ = /Verdrängung/ = /Zwangsräumungen/ = /Obdachlosigkeit/ ist tendenziell offen und anschlussfähig für weitere Dislozierungserfahrungen. Auch das von der Koalition der Freien Szene in Berlin artikulierte kulturpolitische Mangelregister folgt dieser Logik: /Kulturförderung unzureichend/ = /Fördersysteme unflexibel/ = /kulturelle Substanz Berlins gefährdet/ = /Stadtmarketing Kreative Stadt Berlin/ = /Liegenschaftspolitik/ = /Prekarisierung Arbeit und Leben/ (vgl. KDFS 2013). Obwohl hierbei der Fokus ganz klar an der /Kulturförderung/ ausgerichtet ist, geht der Anspruch über das konkrete stadtpolitische Feld der Kulturförderung hinaus und bezieht sich ebenso auf mietenpolitische Fragen. Haben und Brauchen formuliert es ähnlich, aber umfassender kontextualisiert im Diskurs um die „Enteignung des Gemeinwesens“ (vgl. HUB 2012: 2f.). Am weitreichendsten und zugleich unterbestimmtesten formuliert werden Mangelstrukturen mit einem systemischen Fokus. Sie implizieren eine grundsätzliche Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse, eröffnen damit einen weiten Bezugsrahmen und umfassen sowohl partikulare als auch thematische Mangelstrukturen. Die unterschiedlichen Dislozierungserfahrungen werden in Äquivalenzketten zwischen verschiedenen leeren Signifikanten artikuliert, wie beispielsweise /Verunsicherung/ = /Bedrohung/ = /Prekarisierung/ = /Exklusion/ (vgl. HUB 2012: 2f.). Dabei wird die Partikularität und Fragmentierung der Mangelerfahrungen des städtischen Alltags gleichsam deindividualisiert und generalisiert. Diese themenübergreifenden Signifikanten verhelfen zur hinreichenden Bestimmung einer universalen Mangelstruktur. Signifikanten wie /Stadtpolitik/, /Neoliberalisierung/, /Demokratie/, /Rassismus/, /Urban Justice/ und /Kapitalismus/ gehören zur antagonistischen Kette, können aber auch als übergeordnete themenübergreifende (systemische) Mangelsignifikanten artikuliert werden. 6.3.2
Antagonismus. Stadt(entwicklungs)politik
Die Kontraritätsstruktur speist sich aus der Kritik an den sozioökonomischen und politökonomischen Verhältnissen aktueller Stadt(entwicklungs)politik. Auf dieser weitreichenden übergeordneten Ebene wird die unternehmerische und profitorientierte Ausrichtung aktueller Stadtpolitiken ebenso als mangelhaft artikuliert, wie auch die Repräsentation der politischen Verantwortlichen. Gegenstand der Kritik und des Mangelregisters sind die politische Ausrichtung, spezifische Subjektpositionen und Subjektivierungsweisen sowie stadtpolitische Instrumente, Institutionen und entsprechende Entscheidungsprozesse. Dementsprechend lässt sich ein ähnliches übergeordnetes Schema in den antagonistischen Äquivalenzketten städtischer
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sozialer Bewegungen in Berlin und New York ausmachen: /Stadtentwicklung/ = /politische Entscheidungen/ = /Ökonomie/ = /Prekarisierung/ = /Marginalisierung/ = /Exklusion/ = Wohnraumkrise/ = /Profit/ = /Nachhaltigkeit/ = /Austerität/ = /Protest/. Es besteht die Tendenz dazu, gemeinsame Bezugspunkte und Verbindungen zwischen partikular erfahrenen gesellschaftlichen Widersprüchen und deren Artikulation innerhalb einer Forderungsstruktur zu schaffen. Die Kontraritätsstruktur wird somit als eine Aneinanderreihung verschiedener Mangelsignifikanten lesbar, die zueinander und zu den Ketten der Forderungen ins Verhältnis gesetzt werden (vgl. Kap. 7.1.1). Allerdings wird eine deutliche Hierarchisierung der Dislozierungserfahrungen sowohl in den kleineren Initiativen als auch in den größeren Netzwerken nicht ersichtlich. Die Mangelerfahrungen werden in ihrer spezifischen Singularität nebeneinander gestellt und insbesondere in den themenübergreifenden Netzwerken durch den Bezug auf einen übergeordneten Signifikanten in ihrer Gemeinsamkeit konstituiert. Abbildung 16: Kette der Antagonismen
Quelle: Eigene Darstellung
Jeder einzelne Signifikant kann aus der jeweils partikularen, thematischen oder auch systemischen Perspektive kontextualisiert werden. Die Kette der Antagonismen ist potenziell ebenfalls geöffnet und anschlussfähig für weitere Mangelsignifi-
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kanten, die sich unter einen übergeordneten gemeinsamen Bezugspunkt subsumieren lassen. Auch wenn die spezifische Kontextualisierung kontingent und lokal sehr unterschiedlich ausfallen kann, werden ähnliche Begriffe und Äquivalenzketten artikuliert. Neoliberale Stadtpolitik wird als gemeinsamer negativer Bezugspunkt eingesetzt. Die stadtpolitische Kontraritätsstruktur wird beispielsweise durch Signifikanten wie /Mietsteigerungen/ = /Verdrängung/ = /Privatisierung/ = /Inwertsetzung/ = /Kasernierung/ = /Rezoning/ bestimmt. Als mangelhaft oder ursächlich für die Proteste wird die paradigmatische stadtpolitische Ausrichtung an einer /Ökonomisierung/ oder /Neoliberalisierung/ beschrieben, die vorbei an den unmittelbaren Bedürfnissen der betroffenen Menschen geht (Abb. 16). Die New York City Community Land Initiative bildet beispielsweise eine Äquivalenzkette /housing insecurity/ = /displacement/ = /homelessness/ zur generellen Bestimmung der Mangelstruktur steigender Mieten und Verdrängungsdynamiken, die als ‚zügellos‘ und ‚ansteigend‘ beschrieben wird (vgl. NYCCLI 2017). Des Weiteren wird die Mangelstruktur spezifiziert als ein Zukurzgreifen oder Versagen der konkreten Politiken und politischen Instrumente: „Current housing policies and practices favor profit over people. Public housing has been all but abandoned at the federal level and is struggling in NYC. The tools used to develop ‚affordable‘ private housing are weak and misguided; weak, because they are primarily in the form of incentives for private developers and because they expire after a few years; and misguided because they majorly miss the mark. (…) Further, the planning processes behind this approach are fragmented and undemocratic, out of touch with neighborhood realities and out of reach from most of us.“ (NYCCLI 2017)
Die so beschriebene Kontraritätsstruktur wird bestimmt durch die Gegenüberstellung der stadtpolitischen Formel „Land and Housing for profit“ und der grundsätzlich antagonistischen (gegenhegemoniale) Forderung „Land and Housing for people“ (vgl. NYCCLI 2017). Hierbei wird ein klares Spannungsfeld zwischen den Bedürfnissen der Stadtbewohner*innen und der prinzipiellen gewinnorientierten Ausrichtung der unternehmerischen Stadtpolitiken artikuliert. Anschließend werden die praktischen politökonomischen Mängel aufgelistet /abandond public housing/ = /weak tools/ = /private affordable housing/ = /incentives for developers/ = /planning process/ (vgl. NYCCLI 2017). Die Verhandlung dessen, wie die /Stadt/ verstanden wird, wird als ausschlaggebend für Ausrichtung der Stadtentwicklungspolitiken und damit auch für die Möglichkeiten der Teilhabe der Stadtbewohner*innen gesehen. Die Kritik auf systemischer Ebene zielt darauf ab einer tauschwertorientieren Ausrichtung eine gebrauchswertorientierte Ausrichtung stadtpolitischer Entwicklungsprogramme und Instrumente entgegen zu stellen. Die entsprechende nähere Bestimmung des Signi-
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fikanten /Stadt(entwicklungs)politik/ kann als gegenhegemoniale Praxis verstanden werden (vgl. Kap. 7.1). 6.3.3
Stadtpolitische Antagonist*innen
Die Kontraritätsstruktur wird auf Ebene der Subjektpositionen und Subjektivierungen als fragmentierend und kompetitiv beschrieben (vgl. Kap. 6.2). Auf der einen Seite wird eine Äquivalenzkette zwischen den unterschiedlichen Subjektpositionen der Betroffenen gebildet und entsprechend generalisiert: „Aber wir haben momentan den Angriff auf alle“ (Daniel IB, 02.05.2013). Auf der anderen Seite wird den Betroffenen eine Kette antagonistischer Subjektpositionen der (stadtpolitischen) Verantwortlichen gegenübergestellt. In diesen antagonistischen Subjektpositionen werden je nach Kontext /Bürgermeister*in/, /Senator*innen/, /Politiker*innen/, /Verwaltung/, /Polizei/, /Wohnungsunternehmen/, /Investor*innen/, /Vermieter*innen/ einzeln angerufen oder auch gemeinsam in unterschiedlichen Konstellationen verknüpft (vgl. Abb. 17). Abbildung 17: Kette der Antagonist*innen
Quelle: Eigene Darstellung
Was die politische Verantwortung betrifft kommt es jedoch zu entscheidenden Verschiebungen. Betroffenheit und Verantwortungsübertragung (Responsibilisierung)
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gehen einher mit der – und sind gleichsam der Ausgangspunkt für – die Politisierung verschiedener Subjektpositionen.7 Wie bereits beschrieben sind, einer verallgemeinernden Logik der Betroffenheit folgend, die externen Kontraritätsstrukturen ausschlaggebend für die Politisierung der sozialen Subjektpositionen: „Wir stehen halt auch mit dem Rücken zur Wand, weil wir würden mit unserem Einkommen in der Situation in Berlin im Moment nichts anderes kriegen. Wir würden keinen Mietvertrag kriegen. Wir können nicht konkurrieren mit 70 anderen Bewerberinnen und Bewerbern um irgendeine Wohnung. Wie gesagt, wir haben schon [diese Wohnung] nicht gefunden, sondern nur über Bekannte gekriegt. Wenn zwei Leute selbstständig sind, eine ist arbeitslose Akademikerin. Das ist so. Du kriegst keinen Mietvertrag. Das heißt, wir kämpfen auch mit dem Rücken an der Wand, natürlich auch für uns, aber wir wollten auch nicht die anderen hier alleine lassen.“ (Frida IB, 13.06.2013)
In diesem Fall fällt die generelle /Wohnraumkrise/ in Berlin zusammen mit der gleichzeitigen konkreten Konfrontation mit einer Sanierung und Mietsteigerung. Die Hauseigentümer*innen werden hier als die Antagonist*innen durch die Mieter*innen in die Verantwortung genommen. Es wird unter Bezug auf die Subjektpositionen /Selbstständige/ und /Akademikerin/ eine Verbindung zwischen den Betroffenen benannt, die durch die prekäre und kompetitive Struktur auf dem /Mietmarkt/ bestimmt wird. Das Beispiel verdeutlich die Tendenz aus der partikularen Betroffenheitssituation heraus auf eine übergreifende systemische Mangelstruktur zu verallgemeinern. In New York wird von einer Aktiven im New York City Anti Eviction Network ein ähnliches Bild gezeichnet, wobei aus der Perspektive der persönlichen Betroffenheit heraus eine Politisierung artikuliert wird: „And then three years ago my father was evicted. And we knew that was gonna happen but it was a really painful, terrible thing. And he had to move. And he moved and I guess his lease is coming up again. And they gonna raise the rent a lot. It‘s not clear if he is gonna be able to afford it. So there is also a lot of personal connections to how gentrification affects people's lives. How it is not just like ‚Oh. This neighborhood gets nicer.‘ But it's actually also a process of displacement that's really painful. We wanted to be able to do something more radical about that.“ (Amanda INYC, 21.10.2013)
7
Zu ähnlichen Befunden kommen auch hinsichtlich „Neoliberal Governance“ Hackworth (2007), Swyngedouw (2013) und Larsson et al. (2012), was zuletzt in der fachlichen Debatte diskutiert worden ist als konstitutiver Bestandteil von „Neoliberal Urbanism“ (Mayer 2016).
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Als ursächlich wird dabei immer wieder in den Protestartikulationen die Verbindung von Ökonomie und Politik angeführt oder aber auch die mangelnden politischen Mittel die ‚zügellose‘ Ökonomie zu regulieren: „Im Moment macht die Ökonomie, die wir hier haben, alle betroffen und nicht nur die Leute mit einem migrantischen Hintergrund und nicht nur die ganz Armen. Sondern du hast ja mittlerweile die Mittelschicht, die ja teilweise betroffen ist.“ (Daniel IB, 02.05.2013) Die oben angeführten postpolitischen Defizite werden argumentativ verbunden mit der subjektiven Responsibilisierung und der gleichzeitigen Aufforderungen selbst aktiv zu werden, wie das Beispiel Kotti & Co sehr deutlich zeigt. Die Mieter*innen im Sozialen Wohnungsbau wurden zunächst konfrontiert mit steigenden Kostenmieten, die nicht mehr im Bemessensspielraum des Harz IV-Satzes für die Kosten der Unterkunft lagen. Gleichzeitig wurden sie vom Jobcenter angerufen als /Mieter*innen/ selbst aktiv darauf hinzuwirken, die Miete zu senken (vgl. Kotti & Co, 02.06.2012). Eine ähnliche Verbindung von Individualisierung und Responsibilisierung wird von einem Aktiven von Take back the Land in New York artikuliert: „So we were working with people who were impoverished and lost their homes. Many of them weren't working. Some of them were homeless. Needed a place to live. There was an urgency in those folks that was different then here. They were willing to engage into some stuff. And then you started to see the faces were different, middle class white American, black and brown folks over here. That was real, because (…) from a history in the US, racism, structural inequalities, redlining with banks, predatory loans, a number of things. At the same time all of those things are being done to people, the government is spilling a message ‚Pull yourself up by the boots, by the boot-traps and realize the American Dream.‘ And while this rhetoric is coming out the government got his boot on your neck. So how are you supposed to get up when it's boot is on your neck?“ (Richard INYC, 07.10.2013)
Interessant ist dabei das offene Reflektieren dieser widersprüchlichen, responsibilisierenden Anrufungen der /Mieter*innen/ und ehemaligen /Hausbesitzer*innen/ durch die Institutionen. Kontextualisiert in der rassistisch geprägten USamerikanischen Geschichte, werden einerseits die strukturellen Ungleichheiten und die dramatischen Folgen der Bankenkrise für die nun zahlreich obdachlos Gewordenen dargestellt. Kontrastiert wird diese Dislozierungserfahrung anderseits mit dem Verweis auf die individualisierende Anrufung zur Selbstaktivierung im Sinne des ‚American Dream‘. Wie exemplarisch gezeigt wurde, implizieren die Politisierungen der partikularen, thematischen und systemischen Widersprüche in der Artikulation entsprechender spezifischer Antagonisten nicht nur Demokratiedefizite auf Ebene der Kontraritätsstrukturen. Vielmehr bilden solche Äquivalenzketten den Ausgangspunkt für die
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Artikulation (radikal-)demokratischer stadtpolitischer Forderungen und Subjektivierungen. Das genauere Zusammenspiel der hier dargestellten unterschiedlichen Dimensionen wird im folgenden Kapitel diskutiert.
7
Konvergenzen und Demokratisierung. Eine neue Phase städtischen Protests „A revolution that does not produce a new space has not realized its full potential; indeed it has failed in that it has not changed itself […]. A social transformation, to be truly revolutionary in character, must manifest a creative capacity in its effects on daily life, on language and space.” (Lefebvre 1991: 54)
Städtische soziale Bewegungen lassen sich hinsichtlich ihrer Konvergenz und ihres Verhältnisses zur jeweilig hegemonialen Kontraritätsstruktur seit den 1970er Jahren grob in vier Phasen einteilen: Erstens die Krise des Fordismus und Keynesianischen Wohlfahrtsstaats in den 1970er Jahren, zweitens Roll-back-Neoliberalisierung in den 1990er Jahren, drittens Roll-out-Neoliberalisierungen in den frühen 2000er Jahren, viertens Roll-with-it-Neoliberalisierungen in den späten 2000er Jahren (vgl. Mayer 2011, Keil 2009 und auch Kap. 2.1.3). In diesem letzten Kapitel wird nun aufbauend auf den bisherigen Ergebnissen diskutiert, inwiefern sich der Modus der Konvergenzen aktueller städtischer Bewegungen in Berlin und New York hinsichtlich ihres Verhältnisses zu staatlichen Institutionen und fortschreitenden Neoliberalisierungen weiterentwickelt hat. Dabei wird gezeigt, dass derzeitige städtische Protestartikulationen nicht ausschließlich auf die Stadt und das Urbane gerichtet sind, sondern eher im Sinne eines „Right through the City“ (Nicholls/Vermeulen 2012, Lebuhn 2014) in ihren Forderungen und Subjektivierungsweisen darüber hinausweisen. Die aktuellen stadtpolitischen Entwicklungen und die markante Heterogenität der Protestfelder und ihrer Protagonist*innen illustrieren eindrücklich die zivilgesellschaftlichen Artikulationen der ‚Krisen des Neoliberalismus‘ und damit einhergehend die postpolitische ‚Krise repräsentativer Demokratie‘, die als Teil der Kontraritätsstruktur den Ansatzpunkt für Demokratisierungsforderungen bildet.
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Wie in diesem abschließenden Analysekapitel gezeigt wird, sind die Versuche zur Konstitution eines umfassenden gemeinsamen politischen Raumes charakteristisch für die derzeitige (neue) Phase städtischer sozialer Bewegungen. Ausgehend von den Artikulationsformen, den Themen und den Skalen des Protests wird nun anknüpfend an die vorangegangenen Ausführungen – zur postautonomen Ausrichtung der Forderungen, zu postidentitären Subjektivierungen und zu den als postpolitisch beschriebenen Kontraritätsstrukturen – die Analyse auf die derzeitigen Tendenzen städtischer sozialer Bewegungen zu Konvergenz und Demokratisierung enggeführt. Darauf aufbauend wird schließlich aus diesem Wechselspiel von Äquivalenzketten der Forderungen, Antagonismen und Antagonist*innen eine Beschreibung des stadtpolitischen Raums und der Gegenhegemonie (Kap. 7.1) aus Perspektive stadtpolitischer sozialer Bewegungen vorgenommen. Die grundsätzlich für die drei Strukturen gleichermaßen entscheidenden Charakteristika stadtpolitischer Protestartikulationen – nämlich eine potenzielle Offenheit und Anschlussfähigkeit in der Äquivalenzierung; eine ständig prekäre Fixierung von Äquivalenzen und Differenzen; sowie die Verschiebung politischer Möglichkeitshorizonte über diskursive Praxen der Bedeutungsmodulation von zentralen Signifikanten, insbesondere in der Verhandlung der Potenziale und Grenzen von Stadtpolitik – eröffnen einen Möglichkeitsraum zur Konvergenz in „networks of equivalence“ (Purcell 2009) sowie für eine Demokratisierung der Stadtpolitik (Kap. 7.2) hin zu einer „integralen Demokratie“ (Marchart 2013b: 230). Wie gezeigt wird, markiert die neue Phase städtischen Protests einen Übergang aus der Opposition in die aktive Teilhabe an Stadtpolitik. Schlussendlich werden die Charakteristika einer neuen Phase der Demokratisierung-durch-die-Stadt-Bewegungen in Berlin und New York zusammengefasst (Kap. 7.3).
7.1
KONVERGENZEN. STADTPOLITISCHER RAUM UND GEGENHEGEMONIE
Über die in den vorangegangenen Abschnitten dargestellten Dimensionen wird der stadtpolitische Raum als umkämpftes Feld von Bedeutungsproduktionen, Bedeutungsfixierungen und Bedeutungsverschiebungen extrapoliert. Unmittelbarer Ausgangspunkt für die stadtpolitischen Auseinandersetzungen und Prozesse ist die alltägliche Lebenswelt der Stadtbewohner*innen. Wie wir gesehen haben, ist auf Seiten der stadtpolitisch Aktiven die persönliche Betroffenheitserfahrung hinsichtlich Prekarisierung, Verdrängung, Ausschlüssen und Diskriminierung ausschlaggebend. Der Erfahrungshorizont drückt sich aus in unterschiedlichen partikularen, thematischen und systemischen Mängelregistern und wird spezifiziert in der Artikulation und Politisierung von Antagonismen, die das hegemoniale Muster städtischer Post-
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politik prägen. Über eine selbstermächtigende Praxis und die fortlaufende Aushandlung gemeinsamer Forderungs-, Subjektivierungs- und Kontraritätsstrukturen konstituieren sich stadtpolitische Initiativen und Netzwerke. Konvergenzen vollziehen sich vor allem entlang dieser relationalen Diskurselemente, die durch eine spezifische diskursive Offenheit eine thematische Anschlussfähigkeit zwischen verschiedenen Protestartikulationen ermöglichen (Kap. 7.1.1). Im Zusammenspiel von Äquivalenz- und Differenzenartikulationen werden Antagonismen und politische Horizonte bestimmt (Kap. 7.1.2). Der vorgefundene neoliberalisierte stadtpolitische Raum wird als Negativfolie über Mängel und postdemokratische Defizite beschrieben, wonach nicht alle Stadtbewohner*innen hinreichend soziopolitisch und politökonomisch integriert werden. Betroffenheits- und Konfliktsituationen werden als individualisiert und die thematischen Spannungsfelder als fragmentiert beschrieben, was unterschiedliche stadtpolitische Räume hervorbringt, die zunächst einmal nicht viel mit einander zu tun haben. Wie oben gezeigt wurde, ist es ein konstitutiver Bestandteil stadtpolitischer Initiativen, dieser hegemonialen Deutung entgegen zu wirken, die Betroffenheit und individuelle Responsibilisierung zu dekonstruieren und stattdessen die Bedeutungen umstrittener Signifikanten zu modifizieren (Kap. 7.1.3). Insbesondere themenübergreifende Netzwerke mit einer systemkritischen Ausrichtung zielen darauf ab, über gemeinsame negative und positive Knotenpunkte die unterschiedlichen stadtpolitischen Räume zu einem übergreifenden stadtpolitischen Raum zu vernähen (Kap. 7.1.4). 7.1.1
Diskursive Offenheit und Anschlussfähigkeit
Der (neoliberalisierte) stadtpolitische Raum wird bestimmt durch partikulare Interessens- und Erfahrungshorizonte, die potenziell konflikthaft sind und fortlaufend aufeinander abgestimmt werden. Entlang der beschriebenen Protestartikulationen bilden sich zunächst spezifische stadtpolitische Räume heraus, die sich um konkrete thematische Schwerpunkte formieren und vorerst fragmentiert und isoliert für sich stehen. Erst mit Bezug auf einen gemeinsamen übergeordneten Signifikanten zur Beschreibung eines integralen diskursiven Spannungsfeldes werden gemeinsame Verbindungen geschaffen, wodurch der herkömmliche neoliberalisierte und entpolitisierte Stadtpolitikdiskurs unterminiert und verhandlungsoffen gemacht wird. Der vermeintliche (post-)politische Konsens einer neoliberalisierten unternehmerischen Stadtpolitik wird einerseits partikular, thematisch und auch systematisch in Frage gestellt (vgl. Kap. 6.1). Der zentrale Signifikant /Stadtpolitik/ wird andererseits bestimmt durch eine Reihe von Forderungen und den positiven Bezug auf ein /Recht auf die Stadt/. Damit wird ein heterogenes Ensemble von Subjektpositionen der Betroffenen in einer Äquivalenzkette vereint und eine gemeinsame Metasubjektivität /(radikal)demokratische Bürger*innen/ konstruiert (vgl. Kap. 6.2). Die Subjektposi-
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tionen der antagonistischen Kette bezeichnen hingegen die postpolitischen Protagonist*innen der unternehmerischen Stadtpolitik (vgl. Kap. 6.3). Abbildung 18: Stadtpolitischer Raum Abbildung 3: Erweiterung des Raums des MöglichenAbbildung 4: Stadtpolitischer Raum
Quelle: Eigene Darstellung
Die exemplarisch in der obenstehenden Abbildung dargestellten diskursiven Relationen zwischen den Äquivalenzketten der Forderungen und Antagonismen sowie die entsprechenden Subjektpositionen der Betroffenen und Antagonist*innen sind keineswegs stabil und aus sich heraus zu bestimmen (vgl. Abb. 18). Sie sind vielmehr Gegenstand fortlaufender, kleinteiliger Reflexions- und Aushandlungsprozesse. Für die derzeitigen stadtpolitischen Protestarikulationen charakteristisch ist das Offenhalten der jeweiligen Äquivalenzketten, um eine potenzielle Anschlussfähigkeit zu gewährleisten. So wäre es durchaus auch denkbar, dass Subjektpositionen aus der antagonistischen Kette in die Äquivalenzkette für eine /Stadtpolitik von Unten/ wechseln oder sich dieser zumindest teilweise anschließen. Andersherum sind auch die Subjektpositionen der Betroffenenkette nicht unabhängig vom unternehmerischen Stadtpolitikdiskurs zu betrachten, beziehungsweise sind nicht alle Forderungen klar zu trennen vom neoliberalisierenden Diskurs. Auffällig ist ein bestimmter Sprachgebrauch in derzeitigen städtischen sozialen Bewegungen, wie zum Beispiel in der Mobilisierung zum Berliner Ratschlag, wenn von ‚Kämpfen‘ und der ‚rebellischen Stadt‘ die Rede ist. Diese Signifikanten verweisen auf eine ‚klassische‘ linke Rhetorik, die allerdings eher die radikaleren und
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autonomen Kreise der stadtpolitisch Aktiven anspricht. Darüber hinaus ist die Anschlussfähigkeit eher fraglich. Diese Rhetorik wird auch in verschiedenen Diskussionen der Vernetzungskonferenz kritisiert, da sie ausschließend wirke. In der weiteren Vorbereitung des Berliner Ratschlags ändert sich jedoch der Sprachgebrauch, entsprechend dem Anspruch ganz unterschiedliche stadtpolitische Initiativen zusammenzubringen. Dieses konkrete Beispiel beschreibt die charakteristische Selbstreflexion und Verschiebung des politischen Horizonts hin zu einer inklusiven ‚Stadtpolitik von Unten‘. Mit dem Slogan ‚Wem gehört die Stadt?‘ wird schließlich eine weite metathematische Klammer angeboten, die systemische Bezüge aufweist und Fragen nach Eigentumsformen und Teilhabe aufwirft. Im Vorbereitungstreffen des Berliner Ratschlags wird als Methode ein ‚Open Space‘ gewählt, und damit eine möglichst offene und horizontale Kommunikationsstruktur angestrebt, um den unterschiedlichen Perspektiven einen angemessenen Raum zu geben und mögliche gemeinsame Synergien mittels gemeinsamer Selbstbefragung auszuloten: „Der Ratschlag soll die unterschiedlichen Fragen und Perspektiven zusammenbringen und gemeinsamer Strategiebildung dienen. Wir wollen einen solidarisch-kritischen Blick zurückwerfen und die bisherigen unterschiedlichen Erfahrungen auswerten: Was waren erfolgreiche Praktiken/Mittel (Volksentscheide, Dauerbesetzungen, Kiezarbeit, Kampagnen, Öffentlichkeitsarbeit, Demos, Petitionen...) und in welchem Verhältnis standen sie bisher? Was ließe sich weiterverfolgen, zusammenbringen oder übertragen? Welche gemeinsamen Möglichkeiten und Schnittmengen lassen sich finden? Wo sehen und wie bestimmen wir zukünftige politische Erfolge für uns? Wo liegen wesentliche Erfolgsbedingungen? Welche übergreifenden städtischen Themen oder Forderungen bieten sich an? Zeichnen sich bereits mögliche gemeinsame Projekte ab?“ (Berliner Ratschlag, 27.01.2014)
Hinsichtlich der postautonomen Ausrichtung dieser stadtpolitischen Räume und der entsprechenden Subjektivierungen in städtischen sozialen Bewegungen ist eine Verschiebung der Antagonismen ersichtlich. Dabei wird eine Abkehr von identitären Abgrenzungen von Seiten linker Gruppen bewusst und strategisch umgesetzt, wie beispielsweise von Seiten der Interventionistische Linken (IL) oder Für eine linke Strömung (FELS) (vgl. Foltin 2016). Andererseits nimmt auch eine bürgerliche Abgrenzung gegenüber linksradikalen Forderungen und Aktionsformen ab. So können neue Konstellationen und Kollaborationen verschiedener Subjektpositionen entstehen, insbesondere um das Thema /Mietenfrage/: „Der Diskurs um diese Trennung von Kategorien war vor ein paar Jahren mal stärker. Da wurde mehr geredet über ‚die Bürger‘ und ‚Wir‘. Ich würde sagen in der Sphäre der Organisierung von Protest zu Mieten etc. ist das vielmehr aufgehoben. Gerade weil das nicht mehr
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klassisch autonom ist. Sondern wir reden jetzt gerade von tatsächlichen Mietenprotesten von betroffenen Mietern (sic!). Wo man natürlich auch sagen muss, es sind viele Akteure (sic!), die aus einer bestimmten Szene kommen, die da tragende Rollen übernehmen. Aber nicht mehr wichtig. Und nicht mehr so, dass sie nur unter sich sind. Sondern die Interaktion spielt eine Rolle und da ist ein Effekt eingetreten, der die Anschlussfähigkeit der Linken wieder hergestellt hat in der Frage von Mieten. Und das ist ja dann eine klassisch soziale Frage.“ (Daniel IB, 02.05.2013)
Die Voraussetzungen für neue Allianzen und Kollaborationen ergeben sich aus der diskursiven Offenheit der thematischen und systemischen Forderungsstrukturen, die eine (radikale) Demokratisierung der stadtpolitischen Konfliktfelder implizieren. Auch wenn sich die Reichweite der Forderungen in vielerlei Hinsicht unterscheiden mag, wird dabei dennoch eine Verallgemeinerungstendenz und eine Äquivalenzierung hinsichtlich der Betroffenheit verschiedener partikularer Subjektpositionen und Forderungen deutlich. Die postautonome Öffnung der protagonistischen Kette bedeutet auch strategisch weniger ein ‚Aufweichen‘ radikaler Forderungen, als vielmehr ein erweitertes Angebot für expandierende Politisierungen und Demokratisierungsforderungen, die weitere Themenfelder und Subjektpositionen zusammenbringen können. Damit wird ein gemeinsamer relationaler Horizont der politischen Möglichkeiten und ebenso Unmöglichkeiten verhandelbar und explizit gemacht. 7.1.2
Politischer Horizont. Wechselspiel von Äquivalenz und Differenz
Die Herausforderung für stadtpolitische Initiativen besteht darin, die jeweiligen Äquivalenzketten gemäß des unauflöslichen Zusammenspiels einer Logik der Äquivalenz und einer Logik der Differenz zu stabilisieren. Insbesondere mit Blick auf thematische und systemische stadtweite Mobilisierungen geht es darum, partikulare Positionen und Forderungen, wie das ‚Recht auf Stadt für alle‘, zu verallgemeinern und zu einem gemeinsamen übergreifenden Bezugspunkt und politischen Interesse zu machen. Dabei wird der politische Horizont als relationales Verhältnis von Forderungs- und Kontraritätsstruktur bestimmt. Anschlussfähigkeit wird vor allem durch die diskursive Offenheit der Äquivalenzketten der Forderungen und der Antagonismen sowie Antagonist*innen hergestellt. Die Offenheit ist allerdings nur mit einer gleichzeitigen Schließung und einer Konkretisierung der Äquivalenzen und Differenzen entlang der Antagonismen realisierbar. Wie bereits angeführt, ist diese tendenzielle Offenheit der verschiedenen Äquivalenzketten begrenzt durch einen ständig zu aktualisierenden Grundkonsens gegenüber verschiedenen Formen der Ausgrenzung, Benachteiligung und Diskrimi-
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nierung. Beschränkt sind die tendenziell offenen Äquivalenzketten durch die Antagonisierungen gegenüber Subjektpositionen und Forderungen, die als nicht anschlussfähig bewertet werden, wie beispielsweise rassistische, sexistische, homophobe oder auch klassistische Positionen. Das ist je nach Konstellation der Beteiligten verhandlungsoffen und keineswegs grundsätzlich festgelegt. Beispielsweise wird bei Kotti & Co eine scharfe Grenze gegenüber Rassismus gezogen, allerdings werden andere Formen der Stereotypisierung nicht per se ausgeschlossen, beziehungsweise sind vorerst nicht explizit Teil des gemeinsamen festgelegten Konsens. Das verweist auf die kontingente, situative Offenheit und die kontinuierliche Aushandlung des eigenen politischen Horizonts in der Formulierung eines Antagonismus. Auf Basis dieser anschlussfähigen politischen Logik integraler Exklusivität wird eine gemeinsame progressive stadtpolitische Perspektive der Gegenhegemonie entworfen, die es ermöglicht, dass zwischen so unterschiedlichen Subjektpositionen wie /Mieter*innen/ = /Kleingärtner*innen/ = /Senior*innen/ = /Geflüchteten/ und aus deren partikularen Forderungen ein gemeinsames Netzwerk oder Bündnis entsteht. 7.1.3
Aneignen. Gegenhegemoniale Praxis
Mit einer Kontinuität der Protestartikulationen und der entsprechenden Äquivalenzierung von Forderungen und Subjektpositionen wird ein politischer Horizont bestimmt, welcher sich mit Bedeutungsmodulationen verschieben und auch gegenhegemonial werden kann. Geraten die hegemonialen Artikulations- und Deutungsmuster städtischer Politik ins Wanken und verlieren an Überzeugungskraft, entfaltet sich ein politischer Möglichkeitsraum. Entscheidend ist dabei die Verhandlung dessen, was politisch möglich und nötig erscheint, was eng verknüpft ist mit der Artikulation gegenhegemonialer politischer Imagination und entsprechender Forderungen. Gegenhegemoniale Praxis stellt die geltende hegemoniale Logik und die vorherrschenden Wahrheitshorizonte in Frage. Entlang der dargestellten Strukturen werden neue Grenzziehungen und neue Allianzen definiert. Wird davon ausgegangen, dass wir durch das Zitieren gesellschaftlicher Normen und Konventionen die soziale Wirklichkeit reproduzieren, dann bestehen dahingehend in der Protestartikulation auch stets Möglichkeiten der Gegenhegemonialisierung (vgl. u.a. Vey 2015: 83ff., Butler 1993). In Anlehnung an Butlers „Politik des Performativen“ (1991, 2006) wird hierbei eine Differenzierung unterschiedlicher Modi der Bedeutungsmodulation vorgeschlagen, die sich auch auf die Analyse der stadtpolitischen Protestartikulationen anwenden lässt. Durch die Erweiterung, Verschiebung oder das Umdeuten eines leeren Signifikanten werden neue Möglichkeitsräume geschaffen. Indem die Kontingenz vermeintlicher Sach-
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zwänge betont wird und politische Alternativen aufgezeigt werden, verändert sich die inhaltliche Bestimmung und der Verlauf eines politischen Horizonts. Ein abgeschlossener, fixierter, nach neoliberalen Paradigmen strukturierter stadtpolitischer Raum wird dekonstruiert und in Frage gestellt. Entsprechende politische Subjektpositionen, wie /Bürger*in/ und /Politiker*in/ und deren Relationen werden neu verhandelt (vgl. u.a. Kap. 6.2.4 und Kap. 7.2.4). Abbildung 19: Erweiterung des Raums des Möglichen Abbildung 5: Umdeuten eines bestehenden SignifikantenAbbildung 6: Erweiterung des Raums des Möglichen
Quelle: Modifiziert nach Vey (2015: 85)
Mit dem Bezug auf ein /Recht auf Stadt/ wird in Protestartikulationen die Bedeutung des leeren Signifikanten /Stadtpolitik/ erweitert (vgl. Abb. 19). Der exklusive politische Raum des Möglichen einer hegemonialen unternehmerischen Stadtpolitik wird zu Gunsten der Teilhabe und Mitbestimmung /Aller/ geöffnet. Dementsprechend wird die von Marcuse (2012) aufgeworfene multidimensionale Frage „Whose right(s) to what city?“ in den stadtpolitischen Forderungen praktisch präzisiert: „Unser gemeinsamer Ausgangspunkt ist, dass wir den Kampf um die Stadt als Ganzes als Rahmen unserer zukünftigen Auseinandersetzungen sehen. Wir wollen diese Stadt gemeinsam verändern und nach unseren Bedürfnissen neu gestalten. Unser Vorbereitungskreis setzt sich bisher zusammen aus den Bündnissen: ‚Stadtvernetzt‘, ‚Wir bleiben alle!‘, ‚Bündnis solidarische Stadt‘ und weiteren stadtpolitischen Gruppen und Initiativen zusammen.“ (Berliner Ratschlag, 27.01.2014, Herv. i. O.)
Zur genaueren Bestimmung der Frage „In welcher Stadt wollen wir leben?“ wird die wirkmächtige neoliberale Ausrichtung des Signifikanten /Stadt/ durch eine al-
Konvergenzen und Demokratisierung | 307
ternative Bestimmung /solidarisch/ mit einer alternativen substantiellen Bedeutung konfrontiert (vgl. Abb. 20). Dies illustriert die gegenhegemoniale Logik, die herkömmliche Deutungen ausgrenzt beziehungsweise in Differenz setzt und zu einer Verschiebung herrschaftlicher Sinn- und Bedeutungshorizonte beiträgt (vgl. Vey 2015: 84). Abbildung 20: Umdeuten eines bestehenden Signifikanten Abbildung 7: Etablierung eines neuen leeren SignifikantenAbbildung 8: Umdeuten eines bestehenden Signifikanten
Quelle: Modifiziert nach Vey (2015: 85)
Abbildung 21: Etablierung eines neuen leeren Signifikanten Abbildung 9: NetzwerkformenAbbildung 10: Etablierung eines neuen leeren Signifikanten
Quelle: Modifiziert nach Vey (2015: 85)
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Die Etablierung eines neuen leeren Signifikanten /Stadt von Unten/ stellt ebenso eine gegenhegemoniale Praxis dar (vgl. Abb. 21). Die Bedeutung des stadtpolitischen Raums wird dabei restrukturiert und bildet einen themenübergreifenden Bezugspunkt für ganz unterschiedliche soziale Proteste und Auseinandersetzungen in der Stadt. Er wird als Gegenbegriff zu einer /Stadt von Oben/ in Stellung gebracht. Die Überzeugungskraft einer Forderung /Stadt von Unten/ wächst mit der alltagspraktischen Elaboriertheit und der affektiven Anschlussfähigkeit für partikulare Mangelerfahrungen einerseits und mit den positiven Erfahrungen gemeinsamer Unterstützung und Solidarität andererseits. So kann aus einem partikularen Signifikanten ein universalisierender Bezugspunkt werden, der es ermöglicht heterogene und diverse Forderungen sowie Subjektpositionen zu vereinen. Wie gezeigt wurde, ist erst im erfolgreichen Zusammenspiel von Forderungen, Subjektivierungen und Antagonismen ein gegenhegemoniales Projekt zu etablieren. Die gegenhegemonialen Praxen des Umdeutens, Spezifizierens und Ausdehnens von Signifikanten oder auch das Etablieren eines neuen Signifikanten in einem politischen Feld bewirken eine Verschiebung dessen, was möglich erscheint und bestimmen dabei den stadtpolitischen Raum maßgeblich aus einer Grassrootsperspektive mit. Es handelt sich dabei in erster Linie um eine Selbstermächtigung in der Produktion alternativer Bedeutungen über das Definieren von Äquivalenzen: „Recht auf Stadt heißt für mich diese praktische Aneignung, Wiederaneignung oder auch, wie ich das beschrieben hab, sich Raum verschaffen, sich den Raum nehmen, Selbstermächtigung.“ (Frida IB, 13.06.2013) Nicht getrennt davon bildet die Kritik am bestehenden, offenen und wachsenden Mangelregister unternehmerischer neoliberaler Stadtpolitik den Ausgangspunkt für die Spezifizierung des gegenhegemonialen Projekts von der Verwirklichung des ‚Rechts auf die gerechte und solidarische Stadt für alle‘ aus radikaldemokratischer Perspektive, vernäht in einem umfassenden stadtpolitischen Raum. 7.1.4
Entwicklung gegenhegemonialer Netzwerkstrukturen
Stadtpolitische gegenhegemoniale Netzwerkstrukturen entwickeln sich über langfristige Kommunikationsprozesse, gemeinsame Aktionen, Veranstaltungen und Treffen. Versuche, Verbindungen zu schaffen, werden stets auch begleitet vom Scheitern. Oft kommen Verbindungen nicht zustande, lösen sich wieder auf oder tauchen in gewandelten Konstellationen wieder auf (vgl. Fraeser 2017). Das heißt, Konvergenzen sind als bruchhafter, fortlaufend prekärer Prozess auf einer intersubjektiven Mikroebene der Beziehungsartikulationen zu beschreiben – von einer partikularen und thematischen Fragmentiertheit mit verschiedenen Knotenpunkten hin zu einer Vielzahl rhizomatischer Verbindungen, die auch über konkrete Aktions-
Konvergenzen und Demokratisierung | 309
formen hinaus bestehen bleiben können und nicht immer in konkrete Aktionen münden müssen (vgl. Abb. 22). Abbildung 22: Netzwerkformen Abbildung 11: DemokratisierungstriadeAbbildung 12: Netzwerkformen
Quelle: Modifiziert nach Purcell (2009: 303)
In Berlin vollzieht sich derzeit eine solche Entwicklung zu einem Übergang von verschiedenen fragmentierten thematischen Knotenpunkten der Subjektpositionen und Forderungen hin zu einem rhizomatischen Netzwerk, während in New York ein solcher Trend eher schwächer ausgeprägt ist. Allerdings ist es nicht immer ausschlaggebend, tatsächlich ein gemeinsames übergreifendes Bündnis zu entwickeln, sondern es geht eher darum einen weitgehend hierarchiefreien Möglichkeitsraum für gemeinsame Bezüge und gegenseitige Unterstützung zu konstituieren. Die aktuelle politische Logik der Konvergenz folgt dabei der oben beschriebenen Logik integraler Exklusivität. Das Rhizommodell erweist sich als ein geeigneter Deutungsrahmen für die Beschreibung dieser stadtpolitischen Konvergenzen: „Every element of the rhizome would be equivalent to all the others, such that the network is non-hierarchical. It would lack a central point that is functionally more important than all the others. Moreover, the movement would be flexible and complex. Each element would be connected to every other element. One could enter and exit at any of many points. Any manifestation of the movement (a demonstration, an institution, a campaign) while it would be connected to everything else in the network, would be relatively independent from it, as when
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one pulls a shoot and the rhizome’s root system is largely unaffected. And unlike a real rhizome, the most supple of rhizomatic movements could restructure itself radically, disarticulating and recombining its system strategically to adapt to changing political conditions.“ (Purcell 2009: 302)
Die hier angesprochenen flexiblen Äquivalenzierungen hin zu einem nichthierarchischen rhizomatischen Netzwerk stadtpolitischer Initiativen trifft sowohl auf den Berliner Ratschlag (und darauffolgende aktuelle Netzwerke), als auch die Right to the City-Alliance zu (wobei bei letzterer noch eher eine Zentralisierung in der koordinierenden NGO mit bezahlten Stellen erkennbar ist). Die einzelnen Elemente der Netzwerke, wie zum Beispiel 100% Tempelhofer Feld, Kotti & Co. oder Picture the Homeless (PTH) und Families United for Racial and Economic Equality (FUREE), zeichnen sich durch das Wechselspiel von Verbindung und Autonomie zu den anderen Elementen aus. Demonstrationen und Kampagnen werden von anderen Elementen im Netzwerk unterstützt. Die Relationen sind jedoch stets nur temporär stabilisiert und können auch wieder neu verhandelt werden. Erfolge der einzelnen Elemente werden als stärkend für die anderen Initiativen im Netzwerk angesehen, wie beispielsweise der erfolgreiche Volksentscheid ‚100% Tempelhofer Feld‘ (vgl. Berliner Ratschlag, 06.04.2014). Auch wenn sich der Berliner Ratschlag als koordinierendes Netzwerk nicht hat halten können, so bleiben die Verbindungen dennoch bestehen und ermöglichen veränderte Netzwerkkonstitutionen, die an die weiterhin bestehenden diskursiven Konvergenzen in Äquivalenzketten von Forderungen und Subjektpositionen sowie Antagonismen und Antagonist*innen anknüpfen. Konvergenzen zwischen den unterschiedlichen stadtpolitischen Protagonist*innen vollziehen sich auf den folgenden Ebenen: Erstens in gemeinsamen direkten Aktionen; zweitens durch Veranstaltungen; und drittens in der Konstitution von Netzwerken und Bündnissen: (1) Kollaborative direkte Aktionen, wie Blockaden, Go-Ins, Take-overs, Besetzungen und Protest Camps kommen zwar aus einem anarchistisch-autonomen Umfeld, werden aber nunmehr von einem wesentlich weiteren postautonomen Spektrum stadtpolitischer Bewegungen eingesetzt. Gewaltfreie direkte Aktionen haben meist einen Eventcharakter, wobei das zum Tragen kommt, was Merrifield „politics of the encounter“ (2013) genannt hat – ein Kennenlernen über gemeinsame selbstwirksame Erfahrungen. In den Ankündigungen und Statements zu den Aktionen verbinden sich verschiedene stadtpolitische Diskurse. Von der Stadtpolitik veranstaltete Beteiligungsforen und Informationsveranstaltungen, wie beispielsweise der ‚Masterplan Tempelhofer Freiheit‘, ‚Stadtforum Berlin 2030‘ in Berlin oder die ‚RGB-Hearings‘ in New York, werden zu politischen Arenen. Die politischen Entscheidungsträger und die Verwaltung werden in ihrer geplanten Tagesordnung gestört und direkt mit alternativen Forderungen und
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Vorschlägen konfrontriert. Das sind konkrete, mithin niedrigschwellige Kontaktstellen verschiedener stadtpolitischer Akteur*innen und Interessenlagen, die dazu beitragen können Konvergenzen zwischen verschiedenen thematischen Protestartikulationen herzustellen und zu vertiefen. (2) Gemeinsame Veranstaltungen, wie Infoabende, Film-Screenings, Konferenzen und Nachbarschaftsversammlungen – und ein kontinuierliches hohes Level an Aktionen und Veranstaltungen – sorgen für eine Bekanntmachung, ein Skandalisieren und eine Politisierung verschiedener Mängelregister und entsprechender Forderungen. Das Formulieren gemeinsamer positiver Bezugspunkte (Forderungen) und Kontraritätsstrukturen (Antagonismen, Antagonist*innen) vollzieht sich in den Pamphleten und Stellungnahmen. Insbesondere niedrigschwellige Veranstaltungen, wie das gemeinsame Schauen eines Dokumentarfilms zu stadtpolitischen Protesten, haben sich als Kontakt- und Konvergenzräume zum gemeinsamen Austausch und für Diskussion unterschiedlicher persönlicher Dislozierungserfahrungen erwiesen.1 (3) Netzwerke und Allianzen sind das Ergebnis zahlloser Stunden von Treffen und der Organisation gemeinsamer direkter Aktionen und Veranstaltungen. Erst durch die kontinuierliche Selbstinfragestellung und Aushandlung gemeinsamer Bezugspunkte und Etablierung leerer Signifikanten können sich „networks of equivalence“ (Purcell 2009) verschiedener Initiativen konstituieren. Eine nicht zu unterschätzende Rolle für die Mobilisierung und Vernetzung spielen dabei neben den bereits vorgestellten direkten Aktionen und Veranstaltungen sowie Planungs- und Koordinierungstreffen auch „online-networking-tools“ wie Facebook und Twitter (vgl. Castells 2012b). E-Mail-Listen und Telefonketten sind wichtige Kanäle, über die entsprechende Informationen ausgetauscht und verteilt werden. Dies bringt bei allen ambivalenten Bewertungen der Potentiale eine erweiterte Reichweite und Flexibilisierung der Kontakt- und Anschlussmöglichkeiten für Unterstützung mit sich. Die beschriebenen Konvergenzen vollziehen sich keineswegs allein auf ontischer Ebene der stadtpolitischen Forderungen. Das eigentliche Novum aktueller stadtpolitischer Initiativen und Mobilisierungen sind die impliziten und expliziten Demokratisierungen, die sich in den Forderungen nach einer /(Stadt-)Politik von Unten/ und der entsprechenden Reformulierung der politischen Subjektposition /Bürger*in/ auf einer ontologischen Ebene manifestieren. Wie im Folgenden gezeigt wird, entwickeln stadtpolitische Initiativen eine „organische Theorie“ (Marchart 2013b: 164) – verstanden als Theorie-Praxis-Nexus – zur Reformulierung der demokratischen Paradigmen im Sinne einer Demokratisierung der Demokratie, sowohl auf ontologischer als auch auf ontischer Ebene. Die verschiedenen persönli-
1
Beispielhaft zu nennen wären hierbei „Mietrebellen – Widerstand gegen den Ausverkauf der Stadt“ (2014), „My Brooklyn“ (2012) oder „El Barrio Tours – Gentrification in East Harlem“ (2012).
312 | Demokratisierung der Postdemokratie
chen stadtpolitischen Dislozierungserfahrungen bilden vielfältige und fragmentierte Ausgangspunkte, die jeweiligen Stadtpolitiken auf ihre demokratischen Gehalte zu hinterfragen. Die Akteur*innen, Institutionen und Verfahren der repräsentativen Demokratie selbst stehen als maßgeblicher Bestandteil der in den Protesten artikulierten stadtpolitischen Kontraritätsstrukturen auf dem Prüfstand. Sie sehen sich einerseits konfrontiert mit der Frage, wie einer ‚Krise der repräsentativen Demokratie‘ zu begegnen ist, und andererseits mit der Forderung nach direkter Mitbestimmung und Teilhabe zivilgesellschaftlicher Akteur*innen am stadtpolitischen Entscheidungsprozess.
7.2
DEMOKRATISIERUNGEN. (STADT-)POLITIK VON UNTEN
Wie die vorangegangenen Beispiele facettenreich gezeigt haben, ist der stadtpolitische Raum geprägt von ganz unterschiedlichen Konfliktlinien und Akteur*innen, die aus Perspektive städtischer sozialer Bewegungen als ein heterogenes Ensemble einer ‚Politik von Unten‘ verstanden werden können. Diese Politik von Unten äußert sich zuvorderst in den politischen Forderungen und Subjektivierungen der Initiativen, die sowohl eine ontische als auch eine ontologische Dimension adressieren. Die konkreten Forderungen an alternativen Politiken erweisen sich als sehr vielschichtig und kritisieren in den meisten Fällen nicht einfach nur die aus ihrer Sicht unzureichende und unbefriedigende Stadtpolitik (vgl. Kap. 6.1), sondern repolitisieren diese über die konkreten stadtpolitischen Felder indem sie neue politische Felder eröffnen. Dabei werden substanzielle inhaltliche Auseinandersetzungen ermöglicht und es wird nicht zuletzt die grundsätzliche Frage aufgeworfen, was politisch ist und was das Politische ausmacht. Wie ich zeigen werde, verweisen die konkreten politischen Forderungen aber auch im Umkehrschluss auf eine andere Politik, also auf eine Rejustierung und Neuausrichtung der in die Krise geratenen repräsentativen Demokratie und ihrer Institutionen, über die Demokratisierung ihrer demokratischen Fundamente. Es wird dabei auch geklärt, inwiefern diese ontologische Dimension der Demokratisierung für die Konstitution aktueller stadtpolitischer Assoziationen – seien es Nachbarschaftsinitiativen, stadtweite oder auch (trans)nationale Netzwerke – entscheidend ist. Das folgende Unterkapitel beschreibt im Anschluss an Lefebvres Raumproduktionstriade wie sich Demokratisierungen auf drei Ebenen vollziehen, die eingangs in ihrem wechselseitigen Verhältnis erläutert werden (Kap. 7.2.1). Anschließend werden einzeln die verschiedenen Ebenen demokratische Praktiken (Kap. 7.2.2), Demokratisierung des Wissensraumes (Kap. 7.2.3) und soziale Räume der Demo-
Konvergenzen und Demokratisierung | 313
kratisierung (Kap. 7.2.4) betrachtet, die schließlich den Befund der Demokratisierung der Demokratie illustrieren (Kap. 7.2.5). 7.2.1
Demokratisierungen auf drei Ebenen
In den Protestartikulationen stadtpolitischer Akteur*innen wird implizit und explizit eine ‚(Stadt-)Politik von Unten‘ gefordert. Wie bereits gezeigt, sind die mit diesen leeren Signifikanten verbundenen konkreten Bedeutungen arbiträr, also keineswegs einheitlich. Wenngleich sich unterschiedliche Äquivalenzketten darauf beziehen können, bleibt die Bedeutung kontextabhängig und fortlaufend verhandlungsoffen. Hierbei wird auch klar, dass eine Politik von Unten nicht generell als reformerisches Korrektiv und Ergänzung der bestehenden Politik verstanden wird, sondern zuweilen als politisches Gegenprojekt zum neoliberalisierten, unternehmerisch geprägten Kurs der jeweiligen Stadtregierungen aufkommt, nämlich als Politisierung und Demokratisierung einer umfassenden postpolitischen Kontraritätsstruktur. Andersherum steht ‚(Stadt-)Politik von Unten‘ nicht per se für eine systemische Kritik. Es werden lediglich argumentativ verschiedene heterogene Forderungs- und Subjektivierungsketten zu einem einheitlichen politischen Raum vernäht (vgl. Laclau/Mouffe 1985) und damit eine gemeinsame Polis geschaffen, um einen tatsächlichen „Streithandel“ der politischen Auseinandersetzung einzufordern (vgl. Rancière 2002). Entscheidend für die neue Phase städtischer sozialer Proteste in Berlin und New York ist dabei die Tendenz dazu, nicht allein der konkreten ontischen Ebene lokaler, städtischer oder auch nationaler Politiken verhaftet zu bleiben, sondern vielmehr, dass eine grundsätzliche ontologische Ebene der Repolitisierung und Umgestaltung der Demokratie im Sinne einer ‚Politik von Unten‘ aufgerufen wird. Die Stadt fungiert dabei als „relational incubator“ (Nicholls 2008) beziehungsweise als ‚Brennglas‘ soziopolitischer Widersprüche, Spannungsfelder und Konfliktlinien. Wenn also von Stadtpolitik die Rede ist, geht es meist auch um Politik über die konkrete Stadt hinaus, im Sinne einer Logik der Generalisierung. Die postpolitische Kontraritätsstruktur ist Ausgangspunkt und Gegenstand der Demokratisierungen. Das Besondere an stadtpolitischen Protesten ist das Zusammenfallen von partikularen, thematischen und systemischen sozialräumlichen Forderungen. Die diskursiven Strukturen der beschriebenen Protestartikulationen implizieren auf den drei Analyseebenen postautonomer Forderungen, postidentitärer Subjektivierungen und postpolitischer Kontraritäten eine räumliche Dimension, die quer zu diesen Aspekten verläuft. Da die Stadt und der Zugang zum städtischen Raum den konkreten Gegenstand der Auseinandersetzungen städtischer sozialer Bewegungen im weitesten Sinne bilden, gibt es einen direkten (sozial)räumlichen Bezug. Aus diesem Grund fallen in städtischen sozialen Bewegungen auch raumbezogene mit systemi-
314 | Demokratisierung der Postdemokratie
schen Demokratisierungsforderungen zusammen und vice versa. Zur Erläuterung der konkreten ontischen und ontologischen Demokratisierungsprozesse einer ‚Stadtpolitik von Unten‘ schlage ich in Anlehnung an Lefebvres Überlegungen zur „Produktion des Raums“ (1991, vgl. Kap. 3.2.3) ein trialektisches Minimalmodell der Demokratisierung der Demokratie vor (vgl. Abb. 23). Abbildung 23: Demokratisierungstriade Abbildung 13: Demokratisierungstriade
Quelle: Eigene Darstellung nach Lefebvre (1991)
Demnach vollziehen sich Demokratisierungsartikulationen in städtischen sozialen Bewegungen in einem nicht aufzulösenden Wechselverhältnis auf drei Ebenen der ‚Demokratisierung des Wissensraumes‘, der ‚sozialen Räume der Demokratisierung‘ und der ‚demokratischen Praxis‘. In den stadtpolitischen Protesten artikulierte Prinzipien der Demokratisierung der (Stadt-)politik fungieren als ausschlaggebende Koordinaten für das Wechselspiel stadtpolitischer Demokratisierungsprozesse auf den drei Ebenen der ‚Wissensproduktion und Logik‘, der ‚Bedeutungsproduktion und Utopien‘ sowie der ‚konkreten materiellen Produktion‘ einer integralen Demokratie. Die von Marchart für die Analyse prekarisierungskritischer Bewegungen vorgeschlagene Fokussierung auf eine sich praktisch herausbildende ‚organische Theorie‘ (vgl. Kap. 3.2.2) erhält unter Berücksichtigung der drei räumlichen Demokratisierungsdimensionen eine weitergehende analytische Präzisierung. Gehen wir davon aus, dass organische Theorien „eine strategisch-politische Funktion für
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soziale Kollektive [besitzen, D. S.], sofern sie deren kategoriales und theoretisches Raster zu organisieren ermöglichen, das Orientierung im politischen Raum schafft“ (Marchart 2013b: 164), dann wirft dies die Frage auf, inwiefern sich diese symbolische Ordnung in den stadtpolitischen Initiativen konstituiert. In städtischen sozialen Bewegungen vollzieht sich im Zusammenwirken konkreter radikaldemokratischer Konzepte und Prämissen, gelebter Utopien und erlebter Materialisierungen auf unterschiedlichen Ebenen eine Demokratisierung der Demokratie hin zu einer integralen Demokratie, die wiederum das kategoriale und theoretische Raster der Akteur*innen unmittelbar bestimmt. Nicht alles ist dabei strategisch-politisch ausgerichtet, sondern speist sich vielmehr aus einem breiten Spektrum fortlaufender individueller und kollektiver Erfahrungen und Reflexionen – im Kleinen wie im Großen. 7.2.2
Demokratische Praxis
Für Lefebvre (1991: 38) stellt sich die alltägliche „räumliche Praxis“ als physikaler Raum dar, in dem sich Natur und die materielle Produktion gleichsam manifestieren. Es ist dies der wahrgenommene und gefühlte Raum in dem sowohl die hegemonialen neoliberalisierten Diskurse und Politiken wirken, als auch radikaldemokratische Ansätze und Konzepte praktiziert werden. In dieser Ambivalenz bewegen sich auch die Demokratisierungen von Handlungsräumen stadtpolitischer Initiativen, die eher als fortlaufende Suchbewegung durch Ausprobieren und Scheitern zu verstehen sind. Das Scheitern bildet dabei quasi einen konstitutiven Bestandteil radikaldemokratischer Praktiken (vgl. Fraeser 2017). Der diskursive Erfahrungsraum postpolitischer Widersprüche in der neoliberalisierten Stadt wird maßgeblich bestimmt durch das Wechselspiel zwischen Kontraritätsstrukturen und Forderungen. Es geht auf einer ontischen Ebene um die konkrete Ausrichtung der politischen Praktiken der Stadtplanung und Stadtentwicklung sowie um eine Reformulierung des Verhältnisses zu den artikulierten Forderungen und Bedürfnissen (betroffener) Stadtbewohner*innen. Die abstrakten Konzepte und prinzipiellen Überlegungen zu einer ‚Stadtpolitik von Unten‘ erfahren also eine praktische Anwendung und Übersetzung. Dabei zeigen sich beispielsweise die politischen Potenziale eines Recht-auf-Stadt-Ansatzes aus Sicht stadtpolitischer Akteur*innen: „The Right the City is useful if it is empowering. In some place like Budapest with […] work and the homeless stuff there has been really empowering for people to be like: ‚We have a right to housing. Ok, we homeless people, we have been disenfranchised and told that we don't have any rights at all, actually do have a right to housing.‘ And framing it to the rights
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discourse has been super useful there. I don't know if it's always useful, though.“ (Amanda INYC, 21.10.2013)
Die Äquivalenzierung vom /Right to the City/ = /empowering/ = /disenfranchized/ illustriert einerseits eine pragmatische Ausrichtung an einer Politisierung der hegemonialen Subjektposition /homeless/. Andererseits wird hierbei mit der selbstermächtigenden Artikulation bezüglich des ‚Rechts auf Wohnraum‘ eine Demokratisierungsforderung deutlich, die über dieses Recht hinausgeht und ebenso eine Reformulierung dieser Subjektposition impliziert. Als grundsätzliches Prinzip der Demokratisierung der Handlungsräume kann dementsprechend die Aneignung städtischen Raumes und stadtpolitischer Diskurse hervorgehoben werden. Für derzeitige städtische soziale Bewegungen in Berlin und New York sind Versuche charakteristisch, möglichst viele unterschiedliche stadtpolitische Akteur*innen zusammenzubringen. Dabei wird eine postautonome Ausrichtung der politischen Mobilisierungen und Organisationen sichtbar, die sich einerseits in der Ablehnung staatlicher Institutionen, Verwaltungen und Repräsentant*innen ausdrückt und andererseits dennoch den Versuch markiert, Einfluss auf die politische Sphäre zu nehmen und zwar unter Rückgriff auf ehemals autonome beziehungsweise anarchistische Prinzipien der Selbstorganisation, Horizontalität und Solidarität. Darüber hinaus haben solche Praktiken der Aneignung städtischen Raumes und stadtpolitischer Diskurse nicht nur ein Revival erlebt, sondern haben sich mittlerweile auch jenseits autonomer Projekte und Initiativen als gegenhegemoniale Demokratisierungspraxis etabliert. Gründe dafür liegen, wie bereits herausgearbeitet, in der direkten Betroffenheit sehr unterschiedlicher Teile der Stadtbewohner*innen. Entsprechende Dislozierungserfahrungen werden sowohl für das Arbeiten als auch für das Wohnen artikuliert. Analog zur eingangs beschriebenen „Krise der Repräsentation“ manifestiert sich darin ebenso eine „Krise der alltäglichen Reproduktion“ (vgl. trouble everyday collective 2014).2 7.2.3
Demokratisierung des Wissensraumes
Die Prämissen einer Demokratisierung der postpolitischen Kontraritätsstruktur neoliberalisierter Stadtpolitik setzen auf einer Ebene der Demokratisierung des Wissensraumes an. Dem entsprechend sind auch die auf Offenheit und Anschlussfähig2
Dabei kann auch gefragt werden, inwiefern es sich hierbei um Erfolge einer kontinuierlichen Arbeit der postautonomen Linken an der Basis handelt. Ein Stück weit kann dies zutreffend sein, allerdings geht es generell darum die Selbstreflexion bestimmter Initiativen hinsichtlich der Kollaboration zwischen verschiedenen Nachbar*innen zu gewährleisten. Die Niedrigschwelligkeit und Offenheit der Angebote, beispielsweise durch kontinuierliche Möglichkeiten dazu zu stoßen, ist ausschlaggebend.
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keit geeichten Forderungsstrukturen und Subjektivierungsstrukturen an der gegenhegemonialen Logik integraler Demokratie ausgerichtet. Einer hegemonialen Logik der Prekarisierung, Verunsicherung und Exklusivität wird eine Logik der Stabilisierung, Sicherheit und Inklusion entgegengestellt. Diese Aspekte verbinden beispielsweise Artikulationen für ein ‚Recht auf Stadt‘ auf einer konzeptionellen, abstrakten Ebene mit einer prinzipiellen radikaldemokratisch-horizontalen Ausrichtung einer ‚Stadtpolitik von Unten‘. Dies ist die ontologische Dimension der (wissenschaftlichen) konzeptuellen Abstraktion und Wissensproduktion, die Lefebvre als „Repräsentationen des Raumes“ (1991: 190ff.) bezeichnet. Im arbiträren Wechselspiel von Äquivalenzen und Differenzen werden radikaldemokratische heterotope Raumkonzeptionen für das Städtische artikuliert und dabei der politische Horizont bestimmt sowie ein Feld der Möglichkeiten abgesteckt. Entsprechende Diskurse changieren zwischen sozioökonomischen Überlegungen zum Verhältnis von Eigentum und Gemeinwohl sowie horizontaler Organisierung politischer Entscheidungen. Die Medien dieser alternativen Wissensproduktionen, wie beispielsweise Pamphlete und fundierte Expertisen stadtpolitischer Initiativen, verweisen auf eine epistemologische Ausrichtung an einer integralen Demokratisierung und der zugehörigen normativen Semantik. Die Frage ‚Wem gehört die Stadt?‘ illustriert eben diese grundsätzliche Frage nach der Verfügungsgewalt über und den Zugang zu städtischem Raum sowie den politischen Entscheidungsprozessen betroffener Stadtbewohner*innen: „Und da reinzugrätschen und zu sagen, wir sind auch hier, wir leben auch hier und wir haben das Recht auf Stadt. Wir nehmen es uns einfach. Wir sind die Stadt. Das wäre so ein Subkontext, der quasi alles, was wir machen durchzieht.“ (Frida IB, 13.06.2013) Solche Demokratisierungsansätze sind weitreichend und umfassen sowohl partikulare und thematische als auch systemische Forderungen, da sie auf der basalen Ebene der Ausgestaltung politischer Entscheidungsprozesse und dem Selbstverständnis der eigenen Subjektposition ansetzen: „Als Mieter/innen fordern wir von der Regierung die Lösung dieser Probleme ein. Es geht uns dabei nicht nur um die Verbesserung unserer eigenen Situation, sondern um eine grundsätzliche politische Verantwortung. Denn für uns ist Berlin kein Standort und keine Kapitalanlage, sondern der Raum, in dem wir leben, arbeiten und wohnen. Wir erheben unsere Stimme, weil wir uns nicht angemessen repräsentiert sehen. Bisher wurde vor allem über uns gesprochen statt mit uns. Nicht selten wird dabei versucht, uns als Problem darzustellen. So ist die Rede von ‚Unterschicht‘, ‚Prekariat‘, ‚Migranten‘ und ‚Altersarmut‘. Manchmal wird auch versucht, mit uns unter dem Slogan ‚arm aber sexy‘ Standortpolitik zu betreiben. Wir hingegen sehen uns selbst vor allem als eins – als Mieter/innen Berlins.“ (MDG 2012: 2, Herv. i. O.)
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Eine /grundsätzliche politische Verantwortung/ wird verallgemeinert und in Äquivalenz gesetzt mit Berlin als /Lebensraum/ konträr zu Berlin als /Standort/ und /Kapitalanlage/. Das politische Aufbegehren wird dementsprechend kontextualisiert, auf eine defizitäre /ökonomische/ und /politische Repräsentation/ zurückgeführt. Hegemoniale Subjektivierungsweisen innerhalb des neoliberalen Urbanismus werden nicht nur kritisiert, sondern es werden eigene politische Subjektpositionen artikuliert. Hierbei handelt es sich um eine diskursive Selbstermächtigung, nämlich hinsichtlich der Deutung des Politischen und der genaueren radikaldemokratischen Bestimmung der Politiken, Institutionen, Verfahren sowie entsprechender Subjektivierungen. Dabei wird eine Wendung von einer depolitisierten Responsibilisierung aktueller neoliberaler Governanceregime hin zu /wirklicher/ politischer Einflussnahme vollzogen. Die Subjektposition /Mieter*in/ – oder auch weitgehender /Bürger*in/ – wird hinsichtlich ihres relationalen Verhältnisses zu anderen Subjektpositionen im politischen System reformuliert. Der hinreichend postpolitisch entleerte Bürger*innenbegriff wird umgedeutet von einer beschränkten Mitsprache hin zu mehr Teilhabe, da die bestehende Fassung nunmehr als unzureichend angesehen wird. Die Forderungen städtischer sozialer Bewegungen zielen auf eine Teilhabe im weitesten Sinne und gehen dabei über die in der derzeitigen urbanen Governance gemachten Angebote von Partizipationsveranstaltungen hinaus. Eingefordert wird die Teilhabe am sozialen Leben, an den kulturellen Verheißungen des Städtischen und nicht zuletzt an politischen Entscheidungsstrukturen und -prozessen. Die Forderungen nach kultureller, ökonomischer und politischer Teilhabe sind als basale Forderungen zu verstehen, die sich häufig nicht nur auf den partikularen Bereich des jeweiligen Protests beschränken, sondern von diesem ausgehend – wenn auch nicht in jedem Fall – verallgemeinert werden. Allerdings kann es nicht nur um die Verallgemeinerung und Verbindung der konkreten Kämpfe gehen. Die Kritik setzt tiefer an und bezieht sich aus der Erfahrung der praktischen Möglichkeiten kommend auf neue oder alternative Visionen, Stadt zu denken und damit auf eine Ebene der Wissensproduktion, wie in der folgenden Aussage deutlich wird: „Was ja krass ist, weil man könnte Stadt ja ganz anders gestalten. Es gibt so viele Entwürfe. Es gibt so viele gute Ideen, von Architektur bis Bauen. Es ist ja immer wieder eine Diskussion in der Friedrich-Ebert-Stiftung und überall, wie teuer muss Neubau sein. Eigentlich sind das ja auch uralte Diskussionen. […] Es ist eigentlich ein Trauerspiel, worin wir stecken. […] Also es ist so richtig ätzend für Mietwohnungen zu kämpfen, weil es absolut unvisionär ist. Da es überhaupt nichts damit zu tun hat, dass wir die Städte gestalten oder neue bauen, in denen andere Formen zu leben, zu arbeiten, zu lieben, zu lachen, zu kämpfen möglich werden.“ (Frida IB, 13.06.2013)
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Die Demokratisierung der Wissensproduktion vollzieht sich aus einer Perspektive der Praxis städtischen Protests zuvorderst auf konzeptueller Ebene, wobei in der Abstraktion die konkreten Parameter des politischen Horizonts bestimmt werden. Visionäre Utopien zur Ausgestaltung der ‚gerechten Stadt von Unten‘ haben auf dieser Ebene ihre Basis und werden in der alltäglichen sozialen Interaktion (bereits) umgesetzt, wenn sie über das übliche Erfahrungshandeln hinausweisen. Es findet ebenso eine Demokratisierung des Erfahrungswissens auf praktischer Ebene statt, wenn beispielsweise Protestformen und Strategien der Aneignung ausgetauscht werden. Dies markiert ebenso einen wichtigen Aspekt der Selbstverständigung über die Orientierung am Gemeinwesen und an Kollaborationen. 7.2.4
Soziale Räume der Demokratisierung
Lefebvre beschreibt den sozialen Raum als den „Raum der Repräsentation“ (1991: 68ff.), in dem sich die Menschen begegnen, Utopien, Projekte und Symbole entstehen und die Bedeutungsproduktion direkt gelebt wird. Soziale Räume der Demokratisierung bezeichnen demnach nicht zuvorderst die vorhandenen und institutionalisierten und top-down organisierten (post-)demokratischen Räume, wie Parlamente und Beteiligungsforen, runde Tische und dergleichen, sondern vielmehr die von stadtpolitischen Bewegungen geschaffen präfigurativen Räume der Selbstermächtigung, Aneignung und Teilhabe, die gleichsam zu einer gelebten Bedeutungsverschiebung des radikaldemokratischen Horizonts beitragen. Solche Räume konstituieren sich in Besetzungen öffentlicher Flächen, wie beispielsweise im Falle des Liberty Square in New York und des Geçekondu oder des O-Platzes in Berlin. Mittels direkter Aktionen zivilen Ungehorsams wird hierbei der politische Möglichkeitshorizont ausgelotet und entsprechend selbstorganisiert nach Prinzipien der Horizontalität, Offenheit und Anschlussfähigkeit strukturiert. Diese Räume der Begegnung (encounter) sind keineswegs widerspruchslos, aber bilden Kontaktstellen sozialer Aushandlungs- und Selbstverständigungsprozesse heterogener Subjektpositionen und Forderungen. Offenheit und Anschlussfähigkeit wird angestrebt durch die Modulation von Signifikanten(ketten), durch die Reflexion und Anpassung des Sprachgebrauchs in den Gruppen sowie durch offene, horizontal ausgerichtete Treffen. Eine postautonome und postidentitäre Strukturierung dieser Räume ist voraussetzungsreich und äußert sich beispielsweise im Selbstbefragen hinsichtlich der Ambivalenzen einer ‚kämpferischen‘ linken Rhetorik oder auch des Rechtediskurses. Die Selbstreflexion der diskursiven Barrieren und Zugänglichkeiten kann als ausschlaggebender Aspekt der Demokratisierung sozialer Räume bestimmt werden (vgl. Marchart 2013b: 228f.). Das ‚Besetzen‘ von institutionellen Räumen – wie beispielsweise den Räumlichkeiten des Berliner Abgeordnetenhauses zur ‚Konferenz zum Sozialen Woh-
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nungsbau‘ – markiert einen weiteren Demokratisierungsaspekt der Selbstermächtigung zu einer ‚Stadtpolitik von Unten‘. Die symbolische Bedeutung dieser offiziell geduldeten Aneignung wird dabei in den entsprechenden Beiträgen als notwendig aus der postpolitischen Mangelstruktur heraus begründet. Kritisch hervorgehoben werden hegemoniale politische Entscheidungsstrukturen und -verfahren, denen hinsichtlich der Ausgestaltung ihrer Instrumente, Institutionen und der Relationen zwischen Entscheider*innen aus Politik, Wirtschaft, Verwaltung und Zivilgesellschaft der gelebte basisdemokratische Alltag als Alternative gegenübergestellt wird: „Bei klassischen Parteien zum Beispiel würde man ja sagen die höchste Errungenschaft in der Demokratie ist die Mehrheitsentscheidung. […] Das ist Demokratie. Das interessante ist, dass in dem ganzen, ich weiß nicht, ob ich das basisdemokratisch nennen soll oder in diesen ganzen nicht in Strukturen organisierten Tätigkeitsformen, wie zum Beispiel der Koalition der Freien Szene; wie zum Beispiel Haben und Brauchen; wie zum Beispiel Stadt Neu Denken oder wie sie alle heißen, eine Mehrheitsentscheidung eigentlich die brutalst mögliche Form ist zu entscheiden. […] Es ist viel viel stärker auf Vermittlung, viel viel stärker auf permanente Rückkopplung oder Rückkommunizierung an so was wie Basis, auf permanente Einbeziehung von verschiedenen Playern basierende Entscheidungsfindung und eben nicht auf pure Mehrheitsentscheidung.“ (Markus IB, 17.04.2013)
Die hier vorgenommene kritische Bewertung des geltenden demokratischen Modus der Mehrheitsentscheidungen als ‚brutalst mögliche Form zu entscheiden‘ illustriert auf einer ontischen Ebene der Politiken die ‚Krise der repräsentativen Demokratie‘. Die Hegemonie der Mehrheit gegenüber einer Minderheit, „bricht weg“, wenn es darum geht eine Entscheidung zu tragen (vgl. Markus IB, 17.04.2013). Es geht hier um weit mehr als darum Akzeptanz zu schaffen: um tatsächliche Teilhabe als Basis politischer Entscheidungen. Im hegemonialen Diskurs werden top-down strukturierte politische Entscheidungsprozesse in ihrer Beschränkung als Möglichkeiten einer ‚optimalen Vermittlungsarbeit‘ und ‚Rückkopplung‘ beschrieben. Die Alternative dazu bildet ein stärker von der /Basis/ her gedachter inkludierender, horizontaler Ansatz. Die Einbeziehung aller möglichen Stimmen und die gemeinsame Verständigung und Kommunikation wird dabei als ein grundsätzliches (neues) Charakteristikum städtischer sozialer Bewegungen in Berlin beschrieben. Als Konsequenz aus den Erfahrungen mit selbstorganisierten sozialen Räumen der Demokratisierung – als positiver Bezugspunkt – und aus einer Kritik an den postpolitischen Kontraritätsstrukturen heraus, werden ebenso in New York eine Reihe praktischer prinzipieller Demokratisierungsforderungen für die Ausgestaltung realpolitischer Institutionen artikuliert:
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„I think of several principals. Transparency and transparency in government. Government should be transparent. It should be participatory, which is problematic here. [...] We don't always get the option to participate in the decision making. That's problematic, right. We should be at the table for budgeting. We should be on the table when resources are allocated. Who says 3% of the budget should go for that or whatever that is. It should be a collective decision of the electives and the community. So it should be participatory. Accountability. Sometimes, oftentimes we are not held accountable for our actions. How do you put those mechanisms in place. And maybe participatory budgeting was one of them. But knowing there is consequences if you are not been accountable. Right, there gonna be consequences. Universality. Making decisions and coming to a conclusion that works for all of us.“ (Richard INYC, 07.10.2013)
Die Äquivalenzkette der (radikal-)demokratischen Prinzipien /transparency/ = /particpation/ = /accountability/ = /universality/ werden von der gelebten Praxis in den städtischen sozialen Bewegungen als pragmatische Demokratisierungsforderungen an bestehende politische Entscheidungsstrukturen formuliert und eine Instituierung in politisches Handeln in immer mehr Institutionen angeregt. Die gemachten Erfahrungen der politischen Selbstorganisation tragen gleichsam zu einer Verschiebung des demokratischen Möglichkeitshorizonts sowie des Verhältnisses politischer Subjektpositionen und Institutionen bei. Dies ist eng verbunden mit der individuellen Betroffenheit von Austerität, Prekarisierung und den vielschichtigen Prozessen der Responsibilisierung einerseits, sowie der persönlichen und kollektiven Verantwortungsübernahme andererseits.3 Entsprechende Bedürfnisse werden auf einer partikularen, thematischen und systemischen Ebene artikuliert, um Einfluss auf politische Entscheidungen beziehungsweise eine Transformation der politischen Entscheidungsstrukturen zu erwirken. Besonders deutlich wird die Nachhaltigkeit gemeinsamer radikaldemokratischer Erfahrungen und entsprechender Bedeutungsverschiebungen von Heterogenität, horizontalen Entscheidungsstrukturen und gegenseitiger Unterstützung bei Occupy Wall Street: „As I move on to other moments and movements I am haunted by this history. I have a feeling this is true of many who participated in OWS. […] I still want to occupy everywhere! I still want to build alternatives to the state and capitalism!“ (Holmes, 15.09.2015) Diese Aussage illustriert eindringlich die unterschiedlichen Ebenen dieser nachhaltig prägenden radikaldemokratischen Erfahrungen: Erstens in der Eröffnung eines bisher nicht eingelösten politischen Möglichkeitshorizonts bezeichnet mit dem Signifikanten /Liberty/; zweitens in den Versuchen poli-
3
Darauf kann an dieser Stelle nicht umfassender eingegangen werden. Zum Zusammenhang von „Responsibilisierung“ im Kontext aktueller (urbaner) Governance-Regime vgl. bspw. Thörn/Svenberg (2016) und Scheller/Thörn (2018).
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tische Transformation durch Protest hervorzurufen; und drittens in einer Generalisierung der gelebten Prinzipien von Occupy Wall Street als Alternative zu /state/ und /capitalism/. Der derzeitige Ist-Zustand der politischen Subjektposition /Bürger*in/ als deliberatives Korrektiv wird in den Beispielen reformuliert hin zu einer Stimme politischer Relevanz, die in politische Entscheidungsprozesse und Institutionen grundsätzlich stärker eingebunden ist. Dies impliziert neben der Horizontalität eine Dezentralisierung politischer Entscheidungen. Insbesondere Proteste der Non-Citizens stellen die grundsätzliche Definition und Demokratisierung politischer Subjektpositionen, wie /Geflüchtete/ und /Bürger*in/, in Frage (vgl. Kap. 5.4.1), aber auch in mietenpolitischen Protestartikulationen wird diese Tendenz zur radikaldemokratischen Reformulierung der Subjektposition /Mieter*in/ deutlich (vgl. Kap. 5.1). Dementsprechende offene Ausrichtungen und Kompositionen der Äquivalenzketten der Forderungen und Protagonist*innen einer Stadtpolitik von Unten implizieren eine explizite oder implizite Demokratisierung der Postdemokratie aus der Zivilgesellschaft heraus. 7.2.5
Demokratisierung der Postdemokratie
Die dargestellten Demokratisierungsforderungen zeichnen eine prinzipielle Pragmatik und direkte praktische Umsetzbarkeit aus. Allerdings ermöglicht die Produktion alternativer demokratischer (politischer) Räume es auch, vermeintlich illegitime Utopien denkbar zu machen. In Berlin sind die gegenhegemonialen Artikulationen deutlicher ausgeprägt und gehen mithin auch über den partikularen oder thematischen Fokus hinaus. Insbesondere in New York hat sich allerdings gezeigt, dass dies nicht so einfach zu bewerkstelligen ist, da die hegemonialen Strukturen und die Stadtgröße bereits die Vorstellung einer alternativen Utopie einer gerechteren Stadt(politik) erschweren: „I guess I imagine some kind of council communism type of model of self-governance with confederated, not maybe even confederated assemblies, and collectives that are cooperating with each other to share resources, distribute resources. There it has to be a very extreme structural shift just in terms of the design of the city. Because a city like New York is just like, I mean there will be never be like 12–13 Million people, in such a highly concentrated space. Here we are completely dependent on outside resources and international trade. It’s never going to be sustainable, or autonomous in its current form. So you would have to decentralize quite a bit. Degrowth, decentralization and more of the relationship with local farms and CSA [community supported agriculture, D. S.] programs and all of that. And think about the relationships to the land all together. That’s more sustainable and more ecological.“ (Linda INYC, 30.10.2013)
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Integrale Demokratisierungen beginnen eben schon dort, wo diese politischen Alternativen denkbar gemacht und im Kleinen gelebt werden können. Die Frage nach der Utopie und der basisdemokratischen Organisation bemisst gleichzeitig auch die Grenzen des radikaldemokratischen Möglichkeitshorizonts. In der obigen Aussage lassen sich alle für die aktuelle Phase des städtischen Protests charakteristischen Dimensionen einer (Stadt-)Politik von Unten und der impliziten trialektischen Demokratisierung der Postdemokratie noch einmal exemplarisch zeigen, obgleich hier insbesondere die materielle räumliche Ausgestaltung von ‚Stadt‘ als transformatorischer Ausgangspunkt gesehen wird. Konförderale Selbstregierung bildet die Voraussetzung für eine gerechtere Stadt. Damit einher geht die Demokratisierung des konzeptionellen Wissensraums (Recht auf Stadt), welche sich praktisch in der Demokratisierung politischer Entscheidungsstrukturen (Selbstermächtigung) und der Demokratisierung des Zugangs zu politischen Entscheidungen (Teilhabe) in sozialen Räumen der Demokratisierung (assemblies) manifestiert und gelebt wird. Diese Paradigmenverschiebung ermöglicht weitere Demokratisierungen der Handlungsräume, was schließlich die konzeptionelle Dimension und das Wissen um und die soziale Ebene der Bedeutungen von (stadt-)politischen Demokratisierungsforderungen hin zu einer integralen Demokratie verschiebt.
7.3
RESÜMEE. DEMOKRATISIERUNG-DURCH-DIESTADT-BEWEGUNGEN
Die Tendenzen zu Demokratisierungen und Konvergenzen sind nicht generell ein Novum städtischer sozialer Bewegungen in Berlin und New York. Wie gezeigt wurde, handelt es sich in den vorgestellten städtischen Protestartikulationen zwischen 2011 und 2015 hauptsächlich um radikaldemokratische Reformulierungsversuche hin zu einer Politik von Unten. Ich schlage daher vor, derzeitige städtische soziale Bewegungen in Berlin und New York als Demokratisierung-durch-dieStadt-Bewegungen zu bezeichnen. Dadurch wird der Vorschlag, aktuelle städtische soziale Bewegungen als Right-through-the-City-Bewegungen zu bestimmen, entsprechend der aktuellen Tendenzen in Berlin und New York konkretisiert. Als städtische Bewegungen sind dabei nach Nicholls/Vermeulen (2012) und Lebuhn (2014) Bewegungen zu verstehen, die sich zwar auf das Städtische beziehen, allerdings darüberhinausgehend auf politische Diskurse, Entscheidungsstrukturen und Institutionen zielen. Die Krise des Neoliberalismus, die Mayer (2011: 59) auch schon für die Phase des erneuten Aufkommens der Forderungen nach einem Recht auf Stadt seit dem Beginn der 2000er als maßgebliche Rahmung beschrieben hat, wird nunmehr be-
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gleitet von der Krise der Repräsentation und der Krise der Reproduktion. Die Verbindungen zwischen diesen unterschiedlichen Ebenen einer multiplen Krise äußert sich in den verschiedenen Forderungs- und Kontraritätsstrukturen aktueller Protestartikulationen städtischer sozialer Bewegungen. Zusammenfassend können drei zentrale Charakteristika herausgestellt werden, die für die neue Phase der Demokratisierung-durch-die-Stadt-Bewegungen und deren unterschiedlichen Ausprägung entscheidend sind: (1) Charakteristisch ist die postautonome und postidentitäre Ausrichtung der Forderungen und Subjektivierungen in Abgrenzung zum (noch) hegemonialen postpolitischen Kurs der jeweiligen Stadtregierungen. Das potenzielle Offenhalten der jeweiligen Äquivalenzketten generiert eine Anschlussfähigkeit für andere Protestfelder und entsprechende Protagonist*innen. Ziel ist es, einen gemeinsamen inklusiven politischen Raum zu vernähen, ohne die Besonderheiten der heterogenen Proteste zu assimilieren. Konvergenzen vollziehen sich in direkten Aktionen, Veranstaltungen und Netzwerken, sind allerdings nicht ohne Demokratisierungen realisierbar. (2) Die radikaldemokratischen Implikationen und die Ausrichtung der städtischen Proteste hin auf eine Demokratisierung des Städtischen und der Politik sind ein weiteres Charakteristikum der aktuellen Phase städtischer Protestbewegungen. Das fortlaufende Zusammenspiel der konzeptionellen Überlegungen, der jeweiligen Bedeutungsproduktionen im sozialen Raum und der alltäglichen Praktiken zielen auf eine Demokratisierung der Demokratie – der Stadtplanung, Stadtpolitik und Stadtproduktion – in Richtung einer integralen Demokratie. (3) Teilhabe und direkte Mitbestimmung am institutionalisierten Prozess politischer Entscheidungen sind zentrale Forderungen, allerdings im Wissen um Kooption und Einhegung stadtpolitischer Protestartikulationen und Subjektpositionen. Das Verhältnis zu Politiker*innen – als Adressat*innen und Unterstützer*innen – ist zwar von Misstrauen und Vorsicht bestimmt, dennoch finden immer wieder strategische Kollaborationen statt. Darüber hinaus finden Instrumente und Grassrootsaktivist*innen selbst ihren Weg in das bestehende politische System. So markiert diese neue Phase der Demokratisierung-durch-die-StadtBewegungen auch einen Übergang aus der (außerparlamentarischen) Opposition hin zu zivilgesellschaftlichen stadtpolitischen Akteur*innen und Subjektpositionen, die sich an der Politik direkt beteiligen, neue Institutionen und Instrumente schaffen und auch Ämter bekleiden. Diese Entwicklung wird sehr kontrovers diskutiert. Die Gefahr einer Einhegung der Forderungen und Subjektivierungen besteht weiterhin, denn die Übergänge zu einer neoliberalen Governance verlaufen fließend. Wie erfolgreich die Umsetzung einer Stadtpolitik von Unten innerhalb der hegemonialen Logik des bestehenden postpolitischen Apparatus sein kann, wird sich zeigen. Die rot-rot-grüne Regierung in Berlin versucht seit 2016 einen solchen Paradigmen-
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wechsel zu implementieren. Akteur*innen aus der Bewegung sind dabei Teil aktueller (linker) Stadtregierungen geworden. Dass dieser Prozess nicht ohne weitere Widerstände (von ‚Oben‘ und aus der Wirtschaft) zu haben ist, hat beispielsweise die Ernennung (Dezember 2016) und Kündigung (Januar 2017) des bewegungsnahen Wissenschaftlers Andrej Holm als Staatssekretär für Bauen und Wohnen gezeigt. In New York wird Bill De Blasio im November 2013 zum Bürgermeister gewählt. Als ehemaliger Community-Organizer aus der nachbarschaftlichen Bewegung in Brooklyn Park Slope kommend, verwendet er im Wahlkampf die Sprache des Protests. Es wurden vorsichtige Hoffnungen in ihn gesetzt die unter Bloomberg neoliberalisierte Stadtpolitik gerechter zu machen. Er steht für die Möglichkeit eines Paradigmenwechsels, welcher allerdings aus Sicht der stadtpolitischen Initiativen nicht überzeugend umgesetzt wird. In den angeführten Beispielen zeigen sich bereits deutlich die Ambivalenzen dieser Reformversuche hin zu einer Implementierung radikaldemokratischer Forderungen und Akteur*innen für eine Stadtpolitik von Unten. Die Demokratisierung der Stadtpolitik forciert in solcherlei Protestartikulationen eine Demokratisierung der Demokratie, die sich als alternativloses gegenhegemoniales Projekt (neben anderen) darstellt, insbesondere angesichts gegenwärtiger postdemokratischer Entwicklungstendenzen hin zu einer wachsenden antidemokratischen Grundhaltung (vgl. Brown 2015, Rancière 2014).
8 Schlussbetrachtungen und Ausblick
Das vorliegende Forschungsprojekt hat sich mit Protestartikulationen in der Stadt am Beispiel von Berlin und New York auseinandergesetzt. Das Ziel war es, städtische soziale Bewegungen unter dem Aspekt der Demokratisierung zu untersuchen und dabei die heterogenen Protestartikulationen selbst ins Zentrum der Analyse zu stellen und sprechen zu lassen. Die empirischen Ergebnisse ermöglichen eine vertiefende Diskussion der verschiedenen Forschungsfelder. Einige der gemachten Befunde sind bereits in Ansätzen in die jeweiligen Kapitel dieser Arbeit eingeflossen. Am Ende der Analyse angekommen, werden jene grundsätzlichen theoretischen, erkenntnistheoretischen und methodischen Diskussionen, die den Ausgangspunkt dieser Arbeit bildeten, konfrontiert mit den Befunden des analysierten empirischen Materials. Der somit geschärfte analytische Blick ermöglicht eine vertiefende theoretische Reflexion der (städtischen) sozialen Bewegungsforschung und Demokratietheorie einerseits sowie der methodischen Potenziale und Grenzen einer hegemonietheoretisch inspirierten Forschung andererseits. Die Arbeit beschließen einige praxistheoretische normative Überlegungen, die sich aus der Analyse ableiten lassen. Besonders dringlich erscheint dabei insbesondere die Frage nach der Zukunft der Demokratie, sowohl für die (städtischen) sozialen Bewegungen als auch für (post-)politische Institutionen. Soziale Bewegungen jenseits von letzten Gründen Zu Beginn der Arbeit stellte die Besprechung des Forschungsfeldes mit der ökonomischen Krise und der demokratischen Krise zwei Pole in der Debatte um die grundlegenden Protestursachen und deren Relevanz für das Zustandekommen städtischer sozialer Bewegungen heraus (vgl. Kap. 2). Die diskurstheoretische Hegemonietheorie bestreitet eine vermittelnde Position zwischen diesen beiden Positionen (vgl. Kap. 3). Kombiniert mit einer Ausrichtung des Forschungsprojekts im Sinne einer solidarischen Wissensproduktion fokussiert diese erkenntnistheoretische Ausrichtung zuvorderst die Protestpraxis und deren Artikulation (vgl. Kap. 4).
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Die ‚Ungehörten‘ kommen somit zu Wort und intervenieren mit ihren Artikulationen gleichsam in die hegemoniale stadtpolitische Praxis (vgl. Kap. 5) und die wissenschaftliche Erkenntnis- und Wissensproduktion (vgl. Kap. 6 und 7). Die Protestartikulationen changieren dabei zwischen Objekt und Subjekt der Forschung. Als letztere ermöglichen sie einen veränderten Blick auf die forschungstheoretischen Ausgangs- und Zielpunkte. Wie weitreichend beziehungsweise grundlegend die Konsequenzen einer solchen perspektivischen Offenheit sind, beschreibt das folgende Beispiel. Ein zentraler Befund der Analyse lautet, dass sich städtische soziale Bewegungen weder auf ökonomische noch auf repräsentativ-demokratische Defizite als Protestursachen beschränken lassen. Vielmehr sind fortlaufende Suchbewegungen nach gemeinsamen Knotenpunkten zwischen verschiedenen Protestfeldern ausschlaggebend für die derzeitigen Protestartikulationen. Auf partikularer, thematischer und auf systemischer Ebene werden Bedeutungszusammenhänge konstruiert, die verschiedene Mängel identifizieren und gleichsam Ideen zur Behebung dieser Mängel plausibel erklären sollen (vgl. Kap. 6). Für die erkenntnistheoretische Ausrichtung der Forschung zu Protestursachen und -dynamiken ergibt sich daraus Folgendes: Die Setzung gewisser Prämissen bringt zwangsläufig ein erkenntnistheoretisches Dilemma mit sich, denn sie (über)formen den Untersuchungsgegenstand. Ökonomistische Implikationen können zwar den Blick auf gewisse Aspekte schärfen, blenden andere Aspekte dabei jedoch aus. Gleichzeitig können sozioökonomische Strukturen in ihrer Relevanz für die alltägliche Lebenswelt nicht außen vor gelassen werden. Ähnliches lässt sich für demokratietheoretische Implikationen festhalten. Hierbei empfiehlt sich eine ontologische Reflexion der inhaltlich normativen Bestimmung von Demokratie. Eine postfundamentalistische Forschungsperspektive, die sich zunächst induktiv ausrichtet, stellt sich reflexiv diesem erkenntnistheoretischen Dilemma. Festzuhalten wäre an dieser Stelle, dass zumindest eine kritische Reflexion der eigenen Vorannahmen und der erkenntnistheoretischen Instrumente unerlässlich erscheint. Ersichtlich wird dies, wenn die zugrundeliegenden Episteme zur Beschreibung der Ursachen, Praktiken und Subjekte des Protests explizit reflektiert werden. Die zentrale Fragestellung der Arbeit, wie städtische soziale Bewegungen zustande kommen, ist dahingehend mindestens von zweifacher Relevanz. Zum einen stellt sie die Protestartikulationen ins Zentrum der Analyse, zum anderen regt sie die kritische Auseinandersetzung mit den erkenntnistheoretischen Instrumenten, Theoremen und Begriffen der sozialen Bewegungsforschung an. Mit dieser epistemologischen Perspektivenverschiebung verändert sich auch die Konzeptionalisierung dessen, was unter einer sozialen Bewegung, unter Stadt oder auch unter Urbanität verstanden wird. Die Fragen nach dem Wie (Konstituierung) rücken damit vor die Fragen nach dem Was (Form).
Schlussbetrachtungen und Ausblick | 329
Die postfundamentalistische Perspektive auf städtische Protestartikulationen ist als ein Vorschlag unter anderen zu verstehen, sich den Fragen nach dem Wie zu widmen, also die Konstituierungen städtischer sozialer Bewegungen in Berlin und New York zu analysieren, zu lesen und zu interpretieren. Eine diskurstheoretisch fundierte Analyse erweist sich im Blick auf das empirische Material als besonders sensibel für die Auseinandersetzung mit der artikulatorischen Praxis des Protests. Erst die Verschiebung des Fokus auf die konkreten Mikrostrukturen und diskursiven Funktionsweisen legt den tatsächlichen Gehalt der Protestartikulationen offen, der beispielsweise bei einer von vornherein an einer Institutionalisierung ausgerichteten Perspektive mithin unbeachtet geblieben wäre (vgl. Kap. 2.1.2). Erst ein weiter Begriff sozialer Bewegungen ermöglicht es diese Aspekte überhaupt in die Analyse einzubeziehen. Das soll nicht heißen, dass städtische soziale Bewegungen nicht darauf aus sein können, nachhaltig auf entsprechende stadtpolitische Strukturen einzuwirken und Institutionalisierungen und Verwaltungsvorgänge umzugestalten, wie beispielsweise Entscheidungsprozesse in der Vergabe von Liegenschaften der öffentlichen Hand (vgl. Kap. 5.2). Es geht vielmehr darum, dies nicht als das eigentliche Ziel und die Intention der Initiativen im Vorfeld zu setzen. Die Konstituierung der städtischen sozialen Bewegungen in ihrer diskursiven Funktionalität zu beleuchten, trägt zu einer grundsätzlichen Perspektivenverschiebung bei. In Anlehnung an Leinius/Vey/Hagemann (2017: 10f) sind städtische soziale Bewegungen als genuin politische Phänomene zu verstehen, als Ausdruck diskursiver, machtinduzierter Dynamiken in konkreten stadtpolitischen Feldern. Sie sind nicht nur auf diese Strukturen zurückzuführen, sondern politisieren diese in ihrer Protestartikulation oder bringen auch neue stadtpolitische Felder hervor. Dazu lässt sich festhalten, dass die durchgeführte Diskursfunktionsanalyse städtischer sozialer Bewegungen aufschlussreich das Zusammenspiel von Mangelstrukturen, Forderungen und Subjektivierungen beschreibbar macht. Die artikulierten stadtpolitischen Proteststrukturen illustrieren in der radikalen Relationalität ihrer einzelnen Elemente die diskursiven Konstituierungsmechanismen von Protest und darüber hinaus des Politischen. Die hegemonietheoretische Perspektive ermöglicht einen Blick auf die grundlegenden Konstituierungen städtischer sozialer Bewegungen und damit auch des Urbanen selbst, die aus einer ‚klassischen Perspektive‘ mit einem engen Bewegungsbegriff zuweilen aus dem Blick geraten. Wie sich im empirischen Material gezeigt hat, ermöglicht ein weiter Bewegungsbegriff es hingegen auch, konkrete Aussagen zu den genuinen engen sozialen Bewegungskategorien zu treffen, jedoch gründet dieser in der unmittelbaren kontingenten Protestpraxis und nicht in einer entsprechenden erkenntnistheoretischen Prämisse.
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Von Proteststrukturen zu politischen Möglichkeitsräumen Die Triangulation „diskursiver Strukturen des Protests“ (Marchart 2013b) und der „Produktion des Raumes“ (Lefebvre 1991) in einem Konzept der politischen Möglichkeitsräume prägt die Beschreibung konkreter städtischer Proteste in dieser Arbeit (vgl. Kap. 3.2.1). Diese erkenntnistheoretische Fokussierung wurde im Verlauf des Forschungsprozesses in Auseinandersetzung mit dem empirischen Material notwendig, da in städtischen sozialen Bewegungen Protest und Raum unweigerlich miteinander verbunden werden. Die alltägliche Protestpraxis bildet den expliziten Gegenstand der Untersuchung, ohne Protestursachen in übergeordneten ökonomischen oder politischen Strukturen bereits vorauszusetzen. Stattdessen werden über die artikulativen Praktiken die tatsächlichen Protestursachenbeschreibungen in ihrem Zustandekommen ersichtlich. Umgekehrt wirkt aus Sicht der empirischen Befunde das Zusammenspiel der beiden dreidimensionalen deduktiven Analyseinstrumente als entscheidend für die kleinteilige abstrahierende Rekonstruktion der relationalen, fragilen und diskontinuierlichen Beschaffenheit der jeweiligen städtischen Bewegungslandschaften in Berlin und New York. Auf diese Weise kann entlang der verschiedenen Protestbeispiele zwischen 2011 und 2015 eine Reihe diskursiver Knotenpunkte in ihrer jeweiligen Spezifik herausgearbeitet werden. Zugleich wird auf einer Ebene elementarer Bestandteile der Bedeutungsproduktion eine Vergleichbarkeit hergestellt, die allgemeine Aussagen für die untersuchten Fälle ermöglicht. Mit Blick auf die Unterschiede und Gemeinsamkeiten beider Städte, lassen sich auf der Erfahrungsebene der betroffenen Subjekte ähnliche Mangelbeschreibungen der konkreten Politiken und auch ähnliche Forderungen ausmachen. Zwar unterscheiden sich zuweilen kontextabhängig die Signifikanten der konkreten Forderungen sowie die Mangelsignifikanten und damit schließlich auch die Zusammensetzung der jeweiligen Äquivalenzketten. Die zugrundeliegende politische Logik folgt demselben Muster einer integralen Exklusivität. Gegenstand der stadtpolitischen Diskurse sind neben den spezifischen partikularen Auseinandersetzungen einerseits die konkreten Politiken. Andererseits wird zunehmend die Frage nach dem Politischen und der Ausgestaltung demokratischer Strukturen, Entscheidungsfindungen und Institutionen selbst aufgerufen. Die Protestartikulationen stellen die Legitimation politischer Repräsentant*innen in Frage und bemessen damit das Verhältnis von Partikularismus und Universalität in politischen Entscheidungen neu. Unter dem Aspekt der Gemeinwohlorientierung überzeugt das derzeitige politische Institutionenhandeln nicht. Ein Grundvertrauen scheint erschüttert, insbesondere durch die konkrete alltägliche Erfahrung einer sich ausweitenden konkurrenzhaften Verunsicherung und Prekarisierung. Die Politisierung dieses machtgeprägten Verhältnisses vollzieht sich in der kritischen Reflexion des Hegemonialwerdens einer partikularen Position durch das Aufzeigen möglicher Alternativen, im Kontrast zu ei-
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nem vermeintlich alternativlosen stadtpolitischen Konsens, was die paradigmatische Ausrichtung an der Idee von einer unternehmerischen Stadt und deren Ausgestaltung betrifft. Eben im immer wiederkehrenden vehementen Einfordern einer politischen Auseinandersetzung, eines Streithandels, um die Ausgestaltung städtischer Politiken und direkter Konsequenzen politischer Entscheidungen für die Stadtbewohner*innen konstituieren sich politische Möglichkeitsräume (vgl. Kap. 7.1.3). Das Zusammenspiel der unterschiedlichen Forderungen, Subjektivierungen und Kontraritäten strukturiert den politischen Raum in den Protestartikulationen. Die Charakterisierungen der Forderungsstrukturen als postautonom, der Subjektivierungsstrukturen als postidentitär und der Kontraritätsstrukturen als postpolitisch sind als Vorschlag einer inhaltlichen und konzeptuellen Auseinandersetzung mit den Protestursachen und -dynamiken zu verstehen. Insbesondere wird hierbei eine grundsätzliche politische Logik der inkludierenden Exklusivität für das Vernähen verschiedener Protestthemen in einem gemeinsamen politischen Raum verdeutlicht (vgl. Kap. 7). Diese Logik bestimmt die postautonomen Forderungsstrukturen und deren dreigliedrigen Fokus partikularer, thematischer und systemischer Forderungen. Sie ist zudem ausschlaggebend für die postidentitäre Ausrichtung der Subjektivierungsstrukturen, die mit anschlussfähigen Äquivalenzketten auf Vernetzungen und Koalitionsbildung zielen. Im Zentrum stehen gemeinsame Knotenpunkte zwischen unterschiedlichen Protestthemen, die die Verbindung von diversen Betroffenheiten und eine Deindividualisierung von Verantwortung sowie eine Defragmentierung von Protestthemen ermöglichen sollen. Die Logik der integralen Exklusivität bestimmt auch die Parameter der postpolitischen Kontraritätsstrukturen, indem verschiedene politische Widersprüche zu Antagonismen artikuliert werden und schließlich ein leerer Signifikant /Stadt(entwicklungs)politik/ den gemeinsamen Bezugspunkt bildet. Ebenso werden auf Ebene der Subjektpositionen stadtpolitische Antagonist*innen konstruiert, die mit den jeweiligen Dislozierungserfahrungen in Verbindung gebracht werden. Die sich an diese Befunde anschließende diagnostizierte Tendenz zu Konvergenz und Demokratisierung und die entsprechende Bestimmung einer neuen Phase des städtischen Protests in Berlin und New York führt die bisherigen Überlegungen zu Recht-auf-Stadt-Bewegungen fort. Darüber hinaus werden über die Perspektivenverschiebung auf die diskursiven Strukturen die von Mayer (2011) vorgeschlagenen Bestimmungsmerkmale für die jeweiligen Protestphasen rejustiert. Das betrifft sowohl die Protestursachen, die Subjekte des Protests sowie das Verhältnis zum Staat im Spiegel der artikulierten Forderungen. Das empirische Material ermöglicht eine nähere Bestimmung der Konvergenzen verschiedener Protestbewegungen und Protestfelder in stadtpolitischen Räumen über: (a) eine diskursive Offenheit und Anschlussfähigkeit; (b) einen politischen Horizont zwischen Äquivalenz und Differenz; (c) Aneignen als gegenhegemoniale Praxis und (d) die Ent-
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wicklung gegenhegemonialer Netzwerkstrukturen. Genauer bestimmt wird zudem die Kategorie ‚Demokratisierung‘ im Zusammenhang einer Konkretisierung einer ‚Stadtpolitik von Unten‘. Demokratisierungen der Demokratie vollziehen sich auf drei unauflöslich miteinander verbundenen Ebenen in (a) konkreter Praxis, (b) Wissensproduktion und (c) in der Ausgestaltung sozialer und politischer Möglichkeitsräume. Die vorliegende Arbeit stellt eine Momentaufnahme eines ganz spezifischen Gegenstandes zu einer ganz bestimmten Zeit dar. Offenbleiben muss hierbei daher die Frage nach einer allgemeinen Gültigkeit der empirischen Aussagen über die beiden Städte hinaus. Da die historische und politische Spezifizität der jeweiligen soziopolitischen Kontexte für die jeweilige Protestzusammensetzung ausschlaggebend ist, könnten erst ähnliche Analysen in anderen Städten dazu explizite Aussagen machen. Eine Weiterführung der Untersuchung über einen langen Zeitraum in Berlin und New York könnte ebenfalls weitere Verschiebungen und Entwicklungen sichtbar machen. Sozialer Wandel im Spiegel des Protests Der städtische Protest fungiert als eine Art Prisma, das ein vielschichtiges Spektrum gegenwärtiger gesellschaftlicher Zustände aufzeigt. Die empirische Brille der veränderten Protestartikulationen ermöglicht Rückschlüsse auf die sich wandelnde politische Konstellation, die als eine weitere Phase der Neoliberalisierung charakterisierbar wird (vgl. Kap. 2.1.3). Demokratisierung-durch-die-Stadt-Bewegungen spiegeln die negativen Ausprägungen einer Roll-over-Neoliberalisierung, in der erstens der Neoliberalismus zwar seine Legitimation verloren hat (vgl. Peck 2010, Crouch 2011); zweitens seine Logik sich fortwährend in die kapillaren sozialen Beziehungen sowie Handlungs- und Deutungsräume einschreibt (vgl. Brown 2015); wodurch drittens ein alternativloses Festhalten an der politischen Ausrichtung an Zweckrationalität begründet wird, die selbst im Angesicht der Krise kompromisslos immer weiter macht und damit viertens den gesellschaftlichen Zusammenhalt grundsätzlich aufs Spiel setzt. In welche Richtung sich der soziale Wandel entwickelt bleibt offen, deutlich wird allerdings die Wichtigkeit der normativen Ausrichtung der Protestartikulationen und der Analyseinstrumente. Diese neue Phase des Roll-over-Neoliberalism verweist auf eine ins Wanken geratene neoliberale Hegemonie. Städtische soziale Bewegungen treten nun vor allem als Demokratisierungsbewegungen durch spektakuläre Platzbesetzungen, aber auch in kleinen kollektiven nachbarschaftlichen Projekten in Erscheinung. Diese neue Generation städtischer sozialer Bewegungen kann zwar weiterhin als heterogen und fragmentiert hinsichtlich ihrer Forderungen und Akteur*innen beschrieben werden, aber gleichzeitig zeichnet sich deutlicher als bisher eine Tendenz zur Demokratisierung und zur Kohäsion ab.
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Das heißt, die Subjekte des Protests haben sich weiter heterogenisiert und entwickeln sich zudem tendenziell postidentitär, das heißt sie stellen ihre eigene Identität, ihre eigenen Ziele und Strategien und einhergehende Subjektivierungsformen zunehmend infrage (vgl. Kap. 6.2 und auch Marchart 2013b: 211ff.). Perspektiven des globalen Südens sind zudem mit Refugee- und Migrant*innenbewegungen mittlerweile fester Bestandteil städtischer Bewegungsmilieus in den Städten des globalen Nordens geworden (vgl. u.a. Kap. 5.4, 5.6 und auch Mayer/Künkel 2012). Das Recht auf Stadt ist dabei nach wie vor ein zentraler Bezugspunkt, nun allerdings tatsächlich eher wieder verstärkt in der holistischen und radikalen, systemkritischen Fassung, die Lefebvre einst im Blick hatte, auch wenn oder gerade weil Slogans wie ‚Occupy everything‘ (vgl. Kap. 5.5.1) oder ‚Black Lives Matter‘ (vgl. Kap. 5.5.3) darüber hinausgehen. Die Frage nach lokalen und globalen Kohäsionspotenzialen bleibt stets eine entscheidende, die jedoch nunmehr entlang libertärer Kategorien wie ‚horizontalism‘, ‚mutal aid‘ und ‚autonomy‘ verhandelt wird. Dies geschieht allerdings im Sinne einer „molecular revolution“ (Deleuze/Guattari 1987) und nicht entlang einer anzustrebenden zentralistischen, hierarchischen Organisationsform, die sich auf das Zustandekommen einer Homogenisierung und Uniformität konzentriert (vgl. Kap. 6.1). Die beschriebene Perspektivenverschiebung weg vom Institutionalisierungsparadigma hin zur diskursiven Konstituierung dieser sozialen Bewegungen verbindet die affektive Ebene mit der strukturellen Ebene des Protests. Für eine städtische soziale Bewegungsforschung, die sich derzeitigen Protestartikulationen unter dem Aspekt der Demokratisierung widmet, können an dieser Stelle folgende Thesen festgehalten werden, an denen es sich abzuarbeiten gilt: Erstens, städtischer Protest macht die Kontingenz derzeitiger (post-)demokratischer Ordnungen sichtbar, auch über die Stadt hinausgehend. Zweitens, städtischer Protest kann alternative demokratische Wirklichkeiten hervorbringen, die bereits gelebt werden. Drittens, demokratische Subjektivitäten konstituieren sich erst durch deren Artikulation im Protest. Viertens, Protestartikulationen bringen spezifische Antagonismen hervor und schärfen dabei die demokratischen Konturen einer (Stadt-)Politik von Unten. Die diskurstheoretische Hegemonietheorie in ihrer postfundamentalistischen Perspektive erweist sich als ein geeignetes Instrument zur Analyse von machtvollen politischen Konstellationen und zur Identifizierung grundsätzlicher politischer Logiken aus einer Perspektive des Protests. Die temporäre, vorrübergehende, fragile Stabilität einer vermeintlich alternativlosen sozialen Ordnung wird erst im Licht des Protests deutlich. Dabei kann es zum einen darum gehen, inwiefern die Subjekte des Wandels im Stande sind ihre Forderungen umzusetzen und politisch in eine vorhandene Ordnung zu instituieren, oder gar diese Ordnung zu ersetzen. Zum anderen sind die relationalen Protestartikulationen und deren Implikationen von Belang, die sich an der vorhandenen Ordnung abarbeiten, mithin deren ausschlagge-
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bende politische Logik offenlegen, und in diesem Prozess alternative Wirklichkeiten, neue politische Subjektpositionen und utopische Visionen konstruieren. Ähnlich formuliert es auch Daniel Mullis: „Die stabilisierte Ordnung wird erst in der politischen Praxis als deren Kontrastfolie sichtbar und ist selbst Teil von Politik. Das Spannende an Politik ist sodann nicht, dass Bühnen der Politik errichtet werden, sondern wie diese errichtet werden, was die je spezifisch errichteten Bühnen über die politische Praxis und die gesellschaftlichen Relationen, in die interveniert wird, offenzulegen vermögen.“ (2017: 298)
Die vorliegende Untersuchung hat eben diese neue politische Praxis in ihren präfigurativen Potenzialen, den bereits gelebten radikaldemokratischen Alternativen dargelegt. Ein Schlüsselmoment in den stadtpolitischen Zusammenhängen ist die Erfahrung, dass die Anderen – Nachbar*innen, Geflüchtete, Künstler*innen, Kolleg*innen, Senior*innen, Gärtner*innen etc. – zu Kollaborateur*innen und Verbündeten werden können, auch wenn sie einen anderen thematischen Schwerpunkt verfolgen, sich gegen ein anderes ‚unsinniges‘ (post-)politisches Projekt wenden oder für eine andere politische Forderung einstehen. Konvergenzen und Kollaborationen sind keinesfalls einfach herzustellen. Assoziationen können vielmehr als ein fortlaufender Prozess der gemeinsamen Auseinandersetzung und Professionalisierung in den jeweiligen politischen lokalen Feldern beschrieben werden. Gelegentlich kommt es dabei zu gemeinsamen Aktionen und Forderungen. Allerdings finden eine große und breite Koordination und Vernetzung zwischen den heterogenen stadtpolitischen Akteur*innen sehr selten statt. Vor allem scheint eine Kontinuität solcher übergreifenden Assoziationen nicht gewährleistet. Sozialer Wandel vollzieht sich demnach zuvorderst auf einer Mikroebene alternativer radikaldemokratischer Praktiken zwischen verschiedenen Subjekten, Initiativen und größeren Bündnissen. Inwiefern ein weiteres Upscaling der rhizomatischen Netzwerke gelingen kann, bleibt vorerst offen. Fakt ist, dass immer wieder über temporäre überregionale, translokale Aktionen bestehende solidarische Verbindungen zwischen unterschiedlichen städtischen sozialen Bewegungen ausgebaut werden, wie es beispielsweise der Protest gegen das global agierende Unternehmen Blackwell Investments gezeigt hat (vgl. Kap. 5.6). Ein erkenntnistheoretischer Zugewinn durch die dreigliedrige Heuristik hinsichtlich des Zustandekommens von städtischen sozialen Bewegungen über Protestartikulationen ist nicht von der Hand zu weisen. Dennoch sind die Grenzen zwischen induktiver und deduktiver Analyse kritisch auszuloten. Die drei deduktiven Kategorien führen die alltägliche Praxis entlang der entsprechenden Bedürfnisse, Mängel und Forderungen eng und brechen sich in den einhergehenden Subjektivierungen. Dieses recht grobe Raster bietet auch für eine induktive Auseinanderset-
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zung mit den Protestartikulationen eine heuristische Orientierung, schränkt das Blickfeld allerdings auch ein wenig ein. Demokratisierung zwischen Äquivalenz und Differenz Für die empirische Demokratieforschung stellt speziell die Analyse von Äquivalenzketten einen interessanten Ansatz dar, da die konkreten Ausprägungen von Demokratisierungen dekonstruiert werden und darüber hinaus die räumlichen Dimensionen von Demokratisierungen Berücksichtigung finden. Der empirische Beitrag zu Demokratisierungsprozessen in und ausgehend von städtischen sozialen Bewegungen konkretisiert die These der Postdemokratie und bestimmt darüber hinaus radikale Demokratie als Kontrastfolie von Seiten sozialer Bewegungen näher. Gleichzeitig wird die erkenntnistheoretische Relevanz der Trennung zwischen ontologischer und ontischer Ebene in der Auswertung des empirischen Materials deutlich. Die Analyse der Äquivalenzketten eröffnet den Blick auf das unauflösliche Zusammenspiel zwischen einer Logik der Äquivalenz und einer Logik der Differenz. Dabei wird auch der Begriff der Demokratisierung geschärft, insofern als dass die Grenzen der Äquivalenzierungen den politischen Horizont bestimmen. Äquivalenzierungen städtischer sozialer Bewegungen legen damit auch antidemokratische Positionen offen. Die Protestartikulationen ermöglichen insgesamt eine genauere Bestimmung dessen, was unter Demokratie derzeit verhandelt wird und insbesondere wie dies geschieht. Das Ringen um Hegemonie, Anerkennung und Plausibilität von Bedeutungszusammenhängen wird im Protest und in gegenhegemonialer Praxis sichtbar. Politische Argumentationen manifestieren ihren Deutungsanspruch auf soziale Wirklichkeit, also auf das, was als wahr und richtig erscheint, während andere als nicht realisierbar delegitimiert oder als undenkbar dargestellt werden. Die Analyse hat auch gezeigt, wie Bedeutungsverschiebungen auf diskursiver und politischer Ebene vollzogen werden. Insbesondere in der näheren Bestimmung des leeren Signifikanten /Demokratie/ und der politischen Subjektposition /Bürger*in/ zeigt sich die normative Brisanz der erkenntnistheoretischen und heuristischen Ausrichtung. Angesichts der ‚Krise der Demokratie‘ verdeutlichen städtische soziale Bewegungen in Berlin und New York, wie eine Demokratisierung der Demokratie aussehen kann, die sich in Richtung einer integralen Demokratie entwickelt. Mit Blick auf die derzeitigen politischen Entwicklungen rechter Bewegungen und NIMBYBewegungen, wird eine besondere Dringlichkeit der Klärung der normativen Fundierung von Demokratisierungen ersichtlich. Privatinteressen, wie sie NIMBYBewegungen verfolgen, sind nicht per se undemokratisch, doch können sie die Repräsentation und damit die liberaldemokratische Fundierung der demokratischen Stadtgesellschaft unterminieren. Gleichzeitig bilden sie die Kontrastfolie zu radi-
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kaldemokratischen Räumen, die hingegen als affektive Kontaktstellen eine gemeinwohlorientierte zukünftige Gesellschaft praktisch vorstellbar machen. Demokratisierung für eine emanzipatorische Zukunft? Als eine wichtige Errungenschaft der stadtpolitischen Proteste in Berlin wird in der Forschung hervorgehoben, dass Diskurse zur „Wohnungsfrage“ erfolgreich mit Diskursen zur „sozialen Frage“ verbunden worden sind, wodurch eine Politisierung stadtpolitischer Themen bewirkt wird (vgl. u.a. Vollmer 2015). Die Politisierung erschöpft sich allerdings keineswegs im Aufgreifen der Thematik ‚Wohnen‘ als Wahlkampfthema durch politische Parteien. Deren Handeln erscheint vielmehr als ein politischer Reflex, gekennzeichnet durch einen mangelnden politischen Willen und fehlende wirksame politische Instrumente, die es ermöglichen würden, in den Mietenmarkt einzugreifen. Vielmehr wird eine generelle zivilgesellschaftliche Diskussion um politische Entscheidungen sowie deren Ausgestaltung angestoßen. Diese inhaltliche Auseinandersetzung ist mit der Forderung nach expliziter politischer Teilhabe der Betroffenen verknüpft, was sich beispielsweise in der Forderung nach einer ‚Stadtpolitik von Unten‘ artikuliert. Das Signal ist klar. Der Kampf der Mieter*innen, Senior*innen, Refugees, Studierenden, Gärtner*innen, Künstler*innen, Wohnungslosen und Prekarisierten muss weitergehen, bis sich etwas grundsätzlich ändert. Die Protestartikulationen adressieren explizit konkrete Politiken und ihre Auswirkungen als mangelhaft und formulieren in ihren Forderungen machbare Alternativen. Die grundsätzliche Frage ‚In welcher Stadt wollen wir leben?‘ eröffnet einen übergreifenden, verbindenden politischen Raum, um das normative Verständnis des Politischen neu zu bestimmen. Den Ausgangspunkt dafür bildet der Mangel an politischer Repräsentation, der ein selbstermächtigendes Agieren notwendig macht. Eben diese normative Differenzierung zwischen Politisierung und Demokratisierung macht es erst möglich die Besonderheiten der neuen städtischen sozialen Bewegungen in den Blick zu nehmen. Davon ausgehend wird die Frage der Demokratisierung zum spezifischen Bestimmungsmerkmal für eine emanzipatorische Politik und Gesellschaft. Auch ist zu unterscheiden zwischen der Forderung nach Demokratie, wie sie beispielsweise auch in jüngster Zeit in rechten Bewegungen laut wurde, und Forderungen nach einer Demokratisierung, wie sie in den untersuchten emanzipatorischen städtischen sozialen Bewegungen vertreten wird. Während Demokratie auch beispielsweise autoritär, rassistisch, misogyn oder homophob bestimmt werden kann, wie uns Rancière (2002 [1995]) und Brown (2015) mahnen, steht Demokratisierung in den untersuchten städtischen sozialen Bewegungen für eine Ausweitung inkludierender Exklusivität und politischer Gleichheit, die sich zuvorderst gegen solche Positionen verwehrt. Für eine emanzipatorische linke Bewegung muss daher die Zukunft der Demokratie im Fokus stehen, als zu verwirklichendes Projekt soziopolitischer
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Gleichheit und Teilhabe, die sich in horizontalen, radikaldemokratischen politischen Räumen verwirklicht. In der diskursiven Auseinandersetzung um die Konkretisierungen der normativen Implikationen einer Demokratisierung der Demokratie in diesem Sinne wird die integrale Demokratie zum Fluchtpunkt und Bestimmungsmerkmal emanzipatorischer Politik. In einem solchen Projekt bekommen die herausgearbeiteten Möglichkeitsräume der Demokratisierung einen tragenden Stellenwert. Sie fungieren als die lokalen präfigurativen Laboratorien integraler Demokratie, in welchen sich Kohäsionen und Abgrenzungen unmittelbar erfahren und organisieren lassen sowie Verbindungen über Äquivalenzierungen zwischen verschiedenen ‚Kämpfen‘ geknüpft werden können: „It is clear, therefore, that a left alternative can only consist of the construction of a different system of equivalents, which establishes social division on a new basis. In the fact of the project for the reconstruction of a hierarchic society, the alternative of the Left should consist of locating itself fully in the field of the democratic revolution and expanding the chains of equivalents between the different struggles against oppression. The task of the left therefor cannot be to renounce liberal-democratic ideology, but the contrary, to deepen and expand it in the direction of a radical and plural democracy.“ (Laclau/Mouffe 1985: 176)
Es mag sein, dass die Beschreibung dieser Entwicklungen als „demokratische Revolution“ von Laclau und Mouffe Mitte der 1980er Jahre etwas zu optimistisch ausgefallen ist. Gleichwohl ist im Winter 2017/18 definitiv eine Entwicklung hin zu neuen Formen ‚kollektiver Kämpfe‘ und insbesondere zu mehr nachbarschaftlicher Grassrootsorganisierung ersichtlich, mit Nachbarschaftversammlungen sowie der Erweiterung des Verdrängungsprotests vom Wohnen hin zum Kleingewerbe, wie etwa in Berlin-Kreuzberg mit der Initiative Bizim Kiez und bei den Protesten um das Café Filou oder den Buchladen Kisch & Co. zu beobachten ist (vgl. u.a. Hutter, 10.02.2017, Aster, 28.05.2017). In New York und anderen US-amerikanischen Städten steht derzeit die Initiative U.S. Department for Arts and Culture (USDAC)1 und nach wie vor die Kampagne ‚Homes for All‘ der Right to the City-Alliance für diese Praktik von Vernetzungstreffen zwischen unterschiedlichen stadtpolitischen Akteur*innen (vgl. Kap. 5.6). Niedrigschwellige und selbstermächtigende Treffpunkte und radikaldemokratische Aktionsräume sind Gemeinschaftsgärten (community gardens), wie beispielsweise der Prinzessinnengarten in Berlin-Kreuzberg oder Brook-Park in der South-Bronx in New York. Über das Aneignen urbanen
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Es handelt sich hierbei nicht um eine Regierungsbehörde, sondern um eine Initiative, die sich an der Schnittstelle zwischen Kunst und Community Organizing verortet. USDAC organisiert in verschiedenen US-amerikanischen Städten lokale Treffen zum Erfahrungsaustausch und zur Vernetzung als „act of collective imagination“ (vgl. USDAC 2018).
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Raums mit dem gemeinsamen Gärtnern kommen ganz unterschiedliche Menschen zusammen, die sich basisdemokratisch organisieren und unterschiedliche Themen politisieren, wie unter anderem Ernährungsgerechtigkeit, Gentrifizierung, Klimawandel und Gesundheitswesen (public health) (vgl. Bert INYC, 01.08.2014). Allerdings steht dem gegenüber auch eine zunehmende Tendenz von NIMBYBewegungen, die in Berlin unter anderem eine Verdrängung und Schließung von Clubs zu verantworten haben (vgl. Holm, 28.08.2017). Besonders hervorzuheben sind zudem die aktuellen rechten antidemokratischen Mobilisierungen, wie beispielsweise gegen Notunterkünfte für Geflüchtete. Sie verdeutlichen, dass die stadtpolitischen Forderungen auf einem radikaldemokratischen Fundament stehen. Vereinzelte Versuche der rechten Instrumentalisierung stadtpolitischer Themen scheitertet bisher stets, wie zum Beispiel die von der Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) in Prenzlauer Berg veranstaltete Demonstration gegen Gentrifizierung (vgl. Tagesspiegel, 10.04.2015). Dieser rechtsradikale Kooptionsversuch illustriert allerdings auch das fortlaufende gegenhegemoniale Ringen um Deutungshoheit und leere Signifikanten und Äquivalenzierungen (sozioökonomischer) Konfliktdiskurse. In letzter Konsequenz kann sich eine wirkliche demokratische ‚(Stadt-)Politik von Unten‘ nicht auf die Forderung nach direkter Beteiligung beschränken, sondern zielt auf das radikaldemokratische Verknüpfen von heterogenen Antagonismen und auf die Durchsetzung des Prinzips der Gleichheit und der Ausweitung von Teilhabe in immer weiteren thematischen Feldern. Diese Quintessenz ist nicht nur für eine emanzipatorische Linke, sondern auch für die politischen Institutionen der Zukunft ausschlaggebend, die sich vielmehr auf lokale basisdemokratische Entscheidungsprozesse konzentrieren müssen. Die Zukunft integraler demokratischer Assoziationen und entsprechende Institutierungen könnte im libertären Konförderalismus liegen. Der Weg dahin führt schrittweise über eine gewaltfreie politische Umgestaltung der Macht- und Besitzverhältnisse und überkommener Institutionen zu horizontalen, basisdemokratischen Entscheidungs- und Eigentumsstrukturen im Sinne des Gemeinwohls, wie es Nachbarschaftsassemblies und Community Budgets oder auch Community Land Trusts bereits illustrieren. Eine ‚(Stadt-)Politik von Unten‘ beschreibt den politischen Horizont der Zukunft der Demokratie über das Projekt einer integralen Demokratie und den sukzessiven Abbau von Ausgrenzungs- und Unterdrückungsmechanismen.
Abkürzungen
AK BBK BImA BLM bpb BUND CASA CFTH CHTU CLT DGB DHS DIW ESGR EZLN FB FELS FUREE FUNYC HUB HOPE IFSE IL KDFS LLC MERS MHA MHS NGO
Arbeitskreis Berufsverband bildender Künstler Berlin Bundesanstalt für Immobilienaufgaben Black Live Matters Bundeszentrale für politische Bildung Bund für Umwelt und Naturschutz Community Action for Safe Apartments Coalition for the Homeless Crown Heights Tenant Union Community Land Trust Deutscher Gewerkschaftsbund Department of Homeless Services Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung East Side Gallery Retten Ejército Zapatista de Liberación Nacional Facebook Für eine linke Strömung Families United for Racial and Economic Equality Free University of New York Haben und Brauchen Homeless Outreach Population Estimate Institut für Strategieentwicklung Interventionistische Linke Koalition der Freien Szene Limited Liability Company Mortgage Electronic Registration System Mutual Housing Associations Mietshäuser Syndikat Non-Governmental Organization
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NIMBY NIONHH NRP NS NYC NYCAEN NYCCLI NYCGA NYSHCR O4O O-Platz OWS PAH PEGIDA PTH POC PR RGB RTTC SEK SenBauWohn TFA THF100 UHAB UN UNESCO WBA ZOB
Not in my backyard Not in our Name Hamburg No Rockaway Pipeline Nationalsozialismus New York City New York City Anti Eviction Network New York City Community Land Initiative New York City General Assembly New York State Homes and Community Renewal Organize for Occupation Oranienplatz Occupy Wall Street Plataforma de Afectados por la Hipoteca Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes Picture the Homeless People of Color Public Relations Rent Guidelines Board Right to the City-Alliance Sondereinsatzkommando der Polizei Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen Berlin Tempelhof für Alle 100% Tempelhofer Feld Urban Homesteading Assistance Board United Nations United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization Wir bleiben alle Zentraler Omnibusbahnhof
Abbildungen
Abb. 1: Abb. 2: Abb. 3: Abb. 4: Abb. 5: Abb. 6: Abb. 7: Abb. 8: Abb. 9: Abb. 10: Abb. 11: Abb. 12: Abb. 13: Abb. 14: Abb. 15: Abb. 16: Abb. 17: Abb. 18: Abb. 19: Abb. 20: Abb. 21: Abb. 22: Abb. 23:
Produktion des Raumes nach Lefebvre | 135 Action Research Spirale | 158 Masterplan Tempelhofer Freiheit | 185 Plakate ‚Volksentscheid Tempelhofer Feld‘ | 191 Flyer ‚Stadt von Unten‘ | 194 Flyer ‚East Side Gallery Retten‘ | 199 Performance ‚Divided Sky‘ | 204 Karten ‚Liberty Square‘ und ‚Financial District‘ | 236 Flyer ‚People’s Climate Action Camp‘ | 243 Plakat ‚Flood Wall Street‘ | 246 RGB Public Hearing Bronx | 256 Shelter-Übernachtungen New York | 261 Flyer ‚The Future of NYC Neighborhoods‘ | 267 Kette der Forderungen | 277 Kette der betroffenen Subjektpositionen | 288 Kette der Antagonismen | 293 Kette der Antagonist*innen | 295 Stadtpolitischer Raum | 302 Erweiterung des Raums des Möglichen | 306 Umdeuten eines bestehenden Signifikanten | 307 Etablierung eines neuen leeren Signifikanten | 307 Netzwerkformen | 309 Demokratisierungstriade | 314
Bibliographie
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INTERVIEWS – BERLIN Alexander (IB 15.04.2013): Interview mit einem Aktiven bei 100% Tempelhofer Feld, geführt in Berlin auf Deutsch, Name geändert.
370 | Demokratisierung der Postdemokratie
Daniel (IB 02.05.2013): Interview mit einem Aktiven bei Wir bleiben Alle, geführt in Berlin auf Deutsch, Name geändert. Frida (IB 13.06.2013): Interview mit einer Aktiven bei Mietenpolitische Dossier Gruppe, geführt in Berlin auf Deutsch, Name geändert. Gregor (IB 13.05.2013): Interview mit einem Aktiven bei 100% Tempelhofer Feld, geführt in Berlin auf Deutsch, Name geändert. Jeremy (IB 12.06.2013): Interview mit einem Aktiven bei East Side Gallery Retten, geführt in Berlin auf Deutsch, Name geändert. Markus (IB 17.04.2013): Interview mit einem Aktiven bei Koalition der Freien Szene, geführt in Berlin auf Deutsch, Name geändert.
AKTIONEN UND VERANSTALTUNGEN – BERLIN 100% Tempelhofer Feld (THF100) (20.03.2013): Bezirksverordneten Versammlung (BVV) im Bezirksamt Neukölln. Kundgebung/Aktion, Berlin. Aktionsbündnis Recht auf Wohnen (19.10.2013): European Action Day of Affordable Housing. Demonstrationen/Aktionen, Berlin. Berliner Ratschlag (4.4.–6.4.2014): Berliner Ratschlag: Wem gehört die Stadt? Vernetzungskonferenz, Berlin. Berliner Ratschlag (27.04.2014): Berliner Ratschlag. Vernetzungstreffen, Berlin. Berliner Ratschlag (31.08.2014): Berliner Ratschlag. Vernetzungstreffen, Berlin. Bewegungsgespräche taz Café (28.02.2013): Die Krise der Krisenproteste. Podiumsdiskussion, Berlin. Bürgerverein Travekiez-Ostkreuz e.V. (06.04.2013): Rote Karte für das Blockmonster! Demonstration/Kundgebung, Berlin. Bündnis Zwangsräumungen verhindern (08.02.2014): Räumung Reichestraße 72, Kundgebung/Blockade. Berlin. Bündnis Zwangsräumungen verhindern (22.10.2012): Räumung Lausitzer Straße 8. Blockade/Kundgebung, Berlin. Bündnis Zwangsräumungen verhindern (14.02.2013): Räumung Lausitzer Straße 8. Blockade/Kundgebung, Berlin. CUT International Performance Festival (15.05.2013): Der geteilte Himmel über Berlin – Divided Sky. Performance, Berlin. East Side Gallery Retten (ESGR) (26.02.2013): East Side Gallery und Living Bauhaus. Pressekonferenz, Berlin. East Side Gallery Retten (ESGR) (03.03.2013): Wall Parade East Side Gallery. Demonstration/Kundgebung, Berlin. East Side Gallery Retten (ESGR) (17.03.2013): Mauerspaziergang mit David Hasselhoff. Demonstration/Kundgebung, Berlin.
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East Side Gallery Retten (ESGR) (28.03.2013): Demo gegen Mauerteilentnahme. Demonstration/Kundgebung, Berlin. East Side Gallery Retten (ESGR) (09.04.2014): 25 Jahre Mauerfall – Heute feiern, morgen abreißen? – Make love, not lofts. Kundgebung/Party, Berlin. East Side Gallery Retten (ESGR) (09.11.2014): 25 Jahre Mauerfall – Heute feiern, morgen abreißen? – Make love, not lofts. Kundgebung/Party, Berlin. Forum StadtSpree (18.03.2013): 2. Sitzung. Radialsystem V, Berlin. Forum StadtSpree (10.06.2013): 3. Sitzung. Radialsystem V, Berlin. Friedrich-Ebert-Stiftung (22.05.2012): Wohnen in Berlin. Friedrich-Ebert-Stiftung, Berlin. Gürtelstraße (28.08.2014): Refugee Protest. Hungerstreik/Kundgebung, Berlin. Hände weg vom Wedding (30.04.2011): Antikapitalistische Walpurgisnacht: Wir bleiben Alle! Gegen Mieterhöhung, Gentrifizierung und Vertreibung linker Projekte. Demonstration, Berlin. Hände weg vom Wedding (30.04.2012): Antikapitalistische Walpurgisnacht: Nimm was dir zusteht! Demonstration, Berlin. Hände weg vom Wedding (30.04.2013): Antikapitalistische Walpurgisnacht: Take back the City – Nimm, was dir zusteht! Demonstration, Berlin. Hände weg vom Wedding (30.04.2014): Antikapitalistische Walpurgisnacht: Allet oder Nüscht – selbstorganisiert gegen Rassismus und soziale Ausgrenzung. Demonstration, Berlin. Hände weg vom Wedding (30.04.2015): Antikapitalistische Walpurgisnacht: Organize – Gegen Rassismus und soziale Ausgrenzung. Demonstration, Berlin. Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen/The Voice Refugee Forum Berlin (05.06.2013): Internationales Flüchtlingstribunal gegen die Bundesrepublik Deutschland – Vereint gegen koloniales Unrecht. Tribunal/Kundgebung, Berlin. Koalition der Freien Szene (KDFS) (22.08.2013): Kampagne: Freie Szene stärken! Geist ist noch flüchtiger als Kapital – haltet ihn fest! Pressekonferenz, Berlin. Koalition der Freien Szene (KDFS) (28.09.2013): Freie Szene Berlin stärken! Demonstration/Kundgebung, Berlin. Koordinationskommitee protestierender Asylsuchender in Deutschland (09.09.– 06.10.2012): Marsch der Würde. Demonstration, von Würzburg nach Berlin. Kotti & Co. (15.09.2012): 10. Lärmdemo – Die Miete ist zu hoch! Demonstration/Kundgebung, Berlin. Kotti & Co. (26.10.2012): Miete, Mischung, Mehrwert – Warum Kotti und Co uns alle angeht. Diskussionsrunde, Kreuzberg Museum, Berlin. Kotti & Co. (10.11.2013): Lärmdemo – Die Miete ist zu hoch! Demonstration/ Kundgebung, Berlin. Kotti & Co. (20.03.2014): Lärmdemo – Die Miete ist zu hoch! Demonstration/ Kundgebung, Berlin.
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Sybille Bauriedl, Anke Strüver (Hg.)
Smart City – Kritische Perspektiven auf die Digitalisierung in Städten 2018, 364 S., kart. 29,99 € (DE), 978-3-8376-4336-7 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4336-1 EPUB: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-4336-7
Weert Canzler, Andreas Knie, Lisa Ruhrort, Christian Scherf
Erloschene Liebe? Das Auto in der Verkehrswende Soziologische Deutungen 2018, 174 S., kart., zahlr. Abb. 19,99 € (DE), 978-3-8376-4568-2 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4568-6 EPUB: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-4568-2
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Soziologie Gianna Behrendt, Anna Henkel (Hg.)
10 Minuten Soziologie: Fakten 2018, 166 S., kart. 16,99 € (DE), 978-3-8376-4362-6 E-Book: 14,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4362-0
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