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German Pages 351 [366] Year 2020
Beiträge zur historischen Theologie Herausgegeben von
Albrecht Beutel
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Valentin Wendebourg
Debatten um die Bibel Analysen zu gelehrten Zeitschriften der Aufklärungszeit
Mohr Siebeck
Valentin Wendebourg, geboren 1985, 2005–11 Studium der Ev. Theologie, Philosophie und Geschichte in Tübingen, Kyoto, Berlin und Göttingen; 2012–14 Lehrbeauftragter im Fach Kirchengeschichte in Göttingen; 2014–16 Vikariat in Berlin; 2016 Promotion, 2017–18 Spezialvikariat bei der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Brüssel; seit 2018 Pfarrer in Fürstenfeldbruck, Bayern.
Gedruckt mit Unterstützung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD), Hannover und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, München. Zugleich Dissertation an der Georg-August-Universität Göttingen. ISBN 978-3-16-156664-6 / eISBN 978-3-16-156665-3 DOI 10.1628/978-3-16-156665-3 ISSN 0340-6741 / eISSN 2568-6569 (Beiträge zur historischen Theologie) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2020 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Martin Fischer in Tübingen aus der Minion gesetzt, von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden. Printed in Germany.
Meinen Eltern
Vorwort Dass in Deutschland die kritische Selbstreflexion der Religion bis heute als fester Bestandteil des öffentlichen Diskurses beispielsweise an Schulen wie Universitäten etabliert ist, ist keine Selbstverständlichkeit – und spätestens seit der Jahrtausendwende und den Herausforderungen des religiösen Radikalismus von neuer gesellschaftlicher Relevanz. Diese Verankerung der Religion im öffentlichen Diskurs verdankt sich u. a. einem langen und spannungsreichen Prozess theologischen Ringens. Insbesondere das Aufkommen der historischen Bibelkritik der Aufklärung schien der christlichen Religion – und dem Protestantismus in seiner Bibelzentrierung in verschärfter Form – seine Grundlage zu nehmen und Glauben und Moderne in einen unversöhnlichen Widerspruch zu führen. Dass die historisch-kritische Reflexion der Heiligen Schrift, die bis Mitte des 18. Jahrhunderts kaum öffentlich thematisiert werden konnte, innerhalb weniger Jahrzehnte zu einem wesentlichen Bestandteil eines sich als aufgeklärt verstehenden Religions‑ und Theologieverständnisses in Deutschland werden konnte, ist eine im Rückblick durchaus erstaunliche Entwicklung. Diese lässt sich – und das will dieses Buch anhand exemplarischer Debatten zeigen – nicht ohne den Blick auf die fundamentalen medialen Umbrüche der Kommunikationskultur und ihre theologische Interpretation verstehen. Dabei spielten nicht nur radikale Religionskritiker der westeuropäischen Aufklärung, sondern auch ihre erfolgreichen Kommunikationsformen insbesondere im Medium des aufkommenden Zeitschriftenwesens eine kaum zu unterschätzende Rolle. Das Forschungsprojekt „Gelehrte Journale und Zeitungen als Netzwerke des Wissens im Zeitalter der Aufklärung“ hat die Zeitschriften umfangreich erschlossen und in ihrer Fülle zugänglich gemacht. Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2015/16 an der Theologischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen als Dissertationsschrift angenommen und im Februar 2016 in einer Disputation erfolgreich verteidigt. Für die geringfügig überarbeitete Drucklegung wurde die Forschungsliteratur bis einschließlich 2018 berücksichtigt. An erster Stelle habe ich Prof. Dr. Dres. h.c. Thomas Kaufmann zu danken für den Impuls zu diesem Forschungsprojekt, für die intensive Betreuung der Arbeit, das Experiment eines methodenreichen Team-Teachings und vor allem die zahlreichen, inspirierenden und lebhaften Gespräche über die Geschichte
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Vorwort
der Kirche und ihre Gegenwart. Zu danken habe ich Prof. Dr. Peter Gemeinhardt für die Erstellung des Zweitgutachtens sowie Prof. Dr. Anselm Schubert für alle Unterstützung und Beratung als Zweitbetreuer. Dankbar bin ich zudem Prof. Howard Hotson für die Ermöglichung des Forschungsaufenthaltes am Modern European History Research Centre in Oxford sowie Dr. Elizabeth Williamson und Miranda Lewis für die Einführung in die beeindruckenden digitalen Erschließungsmöglichkeiten globaler historischer Kommunikationsnetzwerke durch das Forschungsprojekt „Cultures of Knowledge“. Danken möchte ich Dr. Thomas Habel und Dr. Anne Saada für die Einführung in die Weiten und Untiefen der historischen Zeitschriftenforschung in Deutschland und Frankreich. Ein besonderer Dank gebührt Martin Wenzel für allen gemeinsamen Austausch, Ermutigung und das gemeinsame langjährige Teilen von Höhen und Tiefen kirchenhistorischen Forschens und Lehrens. Dr. Claus-Jürgen Thornton gilt mein Dank für das intensive und detaillierte Lektorat dieser Arbeit. Prof. Dr. Albrecht Beutel danke ich herzlich für die Aufnahme meiner Arbeit in die Reihe der Beiträge zur historischen Theologie. Zu danken habe ich der Konrad-Adenauer-Stiftung für die Ermöglichung des Projektes durch ein mehrjähriges Promotionsstipendium, die Unterstützung von Forschungsaufenthalten und Tagungen, sowie die vielen Möglichkeiten des interdisziplinären Austausches. Mein Dank gebührt auch der Göttinger Graduiertenschule für die Begleitung während der Promotion, nicht zuletzt durch die Gewährung eines Exposé‑ sowie eines Abschlussstipendiums und die Ermöglichung der Teilnahme am Team-Teaching Programm „Hetairos“. Danken möchte ich auch der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern ebenso wie der Vereinigten Lutherischen Kirche in Deutschland für die finanzielle Unterstützung der Druckkosten. Gewidmet ist dieses Buch in Dankbarkeit meinen Eltern. Fürstenfeldbruck 2019
Valentin Wendebourg
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII
I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1. Aufklärung, Zeitschriften und Religionskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Aufkommen öffentlicher Debatten zur historischen Bibelkritik 3. Methodik: Rezeptions‑ und Diskursanalyse anhand der gelehrten Zeitschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Die Zeitschrift als Medium des Gelehrtendiskurses . . . . . . . . . . . 3.2 Auswahl der Zeitschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Auswahl der Debatten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Digitale Erschließungsmethoden des Mediums der Zeitschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Gelehrte Zeitschriften im Wandel der Kommunikations‑ und Gesellschaftskulturdes 18. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . 19 1. Die Entwicklung des deutschen Zeitschriftenwesens im 18. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Die Anfänge der gelehrten Zeitschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Christian Thomasius und der Beginn der deutschsprachigen Zeitschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Kontroverstheologie und Zeitschriftenwesen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Theologische Zeitschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zentren und Publikationsorgane gelehrter Zeitschriften zwischen 1750 und 1790 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Göttingen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Gründung der Universität und der K. Gesellschaft der Wissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Die Göttingischen Anzeigen von gelehrten Sachen . . . . . . . . . 2.2 Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Aufstieg und bürgerliche Bildungskultur . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Die Allgemeine deutsche Bibliothek . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
III. Historische Bibelkritik und konfessionelle Debattenkultur zu Beginn des 18. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 1. Die Schrift als Gegenstand kontroverstheologischer Debattenkultur vor 1750 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 2. Der Beginn bibelkritischer Debatten in der gelehrten Öffentlichkeit (Wertheimer Bibel, Edelmann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76
IV. Die Debatte um Jean-Martin de Pradesund die empirische Beweisbarkeit der biblischen Wahrheit (1751–1753) . . . . . . . 83 1. Der Prozess um Jean-Martin de Prades’ Disputation an der Sorbonne 1751 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Jean-Martin de Prades und die französische Aufklärung um 1750 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 De Prades’ Thesen zum Beweis der christlichen Offenbarung . . . 1.3 Die Verurteilung der Thesen durch die Sorbonne . . . . . . . . . . . . . 2. Die publizistische Inszenierung des Falls de Prades . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Die Empörung über die Thesen in deutschen gelehrten Zeitschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Tübingische Berichte von gelehrten Sachen (Tübingen) . . . . . 2.1.2 Freye Urtheile und Nachrichten (Hamburg) . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Neue Zeitungen von gelehrten Sachen (Leipzig) . . . . . . . . . . . 2.1.4 Rostockische gelehrte Nachrichten (Rostock) . . . . . . . . . . . . . 2.2 Die Veröffentlichung der Satire Tombeau de la Sorbonne . . . . . . . 2.3 Die Reaktionen auf die Satire . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die publizistische Verteidigung durch de Prades’ Apologie . . . . . . . . 3.1 Die Apologie de Prades’ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Die veränderte Wahrnehmung in gelehrten Zeitschriften . . . . . . 3.3 Die Wahrnehmung in theologischen Zeitschriften . . . . . . . . . . . . 4. Folgen: Empirische Methoden und umstrittene Freiheit der akademischen Bibelkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83 83 90 97 101 101 102 103 105 106 107 110 112 112 114 120 125
V. Die Debatte um Henry St. John Bolingbrokeund die Popularisierung der deistischen Bibelkritik (1753–1758) . . . 131 1. Bolingbroke und der englische Deismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die offenbarungskritischen Thesen der Letters on the study and use of history (1752) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Der pragmatische Nutzen des Geschichtsstudiums . . . . . . . . . . . . 2.2 Bolingbrokes Trennung zwischen Profan‑ und Sakralgeschichte 2.3 Die Theorie der Geschichtsfälschung durch den Klerus . . . . . . . .
131 141 141 143 147
Inhaltsverzeichnis
3. Die Rezeption der Debatte um Bolingbrokes Letters in England . . . . 4. Die Rezeption der Debatte um Bolingbrokes Letters in Deutschland 4.1 Die Rezeption der englischsprachigen Debatte . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen (Göttingen) . . . 4.1.1.1 Defense de Mr. Bolingbroke par M. de Voltaire . . . . . . 4.1.1.2 James Hervey’s Remarks on Lord Bolingbroke’s Letters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1.3 John Leland’s Reflections on The late Lord Bolingbroke’s Letters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1.4 Robert Claytons A vindication of the histories of the Old and New Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1.5 Peter Whalleys A vindication of the evidences and authenticity of the gospels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1.6 John Hills Thoughts concerning God and nature . . . . 4.1.2 Freye Urtheile und Nachrichten (Hamburg) . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3 Zuverlässige Nachrichten (Leipzig) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.4 Nachrichten von merkwürdigen Büchern (Halle) . . . . . . . . . . 4.2 Die Rezeption der deutschsprachigen Ausgabe der Letters . . . . . . 4.2.1 Bergmanns deutsche Übersetzung der Letters . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Lessings Rezension in den Briefen, die neueste Litteratur betreffend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Rezension der Neuedition Johann Georg Hamanns in der Allgemeinen deutschen Bibliothek (Berlin) . . . . . . . . . 5. Folgen: Popularisierung deistischer Bibelkritik und historisch gelehrte Apologetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XI 148 151 151 151 151 152 155 158 162 163 165 166 169 170 170 171 173 176
VI. Die Debatte um Johann Salomo Semlerund die beginnende Adaption der historischen Bibelkritik in der deutschen protestantischen Theologie (1757–1765) . . . 183 1. Semler zwischen Aufklärung und Pietismus in Halle . . . . . . . . . . . . . 2. Das theologische Reformprogrammder Nähern Anleitung zu nützlichem Fleisse in der ganzen Gottesgelersamkeit (1757) . . . . . . . . . 3. Die Wahrnehmung der Nähern Anleitung in gelehrten Zeitschriften 3.1 Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen (Göttingen) . . . . . . . 3.2 Erlangische gelerte Anmerkungen und Nachrichten (Erlangen) . . . 3.3 Neue Zeitungen von gelerten Sachen (Leipzig) . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Rostockische Anzeigen (Rostock) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Semlers Erster Anhang (1758) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Semlers Zweiter Anhang (1758) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
183 186 192 192 194 194 195 196 206
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Inhaltsverzeichnis
6. Die Reaktionen auf Semlers Ersten und Zweiten Anhang . . . . . . . . . 210 6.1 Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen (Göttingen) . . . . . . 210 6.2 Neue Zeitungen von gelehrten Sachen (Leipzig) . . . . . . . . . . . . . . 213 7. Der Streit um die historische Kanonkritik nach Semlers Institutio brevior (1765) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 7.1 Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen (Göttingen) . . . . . . 215 7.2 Jenaische gelehrte Zeitungen (Jena) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 7.3 Allgemeine deutsche Bibliothek (Berlin) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 8. Folgen: Anfänge der Adaption der historischen Bibelkritik und die Polarisierung des innerprotestantisch-theologischen Diskurses . . . 222
VII. Die Debatte um Gottfried Lessund die Hinwendung vom historischen zum moralischen Wahrheitsbeweis der Bibel (1768–1785) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 1. Gottfried Less als Vermittlungstheologe zwischen Orthodoxie und Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 2. Jean Lévesque de Burignys Examen critique des apologistes (1766) . 232 3. Gottfried Less’ Beweiß der Wahrheit der christlichen Religion (1768) . 236 4. Die Rezeption von Less’ Beweiß der Wahrheit in theologischen und gelehrten Zeitschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 4.1 Theologische Berichte von neuen Büchern und Schriften (Danzig) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 4.2 Neue Critische Nachrichten (Greifswald) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 4.3 Jenaische gelehrte Zeitungen (Jena) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 4.4 Neue Zeitungen von gelehrten Sachen (Leipzig) . . . . . . . . . . . . . . 245 4.5 Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen (Göttingen) . . . . . . 245 4.6 Allgemeine deutsche Bibliothek (Berlin) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 5. Less’ Veränderungen in den weiteren Auflagen und die Neuedition 1784 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 6. Die Wahrnehmung der Neufassung in theologischen und gelehrten Zeitschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 6.1 Journal für Prediger (Halle) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 6.2 Tübingische gelehrte Anzeigen (Tübingen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 6.3 Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen (Göttingen) . . . . . . 258 6.4 Allgemeine deutsche Bibliothek (Berlin) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 7. Die Reaktion radikaler Aufklärer am Beispiel Christian Ludwig Paalzows . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 7.1 Paalzows Satire Hierokles oder Prüfung und Vertheidigung der christlichen Religion angestellt von den Herren Michaelis, Semler, Leß und Freret (1785) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265
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7.2 Die Reaktionen auf Paalzows Hierokles in gelehrten Zeitschiften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.1 Jenaische gelehrte Zeitungen (Jena) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.2 Tübingische gelehrte Anzeigen (Tübingen) . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.3 Allgemeine deutsche Bibliothek (Berlin) . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Paalzows Parodie auf Less’ Schriftbeweis in Gewissheit der Beweise des Apollinismus (1787) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Folgen: Transformationen des theologisch gelehrten Schriftbeweises und seine Rezeption im Diskurs unter Gebildeten der Spätaufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1 Veränderungen der Rezeptionsbedingungen theologischer Debatten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2 Die Pluralisierung des protestantischen Schriftverständnisses
XIII 271 271 272 273 277 281 282 284
VIII. Fazit: Transformationen des Schriftverständnisses unter Gelehrten und Gebildeten (1750–1785) . . . . . . . . . . . 287 1. Popularisierung und Radikalisierung theologischer Debatten seit 1750 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Auswirkungen der Radikalisierung französischer Religionsdebatten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Der englische Deismus als Vorbild liberaler laientheologischer Debattenkultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Ausdifferenzierung des Schriftverständnisses im öffentlichen Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Halle und die Polarisierung des innertheologischen Diskurses 2.2 Göttingen und der Diskurs unter universitären Gelehrten . . . . 2.3 Berlin und der Diskurs im bürgerlich gebildeten Milieu . . . . . . 3. Die Zeitschrift als Forum und Transformator des historisch- kritischen Schriftdiskurses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
287 287 291 293 293 297 298 301
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 1. Quellen bis 1800 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 2. Gelehrte und theologische Zeitschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 3. Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347
Kapitel I
Einleitung 1. Aufklärung, Zeitschriften und Religionskritik In unsern Zeiten, wo es dem Geiste der Philosophie endlich gelungen ist, das Publikum ziemlich allgemein zu überzeugen, daß Intoleranz ein Laster und Ketzermacherei, die Anderen Absichten beimißt, zu denen sie sich nicht selbst bekennen, ein Verbrechen sei; wo man einsieht, daß jede Hypothese, Schrift und Vernunft in Uebereinstimmung zu bringen, gehört und nicht verläumdet werden müsse; daß man nicht die Religion selbst angreift, wenn man, wie unser Verfasser, den Verteidigern derselben sagt, daß ihre bisher geführten Beweise nichts taugen; denn diese Beweise müssen nicht metaphysisch, sondern historisch sein, und nach einer unparteiischen und strengen Kritik geführt werden – in diesen Zeiten würde man den Verfasser, jenes Abschnitts halber, nicht so bitter angegriffen haben, als von einigen seiner Gegner geschehen ist; zumal seitdem ein Teil der Theologen selbst über das Alte Testament eben so dreust, wo nicht noch dreuster zu urteilen pflegt.1
Mit dieser Analyse der zeitgenössischen geistesgeschichtlichen Umbrüche leitet Christian Friedrich Rudolf Vetterlein 1794 die Übersetzung und Neuedition des Werkes eines englischen Deisten ein, welches bei seiner Erstveröffentlichung 1752 unter den Gelehrten in England und Deutschland aufgrund seiner Kritik an der biblischen Offenbarung noch einen Proteststurm ausgelöst hatte. In Vetterleins Beschreibungen werden prägnant ebenjene fundamentalen Umbrüche genannt, die sich aus seiner Sicht im religiösen Bewusstsein eines gebildeten „Publikums“ in jüngster Zeit vollzogen hatten. Religiöse Toleranz, kritische Vernunft, das Ende der Metaphysik und eine auf historisch-kritische Analyse gegründete Theologie verkörpern demnach geradezu idealtypische Errungenschaften der religiösen Entwicklung der vorhergegangenen vierzig Jahre. Die entscheidende Leistung wird dabei in der Überzeugungsarbeit eines „ziemlich allgemeinen“ Publikums, also einer breiten Öffentlichkeit Gebildeter, gesehen, welche als Errungenschaften der Aufklärung erreicht worden war. In regem Austausch mit den geistigen Strömungen anderer europäischer Nationen hatte sich zunächst vornehmlich in den norddeutsch protestantischen Territorien eine Form der deutschen Aufklärung etabliert, welche sich durch ihren die Religion integrierenden und diese zugleich transformierenden Charakter auszeichnete. Die zentrale Bedeutung religiöser Integrations‑ und Transformationsprozesse im 1 Bolingbroke, Des Lords Bolingbroke Briefe über das Studium und den Nutzen der Geschichte, Vorwort, S. XV.
2
I. Einleitung
Selbstverständnis zahlreicher deutscher Aufklärer bringt exemplarisch der Berliner Verleger und Literat Christoph Friedrich Nicolai (1733–1811) zum Ausdruck, als er am Sinn und Erfolg seines Prestigeprojektes, der Allgemeinen Deutschen Bibliothek als bedeutendster gelehrter Zeitschrift der deutschen Aufklärung, zu verzweifeln drohte. Am 8. März 1771 schrieb er seinem Freund Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781): Wollte Gott, ich dürfte an die Deutsche Bibliothek gar nicht mehr denken. (…) Ich habe so oft schon aufhören wollen, wissen Sie, was mich zurückhält? Die theologischen Artikel. Sie haben so eine merkwürdige Revolution in den deutschen Köpfen verursacht, daß man sie nicht muß sinken lassen. Sie haben vielen Leuten Zweifel erregt, und dadurch die Untersuchung rege gemacht.2
Die Korrespondenz zwischen Lessing als Protagonist deutscher Aufklärungsphilosophie und Nicolai als seinerzeit einflussreichstem deutschen Verleger symbolisiert die enge Synthese zwischen ideengeschichtlichen Impulsen und ihrer medialen Gestalt, welche die revolutionären Dynamiken der Aufklärungszeit überhaupt erst ermöglichte. In Nicolais Worten drückt sich dabei nicht nur die Wahrnehmung des religiös revolutionären Potentials des Zeitschriftenwesens aus, sondern offenbart sich zugleich die zentrale Bedeutung der Religionsdebatten im Selbstverständnis deutscher Aufklärer. Unter den in der Aufklärung expandierenden, öffentlichen Kommunikationsformen wie Roman, Unterhaltungszeitschrift oder Theaterstück nahmen die gelehrten Zeitschriften als Forum des intellektuellen Diskurses eine exzeptionelle Stellung ein, da sie eine unabdingbare Voraussetzung für die Entstehung einer gelehrten Öffentlichkeit schufen.3 Sie erst ermöglichten die partizipatorischen 2 Nicolai,
Brief an Lessing vom 8. März 1771. Zum Programm der theologischen Aufklärung schreibt Nicolai an selber Stelle weiter: „Der denkenden Leute sind so wenige, sie haben in den meisten Ländern so viel zu riskieren und sind daher so furchtsam; die Orthodoxen sind durch Gesetze und Besitz so mächtig geschützt, daß, wenn sie den geringsten Beistand bekommen, sich die denkenden Leute gering merken lassen werden, daß sie freier denken, als andere. – Wer unsern neuen Theologen nicht von der Seite der Orthodoxie, sondern von der Seite der natürlichen Theologie ihre Inconsequenzen zeigen könnte: das wäre eine schöne Sache! Ich habe es in meinem Roman [gemeint ist der Sebaldus Nothanker, Anm. d. Verf.] beiläufig thun wollen; aber die Feder fällt mir aus den Händen, wenn ich bedenke, wie wenig das Publikum in Deutschland noch vorbereitet ist, gewisse Wahrheiten nackend zu sehen.“ 3 Ich beschränke mich hier bewusst auf den Begriff der gelehrten Öffentlichkeit, anstatt unmittelbar Habermas’ Terminologie einer „bürgerlichen Öffentlichkeit“ aufzugreifen (vgl. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit). Damit wird der Blick vornehmlich auf die von Habermas so genannte „literarische Öffentlichkeit“ gelegt, wobei das besondere Interesse dieser Untersuchung auf dem von den gelehrten Journalen erreichten deutschsprachigen Publikum liegt (zum Lesepublikum der gelehrten Journale vgl. Kapitel II. zur Entwicklung des Zeitschriftenwesens). Zur Debatte um den Öffentlichkeitsbegriff vgl. die Literaturangaben bei Hohendahl (Hg.), Öffentlichkeit, S. 124–179; H.-W. Jäger (Hg.), „Öffentlichkeit“ im 18. Jahrhundert. Zur Diskussion des Öffentlichkeitsbegriffs unter spezifischer Berücksichtigung der Religionsdebatten des 18. Jahrhunderts vgl. Goldenbaum, Appell an das Publikum, Teil 1, S. 3–13.
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Diskursstrukturen,4 welche beispielsweise Lessing durch die Publikation der Fragmente eines Ungenannten in der Zeitschrift der Herzog August Bibliothek bewusst zu nutzen wusste, der auch in Form weiterer Zeitschriftenbeiträge wesentlich zur medialen Inszenierung der wohl bekanntesten Religionsdebatte der deutschen Aufklärung beitrug. Im Verlauf dieses in der Mitte des 18. Jahrhunderts in Deutschland einsetzenden tiefgreifenden religiösen Veränderungsprozesses5 wird der Fragmentenstreit gemeinhin als Zäsur religiöser Debattenkultur betrachtet. In ihm manifestiert sich die fundamentale Kritik an der Glaubwürdigkeit christlicher Kernaussagen wie beispielsweise dem Bericht der Auferstehung Christi. Hierbei lag der Skandal allerdings vielmehr in deren erstmaliger öffentlicher Diskussion als in der erstmaligen Formulierung ihrer Thesen. Bei genauerer Betrachtung erweist sich der Fragmentenstreit jedoch als Eruption eines bereits in den Jahren zuvor einsetzenden Prozesses, in dem sich die wachsende Spannung zwischen kirchlich normativem Wahrheitsanspruch und der um sich greifenden historischen
Der Diskursbegriff soll im Folgenden als Begriff für einen übergeordneten Gesprächszusammenhang aufklärerischer Gelehrtendebatten und ihrer Strukturen in Hinblick auf die historische Bibel‑ und Religionskritik verwendet werden. Dabei werden in der Untersuchung der Gelehrtenkommunikation Impulse der von Michel Foucault maßgeblich initiierten Analyse von Diskursen unter ihren strukturellen Bedingungen wie Machtstrukturen und Disziplinierungsmechanismen (vgl. L’ordre du discours, Paris 1971) aufgegriffen, welche die ideengeschichtliche Entwicklung der Aufklärung mit ihren sozialgeschichtlichen Voraussetzungen und Auswirkungen in ihrem Wechselverhältnis aufzeigen sollen. Zur Leistungsfähigkeit der Diskursanalyse Foucaults für die historische Forschung vgl. Michael Maset, Diskurs, Macht und Geschichte, hier bes. das Kapitel III. Historiographiegeschichte als Verschränkung von Ideen und Sozialgeschichte, S. 113–160; Kempf, Aufklärung als Disziplinierung. Zur Diskussion um die Anwendung der Diskursanalyse auf die Geschichtswissenschaften vgl. unter anderem die neueren Arbeiten von Sarasin, Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse; Landwehr, Historische Diskursanalyse; Eder (Hg.), Historische Diskursanalysen. 5 Eine hierfür beispielhafte Studie des Transformationsprozesses des biblisch fundierten Zeitverständnisses im 18. Jahrhundert hat Zedelmaier, Der Anfang der Geschichte, vorgelegt. Darin analysiert Zedelmaier die Entwicklung des historischen Bewusstseins in engem Zusammenhang mit den religiös tradierten Geschichts‑ und Weltvorstellungen. Grundkoordinaten historischen Denkens wie die biblische Urstandsbeschreibung, Sintfluterzählung oder eschatologische Vorstellungen wurden teils sukzessive säkularisiert, marginalisiert oder vollkommen neu gedeutet. Anhand der Beobachtung der Auseinandersetzungen und Veränderungen um die Vereinbarkeit neuer naturwissenschaftlicher, historischer oder kulturwissenschaftlicher Erkenntnisse sucht Zedelmaier die Neuinterpretationen der traditionellen Deutungsmuster der Universalgeschichte und ihrer theologischen Voraussetzungen vom Ende des 17. Jahrhunderts ausgehend im Verlauf des 18. Jahrhunderts nachzuvollziehen. Orientiert an der Frage nach den Ursprüngen der Geschichte, welche er anhand der Debatte um die Perfektibilität des Menschen, die Ursprünge der Sprache, die Historizität der Sintflut und andere Themen untersucht, rekonstruiert er den historischen Horizont und dessen Veränderung im Verlauf des 18. Jahrhunderts. Die beeindruckende Untersuchung zeigt anschaulich, wie biblisch historische Narrative ihre historiographische Normativität innerhalb eines zunehmend säkularen Fortschrittsschemas einbüßten. 4
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I. Einleitung
Kritik an dessen biblischen Grundlagen kaum noch rational vermitteln ließ.6 Die Heilige Schrift als Gegenstand historischer Untersuchung mutierte in der Wahrnehmung vieler Gelehrter bald vom inspirierten Worte Gottes zum besonderen Kulturprodukt eines moralischen Entwicklungsprozesses der Menschheit7 und 6 Für die theologische Untersuchung jener Epoche maßgeblich sind unter anderen Troeltsch, Die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt, München 1911; Aner, Die Theologie der Lessingzeit; Hirsch, Geschichte der neuern evangelischen Theologie, 5 Bde. Von besonderem Interesse für das Aufkommen der historischen Bibelkritik in der Aufklärung sind unter anderem Hornig, Die Anfänge der historisch-kritischen Theologie; Scholder, Ursprünge und Probleme der Bibelkritik im 17. Jahrhundert; Reventlow, Historische Kritik und biblischer Kanon in der deutschen Aufklärung. Einen Überblick über den Forschungsstand zur theologischen Aufklärungsforschung in Deutschland bieten unter anderen Nowak, Vernünftiges Christentum?, und Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärungszeit, S. 28–33. Nowak macht in seinem Überblick vor allem auf das kirchengeschichtliche Defizit empirischer Untersuchungen zur Frömmigkeits‑ und Kirchenkultur der Aufklärung aufmerksam, wobei sich mit steigendem Interesse an der religiösen Aufklärungsforschung zunehmend Publikationen auch diesem Feld widmen. Trotz ihrer zentralen Multiplikationsfunktion hat die theologische Vermittlung im Medium der Zeitschriften – abgesehen von Christopher Voigts Studie zur Rezeption des englischen Deismus in Deutschland – kaum Beachtung erfahren. Auf dieses bedeutsame Defizit weist Friedrich Wilhelm Graf explizit hin: Graf, Theologische Zeitschriften der Aufklärungszeit. 7 Vgl. Lessing, Die Erziehung des Menschengeschlechts (1780).. Die mit der historischen Relativierung und Säkularisierung des biblisch-augustinischen Geschichtsschemas einhergehende Verschiebung einer Orientierung an einer idealisierten kirchlichen Vergangenheit hin zu einer offenen Fortschritts‑ und Zukunftsorientierung hat Reinhart Koselleck unter Verweis auf ebenjene Schrift Lessings als Erkenntnis der sogenannten Sattelzeit (1750–1850) bezeichnet. Jene Beobachtung ist für die Untersuchung des Gelehrtendiskurses zum Aufkommen der historischen Bibelkritik insofern von zentraler Bedeutung, als diese mit dem Wandel eines allgemeinen historischen Bewusstseins unmittelbar zeitlich korreliert, in der die auf historische Exempla ausgerichtete Geschichtsschreibung ihre Plausibilität verliert (vgl. Koselleck, Vergangene Zukunft, S. 47–48, 61–64 und 362–369). Das Aufgehen der Heilsgeschichte in der Weltgeschichte lokalisiert Koselleck wesentlich in der Göttinger Geschichtschreibung der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts: „Die Einschmelzung der heiligen Geschichte in die Weltgeschichte war nun innerhalb der protestantischen Kirchenhistoriographie vorbereitet worden, sofern diese, vor allem die Göttinger Schule im 18. Jahrhundert, aus der Historia ecclesiastica eine Geschichte der kirchlichen Gesellschaften und ihrer Lehrmeinungen gemacht hatte. (…) Der Einbruch der neuen ‚Geschichte‘ in die bisher als ewig erachteten Wahrheiten wurde begründet und aufgewogen durch die neue, auch die Religion umgreifende, Gewißheit, daß die Entwicklung der moralischen Welt nach Gottes Ordnung, ebenso ihre Perioden und Stufen habe als die Kenntnis und Entdeckung der physischen“ (Zitat aus: Johann Salomo Semler, Lebensbeschreibung von ihm selbst verfasst, 2 Bde. [Halle 1782], in: Koselleck, Art. „Geschichte“, S. 683–684). Der späten Datierung um Lessing schließt sich Lucian Hölscher in seinem Urteil an (vgl. Hölscher, Die Entdeckung der Zukunft, S. 49–55). Zur Debatte um Kosellecks Konzept der Begriffsgeschichte vgl. Joas/Vogt (Hg.), Begriffene Geschichte. Unter der Vielzahl an kritischen Anmerkungen zu Kosellecks Modell der begriffsgeschichtlichen Fixierung der Zukunftsorientierung in der „Sattelzeit“ seien hier lediglich die jüngst veröffentlichten Aufsätze genannt: Schäufele, Geschichtsbewusstsein und Geschichtsschreibung um 1700; Fulda, Wann begann die ‚offene Zukunft‘?. Beide nehmen dabei die sich bereits um 1700 vollziehende Zukunfts‑ und Fortschrittsorientierung des Geschichtsbewusstseins in den Blick, deren Umorientierung sie unter anderem durch die auf Zukunftsgestaltung ausgerichtete ‚Hoffnung besserer Zeiten‘ im Pietismus vorbereitet sehen. Allerdings verweist bereits Koselleck selbst auf die „theologische
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musste ihren Wahrheitsanspruch vor dem Forum der kritischen Vernunft umfassend legitimieren. Im Gegensatz zu Teilen der radikalen französischen Aufklärer oder mancher englischen Deisten zielten viele Protagonisten der deutschen Aufklärung wie Lessing oder Nicolai nicht auf eine generelle Kritik am Christentum, sondern forderten eine umfassende Transformation des Christentums, um es mit den Kriterien der menschlichen Vernunft und ihres kontinuierlichen Fortschritts zu vermitteln. Wenig Beachtung fanden bisher die spezifischen Kommunikationsbedingungen, welche den Durchbruch individuell geäußerter, religionskritischer Ideen in den Raum der breit rezipierten Debatten erst ermöglichten. Fragt man nach der Entstehung bestimmter aufklärerischer Einsichten, so hegten nicht nur Aufklärer wie Hermann Samuel Reimarus (1694–1768) bereits sehr viel früher weitaus radikalere Gedanken, welche nicht nur geheim zirkulierten, sondern anhand von Bibliotheksbeständen und Zeitschriftenrezensionen sogar breiteren Teilen der Gelehrtenwelt bereits theoretisch zugänglich waren.8 Im Falle des Fragmentenstreites war es wohl vornehmlich dem Umstand zu verdanken, dass eine solch prominente Figur wie Lessing die Thesen der Fragmente eines Ungenannten für wissenschaftlich diskussionswürdig befand und der Gelehrtenwelt öffentlich zugänglich machte, womit dieser selbst unter Vorkämpfern der theologischen Aufklärung helle Empörung hervorrief.9 Was aber hatte sich verändert, dass sich 1774 Schubkraft“, welche die „Reihe der pietistisch inspirierten Theologen“ und geistesverwandten Denker entfaltete, zu denen er Gottfried Arnold, Albrecht Bengel, Johann Georg Hamann, Friedrich Christoph Oetinger, Thomas Wizenmann und Tobias Hess zählt. Deren Wirkung dürfe „für die deutsche Begriffsbildung der Geschichte als einer im ganzen sinnhaften und fortschreitenden Offenbarung kaum unterschätzt werden. Das Reich Gottes wurde selber zum geschichtlichen Prozeß. Die Konvergenz mit einem ‚weltlichen‘ Fortschrittsbegriff der Geschichte vollzog sich dabei in der Weise gegenseitiger Inspiration“ (Koselleck, Art. „Geschichte“, S. 684–685). Zu ausführlicheren Debatte um den Beginn eines neuzeitlichen Geschichtsverständnisses vgl. Küttler/Rüsen/Schulin (Hg.), Geschichtsdiskurs II. 8 Fragt man nach der Genese und dem intellektuellen Transfer jener radikalen Ideen, so liefert die Untergrundforschung, wie sie Martin Mulsow unter anderem zu Reimarus’ klandestinen Aufklärerkreisen in Altona und zu zahlreichen anderen, kaum bekannten, aber nicht minder bedeutsamen Gestalten vorgelegt hat, wertvolle Hinweise (vgl. unter anderem Mulsow, Moderne aus dem Untergrund; Ders., Monadenlehre, Hermetik und Deismus; Ders. [Hg.], Radikale Spätaufklärung in Deutschland). Im Vordergrund der vorliegenden Untersuchung steht dagegen die Phase des Übertritts vom ‚Untergrund‘ an die ‚Oberfläche‘ der gelehrten Öffentlichkeit, die Frage nach dem ‚Umschwung‘ von der kollektiven Empörung gegenüber der historischen Bibelkritik zur sukzessiven Akzeptanz derselben in Zeitschriften als Foren der Gelehrtenkommunikation. Eine aufschlussreiche Studie hierzu herausgegeben hat W. Schröder, Aus dem Untergrund an die Öffentlichkeit. 9 In der Allgemeinen deutschen Bibliothek äußerte sich Johann Salomo Semler zur Veröffentlichung der Wolfenbütteler Fragmente:„so haben diese Fragmente sehr viel Aufsehen gemacht, viele Leser verwirret, viele leichtsinnige Gemüther hingerissen, und bey vielen, die ihre Religion ehren, oder sie doch äußerlich aufrecht erhalten wollen, Anstoß, Aergerniß und Geschrey verursacht. Man darf nur dreust und unverschämt gegen heiliggehaltene Dinge heut zu Tage auftreten, sie grade zu läugnen, und das Gegentheil von dem, was vielen Menschen glaubwürdig scheinet, behaupten: so kann man schon auf den lauten Beyfall und Triumph eines Haufens, und
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I. Einleitung
eine Persönlichkeit wie Lessing traute, solch unverhohlen offenbarungskritische Thesen wie diejenigen des Reimarus unter Nutzung seiner Unabhängigkeit von der Pressezensur zur allgemeinen Diskussion zu stellen? Weshalb konnte Johann Salomo Semler (1725–1791) es 1771 wagen, den öffentlichen Anspruch zu erheben, den biblischen Kanon unabhängig vom Inspirationsdogma untersuchen zu wollen? Warum verlor der historische Wahrheitsbeweis der Heiligen Schrift unter vielen deutschen Gelehrten so rasch an Plausibilität, der bis dato als fundamentaler Garant für die Wahrheit der gesamten christlichen Religion gegolten hatte? Eine Annäherung an diese Fragen lässt sich anhand der Analyse der Dynamiken und Umbrüche innerhalb des Gelehrtendiskurses der unmittelbar vorangehenden Jahre erreichen. In ihnen eröffneten sich bis dahin unbekannte Möglichkeiten der kritischen Diskussion selbst dogmatisch unverrückbar geltender Grundannahmen.10 Ermöglicht wurden diese Veränderungen durch tiefgreifende mediale wie institutionelle Umbrüche der gelehrten Kommunikation und Wissensvermittlung.11 Das Aufkommen des Mediums der Zeitschrift als wissenschaftlichem Diskussionsforum entzog dabei die Religionsdebatten systematisch dem ursprünglichen Ort der universitären Disputation und damit der konfessionsgebundenen, theologischen Kontrolle. Darüber hinaus bot dieses neue Medium zunehmend auch Laien die Möglichkeit aktiver Partizipation an theologischen Debatten, wodurch die individuelle Urteilsbildung begünstigt wurde. Die Form der öffentlichen theologischen Kontroverse stellte keineswegs eine natürliche Konsequenz religiöser Aufklärungsideen dar, sondern setzte eine sehr spezifische Interaktion soziokultureller Dynamiken und ihrer theologischen auf die geheime Einwilligung des anderen, gewisse Rechnung machen. Ein Theil Menschen hat das Joch der Religion schon bereits abgeschuttelt; ein Theil des heranwachsenden Geschlechts möchte es gern abschutteln, um seinen Trieben ungestört zu folgen; ein Theil hängt nur noch durch die verkümmerte Halfter daran, die aus dem mühseligen Cathechismuszwange zurückgeblieben ist. Wie willkommen muß denen ein Reformator seyn, der sie vollends loshalftert, oder sie in ihrer Zügellosigkeit bestätigen will!“ (Johann Salomo Semler, in: Allgemeine deutsche Bibliothek 1780 [40. Bd., 2. St.], S. 416–428, hier S. 418). 10 Vgl. hierzu auch Karl Aners Untersuchungen zu den Debatten der Neologen zwischen 1760 und 1780 in: Aner, Die Theologie der Lessingzeit, S. 234–294. 11 Einen Überblick über sozial‑ und literaturwissenschaftliche Kontextualisierungen jenes historischen Transformationsprozesses bietet die Sammlung Hammer/Voss (Hg.), Historische Forschung im 18. Jahrhundert. Eine für die vorliegende Untersuchung methodisch wegweisende Studie liefert darin Dann, Das historische Interesse in der deutschen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts. Dann stellt nachdrücklich die Bedeutung des expandierenden Zeitschriftenwesens für das Aufkommen des historischen Interesses an der noch jungen Geschichtswissenschaft im 18. Jahrhundert heraus. Nach Dann bieten die Zeitschriften „ein heute noch verfügbares, aber noch kaum ausgeschöpftes Untersuchungsmaterial an, mit dessen Hilfe die Breitenwirkung einer Wissenschaft und der Stellenwert ihrer Themen in der gebildeten Öffentlichkeit analysiert werden können“ (S. 390). Danns entscheidendes Verdienst liegt darin, nicht nur den wissenschaftlichen Wandel in seiner konzeptionellen Entwicklung dargestellt, sondern nach den ihn leitenden Faktoren aufseiten der Rezipienten und deren politischen, kommerziellen und weiteren Interessen gefragt zu haben.
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Akzeptanz voraus, wie ein vergleichender Blick auf verschiedene deutsche wie europäische Territorien belegen kann. Die folgende Untersuchung will erstens jene medien‑ wie ideengeschichtliche Synthese der Kommunikation theologischer Umbrüche im Grundriss nachzeichnen. Zweitens will sie damit aufzeigen, inwiefern das Medium der gelehrten Zeitschriften diese „merkwürdige Revolution in den deutschen Köpfen“ (Nicolai) vorbereitete und ermöglichte. Einen Schwerpunkt wird dabei die Frage bilden, in welcher Weise das konfessionell gebundene religiöse Selbstverständnis der Gelehrten diese ‚Revolution‘ beförderte bzw. zu verhindern suchte und welch fundamentale Krisenerfahrung dieser Prozess für die religiöse Identität der Zeitgenossen darstellte.
2. Das Aufkommen öffentlicher Debatten zur historischen Bibelkritik Sucht man nach den Ursachen der „Revolution in den deutschen Köpfen“, so stellt sich zunächst die Frage nach dem Vorhandensein einer gemeinsamen Identität dieser „deutschen Köpfe“. Nicolais Formulierung verdeutlicht, dass es sich um einen kollektiven Prozess handelte, dessen Dynamik durch die Konzentration auf einzelne herausragende Autoren und ihre Werke nicht hinreichend erklärt werden kann. Die Untersuchung der Entstehung kollektiver Dynamiken soll dabei helfen, die eingangs erwähnte zeitliche Differenz zwischen dem Auftreten individueller Ideen und ihrer intellektuellen Breitenwirkung zu erläutern. Diese weisen vielfach eine merkwürdige Diskrepanz auf, wie beispielsweise Untersuchungen zur Rezeption Spinozas oder Diderots im deutschsprachigen Raum gezeigt haben.12 Hinzu tritt nicht selten eine bemerkenswerte inhaltliche Akzentverschiebung innerhalb des Rezeptionsprozesses, welche sich in teils stark voneinander abweichenden Auffassungen ein und desselben Werkes in unterschiedlichen gelehrten Kontexten äußern konnte.13 Geht der Historiker von der Analyse individueller Personen und Werke zur Betrachtung kollektiver Rezeptionsprozesse über, besteht oftmals die Gefahr der unzulässigen Verallgemeinerung und Nivellierung notwendiger lokaler oder temporaler Differenzierungen. Legitim kann diese Herangehensweise meines Erachtens dennoch unter anderem dann sein, wenn der Historiker zunächst von der zeitgenössischen Wahrnehmung kollektiver Identität, wie sie beispielsweise 12 Zur Spinoza-Rezeption in Deutschland vgl. Lauermann/M.-B. Schröder, Textgrundlagen der deutschen Spinoza-Rezeption im 18. Jahrhundert, bes. S. 55–57. Zur Rezeption Spinozas in der klandestinen Literatur vgl. unter anderem auch W. Schröder, Spinoza im Untergrund. 13 Exemplarisch sei hier verwiesen auf Anne Saadas Untersuchung der Rezeption Diderots in Deutschland: Saada, Inventer Diderot.
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in „den deutschen Köpfen“ von Nicolai selbst behauptet wird, ausgeht und versucht, den Anspruch und das Selbstverständnis jener kollektiven Identität mithilfe weiterer historischer Quellen zu rekonstruieren und zu evaluieren. Die Orientierung am Publikum der deutschen gelehrten Zeitschriften entspricht dabei dem aufklärerischen Anspruch eines möglichst grenzüberschreitenden, allgemein menschlichen Bildungs‑ und Erziehungsprogramms, welches mit grundlegenden gesamtgesellschaftlichen Strukturveränderungen wie gesteigerten Alphabetisierungsraten, Reformen des Bildungswesens, technischem Fortschritt oder der Etablierung neuer Geselligkeitsformen verbunden war.14 So nahmen bereits die Zeitgenossen sehr wohl wahr, dass sich seit Mitte des 18. Jahrhunderts auf fast allen Gebieten des menschlichen Zusammenlebens fundamentale Umbrüche vollzogen, welche die seit der Konfessionalisierung bestehenden Ordnungen des gesellschaftlichen wie religiösen Lebens nachhaltig zu verändern begannen. Trotz ihres idealistischen Anspruchs war den Herausgebern renommierter Zeitschriften wie Albrecht von Haller oder Friedrich Nicolai durchaus bewusst, dass sich ihre aufklärerische Wirkung „in den deutschen Köpfen“ vornehmlich auf die begrenzte Welt deutscher Gelehrter und Gebildeter15 und somit nur auf Zur zeitgenössischen Wahrnehmung der Bedeutung der Zeitschriften vgl. die Vorrede zu Beutler/Guths Muths, Allgemeines Sachregister über die wichtigsten deutschen Zeit‑ und Wochenschriften, S. II–III: „Durch die Zeitschriften wurden die Kenntnisse, welche sonst nur das Eigenthum der Gelehrten waren, und in Büchern aufbewahrt wurden, die der größre Theil der Nation nicht verstand, nicht lesen konnte, und nicht lesen mochte, diese Kenntnisse der Gelehrten wurden durch die Zeitschriften allgemein in Umlauf gebracht, gereinigt, und in die allgemeine Volkssprache übergetragen, und giengen nun gleich einer bequemen Scheidemünze durch aller Hände.“ 15 Zu den Gelehrten als Rezipientenkreis der Allgemeinen deutschen Bibliothek vgl. Ute Schneider, Friedrich Nicolais Allgemeine Deutsche Bibliothek als Integrationsmedium der Gelehrtenrepublik, S. 240–254. Zum Selbstverständnis des Gelehrtenmilieus vgl. die Beiträge in: Mulsow/Rexroth (Hg.), Was als wissenschaftlich gelten darf?. Explizit mit Friedrich Nicolais Darstellung des Gelehrten setzt sich darin Marian Füssel auseinander: M. Füssel, Die symbolischen Grenzen der Gelehrtenrepublik. Vgl. außerdem Barner, Lessing zwischen Bürgerlichkeit und Gelehrtheit. Zur Bedeutung der Zeitschriften für den gesellschaftlichen Umbruch in Deutschland vgl. Ruppert, Bürgerlicher Wandel, S. 118–137. Zum Wandel des Religionsverständnisses unter den Gebildeten vgl. Bödeker, Die Religiosität der Gebildeten. Zum Wandel der Gelehrten‑ zur Gebildetenrepublik vgl. Zorn, Deutsche Führungsschichten des 17. und 18. Jahrhunderts; Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 1, S. 204; Bosse, Gelehrte, S. 32: „Die ständische Unterscheidung von Gelehrten und Bürgern wird aufgehoben – vergessen, unsichtbar gemacht und fortgeführt – in der Unterscheidung von gebildeten Menschen und ungebildeten Menschen“. Bosse weist zugleich auf den wesentlichen Beitrag der Etablierung einer Nationalkultur zur Überwindung eines gelehrten Standesdenkens hin (S. 33): „Und der Bereich des Wissens, die res publica literaria, wird umdefiniert und umgeschaffen zur Nationalkultur; Klopstocks Deutsche Gelehrtenrepublik (1774) buchstabiert es durch. In einer frühen Aufzeichnung (1765/66) versucht schon Herder, die Opposition des Gelehrten und des Nichtgelehrten gleichsam genossenschaftlich aufzuheben: ‚Du Philosoph und du Plebejer! Macht einen Bund um nützlich zu werden‘, denn, vervollständigt er den Gedanken, ‚wir verlieren den Namen des patriotischen Volks, wenn wir Gelehrte sein wollen‘.“ (Bosse zitiert hier: Johann Gottfried Herder, „Wie die Philosophie zum Besten des Volkes allgemeiner und nützlicher werden kann“, in: Ders., Werke in 10 Bänden., Bd. 1, S. 124 und 113.) Dass jene Phase des freien 14
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einen sehr geringen Prozentsatz der deutschsprachigen Bevölkerung erstreckte.16 Die Reichweite der Subskribenten sowie die lokalen Multiplikationseffekte der Journale und ihrer Leser sorgten aber dafür, dass das Urteil der gelehrten Zeitschriften und ihrer Leserschaft weithin meinungsbildend wirkte.17 Anders als in England und Frankreich wird die Untersuchung des deutschsprachigen Raums durch dessen territoriale wie konfessionelle Pluralität erschwert, weshalb die Identifikation und Analyse eines maßgeblichen deutschen Gelehrtendiskurses vor spezifischen methodischen Herausforderungen steht. In den Ländern, wo eine einzige Hauptstadt der Sitz der Gelehrten vom ersten Range und zugleich der größten Anzahl der Leute ist, die Gelehrsamkeit und Geschmack besitzen, sind schriftliche Rezensionen, öffentliche freimütige Urteile von neuen Büchern, nicht so höchstnötig. Die neuen Schriften werden leicht bekannt, in allen Gesellschaften wird davon geredet, jedermann urteilet davon ohne Umstände, nach seiner Einsicht und nach seinem Geschmacke. Hier sind also die Rezensionen von keiner Wichtigkeit, und sie werden in Wissensdiskurses eine begrenzte Übergangsphase darstellt, darauf weist Bosse in seinem Aufsatz ebenfalls hin: „Mit der Diminuation der maßgeblichen Lateingrenze wird die Zirkulation des Wissens und der Kenntnisse neu geordnet. Die traditionelle Verquickung von Buchmarkt und Bildungsinstitutionen differenziert sich in freie und gebundene Größen. Gebunden sind einerseits die marktförmige Öffentlichkeit mit ihren Hauptsparten (Unterhaltung, Information, Meinungsbildung), andererseits die Institutionen Schule und Universität mit ihrem jeweiligen Wissen – dazwischen mehr oder weniger frei flottierende diskursive Komplexe wie Kunst und Bildung. Die selbstbestimmten, zukunftsoffenen, geselligen Energien der Bildung werden freilich nach 1800 zunehmend aufgefangen, gezähmt und wiederum dem Bildungswesen zugeführt. Das ist das Werk des Neuhumanismus; er unterwirft das revolutionäre Potential, staats‑ und lehrerfrei an und für sich selbst zu arbeiten, der behördlichen Durchplanung wie in Wilhelm von Humboldts klassischem Dreistufenmodell“ (a. a. O., S. 35). 16 Zu Nicolais Einschätzung der Reichweite der deutschen Gelehrtenwelt vgl. das Kapitel zur Allgemeinen deutschen Bibliothek II.2.2.2. 17 Ein Defizit der Zeitschriftenforschung zur Aufklärungszeit wurde von Otto Dann noch Anfang der 80er-Jahre des 20. Jahrhunderts konstatiert: „Die meinungsbildende Funktion dieser Journale im Zusammenhang der Aufklärungsbewegung, ihre Bedeutung für die Konstituierung eines neuen geschichtlichen Bewußtseins der bürgerlichen Gesellschaft in Deutschland ist bis heute kaum erkannt und noch nicht methodisch genutzt worden“ (Dann, Vom Journal des Scavants zur wissenschaftlichen Zeitschrift, S. 79, Anm. 7). Ähnlich äußerte sich Werner Krauss über die Erforschung der französischen Aufklärung: „Für das 18. Jahrhundert ist das eigentlich entscheidende Merkmal der neuen Literatur das Umsichgreifen der periodischen Publikationen. (…) Ohne die Umformung der öffentlichen Meinung im 18. Jahrhundert, die wesentlich das Werk der periodischen Publikationen war, wäre die Revolution überhaupt nicht zustande gekommen. (…) Der literarische Einfluß und die Bedeutung der periodischen Druckerzeugnisse lagen nicht nur in der Suggestionskraft der Rezensionen, sondern nicht minder in der Verbreitung der wissenschaftlichen Neuerscheinungen durch sachkundige, mit breiten Zitaten versehene Extrakte. Die Zeitschrift wurde durch diese Darbietungen zum wichtigsten Instrument der Ausbreitung neuer Errungenschaften und Fortschritte auf allen Wissensgebieten. Für die heutige Wissenschafts‑ und Philosophiegeschichte liegt in der Ignorierung der vermittelnden Rolle der Zeitschriften während des 18. Jahrhunderts eine zuweilen recht bedenkliche Fehlerquelle“ (Krauss, Über den Anteil der Buchgeschichte an der literarischen Entfaltung der Aufklärung, S. 94–95). Aufgrund der umfangreichen Digitalisierungsprojekte sowie detaillierter Studien zum Zeitschriftenwesen der Aufklärungszeit stellt sich die Forschungssituation heute deutlich verändert dar.
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diesen Ländern in der Tat sehr wenig geachtet. In Deutschland aber, wo die Liebhaber der Gelehrsamkeit in vielen weit von einander gelegenen Städten zerstreuet sind, sind die schriftlichen Rezensionen, sonderlich in gewissen Provinzen ganz unentbehrlich, und daher in Ansehung eines großen Teils der Leser von nicht geringer Wichtigkeit.18
Mithilfe des Mediums der Zeitschrift strebte man im deutschsprachigen Raum seit dem Ende des Siebenjährigen Krieges 1763 in verstärktem Maße danach, von Preußen ausgehend einen nationalen, gesamtdeutschen Diskurs nach dem Vorbild seiner westeuropäischen Nachbarländer zu etablieren. Die offene Diskussion freigeistiger Gedanken innerhalb eines Gelehrtendiskurses überschritt zunächst die Grenzen der seit der Reformation für die deutschen Territorialstaaten konstitutiven religiösen Bekenntnisbindung und ging im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts mancherorts sogar dazu über, den Wahrheitsanspruch der christlichen Offenbarung insgesamt infrage zu stellen. Diese Entwicklung betraf in besonderer Weise die protestantischen Territorien, in denen die reformatorischen Bekenntnisse und ihre obrigkeitliche Durchsetzung staatlicher‑ wie kirchlicherseits zunehmend in eine Legitimationskrise gerieten. Die territorialen Differenzen in der Akzeptanz individueller Abweichungen von den Bekenntnissen ging dabei unmittelbar einher mit einem sukzessiven Verlust der theologischen Deutungshoheit der universitären Theologie, welche im Modus der kontroverstheologischen Disputationen traditionell für die jeweilige Aktualisierung der Grenzen öffentlicher religiöser Äußerungen Sorge zu tragen hatte. An ihre Stelle trat – wie die Untersuchung zeigen soll – zunehmend der ‚freie‘ Diskurs unter Gelehrten und Gebildeten, welcher im Medium der öffentlichen Zeitschriftenkommunikation über Legitimität und Grenzen theologischer Aussagen zu entscheiden beanspruchte.19 Welchen Regeln, Interessen und Dynamiken 18 Nicolai, ‚Kritik ist überall, zumal in Deutschland, nötig‘, S. 216. Die Rückständigkeit des deutschen Aufklärungsdiskurses gegenüber Frankreich, England und den Niederlanden stellt somit nicht nur eine nachträgliche historische Fiktion des 19. Jahrhunderts dar, sondern entspricht der zeitgenössischen Wahrnehmung unter vielen deutschen Gelehrten. Vgl. hierzu Kapitel II zur Entwicklung des deutschen Zeitschriftenwesens. 19 Welch nachhaltigen Einfluss die Zeitschriften auf die Gelehrtenkommunikation ausübten, verdeutlicht folgender Passus aus oben bereits zitierter Vorrede (vgl. Anm. 14) zu Beutler/ Guths Muths, Allgemeines Sachregister über die wichtigsten deutschen Zeit‑ und Wochenschriften, S. IV–V: „die Gelehrsamkeit selbst hat durch sie gewonnen, die Summe der menschlichen Kenntnisse ist durch sie vergrößert, alle Fächer der Wissenschaften haben durch sie Zuwachs erhalten; die Gelehrten selbst kamen nun in nähere Verbindung, es wurde ihnen leichter, sich mit einander über streitige Punkte zu besprechen, ihre neuen Ideen, Erfahrungen und Versuche einander zur Prüfung und Untersuchung vorzulegen, sie mehr ins Licht zu setzen, die Einwürfe zu heben, die wirklichen Mängel zu verbessern, und das Ganze immer mehr zu vervollkommnen. Jeder fand hier die bequemste Gelegenheit, ohne erst lange einen Verleger suchen und ohne fürchten zu dürfen, daß seine Abhandlung das gewöhnliche Schicksal aller fliegenden Blätter haben würde, weniger bekannt und bald vergessen zu werden, er fand hier die beste Gelegenheit, ohne genöthigt zu seyn, sich weiter zu erkennen zu geben, Fragen aufzuwerfen, neue Ideen zur Prüfung vorzulegen, oder über irgend eine im Streit liegende Materie oder Frage frey und offenherzig seine Meinung zu sagen, sie entweder mit neuen Gründen zu unterstützen oder
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jener ‚freie‘ Diskurs folgte und welche Sanktionierungsmaßnahmen er von sich aus entwickelte, wird dabei eigens zu analysieren sein. Jene zuvor beschriebenen institutionellen Veränderungen des Gelehrtendiskurses bilden den strukturellen Hintergrund für die wissensgeschichtlichen Umbrüche, welche sich in den Jahren zwischen 1750 und 1780 in Deutschland vollzogen.20 Indem Zeitschriften als Medium gelehrter Kommunikation einen gesamtdeutschsprachigen Diskurs etablierten, der in besonderer Weise durch die Berliner Aufklärung um Friedrich Nicolai forciert und geprägt wurde, lassen sich trotz der lokalen und sozialen Differenzen der beteiligten Akteure und ihrer theologischen Positionen Grundzüge eines grenzübergreifenden Transformationsprozesses des Schrift‑ und Religionsverständnisses ausmachen. Ein Vergleich der Rezensionen verschiedener gelehrter Journale hilft dabei, unterschiedliche Impulse und Reaktionsschemata auf ebenjene Veränderungsprozesse wahrzunehmen und die Auseinandersetzung mit diesen fundamentalen Umbrüchen religiösen Selbstverständnisses zu skizzieren.
3. Methodik: Rezeptions‑ und Diskursanalyse anhand der gelehrten Zeitschriften21 3.1 Die Zeitschrift als Medium des Gelehrtendiskurses Nicht zuletzt die alle Gesellschaftsbereiche durchdringenden Auswirkungen der Revolutionen medialer Kommunikation im 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts haben ein gesteigertes Interesse an der Erforschung der Kommunikations‑ und als unrichtig und ungegründet zu widerlegen; und durch diese wissenschaftliche Friktion der guten Köpfe, durch dies Vertheidigen und Widerlegen hat die Wahrheit überaus viel gewonnen.“ 20 Otto Dann weist darauf hin, dass die Zeitschriften für das Selbstverständnis der Wissenschaften wie die Etablierung neuer Organisationsformen eine konstitutive Rolle in der Aufklärung gespielt haben: „Wir sehen die Zeitschriften demnach in einem engen Zusammenhang mit der Entstehung von Organisationsformen, die für die moderne bürgerliche Gesellschaft von fundamentaler Bedeutung werden sollten. (…) Blickt man über die Geschichtswissenschaft und ihre Sonderbereiche hinweg auf die Gesamtentwicklung der Wissenschaften im 18. Jahrhundert, dann wird deutlich, daß es nicht nur fachinterne Spezialisierungen waren, sondern selbst auch neue Wissenschaften, die sich auf der Ebene von Zeitschriften zuerst herauskristallisiert haben“ (Dann, Vom Journal des Scavants zur wissenschaftlichen Zeitschrift, S. 74–75). Vgl. hierzu außerdem Ute Schneider, Die Funktion wissenschaftlicher Rezensionszeitschriften im Kommunikationsprozeß der Gelehrten. 21 Im Unterschied zu Zeitschriften und Journalen, die als älteste Rezensionsformen gelten, umfassten Zeitungen ursprünglich vornehmlich tagesaktuelle Informationen. Dennoch lässt sich, wie bereits die Titel der in dieser Arbeit verwendeten Rezensionsorgane verdeutlichen, im 18. Jahrhundert keine scharfe Trennlinie zwischen den drei Benennungen ziehen. Als Kollektivbezeichnungen werden daher in der Arbeit von mir die Begriffe Zeitschrift und Journal synonym verwendet, Zeitung aufgrund der genannten Konnotation dagegen lediglich in Eigennamen. Zur Abgrenzung des Begriffs der gelehrten Zeitschriften gegenüber anderen
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Mediengeschichte22 hervorgerufen, in deren Zuge sich die Untersuchung medialer Kommunikation als Gegenstand eigenständiger wissenschaftlicher Disziplinen etablierte. Das Aufkommen des europäischen Zeitschriftenwesens Ende des 17. Jahrhunderts sowie dessen Blüte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Deutschland hat jedoch bereits sehr viel früher die Aufmerksamkeit literaturwissenschaftlicher und sozialgeschichtlicher Forschungen auf sich gezogen. Aufgrund der kaum zu überblickenden Fülle des rasant wachsenden Zeitschriftenmarktes erkannte man bereits Ende des 18. Jahrhunderts die Notwendigkeit der systematischen Erfassung der Rezensionszeitschriften.23 Joachim Kirchner legte mit seinen Schriften Die Grundlage des deutschen Zeitschriftenwesens: Mit einer Gesamtbibliographie der deutschen Zeitschriften bis zum Jahre 1790 (1929/1931) und Das deutsche Zeitschriftenwesen: Seine Geschichte und seine Probleme (1942) bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Standardwerke der deutschen Zeitschriftenforschung vor.24 Im Folgenden gerieten zudem die kulturellen und institutionellen Umstände der Lesekultur der Aufklärungszeit ins Blickfeld literaturhistorischer Untersuchungen.25 Verstärkte Aufmerksamkeit fand dabei die Popularisierung der Aufklärung, welche über die akademisch gelehrten und bürgerlichen Milieus hinaus verstärkt nach Entwicklungen der Volksaufklärung fragte, wobei Literaturformen wie Predigten, Schul‑ oder Liederbücher ins Zentrum des Interesses rückten. Zeitschriftenformen der Aufklärungszeit vgl. Habel, Gelehrte Journale und Zeitungen der Aufklärungszeit, S. 13–35 und 65–76. Zu den Schwierigkeiten der Abgrenzung und zum Wandel der Zeitschriftengattungen vgl. auch Kapitel II.1. zur Entwicklung des deutschen Zeitschriftenwesens. 22 Vgl. hierzu unter anderem Faẞler/Halbach (Hg.), Geschichte der Medien; Faulstich, Mediengeschichte von den Anfängen bis ins 3. Jahrtausend; Wenzel, Mediengeschichte vor und nach Gutenberg; Wilke, Grundzüge der Medien‑ und Kommunikationsgeschichte; Bösch, Mediengeschichte. 23 Zu den ersten Erschließungen des Zeitschriftenwesens gehören Beutler/Guts Muths, Allgemeines Sachregister über die wichtigsten deutschen Zeit‑ und Wochenschriften (1790), und Ersch (Hg.), Repertorium über die allgemeinen deutschen Journale und andere periodische Sammlungen für Erdbeschreibung, Geschichte und die damit verwandten Wissenschaften (3 Bde., 1790–1792). Zu den Anfängen der systematischen Erschließung des Zeitschriftenwesens vgl. Habel, Gelehrte Journale und Zeitungen der Aufklärung, S. 326–331. 24 Einen Überblick über die Entwicklung des deutschen Zeitschriftenwesens liefern unter anderem Lindemann, Geschichte der deutschen Presse, Teil 1; Wilke, Literarische Zeitschriften des 18. Jahrhunderts; Böning/Moepps (Hg.), Deutsche Presse. Faulstich, Die bürgerliche Mediengesellschaft (1700–1830); Wittmann, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 121– 217; Stöber, Deutsche Pressegeschichte, S. 61–117; Würgler, Medien in der frühen Neuzeit, S. 32–64. Vgl. auch den Sammelband Doering-Manteuffel (Hg.), Pressewesen der Aufklärung. 25 Vgl. hierzu unter anderen folgende Werke: Engelsing, Analphabetentum und Lektüre, S. 45–89; Ders., Der Bürger als Leser; Kiesel/Münch, Gesellschaft und Literatur im 18. Jahrhundert; Grimminger (Hg.), Deutsche Aufklärung bis zur Französischen Revolution; Dann (Hg.), Lesegesellschaften und bürgerliche Emanzipation; Bödeker/Herrmann (Hg.), Über den Prozess der Aufklärung in Deutschland im 18. Jahrhundert; Bödeker (Hg.), Lesekulturen im 18. Jahrhundert.
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Für den Aufklärungsdiskurs unter den Gelehrten und Gebildeten wird den verschiedenen Gattungen der Zeitschriften insofern die Funktion als „Schlüsselmedien“ zugesprochen, als ihnen als interaktivem Kommunikationsmedium eine wesentlich dynamisierende Funktion im Aufklärungsprozess zukommt.26 Die Leserschaft des 18. Jahrhunderts informierte sich vielfach in erster Linie anhand von Rezensionen über literarische Neuerscheinungen und Ereignisse der intellektuellen Welt und bildete sich anhand dessen ihr Urteil. Die große Verbreitung der Zeitschriften, die Kurzweiligkeit ihrer Artikel sowie die Mehrfachlektüre ihrer Exemplare verliehen den Rezensionen ein besonderes Gewicht in der Vermarktung von Publikationen und bestimmten vielfach über deren Erfolg oder Misserfolg. Aufschlussreich sind dabei zudem die Ergebnisse der im 18. Jahrhundert aufkommenden akademischen Disziplin der Statistik, welche in Zahlen die Entwicklung sozialer Dynamiken wie beispielsweise des Bevölkerungswachstums, der Analphabetenraten und andere wichtige Daten erstmals systematisch erfasste, anhand derer die Wirkungsprozesse in ihrer Reichweite konkreter nachvollzogen werden können. Die Reziprozität der Kommunikation über Zeitschriften lässt zudem Rückschlüsse über potentielle und tatsächliche Leserschaft, die Reichweite der Auflagen und konkrete Verbreitungswege zu. Untersuchungen der Kommunikations‑ und Literaturwissenschaften haben diesbezüglich bereits wegweisende Vorarbeiten geleistet, auf welche in der Untersuchung Bezug genommen wird. Für die Analyse der Rezeption geistesgeschichtlicher Umbrüche und Entwicklungen besitzen die gelehrten Journale einen wesentlichen Vorzug, indem sie sowohl Aufschluss über die Wahrnehmung des zeitgenössischen Gelehrtenmilieus gaben als auch zugleich ein Forum für dessen Artikulation boten. Anhand der Rezensionen und Beiträge in den gelehrten Journalen lässt sich somit nicht nur der unmittelbare Rezeptionsprozess eines Werkes rekonstruieren, sondern können zugleich gezielte Reaktionsmechanismen der Gelehrtenwelt analysiert werden. Die Analyse einzelner Debatten veranschaulicht dabei exemplarisch, wie sich in den Jahren 1750 bis 1785 unter dem Eindruck sich wandelnder Diskursstrukturen das Religionsverständnis nicht nur einzelner Autoren, sondern eines breiteren Gelehrten‑ und Gebildetenmilieus fundamental zu transformieren begann.
3.2 Auswahl der Zeitschriften Der gesamten Studie zugrunde liegen in erster Linie Rezensionen einflussreicher gelehrter Journale und Zeitschriften im Zeitraum von 1750 bis 1785. Unter Ihnen nehmen die Göttingischen Anzeigen von gelehrten Sachen sowie die Allgemeine deutsche Bibliothek eine hervorgehobene Stellung ein, weshalb diese Vgl. hierzu besonders Raabe, Die Zeitschrift als Medium der Aufklärung.
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im Folgenden als maßgebliche Quellen dienen. Aufgrund ihrer exzeptionellen Reputation übernahmen beide Zeitschriften zeitweise die Funktionen intellektueller ‚Leitmedien‘ des Gelehrtendiskurses, deren Urteil überregionale Geltung beanspruchen konnte. Untersucht werden zudem gelehrte Journale aus Universitäts‑ oder Verlagsorten wie Leipzig, Tübingen, Jena, Rostock, Erlangen, Hamburg oder Zürich, deren Urteile eine gewisse lokale Vielfalt widerspiegeln und bereits von den Zeitgenossen als relevant betrachtet wurden. Eine detailliertere strukturelle Betrachtung der Göttingischen Anzeigen und der Allgemeinen deut‑ schen Bibliothek zu Beginn dieser Arbeit veranschaulicht wesentliche Dynamiken des gelehrten Journalwesens im 18. Jahrhundert und beschreibt zugleich den Übergang von der deutschen Gelehrten‑ zur Gebildetenrepublik, wodurch sich die Kommunikationsstrukturen maßgeblicher Religionsdebatten nachhaltig veränderten. Dass diese Entwicklung nicht ohne dauerhafte Auswirkungen auf das religiöse Selbstverständnis der beteiligten Akteure bleiben konnte, offenbart die zugleich wahrnehmbare Popularisierung theologischer Argumentationsmuster, welche eine umfassende Neubegründung der Verankerung religiöser Gewissheit erforderlich machte.27 Die Breite der Zeitschriftenlandschaft im 18. Jahrhundert lässt keine Vollständigkeit der Auflistung aller zu einem Werk erschienenen Reaktionen zu, weshalb vornehmlich diejenigen Zeitschriften und Rezensionen in den Blick genommen werden, welche in ihrem Urteil über eine reine Inhaltsangabe der jeweiligen Publikationen hinausgehen und anhand eigenständiger Stellungnahmen aktiv in die Debatte und Rezeptionssteuerung eingreifen. Dennoch werden gelegentlich auch rein referierende Rezensionen zu Vergleichszwecken herangezogen, sofern die Selektion der wiedergegebenen Inhalte bereits Aufschluss über die zeitgenössische Interessenlage der Redakteure bzw. Leserschaft geben kann. Die teils nur wenige Jahre umfassende Existenz einzelner Organe begründet die Vielfalt der Zeitschriften, die zur Analyse herangezogen werden müssen. Ein Vergleich mit der Rezeption eines Werkes in fremdsprachigen Journalen kann für den Blick auf den deutschen Gelehrtendiskurs in einigen Fällen erhellend sein und wird daher an entsprechenden Stellen vorgenommen.
27 Eines der ersten und prominentesten Beispiele ist Johann Joachim Spaldings Erfolgsschrift Betrachtung über die Bestimmung des Menschen (1748). Zu seinem Beitrag zur Popularisierung der Theologie vgl. Beutel, Johann Joachim Spalding. Die Popularisierung der Theologie bildet die Voraussetzung für die anthropologische Wende, welche in ihrer umfassenden systematischen Ausarbeitung zumeist erst mit dem Werk Schleiermachers verbunden wird. Zum Verhältnis des Religionsverständnisses bei Spalding und bei Schleiermacher vgl. Beutel, Aufklärer höherer Ordnung?. Die Untersuchung der Debatte um Gottfried Less’ Beweiß der Wahrheit der christlichen Religion soll exemplarisch zeigen, wie sich jene von Spalding und den Neologen vollzogene anthropologische Neuorientierung im Gelehrtendiskurs auf den Übergang der historischen zur anthropologisch-moralischen Schriftbegründung auswirkte (vgl. dazu Kapitel VII zur Debatte um Gottfried Less’ Beweiß der Wahrheit der christlichen Religion).
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Um die Dynamik des Rezeptionsprozesses zu beschreiben, bedarf es sowohl der synchronen Analyse unterschiedlicher Zeitschriften, um Homogenität und Diversität der unmittelbaren Rezeption eines Werkes zum Zeitpunkt seiner Publikation zu erfassen, als auch des diachronen Vergleichs, um Kontinuitäten und Brüche im Rezeptionsverlauf einzelner Zeitschriften wahrnehmen zu können. Für die Auswahl der Debatten wird somit die Veröffentlichung eines Werkes vorausgesetzt, welches eine namhafte Anzahl an Gegenschriften sowie kontroverser Rezensionen hervorrief und für einen gewissen Zeitraum in den führenden gelehrten Journalen im Fokus blieb. Bei der Durchsicht der Zeitschriftenregister lässt sich feststellen, dass die Jahre von 1750 bis 1785 ein besonders hohes Interesse an Debatten zur historischen Bibelkritik aufweisen. Die Darstellung folgt daher der zu beobachtenden Rezeptionsdichte bestimmter zeitgenössischer Werke anhand der Anzahl ihrer Aufnahmen in die Registerkataloge der Zeitschriften bzw. eigens edierter Publikationslisten einzelner Debatten. Anhand dieses an den Zeitschriftenregistern orientierten Verfahrens soll eine Fokussierung auf ideengeschichtlich kanonisierte Autoren und Werke vermieden und die zeitgenössische Wahrnehmung ins Zentrum gerückt werden. Ausgewählt wurden solche Debatten, die als Kristallisationspunkte von Transformationsprozessen gelten können, das heißt, die bereits von ihren Zeitgenossen als ideen‑ wie diskursgeschichtliche Brüche wahrgenommen wurden, die über ihren individuellen Fall hinaus Prinzipienfragen der Aufklärungszeit thematisierten.28 Ziel der Diskursanalyse soll es sein, über die argumentative Auseinandersetzung hinaus spezifische Kommunikationsstrukturen und deren Wandel in den Blick zu nehmen. Inhalt und Kommunikationsform, das soll die Arbeit zeigen, gehen in allen Fällen eine spezifische, sich gegenseitig bedingende Interaktion ein, in welcher sich nicht nur die inhaltlichen Positionen wechselseitig transformierten, sondern auch die sich wandelnden Kommunikations‑ und Partizipationsformen den Gegenstand des Diskurses beeinflussten. Zugleich aber wird deutlich, inwiefern bereits bestehende Interpretationsmuster individueller wie kollektiver religiöser Identität maßgeblich dazu beigetragen haben, veränderte Kommunikationsformen zu adaptieren, zu forcieren oder gar selbst hervorzubringen und damit die theologische Debattenkultur nachhaltig zu verändern.
28 Der öffentlichen Debatte als bevorzugtes Forum des aufklärerischen Gelehrtendiskurses wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche Studien gewidmet. Erwähnt seien hier lediglich Freund, Theologie im Widerspruch; Goldenbaum, Appell an das Publikum, Teil 1; Vogel, Der Untergang der Gesellschaft Jesu als europäisches Medienereignis (1758–1773); Beutel, Spalding und Goeze und die Bestimmung des Menschen; Lifschitz, Language and Enlightenment.
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3.3 Auswahl der Debatten Sucht man nach gelehrten Debatten im deutschsprachigen Raum, in denen der Wahrheitsanspruch der Bibel zum ersten Mal aufgrund historischer Kritik infrage gestellt wurde, so treten sie verstärkt seit 1740 im Schnittpunkt verschiedener Wissenschaftskontexte auf. Zu ihnen gehört die beginnende positive Rezeption des englischen Deismus in Deutschland ebenso wie die für Furore sorgenden Publikationen französischer Materialisten mit ihren naturwissenschaftlichen Welterklärungstheorien gegen Ende der 1740er-Jahre. Zu den Voraussetzungen zu zählen ist jedoch auch die Blüte der biblisch-philologischen Studien an deutschen Universitäten wie Leipzig, Jena, Halle oder Göttingen, deren Konsequenzen für das bis dahin allgemein biblisch fundierte Weltbild in den gelehrten Journalen ausgiebig diskutiert wurden. Die ausgewählten Debatten, die in den 1750er‑ bis 1760er-Jahren ihren Ausgang nahmen, thematisieren somit exemplarisch die Auseinandersetzung mit den Einflüssen der englischen und französischen Aufklärung, mit denen sich die deutsche protestantische Theologie aufgrund der beschleunigten Kommunikation – auch mittels der Zeitschriften – seit 1750 zunehmend zu befassen verpflichtet sah. Voraussetzung für den hierdurch angestoßenen Transformationsprozess des Schriftverständnisses war jedoch das Bestehen einer innerprotestantischen Debattenkultur im Ringen zwischen Pietisten, Orthodoxen und Rationalisten, wie sie sich bereits in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in verdichteter Form in Halle entwickelt hatte. In der Diskussion um Johann Salomo Semlers Entwurf einer Studienreform im Kontext des Halleschen Pietismus zeigen sich somit wesentliche Dynamiken der umstrittenen Auseinandersetzung der lutherischen Theologie mit den innerprotestantischen Ausdifferenzierungsprozessen einerseits sowie der westeuropäischen Religions‑ und Bibelkritik andererseits. Anhand der vierten, abschließenden Kontroverse lassen sich die Versuche der systematischen Neubegründung des protestantischen Schriftverständnisses seitens der Göttinger Aufklärungstheologen nachvollziehen, wobei insbesondere die Reaktionen innerhalb der Berliner Aufklärung als Zentrum des bürgerlich gebildeten Aufklärungsdiskurses in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in den Blick genommen werden. Allen Debatten gemeinsam ist der aufklärerische Impetus des Ringens um die öffentliche Meinung, infolge dessen sich sowohl die medialen Kommunikationsstrategien wie die inhaltlichen Argumente an die neuen geistigen und gesellschaftlichen Gegebenheiten anpassen mussten. Den Ausgangspunkt bildete meist die Publikation eines Werkes oder seiner deutschen Übersetzung. An ihr entzündete sich eine publizistische Kontroverse, deren zeitliche Begrenzung aufgrund über Jahre folgender Beiträge vielfach schwer zu definieren ist. Bewusst sind die Untersuchungen über die unmittelbare Rezeption eines Werkes hinaus ausgedehnt worden und spätere Reaktionen sowie Neueditionen der
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Werke, welche die im Streit der Meinungen geäußerte Kritik aufnehmen und verarbeiten, mit in den Blick genommen. Gerade an ihnen lassen sich die Umbrüche veränderter Reaktionsmuster aufzeigen und zugleich der Wandel des Gelehrtendiskurses im Umgang mit historischer Religions‑ und Bibelkritik darstellen. Der Zeitraum der letzten Debattenanalyse erstreckt sich dabei bis in die Mitte der 1780er-Jahre, um neben dem Prozess der Auswirkung des gewandelten Gelehrtendiskurses auf die dogmatischen Lehrbücher zugleich den Bedeutungswandel und ‑rückgang der historischen Auseinandersetzung um die Heilige Schrift anzudeuten. Nicht zuletzt aufgrund der Ausdifferenzierung wissenschaftlicher Kontroversen, des Aufstiegs antirationalistischer Gegenbewegungen oder des Eingriffs obrigkeitlicher Zensurmaßnahmen hatte das öffentliche Interesse am Streit der Gelehrten über die historische Bibelkritik seinen Zenit Ende der 1780er-Jahre bereits überschritten.
3.4 Digitale Erschließungsmethoden des Mediums der Zeitschriften Die unüberschaubare Fülle der im Laufe des 18. Jahrhunderts publizierten Zeitschriften und Journale stellt für die Erschließung dieses umfangreichen Materials eine besondere Herausforderung dar.29 Auf der Suche nach Debattenbeiträgen in Zeitschriftenbänden lassen die in den Registern angeführten Titel der Werke oftmals lediglich vage Rückschlüsse über den konkreten Inhalt einer möglicherweise substantiellen Debattenbeitrags zu. Für den Historiker hilfreiche Orientierung bieten dabei Zeitschriftenregister wie die der Göttingischen Anzeigen mit ihren nach akademischen Disziplinen gegliederten Verzeichnissen, um eine systematische Auswertung der teils mehr als tausend Seiten umfassenden Zeitschriftenjahrgänge vorzunehmen. 29 Diese Schwierigkeit bestand bereits für die Zeitgenossen im 18. Jahrhundert, wie Christoph Beutler in der Vorrede zum Allgemeinen Sachregister über die wichtigsten deutschen Zeit‑ und Wochenschriften beschreibt: „jeder der über irgend eine Materie sich zu belehren wünscht, darf nur getrost zu diesem Magazin der Wissenschaften seine Zuflucht nehmen, und er kommt gewiß nicht unbereichert und unbefriedigt zurück; nur muß er wissen, in welchem Fache jenes großen Magazins er suchen, und wo er nachschlagen muß, er muß eine genaue Lokalkenntnis haben. Diese Kenntnis aber zu erlangen, ist wegen der ursprünglichen Einrichtung dieses Magazins allerdings mit manchen Schwierigkeiten verbunden; mehrere und immer die wichtigsten unter den periodischen Schriften sind nicht nur vermischten Inhalts und verbreiten sich über mehrere Wissenschaften, sondern selbst die, welche auf einzelne Fächer sich einschränken, liefern doch nur einzelne Abhandlungen, ohne an eine bestimmte Ordnung sich zu binden, oder ein gewisses System anzunehmen, und dadurch wurden die Materien getrennt, und das, was über Einen Gegenstand gesagt und verhandelt worden ist, steht an mehrern Orten zerstreut, und muß also von dem, der über diesen Gegenstand sich belehren will, erst zusammengesucht und zusammen getragen werden; und je mehr diese Schriften zu vielen Bänden anwachsen, desto mühsamer u. schwerer wird dieß Sammlen, mit desto größern Schwierigkeiten ist der Gebrauch dieser Schriften verbunden“ (Vorrede, S. VI–VII).
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Die neuen Möglichkeiten der Digitalisierung sowie das gesteigerte Interesse an der Rezeptions‑ und Kommunikationsgeschichte veranlassten seit 1975 die Initiierung zweier groß angelegter Forschungsprojekte der Göttinger Akademie der Wissenschaften zur schrittweisen Erschließung, Digitalisierung und Katalogisierung der Rezensionszeitschriften der Aufklärungszeit.30 Anhand dessen ist es inzwischen möglich, einzelne Artikel sowohl unter bibliographischen wie inhaltlichen Stichworten zu lokalisieren. Ergänzt werden diese Zugriffsmöglichkeiten durch das seit dem Jahr 2000 laufende Digitalisierungsprojekt der Universität Bielefeld „Retrospektive Digitalisierung wissenschaftlicher Rezensionsorgane und Literaturzeitschriften des 18. und 19. Jahrhunderts aus dem deutschen Sprachraum“, womit nun auch der Zugriff auf Digitalisate der Zeitschriftenartikel ermöglicht wurde. Das seit 2011 unter dem Titel „Gelehrte Journale und Zeitungen als Netzwerke des Wissens im Zeitalter der Aufklärung“ fortgesetzte Forschungsprojekt der Göttinger Akademie in Kooperation mit der Universitätsbibliothek Leipzig und der Staatsbibliothek München wird bis 2025 weitere 65 Zeitschriften mit 765 Bänden in 410.000 Datensätzen in einer interaktiven Internetdatenbank verfügbar machen. Indem die Digitalisierungsprojekte Orientierungsmöglichkeiten in zuvor kaum zu bewältigenden Textmassen geschaffen haben, ist die Bearbeitung des aufschlussreichen Zeitschriftenmaterials für diese Arbeit letztlich erst ermöglicht worden. Dieses Material als wertvolle Quelle der Aufklärungsforschung in Zukunft verstärkt zu erschließen, dazu möge die vorliegende Untersuchung ermutigen.
30 Die beiden Projekte lassen sich unter den Titeln „Index deutschsprachiger Zeitschriften (1975–1986)“ und „Index deutschsprachiger Rezensionszeitschriften (1987–2007)“ im Internet finden.
Kapitel II
Gelehrte Zeitschriften im Wandel der Kommunikations‑ und Gesellschaftskultur des 18. Jahrhunderts 1. Die Entwicklung des deutschen Zeitschriftenwesens im 18. Jahrhundert 1.1 Die Anfänge der gelehrten Zeitschriften So wie die Reformation ohne die Erfindung des Buchdruckes weder in ihrer medialen Entfaltung noch in ihren thematischen Ausrichtungen wie ihrer Wortzentrierung zu verstehen ist, so lässt sich auch die Entwicklung der protestantischen Theologie der Aufklärungszeit nicht ohne einen detaillierteren Blick auf die Interaktion der protestantischen Theologie mit den veränderten Kommunikationsformen des 18. Jahrhunderts verstehen. Zu den Faktoren für die gesellschaftlichen, politischen und religiösen Umwälzungen der Aufklärungszeit zwischen 1700 und 1800 zählten unter anderem eine Verdoppelung der Einwohnerschaft des deutschen Reiches, der Beginn der Verstädterung, die Rationalisierung der Ökonomie durch neue Agrartechniken und Manufakturen oder der wachsende überseeische Handel.1 Die sukzessive Auflösung des Feudalwesens, der Übergang in staatlich organisierte Herrschaftsformen, der Ausbau von 1 Auf die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Veränderungen des 18. Jahrhunderts und ihre Auswirkungen auf die Kommunikationsbedingungen wird unten noch genauer einzugehen sein. Als Überblick vgl. unter anderem Engelsing, Der Bürger als Leser; Dann (Hg.), Lesegesellschaften und bürgerliche Emanzipation; Jentsch, Zur Geschichte des Zeitungslesens in Deutschland am Ende des 18. Jahrhunderts; Kiesel/Münch, Gesellschaft und Literatur im 18. Jahrhundert; Wittmann, Geschichte des Deutschen Buchhandels, S. 186–217; Ders., Buchmarkt und Lektüre im 18. und 19. Jahrhundert; Fischer/Haefs/Mix (Hg.), Von Almanach bis Zeitung; Lindemann, Geschichte der deutschen Presse, Teil 1; Stöber, Deutsche Pressegeschichte; Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 1, S. 35–346, siehe bes. S. 303–346. Wehler weist darauf hin, dass Städte an sich noch keineswegs Zentren „sozioökonomischen Wandels“ darstellten. Dies leisteten vor allem Hafen-, Handels‑ und Gewerbestädte (vgl. a. a. O., S. 336). Vgl. Hammerstein/Herrmann (Hg.), Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. II. Zur Entwicklung neuer gelehrter Vergesellschaftungsformen vgl. Zaunstöck, Sozietätslandschaft und Mitgliederstrukturen; Döring/Nowak (Hg.), Gelehrte Gesellschaften im mitteldeutschen Raum (1650–1820), 3 Teile; Döring, Die mitteldeutschen Kollegien des 17. und frühen 18. Jahrhunderts als Vorläufer und Vorbilder der wissenschaftlichen Akademien.
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II. Gelehrte Zeitschriften im Wandel der Kommunikations‑ und Gesellschaftskultur
Verwaltungs‑ und Schulwesen sowie die Etablierung eines umfangreichen Beamtenapparats eröffneten vielen Menschen neue Möglichkeiten des wirtschaftlichen und sozialen Aufstiegs. Die Begeisterung für die Fortschritte naturwissenschaftlicher und technischer Erkenntnisse sowie die Einsicht in deren wirtschaftliche und politische Nutzbarkeit trugen wesentlich zu einem wachsenden Bedürfnis nach Partizipation und Förderung jenes Wissens bei, welches vielfach durch die Landesherren zur technischen Entwicklung und Kultivierung des eigenen Landes gefördert wurde. Neue Organisations‑ und Geselligkeitsformen wie beispielsweise die Bildung privater gelehrter Gesellschaften wurden aufgrund ihres gesellschaftlichen Nutzens durch staatliche Unterstützung in wissenschaftliche Gesellschaften und Akademien überführt. So entstanden seit Beginn des 17. Jahrhunderts die ersten europäischen Akademien wie die Accademia Nazionale dei Lincei 1603 in Italien, die Académie française 1635 und die Académie des sciences 1666 in Frankreich, die Royal Society 1660 in England oder die Academia Naturae Curiosorum 1652 in Deutschland. Das Austauschen und Verfügbarmachen neuer Erkenntnisse zum Zweck der sozial-politischen Anwendung stellte ein genuines Interesse dieser wissenschaftlichen Gesellschaften dar, das durch die Gründung eigener Zeitschriften als effektiver Kommunikationsform seine konkrete Realisierung erfuhr. Die umfassende Orientierung an den Entwicklungen und Fortschritten der westeuropäischen Akademien und Gesellschaften verdeutlicht, dass die Entwicklung des deutschen gelehrten Journalwesens von Anfang an eine gesamteuropäische Dimension umfasste. Nach den Verheerungen des Dreißigjährigen Krieges besaßen sowohl Frankreich als auch England aufgrund ihrer zentralistischen Ausrichtung auf die Metropolen London und Paris andere wirtschaftliche und kulturelle Entwicklungsmöglichkeiten als die Vielzahl kleinerer deutscher Territorialstaaten. Der ständige Wechsel des Sitzes der deutschen Academia Naturae Curiosorum sowie die zahlreichen Gründungen neuer Akademien (Brandenburg 1700; Göttingen 1751; Bayern 1759; Kurpfalz 1763) in Deutschland exemplifizieren die unterschiedlichen Entwicklungskontexte gelehrter Kommunikation in Deutschland und seinen vielfach bewunderten westeuropäischen Nachbarn. Als maßgebliches Vorbild innovativer Kommunikationsformen galt das 1665 vom Pariser Literaten und Juristen Denys de Sallo (1626–1669) gegründete Journal des Scavants. Nicht nur in Aufbau und Konzeption orientierte man sich anfangs eng am französischen Vorbild, sondern auch im bevorzugten Interesse der Kommunikation naturwissenschaftlicher Erkenntnisfortschritte.2 Für die ursprüngliche Intention der Gründung der ersten gelehrten Journale erweist sich ein Blick in das Vorwort des Journal des Scavants als aufschlussreich, worin die Ziele jenes Zum spezifischen Beitrag der Sozietätsgeschichte zur Zeitschriftenforschung vgl. Henkel, Sozietätsgeschichte und Zeitschriften. 2 Zum Einfluss der westeuropäischen Zeitschriften auf die Entstehung der deutschsprachigen gelehrten Journale vgl. Habel, Gelehrte Journale und Zeitungen der Aufklärungszeit, S. 46–58.
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ersten europäischen gelehrten Journals genannt werden. Neben der Information über Neuerscheinungen und gelehrte Persönlichkeiten findet sich an erster Stelle das inhaltliche Interesse an physikalischen und chemischen Experimenten, welche zur Erklärung der Natur dienen sollten.3 Ebenfalls von Interesse waren Maschinen sowie neue Erfindungen und Entdeckungen in Chemie, Astronomie und Anatomie. Andere Disziplinen wie Literatur und Theologie werden im Vorwort zum Journal des Scavants dagegen nicht genannt, sondern lediglich darauf hingewiesen, dass wichtige weltliche und geistliche Gerichtsurteile sowie Gutachten der Sorbonne vom Journal bekannt gegeben würden.4 Die Reihenfolge der Wissenschaften sowie die schlichte Deklaration juristischer und theologischer Urteile deuten bereits an, dass in Frankreich theologische Debatten kaum in allgemeinen Zeitschriften zu führen waren. Die strikten Grenzen öffentlich theologischer Diskussionsfreiheit bekam Denys de Sallo bereits im ersten Jahr seiner Herausgeberschaft des Journal des Scavants 1665 zu spüren, als er aufgrund einer kritischen Anmerkung gegenüber einem Dekret der päpstlichen Inquisition vor die Wahl der Zensur oder Einstellung des Journals gestellt wurde, woraufhin die Zeitschrift erst 1666 unter Abbé Jean Gallois (1632–1707) als neuem Herausgeber fortgesetzt werden konnte. Theologische Debatten, die in Deutschland von Anfang an grundlegend zur Entwicklung des allgemein gelehrten Zeitschriftenwesens hinzugehörten, mussten in Frankreich entweder durch verbotene Presse im Untergrund oder die Verlagerung der Druckorte nach Holland geführt werden, weshalb sich die darin vertretene Kritik an obrigkeitlichen Institutionen wie Staat oder Kirche nicht selten radikalisierte. Alternativ wurde der Weg der versteckten Kritik unter dem Deckmantel historischer Abhandlungen oder wissenschaftlicher Beiträge in anderen Disziplinen geführt, wie die Beispiele aus Pierre Bayles Dictionnaire historique et critique oder aus Denis Diderots Encyclopédie zeigen. Dabei trug die naturwissenschaftliche Orientierung bei gleichzeitiger Verdrängung öffentlicher theologischer Debatten zu jener spezifisch materialistischen Form der Religionskritik bei, mit der sich die deutschen Theologen seit Mitte des 18. Jahrhunderts verstärkt auseinanderzusetzen hatten. Infolge der Skandale um die Publikationen erfolgreicher Werke wie Diderots Pensées philosophiques (1746) oder Julien Offray de la Mettries L’homme ma‑ chine (1748) und der daraufhin verschärften Pressezensur setzte eine Fluchtwelle französischer Aufklärer nach Preußen ein, die die dort gewährte, verhältnismäßig weitreichende Pressefreiheit durch publizistische Instrumentalisierung für die Verbreitung ihrer eigenen Ideen zu nutzen wussten. 3 Ähnliches gilt auch für die in London publizierten Philosophical Transactions. Der Titel des englischsprachigen Journals darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich hierbei in erster Linie um ein naturwissenschaftliches Rezensions‑ und Publikationsorgan handelte, das seit 1665 von der nur fünf Jahre zuvor gegründeten Royal Society of London for Improving Natural Knowledge ediert wurde. 4 Vgl. Habel, a.a.O, S. 51–52.
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II. Gelehrte Zeitschriften im Wandel der Kommunikations‑ und Gesellschaftskultur
Das umfassende Interesse am Zuwachs naturwissenschaftlicher Erkenntnisse, insbesondere in der Medizin, bewirkte in der zweiten Hälftedes 17. Jahrhunderts auch in Deutschland die Gründung eines ersten wissenschaftlichen Journals, der Miscellanea curiosa medico-physica (1670). Herausgegeben wurde es von der Academia Naturae Curiosorum, die 1652 von den Ärzten Johann Lorenz Bausch (1605–1665), Johann Michael Fehr (1610–1688), Georg Balthasar Metzger (1623– 1687) und Georg Balthasar Wohlfahrth (1607–1674) in der freien Reichsstadt Schweinfurt gegründet worden war und 1687 von Kaiser Leopold I. als offizielle Akademie des Heiligen Römischen Reiches anerkannt wurde. Behandelten die Miscellanea curiosa medico-physica bereits ihrem Titel nach vornehmlich medizinische und weitere naturwissenschaftliche Themen, so beabsichtigte Gottfried Wilhelm Leibniz, inspiriert durch das Journal des Scavants, die Gründung eines ersten wissenschaftsübergreifenden gelehrten Rezensionsorgans für den deutschsprachigen Raum, für dessen finanzielle Unterstützung er sich 1668 direkt an Kaiser Leopold wandte. Ziel sollte es sein, in Form von Rezensionen in regelmäßigen Abständen über die neuesten Publikationen im deutschen Reich zu informieren und durch die Angabe von Autor, Verlag, Druckort und kurzer Darstellung des Inhalts ein Medium zur Orientierung im immer unübersichtlicher werdenden Buchmarkt zu schaffen.5 Nachdem eine Förderung dieses Anliegens durch den Kaiser abgelehnt worden war, erschien erst 14 Jahre später auf Initiative dreier Gelehrtengesellschaften in Leipzig, die sich zur Societas ad colligenda acta Eruditorum zusammengeschlossen hatten, das erste interdisziplinäre deutsche gelehrte Journal, die Acta Eruditorum. Für die Entwicklung gelehrter Debatten in Deutschland bedeutsam war der Umstand, dass dieses Journal anders als in Frankreich, England oder Italien nicht in der Landessprache, sondern der Gelehrtensprache Latein verfasst war. Das Ringen um die angemessene Publikationssprache, welches eng mit den Veränderungsprozessen der deutschsprachigen Gelehrtenwelt zusammen hing, sollte das deutsche gelehrte Zeitschriftenwesen bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts hinein beschäftigen. Die Gründung der Acta Eruditorum bildete den Auftakt für die Etablierung eines Genres, das die Formen der gelehrten Kommunikation im 18. Jahrhundert umfassend prägte. Die gelehrten Journale entwickelten sich in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zunehmend zur Form der bevorzugten wissenschaftlichen Kommunikation im nord‑ und südwestdeutschen Raum und veränderten damit die Debattenstrukturen der Gelehrtenwelt umfassend. Zugleich erfüllten die gelehrten Journale durch ihre zeitnahen Berichte das Bedürfnis nach Informationen über Neuigkeiten auf dem europäischen Buchmarkt.6 Welch großes Interesse außerdem an der Kenntnis fremdsprachiger Publikationen bestand, Vgl. a. a. O., S. 54–55. Vgl. Schock, Wissen im neuen Takt, S. 287. Vgl. auch Gierl, Korrespondenzen, Disputationen, Zeitschriften; Habel, Das Neueste aus der Republica Litteraria. 5 6
1. Die Entwicklung des deutschen Zeitschriftenwesens im 18. Jahrhundert
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macht der Umstand deutlich, dass bereits zwei Jahre nach Beginn der Edition des Journal des Scavants eine lateinische Übersetzung der französischen Zeitschrift unter dem Titel Le Journal des Scavants, Hoc est: Ephemerides Eruditorum durch den Juristen Friedrich Nitzsch in Leipzig herausgegeben wurde, die jedoch nur fünf Jahrgänge erlebte.7 Erst die Acta Eruditorum lieferten zum ersten Mal disziplinübergreifend Berichte, Artikel und Rezensionen und bildeten über mehrere Jahrzehnte eine zentrale Informationsquelle im deutschsprachigen Raum, die nicht nur über Ereignisse und Publikationen aus der deutschen Gelehrtenrepublik, sondern auch aus dem Ausland informierte, indem auch Auszüge aus ausländischen gelehrten Journalen veröffentlicht wurden.8 Die entscheidende Rolle für die über die Grenzen des deutschsprachigen Raums hinausreichende Wirkung spielte dabei die Verwendung der lateinischen Sprache, die die Rezeption der deutschen Aufklärungsideen im Ausland maßgeblich beförderte. Dabei lieferten die Acta Eruditorum als Modell des deutschen gelehrten Journals sowohl Rezensionen akademischer Neuerscheinungen als auch wissenschaftliche Abhandlungen. Während – in Anlehnung an das Journal des Scavants – unter den wissenschaftlichen Abhandlungen die mathematisch naturwissenschaftlichen Beiträge anfangs dominierten, befassten sich die Rezensionen zu fast einem Drittel mit theologischer Literatur9 und spiegeln in der Präsenz theologischer Werke nicht nur ein Spezifikum des deutschen gelehrten Zeitschriftenwesens, sondern der deutschen Aufklärungsliteratur insgesamt wider.10
1.2 Christian Thomasius und der Beginn der deutschsprachigen Zeitschriften Mit der Zunahme der Buchproduktion und Zeitschriften einher ging der Aufstieg Leipzigs zum bedeutendsten Presse‑ und Verlagsstandort Deutschlands.11 Es ist kein Zufall, dass der Jurist und Aufklärer Christian Thomasius, der die deutsche Sprache in die Hörsäle der lateinischen Universität brachte, seine innovativen publizistischen Tätigkeiten als deutscher „Medienreformer“ in Leipzig begann, in dessen sächsischem und thüringischem Umfeld eine der höchsten Al Vgl. Habel, Gelehrte Journale und Zeitungen der Aufklärungszeit, S. 54. den Anfängen des deutschen Zeitschriftenwesens und der Entstehung der Acta Erudi‑ torum vgl. Laeven, The „Acta Eruditorum“ under the Editorship of Otto Mencke (1644–1707); Kirchner, Zur Entstehungsgeschichte der Acta Eruditorum; Habel, Das Neueste aus der Republica Litteraria. 9 Vgl. hierzu Habel, Gelehrte Journale und Zeitungen der Aufklärungszeit, S. 58. 10 Vgl. Friedrich u. a. (Hg.), Literatur und Theologie im 18. Jahrhundert, bes. S. I–XVI. Weiterhin maßgeblich bleibt Schöne, Säkularisation als sprachbildende Kraft. Vgl. zum Einfluss des Protestantismus auf die Literatur der Aufklärung auch: Rohls/Wenz (Hg.), Protestantismus und deutsche Literatur, S. 55–196. 11 Vgl. Rosenstrauch, Leipzig als „Centralplatz“ des deutschen Buchhandels; Volmer, Presse und Frankophonie im 18. Jahrhundert, S. 51–61. 7
8 Zu
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phabetisierungsraten im deutschsprachigen Raum erreicht worden war.12 In der Persönlichkeit wie im Wirken Christian Thomasius’ manifestieren sich wesentliche Impulse, die für die Entwicklung des deutschen Zeitschriftenwesens maßgeblich wurden. So galt Thomasius bereits Ende des 18. Jahrhunderts als Prototyp des neuen Gelehrten und als „Heiligenfigur“ der deutschen Aufklärung.13 Als Mitarbeiter an den vom Leipziger Professor für Moral und Politik Otto Mencke (1644–1707) herausgegebenen Acta Eruditorum gehörte Thomasius zum Kreis der Mitwirkenden am ersten deutschen gelehrten Journal, welches seit 1682 über die neuesten Entwicklungen und Publikationen aus der deutschsprachigen Gelehrtenwelt berichtete. Dabei bewegte sich die Arbeit der gelehrten Journale von Anfang an im Spannungsfeld theologischer Interessen, wie die Auseinandersetzung zwischen Thomasius und dem berühmten lutherischen Theologen Valentin Alberti (1635–1697) in Leipzig verdeutlicht. Thomasius, beeindruckt durch das Studium von Hugo Grotius’ und Samuel Pufendorfs Naturrechtslehren, entwickelte eine eigene, von der biblischen Urstandslehre unabhängige Theorie des Naturrechts, die er erstmals systematisch in seinen Institutiones prudentiae divi‑ nae 1682 darlegte, womit er auf scharfe Kritik der lutherisch-orthodox geprägten Fakultät stieß.14 Wohl auch aufgrund von Albertis theologischem Einfluss15 als Mitarbeiter an den Acta Eruditorum suchte Thomasius ein neues Forum der öffentlichen Kritik und gründete die erste populäre deutsche Monatsschrift unter dem Titel Schertz‑ und ernsthaffter, vernünftiger und einfältiger Gedancken über allerhand lustige und nützliche Bücher und Fragen. Erster Monath oder Januarius, in einem Gespräch vorgestellet von der Gesellschaft der Müßigen. In der später unter dem Titel Monatsgespräche (1688–1690) berühmt gewordenen Zeitschrift agierte Thomasius zugleich als Verfasser und Redakteur und veröffentlichte darin in Dialogform seine Gesellschaftskritik für ein deutschsprachiges Publikum. Bewusst forderte er seine Kontrahenten auf, kritische Stellungnahmen an die Redaktion zu schicken, um diese in der Zeitschrift selbst zu diskutieren und zu widerlegen. Thomasius setzte sich dabei nicht nur gegen lutherisch-orthodoxes 12 Vgl. Siegert, Zur Alphabetisierung in den deutschen Regionen am Ende des 18. Jahrhunderts, S. 296. Zum Bildungs‑ und Alphabetisierungsstand in Sachsen Ende des 17. Jahrhunderts vgl. außerdem die Auswertung der Visitationsakten von Kupke, Elementarschulunterricht in Kursachsen um 1760. 13 Vgl. Maurer, Christian Thomasius oder: vom Wandel des Gelehrtentypus im 18. Jahrhundert. Zu Thomasius’ Wirken vgl. außerdem Beet/Jaumann (Hg.), Thomasius im literarischen Feld; Schneiders (Hg.), Christian Thomasius 1655–1728. 14 Vgl. Gierl, Pietismus und Aufklärung, S. 424–427. Zu Thomasius Naturrechtslehre vgl. die neueren Monographien: Kühnel, Das politische Denken von Christian Thomasius; Rüping, Die Naturrechtslehre des Christian Thomasius und ihre Fortbildung in der Thomasius- Schule; Steinberg, Christian Thomasius als Naturrechtslehrer; P. Schröder, Naturrecht und absolutistisches Staatsrecht. 15 Zum Einfluss der theologischen und philosophischen Auseinandersetzungen auf die frühe Entwicklung des Zeitschriftenwesens unter Thomasius vgl. Gierl, Pietismus und Aufklärung, S. 472–482, hier S. 472.
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Naturrecht zur Wehr, sondern griff zugleich auch die empirischen Kausaltheorien Walter von Tschirnhausens (1651–1708) an, den er des Spinozismus und Atheismus bezichtigte. Von Anfang an trugen die Zeitschriften somit wesentlich zur Vermittlung von Theologie und radikaler Aufklärung bei. Dabei markiert Thomasius’ Gründung der ersten literarkritischen Monatsschrift 1688 sowie die Ankündigung der ersten landessprachlichen Vorlesung im deutschsprachigen Raum einen entscheidenden Entwicklungsschritt in der Erweiterung allgemeiner Kommunikationsmöglichkeiten. Durch die Publikation in deutscher Sprache, sein offenes kritisches Urteil sowie die Erweiterung der Themen auf schöngeistige Literatur grenzte Thomasius die Monatsgespräche bewusst von den Acta Eruditorum ab, um ein breiteres Publikum anzusprechen, wodurch sich der deutsche Zeitschriftenmarkt Ende des 17. Jahrhunderts zugleich auszudifferenzieren begann.16 Das Bestreben, metaphysische Theorien und dogmatische Urteile der Kirchengeschichte infrage zu stellen, verband den Juristen Thomasius mit dem Anliegen der Unparteyischen Kirchen‑ und Ketzerhistorie des Pietisten Gottfried Arnold (1666–1714), der in Thomasius’ Journalen 1693 selbst zwei Aufsätze veröffentlichte.17 Nach der Edition verschiedener satirisch-kritischer Zeitschriften wie der Historia sapientiae et stultitiae (1693) kehrte Thomasius mit seinen Summa‑ rischen Nachrichten von auserlesenen, mehrentheils alten, in der Thomasischen Bibliothek vorhandenen Büchern (1715–1718) zur nüchternen Kritik in Form von Nachrichten und Rezensionen zurück. Unter Mithilfe zahlreicher Mitarbeiter verfasste Thomasius Buchbesprechungen, in denen weiterhin das Moment des eigenständigen kritischen Urteils gegenüber Vorurteilen und Autoritäten zentral 16 Zur Diversifikation der Zeitschriftengattungen und der Konzeption der Monatsgespräche vgl. Jaumann, Bücher und Fragen. 17 Zum Verhältnis von Thomasius’ und Arnolds Auffassungen der Kirchengeschichte vgl. Buchholz, Historia Contentionis inter Imperium et Sacerdotium. Vgl. zu Thomasius’ Beitrag zur Entwicklung der Streitkultur in den Journalen der frühen Aufklärung Gierl, Pietismus und Aufklärung, S. 470–486. Zudem verteidigte Thomasius Francke in einem Gutachten gegenüber der Leipziger Theologischen Fakultät und lobte in seinen Monatsgesprächen Speners Sanftmut im Streit (vgl. Gierl, a. a. O., S. 438). Zum Bruch mit den Pietisten kam es allerdings bereits 1699 in Reaktion auf Thomasius’ Werk Versuch von Wesen des Geistes (Halle 1699), in dem er eine eigene theologisch-physikalische Metaphysik entwarf, sowie im Streit um die Legitimität geistlicher Rechtsprechung in Hinblick auf die Beurteilung der Häresie als juristischem Straftatbestand (vgl. Thomasius, Problema iuridicum an haeresis sit crimen? [1697]). Bei Thomasius wird außerdem der enge Zusammenhang zwischen Geschichtswissenschaft und Jurisprudenz deutlich. Thomasius trennt klar zwischen Kirchen‑ und Profangeschichte und sieht sie jeweils als konstitutiv für das Verständnis der Entwicklung ihrer jeweils legitimen Rechtsgeltungsansprüche als geistliches und weltliches Recht. In gewisser Strukturanalogie zum wachsenden historischen Interesse der Exegeten setzt Thomasius voraus, dass zur Erfassung des ursprünglichen Sinnes eines Gesetzes in erster Linie sein historisches Verständnis erhellend ist. Zur Bedeutung der Historie im juristischen Denken des Thomasius vgl. Hammerstein, Jus und Historie, S. 124–147. Die Bedeutung der Suche nach res factae, die historisch verifizierbar sind und aus denen sich ethische Normen ableiten lassen, findet sich – unter anderen Voraussetzungen – auch in Bolingbrokes Religionskritik wieder (siehe Kapitel V).
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blieb. Durch die Aneignung juristischer, philosophischer, historischer und naturwissenschaftlicher Kenntnisse sollten Vorurteile, Aberglauben und Abhängigkeit von Autoritäten abgebaut und das selbstständige Urteil des Individuums gefördert werden, wie er seinen Studenten unter anderem programmatisch durch seine Vorlesungen Lectiones de praejudiciis zu vermitteln suchte.18 An Thomasius’ Person und seiner Editionstätigkeit lassen sich weitere wesentliche Dynamiken exemplifizieren, die die Entstehung des Zeitschriftenwesens in Deutschland von Beginn an prägten. Thomasius’ stetige Neuausrichtung der Editionstätigkeiten aufgrund biographischer Wandlungen, politischer Interessen, religiöser Debattenlagen und publizistischer Erfolgsorientierung spiegelt zugleich das Spannungsfeld wider, vor dessen Hintergrund sich das deutsche Zeitschriftenwesen zeitgleich entwickelte. So durchliefen auch die beiden wohl renommiertesten gelehrten Zeitschriften der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, die Göttingischen Anzeigen und die Allgemeine deutsche Bibliothek, zunächst eine Phase des Experimentierens und bewegten sich ständig zwischen den Erfordernissen von Anpassung und Abgrenzung gegenüber anderen Zeitschriftenformen, wissenschaftlichem Anspruch und Marktorientierung, offener Gesellschaftskritik und vermittelnder Moderation. Die schriftliche Kommunikation zwischen Gelehrten verlagerte sich mit den gelehrten Zeitschriften in einen Raum, der die Partizipation weiterer Interessenten nicht nur ermöglichte, sondern bewusst anstrebte. Die Orientierung an einer wachsenden Leserschaft brachte einen bedeutenden Zuwachs erfolgreicher Gattungen wie Romane, Satiren, Kalender oder Unterhaltungsschriften mit sich, unter denen die gelehrten Zeitschriften nur einen zahlenmäßig begrenzten, jedoch weiterhin außerordentlich meinungsbildenden Teil der Bevölkerung erreichten. Bereits um 1700 existierten 70 Zeitschriften im deutschsprachigen Raum, allein zwischen 1741 und 1756 kamen 754 weitere Zeitschriften hinzu, denen bis 1790 eine Welle von 2191 weiteren Neugründungen mit durchschnittlichen Auflagen von 500 bis 700 Stück folgte.19 Die Zahl der Rezipienten eines einzigen gekauften Exemplars wird aufgrund mehrfacher Lektüre in Leihbibliotheken und Lesegesellschaften auf ca. das zehnfache der verkauften Exemplare geschätzt. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wohl etwa 300.000 Leser durch die verschiedenen Arten von Zeitschriften erreicht wurden.20 Dies erweiterte die Bildungsmöglichkeiten über wissenschaftliche Entwicklungen in anderen deut18 Vgl.
Gierl, Pietismus und Aufklärung, S. 436. Vgl. Bödeker, Die bürgerliche Literatur‑ und Mediengesellschaft, S. 503. Eine umfassende Auflistung zu der Geschichte der Publikationen zur Bibliographie des deutschen Zeitschriftenwesens bietet Habel, Gelehrte Journale und Zeitungen der Aufklärung, S. 80–90. 20 Zur Diskussion um die Zahl potentieller Leser vgl. Habel, Gelehrte Journale und Zeitungen der Aufklärungszeit, S. 110–113. Interessant ist die Verortung zwischen den von Nicolai genannten 20.000 Gelehrten (bei ca. 20 Millionen Einwohnern des deutschen Reiches) und 300.000 von Jean Paul genannten Lesern, die nicht nur die Schwierigkeiten der Erhebung der Zahlen wiederspiegelt, sondern auch das Problem der Definition einer Gelehrtenwelt. Habel 19
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schen und europäischen Territorien und erhöhte zugleich die Bedeutung des Zeitschriftenurteils und seiner damit einhergehenden intellektuellen Einflussmöglichkeiten. Die Orientierung an den Urteilen ging so weit, dass die Klage aufkam, viele Studenten informierten sich nur noch anhand gelehrter Journale über den Inhalt literarischer Neuerscheinungen, weshalb sie zum eigenen kritischen Überprüfen der Bücher aufgefordert werden mussten.21 Das Schicksal, welches Thomasius’ erste Schriften ereilte und nur wenige Jahrgänge überleben ließ, steht exemplarisch für das Schicksal der meisten Zeitschriftengründungen im 18. Jahrhundert, von denen die Mehrzahl keine drei Jahrgänge überdauerte. Die Anpassung an die Erfordernisse des Marktes und die rasch wechselnden Interessen der Leserschaft erforderte das Experimentieren mit neuen Gattungen und Inhalten und trug wesentlich zur Dynamisierung des Zeitschriftenmarktes bei. Unterhaltungsschriften waren diesem Druck ungleich stärker ausgesetzt als gelehrte Journale, wobei es sich als aufwendiges Unterfangen gestaltete, Letztere mit einem wissenschaftlichen Renommée dauerhaft überregional zu etablieren. Sollte sich eine gelehrte Zeitschrift dauerhaft durchsetzen, so wurde bald der Aufbau eines akademisch gebildeten Mitarbeiterkreises erforderlich, um die wachsende Zahl der Publikationen und die Kontinuität regelmäßiger Rezensionen zu bewältigen. Damit einher ging die notwendige Aufteilung der Fachbereiche auf verschiedene Experten, da diese kaum mehr von einer einzigen Person erfasst werden konnten. Der Anspruch, alle Gebiete des Wissens eigenständig auf dem neuesten Stand zu erfassen, wie dies beispielsweise Albrecht von Haller (1708–1777) bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts durch Rezensionen in allen Wissenschaftsbereichen zu erfüllen bestrebt war, erwies sich gegen Ende des Jahrhunderts aufgrund der Ausdifferenzierung der wissenschaftlichen Disziplinen als kaum mehr einlösbar. Zu den strukturellen Voraussetzungen für ein erfolgreiches gelehrtes Journal gehörten die Verfügbarkeit umfangreicher Literaturbestände sowie die Möglichkeit ihrer laufenden Aktualisierung. Hierfür war entweder die Institution einer renommierten Bibliothek vonnöten, die meist von einer gezielten Förderung durch den Landesherrn abhing, oder ein Druckerei‑ und Handelszentrum mit vermögenden Verlegern, die aus ökonomischem Interesse bereits über ausreichend Kapital zur Literaturbeschaffung verfügten. Wie die Erscheinungsorte erfolgreicher gelehrter Journale im 18. Jahrhundert verdeutlichen, konnten diese strukturellen und finanziellen Rahmenbedingungen insbesondere bestehende Verlagszentren wie Frankfurt, Hamburg und Leipzig oder Bildungsorte wie Göttingen bieten, die über eine Universitätsbibliothek verfügten. Der aufwendige Prozess der Literatur‑ und Zeitschriftenbeschaffung ließ sich selbst bei einem bedeutenden Journal wie den nennt ca. 80.000 Studierte, gesteht aber zu, dass das tatsächliche Lesepublikum sehr viel größer gewesen sein muss. 21 Vgl. Kapitel VI zur Debatte um Semlers Anleitung zu nützlichem Fleisse in der ganzen Gottesgelehrsamkeit (1757).
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Acta Eruditorum durch den Verkauf von 800 bis 1000 Exemplaren nicht decken und war damit von Anfang an auf die namhafte Unterstützung des sächsischen Kurfürsten angewiesen. Um dem Wettbewerb und der Lust des Publikums an Novitäten zu entsprechen, basierte der Erfolg gelehrter Journale vor allem auf dem Bestehen eines weitreichenden Netzwerkes mit einflussreichen Gelehrten und Verlegern, die den Herausgeber mit Veröffentlichungslisten und Neuerscheinungen versorgten. Wissenschaftlich multilinguale Korrespondenzen zu führen, politische Förderung und Zensurfreiheit am Hof zu erreichen, geeignete Rezensenten ausfindig zu machen und zu halten und zugleich den Geschmack des Publikums zu bedienen, erforderte eine geniale Synthese intellektueller und pragmatischer Fähigkeiten, die für den Erfolg der Zeitschriften ausschlaggebend war und von Personen wie Johann Christoph Gottsched (1700–1766), Albrecht von Haller oder Friedrich Nicolai beispielhaft verkörpert wurde. Seit der Gründung der Neuen Zeitungen von gelehrten Sachen 1715 durch den späteren Leipziger Professor für Beredsamkeit, Johann Gottlieb Krause (1684–1736), begann sich die Form der deutschsprachigen gelehrten Zeitungen in Deutschland als regelmäßig halbwöchentlich erscheinendes Periodikum zu etablieren.22 In ihrer Orientierung am knappen Informationsstil der Zeitungen lieferten die Neuen Zeitungen keine längeren wissenschaftlichen Abhandlungen, sondern boten lediglich kurze Berichte über Entwicklungen und Publikationen, sortiert nach Städten, wobei auch der Inhalt dort verlegter Zeitschriften angezeigt wurde. Daneben etablierten sich seit 1712 die Deutschen Acta Eruditorum oder Geschichte der Gelehrten, welche den gegenwärtigen Zustand der Litteratur in Deutschland begreifen, die ab 1740 bis 1757 als Zuverläßige Nachrichten von dem gegenwärtigen Zustande, Veränderung und Wachsthum der Wissenschaften weitergeführt wurden.23 Die Deutschen Acta Eruditorum orientierten sich zwar an den lateinischen Acta Eruditorum, beschränkten sich aber in jedem Band lediglich auf die ausführliche Besprechung von vier oder fünf aktuellen deutschen oder fremdsprachigen Publikationen. Erfolgreiche Neugründungen wie die Göttingischen Zeitungen von gelehrten Sachen (1739) integrierten dabei Formen der Nachrichten‑ und Rezensionsmitteilung und entwickelten selbst neue Formate der gelehrten Zeitschrift. Im Gegensatz zu dezidiert positionell ausgerichteten Zeitschriften wie Thomasius’ Monatsgesprächen, Valentin Ernst Löschers (1683–1749) Unschuldigen Nach‑ richten oder der den Freimaurern nahestehenden, außerordentlich erfolgreichen 22 Vgl. Kirchner, Geschichte des deutschen Zeitschriftenwesens, seine Geschichte und seine Probleme, Teil 1, S. 28. Es folgten die Gründungen von gelehrten Zeitschriften in Zürich 1725, Hamburg 1729, Basel 1735, Frankfurt am Main 1736, Göttingen 1739, Greifswald 1743, Erlangen 1743, Altona 1745, Jena 1749, Breslau 1751, Rostock 1751, Jena 1765, Halle 1766, Erfurt 1766, Gießen 1769. Vgl. Kirchner, a. a. O., S. 29 und 78. 23 Herausgegeben wurden die Deutschen Acta Eruditorum zunächst von Justus Gotthard Raabener, Professor für Theologie, später von Christian Gottlieb Jöcher, Johann Christian Schöttgen und Johann Georg Walch, der außerdem die Werke Luthers edierte.
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Zeitschrift Der Patriot24 verband die gelehrten Zeitschriften von Anfang an der Anspruch der Unparteilichkeit. Eine ausgewogene Darstellung des Inhalts sowie Zurückhaltung des Rezensenten im Urteil sollten das Ansehen der wissenschaftlichen Unabhängigkeit und Vertrauenswürdigkeit heben. Konfessionelle Polemik galt als rückständig, wobei die konfessionelle Bindung des Urteils in theologischen Debatten grundsätzlich nicht zur Disposition stand. Wurden die Regeln der sorgfältigen Argumentation und des Beweises verletzt oder Gegenpositionen in unangemessener Weise attackiert, so konnte dies ein vernichtendes Urteil eines Rezensenten nach sich ziehen. Über ihre kritischen Beurteilungen einzelner Werke hinaus leisteten die gelehrten Journale durch ihre Kontrolle der wissenschaftlichen Kommunikationsregeln einen kaum zu unterschätzenden Beitrag zur Kultivierung der aufklärerischen Streitkultur. Trotz allen Anspruchs der Unparteilichkeit lässt sich in den zeitgenössischen Debatten theologischer Themen meist eine klare Positionierung des jeweiligen Rezensenten finden, die aufgrund der Fachaufteilung und Anonymität des Rezensenten vielfach als das Urteil des gesamten Journals angesehen wurde. Während die meisten gelehrten Journale in theologischen Fragen eine konfessionell apologetische Haltung einnahmen, lassen sich in den Göttingischen Anzeigen wie in der Allgemeinen deutschen Bibliothek in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts deutlich eigenständige Akzeptverschiebungen diesbezüglich beobachten. Ein Vergleich der gelehrten Zeitschriften untereinander sowie der Wahrnehmung theologischer Debatten in den zeitgenössischen theologischen Periodika kann dabei helfen, die Dynamik der theologischen Veränderungen in unterschiedlichen Kontexten der deutschen Aufklärungszeit spezifischer zu begreifen.
1.3 Kontroverstheologie und Zeitschriftenwesen Die mangelnde politische wie sprachliche Einheit verzögerte und erschwerte die rasche Ausbildung einer gemeinsamen Identität eines deutschsprachigen intellektuellen Kulturraums innerhalb des Heiligen Römischen Reiches bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Gleichzeitig muss die bestehende Pluralität zu den spezifischen Potentialen einer sich verändernden Kommunikation des Reiches gezählt werden, die den Wettbewerb zwischen verschiedenen Zentren der Gelehrsamkeit wie Universitäten und Akademien sowie unterschiedlichen Graden der Pressefreiheit ermöglichte. Dieser politische Umstand, der bereits für die Entfaltung der reformatorischen Bewegungen im deutschen Reich entscheidend gewesen war, bot mit der Koexistenz konfessionell verschiedener Territorialstaaten eine religiöse Pluralität christlicher Lehrmeinungen innerhalb eines Reiches. Das im 24 Vgl. Kirchner, Geschichte des deutschen Zeitschriftenwesens, seine Geschichte und seine Probleme, Teil 1, S. 57.
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Westfälischen Frieden angelegte konfessionelle Einheitsprinzip stieß jedoch in vielen Territorien im Laufe des 18. Jahrhunderts aufgrund sich verändernder Territorial‑ und Herrschaftsverhältnisse an seine Grenzen, wie dies beispielsweise durch die Konversionen des sächsischen Kurfürsten August des Starken 1697 oder des englischen Königs George I. 1714 aufgrund der von ihnen erstrebten Personalunionen geschah. Preußen, das bereits seit dem Übertritt Kurfürst Sigismunds 1613 zum reformierten Glauben den Zustand der konfessionellen Differenz zwischen Landesherrn und Untertanen kannte, entwickelte sich nicht zuletzt aufgrund der Aufnahme zahlreicher reformierter Hugenotten sowie der Eroberung bevölkerungsreicher katholischer Territorien im Siebenjährigen Krieg zu einem konfessionell heterogenen Staat. Die im Heiligen Römischen Reich bestehende religiös territoriale Pluralität sollte sich im 18. Jahrhundert auch innerhalb einzelner Territorien manifestieren. Dass die faktische Akzeptanz der Koexistenz ganzer Bevölkerungsgruppen verschiedenen Bekenntnisses in bestimmten Territorien eine außergewöhnliche Form der Toleranzvorstellung bedeutete, tritt vor dem Hintergrund der weitgehenden konfessionellen Homogenität in den meisten europäischen Territorien besonders hervor. Die Vertreibung der Böhmischen Brüder oder Salzburger Protestanten 1731 offenbart zugleich die existenzbedrohende Dimension konfessioneller Religionsdebatten bis weit in das 18. Jahrhundert hinein. Die konfessionelle Konfrontation auf Reichsebene war zwar juristisch durch den Westfälischen Frieden vermieden worden, der Umgang mit innerterritorial religiösen Konflikten blieb dadurch jedoch ungelöst. Die in Frankreich nach Vertreibung der Hugenotten Ende des 17. Jahrhunderts aufkommende innerkatholische Auseinandersetzung zwischen Jansenisten und Jesuiten oder die in Deutschland entflammende Kontroverse zwischen Orthodoxen, Reformierten und neuen separaten Bewegungen forderte bald die Entwicklung allgemeinverbindlicher Regeln des Umgangs mit innerkonfessionellen Spannungen, auf deren Basis über die Rechtmäßigkeit und Toleranz theologischer Positionen entschieden werden konnte. Zur innerkonfessionellen Verteidigung und ‚Reinhaltung‘ der wahren Lehre diente traditionell die öffentliche universitäre Disputation in der festgelegten Form des „Elenchus“.25 Dabei ging es in erster Linie um den Nachweis der Legitimität der vertretenen Position, der nach einem strengen Schema von Rede und Gegenrede unter Bezugnahme auf Bibel und Bekenntnisse erbracht werden musste. War die Disputation ursprünglich eine Form der unmittelbaren 25 Zur ausführlichen Beschreibung der Disputationsform des Elenchus vgl. Gierl, Pietismus und Aufklärung, S. 62–93. Sehr differenziert weist Gierl auf die Schwierigkeiten der protestantischen Legitimierung von letztgültigen kirchlichen Sanktionierungsmaßnahmen hin, die, befeuert durch Arnolds wirkungsreiche Unpartheyischen Kirchen‑ und Ketzerhistorie, im Laufe des 18. Jahrhunderts in wachsendem Maße zum Gegenstand der Kritik am konfessionell verfassten Christentum wurden (vgl. a. a. O., S. 87–92).
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Kommunikation, so wurde diese zunehmend durch die schriftliche Form der Dissertation ersetzt. Professoren ließen hierfür oftmals ihre Schüler eigens gewählte bekenntniskonforme Thesen verteidigen und in Form einer Streitschrift widerlegen.26 Die Bedeutung der Dissertation innerhalb der öffentlichen Streitkultur trat jedoch im Verlauf des 18. Jahrhunderts zunehmend in den Hintergrund und wurde in dieser Hinsicht durch das Medium der Debatten im öffentlichen Medium der Zeitschrift verdrängt.27 Wie Martin Gierl in seinem Werk über den Pietismus und die Streitkultur der Aufklärung umfassend dargelegt hat, hatten die innerprotestantischen Auseinandersetzungen um die Bewegung des Pietismus nachhaltigen Einfluss auf diesen Prozess ausgeübt. Insbesondere die Forderung nach Überwindung universitärer Kontroverstheologie sowie die theologische Bildung der Laien veränderten die theologische Streitkultur dauerhaft.28 Die publizistische Dynamik der sogenannten „Pietismuskontroverse“ mit der lutherischen Orthodoxie seit Ende der 1670er-Jahre bildete dabei einen wichtigen Entwicklungsschritt. Die hierbei entstehende Abfolge theologischer Streitschriften ging 1695 mit August Hermann Franckes Monatsschrift Observationes Biblicae29 zum ersten Mal in die Form eines kontroverstheologischen Periodikums über und veranlasste die Gründung weiterer kontroverstheologischer Zeitschriften wie Johann Friedrich Mayers (1650–1712) Herr D. Spener wo ist sein Sieg (1696) oder Friedrich Christian Büchners (1651–1714) Menses Pietisti‑ ci (1704).30 Spätestens mit der Gründung von Valentins Ernst Löschers Journal Altes und Neues aus dem Schatz Theologischer Wissenschafften 1701, das ein Jahr später erstmals unter dem Titel Unschuldige Nachrichten von Alten und Neuen Theologischen Sachen erschien und bis zu seiner Einstellung 1761 als publizistisches Zentralorgan der lutherischen Orthodoxie fungierte, hatte die protestantische Kontroverstheologie eine institutionalisierte Form öffentlicher Streitkultur gefunden. 26 Dass es sich bei den Disputationen nicht in erster Linie um die Präsentation individueller Leistungen, sondern um die Repräsentanz einer kollektiven Meinung (z. B. die Widerlegung heterodoxer Positionen) handelte, darauf weist Kenneth Appold in seiner Untersuchungen lutherisch-orthodoxer Dissertationen hin. Gleichzeitig zeigt Appold, inwieweit die Form der Disputation auch die Möglichkeit der theologischen Veränderung bot. Vgl. Appold, Orthodoxie als Konsensbildung, S. 80–83. Zur Veränderung und Verschriftlichung der Disputationskultur in der Auseinandersetzung mit dem Pietismus vgl. a. a. O., S. 109–111. 27 Zum Verhältnis von Disputation und Zeitschriftenwesen vgl. unter anderem Hemmerling, Das akademische Journal. 28 Ohne weitere Diskussion übernehme ich hier den Begriff des Pietismus, wie ihn Martin Gierl (Gierl, Pietismus und Aufklärung, S. 36) verwendet, der sich dabei auf Johannes Wallmann (Wallmann, Pietismus, S. 7) und Hartmut Lehmann (Lehmann, Pietismus und weltliche Ordnung in Württemberg, S. 17) bezieht. 29 August Hermann Francke, Observationes Biblicae oder Anmerckungen über einige Oerter H. Schrift Darinnen die Teutsche Übersetzung des Sel. Lutheri gegen den Original-Text gehalten und bescheidentlich gezeiget wird Wo man dem eigentlichen Wort-Verstande näher kommen könne, Halle 1695. Vgl. hierzu Gierl, Pietismus und Aufklärung, S. 398. 30 Vgl. Gierl, a.a.O, S. 398–399.
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1.4 Theologische Zeitschriften Die Entwicklung des deutschen gelehrten Zeitschriftenwesens hing von Beginn an eng mit den konfessionellen Gegebenheiten und der Entwicklung theologischer Kontroverstheologie zusammen.31 Die hohe Quote theologischer Rezensionen verdeutlicht das herrschende Interesse an der Auseinandersetzung mit diesen Fragen. Christian Thomasius, Johann Christoph Gottsched, Johann David Michaelis (1717–1791), Hermann Samuel Reimarus (1694–1768), Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781), August Ludwig Schlözer (1735–1809) und viele weitere einflussreiche Akteure des deutschen Rezensionswesens stammten entweder selbst aus einem Pfarrhaus oder hatten ein Theologiestudium absolviert und befassten sich zeitlebens mit theologischen und kirchlichen Fragen. Zu den wesentlichen theologischen Einflussfaktoren der Entwicklung des Zeitschriftenwesens gehörten dabei der pietistische Anspruch der umfassenden Laienbildung als konsequente Umsetzung des reformatorischen „Priestertums aller Gläubigen“, wie unter anderem Spener es in seinen Pia desideria 1675 formuliert hatte. Speners Reformideen basierten dabei unter anderem auf einem besonderen Zusammenspiel soziokultureller Faktoren der Reichsstadt Frankfurt am Main mit ihrer begrenzten Multikonfessionalität und Frühformen der Ausbildung bürgerlicher Geselligkeit, in deren Zuge sich auch die Veränderung individueller religiöser Vergesellschaftungsformen vollzog. Nicht zuletzt die von Halle ausgehende Institutionalisierung der pietistischen Bildungsreform unter August Hermann Francke (1663–1727) wirkte nachhaltig auf zahlreiche einflussreiche Persönlichkeiten in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, allen voran in Brandenburg- Preußen.32 Mit der Forderung nach kontroverstheologischer Toleranz und dem Anliegen der Volksbildung präsentierten sich Ende des 17. Jahrhunderts die antiorthodoxen Anliegen Christian Thomasius’ und die Anfänge des Halle’schen Pietismus noch als Allianz, indem beide gemeinsam den wissenschaftlichen Gebrauch der deutschen Sprache forcierten, um ein möglichst breites Publikum zu erreichen. Insbesondere unter den lutherisch-orthodoxen Theologen der Leipziger Universität wuchs die Furcht, durch den Verzicht auf die lateinische Sprache die Autorität des kirchlich-theologischen Lehramtes zu gefährden und dem Urteil des Volkes Tür und Tor zu öffnen. Der pietistische Anspruch, die Kirche durch Konventikel für Laien von innen heraus zu reformieren, führte schließlich tatsächlich dazu, dass die mehrjährige Pietismuskontroverse, in 31 Friedrich Wilhelm Graf weist darauf hin, dass das theologische Zeitschriftenwesen trotz seiner enormen Wirkung auf das Publikum der Aufklärungszeit kaum untersucht worden ist und Studien hierzu weiterhin ein Desiderat der Forschung sind. Vgl. Grafs Überblick über die Entwicklung der theologischen Zeitschriften im 18. Jahrhundert, in: Ders., Theologische Zeitschriften der Aufklärungszeit, S. 357. Vgl. hierzu auch Spehr, Gelehrte Buchkritik. 32 Vgl. unter anderem Brecht, Der Hallesche Pietismus in der Mitte des 18. Jahrhunderts – seine Ausstrahlung und sein Niedergang. Zum Beginn der Wirkung des Pietismus in Preußen vgl. C. Hinrichs, Preußentum und Pietismus.
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welche auch Thomasius publizistisch eingriff, von Beginn an in deutscher Sprache ausgetragen wurde und damit maßgeblich die deutschsprachige Streitkultur förderte.33 Die Verlagerung der Debatten ins Deutsche und eine wachsende Zahl an pietistischen Publikationen führten Valentin Ernst Löscher zu der Einsicht, dass auf die Vielzahl kritischer Schriften sinnvollerweise nicht mehr im Modus der universitären Refutation geantwortet werden könne, weil die Gläubigen auf diese Weise nicht mehr zu erreichen seien, da sie vielmehr Zeitschriften und Journale bevorzugten.34 Aus diesem Grund entschied Löscher, sich den neuen Kommunikationsformen anzupassen und selbst in einem eigenen Journal dem Publikum literarische Neuerscheinungen samt ihrer theologischen Beurteilung vorzustellen.35 Der Erhalt der reinen Lehre durch die Orthodoxie war durch universitäre Disputationen alleine nicht mehr zu gewährleisten, sondern musste einem breiteren Bildungspublikum ausgesetzt werden und bedeutete den öffentlichen Kampf um die Meinung der theologisch Gebildeten. Auf Löschers Un‑ schuldige Nachrichten antwortete der Hallenser streitbare pietistische Theologe Joachim Lange (1670–1744) mit der Gründung eines Gegenjournals unter dem Titel Aufrichtige Nachricht Von der Unrichtigkeit Der sogenannten Unschuldigen Nachrichten, zur wahren Unterscheidung der Orthodoxie und Pseudoorthodoxie (1707–1714). Den Unschuldigen Nachrichten warf er „Parteilichkeit“, „Pseudoorthodoxie“ und „heimliches Papsttum“ vor, wogegen sich diese mit heftigen Gegenangriffen wehrten.36 Dass der Versuch Langes, über eine Intervention des preußischen Königs beim sächsischen Kurfürsten ein Verbot der in Dresden verlegten Unschuldigen Nachrichten zu erwirken, misslang, veranschaulicht dabei die Schwierigkeiten der Durchsetzung einer zentralen Zensur im deutschen Reich, was die Entwicklung eines kritischen Zeitschriftenmarktes und offener Religionskontroversen dauerhaft begünstigte. Die Genese erster theologischer Kontroverszeitschriften ist in mehrfacher Hinsicht für die weitere Analyse der Debattenkultur zum Schriftverständnis in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts von erheblicher Bedeutung. Die Auseinandersetzungen zwischen Pietismus und Orthodoxie sowie die Entwicklung rationaler Vermittlungsbemühungen wie die der Neologen waren eng mit dem Vgl. Gierl, Pietismus und Aufklärung, S. 381–384. (…) Kenner des einreissenden gemeinen Verderbens wünschten, daß doch eine Monatliche Schrifft möchte verfertigt werden, welche als ein Gegen-Gifft wider solche Mala könte gebraucht werden“. Es sei nicht mehr möglich gewesen, „daß alle ärgerliche und gefährliche Schrifften, die ein Jahr lang heraus kommen, absonderlich widerlegt würden, oder sich Verleger und Leser darzu fänden: So ist dieser einige Weg noch übrig, daß doch etliche Lehrer dagegen in der Kürtze ihr Zeugniß ablegen (…), damit nicht so viel (…) Böses ohne Widerspruch und Gegen Erinnerung passire“ (Valentin Ernst Löscher, Vollständige Register über die Ersten Zehen Jahr der Unschuldigen Nachrichten Von Anno 1701 bis 1710, Leipzig 1721, Vorrede [unpaginiert]; zitiert nach Gierl, Pietismus und Aufklärung, S. 403). 35 Vgl. a. a. O., S. 401. 36 Vgl. a. a. O., S. 410. 33
34 „Alle
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Ort Halle verbunden, der Ende des 17. Jahrhunderts als Vorbild der universitären und theologischen Reform und Freiheit galt, was Thomasius 1690 zur Flucht dorthin aus dem orthodoxen Leipzig bewog. Die zu Beginn des 18. Jahrhunderts aufbrechenden Spannungen zwischen Pietisten und Rationalisten jedoch, die bereits 1699 zum Bruch mit Thomasius geführt hatten, gipfelten schließlich 1723 in der Vertreibung Christian Wolffs aus Halle. Selbst Theologen wie Siegmund Jakob Baumgarten (1706–1757) blieben von Verdächtigungen des Wolffianismus nicht verschont, der in seiner Vorlesung über die Geschichte der Religionsparthey‑ en (1754/55) die Bedeutung der innerkirchlichen Streitigkeiten historisch zu differenzieren versuchte.37 Baumgartens intensive Beschäftigung mit der Kirchengeschichte diente dabei ebenso wie bereits Thomasius’ kirchenhistorische Studien dazu, die Relativität bestimmter theologisch dogmatischer Aussagen zu verstehen. Zahlreiche später einflussreiche Theologen und Rezensenten wie Johann David Michaelis, Gottfried Less (1736–1797), Johann Melchior Goeze (1717–1786) oder Johann Salomo Semler (1725–1791) studierten bei Siegmund Jakob Baumgarten und arbeiteten wie die beiden Letztgenannten selbst als Rezensenten an den von Baumgarten herausgegebenen Nachrichten von einer hallischen Biblio‑ thek (1748–1751) und Nachrichten von merkwürdigen Büchern (1752–1758) mit. Durch die Edition jener Nachrichten suchte Baumgarten den Gelehrten und Studenten einen Überblick über die umfangreichen Bestände der hallischen Bibliothek zu bieten, wobei Bibelausgaben und exegetische Abhandlungen einen wesentlichen Teil der dargestellten Werke ausmachten. Daneben erhielt die Besprechung deistischer und freigeistiger Literatur breiten Raum, deren historische Widerlegung zu den weiteren Zielen der Nachrichten Baumgartens gehörte.38 Die Suche der offenen Auseinandersetzung mit religionskritischer Literatur und das Vertrauen in die apologetische Überzeugungskraft vertiefter exegetischer und kirchenhistorischer Argumente prägten einen nicht geringen Teil seiner prominenten Schülerschar. Die Zeitschrift bot dabei das zentrale Medium des 37 Vgl. Brecht, Der Hallesche Pietismus in der Mitte des 18. Jahrhunderts – seine Ausstrahlung und sein Niedergang, S. 332. 38 Zur Absicht der Hallischen Nachrichten vgl. den Vorbericht Baumgartens vom 30. Januar 1748 zum ersten Band der Nachrichten von einer hallischen Bibliothek: „Zu dem Ende sollen zwar die Geschichte und merkwürdigen Umstände der Bücher hinlänglich mit berüret, auch zuweilen anderer erhebliche Unrichtigkeiten verbessert: sonderlich aber der Inhalt und die Einrichtung derselben, wo solche nicht aus der Aufschrift erhellen möchte, beschrieben, und in erheblichen Stücken auszugsweise geliefert werden. Welches auch bey irrigen, und des Angrifs der Religion wegen verbotenen Büchern geschehen sol: weil daraus am deutlichsten zu ersehen ist, sowol daß die neuesten Widersacher der Religion in unsern Gegenden nichts neues vorgebracht, ja ihren Vorgängern nicht einmal gleich kommen, ob sie gleich den Schein neuer und grosser Entdeckungen zu haben gesucht; als auch, daß in dergleichen Büchern so starke, wichtige und unerhörte Dinge nicht angetroffen werden, als sich manche einbilden und vorgeben.“ Zum Anteil deistisch-freigeistiger Literatur in Baumgartens Nachrichten vgl. Voigt, Der englische Deismus in Deutschland, S. 156–158.
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kritischen Diskurses in Auseinandersetzung mit Positionen pietistisch religiöser Unmittelbarkeit, orthodoxer Dogmatik und philosophischer Religionskritik. Aufgrund wachsender Partizipationsmöglichkeiten gestaltete es sich im Laufe des 18. Jahrhunderts zunehmend schwieriger, eine gemeinsame theologische Debattenkultur zu etablieren, die den lesekundigen Laien wie auch den Pfarrer und Universitätsgelehrten gleichermaßen erreichte. Verstärkt wurde dies zudem durch eine fortschreitende Spezialisierung der historischen Forschung bei gleichzeitiger Ausdifferenzierung religiös-sozialer Gruppierungen. Mit der schwindenden Einflussnahme theologischer Fakultäten und ihrer Zensurmöglichkeiten, wie man sie beispielsweise in Leipzig zu Beginn des 18. Jahrhunderts zur Reinhaltung der Lehre gegen Aufklärer und Pietisten anzuwenden versucht hatte, oblag die Durchsetzung theologischer Einheit mehr und mehr der Akzeptanz theologischer Positionen innerhalb eines allgemeinen gebildeten Publikums. Damit individualisierte sich die innerprotestantische Wahrnehmung historischer Bibeldebatten und konnte aufgrund eines zunehmenden innertheologischen Plausibilitätsverlusts der Bekenntnisbindung auch durch staatliche Maßnahmen wie das Woellner’sche Religionsedikt in Preußen nicht dauerhaft rückgängig gemacht werden. Als entscheidender Faktor für die Anerkennung der Bekenntnisgemäßheit einer Position entwickelte sich das Urteil der Zeitschriften, wobei allgemein gelehrte Journale oftmals anders urteilten als dezidiert theologische Zeitschriften wie Friedrich Wilhelm Krafts Nachrichten von den neuesten theo‑ logischen Büchern und Schriften (1741–1748), Johann August Ernestis (1707–1781) Neue Theologische Bibliothek (1760–1769; seit 1771 bis 1779 als Neueste Theologi‑ sche Bibliothek) oder August Bertlings (1721–1769) Theologische Berichte von neu‑ en Büchern und Schriften (1764–1773) aus Danzig. Daneben existierten zahlreiche weitere populäre theologische Laienzeitschriften, die sich an den erfolgreichen Vorbildern der moralischen Wochenschriften orientierten und dem Christen Hilfestellung in der Ausübung des christlichen Alltags liefern sollten. Zu ihnen gehörten unter anderem das Hamburger Eltern‑ und Kinder häusliches Sonn‑ und Festtags-Gesprächsblatt oder der Christ am Sonntage (Halle 1763–1765).39 Die wachsende Vielfalt der Zeitschriftengattungen und ihrer Zielgruppen, in denen theologische Werke besprochen wurden, spiegelte auch die Vielfalt theologischer Positionen wider, die sich insbesondere in Erwiderung auf bestimmte Aufklärungsdebatten auszubilden begannen und in den Reaktionen jener Debatten wiederfinden lassen. Ausgehend von den deutschen Aufklärungszentren übernahmen dabei die disziplinübergreifenden gelehrten Journale eine spezifisch integrierende Funktion, indem sie den Anspruch vertraten, den gesamtwissenschaftlichen Dialog der Theologie im Gefüge zunehmend religiös unabhängig argumentierender universitärer Disziplinen und Akteure aufrechtzuerhalten. 39 Vgl. Kirchner, Geschichte des deutschen Zeitschriftenwesens, seine Geschichte und seine Probleme, Teil 1, S. 82–83.
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2. Zentren und Publikationsorgane gelehrter Zeitschriften zwischen 1750 und 1790 2.1 Göttingen 2.1.1 Gründung der Universität und der K. Gesellschaft der Wissenschaften Infolge der Gründung der Universität Göttingen 1737 und ihres baldigen Aufstiegs zum Modell zahlreicher weiterer Universitäten im In‑ und Ausland etablierte sich auch deren gelehrtes Journal, die Göttingischen Zeitungen von Ge‑ lehrten Sachen (seit 1753 Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen), zu einem der am weitesten rezipierten Rezensionsorgane in Deutschland.40 Die Jahrhunderte alte europäische Institution der Universität durchlebte seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts eine Identitäts‑ und Legitimationskrise. Sowohl aufgrund ihrer Fächeraufteilung als auch ihrer praxisfernen Theoriefixierung galt sie in ihrer traditionellen Form als nicht mehr zeitgemäß. Aus diesem Grunde war bereits 1694 Halle als Reformuniversität gegründet worden, die in erster Linie brandenburgisch-preußischen Staatszwecken dienen sollte.41 Nicht unwesentlichen Anteil an der praxisnahen Neuausrichtung der Theologie, die im 18. Jahrhundert nachhaltigen Einfluss weit über Halle hinaus entfalten sollte, hatte August Hermann Francke, der in seiner Doppelfunktion als Pfarrer in Glauchau und Professor für Griechisch und orientalische Sprachen die Bildungsinstitutionen der 1698 gegründeten Franckeschen Anstalten ins Leben rief. Nicht nur in seiner Prägung des wissenschaftlichen Nachwuchses, sondern vor allem auch der preußischen Beamtenschaft und des Militärapparates nahm Halle in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine herausgehobene Rolle ein.42 Pietismus und staatliche Interessen verband das Anliegen, den traditionsreichen Zentren der lutherischen Orthodoxie wie Leipzig, Wittenberg oder Jena die theologische Ausbildung zu entziehen und den Einfluss der dogmatischen 40 Kirchner spricht davon, dass vor dem Erscheinen der Allgemeinen deutschen Bibliothek lediglich die Göttingischen Anzeigen einen überregionalen Rezeptionsanspruch erheben konnten (vgl. Kirchner, Geschichte des deutschen Zeitschriftenwesens, seine Geschichte und seine Probleme, Teil 1, S. 77). Die Geschichte der Universität Göttingen ist umfangreich dokumentiert, zumal die Universität bereits im 18. Jahrhundert begann, ihre eigene Geschichte zu edieren. Vgl. hierzu die Darstellungen von Pütter, Versuch einer academischen Gelehrten-Geschichte von der Georg-Augustus-Universität Göttingen; Brandes, Über den gegenwärtigen Zustand der Universität Göttingen; Meiners, Kurze Darstellung der Entwicklung der hohen Schulen des Protestantischen Deutschlands, besonders der hohen Schule zu Göttingen; Rössler, Die Gründung der Universität Göttingen; Denecke (Hg.), Göttingen – Geschichte einer Universitätsstadt, 3 Bde. 41 Vgl. Hammerstein, Zur Geschichte und Bedeutung der Universitäten im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, bes. S. 310–313. 42 Vgl. zum besonderen Einfluss auf das Militär das Kapitel „Pietismus und Militarismus im alten Preußen“ in: C. Hinrichs, Preußentum und Pietismus, S. 126–173.
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Kontroverstheologie zurückzudrängen. Der anfangs spezifisch liberale Geist der Universität wurde maßgeblich durch die prominenten deutschen Aufklärer Christian Thomasius und Christian Wolff beeinflusst, lag aber auch im ursprünglich antikontroverstheologischen Interesse der pietistisch geprägten Theologie in ihrer Abgrenzung zur Leipziger lutherischen Orthodoxie. Gleichzeitig fand die irenische Ausrichtung die politische Unterstützung des reformierten preußischen Herrscherhauses, welches durch die Ausbildung seiner einflussreichen Theologenschaft im liberalen Halle die rechtlich geforderte Toleranz der verschiedenen Konfessionen in Brandenburg-Preußen in die Praxis umzusetzen suchte.43 Verbanden der Gedanke der religiösen Toleranz und die Entwicklung neuer Vergesellschaftungs‑ und Kommunikationsformen anfänglich die beiden genannten Bewegungen, so geriet der gemeinsame Impuls bald in Fragen seiner praktischen Umsetzung wie der des Lebensvollzugs („Decorum-Streit“) sowie aufgrund von Thomasius’ Publikationen wie seiner physikalisch spekulativen Schrift Versuch Von Wesen des Geistes (1699) an seine Grenzen. Hieraus entwickelte sich ein über Jahre dauernder Streit zwischen Thomasius und den Pietisten, die vergeblich dessen Exilierung bei König Friedrich Wilhelm I. zu erreichen suchten.44 Während das pietistische Anliegen die praxis pietatis als Überwindung innerchristlicher Auseinandersetzungen betrachtete, sprengten die außertheologischen ethischen Begründungsversuche wie Thomasius’ provokative naturrechtliche Legitimation der Bigamie zunehmend die auf der biblischen Offenbarung beruhenden moralischen Interpretationsschemata. Christian Wolffs Lob der vorbildlichen Tugendhaftigkeit der atheistischen Chinesen45 provozierte schließlich den schärfsten Widerspruch der Pietisten. Namentlich der Einsatz Joachim Langes, der die Möglichkeit der Tugendhaftigkeit des Atheismus vehement bestritt, führte aufgrund von Langes engen Verbindungen zum preußischen König zur Exilierung Christian Wolffs.46 Für das Verständnis der Gründung der Göttinger Universität und der Göttin‑ gischen Anzeigen ist ein Blick auf die Auseinandersetzungen in Halle insofern wesentlich, als Göttingen die erste deutsche Universitätsgründung nach Halle darstellte und sich in seinen Gründungplänen explizit an den Hallenser Erfahrungen orientierte. Während der Hannover’sche Minister und Kurator der Göttinger Universität, Gerlach Adolph von Münchhausen (1688–1770), das Konzept einer Ausbildungsanstalt einer kurfürstlichen Funktionselite von Anfang Vgl. Hammerstein, Jus und Historie, S. 150–151. Zum Bruch und folgenden Streit mit dem Pietismus vgl. Gierl, Pietismus und Aufklärung, S. 455–469. 45 Wolff, Oratio de sinarum philosophia practica in solemni panegyri recitata (1726). 46 Vgl. zum Streit um die ‚Chinesenrede‘ und deren Rezeption Michael Albrechts umfassende Einleitung in: Wolff, Rede über die praktische Philosophie der Chinesen, S. IX– LXXXIX. 43 44
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an übernahm, sollten vergleichbare theologische Spannungen durch die gezielte Abwehr streng orthodoxer oder pietistischer Einflüsse vermieden werden. Aufgrund der Rolle, die die theologische Fakultät in Halle bei der Vertreibung Wolffs gespielt hatte, sollten die Möglichkeiten theologischer Einflussnahme auf andere Fachbereiche klar begrenzt werden. Dennoch stand die konfessionelle Ausrichtung der Universität von Anfang an keineswegs zur Disposition. In den Statuten war selbstverständlich festgelegt, dass sich die Universität zur „veritas religionis Evangelicae“ bekannte und alle ihre Lehrer auf die geltenden Bekenntnisse verpflichtete.47 Konfessionelle Streitigkeiten sollten jedoch nach Möglichkeit vermieden und Toleranz gegenüber anderen Konfessionen geübt werden. Das lag nicht zuletzt im finanziellen und politischen Interesse, um Studierende sowie Professoren aus anderen konfessionellen Territorien des Reiches ebenso wie Adlige aus England an die neue Universität zu holen. Konkret äußerte sich dieses Bestreben im Bau einer ersten katholischen wie reformierten Kirche in Göttingen, um deren Gründung sich insbesondere der aus Bern stammende Albrecht von Haller verdient machte.48 Die prägende Figur bei der Ausrichtung der Universität war Johann Lorenz von Mosheim (1693–1755), der seit 1734 maßgeblich am Entwurf der Statuten der Universität beteiligt war und über Münchhausen wesentlichen Einfluss auf die Besetzung der theologischen Lehrstühle nahm. Von Mosheim, der bei seiner Berufung zum Kanzler der Universität 1747 seine Lehrtätigkeit mit der programmatischen Rede De odio theologico begann, trug mit seinen Reformvorschlägen für das Theologiestudium sowie seinen weit rezipierten kirchengeschichtlichen Forschungen wesentlich zur Revision der dogmatischen Beurteilung der Kirchengeschichtsschreibung bei.49 Von Mosheim selbst hatte sich in seiner Zeit als Professor in Helmstedt bereits mehrfach mit dem Deismus auseinandergesetzt und unter anderem Schriften von John Toland widerlegt.50 Sein Programm der Unparteilichkeit nahm dabei das pietistische Anliegen Arnolds auf, die klassische Unterscheidung zwischen rechtgläubiger Kirche und irrgläubigen Häretikern zu überwinden. Die Frage nach der ecclesia interna spielte bei von Mosheim, der den Fokus auf den Gesellschaftsaspekt als freier Vereinigung legte, jedoch 47 Vgl. zum Verbot der Lehre gegen Bibel und Bekenntnis unter anderem § 37 der Statuten der Universität Göttingen: „Ne quid igitur doceat, vel in auditorio suo, vel privato sermone, vel scriptis, vel ipsa denique vita, quo vel veritas religionis Evangelicae evertatur, vel ad peccandum quisquam invitetur: nihil probet, quod vel divinis libris, vel his qui Symbolorum apud nos nomen et auctoritatem habent, adversetur.“ Zitiert nach Ebel, Die Privilegien und ältesten Statuten der Georg-August-Universität zu Göttingen, S. 59. 48 Vgl. Hammann, Geschichte der evangelischen Kirche in Göttingen (ca. 1650–1866), S. 539–542. 49 Zum Hintergrund der Rede vgl. Mager, Zu Johann Lorenz von Mosheims theologischer Biographie. 50 Zur Auseinandersetzung von Mosheims mit Toland vgl. Reventlow, Johann Lorenz von Mosheims Auseinandersetzung mit Toland.
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nur noch eine untergeordnete Rolle. Die Beurteilung der Kirche und ihrer Entwicklung nach normativen Kriterien nahm – ohne das Bewusstsein der Wahrheit der lutherischen Konfession aufzugeben – deutlich ab und bereitete damit auch den Weg einer konfessionsungebundenen Kirchengeschichtsschreibung.51 Auf von Mosheims Initiative gehen nicht nur zahlreiche Konzeptionen der Universitätsplanung zurück, worüber er mit Münchhausen in regem schriftlichen Austausch stand, sondern auch die Anregung der gleichzeitigen Gründung einer Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften.52 Auf ihn zurückführen lässt sich unter anderem auch der für die Entwicklung der Universität einflussreiche Passus aus den Statuten der Universität, dass alle Professoren „zu ewigen Zeiten vollkommene unbeschränckte Freyheit, Befugniß und Recht haben sollen, öffentlich und besonders zu lehren“.53 Von Anfang an zielte die Universitätsgründung darauf ab, einen möglichst hohen Anteil junger Adliger an sich zu binden. Die Werbung von Adligen erhöhte das finanzielle Potential, das die Studierenden als Hörergeld und insbesondere für zusätzliche Privatstunden aufbringen konnten, und steigerte damit die Attraktivität der Anwerbung neuer Professoren. Gleichzeitig garantierte die Präsenz der Adligen einen weitreichenden gesellschaftlichen Einfluss der Universität sowie eine positive Reputation unter zukünftigen politischen, wirtschaftlichen oder militärischen Entscheidungsträgern, die der Universität direkt oder indirekt zugutekommen konnte. Um jenes anspruchsvolle Publikum nach Göttingen zu holen, versuchte man durch die Einrichtung von Fecht‑ und Reitanlagen ein standesgemäßes Umfeld zu schaffen und den Nachwuchs nachsichtig zu behandeln, was teils heftigen Unmut unter der restlichen Studierendenschaft hervorrufen konnte.54 Das Programm einer ‚pragmatischen‘ Ausrichtung der Disziplinen wie Territorial‑ und Reichsgeschichte, Statistik oder Staatsrecht, welche die Studierenden auf ihre zukünftigen Ämter im Staatsdienst vorbereiten sollte, fand in Göttingen durch Vertreter wie Johann Stephan Pütter (1725–1807), Gottfried Achenwall (1719–1772), Johann Christoph Gatterer (1727–1799) oder 51 Vgl. Moeller, Mosheim und die Anfänge der Universität Göttingen, S. 20–22. Zu von Mosheims Programm der Kirchengeschichtsschreibung sowie seiner Stellung zu Arnolds Kir‑ chen‑ und Ketzerhistorie vgl. auch Ulrich Schneider, Zum Sektenproblem der Kirchengeschichte; Schmidt-Biggemann, Platonismus, Kirchen‑ und Ketzergeschichte. Außerdem die Monographie von Heussi, Die Kirchengeschichtsschreibung Lorenz von Mosheims. 52 Vgl. Moeller, Mosheim und die Anfänge der Universität Göttingen, S. 30. 53 Königlich gross-britannisches kurfürstlich braunschweig-lüneburgisches Privileg vom 7. Dezember 1736, zitiert nach Ebel, Die Privilegien und ältesten Statuten der Georg-August- Universität zu Göttingen, S. 29. Vgl. auch Moeller, Mosheim und die Anfänge der Universität Göttingen, S. 34. 54 Zur Situation der Studierenden an der Göttinger Universität vgl. die materialreiche Studie von Brüdermann, Göttinger Studenten und akademische Gerichtsbarkeit im 18. Jahrhundert. Einen Einblick in den Universitätsalltag bietet auch von Selle, Briefe eines Göttinger Studenten aus dem Jahre 1736. Zu den ursprünglichen Erfolgsfaktoren der Universität Göttingen vgl. auch Kaufmann, „… die vorzüglichste unter allen in Deutschland …“.
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August Ludwig von Schlözer eine in Deutschland exzeptionelle Umsetzung. Der seit der Gründung von Münchhausen intendierte Renomméezuwachs durch zukünftig staatlich einflussreiche Alumni wurde nicht zuletzt durch die prominente Schülerschaft Schlözers, zu denen unter anderem die späteren preußischen Reformer Heinrich Friedrich Karl vom Stein (1757–1831) und Karl August von Hardenberg (1750–1822) gehörten, erreicht. Dabei erkannte Schlözer den besonderen Wert des Mediums der Zeitungen für die Wissenschaft, indem er mit seinen Briefwechseln (1775–1782) und Statsanzeigen (1782–1793) nicht nur zwei der meistgelesenen Zeitungen seiner Zeit edierte, sondern zugleich für seine Studenten Collegia im Zeitunglesen begründete.55 Die Ausrichtung der Universität auf bestimmte staatspolitische Ziele hatte einen – wenn auch zunächst eher schleichenden – Bedeutungswandel der Theologie zur Folge.56 Für die Ausbildung einer kurfürstlichen Verwaltungselite spielte die Theologie keine vorrangige Rolle mehr und zog, anders als beispielsweise die Rechtswissenschaften mit einem hohen Anteil finanziell und gesellschaftlich hochgestellten adligen Nachwuchses, ein weitaus weniger zahlungskräftiges und prestigeträchtiges Publikum an.57 Theologische Kontroversen, die dazu geeignet waren, dem Ruf der jungen Universität zu schaden und Publikum abzuschrecken, sollten vermieden und hierzu neigende Professoren und Studierende von der Universität ferngehalten werden. Trotz der weitreichenden Lehrfreiheit und dem Wert der konfessionellen Toleranz gegenüber reformierten und katholischen Studenten galt für die theologischen Professoren weiterhin die strikte lutherische Bekenntnisbindung. Zu spüren bekam dies als erster prominenter Fall der Exeget Christoph August Heumann (1681–1764), der an der Universität Jena bereits seine Karriere aufgrund einer kritischen Untersuchung zur Erstarrung der Frau Lots hatte beenden müssen. Bereits vor Gründung der Universität Göttingen hatte Heumann gegenüber Münchhausen für eine möglichst umfassende Liberalität der theologischen Wissenschaft plädiert. Seit 1745 gehörte Heumann der theologischen Fakultät an, deren Professoren wie Jakob Wilhelm Feuerlein (1689–1766), Magnus Crusius (1697–1751), Joachim Oporin (1695–1753) und Johann Friedrich Cotta (1764–1832) vornehmlich unter der 55 Zu Schlözer allgemein vgl. Peters, Altes Reich und Europa. Zu Schlözer und dem Zeitschriftenwesen vgl. Böning, Vom Umgang mit Zeitungen; Nicklas, Publizität als Machtfaktor. Zu Schlözers System der Staatswissenschaften vgl. Scattola, Schlözer und die Staatswissenschaften des 18. Jahrhunderts. 56 Vgl. Smend, Kurze Geschichte des Fachbereichs Theologie an der Georgia Augusta, S. 46. Für die Entwicklung der biblischen Exegese nicht unwesentlich ist Schlözers Universal-Historie (1772/73), die sowohl auf den Ergebnissen der orientalischen Kulturstudien Johann David Michaelis’ aufbaute als auch später auf die Arbeit Johann Gottfried Eichhorns wirkte (vgl. Peters, Altes Reich und Europa, bes. S. 175). 57 Zu den politischen und finanziellen Überlegungen Münchhausens bei der Universitätsgründung vgl. Sellert, Rechtwissenschaft und Hochschulpolitik – Münchhausen und die Juristische Fakultät, bes. S. 60–61. Vgl. ebenso C. T. Nooke, Aufgeklärte Universität?.
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Devise ausgesucht worden waren, eine moderate Orthodoxie zu vertreten, die theologische Extreme zu vermeiden gewillt war und die „libertatem conscientiae samt der Tolerantz“58 achtete. Bis zum Wirken Heumanns und zum Antritt von Mosheims (1747) entwickelte die theologische Fakultät in Göttingen daher wenig individuelles Profil und keine nennenswerte Außenwirkung.59 Vom lutherischen Bekenntnis abweichende theologische Meinungen konnten in Kurhannover toleriert werden, solange sie nicht öffentlich gelehrt wurden.60 Heumanns Zweifel an der lutherischen Lehre der Realpräsenz blieben in einem historischen Exkurs zum johanneischen Abendmahlsverständnis in seiner Erklärung des Neuen Testaments (1750–1763) jedoch nicht verborgen, so dass er sich noch während des Druckes an Münchhausen wandte und seine Position vorsorglich verteidigte. Dabei verwies Heumann unter anderem auf Albrecht von Hallers reformiertes Bekenntnis sowie auf König George II. als ‚Rektor‘ der Universität und dessen anglikanisches Bekenntnis, wodurch die innerterritoriale religiöse Realität als Legitimation für die eigene Bekenntnisfreiheit herangezogen wurde.61 Die negative Antwort Münchhausens und der Verweis auf dessen Amtsverletzung als lutherischem Lehrer verdeutlichen die klaren konfessionellen Grenzen, die den Göttinger Theologen gesetzt waren. Es ist kein Zufall, dass der Berliner Theologe August Friedrich Wilhelm Sack (1703–1786), der sich in Brandenburg-Preußen um eine Union der Lutheraner und Reformierten bemühte, schließlich 1764 posthum Heumanns Werk Er weiß, daß die Lehre der Reformierten Kirche von dem Heil. Abendmahle die recht und wahre sey publizierte und damit eine heftige Kontroverse auslöste.62 Die von Heumanns Kollegen, dem Dogmatikprofessor Christian Wilhelm Franz Walch (1726–1784), in Reaktion auf die posthum veröffentlichte Schrift verfasste Rezension in den Göttingischen Anzeigen entsprach kaum den selbst beanspruchten Kriterien der Unparteilichkeit und Mäßigung. Sie stellte vielmehr den Versuch dar, unter anderem durch Angriffe auf Heumanns charakterliche Disposition die Legitimität seiner Thesen in Zweifel zu ziehen und sich als Universität von dessen reformierten Thesen zu distanzieren.63 58 Votum Münchhausens zur Gründung der Universität vom 14. April 1733 (abgedruckt bei Rössler, Die Gründung der Universität Göttingen, S. 33). 59 Vgl. Mager, Die theologische Lehrfreiheit in Göttingen und ihre Grenzen, S. 44. Zu den umfassenden Vorüberlegungen und Berufungsverfahren der ersten Theologen vgl. Baur, Die Anfänge der Theologie an der ‚wohl angeordneten evangelischen Universität‘ Göttingen. Zur Heumann-Kontroverse vgl. Sparn, Philosophische Historie und dogmatische Heterodoxie. 60 Vgl. Mager, Die theologische Lehrfreiheit in Göttingen und ihre Grenzen, S. 48. 61 Vgl. a. a. O., S. 52. 62 Vgl. Pockrandt, Biblische Aufklärung, S. 372. 63 Vgl. Göttingische Anzeigen 1764 (80. Stück), S. 641–648, hier S. 648: „Blos dies opus post‑ humum haben wir anzeigen müssen, daß nicht Auswärtige auf die Gedanken kommen, daß wir die von D. H[eumann] nach seinem Tod unserer Universität und zugleich unsern Obern zugefügte Beleidigung gleichgültig ansehen, oder sich vielleicht beigehen lassen, die Meinung eines Lehrers, gegen welche schon bey seinen Lebzeiten ein gerechtes Misfallen bezeiget worden, eben so auf die Rechnung der ganzen Universität zu schreiben, wie solches neulich in
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2.1.2 Die Göttingischen Anzeigen von gelehrten Sachen Maßgeblichen Anteil an der weit über die Universität hinaus wirkenden Göttinger Theologie hatte deren renommiertes Rezensionsorgan, die Göttingischen Anzeigen von gelehrten Sachen. Die erste Ausgabe war 1739, zwei Jahre nach Gründung der Universität, erschienen und knüpfte dabei an eine wenn auch junge Tradition in Göttingen verlegter Zeitschriften an. Mit der Publikation von Zeitschriften wie Der Bürger (1732), Der Freydencker (1734/35), Der Sammler (1736), der Zerstreuer (1737) oder die Gemeinnützigen Briefe (1739) hatten bereits einzelne Gelehrte die Tradition der moralischen Wochenschriften aufzugreifen versucht, die sich großer Beliebtheit erfreuten und wesentlichen Anteil an der Verbreitung aufklärerischer Moralvorstellungen unter einem wachsenden
einem andern Fall geschehen.“ Lessing sah bereits 1751, unmittelbar nach Erscheinen der Erläuterungen Heumanns zum johanneischen Abendmahlsverständnis im 138. Stück der Berlini‑ schen Privilegirten Zeitung, die orthodoxe Kritik heraufziehen: „Man kan von diesem dritten Theile nichts sagen, als was schon unzählige von den ersten beyden gesagt haben; daß nemlich die Arbeit des Herrn D. Heumanns eine der vollständigsten gründlichsten und lehrreichsten in ihrer Art werden wird. Er ist so weit von der Art gemeiner Exegeten entfernet, daß bekannte Erklärungen, wenn sie nichts als das Alter und die Allgemeinheit vor sich haben, niemals bey ihm von Ansehen sind, und daß ihn der Vorwurff erzwungener Neuerungen niemals abschreckt, mit seinen eigenen Augen zu sehen. Es wäre Schade, wenn er in der Auslegung dieser und jener Stelle einen allgemeinen Beyfall erhalten sollte. Den Gottesgelehrten von Profeßion würde dadurch auf einmal ein fruchtbarer Stof zu Zänkereyen, worinne sie ihre Gelehrsamkeit eben so unwiedersprechlich, als ihre Hartnäckigkeit zeigen können, benommen werden.“ Zitiert nach Baur, Die Anfänge der Theologie an der ‚wohl angeordneten evangelischen Universität‘ Göttingen, S. 41. Die Allgemeine deutsche Bibliothek begrüßte 1765 Heumanns Intention einer Abendmahlsauslegung, auch wenn dessen schwache Argumentation hierfür kritisiert wurde (Allgemeine deutsche Bibliothek 1765 [1. Bd., 1. St.], S. 258–260). Aufschlussreich sind die weiteren Rezensionen Friedrich Gabriel Resewitz’ hierzu, der die theologischen Rezensionen der kommenden Jahrzehnte in der Allgemeinen deutschen Bibliothek bestimmen sollte. Resewitz hält einen theologischen Streit über die Präsenz Christi für dogmatisch unsinnig und bezeichnet die gesamte Kontroverse aus einer gewissen literarischen Distanz als „Tragikkomödie“ (vgl. Allgemeine deutsche Bibliothek 1765 [1. Bd., 2. St.], S. 234–236). Das Motiv der Kritik an der Bekenntnisbindung durchzieht Resewitz gesamte theologische Existenz. Bereits unmittelbar nach dem Studium bei Baumgarten in Halle hatte er 1750 eine Pfarrstelle aufgrund der Verpflichtung auf die Bekenntnisschriften abgelehnt. In einer Rezension der Allgemeinen deutschen Bibliothek von 1767 präzisiert Resewitz sein Religionsverständnis in Hinblick auf die bleibende Bedeutung der Bekenntnisse: „Die symbolischen Bücher sind die Norm für den öffentlichen Lehrer, welche Lehrsätze er in seiner Kirche vortragen, und wofür er sich hüten soll, um das Volk, das er unterrichtet, in den Lehren, dadurch es zur Seligkeit geleitet werden soll, nicht irre zu machen. Aber keine Norm für den Gelehrten, der über diese Sätze philosophirt, welches das Volk nicht kann“. Rezension von Friedrich Gabriel Resewitz zu Johann Daniel Zimmermann, Vertheidigung seiner Schrift von der ersten Drohung Gottes, zugleich auch einiger Gelehrten, wider die allgemeine deutsche Bibliothek (Allgemeine deutsche Bibliothek 1767 [5. Bd., 1. St.], S. 86–120, hier S. 111). Jene grundlegende Skepsis gegenüber dogmatischen Bestimmungen sollte ein Kennzeichen des theologischen Urteils der Allgemeinen deut‑ schen Bibliothek werden.
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Lesepublikum besaßen.64 Dabei orientierte sich beispielsweise Der Bürger am englischen Vorbild des Londoner Spectator.65 Mit der Gründung der Universität entstand jedoch der Anspruch, in Göttingen ein eigenständiges gelehrtes Journal herauszugeben. Seit Mitte des 18. Jahrhunderts lassen sich an der Entwicklung des gelehrten Zeitschriftenwesens in seiner Ausdifferenzierung nach Fachdisziplien die fundamentalen Umbrüche ablesen, die das gesamte bisherige Wissenschaftssystem erfassten.66 Eine herausgehobene Rolle in jenem Prozess spielten die Universität Göttingen und die Gründung einer Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften, die für ein europäisches Gelehrtenpublikum in ihren Commentarii societatis Regiae scientia‑ rum Gottingensis wissenschaftliche Aufsätze ihrer Mitglieder veröffentlichte und mit den Göttingischen Anzeigen für das deutschsprachige Publikum ein eigenes Rezensionsorgan edierte.67 Zeitgleich existierten in Göttingen mehrere moralische Wochenschriften, die jedoch keine weitreichendere Bedeutung erlangten.68 Von Mosheim hatte bereits bei seinen Überlegungen zur Universitätsgründung hervorgehoben, dass eine Universität eine eigene Zeitung brauche, wobei ihm für die Editoren vorschwebte, „dass sie lateinische und teutsche acta Eruditorum ex omni scientiarum genere verfertigen, die vom Universitäts-Buchhändler oder vom Buchläden desselben verleget werden und alle Monathe regulmässig herauskommen“.69 Das explizit genannte Ziel bestand darin, die Leipziger Acta Erudi‑ torum als führendes gelehrtes Journal abzulösen, indem die Göttinger Gelehrten selbst ein Journal edierten, das die Leipziger Acta in ihrem wissenschaftlichen Anspruch übertreffen und vor allem aus Frankreich berichten sollte.70 Dass dieses ambitionierte Vorhaben unter den Umständen der neugegründeten Universität gegenüber dem in Leipzig etablierten, umfangreichen Korrespondentennetzwerk, der Zahl der Mitarbeitenden und den finanziellen Druckmitteln zunächst eher utopisch war, dessen war man sich in Göttingen durchaus bewusst.71 Wie schwierig die Umstände dafür waren, eine neue Zeitung zu etablieren, macht das kurzlebige Schicksal mehrerer Gründungsversuche deutlich, die – genau wie die 64 Zur Entwicklung des Pressewesens in Göttingen vgl. Gierl/Pröfener, Der „Bürger“ und die „Klapperschlange“. 65 Vgl. a. a. O., S. 997. 66 Vgl. Kirchner, Geschichte des deutschen Zeitschriftenwesens, seine Geschichte und seine Probleme, Teil 1, S. 108. 67 Schon 1738 hatte es durch Matthias Gesner den Versuch gegeben, eine gelehrte Gesellschaft zu gründen (vgl. Moeller, Mosheim und die Anfänge der Universität Göttingen, S. 31). 68 Vgl. Kirchner, Geschichte des deutschen Zeitschriftenwesens, seine Geschichte und seine Probleme, Teil 1, S. 108. 69 Rothe, Die Göttingischen Anzeigen, S. 585. Gustav Rothe verweist dabei auf Rössler, Die Gründung der Universität Göttingen, S. 23–24. Zur Entwicklung der Universität Göttingen vgl. auch Meiners, Kurze Darstellung der Entwicklung der hohen Schulen des Protestantischen Deutschlands, besonders der hohen Schule zu Göttingen. 70 Vgl. Rothe, Die Göttingischen Zeitungen, S. 586. 71 Vgl. a. a. O., S. 587.
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meisten im 18. Jahrhundert ins Leben gerufenen Zeitschriften – die ersten zwei Jahre nicht überdauerten.72 Maßgeblichen Anteil an der Schaffung und dem Erfolg der Göttingischen Zeitungen, dem bis 1752 existierenden Vorgänger der Göttingischen Anzeigen, besaß die Anwerbung Balthasar Adolf von Steinwehrs (1704–1771), eines in Leipzig gut vernetzten Schülers Gottscheds, der dort bereits als Redakteur der Leipziger Neuen Zeitungen von gelehrten Sachen fungiert hatte. Mit seiner Kenntnis des Leipziger Verlags‑ und Zeitungswesens gestaltete er die Göttingischen Zeitungen in Aufbau und Artikelauswahl in großer Nähe zu den Leipziger Neuen Zeitungen.73 Somit sollten die Göttingischen Zeitungen nicht nur Rezensionen von Neuerscheinungen liefern, sondern ebenfalls Nachrichten aus der gesamten Gelehrtenwelt bieten, wobei die Göttinger Universität im Zentrum des Interesses stand. Dennoch waren die Göttingischen Zeitungen von Anfang an in erster Linie ein Rezensionsorgan wissenschaftlicher Publikationen, unter denen die französische und englische Literatur besondere Beachtung erfuhren.74 Nach mehrfachem Wechsel erhielt die Redaktion mit der Übernahme Albrecht von Hallers 1747 eine erste, mehrjährige personelle Konstante, wobei Haller mit besonderer Hingabe die Rezeption französischer und holländischer Literatur vorantrieb. Der Kreis der an den Göttingischen Zeitungen beteiligten Redakteure sollte sich lediglich aus Professoren rekrutieren, die sowohl als Garanten des höchsten wissenschaftlichen Anspruchs dienten als auch aufgrund ihrer renommierten Stellung eine persönliche Befreiung von der Zensur erhielten.75 Die Ambivalenz der Urteilsfreiheit, die durch den Professorenstatus ermöglicht wurde und zugleich in Abhängigkeit von der Universität als landesherrlicher Institution beschränkt war, gehört wesentlich zu den speziellen Konstitutionsbedingungen der erfolgreichen Göttinger gelehrten Zeitschrift. Für die Entwicklung der Göttingischen Zeitungen entscheidend war die führende Rolle des Mediziners und Universalgelehrten Albrecht von Haller, der seit 1747 und selbst nach seiner Rückkehr nach Bern 1753 bis zu seinem Tod 1770 durch seine exorbitante Zahl an Rezensionen das Urteil der Göttingischen An‑ zeigen maßgeblich beeinflusste. Als Präsident der Königlichen Gesellschaft der 72 Zu den Versuchen einer gelehrten Zeitschrift gehörten unter anderem der Abriß von dem Neuesten Zustande der Gelehrsamkeit (1737–1744), Die Göttingische Bibliothek (1746–1747) ebenso wie die Göttingischen gelehrten Nachrichten (1744–1746). Vgl. dazu Rothe, Die Göttingischen Zeitungen, S. 592. 73 Vgl. a. a. O., S. 596. 74 Jennifer Willenberg weist in ihrer Monographie über die Verbreitung englischer Literatur in Deutschland darauf hin, dass die Göttingischen Anzeigen mit einem Anteil englischer Werke von fünf bis zehn Prozent die bedeutendste Zeitschrift für die Vermittlung englischer Literatur in Deutschland darstellten (vgl. Willenberg, Distribution und Übersetzung englischen Schrifttums im Deutschland des 18. Jahrhunderts, S. 144). Zum Verhältnis des englischen und Göttinger Pressewesens vgl. auch Gierl, Zeitschrift – Stadt – Information – London – Göttingen – Aufklärung. 75 Vgl. Rothe, Die Göttingischen Zeitungen, S. 606.
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Wissenschaften in Göttingen und korrespondierendes Mitglied mehrerer ausländischer Akademien verfügte Haller über ein umfangreiches wissenschaftliches Netzwerk auf dem gesamten Kontinent.76 Zudem erfuhr er, Schüler des berühmten holländischen Arztes Hermann Boerhaave, aufgrund seiner naturwissenschaftlichen Leistungen europaweite Achtung. Vertraut mit den Publikationen der westeuropäischen gelehrten Journale und ihrem Potential für den Wissenstransfer war es Hallers Verdienst, die Göttingischen Zeitungen und späteren Göttingischen Anzeigen als ein Medium der Vermittlung europäischer Schriften in Deutschland zu etablieren.77 Dabei lieferte er Beiträge aus den Bereichen der Medizin, Botanik, Astronomie, Mathematik, Ökonomie und Geschichte, 76 Zu Hallers Korrespondenzen und seinem Netzwerk vgl. die umfassende und graphisch exzellent dargestellte Dokumentation in: Stuber/Hächler/Lienhard (Hg.), Hallers Netz. 77 Zur Bedeutung der Rezeption ausländischer Literatur vgl. das Vorwort Christian Gottlob Heynes, des seit 1770 amtierenden Direktors der Göttingischen Anzeigen: „Gelehrte Zeitungen blos als Recensionen betrachtet, haben einen sehr eingeschränkten Gesichtskreiß. Nein, sie müssen mehr leisten; man soll aus ihnen das Steigen und Fallen, die Fortschritte der Kenntnisse, Einsichten und Studien eines Landes und Volks beurtheilen können. (…) Alles das sind ausgestreute Saamenkörner, welche oft nach Zeiten aufgehen und hundertfältige Früchte tragen. Man mag für oder wider Göttingen eingenommen seyn, wie man will, so muß man doch eingestehen, daß es das Seinige beygetragen hat, die Studien der Deutschen mehr auf das Nützliche und Brauchbare in allen Wissenschaften zu richten, und die Erfahrungen, Entdeckungen und Bemerkungen der Ausländer zu nutzen. Die Bekanntschaft mit der ausländischen Litteratur bewahrt den deutschen Gelehrten vor vielen Fehlern und Vorurtheilen, denen Französische, Englische und Italiänische Gelehrten ausgesetzt sind. Göttingen hat hierinn sein eigenes anerkanntes Verdienst. Die Entdeckungen und Wahrnehmungen in der Physik, Mathesis, Naturgeschichte, Oeconomie, haben durch die gelehrten Anzeigen manche Ausbreitung erhalten. Auch in der Völkergeschichte, in der Erdbeschreibung, in der Statistik, in der Exegetik und dem Studium der gelehrten Sprachen, hat das Lesen der Ausländer vielen Einfluß auf Berichtigung und Erweiterung der ehemals herrschenden Begriffe gehabt; insonderheit ist der Gebrauch der Reisegeschichten fast von Göttingen ausgegangen, welcher zur Aufklärung in Philosophie, Theologie und Politik so sehr gewirkt und den Gesichtskreiß der Denker um so vieles erweitert hat. Die Gelehrten Anzeigen sind also einigermaßen das Tagebuch dessen, was ein großer Theil der hiesigen Gelehrten (…) an neuen Schriften gelesen hat; (…) Andre haben sich an dem Feuer gewärmt; sie haben die Nachrichten gebraucht, und von den Bemerkungen Anlaß zu fernern Untersuchungen genommen. Sachkundige finden in diesen Blättern, wie das Publicum von Zeit zu Zeit hier gestimmt war, was in jeder Zeitperiode die vorzüglichsten Gegenstände von Forschung, Bearbeitung, Bestreitung, hiesiger Gelehrten gewesen sind; welche Fortschritte sich in einer und andern Kenntniß im Einzelnen und im Ganzen bemerken lassen; man wird manchen Gelehrten in seiner ganzen Bildung verfolgen können; man wird, und das ist ein vorzügliches Verdienst von den gelehrten Anzeigen, die ersten Keime von hundert neuen Bemerkungen und Verbesserungen des Lehrbegriffs und der Lehrsätze in verschiedenen Wissenschaften antreffen, welche nachher allgemein oder vom aufgeklärtern Theil sind aufgenommen worden. Ich selbst habe in einem Zeitlauf von zwanzig Jahren mit Vergnügen bemerkt, wie viele Sätze in dem Felde meiner Kenntnisse Anfangs nur schüchtern und sehr bedächtig in den Gel. Anz. beyläufig eingestreuet wurden, welche nunmehr unter die allgemein bekannten, zum Theil trivial gewordnen Wahrheiten gehören. Ich kenne manche Schrift, zu der die erste Anlage, der Keim und der Grundstoff, ein Wink oder Blick in den Gel. Anz. war. Dem Gelehrten, dem es mehr darum zu thun ist, daß bessere Einsichten verbreitet werden, als daß das Publicum wissen soll, sie kommen von ihm her, ist es ein angenehm Schaupiel, dem Fortschreiten der Kenntnisse zuzusehen, und die Quellen und Mittel ihrer Erweckung zu bemerken.“ Christian Gottlob Heyne,
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Theologie oder Poesie. Mit seinem naturwissenschaftlichen Interesse prägte Haller in jener Phase maßgeblich die inhaltliche Ausrichtung der Göttingischen Zei‑ tungen und verband dies zugleich mit einer vehementen Verteidigung christlicher Traditionen gegen die materialistischen Theorien des französischen Arztes und Aufklärers Julien Offray de la Mettrie. Mit seiner profunden Kenntnis des französischen Schrifttums und seiner moderierenden Rezensionstätigkeit trug Haller wesentlich dazu bei, ein spezifisches Bild der französischen Aufklärung in Deutschland zu verbreiten.78 Die wesentlichen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Rezensionstätigkeit stellten sowohl das Korrespondentennetzwerk als auch die zeitnahe Anschaffung neuester wissenschaftlicher Literatur durch die Göttinger Universitätsbibliothek dar.79 Nicht zuletzt aufgrund der massiven Unterstützung Münchhausens, der sich zum Teil selbst für die Beschaffung literarischer Raritäten einsetzte und Haller zu Rezensionen derselben aufforderte, profitierten die Göttingischen An‑ zeigen und die rasant wachsende Göttinger Bibliothek gegenseitig voneinander. Einerseits ermöglichten die Neuanschaffungen der Bibliothek den Rezensenten den Zugang zu aktuellen Publikationen aus ganz Europa, andererseits gelangten für Rezensionen zur Verfügung gestellte Werke in der Regel unmittelbar in den Besitz der Bibliothek.80 Eine wesentliche Quelle stellten zudem die anderen deutschsprachigen und europäischen gelehrten Zeitschriften dar, die vielfach durch Münchhausen über Hannover beschafft werden konnten.81 Vorwort zu: Ekkard (Hg.), Allgemeines Register über die Göttingischen gelehrten Anzeigen von 1753–1782, Bd. 1, S. 3–16, hier S. 5–10. 78 Zur Theologie Albrecht von Hallers vgl. Kaufmann, Über Hallers Religion. Zu Hallers literarischer Rezensionstätigkeit vgl. Profos Frick, Albrecht von Hallers literarisch-wissenschaftliche Rezensionen in den ‚Göttingischen Gelehrten Anzeigen‘. Zur Auseinandersetzung zwischen Haller und la Mettrie und zu deren Rezeption in den Göttingischen Gelehrten Anzeigen vgl. Knabe, Die Rezeption der französischen Aufklärung in den „Göttingischen Gelehrten Anzeigen“ (1739–1779), S. 121–149. Zu Haller und la Mettrie vgl. auch Kap. IV, Anm. 5. 79 Unter Gesners Leitung wuchs die Bibliothek bis 1761 bereits auf 50.000 Bände und löste damit die Bedeutung der Privatbibliotheken der Professoren ab. Unter Heyne verdreifachte sich die Zahl der Bücher bis 1812 auf ca. 160.000 Bände. Göttingen besaß damit eine der umfangreichsten Universitätsbibliotheken im deutschsprachigen Raum. So verfügte die Bibliothek der bedeutenden Universität Halle 1780 lediglich über 12.000 Bände, die berühmte Cambridge University Library bloß über 30.000 Bände (vgl. Müllenbrock/Wolpers, Englische Literatur in der Göttinger Universitätsbibliothek des 18. Jahrhunderts, S. 12; Kind-D oerne, Die Niedersächsische Staats‑ und Universitätsbibliothek Göttingen, S. 10–27; Hartmann/Füchsel (Hg.), Geschichte der Universitäts-Bibliothek Göttingen. Vgl. auch Streich, Die Büchersammlungen Göttinger Professoren im 18. Jahrhundert; Fabian, Göttingen als Forschungsbibliothek im 18. Jahrhundert; Ders., Die Göttinger Universitätsbibliothek im achtzehnten Jahrhundert. 80 Rothe, Die Göttingischen Zeitungen, S. 620. Zur Entwicklung der Buch‑ und Lesekultur in Göttingen vgl. S. Füssel, Leihbibliotheken und Leseinstitute in der Universitätsstadt Göttingen. Zur Bedeutung der Leihbibliotheken für die Leserevolution in Deutschland vgl. Martin, Die deutsche Leihbibliothek, S. 1–134. 81 Aus Hannover verfügten die Göttingischen Anzeigen unter anderem über die bedeutenden französischen gelehrten Journale wie das Journal des Scavants, Mercure de France, Journal
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Ein Netz aus Buchhändlern, Gelehrten und politischen Gesandten in Frankreich, Holland, England, Schweden, Dänemark oder Italien, nicht selten durch politische Vermittlung Münchhausens entstanden, versorgte die Göttinger Rezensenten mit Veröffentlichungslisten aus den europäischen Metropolen. Aufgrund dieser Veröffentlichungslisten sowie der Empfehlungen seiner europäischen Korrespondenten gab Haller die Beschaffung der Bücher unter anderem über den Hannover’schen Geheimen Kanzleisekretär Wilhelm Philipp Best (1712–1785) in London in Auftrag.82 Die intensive Korrespondenz zwischen Münchhausen und Haller, die nicht immer frei von Spannungen war, spiegelt zugleich die institutionellen Bedingungen wider, unter denen sich die Göttingischen Anzeigen und ihre publizistische Beurteilung aufklärerischer Ideen vollzogen. Hatte Münchhausen den Göttingischen Anzeigen zwar Zensurfreiheit ihrer Rezensenten zugesichert, so versuchte er doch über Haller gezielt auf missliebige Meinungsäußerungen Einfluss zu nehmen und diese zu unterbinden. Dies galt in besonderer Weise für Rezensionen, die geeignet waren, negative Auswirkungen auf die Entwicklung der Universität auszuüben. Für Münchhausen dienten die Göttingischen Anzeigen in erster Linie zur Förderung des positiven Renommées der jungen Universität in der Gelehrtenwelt, deren Arbeit sich diesem Ziel im Zweifelsfall unterzuordnen hatte. Allzu scharfe antipäpstliche Polemik duldete Münchhausen beispielsweise nicht, da sie die Attraktivität der Universität unter vornehmen katholischen Studenten zu gefährden drohte. Auf ähnliche Weise suchte er auch heftige innertheologische Kontroversen wie zwischen Heumann und dem Erlanger Theologieprofessor Kaspar Jacob Huth (1711–1760) in den Göttingischen Anzeigen zu unterbinden und persönliche Fehden in denselben zu vermeiden.83 Zu Beginn der 1750er-Jahre veränderten sich die Publikationsbedingungen für die Göttingischen Zeitungen in mancher Hinsicht grundlegend. Mit der Gründung der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften 1751 entstand unter ihrem ersten Präsidenten Haller zugleich der Plan, ein eigenes Journal der Akademie in lateinischer Sprache zu publizieren, das in ausführlicheren Artikeln monatlich von herausragenden wissenschaftlichen Publikationen berichten sollte. In Anlehnung an das berühmte Leipziger Vorbild sollten die lateinischen Acta ein gesamteuropäisches Publikum über die wissenschaftlichen Errungenschaften aus Göttingen informieren, während die parallel edierten, umfangreicheren Göttin‑ gischen Anzeigen von gelehrten Sachen den deutschsprachigen Raum zu bedienen hatten. Aufgrund der Herausgeberschaft seitens der neugegründeten Akademie de Trévoux oder die Bibliothèque française. Aus England erhielt man die Philosophical trans‑ actions, Monthly review und Gentlemen’s magazine (vgl. Rothe, Die Göttingischen Zeitungen, S. 620–621). 82 Zu Wilhelm Bests Wirken in London vgl. Jefcoate, Wilhelm Philipp Best und der Londoner Buchhandel. Vgl. auch Rothe, Die Göttingischen Zeitungen, S. 621. 83 Vgl. Rothe, Die Göttingischen Zeitungen, S. 630.
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und des expliziten Verbots, Artikel und Rezensionen von Studenten oder jungen Magistern verfassen zu lassen – eine Praxis, die man den Leipziger Acta Erudi‑ torum unterstellte –, sollten die Göttingischen Acta besondere wissenschaftliche Solidität garantieren.84 Der Plan einer gesonderten, lateinischen Zeitschrift unter dem Titel Relationes de novis libris insbesondere für den westeuropäischen Markt scheiterte jedoch bereits 1756 wieder, da lateinisch verfasste gelehrte Zeitschriften auch im Ausland ihren Zenit überschritten hatten und keine Leserschaft mehr fanden.85 Das Ende der lateinischen Relationes bedeutete gleichzeitig eine Chance für die deutschsprachigen Göttingischen Anzeigen von gelehrten Sachen, die unter diesem neuen Namen seit 1753 von der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften in Göttingen herausgegeben wurden. Die Neuausrichtung der Göttin‑ gischen Anzeigen ging mit einer personellen Veränderung einher, die durch den Weggang Hallers aus Göttingen 1753 erforderlich wurde. Mit Johann David Michaelis übernahm ein renommierter Philologe die Redaktion der Zeitschrift, dessen Hallenser Prägung in seiner philologisch-theologischen Synthese sich nachhaltig auf das theologische Urteil der Göttingischen Anzeigen in den historischen Bibeldebatten der folgenden Jahrzehnte auswirken sollte. Dennoch blieb Hallers Einfluss auf die Göttingischen Anzeigen unter Michaelis’ Direktion bis 1770 auch von Bern aus spürbar, was bereits der Umstand deutlich macht, dass Haller noch 1770 alleine 307 Rezensionen beitrug, während Heyne mit den zweitmeisten Rezensionen ‚lediglich‘ 95 beisteuerte. Unter Michaelis’ Direktion stiegen die Absatzzahlen zwischen 1753 und 1756 von 459 auf 810 bestellte Exemplare, brachen jedoch infolge des 3. Schlesischen Krieges bis 1764 zunächst wieder ein.86 Theologische Werke wurden anfangs von den Theologen Johann Lorenz von Mosheim, Friedrich Wilhelm Stromeyer (1712–1772), Johann David Heilmann (1727–1764) und Franz Christian Walch und später auch Gottfried Less rezensiert, wobei Michaelis und Johann Friedrich Jacobi (1712–1791) ebenfalls theologische Beiträge verfassten. Obwohl Michaelis selbst nur wenige Werke rezensierte, übte er doch wesentlichen Einfluss auf die theologische Ausrichtung der Zeitschrift aus, indem er bewusst eine apologetische Haltung gegenüber rationaler Bibelkritik favorisierte und den Dogmatiker Less mit zahlreichen Rezensionen betraute, während Theologen wie Jacobi oder Anton Friedrich Büsching 84 Vgl.
a. a. O., S. 634–635. Vgl. a. a. O., S. 641. Rothe zitiert aus einem Brief des englischen Theologen Nathanael Lardners an Michaelis: „Literarie Journals, I believe, are not much read here by the learned, but rather by Gentlemen, and Men of Quality, who read chiefly for amusement and diversion. It is therefore some disadvantage, with respect to us, that your Journal is in Latin. I am apt to think, that the Acta Lipsiensia, which used to be read by many here formerly, are now little sought after. Journals in the French language are more agreeable to us!“ (Woher Rothe diesen Brief zitiert, ließ sich bisher nicht rekonstruieren.) 86 Vgl. a. a. O., S. 656. 85
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(1724–1793) zurückstehen mussten.87 Für diese Haltung wurde Michaelis bewusst von dem Hamburger Pastor Johann Melchior Goeze gelobt, während der Hannover’sche Konsistorialrat Gabriel Wilhelm Götten (1708–1781) versuchte, bei Michaelis positive Urteile über Lessings Publikationen in den Göttingischen An‑ zeigen zu verhindern.88 Dabei wusste Michaelis in seinen Korrespondenzen geschickt sich selbst in den Debatten zwischen Lessing und Goeze, Götten und Johann Friedrich Jacobi oder Ernst August Bertling (1721–1769) und Johann Ernst Schubert (1717–1774) auf keine Position festlegen zu lassen.89 Ende der 1760er-Jahre erschütterte allerdings die erste tiefgreifende Krise die Königliche Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. Den eigentlichen Ausschlag gab die Ablehnung der Aufnahme August Ludwig von Schlözers in die Gesellschaft. Michaelis hatte mit Unterstützung Münchhausens – der aufgrund Schlözers europaweitem Renommée auf weitere ausländische Studenten für die Universität hoffte – Schlözers Aufnahme durchzusetzen versucht, die aber am Widerstand der Mitglieder Christian Gottlob Heyne (1729–1812) und Abraham Gotthelf Kästner (1719–1800) scheiterte. Die Krise, die mit Michaelis’ Austritt aus der Gesellschaft der Wissenschaften und deren Übernahme durch Heyne endete, war jedoch weit mehr als das Ergebnis persönlicher Intrigen.90 Mit der endgültigen Absage einer Rückkehr Hallers aus Bern 1769 sowie dem Tod des großen Organisators und Mäzenaten der Universität Münchhausen 1770 traten zwei Persönlichkeiten ab, die als wesentliche Garanten der wissenschaftlichen und institutionellen Einheit der Göttinger Gesellschaft der Wissenschaften fungiert hatten, wodurch eine Reorganisation der Klassen der Gesellschaft notwendig wurde. Die Spannungen des Übergangs zur zweiten Generation fielen zudem in den Anbruch einer neuen literarischen und gesellschaftlichen Epoche, die ihren Ausdruck unter anderem in der Gründung des Göttinger Musenalmanachs 1770 durch Heinrich Christian Boies (1744–1806) fand. In diesem Umfeld junger Schriftsteller mit ihren Beiträgen zum Musenalmanach, unter denen sich nicht wenige evangelische Pfarrerssöhne und Theologiestudenten wiederfanden, gründete sich zwei Jahre später der Kreis des sogenannten Göttinger Hainbundes. Hier versammelte sich vor den Toren Göttingens eine naturbegeisterte neue Generation von Studenten, die, inspiriert von der Poesie Friedrich Gottlieb Klopstocks (1724–1803), Lessings, Johann Gottfried Herders (1744–1803) und Johann Wolfgang von Goethes (1749–1832), eine neue deutsche Literatur‑ und Geistesbewegung in Gang setzen wollte. Der Hainbund stellte in gewisser Weise den Vgl. a. a. O., S. 662. Vgl. ebd. 89 Vgl a. a. O., S. 663. Vgl. zu Michaelis’ vorsichtigem Urteil auch Profos Frick, Albrecht von Hallers literarisch wissenschaftliche Rezensionen in den ‚Göttingischen Gelehrten Anzeigen‘, S. 314–318. 90 Vgl. Frensdorff, Eine Krisis in der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. 87 88
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Einbruch der neuen bürgerlichen Literatur‑ und Geselligkeitsformen in Göttingen dar, der in der klassischen Göttinger Gelehrtenwelt überwiegend auf Ablehnung stieß.91 Das Unverständnis, auf welches jene junge, emphatische Generation in der streng rational gesinnten Gelehrtenwelt stieß, veranschaulicht das Urteil Georg Christoph Lichtenbergs (1742–1799), der befand, dass man daran täglich sehe, „wie der gesunde Menschenverstand unter Oden-Klang am Altar des mystischen Nonsenses stirbt“.92 Auch wenn der Göttinger Hainbund sich bereits 1775 wieder auflösen sollte, wurden die Anliegen jener neu anbrechenden Bewegung unter den Göttinger Gelehrten zunächst kaum wahrgenommen. Heyne gehörte selbst nicht zu jener jungen Generation, dennoch finden sich bei ihm bereits einige Elemente der neuen Bewegungen. Als Professor für Beredsamkeit und Dichtkunst beschäftigte er sich intensiv mit literarischen Fragen und baute in seiner Funktion als Direktor die Göttinger Bibliothek zu einer der bedeutendsten deutschen Bibliotheken aus. Zugleich stand er in reger Korrespondenz mit den Vorbildern des Hainbundes wie Lessing oder Herder und teilte mit Johann Joachim Winkelmann (1717–1768) sowie anderen das große Interesse an der antiken Poetik und Mythologie. Dabei fungierte Heyne nicht nur als Direktor der Göttingischen Anzeigen, sondern war maßgeblich am Aufbau des Rezensentenkreises für Nicolais Allgemeine deutsche Bibliothek in Berlin beteiligt und verfasste ebenso wie sein Kollege Kästner zahlreiche Rezensionen hierfür.93 An der Person Heynes wird auch die Akzentverschiebung deutlich, die sich mit dem Wechsel von Michaelis zu Heyne im Direktorium der Königlichen Gesellschaft und der Göttingischen Anzeigen vollzog. Mit seinen alttestamentlichen Vorlesungen, seiner Edition der Hebräischen Poesie des englischen 91 Zum
Generationenkonflikt, der sich unter anderem in der Kritik vieler Pfarrerssöhne im Göttinger Hain gegen die akademische, rationale Gelehrtenkultur richtet und zum Ausdruck eines gesamtgesellschaftlichen Umbruchs nach dem Siebenjährigen Krieg wurde, vgl. Peter, Geselligkeiten, S. 176–181; Hettche, Geselligkeit im Hain, S. 125–140. 92 „Ich lebe nun der angenehmen Hoffnung, daß der Musen-Almanach besser werden wird, wenn das rasende Oden-Geschnaube heraus bleibt. Ich gebe es zu, daß es Menschen geben kann, die in einer solchen Zeile die Tritte des Allmächtigen und das Rauschen von Libanons Zedern zu hören glauben, aber ich bitte Gott, daß er alle guten Leute in Gnaden vor solchen Nerven bewahren wolle. Nichts ist lustiger, als wenn sich die Nonsense-Sänger über die Wollustsänger lustig hermachen […]. Die Unschuld der Mädchen ist in den letzten 10 Jahren, da die Komischen Erzählungen heraus sind, nicht um ein Haar leichter zu schlachten gewesen als vorher, hingegen sieht man täglich wie der gesunde Menschenverstand unter Oden-Klang am Altar des mystischen Nonsenses stirbt.“ Georg Christoph Lichtenberg an den Verleger des Göttinger Musenalmanachs Johann Christian Dietrich am 28. Januar 1775, abgedruckt in: Lichtenberg, Schriften und Briefe, Bd. 4, S. 226–227. Zum Göttinger Hainbund vgl. unter anderem Prutz, Der Göttinger Dichterbund – zur Geschichte der deutschen Literatur; Kelletat, Der Göttinger Hain; Jørgensen/Bohnen/Øhrgaard, Aufklärung, Sturm und Drang und frühe Klassik, S. 403–424. Zur Phase des literarischen Übergangs in Göttingen vgl. auch Hassenstein, Das literarische Göttingen. 93 Vgl. Ute Schneider, Friedrich Nicolais Allgemeine deutsche Bibliothek als Integrationsmedium der Gelehrtenrepublik, S. 134.
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Bischofs Robert Lowth (1710–1787) oder der Organisation einer orientalischen Forschungsreise zur Verifikation biblischer Überlieferung galt Michaelis’ Interesse vornehmlich den biblischen Texten und ihrem vertieften Verständnis. Heyne widmete seine philologischen Studien hingegen vornehmlich der römischen und griechischen Kultur, die jedoch nicht mehr als Mittel zum Verständnis der Bibel dienten, sondern aufgrund ihres kulturellen und ästhetischen Eigenwertes einen Forschungsgegenstand sui generis bildete. Nicht nur die Göttinger Theologen wie Johann Gottfried Eichhorn (1752–1827) oder Johann Philipp Gabler (1753– 1826) wurden durch die exegetische Adaption der Einsichten aus Heynes antiker Mythenforschung beeinflusst. Heyne, der Münchhausens wesentliches Verdienst für die Entwicklung der Theologie in Göttingen darin sah, diese auf „Kritik, Philologie und Historie“94 aufgebaut zu haben, betrachtete die Geschichtswissenschaft als „sanctissima philosophia“, deren besondere Aufgabe er in der Aufklärung der „doctrina sacra“ sah.95 Wie die theologische Entwicklung der Werke und Rezensionen des Göttinger Dogmatikers Gottfried Less deutlich machen, musste sich auch die Dogmatik mit den Konsequenzen jener Veränderungen auseinandersetzen und begann ihre Begründung des Schriftverständnisses vor dem Hintergrund der neuen Kulturtheorien spätestens seit Ende der 1770er- Jahre grundlegend zu reformulieren. Mit der Gründung eigenständiger theologisch-exegetischer Fachzeitschriften wie Michaelis’ Orientalische und exege‑ tische Bibliothek (1771–1793) oder Eichhorns Repertorium der biblischen und morgenländischen Litteratur (1777–1786) setzte sich zudem die innertheologische Ausdifferenzierung der Disziplinen fort und entzog die Beurteilung neuer exegetischer Publikationen und Thesen der Deutungshoheit des Dogmatikers.96 In der Spannung zwischen der wachsenden Zahl fachspezifischer Zeitschriften und 94 „Was die Theologischen Wissenschaften anbetrifft, so ließ er seine erhabene Seele gewiß nie zu jener übelverstandenen Strenge und Heftigkeit herabsinken, die aus einem eingeschränkten Geiste und engen Herzen herrührt. Die Frömmigkeit sollte lauter und rein sein; und die Gottesgelehrtheit sollte sich auf Kritik, Philologie und Historie gründen. (…) Auch die Geschichte der Dogmatik, Symbolik und der Kirche hat unserm Göttingen viel zu verdanken.“ Christian Gottlob Heyne, Rede zu Ehre und Gedächtnis des Freiherrn von Münchhausen, in: Ebel (Hg.), Göttinger Universitätsreden aus zwei Jahrhunderten (1737–1934), S. 94. 95 „Divinor vero disciplina tanto maiorem historie dignitatem ac splendorem conciliat, quod, quoad factis et rebus gestis nititur, historicae fidei stabilitatem ac firmitatem unice respicit. Tu autem, sanctissima philosophia, vitae lux, universi huius interpres, mirandorum summi opificis operum enarratrix, veritatis auctor eademque restitutrix, quae etiam ex sacra doctrina tenebras et squalorem superiorum saeculorum depulisti …“ (Heyne, Opuscula academica collecta et animadversationibus locupletata, Bd. I, S. 281). Vgl. Heidenreich, Christian Gottlob Heyne und die Alte Geschichte, S. 184. Zu Heynes Einfluss auf Eichhorn vgl. Smend, Johann David Michaelis und Johann Gottfried Eichhorn – zwei Orientalisten am Rande der Theologie. Zu Heynes distanzierter Haltung der Dogmatik gegenüber vgl. auch die Anmerkung bei Kaufmann, „… die vorzüglichste unter allen in Deutschland …“, S. 93. 96 Als exemplarisch gilt hier die Altdorfer Antrittsrede von Johann Philipp Gabler, De iusto discrimine theologiae biblicae et dogmaticae regundisque recte utriusque finibus (1787), in der die Exegese als eigenständige, von der Dogmatik unterschiedene Disziplin gesondert wurde.
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der zunehmenden bürgerlichen Vorliebe für unterhaltsame Literaturkritik, wie sie vom Göttinger Hainbund oder von den Berliner Aufklärungsgesellschaften praktiziert wurde, offenbarte sich zunehmend das strukturelle Defizit des Anspruchs einer allgemeinen wissenschaftlichen gelehrten Zeitschrift wie der Göt‑ tingischen Anzeigen.
2.2. Berlin 2.2.1 Aufstieg und bürgerliche Bildungskul tur Trotz der Gründung des Göttinger Musenalmanachs und der Korrespondenzen Heynes mit den literarischen Größen seiner Zeit tat man sich in Göttingen schwer, an die literarischen Entwicklungen anzuknüpfen, die gegen Ende des 18. Jahrhunderts die deutsche Gelehrtenwelt beschäftigten. Mit der Ablehnung der Berufung Herders auf einen theologischen Lehrstuhl nach Göttingen verpasste die nach historischen und rationalen Beweisen suchende Göttinger Theologie den Anschluss an die neuen Strömungen ihrer Zeit.97 Friedrich Nicolai charakterisierte die Gründe der Ablehnung Herders in Göttingen wie folgt: „Herder will die Orthodoxie in Göttingen gefühlvoll vortragen, und die hochwürdigen Herren der Facultät wollen sie nur in Syllogismen vorgetragen wissen“.98 Herders Wechsel nach Weimar, wo bereits Wieland und Goethe wirkten, sowie seine Mitarbeit an Nicolais in Berlin verlegter Allgemeiner deutscher Bibliothek spiegeln dabei exemplarisch den Anstieg der Bedeutung außeruniversitärer Gebildeter und ihrer Debattenkulturen gegen Ende des 18. Jahrhunderts wider. Die Entwicklung Berlins zu einer wirtschaftlichen und kulturellen Metropole, die sich nach Ende des Siebenjährigen Krieges massiv beschleunigte, basierte auf sehr verschiedenen Faktoren. Bereits mit dem Aufstieg Preußens zum Königtum und den Entscheidungen Wilhelms I. (reg. 1713–1740), Hugenotten und Handwerker ins Land zu holen, wurden in Preußen die entscheidenden maßgeblichen Grundlagen für eine exzeptionelle Entwicklung wirtschaftlicher Prosperität und religiöser Toleranz gelegt. Der Amtsantritt Friedrichs II. (1740–1786) bedeutete in mehrerlei Hinsicht den Beginn einer neuen Epoche Preußens, in der das Königreich nicht nur politisch zur einzigen norddeutschen Großmacht 97 Vgl. auch das Urteil von Prutz: „die Universität wurde sich der Abweichung von ihrem historischen Princip bewußt, die in der Berufung Herder’s lag, des Gefühlstheologen, des Poeten, des genialisirenden Subjects; die Rechtgläubigkeit protestirte, der academische Bocksbeutel chickanirte, und Herder verließ Göttingen, ohne das Katheder betreten zu haben, um in Weimar einen entsprechenderen Wirkungskreis zu finden“ (Prutz, Der Göttinger Dichterbund – zur Geschichte der deutschen Literatur, S. 298–299). 98 Johann Friedrich Nicolai an Johann Heinrich Merck vom 28. Dezember 1775, in: Nicolai, Briefe an Johann Heinrich Merck von Goethe, Herder, Wieland und anderen bedeutenden Zeitgenossen, S. 79.
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aufstieg, sondern auch zu einem geistigen und kulturellen Zentrum avancierte.99 Die persönlichen kulturpolitischen Entscheidungen wie die Wiedereinsetzung Christian Wolffs in Halle oder die Aufnahme zahlreicher in Frankreich verfolgter Aufklärer wie Jean-Baptiste de Boyer Marquis d’Argens (1703–1771), Julien Offray de la Mettrie (1709–1751), Pierre-Louis de Maupertuis (1698–1759) oder François-Marie Arouet (Voltaire) (1694–1778) am Hofe in Potsdam beförderten den Ruf Preußens als Hort der Gedanken‑ und Religionsfreiheit. Im Sinne eines aufgeklärten Absolutismus suchte Friedrich II. den Staat durch die Etablierung straffer und effizienter Regierungsstrukturen in den Verwaltungsbereichen wie Wirtschaft, Militär und Justizwesen zu reorganisieren. Der Bedeutungsaufschwung jener staatlichen Organisationsbereiche gewann sukzessive an Relevanz für die Wahrnehmung theologischer Debatten unter den Berliner Aufklärern, wie die intensive Beteiligung zahlreicher preußischer Beamter an den Salons und ihren Religionsdebatten zeigt. Die konsequente Umsetzung der Idee des aufgeklärten, staatstheoretisch begründeten Königtums100 in einem konfessionell zunehmend heterogenen Staat ließ insbesondere in konkreten juristischen Konfliktfällen wie Schulpflicht oder Militärdienst eine Verhältnisbestimmung zwischen den Ansprüchen weltlichen und religiösen Rechts notwendig werden. Wie bereits Thomasius’ juristische Beschäftigung mit der Kirchengeschichte zur scharfen historischen Kritik geführt hatte, wirkte sich auch hier die juristische Perspektive im Sinne eines übergeordneten nationalen politischen und ökonomischen Interesses wesentlich auf das Urteil über die Religion und ihre Geschichte aus. Der Einfluss der negativen Erfahrungen kirchlicher Toleranz seitens der aus Frankreich geflohenen Aufklärer am preußischen Hof trug nicht unwesentlich zum antiklerikalen Impuls bei, der religiöse Texte im Allgemeinen als Ausdruck der Legitimation eines religiösen Machtanspruchs und universal religiösen „Priesterbetrugs“ betrachtete. Die detaillierten Kriegspläne Friedrichs II. führten zugleich zu einer umfassenden Militarisierung Preußens und der Stadt Berlin. Zählte die Stadt zu Beginn des 18. Jahrhunderts lediglich rund 57.000 Einwohner, lebten in ihr 1740 bereits 90.000 und 1784 145.000 Einwohner, von denen 33.600 allein zur Garnison zählten.101 Insbesondere der dritte Schlesische Krieg (1756–1763), in dessen Folge Berlin 1760 für einige Tage von österreichischen und russischen Truppen besetzt wurde, traf die Stadt hart und führte unter anderem aufgrund einer erhöhten Sterberate zu einem zeitweisen demographischen Rückgang. Dennoch profitierten in Berlin gleichzeitig viele Unternehmen wie Rüstungsfabrikanten, 99 Zur Entwicklung Berlins unter Friedrich II. vgl. unter anderem Helga Schulz, Berlin 1650–1800, S. 182–319. 100 Zu den philosophischen Theorien des Staatsverständnisses Friedrichs II. vgl. unter anderem Sieg, Staatsdienst, Staatsdenken und Dienstgesinnung in Brandenburg-Preußen im 18. Jahrhundert (1713–1806), S. 220–224. 101 Vgl. Helga Schulz, Berlin 1650–1800, S. 172.
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Wollweber, Getreide‑ oder Silberhändler in besonderer Weise von den Kriegswirren und der Notsituation des Staates und der Bevölkerung. Zur schweren Wirtschaftskrise kam es allerdings erst in der unmittelbaren Nachkriegsphase, wozu der Zusammenbruch des Amsterdamer Bank‑ und Handelshauses de Neufville 1763 maßgeblich beitrug, der durch eine mehrjährige Bankrottwelle die Berliner Manufakturproduktion gefährdete.102 Diese Entwicklung beförderte zugleich ein Anwachsen von Ressentiments gegenüber jüdischen Einwohnern Berlins, da der Vorwurf laut wurde, Juden hätten den Bankenzusammenbruch bewusst herbeigeführt.103 Erst ab 1769 hatte die Berliner Wirtschaft und insbesondere die Textilindustrie die Krise überwunden und begann durch den Zuzug neuer Unternehmer zu expandieren. Unterstützt wurde dieser Aufschwung durch den Zugewinn Schlesiens und seiner prosperierenden Textil‑ und Bergbauindustrie. Eine nicht unwesentliche Rolle spielte dabei der Wissenstransfer durch Sammelwerke wie die Pariser Encyclopédie, die, wie bereits das Journal des Scavants und andere französische Zeitschriften, die Vermittlung technischer und naturwissenschaftlicher Erkenntnisse begünstigte.104 Die Gründung eigener deutschsprachiger Enzyklopädien wie beispielsweise der 68 Bände umfassenden Ökonomisch-technologischen Enzyklopädie des Berliner Arztes Johann Georg Krünitz (1728–1796) 1773 beschleunigte jenen Technologietransfer zusätzlich. Der wirtschaftliche Aufstieg Berlins, der in der regen Bautätigkeit eine Form der adäquaten Repräsentanz suchte, veränderte auch die Sozialstruktur der Stadt. Die Hoffnung auf Partizipation am wirtschaftlichen Aufschwung sowie die Möglichkeiten der Befreiung aus feudalen Abhängigkeitsverhältnissen zogen eine wachsende Landflucht und Zuzug aus dem gesamten deutschen Reich nach sich.105 Staatlicherseits gefördert wurde der soziale Aufstieg aufgrund von Maßnahmen wie dem Generallandschulreglement von 1763, das alle Kinder bis zum 14. Schuljahr zum Schulbesuch aufforderte. Wesentliches trugen auch die zahlreichen individuellen Initiativen pädagogischer Reformer wie Friedrich Eberhard von Rochows bald kopiertes Volksschulmodell im brandenburgischen Reckhahn oder dessen Schulbuch Der Kinderfreund (1776) bei, welches zum Standardbuch der Schulbildung in Preußen avancieren sollte.106 Das philanthropische Bildungs Vgl. Treue, Wirtschafts‑ und Technikgeschichte Preußens, S. 101–106. a. a. O., S. 102. 104 Vgl. a. a. O., S. 134. 105 Zu den Möglichkeiten der sozialen Mobilität und den spezifischen Bedingungen Berlins im Vergleich zu den Hansestädten Bremen und Hamburg vgl. Stultz-Herrnstadt, Berliner Bürgertum im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert, bes. S. 247–289. 106 Unter anderem zielte Rochows Kinderfreund auf die systematische Entwicklung von Arbeitstugenden und wurde daher begrüßt. Gegen die Gefahr einer Ökonomisierung und Militarisierung der schulischen Ausbildung durch das Werk regte sich bereits der Widerstand des Oberkonsistorialrats Büsching, dem das Werk zusammen mit Teller zur kirchlichen Kontrolle vorgelegt wurde (vgl. Neugebauer, Absolutistischer Staat und Schulwirklichkeit in Brandenburg-Preußen, S. 446). Zur Verbreitung des Kinderfreunds siehe Kap. II, Anm. 120. 102
103 Vgl.
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programm, welches im Besonderen auf die arme Landbevölkerung abzielte, stieß seinerzeit allerdings nicht auf ungeteilten Zuspruch. So wurde vor allem die potentiell negative Wirkung auf die Landbevölkerung diskutiert, da dies zu gesteigerter Unzufriedenheit mit den eigenen Lebensumständen führen könne.107 In aller Deutlichkeit hat das Friedrich II. in seinem ambivalenten Urteil über die Landschulbildung in seinem Kabinettserlass an Freiherrn von Zedlitz vom 5. September 1779 zum Ausdruck gebracht: „Daß die Schulmeister auf dem Lande die Religion und die Moral den jungen Leuten lehren, ist recht gut, und müssen sie davon nicht abgehen, damit die Leute bei ihrer Religion hübsch bleiben und nicht zur katholischen übergehen; denn die evangelische Religion ist die beste und weit besser wie die katholische. Darum müssen die Schulmeister sich Mühe geben, daß die Leute Attachement zur Religion behalten, und sie so weit bringen, daß sie nicht stehlen und nicht morden (…). Sonsten ist es auf dem platten Lande genug, wenn sie ein bischen lesen und schreiben lernen. Wissen sie aber zu viel, so laufen sie in die Städte und wollen Secretärs und sowas werden. Deshalb muß man auf dem platten Lande den Unterricht der jungen Leute so einrichten, daß sie das Nothwendige, was zu ihrem Wissen nothwendig ist, lernen, aber auch in der Art, daß die Leute nicht aus den Dörfern weglaufen, sondern hübsch dableiben.“108
Ein besonderes Merkmal der Entwicklung des Berliner Bildungsbürgertums bildete der Umstand, dass die Stadt bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts keine eigene Universität besaß, sondern Halle das Zentrum der universitären Ausbildung Preußens blieb. Die 1700 in Berlin gegründete Königlich-Preußische Akademie der Wissenschaften versammelte zwar einige der bedeutendsten Gelehrten jener Zeit, besaß ihren Schwerpunkt jedoch in der starken Ausrichtung auf die französische Aufklärung. Mit der Integration der Nouvelle Société Littéraire und ihrer Umbenennung in Académie Royale des Sciences et Belles-Lettres (1746) publizierte die Preußische Akademie seit 1745 unter dem Mathematiker Pierre-Louis Moreau de Maupertuis als Präsidenten (1746–1753) in französischer Sprache. Für die Ausrichtung der Akademie nicht unerheblich war der Verzicht Christians Wolffs auf das für ihn vorgesehene Amt des Akademiepräsidenten, da er des Französischen nicht mächtig war und den klassischen deutschen Gelehrtenkontext der Universität Halle bevorzugte. Erfolge hatte die Akademie insbesondere auf den Feldern der Mathematik, der Chemie und Medizin vorzuweisen, die durch das politische Interesse gefördert wurden. Besaßen die beiden großen Vorbilder der Londoner Royal Society und der Pariser Académie des Sciences bei ihrer Gründung lediglich eine mathematische und eine physikalische Klasse, so gehörte zu den Besonderheiten der Berliner Akademie von 107 Vgl. dazu die Reaktionen in den Zeitschriften auf Rochows Kinderfreund in Keck, Die Armeleutebildung in den Bildungsvorstellungen und Schulplänen der Philanthropen, bes. S. 62–66. 108 Friedrich II., Über die Landschulbildung in seinem Kabinettserlaß an Freiherrn von Zedlitz vom 5. September 1779). Vgl. auch Möller, Aufklärung in Preußen, S. 52.
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Beginn an die bewusste Aufnahme naturwissenschaftlicher und geisteswissenschaftlicher Disziplinen sowie das von Leibniz geförderte Interesse an der Religion.109 Dennoch blieben – auch aufgrund der Vorlieben Friedrichs II. – Fragen der deutschen Literatur und Kunst, aber auch der Theologie deutlich unterrepräsentiert, zumal die Theologie nicht als eigene Wissenschaft an der Akademie vertreten war.110 Aufgrund der unmittelbaren Zugriffsmöglichkeiten Friedrichs war die Akademie seinen privaten wie staatlichen Interessen unmittelbar ausgeliefert.111 Nicht zuletzt infolge der hierarchischen Struktur mit ihren Abhängigkeiten sowie der Dominanz des Französischen forderte bereits Herder die Gründung einer unabhängigen, deutschen Akademie, die allerdings aufgrund mangelnder politischer Unterstützung nicht zustande kam.112 Zwar bestens unter europäischen Gelehrten vernetzt, krankte die Akademie zunehmend an der fehlenden Diskursbeteiligung einer neuen, breiten Schicht deutschsprachiger Gebildeter, wie sie sich in Berlin zu etablieren begann. Jener elitäre und hierarchische Charakter des intellektuellen Diskurses im Gegenüber zu einem durch Wirtschaft und Bildungswesen wachsenden Selbstbewusstsein des bürgerlichen Publikums, innerhalb dessen zugleich ein nationales Bewusstsein zu wachsen begann und das an den gesellschaftlichen Debatten zu partizipieren beanspruchte, begünstigte die Ausbildung einer alternativen Kommunikationskultur in Salons, Lese‑ und Geheimgesellschaften. In ihnen trafen sich unter anderem Pfarrer, Juristen, Oberkonsistorialräte, Literaten, Gymnasialprofessoren oder Staatsminister im geselligen Rahmen zur Diskussion aufklärerischer Ideen und neuer Publikationen. Zu ihnen gehörten etwa der 1749 gegründete und von Moses Mendelssohn, Lessing, Johann Joachim Spalding (1714–1784) und August Friedrich Wilhelm Sack besuchte Montagsclub sowie die berühmte Mittwochsgesellschaft (gegr. 1783). Hierin fanden sich mit Ausnahme Mendelssohns und Nicolais fast ausschließlich preußische Beamte zusammen, zu denen unter anderen zahlreiche führende Oberkonsistorialräte wie Wilhelm Abraham Teller (1734–1804), Johann Friedrich Zöllner (1753–1804), Johann Samuel Dietrich (1721–1797) oder Karl Franz von Irwing (1728–1801) zählten. Die mit ihrem Beamtenstatus einhergehende Loyalität verhinderte die Entwicklung radikaler Umsturzgedanken und ließ über Reformen des Systems von innen nachdenken. Vgl. Joos, Gelehrsamkeit und Machtanspruch um 1700, S. 230. Vgl. Escher, Die brandenburgisch-preußische Residenz und Hauptstadt Berlin im 17. und 18. Jahrhundert, S. 392–397. Bemerkenswerterweise wurde 1745 der Theologe Johann Peter Süßmilch in die Akademie aufgenommen, dessen Forschungen zur Bevölkerungsstatistik hohe Wertschätzung erfuhren, wobei Süßmilch diese als Zeichen der Vorsehung Gottes interpretierte und als solche herausgab (vgl. Birg, Demographie und Ethik – Das Werk von Johann Peter Süssmilch mit seinem Blick auf David Hume und Thomas R. Mathus). 111 Vgl. zu den wirtschaftlichen und politischen Motiven der Gründung der Berliner Akademie der Wissenschaften Joos, Gelehrsamkeit und Machtanspruch um 1700, bes. S. 93–225. 112 Vgl. Kohl, Die Berliner Akademie als Medium des Kulturtransfers im Kontext der europäischen Aufklärung, S. 25. 109 110
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Die Möglichkeiten der leitenden staatlichen Einflussnahme veranlasste die Teilnehmer unter anderem, den Umgang mit konkreten Problemen der Staatsverwaltung im Sinne der Aufklärung zu erörtern, die wiederum zur Diskussion theoretischer Grundsatzfragen führte. Das wohl prominenteste Beispiel hierfür bieten die Überlegungen des Oberkonsistorialrats Zöllner über die Möglichkeiten der Zivilehe, die schließlich die berühmten Antworten Immanuel Kants (1724–1804) und Moses Mendelssohns zur Frage „Was ist Aufklärung“ in der Berlinischen Monatsschrift als Journal der Berliner Mittwochsgesellschaft 1784 hervorriefen. Ziel der Gesellschaften war der Austausch aller Wissenschaftsbereiche sowie kontroverse Diskussionen von Vorlesungen und Artikeln. Die Teilnehmerzahl der regelmäßigen Treffen in Privathäusern war begrenzt. Das garantierte einen geschützten Rahmen der freien Meinungsäußerung sowie eines engen persönlichen Netzwerkes. Hier war es möglich, über Themen wie die Abschaffung der Leibeigenschaft, die Einrichtung einer Verfassung oder die Bewertung der Französischen Revolution offen zu diskutieren.113 Zeitschriften fungierten damit nicht nur als ein wesentliches Mittel, um von aktuellen Veröffentlichungen und Debatten zu erfahren, sondern boten auch die Möglichkeit der Distribution eigener Ideen. Dabei handhabte man in Preußen trotz der Zensuredikte von 1749 und 1763 die Anwendung der Pressezensur verhältnismäßig liberal, ein Umstand, der wesentlich den Ruf Preußens als Zentrum der Toleranz mit bedingte.114 Zahlreiche junge Schriftsteller und Autoren versuchten durch Zeitschriftengründungen in der aufstrebenden Stadt Erfolg zu haben wie beispielsweise Christlob Mylius’ (1722–1754) Wahrsager (1748), Christian Nicolaus Naumanns (1720–1797) Vernünftler (1754), Johann Georg Sulzers (1720–1779) und Karl Wilhelm Ramlers (1725–1798) Critische Nachrichten aus dem Reiche der Gelehrsamkeit (1750), Lessings Theatralische Bibliothek (1750), Nicolais Bibliothek der schönen und freien Künste (1757) oder Briefe, die neueste Litteratur betreffend (1759–1765).115 Wohl nicht zufällig etablierte schließlich Nicolai als wirtschaftlich geschickt agierender Verleger mit der Allgemeinen deut‑ schen Bibliothek das berühmteste und einflussreichste Sprachrohr und Netzwerk der deutschen Aufklärung. Hierin wurden zentrale Debatten jener Zeit geführt und die Meinung der Gelehrten und Gebildeten im gesamten deutschsprachigen Raum maßgeblich beeinflusst.
Vgl. Goldenbaum, Der „Berolinismus“, S. 353–356. Entwicklung des Zensurwesens in Preußen unter Friedrich II. vgl. Schömig, Politik und Öffentlichkeit in Preußen; Zurbuchen, Aufklärung ‚von oben herunter‘ oder ‚von unten herauf‘?; Vierhaus, Friedrich Nicolai und die Berliner Gesellschaft; Möller, Aufklärung in Preußen, S. 208–225. 115 Vgl. unter anderem Goldenbaum, Der „Berolinismus“: Die preußische Hauptstadt als ein Zentrum geistiger Kommunikation in Deutschland, wie Anm. 140, S. 339–362, 341. 113
114 Zur
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2.2.2 Die Allgemeine deutsche Bibliothek Bereits im Jahre 1759 hatte Friedrich Nicolai in Berlin begonnen, eine Zeitschrift unter dem Titel Briefe, die neueste Litteratur betreffend zu verlegen, die immerhin bis 1765 existierte. Es ist bezeichnend, dass der Vorläufer der Allgemeinen deut‑ schen Bibliothek, die nach und neben den Göttingischen Anzeigen der einflussreichste Versuch eines alle Disziplinen umfassenden Rezensionsblattes werden sollte, ein Organ der Literaturkritik darstellte, welches sich selbst an der Form der populären moralischen Wochenschriften orientiert hatte. Das Format der Briefe, in denen die Autoren ihre Gedanken über die Lektüre eines Werkes veröffentlichten, lässt dabei besonders deutlich die – freilich stilisierte – Anknüpfung an die traditionelle Form der gelehrten Korrespondenz erkennen, die nun im Medium der Zeitschrift öffentlich geführt wurde. Bereits die Selbstbezeichnung der Allgemeinen deutschen Bibliothek erweist sich dabei als aufschlussreich für den Wandel der Kommunikationsbedingungen, der sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Deutschland vollzog. Orientierten sich die Göttingi‑ schen Anzeigen bei ihrer Gründung sowohl begrifflich wie strukturell eng an den traditionsreichen Leipziger gelehrten Zeitschriften als Vorbildern, so verzichtete die Allgemeine deutsche Bibliothek bereits in ihrem Titel auf den Begriff des „Gelehrten“. Für Nicolai dienten insbesondere die englischen Zeitschriften des seit 1749 in London von Ralph Griffiths (1720?–1803) edierten Monthly review und des seit 1756 von Lord Archibald Hamilton und Thomas Smollet (1721–1771) herausgegebenen Critical review als Vorbilder des Übergangs zur allgemein bildenden Zeitschrift.116 Mit der Allgemeinheit war nach Nicolais Vorstellung prinzipiell die gesamte deutschsprachige Nation gemeint, für die jeder einzelne Rezensent stellvertretend sein Urteil zu fällen hatte. „Allgemeine“ bedeutet zugleich die Absicht, dass die Zeitschrift alle Neuerscheinungen im deutschsprachigen Raum erfassen sollte, wobei dieser Anspruch schon nach wenigen Jahren aufgrund der nicht mehr zu bewältigenden Bücherflut aufgegeben werden musste. Dennoch kann die Allgemeine deutsche Bibliothek mit 2000 bis 2500 abgesetzten Exemplaren und 60.000 besprochenen Büchern mit beeindruckenden Zahlen aufwarten.117 116 Vgl. Ute Schneider, Friedrich Nicolais Allgemeine deutsche Bibliothek als Integrationsmedium der Gelehrtenrepublik, S. 102; Fabian, Nicolai und England, S. 187. 117 Die Frage der katholischen Aufklärung und der Entwicklung des katholischen Pressewesens seit den 1760er-Jahren findet inzwischen wachsende Beachtung. Aus der Fülle an Literatur sei in Hinblick auf die Allgemeine deutsche Bibliothek lediglich verwiesen auf Habersaat, Verteidigung der Aufklärung, S. 44–78; Paintner, Aufgeklärter Antijesuitismus?; Martens, Zum Bild Österreichs in Friedrich Nicolais ‚Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz im Jahre 1781‘; Mix, Lucri bonus odor oder Wie aufgeklärt war Friedrich Nicolai?; Haefs, Reformkatholizismus und Komödien der Religion; Wolf, Konfessionalität, Nationalität und aufgeklärter Patriotismus.
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Nicolai nahm bei ihrer Gründung im Jahr 1765 bewusst wahr, dass trotz des bereits in vielen Städten möglichen Zugangs zu aufgeklärter Bildungsliteratur weite Teile Deutschlands, insbesondere in den kleineren Städten und auf dem Land, von den geistigen Strömungen der Zeit abgeschnitten waren. Eine entsprechende Aufklärungsbewegung forderte Nicolai vor allem auch für die süddeutschen katholischen Gegenden, in denen zu diesem Zeitpunkt aufklärerische Impulse vielfach noch weitaus weniger Resonanz gefunden hatten. Wie jedoch auch die Analyse protestantischer Presselandschaft zeigen wird, bewegten sich die Urteile der theologischen und gelehrten Zeitschriften namentlich bei religiösen Debatten vielfach im traditionell dogmatisch scharf urteilenden Rahmen. Die Urteile der Göttingischen Anzeigen oder der Allgemeinen deutschen Bibliothek können somit keinesfalls als repräsentativ für die gesamte deutsche Gelehrtenwelt gelten, nahmen aber dennoch eine herausgehobene Leit‑ und Orientierungsfunktion unter den gelehrten Zeitschriften ihrer Zeit ein. Die retardierte Entwicklung in den deutschen Territorien sah Nicolai nach der Darstellung seines Aufklärungsromans Leben und Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker (3 Bde., 1773–1776) in der fehlenden Vermittlung zwischen einer elitären Gelehrtenkommunikation und einer breiteren Massenkommunikation begründet, wobei Letztere – anders als in Frankreich oder England – den Ungelehrten überlassen worden sei. Das vielfach wiedergegebene Zitat deutet zugleich den fundamentalen Umbruch in der Gelehrtenkultur in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Deutschland an. Nicolai lässt darin den Buchhändler Hieronymus im Gespräch mit Sebaldus das Problem der deutschen Gelehrtenwelt folgendermaßen charakterisieren: „Sebaldus: Aber ich habe doch gehört, daß in England und in Frankreich sich die Buchhändler bey guten Büchern sehr wohl stehen sollen. – Hieronymus: Das kommt daher, weil in Frankreich und in England die Klasse der Schriftsteller der Klasse der Leser entspricht; weil jene schreiben was diese zu lesen nöthig haben und lesen können. – Sebaldus: Ist es denn in Deutschland nicht eben so? – Hieronymus: Keineswegs. Der Stand der Schriftsteller bezieht sich in Deutschland beynahe bloß auf sich selber, oder den gelehrten Stand. Sehr selten ist bey uns ein Gelehrter ein Homme de Lettres. Ein Gelehrter ist bey uns ein Theologe, ein Jurist, ein Mediciner, ein Philosoph, ein Professor, ein Magister, ein Direktor, ein Rektor, ein Konrektor, ein Subrektor, ein Baccalaureus, ein Collega infimus, höchstens ein schiefer Belesprit oder ein schwerfälliger Spekulant, welcher glaubt die Kräfte des menschlichen Geistes ergründet zu haben wenn er seine Gedichte oder sein gangbares System im Kopfe hat, und die Welt zu kennen glaubt, wenn er sein Studierstübchen, oder höchstens die Universität kennt, wo er sich mit seinem bischen theoretischen Wissen blähen kann, oder den Zirkel seiner funfzehn Anbeter wo er seine Launen auskramen darf, wo er für einen großen Mann gehalten wird, und sich daher allein darin gefällt. Dieses gelehrte Völckchen von Lehrern und Lernenden, das etwa 20000 Menschen stark ist, verachtet die übrigen 20 Millionen Menschen, die außer ihnen deutsch reden, so herzlich, daß es sich nicht die Mühe nimmt für sie zu schreiben (…). Weder in England noch in Frankreich können so sehr platte gelehrte Originale wie hier in Deutschland, sich zeigen, ohne
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allgemein ausgelacht zu werden. Unsere gelehrten Originale werden zwar in den gelehrten Zeitungen, d. h. in der einzigen Welt wo sie leben, hoch gepriesen, aber die übrige Welt würdigt sie nicht einmal der Ehre sie auszulachen. Die zwanzig Millionen Ungelehrten vergelten den 20000 Gelehrten Verachtung mit Vergessenheit; sie wissen kaum daß sie in der Welt sind. Weil nun fast kein Gelehrter für Ungelehrte schreiben kann, und dennoch die ungelehrte Welt so gut ihr Bedürfnis zu lesen hat als die gelehrte, so bleibt das Amt für Ungelehrte zu schreiben, die nicht französisch lesen können, endlich den Verfassern der Insel Felsenburg [zeitgenössischer Erfolgsroman, Anm. d. Verf.], und der moralischen Wochenblätter, deren Fähigkeiten den Fähigkeiten der Leser, die sie sich gewählt haben, in der That viel genauer entsprechen, als die Fähigkeiten der größten Gelehrten ihren Lesern, die daher weit mehr gelesen werden, als die größten Genien, sich in ihrer Excentricität – von ihnen Größe genannt – so sehr wiegen, daher aber auch ihre Leser nicht um einen Daumbreit höher hinaufheben (…). Daher sind einige Städte bey uns so helle und ganze Länder liegen in der größten Finsterniß.“118
Dieses Problem wurde von Nicolai ebenso wie von Mendelssohn und anderen Aufklärern in besonderer Weise auf die politische Zersplitterung des deutschen Reiches zurückgeführt, die eine zentralisierte Debattenkultur wie in Frankreich oder England bisher verhindert hätten.119 Mit dem rasanten Wachstum Berlins nach dem Siebenjährigen Krieg und dem politischen Aufstieg Preußens zur neuen Hegemonialmacht im Norden des römischen Reiches wurden wesentliche Voraussetzungen für eine Veränderung des gelehrten Selbstverständnisses und seiner gesamtnationalen Ausstrahlung gelegt. In ihrem Anspruch, die nationale Bildung zu fördern, verfolgte die Allgemeine deutsche Bibliothek gezielt ein gesamtpädagogisches Interesse im Sinne des aufklärerischen Entwicklungsgedankens. Nicolais enge Zusammenarbeit mit Pädagogen wie Friedrich Eberhard von Rochow (1734–1805), Johann Bernhard Basedow (1724–1790), Friedrich Gabriel Resewitz (1729–1806), Ernst Christian Trapp (1745–1818), Joachim Heinrich Campe (1746–1818) oder Christian Gotthilf Salzmann (1744–1811) zeugt von der umfassend pädagogischen Ausrichtung, die nicht zuletzt auch aufgrund der hohen verlegerischen Erfolgszahlen einen wesentlichen Anteil an der Buchproduktion einnahm.120 Nach Nicolais Intention sollte die Allgemeine 118 Nicolai, Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker, Bd. 1, Berlin/Stettin (4., verb. Auflage 1799), S. 142–145. Im Programm und in der Wirkung seiner All‑ gemeinen deutschen Bibliothek hat Nicolai ebenjene Forderungen des Hieronymus selbst verwirklicht (vgl. Möller, Aufklärung in Preußen, S. 199). 119 Vgl. zu den zeitgenössischen Klagen über die Zersplitterung Deutschlands Ute Schneider, Friedrich Nicolais Allgemeine deutsche Bibliothek als Integrationsmedium der Gelehrtenrepublik, S. 79–80. Vgl. außerdem die Beschreibung Nicolais zur Bedeutung der Allgemeinen deutschen Bibliothek vor diesem Hintergrund in Nicolai, ‚Kritik ist überall, zumal in Deutsch‑ land, nötig‘, S. 216. 120 Dass Rochows Kinderfreund in insgesamt fast 200 Auflagen mehr als 100.000 Exemplare erreichte (vgl. Schenda, Volk ohne Buch, S. 76), während von Nicolais Erfolgsroman Sebaldus Nothanker in vier Auflagen 20.000 Exemplare gedruckt wurden (Möller, Art. Christoph Friedrich Nicolai, in: Neue Deutsche Biographie 19, S. 202), lässt sich nur durch die staatliche Förderung und Einführung des Buches als Standardwerk der Schulbildung in Brandenburg-Preußen
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deutsche Bibliothek das Defizit der nationalen kulturellen Einheit Deutschlands durch die Etablierung einer literarischen und kritischen Öffentlichkeit schaffen, weshalb Nicolai von Beginn an Rezensenten aus dem gesamten deutschsprachigen Raum zu gewinnen suchte.121 Bereits von den Zeitgenossen wurde die Allgemeine deutsche Bibliothek dabei als wichtiger Faktor der literarischen Einigung Deutschlands wahrgenommen,122 die selbst in bisher bildungsfernen Gegenden Deutschlands rezipiert wurde. Jener programmatische nationalpädagogische Anspruch galt auch in hohem Grade als Beurteilungsmaßstab für viele Rezensenten. Dabei rückte die Allgemeine deutsche Bibliothek, ähnlich wie die 1785 gegründete Allgemeine Literaturzeitung, bewusst die subjektive Einschätzung des Verfassers anstelle einer möglichst objektiven Inhaltswiedergabe in den Vordergrund.123 Aufgrund seiner teils schneidenden Schärfe und seiner hohen Reputation war das Urteil der Allgemeinen deutschen Bibliothek bei den Autoren gefürchtet. Im Sinne der Literaturkritik wurden Kritik und Parteinahme des Autors nicht als Widerspruch zum Gebot der wissenschaftlichen Unparteilichkeit und objektiven Inhaltswiedergabe betrachtet, sondern gehörten als konstitutive Elemente der Debattenkultur der Aufklärung bereits hinzu.124 Anders als in der auf rein argumentative Vermittlung abzielenden universitären Gelehrtenkommunikation erlaubte und erforderte die Orientierung an den unterschiedlichen Bildungsvoraussetzungen der Leser das bewusste Herausführen des Lesers aus seiner Unmündigkeit: Der denkenden Leute sind so wenige, sie haben in den meisten Ländern so viel zu riskieren, und sind daher so furchtsam; die Orthodoxen sind durch Gesetze und Besitz so mächtig geschützt, daß, wenn sie den geringsten Beistand bekommen, sich die denkenden Leute gar nicht merken lassen werden, daß sie freier denken, als andere. – Wer unsern neuern Theologen nicht von der Seite der Orthodoxie, sondern von der Seite der natürlichen Theologie, ihre Inconsequenz zeigen könnte: das wäre eine schöne Sache! Ich habe es in meinem Romane [Sebaldus Nothanker] beiläufig thun wollen; aber die Feder fällt mir aus den Händen, wenn ich bedenke, wie wenig das Publicum in Deutschland noch vorbereitet ist, gewisse Wahrheiten ganz nackend zu sehen.125
Eine fundamentale strukturelle Differenz in der Bewertung theologischer Debatten gegenüber dem Urteil universitär gelehrter Journale wie den Göttingischen erklären, der allerdings auch als Konkurrenz zum Katechismus als Standardlernbuch betrachtet wurde (vgl. Neugebauer, Absolutistischer Staat und Schulwirklichkeit in Brandenburg-Preußen, S. 444–454). 121 Zu den literarischen und patriotischen Intentionen Nicolais in der Allgemeinen deut‑ schen Bibliothek vgl. Ute Schneider, Friedrich Nicolais Allgemeine deutsche Bibliothek als Integrationsmedium der Gelehrtenrepublik, S. 80–82. 122 Vgl. Möller, Aufklärung in Preußen, S. 199. 123 Vgl. Faulstich, Die bürgerliche Mediengesellschaft (1700–1830), S. 234. 124 Vgl. Ute Schneider, Friedrich Nicolais Allgemeine deutsche Bibliothek als Integrationsmedium der Gelehrtenrepublik, S. 80. 125 Nicolai, Brief an Lessing vom 8. März 1771.
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Anzeigen bestand darin, dass eine Aufteilung der Rezensionen in der Allgemeinen deutschen Bibliothek nicht mehr an die Ordinarien eines bestimmten Faches gebunden war und somit kaum eine unmittelbare Abhängigkeit gegenüber Obrigkeiten oder Institutionen mehr bestand. Die Allgemeine deutsche Bibliothek forcierte deshalb keineswegs eine religionsfeindliche Position, sah ihre Aufgabe jedoch in der Aufklärung der Religion selbst, die vornehmlich in der Kritik an herrschsüchtigem Klerus, vernunftwidrig spekulativer Theologie oder konfessionellen Vorgaben wie Dogmen und Bekenntnissen gesehen wurde, worunter auch die Lehre von der göttlichen Inspiration der Schrift fiel. Die Erziehung des Menschen galt als wesentliche Aufgabe der Theologie. In seinem programmatischen Roman Leben und Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker, einem der meistgelesenen Werke seiner Zeit, lieferte Nicolai in satirischer Form eine scharfe Polemik gegenüber dem zeitgenössischen protestantischen Kirchenwesen, wobei Berlin von der Figur des frommen „Pietisten“ lautstark als Ingebriff der Ketzerei und des Religionsspottes verurteilt wurde. Siehe da! rief der Pietist aus, wie leer der Weg zum Gottesdienst ist, und wie angefüllt der Weg zu den Häusern des Teufels war! O! wie ist doch alle Gottesfurcht, alle Liebe zum Heilande in dieser großen Stadt ganz ausgetilget! Wie wandelt doch jedermann im Pfade der Ruchlosigkeit, läuft dem Teufel gerade in den Rachen, und stürzt sich in das ewige Verderben!126
Vertreten wurde das Programm der aufgeklärten Kirchenkritik in der All‑ gemeinen deutschen Bibliothek unter anderem durch den Theologen und Pädagogen Friedrich Gabriel Resewitz (1729–1806). Dabei kann Resewitz’ Einfluss auf die öffentliche theologische Meinung der Aufklärungszeit in Deutschland kaum überschätzt werden. Resewitz, der unter anderem in Halle bei Baumgarten Theologie studiert hatte, gehörte bereits seit 1764 zu den Mitarbeitern an den Briefen, die neueste Litteratur betreffend, und ab 1765 zum engsten Rezensentenkreis um Nicolai.127 Die Möglichkeit, über Jahre hinweg das Urteil über theologische Publikationen und Debatten zu fällen, welches als das maßgebliche Urteil der Aufklärung im gesamten deutschsprachigen Raum betrachtet wurde, verlieh Resewitz’ Rezensionen ein enormes Gewicht. Nicht die Frage nach der theologischen Legitimation, sondern nach dem religiös-pädagogischen Nutzen bestimmte Resewitz’ Rezensionsurteil neuer theologischer Publikationen. Da die zu erwartende Wirkung eines Werkes je nach Rezipientenkreis verschieden sein konnte, bot Resewitz eine gewisse Flexibilität in seinem 126 Nicolai, Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker, Bd. 2, S. 29. Zur Kontroverse um den Roman und insbesondere die Figur des Pietisten vgl. Hannak, ‚Heilige Thorheiten‘ – Pietismus und Satire in Nicolais Sebaldus Nothanker (1773–1776). 127 Zu Resewitz’ Rezensionstätigkeit vgl. Kawerau, Friedrich Gabriel Resewitz, bes. S. 185– 195. Zu Resewitz’ theologischer Position im Kontext der Neologie vgl. auch Aner, Theologie der Lessingzeit, S. 131–133.
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theologischen Urteil. Bereits 1767 findet sich in einer seiner Rezensionen der Versuch, die Frage nach dem Umgang mit den christlichen Bekenntnissen und ihrer normativen Funktion zu beantworten. Dabei wird die normative Funktion der Bekenntnisse insofern zugestanden, als sie für das einfache Volk als Richtlinie durchaus notwendig zu unterrichten sei, für den Gelehrten und Kritiker aber nicht als Grenzen seiner Gedankenfreiheit dienen dürfe. Resewitz’ Rezensionstätigkeit repräsentiert die erfolgreiche Integration der theologischen Aufklärung in das wichtigste deutschsprachige gelehrte Journal. Jene Integration einflussreicher Theologen in die Berliner Aufklärungsgesellschaften und die Editionstätigkeit der Journale bewirkte, dass sich die Allgemeine deutsche Bibliothek zwar teils an offener theologischer und kirchlicher Kritik beteiligte, zugleich jedoch auch als Verteidigerin der aufgeklärten Religion gegenüber fundamental religionsfeindlicher Kritik auftrat. Die große Wirkung, die Nicolais Zeitschrift auf die zeitgenössischen Religionsvorstellungen entfaltete, hing zugleich eng mit der liberalen Geisteshaltung zusammen, die in Preußen bis zum Tode Friedrichs II. staatlicherseits gefördert wurde. Der Amtsantritt seines Nachfolgers, Königs Friedrich Wilhelm II., sowie der restriktive Einfluss des Oberkonsistorialrats Johann Christoph Woellner (1732–1800), der bis 1780 selbst Beiträge zur Allgemeinen deutschen Bibliothek geliefert hatte, führten zum Versuch der Stärkung der konfessionellen Bindung der Religion in Preußen durch den Erlass des Woellnerschen Religionsedikts.128 Die Verpflichtung der Geistlichen auf die Bekenntnisse musste den scharfen Widerstand der Allgemeinen deutschen Bibliothek hervorrufen. Die Revolution in Frankreich und die damit einhergehenden Zensurverschärfungen, die ein Verbot der Zeitschrift drohen ließen, bewogen Nicolai schließlich dazu, die Zeitschrift 1792 an Carl Ernst Bohn in Kiel zu verkaufen. Im Jahre 1800 wurden von ihr nur noch 752 Exemplare abgesetzt, nachdem sie 1777 ihren Zenit mit einer Verkaufsauflage von 2500 Exemplaren erreicht hatte. Seit 1783 machte sich zudem die Konkurrenz der erfolgreichen Berlinischen Monatsschrift sowie der seit 1785 publizierten Allgemeinen Litteraturzeitung deutlich bemerkbar. Ähnlich wie die Göttingischen Anzeigen litt die Allgemeine deutsche Bibliothek unter den Problemen allgemeiner wissenschaftlicher Journale vor dem Hintergrund der Expansion spezifischer Fachzeitschriften und einer zugleich überbordenden Bücherproduktion, die es nicht mehr zuließ, den Anspruch der differenzierten Beurteilung aller deutschsprachigen Neuerscheinungen zu erfüllen. Zugleich sah sich Nicolais Unternehmen zunehmend inhaltlicher Kritik von verschiedenen Seiten ausgesetzt. Moniert wurde unter anderem, das Aufklärungsprogramm der Allgemeinen deutschen Bibliothek sei in seiner rationalen Aufklärungskritik nicht mehr zeitgemäß und bereits von der Phase des Sturm und Drang überholt 128 Zum Religionsedikt und zu seinen Auswirkungen auf die Allgemeine deutsche Bibliothek vgl. die Studie von Wiggermann, Woellner und das Religionsedikt, S. 459–467.
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worden. Tatsächlich lässt sich wohl festhalten, dass die deutsche Aufklärung im Medium der Allgemeinen deutschen Bibliothek als gelehrtes Journal ihren Zenit sowohl inhaltlich wie strukturell bereits überschritten hatte. Die hierdurch im gesamten deutschsprachigen Gebiet kursierenden Ideen und Impulse zur Etablierung einer breiten, gebildeten Debattenkultur, vor der sich die Theologie zu rechtfertigen hatte, ließ sich jedoch nicht mehr dauerhaft rückgängig machen.
Kapitel III
Historische Bibelkritik und konfessionelle Debattenkulturzu Beginn des 18. Jahrhunderts 1. Die Schrift als Gegenstand kontroverstheologischer Debattenkultur vor 1750 Sucht man nach den Anfängen der historisch-kritischen Debattenkultur biblischer Texte, so lässt sich zunächst festhalten, dass die historisch-kritische Beschäftigung auf eine lange Geschichte des Ringens um die Originalgestalt der Heiligen Schrift als Wort Gottes und seiner Auslegung zurückgeht. Die Vielgestaltigkeit der biblischen Texte und deren komplexe Überlieferungsgeschichte veranlasste Theologen bereits seit der Zeit der Alten Kirche, sich auf der Suche nach dem originalen Wort Gottes sowohl mit der Frage der Zuverlässigkeit der biblischen Quellen als auch ihrer Übersetzungen zu beschäftigen.1 Im Bewusstsein der in der Bibel enthaltenen Vielfalt der Gattungen sowie der sachlichen Spannungen entwickelten die Theologen verschiedene Auslegungsmethoden, um der inhaltlichen wie formalen Disparatheit der Texte gerecht zu werden. Im Zuge der mittelalterlichen Zentralisierung der Kirche und der damit einhergehenden Systematisierung der Theologie etablierten sich die Formen der Quaestio und der Sentenzen als Gattungen des scholastischen Umgangs mit divergierenden Auslegungsmöglichkeiten.2 Jene zur Zeit der Scholastik an den Universitäten etablierte diskursive Form dogmatisch ausgerichteter Schriftauslegungskultur bildete die Grundform universitär-gelehrter Debattenkultur bis in die Neuzeit hinein. Während in der Scholastik die Ergebnisse der biblischen Exegese gegenüber der Orientierung an ihrer kirchlich dogmatischen Begründungsfunktion zurücktraten, entwickelten sich die monastischen Orden aufgrund ihrer kirchenrechtlichen Freiheiten als Orte der Reproduktion der biblischen Texte zu einem bedeutsamen Ausgangspunkt der modernen Bibelkritik. Die profunde Kenntnis und tägliche Beschäftigung mit den biblischen Texten in ihren Originalsprachen prägte dabei in den Orden ein innerkirchliches Milieu, welches 1 Das wohl prominenteste Beispiel eines kritischen Textvergleichs in der frühen Kirche bildet Origenes’ Synopse der Hexapla, in der sechs alttestamentliche Textvarianten miteinander verglichen werden, in der Hoffnung, den ursprünglichen Bibeltext rekonstruieren zu können. 2 Vgl. zu den Anfängen der scholastischen Schriftauslegung: Reventlow, Epochen der Bibelauslegung, Bd. II, S. 150–152.
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III. Historische Bibelkritik und konfessionelle Debattenkultur
im Zusammenspiel seiner radikal existentiellen Selbstreflexion zu einem Ort individuell intellektueller Kritik gegenüber einem gesamtkirchlich scholastischen Auslegungsprimat werden konnte. Die Orden als potentieller Hort kritischer und kirchenrechtlich schwer kontrollierbarer Reflexion stellten für die Kirche daher immer zugleich einen Ort der drohenden Systemkritik dar, wie sie sich innerhalb der französischen Orden der Mauriner und Oratorianer im 17. und 18. Jahrhundert vollzog und in ihren Erkenntnissen für die historische Bibelkritik der gesamten europäischen Aufklärung maßstabbildend werden sollte. Für die protestantische Tradition des bibelkritischen Diskurses war die spätestens seit der Leipziger Disputation von Luther offen propagierte Legitimation der individuellen Kritik gegenüber dem ekklesiologischen ‚Konsens‘ entscheidend, deren kirchlich institutionenkritisches Potential für viele Aufklärungstheologen in ihrem kritischen Umgang mit der Schrift identitäts‑ und legitimitätsstiftend werden sollte. Für die Entwicklung einer protestantischen Debattenkultur als historisch überaus wirksam erwies sich die flächendeckende Förderung landessprachlicher Bibelübersetzungen und die Einrichtung von Bildungsinstitutionen, in deren Folge sich der Kreis potentieller Partizipienten am allgemeinen Diskurs signifikant erhöhte und bis in die Aufklärungszeit in einer spezifischen Dichte „literarisch-publizistischer Kommunikation“3 in den evangelischen Territorien des deutschen Reiches niederschlug. Wesentlich zu dessen Erfolg trug bereits in der Reformationszeit die rasche theologische Aneignung der veränderten Kommunikationsbedingungen in der frühen Neuzeit bei, die mit der Erfindung des Buchdrucks und den gesteigerten Bildungsmöglichkeiten eines ökonomisch erfolgreichen Bürgertums in den Reichsstädten einhergingen. Erst den breitenwirksamen Durchsetzungsmöglichkeiten jener Kommunikationsrevolution war es zu verdanken, dass das bildungskritische Potential des monastischen und humanistischen Schriftstudiums zur Grundlage einer gesamtgesellschaftlichen Reformbewegung werden konnte. Die mit der Forderung des sola scriptura einhergehende Wort‑ und Schriftzentrierung entwickelte sich in der Auseinandersetzung mit der kirchlichen Hierarchie zum programmatischen Dreh‑ und Angelpunkt der lutherischen wie calvinistischen Reformation. Die Möglichkeit individueller Kritik am kirchlichen Schriftgebrauch betraf dabei nicht nur die Auslegung der Bibel, sondern infolge der humanistischen Textforschung auch das individuelle Urteil über die Tradition der griechischen und hebräischen Varianten im Text der Heiligen Schrift selbst. Luthers an der Philologie und eigener 3 „Verlagsorte, Buchhandlungen und Leserschaft – auch die der klassischen Literatur, der Zeitungen und Zeitschriften – ballten sich in den evangelischen Gebieten Mittel-, Nordost‑ und Südwestdeutschlands zusammen; an der Spitze lagen Leipzig, Berlin und die Hansestädte. Das hängt auf der einen Seite mit der spezifisch protestantischen Lesekultur, mit der zunehmenden Toleranz und dem Aufstieg des Bildungsbürgertums, auf der andern Seite mit einer engherzigen Zensur als bösem Erbe der Gegenreformation und dem öffentlich reglementierenden Schutz der Rechtgläubigkeit, der jede freie Sprache und Gesinnung als verdächtig galt, aufs engste zusammen“ (Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 1, S. 306).
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theologischer Einsicht orientierter eigenständiger Umgang in der Frage der Anordnung der biblischen Bücher sollte für Vertreter der historischen Bibelkritik wie Johann Salomo Semler zum Paradebeispiel des freien historisch-kritischen Umgangs mit der Heiligen Schrift in der Aufklärung werden. In Reaktion auf die Herausforderungen eines reformatorischen Schriftverständnisses sah sich die altgläubige Seite dazu veranlasst, auf dem Konzil von Trient nicht nur das Textkorpus der Heiligen Schrift verbindlich auf den Umfang der Vulgata festzulegen, sondern auch zu Beginn des Konzils eine eigene Verhältnisbestimmung zwischen Heiliger Schrift und kirchlicher Tradition vorzunehmen.4 Die Notwendigkeit des Aufbaus eigener reformatorischer Bildungsstrukturen und ‑institutionen beförderte – insbesondere auf Initiative Philipp Melanchthons – die Entwicklung theologischer Lehrsysteme, die die reformatorischen Einsichten nach innen und außen systematisch nachvollziehbar entfalten sollten. Die mit der neuen Interpretationsfreiheit einhergehenden innerprotestantischen Auslegungsstreitigkeiten mündeten schließlich, nicht zuletzt aufgrund äußeren politischen Drucks, in die Formulierung wie die des Heidelberger Katechismus und der lutherischen Bekenntnisschriften, die als Bekenntnisse für die jeweiligen konfessionell homogenen Territorien den Auslegungshorizont der Schriftinterpretation während der folgenden Jahrhunderte bestimmen sollten. Insbesondere die Aufweichung des territorial einheitlichen Konfessionsprinzips, wie sie sich beispielsweise in Preußen seit Ende des 17. Jahrhunderts durch die Aufnahme der französischen reformierten Hugenotten verstärkt vollzog, problematisierte in zunehmender Weise den Gültigkeitsanspruch eines theologisch dogmatischen Konsenses über eine gemeinsam verbindliche protestantische Schriftauslegung. Dabei offenbarten die verschiedenen europäischen Territorien sehr unterschiedliche Umgangsmöglichkeiten, mit jener zunehmenden konfessionellen 4 Vgl. die Ergebnisse der 4. Sitzung des Konzil von Trient am 8. April 1546: „perspiciensque, hanc veritatem et disciplinam contineri in libris scriptis et sine scripto traditionibus, quae ab ipsius Christi ore ab Apostolis acceptae, aut ab ipsis Apostolis Spiritu Sancto dictante quasi per manus traditae ad nos usque pervenerunt“ (Denzinger/Hünermann [Hg.], Enchiridion symbolorum definitionum et declarationum de rebus fidei et morum, Nr. 1501, S. 601). In bewusster Abgrenzung zum reformatorischen Schriftprinzip betont das Konzil, dass das Evangelium in geschriebenen Büchern und ungeschriebenen Überlieferungen tradiert sei und in seiner Reinheit in der Kirche bewahrt wurde. Dem Dekret über die Annahme der Heiligen Bücher und Überlieferungen voraus geht das Dekret über das Bekenntnis zum Nicäno-Constantinopolitanum als „principium (…) ac fundamentum firmum et unicum“ der Kirche. Auch für Luther und die Reformatoren bleibt das Nicäno-Constantinopolitanum in seiner Auslegungsinstanz als „regula fidei“ vollkommen unbestritten (vgl. unter anderem Luthers Auslegung der Glaubensartikel im Kleinen und Großen Katechismus, die Erwähnung des Nicäno-Constantinopolitanum im 1. Artikel der Confessio Augustana sowie den Primat der drei altkirchlichen Symbola im Konkordien‑ buch von 1580). Erst infolge der innertheologischen Kontroversen und ihrer systematischen Zuspitzung auf die Prinzipienfrage tritt in den Dogmatiken der altprotestantischen Orthodoxie der Paragraph De scriptura sacra noch vor die Glaubensartikel De Deo und bereitet mit dieser hermeneutischen Verlagerung den Streit um das Schriftprinzip in der Aufklärung wesentlich vor.
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Ausdifferenzierung staatlicher-, kirchenpolitischer‑ sowie theologischerseits umzugehen. Verstärkte Aufmerksamkeit verdienen aus diesem Grund jene kontroverstheologischen Erfahrungshorizonte der westeuropäischen Länder wie Frankreich, der Niederlande oder England, deren Impulse zur historischen Bibelkritik sich unmittelbar auf die deutsche Debattenkultur des 18. Jahrhunderts auswirkten. Dabei ermöglichte die rasante Entwicklung des Pressewesens eine zunehmende intellektuelle „Gleichzeitigkeit“ der europäischen Gelehrtenwelt, vor deren Hintergrund die Differenzen der konkreten, herausfordernden Diskursbedingungen der einzelnen Territorien umso deutlicher zutage treten. Eine wesentliche Voraussetzung für die historische Ausrichtung der Bibeldebatten im 18. Jahrhundert bildete bereits die Entwicklung der Debattenkultur innerhalb der protestantischen Orthodoxie, die infolge der Reformation unablässig mit dem theologischen Fundamentalprinzip des sola scriptura rang. In ihrer Genese zeichnete sich bereits eine Rationalisierung und Historisierung der Debatte um das Schriftverständnis ab, die ursprünglich dem Ziel der Affirmation der vollkommenen Inspiration der Heiligen Schrift diente, sich im 18. Jahrhundert jedoch als eigenständiges Prinzip gegen dieselbe anwenden ließ. Während die Erläuterungen zur Schrifthermeneutik bei Martin Luther (1483– 1546) und Philipp Melanchthon (1497–1560) noch vornehmlich abgrenzenden Charakter gegenüber der päpstlichen Auslegungsautorität besaßen, erforderten sowohl die Bestimmungen des Tridentinums als auch die innerprotestantischen Kontroversen eine detaillierte Auseinandersetzung mit einer eigenständigen Definition eines protestantischen Schriftverständnisses, deren Ergebnisse wesentliche Weichen für die Entwicklung des orthodox-protestantischen Schriftprinzips stellen sollten. Bis weit ins 18. Jahrhundert hinein theologisch prägend blieb die noch 1719 wieder aufgelegte Hermeneutik Clavis Scripturae (1567) des streng orthodoxen Lutheraners Matthias Flacius (1520–1575), der zugleich mit den Magdeburger Centurien (1559–1574) eine erste eigenständige lutherische Kirchengeschichtsschreibung begründet hatte. Gegen die tridentinische Festlegung der kirchlichen Tradition als Überlieferungsträgerin und Auslegungsinstanz der Offenbarung neben der Heiligen Schrift betonte Flacius Luthers These von der Selbstauslegung der Schrift („sui ipsius interpres“) mithilfe des innerbiblischen Schriftstellenvergleichs. Zudem griff Flacius Luthers Kritik am mehrfachen Schriftsinn auf und forderte, gegenüber der philosophischen oder allegorischen Auslegung den einfachen und ursprünglichen Schriftsinn zu suchen. Das Vertrauen in die Erschließung des dem Text inhärenten Sinns mithilfe philologischer, kontextueller und grammatikalischer Analyse sollte zu einem wesentlichen Grundimpuls der protestantisch orthodoxen Bibelexegese werden, der die Entwicklung der historischen Bibelforschung maßgeblich vorantrieb. Durch die Bindung der Schriftauslegung an die analogia fidei, das heißt die Auslegung im Sinne der allgemeinen kirchlichen Lehre, formulierte Flacius den für
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die gesamte lutherische Orthodoxie, die sich stets den altkirchlichen Bekenntnissen und reformatorischen Bekenntnisschriften als kollektive Auslegungsrichtschnur verpflichtet wusste, konstitutiven Deutungshorizont.5 Mit zunehmender Systematisierung der altprotestantischen Dogmatik trat der ursprünglich antiaristotelische und antischolastische Grundimpuls L uthers endgültig hinter dem Bestreben einer philosophisch-theologischen Explikation und Legitimation des reformatorischen Erbes an den Universitäten zurück. Diese verlangte zunehmend, das in der Reformation noch ungeklärt gebliebene Verhältnis von sacra scriptura und verbum dei einer systematischen Bestimmung zuzuführen.6 Eine konsequent philosophisch ausgearbeitete Theorie des orthodoxen Schriftverständnisses lieferte dabei der Jenaer Theologe Johann Gerhard (1582–1637), indem er das lutherische Schriftverständnis anhand der aristotelischen Causa-Lehre explizierte. In seinen bald zur lutherisch-orthodoxen Standarddogmatik avancierenden Loci theologici (1610–1625) vollzog Gerhard den folgenreichen methodischen Schritt, die Lehre von der Schrift als wissenschaftliche Prinzipienfrage an den Anfang der Dogmatik zu setzen und so die Hermeneutik an die Spitze der Theologie zu rücken.7 Indem er jedoch in Rückgriff auf Luthers Formulierung die Theologie als durch „oratio, meditatio und tentatio“ zu erwerbenden „habitus ϑεόσδοτος“ bestimmte, suchte er sie bewusst von einer philosophischen Lehre abzugrenzen.8 In Reaktion auf die gegenreformatorischen Angriffe Roberto Bellarminos auf das reformatorische Schriftprinzip verteidigte Gerhard sogar die historische Ursprünglichkeit der Punktation des von den Reformatoren verwendeten hebräischen Bibeltextes, um weiterhin an der jedem einzelnen Glaubenden zugänglichen perspicuitas und cla‑ ritas der Schrift festhalten zu können.9 Die Erhebung des Schriftverständnisses zur dogmatischen Prinzipienfrage und die Identifikation des Wortes Gottes mit 5 „‚Analogia igitur fidei‘ Paulo est Rom. 12. v. 6. congruentia aut consonantia cum fide. Vult enim, ut omnis interpretatio Scripturae, & omnis doctrina aut dogma, vel etiam consilium aut conatus in Ecclesia consonet cum summa fidei, aut doctrina Christiana; quae jam in Decalogo, Evangelio, Symbolis, aut in Catechismo comprehensa est“ (Matthias Flacius, Clavis Scripturae seu de sermone sacrarum literarum, 2 Bde., Frankfurt/Leipzig 1719, S. 36). Vgl. Reventlow, Epochen der Bibelauslegung, Bd. IV, S. 16. 6 Zur Transformation des lutherischen Schriftprinzips in der Orthodoxie vgl. Ratschow, Lutherische Dogmatik zwischen Reformation und Aufklärung, Bd. 1, S. 71–140, hier S. 81. Ratschow weist darauf hin, dass noch Martin Chemnitz keinen dogmatischen Locus „De verbo dei“ besitzt und es erst die strengen Lutheraner in der Folge Johann Wiglands waren, die diesen Locus einführten. 7 Zur Rehabilitierung der aristotelischen Philosophie in der Theologie Johann Gerhards vgl. Wallmann, Der Theologiebegriff bei Johann Gerhard und Georg Calixt, S. 25. 8 Vgl. Wallmann, Art. Gerhard, Johann, RGG4, Bd. 3, Sp. 728. Gerhards Verortung der Theologie als „habitus“ ist insofern von fundamentaler Bedeutung, als ebenjene Formulierung Luthers zum Gegenstand der Kritik Semlers und seiner Auffassung eines vornehmlich historisch ausgerichteten Theologiestudiums werden sollte (vgl. Kapitel VI zur Debatte um Semlers Versuch einer nähern Anleitung zu nützlichem Fleisse in der ganzen Gottesgelehrsamkeit [1757]). 9 Vgl. Reventlow, Epochen der Bibelauslegung, Bd. IV, S. 24–26.
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der Heiligen Schrift10 gerieten dabei zunehmend in Konflikt mit dem Anspruch der rationalen Rekonstruierbarkeit eines historischen originalen Textcorpus sowie mit dem Versuch der philologischen Auflösung innerbiblischer Spannungen. Trotz aller philosophischen Explikationen kommt bei Gerhard exemplarisch die dogmatische Gebundenheit der lutherisch-orthodoxen Schriftauslegung zum Ausdruck, die sich selbstverständlich den kirchlich dogmatischen Deutungsmustern wie der Trinitäts‑ oder Erbsündenlehre11 verpflichtet wusste. Der in der Aufklärung einsetzende innerdogmatische Plausibilitätsverlust der kirchlich normativen Interpretation der Heiligen Schrift, welche durch die Bekenntnisbindung im Rahmen der universitären Diskursstrukturen an den theologischen Fakultäten bis dahin garantiert worden war, wurde durch die institutionelle Ungebundenheit der außeruniversitären Debattenkultur in besonderem Maße verstärkt.12 Dennoch stellt die Entwicklung einer exegetischen wie dogmatischen 10 Vgl.
a. a. O., S. 25.
11 Zu den Entwicklungen der Ermäßigung der reformatorischen Hamartiologie bereits in der
protestantischen Orthodoxie vor der Aufklärung vgl. die detaillierte Darstellung bei Schubert, Das Ende der Sünde. 12 Für die zunehmende Identifikation von Offenbarung und Heiliger Schrift in der protestantischen Orthodoxie nicht unerheblich war der Einfluss, den die humanistische Tradition reformierter Theologen in Basel entfaltete, die sich akribisch mit der jüdischen Tradition der Textkritik des Alten Testaments auseinandersetzten. So versuchte bereits der Hebraist Johannes Buxtorf der Ältere (1564–1629) zur Verteidigung der Zuverlässigkeit der Heiligen Schrift eine vom jüdischen Hebraisten Elias Levita (1469–1549) angenommene nachchristliche Datierung der hebräischen Vokalisation unter Verweis auf die historischen Umstände der Masoreten zu widerlegen (vgl. Reventlow, Epochen der Bibelauslegung, Bd. IV, S. 80). Zu Buxtorfs schärfsten Kontrahenten zählte der berühmte Hugenotte Louis Cappel (1585–1658), der in Reaktion auf Buxtorfs orthodoxe Bedenken in seinem Arcanum punctationis revelatum (1624) für eine spätere Vokalisation plädierte. Cappels bedeutendstes bibelhermeneutisches Werk Critica Sacra präsentierte 1634 das Ergebnis intensiver historischer Bibelstudien an der französischen Hugenottenakademie Saumur, konnte aufgrund seiner Kritik an der Zuverlässigkeit der Überlieferung des biblischen Textes jedoch erst mithilfe von Jean Morin (1591–1659) 1650 in Paris erscheinen. Im Streit um eine mögliche Relativierung der strengen Prädestinationslehre Calvins, welche Moyse Amyraut (1596–1664) und den Theologen von Saumur wie Louis Cappel vorgeworfen wurde, richteten die Schweizer reformierten Kirchen 1674 schließlich die Formula Consensus Helvetica (1674), welche den gesamten hebräischen Text inklusive seiner Punktation als göttlich inspiriert definierte: „In specie autem Hebraicus Vet. T. codex, quem ex traditione Ecclesiae Judaicae, cui olim [Rom. 3,2] oracula Dei commissa sunt, accepimus hodieque retinemus, tum quoad consonas, tum quoad vocalia, sive puncta ipsa, sive punctorum saltem potestatem, et tum quoad res, tum quoad verba ϑεόπνευστος, ut fidei et vitae nostrae, una cum codice Novi Testamenti sit Canon unicus et illibatus, ad cujus normam, ceu Lydium lapidem, universae, quae exstant, versiones, sive orientales, sive occidentales exigendae, et, sicubi deflectunt, revocandae sunt.“ Zur Definition der hebräischen Textgrundlage wird ferner ausgeführt: „III. Eorum proinde sententiam probare neutiquam possumus, qui lectionem, quam Hebraicus Codex exhibet, humano tantum arbitrio constitutam esse definiunt, quique lectionem Hebraicam, quam minus commodam judicant, configere, eamque ex LXX: Seniorum, aliorumque versionibus Graecis, codice Samaritano, Targumim Chaldaicis, vel aliunde etiam, imo quandoque ex sola ratione emendare religioni neutiquam ducunt, neque adeo aliam lectionem authenticam, quam quae ex collatis inter se editionibus, ipsiusque etiam Hebraici codicis, quem variis modis corruptum esse: dictitant, adhibita circa lectiones variantes humani judicii κρίσει erui possit, agnoscunt:
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Streitkultur in der protestantischen Orthodoxie eine wesentliche Voraussetzung der theologischen Diskursentwicklung dar, die dazu beitrug, die Debatten um die historische Bibelkritik an Universitäten wie Halle oder Göttingen als innertheologische Kontroverse fortzuführen und sich selbst inhaltlich wie formal in Kontinuität zur lutherisch-orthodoxen Debattenkultur zu verstehen.13 Dabei lieferte – ironischerweise – der Versuch der konsequenten Absicherung des protestantischen Schriftprinzips in Form der Lehre der Verbalinspiration mit ihren historischen wie philosophischen Beweisen einen, wenn nicht den zentralen Ausgangs‑ und Angriffspunkt der historischen Bibelkritik der Aufklärungszeit („Bibel-Götze“). Scharfe Angriffe auf das protestantische Schriftverständnis und die historische Zuverlässigkeit der Heiligen Schrift brachte bereits gegen Ende des 17. Jahrhunderts die spezifische Konfliktsituation in Frankreich hervor, die sich mit der zunehmenden politischen Verfolgung der Hugenotten Ende des 17. Jahrhunderts massiv verschärfte und schließlich im Edikt von Fontainebleau 1685 in ihrer Vertreibung gipfelte. Nicht nur politisch, sondern auch theologisch sahen sich die Hugenotten wachsenden gegenreformatorischen Angriffen ausgesetzt. In Aufnahme der Ergebnisse Cappels griff der zum Katholizismus konvertierte Oratorianer Jean Morin (1591–1659)14 in seinen Exercitationes biblicae de he‑ braeici graecique textus sinceritate (1660) den protestantischen Glauben an die Ursprünglichkeit der hebräischen Vokalisation scharf an, um die Notwendigkeit des kirchlichen Lehramtes als oberster Instanz der Schriftauslegung zu demonstrieren. Morins Ordensbruder Richard Simon (1638–1712) führte dessen historisch-philologische Studien fort und wies mit seinen epochalen Werken zur alt‑ und neutestamentlichen Bibelkritik (Histoire critique du Vieux Testament, 1678; Histoire critique du texte du Nouveau Testament, 1689) ebenfalls gegenüber den Protestanten auf die Unzuverlässigkeit der biblischen Textüberlieferung hin. An Simon, mancherorts auch als der eigentliche Begründer der neuzeitlichen, historisch-kritischen Bibelforschung bezeichnet, wird die besondere Bedeutung der Voraussetzungen eines gesellschaftlichen wie theologischen Diskurses deutlich, innerhalb dessen sich einerseits epochale historische Forschungen aus kontroverstheologischer Motivation entwickeln konnten, dessen limitierende Strukturen jedoch andererseits auch eine breite wissenschaftliche Rezeption Tandemque praeter Editionem Hebraeam hodiernam, alios esse codices Hebraeos in veterum Jnterpretum deflectentibus ab Hebraeo nostro contexto versionibus, quae etiamnum variantium olim codicum Hebraeorum indicia sint, decernunt: Atque ita fidei nostrae principium, ejusque authoritatem sacrosanctam anceps in discrimen adducunt“ (Helvetische Konsensus-Formel von 1675, in: E. F. K. Müller [Hg.], Die Bekenntnisschriften der reformierten Kirche, S. 862–863). 13 Vgl. hierbei Kapitel VI zu Semlers Versuch einer nähern Anleitung zu nützlichem Fleisse in der ganzen Gottesgelehrsamkeit (1757). 14 Zu den Maurinern vgl. unter anderem Weitlauff, Die Mauriner und ihr historisch-kritisches Werk. Zu ihrem Beitrag zum französischen Aufklärungsdiskurs vgl. die detaillierte Studie von Holmberg, The Forgotten Encyclopedia.
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aufgrund ihrer potentiell dogmatisch revolutionären Konsequenzen verhindern konnte, wie die theologische Rezeption Simons beispielsweise in Frankreich demonstriert. Denn trotz der antiprotestantischen Frontstellung der Werke Simons erkannte der französische Bischof Jacques Bénigne Bossuet (1627–1704) klar deren allgemein offenbarungsgefährdendes Potential, wobei die Veröffentlichung in französischer Sprache die Gefahr der unkontrollierten Verbreitung der Kirchenkritik unter den Gebildeten deutlich erhöhte. Selbst die öffentliche Verbrennung seiner Schriften konnte jedoch Simons Aufstieg zu einem Kronzeugen der historischen Bibelkritik im 18. Jahrhundert nicht mehr verhindern. Zu der in Frankreich formulierten Kritik am protestantischen Schriftprinzip trat schließlich der – insbesondere von Polen und Holland ausgehende – antidogmatisch ausgerichtete Sozinianismus hinzu, der nicht ohne Folgen für die Debattenlage in Deutschland blieb und eine unmittelbare Reaktion seitens der lutherischen Orthodoxie hervorrief. Im Kampf gegen das katholische und sozinianische Schriftverständnis15 ging der berühmte Wittenberger Theologe Abraham Calov (1612–1686) so weit zu behaupten, die Schrift sei „unversehrt bis in die einzelnen Wort‑ und Buchstabenspitzen“16 hinein. Mit Blick auf die historische Bibelkritik Hugo Grotius’ (1583–1645) und Jean Morins17 verfasste Calov seine beiden für die Entwicklung der Bibelhermeneutik einflussreichen Werke Criticus sacer Biblicus (1646) und Biblia illustrata (1672–1676).18 Calov war sich durchaus bewusst, dass die verschiedenen neutestamentlichen Überlieferungen von zahlreichen Veränderungen durchsetzt waren, war jedoch – wie die meisten Vertreter der lutherischen Orthodoxie – davon überzeugt, dass sich alle Widersprüche anhand ausreichend historischen Quellenstudiums und mithilfe der Rekonstruktion des ursprünglich unverfälschten Originaltextes lösen ließen.19 Die Trennung zwischen der vom Geist inspirierten res und dem geschriebenen Wort fand sich bei ihm nicht mehr.20 In Abgrenzung gegenüber Bellarmin hob Calov die Annahme der allgemeinen Verständlichkeit der Schrift und ihres einfachen Sinnes 15 Calov verfasste bereits früh Disputationen gegen den Sozinianismus, die 1652 in seinem Werk Socinismus profligatus gipfelten. 1684 erschienen schließlich seine dreibändigen Scripta Antisociniana. Zur Bedeutung des Sozinianismus für die Entwicklung der historisch-kritischen Bibelexegese vgl. Scholder, Ursprünge und Probleme der Bibelkritik im 17. Jahrhundert, S. 34–55. Eine Sammlung aktueller Beiträge zum Einfluss des Sozinianismus bieten Mulsow/ Rohls (Hg.), Socinianism and Arminianism. 16 Vgl. Reventlow, Epochen der Bibelauslegung, Bd. III, S. 230. „Sacra Scriptura singulari divina gratia integra ac pura in fontibus conservata est, qua libros omnes Canonicos, & omnes librorum partes, imò quoad omnes etiam literas & apices, prout à manu Prophetarum & Apostolorum venit, ac porro conservabitur ad consummationem usque seculi“ (Calov, Apodixis articulorum fidei, § 5, S. 32–33). Zur Schrifthermeneutik Abraham Calovs vgl. Jung, Das Ganze der Heiligen Schrift. Hermeneutik und Schriftauslegung bei Abraham Calov. 17 Abraham Calov richtet sich dabei insbesondere gegen Jean Morins Exercitationes biblicae de hebraei graecique textus sinceritate, Paris 1633. 18 Vgl. Reventlow, Epochen der Bibelauslegung, Bd. III, S. 225–233. 19 Vgl. a. a. O., S. 228–229. 20 „(…) prout dabat illis Spiritus ὰποϕϑέγσεως, manifestum inde quod Spiritus S[anctus] non
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hervor und betonte, dass „niemand, gleich welchen Standes und Geschlechts“,21 von der Bibellektüre abgehalten werden dürfe. Gemäß dem lutherischen Diktum der sich selbst erklärenden Schrift sei die Bibel für jeden durch angemessenes Forschen verständlich.22 In Kontinuität hierzu entwickelte sich innerhalb der lutherischen Kontroverstheologie die philologische Analyse zu einem beliebten Gegenstand universitärer Disputationen, an denen sich bis ins 18. Jahrhundert ganze Generationen theologischen Nachwuchses in der Kunst der dogmatischen Apologie zu üben hatten.23 Den radikalsten Bruch im theologischen Bibelverständnis markiert schließlich die Rezeption der Werke des ebenfalls aus den Niederlanden24 stammenden jüdischen Gelehrten Baruch de Spinoza (1632–1677), die in Deutschland erst seit Mitte des 18. Jahrhunderts eine weitreichende religionskritische Wirkung zu entfalten begannen. In seinem Tractatus theologico-politicus von 1670 ging Spinoza deutlich über Grotius’25 historische Bibelanalyse hinaus und behauptete, die tantùm res & sententias sed verba ipsa suggesserit; non minus autem in scribendo regebantur à Spiritu S[anctu] quam in praedicando“ (Calov, Apodixis articulorum fidei, § 4, S. 32). 21 „Scriptura, uti omnibus eo fine proposita & commendata est divinitus, ut legatur salutaris informationis gratia, ita nemini interdicenda, nec quisquam, cujuscunque sit status aut sexus à lectione & scrutinio ejus arcendus est“ (a. a. O., § 10, S. 46). 22 Vgl. Reventlow, Epochen der Bibelauslegung, Bd. III, S. 231. „Sacra Scriptura est perspicua in omnibus, quae cognitu necessaria ad salutem, & interpres sui ipsius ut ab omnibus debito modo scrutantibus intelligi possit, nec adscititia luce, vel aliena explicatione opus habeat“ (Calov, Apodixis articulorum fidei, § 9, S. 43). 23 So hatte sogar noch Johann David Michaelis in seiner Dissertation 1739 die Ursprünglichkeit der hebräischen Punktation zu verteidigen versucht (Michaelis, Dissertatio Prior, eaque inauguralis, De punctorum Hebraicorum antiquitate). 24 Die spezifischen politischen, wirtschaftlichen und religiösen Umstände ließen die Niederlande sich bereits im „Goldenen Zeitalter“ des 17. Jahrhunderts zu einem frühen Zentrum der europäischen Bibelkritik entwickeln. Als theologisch folgenreich erwiesen sich dabei der Abwehrkampf gegen die spanisch-katholische Besetzung sowie die Auseinandersetzung infolge des arminianischen Streits zwischen Remonstranten und Contraremonstranten, von denen Erstere aufgrund von Erfahrungen der Unterdrückung, welche nach der Synode von Dordrecht 1618/19 einsetzte, einen ausgeprägten Toleranzgedanken entwickelten. Ähnlich wie von Christian Thomasius Ende des 17. Jahrhunderts in Deutschland gingen in den Niederlanden wesentliche Impulse aus einer Verquickung juristischer und theologischer Problemstellungen hervor. Zu den theologischen Debatten in den Niederlanden um 1600 vgl. Rohls, Calvinism, Arminianism and Socinianism in the Netherlands until the Synod of Dort. Sehr erhellend sind ebenfalls Martin Mulsows Hinweise auf die infolge der alttestamentlichen Historisierung entstehenden Verbindungen zwischen Juden und Sozinianern in Amsterdam im gemeinsamen Anliegen, die alttestamentlichen Texte von ihrer christlichen Interpretation zu befreien (Mulsow, Moderne aus dem Untergrund, S. 96–99). Vgl. hier auch die weiteren Literaturhinweise auf den Einfluss des Amsterdamer Judentums und speziell Orobio de Castros auf die holländische Aufklärung. 25 Hugo Grotius (1583–1645), der im Zuge der arminianischen Streitigkeiten in Form seiner Verhaftung die juristischen Auswirkungen theologisch intoleranter Debatten am eigenen Leibe zu spüren bekam, wandte sich in seinen Annotationes (1641/1645) gegen die orthodoxe Lehre der unmittelbaren Verbalinspiration und entwarf ein System der historisch-kritischen Auslegung der Schrift, für welche er auch außerbiblische Quellen zur Erläuterung heranzog. Er gilt dabei als Gestalt des Übergangs der Bibelkritik (vgl. Reventlow, Epochen der Bibelauslegung, Bd. III,
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III. Historische Bibelkritik und konfessionelle Debattenkultur
Offenbarung sei mit denselben Erkenntnismethoden wie die Natur zu erfassen.26 Mit Spinoza und seiner jüdischen Auslegungstradition wurde die in der protestantischen Orthodoxie angenommene bekenntnisgebundene christologische Auslegungsrichtschnur grundlegend infrage gestellt. Vor diesem Hintergrund bezeichnet er die alttestamentliche prophetische Rede nur noch als „lebhafte Vorstellung“ und nicht mehr von der klassischen analogia fidei des Glaubensbekenntnisses her als auf Christus gedeutete Weissagung. Nicht die orthodoxe Frage nach dem Wahrheitsanspruch der Offenbarung stand nach Spinoza im Vordergrund, sondern die Suche nach der historischen Intention der Autoren.27 Spinoza strebte dabei nach einer allgemein verbindlichen Lehre aus der Schrift, die er im Aufruf zu Gerechtigkeit und Nächstenliebe sah, wobei Glaube für ihn Gehorsam gegenüber deren Geboten bedeutete. Das Kriterium, die Bibel als göttlich zu identifizieren, lag nicht mehr klassisch dogmatisch in der Wirksamkeit der Schrift oder der Historizität der Wunder und Weissagungen begründet, sondern S. 216), der in Anknüpfung an das humanistische Erbe Erasmus von Rotterdams und die Tradition der Arminianer die menschliche Willensfreiheit verteidigte und aus diesem Grund für eine weniger durch dogmatische Prämissen bestimmte als vielmehr ethisch orientierte Schriftauslegung plädierte. Aufgrund der Anerkennung seiner bahnbrechenden philologischen Studien und seiner von vielen theologischen Aufklärern geteilten hermeneutischen und ethischen Intentionen entwickelte sich Grotius schließlich zu einer der am häufigsten rezipierten Figuren der historischen Bibelkritik unter den theologischen Aufklärern in Deutschland. Vgl. hierzu Florian Mühleggers Hinweis auf Giovanni Ambrosettis Untersuchungen zu Hugo Grotius’ philosophisch-theologischen Grundannahmen (Ambrosetti, I presupposti teologici e speculativi delle concezioni giuridiche di Grozio) in: Mühlegger, Hugo Grotius, S. 46–47. Zur Rezeption der exegetischen Schriften von Hugo Grotius in Deutschland vgl. besonders Rengstorf, Hugo Grotius als Theologe und seine Rezeption in Deutschland. Neben Grotius zählten zu den einflussreichsten Remonstranten die Theologen Jean Leclerc und Philipp van Limborch, der wie Grotius ebenfalls zugleich Jurist war. Van Limborchs Geschichte der Inquisition (Historia inquisitionis [1692]), ursprünglich als innerchristlicher Toleranzaufruf verstanden, diente später als Argumentationsgrundlage für eine allgemeine Religionskritik am Christentum (vgl. Kapitel VII.7. zur Debatte um Christian Ludwig Paalzows Religionskritik), während Jean Leclerc unter anderem für Baumgarten und die Hallenser Bibelforschung bedeutsam wurde. 26 „Eam autem, ut hic paucis complectar, dico methodum interpretandi Scripturam haud differre a methodo interpretandi naturam, sed cum ea prorsus convenire. Nam sicuti methodus interpretandi naturam in hoc potissimum consistit, in concinnanda scilicet historia naturae, ex qua, utpote ex certis datis, rerum naturalium definitiones concludimus: sic etiam ad Scripturam interpretandam necesse est ejus sinceram historiam adornare, et ex ea tanquam ex certis datis et principiis mentem authorum Scripturae legitimis consequentiis concludere: sic enim unusquisque (si nimirum nulla alia principia neque data ad interpretandam Scripturam et de rebus, quae in eadem continentur, disserendum admiserit nisi ea tantummodo, quae ex ipsa Scriptura ejusque historia depromuntur) sine ullo periculo errandi semper procedet et de iis, quae nostrum captum superant, aeque secure disserere poterit ac de iis, quae lumine naturali cognoscimus“ (Spinoza, Tractatus theologico-politicus, S. 230/232). 27 „Atque eas sententias hic obscuras aut claras voco, quarum sensus ex contextu orationis facile vel difficulter elicitor, at non quatenus earum veritas facile vel difficulter ratione percipitur. De solo enim sensu orationum, non autem de earum veritate laboramus“ (a. a. O., S. 234/236).
1. Die Schrift als Gegenstand kontroverstheologischer Debattenkultur vor 1750
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in der positiven Beantwortung der Frage, ob der Text „wahre Tugend lehrt“.28 Dogmatisch fundamental ist in diesem Zusammenhang Spinozas Ablehnung der Lehre von der Verderbtheit der menschlichen Vernunft, die – wie Luther in De servo arbitrio (1525) und die Contraremonstranten auf der Synode von Dordrecht 1618 wiederholt betont hatten – gänzlich unfähig zur Erkenntnis des Heils sei. Durch jenen Verzicht auf eine radikale Sündenlehre, die bereits durch die nachhaltigen Einflüsse des Arminianismus, Sozinianismus und Humanismus in ihrer streng orthodoxen Form infrage gestellt worden war, wurde der Bindung an die spirituelle Unverfügbarkeit der biblischen Interpretation ihre dogmatische Notwendigkeit entzogen und ein moralisch orientierter Zugang zur Bibel in der Aufklärungszeit wesentlich vorbereitet. Obwohl die Niederlande im europäischen Vergleich seinerzeit einen der höchsten Grade an religiöser Toleranz und Pressefreiheit gewährten, galten Spinozas Thesen selbst dort als so religionsgefährdend, dass sein Tractatus 1670 nur anonym und unter falscher Angabe des Verlagsortes erscheinen konnte. Dennoch verbreiteten sich Spinozas Werke rasch, erlaubten jedoch kaum offene Zustimmung und wurden in ganz Europa bis weit ins 18. Jahrhundert hinein selbst von bedeutenden Aufklärern wie Christian Wolff und David Hume heftig bekämpft. Spinoza stellt somit eines der prominenten Beispiele für die Abhängigkeit der Verbreitung aufklärerischer Gedanken von klandestinen Kommunikationsstrukturen dar, die auf einem weitverzweigten Netzwerk geheimer Produktion und Distribution illegaler Schriften basierten.29 Während Spinozas radikale Offenbarungskritik von Holland aus in Frankreich und England bereits seit dem frühen 18. Jahrhundert Eingang ins Denken der Gelehrtenwelt gefunden hatte, erreichte seine Bibelkritik erst durch den Erfolg der Schriften Johann Christian Edelmanns (1698–1767) weitere Verbreitung unter den Gebildeten in Deutschland.30 28 „Imo si sine praejudicio Scripturae divinitatem testari volumus, nobis ex eadem sola constare debet ipsam vera documenta moralia docere; ex hoc enim solo ejus divinitas demonstrari potest: nam certitudinem prophetarum ex hoc praecipue constare ostendimus, quod prophetae animum ad aequum et bonum inclinatum habebant. Quare hoc idem etiam nobis constare debet, ut fidem ipsis possumus habere. Ex miraculis autem Dei divinitatem non posse convinci jam etiam demonstravimus, ut jam taceam, quod etiam a pseudo-propheta fieri poterant. Quare Scripturae divinitas ex hoc solo constare debet, quod ipsa veram virtutem doceat“ (a. a. O., S. 232/234). 29 Lauermann/M.-B. Schröder, Textgrundlagen der deutschen Spinoza-Rezeption im 18. Jahrhundert, bes. S. 55–57. Zur Rezeption Spinozas in der klandestinen Literatur vgl. unter anderem auch W. Schröder, Spinoza im Untergrund. 30 Zur Verbreitung des Tractatus theologico-politicus sowie der weiteren Schriften Spinozas vgl. Israel, Radical Enlightenment, S. 275–327. Vgl. Nadler, A book forged in hell. Zum Einfluss Spinozas auf die Entwicklung der historischen Bibelkritik vgl. auch Frampton, Spinoza and the rise of historical criticism of the Bible. Zur Debatte um den Einfluss der Spinoza-Rezeption in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts vgl. besonders den bereits erwähnten Aufsatz Lauermann/M.-B. Schröder, Textgrundlagen der deutschen Spinoza-Rezeption im 18. Jahrhundert.
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III. Historische Bibelkritik und konfessionelle Debattenkultur
2. Der Beginn bibelkritischer Debatten in der gelehrten Öffentlichkeit (Wertheimer Bibel, Edelmann) Unter anderem aufgrund der oben bereits skizzierten, konfessionell relativ homogenen Territorialstrukturen entwickelte sich in Deutschland erst mit deutlicher Verzögerung gegenüber den westeuropäischen Ländern eine, dann dafür aber gesellschaftlich umso breitere aufklärerische Debattenkultur, die den bestehenden Auslegungskonsens infrage zu stellen begann und in Kontroversen wie denjenigen um Reimarus’ Fragmente (1774–1778), Karl Friedrich Bahrdts (1741–1792) Glaubensbekenntnis (1779) oder das Woellnersche Religionsedikt (1788) breites Interesse erregte. In ihnen offenbarte sich ein deutlich gewandeltes Schrift‑ und Theologieverständnis, das in den Jahrzehnten zuvor durch den Beginn einer Kultur offener historischer Bibelkritik vorbereitet worden war. Sucht man nach den Umbrüchen jenes Konsenses im 18. Jahrhundert, muss als eine der ersten Debatten die Kontroverse um die Übersetzung der Wert‑ heimer Bibel durch Johann Lorenz Schmidt (1702–1749) 1736 genannt werden.31 Nach dem Vorbild der Pentateuchübersetzung des reformierten Theologen Jean Leclerc (1657–1736), der von Genf ans liberale Amsterdamer Remonstrantenkolleg gewechselt war, veröffentlichte der Theologe Johann Lorenz Schmidt 1735 eine durch die rationalistische Hermeneutik Wolffs geprägte Übersetzung des Pentateuchs unter dem Titel Freye Uebersetzung des Pentateuchs mit dem Ziel, deistische Einwände gegen die Rationalität der göttlichen Offenbarung der fünf Bücher Mose zu widerlegen. Schmidt, der die aufklärerisch apologetische Tradition sowohl durch die orthodoxen Vermittlungsbemühungen seines Lehrers Johann Franz Buddeus (1667–1729)32 als auch die Theologie Christian Wolffs kennengelernt hatte, suchte durch eine von theologischen Prämissen befreite Bibelübersetzung die Grenzen einer spezifisch theologischen Bibelhermeneutik zu überwinden. Die bei Wolff noch zu findende Betonung der „mysteria“ der Heiligen Schrift löste Schmidt dabei zugunsten einer sprachanalytischen Untersuchung auf.33 Infolge der Intervention des Wolff-Gegners Joachim Lange wurde Schmidt aufgrund seiner Übersetzung 1737 verhaftet, konnte allerdings nach Altona in ein Refugium für Freigeister fliehen, wo er sowohl Werke Spinozas als 31 Dietrich Klein spricht gar vom „größten theologischen Streit des 18. Jahrhunderts neben dem Streit um Lessings Publikation der ‚Fragmente‘“ (Klein, Hermann Samuel Reimarus [1694–1768], S. 37). Zur Debatte um Johann Lorenz Schmidt vgl. Hirsch, Geschichte der neuern evangelischen Theologie, Bd. 2, S. 417–438; Goldenbaum, Appell an das Publikum, Teil 1, S. 175–508; Sheehan, The Enlightenment Bible, S. 121–131. 32 Buddeus gehörte mit seinen Theses theologicae de atheismo et superstitione (1716) zu den ersten lutherischen Theologen, die sich systematisch umfassend mit dem englischen Deismus und dem Spinozismus auseinandersetzten. Zu Buddeus’ Veränderungen der Konzeption des orthodoxen Schriftverständnisses vgl. Nüssel, Bund und Versöhnung, S. 19–33. 33 Zum Übergang des Schriftverständnisses zwischen Wolff und Schmidt vgl. Neumann, Hermeneutik im Wolffianismus, bes. S. 402–408.
2. Der Beginn bibelkritischer Debatten in der gelehrten Öffentlichkeit
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auch des englischen Deisten Matthew Tindal (1657–1733) übersetzte und wohl auch persönlich mit Reimarus in Kontakt kam.34 Dass sich der Skandal um die Wertheimer Bibel zur ersten großen Bibeldebatte in Deutschland entwickelte, verdankt sich – wie Ursula Goldenbaum und Dietrich Klein gezeigt haben – wesentlich der publizistischen Inszenierung der Kontroverse mithilfe des Mediums der Zeitschriften.35 Mittels der Möglichkeit anonymer oder pseudonymer Rezensionen und territorial unterschiedlich strikter Zensurbestimmungen konnten auch Rezensenten wie der Orientalist Reimarus, die kein theologisches Studium absolviert hatten, öffentlich auf die Debatte Einfluss nehmen. In den Reaktionen auf die Wertheimer Bibel eröffnete sich dem gebildeten Leser eine Pluralität an Urteilen, die das Werk als Religionsspötterei einerseits bis hin zur Befreiung von der „knechtisch[en] Wort für Wort“-Übersetzung andererseits bewerteten.36 Das breite Interesse, welches die Auseinandersetzung hervorrief, manifestiert sich im Abdruck der zugehörigen Debattenbeiträge in einem bereits 1738 veröffentlichten Sammelband, der auch die Rezensionen in den Leipziger Neuen Zeitungen von gelehrten Sachen und den Hamburgischen Berichten von gelehrten Sachen aufnahm.37 Für Reimarus wurde die Beteiligung an der Debatte in Form zweier Rezensionen zu einem wichtigen Wendepunkt auf dem Weg zur Abfassung seiner Fragmente.38 In welch engem Zusammenhang der Streit um Schmidts Wertheimer Bibel und Lessings Edition der Fragmente des Reimarus stehen, macht neben der Verbindung in Altona der Umstand deutlich, dass Gotthold Ephraim Lessing dem vertriebenen Schmidt 1747 unter falschem Namen eine Anstellung in Wolfenbüttel verschaffte und 40 Jahre später zu Reimarus’ Schutz den Verdacht streute, die Fragmente eines Ungenannten stammten ursprünglich von dem bereits verstorbenen Schmidt. Sehr viel weiter in seiner historischen Bibelkritik ging fünf Jahre später Johann Christian Edelmann, durch dessen populäre Schriften die spinozistische Offenbarungskritik in Deutschland wesentlich an Aufmerksamkeit und Einfluss gewann. Edelmanns Biographie und theologisches Wirken exemplifizieren, wie fließend einerseits die Übergänge radikalpietistischer und rational aufklärerischer Identitäten waren, an welchen Stellen andererseits jedoch zugleich unüberwindbare Bruchlinien auftraten. Edelmann, der wie Schmidt 34 Vgl. hierzu A. Spalding, Der rätselhafte Tutor bei Hermann Samuel Reimarus. Zu den geheimen Aufklärerzirkeln um Georg Schade vgl. Mulsow, Monadenlehre, Hermetik und Deismus. 35 Zur Bedeutung der Zeitschriften für die Rezeption der Debatte vgl. Klein, Hermann Samuel Reimarus (1694–1768), S. 39–41. 36 Vgl. Neumann, Hermeneutik im Wolffianismus, S. 402–403. 37 J. L. Schmidt (Hg.), Samlung derienigen Schriften welche bey Gelegenheit des wertheimischen Bibelwerks für oder gegen dasselbe zum Vorschein gekommen sind, mit Anmerkungen und neuen Stücken aus Handschriften vermehrt heraus gegeben. 38 Vgl. Klein, Hermann Samuel Reimarus (1694–1768), S. 10; vgl. außerdem Stemmer, Weissagung und Kritik, S. 147–171.
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III. Historische Bibelkritik und konfessionelle Debattenkultur
ebenfalls Schüler Buddeus’ in Jena gewesen und durch das Studium von Gottfried Arnolds Kirchen‑ und Ketzerhistorie (1699) geprägt war, wandte sich aus Enttäuschung über den an der Universität gelehrten leeren Buchstabenglauben dem radikalen Pietismus mit seiner spirituellen Dimension und seinem ethischen Rigorismus zu.39 In der radikalpietistischen Hochburg Sayn-Wittgenstein- Berleburg arbeitete Edelmann an der Berleburger Bibelübersetzung mit, die neben der Kritik an der äußeren Kirche von der Suche nach einem dritten, geheimen Schriftsinn geleitet war.40 Verbreitet wurden Edelmanns Schriften unter anderem durch ein umfassendes geheimes Netzwerk für illegale, sogenannte Schwarzdrucke, zu deren Publikationszentren neben Sayn-Wittgenstein-Berleburg auch die hessischen Gebiete um Frankfurt wie die Grafschaft Isenburg- Büdingen gehörten, in welcher der religiös tolerante Graf Casimir (1687–1741) bereits seit 1712 „vollkommene Gewissens-Freyheit“ garantiert hatte und von wo aus das Messezentrum Frankfurt mit radikalpietistischer Literatur beliefert wurde.41 Der unter den radikalen Pietisten um Conrad Dippel (1673–1734) ausschließlich mystisch orientierte Ansatz der Berleburger Bibelübersetzung führte allerdings dazu, dass Edelmann das Projekt als mit seinem eigenen Rationalismus nicht mehr vermittelbar betrachtete und seine Arbeit 1739 daran einstellte. Unter dem Eindruck der Lektüre von Spinozas Tractatus theologico-politicus verfasste er ein Jahr später sein skandalträchtiges Werk Moses mit aufgedecktem Angesicht (1740), welches die Bibelkritik Spinozas in Deutschland popularisierte.42 Das zentrale Anliegen Edelmanns war dabei der Angriff auf die orthodoxe Verbalinspirationslehre sowie die Widerlegung der historischen Verfasserschaft des Pentateuchs durch Mose. Edelmann berief sich dabei bewusst auf die Ergebnisse der historischen Schriftforschungen protestantisch-orthodoxer Theologen und verwies auf die Streitigkeiten um den ursprünglichen Bibeltext zwischen Lutheranern, Katholiken und Reformierten.43 Als kritische Argumente genannt werden sowohl die historisch-chronologischen Widersprüche im Alten Testament als auch die moralische Fragwürdigkeit der gewaltvollen Geschichte des Volkes Israel. Gegen den Glauben an den „Bibel-Götzen“ hebt Edelmann in spiritualistischer Tradition das dem Menschen innerliche Wort Gottes hervor, das er für nicht identisch mit dem verdorbenen Offenbarungstext hält. Aufgrund seiner Einsicht in die philologische Unmöglichkeit der Rekonstruktion eines biblischen Originaltextes kann die Bibel nach Edelmann keinen Anspruch auf Unfehlbarkeit erheben, weshalb sie nicht anders zu betrachten sei „als alle andre[n] Vgl. Schaper, Ein langer Abschied vom Christentum, S. 97. Vgl. Reventlow, Epochen der Bibelauslegung, Bd. IV, S. 148. 41 Zur Bedeutung des radikalpietistischen Druckwesens für Edelmanns Schriften vgl. Schaper, Ein langer Abschied vom Christentum, S. 130–138, hier bes. S. 131. Vgl. auch Mack, Forschungsbericht Pietismus in Hessen. 42 Zum Einfluss von Spinozas Tractatus auf Edelmann vgl. Schaper, Ein langer Abschied vom Christentum, S. 164–174. 43 Vgl. Reventlow, Epochen der Bibelauslegung, Bd. IV, S. 151. 39 40
2. Der Beginn bibelkritischer Debatten in der gelehrten Öffentlichkeit
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menschliche[n] Bücher, die sich nach der Wahrscheinlichkeit der Dinge, die sie vortragen, im Lichte der Vernunft prüfen lassen müssen“.44 Beeinflusst vom Interesse an den religionsvergleichenden Studien seiner Zeit, geht Edelmann dabei von einer hinter der Bibel stehenden Wahrheit aus, die ebenso auch in anderen, nichtchristlichen Offenbarungen wie beispielsweise bei antiken Dichtern wie Äsop oder sogar bei Konfuzius in China usw. zu finden sei.45 Edelmann selbst beschreibt rückblickend den Skandal um sein Werk: Es währete auch nicht lange, so hörten wir die Sturm-Glocken an allen Orten läuten, die Zeitungs-Schreiber schlugen einen Lermen über den andern, und man that uns zu wissen, daß der Reichs-Fiscal hinter den armen Mosen her sey, und den Verkauf desselben bey hoher Strafe verboten haben sollte.46
In seinem Glaubensbekenntnis (1746) äußert Edelmann auch Kritik an der leiblichen Auferstehung Christi, die er als nicht hinreichend belegt und im spiritualistischen Sinne als geistliche Auferstehung versteht.47 Verbunden war die Kritik mit einer scharf antiklerikalen Polemik, die sich wesentlich aus dem institutionskritischen Impuls des Radikalpietismus speiste, aber auch aus der persönlichen Erfahrung der massiven kirchlichen Bekämpfung und Verbrennung seiner eigenen Schriften resultierte. Indem sich Edelmann in besonderer Weise an Gedanken Spinozas und des englischen Deismus orientierte, kam ihm die zentrale Bedeutung zu, ebenjene Gedanken durch die populäre Darstellungsform seiner Schriften wie Moses mit aufgedecktem Angesicht sowie seinem Glaubensbekennt‑ nis weit über einen engen Zirkel gelehrter Aufklärer hinaus publik gemacht zu haben.48 Bereits hier spielte die Möglichkeit religiöser Liberalität in einzelnen 44 Edelmann, Abgenöthigtes jedoch andern nicht wieder aufgenöthigtes Glaubens-Bekentniß, S. 69. Vgl. dazu Reventlow, Epochen der Bibelauslegung, Bd. IV, S. 152. 45 Vgl. die Ausführungen zu Edelmann bei Rohls, Offenbarung, Vernunft und Religion, S. 429. 46 Edelmann, Selbstbiographie, S. 355. Emanuel Hirsch weist in seiner Theologiegeschichte auf die zentrale Bedeutung der Presse für die Debatte um Edelmann hin: „Noch niemals war in deutscher Sprache ein Buch erschienen, das wie Edelmanns Moses den gesamten Bibelglauben und dazu das christliche Dogma von vorne bis hinten verneinte, das sich offen zur spinozistischen Lehre von Gott und Welt bekannte und die üblichen Vorstellungen von Wunder, Vorsehung und Gebet so rücksichtslos zu Boden stieß. (…) Man kann sich – vor allem wenn man die hergebrachte Bekämpfung des Spinozismus durch alle deutschen philosophischen und theologischen Schulen in Anschlag bringt – nicht wundern, daß Edelmanns Schriften, voran der Moses mit aufgedecktem Angesicht, ein Entsetzen im protestantischen Deutschland hervorgerufen haben. Der Edelmannsche Streit setzt seit 1740 die Druckerpressen in Bewegung. Es sind über 160 Gegenschriften erschienen. Edelmanns Name war eine geraume Zeit sprichwörtlich in Deutschland als der des Religionsspötters schlechthin“ (Hirsch, Geschichte der neuern evangelischen Theologie, Bd. 2, S. 413). Eine Auflistung von 166 Gegenschriften zu Edelmanns Werken findet sich in Trinius, Freydenker-Lexicon, S. 255–279. 47 Vgl. Reventlow, Epochen der Bibelauslegung, Bd. IV, S. 155. 48 Einen Überblick über die zahlreichen Schriften inklusive einer jeweils kurzen Inhaltsangabe bietet das 1753 und bereits 1755 in zweiter, verbesserter Auflage erschienene Werk von Johann Hinrich Pratje, Historische Nachrichten von Joh. Chr. Edelmanns, eines berüchtigten
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III. Historische Bibelkritik und konfessionelle Debattenkultur
Territorien und Städten wie Sayn-Wittgenstein-Berleburg, Isenburg-Büdingen, Neuwied, Altona oder Berlin eine wesentliche Rolle. Anders als im Fragmentenstreit verfügte Edelmann über keinen prominenten Fürsprecher, der wie Lessing die Publikation seiner Schriften initiierte und deren öffentliche Debatte gegen Widerstände verteidigte. Der Erfolg Edelmanns lag unter anderem in der spezifischen Synthese spinozistischen und radikalpietistischen Gedankenguts begründet, deren populäre essayistische Darstellungsform zugleich Ausdruck ihres antidogmatischen und individuell theologischen Programms war. Bereits mit seinen an Arnold angelehnten Religionsgesprächen unter dem Titel der Un‑ schuldigen Wahrheiten (1735) hatte Edelmann eine der populären literarischen Gattungen aufgegriffen, deren Beherrschung wesentlich zu seinem Erfolg beitrug und zugleich seine Rolle als bedeutender deutscher Prosaist begründete, dessen Schriften auch auf Lessing und Friedrich Nietzsche (1844–1900) wirkten.49 Während die Kontroversen um Schmidt und Edelmann vornehmlich Auseinandersetzungen um die Grenzen der konfessionellen Schriftauslegung darstellten, hatten sich zur selben Zeit in Frankreich und England bereits Debattenlagen etabliert, die auf der Grundlage des Empirismus und schließlich des Materialismus weit über die bisher bekannte Bibelkritik hinausgingen und das christliche Weltbild fundamental infrage zu stellen begannen.50 Nachdem das Publikationsverbot gegen Edelmann die Diskussion um dessen Bibelkritik vordergründig beendet hatte, wuchs seit den 1740er-Jahren das Interesse an der Lektüre weitaus radikalerer Werke der englischen und französischen Aufklärung. Begünstigt wurde diese Entwicklung sowohl durch den Einfluss der exilierten Aufklärer am preußischen Hof als auch das große Interesse an französischer Literatur, die für die Entwicklung der deutschen Literaturkritik bis etwa 1760 stilbildend wirken sollte.51 Die in Gegenschriften und Rezensionen ihren Ausdruck findende Rezeption trug trotz ihres größtenteils apologetischen Charakters zu
Religionsspötters, Leben, Schriften und Lehrbegrif, wie auch von den Schriften, die für und wider ihn geschrieben worden. Darin listet er allein 15 Gegenschriften zu Edelmanns Mose mit aufgedecktem Angesicht auf und bietet zudem eine Liste mit Werken, in denen partiell eine Auseinandersetzung mit Edelmann geführt wird. Angegeben werden ebenso die Ausgabennummern der Zeitschriften, in denen sich Rezensionen zu den jeweiligen Werken finden. 49 Vgl. den Artikel zu Edelmann von Beutel, Art. Edelmann, Johann Christian, in: RGG4, Bd. 2, Sp. 1056–1057. 50 In jenen philosophischen und theologischen Umbrüchen kommen zugleich die spürbaren ökonomischen, technologischen und soziologischen Veränderungen zum Ausdruck, welche sich insbesondere in den urbanen Metropolen wie Paris und London vollzogen. Wie unmittelbar das neue, urbane Lebensgefühl der sich etablierenden Welthandelsmetropole London auf den Wandel christlich moralischen Vorstellungen auszuwirken begann, repräsentiert exemplarisch der Erfolg von Bernard de Mandeville, The Fable of the bees (1714). 51 Zur Rezeption französischer Romanliteratur seit 1730 in Deutschland und ihrer Auswirkungen auf die deutsche Literaturkritik vgl. unter anderem Quester, Frivoler Import, S. 104–156.
2. Der Beginn bibelkritischer Debatten in der gelehrten Öffentlichkeit
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einem schleichenden Transformationsprozess bei, der die Beurteilung zentraler Topoi der protestantischen Theologie dauerhaft verändern sollte.52
52 Allgemein zu den dogmatischen Veränderungen in der lutherischen Orthodoxie vgl. Ratschow, Lutherische Dogmatik zwischen Reformation und Aufklärung. Zur Transformation der Gerichtsvorstellung vgl. Walker, The decline of hell; zur Transformation der Geschichtsvorstellung vgl. Zedelmaier, Der Anfang der Geschichte; zur Transformation des Schriftverständnisses vgl. Sheehan, The Enlightenment Bible, und Legaspi, The death of Scripture and the rise of biblical studies.
Kapitel IV
Die Debatte um Jean-Martin de Prades und die empirische Beweisbarkeit der biblischen Wahrheit (1751–1753) 1. Der Prozess um Jean-Martin de Prades’ Disputation an der Sorbonne 1751 1.1 Jean-Martin de Prades und die französische Aufklärung um 1750 Zum allgemeinen gesellschaftlichen Durchbruch verhalf der Aufklärung in Europa neben den Zeitschriften die zunehmende Popularität des Mediums der Enzyklopädie, in welchem die wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritte einem breiten Publikum dauerhaft zugänglich gemacht wurden. Insbesondere die rapiden technischen und naturwissenschaftlichen Entwicklungen fanden auf diese Weise grenzüberschreitende Verbreitung und bereiteten die Etablierung eines auf naturwissenschaftlichen Prämissen basierenden Weltbildes vor. Der Beginn der Veröffentlichung der Encyclopédie markiert einen Meilenstein auf dem Weg dieser Entwicklung, welche mit dem ersten öffentlichen Auftreten konsequent materialistischer Werke Ende der 1740er-Jahre einen auf ganz Europa wirkenden publizistischen Höhepunkt der Aufklärungszeit darstellt. Trotz bald einsetzender massiver kirchlicher und staatlicher Repression erschienen in Frankreich – oftmals gedruckt in Holland – zahlreiche epochale Werke der französischen Aufklärung, die weit über die Grenzen von Paris hinaus für Furore sorgten. In ihnen erreichten Gedanken und Thesen ein bürgerlich gebildetes Milieu, die in ihrer Radikalität zuvor nur in kleinen intellektuellen Zirkeln kursiert waren und sich dort oftmals zusätzlich radikalisiert hatten. Die Verbindung intellektueller Schärfe und publizistischer Genialität setzte eine Dynamik frei, die in den Jahren zwischen 1748 und 1751 eine bisher unerreichte diskursive Pluralität in den Kreisen der Pariser Gelehrten und Gebildeten entfaltete.1 Eine zurückhaltende Zensur unter Ludwig XV. begünstigte Ende der 1740er-Jahre den Druck aufklärerischer Schriften, die teils bereits mehrere Jahre zuvor verfasst worden waren.2 Maß1 Zur Entwicklung der katholischen Aufklärung vgl. Burson, The Catholic enlightenment in France, 1650–1789, S. 95. Zur theologischen Bedeutung der Affäre de Prades vgl. Ders., The rise and fall of theological enlightenment. 2 Vgl. Macé, Les Lumières françaises au tribunal de l’Index et du Saint-Office.
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IV. Die Debatte um Jean-Martin de Prades
geblichen Einfluss übten hierbei die Übersetzungen deistischer Literatur von Autoren wie John Toland (1670–1722), Anthony Collins (1676–1729) oder Anthony Ashley Cooper Earl of Shaftesbury (1671–1713) ebenso wie ein gesteigertes Interesse an den Ideen Spinozas aus.3 Zu den in jenem Zeitraum veröffentlichten skandalösen Werken gehörten unter anderem Denis Diderots (1713–1784) Pensées philosophiques (1746), la Mettries L’homme machine (1747), Montesquieus L’esprit des lois (1748) und Buffons Histoire Naturelle (1749). Ihre Verfasser stellten in den verschiedenen Disziplinen der Ethik, Geschichtswissenschaft, Naturhistorie oder Anthropologie traditionell christliche Konzeptionen radikal infrage. Bereits ihre Zeitgenossen hielten sie für revolutionär. Verbesserte Transport‑ und Kommunikationswege intensivierten auch den Austausch der Gelehrtenwelt. Dieser trug dazu bei, dass neue Ideen rasch die Landesgrenzen überquerten.4 Der exponentiell wachsende Buchmarkt sowie die Ablösung des Lateinischen als Wissenschaftssprache durch das Französische bzw. die jeweiligen Nationalsprachen hatten eine deutliche Erweiterung der potentiellen Leserschaft zur Folge. Sie schufen geradezu ein gesteigertes Interesse an neuen Informationen und Skandalen, um deren unmittelbare Berichterstattung die gelehrten Journale buhlten. Nicht nur politische und gesellschaftliche, sondern auch religiöse und theologische Themen konnten sich der Veränderung der Kommunikationskultur der Aufklärung nicht mehr entziehen und mussten sich dem Urteil eines breiteren, kritisch gebildeten Publikums stellen. Die Debatte um de Prades und ihre Rezeption in den deutschen Zeitschriften der protestantischen Gelehrtenwelt offenbart dabei exemplarische Dynamiken des Transformations‑ und Rezeptionsprozesses radikaler naturwissenschaftlicher Religions‑ und Bibelkritik, wie sie sich um 1750 in literarisch einflussreichen Zirkeln französischer Aufklärer entwickelt hatten. Bestimmte Anfang des 18. Jahrhunderts noch die innerkirchliche Auseinandersetzung um die Bewegung des Gallikanismus und Jansenismus die französischen Debatten, so hatte sich zu jenem Zeitpunkt eine neue, einflussreiche Front entwickelt, welche nicht mehr um die Wahrheit auf dem Boden der christlichen Tradition rang, sondern gezielt und publizistisch einflussreich jeglichen religiösen Wahrheitsanspruch zu bestreiten begann. Voraussetzung für diese Entwicklung bildete die in den Jahrzehnten zuvor etablierte innertheologische Diskussionskultur in Frankreich, die maßgeblich durch die Auseinandersetzungen zwischen den Unterstützern 3 Vgl. Wade, The clandestine organisation and diffusion of philosophical ideas in France from 1700 to 1750, S. 263–273. Dabei fasst Wade die Intention der heimlich veröffentlichten Schriften zwischen 1700 und 1750 folgendermaßen zusammen: „The Treatises criticize constantly the facts of the Bible. They discuss at great length the arguments proposed by the orthodox to defend the divinity of Christianity: prophecies, miracles, the persecution of the Church martyrs, the morality of the Christian religion and the historical development of the Church“ (a. a. O., S. 270). 4 Zur Bedeutung der Veränderung des Postwesens vgl. die umfangreiche Studie von Behringer, Im Zeichen des Merkur.
1. Der Prozess um Jean-Martin de Prades’ Disputation an der Sorbonne 1751
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und den Gegnern der Bulle Unigenitus (1713) vorbereitet worden war. Befasste sich die Debatte anfangs vornehmlich mit Fragen der katholischen Ekklesiologie und Gnadenlehre, so weitete sie sich im 18. Jahrhundert zu einem verstärkt politisch motivierten Richtungsstreit aus, dessen außertheologische Interessen den Streit um die Encyclopédie und de Prades maßgeblich mitbestimmen sollten. Welche Impulse sich aus der Kontroverse für einflussreiche Teile der deutschen protestantischen Theologen‑ und Gelehrtenwelt ergaben, die sich seinerzeit immer noch in hohem Maße an der französischen Aufklärung orientierte, soll die Untersuchung dieser Debatte und ihrer Rezeption im Folgenden zeigen. Indem ihre bestimmenden Faktoren und ihre Modifikationen erkennbar werden, kann die Eigenart des theologischen Aufklärungsprozesses in der deutschen Gelehrtenwelt genauer nachvollzogen werden. Für den Skandal, den de Prades’ Dissertation 1751 auslöste, spielte der unmittelbare Kontext des Erscheinens der Schriften Diderots eine wesentliche Rolle. Mit seinen 1746 anonym veröffentlichten Pensées philosophiques griff er, der sich im Jahr zuvor intensiv mit der Übersetzung von Shaftesburys Inquiry concerning virtue and merit (1714) befasst hatte, auf viele Gedanken dieses einflussreichen deistischen Denkers zurück. In Form von assoziativ zusammengestellten Gedanken spottete Diderot in seinen Pensées philosophiques über unglaubwürdige biblische Texte und der Vernunft widersprechende kirchliche Traditionen und Normen. Aufgrund ihres religionsgefährdenden Potentials wurde die Schrift zunächst öffentlich verbrannt und Diderot nach Enttarnung seiner Autorschaft 1749 verhaftet.5 5 In ihrer Religionskritik noch darüber hinaus gingen die zeitgleich veröffentlichten Schriften Julien Offray de la Mettries. Sie waren durch sein umfangreiches medizinisches Wissen, das er bei dem bedeutendsten europäischen Mediziner seiner Zeit, Herman Boerhaave in Leiden, erworben hatte, fundiert. Seine naturwissenschaftliche Analyse des menschlichen Körpers und seines Verhaltens, das auf rein materialen Kausalitäten basierte, bestimmte auch seine öffentlichkeitswirksamen Werke Histoire naturelle de l’âme (1745) sowie L’homme machine (1747). Sein hier vertretener Atheismus zwang la Mettrie schließlich zur Flucht ins niederländische Exil und von dort an den Hof Friedrichs des Großen, dessen Leibarzt er schließlich wurde. Zur Genese des materialistischen Denkens La Mettries vgl. Vartanian, la Mettrie’s L’homme machine. Wie ambivalent die wissenschaftlichen medizinischen Erkenntnisse in ihrer Interpretation waren, veranschaulicht die Auseinandersetzung zwischen la Mettrie und Albrecht von Haller um dessen Kommentar zu Boerhaaves Institutiones rei medici (Boerhaave, Hermanni Boerhaave Praelectiones academicae in proprias institutiones rei medicae, edidit et notas addidit Albertus Haller [1739–1744]). Haller, ebenfalls Schüler Boerhaaves, bezichtigte la Mettrie nach dessen Übersetzung seines Kommentars des Plagiats und warf ihm aufgrund der Abfassung von L’his‑ toire naturelle de l’ame vor, Boerhaaves medizinische Erkenntnisse für seine eigenen materialistischen Intentionen zu missbrauchen (vgl. unter anderem E. Bergmann, Die Satiren des Herrn Maschine; Jauch Staffelbach, Krankheit als Metapher). Die Tatsache, dass mit Albrecht von Haller einer der einflussreichsten deutschsprachigen Gelehrten und zugleich Herausgeber der Göttingischen Zeitungen von Gelehrten Sachen als Naturwissenschaftler die Religion gegen den Materialismus zu verteidigen suchte, trug zur religiös vermittelnden Rolle der Göttingischen Akademie und deren Journal bei.
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IV. Die Debatte um Jean-Martin de Prades
Wie die breite Rezeption der Pensées philosophiques erkennen lässt, stellte die hierin geäußerte Kritik an der christlichen Offenbarung und der Kirche eine Provokation für das allgemeine christliche Religionsverständnis dar, die sowohl mit Neugier als auch mit Verachtung wahrgenommen wurde.6 Unmittelbar mit seiner Religionskritik einher gingen Forderungen nach moralischen Umwertungen, die in den Schriften der radikalen Aufklärer mehr oder minder offen propagiert wurden und besonderen öffentlichen Anstoß erregten.7 Der offene Spott der Pensées philosophiques über die biblischen Zeugnisse lässt erahnen, wie weit sich bestimmte Kreise der französischen Gelehrtenwelt bereits von dem historischen Wahrheitsanspruch der Bibel entfernt hatten und wie wenig die apologetischen Versuche zur Rettung der Religion zu überzeugen vermochten.8 Insbesondere dem historischen Skeptizismus bzw. Pyrrhonismus, der die Möglichkeit von sicherem Wissen überhaupt infrage stellte, ließ sich nicht mehr mit traditionellen metaphysischen Argumenten der Scholastik begegnen.9 Mit dieser Kritik ging ein allgemeiner Zweifel an der Autorität der biblischen Zeugnisse einher, wobei nicht nur einzelne Wunderberichte, sondern selbst die zentralen Inhalte der Evangelien durch zeitgenössische Vergleiche in Zweifel gezogen wurden: Die Zeit der Offenbarungen, der Wunder und der außerordentlichen Sendungen ist vorbei. Das Christentum hat diese Aufmachung nicht mehr nötig. Wenn jemand auf den Gedanken käme, bei uns die Rolle des Jonas zu spielen, durch die Straßen zu laufen und zu rufen: „Drei Tage noch, und Paris wird nicht mehr sein; (…)“ – dann würde er unverzüglich festgenommen und vor einen Richter geschleppt werden, der wohl nicht versäumen würde, ihn ins Irrenhaus zu schicken.10 (…) Ein ganzes Volk, werdet ihr mir sagen, zeugt für diese Begebenheit [d. h. die Wunder Christi]; wagen Sie dennoch, zu leugnen? Ja, ich wage es, solange sie mir nicht durch die Autorität irgendeines anderen bestätigt wird, der nicht zu eurer Partei gehört, und solange ich nicht weiß, ob dieser gegen Fanatismus und Verführerei gefeit war. (…) aber wenn mir ganz Paris versicherte, es sei in Passy soeben
6 Zur Rezeption Diderots in Deutschland vgl. Mortier, Diderot in Deutschland 1750–1850, bes. S. 292–313; Saada, Inventer Diderot; Dies., Der doppelte Diderot; Duchhardt, Interdisziplinarität und Internationalität; Knabe, Die Rezeption der französischen Aufklärung in den „Göttingischen Gelehrten Anzeigen“ (1739–1779). 7 Vgl. Israel, Enlightenment contested, S. 572–589. Vgl. dazu auch Julien Offray de la Mettrie, École de la Volupté (1746), oder die anstößige Schrift von Denis Diderot, Les bijoux indi‑ screts (1748), sowie dessen Lettres sur les aveugles à l’usage de ceux qui voient (1749), in welchen er die Relativität der sittlichen Ordnung in Abhängigkeit von den Möglichkeiten menschlicher Wahrnehmung beschrieb und zugleich die Existenz Gottes infrage stellte. Darin radikalisierte sich Diderots Denken in jenen Jahren von einer deistischen Religionskritik, wie sie noch in den Pensées philosophiques zum Ausdruck kam, hin zum Atheismus. 8 Vgl. Denis Diderot, Pensées philosophiques XVII–XXI, in: Ders., Philosophische Schriften, S. 8–12. 9 Vgl. a. a. O., S. 15. 10 A. a. O., S. 19.
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ein Toter auferstanden, würde ich kein Wort davon glauben. Daß ein Geschichtsschreiber uns etwas vormacht oder daß ein ganzes Volk sich täuscht; das sind doch keine Wunder.11
Diderots kritische Einstellung zur biblischen Offenbarung wandelte sich in den folgenden Jahren zur offenen Polemik, wie der 1749 veröffentlichte Anhang zu den Pensées philosophiques offenbart. Hierin verschärfte Diderot den spöttischen Ton gegenüber dem Christentum und bezeichnete die biblischen Geschichten unter anderem als Naturwidrigkeiten und Märchen.12 Verstärkt durch seinen regelmäßigen Kontakt zum Kreis der radikalen Aufklärer um Thiry d’Holbach (1723–1789), zu dem auch zahlreiche Mitarbeiter der Encyclopédie gehörten, entwickelte Diderot sich in seinen Werken vom deistisch rationalen Offenbarungsskeptiker hin zu einem Vertreter einer materialistischen Naturkonzeption, welche er in seinen Pensées sur l’interprétation de la nature (1753) umfassend darlegte. Im Umfeld kritischer französischer Aufklärer hatte sich seit 1746 die Vision entwickelt, den enorm anwachsenden Fortschritt auf allen Gebieten des menschlichen Wissens in einem umfangreichen Werk zu sammeln und für ein breites Publikum publizistisch verfügbar zu machen. In ihrem Anspruch einer praktischen Anwendungsorientierung13 und empirisch fundierten Wissenschaftskomposition, die sich am Modell von Francis Bacons „Baum des Wissens“ orientierte, gingen die Enzyklopädisten in ihrem kritischen Neuansatz über die bisherigen bedeutenden enzyklopädischen Werke der Aufklärung wie Pierre Bayles (1647–1706) Dictionnaire historique et critique (1695–1702), Ephraim Chambers (1680–1740) Cyclopaedia or an Universal Dictionary of Arts and Sciences (1728) oder Johann Heinrich Zedlers (1706–1751) Universal-Lexicon (1732–1754) deutlich hinaus. In Paris trat das Vorhaben von Anfang an in Konkurrenz zu der von den Jesuiten seit 1701 herausgegebenen Mémoires pour l’Histoire des Sciences & des beaux-Arts (Journal de Trévoux) (1701–1767). Bereits seit Beginn des 18. Jahrhunderts hatten die Jesuiten das Journal de Trévoux als ihr wissenschaftliches Rezensionsorgan gegründet, um der protestantischen Presse, die seit dem Edikt von Nantes von außerhalb Frankreichs agieren musste, etwas entgegenzusetzen.14 A. a. O., S. 22–23. „Das Evangelium durch ein Wunder zu beweisen heißt etwas Widersinniges durch etwas Naturwidriges beweisen“ (aa.O, S. 38); „Warum sind die Wunder Jesu Christi wahr und die Wunder des Äskulap, des Apollonius von Tyana und des Mohammed unwahr?“ (ebd.); „Daß Jesus Christus, der Gott ist, vom Teufel versucht worden sei, ist ein Märchen, das aus ‚Tausendundeiner Nacht‘ stammen könnte“ (a.a.O, S. 44). 13 Den Anwendungsbezug, der die Erkenntnisse der technischen Errungenschaften auf einer Ebene mit den geistigen Errungenschaften in dem Werk behandelte, macht bereits der Gesamttitel des Werkes Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers deutlich. Neben der sprachlichen Beschreibung der Objekte umfasste die Encyclopédie zudem zahlreiche Abbildungen und Skizzen technischer Geräte sowie biologischer Phänomene oder architektonischer Werke. 14 Vgl. Dumas, Histoire du Journal de Trévoux depuis 1701 jusqu’en 1762. 11 12
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Auch der seit 1704 in mehreren Auflagen erscheinende Dictionnaire de Trévoux hatte die Aufgabe, das Wissen aus den verschiedenen Wissenschaftsgebieten zusammenzutragen und im Rahmen einer philosophisch-theologischen Synthese, wie sie von französischen Jesuiten entwickelt worden war, gegen den Jansenismus und die religionsfeindliche Aufklärung zu vermitteln. Gegen die Jesuitenpresse wandte sich seit 1728 auch das Journal der Nouvelles ecclésiastiques. Dieses vertrat die Anliegen der Jansenisten, konnte aber nur geheim veröffentlicht werden und leistete einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung der vielfach klandestinen aufklärerischen Debattenkultur in Frankreich.15 Die Liberalisierung der Zensur Ende der 1740er-Jahre trug schließlich zu einem unmittelbaren Anstieg der Veröffentlichungen bei und ermöglichte das rasante Anwachsen des literarischen Marktes. Der sich ausdifferenzierende Publikationsmarkt bot damit die Möglichkeit eines verstärkten Wettbewerbs, innerhalb dessen sich die Encyclo‑ pédie als prominenteste Wissenssammlung etablieren sollte. Der wirtschaftliche Erfolg bereits der Publikation des ersten Bandes 1751 schien ihrer Konzeption Recht zu geben. In dieser Phase der sich öffentlichkeitswirksam entfaltenden Aufklärung hatte der Jesuit Jean-Martin de Prades (um 1720–1782) eine Dissertation verfasst, die er am 18. November 1751 an der Theologischen Fakultät der traditionsreichen und von Jesuiten dominierten Sorbonne verteidigt hatte. Unter großer Zustimmung war sie von deren theologischer Kommission angenommen worden.16 De Prades war unter anderem in dem berühmten Priesterseminar St. Sulpice in Paris ausgebildet worden und gehörte zum vielversprechendsten theologischen Nachwuchs der Universität.17 Während seiner Studienzeit hatte er bereits an einer Übersetzung der Demonstratio Evangelica (1690) des Pierre-Daniel Huet (1630– 1721) gearbeitet, worin dieser die christliche Religion gegen die philosophische Kritik Spinozas und Thomas Hobbes’ (1588–1679) zu verteidigen versucht hatte. Durch eine mit Jean Pestré (1723–1821) und Claude Yvon (1714–1791) geteilte Wohnung stand er in enger Verbindung mit zwei weiteren Autoren der Encyclopé‑ die, die zentrale philosophische Artikel für deren ersten Band (z. B.: „Atheismus“, „Cartesianismus“ und „Philosophie Francis Bacons“) verfasst hatten. De Prades’ wichtigster Beitrag zur Encyclopédie bestand in dem von ihm verfassten Artikel „Certitude“ über die Möglichkeiten und Grenzen menschlicher Erkenntnis, der mit einem lobenden Zusatz Diderots veröffentlicht wurde. Explizit und ausführlich zitierte de Prades in seiner im November 1751 veröffentlichten Dissertation Passagen aus d’Alembert’s Discours préliminaire (1751) sowie Diderots Pensées 15 Zum Jansenismus in Paris vgl. Hildesheimer, Le Jansénisme en France aux XVIIe et XVIIIe siècles; Michel, Jansénisme et Paris. 16 Vgl. zur Veröffentlichung der Thesen de Prades’ und deren Rezeption auch Saada, Der doppelte Diderot, bes. S. 174–177; Spink, Un abbé philosophe. 17 Zur Biographie de Prades’ vgl. Kafker, Art. Jean de Prades; Noël, Une figure énigmatique parmi les encyclopédistes; Combes-Malavialle, Vues nouvelles sur l’abbé de Prades.
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philosophiques. De Prades’ unmittelbarer Kontakt zum Kreis der Enzyklopädisten um Diderot und d’Alembert verhalf ihm dabei zu einer detaillierten Kenntnis der gegenwärtigen philosophischen wie naturwissenschaftlichen Debattenlage. Sie ließ ihn in umsichtiger Schärfe die aktuellen Herausforderungen erkennen, die vornehmlich durch den Einfluss des englischen Deismus, den aufkommenden Materialismus und die unaufhaltsamen Fortschritte der Naturwissenschaften an die christliche Offenbarung herangetragen wurden. De Prades hatte unter anderem aufgrund seines unmittelbaren Kontakts zu den führenden Denkern der zeitgenössischen Religionskritik erfahren, dass die Inanspruchnahme bisheriger Autoritäten vor dem Hintergrund der tiefen Skepsis gegenüber jeglicher religiösen Überlieferung nicht mehr überzeugte. So kam er zu der Einsicht, dass er der rational und empirisch begründeten Kritik nur durch den Entwurf einer Theologie begegnen könne, die ebenfalls erkenntnistheoretisch auf empirisch verifizierbaren Tatsachen basiert. Seine Dissertation stellte somit den Versuch dar, eine umfassende Widerlegung zentraler Kritikpunkte der Deisten und Materialisten an der biblischen Offenbarung vorzulegen und zugleich die Legitimität der römischen Kirche als einziger Bewahrerin der „wahren Religion“ unter allen Religionen (und Konfessionen) zu verteidigen. Trotz seiner apologetischen Intention wurden die Thesen de Prades’ wegen des Vorwurfs der Häresie durchweg von allen betroffenen Instanzen verurteilt: von der Theologischen Fakultät der Sorbonne, dem Pariser Erzbischof, dem Pariser Parlament und sogar durch eine Bulle Benedikts XIV. (1740–1758). Aufgrund der öffentlichen Verurteilung und Verbrennung seiner Schriften floh de Prades schließlich zunächst ins Exil nach Holland. Auf Vermittlung der bereits an den Hof Friedrichs II. geflüchteten französischen Aufklärer wie Voltaire, Marquis d’Argent und d’Alembert fand de Prades im August 1752 Aufnahme am preußischen Hof und zugleich eine Anstellung als königlicher Privatsekretär.18 Von hier aus griff er weiterhin publizistisch in die Debatte ein und verfasste eine Verteidigungsschrift, die seine Rechtgläubigkeit belegen sollte und in Paris geheim verbreitet wurde.19 Durch persönliche Kontakte zu Benedikt XIV. suchte de Prades in den folgenden Jahren seine Rehabilitierung zu veranlassen, deren Erreichen bereits in Aussicht stand. Mit Ausbruch des Siebenjährigen Krieges 1757 wurde er jedoch aufgrund des Vorwurfs der Spionagetätigkeit für Frankreich in Preußen festgenommen und starb nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis 1782 in der schlesischen Verbannung.
Vgl. Gundlach, Friedrich der Große und sein Vorleser Jean Martin de Prades. Zur Veröffentlichung, Verbreitung und Authentizität der Apologie de Prades’ vgl. Burson, The rise and fall of theological enlightenment, S. 325–329. 18 19
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1.2 De Prades’ Thesen zum Beweis der christlichen Offenbarung Um die Dynamik der Debatte sowie die inhaltlichen und strukturellen Faktoren, die ihren Rezeptionsprozess um 1750 in Deutschland bedingten, präzise zu identifizieren, ist zunächst ein Blick auf den Inhalt der Schrift, welche den Skandal ursprünglich auslöste, erforderlich. Erst ein Vergleich der Rezeptionsinteressen mit dem ursprünglichen Inhalt lässt genauer verstehen, aus welchen Motivationen die beteiligten Akteure handelten und inwiefern der Skandal nicht nur den Höhepunkt einer politischen und publizistischen Auseinandersetzung darstellt, sondern auch einen Kristallisationspunkt theologischer Kontroversen um die biblische Offenbarung in der Mitte des 18. Jahrhunderts bildete. Wie ein erster Blick auf de Prades’ Thesen unmittelbar erkennen lässt, widmete der junge Jesuit den umfangreichsten Teil seiner Abhandlung dem Thema der Heiligen Schrift und der Verteidigung ihres Charakters als göttlicher Offenbarung. Die zentrale, von den Theologen zu beantwortende Frage bestand für ihn darin, wie die Notwendigkeit einer Offenbarung rational zu begründen sei und die Heilige Schrift ihren Wahrheitsanspruch wissenschaftlich legitimieren könne. Da alle Religionen ihren eigenen Wahrheitsanspruch unter Verweis auf Wunder, Orakel und Märtyrer rechtfertigen, kann die Legitimation des christlichen Anspruchs nach de Prades jedenfalls nicht allein auf diese Kriterien gegründet werden.20 Die Wahrheit der Offenbarungsansprüche unter den Religionen lässt sich demzufolge nur aufgrund eines Vergleichs historischer Fakten und religiöser Traditionen ermitteln, indem man sie auf ihre historische Wahrscheinlichkeit hin überprüft. Unter Bezugnahme auf John Locke (1632–1704) und dessen ausschließliche Begründung menschlicher Ideen aufgrund der Verarbeitung von Sinneseindrücken (reflection and sensation), die sich gezielt von René Descartes’ (1596–1650) Annahme angeborener Ideen distanzierte,21 zielte de Prades darauf ab, die Begründung der Offenbarung statt durch metaphysische Argumente auf der Basis historischer Quellen und Dokumente gegen den Verdacht des religiösen Betrugs zu verteidigen. Zu beweisen war daher, dass diese Berichte ebenjenen überprüfbaren Kriterien sinnlicher Wahrnehmung entsprachen.22 20 „Quaenam porrò sit illa Religio, quam fidam suae revelationis custodem Deus instituit? Scaturiunt hinc indè Religiones, Polytheismus, Mahumetismus, Judaïsmus, uno verbo Christianismus, pro eâ tanquam pro aris ac focis dimicantes. Ex eâ namque suam divinitatem esse suspensam putant, & in eâ firmamentum habere: adeò revelatio Religioni intima est atque essentialis. Sua quaeque Religio nimis ambitiosè miracula ostentat, sua oracula, suos Martyres, sed ubi haec inesse putantur omnia, non adest continuò veritas“ (de Prades, Thèse soutenue en Sorbonne le 18 novembre 1751, S. 14). 21 Vgl. Locke, An essay concerning human understanding. Zum Einfluss Lockes auf die Entwicklung der jesuitischen Theologie in Frankreich bis 1750 vgl. Burson, The rise and fall of theological enlightenment, S. 33–54. 22 „Ut ergo summam attingas certitudinem in se indivisam nec ex distractis hinc & indè probabilitatibus ortam, illam metiare diversâ studiorum combinatione: tunc enim manus tuae veritatem contrectabunt, ubi numerus testium tibi aperiet campum satis amplum in quo sibi
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Wenn also die religiöse Tradition und die historischen Zeugnisse so aufeinandertreffen, dass sie widerspruchsfrei bestehen, so sei der größtmögliche Anspruch auf Wahrscheinlichkeit der Wahrheit der Offenbarung gewährleistet.23 Der Anspruch höchstmöglicher Objektivierung der Wahrheit der christlichen Offenbarung und der kirchlichen Tradition hatte zur Folge, dass die universalen empirischen Maßstäbe, die de Prades auf die Kritik des Heidentums und der anderen Religionen anwendete, auch auf die biblischen Texte anwendbar sein mussten. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stand daher unter anderem der „Weissagungsbeweis“, der bestimmte alttestamentliche Weissagungen sowohl in biblisch beschriebenen Ereignissen wie auch im Auftreten Jesu erfüllt sah und diese Erfüllung als historische Verifikation für den göttlichen Anspruch ihres Autors diente. Aus jener bewiesenen Göttlichkeit des Autors wurde ihr Wahrheitsanspruch zugleich auch auf alle weiteren Aussagen der Person übertragen. Der Weissagungsbeweis diente außerdem dazu, die Allgemeingültigkeit der mosaischen Geschichtsschreibung und Gesetzgebung zu legitimieren. De Prades war sich allerdings dessen bewusst, dass die Plausibilität des Weissagungsbeweises in der Mitte des 18. Jahrhunderts bereits unter vielen Gebildeten äußerst zweifelhaft geworden war und dass der Theologie hierdurch der Verlust eines ihrer zentralen Argumente drohte, die göttliche Inspiration der Bibel gegen ihre immer zahlreicher werdenden Kritiker zu verteidigen. Um den Weissagungsbeweis aufrechterhalten zu können, musste die historische Zuverlässigkeit der biblischen Texte bewiesen werden. Es galt daher, sowohl die Authentizität und zeitliche Vorrangigkeit der Weissagungen als auch die faktische Historizität der tatsächlich eingetretenen Ereignisse darzulegen. Eine zentrale Rolle spielte hierbei die Person Moses, der als untrüglicher Autor invicem occurrant varia hominum studia, variaeque propensiones inter se praelientur. Murus ahaeneus adstant contrà fraudem perstrepentes hominum cupiditates. Talis certitudo non metaphysica quidem, sed metaphysicae aequiparanda. Facta sint effectus merè naturales an supernaturales, nil interest, utrique iisdem circumscribuntur cancellis“ (de Prades, Thèse soutenue en Sorbonne le 18 novembre 1751, S. 14/16). Auf die Frage, worin diese Quellen, die historische Sicherheit vermitteln, bestehen, nennt de Prades neben der lebendigen und mündlichen Tradition die reichen historischen Quellen und Denkmäler, worunter die Pyramiden ebenso wie Münzen und andere Gegenstände zu zählen seien. 23 „Age vero, nunc simul in facta conspirent Traditio, historia, monumenta; credas revoluto saeculorum ordine, & contracto locorum spatio, te repente in ea translatum esse loca & tempora ubi res actae fuerunt. (…) Nil debet esse in Religione fabellis commentiis loci. Ubi haec facta perpenduntur ad lydium lapidem, quem omni Religioni objicimus, eorum error statim in propatulo ponitur“ (a. a. O., S. 18). Aus diesem Grund kann nach de Prades eine Religion keinesfalls auf Fabeln basieren, wie dies in seinen Augen bei Heiden und Muslimen der Fall ist. Da ihre Offenbarungen keine historisch widerspruchsfreien Quellen seien, könne ihre Offenbarung nicht als „wahr und göttlich“ gelten. „Ergò nec Paganismus, nec Mahumetismus nobis offerunt puros & illimes revelationis fontes, ergò neuter verus ac divinus“ (a. a. O., S. 20). John Locke hatte bereits in seinen theologischen Werken versucht, die Heilige Schrift auf eine empirische Basis zu stellen. Zu Lockes Begründung der biblischen Autorität vgl. auch Nuovo, Locke’s proof of the divine authority of Scripture.
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der fünf Bücher Mose nicht nur der Garant für die Richtigkeit der biblischen Darstellung der Ursprünge der allgemeinen Weltgeschichte, sondern zugleich als Verfasser der Gesetzesbücher höchste moralische Autorität beanspruchen konnte. Aus diesem Grund betont de Prades, dass der Pentateuch als ältestes Buch der Menschheit überhaupt im Ganzen von Mose stammen müsse, der als historische – und nicht als fingierte – Person betrachtet werden dürfe.24 Als einen unwiderlegbaren Tatsachenbeweis führt de Prades die Schöpfung, die Sintflut und die Zerstreuung der Menschen nach dem Turmbau zu Babel an.25 Im Vergleich zu den Geschichten der Völker, den Dichtersagen oder den philosophischen Systemen beschreibe Mose die Urzeit „mutiger“ („audentior“) und habe für die Richtigkeit der Schöpfung in sieben Tagen den empirisch nachvollziehbaren Umstand auf seiner Seite, dass bei allen Völkern die Sieben-Tage- Woche bis heute als Zeitmaßstab diene.26 Die aktuellen Herausforderungen, mit denen sich die Verteidigung des biblischen Textes auseinanderzusetzen hatte, erkennt de Prades in den neuen naturwissenschaftlichen Theorien, die den Ursprung der Welt anhand physikalischer Prozesse zu beschreiben bestrebt waren und die die biblische Urgeschichte zu ersetzen drohten. Zu ihnen gehören aus seiner Sicht Gottfried Wilhelm Leibniz’ (1646–1716) Theorie des Ursprungs der Erde aus der Sonne, William Whistons (1667–1752) Annahme eines ursprünglich unbewohnten Planeten27 sowie Georges-Louis Leclerc de Buffons (1707– 1788) Erdbeschreibung der Histoire naturelle (1748) mit seiner darin enthaltenen 24 „At ecce nobis adest Moses gentis Iudaïcae legislator & historicus, miraculorum splendore insignitus, ore fatidico pandens oracula. Haec omnia modò vera sint, missionis divinae tesseram arguunt. Sed ut illa magis elucescat ac ponatur in aprico, nos contrà Deistas authenticitatem Pentateuchi, veritatem simul & divinitatem vindicabimus. Haec tria ità se mutuò sustinent, ut unum si desit, ambo corruant necesse est. Hoc igitur ordine procedit nostra demonstratio. Pentateuchus librorum omnium antiquissimus, coaetaneus est Mosi, personae haud fictitiae, & ab eo exaratus fuit in omnibus ac singulis partibus, quidquid calumnientur Aben-Ezra, Pereyrius, Spinosa, Hobbesius, & ipse Richardus Simon, hâc in parte discedens à Christianis, ut convolet in castra hostium sibi infensorum“ (a. a. O., S. 20/22). 25 „Pentateuchum habemus germanum ac sincerum. Num ubique color veritatis illi inspergitur? ea tantùm facta delibemus quae veritati Religionis conducunt caeteris ad morum emendationem amandatis. Cuiusmodi sunt tres epochae celebres, creationis, diluvii universalis, & hominum in omnes terras dispersionis, omnia demùm portenta, quibus se Deum Pharaonis attonitâ Aegypto Moses probavit“ (a. a. O., S. 22). Interessant hieran ist, dass die französische Übersetzung, die de Prades seinen Thesen beigegeben hat, seine dogmatische Treue noch einmal explizit hervorhebt. So lautet die Übersetzung des ersten Satzes des Zitates: „L’authenticité du Pentateuque est donc une chose absolument décidée. Il n’est plus question que de savoir si le ton de la vérité s’y fait par-tout sentir“ (a. a. O., S. 23). 26 „Cui puncto aeternitatis mundus addictus fuerit non praecisè nobis dicunt annales populorum, Poëtarum fabulae, systemata Philosophorum. Ex his hoc unum conficitur mundum ab aeterno non volvi. Moses caeteris historicis audentior hanc epocham determinare non dubitavit. Haec suam habet probationem in hebdomade, juxtà quam apud omnes gentes tempora decurrebant“ (a.a.O, S. 24). Im Französischen heißt es an dieser Stelle: „Moise plus ferme & plus confiant que les autres Historiens, n’hésite point à nous marquer l’epoque de sa création“ (a. a. O., S. 25). 27 Whiston, A new theory of the earth (1696).
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Kometentheorie.28 Detailliert listet de Prades zahlreiche naturwissenschaftliche Forschungsergebnisse auf, welche gegen die biblische Darstellung der mosaischen Berichte sprechen. Schließlich kommt er aber zu dem Schluss, dass selbst die Erforschung der Meerestiefen und der Gesteinsschichten keinen Widerspruch zur mosaischen Darstellung aufweisen könnten. Als Konsequenz der materialistischen Erklärung der Erde muss nach de Prades die Zufälligkeit der Entwicklung natürlicher Prozesse bis hin zur Zufälligkeit der gesamten Entstehung der Erde folgen, die selbst die deistische Annahme eines Schöpfergottes infrage zu stellen droht.29 Die geologischen Funde von Muscheln weit entfernt vom Meer bestätigen für de Prades auch den historischen Bericht der Sintflut, die sich über die ganze Erde erstreckt habe, womit die These einer regional begrenzten Sintflut, wie sie von Isaac de La Peyrère (1596–1676) behauptet worden war, widerlegt sei.30 Anhand eines religionsgeschichtlichen Vergleichs mit den Traditionen anderer antiker Kulturen sucht de Prades zu beweisen, dass die Sintflut in der Erinnerung aller Kulturen präsent geblieben sei, was für deren historische Faktizität spreche.31 Gemäß seiner Erkenntnistheorie, wie er 28 „Globus noster, nec fuit unquam sol lapsu temporum infuscatus, ut finxit Leibnitius, nec cometes ut deliravit Wisto, nec moles resultans ex particulis solaribus, allabente cometâ ultrò citròque disjectis, ut placuit authori historiae naturalis“ (de Prades, Thèse soutenue en Sorbonne le 18 novembre 1751, S. 26). 29 „Mundum antiquiorem epochâ Mosaicâ nec probant concharum marinarum ubique sparsa congeries, quamvis materiâ circumstante sint plenae, saxisque ac rupibus coagmentatae ad profundum usque 700 & 800 pedum; nec in montibus angulorum prominentium & intimorum mutua oppositio; nec altitudo vicinorum montium aequalis; nec strata horisonti parallela tùm in terrâ tum in collibus. Haec omnia phaenomena nec explicantur in systemate Authoris Historiae Naturalis, docentis Oceanum lento simul & successivo progressu terris incubare, nec in systemate Leibnitii contendentis totam terrae superficiem diù antequàm aleret homines & animalia, fuisse obvolutam aquis“ (a. a. O., S. 26/28). Die französische Übersetzung bringt de Prades’ Intention auch an dieser Stelle deutlicher zur Geltung, die Notwendigkeit der Schöpfung Gottes gegen die bloße Zufälligkeit der materiellen Entstehung der Welt zu verteidigen und die Überlegenheit der metaphysischen Gesetze der Fehlbarkeit der physikalischen gegenüberzustellen. „Tous ces Systêmes, qui nous représentent notre Globe, plutôt comme un ouvrage d’ùn heureux coup du hazard, que comme celui d’une volonté spéciale qui nous avoit en vue, ne blessent pas moins les Loix de la Physique, qu’ils contiennent plusieurs erreurs, quant à la Méta physique“ (a. a. O., S. 27). Whistons Erklärung des Endes der Sintflut durch einen Kometen aus Wasserdampf oder Burnets These einer Austrocknung stellt für de Prades symptomatisch die Fragwürdigkeit physikalischer Erklärungsmodelle dar, die im Umkehrschluss für die Wahrheit der mosaischen Beschreibung spricht. „Hinc splendidae magis quàm solidae Wistonis, Burneti hypotheses, quorum unus per aquosam cometam, alter per exsiccationem zonae torridae, diluvium explicare moliuntur. Infaustus eorum conatus satis arguit illud extrà consuetum rerum ordinem positum esse: (…) ex illâ parvitate magnum robur accedit veritati Mosaïcae historiae“ (a. a. O., S. 32/34). 30 „Conchae marinae, similesque aliae piscium exuviae quas meritò diluvii numismata vocaveris, in nostris adhuc peregrinantur montibus, vel à mari longè dissitis, ut hujus phaenomeni splendidum extent monumentum. Totam cooperuit terram, obnitentibus contrà Pereyrio & Betfords, à quibus incassùm intrà Palestinam aut ad summùm Asiam concluditur“ (a. a. O., S. 28). 31 „Spirat etiamnum ac vivit in fastis omnium populorum. Evolventi populorum annales occurrent tibi Persae, Indi, Sinae, Assyrii, Chaldeenses, Aegyptii, Phoenices, Graeci, Romani,
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sie in dem Artikel „Certitude“ für die Encyclopédie in Anlehnung an Locke entwickelt hatte, konnte die Zusammenführung der historischen Beobachtungen die Wahrheit der Tatsachen zwar nicht beweisen, sprach jedoch für deren hohe Wahrscheinlichkeit.32 Die Bedeutung des Erweises der Universalität der Sintflut lässt sich nur vor dem Hintergrund der weitgehenden theologischen Implikationen verstehen, die damit verbunden waren. An der Einheit der Abstammung aller Menschen von Noah hing zugleich die ursprüngliche und damit ideale Einheit aller moralischen Ordnung. Mochten die Menschen sich auch aufgrund verschiedener äußerer Faktoren in ihrem Aussehen und in ihren kulturellen Ausdrucksformen unterschiedlich entwickelt haben, so bildeten die biblischen Ureltern doch figurativ den allgemeinen, anthropologischen und zugleich theologischen Urzustand ab, von dem die gesamte kulturelle und religiöse Entwicklung der Völker ableitbar war.33 Zugleich waren durch den Ursprung aller Kulturen in der Person Noahs all jene Einwürfe widerlegt, die die biblischen Riten und Gesetze aus den Einflüssen anderer Kulturen zu erklären suchten.34 Diese Theorie setzte allerdings voraus, dass die biblische Sintflut allen anderen Kulturen weit vorauszudatieren sei, was aufgrund der differierenden alttestamentlichen Chronologien zu eklatanten Widersprüchen führen musste, welche selbst de Prades nicht leugnen konnte. Aus diesem Grund gestand er zu, dass es zwar drei chronologische Systeme innerhalb des Pentateuchs gebe, keines von ihnen allerdings auf Mose direkt zurückzuführen sei, wodurch die Authentizität und damit einhergehende Autorität Moses gewahrt blieb.35 Diese These sollte sich im Verlauf der Debatte zu einem der zentralen theologischen Kritikpunkte an seiner Dissertation entwickeln und den Vorwurf der Häresie nach sich ziehen. De Prades machte die späteren jüdischen Schriftsteller für die Veränderungen der ursprünglich wahren biblischen Chronologie verantwortlich, die diese unter den kulturellen quin & ipsi Americani qui diluvii memoriam tam altè mentibus infixam suis obliterari nunquam passi fuerunt“ (ebd.). 32 De Prades’ Annahme einer Erkenntnissicherheit bringt besonders deutlich die französische Fassung zum Ausdruck. Die langen Ausführungen über die biblische Urgeschichte schließen mit der Erkenntnis, dass alle die Zeugnisse bei den heidnischen Autoren von der Sintflut „portent ce fait au plus haut degré de la certitude“ (a. a. O., S. 31). 33 „At quibusnam constabit indiciis se omnes cognatione gentes attingere? (…) Denique preces publicae, oblationes, consecrationes, libationes, sacrificia, Naeomeniae, communes epulae, honores in mortuos impensi: haec omnia apud omnes vigentia populos, ex uno eodemque fonte profluxerunt“ (a. a. O., S. 36). 34 De Prades richtete sich hierbei vor allem gegen die Untersuchungen John Marchams (1602– 1685) und John Spencers (1630–1693), die die Entwicklung der mosaischen Bücher auf Einflüsse Ägyptens und anderer altorientalischer Völker zurückführten. 35 „In fastis Hebraeorum se nobis offerunt tres chronologiae, pro vario scripturarum textu. Libenter ego crediderim ex his tribus nullam à Mose chronologiam proficisci, sed tria tantùm esse systemata praeposterè adornata, & in ipsam Mosis historiam, alienis manibus inserta. Verisimile quidem est Mosem praecipuam quamdam adnotasse epocham, relictis omninò vacuis quibusdam temporum intervallis, antequam ad alteram properaret epocham“ (a. a. O., S. 38).
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Bedingungen und unter Anpassung an die Vorstellungen ihrer Umwelt entwickelt hätten.36 Letztlich, so de Prades, sei vor dem Hintergrund der präzisen astronomischen Berechnungen, die die chinesische Zeitrechnung bestätige, die überlieferte hebräische Chronologie nicht mehr zu vertreten.37 De Prades’ gesamter Argumentationsgang zielt darauf ab, die Göttlichkeit des Alten Testaments zu beweisen, um hierdurch das Neue Testament zu legitimieren. Da seines Erachtens die Wunder Christi an sich die Göttlichkeit des Neuen Testaments gegenüber den Offenbarungen anderer Religionen, die ebenfalls von Wundergeschichten berichten, nicht zu begründen vermögen, gründet sich ihr Anspruch vornehmlich auf die historische Plausibilität der berichteten Ereignisse sowie den Verweis auf die tatsächlich in Christus erfüllten Weissagungen des Alten Testaments.38 In de Prades’ Argumentation kommt dem Alten Testament insofern die alles entscheidende Funktion zu, da er den im Neuen Testament von Jesus vollzogenen wundersamen Heilungen keinerlei Überzeugungskraft für die Göttlichkeit der biblischen Offenbarung zugesteht. Damit nimmt de Prades die deistische Kritik an den biblischen Wunderbeweisen auf, wie sie auch in Diderots Pensées philosophiques pointiert formuliert worden war. Demzufolge konnten die Wundertaten Christi nicht als Garant für die Wahrheit der biblischen Texte dienen, da solche in ähnlicher Form ebenso von anderen Gestalten der heidnischen Antike wie beispielsweise dem griechischen Gott der Heilkunst und wundertätigen Arzt Äskulap berichtet worden seien. Die Tatsache, dass de Prades den Vergleich der Wundertaten Christi mit denen des Äskulap als berechtigte Kritik akzeptierte, entwickelte sich im Laufe des nachfolgenden Prozesses ebenfalls zu einem der schwerwiegenden theologischen Vorwürfe, der nicht nur in Frankreich mit Empörung gegen ihn erhoben werden sollte. De Prades allerdings beharrte darauf, dass die Wunder selbst zunächst keinerlei Beziehung zur Lehre Christi besäßen, sondern erst der Umstand, dass sie von Christus vollbracht worden seien, sie zu Wundern mache.39 Ihren göttlichen Charakter 36 „Scriptores Judaei, ut filum à Mose intercisum resumerent, ea fabricaverint systemata, quae tam mirificè nostra torquent ingenia. Vera chronologia praeteritas aetates eo quidem ordine, quo elapsae sunt, evolvit: chronologia verò accurata eo tantùm ordine, quo potuerunt elabi. Textûs adulteratio nullam ex his tribus chronologiam peperit; ergò omnes Mose posteriores“ (a. a. O., S. 38/40). 37 „Ergò illa epocha, quam in tuto posuerunt Astronomi, dum suam Sinis asserit antiquitatem, Hebraeorum calculum cassum atque irritum penitùs efficit“ (a. a. O., S. 42). 38 „Hanc nobis exhibet Novum Testamentum, in omnibus ac singulis partibus genuinum opus nec adulteratum, propriis autorum nominibus insignitum. Tanta est ejus cum Veteri Testamento consonantia, ut nemo non videat in isto rerum extare substantiam, quorum imago in illo depingitur. Quid igitur est unicum Vetus Testamentum? Christi, christianaeque religionis Sacramentum. Quid tota vetus scriptura? insignis & illustris de Christo christianisque prophetia & oraculum. Hinc divina Religio Christiana, quia divina Religio Judaïca“ (a. a. O., S. 56). 39 „Ergò omnes morborum curationes à Christo peractae, si seorsim sumantur à Prophetiis, quae in eas aliquid divini refundunt, aequivoca sunt miracula, utpotè illarum haberent vultum & habitum in aliquibus curationes ab Esculapio factae. Ex se nullam habent miracula
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erhalten die Wunderberichte somit letztlich erst durch ihre Erfüllung der alttestamentlichen Prophezeiungen, womit deren Historizität und zeitlicher Vorrang eine konstitutive Bedeutung in der Apologetik der christlichen Offenbarung zukamen. Voraussetzung hierfür war, dass die Wunder Christi Beschreibungen historischer Ereignisse darstellen, da hiervon deren Beweiskraft als empirisch verifizierbare Erfüllungen abhing.40 Dass man den neutestamentlichen Berichten der Wunder Jesu trauen kann, liegt für de Prades in der „Inspiration“ der Evangelientexte begründet. Diese zeigt sich ihm zufolge sowohl in der biblischen Anordnung der Taten Christi als auch in dem ausgeglichenen, unparteiischen Stil, in welchem die Evangelien gehalten sind. Allerdings seien aufgrund göttlicher Inspiration schon Jahrhunderte zuvor die jüdischen Propheten dem zukünftigen Christus gefolgt und hätten dessen Wirken bereits vorhergesagt.41 Da die Evangelienberichte das tatsächliche historische Eintreten jener Weissagungen bestätigten und damit der Anspruch der göttlichen Wirkung als berechtigt erwiesen sei, schlussfolgert de Prades, dass das Christentum „wahr und göttlich“ sei und somit die jüdischen und deistischen Einwände ihm gegenüber widerlegt seien. De Prades’ gesamte Argumentation mündet schließlich in die These, dass die katholische Kirche durch die Jahrhunderte hindurch als die einzig legitime Bewahrerin der Offenbarungstradition gelten könne.42 Gegenüber der germanitatem cum doctrinâ. Sacram faciunt authoritatem docentis. Doctrinam inter & miraculum reperitur hominis testimonium quod utrumque consociat“ (a. a. O., S. 64). 40 Thomas Woolstons Versuch, die Weissagungen der Väter in Bezug auf die Wunder Christi als figurative Rede zu verstehen, wird aus diesem Grund von de Prades strikt abgelehnt (vgl. a. a. O., S. 67). 41 „Vel unorum Evangelistarum narrationis color egregiè confirmat. In hoc se prodit eorum divinitas, ut rectè animadvertit Paschalius, quod leni ac placido fluat agmine eorum narratio, texens ordinem rerum à Christo praeclarè gestarum, quae fuerunt occulis subiectae fidelibus; dùm Prophetae entheo spiritu abrepti Christum adhuc immersum in longo saeculorum recessu tàm vividis animi affectibus prosequuntur“ (a. a. O., S. 66). Dabei bringt die französische Version die Betonung seines apologetischen Interesses an der biblischen Inspiration noch prägnanter zum Ausdruck: „Rien n’est plus beau, dites-vous, que les Miracles de Jesus-Christ, & ils sont bien propres à prouver la divinité de sa Mission; mais sont-ils vrais? Indépendamment de ce que nous avons dit jusqu’ici pour en prouver la vérité, pour fermer la bouche aux Incrédules, je ne voudrois point d’autre argument que celui qui naît du style & du tour d’esprit des Evangélistes. La divinité de leur inspiration paroît principalement, comme le remarque ingénieusement l’illustre Paschal, en ce que leur narration coule paisiblement, & que les passions humaines ne se font nullement sentir dans cette noble simplicité avec laquelle ils racontent les actions de leur Maître; tandis que les Prophétes, qui ne voyoient Jesus-Christ qu’à travers les nuages qui le cachoient dans l’enfoncement des siécles, se livroient par un contraste des plus frappans aux transports de l’enthousiasme le plus impétueux, & que rien n’étoit plus vif, ni plus passionné que les portraits qu’ils traçoient du Messie. Cette maniére d’écrire, si tranquille dans les Evangélistes, & si animée dans les Prophétes, & dès-là si peu conforme au caractére qu’ils devoient naturellement avoir, peint aux yeux, avec des traits sensibles, la divinité qui conduisoit le pinceau des uns & des autres“ (a. a. O., S. 67/69). 42 „Ergo existit quaedam hominum societas, cui suam revelationem credidit Deus, & cuius Magisterium instituit, ad illam revelationem per saecula universa ad singulas aetates
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Unfehlbarkeit der einen, katholischen Kirche geißelt de Prades den protestantischen „Privatgeist“ Luthers und Calvins und zugleich den damit verbundenen Fanatismus und Enthusiasmus, der aus der selbsternannten Freiheit und Annahme einer unsichtbaren Kirche herrühre.43 Belegt wird die vom Neuen Testament ausgehende und in der römischen Kirche fortgeführte Kontinuität der Überlieferung anhand eines ausführlichen Exkurses mit Zitaten der Kirchenväter und der Dogmengeschichte. De Prades’ hier vertretene These, dass beim Vergleich der Positionen der Kirchenväter nicht die reine Summe der Vertreter einer Position, sondern deren argumentative Plausibilität das entscheidende Kriterium44 sei, stellte im weiteren Verlauf des Streites und seiner Rezeption die einzige These dar, deren Verurteilung durch die Sorbonne in Deutschland bei den protestantischen Rezensenten auf vollkommenes Unverständnis stieß. Betrachtet man das Argumentationsschema der Disputation de Prades’ als umfassende Apologie der römischen Kirche vor dem Hintergrund aktueller deistischer und materialistischer Angriffe, so scheint die zunächst widerspruchslose Annahme der Dissertation durch die Sorbonne keineswegs aufsehenerregend gewesen zu sein. Dass seine Thesen jedoch bald darauf zum Gegenstand eines europaweit wahrgenommenen Religionsskandals wurden, ahnte de Prades zum Zeitpunkt der Verteidigung seiner Dissertation wohl selbst nicht. Die sich im Anschluss daran entwickelnde hitzige Debatte innerhalb und außerhalb Frankreichs offenbart die bestehende Meinungspluralität und gleichzeitige Verunsicherung des theologischen Konsenses in Hinsicht auf das biblische Schriftverständnis in der Mitte des 18. Jahrhunderts.45
1.3 Die Verurteilung der Thesen durch die Sorbonne Am 18. November 1751 hatte de Prades an der Sorbonne seine außergewöhnlich umfangreiche Dissertation in einer zwölfstündigen Sitzung öffentlich verteidigt transmittendam. Ergò de existentiâ Ecclesiae, ejusque infallibilitate maxima consensio esse debet, adeòque utramque negare Atheismus quidam est“ (a. a. O., S. 72). Die Unfehlbarkeit der Kirche wird allerdings nach de Prades nicht durch das Papstamt garantiert, da dessen Dekrete der schweigenden und ausdrücklichen Zustimmung der Bischöfe bedürfen, weshalb de Prades die Kirche als „Aristokratie“ gegen das Prinzip einer „Monarchie“ abgrenzt. 43 „Ergò perperam Protestantes unicuique privato hanc tribuunt licentiam, ut suae fidei arbiter sit & architectus: (…) Indè Religionem fidemque everti necesse est, & phanatismum procreari. Et quidem sponte natus est non semel ex privato Lutheri & Calvini spiritu, ex Iucido Claudii radio, ex caeco impetu enthusiastarum, ex obstrepentibus populi clamoribus, unoquoque eamdem usurpante in religione figendâ libertatem, quam isti primùm arripuerant“ (a. a. O., S. 76/78). 44 „Fidem omnimodam merentur ubi traditionem suo aevo vigentem commemorant, ast ubi in subsidium traditionis veniunt eorum ratiocinia, jam tunc ratione eorum momenta ponderentur. Non numerum scholasticorum, sed rationes perpendo“ (a. a. O., S. 86). 45 Zur theologischen Debattenkultur an der Sorbonne vgl. Burson, Theological Renewal and Enlightenment Confrontations at the Sorbonne (c.1730–1750).
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und nach positiver Begutachtung das Lizentiat erhalten.46 Als entscheidend für seine Verurteilung erwies sich der Umstand, dass bereits seit der Ankündigung der Veröffentlichung der Encyclopédie im Prospectus vom Herbst 1750 die Spannungen zwischen dem einflussreichen Jesuiten und Herausgeber des Journal de Trévoux Guillaume François Berthier (1704–1782) einerseits und den Enzyklopädisten um Diderot und d’Alembert andererseits wuchsen. Der polemische Briefwechsel, der sich zwischen Diderot und Berthier infolge einer kritischen Rezension des Prospectus durch Letzteren entsponnen hatte, markierte den Beginn einer die folgenden Jahre bestimmenden öffentlichen Kontroverse um die Encyclopédie. Im Juni 1751 erschien deren erster Band. Mit zunächst 2000 gedruckten Exemplaren und bald darauf 4000 Abonnenten und zahlreichen Übersetzungen in Europa wurde sie auf Anhieb ein unerwarteter publizistischer Erfolg. Dies verstärkte den Argwohn der Jesuiten, die in der Encyclopédie ein Plagiat ihres eigenen Diction‑ naire de Trévoux erkannten und fürchteten, hier etabliere sich ein gefährliches, subversives und überraschend erfolgreiches Konkurrenzprojekt.47 Als bekannt wurde, dass de Prades zudem zahlreiche Passagen seiner Dissertation aus Werken Voltaires, Diderots und insbesondere aus d’Alemberts Discours préliminaire, dem umfangreichen Vorwort zur Encyclopédie, übernommen hatte, geriet de Prades selbst in den Verdacht der allzu großen Nähe zum Umfeld der Enzyklopädisten. Die Jansenisten, welche seinerzeit die kirchlich und politisch einflussreichste Gegenpartei der Jesuiten in Frankreich bildeten, standen den philosophisch- theologischen Vermittlungsversuchen der Jesuiten prinzipiell kritisch gegenüber. Die Tatsache, dass mit de Prades ein Jesuit solch religionsgefährdende Thesen entwickelt hatte und diese gar von der Sorbonne offiziell angenommen worden waren, bestätigte die jansenistischen Vorurteile gegenüber den Jesuiten. Der Prozess gegen de Prades und die damit einhergehende Schmach für die Sorbonne wurde dabei medial wirksam mithilfe des einflussreichen jansenistischen Journals Nouvelles ecclésiastiques verbreitet.48 Dieses war 1728 eigens als Sprachrohr der Gegner der Bulle Unigenitus gegründet worden und stellte eines der einflussreichsten oppositionellen Organe der klandestinen Publikations‑ und Debattenkultur in Frankreich dar.49 46 Vgl. zur Veröffentlichung der Thesen de Prades’ und zu ihrer Rezeption Israel, Enlightenment contested, S. 840–862, bes. S. 850–855; Saada, Der doppelte Diderot, bes. S. 174–177; Spink, Un abbé philosophe, S. 145–180. 47 Vgl. Saada, Der doppelte Diderot, S. 173. Der jesuitische Vorwurf, es handle sich bei der Encyclopédie um ein Plagiat des Journal de Trévoux, war dabei aufgrund der Verwendung zahlreicher fremder Artikel ohne Hinweis auf deren Verfasser nicht unberechtigt. Zur Rezeption der Encyclopédie und des Falls de Prades’ vgl. Dies., Inventer Diderot, S. 92–128. 48 Vgl. Nouvelles ecclésiastiques 1751, S. 208. Weitere kritische Reaktionen fand der Fall de Prades unmittelbar nach dessen Verurteilung durch die Sorbonne und das Parlament, vgl. Nouvelles ecclésiastiques 1752, S. 33–36.44–47. 49 Zur kirchenpolitischen Rolle der Nouvelles ecclésiastiques vgl. Foisil/de Noirfontaine/ Flandrois, Un journal de polémique et propagande.
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Eine Denunziation, die sich gegen de Prades’ Thesen richtete, führte noch im Dezember 1751 zur Einsetzung einer Kommission, die sich mit der Prüfung der Dissertation de Prades’ beschäftigen sollte.50 Diese beschloss am 15. Dezember, dass einige Passagen aus de Prades’ Schrift als verurteilungswürdig einzustufen und damit der Zensur zu unterwerfen seien. Kurz nach Erscheinen des zweiten Bandes der Encyclopédie im Januar 1752, an welchem de Prades mit einem 15seitigen Artikel zur Frage erkenntnistheoretischer Gewissheit unter dem Titel „Certitude“ vertreten war, wurde er am 26. Januar von der Sorbonne verurteilt. Alle akademischen Titel wurden ihm nun entzogen. Kurz darauf folgte am 4. Februar 1752 ein Mandement und somit die Verurteilung durch den Pariser Erzbischof Christoph de Beaumont (1703–1781), auf dessen Befehl hin de Prades’ Schrift öffentlich verbrannt wurde. Zugleich bot der Fall de Prades eine günstige Gelegenheit zum Verbot der Encyclopédie, die sich aufgrund ihrer lediglich indirekt geäußerten Religionskritik bis dahin schwerlich hatte verhindern lassen. Der Skandal ermöglichte es dem königlichen Rat schließlich am 7. Februar, der Encyclopédie die Druckerlaubnis zu entziehen. Die von der Sorbonne verfasste Zensurschrift prangerte die Thesen de Prades’ als Gefährdung der Religion, der Moral und des Staates an und listete zehn Auszüge aus seiner Schrift auf, die seine Häresie belegen sollten. Für die mit dem Fall befasste Kommission standen seine Thesen exemplarisch für die um sich greifende menschliche Hybris, den Glauben dem eigenen Verstand unterordnen zu wollen. Um das angeschlagene Renommee der Sorbonne wiederherzustellen, musste sie zudem das Verhalten der drei theologischen Doktoren erklären, die de Prades’ Dissertation am 18. November 1751 umstandslos angenommen und ihre Unterschrift darunter gesetzt hatten.51 Die erste der zu verurteilenden Thesen richtete sich gegen de Prades’ Erkenntnistheorie, welche auf Francis Bacons Modell des „Baums des Wissens“ basierte.52 Bacons Modell einer empirisch ausgerichteten Erkenntnistheorie, die das Wissen auf den drei Kategorien des menschlichen Verstandes mémoires, rai‑ son und imagination aufbaute, bildete zugleich das erkenntnistheoretische System der gesamten Encyclopédie, an deren Wissenskonzeption sich de Prades im 50 Zur detaillierten Darstellung des Prozesses zwischen Dezember 1751 und Januar 1752 vgl. Burson, The rise and fall of theological enlightenment, S. 239–274. 51 „Cùm verò tres Magistri, Studiorum scilicet Moderator, Praeses, & Syndicus, ejuratis erroribus in eâ Thesi contentis, suae circa illam Fidei declarationes obtulerint Sacrae Facultati, harum examen ad Deputatos remissum est, ut de iis postmodùm relatio fieret ad Sacrum Ordinem, à quo, relatione factâ, judicium feretur de illarum sufficientiâ vel insufficientiâ, & de Magistris à quibus oblatae sunt“ (Censure de la faculté de théologie de Paris contre une thèse appelée majeure ordinaire. Soutenue en Sorbonne, le 18 Novembre 1751, par M. Jean Martin de Prades, prêtre de Montauban, bachelier de ladite Faculté, Paris 1752, S. 8). 52 Die Zensurschrift fasste die erste zu verurteilende These de Prades’ unter Auslassungen folgendermaßen zusammen: „Ex sensationibus, ceu rami ex trunco, omnes ejus (hominis) cognitiones pullulant … Pronum est inquirere sedulò quae natura sit principii in nobis cogitantis … Mens ignea terrenae faecis nihil habet“ (a. a. O., S. 9).
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Aufbau seiner theologischen Argumentation orientiert hatte. Indem seine Zugeständnisse an die Deisten explizit herausgriffen wurden, seine eigenständige Widerlegung jedoch bewusst unerwähnt blieb, unterstellte man ihm eine unmittelbare Nähe zum Deismus. Sein Versuch einer rationalen Vermittlung der biblischen Offenbarung mit der deistischen Kritik durch die Beschreibung der Offenbarung als höherer Entwicklung der natürlichen Religion zog den Vorwurf nach sich, es sei damit konsequenterweise möglich, die Geheimnisse des Glaubens auch außerhalb der wahren christlichen Religion zu finden. De Prades’ Konzession, bei Muslimen sowie Heiden ließen sich ebenfalls Orakel, Märtyrer und Wunder finden, schien dessen häretische Denkart nur zu bestätigen.53 Erheblichen Anstoß erregte dabei – wie oben bereits erwähnt – sein religionshistorischer Vergleich, die jesuanischen Wunder mit denen Äskulaps in eine Reihe zu stellen. Hiermit hatte de Prades einen Vorwurf aus Diderots Pensées philosophiques aufgenommen und ihm seinerseits zugestimmt. Die Zensurschrift ging sogar so weit, de Prades Blasphemie vorzuwerfen, da durch die Marginalisierung der Wunder Christi eines der traditionellen Hauptargumente für die Göttlichkeit der christlichen Offenbarung unhaltbar geworden war.54 Dies wog umso schwerer, als sie darüber hinaus de Prades vorhielt, er habe, indem er die darin enthaltene Chronologie nicht Mose, sondern späteren Hinzufügungen zuschrieb, die Wahrheit und Autorität des Pentateuchs infrage gestellt.55 Am zeitlichen Abstand der ursprünglichen Durchführung der Disputation de Prades’ und seiner Verurteilung lässt sich erkennen, welche Unsicherheit seitens der Theologen an der Sorbonne herrschte, wie mit der fundamentalen zeitgenössischen Religions‑ und Offenbarungskritik in adäquater Weise umzugehen sei. De Prades’ Wahl der zu behandelnden theologischen Konfliktpunkte verdeutlicht, dass die empirische Begründung eine für den Wahrheitsanspruch der Bibel und Kirche konstitutive Funktion übernahm. Denn die rasant wachsenden naturwissenschaftlichen Erkenntnisse drohten das biblische Welt‑ und Menschenbild zunehmend infrage zu stellen. Dass de Prades’ empirisch argumentierende Disputation von der Sorbonne zunächst ohne Einwände 53 „… veram Religionem revelatam nec esse, nec esse posse aliam à lege naturali magis evolutâ, asserit, quasi Religionis Christianae Mysteria, quae certè ex lege naturali minimè oriuntur, forent verae Religioni extranea: Religionibus Judaicâ & Christianâ cum Politheismo & Mahumetismo cum summâ irreverentiâ indiscriminatim annumeratis, Theismum affectatis laudibus extollit“ (a. a. O., S. 5). 54 „… unum è praecipuis Religionis argumentis, miracula nempe, sic ab Autoribus, qui de iis scripserunt, tricis & ambagibus implicitum dicit , ut nullam vim amplius habeant ad attestandam Dei voluntatem; & quod aures Christinae refugiunt, eò impietatis blasphemiae devenit, ut morborum curationes, quae ab Aesculapio factae referuntur, non dubitet conferre cum curationibus ab ipso Christo peractis“ (a. a. O., S. 6). 55 „Mosaicam Legem in peonis tantùm & praemiis temporalibus sitam exhibit: Pentateuchi veritatem & autoritatem elevat, dum chronologiam, quae in ipso legitur, & semper & ab omnibus lecta est, á Mose non proficisci, sed in ejus Historiam alienis manibus insertam comminiscitur“ (a. a. O., S. 5–6).
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angenommen wurde, zeugt wohl von einer bis dato herrschenden Toleranz eines gewissen Spektrums theologischer Vermittlungsversuche in Frankreich vor 1750. Zugleich manifestierte sich in der späteren Zustimmung zur Verurteilung innerhalb des jesuitischen wie jansenistischen Klerus allerdings auch eine gesteigerte Sensibilität und Vorsicht gegenüber dem unterschwelligen Vordringen religionskritischer Thesen. Hiermit war die Liberalität der theologischen Debattenkultur in Frankreich an ihre Grenzen gestoßen, und man begann, vor dem Hintergrund der vorrückenden Aufklärung solche Grenzen nun erst verschärft zu ziehen.
2. Die publizistische Inszenierung des Falls de Prades 2.1 Die Empörung über die Thesen in deutschen gelehrten Zeitschriften Das Faktum, dass der Eklat an der Sorbonne sich an einer der berühmtesten europäischen Universitäten zutrug, während man in Deutschland vielerorts begierig auf Neuigkeiten und Skandale aus der französischen Gelehrtenwelt wartete, trug wesentlich zum regen Interesse am Fall de Prades in Deutschland bei.56 Trotz des breiten Interesses an den französischen Neuerscheinungen bestimmte in der deutschen Rezeption um 1750 zunächst eine kirchlich apologetische Haltung die Reaktionen. Aufgrund der aus Frankreich überlieferten radikalen aufklärerischen Ideen prognostizierten manche Rezensenten bereits den fortschreitenden religiösen wie moralischen Niedergang der römischen Kirche und der gesamten französischen Nation, deren Übergreifen auf Deutschland man unter allen Umständen verhindern wollte. Dass sich dieses Reaktionsschema trotz mancher Kritik an der biblischen Offenbarung zu wandeln begann, deutet der Rezeptionsprozess der folgenden Debatte um de Prades an. Zu den ersten öffentlichen Erwähnungen der Verurteilung de Prades’ zählen die Ausführungen in den Tübingischen Berichten von gelehrten Sachen sowie den Freyen Urtheilen und Nachrichten aus Hamburg vom 25. Februar 1752. Da die Disputation und Verurteilung der Thesen bereits im Dezember 1751 erfolgt war, fand die Debatte wohl nicht zuerst aufgrund ihres anstößigen Inhaltes Beachtung, sondern aufgrund der literarischen und politischen Konsequenzen, die die Affäre in den ersten Wochen des Jahres 1752 in Paris nach sich zog. Der Verurteilung durch die Sorbonne waren zunächst das vom Pariser Erzbischof am 4. Februar 1751 erlassene Mandement und die damit verbundene öffentliche Verbrennung der Dissertation de Prades’ gefolgt, bevor am 12. Februar 1751 das 56 Dass die Rezeption französischer Aufklärer in Deutschland gleichzeitig fundamental von der Rezeption des französischen Publikums differieren konnte, belegt unter anderem Anne Saada mit ihrer Studie zur Rezeption Diderots in Deutschland. So fanden die skandalträchtigen Werke Diderots in den deutschsprachigen Rezensionsorganen sogar weit häufiger Erwähnung als in der französischen Presse selbst (vgl. Saada, Der doppelte Diderot, S. 172).
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IV. Die Debatte um Jean-Martin de Prades
damit zusammenhängende königliche Verbot der weiteren Verbreitung der En‑ cyclopédie in Kraft trat, welches die Affäre endgültig zu einem Politikum der Gelehrtenwelt in ganz Europa werden ließ. 2.1.1 Tübingische Berichte von gelehrten Sachen (Tübingen) Die Tübingischen Berichte lieferten bereits am 11. Februar 1752 eine kurze Nachricht,57 dass die Thesen eines gewissen Jean de Prades an der Sorbonne und darüber hinaus in ganz Paris einen Skandal ausgelöst hatten. Am 25. Februar 1752 folgte ein ausführlicher Bericht über die Verurteilung der Thesen durch die Theologische Fakultät der Sorbonne. Hierin wird bereits deren Absicht thematisiert, das Parlament um eine öffentliche Verurteilung der Thesen anzurufen und diese anschließend vom Henker verbrennen zu lassen. Erwähnung findet hierbei auch das Mandement des Pariser Erzbischofs Christophe de Beaumont (1703–1781), worinnen oftberührte den 18. Nov. des abgewichenen Jahres vertheidigte theses als offenbahr irrige, verwegene, ärgerliche, die allgemeine Ruhe stöhrende, der geoffenbahrten Religion höchstnachtheilige, der Autorität der heil. Schrift, wie auch der Göttlichkeit der Wunderwerke des Erlösers wiedersprechende, und der Ruchlosigkeit der Materialisten den Weg bahnende Lehrsätze verdammet worden.58
Im März erschien in den Tübingischen Berichten eine Nachricht von der Flucht de Prades’ nach Holland zusammen mit seinem Wohngenossen Claude Yvon sowie eine Nachricht von dem am 12. Februar ergangenen Verbot der Encyclo‑ pédie. Aufgrund der religionskritischen und aufrührerischen Tendenzen schien das Verbot zwar begründet, zugleich bedauerte man jedoch den damit einhergehenden Verlust eines bis auf wenige Ausnahmen äußerst nützlichen enzyklopädischen Werkes.59 Durch die Edition der Zensurschrift der Theologischen Fakultät, die im April 1752 in Leipzig und Frankfurt erschienen war und einen Abdruck von Auszügen aus de Prades’ Thesen sowie deren Verurteilung durch den Pariser Erzbischof enthielt, wurden die Thesen auch einem breiteren deutschen Publikum unmittelbar zugänglich.60 In zwei Teilen boten die Tübingischen Berichte eine vollständige und unkommentierte Übersetzung der Verurteilung durch den Tübingische Berichte 1752 (6. St.), S. 72. Tübingische Berichte 1752 (8. St.), S. 87–89, hier S. 88–89. 59 „Es ist gleichwohlen Schade, daß ein so schönes und brauchbares Werk, von welchem wir etliche Probbögen gesehen und mit Vergnügen gelesen, um etlicher anstößigen Stellen willen, die ja billig aus demselben verdienen ausgetilget zu werden, nunmehro gäntzlich in das Stecken gerathen solle“ (Tübingische Berichte 1752 [11. St.], S. 133–134, hier S. 134). 60 Die Acta historico-ecclestiastica bieten in ihrer Ausgabe vom 24. Juli 1752 (16. Bd., 91. St.), S. 106–141, ebenfalls einen Nachdruck der kirchlichen Verurteilungsschriften aus Frankreich. 57 58
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Pariser Erzbischof, in der die strittigen Thesen de Prades’ hervorgehoben wurden.61 Wie sehr die Tübingischen Berichte die Position der Sorbonne begrüßten, macht schließlich der Hinweis auf die Edition der Zensurschrift der Pariser Fakultät selbst deutlich, deren Vorgehen gegen de Prades ausdrücklich gelobt wurde.62 2.1.2 Freye Urtheile und Nachrichten (Hamburg) Auch die Hamburger Freyen Urtheile und Nachrichten äußerten sich zu der Reaktion der Sorbonne auf de Prades bereits am 25. Februar 1752 ähnlich zustimmend. Die Verurteilung des Pariser Erzbischofs wurde dabei als adäquates Vorgehen gegen die als religionsgefährdend betrachteten Thesen ausdrücklich gelobt.63 Anhand einer Zusammenstellung von Auszügen aus dessen Mande‑ ment wurden die umstrittenen Thesen – samt ihrer Widerlegung – dem Publikum als unhaltbar präsentiert. Zu dem Vorwurf des Deismus trat zudem der des Materialismus, der unter dem deutschsprachigen Publikum bis dato kaum als bekannt vorausgesetzt werden konnte und daher einer eigenen, knappen Erläuterung bedurfte.64 Dieser Umstand deutet auf die unterschiedlichen Rezeptionskontexte hin, in welchen sich die Debatten in Frankreich und Deutschland vollzogen. Spätestens seit den Veröffentlichungen la Mettries sowie seit d’Holbachs Einfluss auf die Encyclopédie stieg der Materialismus neben dem Deismus in der Wahrnehmung der Zeitgenossen zur größten Bedrohung für die Religion in Frankreich auf,65 während die radikalen religionskritischen Gedanken der Materialisten in Deutschland zu jenem Zeitpunkt noch kaum von 61 Tübingische
Berichte 1752 (22. St.), S. 278–285; (23. St.), S. 295–303. „Es leget also diese weitberühmte Facultät hier abermahlen eine unverwerfliche Probe ihres Eifers gegen den in Frankreich je länger je mehr überhand nehmenden Deismum der Welt vor Augen. So gewiß wir versichert sind, daß dieser Eifer von allen christlichen Gemüthern als höchstrühmlich werde angesehen werden“ (Tübingische Berichte 1752 [26. St.], S. 345–349, hier S. 346). 63 „Der Erzbischof von Paris hat gleichfalls ein sehr schönes Mandat herausgegeben, um die Gläubigen seiner Diözese gegen die gefährlichen Grundsätze derer zu verwahren, welche die Religion dadurch zu stürzen suchen, daß sie die Grundlehren des christlichen Glaubens angreifen. Niemals hat sich ein so allgemeiner Unmuth geäussert, und man hat sich in allen Communitäten sowol, als bei den Jesuiten bemühet, Sätze behaupten zu lassen, die denenjenigen widersprechen, welche das Publicum auf eine so rechtmäßige Weise in Bewegung gesetzt haben“ (Freye Urtheile 1752 [9. Bd., 16. St.], S. 121–125, hier S. 122). 64 „Materialisten (eine Art von Philosophen, die in der ganzen Welt keine andere Substanz, als die Materie, erkennen)“ (a. a. O., S. 123). 65 Peter-Eckhard Knabe weist darauf hin, dass unter anderem diskursive Offenheit gelehrter Zeitschriften wie der Göttingischen Anzeigen dazu beigetragen haben, den Einfluss des französischen Materialismus in Deutschland zurückzudrängen, indem sie sich der sachlichen Argumentation stellten (Knabe, Die Rezeption der französischen Aufklärung in den „Göttingischen Gelehrten Anzeigen“ [1739–1779], S. 244–245). Zu la Mettries materialistischem Denken vgl. unter anderem Vartanian, La Mettrie’s L’homme machine. 62
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IV. Die Debatte um Jean-Martin de Prades
einem breiteren Publikum rezipiert worden waren.66 Der Schwerpunkt in den Freyen Urtheilen lag daher vornehmlich auf der Auseinandersetzung mit dem religionsgefährdenden Potential des Deismus.67 Kritik erfuhr zudem de Prades’ religionsgeschichtliches Zugeständnis, das Christentum weise in seiner Verwendung von Wundern, Orakeln und Märtyrern als Wahrheitsgaranten der eigenen Offenbarung Strukturanalogien zu anderen Religionen wie dem Judentum, dem Islam und dem Heidentum auf. Gar als „Gotteslästerung“ wird daher de Prades’ Angriff auf die Heilige Schrift bezeichnet, indem er Mosen, der die Zeit der Schöpfung der Welt bestimmet hat, für einen weit kühneren Geschichtschreiber ansiehet, als die Poeten, welche so viele Fabeln verbreitet haben (…) womit er den Character der göttlichen Eingebung, so dieser Zeitrechnung angehänget ist, gerne auslöschen wollte.68
Bereits die Auswahl des Abdrucks scharf urteilender Textpassagen des Mande‑ ment des Pariser Erzbischofs weist auf die Intention der Freyen Urtheile hin, den Leser über die „irrigen und gottlosen Grundsätze“69 de Prades’ aufzuklären. Darauf, dass die Debatte im Mai 1752 bereits einem breiteren Publikum zugänglich gemacht worden war, deutet die Anzeige der deutschen Ausgabe der Zensurschrift in den Freyen Urtheilen vom 16. Mai 1752 hin, die man zur Oster- Buchmesse „in den hiesigen Buchladen“70 finden könne. Diese wird ausdrücklich gelobt, da man hier alles zusammengefasst finde, „was man zur Einsicht und Wiederlegung vonnöthen hat“.71 Für die Freyen Urtheile veranschaulicht 66 Werner Krauss nennt eine Reihe von Faktoren, die einer unmittelbaren Rezeption des französischen Materialismus im Deutschland des 18. Jahrhunderts entgegenwirkten: „Die deutsche Aufklärung ist bekanntlich hinter ihrem französischen Vorbild gerade auf dem letztlich entscheidenden Abschnitt zurückgeblieben. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts waren in Deutschland noch keine Voraussetzungen für die erfolgreiche Entfaltung einer materialistischen und atheistischen Weltanschauung vorhanden. Es war in Deutschland noch nicht zu der Ballung und Konzentration der ökonomischen Kräfte gekommen, die in den westlichen Nachbarländern dem bürgerlichen Denken einen breiten und zusammenhängenden Geltungsraum gesichert hatten. Patrizische und ständische Lebensformen beherrschten noch immer die Atmosphäre im republikanischen Traditionsbereich der reichsunmittelbaren Städte. Die enge Verknüpfung der bürgerlichen Intelligenz mit dem protestantischen Pfarrhaus war überdies ein nicht zu unterschätzendes Hemmnis für eine systematische Ausbildung der in der Aufklärung gelegenen Keime des Atheismus und Materialismus“ (Krauss, Eine Verteidigungsschrift des Materialismus in der deutschen Aufklärung, S. 455. 67 Für die Freyen Urtheile erwächst eine der umfassendsten Gefahren aus dem „Deismus, zu einer Zeit, da derselbe die Religion derer geworden zu seyn scheinet, die gar keine Religion haben, und die einen Vorwand verlangen, sich der beschwerlichen Uebung der Pflichten des Christenthums zu entziehen“ (Freye Urtheile 1752 [9. Bd., 16. St.], S. 124). 68 Ebd. 69 Ebd. 70 Freye Urtheile 1752 (9. Bd., 38. St.), S. 303–304, hier S. 303. 71 Ebd. Hingewiesen wird jedoch explizit darauf, dass de Prades im Vowort des angezeigten Werkes lediglich bezüglich seiner Kritik gegenüber der unumschränkten Autorität der Kirchenväter in Schutz genommen wird.
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die Debatte symptomatisch die sich in Frankreich ausbreitenden destruktiven Bewegungen des Deismus, Libertinismus und Epikureismus sowie den verderblichen Einfluss der Jesuiten.72 2.1.3 Neue Zeitungen von gelehrten Sachen (Leipzig) Auch in Leipzig wurde die Verurteilung von den Neuen Zeitungen von gelehrten Sachen zunächst freudig begrüßt. Ihre Ausgabe vom 13. April 1752 stellt den Fall als eine einzigartige Schande für die Sorbonne dar. Diese habe nun ein Werk zensiert, das sie kurz vorher bereits genehmigt hatte,73 obwohl es den Materialismus und Deismus unterstütze, die fünf Bücher Mose zerstören wolle und Christi Wunder mit den Heilungen Aeskulaps vergleiche.74 Der Pariser Skandal wird dabei als warnendes Beispiel für die in Frankreich um sich greifenden Irrlehren betrachtet, an dem auch die protestantischen Philosophen und Theologen 72 Demnach zeige die Debatte, „wie weit der Deismus, Libertinismus, Epicureismus anitzo in Frankreich um sich greife und das Wesentlichste der Christlichen Religion von den Jesuiten bestritten werde“ (a. a. O., S. 304). Letztendlich werden in der Rezension die Jesuiten für den Angriff auf die zentralen Religionsgehalte des Christentums verantwortlich gemacht. Diesen gab man sowohl aufgrund ihres Einflusses auf die Sorbonne als auch aufgrund der Tatsache, dass die vermeintlich religionsfeindlichen Thesen seitens de Prades’ von einem Jesuiten vertreten worden waren, die Schuld am Skandal. Selbst ein Nachdruck der Zensurschrift wird von den Freyen Urtheilen am 18. Juli 1752 angezeigt mit der Bemerkung, dass der Streit um de Prades viel zu bekannt sei, als dass man darüber noch einmal ausführlich berichten müsse. Zugleich wird erneut das Urteil des Erzbischofs und der Sorbonne zitiert, dass die Thesen de Prades’ „falsch, betrügerisch, ärgerlich, verwegen, ungläubig und verwirrt“ seien und „den Umsturz der öffentlichen Ruhe und Religion“ nach sich zögen. Dennoch macht die Rezension auch hier bereits darauf aufmerksam, „daß der Satz des Hn. Prades allen auswärtigen Gottesgelehrten und Philosophen noch zu vielen Untersuchungen Anlaß geben werde, indem die Censur der Sorbonne nicht aller Orten unwidersprechlich ist“ (Freye Urtheile 1752 [9. Bd., 55. St.], S. 437). 73 Ähnlich äußerten sich die Hamburgischen Berichte von gelehrten Sachen, die die Verurteilung der Thesen de Prades’ aufgrund des Umsichgreifens „des Unglaubens und der Freigeisterei“ befürworteten, wozu die Sorbonne gezwungen gewesen sei, um den ihr entstandenen Ansehensverlust zu begrenzen. „Unter den Lehrsätzen, die Jean Martin de Prades am 18ten November des vorigen Jahres öffentlich in der Sorbonne verthädigt hat, waren einige so abscheulich, und der Umstand, daß drei Mitglieder der theologischen Fakultet dieselben vorher durchgesehen und gebilliget hatten, der Fakultät so nachtheilig, daß sie sich genötiget sahe, der Welt öffentlich zu bezeugen, wie sehr sie diese gotlose Lehrsätze verabscheue. (…) Diese Schrift ist es, die wir oben unsern Lesern angekündigt haben. Nachdem in derselben von Pag. 1 bis 5 die gerechtesten Klagen über den Anwachs des Unglaubens und der Freigeisterei geführet, und insonderheit die Bosheit und Unverschämtheit des de Prades kürzlich angezeiget und verdammet worden, so folgen die verworfenen Lehrsätze selbst, die mit den eigenen Worten des de Prades angeführet sind“ (Hamburgische Berichte 1752 [96. St.], S. 723–724). 74 „Niemals hat sich die Sorbonne mehr vergangen, als da sie diese Disputation censiret, und öffentlich halten lassen, darinne doch solche Sätze vorkommen, welche dem Materialismo und Deismo das Wort reden, das göttliche Ansehen der fünf Bücher Mosis zu zernichten suchen, und die Wunderwerke Christi mit den Curen des Aesculaps vergleichen, auch andere Seelen gefährliche Irrthümer behaupten“ (Neue Zeitungen von gelehrten Sachen 1752 [30. St.], S. 270–271).
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exemplarisch lernen könnten, wie die aus Frankreich stammenden Theorien zu prüfen und deren Irrlehren zu widerlegen seien.75 Trotz ihrer Warnung vor den Thesen de Prades’ erscheint die Beschäftigung mit der Debatte somit als legitim und theologisch gar geboten, um hieran die eigene apologetische Position kontroverstheologisch zu schärfen. 2.1.4 Rostockische gelehrte Nachrichten (Rostock) Auch die Rostockischen gelehrten Nachrichten schlossen sich dem kritischen Urteil gegen de Prades an. Sie hatten zunächst nur eine kurze Notiz davon gegeben,76 dass de Prades wegen Verteidigung des Materialismus von der Theologischen Fakultät in Paris angeklagt worden sei. In ihrer Rezension der im April erschienenen Edition der Zensurschrift orientiert sich das Urteil an der Einschätzung des hierzu vom Leipziger Herausgeber verfassten Vorworts und listet die gegenüber de Prades erhobenen Vorwürfe auf. Zu ihnen werden die Kritik an einer vom historischen Mose überlieferten Chronologie, die Bestreitung ewiger göttlicher Strafen oder des weiterhin wunderhaften Wirkens Gottes in der Welt gezählt. Aufgrund dessen sowie de Prades’ religionsgeschichtlicher Relativierung der Wundererzählungen Jesu werden seine Thesen als „Verwegenheit“ ihres Autors geschmäht.77 Nur der Vorwurf der Gelehrten der Sorbonne an de Prades, er fordere Vernunftgründe für die Akzeptanz der Autorität der Kirchenväter, erhält vom protestantischen Rezensenten erwartungsgemäß keine Zustimmung, sondern mündet gar in den Ruf nach deren eigener Verurteilung. Trotz dieses Zugeständnisses an de Prades steht aus Sicht der Rostockischen gelehrten Nachrichten fest, dass die restlichen Thesen de Prades’ ausreichend seien, ihm „eine verdiente Züchtigung zu verursachen“.78 Wie die Berichte der Rezensionsorgane im Jahr 1752 zeigen, bestand ein weitgehender Konsens bezüglich der Rechtmäßigkeit der Verurteilung von de Prades’ Thesen. Der Umstand, dass dieses Verdikt von der führenden katholischen Universität Europas ausgesprochen worden war, spielte somit in der protestantischen 75 „Die ganze Sammlung ist einer sonderbaren Aufmerksamkeit würdig, um die Feinde der Religion in Frankreich kennen zu lernen, und eröffnet den Protestantischen Weltweisen so wohl, als Gottesgelehrten, ein Feld, die in diesem Königreiche öffentlich bekannt gemachten Meynungen in genauere Prüfung zu ziehen, und das irrige und abscheuliche zu widerlegen“ (Neue Zeitungen 1752 [30. St.], S. 271). 76 Rostockische gelehrte Nachrichten 1752 (2. Beilage), S. 90. 77 „… daß die Chronologie in den Schriften Mosis nicht von ihm selbst herrühre, daß dessen Gesetz nur allein auf zeitliche Strafen und Belohnungen gehe (…), die Natur der Mirakel sey von vielen so verwirrt gemacht, daß die Stimme Gottes durch Wunderwercke dem Menschen seinen Willen zu verkündigen keine Kraft mehr habe. Die Wiederherstellung der Kranken von Christo, wenn man solche von den Weissagungen, die sie göttlich machen, absondert, vergleicht er mit den Curen des Aeskulaps u.s.w.“ (Rostockische gelehrte Nachrichten 1752 [20. St.], S. 220). 78 Ebd.
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Wahrnehmung zunächst keine konfessionell negativ beeinflussende Rolle, da die geäußerten Thesen als eine die christliche Religion in ganz Europa in gleicher Weise bedrohende Gefahr betrachtet wurden. Diese sahen die deutschen Rezensenten allerdings in Frankreich schon deutlich weiter fortgeschritten, wofür vielfach die katholische Kirche bzw. die Jesuiten selbst verantwortlich gemacht wurden. Die relative Einheitlichkeit der Reaktionen weist zugleich auf einen zu Beginn der 1750er-Jahre noch herrschenden religiösen Konsens unter den gelehrten Journalen hin. Dieser sorgte dafür, dass eine bestimmte Grenze der Religionskritik am Christentum nicht überschritten, sondern kollektiv verteidigt wurde. In der Homogenität der Reaktionen spiegeln sich zugleich spezifische Strukturen des Wissenstransfers wider, die wesentlich von den Gegebenheiten des deutschen und des französischen Publikationswesens abhängig waren. Das strenge kirchliche Zensurwesen in Frankreich brachte es mit sich, dass aufgrund mangelnder alternativer Informationswege die deutschen Rezipienten zunächst auf die offizielle Darstellung der Thesen de Prades’ im Kontext der Zensurschrift der Sorbonne angewiesen waren. Deren Perspektive wurde in den Journalen für eine breite Leserschaft ohne jede Möglichkeit kritischer Überprüfbarkeit vervielfacht. In ihrem weiteren Verlauf demonstriert die Debatte um de Prades den Bedeutungsverlust der kirchlich institutionellen Deutungshoheit. In den folgenden Jahren sollte sie gegenüber dem wachsenden Erfolg der Untergrund‑ und Exilliteratur massiv an Einfluss verlieren. Am Ende trug das strikte französische Reglement wesentlich dazu bei, eine kirchen‑ bzw. religionsfeindliche französische Exilliteratur zu etablieren, die in ihrem bissigen Spott und ihrer populären Darbietung ihresgleichen suchte und in ihrer Wirkung die Kirchen‑ und Religionskritik in ganz Europa beförderte. Im Fall de Prades war es schließlich die Veröffentlichung der anonymen Satire Tombeau de la Sorbonne sowie der im Exil verfassten Apologie de Prades’, welche die Wahrnehmung des Skandals in Teilen der europäischen Gelehrtenwelt fundamental veränderten. Die sich infolgedessen entfachende grenzüberschreitende Kontroverse in Publikationen und Zeitschriften führte dazu, dass sich eine in Frankreich zunächst unterdrückte Debatte in der europäischen Gelehrtenwelt ausbreitete – unter Umgehung staatlicher oder kirchlicher Eingriffe.
2.2 Die Veröffentlichung der Satire Tombeau de la Sorbonne Kurz vor der Veröffentlichung der umfangreichen Apologie de Prades’ im Januar 1753 erschien Ende 1752 anonym79 eine kurze, auf Französisch abgefasste Satire. 79 Aufgrund des literarischen Stils der kritischen satirischen Darstellung, wie sie Voltaire zur öffentlichen Einflussnahme vom preußischen Exil aus systematisch einsetzte, kann dieses Pamphlet mit hoher Wahrscheinlichkeit Voltaire und nicht de Prades zugeschrieben werden. Die
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Diese präsentierte die Verurteilung de Prades’ als massive Manipulation und stilisierte ihn zum Opfer der Jesuiten und der Sorbonne. Das Augenmerk der Satire lag dabei weniger auf dem theologischen Inhalt der Debatte als vielmehr auf den als skandalös dargestellten Umständen des gesamten Prozesses. In kritisch-satirischer Form wurde der Prozess dem Leser wie folgt vor Augen geführt: Der Bischof von Mirepoix, einer der Wortführer gegen de Prades, habe diesem angeboten, auf eine Verurteilung zu verzichten, wenn er behaupte, die Thesen seien von den Enzyklopädisten verfasst worden. Als de Prades dies empört abgelehnt habe, habe der Bischof von Mirepoix dem König eine falsche, nie gehaltene Disputation zur Verurteilung vorlegen wollen. Denn dem König sei verständlicherweise nicht zu vermitteln gewesen, wie die berühmte Sorbonne ein Werk habe verurteilen können, das sie soeben erst unter großer Zustimmung gebilligt hätte. Gegen diese Verleumdung habe Abbé le Gros, ein sehr gebildeter und mutiger Kleriker, de Prades unter Berufung auf sein Gewissen und seine Ehre vorbildlich beigestanden. Ein anderer, der ebenfalls beim Prozess anwesend war, habe dagegen offen vor der gesamten Versammlung bekannt, er müsse hier etwas verurteilen, das er, genauso wie die anderen Anwesenden, weder sprachlich noch inhaltlich verstehen könne und überdies nicht einmal gelesen habe.80 Der brillanteste Logikdozent der gesamten Fakultät, Monsieur Digotrets, habe ebenfalls seine Stimme für de Prades erhoben und betont, er habe die Thesen de Prades’ fünf Mal gelesen und darin nichts gefunden, was verurteilungswürdig sei. Darauf habe einer der Ankläger reagiert und geantwortet, ihm seien darin, obwohl er die Schrift nur ein einziges Mal gelesen habe, gleich hundert Frevelhaftigkeiten aufgefallen.81 Im Anschluss hieran habe sich in der Sorbonne ein Handgemenge entwickelt, dessen Tumult und Geschrei so groß gewesen sei, dass sich innerhalb einer Viertelstunde an deren Eingang mehr als 2000 Personen versammelt hätten. Neben weiteren spöttischen Anekdoten über die Unwissenheit der Anwesenden wird auch der Inhalt der Verurteilung de Prades’ als Selbstwiderspruch der Sorbonne dargestellt. So habe diese die Verwendung von Lockes Empirismus Bemerkung eines Zeitgenossen aus dem französischen Literaturjournal Les cinq années littérai‑ res ou Nouvelles littéraires vom Januar 1753 spricht ebenfalls für die Annahme, dass es sich bei dem Autor um Voltaire handelt: „Il m’est impossible, Monsieur, de vous envoïer ce Tombeau de la Sorbonne; il n’y en a peut-être pas quatre exemplaires dans Paris. C’est une partie de l’Apologie de Mr. l’Abbé de Prades, trop hardie pour n’être pas de son ami Mr. de Voltaire“ (Les cinq années littéraires 1753 [2. Bd., 115. Brief], S. 238). Zur Veröffentlichung vgl. auch Cronk, La première publication du Tombeau de la Sorbonne (1752). 80 „Je vous avouë que je suis bien embarrassé. Cette Thèse est d’un Latin extraordinaire que je n’entends pas. Elle roule sur des points historiques que je n’ai jamais étudiés; comment puis-je la condamner. Je ne l’entends pas plus que vous, lui dit Grageon; je ne l’ai luë ni ne la lirai, & il faut bien que je la condamne: je vous conseille d’en faire autant“ (Le Tombeau de la Sorbonne, Traduit du Latin, Paris 1752, S. 19). 81 „Vous avez lu cinq fois la Thèse, & vous n’y avez point trouvé d’erreur? moi, je ne l’ai lue qu’une fois, & j’y ai trouvé cent impiétés“ (a. a. O., S. 20).
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gegen Descartes’ These von den angeborenen Ideen im Fall de Prades’ als häretisch beurteilt, obwohl Descartes selbst von der Sorbonne bereits längst verurteilt worden sei.82 Die Schrift endet mit der Feststellung der objektiven Unschuld de Prades’ und sucht die Empathie des Lesers durch einen Bericht über die Leiden seiner Flucht zu erwecken. Friedrich der Große als Gewährer des Asyls wird dabei in höchsten Tönen als „vrai philosophe“ gelobt. Entscheidend für den Verfasser der Schrift ist allerdings die Beobachtung, dass sich die öffentliche Wahrnehmung des Skandals zugunsten der Person de Prades’ und der Sicht der exilierten französischen Aufklärer am Hofe Friedrichs II. zu verschieben beginne, so dass der gesamte Skandal schließlich mit einem Sieg der öffentlichen Meinung zugunsten der Unterdrückten enden müsse.83 Wie der letzte Absatz des Werkes verdeutlicht, der auf parallele Prozesse gegen andere Aufklärer verweist und die hierdurch erzielte Wirkung beim Publikum hervorhebt,84 publizierte der Autor die Schrift Le Tombeau de la Sorbonne mit dem dezidierten Ziel der Einflussnahme auf die öffentliche Meinung zugunsten de Prades’. Dabei wurden die zentralen Vorwürfe gegen de Prades’ Thesen zwar genannt, diese jedoch derart knapp und selbstwidersprüchlich dargestellt, dass dem Leser die inhaltlichen Gründe ihrer Verurteilung vollkommen schleierhaft bleiben mussten.85 Allein die Kürze der Schrift mit 29 Seiten in Oktav verhinderte eine adäquate inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Fall und erweiterte den potentiellen Leserkreis aufgrund ihres knappen Textumfangs, Kaufpreises und literarischen Unterhaltungswertes. Statt einer argumentativen Abhandlung präsentierte die Schrift den gesamten Fall als eine von eigennützigen Interessen der Jesuiten geleitete Kampagne gegen die Encyclopédie. Diese sei das von der Öffentlichkeit und den Buchhändlern erwartete Werk der „vrais Scavants“, welches den „mangelhaften und mit gravierenden Fehlern“ durchsetzten Dictionnaire de Trévoux der Jesuiten ersetzen werde.86 Zu den Intentionen der Schrift zählte es also, sowohl die 82 Vgl.
a. a. O., S. 23. Public commence déjà à penser comme lui sur cette affaire. Tôt ou tard les Tirans particuliers trouvent dans le Public un ècueil contre lequel ils se brisent“ (a. a. O., S. 28). 84 Der letzte Absatz der Satire, der nicht mehr unmittelbar im Zusammenhang mit der Affäre de Prades steht, zieht Parallelen zu anderen aktuellen Prozessen wie dem Atheismusvorwurf Joachim Langes gegenüber Christian Wolff in Halle, einem nicht näher genannten Prozess in Straßburg und dem Streit zwischen Pierre-Louis Moreau de Maupertuis und Samuel König. In allen hat die Änderung der öffentlichen Wahrnehmung den Angeklagten gegenüber ungerechter Verurteilung zu ihrem Recht verholfen. Die parallele Intention der Satire zum aktuellen Streit zwischen Maupertuis und König an der Preußischen Akademie der Wissenschaften wurde auch von den Rezensenten der Zeitschriften ausdrücklich erkannt und hierauf verwiesen (vgl. Göttingische Anzeigen 1753 [10. St.], S. 82; Freye Urtheile 1753 [10. Bd., 8. St.], S. 58). 85 Bezüglich des besonders schweren Vorwurfs der Bezweiflung der hebräischen Chronologie heißt es ledglich: „La Thèse dans un autre endroit fait des difficultés sur la Chronologie des Hebreux, vous m’allez encore dire que tous les Savans de l’Europe font ces difficultés, il n’importe“ (Tombeau de la Sorbonne, S. 12). 86 „Une Société de vrais Savans entreprit, il y a quelques années, le Dictionaire de l’Encyclopédie. Tout le Public, & en particulier les Libraires, étoient imbus de l’idée, que cet ouvrage devoit 83 „Le
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Jesuiten zu diskreditieren als auch die Popularität der Encyclopédie zu steigern, darüber hinaus die Öffentlichkeit für de Prades zu vereinnahmen sowie zugleich Friedrich II. als Förderer der Aufklärung zu huldigen.
2.3 Die Reaktionen auf die Satire Die außerordentliche Bedeutung des Falls sorgte dafür, dass die deutschsprachigen gelehrten Zeitschriften den Fall weiterhin mit großem Interesse verfolgten. In Hamburg griffen die Freyen Urtheile am 26. Januar 1753 die Darstellung der Satire unmittelbar auf und stellten die Verurteilung ebenfalls als einen jesuitischen Komplott gegen de Prades und die Encyclopédie dar. Man gerieth um diese Zeit auf den Anschlag, die Encyclopädie zu schreiben. Die Jesuiten sahen sehr scheel darüber aus, daß man ihnen nicht bey Verfertigung dieses grossen Werkes das moralische und theologische Fach eingeräumet, sondern vielmehr die Bearbeitung desselben dem Hrn. Prades übergeben hatte. (…) de Prades durfte nicht in die Sorbonne kommen, sich zu verteidigen. (…) Der König in Preussen hat sich des vertriebenen Abts angenommen, und gewiesen, daß der Unschuldige niemals verlassen bleibe.87
Die Tübingischen Berichte druckten eine kurze Rezension der Satire, die die Ungerechtigkeiten des Verfahrens nach deren Sichtweise zwar wiedergab, sich zugleich aber nicht von deren polemischer Darstellung vereinnahmen ließ, sondern diese deutlich als Meinung des Verfassers markierte.88 Auch in den Göttingischen Anzeigen erreichte die Schrift zunächst nicht ihr gewünschtes Ziel, die Wahrnehmung der Rezipienten in Deutschland für sich einzunehmen. Deren Ausgabe vom 20. Januar 1753 bot eine kurze, nüchterne Zusammenfassung. Trotz der inzwischen allseits bekannten Verurteilung schien das Interesse ein dreiviertel Jahr später bereits wieder abgeklungen zu sein. Daher hieß es lediglich, die Schrift gebe den Jesuiten die Schuld an der Verurteilung, weil man ihnen die Mitarbeit an der Encyclopédie verwehrt habe.89 Die hier ausfaire tomber sans ressource le Dictionaire de Trévoux, qu’on achetoit faute d’autre, quoiqu’on en connût l’insuffisance & les fautes grossières“ (a. a. O., S. 6). 87 Freye Urtheile und Nachrichten 1753 (10. Bd., 8 St.), S. 57–58. 88 „Nach der Erzehlung des Verf. ist gedachte Thesis anfänglich von denen dazu verordneten Censoren mit allen gewöhnlichen Formalitäten gebilligt worden. Allein die Jesuiten, die sich an den alten Bischof von Mirepoix gewendet, sollen es durch ihre Ränke dahin gebracht haben, daß diese Schrift in der Sorbonne nachmahls verdammt worden, ohne daß der Abt de Prades zu seiner Verantwortung hätte kommen können. (…) Der Verf. der erstangezeigten Schrift will behaupten, daß dem Abt bey dieser Verdammung Sätze wären angedichtet worden, die er selbst widerlegt hatte“ (Tübingische Berichte 1753 [8. St.], S. 120). 89 „Ohne vorgesezten Ort, aber sichtbarlich in Holland, ist eine kleine Schrift in Octav auf 29 Seiten abgedrukt worden, deren Titel ist le tombeau de la Sorbonne. Sie enthält die Geschichte des durch seine den 18. Novemb. 1751 gehaltene Disputation, und darauf erfolgte Verurtheilung bekannt gewordenen Abts de Prades, von seiner eigenen, oder von einer fremden Feder. Auf die Jesuiten wird die ganze Schuld geschoben. Man sagt, sie haben die Encyclopädie erstlich
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führlich beschriebenen Kuriositäten bezüglich des Prozesses fanden dabei zunächst keine Erwähnung. Lediglich die inhaltlichen Streitpunkte wurden kurz rekapituliert. Es war erst die Veröffentlichung der Apologie de Prades’, welche zu einer erneuten, eingehenderen Beschäftigung mit dem Fall anregte. Am 29. März 1753, nur zwei Tage nach der Darstellung ihres argumentativen Hauptteils, erschien in den Göttingischen Anzeigen eine zweite Besprechung des Tombeau de la Sor‑ bonne – diesmal jedoch in einem vollkommen anderen Ton. Deutlich Partei ergreifend für die Position de Prades’, nahm die Rezension die kritische Intention der Satire auf.90 Die argumentative Auseinandersetzung fand keinerlei Erwähnung mehr, stattdessen wurden einzelne satirische Beschreibungen der Verurteilung wiedergegeben: Als man sich zum vierzehnten mahl versammlet um endlich der Schrift des de Prades das Urtheil zu sprechen, so kommt ein Doctor Nahmens Fouchet bey einen andern Nahmens Grageon und der erstere sagt zu diesem letztern: ich gestehe es, ich bin sehr verlegen. Diese Probeschrift ist in einem ausserordentlichen Latein geschrieben, welches ich nicht verstehe. Sie beziehet sich auf solche historische Puncte, die ich nie gelernet habe; wie kann ich sie verdammen? Grageon antwortet: ich verstehe sie eben so wenig, wie ihr. Ich habe sie nicht gelesen und will sie nicht lesen und werde sie dem ohngeachtet verdammen. Ich rathe euch dasselbige zu thun.91
Indem die zweite Rezeption der Intention der Satire unmittelbar folgte und wörtlich ganze Passagen hieraus in deutscher Übersetzung zitierte, konnte der Verfasser der Satire letztlich auch in den Göttingischen Anzeigen seine Darstellung des Falls wirksam zur Geltung bringen. Dabei entzündete sich das erneute Interesse an der Affäre um de Prades allerdings wohl nicht zuerst an der kleinen, anonymen populistischen Schrift Le Tombeau de la Sorbonne, sondern erst infolge der Veröffentlichung der äußerst umfangreichen theologischen Verteidigungsschrift de Prades, seiner Apologie.
mitschreiben, und dann stürzen wollen, da man ihre Ausarbeitung abgeschlagen“ (Göttingische Anzeigen 1753 [10. St.], S. 81–82). 90 „Besonders muste der Hr. de Prades den theologischen Haß der Jesuiten empfinden. Sie zogen aus seiner in der Sorbonne vertheidigten Schrift allerhand verhaßte Folgen und solche Sätze, deren Gegentheil sogar in seiner Probeschrift behauptet war. Sie trieben die Sache durch die Gewalt des alten Bischofes von Mirepoix so weit, daß so gar die Sorbonne die Probeschrift des Hrn. de Prades verdammen muste, welche sie vorher mit so vielem Beyfall angenommen hatte“ (Göttingische Anzeigen 1753 [40. St.], S. 375). 91 Ebd.
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IV. Die Debatte um Jean-Martin de Prades
3. Die publizistische Verteidigung durch de Prades’ Apologie 3.1 Die Apologie de Prades’ Mit der dreiteiligen Verteidigungsschrift, die den Umfang der ursprünglichen Dissertation weit übertraf, suchte de Prades öffentlich der Verurteilung seiner Thesen entgegenzutreten und seine Rechtgläubigkeit zu demonstrieren. Die knapp 300 Seiten lange, in Amsterdam gedruckte Apologie enthielt einerseits Briefe der Rechtfertigung de Prades’ gegenüber Mitgliedern der Theologischen Fakultät vom Dezember 1751 bis Januar 1752 und umfasste zugleich eine ausführliche Verteidigung der zehn als häretisch verurteilten Passagen seiner Dissertation. Der dritte Teil der Apologie, der eine Antwort auf die Verurteilung durch Charles de Caylus, Bischof von Auxerre (1704–1754), enthielt, erschien zwar unter dem Namen de Prades’, war tatsächlich jedoch von Diderot persönlich verfasst worden. Der erste Teil der Apologie besteht aus einer längeren Einleitung in die Umstände und den Ablauf des Prozesses an der Sorbonne sowie aus den von de Prades an die Mitglieder der Kommission verfassten Briefen. In seiner Einleitung bringt de Prades noch einmal seine ursprüngliche Absicht zum Ausdruck, die Religion in keiner Weise angreifen zu wollen, sondern im Gegenteil deren Offenbarung durch rationale Argumentation zu verteidigen.92 Weniger polemisch und literarisch gewandt als Le Tombeau de la Sorbonne, dafür an Anekdoten umso reicher, stellt de Prades im ersten Teil seiner Apologie das Verfahren als theologischen und juristischen Skandal dar. Sowohl inhaltlich wie persönlich beschreibt er die an der Verurteilung Beteiligten als intrigante, überforderte, willfährige und untereinander tiefgehend zerstrittene Personen. Mit ihnen kontrastiert er seine eigene, redliche Intention der Religionsverteidigung.93 Indem er diese persönliche Wiedergabe als sachliche Darstellung des Ablaufs seiner Verurteilung präsentiert, zielt die Schrift darauf ab, die Leser bereits vor der inhaltlichen Auseinandersetzung mit den von der Sorbonne verurteilten Thesen emotional für sich zu gewinnen. Die über 150 Seiten starke Verteidigung der 10 verurteilten Thesen widmet sich noch einmal dem zentralen Problem der notwendigen Reformulierung einer adäquaten Erkenntnistheorie zur Begründung der biblischen Offenbarung vor dem Hintergrund der tiefgreifenden Kritik, der die Theologie sich insbesondere durch 92 „Tout ce que je puis dire, c’est que je n’ai inséré dans ma Thése mes sentimens sur l’Oeconomie Mosaïque & sur les trois Chronologies, que pour tirer du premier Systême une preuve démonstrative en faveur de la Divinité de la Légation de Moïse, & de l’autre une réponse tranchante & décisive à la plus grande difficulté que les Déïstes puissent faire contre l’authenticité du Pentateuque“ (de Prades, Apologie de Monsieur L’abbé de Prades. Premiére partie, S. 16). 93 Vgl. besonders a. a. O., S. 21–23.
3. Die publizistische Verteidigung durch de Prades’ Apologie
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den Deismus ausgesetzt sah. Für de Prades steht dabei der Deismus in engem Zusammenhang mit dem Pyrrhonismus als Zweifel an jeglicher Sicherheit historischer Erkenntnis. Seine Preisgabe einer von Mose verfassten authentischen Chronologie, welche nicht in der Bibel zu finden sei, begründet de Prades mit seinem Ziel, im Kampf gegen den Pyrrhonismus die Autorität Moses und die damit verbundene Authentizität des Pentateuchs nur auf diese Weise legitimieren zu können.94 Bereits während seines Studiums hatte sich de Prades eingehend mit der Kritik des Pyrrhonismus95 als verbreiteter Form des Skeptizismus auseinandergesetzt, als er Daniel Pierre Huets Demonstratio Evangelica übersetzt hatte. Die Frage nach der Möglichkeit gesicherter Erkenntnis angesichts der pyrrhonistischen Herausforderung blieb für ihn auch darüber hinaus virulent. Wie die Verteidigung der ersten seiner verurteilten Thesen zeigt, hielt de Prades eine metaphysische oder moralisch begründete Verteidigung des Christentums auf der Grundlage der Theorie der idées innées, wie sie in Rückgriff auf Descartes Meditationes verwendet wurde, für nicht mehr möglich. Historische Erkenntnis als Begründung biblischer Offenbarung konnte nur noch auf dem Boden empirischer Befunde plausibilisiert werden, weshalb er noch einmal die Bedeutung der Zuverlässigkeit der historischen Zeugen hervorhebt. Damit setzte de Prades seine Intention einer erkenntnistheoretisch auf empirisch verifizierbaren Tatsachen basierenden Theologie fort, wie er sie bereits im Artikel „Certitude“ formuliert hatte. Nur sie war nach de Prades imstande, der fundamentalen und öffentlichkeitswirksamen Offenbarungskritik standzuhalten, wie sie Diderot in seinen Pensées philosophi‑ ques gegenüber der Historizität der Auferstehung Christi spöttisch vorgetragen hatte. Inhaltlich fügte die Apologie allerdings keine neuen Argumente hinzu, sondern suchte lediglich die Notwendigkeit des eigenen Ansatzes als wissenschaftlich einzig möglicher Legitimation der Offenbarung zu entfalten. Ob und wieweit die Publikation seiner Apologie die öffentliche Wahrnehmung der Thesen de Prades’ in der deutschen Gelehrtenwelt tatsächlich beeinflusst hat, vermag die Betrachtung der Reaktionen in den deutschen Rezensionsorganen zumindest ansatzweise zu erschließen.
94 „J’ai dérogé à l’intégrité & à l’autorité des Livres de Moïse, parce que pour en établir l’intégrité & l’autorité con-tre les Impies, qui prennent occasion de la diversité des Chronologies pour les combattre, j’ai cru qu’on pouvoit les arrêter tout d’un coup, en leur disant que Moïse n’étoit l’auteur d’aucune des trois que présentent les différens Textes de l’Ecriture. J’ai renversé les fondemens de la Religion Chrétienne, parce que j’ai appuyé sur des Régles qui forcent le Déïste Pyrrhonien dans ses derniers retranchemens, la vérité des Miracles rapportés dans les deux Testamens, & que j’appelle l’organe de la Divinité“ (a. a. O., S. 37). 95 Zur Entwicklung und Verbreitung des Pyrrhonismus im Frankreich des 18. Jahrhunderts und dessen Auswirkung auf die historische Bibelkritrik vgl. Scheele, Studien zum französischen Pyrrhonismus.
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IV. Die Debatte um Jean-Martin de Prades
3.2 Die veränderte Wahrnehmung in gelehrten Zeitschriften In den Freyen Urtheilen, die 1752 die Darstellung der Verurteilungen durch die Sorbonne noch weitgehend unkritisch abgedruckt und deren Rolle als Schutzherrin der christlichen Religion lobend hervorgehoben hatten, war de Prades bereits in der Rezension der Schrift Le Tombeau de la Sorbonne als „Unschuldiger“ bezeichnet worden. Als im Mai 1753 das Erscheinen einer Sammlung von Schriften angezeigt wurde, die sich gegen de Prades’ Thesen richteten und vom Bischof von Auxerre herausgegeben worden waren, enthielt diese Anzeige den Hinweis, dass der Leser sich nun aufgrund vergleichender Lektüre der Streitschriften selbst ein Urteil darüber bilden möge, ob de Prades’ Schriften aufgrund ihrer Gottlosigkeit tatsächlich verurteilungswürdig seien. Man sieht aus diesem Verzeichnisse, was diese Sammlung für wichtige Sachen enthalte, und da das Publicum anitzo sowol die Thesis, als die Vertheidigung des Hn. de Prades in Händen hat; so wird es nun hieraus urtheilen können, ob der Herr Abt alle die Beschuldigungen der Gottlosigkeit, die man ihm gemacht, von sich abgelehnet, und allen Zweifeln seiner wichtigen Gegner ein Genüge geleistet habe.96
Hatten die Leipziger Neuen Zeitungen von gelehrten Sachen 1752 de Prades und dessen Thesen noch als den Deismus und den Materialismus fördernd und die biblische Autorität und Religion gefährdend eingestuft, so übernahm die Rezension die Ansicht der Apologie und stellte den Prozess gemäß de Prades’ Darstellung als skandalträchtige und ungerechte Verurteilung dar. Der Handel, welchen der Abt de Prades bey der Sorbonne gehabt, hat so viel Aufsehens in der gelehrten Welt gemacht, daß man schon neugierig genug seyn kann, seine Schutzschrift zu lesen. Sie (…) enthält die Geschichte seiner Verdammung, und zeiget, wie unbillig und ungerecht man dabey verfahren und alles auf Anstiften anderer geschehen sey; wie es auch gar nicht einmal wahrscheinlich sey, wenn man es nur politisch ansehe, daß der Abt de Prades auf die Gedanken hätte kommen sollen, die Deisterey öffentlich zu lehren, welches man ihm doch Schuld giebt.97
Als renommiertes Rezensionsorgan reagierten die Göttingischen Anzeigen am 26. März mit einer Nachricht von der Verurteilung der Thesen des inzwischen weit bekannten Abbé de Prades.98 Aufgrund des Skandalcharakters, den die Debatte bereits in der gesamten europäischen Gelehrtenwelt erreicht hatte, erschien eine Beschäftigung mit der Verteidigung de Prades’ geboten.99 Aus Sicht Freye Urtheile 1753 (10. Bd., 40. St.), S. 316. Neue Zeitungen von gelehrten Sachen 1753 (13. St.), S. 115. 98 Wer genau der Rezensent dieses Schreibens ist, kann nicht sicher beantwortet werden. Dass Michaelis hierbei durchaus in Betracht kommt, legt der ausführliche kritische Kommentar zu de Prades’ Vorstellungen der mosaischen Bücher und die detaillierte Kenntnis des israelitischen Rechts nahe. 99 „Die Verdammung der so bekannten Sätze des Abts de Prades, und das dabey erregte Geschrey, als wären diese Sätze die Frucht einer recht überlegten Verschwörung vieler Feinde der 96 97
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der Göttingischen Anzeigen vermittelt der Streit eine besondere Vorstellung von der seinerzeitigen kirchlichen und politischen Situation in Paris, die wesentlich durch die Agitation der Jesuiten bestimmt war. Dabei scheint die Ablehnung der Mitarbeit der Jesuiten an der Encyclopédie dem Verfasser durchaus nachvollziehbar, wie der in Klammern eingefügte spöttische Kommentar beweist: „(und wer hätte das nicht thun sollen? sonderlich bey der Moral?)“.100 Ausführlich wiedergegeben werden die von de Prades beschriebenen böswilligen Absichten und Vorgehensweisen der Jesuiten, diesen nicht nur einer häretischen Schrift zu verdächtigen, sondern mit ihm zugleich den gesamten Verfasserkreis der Encyclopé‑ die in Verruf bringen zu wollen. So sollen die absurdesten Gerüchte über de Prades’ Schrift in Umlauf gekommen sein, bis hin zum Vorwurf, diese sei eventuell sogar von einem Juden geschrieben worden.101 In ihrem Bericht der satirischen Darstellung der Umstände des Prozesses reflektieren die Göttingischen Anzeigen jedoch auch die Gefahr einer einseitigen Darstellung und Information, die der Intention des unparteiischen Stils der Göttingischen Anzeigen nicht entspreche.102 Es folgen weitere satirische Anekdoten und die Nachricht, dass de Prades weder die Gelegenheit zur Verteidigung eingeräumt noch gar ein Widerruf seiner Thesen erlaubt worden sei. Indem die Rezension die Verurteilung aus der Sicht de Prades wiedergibt, vermittelten die Göttingischen Anzeigen ihren Lesern von vornherein das Bild eines willkürlichen Prozesses, der durch gezielte Instrumentalisierung von einem intoleranten und ignoranten katholischen Klerus in Frankreich gelenkt worden sei und de Prades noch vor jeglicher Nennung seiner inhaltlichen Argumente bereits als Opfer derselben präsentiert. Aber anders als beispielsweise in den Leipziger Neuen Zeitungen oder den Hamburgischen Berichten findet sich in den Göt‑ tingischen Anzeigen außerdem keine unmittelbare Zustimmung zur Verurteilung Religion, hat so viel Aufsehens in der Welt gemacht; und die Geschichte davon giebt uns theils von den Jesuiten, und von einigen unverständigen Eiferern unter der Französischen Geistlichkeit, theils von dem jetzigen Widersacher des Parlaments zu Paris nehmlich dem Ertzbischoff von Paris so ausnehmende Begriffe, daß wir eine ausführlichere Nachricht von der Apologie de Monsieur l’Abbé de Prades schuldig zu seyn scheinen“ (Göttingische Anzeigen 1753 [38. St.], S. 347). 100 Ebd. 101 „Einige Eiferer gingen indessen so weit, daß sie vorgaben, sie solle gar einen Juden zum Verfasser haben. Man warf ihr vor, daß die Chineser darin vorkämen, so sich zu einer theologischen Dissertation schlecht schicke“ (a. a. O., S. 348). 102 „Der Ertzbischoff von Paris war ihr vornehmster Feind, (ein Gegner, bey dessen Nennung man sich in Acht nehmen muß, nicht partheyisch zu werden, denn die politischen Nachrichten aus Franckreich könnten einen leicht hiezu verführen) (…). Unter den bey nahe anderthalb hundert, so in der grossen Versammlung erschienen, waren viele, so sonst gar nicht in die Facultät zu kommen pflegten: unter diesen sagte einer, er sey nur gekommen, der Stimme des D. Tamponnet beyzutreten, müsse aber gleich wieder weggehen, weil er Geschäfte habe. Als ihm jemand antwortete: er wisse ja nicht, was Tamponnet (ein Haupt-Feind der Dissertation) für eine Meinung habe: erwiederte er: mir ist befohlen ihm beyzutreten, das ist mir genug; ich gehorche“ (ebd.).
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der Thesen im Jahre 1752. Sie werden stattdessen als unproblematisch betrachtet, wobei ausdrücklich erwähnt wird, dass diese Wahrnehmung auch unter Absehung der Lektüre seiner Apologie gelte.103 De Prades habe vielmehr die Notwendigkeit der Offenbarung gegen die Deisten verteidigt, indem er die historische Gewissheit von Wundern, die daraus abgeleitete göttliche Sendung des Mose sowie die Historizität der Bücher Mose überzeugend dargelegt habe. Außerdem habe er den biblischen Schöpfungs‑ und Sintflutbericht belegt sowie die Göttlichkeit des Neuen Testaments begründet, woraus sich für ihn die Unfehlbarkeit der Kirche und die Göttlichkeit der römischen Konfession ableite. Mit ironischem Unterton findet sich die Bemerkung, dass dies „der Leit-Faden“ einer Schrift sei, „bey welchem die Jesuiten und der Erzbischoff von Paris die Verleugnung der Religion haben finden können“.104 Vom Vorwurf des Materialismus freigesprochen, erhält de Prades von den Göttingischen Anzeigen zugleich die Anerkennung, nicht so schlicht für die Offenbarung zu argumentieren wie diejenigen, „die überall in den heidnischen Fabeln den Moses finden“.105 Hinsichtlich seiner erkenntnistheoretischen Forderungen bezüglich der Heiligen Schrift erregt de Prades in den Göttingischen Anzeigen somit keinen Anstoß, wird in seinem Rückgriff auf die apokryphen Berichte als historische Darstellungen jedoch für viel zu leichtgläubig gehalten.106 Auch die Annahme teuflischer Wirkungen bei Orakeln wird als seltsam betrachtet, zugleich jedoch konfessionell entschuldigt, da dies „einem Catholicken nicht so sehr zu verübeln ist“.107 Inkonsequent sei es von de Prades zudem, den „so genannten inflexum intolerantismum, oder zu deutsch Verfolgungs-Geist der christlichen Religion; (er wird vermuthlich die Römische Kirche meinen)“108 als 103 „Die Disputation selbst haben wir, ohne die Vertheidigung dabey zu lesen, die erst im zweiten Theil folget, im geringsten nicht anstößig und gottlos finden können, sondern halten sie für eine redliche und wohlgemeinte Vertheidigung der Religion überhaupt, und zuletzt der Römisch-catholischen“ (a. a. O., S. 349). 104 A. a. O., S. 350. 105 Ebd. 106 „Er behält S. 36. die fabelhafte, und von den Juden erdichtete Theilung der Welt unter die drey Söhne des Noah, und S. 50. die Erzählung des Buchs Judith von der Errettung der Stadt Bethulia nur allzu gläubig bey. Darin gehet er auch wol zu weit, und kennet die Gesetze Mosis und den Israelitischen Staat nicht, (…) und wenn er S. 54. aus guter Meinung die Verheissung Mosis von der ausnehmenden Fruchtbarkeit des sechsten Jahrs in eine historische Nachricht verwandelt, so fürchten wir, daß es ihm an glaubwürdigen Zeugen fehlen werde, sonderlich wenn die Recht haben sollten, die behaupten, das Gesetz vom Sabbaths-Jahr sey nie zu einer ordentlichen Beobachtung gekommen“ (a. a. O., S. 351). 107 Ebd. 108 Ebd. Für inhaltlich legitim, jedoch taktisch unklug wird de Prades’ scharfe Kritik an der jesuitischen Forderung der Inkulturation des Christentums in indianischen und chinesischen Missionsgebieten betrachtet, da de Prades damit die einflussreichen jesuitischen Missionare und deren Orden gegen sich aufgebracht habe. Der sogenannte „Ritenstreit“ um die Legitimität der Adaption christlicher Traditionen an chinesische Sitten und Bräuche als spezifisch jesuitisches Missionsverständnis wurde als ein zentrales Argument seitens der Jansenisten gegen die Rechtgläubigkeit der Jesuiten ins Feld geführt. Nach der Verurteilung der jesuitischen Praxis der
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Zeichen des berechtigten christlichen Wahrheitsanspruchs zu bezeichnen und zugleich nach Amsterdam in die liberalste Stadt des Protestantismus zu fliehen. Bemerkenswert in der Bewertung der Thesen de Prades’ durch die Göttingischen Anzeigen ist der Umstand, dass dessen konfessionelle Perspektivität als marginal oder mit einem Gestus der Überlegenheit als Ausdruck voraufgeklärter religiöser Naivität entschuldigt wird. Entschiedenen Widerspruch erfährt de Prades dagegen lediglich aufgrund seiner Bezweiflung der historischen Zuverlässigkeit der mosaischen Chronologie.109 Die detaillierte Analyse der alttestamentlichen Textbelege weist auf eine fundierte philologische Kenntnis des Rezensenten der Göttingischen Anzeigen hin, der de Prades stellenweise historische und literarische Unwissenheit vorhält. Gleichzeitig werden de Prades’ empirisch theologische Annahmen, die von der Sorbonne als hochgradig subversiv eingestuft worden waren, kaum für verurteilungswürdig gehalten. Deutliche Missbilligung zeigen die Göttingischen An‑ zeigen nur gegenüber de Prades’ genereller Bezweiflung einer verbindlichen biblischen Chronologie. Denn dass damit die Glaubwürdigkeit des biblischen Textes und seiner allgemeinen historischen Normativität auf dem Spiel stand, schien dem Rezensenten trotz der Sympathie für den auch seines Erachtens zu Unrecht Verurteilten durchaus bewusst zu sein. Doch anders als in den meisten unmittelbaren Reaktionen auf diesen Vorgang folgte für die Göttingischen An‑ zeigen hieraus keine generelle Kritik des Autors. Stattdessen überwog der Respekt für den theologisch-philosophischen Vermittlungsversuch eines „eifrigen und geschickten Vertheidiger[s] der Religion“.110 Bereits drei Tage später folgten in den Göttingischen Anzeigen die Berichte über den zweiten und dritten Teil der Apologie de Prades’, die der Rezensent für diejenigen, die die Dissertation bereits gelesen hätten, allerdings für „grössestentheils überflüßig“ hält. Dennoch werden darin die Anliegen der Apologie de Prades’ als rechtmäßig verteidigt, da man seine Thesen vielfach entweder aufgrund der lateinischen Sprache missverstanden oder bewusst sinnentstellend kompiliert habe, um sie als religions‑ und obrigkeitsgefährdend darzustellen. Ausdrücklich gelobt werden de Prades’ ausführliche Widerlegung von Diderots Pensées philosophiques sowie seine Verteidigung der Historizität der Wundertaten Akkommodation chinesischer Riten durch Papst Clemens XI. 1715 und Papst Benedikt XIV. 1742 diente deren bleibende Akzeptanz schließlich 1773 unter anderem als Begründung für das Verbot des Jesuitenordens im Breve „Dominus ac Redemptor“ des Papstes Clemens XIV. 109 „Das einzige, was ein Liebhaber der Religion in dieser Vertheidigung derselben lieber nicht lesen möchte, ist was er S. 38. von den in Mosis ersten Buch Cap. XI. enthaltenen chronologischen Genealogien schreibt, die er wegen des Widerspruchs, sonderlich der chinesischen Zeitrechnung, nicht für verfälscht sondern ganz für untergeschoben hält“ (a. a. O., S. 351–352). 110 „Indessen kann einer diesen Gedancken hegen, ohne das übrige der Bücher Mosis, oder die Religion selbst zu verwerfen: und wenn wir diesen Fehltritt an einem so eifrigen und geschickten Vertheidiger der Religion nicht übersehen wollen, wer wird alsdenn unschuldig seyn?“ (A. a. O., S. 352)
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Jesu.111 Die Reduktion der Wunderberichte Jesu auf ihre Erfüllung der alttestamentlichen Weissagungen und der damit einhergehende Verzicht auf die Beweiskraft ihrer Übernatürlichkeit werden als zu weitgehendes Zugeständnis an die Deisten erklärt, zugleich jedoch vor dem Hintergrund der weit verbreiteten Wundergläubigkeit in der katholischen Kirche als nachvollziehbar bezeichnet.112 Am ausführlichsten widmeten sich die Göttingischen Anzeigen de Prades’ Verteidigung seiner Kritik an der biblischen Chronologie. Aufgrund der sich widersprechenden Überlieferungen konnte sie aus seiner Sicht von Mose niemals als chronologischer Maßstab intendiert und überliefert worden sein.113 Dass die Chronologie der jüdischen Geschichte vielfach „mit einem weitläufigen Aberglauben durchwebet“ und die Juden in Bezug auf ihre eigene Geschichte „schlechte historische Zeugen“114 seien, setzt die Rezension offenbar als zustimmungsfähig voraus, so dass de Prades’ These von der Verfälschung der Geschichte nicht zu bestreiten sei. Entscheidend für den Rezensenten ist vielmehr die Tatsache, dass sich daraus keinesfalls der Verzicht auf die Möglichkeit der historischen Rekonstruktion der authentischen biblischen Chronologie des Mose ableiten lasse. Anders als de Prades hält der Rezensent, vermutlich Michaelis, trotz des Bewusstseins zahlreicher exegetischer Widersprüchlichkeiten des hebräischen Textbefundes daran fest, dass sich diese durch vertiefte historische Kenntnisse erklären lassen und so der wahre historische Kern letztlich ans Tageslicht treten werde.115 Exemplarisch verweist die Rezension daher auf die jüngsten zeitgenössischen Forschungsergebnisse der Satura Christian Müllers116 zum ägyptischen Einfluss auf die hebräische Zeitrechnung im synkretistischen Alexandria zur Zeit der 70 Übersetzer (die dem Rezensenten als historisch unbestritten „Das schätzbarste in diesem zweiten Theil ist wol die lange Abhandlung, zur Vertheidigung des historischen Glaubens auch in Absicht auf die Wunderwercke, darin sonderlich die pensees philosophiques widerleget werden“ (Göttingische Anzeigen 1753 [39. St.], S. 354). 112 Vgl. a. a. O., S. 356. 113 In drei Punkten referiert die Rezension de Prades Anliegen, „1) daß Moses keine allgemeine Weltgeschichte zu schreiben unternommen habe, 2) daß die drey Zeitrechnungen unmöglich durch blosse Fehler der Abschreiber hätten entstehen können, weil jedwede ein ordentliches System habe: sondern daß sie mit Wissen und Vorsatz ihrer Urheber von einander abgingen. Dieses aber würden 3) die 70 Dalmätscher sich nie unterstanden haben, wenn die chronologischen Genealogien von Mosis Hand gewesen wären“ (a. a. O., S. 355). 114 Ebd. 115 Jene Offenheit gegenüber philologischer Kritik bei gleichzeitigem Festhalten an zentralen Punkten orthodoxer Dogmatik repräsentiert in besonderer Weise J. D. Michaelis in seiner „formalen Halborthodoxie“ (Ringleben, Göttinger Aufklärungstheologie – von Königsberg her gesehen, S. 89). Die detaillierte vorderorientalische Kenntnis sowie theologische Intention des Rezensenten sprechen für J. D. Michaelis, der trotz einer weitreichenden philologischen Kritik an der historischen Wahrheit der biblischen Umstände festhielt und diese unter anderem mithilfe geologischer und geographischer Erkundungen beweisen wollte. Zum Verhältnis von Michaelis’ philologischer Forschung und seiner theologischen Orthodoxie vgl. Legaspi, The death of Scripture and the rise of biblical studies, besonders S. 129–153. 116 Chr. Müller, Satura observationum philologicarum maximam partem sacrarum (1752). 111
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gelten), wodurch Moses Schilderung der weitaus älteren Geschichtsdarstellung der Ägypter angepasst worden sei. Aus Sicht des Rezensenten lässt sich de Prades’ fehlerhafte Schlussfolgerung der Aufgabe jeglichen absoluten chronologischen Anspruchs lediglich dadurch erklären, dass er den historischen Zweifeln, die sich durch einen Vergleich mit der chinesischen Zeitrechnung ergaben, irgendein Argument habe entgegensetzen müssen. So kritikbedürftig de Prades’ Verzicht auf den chronologischen Anspruch der Bücher Moses für den Rezensenten auch bleibt, wird dessen Annahme doch nur als ein partiell missglückter und nicht systematisch fehlgeleiteter Verteidigungsversuch der Offenbarung gedeutet. Trotz de Prades’ chronologischem Skeptizismus in dieser dogmatisch zentralen Frage wiegt für den Rezensenten das Recht auf freie Urteilsbildung in exegetischen Fragen weitaus höher, da niemand als häretisch verurteilt werden dürfe, der zu einem von dem eigenen abweichenden Ergebnis komme. Da man auch einen deshalb nicht für einen Religions-Feind hält, weil er eine von diesen Chronologien, sollte es auch die Hebräische seyn, für die unächte ansiehet, oder auch weil er (wie einige thun) glaubt, in der einen sey dieses, in der andern jenes richtige und unrichtige, da man jedem die Freyheit läßt, aus diesen drey Zeitrechungen auszuwählen oder zu verwerfen was er will, oder auch zu bekennen, daß er nicht wisse, was in jeder richtig oder unrichtig sey, ohne ihn darüber zu verkätzern, so verdient der, welcher aus guter Meinung die gantze Stelle, die andere für übel abgeschrieben halten, für unächt ansiehet, zum wenigsten keinen Bannstrahl.117
Welch hohen Stellenwert die Meinungsfreiheit für die Göttingischen Anzeigen besaß, verdeutlicht zudem der Bericht über den letzten Teil der Apologie, welcher sich mit den Vorwürfen des Bischofs von Auxerre gegen de Prades auseinandersetzte. Das Denken des französischen Bischofs wird dabei als von „einem sehr kleinen Geiste“ und dessen Frömmigkeit als „mit allzugroßer Unwissenheit und Aberglauben verbunden“ charakterisiert. Ihr gegenüber steht die Darstellung des aufrichtigen Verfassers der Apologie. Dieser sei bereit, sich belehren zu lassen, falls er geirrt haben sollte, jedoch sei er nie so weit gegangen, etwas so Falsches zu behaupten, „daß die Religion davon den Einsturz zu besorgen habe“.118 Und sogar im Exil werde er auch weiterhin die katholische Religion verteidigen, selbst wenn er an einen Ort habe fliehen müssen, „da er alles ohne Gefahr schreiben dürfe, was er dencke“.119 Die Reaktion der Göttingischen Anzeigen demonstriert somit in anschaulicher Weise den moderat vermittelnden theologischen Charakter der Göttinger Theologie und die hohe Wertschätzung individueller theologischer Urteilsbildung. Im Kontrast zur anfänglich scharfen Verurteilung de Prades’ sticht umso deutlicher hervor, wie eine traditionell fundamentale dogmatische Annahme wie diejenige der Zuverlässigkeit der biblischen Chronologie sich zugunsten der Freiheit des individuellen dogmatischen Urteils verschiebt. Göttingische Anzeigen 1753 (39. St.), S. 355–356. A. a. O., S. 357. 119 Ebd. 117 118
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3.3 Die Wahrnehmung in theologischen Zeitschriften Um die Besonderheit der aufklärerischen Funktion der gelehrten Journale im Vermittlungsprozess der Debatte um de Prades genauer zu verstehen, bedarf es zugleich eines Blickes auf die Reaktionen in den theologischen Journalen, die ebenfalls über die Vorgänge berichteten. Als Ausdruck eines spezifisch konfessionellen Problems des übermäßigen kirchlichen Zugriffs auf staatliche Einrichtungen – hier vonseiten der Jesuiten auf das französische Parlament – betrachten die Neuen Beyträge von alten und neuen theologischen Sachen den Fall in Paris.120 Dieses Nachfolgeorgan der konfessionell lutherisch ausgerichteten Unschuldigen Nachrichten Valentin Ernst Löschers fällte über de Prades’ religionsphilosophische Thesen das Urteil, lediglich wissenschaftliche Paradoxien zu liefern. Eine der ausführlichsten theologischen Erörterungen fand die Debatte in den von Siegmund Jakob Baumgarten herausgegebenen Nachrichten von merk‑ würdigen Büchern in Halle. Dessen Darstellungen sind für das Verständnis der weiteren Entwicklung der protestantischen Theologie in Deutschland insofern von besonderem Interesse, als Halle zu jenem Zeitpunkt als eines der Zentren der deutschen Aufklärungstheologie galt und Baumgartens theologisches Wirken eine ganze Generation von Theologen und zahlreichen weiteren einflussreichen Persönlichkeiten prägte. Weit über die unmittelbare Leserschaft hinaus erreichte sein Urteil ein theologisch gelehrtes Publikum. So orientierte sich beispielsweise auch Friedrich Wilhelm Krafts Neue theologische Bibliothek aus Leipzig maßgeblich an dessen Nachrichten und verwies im Fall de Prades lediglich auf deren Einschätzung.121 Zugleich zeigt sich daran, wie mit Baumgarten die zentrale Figur des theologischen Übergangs zur historisch-kritischen Bibelauslegung die Entwicklung einer inzwischen europaweiten gelehrten Auseinandersetzung um die Historizität der Bibel wahrnahm. Erste Erwähnung fanden de Prades’ Thesen hier erst im Januar 1753 unter direktem Hinweis auf dessen Apologie. Dies lässt darauf schließen, dass die Debatte für Baumgarten erst seit deren Veröffentlichung bekannt bzw. relevant geworden war. Eigentümlicherweise blieb die Wahrnehmung der Thesen in den Nach‑ richten auch nach Erscheinen der Apologie de Prades gegenüber äußerst kritisch. Dies unterscheidet sie deutlich von den meisten gelehrten Journalen, die nach der Veröffentlichung der Apologie in die Empörung über die ihres Erachtens ungerechte Verurteilung ihres Verfassers einhellig einstimmten. Wurde dessen mitunter schroffe konfessionelle Polemik gegen die Protestanten in den gelehrten Journalen entweder als Randphänomen oder als Ausdruck mangelnden theologischen Horizonts betrachtet, so sorgte sie bei Baumgarten Vgl. Neue Beyträge, von alten und neuen theologischen Sachen 1753 (6. St.), S. 804–806. Vgl. z. B. Neue Theologische Bibliothek 1755 (96. St.), S. 563–564.
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für massive Kritik an der Haltung de Prades’. Insbesondere der Vorwurf, der Protestantismus begünstige durch seine Toleranz die religiöse Gleichgültigkeit und fördere gar die Verbreitung des Atheismus, während de Prades selbst das protestantische Ausland als Exil wählte, trug für die Nachrichten wesentlich zu dessen Unglaubwürdigkeit bei.122 Vorgeworfen werden diesem ferner ein Hang zur Selbstdarstellung, dem gegenüber an vielen Stellen ein inhaltliches und sprachliches Unvermögen stehe, ebenso wie eine grundlegende Unkenntnis der Hintergründe des Streites um die mosaische Zeitrechnung.123 Die Kritik an de Prades bedient sich hierbei des Nachweises zahlreicher fehlerhafter Übersetzungen und Fakten. Damit bezweifelt sie seine Wissenschaftlichkeit und stellt die Legitimität seiner Thesen infrage. Zugleich werden seine Thesen in besonderer Weise als Ausdruck einer konfessionellen anstelle einer philosophischen Auseinandersetzung betrachtet. Trotz des Vorwurfs wissenschaftlicher Schwäche seiner Thesen verdeutlicht die scharfe Schlussbemerkung der Rezension, wie ernst Baumgartens Nachrichten den theologischen Anspruch einer großangelegten Apologie der römischen Kirche in den Thesen de Prades’ nahmen. Mehr noch: Einige seiner Thesen mussten daher für einen frontalen Angriff auf den Protestantismus gehalten werden. Es mag nun des Verfassers Absicht und Gesinnung gegen die christliche Religion gewesen seyn, welche sie wolle; so würde dieselbe an ihm in Absicht der Gelersamkeit und Scharfsinnigkeit keinen gefärlichern Widersacher haben, als die Protestanten Ursach finden, den harten Angrif (…) für fürchterlich zu halten.124
Bereits in der folgenden Ausgabe im Februar 1753 erschien ein ausführlicher Bericht über die Apologie de Prades’. Während sich die übrigen Journale in erster Linie deren erstem Teil mit seinen satirischen Darstellungen der Verurteilung de Prades’ gewidmet hatten, so hielt man die Bedeutung und Zuverlässigkeit der Prozessberichte in den Nachrichten von merkwürdigen Büchern für stark überzeichnet. Die raffinierte publizistische Selbstdarstellung de Prades’ erreichte hierin das Gegenteil ihrer ursprünglichen Intention und ließ daher aufgrund des
122 „Wenigstens wird der Verfasser gedachte Stelle lieber widerrufen (…). Ergo Paganismi tolerantismus suam arguit falsitatem, ergo Protestantium tolerantismus a religione christiana abducendo inflectit ad Paganismum, weil er sonst zur Toleranz der Protestanten seine Zuflucht nicht würde genommen (…). Welche Intoleranz der römischen Kirche der ganzen Christenheit nicht zugeschrieben werden darf, so wenig als der Protestanten rechtmäßige Toleranz mit einer Gleichgültigkeit gegen Warheit und Irtum zu verwechseln ist“ (Nachrichten von merkwürdigen Büchern 1753 [3. Bd., 13. St.], S. 79–80). 123 „Allem Ansehen nach ist dem Verfasser die eigentliche Bewandnis dieses chronologischen Streits nicht recht bekant gewesen, wie die eben daselbst geschehene Berufung auf die chinesischen Jahrbücher und der neuern Schriftsteller astronomische Rechnungen deutlich erweiset“ (a. a. O., S. 82). 124 A. a. O., S. 83.
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unglaubwürdigen historischen Vorberichts dessen gesamte apologetische Aufrichtigkeit von Beginn an zweifelhaft erscheinen.125 Aus Sicht der Nachrichten von merkwürdigen Büchern versuchte de Prades mithilfe der Apologie in ähnlicher Weise wie seine Kontrahenten an der Sorbonne die Leserschaft durch unwissenschaftliche Argumente und populistische Beeinflussungen auf seine Seite zu ziehen.126 Dessen wechselhaftes Verhalten in der Affäre, sein angebliches Angebot eines Widerrufs sowie sein Bruch der zuvor ausführlich beschworenen Papsttreue, seine Kritik an den Jansenisten bei gleichzeitiger Orientierung an deren Idealen,127 all das untermauere nur seine „1) Wenn gleich alles seine völlige Richtigkeit haben solte, was alhier gemeldet wird, so unwarscheinlich es auch zum Theil aussiehet; daß nicht nur die Jesuiten die eigentlichen Urheber der ganzen wider den Verfasser erregten Verfolgung gewesen, von welchen sich die Sorbonne und das Parlement zu Werkzeugen der Ungerechtigkeit misbrauchen lassen, so unordentlich, übereilt und unverantwortlich zu verfaren, als diese Erzälung vorgiebet; sondern auch die Hauptpersonen bey diesem Handel wirklich so ungereimt und widersprechend geredet und gehandelt, als ihre Reden und Handlungen hier erzälet und gedeutet werden: so würde daraus im geringsten nicht folgen, weder daß die bestrittenen und verurtheilten Sätze richtig, unschuldig und unschädlich seyn, noch auch daß die ganze Dissertation untadelhaft sey, wenigstens keinen Verdacht der christlichen Religion gefärlicher und nachtheiliger Irtümer erwecken könne. Da es nicht an häufigen Beispielen felet, daß eine gute Sache auch übel gefüret und Irtümer unregelmäßig bestritten und verurtheilet worden: so komt es bey der öffentlichen Rechtfertigung und Vertheidigung bestrittener Sätze und verurtheilter Schriften, auf die Richtigkeit, Erweislichkeit und Stärke der Gründe an, durch deren Ueberlegenheit und Unbeantwortlichkeit nicht nur unparteiische Leser, sondern auch eigentliche Gegner weit leichter von der Unrichtigkeit und dem Ungrunde der Verurtheilungen überzeuget werden, als durch persönliche Anzüglichkeiten“ (Nachrichten von merkwürdigen Büchern 1753 [3. Bd., 14. St.], S. 160–161). 126 „2) Da unparteiische Leser in dieser ganzen Erzälung die Verurtheilung der Person des Verfassers und seiner Absichten, ohne ihn deshalb zu hören, oder sich mit der Verurtheilung seiner Sätze zu begnügen, unstreitig als die gröste Unbilligkeit ansehen müssen, die ihm begegnet: so möchte es wol nicht ohne Grund manchen eben so unverantwortlich vorkommen, daß der Verfasser dieser Erzälung Lesern zumuten wil, wider seine Gegner gleiche Unbilligkeit zu begehen; ohnerachtet die Richtigkeit oder Unrichtigkeit ihrer gefälten Urtheile ohne Verurtheilung ihrer Urheber erörtert und entschieden werden kan, so wenigstens davon nicht dergestalt abhänget, daß der Anfang der ganzen Vertheidigung damit gemacht werden müste, um Leser durch den blossen Vorbericht gleich mit Vorurtheilen einzunemen, und zur Parteilichkeit zu bringen. Welche Unverantwortlichkeit dadurch nicht wenig vermehret wird, daß der Verfasser weder in den Schranken einer Klage oder blossen Erzälung erlittenen Unrechts geblieben, die von harten Beschuldigungen und Verurtheilungen weit entfernet ist, und nicht nur derselben nicht bedarf, sondern auch dadurch entkräftet wird; indem sie den unausbleiblichen Verdacht einer Rachbegierde und ausschweifenden Leidenschaft erwecket: noch auch die Bescheidenheit und Dankbarkeit beobachtet, die er seinen gewesenen Lehrern und, selbst bey diesem Verfaren gegen ihn, gehabten Vertheidigern schuldig gewesen. 3) Die entscheidende Art, mit welcher der Verfasser von allen Theilen der Gelehrsamkeit sowol als von allen seinen Gegnern schreibet, verletzet nicht nur den Wohlstand, den er wenigstens gegen unparteiische Leser hätte beobachten sollen, die einem angehenden Schriftsteller dergleichen Aussprüche und Urtheile unmöglich zu gute halten können, wodurch der grösten Gelehrten Schriften unerträglich werden müssen, sondern macht auch die Fähigkeit und Einsicht oder Aufrichtigkeit desselben verdächtig“ (Nachrichten von merkwürdigen Büchern 1753 [3. Bd., 14. St.], S. 161–162). 127 Die scharfe Kritik an Jansenisten, wie sie im dritten Teil der Apologie zum Ausdruck kam, wurde aufgrund ihrer „unverantwortlichen Hitze und Spötterey“ (a. a. O., S. 163) angeprangert 125
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Unglaubwürdigkeit. In einer detaillierten Prüfung der vorgetragenen Argumente legten die Nachrichten dar, warum die meisten der Vorwürfe gegen de Prades’ Thesen keineswegs unbegründet seien. Immer wieder kommt die Rezension dabei auf das Problem der Legitimation der Heiligen Schrift zu sprechen, welche durch de Prades’ Argumentation grundlegend infrage gestellt worden sei. Er habe seine Thesen zu Mose in weiten Teilen William Warburtons The Divine Legation of Moses (1737) entnommen und dessen falsche Ansichten durch seine eigene „Entkräftung des Beweises der Götlichkeit einer Lehre aus Wunderwerken gefärlicher und unverantwortlicher gemacht“.128 In ihrer Einschätzung der Gefährlichkeit der Thesen de Prades’ gehen die Nachrichten über die Einschätzung der Göttingischen Anzeigen, die dessen historischen Skeptizismus gegenüber der alttestamentlichen Chronologie lediglich als apologetische Zugeständnisse betrachteten, weit hinaus. In Verbindung mit dessen Abfassung des Artikels „Certitude“ bezweifeln sie generell, dass er aufgrund seiner erkenntnistheoretischen Prinzipien die Gewissheit der Heiligen Schrift überhaupt glaubhaft fundieren könne.129 Am gravierendsten für die Legitimation des Heiligen Schrift wird seine Bestreitung der Wahrheit der Chronologie der Heiligen Schrift betrachtet. Folglich erfährt die diesbezügliche These die umfangreichste Widerlegung.130 Detailliert überprüft wird seine Argumentation auf ihre logische Stringenz und innere Kongruenz hin. Wie die Nach‑ richten zu zeigen versuchen, geraten dabei de Prades’ dogmatische Aussagen und seine philosophische wie historische Argumentation immer wieder in eklatanten Widerspruch. Eine Widerlegung wird deshalb nicht als erforderlich betrachtet.131 und die „nicht ungegründeten Klagen [sc. der Jansenisten, Anm. des Verf.] über den Verfal der römischen Kirche“ (a. a. O., S. 173) vom Rezensenten bestätigt. Kritik erfährt auch deren „Bestreitung der protestantischen Grundsätze, die heilige Schrift für den einigen Bestimmungs‑ und Entscheidungsgrund der Glaubenslehre anzunemen“ (a. a. O., S. 173–174). An dieser Bemerkung kommt deutlich die konfessionelle Positionierung der Rezensenten der Nachrichten von merk‑ würdigen Büchern zum Ausdruck. 128 A. a. O., S. 169. 129 „Der fünfte Abschnit (…) bestehet aus einem Abdruck der dissertation sur la certitude des faits historiques, welche der Verfasser in das Dictionaire encyclopédique verfertiget: die aber im geringsten nicht beweisen kan, daß die verurtheilte Stelle der bestrittenen Disputation keinen Verdacht wider die Untrieglichkeit und Gewisheit der heiligen Schrift und ihrer Geschichte erwecken könne. Alles, was hier vorgetragen worden, ist bey genauer und scharfsinniger Prüfung der Geschichte schon längst beobachtet worden, oder hätte viel richtiger aus einander gesetzet werden können“ (a. a. O., S. 167). 130 „Der sechste Abschnit (…) ist in gewisser massen der gefärlichste, indem der Verfasser darin zu behaupten suchet, daß die Zeitrechnung der heiligen Schrift im Grundtext sowol als allen davon abgehenden Uebersetzungen unrichtig sey“ (a. a. O., S. 167). 131 Begründet wird der Verzicht damit, dass „der Verfasser Dinge behauptet, die sich selbst widerlegen, ohne sich auch nur die geringste Mühe zu geben, sie Lesern begreiflich und scheinbar zu machen, als z. E. daß der hebräische Grundtext der Bücher Mosis, und die samaritanische und griechische Übersetzung desselben (…), trois textes, qui ont une égale autenticité, ausmachen; daß ein Geschichtbuch von untrieglicher Glaubwürdigkeit seyn, und doch unrichtige
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Der Umstand, dass die Nachrichten von merkwürdigen Büchern der Apologie elf Seiten widmeten und damit die Rezensionen aller anderen Journale in ihrer Ausführlichkeit weit übertrafen, weist auf das eminent theologische Interesse an den Thesen de Prades’ hin. Trotz der literarischen Inszenierung des Falles de Prades blieben sie – anders als die meisten anderen Journale – dessen theologischen Thesen gegenüber äußerst kritisch eingestellt. Selbst als sich die öffentliche Wahrnehmung infolge seiner Apologie zu de Prades’ Gunsten zu wandeln begann, blieben Baumgartens Nachrichten und infolgedessen auch Krafts Neue Theologische Bibliothek ihrer kritischen Haltung allen publizistischen Offerten zum Trotz treu. Trat die konfessionelle Polemik als Bewertungskriterium in den gelehrten Journalen im Ganzen stark in den Hintergrund, so reagierten die theologischen Journale erwartungsgemäß sehr sensibel auf diesbezügliche Kritik. Ein Blick auf die einschlägigen Berichte der gelehrten Journale lässt bereits erkennen, dass viele Rezensenten sich über die historisch unterhaltsame Darstellung des Prozesses hinaus inhaltlich kaum mit den Thesen de Prades’ in ihrer theologischen Komplexität und Bedeutung für das biblische Schriftverständnis befassten. Dies lag vermutlich auch daran, dass wohl nur theologisch wie philosophisch umfassend gebildete Rezensenten in der Lage waren, die sich über Hunderte von Seiten erstreckenden Argumentationsgänge unter Verwendung aktuellster französischer Philosophie und Naturgeschichtsforschung nachzuvollziehen und adäquat einzuordnen. Selbst die Göttingischen Anzeigen, die zu de Prades’ Apo‑ logie eine der umfangreichsten und inhaltlich anspruchsvollsten Rezensionen boten, handelten die über 300 Seiten lange Argumentation auf fünf Seiten ab und konzentrierten sich vornehmlich auf philologische Einzelkritik. Betrachtet man schließlich die Tatsache, dass sogar die theologische Kommission der Sorbonne de Prades’ Thesen zunächst umstandslos anerkannt hatte, um sie kurz darauf zu verurteilen, so verwundert die Pluralität der Wahrnehmungen kaum. Welch umfassende Neuausrichtung eine konsequent empirische Begründung der Offenbarung, wie sie de Prades vorgenommen hatte, für die Theologie bedeutete und welche dogmatischen Konsequenzen für das Schriftverständnis hiermit verbunden waren, erkannten in ihrer Schärfe wohl nur die wenigsten Theologen wie Baumgarten, spiegelt sich aber auch, wie Christopher Voigt in seiner Analyse der christlichen Apologetik zeigt, in der Wahrnehmung von Urban Gottlob Thorschmid wider: Unsere werthen Landsleute von geringem Stande haben ohnedem das Unglück, daß sie durch das Bücherlesen leicht Narren werden: die vielen Sachen verwirren sie; und indem sie niemahls die Beantwortung eines Zweifels völlig einsehen können, so geraten sie auf neue Zweifel. Der Bürger thäte daher sehr löblich, wenn er (…) bey seiner Bibel und
Bestimmungen der Zeit enthalten solle, aus deren genauen Samlung eine erweislich falsche Zeitrechnung herauskomme“ (a. a. O., S. 167–168).
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Gesangbuche lediglich bliebe: weil er sich durch Streitschriften und subtile Fragen und Antworten nur den Kopf verwirret.132
Der Gelehrtenwelt aber, die den dogmatischen und historischen Ausführungen nicht im Detail folgen konnte, blieben wohl vor allem die skandalösen Umstände des Pariser Prozesses im Gedächtnis. Vielfach dienten sie ihnen als Beispiel dogmatischer Engstirnigkeit sowie religiöser Intoleranz im katholischen Frankreich, vor dessen Hintergrund man das protestantische Deutschland, und hierin insbesondere Preußen als Freiraum aufgeklärter Denk‑ und Meinungsfreiheit, feiern konnte. Insbesondere Voltaire war es, der durch seine publizistische Inszenierung gerade hier sein erklärtes Ziel der Beeinflussung der öffentlichen Meinung weithin erreicht hatte, während die Bedeutung der öffentlichen Urteilsbildung der theologischen Gelehrten dahinter zurücktrat.133
4. Folgen: Empirische Methoden und umstrittene Freiheit der akademischen Bibelkritik Die Kontroverse um de Prades fand sowohl in der französischen als auch in der englischen wie in der deutschen Gelehrtenwelt reichlich Widerhall. Dies kann nur durch das besondere Zusammenspiel inhaltlicher wie struktureller Faktoren erklärt werden. Wesentlichen Anteil an der Entstehung wie der Verbreitung dieser Debatte hatte der Umstand, dass sie in unmittelbarem Zusammenhang mit der Veröffentlichung der Encyclopédie, des wohl prestigeträchtigsten Publikationsprojekts der europäischen Aufklärung, stand. Eine paradigmatische Ausstrahlung des Werkes erhofften seine Herausgeber – und fürchteten seine Kritiker. All dies führte dazu, dass sich innerhalb weniger Wochen so bedeutende intellektuelle Größen wie Voltaire und Diderot bis hin zum preußischen König Friedrich II. und sogar Papst Benedikt XIV. mit dem Fall de Prades beschäftigten. Die Heftigkeit, mit welcher dessen Thesen bekämpft wurden, resultierte demnach aus dem Zusammenspiel politischer und kirchlicher Interessen. Zu ihnen trug maßgeblich der seit Beginn des 18. Jahrhunderts dauernde Konflikt zwischen Jesuiten und Jansenisten in Frankreich bei. Infolgedessen hatte sich dort in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine innertheologische Streitkultur entwickelt, die durch den intensiven Einsatz publizistischer Mittel von beiden Seiten kontinuierlich befeuert wurde. Die auch staatlicherseits geförderte Unterdrückung des mit 132 Thorschmid, Critische Lebensgeschichte Anton Collins, des ersten Freydenkers in Engelland, S. 43. Vgl. Voigt, Freigeistiges Publikum und protestantische Apologetik im 18. Jahrhundert, S. 169. 133 Zur Bedeutung des Falls de Prades in der Auseinandersetzung zwischen Jesuiten und Jansenisten vgl. auch Cottret, Jansénisme et lumières, S. 72–75.
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IV. Die Debatte um Jean-Martin de Prades
der politischen Opposition verbundenen Jansenismus hatte als Gegenreaktion ein hoch entwickeltes System klandestiner Publikations‑ und Lesekulturen entstehen lassen. Trotz der scharfen kirchlichen und königlichen Zensur durch anonyme Veröffentlichungen oder die Verlagerung von Druckorten ins liberale Holland hatten sich dauerhafte Strukturen zur Kommunikation verbotenen Gedankenguts entwickelt. Die Etablierung jener Strukturen bildete eine wesentliche Voraussetzung für die erfolgreiche Verbreitung der radikalen Aufklärung seit der Mitte des 18. Jahrhunderts. Ihre Vordenker wussten Wege, die restriktiven Zensurmaßnahmen effektiv zu umgehen. Die massive Einschränkung der öffentlichen theologischen Debattenkultur, bei der der einflussreiche Jesuitenorden mit seiner politischen wie publizistischen Agitation eine wesentliche Rolle spielte, führte auf beiden Seiten zu einer Radikalisierung der Positionen. Wie jedoch die Thesen de Prades’ zeigen, lassen sich zugleich auch unter den Jesuiten durchaus Beispiele eines Adaptionsprozesses aufklärerischer Ideen finden. Dies belegen weiter beispielsweise die Schriften des Gründers und Herausgebers des Journal de Trévoux, René-Joseph Tournemines (1661–1739). Unter Rückbezug auf Nicolas Malebranches (1638–1715) Okkasionalismus und Lockes Sensualismus versuchte er die Immaterialität der Seele gegen die ersten Ansätze von deren neurophysiologischer Erklärung zu verteidigen.134 Daneben basierte der Versuch der jesuitischen Synthese, welche auch für de Prades’ Theorie grundlegend werden sollte, auf der Adaption von Lockes Erkenntnistheorie des „universal consent“. Auf deren Grundlage veränderte sich die zentrale theologische Fragestellung dahin gehend, dass die christliche Offenbarung die allgemeinen Kriterien empirisch- historischer Gewissheit erfüllten musste, um ebendiesen „universal consent“ zu erreichen.135 Nicht zufällig übernahm de Prades daher die Verfasserschaft des Artikels „Certitude“ der Encyclopédie. Und so spiegeln seine Dissertation und seine Apologie das intensive Ringen um die zentrale Frage der historischen Verifikation der biblischen Offenbarung in der Mitte des 18. Jahrhunderts wider. Die ausführliche Rechtfertigung de Prades’ in seiner Dissertation gegenüber dem umfassenden naturwissenschaftlichen Welterklärungsanspruch der jüngst erschienenen, allseits bewunderten L’histoire naturelle von Buffon, die sich in vielen Punkten mit der biblischen Erdbeschreibung als nicht mehr vermittelbar erwies, macht deutlich, dass die naturwissenschaftliche Analyse die Theologie im akademischen Gelehrtendiskurs bereits massiv in die Defensive gedrängt hatte. Wie der Verlauf des Falls de Prades zeigt, entfalteten die Vermittlungsversuche aufseiten der radikalen Aufklärer, die den innertheologischen Rahmen der Diskussion bereits längst überschritten hatten, keine überzeugende Integrationskraft mehr. Gleichzeitig verdeutlicht die scharfe Verurteilung der Sorbonne, dass de Prades’ Versuch kirchlicherseits bereits als eine religionsgefährdende Synthese Vgl. Burson, The rise and fall of theological enlightenment, S. 38–54. Vgl. a. a. O., S. 53.
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theologischer und philosophischer Gedanken betrachtet wurde. In der konsequenten Anwendung des Kriteriums empirisch verifizierbarer Historizität auf den Wahrheitsbeweis der biblischen Offenbarung hatte de Prades in ihren Augen bereits den Boden des christlichen Bekenntnisses verlassen. Dass der Versuch der Integration aufklärerischer Ideen schließlich scheiterte, liegt zudem wesentlich in den strukturellen Bedingungen begründet, die sowohl die Kirche als auch die Gesellschaft in Paris um 1750 bestimmten. Die von den Jesuiten aus theologischen wie publizistisch-ökonomischen Interessen beschworene Gefahr, die die Veröffentlichung der Encyclopédie aus ihrer Sicht darstellte, bot im Fall de Prades die Gelegenheit, der bis dato herrschenden theologischen Interpretationsfreiheit klare Grenzen zu setzen und die wirksame Anwendung kirchlich machtpolitischer Instrumentarien im Kampf gegen politische und kirchliche Gegner zu demonstrieren. Das geschlossene Vorgehen der Sorbonne, gefolgt von den Verurteilungen aller entscheidenden geistlichen und weltlichen Instanzen bis hin zum französischen König und zum römischen Papst, deuten an, wie eng begrenzt die Möglichkeiten der öffentlichen Meinungsentfaltung in Frankreich faktisch waren und wie rasch wirksame Repressionsmittel mithilfe des Zentralismus von Staat und Kirche umgesetzt werden konnten. Die Schärfe der Reaktion weist allerdings gleichzeitig darauf hin, für wie gefährdet man den Konsens aufgrund der Entwicklung einer wachsenden kritischen Gelehrtenwelt hielt, die sich seit Mitte der 1740er-Jahre in Paris zu etablieren begonnen hatte. Mit der Affäre um de Prades hatte dieser Konsens seine Grenzen überschritten bzw. diese überhaupt erst definieren lassen. Mit Paris hatte der Eklat das geistige Zentrum radikaler Aufklärungsideen erfasst. Spannungsvoll schaute auf ihn die gesamte europäische Gelehrtenwelt. Neben den in den Fall involvierten Namen der berühmten Enzyklopädisten bot er Grund genug, sich in ganz Europa für den Prozess de Prades’ zu interessieren. Über territoriale und sprachliche Grenzen hinweg verlief die rasche Kommunikation des Falls dank des Mediums der Zeitschrift. In Kombination mit der gezielten publizistischen Inszenierung des Prozesses beeinflusste es dessen Rezeption maßgeblich.136 Ermöglicht wurde das persönliche wie literarische Überleben 136 „Die historische Bedeutung der letztlich immer recht kleinen jansenistischen Partei in Frankreich liegt vor allem anderen in ihrer unverhältnismäßig großen publizistischen Aktivität. Der Widerstand gegen die Bulle Unigenitus, der Heiligenkult um François de Pâris und später die proparlamentarische Publizistik wurden mit Hilfe einer für diese Zeit außergewöhnlichen Propagandamaschinerie organisiert“ (Vogel, Der Untergang der Gesellschaft Jesu als europäisches Medienereignis [1758–1773], S. 37). Auf die zunehmende Bedeutung der Satire macht Sylvia Heudecker in ihrer Untersuchung zur Entwicklung der Literaturkritik im 18. Jahrhundert aufmerksam: „Für den wirkungsorientierten, ästhetisch anspruchsvollen Literaturkritiker bedeuten Dialog, Apologie und Satire gewiss die größere literarische Herausforderung als etwa die Rezension. Das literaturkritische Innovationspotential und die Möglichkeiten zur kritischen Meinungsäußerung liegen dort ungleich höher. So kann er nicht nur auf variationsreiche Art versuchen, auf Dichter und das literarische Publikum literaturpolitisch Einfluss auszuüben. Insobesondere die literarischen und rhetorischen Textmodelle geben dem jeweiligen Verfasser die
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IV. Die Debatte um Jean-Martin de Prades
jedoch in erster Linie durch die publizistische Unterstützung exilierter französischer Aufklärer um Friedrich II. in Preußen, der durch ihre Aufnahme und finanzielle Versorgung in zahlreichen Ämtern die weitere Verbreitung ihrer Ideen förderte. Erst von hier aus konnte de Prades mithilfe Voltaires und dessen weitreichenden Verbindungen seine Thesen gegenüber der Sorbonne und dem Papst frei artikulieren und verteidigen. Wie insbesondere die mehrfach erwähnte Satire Le Tombeau de la Sorbonne und der erste Teil der Apologie deutlich machen, spielte die Ausrichtung auf die öffentliche Wahrnehmung in der Abfassung der Verteidigungsschriften eine wesentliche Rolle. Die theologischen Streitpunkte traten dahinter zurück. Die innerhalb kurzer Zeit erfolgte Wandlung der Bewertung des Falles de Prades in den gelehrten Journalen und Zeitschriften lässt einen gewissen Rückschluss darauf zu, inwiefern die publizistische Inszenierung des Skandals die Meinung in der Gelehrtenwelt tatsächlich beeinflusste. Dass die Verurteilung de Prades’ in Deutschland zunächst durchgehend begrüßt wurde, lässt sich zum einen mit der fehlenden Verteidigungsmöglichkeit de Prades’ begründen. Das rigide Zensursystem in Frankreich ließ sie durch die Verbrennung seiner Schrift sowie dessen Verbannung nicht zu. Der breite Konsens gegenüber de Prades’ Verurteilung lag jedoch ebenso maßgeblich in der inhaltlichen Zustimmung der Journale begründet, die dessen Thesen als Angriff auf die Grundlagen der christlichen Religion überhaupt wahrnahmen. So lässt sich zu jenem Zeitpunkt in den Rezensionen der deutschsprachigen gelehrten Journale eine allgemeine Skepsis gegenüber religionskritischen Publikationen konstatieren. Deren rasche Verbreitung in Frankreich wurde mit Sorge betrachtet und als Gefahr für Kirche und Gesellschaft wahrgenommen. Bestimmte theologische Grundannahmen bildeten somit auch in den gelehrten Journalen, die sich in ihrem Selbstverständnis als zentrale Medien der Aufklärung verstanden, einen nicht weiter zu relativierenden Beurteilungsmaßstab. Weniger die abergläubische Wunderkritik oder der Vorwurf der Materialität der Seele als vielmehr die Angriffe auf die Historizität der Offenbarung und die Wahrheit der Heiligen Schrift wurden in Deutschland auch von den Rezensenten der nichttheologischen Journale als Bedrohung der Grundlagen der Religion vehement kritisiert. Die Tatsache, dass sich die Wahrnehmung des Falles mit Erscheinen der Apo‑ logie im protestantischen Deutschland ausdifferenzierte, vermittelt einen Eindruck von der Diskussionslage um die Heilige Schrift am Beginn der 1750er-Jahre und zeigt den wesentlichen Beitrag der gelehrten Journale als einflussreicher öffentlicher Kommunikationsform. Bereits der Sachverhalt, dass die Debatte erst durch die Verteidigungsschriften weite Beachtung fand, zeugt davon, dass nicht bei allen die Thesen de Prades’ auf Widerspruch stießen, sondern erst der damit Möglichkeit, sich als Literaturkritiker zu profilieren“ (Heudecker, Modelle literaturkritischen Schreibens, S. 395).
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verbundene Justizskandal. In fast allen gelehrten Journalen lässt sich – wie in den Göttingischen Anzeigen – eine Konzentration auf die Kritik und den Spott über die empörenden Umstände des Verfahrens feststellen. Die Rezensenten schlugen sich damit dezidiert auf die Seite des zu Unrecht verfolgten Aufklärers und solidarisierten sich so mit dem Kreis der nach Preußen geflohenen Intellektuellen. De Prades’ offene Polemik gegenüber dem Protestantismus bedeutete hier keine unmittelbare Beeinträchtigung der Wahrnehmung seiner Person. Dennoch blieb der Konfessionsunterschied insofern präsent, als einige seiner Thesen als durch den französischen Katholizismus bedingte Positionen für entschuldbar gehalten wurden, die für einen aufgeklärten Protestanten jedoch als unwesentlich und leicht identifizierbar galten. In diesem Sinne wurde in den meisten deutschen gelehrten Zeitschriften die Aufnahme de Prades’ durch Friedrich II. ausdrücklich begrüßt. Sie verstärkte auch das Gefühl der überlegenen protestantischen Toleranz. In Bezug auf seinen Angriff auf die biblische Chronologie bedeutet dies zwar keinen Verzicht auf deren Verteidigung, seine Kritik wurde hierbei jedoch – anders als durch die Sorbonne oder die theologischen Journale – nicht als fundamentale Bedrohung für die Religion wahrgenommen. In den meisten gelehrten Journalen schlug die publizistisch wirksame Darstellung der Verurteilung de Prades’ – als Ausdruck der skandalösen Repression der französischen Kirche – zu seinen Gunsten um. Dagegen hielten die theologischen Journale an ihrer grundlegenden Skepsis ihm gegenüber fest. Nicht zuletzt aufgrund seiner antiprotestantischen Polemik betrachteten sie seine Thesen als fundamentalen Angriff auf die Historizität der Offenbarung, die im Rahmen der hermeneutischen Zentralstellung der Bibel im Protestantismus der detaillierten Widerlegung bedurfte. Die meisten gelehrten Journale verzichteten im Folgenden nicht auf kritische Anmerkungen gegenüber de Prades, wobei die Empörung über den restriktiven Umgang mit dessen Thesen überwog und selbst dessen Skeptizismus bezüglich der biblischen Chronologie in den Hintergrund treten ließ. Die Chronologie der Heiligen Schrift musste sich im Austausch religionsgeschichtlicher Argumente bewähren, stand somit bewusst zur kritischen Disposition. Die Verteidigung der Freiheit der religiösen Meinungsäußerung sowie der Respekt gegenüber andersartigen theologischen Positionen legitimierten die Veröffentlichung selbst bis dahin als religionsgefährdend eingestufter Thesen. Da zentralistische kirchenrechtliche Institutionen im territorial und konfessionell diversifizierten deutschsprachigen Raum fehlten, oblag die Bestimmung der zu akzeptierenden dogmatischen Freiheit in weit höherem Maße dem Urteil der Gelehrtenwelt. Viele der führenden Köpfe waren, wie ein Blick auf die Rezensenten der Göttingischen Anzeigen belegt, sowohl durch eine umfangreiche theologische Bildung als auch konfessionelle Bindung geprägt.137 137 Anne Saada weist in ihrer Untersuchung zur Rezeption Diderots in Deutschland darauf hin, dass sich in Deutschland nicht nur die Theologen, sondern alle Universitätsangehörigen
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IV. Die Debatte um Jean-Martin de Prades
In der Reaktion auf de Prades’ Thesen trat eine den theologischen wie gelehrten Journalen gemeinsame Haltung zum Vorschein, die davon ausging, dass sich mithilfe umfassender argumentativer Aufklärung über den Streitpunkt die Erkenntnis der Wahrheit am Ende bei den Lesern durchsetzen werde. So wird de Prades’ schwerwiegender Irrtum der Preisgabe des Anspruchs einer historisch verifizierbaren biblischen Chronologie letztlich als wissenschaftlicher Fehlschluss interpretiert, den es durch gesteigerte historische Bildung, philologische Kenntnisse oder korrekte logische Deduktion zu widerlegen gelte. Der Umgang mit den Thesen de Prades’ in den Göttingischen Anzeigen wie den Nachrichten von merkwürdigen Büchern erweist sich insofern als besonders interessant, als beide Journale aus theologischen Gründen einerseits de Prades’ Festhalten an der Historizität bestimmter Aussagen kritisieren, auf der anderen Seite die philologische Auflösung einer historisch verifizierbaren Chronologie in keiner Weise zugestehen können. Hierin offenbart sich die Spannung, in die die Stellung der Heiligen Schrift und damit auch der wissenschaftliche Anspruch der Theologie zunehmend gerieten. Der umfassende naturwissenschaftliche Erklärungsanspruch und die allgemeine, empirische Wissenschaftsfundierung zwangen die Theologen dazu, entweder den Wahrheitsanspruch der Offenbarung durch die historisch-empirische Verifikation aller biblischen Berichte zu legitimieren oder aber den entstehenden Widersprüchen durch mögliche philologische Modifikationen bzw. allegorische Interpretationen der biblischen Texte zu entgehen. Beides hatte zur Folge, dass sie entweder auf die wissenschaftliche Plausibilität des historischen Weissagungsbeweises oder auf den Anspruch einer allgemein verbindlichen biblischen Chronologie verzichten mussten. Die Debatte um de Prades und der Prozess ihrer Rezeption bieten ein anschauliches Beispiel für die Suche nach einer adäquaten Neubestimmung in dieser zentralen theologischen Frage im europäischen Gelehrtendiskurs Mitte des 18. Jahrhunderts.
verpflichtet sahen, die Dogmen bzw. kirchlichen Bekenntnisse zu verteidigen. Die traditionelle Form hierbei war die Gegenschrift, welche im 18. Jahrhundert vielfach durch vernichtende Rezensionen ersetzt wurde (vgl. Saada, Der doppelte Diderot, S. 180; vgl. hierzu auch Gierl, Pietismus und Aufklärung, S. 395–413).
Kapitel V
Die Debatte um Henry St. John Bolingbrokeund die Popularisierung der deistischen Bibelkritik (1753–1758) 1. Bolingbroke und der englische Deismus Fragt man nach dem Einfluss des englischen Deismus auf die Entwicklung der historischen Bibelexegese in Deutschland, so wurde in der deutschen Theologiegeschichte der von England ausgehenden Religionskritik traditionell eine maßgebliche Impulsfunktion zugeschrieben.1 Dagegen hat die umfangreichste Studie zur Rezeption des englischen Deismus in Deutschland von Christopher Voigt anhand der Untersuchung der Rezeption englisch-deistischer Werke in deutschen gelehrten Zeitschriften aufzuzeigen beansprucht, dass ein unmittelbarer Einfluss des Deismus auf die deutsche Theologie kaum nachzuweisen sei.2 Unumstritten ist wohl, dass die Werke englischer Deisten bis Mitte des 18. Jahrhunderts in Deutschland vornehmlich antideistisch apologetische Reaktionsmuster hervorgerufen haben und in jenem Zeitraum öffentlich kaum 1 Vgl. Lechler, Geschichte des englischen Deismus, S. 451–452; Tholuck, Abriß einer Geschichte der Umwälzung, S. 24–32; Troeltsch, Der Deismus; Aner, Die Theologie der Lessingzeit, S. 27–32; Hirsch, Geschichte der neuern evangelischen Theologie, Bd. 1, S. 292– 393. Vgl. zur Debatte um die Rezeptionsgeschichte des englischen Deismus die ausführlichen Literaturangaben der aktuellsten und umfassendsten Untersuchung zum Einfluss des englischen Deismus auf Deutschland von Voigt, Der englische Deismus in Deutschland, S. 3–15. 2 „In Diskussionen, die für die Entstehung der deutschen philosophischen und theologischen Aufklärungskultur zentral waren, war die englisch-deistische Literatur präsent. Und sie war in diesen Diskussionen wirkungslos. Soweit Begründungsleistungen überhaupt in den Blick kamen, hat man sie sich nicht angeeignet. Als produktiv erwiesen sich dagegen die Diskussionen mit den Widerlegungsschriften. In deren Kritik, bei gleichzeitiger Ablehnung der englischen Deisten, hat man sich in Deutschland positioniert. (…) Es ist allerdings kaum einzusehen, dass einzig und allein der stabile Antideismus für die systematisch-argumentative Folgelosigkeit der englisch-deistischen Literatur in Deutschland verantwortlich sein sollte. Insgesamt reflektierte der Umgang mit den deistischen Argumenten ebenso eine offensichtliche Unattraktivität, die man in Deutschland ihnen gegenüber empfand. Warum allerdings die deistischen Argumente für die deutschen Zeitgenossen unattraktiv waren, darüber haben diese geschwiegen. Es bleibt aber zu bedenken, dass die englischen Deisten ihre Argumente nicht in den fachlichen und akademischen Stil kleideten, der gerade in Deutschland die intellektuelle Szene beherrschte. Vielleicht haben ihre Überlegungen auch deshalb nicht affizierend gewirkt“ (Voigt, Der englische Deismus in Deutschland, S. 212–213). Meines Erachtens liefert Voigt hier einen wesentlichen Hinweis: Der Wandel des intellektuellen Kommunikationsstils war als Rezeptionsvoraussetzung konstitutiv für die Übernahme der Ideen und Werke englischer Deisten.
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V. Die Debatte um Henry St. John Bolingbroke
positiv rezipiert worden sind.3 Voigt weist meines Erachtens vollkommen zu Recht darauf hin, dass die fehlende Rezeption des englischen Deismus wesentlich mit den unterschiedlichen Kommunikationsstilen theologischer Debatten in England und Deutschland bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts zusammenhängen dürfte. Dabei bleibt zu bedenken, dass die öffentlich gelehrte Rezeption des Deismus in Monographien, Apologien oder Rezensionen vor 1750 keineswegs den einzigen Rezeptionskanal darstellte. Dies verdeutlichen neben anderen die Beispiele Georg Schades (1712–1791), Johann Lorenz Schmidts oder Hermann Samuel Reimarus’, dessen deistisch beeinflusste und später von Lessing edierte Fragmente bereits seit 1735 verfasst worden waren.4 Nicht unberechtigt bleibt al3 Dass der englische Deismus in Deutschland erst nach 1740 eine positive Rezeption erfuhr, hat bereits Gotthard Victor Lechler 1841 vermerkt (vgl. Lechler, Geschichte des englischen Deismus, S. 447). Bei Christopher Voigt bilden die Jahre 1750 bis 1760 den Abschluss der Untersuchungen (S. 15). Die weitreichende Rezeption Bolingbrokes kann allerdings meines Erachtens zeigen, dass die deutsche Gebildetenwelt nicht unmittelbar, sondern erst durch die Popularisierung und deutschsprachige Vermittlung der englischen Literatur auf sie aufmerksam wurde. Umfassende zeitgenössische Auseinandersetzungen mit dem Deismus bieten unter anderem Christoph Matthäus Pfaff, Academische Reden über den Entwurff der Theologiae Anti- Deisticae, da die Einwürffe der unglaubigen Geister wider die Christliche Offenbarung entwickelt werden (1759); Urban Gottlob Thorschmid, Versuch einer vollständigen Engelländischen Freydenker-Bibliothek, in welcher alle Schriften der berühmtesten Freydenker nach ihrem Inhalt und Absicht, nebst den Schutzschriften für die Christliche Religion aufgestellet werden (4 Teile, 1765–1767); Gottfried Less, Beweiß der Wahrheit der christlichen Religion (1768). Damit bestätigt sich meines Erachtens, dass in Deutschland erst nach 1750 eine tatsächlich kritische bzw. positive Diskussion des englischen Deismus stattfand (vgl. hierzu Tholucks meines Erachtens unüberholte Beobachtungen in: Tholuck, Abriß einer Geschichte der Umwälzung, S. 25). Selbst wenn das Erscheinen von Kompendien über englische Deisten als Ausdruck einer bereits erfolgten ‚Historisierung‘ des Deismus unter den akademischen Theologen darstellen sollte, deutet die Debatte um Bolingbrokes Letters oder Reimarus’ Fragmente an, dass eine positive Rezeption des Deismus unter einer breiteren Schicht von Gebildeten in Deutschland gerade erst anbrach. Dabei stellte bereits der offene bürgerliche Diskurs über religiöse Themen, wie ihn konsequent erst die Veröffentlichung der Fragmente des Reimarus ermöglichte, den Erfolg eines genuinen Anliegens deistischer Theologie dar: „being the only method to make a Man understand the sublimest of al Sciences, Theology, or the Will of God contain’d in the Holy Scriptures: it must be at least lawful, or a Man’s right, to think freely. IF Men either neglect to think or come once to be persuaded they have no right to think freely, they can not only obtain no Perfection in the Sciences, but must, if they will have any Opinions, run into the grossest Absurdities imaginable both in Principle and Practice“ (Anthony Collins, A discourse of free-thinking [1713], S. 12–13). Wie die Bezugnahmen bei Johann Salomo Semler und Gottfried Less zeigen, zwang erst der offene Diskurs die evangelische Theologie, sich der historischen Kritik insbesondere des Alten Testaments tatsächlich radikal zu stellen. Eine nachhaltige Transformation erfuhr die protestantische Theologie somit erst durch die Adaption der historischen Kritik zum Zwecke der methodisch äquivalenten Widerlegung. 4 Dass die teils hoch differenzierten und philologisch anspruchsvollen apologetischen Schriften der klügsten Köpfe der deutschen akademischen Theologie ein wachsendes theologisches Laienpublikum nicht mehr zu überzeugen vermochten, bestätigt auch Martin Mulsow in seinen Untersuchungen zu Georg Schade in Hamburg: „Die Budde, Mosheim, Löscher, Baumgarten, die in Deutschland unter dem Beifall der Öffentlichkeit die Deisten bekämpften, hatten versucht, Bücher wie Tolands Nazarenus [London 1618] auf deren eigenem Felde zu schlagen und ihre Theorien minutiös zu widerlegen. Diese zweite Reaktion hat offenbar theologische Laien
1. Bolingbroke und der englische Deismus
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lerdings die Anfrage, ob ebenjene Positionen bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts tatsächlich irgendwo über ihren Status einer klandestinen Zirkulation hinaus an Bedeutung gewannen und somit der unmittelbare Einfluss des englischen Deismus in Deutschland letztlich doch begrenzt blieb.5 Ob und wie viele ähnliche solcher oben genannten Fragmente im Untergrund kursierten, ist kaum bekannt, da ihnen, wenn es sie denn gab, das Glück einer Publikation durch einen Multiplikator wie Lessing verwehrt blieb. Dennoch verdeutlicht Lessings Veröffentlichung der Fragmente eines Ungenannten, dass der bereits etablierte ‚Untergrund‘ auf Dauer nicht wirkungslos geblieben ist. So stellt sich die Frage, wann und weshalb die Gedanken jenes ‚Untergrundes‘ zum Gegenstand der öffentlichen Debatte wurden bzw. ein Umschwung in der Bewertung der Rezeption englisch-deistischen Gedankengutes einsetzte. Bereits die Zeitgenossen nahmen wahr, dass mit der Veröffentlichung der Fragmente ein Damm in Bezug auf die Religionsdebatten gebrochen war, der eine bisher unvorstellbare Freiheit der öffentlichen Religionskritik ermöglichte.6 Jenen Damm hatte, wie die Analyse der Rezensionen in den traditionellen gelehrten Zeitschriften verdeutlicht, bis dahin unter anderem die Rezensionshoheit theologischer Gelehrter wirkungsvoll aufrechterhalten. An dieser Stelle kann die folgende Beschäftigung mit der Person Henry St. John Viscount Bolingbrokes (1678–1751) als populärer Vermittlungsfigur deistischen Gedankenguts für ein breiteres, bürgerliches Publikum meines Erachtens exemplarisch den bisher schon dargestellten Zusammenhang zwischen sich verändernden Kommunikationsbedingungen und der Umformung traditioneller Glaubensinhalte veranschaulichen. Ebenjener Damm begann seit etwa 1750 zu brechen. Innerhalb weniger Jahre konnte sich Bolingbrokes deistische Religionskritik unter deutschen Aufklärern geradezu als theologisches Allgemeingut etablieren. In den meisten Darstellungen des Deismus findet sich der Name Boling broke nur selten in einer Reihe mit den Geistesgrößen englischer Freidenker wie Herbert von Cherbury, John Toland oder Matthew Tindal, William Whiston, Thomas Woolston und anderen. Meist als philosophisch wenig innovativ wie Schade etwas ratlos gemacht. Ohne genaue Kenntnisse in griechischer und hebräischer Philologie konnte man diese Antikritik kaum verstehen, geschweige denn dagegen argumentieren“ (Mulsow, Monadenlehre, Hermetik und Deismus, S. 146). 5 Die Frage, ob die Etablierung einer antideistischen Apologetik unter Theologen wie Christian Wolff oder Johann Sigmund Baumgarten nicht bereits eine Neuausrichtung der deutschen Theologen vor 1750 nachhaltig beeinflusst hat, kann an dieser Stelle nicht eingehend erörtert werden (vgl. hierzu Sparn, Religiöse Aufklärung). Zum theologischen Einfluss Englands auf Halle und Francke vgl. unter anderem die Beiträge in: Zaunstöck/Gestrich/Müller-Bahlke (Hg.), London und das Hallesche Waisenhaus. 6 Hierauf weist auch Winfried Schröder hin, der mit dem Fragmentenstreit sogar den Anfang vom Ende der „Zeit der Klandestinität“ überhaupt gekommen sieht (W. Schröder, Aus dem Untergrund an die Öffentlichkeit).
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V. Die Debatte um Henry St. John Bolingbroke
und eher im Nachklang des deistischen Wirkens angesiedelt,7 gehörte Bolingbroke doch zu den prominentesten Figuren des politischen Lebens im England der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts.8 Liest man die Werke zeitgenössischer Apologeten, so scheinen er und seine Schriften zu Lebzeiten eine Rezeption erfahren zu haben, die in keinem Verhältnis zu seiner ideengeschichtlichen Bedeutung steht. Dennoch lässt sich Bolingbrokes Impuls im Prozess einer sich von religiösen Prämissen emanzipierenden Geschichtsschreibung im 18. Jahrhundert kaum überschätzen.9 Dabei liegt seine Besonderheit nicht nur in seiner 7 Vgl. bereits Gotthard Victor Lechlers Urteil: „Den Schluss des zweiten Buchs machen wir mit einem Schriftsteller, welcher sich von den bisher dargestellten wesentlich dadurch unterscheidet, dass er sich nicht auf eine spezielle Frage einlässt, überhaupt nicht wissenschaftlich verfährt, worauf die bisherigen wenigstens Anspruch machten, sondern nur die hohe Welt vertritt mit den Gesinnungen und Denkweisen, die sich aus den wissenschaftlichen Verhandlungen als Resultat absetzten, wir meinen BOLINGBROKE. Die Toland, Collins, Woolston, Tindal, Morgan geben sich mit wissenschaftlichen Erörterungen und Untersuchungen ab. Bolingbroke gehört in die Geschichte des Deismus als Vertreter nicht der wissenschaftlichen Forschung, sondern der allgemeinen Bildung, der leichteren Reflexion. Zwischen Bolingbroke und Chubb findet einige Aehnlichkeit statt: beide stehen ausserhalb der gelehrten Klasse, beide stellen den Einfluss dieser mittleren Klasse auf die anderen dar, (…) Bolingbroke den Einfluss auf die höhere, vornehme Welt“ (Lechler, Geschichte des Deismus, S. 396). Bezeichnenderweise listet Lechler lediglich die gegen Bolingbroke gerichteten Werke Claytons, Lelands, Warburtons und Edward Youngs zur Rezeption auf, wodurch sich jedoch nicht der von Lechler selbst proklamierte „Einfluss auf die höhere, vornehme Welt“ erklären lässt. Zum Urteil über Bolingbrokes relative Bedeutungslosigkeit vgl. auch Troeltschs Urteil über Bolingbrokes „völlig dilettantische und kapriziöse Schriftstellerei“ (Troeltsch, Der Deismus, S. 463). Auch Reventlows Einschätzung, dass für die auf den Deismus folgende Periode „die Beschäftigung mit Bolingbroke keine wesentlich neuen Elemente zu dem gewonnenen Bilde hinzufügen“ würde, mag für das England des 18. Jahrhunderts richtig sein (vgl. Reventlow, Bibelautorität und der Geist der Moderne, S. 672). In Deutschland hingegen bleibt eine Untersuchung der Wirkungen Bolingbrokes nach wie vor ein Desiderat. 8 Zur Biographie und zum Wirken Bolingbrokes vgl. unter anderem Hart, Viscount Bolingbroke; Kramnick, Bolingbroke and his Circle; Dickinson, Bolingbroke; Merrill, From Statesman to Philosopher. Die Verbindung politischer Tätigkeit und einflussreicher historischer Studien war nichts vollkommen Außergewöhnliches. Dies zeigen z. B. auch der englische Politiker Robert Woods (1717–1771) und die Wirkung seines An essay about the original genius of Homer (1769) auf Heyne, Herder, Goethe und den Göttinger Hainbund (vgl. Müllenbrock/ Wolpers, Englische Literatur in der Göttinger Universitätsbibliothek des 18. Jahrhunderts, S. 97). 9 Dagegen hielt Emanuel Hirsch in seiner gesamteuropäischen Darstellung des religiösen Umformungsprozesses des Protestantismus die Bedeutung Bolingbrokes und insbesondere seiner Letters on the study and use of history aufgrund ihrer Rezeptionsgeschichte bei der Darstellung des Deismus für unverzichtbar: „Es genügt, aus dieser ganzen Epoche nur einen Mann noch herauszugreifen, der um seiner europäischen Wirkung willen schwer übergangen werden kann: Henry St. John (…) Viscount Bolingbroke. (…) Auch er zeigt den Übergang vom echten Theismus zur den allgemeinen Gottesglauben stehen lassenden praktischen Irreligiosität. Es genügt hier, von seinen Briefen über Studium und Nutzen der Geschichte (Letters on the study and use of history 1738, 21752) Kenntnis zu nehmen, die für den bei Lebzeiten innegehaltenen Standpunkt bezeichnend sind. Diese Briefe über die Geschichte sind das im achtzehnten Jahrhundert viel bewunderte Programm einer neuen Geschichtsschreibung“ (Hirsch, Geschichte der neuern evangelischen Theologie, Bd. 1, S. 387–393, hier besonders S. 387–388).
1. Bolingbroke und der englische Deismus
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spezifischen Wirkung auf die Geschichtsschreibung, die seine Letters on the study and use of history entfalteten, sondern zudem in der Tatsache, dass er trotz seiner geringen philosophischen Originalität von seinen Zeitgenossen aufgrund seiner kommunikativen Fähigkeiten als besonders lesenswert wahrgenommen wurde.10 Bolingbrokes literarische Wirkung hängt eng mit der posthumen Veröffentlichung seiner Werke zusammen, die als Gesamtedition drei Jahre nach seinem Tod 1754 durch David Mallet (1705–1765) erfolgte. Damit fällt die Publikation zugleich in jenen Zeitraum, in dem der englische Deismus in Deutschland seine positive Wirkung zu entfalten begann. Erst seit 1740 fanden die Ideen der englischen Freidenker insbesondere über den seit 1740 in Halle aufblühenden Wolffianismus Eingang in Deutschland.11 Entscheidend war dabei der Umstand, dass ihre Veröffentlichungen seit etwa 1740 immer weniger mittels lateinischer oder französischer Übersetzungen verbreitet wurden, sondern nun direkt in deutscher Übersetzung erschienen.12 Maßgeblich beeinflusst war Bolingbroke durch französische Aufklärer wie Montesquieu und Voltaire sowie die seinerzeit bedeutenden englischen Literaten wie Jonathan Swift (1667–1745) oder Alexander Pope (1688–1744), mit denen er zum Teil freundschaftlich verbunden war.13 Aufgrund seiner biographisch bedingten engen Beziehungen zur franzö10 Im Magazin für Litteratur und Völkerkunde wird 1784 eine Übersetzung eines Auszugs aus Hugh Blairs berühmten Lectures on rhetoric and belles lettres (1783) wiedergegeben, der Bolingbroke unter den englischen Schriftstellern folgendermaßen charakterisiert: „Bolingbroke war von der Natur zum Anführer einer Faction, zum Demagogen (…) gemacht. (…) Er hat einen Ueberfluß an rhetorischen Figuren, und ergießt sich mit Ungestüm. Er ist wortreich bis zum Fehler, und stellt uns den nämlichen Gedanken in mancherley verschiednen Gesichtspunkten, aber gemeiniglich mit Feuer und Leben dar. Er ist mehr kühn, als correct; ein Strom, der sich stark, aber oft schlammigt, einherwälzt. (…) In der Wahl seiner Wörter hat er viel Glück und Präcision. In der genauen Construction der Sentenzen steht er Shaftesbury weit nach; übertrift ihn aber weit an Leben und natürlicher Leichtigkeit. Kurz, sein Verdienst als Schriftsteller würde sehr beträchtlich gewesen seyn, wenn der Inhalt seiner Schriften so viel Werth hätte, als sein Styl. (…) In seinen Räsonnements ist er meistenstheils flach und falsch; in seinen politischen Schriften partheysüchtig; in denen, die er seine philosophischen nennt, irreligiös und sophistisch im höchsten Grade“ (Hugh Blair, Charakteristik einiger der berühmtesten englischen Schriftsteller, in: Magazin für Litteratur und Völkerkunde 1784 [4. Bd.], S. 1068). 11 Vgl. Lechler, Geschichte des englischen Deismus, S. 448–452. 12 Jennifer Willenberg betont, dass die Verbreitung englischen Schrifttums erst um 1740 begann und in den 1770er‑ und 1780er-Jahren in Deutschland ihren Höhepunkt erreichte (vgl. Willenberg, Distribution und Übersetzung englischen Schrifttums im Deutschland des 18. Jahrhunderts, S. 322–323). 13 Unter der Überschrift „Der Modellfall der englischen Entwicklung“ hebt Jürgen Habermas in seinen Untersuchungen zum Strukturwandel der Öffentlichkeit die einzigartige Bedeutung Bolingbrokes für das Entstehen einer public opinion in der englischen Aufklärung hervor, indem er Kluxen, Das Problem der politischen Opposition, S. 71, zitiert: „Das Neue, was die Opposition fertigbrachte, war die Schaffung einer Volksmeinung. Bolingbroke und seine Freunde verstanden es, eine solche auf einen Punkt gerichtete öffentliche Meinung zu formen, mit der sich Politik treiben ließ. Volksaufwiegelung und Parolengeschrei, Unruhen und Aufläufe waren noch nicht das Neue … Es gab auch noch keine regelmäßigen öffentlichen Versammlungen … Vielmehr wurde diese öffentliche Meinung durch einen anderen Faktor dirigiert: durch die
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sischen Aufklärung gilt Bolingbroke zudem als führende Gestalt des europäischen Wissenschaftstransfers seiner Zeit.14 Als Angehöriger der Tory Party saß er seit 1701 im britischen Unterhaus und übernahm unter Königin Anna 1710 das einflussreiche Amt des „Secretary of State for the Northern Department“. Aufgrund seiner Unterstützung der „Jakobite Rebellion“ 1715 zur Restaurierung der Stuart’schen Monarchie gegen den neu eingesetzten König George I. (1714–1727) aus dem Haus Hannover wurde Bolingbroke seines Amtes enthoben und floh ins Exil nach Paris, wo er Kontakt zum Kreis französischer Aufklärer im Club de l’Entresol aufnahm. 1723 kehrte er nach England zurück, wobei ihm jedoch weitere politische Ämter verwehrt blieben. 1738 existierte bereits ein erster privater Druck seiner Letters on the study and use of history. Diese wurden allerdings erst 1752, ein Jahr nach seinem Tod, in London veröffentlicht. Bald darauf erschienen sie auf Französisch (1752), Holländisch (1754) und Deutsch (1758).15 Aufgrund seiner einflussreichen geschichtsphilosophischen Schriften muss Bolingbroke als zentrale Gestalt der englischen Geschichtsschreibung der Aufklärungszeit betrachtet werden.16 Bolingbroke repräsentiert dabei einen Typus von Schriftsteller, wie man ihn unter den englischen Freidenkern vielfach findet. Er verkörpert dabei nicht im herkömmlichen Sinne einen universitären Gelehrten, sondern den umfassend interessierten und gebildeten Staatsmann, der sich zugleich literarisch mit philosophischen Essays zu Wort meldet. Wichtige Voraussetzung für die Wirkung Begründung eines selbstständigen Journalismus, der sich gegen die Regierung zu behaupten verstand und die kritische Kommentierung und öffentliche Opposition gegen die Regierung zum Normalstatus erhob“ (Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 79). Am politisch folgenreichsten dürfte wohl Bolingbrokes Einfluss auf Thomas Jefferson und dessen deistisch geprägtes Gottes‑ und Menschenbild geworden sein, welches wesentlich die Ausformulierung der „Declaration of Independence“ der Vereinigten Staaten 1776 bestimmte. Vgl. hierzu die Untersuchung zu Bolingbrokes Einfluss auf Thomas Jefferson von Jayne, Thomas Jefferson’s Declaration of Independence, S. 168. Vgl. zu Bolingbrokes Lektüre durch die amerikanischen Gründerväter auch das Kapitel „Bolingbroke, the Ishmael of His Age“, in: Haraszti, John Adams and the prophets of progress, S. 49–79. 14 Vgl. Barrell, Bolingbroke and France. Vgl. Fletcher, Bolingbroke and the diffusion of Newtonianism in France; Torrey, Voltaire and the English deists, S. 135–153; A. M. Rousseau, L’Angleterre et Voltaire, S. 58–63. Zu Bolingbrokes Einfluss auf Pope vgl. Hammond, Pope and Bolingbroke, S. 69–91. 15 Zur detaillierten Darstellung der Geschichte der Veröffentlichung der Briefe vgl. Nadel, New Light on Bolingbroke’s Letters on History. 16 Wolfgang Gericke weist auf den besonderen Einfluss der Geschichtsphilosophie Bolingbrokes und ihrer Religionskritik auf Friedrich II. hin, dem sogar eine französische Übersetzung der Briefe 1752 gewidmet war: „In seiner Sicht der Kirchengeschichte – mit Ausnahme der brandenburgischen – fußt der König [d. h. Friedrich II., Anm. des Verf.] auf den ‚Briefen über die Geschichte‘ (Letters on the Study and Use of History), die der Engländer Henry Saint John Lord Bolingbroke (1678–1751) um 1735 unter dem Einfluß Voltaires geschrieben hat“ (Gericke, Theologie und Kirche im Zeitalter der Aufklärung, S. 91). Aufgrund seiner Breitenwirkung kann Annette Meyer Bolingbroke daher gar als „Nestor[…] der englischen Geschichtsschreibung im 18. Jahrhundert“ bezeichnen (Meyer, Von der Wahrheit zur Wahrscheinlichkeit, S. 156).
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seiner laientheologischen Publikationen bildete die bereits im frühen 18. Jahrhundert vollzogene Entwicklung eines gemeinsamen Zeitschriftenmarktes17 für das sich etablierende englische Bürgertum, dessen moralische Wochenschriften „in zeitlicher wie materieller Hinsicht die eigentliche Vorhut der englischen Aufklärung“18 darstellen. Die seit 1695 herrschende weitreichende Pressefreiheit in England ermöglichte dabei eine unter den europäischen Aufklärern allgemein bewunderte Liberalität der Gesellschafts‑ und Religionskritik. Sie trug bekanntlich auch zur Ausbildung einer speziellen Kultur der englischen satirischen Literatur bei. Sie konnte Kritik äußern, ohne Personen oder Institutionen namentlich angreifen zu müssen, und erfreute sich folglich allgemeiner Beliebtheit. Insbesondere populäre Zeitschriften wie der Observer, Examiner, Freeholder, Englishmen, Gentlemen’s Magazine, The Craftsman, Spectator oder Tatler und andere Wochenschriften waren unter englischen Gebildeten sehr populär. Es ist kein Zufall, dass sich Friedrich Nicolai in seinem Versuch des Aufbaus eines gemeinsamen deutschsprachigen gebildeten Kommunikationsraums, den er mit seiner Allgemeinen deutschen Bibliothek durch die Überwindung der Grenzen des Gelehrtenstandes erreichen wollte, an ebendiesen englischsprachigen Journalen orientierte.19 Es waren schließlich die englischen moralischen Wochenschriften und ihr Format der Unterhaltungsliteratur, die die deutschen Leser bereits in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit der englischen Literatur der Aufklärungszeit vertraut machten und zugleich in Form von zahlreichen Zeitschriftenneugründungen zur Nachahmung verleiteten.20 Die von den moralischen Wochenschriften ausgehende Popularisierung der literarischen Formate stellte einen der wesentlichen englischen Einflüsse dar, der sich nachhaltig auf die Entwicklung einer literarischen Öffentlichkeit im Deutschland des 18. Jahrhunderts auswirken sollte.21 So war es nicht zuletzt die essayistische Darstellungsform der deistisch beeinflussten Gedanken Reimarus’, welche zum nachhaltigen 17 Zur Entwicklung des englischen Literatur‑ und Zeitschriftenmarktes vgl. die umfassende Darstellung bei Enkemann, Journalismus und Literatur. 18 Müllenbrock/Wolpers, Englische Literatur in der Göttinger Universitätsbibliothek des 18. Jahrhunderts, S. 15. Zur Bedeutung der englischen Presse für die Entwicklung Englands als Vorbild der Meinungsfreiheit vgl. insbesondere Barker, Newspapers, politics and public opinion in late eighteenth-century England; zu den Entstehungsbedingungen Englands als Land des Liberalismus vgl. Hoppit, A land of liberty?. Hoppit betont darin insbesondere die Bedeutung der besonderen Urbanisierung in England als wesentliche Voraussetzung der Entwicklung der „modern English society“ (S. 455). Zur englischen Presse im 18. Jahrhundert vgl. auch Black, The English press in the eighteenth century. 19 Vgl. die Ausführungen zur Allgemeinen deutschen Bibliothek in Kapitel II.2.2.2. zur Entwicklung des Zeitschriftenwesens. 20 Zu dem Transfer, der Anschaffung und den Nachdrucken englischer Literatur in Deutschland vgl. Willenberg, Distribution und Übersetzung englischen Schrifttums im Deutschland des 18. Jahrhunderts, besonders S. 95–156, hier S. 141. 21 Vgl. Oppel, Englisch-deutsche Literaturbeziehungen, S. 61. Vgl. auch Willenberg, Distribution und Übersetzung englischen Schrifttums im Deutschland des 18. Jahrhunderts, S. 332– 333.
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formalen wie inhaltlichen Einfluss des englischen Deismus auf die deutschen Religionsdebatten beitrug.22 Wie sehr die Rezeption geistesgeschichtlicher Strömungen wie der des englischen Deismus mit den Entwicklungen des literarischen Marktes korrelierten, verdeutlicht bereits der Umstand, dass sowohl die „Beschäftigung mit England als auch die Distribution und Übersetzung englischen Schrifttums“ in Deutschland erst seit etwa 1740 intensiver betrieben wurden.23 Der Entwicklung des englischen Literaturtransfers entsprechend erfuhren die deistischen Ideen seit den 1740er-Jahren des 18. Jahrhunderts eine positive Rezeption, wobei die durch Johann Lorenz Schmidt ausgelöste Debatte um dessen Wertheimer Bibelübersetzung (1735) einen wichtigen Anstoß hierzu gab, zugleich jedoch in ihrer Rezeption weithin die bis dahin überwiegend kritische Positionierung der deutschen Gelehrten widerspiegelt.24 Schmidts Übersetzung orientierte sich dabei an Christian Wolffs Intention des Erweises der Rationalität der biblischen Offenbarung und adaptierte zugleich Anliegen der deistischen Offenbarungskritik.25 Auch Reimarus nahm mit zwei Rezensionen in den Hamburgischen Berichten von gelehrten Sachen an der Debatte teil, die einen Wendepunkt seines theologischen 22 Zur
diskursverändernden Wirkung des englischen Deismus und zur Umformung der Theologie in der Neologie vgl. unter anderem Barth, Mündige Religion – selbstdenkendes Christentum. 23 Vgl. Willenberg, Distribution und Übersetzung englischen Schrifttums im Deutschland des 18. Jahrhunderts, S. 322. Willenberg liefert zugleich eine Erklärung für diesen Zeitpunkt: „Das älteste Medium in der Vermittlung englischen Schrifttums war die lateinische Sprache, die bis etwa 1740 ihre Wirksamkeit behielt. Die Distribution der lateinischen Werke erfolgte meist in Form von Nachdrucken über den internationalen holländischen Buchhandel. Das bedeutendste Medium in der Vermittlung englischen Schrifttums war aber bis 1750 und in einigen Fällen darüber hinaus die französische Sprache. Auch im Bereich des Französischen fungierte der holländische Buchhandel als zentrale Drehscheibe im englisch-deutschen Buchaustausch. Nach 1750 begannen deutsche Übersetzungen die französischen und lateinischen Fassungen mehr und mehr zurückzudrängen, auf die nicht-deutschen Fassungen wurde nur noch gelegentlich zurückgegriffen“ (a. a. O., S. 323). 24 Zum Streit um die Wertheimer Bibel und zu ihrem Beitrag zu einer öffentlichen Debattenkultur vgl. Goldenbaum, Appell an das Publikum, Teil 1, S. 175–508; Hirsch, Geschichte der neuern evangelischen Theologie, Bd. 2, S. 417–432. 25 Wie Günter Gawlick überzeugend darstellt, vollzog sich durch die Theologie Christian Wolffs eine zur späteren Adaption historischer Kritik des Deismus strukturparallele Entwicklung, wobei eine Rationalisierung der Theologie zunächst unbewusst bzw. aus apologetischem Interesse erfolgte. Deren methodische Adaption setzte langfristig jedoch ein innertheologisch kritisches Potential frei. „Wolffs Verhältnis zum Deismus ist also, objektiv betrachtet, durchaus ambivalent. Auf der einen Seite hat er ein kritisches Potential bereitgestellt, das die Späteren nur einzusetzen brauchten; auf der andern Seite hat er durch sein hartes Verdikt dazu beigetragen, daß die Späteren jahrzehntelang nur aus dem Untergrund heraus wirken konnten. Dadurch blieb dem Deismus in Deutschland diejenige Öffentlichkeit versagt, die für eine fruchtbare Auseinandersetzung allemal nötig ist. Es ist daher kein Zufall, daß Lessing dem ersten seiner Wolfenbütteler Fragmente 1770 die Überschrift ‚Von Duldung der Deisten‘ gab. Die dadurch ausgelöste Diskussion hat dazu geführt, daß niemand mehr befürchten mußte, des Landes verwiesen zu werden, wenn er sich zum Deismus bekannte“ (Gawlick, Christian Wolff und der Deismus, S. 145).
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Denkens hin zur Ausarbeitung seiner skandalträchtigen Fragmente bedeuten sollte.26 Nach seiner Flucht nach Hamburg widmete sich Schmidt in dieser Hochburg des englischen Literaturtransfers unter anderem der Übersetzung von Tindals Christianity as old as creation (1730; dt. 1741), die in den folgenden Jahren maßgeblich zu einem gesteigerten Interesse am Deismus beitrug. Die Rezeption englischer Werke war vielfach bedingt durch die hierzu verfügbaren Informationen auf dem jeweiligen Zeitschriftenmarkt, wobei die in Holland gedruckten französischen Journale ein wichtiges Medium der Vermittlung darstellten.27 Mitte des 18. Jahrhunderts begann sich neben Hamburg, Leipzig und Halle28 schließlich Göttingen als Zentrum der Rezeption englischer Literatur zu etablieren. Aufgrund ihrer ganz besonderen politischen Verbindungen nach England besaß die Stadt eine hervorgehobene Rolle, die sich auch auf den wissenschaftlichen Transfer und die hier behandelten theologischen Debatten auswirken sollte.29 Angestoßen durch William Whiston und Anthony Collins entwickelte sich im England der 1720er-Jahre eine lebhafte Debatte um die Bedeutung der Weissagungen als Beweis für die Göttlichkeit der Heiligen Schrift. Eng mit ihr verbunden war die Auseinandersetzung um die allegorische Auslegung der Wunder, wie Woolston sie vertrat, der dabei so weit gehen konnte, die Auferstehung Jesu als eine Erfindung der Jünger darzustellen, da Wunder an sich in keiner Weise zur Glaubwürdigkeit der Autorität der Schrift beitrügen.30 Woolstons Schrift zog 26 Zum Einfluss der Wertheimer Bibeldebatte und Reimarus’ Rezensionen in den Hambur‑ gischen Berichten von gelehrten Sachen vgl. Goldenbaum, The public discourse of Hermann Samuel Reimarus and Johann Lorenz Schmidt in the Hamburgische Berichte von Gelehrten Sa‑ chen in 1736. 27 Zur Rolle der Zeitschriften beim Transfer der Ideen aus England vgl. Peitsch, Die Rolle der Zeitschriften bei der Einführung der englischen Literatur in Deutschland im 18. Jahrhundert, S. 49. Vgl. auch Willenberg, Distribution und Übersetzung englischen Schrifttums im Deutschland des 18. Jahrhunderts, S. 132–156. 28 Für die Rezeption des englischen Deismus in Deutschland spielten insbesondere Baumgartens Nachrichten einer hallischen Bibliothek und Nachrichten von merkwürdigen Büchern eine wesentliche Rolle. Baumgarten setzte sich explizit mit der Offenbarungskritik in Bolingbrokes Letters on the study and use of history auseinander und kritisierte dessen durch Voltaire vermittelten pyrrhonistischen Skeptizismus (vgl. Zedelmaier, Der Anfang der Geschichte, S. 138–139). 29 Vgl. auch die Analyse der Differenzzeiträume zwischen Erstveröffentlichung und Anschaffung englischer Werke in der Göttinger Bibliothek. Der Katalog der Göttinger Bibliothek weist darauf hin, dass viele Werke des englischen Empirismus wie beispielsweise diejenigen John Lockes, die bereits um 1700 erschienen waren, erst Mitte des 18. Jahrhunderts in Göttingen verfügbar waren (vgl. Müllenbrock/Wolpers, Englische Literatur in der Göttinger Universitätsbibliothek des 18. Jahrhunderts, S. 24–26). 30 Insbesondere Woolstons A discours on the miracles of our Saviour, in view of the present controversy between infidels and apostates (1727–1730), der auf insgesamt sechs Abhandlungen anwuchs, fand in England reißenden Absatz und wurde etwa 30.000 Mal verkauft (vgl. zur Debatte um die Weissagungen und Wunder in England Lechler, Geschichte des englischen Deismus, S. 266–323, hier S. 294). Seine Zweifel an der historischen Auferstehung Jesu äußerte
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eine ganze Reihe weiterer Verteidigungen und Angriffe auf die historische Zuverlässigkeit der Osterberichte nach sich und fokussierte den Streit auf die Frage nach der Auslegung der biblischen Auferstehungszeugnisse.31 Für den englischen Kontext der Debatte bezeichnend ist der Umstand, dass die meisten der in die Auseinandersetzung involvierten Theologen kirchliche Ämter bis hin zu dem eines Bischofs innerhalb der anglikanischen Kirche bekleideten.32 Nicht zuletzt als Folge innerprotestantischer Auseinandersetzungen hatte sich die Debatte während des 17. Jahrhunderts in England auf das Schriftverständnis konzentriert, was sich unter anderem auf die schriftzentrierte Tradition John Wycliffs und des Puritanismus zurückführen lässt. Die Auseinandersetzung um eine legitime Bibelauslegung wurde zugleich gefördert durch die im 18. Jahrhundert einflussreiche Strömung des Latitudinarismus. Dieser propagierte gegenüber den staatskirchlichen Riten und Dogmen die individuell moralische Ausrichtung des Christentums.33 Bolingbrokes Briefe repräsentieren dabei dessen Intention, die Woolston allerdings schon in seiner Schrift The Moderator between an infidel and an apostate, or the controversy between the author of the Discourse of the grounds and reasons of the Christian religion, London 31729, S. 52–53: „I almost reason my self into a Disbelief of Christ’s Resurrection; and was I not convinced that the whole Story, in which there is no Sense according to the Letter, was but a Type and Figure of his spiritual and mystical Death and Resurrection out of the Grave of the Letter of the Law and the Prophets, in which he has been buried, or swallow’d up, as by a Leviathan like Jonah, for above three mystical Days and Nights, I should believe it to be but an idle Tale, as the Apostles themselves did, upon the Report which the Women made of it. But after all, I believe upon good Authority, some of the Miracles of Jesus, as recorded by the Evangelists, were never wrought, but only related as prophetical and parabolical Narratives of what will be mysteriously and more wonderfully done by him. The Resurrection of Christ then, which wants a good Proof of it self, proves nothing, much less do his other Miracles prove him to be the Messias“. Zur Identität und Genese des englischen Deismus vgl. auch Hudson, The English deists, besonders S. 1–40. 31 Zu den publizistisch erfolgreichsten Widerlegungen zählte Thomas Sherlocks The tryal of the witnesses of the resurrection of Jesus (1729), welches bereits 1755 in seiner 13. Auflage erschien und 1751 in einer deutschen Ausgabe herauskam. Besonders pointiert formulierte schließlich der englische Deist Peter Annet 1744 in seinem Werk The resurrection of Jesus, considered in answer to The tryal of the witnesses die These von der rein fiktionalen Auferstehung Jesu. 32 Zu ihnen zählen unter anderem Edmund Gibson, Bischof von London; Nathanel Lardner; Zacharias Pearce, Bischof von Bangor und Rochester; Richard Smalbrooke, Bischof von St. Davids, Liechfield und Coventry; Thomas Sherlock, Bischof von Bangor (vgl. Lechler, Geschichte des englischen Deismus, S. 311–312). 33 Aufgrund des einheitlichen Staatskirchenprinzips waren in England die theologischen Debatten zu Beginn des 18. Jahrhunderts unmittelbar mit der politischen Frage nach der Konfessionalität des Staats‑ und Kirchenoberhaupts verbunden, wie die Bangorian Controversy (1716–1719) verdeutlicht. Nur so ist es auch zu erklären, dass der aus dem Haus Hannover stammende König George I. gegen die Forderungen der staatskirchlichen High Church und gegen ihre politischen Vertreter im Lager der Tories agierte. Mit seiner Unterstützung der Whigs suchte George I. den politisch mächtigen Einfluss der bischöflichen Lords im Oberhaus zurückzudrängen, die politische mit staatskirchlicher Macht verflochten (vgl. zur Wirkung des Latitudinarismus und der Parteipolitik auf die Bibeldebatte in England Reventlow, Bibelautorität und der Geist der Moderne, S. 370–400 und 535–546. Zum Einfluss der Personalunion vgl. auch Simms/Riotte (Hg.), The Hanoverian dimension in British history 1714–1837. Vgl. hierin
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Betrachtung der Schrift zum Zweck des gemeinsamen politischen und pädagogischen Nutzens den Gesetzen der Empirie zu unterwerfen.34 Die Politisierung der Religionsdebatte in England war insofern von entscheidender Bedeutung, als sie die religiösen Themen zum Politikum erhob und diese gesamtgesellschaftlich funktionalisierte. Seit seiner Rückkehr nach England kämpfte Bolingbroke ab 1725 gegen die Regierung Walpole und die Whig Party, indem er publizistisch geschickt zu agieren wusste, nicht zuletzt mithilfe der Wochenzeitschrift The Craftsman.35 Das Streben nach möglichst weitreichender publizistischer Wirkung zur Durchsetzung oppositioneller Interessen beherrschte Bolingbroke in außergewöhnlicher Weise und erreichte für seine Thesen damit europaweite Aufmerksamkeit. Mit seinen religions‑ und kleruskritischen Thesen verwirrte Bolingbroke, der als Tory zu Lebzeiten ein Verteidiger der anglikanischen Hochkirche war, viele seiner Zeitgenossen und zog sich den vielfach geäußerten Vorwurf der Heuchelei zu.36
2. Die offenbarungskritischen Thesen der Letters on the study and use of history (1752) 2.1 Der pragmatische Nutzen des Geschichtsstudiums In seinen acht Briefen über das Studium und den Nutzen der Geschichte gilt Bolingbrokes Interesse der Frage nach den historiographischen Methoden, die ihm in ihrem bisher entwickelten Ansatz nicht ausreichend zu sein scheint. Das Geschichtsstudium stellt dabei keine beliebige wissenschaftliche Betätigung dar, sondern repräsentiert einen wesentlichen Teil der persönlichen und kollektiven Identitätsbildung.37 In einem kulturgeschichtlichen Vergleich von den Indianern bis zu den Briten sucht Bolingbroke zu zeigen, dass die Tradierung von Geschichte seit jeher zur Bildung kollektiver Identität und Wertmaßstäbe diente.38 besonders die Beiträge von Andrew C. Thompson, The confessional dimension, S. 161–182; Thomas Biskup, The university of Göttingen and the Personal Union, 1737–1837, S. 128–160. 34 Zu den deistischen Wurzeln der Priesterkritik bei Bolingbroke vgl. Merrill, From Statesman to Philosopher, S. 189–193. 35 Zur politischen Verortung Bolingbrokes und seiner philosophischen Geschichtsbetrachtungen vgl. Sommer, Kritisch-moralische exempla-Historie im Zeitalter der Aufklärung, S. 271. 36 Vgl. a. a. O., S. 274. 37 „The love of history seems inseparable from human nature because it seems inseparable from self-love“ (Bolingbroke, Letters on the study and use of history [1752], S. 11). Zur Bedeutung Bolingbrokes für die Entwicklung der profanen Geschichtsschreibung vgl. Sommer, Kritisch-moralische exempla-Historie im Zeitalter der Aufklärung. Ausdrücklich hervorgehoben wird Bolingbrokes Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte der Historiographie auch in Meyer, Von der Wahrheit zur Wahrscheinlichkeit, S. 155–159. 38 „(…) and yet the study of history seems to me, of all other, the most proper to train us up to private and public virtue“ (Bolingbroke, Letters on the study and use of history [1752], S. 14).
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Die für gewöhnlich der philosophischen Prinzipienfrage zugerechnete Aufgabe der ethischen Bildung wird dem Geschichtsstudium übertragen, denn „history is philosophy teaching by examples. We need but to cast our eyes on the world, and we shall see the daily force of example“.39 Nicht die Kenntnis der historischen Fakten allein,40 sondern deren Interpretation aufgrund der eigenen Erfahrung dient der moralischen Besserung des Menschen.41 Die Beschäftigung mit der Geschichte führt nach Bolingbroke dazu, „that the improvement we make by it extends to more objects, and is made at the expence of other men: whereas that improvement, which is the effect of our own experience, is confined to fewer objects, and is made at our own expence“.42 Gleichzeitig vermittelt die Geschichtskenntnis dem Menschen die Fähigkeit, die eigenen Erfahrungen zur Lebensführung effektiver zu nutzen.43 Ziel des Geschichtsstudiums muss es daher sein, die natürlichen Prinzipien menschlichen Lebens aus Beispielen abzuleiten und daraus ein ethisches System zu entwickeln.44 In seiner Definition der historiographischen Aufgaben steht für den Politiker Bolingbroke zunächst der praktische Anwendungszweck im Vordergrund.45 „The study of history is the best A. a. O., S. 14–15. „But the examples which we find in history, improved by the lively descriptions, and the just applauses or censures of historians, will have a much better and more permanent effect, than declamation, or song, or the dry ethics of mere philosophy“ (a. a. O., S. 28). 41 Dass die Annahme einer moralischen Verbesserung des Menschen unter seinen Zeitgenossen nicht unumstritten ist, dessen ist sich Bolingbroke durchaus bewusst. „(…) your lordship’s correspondent would be joked upon for his project of improving men in virtue and wisdom by the study of history“ (a. a. O., S. 43). Anhand von Beispielen aus der Geschichte versucht Bolingbroke allerdings zu demonstrieren, dass sich bestimmte Fehler der Menschheit hätten vermeiden lassen, wenn der Mensch aus ihr gelernt hätte. 42 A. a. O., S. 29. 43 „Besides the advantage of beginning our acquaintance with mankind sooner, and of bringing with us into the world, and the business of it, such a cast of thought and such a temper of mind“ (ebd.). 44 „We ought always to keep in mind, that history is philosophy teaching by examples how to conduct ourselves in all the situations of private and public life; that therefore we must apply ourselves to it in a philosophical spirit and manner; that we must rise from particular to general knowledge, and that we must fit ourselves for the society and business of mankind by accustoming our minds to reflect and meditate on the characters we find described, and the course of events, we find related there“ (a. a. O., S. 48). „There are certain general principles, and rules of life and conduct, which always must be true, because they are conformable to the invariable nature of things. He who studies history as he would study philosophy, will soon distinguish and collect them, and by doing so will soon form to himself a general system of ethics and politics on the surest foundations, on the trial of these principles and rules in all ages, and on the confirmation of them by universal experience“ (a. a. O., S. 53). 45 Als Beispiel für fehlendes Lernen aus der Geschichte wird im Anschluss der römische Feldherr Regulus angeführt, der keine Gelegenheit hatte „of learning another lesson, which the examples recorded in history inculcate frequently, the lesson of moderation“ (a. a. O., S. 30). Der darin enthaltenen moralischen Kritik liegt die Annahme eines allgemein menschlichen Fortschrittsdenkens und kollektiven geschichtlichen Lernprozesses zugrunde. Dieses prägt unter anderem auch das optimistische Menschenbild in Alexander Popes berühmtem, Bolingbroke gewidmetem An Essay on Man (1733). Wesentlich zur Entwicklung der Idee eines 39 40
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school, where he can learn how to conduct himself in all the situations of life.“46 In den bisherigen Ansätzen historischer Darstellungen findet Bolingbroke dieses Anliegen in keiner Form angemessen aufgenommen, Geschichtsschreibung diente aus seiner Sicht bis dahin lediglich der Sammlung historischer Fakten, wie er trotz gewisser Anerkennung der Leistungen Jean Bodins (1529–1596) auf diesem Gebiet auch dessen Ansatz vorwirft.47
2.2 Bolingbrokes Trennung zwischen Profan‑ und Sakralgeschichte Um aus den Beispielen der Vergangenheit lernen zu können, bedarf es nach Bolingbroke allerdings einer zuverlässigen gemeinsamen Geschichtsgrundlage. Nur aufgrund dieser lassen sich allgemeine Prinzipien und ethische Regeln für die moralische Besserung des Menschen herleiten. Indem die Bildung ethischer Prinzipien zum Ziel der Geschichtswissenschaft erhoben wird, kann es keine partikulare Geschichtsdarstellung mehr geben, die erstens nicht überprüfbar wäre und zweitens in ihrer Beispielhaftigkeit einer universalen Ethik widerspräche.48 geschichtsphilosophischen Lernprozesses beigetragen hat ebenfalls Montesquieus bereits 1734 erschienenes Werk Considérations sur les causes de la grandeur des Romains et de leur décaden‑ ce. Hierin versucht ihr Verfasser anhand der römischen Geschichte allgemeine Kausalitätsprinzipien in der geschichtlichen Entwicklung des Staatswesens aufzuzeigen und diese auf das eigene, französische Staatssystem anzuwenden. 46 A. a. O., S. 30 unter Zitierung von Polybius. 47 „In this manner, the study of history will prepare us for action and observation. History is the ancient author: experience is the modern language. (…) To conclude, as experience is conversant about the present, and the present enables us to guess at the future; so history is conversant about the past, and by knowing the things that have been, we become better able to judge of the things that are“ (a. a. O., S. 55–56). „A huge common-place book, wherein all the remarkable sayings and facts that we find in history are to be regist[e]red, may enable a man to talk or write like Bodin, but will never make him a better man, nor enable him to promote, like an useful citizen, the security, the peace, the welfare, or the grandeur of the community to which he belongs“ (a. a. O., S. 57). 48 Andreas Urs Sommer charakterisiert die bei Bolingbroke auftretende Spannung zwischen Ablehnung jeglicher Theoriebildung und ethischer Normativität folgendermaßen: „Durch Bolingbrokes geschichtstheoretisches Fundament zieht sich ein tiefer Riss: Der philosophierende Staatsmann ausser Dienst teilt mit der traditionellen exempla-Historie die prinzipielle Theoriefeindlichkeit, die sich bei ihm zudem mit Vorbehalten gegenüber metaphysischen Systemen paart, die ihm Lockes Empirismus eingeflösst hatte. Dennoch manifestiert sich sowohl in den anthropologisch-ontologischen Prämissen als auch in dem Ziel eines ‚general system of ethics and politics‘ ein entschiedener Wille, das Partikulare zu synthetisieren und in übergeordneten Ordnungen zu integrieren. Die Exempel haben dann nur noch die Funktion, Material zur Destillation in einem allgemeinen ethischen System zu sein. (…) Die Letters sind einer der letzten grossen Versuche, diesen Typus von Historie zu retten. Er wird nicht nur abgelöst von einer sich als Wissenschaft etablierenden, universitären Disziplin ‚Geschichte‘, die zugunsten reiner Faktenrekapitulation das moralisch-philosophische Interesse an geschichtlichen Dingen verleugnet, sondern auch von einer spekulativ-universalistischen Geschichtsphilosophie, die das Geschichtsganze in ein Korsett universaler Entwicklung einpasst“ (Sommer, Kritisch-moralische exempla-Historie im Zeitalter der Aufklärung, S. 290–291).
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V. Die Debatte um Henry St. John Bolingbroke
Dieses Problem tritt in besonderer Weise dort auf, wo religiöse und profane Historiographie aufeinandertreffen bzw. ineinanderübergehen. Betrachtet man die um 1750 vorliegenden Universalgeschichtsdarstellungen,49 so begegnet darin wie selbstverständlich – auch mangels alternativer kohärenter naturwissenschaftlicher Erklärungsmodelle – die Erdbeschreibung der biblischen Genesiserzählung als allgemein anerkannte Ursprungsdarstellung der Profanhistorie. Aufgrund dieser Problemstellung teilt Bolingbroke das dritte Kapitel des dritten Briefes über die „first ages“ in Überlegungen zunächst zur Profanhistorie einerseits und erst in einem zweiten Abschnitt über die „sacred history“ andererseits. Über den Zustand der „ancient history“ behauptet Bolingbroke, The nature of man, and the constant course of human affairs, render it impossible that the first ages of any new nation which forms itself, should afford authentic materials for history. We have none such concerning the originals of any of those nations that actually subsist.50
In seiner Beschäftigung mit dem Beginn der profanen Geschichtsschreibung kommt Bolingbroke daher zu dem Ergebnis, „not only how late profane history began to be writ by the Greeks, but how much later it began to be writ with any regard to truth“.51 Der Versuch, die historiographische Lücke der ersten Jahrhunderte durch Bezug auf die biblischen Zeugnisse des Alten Testaments und seiner Geschichtsbücher zu schließen, muss nach Bolingbroke scheitern, denn „even these divine books must be reputed insufficient to the purpose, by every candid and impartial man who considers either their authority as histories, or the matter they contain“.52 Anhand eines religionsgeschichtlichen Vergleichs 49 Vgl. unter anderem den Kommentar zur Entstehung der Welt im Standardwerk der englischen Weltgeschichte: „As we intend to write a general and succinct history of the world, from the origin of mankind to the present age, we shall not amuse our readers with the various and absurd opinions of the ancient philosophers, or with the different hypotheses of several moderns, concerning the first formation of the earth: but shall only mention the authentic account of the creation, given us by the most ancient historian Moses. This inspired writer informs us, that in the beginning, God created the heaven and the earth“ (Guthrie/Gray [Hg.], A general history of the world, Bd. 1 [1764], S. 1). Vgl. auch Gatterer, Handbuch der Universalhistorie nach ihrem gesamten Umfange von der Erschaffung der Welt bis zum Ursprunge der meisten heutigen Reiche und Staaten (1761), S. 129: „Was man von der Figur und Beschaffenheit des Erdbodens vor der Sündflut mit Zuverlässigkeit weis, beruhet theils auf den Nachrichten Mosis, theils auf ungezwungenen Schlüssen, die aus diesen Nachrichten hergeleitet werden. Es fehlet zwar nicht an verschiedenen und zum Theil verwegenen Muthmassungen, die den Mangel glaubwürdiger Urkunden von dieser Sache ersezen sollen; allein sie sind von einer grosen Menge unüberwindlicher Schwierigkeiten umgeben, und überzeugen uns bis zur äusersten Beschämung von den Ausschweifungen, in welche die Menschen durch den Misbrauch ihrer Einsichten gerathen können.“ „Die besondern Umstände der göttlichen Schöpfung entdecket uns nur allein die Mosaische Erzälung, welche aber keine genaue und philosophische Vorstellung des Ursprungs aller Dinge, sondern nur eine historische, aber doch gegründete Nachricht von der Bildung unserer Erde (…) enthalten solte“ (a. a. O., S. 131). 50 Bolingbroke, Letters on the study and use of history (1752), S. 59. 51 A. a. O., S. 66. 52 A. a. O., S. 69.
2. Die offenbarungskritischen Thesen der Letters on the study and use of history (1752) 145
sucht Bolingbroke zu demonstrieren, dass die jüdische Historiographie eine von religiösen und nationalen Interessen geleitete partikulare Historiographie darstellt, die erst durch die Aufnahme der jüdischen literarischen Traditionen und deren Verbreitung im Christentum globalen Geltungsanspruch erlangte.53 Unter Bezugnahme auf die Forschungsergebnisse Richard Simons aus dessen 1678 erschiener Histoire Critique de Vieux Testament weist Bolingbroke allerdings darauf hin, dass die Erkenntnis der Trennung von Profan‑ und Religionsgeschichte bereits seit Längerem von biblischen Exegeten in Paris vorgetragen worden sei. Von den Theologen der Pariser Fakultät selbst sei behauptet worden, dass die Aussagen der Heiligen Schrift nur in Bezug auf Angelegenheiten der christlichen Lehre als inspiriertes Wort Gottes zu gelten haben, jedoch keinen normativen Anspruch in Bezug auf die allgemeine Geschichtschreibung erheben dürfen.54 Aus dieser Relativierung der universellen Bedeutung der alttestamentlichen Geschichtsschreibung heraus können die alttestamentlichen Prophezeiungen und Berichte der Geschichte Gottes im Verhältnis zum Volk Israel nicht als Legitimation der Gültigkeit der Autorität des Neuen Testaments gelten. Erst dieses Zweitere begründe den christlichen Anspruch, bestimmten Teilen des Ersteren Glauben schenken zu können. Wäre die Bibel insgesamt tatsächlich vom Heiligen Geist eingegeben worden, so wäre sie in ihrer ursprünglichen Reinheit erhalten geblieben. Den allgemein anerkannten exegetischen Erkenntnissen zufolge sei der biblische Text dagegen über die Jahrtausende hinweg massiv modifiziert und ergänzt worden. Die Frage, worin die ursprüngliche Reinheit des Textes bestanden habe, lässt sich nach Bolingbroke nur dadurch beantworten, dass Gott ausschließlich nach klaren und eindeutigen moralischen Ideen der Menschheit gegenüber handeln könne. Hätten die tradierten Texte diesen Maßstäben von Anfang an bereits entsprochen, so hätten sie nicht, wie die vorliegenden biblischen Texte, auf vielfache Art und Weise im Laufe ihrer Tradierung bearbeitet und verändert werden müssen.55 Aufgrund jener Voraussetzungen muss man 53 „In short, my lord, the Jewish history never obtained any credit in the world, till christianity was established. The foundation of this system being laid partly in these histories, and in the prophecies joined to them or inserted in them, christianity has reflected back upon them an authority which they had not before, and this authority has prevailed wherever christianity has spred“ (a. a. O., S. 76). 54 „Simon, in the preface to his Critical history of the Old testament, cites a divine of the faculty of Paris, who held that the inspirations of the authors of those books, which the church receives as the word of God, should be extended no farther than to matters purely of doctrine, or to such as have a near and necessary relation to these; and that whenever these authors writ on other subjects, such as Egyptian, Assyrian, or other history, they had no more of the divine assistance than any other persons of piety“ (a. a. O., S. 76–77). 55 „I think, that these accidents would not have happened, or that the scriptures would have been preserved entirely in their genuine purity notwithstanding these accidents, if they had been entirely dictated by the Holy Ghost: and the proof of this probable proposition, according to our clearest and most distinct ideas of wisdom and moral fitness, is obvious and easy. But these scriptures are not so come down to us: they are come down broken and confused, full of additions, interpolations, and transpositions, made we neither know when, nor by whom; and
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nach Bolingbroke davon ausgehen, dass die Genealogien und Geschichten des Alten Testaments keineswegs eine ausreichende Grundlage für eine universale Chronologie oder Geschichtschreibung zu liefern imstande sind.56 Für Bolingbroke bedeutet die Reduktion dieses Anspruchs dabei keineswegs die Preisgabe des Anspruchs der biblischen Bücher, Heilige Schrift für die Christen zu sein. Im Gegenteil, die Differenzierung zwischen Anspruch auf Wahrheit in Glaubenslehren und dem Verzicht auf historische Tatsachen ermöglicht es den Gläubigen trotz historischer Kritik, an dem Charakter der biblischen Schriften als Wort Gottes festzuhalten.57 Dabei folgt seine Unterscheidung keinem rein nachträglich apologetischen Interesse, sondern einer seiner Meinung nach bereits in den Texten des Alten Testaments selbst begründeten Unterscheidung. Demzufolge waren Geschichte und Gesetz im Alten Testament von der Zeit Moses bis zu der Esras voneinander getrennt und wurden erst durch die Komposition im Pentateuch zusammengefasst. Versuchte man die biblische Urgeschichte als Erdbeschreibung der ersten Jahrtausende heranzuziehen, so werde dem Betrachter rasch deutlich, dass die knappen elf Kapitel der Genesis in keiner Weise dem Anspruch einer universalgeschichtlichen Darstellung der auf 2000 berechneten Jahre von der Schöpfung bis zur Berufung Abrahams standhalten könnten.58 Bolingbroke beschließt daher seinen dritten und kontroverstheologisch folgenreichen Brief mit der Feststellung, dass die biblischen Texte des Alten Testaments weder universale Geschichtsschreibung und ‑chronologie zu sein beanspruchen noch den Anforderungen einer solchen nach aktuellen Maßstäben Genüge tun könnten.59 such, in short, as never appeared on the face of any other book, on whose authority men have agreed to rely“ (a. a. O., S. 79). 56 „Upon such hypotheses, we may assert without scruple, that the genealogies and histories of the Old testament are in no respect sufficient foundations for a chronology from the beginning of time, nor for universal history“ (a. a. O., S. 81). 57 „But then the same hypotheses will secure the infallibility of scripture authority as far as religion is concerned. Faith and reason may be reconciled a little better than they commonly are. I may deny that the Old testament is transmitted to us under all the conditions of an authentic history, and yet be at liberty to maintain that the passages in it which establish original sin, which seem favorable to the doctrine of the Trinity, which foretell the coming of the Messiah, and all others of similar kind, are come down to us as they were originally dictated by the Holy Ghost“ (ebd.). 58 „If the antediluvian world continued one thousand six hundred and fifty six years, and if the vocation of Abraham is to be placed four hundred and twenty six years below the deluge, these twenty centuries make almost two thirds of the period mentioned: and the whole history of them is comprized in eleven short chapters of Genesis; which is certainly the most compendious extract that ever was made. If we examine the contents of these chapters, do we find any thing like an universal history, or so much as an abridgment of it? (…) What geography now have we, what history of this antediluvian world? Why, none. (…) Did this author, my lord, intend an universal history? Certainly not“ (a. a. O., S. 87–88). 59 „(…) and your native candor and love of truth will oblige you then to confess, that these sacred books do not aim, in any part of them, at any thing like universal chronology and history“ (a. a. O., S. 92). „We have therefore neither in prophane nor in sacred authors such authentic,
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2.3 Die Theorie der Geschichtsfälschung durch den Klerus Beschäftigt sich der dritte Brief noch vornehmlich mit den Untersuchungen zur historischen Forschung der ersten Jahrhunderte und mit der Frage der Belastbarkeit der religiösen Schriften, allen voran des Alten Testaments, so erweitert Bolingbrokes vierter Brief das Thema um die grundsätzliche Frage, ob es überhaupt unverfälschte Geschichtsschreibung geben könne.60 Der skeptizistischen Verallgemeinerung, eine gesicherte Geschichtserkenntnis sei prinzipiell unmöglich, will er zwar nicht zustimmen. Zugleich weitet er aber nun seinen zuvor lediglich auf das Alte Testament bezogenen Vorwurf der systematischen Geschichtsfälschung auf das Wirken aller religiösen Funktionsträger aus.61 Besonders scharf geht er mit Heiligenviten ins Gericht, in denen das „composing of holy romances“ zum Prinzip erhoben werde. Während der katholische Oratorianer Richard Simon aus der Unzuverlässigkeit des biblischen Textes die Ergänzungsbedürftigkeit des Schriftprinzips durch die Auslegung der kirchlichen Tradition abgeleitet habe, nimmt Bolingbroke dessen historisch-kritische Ergebnisse auf und steigert sie zur umfassenden kirchlichen Traditionskritik. Unter Verweis auf eigene historische Studien zur Entstehung von Heiligenkulten erhebt Bolingbroke den Vorwurf des willkürlich konstruktiven Charakters jeglicher Legendenbildung der gesamten kirchlichen Tradition. Autobiographisch unterstützt werden seine wissenschaftlichen Studien durch den Bericht vom Entstehen eines Heiligenkultes um den jansenistischen Geistlichen François de Pâris (1690–1727), dessen aufsehenerregender Fall für ihn die Irrationalität religiöser Historiographie exemplifiziert.62 Die unüberbrückbare Kluft zwischen clear, distinct, and full accounts of the originals of ancient nations, and of the great events of those ages that are commonly called the first ages, as deserve to go by the name of history, or as afford sufficient materials for chronology and history“ (a. a. O., S. 94). 60 Bolingbroke setzt sich hierbei mit dem von Pierre Bayle und anderen vorgetragenen Einwand des Pyrrhonismus auseinander, der seiner Meinung nach jeder sicheren Geschichtserkenntnis ihre Legitimation abspricht. Dem setzt er die These entgegen, dass es sich bei der Zweifelhaftigkeit der Geschichte zwar um ein oftmals auftretendes berechtigtes Phänomen handele, dies jedoch keinesfalls verallgemeinert werden könne (vgl. a. a. O., S. 98–99). 61 „I agree then that history has been purposely and systematically falsified in all ages, and that partiality and prejudice have occasioned both voluntary and involuntary errors even in the best. Let me say without offence, my lord, since I may say it with truth and am able to prove it, that ecclesiastical authority has led the way to this corruption in all ages, and all religions. (…) That the Jews have been guilty of this will be allowed: and, to the shame of Christians, if not Christianity, the fathers of one church have no right to throw the first stone at the fathers of the other. Deliberate systematical lying has been practised and encouraged from age to age; and among all the pious frauds that have been employed to maintain a reverence and zeal for their religion in the minds of men, this abuse of history has been one of the principal and most successful“ (a. a. O., S. 99–101). 62 François de Pâris war ein jansenistischer Geistlicher in Paris, der sich in radikaler Weise dem christlichen Armutsgebot verpflichtet sah und vom Volk wie ein Heiliger verehrt wurde. Nach seinem frühen Tod kam es zu massenhaften ekstatischen Wunderheilungen an seinem Grab, das sich bald zur Pilgerstätte entwickelte. Die unkontrollierbare Eigendynamik der
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philologischer Bildung und erlebter Frömmigkeitskultur führen, ähnlich wie bei anderen französischen Aufklärern, zu einem Generalverdacht gegenüber der Kirche und ihren Traditionen. Ausgehend von der kirchlich konstruierten Geschichtsschreibung griff demnach das Prinzip der Geschichtsfälschung („lying spirit“) auch auf die Profanhistorie über.63 Für Bolingbroke betrifft der Vorwurf der Geschichtsfälschung dabei die gesamte Kirchengeschichte und spart auch nicht die Darstellung der bedeutendsten Kirchenväter aus. Im Versuch, die „verdorbene“ Sprache des Neuen und die Grausamkeiten des Alten Testaments zu rechtfertigen, manifestieren sich dabei lediglich Phänomene der aktualisierenden Kontinuität jenes priesterlichen Betrugs.64 Ausgehend von der Annahme eines kollektiven Lernprozesses der Menschheit kommt Bolingbroke allerdings zu dem Schluss, dass sich trotz anhaltender Versuche kirchlicher und staatsbürgerlicher Einflussnahme in der Geschichtsschreibung in vielen Ländern inzwischen dennoch Maßstäbe objektiver Wahrheit durchgesetzt haben.65
3. Die Rezeption der Debatte um Bolingbrokes Letters in England Nachdem Bolingbroke seine Briefe 1741 lediglich privat und in französischer Sprache veröffentlicht hatte,66 erschienen 1752, ein Jahr nach seinem Tod, in Volksfrömmigkeit sowie die jansenistische Haltung François de Pâris’ führten zur scharfen Kritik des Klerus an den Wunderheilungen. Im Streit um eine Heiligsprechung des Diakons wurden zahlreiche ärztliche Gutachten und Gegengutachten angefordert, die die Echtheit der Wunder überprüfen sollten. Vgl. hierzu auch den Hinweis auf die intensive Auseinandersetzung mit den ärztlichen Gutachten durch den Göttinger Theologen Gottfried Less in seinem Beweiß der Wahrheit der christlichen Religion (1768) in Kap. VII, Anm. 28 und 29. 63 „This lying spirit has gone forth from ecclesiastical to other historians“ (a. a. O., S. 102). 64 „The charge of corrupting history, in the cause of religion, has been always committed to the most famous champions, and greatest saints of each church; and, if I was not more afraid of tiring, than of scandalising your lordship, I could quote to you examples of modern churchmen who have endeavoured to justify foul language by the New testament, and cruelty by the Old“ (a. a. O., S. 104). 65 „In short, my lord, the favorable opportunities of corrupting history have been often interrupted, and are now over in so many countries, that truth penetrates even into those where lying continues still to be part of the policy ecclesiastical and civil“ (a. a. O., S. 111). 66 Als Lettres sur l’histoire par Henry Saint-Jean, Lord Vicomte Bolingbroke erschien noch im selben Jahr 1752 eine französische Übersetzung. Diese war bereits 1741 auf der Grundlage der Edition der Briefe für Bolingbrokes Freund Alexander Pope angefertigt worden, welche jedoch erst 1752 nach Bolingbrokes Tod einem breiteren Publikum bekannt wurde. „Mylord m’avoit permis d’en faire une traduction Françoise en 1741, sur l’Edition de M. Pope, avec la même promesse qu’elle ne paroîtroit point de son vivant“ (Bolingbroke, Lettres sur L’Histoire, Vorwort, S. 5). Die bei aller Hochachtung im Vorwort der französischen Übersetzung geäußerte Kritik an Bolingbrokes Thesen macht sich vor allem an dessen Missachtung der kirchlichen Institution sowie der Kirchenväter fest, weniger an der Infragestellung des biblischen Textes. Interessanterweise wird Bolingbrokes historische Kritik als bereits bekannte protestantische Argumentation
3. Die Rezeption der Debatte um Bolingbrokes Letters in England
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London seine Briefe unter dem Titel Letters on the study and use of history in englischer Sprache und wurden bereits im selben Jahr in einer weiteren, verbesserten Ausgabe erneut gedruckt. Hier, in England, lösten sie in den folgenden Jahren eine stürmische Debatte aus, die eine Flut von Reden, Predigten, Rezensionen, Satiren und Monographien zur Folge hatte. Der anglikanische Prediger James Hervey (1714–1758) verfasste bereits im selben Jahr die Abhandlung Remarks on Lord Bolingbroke’s Letters on the study and use of history; so far as they relate to the history of the Old Testament.67 John Leland (1691–1766), einer der prominentesten und gebildetesten Kritiker der Deisten,68 reagierte 1753 mit seinen eigenen Reflections on The Study and Use of History; Especially so far as they relate to Christianity, and the Holy Scriptures.69 Darüber hinaus erlangte die 1753 veröffentlichte Vindication of the histories of the Old and New Testament, in answer to the objections of the Lord Bolingbroke des Bischofs von Clogher, Robert Clayton (1695–1758), ebenso Aufmerksamkeit wie John Hills (1716–1775) Thoughts concerning God and nature in answer to Lord Bolingbroke’s philosophy (1755).70 Gegen Bolingbroke erhob auch der einflussreiche englische Prediger ausgegeben, die jedoch durch katholische Theologen entkräftet worden sei: „Mais au reste tous ses argumens vagues contre la certitude de la Tradition Ecclésiastique, ne sont que des répétitions de ce que les Ministres de la Religion Protestante ont osé soutenir, & que nos Controversistes ont si solidement refuté“ (a. a. O., S. XX). Unter Bezugnahme auf viele andere Kritiker in der Kirchengeschichte, die nach Ansicht des Editors alle bereits theologisch klar widerlegt worden seien, kann Bolingbrokes Kritik hier sogar mit einer gewissen Gelassenheit zur Kenntnis genommen werden. Welch entscheidende Rolle der kulturelle Hintergrund für die Entwicklung und Veröffentlichung solch kirchenkritischer Thesen spielte, spiegelt die Bemerkung des französischen Herausgebers wider, dass mit solch einer Freiheit wohl nur ein Engländer auftreten könne. Dies bestätigt auch eine weitere Reaktion auf die Schriften Bolingbrokes, die zugleich die Reichweite der damaligen Wahrnehmung seiner Schriften beweist. So erhielt auch der französische Minister Montesquieu 1754 eine Ausgabe der im selben Jahr veröffentlichten gesammelten Werke Bolingbrokes, worauf jener mit einem Schreiben an deren Herausgeber David Mallet reagierte. Neben der respektvollen Würdigung der Leistungen Bolingbrokes missfiel Montesquieu in erster Linie dessen scharfe Kirchenkritik, die seiner Meinung nach zwar für rückständig autoritäre Gegenden wie Spanien und Portugal zutreffen möge, in Frankreich oder gar im freiheitlichen England jedoch zu dieser Zeit keinesfalls mehr angemessen und daher überzogen sei (vgl. Charles de Secondat, Baron de Montesquieu, Schreiben des Präsidenten Hrn. von Montesquieu an den Englischen Herausgeber von Lord Bolingbroke’s Philosophie [26. Mai 1754], abgedruckt in: Magazin für Litteratur und Völkerkunde 1782, 1. Bd., S. 169–170). 67 James Hervey, Der volle Titel lautet: Remarks on Lord Bolingbroke’s Letters on the study and use of history; so far as they relate to the history of the Old Testament, and especially to the case of Noah denouncing a curse upon Canaan, in a letter to a Lady of quality, London 1752. 68 John Leland zählt zu den prominentesten und anspruchsvollsten Gegnern des Deismus und veröffentlichte das auch im deutschsprachigen Raum weit bekannte Standardwerk über den englischen Deismus unter dem Titel A view of the principal deistical writers that have appeared in England during the last and present century, 2 Bde., London 1754/55. 69 Der volle Titel lautet: Reflections on The Study and Use of History; Especially so far as they relate to Christianity, and the Holy Scriptures. To which are added, Observations on some Passages in those Letters concerning the Consequences of the late Revolution, and the State of Things under the present Establishment, London 1753. 70 Zu den weiteren veröffentlichten Gegenschriften zählten unter anderem Peter Whalley,
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William Warburton (1698–1779) seine Stimme, indem er in Briefen und Reden vor dessen gefährlichen Ideen warnte. Neben der separaten Veröffentlichung der Letters eröffnete die englische Ausgabe der gesammelten Werke Bolingbrokes ab 1754 einer breiteren Leserschaft Zugang zu dessen umfangreichem Œuvre.71 Dabei meldeten sich nicht nur kirchliche Vertreter zu Wort, sondern in diversen englischen Zeitschriften auch zahlreiche Rezensenten. Am eingehendsten widmeten sich die berühmten Londoner Journale The Monthly Review und London Magazine der Debatte und veröffentlichten zwischen 1752 und 1754 jeweils mehr als 40 Berichte und Besprechungen, die auf Bolingbrokes Person und Werke Bezug nahmen. Während die Rezensionen seine intellektuelle Brillanz und Eloquenz ebenso wie sein politisches Genie vielfach hymnisch priesen, wurden dessen religionskritische Bemerkungen hiervon explizit ausgenommen.72 So lassen die Rezensionen durchaus ein gewisses Wohlwollen für eine moderate und anspruchsvolle Verteidigung der Widerlegungen gegen Bolingbroke erkennen, die die biblischen Texte als „sacred monuments of our religion“73 zu verteidigen suchten. Aufgrund von Bolingbrokes breitem gesellschaftlichen Einfluss und seiner damit einhergehenden allgemeinen Wahrnehmung wurden seine Thesen jedoch nicht nur in den gelehrten Zeitschriften besprochen, sondern auch in englischen Gesellschaften kontrovers diskutiert, wie William Warburtons Reden74 vor der Lincoln’s-Inn Society belegen. A vindication of the evidences and authenticity of the gospels, from the objections of the late Lord Bolingbroke, in his Letters on the study of history (1753). 71 Henry St. John Bolingbroke, The works of the late Right Honorable Henry St. John Lord Viscount Bolingbroke. In five volumes. Published by David Mallet, London 1754. 72 „Whoever has perused his writings with impartiality and a moderate share of attention, must have observed a nobleness and elevation in his sentiments, a large and comprehensive view of his subject, and a masterly manner of treating it. (…) As to what his lordship has advanced concerning the historical part of the old testament, though we cannot but look upon it to be highly exceptionable, to say no worse, and can scarce persuade ourselves, that a person of his lordship’s penetration and discernment could rest satisfied with the distinction he mentions between the historical and doctrinal parts“ (The Monthly Review April 1752 [6. Bd., 34. Art.], S. 279–300, hier S. 279). Noch kritischer schließt die Rezension einer Abhandlung Bolingbrokes über die mosaische Verfasserschaft der Genesis, verfasst 1720 als Briefe an M. Pouilly und 1754 in den gesammelten Werken herausgegeben: „we shall only observe in general, that what his lordship has advanced, is little more than loose and empty declamation; that the objections he urges, have been often urged, and often answered; and are so far from giving one a high opinion of his abilities, that they evidently shew he neither knew where the principal difficulties lay, nor what was the properest method of urging them“ (The Monthly Review 1754 [10. Bd., 32. Art.], S. 250–275, hier S. 275). 73 The Monthly Review 1753 (8. Bd., 8. Art.), S. 101–116, hier S. 108. In der Rezension zu Lelands Reflections on The late Lord Bolingbroke’s Letters on the Study and Use of History lassen sich die Wertschätzung für Lelands apologetische Position und die Vorbehalte gegen Bolingbrokes Bibelkritik besonders deutlich wahrnehmen. So heißt es über Leland: „He observes very justly, that several things the noble author hath advanced with this view, have scarce so much as the appearance of argument“ (ebd.). 74 Warburton, The Principles of natural and revealed religion occasionally opened and explained (1753).
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4. Die Rezeption der Debatte um Bolingbrokes Letters in Deutschland 4.1 Die Rezeption der englischsprachigen Debatte 4.1.1 Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen (Göttingen) 4.1.1.1 Defense de Mr. Bolingbroke par M. de Voltaire Untersucht man die Rezeption der Schriften Bolingbrokes in Deutschland, so vermittelt bereits die zeitliche Reihenfolge der Rezensionen in den gelehrten Journalen einen Einblick in die grundlegenden Dynamiken des Rezeptionsprozesses englisch-deistischer Literatur in Deutschland. Eine erste indirekte Wahrnehmung erfuhren die Thesen Bolingbrokes in den Göttingischen Anzeigen am 4. Juni 1753.75 In einer kurzen Rezension wurde die Publikation Defense de Mr. Bolingbroke par M. de Voltaire besprochen, wobei Bolingbrokes philosophische Thesen selbst in den Göttingischen Anzeigen zuvor keinerlei Erwähnung gefunden hatten und somit unter den Lesern kaum als bekannt vorauszusetzen gewesen sein dürften. Es mag also sein, dass allein der prominente Name Voltaires dazu veranlasste, das Werk zu erwähnen,76 selbst wenn der Rezensent vorab bemerkt, dass die Schrift wohl nicht vom berühmten Philosophen stamme, da der Verfasser sich als „zwar nicht sehr gläubiges Mitglied der Reformirten Kirche“77 bezeichne. Nach Ansicht des Rezensenten besteht die gesamte Intention der Schrift darin, Mose die Verfasserschaft der fünf Bücher Mose abzusprechen und zu behaupten, dass diese nicht mit der Vernunft in Einklang zu bringen sei. Als Gründe werden unter anderem die rationale Erklärbarkeit der darin beschriebenen Wunder sowie die zahlreichen Fehler in den chronologischen und geographischen Zuordnungen angeführt. Auch die Kritik an der
Göttingische Anzeigen 1753 (68. St.), S. 630–631. Welch garantierten publizistischen Erfolg das Erscheinen der Schriften Voltaires auch im deutschsprachigen Raum regelmäßig versprach, spiegeln zahlreiche zeitgenössische Kommentare wider. So beklagt beispielsweise ein Rezensent der Freymütigen Nachrichten aus Zürich 1757: „Die Gewinnsucht und Unverschämtheit fahren fort, wider des berühmten Herrn von Voltaire Wissen, Willen, und Dank, Schriften, die ihn zum Verfasser haben, im Druck herauszugeben. Er ist allerdings zu beklagen; nur weiß man nicht recht, von was vor einer Seite: Ob deswegen, weil er das Unglück hat, daß von seinen Manuscripten erbärmliche Copien, wie er selbst sagt, in anderer Leuthe Hände fallen, oder ob darum, weil, wie viele Personen, die seine Gönner nicht sind, erinnern, man eben lauter solche Arbeiten von ihm herausgiebt, die ihm keine Ehre machen“ (Freymüthige Nachrichten 1757 [14. Bd., 13. St.], S. 104). Vgl. dazu auch Knabe, Die Rezeption der französischen Aufklärung in den „Göttingischen Gelehrten Anzeigen“ (1739–1779), S. 111–120. 77 Göttingische Anzeigen 1753 (68. St.), S. 630. 75 76
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nachträglichen Komposition der Texte durch die Priesterschaft als Verfasser der mosaischen Schriften wird als wesentlicher Kritikpunkt Bolingbrokes genannt. Trotz des Anspruchs der unparteiischen Darstellung liefert die Rezension neben der Wiedergabe der Thesen sogleich deren Widerlegung seitens des Rezensenten mit, die sich „nach den Regeln der menschlichen Critic“78 demonstrieren lasse. Unter Verweis auf die hohe Qualität des mosaischen Sprachstils folgert der Rezensent die chronologische Nachrangigkeit der sprachlich minderwertigen Texte zur Zeit Esras, die eine nachträgliche priesterliche Rekonstruktion der mosaischen Texte zu Esras Zeiten unwahrscheinlich erscheinen lasse. Die Bezugnahme der mosaischen Texte auf die ägyptische Großmacht sowie die fehlende Erwähnung des später zu datierenden assyrischen Reiches sprächen demnach ebenfalls für das hohe Alter der mosaischen Berichte, wovon die gesamte jüdische Geschichte abhänge.79 Die alttestamentliche Offenbarungskritik Voltaires sei „nicht neu, und oft beantwortet“80 und daher keiner weiteren Widerlegung würdig. Die konfessionelle Prägung des Urteils des lutherischen Rezensenten bringt der Vorwurf zum Ausdruck, als Reformierter besitze der Autor eine natürliche Affinität zum deistischen Gedankengut. Dem wird die Koalition des lutherischen und des katholischen Bekenntnisses entgegengehalten, um gemeinsam zu verteidigen, „was bey uns geheiligt und der Grund unsrer Hofnung ist“.81 Trotz des Anspruchs der argumentativ zu beweisenden historisch-philologischen Überlegenheit der eigenen Position deutet der bekenntnisartige Tonfall am Ende der Rezension die existentielle Bedeutung an, welche die scharfen Angriffe Bolingbrokes auf die Historizität der mosaischen Berichte für das theologische Selbstverständnis der zeitgenössischen Gelehrten besaßen. 4.1.1.2 James Hervey’s Remarks on Lord Bolingbroke’s Letters Erst im Oktober 1753 setzte in den Göttingischen Anzeigen eine ausführliche Auseinandersetzung mit Bolingbrokes Thesen ein. Diese wurden zunächst im Spiegel ihrer kritischen Repliken besprochen. Anzunehmen ist daher, dass sie in den Göttingischen Anzeigen anfangs nicht als solche wahrgenommen wurden, sondern erst durch die von ihnen in England ausgelöste Debatte und die damit einhergehenden apologetischen Schriften Aufmerksamkeit erregten.82 A. a. O., S. 631. „Und insonderheit ist die Geschichte Moses der Grund der ganzen Jüdischen Religion, der älter als sie sein muß“ (ebd.). 80 A. a. O., S. 630. 81 „Uns dünkt, die Catholischen, die mit uns einen Erlöser und eine gleiche Heil. Schrift glauben, sind uns näher, als diejenigen, die alles dasjenige für einen Betrug ansehen, was bey uns geheiligt und der Grund unsrer Hofnung ist“ (a. a. O., S. 631). 82 Aufgrund fehlender handschriftlicher Zuordnungen der anonym erschienenen Rezensionen lassen sich die Göttinger Rezensenten den Debattenbeiträgen leider nicht mehr zweifelsfrei 78 79
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Erwähnung findet an erster Stelle das Werk des oben bereits erwähnten englischen Predigers James Hervey Remarks on Lord Bolingbroke’s Letters. Deren Verfasser gehörte in Oxford zum erwecklichen Kreis des „Holy Club“ um John (1703–1791) und Charles Wesley (1707–1788). Mit religiösem Eifer und scharfer Polemik wandte er sich gegen Bolingbrokes Religionskritik. Dem Genre der Unterhaltungsliteratur folgend, erschien Herveys Werk in Form eines Briefes an eine nicht näher genannte Dame mit der Absicht, die Würde des göttlichen Wortes zu verteidigen. Dessen gut zweiseitige Rezension in den Göttingischen Anzeigen gleicht dabei dem vollständigen Verriss eines wissenschaftlich mehr als unzureichenden Werkes. Wir fürchten, daß dieser Brief der Religion wenig Vortheil bringen, und von den wahren Freunden derselben nur als eine Probe der Dreistigkeit des H[ervey] von einer ihm zu schweren Materie zu schreiben (…) angesehen werden müsse.83
Nicht nur inhaltlich, sondern auch formal genügt Herveys Schrift nach Meinung des Rezensenten in keiner Weise den einer wissenschaftlichen Debatte angemessenen Maßstäben. Bereits die Formulierung, dass der Sprachstil Herveys zwar „von einigen auf der Cantzel geduldet werden möchte, Streit-Schriften aber verunziert“,84 symbolisiert das Selbstverständnis des Rezensenten als Moderator eines theologisch-wissenschaftlichen Diskurses, dem polemische und klerikale Sprache als deplatziert gilt. Die inhaltliche Auseinandersetzung Herveys mit den Thesen Bolingbrokes bietet dabei die Gelegenheit, dem Leser diese unkommentiert zu präsentieren, um in einem zweiten Schritt die eigenen Gegenargumente vorzuführen. So wird der Leser zunächst mit Bolingbrokes Kritik an der alttestamentlichen Chronologie als Grundlage der Universalgeschichte konfrontiert, der gegenüber Historiker wie Tacitus als „das vollkommenste Muster eines Geschichtschreibers“85 vorzuziehen seien. Herveys Erwiderung, dass das Alte Testament schon aufgrund seiner historisch korrekt erfüllten Weissagungen anderen historischen Büchern überlegen sei, exemplifiziert für den Rezensenten die geringe Plausibilität derartiger apologetischer Versuche, da „derjenige nicht einmahl die Weissagungen des Jesaias für Weissagungen gelten lassen wird, der noch nicht aus der Zeitrechnung überzeuget ist, daß sie vor der Erfüllung aufgezeichnet sind“.86 Bewusst übergangen werden dagegen Argumente Herveys, die der Rezensent für wenig innovativ erachtet. Erwähnung findet hingegen dessen historischer Gegenangriff, zuordnen. Eine Aufschlüsselung der Rezensenten lässt sich aufgrund mehrerer privater Handexemplare der Göttingischen Anzeigen erst ab 1760 rekonstruieren. Vgl. dazu Schimpf, Die Rezensenten der Göttingischen Gelehrten Anzeigen 1760–1768. Vgl. außerdem Fambach, Die Mitarbeiter der Göttingischen Gelehrten Anzeigen 1769–1836. 83 Göttingische Anzeigen 1753 (121. St.), S. 1083. 84 Ebd. 85 Ebd. 86 Ebd.
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in dem er die Zuverlässigkeit der Geschichtsschreibung des Tacitus infrage stellt und sich hierbei auf die von Thomas Hunter (1712–1777) erschienenen Observa‑ tions on Tacitus (1752)87 beruft. Für Hervey historisch schwierig zu beantworten bleibt dagegen der Einwand, Moses Begräbnisschilderung im 5. Buch Mose könne nicht von diesem selbst stammen und müsse somit nachträglich hinzugefügt worden sein. Nach Hervey ist es jedoch nicht entscheidend, ob der Bericht von Moses Tod von Josua oder einem Unbekannten stamme, sondern nur, dass er „das Imprimatur des heiligen Geistes erhalten“88 habe, „wie H[ervey] in der ihm eigenen Schreib-Art sich ausdrückt“.89 Ausführlich widmet sich Hervey Bolingbrokes deistischen Einwänden gegen die fehlende Legitimation eines moralischen Offenbarungsanspruchs des Alten Testaments anhand einer detaillierten Rechtfertigung des Fluches Noahs gegen Kanaan. Für Bolingbroke repräsentiert die Verfluchung Kanaans geradezu idealtypisch die moralische Delegitimatierung des Alten Testaments und seines Inspirationsanspruchs und verleitet ihn daher zur spöttischen Anmerkung, Noah müsse noch betrunken gewesen sein, als er diese aussprach. Herveys exegetischer Versuch, den ambivalenten Text mithilfe einer philologischen Umdeutung der hebräischen Begriffe zu legitimieren, wird vom philologisch versierten Rezensenten der Göttingischen Anzeigen unmittelbar als „eine Redens-Art, welche die Hebräer nicht kennen“90 enttarnt. Für historisch ähnlich unplausibel hält der Rezensent Herveys Bemühungen, das biblische Zeugnis durch externe Argumente zu stützen mit dem Hinweis, Noahs Fluch sei historisch pünktlich erfüllt worden, und selbst Zitate bei profanen Schriftstellern wie Livius und Vergil ließen sich auf diesen beziehen.91 Die endgültige Disqualifikation von Herveys argumentativer Satisfaktionsfähigkeit liefert schließlich die Passage, „den einzelnen Personen oder gantzen Völckern, so das Evangelium verachten, das Gegenbild von der Ersäufung im rothen Meer“ anzudrohen.92 Teils verkürzt zitierend und simplifizierend, vermittelt der Rezensent dem Leser das Bild eines wissenschaftlich äußerst mangelhaften Werkes, welches den Ansprüchen eines gelehrten Diskurses in keiner Weise entspreche und somit letztlich dem Anliegen einer Apologie der biblischen Offenbarung schade.93 Das scharfe Urteil gegenüber dem predigtartigen Stil der Schrift Herveys bringt dabei sowohl das akademische Selbstbewusstsein wie das Vertrauen in die Überzeugungskraft des akademischen Diskurses unter den Göttinger Theologen zum Ausdruck. Wie eine Vielzahl 87 Der volle Titel lautet: Observations on Tacitus in which his character as a writer and an historian is impartially considered and compared with that of Livy, London 1752. 88 Göttingische Anzeigen 1753 (121. St.), S. 1084. 89 Ebd. 90 Ebd. 91 Vgl. ebd. 92 A. a. O., S. 1084–1085. 93 „Dis ist wol genug, oder zu viel, von einer schlechten Schrift, so die Sache, welche sie vertheidiget, verdächtig oder gar verächtlich machen kann“ (a. a. O., S. 1085).
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weiterer englischer Debattenbeiträge veranschaulicht, stellt das Urteil der Göt‑ tingischen Anzeigen kein singuläres Phänomen dar, sondern spiegelt ein weit verbreitetes Schema deutscher gelehrter Rezeption einer grundlegend andersartig strukturierten religiösen Debattenkultur in England wider. Die Hochachtung vor den wissenschaftlich anspruchsvollen Schriften Lelands verdeutlicht, dass jenes Urteil keineswegs alle englischen Theologen traf. Im Aufeinandertreffen Herveys als Repräsentanten des „Holy Club“ als einer innerkirchlich religiösen Erneuerungsbewegung einerseits und einer sich in Göttingen historisch- philologisch spezialisierenden theologischen Wissenschaft anderseits trat die innerchristliche Spannung im Streit um die adäquate theologische Reaktion auf die wachsenden Herausforderungen einer sich religiös emanzipierenden Gesellschaft offen zutage. Wie die Auseinandersetzungen zwischen Semler und den Pietisten in Halle veranschaulichen, standen ähnliche Konfrontationen der deutschen theologischen Gelehrtenwelt noch bevor. 4.1.1.3 John Leland’s Reflections on The late Lord Bolingbroke’s Letters Sehr viel positiver reagierten die Göttingischen Anzeigen auf ein weiteres apologetisches Werk zur Debatte, John Lelands Reflections on The late Lord Boling‑ broke’s Letters on the Study and Use of History (1753). Es sei „von einer gantz andern Art als die vorige, und so bescheiden, gründlich und angenehm“.94 Apologetisch wirkungsvoll, lieferten die Göttingischen Anzeigen erst in Zusammenhang mit Lelands wissenschaftlich überzeugender Verteidigungsschrift eine ausführliche Darstellung des Inhaltes der Letters Bolingbrokes, die bis dahin keinerlei eigenständige Rezeption erfahren hatten. Diese Verzögerung der inhaltlichen Darstellung der Letters wird dabei mit dem Anliegen begründet, man habe erst auf die Publikation aller Verteidigungsschriften warten wollen, um dem Leser einen Überblick und die Möglichkeit des Vergleichs derselben zu bieten.95 Hier kommt unverhohlen das genuine Interesse an apologetischen Schriften zum Ausdruck, dem gegenüber die ursprünglichen Anliegen der deistischen Literatur als Hilfsmittel zur eigenen theologischen Selbstvergewisserung dienen.
Ebd. „Die im vorigen Jahre herausgekommenen Briefe des Lord Bolingbrokes, on the study and Use of history in denen er theils die Gottesgelehrten anklagt, als hätten sie den historischen Beweiß der Religion, so der kräftigste sey, versäumet, theils aber auch so redet, daß man beynahe schliessen muß, dieser historische Beweiß lasse sich nicht führen, und endlich gewisse eintzelne Geschichte der Bibel angreifft, haben zu mehreren Vertheidigungen der Religion gegen ihn Anlaß gegeben, die wir etwas späte erwähnen müssen, weil wir sie gern erst beysammen haben wollten, um ihren verschiedenen Inhalt und die Vorzüge der einen vor der andern deutlicher anzeigen zu können. (…) Den bedencklichen Inhalt derselben übergehen wir hier, weil wir ihn unten bey Lelands Widerlegung anführen werden“ (a. a. O., S. 1082). 94 95
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Ihnen zufolge hält Bolingbroke die jüdische Geschichtsschreibung für ein Produkt einer mündlichen, unzuverlässigen Tradition eines abergläubischen Volkes, auf dessen Quellen das Christentum teilweise seinen Wahrheitsanspruch aufbaut. Bolingbrokes These von der Unsicherheit des biblischen Textes wird dabei als eine Kombination aus katholischer Bibelkritik zur Widerlegung des reformatorischen Schriftprinzips sowie der reformatorischen Nachrangigkeit mündlicher Traditionen diagnostiziert. Aus der Feststellung der Fehlerhaftigkeit und Widersprüchlichkeit der biblischen Texte ergibt sich nach Bolingbroke für das Christentum das erkenntnistheoretische Dilemma, dass entweder die Religion selbst falsch sein müsse oder aber Gott den Menschen keine sichere Erkenntnis der religiösen Wahrheit ermöglicht habe. Dabei hält Bolingbroke die Annahme der prinzipiellen erkenntnistheoretischen Unsicherheit in Bezug auf das Christentum für gefährlicher als den Atheismus selbst.96 Dass die Kirche trotz dieses offenbaren Dilemmas bis dahin imstande gewesen ist, ihren Einfluss aufrechtzuerhalten, hat sie nach Auffassung Bolingbrokes lediglich der Ausübung ihrer weltlichen Macht in den früheren Zeiten „der Unwissenheit und des Aberglaubens“ zu verdanken, welche nun seit dem Aufkommen der Wissenschaften kontinuierlich abnähmen. Der Wahrheitsanspruch des Christentums, welcher für Bolingbroke wesentlich auf der Annahme bestimmter Wunderwerke Gottes basiert, kann demzufolge nicht mit dogmatisch-metaphysischen Argumenten verteidigt werden, sondern basiert allein auf der Plausibilität historischer Fakten.97 Die biblische Quellenlage müsse jedoch als äußerst unsicher gelten, da sich viele Wunder als Erdichtungen erwiesen hätten und kritische Zeugen bereits in der Alten Kirche vernichtet worden seien. Als aktuelle religionsgeschichtliche Parallele wird Bolingbrokes Bezugnahme auf den Fall des berühmten Jansenisten François de Pâris98 erwähnt, dessen Wunder sich nur aufgrund der ungünstigen politischen Konstellation einer antijansenistischen Regierung nicht geschichtlich wirksam durchsetzen konnten. Nach Bolingbroke lassen sich hieran symptomatisch die 96 „Der Grund des Christenthums beruhet zum Theil auf diesen Geschichten. Dieses hat jetzt keine gewisse Richtschnur, indem die Papisten bewiesen haben, daß die Auslegung der Bibel ungewiß sey, (wie auch die so verschiedenen Erklärungen erhärten, die über einerley Text gemacht werden) und die Protestanten die Unzuverläßigkeit der mündlichen Ueberlieferungen darthun: wobey es ein erschrecklich Dilemma ist: entweder unsere Religion ist falsch; oder, GOtt hat eine Religion offenbahrt, ohne davor zu sorgen, daß sie zu aller Zeit mit Gewisheit erkannt werden können. Wer das letzte behauptet, ist schlimmer als ein Atheiste“ (a. a. O., S. 1086). 97 „Der Beweiß der Religion muß nicht aus metaphysischen, sondern historischen Gründen geführet werden, weil sie sich auf gewisse facta, nehmlich auf Wunderwercke gründet. Allein diesen Beweiß zu führen unterlassen die Gottesgelehrten. Das Christenthum ist offenbahr auch durch erdichtete Wunder vertheidiget“ (ebd.). Auf die sukzessive Verschiebung der Apologetik hin zu einem biblisch historischen „Evidentialism“ in der englischen Apologetik weist auch James A. Herrick in seiner Untersuchung der englisch-deistischen Diskurse hin: Herrick, The radical rhetoric of the English deists, S. 164. 98 Zur Person des François de Pâris vgl. Kap. V, Anm. 62.
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Dynamiken einer Religionsentstehung beobachten, welche die Wahrheit ihrer Zeugnisse mithilfe bereits religiös voreingenommener Zeugenberichte untermauert. Bolingbrokes skandalöse Pointe in der strukturanalogen Interpretation der Entstehung der christlichen Religion und ihrer Texte wird von der Rezension offen thematisiert. So ist Bolingbroke zufolge nach diesen Kriterien nicht einmal die Echtheit der vier Evangelien zweifelsfrei zu beweisen. Zitate der Kirchenväter deuten zudem darauf hin, dass es ursprünglich noch zahlreiche weitere Evangelien gegeben haben müsse. Auf das Referat der Thesen Bolingbrokes folgt die Darstellung der Widerlegung durch Leland, dessen ausführliche Wiedergabe aufgrund der Schwäche der Beweise Bolingbrokes „beynahe“ als „Verschwendung des Papiers“99 bezeichnet wird. Angeführt werden zunächst eine Reihe inhaltlicher Widersprüche, die Bolingbrokes Denken als paradox und seine hehren religiösen Ansprüche als Blendwerk entlarven. Der Vorwurf der „Unaufrichtigkeit“, den Bolingbroke gegenüber der Geistlichkeit im Umgang mit der historischen Wahrheit religiöser Überlieferungen erhebt, lässt sich nach Leland ebenfalls auf Bolingbroke anwenden, da er sich zwar als christlichen Apologeten stilisiere, zugleich aber nicht mehr ersichtlich sei, dass er die Bibel noch „vor göttlich“ halte. Dass Bolingbroke einerseits einen Sittenverfall in England konstatiere und zugleich „den Damm gegen die Laster“100 mit Bestreitung der christlichen Religion einreiße, müsse dabei als inkonsequent erscheinen. Ebenso paradox sei es, dass er die alte Geschichte und Chronologie zwar verachte, zugleich aber den historischen Beweis der Religion fordere. Insgesamt, so Leland, seien die Thesen Bolingbrokes zumeist keineswegs wirklich neu, „[b]los sein Ansehen, und die dreiste Art das falsche vor Wahrheit zu setzen, macht sie gefährlic“.101 Detailliert rekapituliert daher die Rezension die historische Argumentation Lelands gegen die Thesen Bolingbrokes. So habe das babylonische Exil nicht so lange gedauert, dass die Juden nach ihrer Rückkehr erdichtete Bücher Moses angenommen haben könnten. Ebenso dienten die in den ersten Jahrhunderten frei erfundenen Wunder vornehmlich der Verteidigung abergläubischer Lehren und nicht dem Christentum selbst und seien gerade von den Theologen vielfach als Erfindungen entdeckt und kritisiert worden. Dem Vorwurf der urchristlichen Fälschung stellt Leland die Wirkungsgeschichte des Christentums als Argument für dessen Plausibilität entgegen. Dessen rasche Ausbreitung bleibe unbegreiflich, falls die Geschichten reine Fiktion wären, obwohl man damals ihre Wahrheit noch hätte prüfen können. Für die historische Authentizität der Evangelien spricht nach Leland auch deren hohes Alter, da sich bei den Synoptikern kein Hinweis auf die bereits erfolgte Zerstörung Jerusalems finden lasse, der auf eine spätere Datierung der Göttingische Anzeigen 1753 (121. St.), S. 1087. A. a. O., S. 1088. 101 Ebd. 99 100
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Evangelien schließen ließe. Der in ihnen beschriebene Charakter Christi in seinen Reden und Handlungen sei „so einförmig, so eintzeln und sonderbar, und doch so edel, daß er nothwendig nach dem Leben von solchen, die ihn gekannt haben, geschildert seyn muß. Ihn zu erdichten waren die zu ungelehrt, deren Nachrichten wir von ihm lesen“.102 Dem Vorwurf, die Auslegungsstreitigkeiten der christlichen Kirche lieferten den lebendigen Beweis für die Mehrdeutigkeit der Offenbarung, tritt der Rezensent entschieden entgegen. Dass um bestimmte Stellen gestritten werde, sei kein Argument dafür, dass man zu keiner sicheren Auslegung der Heiligen Schrift gelangen könne und aufgrund der Mehrdeutigkeit der Schrift keinen göttlichen Ursprung derselben annehmen dürfe. Das Besondere, so Leland, sei dagegen vielmehr, dass die Texte der Bibel nach so vielen Hunderten von Jahren und trotz so unterschiedlicher Kulturkreise und Leserschaften in ihrer Aussage noch heute so klar wie den ersten Lesern seien.103 Gleichsam als Quintessenz verweist die Rezension auf Lelands Widerlegung der These von der religiösen Auflösung angesichts der voranschreitenden wissenschaftlichen Erkenntnisse. Demnach habe das Aufkommen der Wissenschaften nicht den Verfall der Religion zur Folge, sondern im Gegenteil dessen Belebung verursacht, indem es das Christentum von menschlichen Zusätzen gereinigt habe. Lelands These von der positiven „Reinigung des Christentums“104 durch den Fortschritt der wissenschaftlichen Aufklärung offenbart dabei nicht nur eine wesentlich abweichende Wahrnehmung der wissenschaftlichen Konfrontation gegenüber den meisten anderen an der Debatte beteiligten englischen Apologeten, in deren Augen der wissenschaftliche Fortschritt vornehmlich als Bedrohung wahrgenommen wurde. Die unverhohlene Unterstützung des Rezensenten für die apologetische Position Lelands und dessen Konzentration auf die historisch-philologische Auseinandersetzung, welche als Teil der „Reinigung des Christentums“ historisch integriert werden kann, deutet zugleich auch auf die rational vermittelnde Position der Göttingischen Anzeigen und der dahinterstehenden theologischen Fakultät hin. 4.1.1.4 Robert Claytons A vindication of the histories of the Old and New Testament Welch hohen Stellenwert die Göttingischen Anzeigen der Debatte beimaßen, verdeutlicht deren Fortsetzung der Berichte über die Schriften, die in England gegen 102 A. a. O.,
S. 1089.
103 „Einer Religion aber deshalb den göttlichen Ursprung abzuleugnen, weil die Schrift darauf
sie sich gründet, nicht mehr den höchsten Grad der Deutlichkeit hat, ist ungerecht, so lange man nicht zeiget, daß eine Schrift möglich sey, die nach so viel 100 Jahren, in so fremden Ländern, bey so verschiedener Gedenckungs-Art der Leser, eben so deutlich bleibe, als sie ihren ersten Lesern war“ (a. a. O., S. 1090). 104 „Mit der Widerherstellung der Wissenschaften ist das Christenthum aufgelebt, und von Menschen-Satzungen gereiniget“ (ebd.).
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Bolingbroke erschienen waren, zwei Tage später. Unter dem Titel Vindication of the histories of the Old and New Testament, in answer to the objections of the Lord Bolingbroke hatte Robert Clayton, der Bischof von Clogher (1745–1758), 1753 zwei Schriften veröffentlicht, die bereits in Dublin und London in Nachdrucken erschienen waren. Obwohl nach Ansicht der Göttingischen Anzeigen Claytons Vin‑ dication Lelands Werk an Gelehrsamkeit stellenweise noch übertraf, beschränkt sich die Rezension lediglich auf bisher noch nicht genannte Argumente gegen Bolingbroke. Eine dominierende Rolle nimmt auch hier Claytons Vorwurf der „Hinterlist“ Bolingbrokes ein. Mit seinem vorgeblichen Eifer für die Religion habe dieser sie besonders arglistig attackiert. Überhaupt habe Bolingbroke in seinem Angriff vielfach das Christentum mit dem Papsttum und dessen Traditionen verwechselt, was Clayton auf Bolingbrokes persönlichen regen Kontakt mit französischen Katholiken zurückführt.105 Anhand des Nachweises einer Reihe historischer und philologischer Fehlurteile wie der Verwechslung des Codex Alexandrinus mit einer Chronik, die vom Rezensenten detailliert aufgelistet werden, wird dem Leser Claytons ausführliche Demonstration der „beschämende[n] Unwissenheit“106 Bolingbrokes vor Augen geführt. Hermeneutisch fundamental ist dabei Claytons Zugeständnis an Bolingbroke, dass man die Bibel nicht nach den Regeln einer Universalhistorie beurteilen dürfe, da diese sich selbst nicht als solche verstehe. „B[olingbroke] thut der Bibel und den Gottesgelehrten sehr unrecht, wenn er die Bibel nach den Regeln einer Universal-Historie beurtheilet, und sie tadelt; weil sie diesen Absichten kein Genügen leistet. Weder sie selbst giebt sich davor aus, noch auch ihre Erklärer, ob sie gleich in der ältesten Geschichte und Zeitrechnung aus Mangel anderer Nachrichten sehr brauchbar ist“.107 Im Folgenden versucht Clayton zwar von Bolingbroke entdeckte Spannungen zwischen biblischen Berichten und profanhistorischen Erkenntnissen zur Geschichte der assyrischen und babylonischen Reiche als Missverständnisse zu entlarven – und wird hierfür vom Rezensenten gelobt. Allerdings gesteht Clayton durchaus zu, dass man die Bibel nicht immer zur Kritik der Profanhistorie heranziehen könne, „denn die Bibel will keine Welt- Geschichte liefern“,108 sondern nenne Ereignisse oft nur, wenn sie mit Israel in Verbindung stünden. Bei Claytons Eingeständnis, dass die Bibel über das assyrische Reich Tiglatpilesers nichts berichte, die Profangeschichte in diesem Punkt allerdings zuverlässiger sei, sieht sich der Rezensent genötigt, argumentativ 105 „Er [gemeint ist Robert Clayton] findet eine unrühmliche Hinterlist darin, daß B[olingbroke] etwas erst vom Pabstthum sagt und erweiset, (z.E. daß es bey dem Anfang der Wissenschaften verblasset sey) und es nachher auf das Christenthum deutet, und ordentlich den Nahmen des Christenthums überhaupt da setzt, wo nach dem vorhergehenden das Pabstthum hätte genannt werden sollen. Vielleicht ist das nicht blos Tücke, sondern auch (wie er S. 64. bemerckt) eine Folge von seinem Umgang mit Papisten“ (Göttingische Anzeigen 1753 [122. St.], S. 1098). 106 Ebd. 107 A. a. O., S. 1099. 108 Ebd.
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einzugreifen und einen weiteren biblischen Beleg zur historischen Erwähnung des assyrischen Reiches anzuführen: „Hätte der Herr Bischoff nicht in der Geschichte Davids eine viel frühere und deutliche Meldung der Aßyrier im 83sten Psalm finden, und sich gegen B. darauf beziehen können?“109 Der Kommentar des Rezensenten liefert einen weiteren Beleg für die aktive apologetische Unterstützung der Göttingischen Anzeigen und deutet zugleich an, dass ein Verzicht auf den Anspruch einer Universalgeschichtsschreibung – anders als für Clayton – den Göttingischen Anzeigen theologisch keinesfalls verurteilungswürdig schien, sondern lediglich ein Problem ausreichender historischer Belege darstellte. Aus diesem Grund kann auch Claytons Versuch, das hohe Alter der mosaischen Texte durch arabische Namensgenealogien oder mithilfe der Rekonstruktion geographischer Orte zu stützen, dem historischen-kritisch prüfenden Urteil des Rezensenten nicht standhalten. Claytons Argumentation basiere in seinen Augen viel zu sehr auf der Annahme jüdischer Fabeln und „frommen Betruges“,110 der sich „aus ächten und alten Nachrichten nicht erweisen läßt“.111 Weit weniger philologisch detailliert präsentiert sich Claytons Auseinandersetzung mit den neutestamentlichen Wundern in der Rezension. Recht pauschal werden die auch durch David Humes Philosophical essays concerning human un‑ derstanding112 (1751) wachsenden Zweifel an den neutestamentlichen Wundern mit dem Hinweis abgetan, dass es ein „größeres Wunder“113 wäre, wenn diese 109 A. a. O.,
S. 1100. In Psalm 83 heißt es: „Ja, sie haben einmütig beraten und haben einen Bund wider dich gemacht: die Zelte Edoms und die Ismaeliter, Moab und die Hagariter, Gebal, Ammon und Amalek, die Philister mit denen von Tyrus auch Assur hat sich zu ihnen geschlagen, sie helfen den Söhnen Lot. Denn sie sind miteinander eins geworden und haben einen Bund wider dich gemacht: die in den Zelten von Edom und Ismael wohnen, Moab und die Hagariter, Gebal, Ammon und Amalek, die Philister mit denen von Tyrus; und auch Assur hat sich zu ihnen geschlagen, die helfen den Söhnen Lot“ (Ps 83,6–9; Luther 2017). 110 Göttingische Anzeigen 1753 (122. St.), S. 1101. 111 Ebd. 112 Die Göttingischen Anzeigen hatten bereits in ihrer Ausgabe vom 14. Mai 1753 von Humes Werk berichtet (Göttingische Anzeigen 1753 [59. St.], S. 540–544). Eingeleitet wird dieses mit folgenden Worten: „In dem Buche ist viel gutes, aber auch sehr viel betrügliche Einwendungen gegen die Religion, die wir desto sicherer anzeigen dürfen, da nächstens in einer Abhandlung von den Wundern überhaupt und den Wundern Mosis und Christi insonderheit das bedencklichste dieser Schrift geprüfet werden wird“ (a. a. O., S. 541). Auch hier wird Hume anhand zahlreicher historischer Korrekturen „unverantwortliche Unwissenheit in einer Sache, davon er schreiben will“ (a. a. O., S. 544) vorgeworfen und damit dessen wissenschaftlicher Anspruch infrage gestellt. Auch er zieht die Wunder des François de Pâris in seiner Argumentation heran, die er für zuverlässiger als die Zeugenberichte der Evangelien hält. Damit setzt er sich ebenfalls dem Vorwurf der Hinterlist aus: „Der Beweiß und die Zeugnisse für die bekannten Jansenistischen Wunder des Abts [von] Paris scheinen ihm S. 196. wichtiger als die Zeugnisse für Christi Wunder, die doch von den Läster-Büchern der Juden und von Heiden beglaubiget werden, welches er hinterlistiger oder unwissender Weise verschweigt“ (ebd.). 113 „Er giebt zu, daß die Schriften der Evangelisten im ersten Jahrhundert nicht sehr weit bekannt gemacht und ausgebreitet werden können, weil das Abschreiben langsam zuging. Die Geschichte selbst aber, die sie beschreiben, rettet er ausführlich und lesenswürdig, und meint, sie
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erdichtet worden, als wenn sie tatsächlich geschehen wären. Dass sie die meisten Juden zunächst nicht überzeugten hätten, liege nach Clayton daran, dass die Juden ein weltliches Messiasreich erwarteten und zu sehr in den Kategorien ihrer alttestamentlichen Tradition verwurzelt gewesen seien. Auch hier sieht sich der Rezensent zur argumentativen Unterstützung des Autors genötigt und mahnt ein hier fehlendes Argument gegen die Überzeugungskraft der Wunder an. So hätten die Juden vor allem deshalb an den Wundern Jesu gezweifelt, weil sie an Zauberei glaubten und daher die Wunder Jesu als solche diffamierten. Dies hätte den christlichen Wunderwerken im Judentum von Anfang an den Boden ihrer göttlichen Überzeugungkraft entzogen und damit „ein unüberwindlich Bollwerck gegen allen Beweiß einer ihm unangenehmen Religion“114 errichtet. In ihrem Kommentar zur Debatte treten die Göttingischen Anzeigen in einer spezifischen Doppelfunktion auf. So sucht der Rezensent zum einen eine sachliche Darstellung der Anliegen des Autors zu liefern und kritisch auf deren historische wie philologische Stichhaltigkeit hin zu prüfen. Dadurch übernimmt er bewusst die Rolle eines Moderators einer gelehrten theologischen Diskussion. Wie aus den Kommentaren unschwer zu erkennen, fungiert der Rezensent allerdings zugleich bewusst als Apologet der christlichen Religion. In der Auswahl und Darstellung der Werke, ihrer Argumente, ihrer Anordnung und Kommentierung sucht er den Wahrheitsanspruch der Bibel für seine Leserschaft zu sichern. Gegenüber der detaillierten Auseinandersetzung der Göttingischen Anzeigen mit der Auseinandersetzung um die alttestamentlichen und vorderorientalischen Zeugnisse fällt die Beschäftigung mit den Evangelien und biblischen Wunderberichten argumentativ auffallend schwach aus. Dies mag durch die spezifisch am Alten Testament orientierten philologischen Kenntnisse des Rezensenten bedingt sein,115 deutet jedoch auch die Vermeidung einer Debatte an, die in ihrem Angriff auf die neutestamentlichen Wunder den Kern christlicher Verkündigung getroffen hätte, in ihrer Kritik am Alten Testament hingegen die Wahrheit des Neuen Testaments zugleich nur vermittelt im Modus des historischen Schriftbeweises tangierte. Für eine umfassende philologische Diskussion über die neutestamentlichen Evangelien und ihre Wunderberichte, wie sie Reimarus’ Fragmente schließlich auslösten, schien die Gelehrtenwelt nicht bereit zu sein. Der sich in Claytons Argumentation abzeichnende hermeneutische habe so sehr alle Zeichen der Glaubwürdigkeit an sich, daß sie auch so gar die Zweifelmüthigkeit des Hume überführen könnte, weil es ein größeres Wunder seyn würde, wenn sie erdichtet wäre, als alle die Wunder sind, die sie erzählet“ (Göttingische Anzeigen 1753 [122. St.], S. 1100). 114 Ebd. 115 Dies würde für Johann David Michaelis als Rezensenten sprechen. Dessen theologisches Programm markiert eine gewisse Kontinuität zur apologetischen Tradition seines Lehrers Siegmund Jakob Baumgarten, welche von der philologischen Demonstrierbarkeit der Zuverlässigkeit der biblischen Quellen ausgeht, ohne wie Johann Salomo Semler einen grundlegenden hermeneutischen Wandel in der historischen Schriftinterpretation zu vollziehen.
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Wandel im Verständnis der historischen Faktizität der biblischen Berichte und in ihrem Anspruch einer Universalgeschichtsschreibung wird vom Rezensenten zwar wahrgenommen, jedoch nicht geteilt. Im Wissen um die Überlegenheit seiner historisch-philologischen Bildung und die Möglichkeit der Steuerung der Debatte und ihrer Rezeption konnte das Bild einer in sich kohärenten, biblisch begründeten Weltgeschichte aufrechterhalten werden. Sobald die Rezeption jedoch den Raum der gelehrten und theologischen Zeitschriften verließ, war die Argumentation auf die Dauer nicht mehr durchsetzbar. 4.1.1.5 Peter Whalleys A vindication of the evidences and authenticity of the gospels Die im Jahre 1753 vierte Schrift zur Debatte stammt ebenfalls aus England, die Vindication of the evidences and authenticity of the gospels, from the objections of the Lord Bolingbroke (1753) des Theologen Peter Whalley (1722–1791). In der von den Göttingischen Anzeigen diagnostizierten qualitativen Rangfolge der vier rezensierten Werke nimmt Whalley den dritten Platz hinter Clayton und Leland, jedoch vor Hervey ein. Whalleys Verteidigungsversuche der Evangelien, die über Claytons Argumentation hinausgehen, hält der Rezensent vielfach für zu schlicht. Gegenüber Whalleys apologetischer Behauptung, die vier biblischen Evangelien seien die chronologisch ursprünglichen gewesen, wird vom Rezensenten auf bereits vor dem Lukasevangelium existierende weitere Evangelien verwiesen, die von den Evangelisten bearbeitet worden seien. Noch schwächer nehme sich Herveys Argument aus, dass Bolingbrokes Annahme „falscher“ Evangelien bereits den Begriff und die Existenz ursprünglich „wahrer“ Evangelien voraussetze. Überzeugend wirkt diese Argumentation auf den Rezensenten ebenfalls nicht, da durch „wahr“ und „falsch“ keine zeitliche Reihenfolge gegeben sei, zumal Bolingbroke die Beschreibung als „wahre“ und „falsche“ Evangelien nicht aufgrund historischer Wahrscheinlichkeit, sondern durch das nachträgliche Urteil der Kirche bestimmt sehe. Ausdrückliches Lob erhält dagegen Whalleys reformatorische Unterscheidung zwischen sicheren, schriftlichen Traditionen und der Unsicherheit mündlicher Traditionen, welche dem Argument Bolingbrokes von der prinzipiellen Unsicherheit der Erkenntnis religiöser Wahrheit entgegentrete. Die zahlreichen Anmerkungen des Rezensenten, mit denen er das Werk und die Argumentation Whalleys kommentiert, verdeutlichen noch einmal den Anspruch der Göttingischen Anzeigen, die Debatte um die historische Wahrheit der Heiligen Schrift den aktuellen wissenschaftlichen Ansprüchen entsprechend anzupassen. Ebenjenes Ziel legitimierte schließlich auch den Eingriff mäßigender Korrekturen apologetischer Schriften oder das ausdrückliche Hervorheben überzeugender Argumentationen.
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4.1.1.6 John Hills Thoughts concerning God and nature Dass Bolingbrokes Schrift nicht nur unmittelbar Aufmerksamkeit erfuhr, sondern längerfristige Reaktionen hervorrief, bestätigen zahlreiche Neuauflagen und Kommentare. So verfasste der englische Arzt und Botaniker John Hill (1716– 1775),116 der zugleich 1746 bis 1750 als Herausgeber des British Magazine tätig war, Thoughts concerning God and nature in answer to Ld. Bolingbroke’s philo‑ sophy (1755). Diese Thoughts wurden in den Göttingischen Anzeigen am 2. Juli 1757 ebenfalls rezensiert.117 In der Darstellung der Auseinandersetzung Hills mit Bolingbroke dominiert das Interesse an dessen Widerlegung der Offenbarungskritik des englischen Lords.118 Anders als in der Darstellung der Werke Herveys und Claytons verzichtet die Rezension auf eine eigene Kommentierung der Argumentation Hills. Demnach weist Hill im Durchgang durch Bolingbrokes Schriften diesem sowohl sukzessive Verschärfung als auch inhaltliche Sprunghaftigkeit seiner Religionskritik nach. Bolingbrokes teils dialogisch satirische Behandlung der Themen wird als durchgehend „seicht und frech“119 charakterisiert. Zunächst einmal betrifft dies die Infragestellung der Verfasserschaft Moses für die fünf Bücher Mose, womit zugleich der Wahrheitsanspruch der alttestamentlichen Texte zur Disposition steht. Aus diesem Grund argumentiert Hill gegen die These einer späteren Zuschreibung der Verfasserschaft Moses durch Esra. Esra könne die Schriften Moses nicht selber verfasst haben, „da doch weder Esdras noch die Mager im Stand gewesen sind, eine Linie in der reinen und hohen Sprache des Moses zu schreiben, als die längst damahls verlohren war“.120 Der philologischen Begründung liegt dabei wie selbstverständlich die These der sprachlichen Degeneration ihrer reinen, ursprünglichen Formen zugrunde und offenbart dabei das gängige theologische Verfallsschema, dem auch der Rezensent nicht zu widersprechen scheint.
116 Zur Biographie und zum Wirken John Hills vgl. G. S. Rousseau, The Notorious Sir John Hill; vgl. darin auch die Hinweise zu seiner Auseinandersetzung mit Bolingbroke, S. 193–196. 117 Göttingische Anzeigen 1757 (79. St.), S. 770–775. Weitere Rezensionen zu Hills Werk finden sich unter anderem in den Zuverlässigen Nachrichten von gelehrten Sachen und den Tübin‑ gischen Berichten von gelehrten Sachen 1757 (1. St., S. 11–13), die Hills Widerlegung der Offenbarungskritik Bolingbrokes durchweg positiv bewerten. 118 Hill beschreibt die Intention seines Werkes im Vorwort so: „I am certain there is a God: and am not less convinced that the Scriptures are from his inspiration; and that our Religion is of divine original. The arguments which have prov’d this to me are here laid down at large: (…) I reverence the Scriptures, not merely for being told they were given by inspiration: but because I find them superior to all other writings, I believe the testimony, which says, they are divine. It is plain to me, that the bold objections rais’d by Lord Bolingbroke, have only a shew reason, not the substance: I hope I have detected the delusion“ (Hill, Thoughts concerning God and nature, S. V–VI). 119 Göttingische Anzeigen 1757 (79. St.), S. 774. 120 Ebd.
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Neben Hills Verteidigung der Verfasserschaft Moses referierten die Göttingi‑ schen Anzeigen zudem dessen Auseinandersetzung mit Bolingbrokes These der nachträglichen Rekonstruktion der Weissagungen in den biblischen Texten, die wiederum den hohen Stellenwert der Weissagungen als Begründungsfunktion theologischen Wahrheitsanspruchs demonstrieren.121 Die Warnung Hills, dass Bolingbrokes Angriffe auf das Alte Testament somit direkt die Glaubwürdigkeit des Neuen Testaments bedrohten, wird dem Leser unmittelbar vor Augen geführt. Das alte Testament und den Moses mißhandelte der Lord auf das gröbste. Durchgehends ist er zugleich seicht und frech (…), und da sich das neue Testament auf das alte gründet, so riß er jenes mit diesem ein.122
Als hinter aller historischen Kritik stehende Intention Bolingbrokes wittert Hill den absoluten moralischen Indifferentismus, der den Menschen ohne seinen Gottesglauben und ohne Seele mit dem Wesen des Tieres gleichsetze. Den Gipfel der Empörung stellt die von Hill kritisierte und in der Rezension wiedergegebene These Bolingbrokes vom ursprünglichen Polytheismus der Menschheit dar, worauf „erst ein Unbekannter entdekt habe, daß nur ein Gott sey, von dem es dann die Juden angenommen“.123 Dass die Behauptung dieses Faktums besonderes Entsetzen auslöst, verweist auf eine im Verlauf der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in verschiedenen Kontexten wiederkehrende Problematisierung der Normativität des biblischen Urstandes.124 An dessen Stelle trat eine auf Kulturvergleich, sozialgeschichtlichen und naturwissenschaftlichen Erkenntnissen basierende Alternative. Besondere Brisanz erhielt diese Feststellung dadurch, dass der Urstand nach dem heilsgeschichtlichen Schema zugleich immer den Idealzustand und damit den normativen Anspruch menschlicher Existenz repräsentierte. Mit der Darstellung des menschlichen Entwicklungsprozesses und der Überwindung des polytheistischen Urstandes der menschlichen Existenz wurde 121 „Anderswo meint er [d. h. Bolingbroke], die Fabeln hätten zwischen dem Moses und David können erdacht werden, da doch Moses Propheceyungen hat, die erst lang nach dem David in ihre Erfüllung gegangen sind“ (ebd.). 122 Ebd. 123 A. a. O., S. 775. 124 „Die Marginalisierung biblischer Ursprünge im Prozeß historischer Forschung und Erzählung stärkte wiederum die Formierung der Kulturgeschichte, die seit den 50er Jahren des 18. Jahrhunderts als umfassende Geschichte menschlicher Zivilisation ausgearbeitet wurde. Die neue Kulturgeschichte läßt sich im Blick auf die Erörterung des Ursprungs als Historisierung des abstrakten Naturzustandsmodells unter den Bedingungen der durch historische Kritik marginalisierten heiligen Geschichte verstehen. (…) Die Geschichtsphilosophie der Aufklärung ist in vielem ein Produkt der philosophie-, welt‑ und kulturhistorischen Interessen des 18. Jahrhunderts, auch und gerade hinsichtlich der Ursprungsfrage, die als ‚geheime‘ Triebfeder ihrer Entstehung verstanden werden kann“ (Zedelmaier, Der Anfang der Geschichte, S. 9). Zu den bis in die Mitte des 18. Jahrhundert geführten Debatten um die Normativität der biblischen Geschichtsdarstellung vgl. a. a. O., S. 11–132.
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das biblisch fundierte Weltbild revolutioniert. An den Anfang der Weltgeschichte war nun anstelle des dunklen, pessimistischen Verfallsschemas das helle, optimistische des Fortschritts getreten. Dieses ließ sich nicht mehr ohne Weiteres in das traditionelle Schema von Urstand, Fall und Erlösung einfügen.125 4.1.2 Freye Urtheile und Nachrichten (Hamburg) Die Freyen Urtheile waren eine der ersten Zeitschriften, die nach den Göttingi‑ schen Anzeigen über die Werke Bolingbrokes berichteten.126 Ihr Bericht fällt auf vier Seiten recht knapp aus, charakterisiert jedoch das von vielen anderen Rezensenten ebenfalls gefällte Urteil über den allseits bewunderten Staatsmann, dessen politische Klugheit und rhetorische Brillanz gerühmt werden. Bezeichnenderweise beschränkt sich die Aufmerksamkeit trotz der fünf Bände lediglich auf Bolingbrokes Aussagen zu religiösen Themen. Diesbezüglich herrscht die einhellige Meinung der grundlegenden Verirrung des Autors, welche die Freyen Urtheile in den psychologischen Folgen seines vormals moralisch verderblichen Lebenswandels begründet sehen.127 Bolingbrokes scharfe Kritik an den biblischen Schriften wird als irrationale und gegenstandslose Raserei beschrieben, ohne sich dabei den Argumenten im Einzelnen zu widmen.128 Kritik am mangelhaften Zustand des Klerus und der Religion wird dem Verfasser durchaus zugestanden, die Art und Weise seiner religiösen Polemik jedoch als seinem sonstigen Ansehen keineswegs angemessen betrachtet. Gegenüber Bolingbrokes Kritik an der Vorstellung des Jüngsten Gerichts wird das drohende moralische Chaos beschworen, das nicht im Staatsinteresse liegen könne. Die Diskrepanz zwischen Bolingbrokes vollmundigem Anspruch und seinem theologischen Urteil wird schließlich mit der Bemerkung quittiert, dass diese Themen „doch weit über seinen Verstand gegangen sind“.129
Vgl. hierzu die Untersuchungen a. a. O., S. 246–268. Freye Urtheile 1754 (11. Bd., 93. St.), S. 737–740. 127 „Warum hat er sich doch nicht begnügen lassen, bloß historische und politische Sachen abzuhandeln, da er in diesen Schriften beständig lehrreich und einnehmend würde gewesen seyn? Alles hingegen, was er von der Weltweisheit und Religion geschrieben hat, ist einzig und allein nur wegen des Witzes und der Beredtsamkeit, die darinn herrschen, lesenswürdig. Es ist ohne Widerrede gewiß, daß sich der Verfasser in seiner Jugend den Reizungen der Wollust und des Ehrgeizes viel zu stark ergeben, als daß er von wichtigen, und besonders von Religionssachen hätte richtig denken können“ (a. a. O., S. 737). 128 „Jeder Leser wird wichtigere Gründe für eine solche Meynung erwarten; allein, er findet sich betrogen, weil der Verfasser im Schimpfen und Spöttereyen viel stärker ist, als an gesunder Vernunft und Schlußkunst. Sein Eifer für den Unglauben übertrifft seine Einsichten so weit, daß der Deismus durch ihn nicht die geringste Kraft erhält“ (a. a. O., S. 738). 129 A. a. O., S. 740. 125 126
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4.1.3 Zuverlässige Nachrichten (Leipzig) Noch vor Erscheinen der deutschen Übersetzung der Briefe Bolingbrokes brachten die von Johann Friedrich Gleditsch (1653–1716) in Leipzig als Weiterführung der Deutschen Acta Eruditorum herausgegebenen Zuverlässigen Nachrichten 1756 eine knapp dreißigseitige Einführung in die Gesamtedition der Werke Bolingbrokes. Dieser selbst wird dabei aufgrund seiner politischen Funktionen, seiner Beziehungen zu Swift und Pope, aber auch seiner deistischen Positionen als unter Engländern wie Deutschen bereits allgemein bekannt vorausgesetzt.130 Dem Schwerpunkt seiner Schriften entsprechend, beschäftigt sich die Rezension vornehmlich mit dessen politischen Werken, wobei seinen Briefen zur Erlernung der Geschichte darin immerhin mehr als drei Seiten gewidmet werden. Verglichen mit den Freyen Urtheilen bleibt die Beschreibung seiner religionskritischen Anliegen dabei äußerst knapp und sachlich gehalten und zählt als wesentliche Punkte die Kritik der chronologischen Glaubwürdigkeit des Alten Testaments und dessen illegitime Begründungsfunktion für das Neue Testament auf. Für unbegründbar aus Ersterem hält er insbesondere die dogmatischen Topoi der Erbsünde, Trinität und Christusverheißung.131 Ganz im Sinne der traditionellen gelehrten Zeitschriften bieten die Zuverlässigen Nachrichten somit lediglich eine kommentarlose Inhaltsangabe, wobei die Einleitung auf die Breitenwirkung von Bolingbrokes deistischem Gedankengut schließen lässt. Es folgte bereits im selben Jahr eine weitere, ausführliche Beschäftigung mit dessen philosophischen Schriften, die sich wesentlich seinen religionsphilosophischen Thesen widmete.132 Dabei referiert auch diese Rezension seiner The130 „Der Urheber gegenwärtiger Schriften hat sowohl bey seinem Leben, als nach seinem Tode
so viel Redens und Aufsehens unter seinen Mitbürgern gemacht, daß er auch unsern Landesleuten nicht unbekannt seyn kan. Einige werden von ihm, als von einem grossen Staatsmanne, als von einem ehemaligen Anhänger des Prätendenten, und von einem aus Großbritannien geflüchteten Jacobiten; andere aber als von einem Liebhaber und Beförderer der Gelehrten, einem Freunde Swifts und Popens; und noch andere als von einem tiefsinnigen Metaphysiker, einem scharfsinnigen und gefährlichen Deisten reden gehört haben“ (Zuverlässige Nachrichten 1756 [17. Bd., 193. St.], S. 3–4). 131 „Hierbey redet er von den wahren und falschen Absichten derjenigen, welche die Historie studieren, und machet einige Betrachtungen über den Zustand der alten weltlichen und geistlichen Geschichte. Einer von seinen besondern Gedanken bey der letztern ist, daß er wohl leugnen könne, es sey das A. Testament unter allen Bedingungen einer glaubwürdigen Historie auf uns gebracht, deren Eigenschaft er ihm nicht gern zugestehen will; und dass er dennoch Freyheit habe, zu behaupten, es wären die Stellen darinne, welche von der Erbsünde handeln, welche der Lehre von der Dreyeinigkeit Vorschub zu thun scheinen, welche die Ankunft des Meßias voraus verkündigen und andere dergleichen, so auf uns gekommen, als sie ursprünglich von dem H. Geiste eingegeben worden. Er schreibt die Glaubwürdigkeit des A. Testamentes nur dem Ansehen des Neuen zu, und schränkt sie bloß auf diejenigen Stücke ein, welche das Gesetz, die Lehre und die Prophezeyung betreffen: die jüdische Zeitrechnung und den größten Theil ihrer Geschichte aber hält er nicht für bewährt“ (a. a. O., S. 29). 132 Zuverlässige Nachrichten 1756 (17. Bd., 196. St.), S. 237–269.
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sen im sachlich nüchternen Ton, fügt jedoch gelegentlich kritisch kommentierende Bemerkungen hinzu, die das deutliche Missfallen des Rezensenten an der Kritik der historischen Zuverlässigkeit der mosaischen und alttestamentlichen Schriften des Autors zum Ausdruck bringen, die zu widerlegen er jedoch nicht für sinnvoll hält.133 Über einige kritische Anmerkungen und Widerlegungen hinaus kündigt der Rezensent daher an, sich an dieser Stelle nicht eingehender mit der alttestamentlichen Kritik Bolingbrokes zu befassen, „weil wir bey einer andern Gelegenheit davon zu reden denken, wo wir das Gift zugleich mit dem Gegengifte mittheilen werden“.134 Hatten Bolingbrokes Briefe zum Geschichtsstudium in ihrer ersten Erwähnung allem Anschein nach keine spezifische theologische Position der Zuverlässigen Nachrichten erkennen lassen, vermittelt die Rezension zu Hills Thoughts con‑ cerning God and nature ein vollkommen anderes Bild.135 Ohne jegliche Zurückhaltung lobt die Rezension von Anfang an Hills Unparteilichkeit, der, da er kein Geistlicher sei, die Thesen Bolingbrokes besonders vorurteilsfrei prüfen könne. Für Hill beruhe die Annahme der Göttlichkeit der Heiligen Schrift nicht schlicht auf dem Glauben an eine Inspiration, sondern vor allem auf der Erhabenheit ihrer Lehren und „dem Zeugnisse, nach welchem sie für göttlich angesehen wird“.136 Im Folgenden liefert die Rezension eine ausführliche Darstellung der argumentativen Auseinandersetzung Hills mit der Kritik Bolingbrokes, in denen die Argumente gegen die historische Plausibilität der mosaischen Berichte anhand historischer Belege aus der Bibel wie aus den altorientalischen Kulturen widerlegt werden. Im Vordergrund steht dabei der Nachweis der ideengeschichtlichen Abhängigkeit der vorderorientalischen Kulturen und griechischen Zur Kritik an der jüdischen Geschichtsschreibung merkt der Rezensent an: „Dieses ist eine harte und frevelhafte Beschuldigung, die so viele gelehrte und rechtschaffene Leute auf einmal zu Betrügern und Heuchlern macht. Es ließ sich wider alle diese Sätze des Lords ungemein viel sagen, wenn er ihnen nur den geringsten Schein eines Beweises gegeben. So aber hat er sie gleichsam in den Wind geredet, und wir führen sie als Vorwürfe an, die auch im Winde vergehen“ (a. a. O., S. 242–243, Fußnote *). An anderer Stelle bittet der Rezensent die Leser sogar um Verzeihung für den Abdruck der Sprache Bolingbrokes: „Wir müssen unsere Leser wegen dieser frechen Worte um Verzeihung bitten. Hätten wir sie mildern wollen, so würden wir ihnen die wahren Gesinnungen des Verfassers nicht deutlich genug bemerket haben: und absurd, pro‑ fane und trifling, wusten wir nicht anders [sc. als: ‚abgeschmackt, oder unheilig, oder läppisch‘] zu geben“ (a. a. O., S. 265, Fußnote *). 134 A. a. O., S. 249. 135 Vgl. Zuverlässige Nachrichten 1756 (17. Bd., 201. St.), S. 627–654. „Mit so vieler Scheingelehrsamkeit, zusammengestoppelter Belesenheit, scharfsinnigem Verstande und philosophischer Freydenkerey der Lord Bolingbroke großthut und sich brüstet: eben so viel, ja noch mehr wahre Gelehrsamkeit, eigene und wohl verdauete Belesenheit, gründliche Einsicht und scharfe Beurtheilungskraft trifft man in diesem Werke an“ (a. a. O., S. 628). 136 „Er ist kein Geistlicher und man wird ihn daher für unpartheyisch und frey von Vorurtheilen halten. Er verehret die heil. Schrift; nicht bloß, weil gesaget wird, sie sey von Gott eingegeben: sondern weil er findet, daß sie in ihren Lehren erhabener als alle andern Schriften ist; auch glaubet er dem Zeugnisse, nach welchem sie für göttlich angesehen wird“ (a. a. O., S. 629). 133
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Philosophen von den biblischen Berichten, deren genealogische Ursprünglichkeit und Vorrangigkeit es zu beweisen gilt.137 Auch hier findet sich eine negative Charakterbeschreibung Bolingbrokes, die seine Position in einem ambivalenten Licht erscheinen lassen soll.138 Unkommentiert kritisch wiedergegeben findet sich Hills Vorwurf, in seinen kurzweiligen essayistischen Schriften widme sich Bolingbroke unstet wechselnden Themen, ohne ein eigenes „Lehrgebäude“ zu liefern und sich somit systematisch positionell festzulegen. Ein besonderes Interesse äußert die Rezension an Hills Bestätigung der Göttlichkeit der Schrift und lässt ihn diesbezüglich nochmals ausführlich zu Wort kommen. In erster Linie wirft Hill hierbei Bolingbroke das Fehlen historischer Beweise vor, welche beispielsweise die historische Verfasserschaft der Genesis durch Mose leugnen, und verweist bei Unerklärlichkeiten am Ende auf das wundersame Eingreifen Gottes in der Geschichte. In scharf apologetischem Ton wird schließlich Bolingbroke grundsätzlich das Recht abgesprochen, die von göttlichem Wirken durchzogene Bibel zu kritisieren oder in Hinblick auf deren Göttlichkeit auch nur teilweise infrage zu stellen.139 Uneingeschränkte Unterstützung erfahren Hills Ausführungen, die als wertvoller Beitrag zur „Erstickung des schädlichen Samens“ der deistischen Ideen Bolingbrokes betrachtet werden.140 Mit ihren Reaktionen auf Bolingbrokes Briefe zum Geschichtsstudium bestätigen die Zuverlässigen Nachrichten die traditionell apologetische Haltung der gelehrten Journale gegenüber den Deisten. Gegen Bolingbroke werden dabei im Anschluss an Hill Klagen verschiedenster Art erhoben. Diese reichen von 137 „In dem zweyten Buche beschäftiget sich der Verfasser mit der Vorstellung der Lehre der griechischen Weltweisen von Gott und der Welt, und bemühet sich, darzuthun, daß solche ebenfalls aus der mosaischen im Grunde genommen und nur durch allerhand Zusätze und unrechte Erklärungen verändert und verderbt worden“ (a. a. O., S. 633). 138 „Er schildert gleich anfänglich den Charakter dieses Herrn und die Beschaffenheit seiner Schriften so, daß man sich eben nicht viel davon versprechen wird. Der Lord Bolingbroke, saget er, schrieb unter seinem Studieren und so lange er studierete. Dieses nahm viele Jahre hin, und in denselben verfiel ein Mann von seinem hitzigen Temperamente und unstetigem Gemüthe auf viele verschiedene Meinungen“ (a. a. O., S. 641). 139 „Der Lord vergißt sich aber bey dieser Gelegenheit. Er wird bey der Untersuchung nichts unglaubliches in der Bibel finden. Denn sie saget, daß sich Gott mit eingemischet habe; und wo Gott dazukömmt, da ist nichts unglaublich. Dieser hatte sich ein gewisses Werk auszuführen vorgesetzet, welches durch bloß menschliche Mittel nicht geschehen konnte. Was also natürlicher Weise nicht konnte ausgerichtet werden, das brachte er durch seinen Beystand zuwege. Ist solches aber wider die Vernunft oder unglaublich? Bolingbroke sollte die Bibel nehmen, wie sie ist, oder sie ganz verwerfen. Er hat kein Recht, ein Stücke davon zu leugnen, und das andere darauf der Ungereimtheit zu beschuldigen“ (a. a. O., S. 648). 140 „Wir brechen hier mit Fleiß ab, weil alles, was der Lord Bolingbroke vorbringt, auf ein leeres Geschwätz hinausläuft: wobey Herr Hill, der ihm in allen seinen Vorwürfen und Einwendungen genau folget und keinen unangemerkt vorbey läßt, fast nichts anders zu thun hat, als daß er solche nur entwickelt, in ihrer Blöße darstellet, und nach den Gründen forschet, worauf sie sich stützen sollen, die sich aber niemals zeigen. (…) Wir müssen daher dieses Buch als ein kräftiges Mittel zur Erstickung des schädlichen Samens anpreisen, den der Lord Bolingbroke mit so vieler unverschämten Frechheit ausgestreuet hat“ (a. a. O., S. 654).
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inhaltlichen Argumenten wie theologischer und philologischer Unkenntnis über persönliche Anschuldigungen wie charakterliche Schwächen bis hin zum Vorwurf des Sakrilegs und werden dem Leser in unkritischer oder vielmehr affirmativer Weise präsentiert. Ähnlich assoziativ und kaum argumentativ stringent gestaltet sich dabei die Zusammenstellung apologetischer Argumente zur Verteidigung der Heiligen Schrift. Verwiesen wird auf philologische Klarstellungen, die Erhabenheit der biblischen Lehren, alttestamentlich figurative Rede, Belege aus anderen Kulturen, das wundersame Eingreifen Gottes in die Geschichte oder ein fehlendes Recht zu jeglicher Kritik an der Heiligen Schrift. Fürs Erste mochte jene – Bolingbrokes Briefen ähnlich essayistisch gegenübertretende – Widerlegung John Hills manchen Rezensenten und Leser überzeugen, doch konnte die apologetische Polemik die Schwächen und Inkohärenzen des auf historischen Geschichtsbeweisen basierenden Schriftverständnisses kaum dauerhaft überdecken. 4.1.4 Nachrichten von merkwürdigen Büchern (Halle)141 Nicht unerheblich für die Rezeption der Bibelkritik Bolingbrokes dürfte ein Blick auf deren Wahrnehmung in Siegmund Jakob Baumgartens Nachrichten von merkwürdigen Büchern sein. An ihnen lässt sich die unmittelbare Reaktion Baumgartens und seiner Schüler skizzieren, die sich in besonderer Weise um die Rezeption englisch-deistischer Literatur verdient gemacht hatten. Zwar inhaltlich durchaus kritisch, doch im Urteil sehr viel sachlicher und differenzierter reagierten die Nachrichten auf Bolingbrokes Letters. Dessen Gedanken und Anliegen werden darin insbesondere unter dem Aspekt ihrer bibelkritischen, philologischen Argumentation paraphrasiert. Lediglich durch gezielte Hinweise auf einzelne historisch falsche Zuordnungen wird die gesamte Schrift als Werk eines philologischen Amateurs desavouiert, da man „theils eine solche Unwissenheit desselben in der alten Geschichte und Zeitrechnung entdecket, die ihn unfähig macht, sich mit Beurtheilung derselben und ihres Nutzens abzugeben“.142 Aus diesem Grund wird ausdrücklich begrüßt, dass von den Letters bis dahin lediglich eine französische Übersetzung erschienen und das deutsche gelehrte Publikum bisher von einer deutschen Übersetzung verschont worden sei. Im Bewusstsein 141 Nachrichten von merkwürdigen Büchern 1756 (9. Bd., 49. St.), S. 69–78. In den Nach‑ richten von merkwürdigen Büchern 1756 (9. Bd., 53. St., S. 439–445) findet sich ebenfalls eine Rezension zu Clayton, A vindication of the histories of the Old and New Testament, in answer to the late Lord Bolingbroke (1752), welche trotz Claytons Apologetik diesem die Preisgabe zentraler dogmatischer Positionen wie der allgemeinen Inspiration der Heiligen Schrift vorwirft und dabei mangelndes terminologisches Differenzierungsvermögen zwischen „Inspiration“ und „Revelation“ unterstellt (vgl. Nachrichten von merkwürdigen Büchern 1756 [9. Bd., 53. St.], S. 442). 142 Nachrichten von merkwürdigen Büchern 1756 (9. Bd., 49. St.), S. 71.
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ihrer wissenschaftlichen Überlegenheit und aufgrund der vermeintlichen historischen und philologischen Unkenntnis ihres Gegenübers spiegeln Baumgartens Nachrichten geradezu idealtypisch das Urteil zahlreicher deutscher akademischer Theologen gegenüber der von theologischen Laien dominierten englisch-deistischen Debatten wider.
4.2 Die Rezeption der deutschsprachigen Ausgabe der Letters 4.2.1 Bergmanns deutsche Übersetzung der Letters Erst das Erscheinen der ersten deutschen Übersetzung 1758 in Leipzig, verfasst durch den Wittenberger Studenten und späteren Zittauer Bürgermeister Christian Gottlieb Bergmann (1734–1822), rief Reaktionen in zahlreichen anderen deutschen Journalen hervor.143 Bereits die Entstehung der Übersetzung durch einen Studenten der Rechtswissenschaften, der zu eigenen literarischen Unternehmungen durch die Teilnahme an der „teutschübenden Gesellschaft“144 in Wittenberg inspiriert worden war, charakterisiert nicht nur den sich vollziehenden Wandel der Gelehrtenkultur, sondern auch den damit einhergehenden Bedeutungswandel individueller Übersetzungsprojekte für den Transfer englisch-deistischer Ideen. Sieben Jahre nach dessen Tod stellt Bergmann darin Bolingbroke als einen Autor vor, der vielen zwar vom Namen her bekannt sei, von seiner Denkungsart aber, wissen die wenigsten mehr, als sie in den Schriften seiner Gegner gefunden haben. Die Engländer, und unter ihnen sogar die größten ihrer Gottesgelehrten reden voller Hochachtung von ihm, wenn sie seine Sätze widerlegen, und in Deutschland macht man sich ein Vergnügen daraus auf ihn zu schimpfen.145
143 Vgl. unter anderem Tübingische Berichte von gelehrten Sachen 1758 (Suppl.), S. 147–148; Freymüthige Nachrichten 1759 (16. Bd., 22. St.), S. 169–170; Briefe, die neueste Litteratur betreffend 1759 (1. Theil, 4. Br.) S. 17–24 und 199–204. 144 Vgl. Neue Lausizische Monatsschrift 1806 (2. Theil, 7.–12. St.), S. 307–310, hier S. 308. Die vom Wittenberger Physikprofessor Johann Daniel Titius (1729–1796) gegründete „teutschübende Gesellschaft“ orientierte sich wie viele ähnliche Gesellschaften an anderen Universitäten in ihrer Ausrichtung am Vorbild der von Johann Burckhardt Mencke und Johann Christoph Gottsched geleiteten „teutschübenden poetischen Gesellschaft“ in Leipzig. Diese hatte sich unter anderem die Reinhaltung und Verbreitung des an der Lutherübersetzung orientierten Frühneuhochdeutschen zum Ziel gesetzt und beabsichtigte zugleich, den Einfluss ausländischer Wörter zurückzudrängen (vgl. Döring, Die Geschichte der Deutschen Gesellschaft in Leipzig, S. 12). Insofern leistet Bergmann mit seiner Übersetzung von Bolingbrokes Letters einen wesentlichen Beitrag zur bewussten Etablierung eines deutschsprachigen Diskurses unter den Gebildeten. 145 Bolingbroke, Des Hochgebohrnen Herrn Heinrich St. John Lord, Vicomte Bolingbroke Briefe über die Erlernung und Gebrauch der Geschichte, aus dem Englischen übersetzt von C. G. Bergmann, 1. Theil, Vorrede, S. a2.
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Eingereiht unter die bedeutendsten politischen Denker Europas, findet sich Bolingbroke mit seinen Letters auf einer Stufe mit Voltaire.146 Dass die religionskritischen Thesen des Briten in Deutschland trotz aller Wertschätzung für sein politisches und philosophisches Denken und Wirken auf Widerspruch stoßen würden, lässt Bergmanns einleitender Selbstrechtfertigungsversuch erahnen. „Seine Spöttereyen über die Religion konnte ich nicht weg lassen, weil sie durch das ganze Buch zerstreuet sind, und ich es für unnöthig hielt ihm diejenigen Stellen zu entreissen, welche nothwendig stehen bleiben müssen, wenn man die Widerlegung des Herrn D. Lelands gehörig verstehen will“.147 Um den durch die Thesen Bolingbrokes möglicherweise verunsicherten Leser nicht sich selbst zu überlassen, fügt Bergmann der These von der historischen Unzulänglichkeit der biblischen Bücher am Seitenende erklärende Kommentare wie diesen hinzu: Hier redet der Verfasser nach seinen Grundsätzen; sie sind zu bekannt, als daß man sie unterdrücken, und zu gefährlich als daß man Antheil daran nehmen sollte. So gefährlich aber als sie sind, so gründlich sind sie von dem Herrn D. Leland widerleget worden, welches Buch sich auch in Deutschland in jedermanns Händen befindet.148
Indem der gesamte dritte, umstrittene Brief mit ähnlichen Hinweisen versehen wurde, versuchte Bergmann Paradoxien oder historische Unwahrheiten Bolingbrokes aufzudecken und auf anderweitig bereits erfolgte Widerlegungen zu verweisen. Bergmanns explizit apologetische Kommentierung des Werkes deutet darauf hin, dass die deutschsprachige Veröffentlichung der Thesen in den Augen ihres Übersetzers durchaus Potential zum Skandal besaß. 4.2.2 Lessings Rezension in den Briefen, die neueste Litteratur betreffend Mit Bergmanns deutscher Übersetzung hatten die Thesen Bolingbrokes ein breiteres gebildetes Publikum erreicht, und sie leistete damit einen wesentlichen Beitrag zum Wandel der theologischen Debattenkultur. Zur prägenden Gestalt dieses Wandels wurde schließlich Gotthold Ephraim Lessing. Mit der Gründung der Briefe, die neueste Litteratur betreffend trieb er zusammen mit Friedrich Nicolai und Moses Mendelssohn die Etablierung einer allgemeinen deutschen Literaturkritik voran. In dieser Entwicklung kommt zugleich die sich verstärkende literarische Ausrichtung an der englischen Literatur zum Ausdruck, mit der sich Lessing bewusst von der Orientierung Gottscheds an Frankreich abgrenzte.149 146 „Die Gedanken des Lords über die Erlernung der Geschichte sind gewissermaaßen die Gedanken der größten Staatsmänner von Europa, und gleichwohl weiß ich ohne den Herrn von Voltair niemanden, der sie ordentlich und in einem gewissen Zusammenhange aufgesetzt hätte“ (a. a. O., Vorrede, S. a4). 147 A. a. O., Vorrede, S. a7. 148 A. a. O., S. 72–73, Fußnote *). 149 Vgl. Lessings programmatische Kritik an Gottscheds Beitrag zur Entwicklung des deutschen Dramas in: Briefe, die neueste Litteratur betreffend 1759 (1. Theil, 17. Br.), S. 97–107.
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Programmatisch beginnen daher die Briefe mit der Besprechung von drei Übersetzungen der englischen Autoren Alexander Pope (1688–1744), John Gay (1685– 1732) und Bolingbroke, womit die Briefe wesentlich zur wachsenden Rezeption englischer Bücher in Deutschland beitrugen. Wie Nicolais Orientierung an den englischen Zeitschriften veranschaulicht, orientierten sich die Berliner Aufklärer dabei auch formal an der englischen Literar‑ und Debattenkultur. Die Berlini‑ schen Litteraturbriefe, wie Nicolais Zeitschrift auch genannt wurde, widmeten sich vornehmlich der Kritik der Neuerscheinungen auf dem Gebiet der schöngeistigen Literatur und Philosophie und zielten darauf ab, diese einem breiteren Lesepublikum als nur den akademischen Gelehrtenzirkeln zugänglich zu machen. Nicht nur in ihrer erweiterten Adressatengruppe, sondern auch in ihrem Rezensionsstil unterschieden sich die Berlinischen Litteraturbriefe somit wesentlich von den Göttingischen Anzeigen. Zugunsten des individuellen literarischen Urteils verzichten die Rezensenten auf den moderaten und um Sachlichkeit bemühten gelehrten Stil.150 Den Kriterien der Literaturkritik folgend dominierten die Rezensionen in den Berlinischen Litteraturbriefen andere Beurteilungsgesichtspunkte als die in den gelehrten Journalen. Anstelle des hier vorherrschenden inhaltlichen Schwerpunktes historisch-philologischer Fragen steht für Lessing weit mehr das Urteil über die stilistische Qualität im Vordergrund – in diesem Fall über die der deutschen Übersetzung Bergmanns. Über die offenbarungskritischen Thesen Bolingbrokes echauffiert er sich weitaus weniger, auch wenn er zugesteht, dass dieser „oft ziemlich cavalierement von der Bibel spricht“.151 Das eigentliche Problem sieht er in der überaus mangelhaften Übersetzung Bergmanns, wie er anhand zahlreicher Beispiele demonstriert. Bergmanns apologetische Kommentare ließen sich nach Lessing teilweise sogar auf inhaltliche Fehler zurückführen, welche erst aufgrund von dessen unklarer Übersetzung entstanden seien. So verteidigt Lessing den Sprachgebrauch Bolingbrokes von den „Heiligen Romanen“, der im englischen Originaltext lediglich auf außerbiblische jüdische Traditionen bezogen sei.152 Ob Lessing in seinem literarischen Interesse die Tragweite und Konsequenzen der Thesen Bolingbrokes erkannt hat oder diese bewusst relativiert, muss offenbleiben. Anders als in den Göttingischen Anzeigen kommt 150 Die von Friedrich Nicolai, Gotthold Ephraim Lessing, Moses Mendelssohn und Thomas Abbt herausgegebenen Briefe, die neueste Litteratur betreffend wurden 1766 bereits wieder eingestellt, da ihre Rezensenten sich auf die Arbeit an anderen Zeitschriften konzentrierten. Lessing zog seine Mitarbeit bereits 1761 zurück. In Friedrich Nicolais Allgemeiner deutscher Bibliothek, welche seit 1765 in Berlin erschien, fanden die Briefe, die neueste Litteratur betreffend thematisch ihre prominenteste Fortsetzung. 151 Briefe, die neueste Litteratur betreffend 1759 (1. Theil, 4. Br.), S. 22. 152 „Was nennt Bolingbroke so? Was sonst, als die frommen Mährchen, deren er gleich vorher gedenkt? Und doch will sein elender Uebersetzer, daß er unter diesen Romanen die heiligen Bücher selbst, und nicht die jüdischen Fabeln von ihrer Erhaltung, und ihrer Verdollmetschung verstehe“ (ebd.).
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aufseiten Lessings als Rezensenten keinerlei biblisch- apologetisches Interesse zum Vorschein, vielmehr nimmt er Bolingbroke gegenüber den „orthodoxen“ Vorwürfen in Schutz. In seiner wohlwollenden, wenn auch nicht uneingeschränkten Sympathie für dessen Argumentation lässt sich bereits Lessings Aufgeschlossenheit für die englischen Religionsdebatten erahnen. Spätestens mit der Veröffentlichung der Fragmente eines Ungenannten sollte er diese auch für die gebildete deutsche Öffentlichkeit einfordern. Die konfessionelle bzw. institutionelle Bindungslosigkeit des freien Literaten, die er im Gegensatz zu den akademischen Rezensenten der gelehrten Journale besaß, ermöglichte Lessing ein selbstbewusst-kritisches Urteil, welches unter den institutionellen Bedingungen des gelehrten Zeitschriftenwesens in dieser Form zuvor kaum möglich war. In ihrer außeruniversitären, bürgerlichen Entwicklung zeigt sich somit ein wesentliches Differenzkriterium der Berliner Aufklärung gegenüber den anderen, bisherigen deutschen Aufklärungszentren wie Leipzig, Halle oder Göttingen, an denen die Leitfiguren wie Thomasius, Wolff oder Haller immer Teil des universitären Diskurses geblieben waren.153 4.2.3 Rezension der Neuedition Johann Georg Hamanns in der Allgemeinen deutschen Bibliothek (Berlin) 22 Jahre nach ihrer Erstveröffentlichung erlangte die Debatte um Bolingbrokes religionsgeschichtliche Thesen 1774 nochmals kurzzeitig verstärkte Aufmerksamkeit in deutschsprachigen Journalen, als der bereits in seiner Zeit berühmte deutsche Philosoph und Literat, der „Magus des Nordens“ Johann Georg Hamann (1730–1788), Auszüge aus Bolingbrokes Briefen unter dem Titel Heinrich St. Johann Vitzgraf Bolingbroke und Jakob Hervey, übersetzt von J. G. Hamann veröffentlichte. In seinem 204 Seiten umfassenden Werk stellte Hamann Übersetzungen von Auszügen der Werke Bolingbrokes, Herveys und des englischen 153 Wie überheblich polemisch sich Lessing zu Bergmanns Übersetzung äußert, lässt sich an zahlreichen Stellen demonstrieren: „Und nun sagen Sie mir, ist das deutsche Publicum nicht zu bedauern? Ein Bolingbroke fällt unter die Hände seiner Knaben; sie schreyen Kahlkopf über ihn, die Kahlkinne! Will denn kein Bär hervor kommen, und diese Buben würgen?“ (a. a. O., S. 23). Schließlich endet Lessings Rezension mit folgenden Worten: „Schade, daß sich die gelehrte Welt des weltlichen Arms noch weniger bedienen darf, als die Kirche! Wäre es sonst nicht billig, daß man die Handlung, welche diese jämmerliche Uebersetzung drucken lassen, mit Gewalt anhielte, uns eine bessere zu liefern, und jene ins Maculatur zu werfen? Sie müßte sich des Schadens wegen an den Uebersetzer halten können“ (a. a. O., S. 24). Lessings Polemik fordert Bergmann zu einer Antwort heraus, welche im 9. Heft am 1. März 1759 am Ende knapp erwähnt wird, versehen mit dem Hinweis, dass diese interessierten Lesern zur Einsicht beim Verlag zur Verfügung stehe. Bergmanns Verteidigung, bei der Länge des Textes mögen drei Fehler passieren können, beantwortet Lessing im 13. Heft am 29. März 1759 mit einer sechsseitigen exemplarischen Auflistung von Übersetzungsfehlern, aufgrund derer er dem Übersetzer sämtliche Fremdsprachenkenntnisse abspricht (Briefe, die Neueste Litteratur betreffend 1759 [1. Theil, Nachricht], S. 199–204).
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Theologen Thomas Hunter (1712–1777) zur Geschichtsschreibung zusammen, die alle im Jahre 1752 erschienen waren. Dabei bewegte ihn die Auseinandersetzung „über die uralte Fehde zwischen Vernunft und Offenbarung, Moral und Religion und über ihr beyderseitiges Verhältnis zu der Politik“.154 Aus Bolingbrokes Letters on the study and use of history wählte er lediglich Teile des umstrittenen dritten Briefes, bei deren eigener Übersetzung er sich eng an der von Bergmann 1758 erschienenen deutschen Variante orientierte. Anders als Bergmann verzichtete Hamann jedoch auf kritische oder apologetische Kommentare und ließ Bolingbrokes Schrift zusammen mit Herveys Replik unkommentiert nebeneinander stehen. In Nicolais Allgemeiner deutscher Bibliothek, die sich inzwischen zum bedeutendsten deutschen Rezensionsorgan entwickelt hatte, verfasste Johann August Eberhard (1739–1809) 1775 eine vierseitige Rezension der Übersetzung Hamanns. Eberhard, seit 1778 Professor für Philosophie in Halle,155 stand in enger Verbindung zu den Berliner Aufklärern um Nicolai und Mendelssohn. An Eberhards Urteil wird deutlich, wie sehr die in den 1750er-Jahren noch als skandalös empfundenen Thesen Bolingbrokes im öffentlichen Urteil zwanzig Jahre später an theologischem Diskussionspotential eingebüßt hatten. Viele der Argumente Herveys gegen Bolingbrokes Bibelkritik seien überholt oder widerlegt, so Eberhard, und machten deutlich, dass die Debatte zwanzig Jahre zuvor geführt worden sei.156 Die ausführlichen historischen und philologischen Legitimationsversuche alttestamentlicher Weissagungen wie Noahs Fluch gegen Kanaan hätten nach Eberhard ihre Relevanz verloren. Hatten die gelehrten Journale 1755 die Geltung der apologetischen Argumente noch ausführlich philologisch analysiert, deutet sich in Eberhards Urteil das Bewusstsein des von Lessing beschriebenen „garstigen, breiten Grabens“ an, der eine unmittelbare Inanspruchnahme alttestamentlicher Texte für den aufgeklärten Zeitgenossen unmöglich machte.157 Die Kritik an der moralischen Aussagekraft alttestamentlicher Texte wurde inzwischen als theologisch legitim betrachtet, ohne dass dadurch die Eigenschaften 154 Bolingbroke, Heinrich St. Johann Vitzgraf Bolingbroke und Jakob Hervey [et]c. [et]c., Uebersetzt von J. G. Hamann (1774), Vorrede, unpaginiert. 155 Vgl. Rehme-Iffert, J. A. Eberhard (1739–1809), der Lehrer Schleiermachers. 156 „Die Unterschrift der Herveyischen Anmerkungen weiset es aus, daß sie bereits vor mehr als zwanzig Jahren sind aufgesetzt worden. In diesem Zeitraume sind nicht wenige unter denselben unzulänglich, andere aber überflüßig geworden. Es ist nicht mehr so anstößig, zu behaupten, daß der historische Theil der Mosaischen Schriften mehr die Origines des Jüdischen Volkes, als ein Völkersystem des ganzen Erdbodens enthalte, – daß die Nutzbarkeit desselben relativ sey – und daß man über den Sinn und die Erfüllung verschiedener uralter Weißagungen ein Stillschweigen erwählen könne, welches der Ehre der ältesten schriftlichen Urkunde nicht nachtheilig ist“ (Allgemeine deutsche Bibliothek 1775 [25. Bd., 1. St.], S. 306–310, hier S. 306). 157 „So würde man wohl jetzt nicht so viel Gewicht auf den prophetischen Fluch legen, den Noah gegen den Ham ausspricht, und ihn der weitläuftigen Rettung nicht werth halten, die sich in den Herveyischen Anmerkungen findet. Die Sache ist zu weit von uns entfernt, als daß man nicht aller Orten anstossen sollte“ (a. a. O., S. 307).
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Gottes selbst zur Disposition gestellt waren.158 Dass Hamanns Übersetzung, deren Inhalt überholt sei und die an sich nicht zum Gegenstand schöngeistiger Literatur der Allgemeinen deutschen Bibliothek gehöre, überhaupt solch eine ausführliche Rezension erhalten habe, liege ausschließlich an der Tatsache, dass es der berühmte Johann Georg Hamann war, der diese Übersetzung veröffentlicht habe, „der ihnen eine Wichtigkeit beyzulegen scheint, die sie nicht verdienen“.159 Noch deutlicher kommt die Wahrnehmungsveränderung der historischen Bibelkritik unter den Gebildeten zwanzig Jahre später im Vorwort zu der deutschsprachigen Neuedition der Briefe Bolingbrokes 1794 durch Christian Friedrich Rudolph Vetterlein (1759–1842) zum Ausdruck. Die historische Kritik der biblischen Texte gehörte für ihn zu den inzwischen anerkannten Selbstverständlichkeiten, die auch vielerorts die theologische Gelehrtenwelt erreicht hatte und eine solch scharfe theologische Kritik der Briefe wie zur Zeit von deren Erstveröffentlichung keineswegs mehr gerechtfertigt erschienen ließ.160 An seiner Vorrede161 lässt sich somit exemplarisch das Aufkommen eines historisch-kri158 „Denn es ist hier wohl zu bemerken, Bolingbroke hatte das Verfahren Josuas getadelt; Hervey aber vertheydigt die Vorsehung Gottes bey diesem Verfahren. Die einzelnen Wege der letztern, wenn sie auch noch so hart scheinen sollten, kann, ohne Vermessenheit, kein Mensch tadeln“ (a. a. O., S. 308). 159 A. a. O., S. 309. Dennoch findet eine Neuauflage von Bolingbrokes Letters 1788 in der All‑ gemeinen deutschen Bibliothek 1789 (88 Bd., 2. St., S. 224) noch einmal eine knappe, positive Erwähnung, ohne jedoch darin die religionskritische Komponente des Werkes zu thematisieren. 160 Zur Neuedition und Auseinandersetzung Christian Friedrich Rudolph Vetterleins mit Bolingbrokes Geschichtsverständnis vgl. Völkel, „Pyrrhonismus historicus“ und „fides historica“, S. 261–272. 161 1794 gab Christian Friedrich Rudolph Vetterlein in Leipzig eine erneute deutsche Übersetzung des Werkes heraus, aus deren Vorrede ebenfalls die veränderte Wahrnehmung der Religionskritik Bolingbrokes deutlich wird: „Der Abschnitt im dritten bolingbrokischen Briefe, über die Glaubwürdigkeit der historischen Bücher des Alten Testaments hat mehrere Gegenschriften veranlaßt. Bolingbrokes Plan brachte es mit sich, die unfruchtbaren Gegenden in dem Gebiete der Geschichte anzuzeigen und davor zu warnen; und die älteste Völkergeschichte schien ihm dahin zu gehören. (…) denn man müsse annehmen, daß das meiste, was in diesen heiligen Büchern der Juden erzählt wird, insofern es dem christlichen Glauben nicht zur Stütze diene, sehr mangelhaft sei. Allein diese Hypothese, die er noch dazu dem Wesentlichen nach rechtgläubigen Theologen abgeborgt hatte, schien in jenen Zeiten, da diese Schrift zuerst erschien, und wo die Theologen noch nicht zwischen Bibel und Religion, Dogmatik und Glauben gehörig unterschieden, sehr gefährlich; und der Verfasser ward deshalb ohne Umstände als ein Deist behandelt, der den Grund des Glaubens selbst untergraben wolle. In unsern Zeiten, wo es dem Geiste der Philosophie endlich gelungen ist, das Publikum ziemlich allgemein zu überzeugen, daß Intoleranz ein Laster und Ketzermacherei, die Andern Absichten beimißt, zu denen sie sich nicht selbst bekennen, ein Verbrechen sei; wo man einsieht, daß jede Hypothese, Schrift und Vernunft in Übereinstimmung zu bringen, gehört und nicht verläumdet werden müsse; daß man nicht die Religion selbst angreift, wenn man, wie unser Verfasser, den Verteidigern derselben sagt, daß ihre bisher geführten Beweise nichts taugen; denn diese Beweise müssen nicht metaphysisch, sondern historisch sein, und nach einer unparteiischen und strengen Kritik geführt werden – in diesen Zeiten würde man den Verfasser, jenes Abschnitts halber, nicht so bitter angegriffen haben, als von einigen seiner Gegner geschehen ist; zumal seitdem ein Teil der Theologen selbst über das Alte Testament eben so dreust, wo nicht noch dreuster zu urteilen
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V. Die Debatte um Henry St. John Bolingbroke
tischen Bewusstseins gegenüber den biblischen Texten und dessen wachsende Akzeptanz im Milieu der Gebildeten veranschaulichen.
5. Folgen: Popularisierung deistischer Bibelkritik und historisch gelehrte Apologetik Wie die Diskussion um Bolingbrokes Letters on the study and use of history zeigt, endet die Phase der Auswirkung des englischen Deismus auf die protestantische Theologie keineswegs in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Insbesondere in Hinblick auf sein historisch-kritisches Potential begann der englische Deismus seine Wirkung in Deutschland erst nach 1750 umfassend zu entfalten. So beförderte die Auseinandersetzung mit ihm in den Religionsdebatten maßgeblich die Verlagerung auf die historische Fragestellung und trug mit seiner Kernforderung eines offenen, rationalen und bürgerlich-allgemeinen Diskurses zur Umwandlung der deutschsprachigen Streitkultur bei. Die zeitliche Differenz zwischen der Entstehung des Textes in den 1730er- Jahren sowie seiner Publikation in England im Jahr 1752 bis hin zu seiner deutschen Übersetzung 1758 veranschaulicht die Ungleichzeitigkeit der Entstehung und Rezeption deistischen Gedankenguts in Deutschland. Die Rekonstruktion der Transformation eines Aufklärungswerkes wie desjenigen Bolingbrokes, welches im Kontext der französischen Aufklärung von einem englischen Politiker verfasst, in London publiziert und in deutschen gelehrten Zeitschriften rezipiert wurde, verrät einiges über die – teils recht komplexe – Genese der Impulse der historischen Bibelkritik und ihrer Wahrnehmung durch die deutsche Aufklärung. Die Kontroverse verweist dabei auf die zunehmend europäische Dimension der Diskussionskultur, welche nicht nur einen intensivierten Ideentransfer garantierte, sondern zugleich das Aufeinandertreffen differierender Debattenkulturen beförderte. Sowohl die englischen wie die deutschen Reaktionen auf Bolingbrokes Thesen zeigen, dass neben den Argumenten die zu erzielende mediale Wirkung eines Werkes eine zentrale Rolle spielte, die wesentlich über die Wahrnehmung und den weiteren Verlauf der Auseinandersetzung entschied. Während in England mediale Aufmerksamkeit mithilfe hoher staatspolitischer Ämter oder bereits etablierter gesellschaftlicher Institutionen wie den einflussreichen Londoner Societies zu erreichen war, übernahm aufgrund des Fehlens ebenjener institutionellen Voraussetzungen für die Diskursentwicklung in Deutschland das Medium der Zeitschrift eine zentrale Funktion. In der Vermittlung englischer Debatten fungierte Göttingen aufgrund seiner engen politischen Verbindungen als eines der Zentren der gelehrten Rezeption englischer Literatur und Philosophie und pflegt“ (Vetterlein, Vorrede, in: Bolingbroke, Des Lords Bolingbroke Briefe über das Studium und den Nutzen der Geschichte, S. XIV–XV). Vgl. Einleitung, S. 1.
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verfügte mit seinen Göttingischen Anzeigen zudem über nachhaltigen Einfluss auf deren Rezeptionsprozess. Der Umstand, dass der Deismus, der in England eng mit der Entwicklung eines städtisch gebildeten Bürgertums verbunden war, sich in Deutschland vornehmlich im Medium der gelehrten Zeitschriften als Gegenstand öffentlicher Dispute zu etablieren begann, bestimmte hier zugleich die spezifische Entwicklung des deistischen Rezeptionsprozesses. Die in England vielfach von theologischen Laien wie Bolingbroke geprägte Auseinandersetzung wurde in Deutschland zunächst vornehmlich im akademischen Gelehrtendiskurs geführt, bevor sie spätestens mit Reimarus ein breiteres, bürgerlich gebildetes Milieu erreichte. Die Deutungshoheit des öffentlichen Disputs um Bolingbroke durch gelehrte Zeitungen wie die Göttingischen Anzeigen veranschaulicht dabei, weshalb der Deismus bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts in Deutschland kaum positive Resonanz finden konnte. Indem die Rezeption philologisch umfassend gebildeten und konfessionell verpflichteten Universitätsprofessoren oblag, konnte die deistische Kritik im Gestus der wissenschaftlichen Überlegenheit zunächst wirksam zurückgewiesen werden. Wie das Urteil über die apologetischen Schriften englischer Prediger deutlich macht, traf das Kriterium mangelnder Wissenschaftlichkeit jedoch nicht nur die laientheologischen Schriften der Religionskritiker, sondern zugleich auch ihrer kirchlichen Opponenten, denen aufgrund mangelnder historischer oder philologischer Kenntnisse gar eine dem Ansehen der Religion schädliche Wirkung zugeschrieben werden konnte. Die Rezensenten der Göttingischen An‑ zeigen übernahmen damit die Funktion der Moderation einer gelehrten Debatte, deren Beiträge sich vornehmlich am Kriterium ihrer historisch-philologischen Legitimität messen lassen mussten. Dass diese Moderation keineswegs unparteiisch war, verdeutlicht der Umgang mit den apologetischen Schriften Lelands, dessen Thesen weitgehend unkommentiert und auf diese Weise überzeugend präsentiert wurden, während Schwächen deistischer Positionen offen zur Schau gestellt wurden. Für die Rezensenten der Göttingischen Anzeigen stand zwar die Übereinstimmung der Ergebnisse mit den kirchlichen Bekenntnissen außer Zweifel.162 Dennoch aber unterstützte die Forderung des kritischen Diskurses im Medium der gelehrten Zeitschrift die Etablierung der historisch-philologischen Kritik als rational legitimer Form der Auseinandersetzung um die Auslegung der Heiligen Schrift. Der historisch-kritische Diskurs wurde dogmatisch nicht mehr lediglich als wahrheitsgefährdend verurteilt, sondern im aufklärerischen Sinne als wahrheitsfördernd betrachtet. So war es weniger das aktive Abweichen vom orthodoxen Schriftprinzip und von seiner historischen 162 Gleichzeitig spielte die konfessionelle Bindung des Autors bei der Beurteilung durch den Rezensenten weiterhin eine gewichtige Rolle, wie sich an den Kommentaren zu Bolingbrokes Kritik am protestantischen Schriftprinzip und in zahlreichen weiteren Rezensionen zu religionsthematischen Schriften desselben Zeitraums in den Göttingischen Anzeigen belegen lässt.
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Legitimation selbst als vielmehr die positive Bewertung des historisch-kritischen Diskurses, welche wohl die wesentliche Leistung der gelehrten Journale darstellen. Das wiederum bildete die fundamentale Voraussetzung für die theologische Adaption der historischen Kritik als Prinzip biblischer Schriftauslegung. Die Fixierung auf die philologischen Untersuchungen bereitete dabei die bald darauf einsetzende Ausdifferenzierung der exegetischen und philologischen Disziplinen vor, in deren Folge sich die historisch-philologische Kritik von ihrer Bindung an das kirchlich-dogmatische Urteil löste. Jene Entwicklung begründete nicht nur die von Johann Philipp Gabler bald offiziell verfochtene Forderung der Eigenständigkeit der Exegese von der Dogmatik, sondern lieferte zugleich wesentliche Impulse zur Emanzipation gänzlich eigenständiger philologischer Disziplinen wie der Orientalistik. Wie der Rezeptionsprozess der Briefe Bolingbrokes deutlich erkennbar werden lässt, trugen in erster Linie Bolingbrokes gesellschaftliches Renommee sowie rhetorisches Talent dazu bei, dass dessen konsequent deistische Offenbarungskritik solch nachhaltige Wirkungen entfalten konnte. Erst die mediale Skandalisierung des Falles und die Entwicklung einer öffentlichen Debatte rief die Aufmerksamkeit der deutschen Gelehrtenwelt hervor, wobei deren Interesse zunächst vornehmlich den apologetischen Schriften galt.163 Hiermit bestätigt sich die These, dass vielfach erst die theologische Apologetik der Kritik der Deisten überhaupt eine breitere Öffentlichkeit verschaffte. Trotz der Fixierung auf die apologetischen Schriften erkannten die Zeitschriften die Gefahr für die Religion, welche infolge einer medialen Inszenierung des Skandals drohte. Denn – ähnlich der Intention Lessings bei der Veröffentlichung der Fragmente – bereits in der Provokation einer breiten und kritischen Kontroverse lag ein wesentliches Ziel der Publikation deistischen Schrifttums. Die durch Bergmanns Übersetzung ermöglichte Übertragung der Auseinandersetzung aus einem theologisch gelehrten in einen bürgerlich gebildeten Diskurs bedeutete zudem die Voraussetzung für eine veränderte Rezeption der deistischen Gedanken Bolingbrokes. Während dessen Thesen in Göttingen noch 1753 als theologische Provokation betrachtet wurden, zeigt sich an Lessings Reaktion auf die deutsche Übersetzung im Jahre 1759, wie unterschiedlich der sich unter den Berliner Aufklärern etablierende bürgerliche Diskurs die deistischen Schriften aufzunehmen begann. Die Rezeption der Thesen durch einen philosophischen Literaten und Dramaturgen wie Lessing im Medium einer literaturwissenschaftlichen Zeitschrift bewertete die Thesen Bolingbrokes erwartungsgemäß grundsätzlich anders als die traditionellen gelehrten Journale. An den Rezensionen zu Hamanns Versuch einer Wiederbelebung der Debatte 1775 und an Vetterleins Vorwort zu dessen 163 Diese Beobachtungen bestätigen auch die Berichte in den Tübingischen gelehrten Nach‑ richten (1757, 1. St., S. 11–13), in denen die Auseinandersetzung um Bolingbrokes Letters zunächst aufgrund der Rezeption des Werkes von John Hill, Thoughts concerning God and nature (1755), Erwähnung fand.
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Neuauflage 1794 lässt sich feststellen, dass Bolingbrokes Thesen auch 40 Jahre nach ihrem Erscheinen noch auf intellektuelles Interesse stießen, ihre Inhalte jedoch keinesfalls mehr als so skandalös wie ursprünglich wahrgenommen und vom Herausgeber als allgemein akzeptiert betrachtet wurden.164 Schließlich waren Bolingbrokes Thesen wohl auch deshalb so folgenreich, weil er die aus der deistischen Wunder‑ und Weissagungskritik resultierenden Konsequenzen zur prinzipiellen Trennung zwischen profaner und kirchlicher Geschichtsschreibung einforderte. Philosophisch war Bolingbroke geprägt durch die Christentumskritik Voltaires ebenso wie durch die nach allgemeinen Prinzipien strebende Geschichtsphilosophie Montesquieus und die historische Bibelkritik eines Richard Simon. In Kombination mit der englisch-deistischen Moralkritik exemplifiziert Bolingbrokes Bibelkritik die Akkumulation vielfältiger historisch-kritischer Argumente, welche ab etwa 1750 zur wachsenden Einsicht in die Notwendigkeit der systematischen Reformulierung des protestantischen Schriftverständnisses führen sollte. Indem Bolingbroke die empirische Methodik Lockes auf den Umgang mit der gesamten Geschichtsschreibung anwendete,165 musste eine auf Wundern und Weissagungen basierende religiöse Geschichtsschreibung zunehmend als fragwürdig gelten. In demselben Maße, 164 Damit bestätigen sich die von Christopher Voigt beschriebenen Veränderungen des gelehrten Diskurses zum englischen Deismus in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts (Voigt, Der englische Deismus in Deutschland, S. 219–220). Wie die explizite Orientierung Nicolais an den populären Formaten englischer Zeitschriften deutlich macht, war die literarische Ausrichtung an den englischen Vorbildern für die deutsche Aufklärung kaum zu unterschätzen. Meines Erachtens lässt sich somit nicht, wie Voigt meint, von einem Verschwinden der Rezeption englisch-deistischer Literatur mit jenem Umformungsprozess sprechen, sondern erst von der Ermöglichung des offenen Diskurses und einem gesteigerten Interesse, das den Lesepräferenzen des neuen Bürgertums in Form von Unterhaltungsliteratur entsprach. Da der Erfolg der deistischen Werke maßgeblich auf ihrer populären Darstellungsform basierte, erforderte eine breite Rezeption zunächst das Erscheinen einer Übersetzung wie im Falle Bolingbrokes bzw. einer deutschsprachigen Aneignung wie im Falle der Fragmente durch Reimarus. Erst unter den geänderten Kommunikationsbedingungen war es möglich, deren Werke posthum einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. So weist Victor Lechler darauf hin, dass eine positive Rezeption des englischen Deismus wesentlich mit der Übersetzung von Tindals Opus Christianity as old as Creation (1730) durch Johann Lorenz Schmidt (Beweiß, daß das Christenthum so alt als die Welt sey [1741]) zusammenhängt (Lechler, Geschichte des englischen Deismus, S. 447). Voigt bestreitet diese von Karl Aner und Henning Graf Reventlow übernommene These und verweist darauf, dass Tindals Werk eines der wenigen deistischen Werke sei, welche vor dem 20. Jahrhundert in einer deutschen Übersetzung erschienen (Voigt, a. a. O., S. 13–14). Diese Beobachtung bestätigt meines Erachtens die besondere Bedeutung, welche die deutschen apologetischen Darstellungen ebenso wie die deutschsprachigen Varianten deistischen Gedankenguts in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts besaßen. Vor dem Hintergrund jener fehlenden Übersetzungen deistischer Schriftsteller tritt zugleich die Bedeutung der zeitnahen Übersetzung der Briefe Bolingbrokes durch Bergmann sowie der Nachdrucke durch Johann Georg Hamann (1774) und Christian Rudolf Friedrich Vetterlein (Des Lord Bolingbrokes Briefe über das Studium und den Nutzen der Geschichte [1794]) für den Transfer englisch-deistischer Impulse nach Deutschland besonders hervor. 165 Vgl. Merrill, From Statesman to Philosopher, S. 199.
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in dem die historische Datierung biblischer Ereignisse sowie deren Historizität überhaupt infrage gestellt wurden, schwand zugleich die Überzeugungskraft des Arguments, die Heilige Schrift – und darin insbesondere das Alte Testament – müsse per se wahr sein. Damit wurde ein zentrales Begründungsargument der orthodoxen Hermeneutik der scriptura sacra hinfällig. Hatte die in der Orthodoxie detailliert ausgearbeitete Theorie der verbalinspirierten Heiligen Schrift bis dahin die dogmatische Einheit der protestantischen Theologie gewahrt, so verlor sie nun aufgrund der wachsenden Vielfalt ihr entgegentretender Argumente sowie sich wandelnder Diskursstrukturen sukzessive ihre einheitsstiftende Plausibilität.166 In den zumeist apologetischen Reaktionen und Rezensionen zeigt sich zugleich, dass sich die Verteidiger des kirchlichen Glaubens auf die historische Argumentationsweise Bolingbrokes einließen und diese ihrerseits mit historischen Argumenten zu entkräften versuchten. Hierin spiegelt sich die bereits in der Kontroverstheologie der altprotestantischen Orthodoxie etablierte theologische Überzeugung wider, die eigene kirchliche Dogmatik im Modus der offenen Disputation durch Anführen ausreichender historisch-philologischer Argumente verteidigen zu können. Dass diese optimistische Sichtweise, der Wahrheitsanspruch der Heiligen Schrift sei unter Verweis auf historische Zahlen und Fakten oder das Aufdecken philologischer Fehlinterpretationen zu verteidigen, angesichts der rhetorischen Schärfe und systematischen Konsequenz von Kritikern wie Bolingbroke nur noch eine abnehmende Zahl Gelehrter zu überzeugen vermochte, darauf deutet die Einsicht in die Entwicklung fundamentaler hermeneutischer Neuansätze hin, welche sich in der Bibelauslegung seit etwa 1750 auch in Deutschland abzeichneten. Zu ihnen zu zählen ist unter anderem der vom Londoner Bischof und vormaligen Oxforder Professor für Dichtkunst Robert Lowth angestoßene poetisch-analytische Zugang zu den Psalmen und den Propheten, mit dessen Hilfe Lowth – vor dem Hintergrund der deistischen Kritik am Alten Testament – deren poetische Schönheit und Wahrheit zu veranschaulichen suchte. Bleibenden Einfluss übte er, der zugleich Mitglied der Royal Society in London und der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften in Göttingen war, auf den Göttinger Alttestamentler und Orientalisten Johann David Michaelis aus, dessen Schriften und Urteile in den Göttingischen Anzeigen die Entwicklung der deutschen Bibelexegese in ihrer historisch-philologischen Ausrichtung nachhaltig mitbestimmten.167 Während sich am Beispiel Michaelis’ 166 Zugleich stellt die Emanzipation einer autonomen, überkonfessionellen und allgemein menschlichen Moral die Notwendigkeit einer historischen Offenbarung als Sozialnorm infrage. Dass moralische wie historische Kritik, die sich zunächst vornehmlich am Alten Testament entzündete, prinzipiell auch auf das Neue Testament übergreifen werde, ahnten die Rezipienten der Schriften bereits voraus. 167 Zum Einfluss von Lowth auf Michaelis und die deutsche Exegese vgl. Smend, Robert Lowth in Deutschland; Legaspi, The death of Scripture and the rise of biblical studies, S. 105– 128.
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die Hinwendung der Exegese zu den Studien der „morgenländischen“ Sprachen und Kulturen beobachten lässt, welche sich mehr und mehr von den theologisch dogmatischen Vorgaben zu befreien suchte, widmete sich ein anderer prominenter Schüler Baumgartens, Johann Salomo Semler, der Auseinandersetzung mit den dogmatischen Konsequenzen für das Selbstverständnis der Theologie als akademischer Disziplin im sich fundamental verändernden universitären Wissenschaftskontext der Aufklärung. Aus ihr leitete Semler nicht nur die Aufforderung einer Vertiefung der profanhistorischen Studien für angehende Theologen ab, sondern sah sich schließlich zur Entwicklung einer eigenen, neuen Hermeneutik der Schriftauslegung veranlasst. Trotz weitgehend inhaltlicher Ablehnung trug die Auseinandersetzung mit den englischen Deisten und nicht zuletzt die Debatte um Bolingbrokes Thesen wesentlich dazu bei, die Methodik der historisch-rationalen Argumentation systematisch auf die biblischen Texte anzuwenden – mit weitreichenden Folgen für das Selbstverständnis der gesamten Theologie. Die theologische Deutungshoheit über einen sich verselbstständigenden Religionsdiskurs im emanzipierten, bürgerlich gebildeten Milieu – das zeigt die Rezeption der Briefe Bolingbrokes – ließ sich von den akademischen Theologen mit immer diffizileren historischen Argumenten kaum mehr zurückgewinnen.
Kapitel VI
Die Debatte um Johann Salomo Semlerund die beginnende Adaption der historischen Bibelkritik in der deutschen protestantischen Theologie (1757–1765) 1. Semler zwischen Aufklärung und Pietismus in Halle Wie die beiden anfangs untersuchten Debatten exemplarisch verdeutlichen, begann sich in der Mitte des 18. Jahrhunderts die intellektuelle Großwetterlage dahin gehend zu verändern, dass die bisherigen Prämissen des biblisch fundierten religiösen Selbstverständnisses keineswegs mehr unhinterfragt von der Gelehrtenwelt akzeptiert wurden. Nicht zu Unrecht wird Johann Salomo Semler als maßgeblicher Wegbereiter des dogmatischen Umformungsprozesses betrachtet, welchen die protestantische Theologie infolgedessen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vollzog. An seinen Schriften lässt sich in besonderer Weise der Wandel des dogmatischen Schriftverständnisses und dessen Historisierung im lutherischen Protestantismus zwischen 1750 und 1780 nachvollziehen. Anders als sein Lehrer Siegmund Jakob Baumgarten, der weitgehend dem Schriftverständnis der lutherischen Orthodoxie verpflichtet geblieben war,1 1 Zu Baumgartens Weiterentwicklung der orthodoxen Schriftlehre vgl. Schloemann, Siegmund Jacob Baumgarten, S. 214–223. Auf die bereits in der gemäßigt lutherischen Helmstedter Tradition bei Calixt und seinen Schülern vorgenommene Differenzierung der Inspiration innerhalb der Heiligen Schrift macht Andreas Lüder aufmerksam (Lüder, Historie und Dogmatik, S. 62). Baumgarten stellt den Artikel „Von der heiligen Schrift“ in seiner Glaubenslehre ungewöhnlicherweise an die erste Stelle im zehnten Artikel „Von den Gnadenmitteln“ im dritten und letzten Band der Dogmatik, also in die Soteriologie. Semler als posthumer Editor bemerkt dazu in den Fußnoten: „Ob gleich einiger Grund kan angegeben werden, warum die Lehre von der heiligen Schrift erst diese spätere Stelle einnemen möge: so ist er doch nicht zureichend, dieses für vorzüglich besser zu halten, als wenn zu allererst und noch vor der Lehre von GOtt, dieselbe abgehandelt wird: indem nicht nur überhaupt man die erweisliche Beschaffenheit des prin‑ cipii cognoscendi eher kennen mus, ehe man auf principiata, oder auf die eigentliche Theologie und Anthropologie kommen kan; sondern auch die heilige Schrift kein Mittel eher abgeben und in der Absicht versucht und gebraucht werden kan, bis man dis, als einen gegründeten Vorsatz und Entschlus, annemen kan, die heilige Schrift seye für uns das vornemste Gnadenmittel; welches folglich schon die Kenntnissen einschliest, die in diesem Artikel sollen angerichtet werden; sonst fält man dahin, aus Erfarungen die Lehre von der Schrift festzusetzen, und sie folglich so verschieden zu bestimmen, mit Einmengung nicht algemeiner Stücke, als verschieden jedes Subjectum selbst ist; da hingegen alle Erfarung erst nach dem erkanten Inhalt der Schrift, wie er
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VI. Die Debatte um Johann Salomo Semler
vollzog Semler in seinen Werken die aus seiner Sicht notwendigen dogmatischen Konsequenzen. Diese erschütterten sowohl die Grundlagen der Exegese als auch der Dogmatik und lösten mehrere öffentliche Kontroversen unter den zeitgenössischen Theologen und Gelehrten aus. Bereits mit seiner biographischen Entwicklung repräsentiert Semler die dynamische Phase des Übergangs zwischen Halle’schem Pietismus und Neologie, in deren Spannung sich wesentliche Umbrüche auf dem Weg zu einer neuen Bibelhermeneutik vollzogen.2 Aus einem lutherischen Pfarrhaus stammend, wurde Semler maßgeblich durch sein Studium bei seinem Lehrer und Mentor Baumgarten in Halle geprägt, der ihn sowohl methodisch wie inhaltlich mit den Quellen und der Forschungsliteratur der Kirchengeschichte und biblischen Exegese vertraut machte. In seiner Mitarbeit an Baumgartens großangelegtem deutschsprachigen Editionsprojekt der Allgemeinen Weltgeschichte von William Guthrie (1708–1770) und John Gray sowie als Rezensent der Nachrichten einer hallischen Bibliothek (1748–1751) und Nachrichten von merkwürdigen Büchern (1752–1758) sammelte Semler nicht nur arbeitstechnische Erfahrungen mit dem Rezensionswesen,3 sondern lernte durch eigene, intensive Lektüre zugleich eine Fülle deutscher wie ausländischer, insbesondere französischer und englischer Literatur kennen. Bereits in seiner Magisterarbeit4 hatte Semler sich damit befasst, gegenüber dem englischen Deisten William Whiston die Originalität des Comma Johanneum in Joh 5,7 nachzuweisen, welches als wichtige Belegstelle für die Trinitätslehre und die Annahme der Gottheit Christi galt und daher insbesondere in der protestantischen Orthodoxie gegenüber Deisten und Sozinianern eine zentrale Beweisfunktion einnahm.5 Mit seiner Magisterarbeit stand Semler somit formal wie inhaltlich fest auf dem Boden der orthodoxen Disputationstradition, welche anhand der Einführung in den historisch argumentativen Diskurs den theologischen Nachwuchs bewusst philologisch schulte, um den Wahrheitsanspruch der altkirchlichen und reformatorischen Bekenntnisse zu legitimieren. Während Baumgarten seine historisch-philologisch ausgerichteten Forschungen noch mit den Formen der orthodoxen Dogmatik wie beispielsweise in seiner Glaubenslehre möglich ist durch die Schrift selbst, angefangen oder beobachtet werden kan“ (Baumgarten, Evangelische Glaubenslehre, 3. Bd., 10. Art., S. 4, Anm. 1). 2 Zu Semlers Biographie vgl. seine zweibändige Lebensbeschreibung von 1781/82. Vgl. außerdem Gottfried Hornigs biographische Skizze in: Hornig, Johann Salomo Semler, S. 1–86. 3 Semler engagierte sich zeit seines Lebens für das Zeitungs‑ und Rezensionswesen, arbeitete als Redakteur bei der Coburger Staats‑ und Gelehrten-Zeitung, schrieb unter anderem für die Hallischen wöchentlichen Anzeigen und die Allgemeine deutsche Bibliothek und edierte schließlich seit 1780 eine eigene Zeitschrift unter dem Titel Magazin für die Religion. 4 Semler, Vindiciae plurium praecipuarum lectionum codicis graeci Novi Testam. adversus Guilielm. Whiston anglum atque ab eo latas leges criticas (1750). 5 Semler selbst revidierte jedoch bald darauf seine anfangs vertretene These wieder und wurde dadurch der Unterstützung des Sozinianismus bezichtigt. Vgl. zu Semlers Beschäftigung mit dem Comma Johanneum Schröter, Aufklärung durch Historisierung, S. 84–86.
1. Semler zwischen Aufklärung und Pietismus in Halle
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(Halle 1759/60) zu vermitteln vermochte, demonstriert die Theologie Semlers, dass bereits in der folgenden Generation das eigene exegetische Urteil mit den dogmatischen Vorgaben nicht mehr ohne Weiteres in Einklang zu bringen war. Nach einer ersten Berufung an die Universität Altdorf kehrte Semler bereits drei Jahre später auf einen Lehrstuhl für Theologie an die Universität in Halle zurück, wo er bis zu seinem Lebensende wirkte. Hier übernahm er 1757 zudem die Aufgabe des Direktors des Theologischen Seminars und kam somit mit den unterschiedlichen Ansichten und Ausrichtungen unter den hallischen Theologiestudenten unmittelbar in Kontakt, mit deren religiöser Praxis er sich in seiner Studienanleitung kritisch auseinandersetzen sollte. In seinen ersten eigenständigen wissenschaftlichen Veröffentlichungen befasste sich Semler mit textkritischen Studien, als deren Veröffentlichungsorgan unter anderem die Wöchentlichen hallischen Anzeigen dienten.6 In Reaktion auf Johann August Ernestis (1707–1781) Exercitationes Flavianae7 veröffentlichte er De auctoritate archaeologiae (1757). Hierin zeigte sich seine intensive wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den bedeutenden Forschungen des Jenaer Exegeten.8 Vor dem Hintergrund der Beschäftigung mit dessen historisch-philologischen Studien reagierte Semler kritisch gegenüber erbaulicher Schriftauslegungsliteratur, die nicht nur unter den Hallenser Studenten hohe Popularität genoss. Gegen eine anonym erschienene erbauliche Auslegung des Hohen Liedes sah sich Semler dazu veranlasst, in einer Kurzen Vorstellung wider die dreyfache Paraphrasin über das Hohe Lied (1757) vor deren spekulativen Interpretationsversuchen zu warnen. Wie sich an der darauffolgenden Debatte zwischen 1756 und 1760 beobachten lässt,9 erkannte Semler in zunehmendem Maße, dass jene Kontroverse nicht nur Auslegungsdifferenzen einzelner Bibelstellen tangierte, sondern das gesamte theologische Auslegungssystem reformiert und den aktuellen wissenschaftlichen Anforderungen angepasst werden musste. Im Ringen um das Verständnis eines einfachen, literalen anstelle eines mehrfachen Schriftsinns und jeglicher Abhängigkeit des Schriftverständnisses von äußeren Instanzen oder individuellen spirituellen und moralischen Voraussetzungen berief er sich dabei auf keinen Geringeren als Martin Luther selbst.
Vgl. die Hinweise a. a. O., S. 93. Ernesti, Exercitationum Flavianarum prima, de fontibus archaeologiae (1756). 8 Zum engen wissenschaftlichen Austausch zwischen Ernesti und Semler vgl. Hornig, Johann Salomo Semler, S. 37–40. 9 Vgl. hierzu auch die Auflistung der von Semler verfassten Schriften bei Hornig, Die Anfänge der historisch-kritischen Theologie, S. 251–287. Vgl. außerdem H.-E. Hess, Theologie und Religion bei Johann Salomo Semler, S. 431–465. 6 7
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VI. Die Debatte um Johann Salomo Semler
2. Das theologische Reformprogramm der Nähern Anleitung zu nützlichem Fleisse in der ganzen Gottesgelersamkeit (1757) In der Ausarbeitung seines Versuchs einer nähern Anleitung zu nützlichem Fleisse in der Gottesgelersamkeit von 1757 sollte Semler auf seine bis dahin gewonnenen Einsichten explizit zurückgreifen, sie systematisieren und als einen neuen theologischen Ansatz programmatisch formulieren. Seine mannigfache Bezugnahme auf die theologische Praxis seiner Studenten verdeutlicht, wie sehr seine Überlegungen in ihren Anfängen von der lebensweltlichen Erfahrung religiöser Dynamiken geprägt waren und sich mit den Studieninhalten und ‑formen ebenso konkret wie kritisch auseinandersetzten. Mit dieser seiner Reformschrift für das Theologiestudium beabsichtigte Semler seinerseits, auf die sich ändernden Anforderungen für die angehenden Theologen zu reagieren und ein Reformprogramm vorzulegen, welches damit zugleich auch im Kontext zeitgenössischer pädagogischer Reformbestrebungen stand.10 Dabei liest sich Semlers Schrift vornehmlich als eine Verteidigungsschrift zur Legitimation der verstärkt in Bedrängnis geratenen akademischen Theologie. Im dritten und ausführlichsten Kapitel zur Bedeutung des historischen Studiums für die Theologen liefert Semler eine kritische Analyse der theologischen Lage seiner Zeit. So wird der Vorwurf, die Theologen seien im Gegensatz zu den Vertretern der anderen Disziplinen vielfach wenig fleißig, als nicht unbegründet bezeichnet, da zahlreiche Theologen auf sachlich zutreffende kritische Einwände überhaupt nicht eingingen, sondern diese schlicht als verurteilungswürdig darstellten. Dies könne man sich allerdings in seiner Zeit nicht mehr erlauben, wo die christliche Religion zumindest institutionell nicht mehr die Oberhand habe.11 So erweise sich inzwischen auch der einst überzeugende Glaube an bestimmte 10 Zu Semlers Reform des Theologiestudiums vgl. Hornig, Johann Salomo Semler, S. 15–22. Zu den theologischen Reformprogrammen gehört unter anderem auch Johann Lorenz von Mosheim, Kurze Anweisung, die Gottesgelahrtheit vernünftig zu erlernen (1756). 11 „Befänden wir uns in ienen ältern Zeiten, wo die Umstände es in Ansehung der äusserlichen Oberhand der christlichen Religion, und der so genanten Rechtgläubigen, unschädlich zu machen schienen, ob ein angehender oder schon seyn sollender Gottesgelerter die Stellen der heiligen Schrift, so gar nach Schreibfelern, und noch dazu schlecht, auslegte; ob er Pflichten auflegte, ohne sie, als dem Willen GOttes gemäs, zu beweisen; ob er statt der wahren Geschichte der Juden, JEsu, seiner Apostel, der ersten Christen, der so genannten Ketzer und Irrlehrer, Fabeln, Lügen, betrüglich oder doch fälschlich und unrichtig fortgepflanzte Undinge vorbrachte, und, wol gar, daraus allerley wichtige Folgen und Erbauung herleitete; stunde es ihm frei, Einwürfe, und Zweifel, die nicht allein unboshaftig und in so fern unschuldig, sondern auch in ihrer Masse billig, und nicht unanständig, so wohl entstanden, als vorgebacht worden waren, so gleich, als ketzerischen Gift, als offenbare Bosheit und Gottlosigkeit anzusehen, die er nicht erst beantworten, sondern als öffentlich strafwürdig verurtheilen müsse“ (Semler, Versuch einer nähern Anleitung zu nützlichem Fleisse in der ganzen Gottesgelersamkeit für angehende Studiosos Theologiae [1757], neu hg. v. Dirk Fleischer, S. 39–40).
2. Das theologische Reformprogramm
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Autoritäten, deren Inanspruchnahme früher jedes Argument widerlegt hätte, als nicht mehr hinreichend, und auch der Wissenschaftsstand habe sich in den vergangenen Jahrzehnten umfassend verändert. Zudem gebe es auch in Deutschland bis auf ein paar zeitlich zurückgebliebene Orte kaum mehr eine Stadt, die nicht von den aktuellen philosophischen und freidenkerischen Strömungen aus England, Italien und Frankreich erfasst worden sei und die inzwischen auch zahlreiche deutsche religionskritische Schriftsteller hervorgebracht habe, die dem christlichen Glauben wachsenden Schaden zufügten.12 Wie sehr Semler die gesamteuropäische Dimension der Religionsdebatten im Blick hat, zeigt sich ebenso an seinem Verweis auf religiöse Kontroversen in Frankreich und England, denen die Hallenser Theologen ohne eine umfassende historische Bildung in keiner Weise gewachsen seien.13 Wesentliche Voraussetzung für seine gesamteuropäische Situationsanalyse war Halles außergewöhnlich umfangreiche Bibliothek, welche nicht zuletzt aufgrund der Aufgeschlossenheit Baumgartens auch über jüngste religionsphilosophische Literatur aus Westeuropa verfügte.14 Veranlasst zu seiner Reformschrift sah sich Semler durch die Feststellung, dass es zwar bereits viele theologische Anleitungen zum Theologiestudium in der Geschichte gegeben habe, dass diese jedoch trotz aller Brauchbarkeit „viel enthalten, das ietzt gar anders angesehen werden mus, vieles aber darin gar fehlet, und kurz, daß sie nicht nach dem ietzigen Zustand der Gelehrsamkeit haben „Es ist auch nicht mehr Frankreich und Italien allein das Land des Unglaubens, oder der alles verachtenden grossen Einbildung; es ist auch nicht Engelland allein, wo Freidenken und Freischreiben einheimisch worden ist. Teutschland zälet gewis, ausser nur da, wo es noch seinen Zustand vor mehreren Jahrhunderten etwas mehr gleich geblieben, wenig Städte, wo man nicht von Einwürfen wider die christliche Religion, von manchen scheinbaren Gründen des Zweifels, von grossen Vorwürfen wider die so genanten Rechtgläubigen, von unleidlichen Misbräuchen, von theologischen blossen Wortkriegen u.d.g. mehr, als nur was weniges solte reden hören. Und so lange es nicht an Schriftstellern felet in Teutschland, die entweder fremde Feindseligkeiten wider die Religion durch Uebersetzungen oder Ausplündern, bey uns verbreiten; oder durch eigne Geburten den Zustand ietziger Religionsverfassung zu stören und zu ändern trachten: so lange wird ziemliche Gefahr seyn, daß nicht dieser Geist der Unart, oder Uebereilung, zum offenbaren Nachtheil der Religion und ihres Zwecks, immer mehr zu herrschen anfange“ (a. a. O., S. 40–41). 13 Auf Semlers frühzeitige Wahrnehmung der deistischen Streitigkeiten weist auch seine Erwähnung der Schriften Richard Bentleys hin, die bei fehlender eigener historischer Bildung den jungen Theologen „mit kritischen zufreien Entscheidungen irre machen“ könnten (a. a. O., S. 28). Ausführlich geht Semler zudem auf die in Frankreich Ende des 17. Jahrhunderts geführte Debatte zwischen dem Gründer des Trappistenordens, Abt Boutheiller de la Rance, und dem Theologen Jean Mabillon ein, welcher gegen den Vorwurf Boutheillers de la Rance, die Wissenschaft schade dem kontemplativ monastischen Ideal, in seinem 1691 erschienenen Werk Traité des études monastiques die Kohärenz wissenschaftlicher Studien mit der Ordensregel anhand historischer Gegenbelege verteidigt hatte. 14 Neben den Halle eigentümlichen Bedingungen bildete insbesondere das weitreichende europäische Korrespondentennetzwerk Semlers als Spezifikum unter den hallischen Theologen eine wichtige Voraussetzung für sein innovativ kritisches Potential (vgl. Schröter, Aufklärung durch Historisierung, S. 22). 12
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eingerichtet seyn können“.15 Hinzu trat seines Erachtens das Problem, dass die meisten Einführungswerke auf Latein verfasst waren und daher kaum gelesen würden. Außerdem gestaltete sich der Bildungsgrad, mit welchem die Studenten die Universitäten erreichten, so unterschiedlich, dass es der Definition eines einheitlichen Wissens‑ und Sprachenstandards bedürfe, welcher für das Studium der Theologie Voraussetzung sein sollte. Semler intendierte dabei keineswegs, die Frömmigkeit der Studenten als solche infrage zu stellen, sondern ihnen zu einem vertieften Glaubensverständnis zu verhelfen. Mit Sorge beobachtete er jedoch, dass viele der jungen Theologen die „Einfalt (…) zum größten Vorzug des christlichen Verstandes“ machten und wissenschaftliche Bildung als Gefährdung des Glaubens betrachteten.16 Entsprechend seiner grundsätzlichen Skepsis gegenüber jeglicher Form von Mystik und Spiritualismus bewertet Semler auch die theologischen Entwicklungen der Kirchengeschichte. Eine wesentliche Quelle des fehlgeleiteten Theologieverständnisses sieht Semler in der monastischen Tradition begründet, weshalb die frühen Eremiten, die sogenannten „Wüstenväter“, als deren Musterbeispiel äußerst kritisch behandelt werden, da sie ihre „trübe Einbildung“ unter zahlreichen Zuhörern verbreitet hätten und sich ihre Geschichten doch nahe am Aberglauben befänden. Wer jedoch die Quellen der Kirchengeschichte und der heidnischen Schriftsteller kritisch studiere, der werde niemals auf solche Schwärmerei hereinfallen. Semler selbst hegt dabei ein weitreichendes Misstrauen gegen die Historiographie der Heiligen und Kirchenväter, woran die wachsende Inkongruenz des kirchlichen und des profanen Weltbildes abzulesen sei,17 demgegenüber nicht nur die Kirchengeschichtsschreibung, sondern auch die biblischen Texte ihre unhinterfragte Autorität einzubüßen begännen. Dabei geht Semler sogar so weit, solchen Frömmigkeitsformen generell den „Geist unsrer christlichen Religion“,18 abzusprechen, und sieht sich damit in der reformatorischen Tradition Luthers, 15 Semler, Versuch einer nähern Anleitung, Vorrede, S. 3v. Zur nachreformatorischen Entwicklung des Genres der theologischen Anleitungen und zum ihnen zugrunde liegenden reformatorischen Theologieverständnis vgl. Kaufmann, Universität und lutherische Konfessionalisierung, S. 253–318. 16 „Und die eigentliche Vollkommenheit oder möglichste Ausbesserung und Erweiterung der Erkenntnissen, halten sie für sehr nachtheilig, und helfen sie daher möglichst widerrathen“ (Semler, Versuch einer nähern Anleitung, Vorrede, S. 6r). 17 „Die Kirchenväter begehen daneben häufige Feler in der alten gesamten Geschichte, Erdbeschreibung, Weltweisheit, u.d.g. daß also, wer diese nicht bey den heidnischen Schriftstellern richtig kennen gelernt hat, sich so oft eben diesen Fehlern unterworfen sehen muß, als er etwa bey ihnen hierin, aus einem Rest des ehmals richterlichen Ansehens, was lernen wil“ (a. a. O., S. 26). 18 A. a. O., S. 81. Ähnlich kritisch äußert sich Semler auch gegenüber den Märtyrergeschichten: „Niemand wird weniger Bedenklichkeiten an noch so vielen Märtergeschichten finden, als wer eben alle ietzt so genante menschliche Gelersamkeit zu gering geachtet hat. Ihm wird nie ein Verdacht einkommen, ob wol ein und anders erdichtet, vergrössert, verschönert, geändert sey, und es sich etwa nicht mit diesen fast lauter löblichen Umständen zugetragen habe? Ob wohl die ganze Historie nur erdichtet und nach einigen andern nachgeamet sey?“ (A. a. O., S. 82)
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dessen „Aufklärung“ schließlich „das innere, den rechten Geist der christlichen Religion“19 wieder hervorgebracht habe. Im selben Zuge wird auch die Berufung auf die Alleinwirksamkeit des Wortes in Anspruch genommen, die jegliche Bekehrung als notwendige Voraussetzung theologischer Lehre verbiete. Hieraus leitet sich schließlich Semlers harsche Kritik an einem Theologieverständnis ab, das in irgendeiner Form an innerliche Voraussetzungen gebunden ist. Wie umfassend in Semlers früher Reformschrift seine später detailliert ausgeführten hermeneutischen Anliegen bereits repräsentiert sind, zeigt sich an der Tatsache, dass er im fünften und letzten Kapitel die dem Konzept der Historisierung konsequent folgende These von der Offenheit des biblischen Kanons formuliert. Zum rechten Verständnis der Dogmatik benötigt der Leser demzufolge ein vertieftes und erweitertes Verständnis der Heiligen Schrift, deren kanonische Gegebenheit die Studierenden aus Handbüchern oder Dogmatiken übernehmen, ohne jemals kritisch über deren historische Berechtigung nachgedacht zu haben. Semler möchte daher die Studierenden dazu ermutigen, selbst nach dem historischen Urtext der Heiligen Schrift zu fragen, denn es müsse „sowol in der hebreischen als griechischen Bibel durchaus nur eine einzige Schreib‑ oder Lesart die ursprüngliche, und vom ersten Verfasser selbst gebrauchte“20 geben. Die kritische Methode, mit der man den Urtext herausfinden kann, erfordert allerdings nach Semler ein eigenes, sowohl höchst kritisches als auch geschultes Urteilsvermögen, in welchem man sich auch in der Beurteilung des Bibeltextes nicht auf die Autorität gelehrter Theologen wie Albrecht Bengel (1687–1752) oder Daniel Whitby (1638–1726) und schon gar nicht auf die Editionen der alten Kirchenväter verlassen könne. Letztlich aber folgt daraus, dass das „noch so gute Vorurtheil von der Unverletzlichkeit des biblischen geschriebenen Textes“21 vor dem Hintergrund der historisch-kritischen Analyse so nicht aufrechtzuerhalten sei. Insbesondere die Rekonstruktion der historischen Entstehungsbedingungen eines Textes spielt für Semler eine entscheidende Rolle. Dabei ist ihm zugleich bewusst, dass diese historischen Rekonstruktionsversuche biblischer Geschichtsdarstellungen in Widerstreit mit den fortschreitenden Erkenntnissen der Profangeschichtsschreibung geraten können und nicht immer unmittelbar in Übereinstimmung zu bringen sind. „Die vornehmste Schwierigkeit in iener ist fast immer nur diejenige, so aus Versuchen der Verbindung der biblischen jüdischen Geschichte, mit der weltlichen, oder auswärtigen entstehet: und gleichwohl muß auch dieses bey den meisten Auslegungen historischer oder prophetischer Bücher untersucht werden“.22 19 „Man müste das innere, den rechten Geist der christlichen Religion, dessen Aufklärung Luthero und andern seinen Gehülfen und ächten Nachfolgern so sauer geworden ist, nicht eigentlich genug kennen, wenn man hier noch viel Bedenklichkeiten hätte“ (a. a. O., S. 85). 20 A. a. O., S. 177. 21 A. a. O., S. 180. 22 A. a. O., S. 190.
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Nicht nur theologisch, sondern auch arbeitstechnisch sind Semlers Anweisungen für das Theologiestudium darauf ausgerichtet, die Studenten zu einem eigenen, kritischen Urteil zu befähigen. Vor dem Hintergrund seiner umfangreichen Rezensionstätigkeiten empfiehlt er den Studenten neben dem Studium der klassischen Standardwerke der theologischen Literatur die Lektüre renommierter Rezensionsorgane.23 Konkret legt er ihnen nahe, sich jeweils die Angaben zu den Bänden und Seiten der Journale zu notieren, in denen man die Zusammenfassung der jeweiligen wichtigen Bücher findet.24 Gleichzeitig werden sie allerdings davor gewarnt, sich zu sehr auf fremde Nachrichten von bestimmten Büchern zu verlassen, da diese stark von dem Urteilsvermögen des jeweiligen Rezensenten abhingen und dem Leser damit ein falsches Bild von dem Buch selber vermitteln könnten.25 Ausdrücklich legt er die Acta eruditorum sowie die unter Baumgarten verfassten Nachrichten von einer hallischen Bibliothek und Nachrichten von merkwürdigen Büchern ans Herz, da beide Journale viele andere an Präzision überträfen und daher zur Literaturkenntnis unentbehrlich seien.26 Von besonderem Interesse für die Genese des dogmatischen Transformationsprozesses ist Semlers Anleitung insofern, als sie noch kein geschlossenes hermeneutisches System einer historisch-kritischen Bibelexegese präsentiert, sondern wesentliche Impulse und Dynamiken erster, fundamentaler Systembrüche im Schriftverständnis in Halle Ende der 1750er-Jahre deutlich werden lässt. „Man kan auch die bibliothecam historiae litterariae, oder den tomum secundum des Reimmannischen catalogi nützlich brauchen, manche Hülfsmittel der theologischen Bücherkentnis kennen zu lernen, worunter die mancherley Monatschriften, Journale, gelerte Zeitungen, vornemlich mit zu rechnen sind, besonders die lateinischen acta eruditorum; woraus die merkwürdigsten theologischen Bücher leicht zu merken sind“ (a. a. O., S. 229). 24 Vgl. a. a. O., S. 222. 25 „Ausserdem, daß alle Urtheile von Büchern meist im Verhältnis auf den, der sie fället, müssen angenommen werden, folglich auf desselben grösserer oder weniger Gelersamkeit und eigentlichen Einsicht des Gegenstandes, von dem die Bücher handeln, beruhen, also nicht geradehin für ieden Leser entscheiden, dis Buch sey auch in Absicht seiner nicht erheblich, wenn iener Gelerte es gleich mit Grunde verachten könte: so finden gar mancherley andre Umstände statt, deren Daseyn und Einflus man erst wissen muß, wenn man ein Urtheil, das von einem Buche schon gefället worden ist, sicher nutzen will. Alle solche Urtheile, die in Absicht dessen, der sie annimt, mittelbare heissen, können, zum Unterschiede der unmittelbar, oder von ihm selbst gefälleten, müssen nur auf gewisse Zeit, oder sonst mit Einschränkung und Bedingung angenommen, also nicht leicht zuverläßig darauf was gethan oder nicht gethan werden. Es gilt eben dies von den neuesten Büchern, und den Urtheilen, die in Zeitungen oder Monatschriften davon gefället werden“ (a. a. O., S. 223–224). 26 „Sehr viele, zumal seltene und gute Bücher, die hieher gehören, kann man sich aus den Nachrichten, von einer hallischen Bibliothek, und deren Fortsetzung, kentlicher machen; diese Nachrichten haben den Vorzug für so vielen anderen hiezu bestimten Schriften, daß sie genau und sehr richtig abgefast sind; sie sind daher unentberlich zu genauerer Bücherkenntnis“ (a. a. O., S. 222). In den Nachrichten von merkwürdigen Büchern wurde Semlers Werk bereits 1756 angezeigt und trotz der lokalen Studienreformvorschläge für die hallische Universität zugleich auch als Vorbild für andere Fakultäten empfohlen (Nachrichten von merkwürdigen Büchern 1756 [10. Bd., 58. St.], S. 374). 23
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Herausgefordert von der Dominanz der 1758 in fünfter Auflage edierten Anleitung August Hermann Franckes zum Theologiestudium, Idea studiosi theo‑ logiae (1. Aufl. 1712), lieferte Semler aufgrund seines Urteils der Unzeitgemäßheit ihres theologischen Ansatzes mit seiner Anleitung zunächst einmal einen umfassenden Neuentwurf zum philologischen Anspruch und zu den adäquaten Arbeitsweisen der Theologie als akademischer Wissenschaft. Die ihnen zugrunde liegenden fundamentalen Differenzen im theologischen Selbstverständnis sollten in der folgenden Kontroverse offen zutage treten, wobei Semler wohl erst in jener Frontstellung zur Formulierung wesentlicher theologischer Einsichten gelangte, die für seine Theologie richtungsweisend werden sollten.27 Durchgehend nachweisbar ist dabei seine profunde Kenntnis auch des außertheologischen Schrifttums. Hierzu zählt unter anderem die Beteiligung an der Übersetzung der Allgemeinen Welthistorie, deren Herausgabe Semler offiziell erst mit dem 18. Band 1760 übernahm, deren Arbeit er jedoch bereits unmittelbar nach Baumgartens Tod weiterführte.28 Zur Fortführung des eng mit der Person Baumgartens verknüpften, seit 1748 herausgegebenen hallischen Rezensionsjournals sah sich Semler dagegen nicht in der Lage und strebte stattdessen die Edition einer eigenen Anleitung zur gelerten theologischen Bücherkenntnis an.29 Zur systematischen Erschließung der Bücher und ihrer Inhaltszusammenfassungen ließ Semler 1758 im letzten Band der Nachrichten von merkwürdigen Büchern ein Gesamtregister aller darin zwischen 1748 und 1757 rezensierten Werke drucken, welches den Studenten zugleich als Nachschlagewerk der aktuellen theologischen und philosophischen Literatur aus Deutschland und Europa dienen sollte. Das über 400 Seiten umfassende Register bietet einen aufschlussreichen Überblick über die von Baumgarten und Semler bevorzugt wahrgenommene Literatur und lässt 27 Zur Bedeutung der Ausarbeitung der Anleitung für Semlers theologisches Wissenschaftsverständnis vgl. H.-E. Hess, Theologie und Religion bei Johann Salomo Semler, S. 57–64. Marianne Schröter weist in ihrer umfangreichen Studie zu Semlers Beitrag zur Historisierung der Theologie auf das Desiderat einer näheren Untersuchung zu Semlers Studienreformprogramm von 1757/58 hin. Gleichzeitig wird das Werk lediglich als „Anwendungsfall der hermeneutischen, exegetischen, historischen, dogmengeschichtlich-dogmatischen sowie ‚ascetischen‘ Arbeiten“ Semlers betrachtet (Schröter, Aufklärung durch Historisierung, S. 21). Meines Erachtens ist – bereits aufgrund der sehr frühen Datierung – die Schrift weniger ein Anwendungsfall, sondern vielmehr ein wesentliches Beispiel des Entwicklungsprozesses eines neuen hermeneutischen Verständnisses, welches sich gerade erst unter den konkreten Umständen akademischer Lehrtätigkeit in Auseinandersetzung mit spezifischen Ausdrucksformen studentischer Frömmigkeit in Halle herausbildete. Die spezifischen hallischen Umstände zur Bedeutungsentwicklung der Propädeutik und Hermeneutik in ihrer Beziehung unter anderem zu Franckes Studienprogramm hat Marianne Schröter untersucht: Schröter Enzyklopädie und Propädeutik in der Halleschen Tradition. 28 Zur inhaltlichen Ausrichtung und zu den Übersetzungs‑ und Publikationsdynamiken der Allgemeinen Welthistorie unter Baumgarten und Semler vgl. Conrad, Geschichte(n) und Geschäfte, S. 1–188. 29 Vgl. das Vorwort zur letzten Ausgabe der Nachrichten von merkwürdigen Büchern (1758, 12. Bd., unpaginiert).
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bestimmte hervortretende Interessen und Einflüsse zumindest ansatzweise erkennen. Insofern ermöglichte die Rezensionstätigkeit Baumgartens und Semlers nicht nur ihnen die Partizipation an den aktuellen Diskursen der europäischen Aufklärer, sondern ließ aufgrund ihres öffentlichen und enzyklopädischen Charakters einen weiten Kreis eines gelehrten Publikums an diesen Debatten teilhaben.
3. Die Wahrnehmung der Nähern Anleitung in gelehrten Zeitschriften 3.1 Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen (Göttingen) Bereits kurz nach Erscheinen wurde die Debatte rasch von namhaften gelehrten Journalen aufgegriffen und teils mit mehreren Rezensionen bedacht. Schon 1757 begannen die Göttingischen Anzeigen über die Veröffentlichung des ersten Teils des Buches Semlers zu berichten, dessen hohe Gelehrsamkeit große Bewunderung hervorrief und seinen Werken beinahe uneingeschränkt positive Rezensionen bescherte. Welch nachhaltige Provokation Semlers Reformprogramm andererseits unter vielen Studenten und Theologen in Halle bedeutete, veranschaulicht die Tatsache, dass Semler in den beiden darauffolgenden Jahren aufgrund zahlreicher kritischer Reaktionen zwei weitere, je weit über hundert Seiten umfassende Zusätze veröffentlichte, um seine Anliegen zu verteidigen und systematisch zu explizieren.30 Semlers Reformprogramm für das Theologiestudium wird von den Göttingi‑ schen Anzeigen als Reaktion auf das Erscheinen einer mystisch paraphrasierenden Auslegung des alttestamentlichen Hohen Liedes dargestellt, welche der Rezensent allerdings mit dem Ausdruck einer gewissen wissenschaftlichen Verachtung inhaltlich für nicht erwähnenswert hält.31 Allein der Titel des erbaulichen Werkes Dreyfache Paraphrasin über das Hohelied Salomonis (1756) lässt aus Sicht der Göt‑ tingischen Anzeigen schon erahnen, dass dieses Buch nichts Fruchtbares zur Erklärung des Hohen Liedes beitragen könne. Umso positiver wird Semlers Widerlegung der mystischen Auslegungsweise gewürdigt, dessen Auseinandersetzung mit den „fanatischen Irrtümer[n], welche dabei zum Grunde liegen“32 als dessen eigentliche Frontstellung zutreffend identifiziert wird. Zu jenen „fanatischen 30 Zur ausführlichen Entwicklung und Abfolge der hierauf erschienenen Schriften vgl. H.E. Hess, Theologie und Religion bei Johann Salomo Semler, S. 49–123. 31 „(…) weil wir aber unserm Leser einen sehr schlechten Gefallen erweisen würden, wenn wir in Zukunft von einem so elenden Buch weitläuftig unterhalten wolten“ (Göttingische Anzeigen 1757 [61. St.], S. 608). 32 Ebd.
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Irrtümer[n]“ gehört die These, dass zur Einsicht der Heiligen Schrift die menschliche Gelehrsamkeit aufgegeben werden müsse, da die ganze Heilige Schrift mystisch sei und an sich nur durch „besondere Begnadigungen und eigentliche Offenbarung (…) ohne unsere Hülfsmittel“33 recht verstanden werden könne. Gegen die hieraus abgeleitete konsequente Ablehnung der Philosophie und der akademischen Theologie habe sich Semler in seiner Schrift mit „fruchtbaren Anmerkungen“34 zur Wehr gesetzt. Zustimmung erntet seine nicht „ungegründete Klage, daß sich die Anzahl gelehrter Theologen täglich verringere“,35 weshalb der akademische Rezensent hervorhebt, dass es keine wichtigere Pflicht gebe, als diesem Niedergang entschieden zu wehren und vorzubeugen, wozu Semlers Werk einen entscheidenden Beitrag leiste. Gefallen findet aus diesem Grund auch Semlers Anliegen, mit seiner Forderung eines vertieften Studiums der antiken Literatur der „seichten Modetheologie“ entgegenzuwirken.36 Während die Rezension kaum inhaltlich von seinen methodischen Reformansätzen berichtet, widmet sie sich vornehmlich der Bekräftigung des darin formulierten Grundanliegens Semlers, die Bedeutung einer „weitläuftige[n] Gelehrsamkeit“ für die Theologie gegen deren aus „fanatischen Grundsätzen“37 opponierende Kritiker zu verteidigen. Fernerhin für erwähnenswert gehalten wird Semlers Widerlegung einer Romantisierung der philosophischen Unverdorbenheit der frühen Kirche, in der „die Unwissenheit der systematischen Theologie eine Mutter einer vorzüglichen Gottseligkeit“38 gewesen sei. Mit ihrer klaren Positionierung für die Anliegen Semlers folgen die Göttingi‑ schen Anzeigen dem Programm der Göttinger Universität, sich deutlich von der pietistischen Prägung Halles abzugrenzen. Zugleich kommt darin die Semler und den Göttinger Theologen gemeinsame theologische Überzeugung zum Ausdruck, es bedürfe vornehmlich intellektueller Auseinandersetzung und richtiger „Käntnis der Religionslehren, durch welche alle Gleichgültigkeit und Irtum am zuverläßigsten bestritten und selbst eine gründliche Gottesfurcht am sichersten befördert wird“.39 Aus diesem Grund wird Semlers Werk von den Göttingi‑ schen Anzeigen möglichst vielen Lesern zum Studium empfohlen. Insbesondere
Ebd. Ebd. 35 A. a. O., S. 606. 36 „Wir sind vollkommen mit ihm einig, daß die Versäumung der griechischen und römischen Litteratur die vornehmste Ursach der seichten Modetheologie sey, ob wir gleich aus eigner Erfahrung versichert sind, daß diese greuliche Pest auf einer Universität mehr; als auf der andern graßire“ (ebd.). 37 A. a. O., S. 607. 38 Ebd. 39 Ebd. 33 34
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Kirchenleitungen werden zur Verbreitung und Umsetzung des vom Autor beschriebenen Ideals des gebildeten Theologen aufgefordert.40
3.2 Erlangische gelerte Anmerkungen und Nachrichten (Erlangen)41 Unter einem anderen Aspekt gerät Semlers Opus in den Erlangischen gelerten Anmerkungen und Nachrichten in den Blick. Deren Rezension ist geleitet von dem praktischen Interesse an der täglichen Arbeit eines Pfarrers. In deskriptiver Weise fasst sie die jedem Kapitel zugrunde liegende Intention zusammen. Trotz Semlers hohem wissenschaftlichen Anspruch an die Geistlichen findet sein Anliegen wohlwollende Zustimmung. Er gehöre „zu keiner der gleich unglückseligen zwo Gattungen unächter Gottesgelehrten (…), wovon die eine ihren ganzen Vorzug in einer faulen Frömmigkeit, und die andere in einer eitlen und GOtt vergessenden Arbeitsamkeit suchet: sondern daß er ein so arbeitsamer, als frommer Gottesgelehrter sey“.42 Anders als in den Göttingischen Anzeigen nehmen die Erlangischen gelerten Anmerkungen und Nachrichten Semlers Werk nicht in erster Linie im Kontext einer theologisch programmatischen Auseinandersetzung mit einer pietistischen Frömmigkeitsrichtung auf, sondern als Ermahnung an nachlässige Studenten und bequem gewordene Pfarrer.
3.3 Neue Zeitungen von gelerten Sachen (Leipzig)43 In den für das deutsche gelehrte Journalwesen ursprünglich stilbildenden Leipziger Neuen Zeitungen erschien die Rezension des Werkes im März desselben Jahres. Dabei beklagen diese die studentische Orientierungslosigkeit im Theologiestudium und rühmen Semler dafür, dass er den oftmals fehlenden 40 Neben den Göttingischen Anzeigen wurde Semlers Werk auch in den Nachrichten von merkwürdigen Büchern in Halle besprochen, die sich jedoch auf eine knappe Inhaltsangabe beschränkten. Die neutrale Inhaltsangabe könnte, ähnlich wie bei Less’ Rezension seiner eigenen Werke in den Göttingischen Anzeigen, darauf hindeuten, dass Semler sein Buch hier selbst anonym rezensiert hat. 41 Erlangische gelerte Anmerkungen und Nachrichten 1757 (12. Bd., 2. St.), S. 9–13. Die Züricher Freymüthigen Nachrichten von neuen Büchern boten dieselbe Rezension ihrerseits am 24. August 1757 (14. Bd., 34. St.), S. 266–268. Sie stellten eines der einflussreichsten schweizerischen gelehrten Journale dar, welches unter der Mitwirkung Johann Jakob Bodmers und Johann Jakob Breitingers in den literaturtheoretischen Auseinandersetzungen mit Johann Christoph Gottsched in Leipzig eine wesentliche Publikationsplattform bot und dabei auch in Deutschland rezipiert wurde (zur Ausrichtung der Freymüthigen Nachrichten vgl. Wilke, Literarische Zeitschriften des 18. Jahrhunderts, S. 41–44). Aufgrund der späteren Publikation und der regelmäßigen Kopie von Artikeln deutscher gelehrter Zeitschriften ist davon auszugehen, dass es sich hierbei um einen Nachdruck der Erlangischen gelerten Anmerkungen und Nachrichten handelt. 42 Freymüthige Nachrichten 1757 (14. Bd., 34. St.), S. 267. 43 Neue Zeitungen von gelehrten Sachen 1757 (18. St.), S. 161–164.
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systematischen Zusammenhang der theologischen Einzeldisziplinen verständlich darlege.44 Die Veränderungen der Religion und der Wissenschaft machten es demnach notwendig, alle 50 oder gar 25 Jahre ein neues Regelwerk herauszugeben, welches Semler mit seiner Schrift hervorragend erfülle.45 Auch die Neuen Zeitungen beklagen den in „unsern Zeiten so schimpflichen Verfall der Sprachgelehrsamkeit der alten Welt“,46 den Semler auf die mangelhafte und sehr unterschiedliche Schulausbildung der Studienanfänger zurückführt. Als Novum betrachtet werden Semlers Ausführungen zur notwendigen wissenschaftlichen Professionalisierung der akademischen Ausbildung der Theologen. Seine praktischen Ratschläge, wie die Bildung durch umfassendere Kenntnis wissenschaftlicher Literatur zu fördern sei, erhalten daher besonderes Lob. In ihrer Rezeption unterstützen die Neuen Zeitungen somit auf ganzer Linie Semlers theologisches Reformprogramm und favorisieren die Steigerung des wissenschaftlichen Anspruchs der Theologie.
3.4 Rostockische Anzeigen (Rostock) In den Rostockischen Anzeigen erschien ein Bericht über das Werk am 13. April 1757, in welchem Semlers Reformprogramm in Zusammenhang mit von Mosheims Kurzer Anweisung, die Gottesgelahrtheit vernünftig zu erlernen (1756) genannt wird.47 Ähnlich wie in den übrigen gelehrten Journalen dominiert zunächst die Klage über den Bildungsverfall alter Sprachen, deren Kenntnis jedoch für die theologische Ausbildung für unverzichtbar gehalten wird.48 Eine ausführ44 „Wir sind nehmlich selten gewohnt, das ganze Feld der theologischen Wissenschaften uns in einem abstrakten Begriffe überhaupt vorzustellen, sondern wir beschäftigen uns mehr mit jeder Gegend allein, deren eigentlicher Werth und Wichtigkeit aber, außer ihrem allgemeinen Zusammenhang, niemals recht erkannt wird: so wenig als man sich rühmen kann ein Land gründlich zu kennen, wenn man dessen vornehmste Städte und Wege inne hat, und hingegen das Intereße desselben, sein Verhältniß gegen die Nachbarn, und seine Macht im Großen, nicht einsiehet“ (as.a.O., S. 161). 45 „Wenn auch gleich unsre Studierenden die alten Anleitungen nicht so sehr aus der Acht ließen, als es höchst unbillig geschiehet: so würde doch dadurch nicht alles von Grundaus gebessert werden können. Jede funfzig, und fast jede fünf und zwanzig Jahre, erfordern neue Regeln und Cautelen, die der veränderte Zustand der Religion und der Gelehrsamkeit nothwendig macht“ (a. a. O., S. 162). 46 A. a. O., S. 163. 47 Rostockische Anzeigen 1757 (15. St.), S. 162–165. 48 „Wir finden hier sehr gegründete Anmerkungen, die allen Schullehrern, welche junge Gelerte zum academischen Leben vorbereiten sollen, sehr nützlich sind, und die sich deshalb billig zu merken haben, weil nicht selten die ganze Schuld, daß ein junger Mensch auf Academien nicht fortkommen kan, wenigstens nicht den seinem Vermögen gemässen Grad der Volkommenheit erreichet, blos den Schullehrern mit Recht zur Last kommt. Die Erfahrung lehret es, daß ein angehender Academicus, angefüllt mit Metaphysik, und wenn er auch noch dazu die ganze Reihe der electrischen Versuche mit seinem Lehrer durchgespielet hat, ungemein schlecht fortkomme, wenn er sein auf Akademie zu brauchendes Compendium nur durch Hülfe
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lichere Darstellung erfährt Semlers Verteidigung der wissenschaftlichen Bildung für theologische Lehrer, die nicht vom Glauben wegführe, sondern Schaden verhindere, den ungebildete Theologen in der Kirche anrichteten.49 Die Betonung der Unabhängigkeit der Wirksamkeit des göttlichen Wortes von der spirituellen oder moralischen Disposition des Lehrenden, womit sich Semler gegen die Forderungen einer vorhergehenden Bekehrung oder moralischen Besserung wendet, gibt die Rezension ausführlich mit dessen eigenen Worten wieder. Die Rostockischen Anzeigen halten das gesamte Werk in seinen inhaltlichen wie organisatorischen Anregungen für so überzeugend, dass es den Theologen nicht nur zur Lektüre empfohlen wird, sondern zugleich als Grundlage für zukünftige Vorlesungen dienen sollte.
4. Semlers Erster Anhang (1758) Wie aufmerksam Semler die Rezeption seiner Werke in den damaligen Rezensionsorganen verfolgte, verdeutlicht der vollständige Abdruck der Rezensionen aller vier genannten gelehrten Journale im Ersten Anhang zur Anleitung. Aus Bescheidenheit habe er jedoch all die positiven Rezensionen seines Werkes niemals ganz gelesen.50 Gleichzeitig führt er die Rezensionen explizit an, um die Bedeutung des wissenschaftlichen Urteils der Theologen gegenüber frommen Einzelmeinungen hervorzuheben und seine eigene Position gegenüber dem Vorwurf der Häresie durch das Urteil der Gelehrtenwelt zu legitimieren. Indem des Wörterbuchs verteutschen kan, oder die ebräischen Buchstaben von dem Professor lernen mus. So war der Schulunterricht in vorigen Zeiten nicht beschaffen, und nun ist es nur zu oft nothwendig, daß ein solcher auf Schulen entstandener Mangel noch auf Universitäten ersetzt werde“ (a. a. O., S. 163). 49 „Das dritte Capitel handelt von der Vortreflichkeit und wahren Absicht academischer Einrichtungen und Vorbereitungen für angehende Gottesgelerte. In diesem Capitel hat der Herr Prof. sich besonders bemühet; die Vorwürfe, die man den academischen Einrichtungen zu machen pfleget, als ob dieselbe der wahren Gottesfurcht mehr schädlich als vortheilhaft wären, angefüret, untersuchet und abgelehnet. Er zeiget, daß der Schade, den ungelerte ob wol sonst sehr fromme Lehrer, oder die sich dazu aufgeworfen, der Kirche und so wol der dogmatischen als Moral Theologie, zugefüget, viel grösser sey, als der von nicht so frommen, aber gelehrtern herrühren kann (…)“ (a. a. O., S. 164). 50 „[D]aß ich einige öffentliche Recensiones und sehr verständliche Urtheile gelerter und angesehener Männer, auch theils wirklicher verdienten Gottesgelerten, hinten anhängen dürfe; wobey ich manche handschriftliche noch deutlichere Aeusserungen von angesehenen academischen Gottesgelerten, für dismal noch ungebraucht lasse. Ich kan es versichern, daß diese Rezensionen in den damaligen Zeitungen niemalen ganz durchgelesen habe; sondern, so bald ich ersahe, daß sie sehr geneigt und vorteilhaft waren, sie weggelegt, und in demütiger Empfindung allemal GOtt sowol gebeten habe, daß es ihm gefallen möge, nur einen Theil von dem gerümten Guten an einigen angehenden Gottesgelehrten wirklich durch ihre eigene Erfarung weiter bestätiget zu zeigen; als auch ihm herzlich gedankt, daß er mein gewissenhaftes Bewusstseyn und meine redliche Dreistigkeit, nicht ohne einige äussere Bestätigung lassen wollen“ (Semler, Erster Anhang, S. 4).
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dieses zum theologischen Maßstab erhoben wurde, oblag es nun weitgehend der Gelehrtenwelt, über die Legitimität theologischer Positionen zu entscheiden.51 Der Erste Anhang hat dabei die Absicht, den seit dem Erscheinen der Anleitung kursierenden Gerüchten und Vorwürfen zu begegnen und Zweifel an Semlers „rechtschaffene[r] und theologische[r] Gesinnung und Treue“52 unter seiner Zuhörerschaft zu zerstreuen. Ausdrücklich wehrt er sich gegen die Vermutung, sein Buch sei „einem andern, ähnlichen Inhalts, ausdrücklich entgegen gesezt“.53 Gemeint ist hierbei Franckes Theologieprogramm der Idea studiosi theologiae, das 1712 zum ersten Mal in Halle erschienen war und sich seitdem durch mehrere Neuauflagen zum Standardwerk für die theologische Ausbildung in Halle entwickelt hatte. Selbst wenn er dieses Werk hätte widerlegen wollen, betont Semler, wäre dies durchaus legitim gewesen, da „niemalen Bücher in unsrer Kirche von einzelnen Lehrern so geschrieben worden, daß sie zu ewigen Zeiten sollen eine unverbesserliche Norm und Richtschnur seyn und bleiben“.54 Zum einen lässt sich an dem Zitat erkennen, welch verbindlichen Status Franckes Schriften in jener Zeit an der hallischen Fakultät besaßen. Zum anderen deutet es bereits Semlers umfassende historische Kritik jeglicher kirchengeschichtlich dogmatischer Autoritäten an, ein Prinzip, das er später auch auf den biblischen Kanon ausdehnen sollte. Trotz seiner Behauptung, das Werk Franckes noch nie ganz gelesen zu haben,55 lässt dessen zentrale Bedeutung für die theologische 51 „Ich halte es aber für den einzigen Weg, manche Leute an die Ehrerbietung, so sie für die gelerte christliche Welt haben müssen, zu erinnern: die ihnen und ihren geistlichen selbst gemachten Einbildungen ihre christliche Vernunft niemalen sclavisch unterwerfen wird, wodurch ich auch Schuz und Sicherheit wenigstens für öffentlicher Verketzerung behalten werde“ (a. a. O., S. 4–5). Explizit fordert Semler seine Leser auf, die im Anhang abgedruckten Rezensionen als Bestätigung der Richtigkeit seiner Thesen zu lesen: „Nun lesen Sie noch eine doppelte Zugabe; die erste enthält einige öffentliche Zeugnisse und Urtheile von der Unschädlichkeit nicht allein, sondern auch wirklichen Richtigkeit meines Versuchs einer nähern Anleitung zu nützlichem Fleisse in der ganzen Gottesgelersamkeit. (…) Ich würde noch mehr mich herauslassen, wenn ich nicht wirklich befürchtete, durch anscheinende Uebertreibung der Bescheidenheit und des sonst wahren Urtheils meiner selbst von mir, mehr wirklichen Anstos zu geben, als durch eine sehr erkentliche dankgeflissene Hochachtung der Herrn Verfasser dieser Recensionen, welche mir so sanfte und liebreiche Ermanungen und Aufmunterungen zu eigenem rechten Fleisse in der Gottesgelersamkeit, haben erteilen wollen. Ich werde mich bestreben, Merkmale meiner treuen Folgsamkeit und eines unverdrossenen Fleisses, und zugleich meiner Hochachtung für die gelerte christliche Welt, zu geben“ (a. a. O., S. 137–138). 52 A. a. O., S. 3. 53 A. a. O., S. 5. 54 Ebd. 55 „Ich habe das Buch, wie ich also durchaus versichern muß, in meinem Leben nie durchgelesen; ehedem, als Studiosus, es kaum einmal in Händen gehabt, aber weder damals durchlesen, noch seit aller der Zeit es iemalen wieder in die Augen bekommen; ohne ihm seine gute Brauchbarkeit, so wenig als andern solchen Büchern, iemal dadurch zu benemen und abzusprechen. Wie nun auf diese Art eine dergleichen eigentliche Widerlegung möglich ist, kann ich nicht erkennen“ (a. a. O., S. 5–6). Zur programmatischen Bezugnahme Semlers auf Franckes Idea studiosi theologiae in diesem Werk vgl. auch Hartmut Schulz, Johann Salomo Semlers Wesensbestimmung des Christentums, S. 42; vgl. auch Hornig, Johann Salomo Semler, S. 96.
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Ausbildung in Halle, wo 1758 bereits die fünfte Auflage erschien, kaum einen Zweifel daran, dass Semler sein Werk in bewusster Antithese zu Franckes pietistischem Theologieprogramm verfasst hatte.56 Zu den gegen Semler erhobenen Vorwürfen gehört neben dem des Angriffs auf Franckes Programm außerdem seine angebliche Forderung, die studentischen Betstunden seien abzuschaffen. Semler selbst rechtfertigt sich damit, er habe in seinem Werk lediglich deren missbräuchliche Anwendung für das Theologiestudium anprangern, nicht aber deren grundsätzliche Legitimation infrage stellen wollen. Die Notwendigkeit der Widerlegung jener beiden Vorwürfe weist deutlich darauf hin, für wie schwer der Angriff auf zwei der Grundpfeiler des theologischen Selbstverständnisses in Halle empfunden worden war. Alle Beschwichtigungen Semlers konnten letztendlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass seine Kritik an jenen beiden Punkten einem grundlegend anderen Theologieverständnis entsprang, welches sich allerdings erst im Laufe der Kontroverse herauskristallisierte. Ähnlich wie später die Auslegung der Offenbarung zum Auslöser einer separaten Behandlung der Verbindlichkeit des neutestamentlichen Kanons wurde, lieferte die Auseinandersetzung um eine erbauliche Auslegung des Hohen Liedes Semler den ersten Impuls zur systematischen Reformulierung seines Schrift‑ und Theologieverständnisses.57 Hatte sich Semler in seiner Anleitung noch hauptsächlich auf einzelne zu verbessernde theologische Topoi und die Veränderung der akademischen Praxis bezogen, so veranlasste ihn die folgende Kontroverse58 zu grundsätzlichen Überlegungen für ein präzisiertes Selbstverständnis der Theologie. Wohl in Reaktion auf sein Studienprogramm hatte sein Hallenser Fakultätskollege und spätere Direktor des Waisenhauses Johann Georg Knapp (1705–1771) eine Schrift über das Theologieverständnis nach Luther unter dem Titel De voce Lutheri, theologum effici oratione, meditatione ac tentatione59 (1758) veröffentlicht und somit Luthers erfahrungsbasiertes Theologieverständnis implizit gegen Semlers philologisch 56 Zu Franckes pietistischem Theologieprogramm vgl. Kang, Frömmigkeit und Gelehrsamkeit, S. 330–424. 57 „Ich kan alle solcherley heimliche Vorhaben, für mich nicht wirklich anrürend halten; indem zur Verantwortung meines Versuchs allemal bereit bin; auch mit der Zeit ihn viel fruchtbarer und viel unwidersprechlicher machen will, um die wahre theologische Gelersamkeit und höchste Schuldigkeit aller Treue in einer richtigen und guten Erkenntnis, wider manche irrige Meinungen und kundbare Praxeis, wovon die dreyfache Paraphrasis über das Hohelied genug zeuget, noch viel stathafter darzuthun“ (Semler, Erster Anhang, S. 7–8). 58 Eine chronologische Auflistung der in diesem Zusammenhang veröffentlichten Schriften bietet H.-E. Hess, Theologie und Religion bei Johann Salomo Semler, S. 290–292. So verfasste Semlers Kollege Christian Albrecht Döderlein noch 1757 (vgl. Widmung) eine Schrift unter dem Titel Das innere Zeugnis des Heiligen Geistes von der Göttlichkeit der heiligen Schrift (1758) sowie eine Disputation unter dem Titel De usu et abusu rationis humanae in rebus divinis (1758). Beim Antritt seiner neuen Professur in Rostock hielt Döderlein eine Feyerliche Rede von den Vorzügen der biblischen Theologie vor der Scholastischen (10. 4. 1758). 59 Zur Auseinandersetzung zwischen Semler, Knapp und Döderlein vgl. H.-E. Hess, Theologie und Religion bei Johann Salomo Semler, S. 52–56 und 76–90.
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ausgerichtetes Reformprogramm aufgeboten. Als klassisch lutherische Definition des Theologiebegriffs, wie sie auch von Mosheim seiner Kurzen Anweisung zugrunde gelegt hatte, nimmt Semler jene Formulierung Luthers „oratio, meditatio, tentatio faciunt Theologum“60 ebenfalls zum Ausgangspunkt seiner Abhandlung. Unter Bezugnahme auf von Mosheims Kurze Anweisung zitiert Semler diesen ausführlich, insbesondere dessen Interpretation der Formulierung Luthers. In unserer Kirche pflegt man zuerst den Martin Luther anzuführen. Er hat keine Methode geschrieben, sondern die in diesem §. angefürte Regel oratio, meditatio, tentatio faciunt theologum, gegeben, welche er aus Psalm 119 genommen; und diese ist hernach in tausend Büchern wiederholet worden. Untersucht man diese Regel recht, so ist klar, daß man sie nicht recht verstanden, und mehr daraus gemacht hat, als darin stehet.61
In Bezug auf die praxis pietatis und das Gebet zitiert Semler von Mosheims Meinung, nach der das Gebet die Aufgabe eines jeden Christen und nicht in besonderer Weise die eines Predigers oder Studenten sei, denn „allein Wissenschaften werden dadurch nicht in unsern Kopf kommen, man bete so lange, als man wil“.62 Die meditatio, das Nachdenken, setzt nach von Mosheim einen Gegenstand und eine Methode voraus, welche der einzelne Christ zuvor erworben haben muss. Dafür aber muss „der Verstand schon aufgeklärt seyn“.63 60 Luther greift hier auf Worte aus Psalm 119 zurück und verwendet diese zur Erläuterung der Bestandteile des Theologiestudiums in seiner Vorrede zum ersten Band der Wittenberger Ausgabe der deutschen Schriften 1539 (WA 50, S. 659). Innerhalb der lutherischen Orthodoxie sollte die Formulierung zur zentralen Definition des Theologieverständnisses avancieren, deren Interpretation jedoch äußerst vielfältig blieb, wie die Berufung von unterschiedlichen Theologen wie unter anderen Johann Gerhard, Spener, Francke, Bengel, von Mosheim und Semler veranschaulicht. Zum Begriff bei Luther und in der Orthodoxie vgl. unter anderen Bayer, Theologie, S. 55–106; Wallmann, Der Theologiebegriff bei Johann Gerhard und Georg Calixt, S. 71–75; Filser, Dogma, Dogmen, Dogmatik, S. 354–362. Zur Entwicklung des Programms theologischer Studienanleitungen und zur Rezeption der Luther’schen Formulierung in der lutherischen Orthodoxie vgl. Kang, Frömmigkeit und Gelehrsamkeit, S. 71–140. Kang zeigt darin, dass die lutherischen Studienanleitungen bis ins 18. Jahrhundert hinein wesentlich auf Luthers theologischer Formel „oratio, meditatio, tentatio faciunt theologum“ basierten. In seinem Fazit weist Kang explizit darauf hin, dass erst mit Semler dieses triadische Schema durch die kategoriale Unterscheidung von Religion und Theologie fundamental infrage gestellt und nur noch für die gläubige Existenz, nicht mehr aber für das wissenschaftliche Studium als maßgeblich bewertet wurde (vgl. a. a. O., S. 496). Semler selbst liefert in seinem Ersten Anhang die Ergebnisse seiner kirchenhistorischen Studien zur Überlieferung der Formulierung seit der Alten Kirche, anhand derer er die Differenz zwischen ihrer Verwendung bei den Kirchenvätern und der bei den Reformatoren zu demonstrieren sucht. Aber auch Luthers Gebrauch des Theologiebegriffs ist nach Semler in seinem historischen Kontext dasjenige, was man nun als „Heilsordnung“ bezeichnet (vgl. Semler, Erster Anhang, S. 40), und sucht nicht unmittelbar als normative Formulierung die Theologie als akademische Wissenschaft zu definieren. 61 A. a. O., S. 9. Zitiert nach von Mosheim, Kurze Anweisung, die Gottesgelahrtheit vernünftig zu erlernen (Nachdruck 1990), S. 20–21. 62 Semler, Erster Anhang, S. 10 (vgl. von Mosheim, a. a. O., S. 21). 63 Semler, a. a. O., S. 11 (vgl. von Mosheim, a. a. O., S. 22).
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Die tentatio, die Anfechtung, kann nur insofern geschätzt werden, als sie gesteigerten Widerstand und Fleiß hervorbringt. Die wichtigste Umdeutung besteht nun darin, dass Fleiß und Widerstand selbst hervorgebracht werden können, die tentatio jedoch nicht, weshalb diese nicht im ursprünglichen Sinne zu den Voraussetzungen eines Theologen zu zählen sei. Ebenso wie für von Mosheim bleibt auch für Semler die Autorität des Zitates des Reformators unbestritten. Methodisch allerdings folgt Semler von Mosheim darin, das Zitat aus seinem historisch-systematischen Kontext herauszureißen und im Sinne der eigenen theologischen Intention umzudeuten. Gemeinsam ist beiden das aufklärerische Anliegen, die Rolle des eigenen Verstandes in der Theologie hervorzuheben und den aktiven Lern‑ und Bildungsanspruch an den einzelnen Theologen in den Vordergrund zu stellen. In allen seinen Deutungsversuchen muss Semler schließlich gestehen, dass „diese zwey Stücke, oratio und meditatio, gar nicht die eigentlichen, unmittelbaren Hülfsmittel zu dem Umfang von wahren unumstöslichen Erkenntnissen gewesen, welche wir iezt Theologie, oder den wahren Lehrbegriff unserer Kirche nennen“.64 Für ihn sind diese Begriffe Ausdrucksformen monastischer Theologie, deren Ergebnis, die Absonderung von der Welt, er als „mönchische Fantasterey“ scharf kritisiert. Sie redeten immer vom heil. Geiste, von Eingebungen und Wirkungen GOttes, ohne iemalen ein untrügliches Merkmal und Unterscheidungsstück genent zu haben, woran andre Menschen sicher genug es wissen könten, daß wirklich sie in allem, was sie vorbringen, von GOTT und seinem Geist gelerte Fürer und Rathgeber seien. Wenn wir ihrem Vorgeben glauben: so hat GOtt nur ihnen den h[eiligen] Geist gegeben. Man kan nicht ohne Schaudern an den Wachstum dieser Fantasterey gedenken.65
Semlers historische Kritik am Mönchtum richtet sich in diesem Punkt immer zugleich gegen die von ihm in Halle bekämpfte erbauliche Auslegungstradition, deren Ablehnung nicht nur persönliche Abneigung gegenüber jener Frömmigkeitsform widerspiegelt. Für ihn liegt hierin ein wesentliches systematisches Problem, welches er mit Blick auf dessen kirchenhistorische Entwicklung veranschaulicht. Unter Verweis auf die Schmalkaldischen Artikel sucht er seine eigene Kritik an der monastischen Praxis und erbaulichen Theologie zu demonstrieren. Gottes Geist und Gnade können nicht durch Meditation, Bekehrung oder Begeisterung bedingt sein, sondern hängen am Wort Gottes selbst und müssen nach diesem beurteilt werden.66 Hierin sieht Semler eine entscheidende Differenz der lutherischen Theologie sowohl gegenüber den Schwärmern als auch Semler, a. a. O., S. 26. A. a. O., S. 36. 66 „Das nennen selbst unsre symbolischen Bücher, Vernunft: die, so zur Vernunft kommen sind, müssen erst gehört haben, (oder eine Erkentnis haben,) wenn sie gleich erst ungläubig sind, und nach zehen Jahren erst den Geist und die Taufe kriegen, smalcald. Artik. S. 675 hiesiger Ausgabe. Und S. 578: „In diesen Stücken ist fest darauf zu blieben, daß GOtt niemand seinen 64 65
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gegenüber der römischen Kirche. Beiden wirft er vor, die biblische Auslegung an einen bestimmten Erleuchtungsstatus der Theologen zu knüpfen.67 Unter Berufung auf prominente Vertreter der lutherischen Orthodoxie68 sucht Semler seine Unterscheidung zwischen dem inneren und einem äußeren Verständnis des biblischen Textes zu legitimieren, wobei die Betonung deutlich auf dem äußeren Schriftverständnis liegt.69 Gegenüber einer frommen Unmittelbarkeit der inneren Auslegung zielt Semlers Argumentation darauf ab, hierbei den notwendigen Zusammenhang der Glaubenserkenntnis und der ihr vorausgehenden Kenntnis der Heiligen Schrift und ihres Gegenstandes hervorzuheben.70 Zu kläGeist oder Gnade giebt, ohne durch und mit dem vorhergehenden äusserlichen Wort: damit wir uns bewaren, für den Enthusiasten“ (a. a. O., S. 74). 67 „Dis ist ie und allezeit der Grund gewesen, warum wir die Irlehren des Weigel, Hohburg, Felgenhauer, und der alten Schwenkfeldianer gerade aus verwerfen: (…) Gleichwie Schwenkfeld die Leute zum innerlichen Geist und dessen unmittelbarer Erleuchtung verweiset, aus welchem die Schrift recht gründlich verstanden werden sollte. Also weiset der Papst die Christen auf die römische Kirche u.s.w. Es wäre folglich auch hier so, wenn man lehren wolte, daß nur die erleuchteten Theologi, die h. Schrift verstünden, erkenneten, und richtig auslegten, daß man sich also auf die solte verweisen lassen, die sich dafür auszugeben für gut befänden“ (a. a. O., S. 95). 68 Vgl. a. a. O., S. 72. Hierbei beruft sich Semler auf die Übereinstimmung mit maßgeblichen lutherischen Dogmatikern wie Martin Chemnitz, Ägidius Hunnius, Johann Gerhard oder Johannes Musaeus und geht sogar dazu über, seinen Kritikern fehlende Übereinstimmung mit der kirchlichen Lehre vorzuwerfen. „Wie sehr man sich also von diesem Lehrbegriff unsrer Kirche entferne: wenn man sich für den möglichen Mitteln, einer gewissern und geschwindern Erkentnis des Sinnes und Verstandes der Bibel und der Glaubenslehre gleichsam fürchtet, als wenn durchaus dabey in Irtümer gerate, und ohne Gottes Gnadenwirkung gar nichts in solchem Vorsatz und Bemühen vermöge: liegt am hellen Tage“ (a. a. O., S. 73). Die Kontinuität zur lutherisch orthodoxen Schriftlehre demonstriert Semler unter anderem unter Verweis auf die Schmalkaldischen Artikel und das Gutachten der Wittenberger Fakultät im Rathmann’schen Streit, welches die unmittelbare Bindung des Wirkens des Heiligen Geistes an das Verstehen der Heiligen Schrift hervorhob (vgl. a. a. O., S. 70). Thomas Kaufmann weist in seiner Untersuchung zur Universität Rostock auf die bemerkenswerte Entwicklung hin, dass „die Lutherischen Begriffe ‚oratio‘, ‚meditatio‘ und ‚tentatio‘ aus den Rostocker Studienanweisungen der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts allmählich gewichen sind“ (Kaufmann, Universität und lutherische Konfessionalisierung, S. 297). 69 „Den Sinn und Verstand der geschriebenen Worte zu erfinden, ist man keiner Specialgnade des heiligen Geistes benötiget, sondern es ist genug an der Generalgabe, die in einem jeden Gelerten und Sprachkundigen vorhanden“ (Semler, Erster Anhang, S. 70). Jene sachliche, äußere Erkenntnis steht für Semler in unmittelbarem Zusammenhang mit dem inneren Wachstum des Glaubens: „Folglich wenn er sich nicht bestrebt, es recht ausgebreitet und volständig zu erkennen: so erfolget auch die Bekerung, und der Glaube selbst, nur nach und in dem Grade seiner Erkentnis. Und wenn er diese nicht weiter vermehret, so wächset sein Glaube, in so fern Erkentnis dazu gehört, auch nicht; weil GOtt nicht ohne dieses Mittel wirket“ (a. a. O., S. 89). 70 „Man mus also die Bibel, die Dogmatik, und andere theologische Wissenschaften zu verstehen, 1) die natürliche Kraft der Erkentnis, gehörig und natürlicher Weise, und mit Beobachtung ihrer Beschaffenheit, anwenden und üben: von Gott und durch den heiligen Geist lernt man das nicht, was der Verstand der Bibel, der Sin unsrer Kirche und der wahren richtigen Lehre sey, wenn man auch noch so gutes Herz und Gemüt hat, wie man es nent. 2) Der heilige Geist wirket, in so fern wir das vorgetragene Wort verstehen, und einen Verstand und Begriff davon haben; nicht aber kan man dis Verhältnis umkeren, der heilige Geist solle einem erstlich den Sin und Verstand der heiligen Schrift selbst in den Kopf setzen und bringen, und
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ren bleibt dabei die Verhältnisbestimmung zwischen dem menschlichen Verstehen des Inhaltes des Glaubens und der von Gott im Menschen verursachten Heilswirksamkeit der Schrift. Denn ohne das jeweilige Eingreifen Gottes ist „diese Erkenntnis in dem Menschen noch nicht lebendig und ganz und gar wirksam“.71 Dabei versucht Semler den Gegensatz zwischen natürlicher, menschlicher Erkenntnis und heilswirksamer, göttlicher Eingebung abzumildern und beide miteinander zu harmonisieren. Lebendige Erkenntnis entsteht durch die kontinuierlichen Einwirkungen Gottes auf den Willen des Menschen, insofern sich dieser jenen nicht widersetzt, sondern sich mittels seiner Zustimmung moralisch verhält.72 Lebendige Erkenntnis ist also ein Prozess der stufenweisen Abschwächung des menschlichen Widerstandes gegen den geistlichen Anspruch der Bibel und deren Bezug auf das eigene Leben. Am Anfang dieses Prozesses steht die göttliche Gnade, die in jedem Menschen zumindest in irgendeinem Grade, „welcher ihm nötig und vortheilhaft ist“,73 vorhanden ist. Indem die Wirkung nachher weiter wirken, daß dis also eine fortgesetzte Wirkung sey“ (a. a. O., S. 72). „3) Die Erleuchtung geht nicht eigentlich darauf, daß wir einen Gegenstand für das, was er nach GOttes Wort ist, eben nun erkennen, als wenn dieses nicht könne von und durch natürliche Kräfte, die der vernünftige Mensch hat, erkant und verstanden werden; sondern sie geht eigentlich, allein, auf das Verhältnis dieser so beschaffenen Gegenstände, gegen uns und unsern Zustand; betrift also unsre Urtheile, Beifal und Geneigtheit dagegen“ (a. a. O., S. 75). 71 A. a. O., S. 85. 72 Inwiefern der Glaube an das historische und philologische Verständnis des Textes der Heiligen Schrift gebunden ist, erläutert Semler in mehreren Schritten: „1. Der Mensch kan als ein natürlicher Mensch, die Bibel, ihren Inhalt, und Vortrag von götlichen Wahrheiten, so erkennen und verstehen, wie GOtt es verstanden wissen wil, wie er es durch Zeichen dem Menschen, der eine natürliche Kraft zur Erkentnis hat, vorhält. In diesem Fal, wo nicht auf des Menschen Urtheil, Beifal, gesehen wird, sondern blos auf das Verhältnis seiner Erkentniskraft, gegen den Wortverstand der heil. Schrift, wenn auch von Bekerung, u.s.w. die Rede ist: würde es falsch seyn, wenn iemand behauptete, hominem naturalem, simulac ad divinas res accedat, nil nisi errores committere. 2. Der Mensch, der seine natürliche Erkenntniskraft gehörig, wie es ihre Art mit sich bringt, anwendet und übet, kan die Sätze in der h. Schrift, ihrer logischen Grösse und Einschränkung nach, die sie mit allen Sätzen gemein haben und behalten, erkennen; (…) er kann also eine Ordnung derselben machen, und in einer Ordnung sie vortragen, und diese Ordnung kan und mus er, ohne eine Wirkung des h. Geistes, durch seinen natürlichen Verstand entdecken. (…) 3. Der natürliche Mensch kann diese eingesehene Ordnung und Grösse der Sätze wider unrichtige Verkerung, gewis und gründlich behaupten. (…) 4. Die Erkenntnis von götlichen Dingen, kan richtig, das ist so beschaffen seyn, daß man den Gegenstand, der durch die Worte angezeigt wird in heil. Schrift, richtig kent, als diesen, und als nicht ienen: wenn gleich diese Erkentnis in dem Menschen noch nicht lebendig und ganz und gar wirksam ist. (…) 5. Daß diese lebendige Erkentnis uns wirklich zur Seligkeit füret, ist nicht eigentlich der Erkenntnis, und ihrem Leben an sich, sondern der steten Wirkung GOttes auf unsern Willen zuzuschreiben, welche der Mensch nicht gehindert, sondern genutzt hat; und dieses Verhalten des Menschen ist moralisch. (…) 6. GOttes Wirkung verändert den Grad der Erkentniskraft, welche der Mensch von Natur und ihr gemäß durch Übung hat, ganz und gar nicht“ (a. a. O., S. 83–85). 73 A. a. O., S. 87. „Die Wirkung GOttes, wodurch der Mensch dem Anfange nach erleuchtet wird, welche stets stuffenweise wächset, wenn der Mensch sie nicht hindert, entsteht nicht im Menschen, wenn er die h. Schrift nicht versteht; auch nicht vorher, ehe er vom Worte GOttes etwas, einen Satz, eine Warheit, sich vorstellet, denket, und sie erkennet. Diese Wirkung GOttes
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Gottes in einem bestimmten Grade allen Menschen zugeschrieben wird, wird ihr Differenzierungspotential weitgehend minimiert und der Fokus vornehmlich auf die für deren Wirksamkeit notwendigen menschlichen Konditionen gelegt. Die menschliche Beteiligung am Erkenntnisprozess der geistlichen Dinge, die der göttlichen Erkenntnis folgt, wird als moralischer Prozess der Besserung verstanden. Dieser wird von Theologen und Laien gleichermaßen verlangt und kann somit kein spezifischer Gegenstand der theologischen Ausbildung mehr sein. Vielmehr liegt nach Semler der Schwerpunkt auf dem adäquaten Wortverständnis der Heiligen Schrift, um die göttliche Gnade überhaupt durch das Verstehen des Wortes Gottes empfangen zu können. Da die Kenntnis des Gegenstandes ein geistliches Verständnis der Schrift erst ermöglicht, kommt der natürlichen Erkenntnis, das heißt dem wissenschaftlichen, historischen und kritischen Studium der Heiligen Schrift die zentrale Funktion im theologischen Erkenntnisprozess zu. Nicht die Wirkung der göttlichen Gnade ist das zentrale Unterscheidungsmerkmal zwischen wahrem und falschem Verständnis der Heiligen Schrift, sondern die menschliche Fähigkeit der logischen Analyse des Textes.74 Mit seiner Argumentation ist Semler bestrebt, das Anliegen seines Reformprogramms des Theologiestudiums zu rechtfertigen und dessen Konformität mit dem biblischen Befund und dem lutherischen Bekenntnis nachzuweisen. Seine Auslegung Luthers und der Bekenntnisse, die er in Übereinstimmung mit den Intentionen der Dogmatik seines Lehrers Baumgarten sieht,75 beansprucht dabei, das eigentliche Verständnis der lutherischen Lehre freizulegen und dieses im offenen Diskurs mit seinen pietistischen Kontrahenten zu erweisen.76 ist auch nicht in gleichem Grad bey allen Menschen, ihre Erkentnis an sich, mag ungleich oder gleich seyn, sie felet aber bey keinem Menschen in einigem Grade, welcher ihm nötig und vortheilhaft ist. Diese Wirkung geht aber zunächst auf des Menschen natürliche Abneigung von den so genanten geistlichen Dingen; diese wird stuffenweise geschwächet, und der Mensch sucht und wünscht nun immer mehr davon zu erkennen, in der anfahenden Ueberredung, und Ueberzeugung, daß ihm dieses unentberlich sey, zu seinem ganzen Wohl. Dieser Anfang dieser Ueberzeugung ist, dieses Urtheils vom Verhältnis der christlichen Lehre auf und gegen ihn, ist nicht, und niemals ohne GOttes Gnadenwirkung, sondern blos durch dieselbige, da. Diese Ueberzeugung hat und bekomt Grade; aber des Menschen Erkentniskräfte selbst, als solche, behalten ihren Grad, bekommen keinen höhern Grad durch Gottes Wirkungen“ (a. a. O., S. 86–87). 74 „Ein Verstand also, der nicht vermögend gewesen ist, einen gewissen Zusammenhang von Sätzen, eine Folgerung einzusehen, es sey nun, weil er die Erkentniszeichen und Sprache nicht genug erlernet hat, oder, daß er keine Fähigkeiten hat, welche wir Gedächtnis, Einbildungskraft, Vernunft, nennen; oder daß er sie oder einige davon nicht zu dem Grade gebracht hat, welcher zur Erkentnis und gewissen Einsicht des Wortverstandes der h. Schrift erfordert ist, damit das gehörige Verhältnis gegen dieses Object im Subjecto da sey; ein solcher Mensch bekomt durch die Erleuchtung, und Wirkung GOttes den ihm fehlenden Grad dieser Kräfte und Vermögen, nicht, und kan sie, ohne ein Wunderwerk in der Natur, nicht bekommen“ (a. a. O., S. 85–86). 75 Semler verweist dabei auf die dogmatische Kontinuität mit der Glaubenslehre seines Lehrers Baumgarten, die er selbst mit einem ausführlichen Vorwort 1759/60 posthum edierte (vgl. Semlers Ausführung a. a. O., S. 104–105). 76 „Wem es nun vorkomt, daß ich mich von der wahren, alten, ächten lutherischen Lehre in diesem deutlichen Vortrage entferne: der sey, wie ich schon gebeten oder verlangt, gefordert
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Semlers abschließende Erläuterung zu seinen jüngsten Vorlesungen, welche er teils von seinem im Juli 1757 verstorbenen Lehrer Baumgarten übernommen und weitergeführt hatte, deutet bereits die systematischen Implikationen an, die sich aus seiner Interpretation des reformatorischen Schrift‑ und Theologieverständnisses ergaben. Vor dem Hintergrund zunehmend divergierender Interpretationsmöglichkeiten erkannte er, dass ein einheitliches Verständnis der Heiligen Schrift nur noch durch eine vorangehende Klärung einer allgemeinen Hermeneutik der Schrift aufrechtzuerhalten war. Wenn wir alle Lehren prüfen und ihrer Uebereinkommung nach mit dem Inhalt der h[eiligen] Schrift, beurtheilen sollen und müssen, wie unsre Kirche stets behauptet hat: so kan man nicht glauben, daß man gewissenhaft genug gehandelt habe, wenn man praktische Ausleger überhaupt vorziehet. Auch diese müssen wir beurtheilen können, ehe wir ihre Auslegung, gewissenhafter Weise, nuzen und brauchen können. Die gründliche Erkentnis also der Hermeneutik ist die erheblichste Wissenschaft für einen Theologum.77 (…) Durch Hermeneutik bekommen Sie den eigentlichen Grund, die wirkliche äussere Sicherheit der Warheiten, welche unsre Dogmatik und Moral ausmachen, und in der Polemik von uns gegen Widerspruch behauptet werden.78
Hierin deutet sich bereits die Schlüsselfunktion sowie Semlers hohe Erwartung hinsichtlich der Leistungsfähigkeit der Hermeneutik an, von welcher er nichts weniger als die Erklärung des „wahren Verstand[es]“ der biblischen Texte erwartet: so können wir nun diesen richtigen bestimten Text, wirklich erklären und auslegen. Wenn alle einzelne Worte und Wortfügungen ihre bestimte Bedeutung bekommen haben, wozu sehr viel philologischer Vorrat gehört: so bekommen wir nun Begriffe und Sachen, die dadurch bedeutet worden sind. Wenn diese so erkläret und deutlich gemacht worden, daß wir eben den Umfang in der Vorstellung davon erreichen, als er bey dem Schriftsteller
habe, so redlich, und trete öffentlich auf, anstatt des heimlichen Munkelns und Verketzerns, so wird sichs auch hierin bald erkennen lassen, wer ohne Absichten handelt“ (a. a. O., S. 105). 77 A. a. O., S. 129–130. „Die Hermeneutik ist eine der allerwichtigsten und unentberlichsten Wissenschaften. Sie muß den ganzen Grund gewären, worauf alle übrigen theologischen Beschäftigungen beruhen“ (a. a. O., S. 126). Als negatives Beispiel einer fehlenden hermeneutischen Reflexion erwähnt Semler an dieser Stelle noch einmal die bereits von ihm mehrfach kritisch erwähnte und widerlegte Paraphrase des Hohen Liedes: „Sie haben kaum vor Jahres Zeit ein offenbares Beispiel hier gehabt: daß es noch sehr viele Leute gibt, welche warlich theils unrichtige falsche Grundsätze haben, theils die Lehre unsrer Kirche nicht wissen, und doch sich herausnemen die h. Schrift, vorschriftlich und gebieterisch, stolz auf ihren einheimischen Geist, auszulegen. Ich meine die dreifache Paraphrasin über das Hohe Lied; deren ungelerter enthusiastischer Verfasser so frech war, Halle als den Druckort zu nennen; gleich als hofte er hier gewissen Beifal und Ausbreitung seiner albernen Erbaulichkeit“ (a. a. O., S. 130). 78 A. a. O., S. 131. Auch an dieser Stelle empfiehlt Semler wieder das Werk seines Lehrers Baumgarten: „Am gewissesten werden Sie darin durch das Baumgartische vortreffliche Lehrbuch von dieser Wissenschaft befördert werden, indem Sie die Grundsätze darin finden, wornach der unvergleichliche Lehrer Ihnen die übrigen theologischen Wissenschaften aus der heil. Schrift vorgetragen hat“ (ebd.).
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gewesen ist, und als er seinen damaligen nächsten Lesern hat mittheilen wollen: so haben wir den richtigen und wahren Verstand erkläret und ausgelegt.79
Abschließend wird noch einmal die ursprüngliche Motivation der Ausarbeitung des Reformprogramms zur Verbesserung des wissenschaftlichen Theologiestudiums dargelegt. Diese besteht einerseits in der Sorge um die zunehmenden Angriffe auf die Religion und das Verständnis der Schrift durch die „zunemende Freygeisterey“, welche „zu solcher Unordnung und Frechheit des Verstandes“80 führt, und andererseits in der Abwehr eines separatistischen biblischen Enthusiasmus. Die im Geiste des Pietismus geprägte und auf Frömmigkeit und Praxis ausgerichtete Ausbildung in Halle, die einst in ihrer Überwindung der orthodoxen Scholastik als fortschrittlich galt, ist in Semlers Augen nicht in der Lage, diesen Herausforderungen intellektuell etwas entgegenzusetzen, so „daß nachdenke Leute so sehr wenig gründlichen Bericht haben bekommen können, von denen, welchen doch die Aufrechthaltung der richtigen Lehre anvertrauet heisset“.81 Diese konstatierte Unfähigkeit der adäquaten Reaktionsfähigkeit der Theologen führt in seiner Sicht bei vielen Frommen zu der reduktionistischen Annahme, „die meiste Religion habe blos in den untern Kräften der Seele ihren Sitz“.82 Für Semler bestätigt die pietistische Frömmigkeitsorientierung, insbesondere in ihrer Herrnhuter Prägung, dieses Vorurteil und droht die Religion durch ihren Rückzug auf das Emotionale dem argumentativen Zugang zu entziehen. Damit gerät jedoch die Theologie in die doppelte Gefahr, nach außen hin den Anschluss an den allgemein-wissenschaftlichen Diskurs und nach innen den der Möglichkeit eines rationalen Diskurses über das eigene Schriftverständnis zu verlieren. Dem entgegen stellt Semler die für ihn einzig reformatorisch legitime Alternative, die „angehenden Studiosos zu recht grossem anhaltenden Fleis und Eifer nach einer wahren Gelersamkeit, zu ermanen“83 und somit der religiösen Krise mit verstärkter Bildung und argumentativer Überlegenheit zu begegnen. Dies alles habe er geschrieben, betont Semler, „um der alten wahren Lehre unsrer Kirche, die in GOttes Wort gegründet ist, die jetzt nötige Unterstützung zu geben“.84 War die ursprüngliche Intention, die erhitzten Gemüter durch den 79 A. a. O.,
S. 134. „Die ganze Beschaffenheit unserer Zeit bringt es leicht mit sich, daß Lehrer auf Academien mit großem Ernst, auf eine gründliche und richtige Kentnis unsrer Theologie dringen und treiben. Ich will gar nicht an die zunemende Freygeisterey denken; obgleich mit vielen Beispielen zu beweisen ist, daß häufig die ersten Versuche zu solcher Unordnung und Frechheit des Verstandes daher entstehen. (…) Es reicht vielmehr blos diese, viel nähere Betrachtung, hin, mich zu rechtfertigen: daß so wol die schon genante herrnhutische Enthusiasterey, nicht nur aus solcher Unrichtigkeit des Lehrbegriffes entstanden ist, sondern auch recht dahin abzielet, dieselbe recht förmlich anzupreisen und alles sogleich zu canonisieren“ (a. a. O., S. 169). 81 Ebd. 82 Ebd. 83 A. a. O., S. 170. 84 A. a. O., S. 171. 80
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VI. Die Debatte um Johann Salomo Semler
Nachweis der eigenen Bekenntnistreue zu beruhigen, so bewirkte Semlers systematische Entfaltung seiner theologischen Position, dass die Strittigkeit des protestantischen Schriftprinzips als Einheitsmoment der lutherisch-orthodoxen Dogmatik in ihren fundamentalen Folgen immer deutlicher zutage trat.
5. Semlers Zweiter Anhang (1758) Der weit über eine Studienanleitung hinausgehende Erste Anhang weitete die Auseinandersetzung nun endgültig zu einer umfassenden dogmatischen Debatte aus, auf die Semler schließlich 1758 mit einem Zweiten Anhang85 reagierte. Dieser bildete die letzte Ergänzung zur Anleitung, deren Ergebnisse schließlich in Semlers Vorbereitungen einer eigenen theologischen Hermeneutik86 mündeten und letzlich hierin eine eigenständige systematische Entfaltung fanden. In seinem Zweiten Anhang reagierte Semler in erster Linie auf die Kritik87 des Hallenser Predigers und späteren Rostocker Professors für Dogmatik Christian Albrecht Döderlein (1714–1789), griff dabei aber zugleich eine bereits unter mehreren zeitgenössischen Theologen geführte Debatte um die Frage der Inspiration auf.88 Im Aufbau des Zweiten Anhangs wird diese Zusammengehörigkeit deutlich in der Kombination zweier Teile, deren umfangreicherer erster der Illuminationslehre gewidmet war und an den sich Semlers Verteidigung der Notwendigkeit einer philosophischen („scholastischen“) Theologie gegen Döderleins und Anton
85 Semler, Zweiter Anhang zu dem Versuch einer Anleitung zur Gottesgelersamkeit, worin auf eines unchristlichen und eingebildeten Christiani Sinceri ganz unnützes Schreiben nützliche und für unsre Kirche höchstwichtige Antwort gegeben wird (1758; neu hg. v. Dirk Fleischer). 86 Semler, Vorbereitung zur theologischen Hermeneutik, zu weiterer Beförderung des Fleisses angehender Gottesgelehrten (1760). 87 Christiani Sinceri Schreiben an einen Freund, über die Ursachen, warum D. C. A. Döderlein auf die Zunöthigungen des Herrn D. J. S. Semlers nicht antworten wird (1758). 88 In seinem Unterricht von der Göttlichen Kraft der Heiligen Schrift (1753) hatte der Helmstedter Theologe Johann Ernst Schubert, welcher maßgeblich von der Theologie Christian Wolffs beeinflusst war, behauptet, die Heilige Schrift überzeuge den Menschen nicht durch eine ihr äußerliche Kraft, sondern die aus ihrem vernünftig moralischen Gehalt folgende Besserung des Menschen. Hiergegen wandten sich unter anderem der Danziger Theologe Ernst August Bertling mit seiner Schrift Deutliche und mit eigenen Worten orthodoxer Theologen Ausgefertigte Vorstellung Was die Lutherische Kirche von der Kraft der Heil. Schrift lehre und nicht lehre? (1756), der mehrere weitere Kontroversschriften folgten. Gegen Schubert beteiligten sich an jener Debatte unter anderem die Theologen Siegmund Jakob Baumgarten, Christian August Crusius, Johann Benedikt Carpzov und Carl Samuel Kraus (zur Bertling/Schubert-Kontroverse vgl. von Holberg, Allgemeine Kirchengeschichte, 5. Theil, S. 46–47; vgl. auch Straẞberger, Johann Christoph Gottsched und die „philosophische“ Predigt, S. 54–55). Gleichzeitig wurde die Debatte in den gelehrten Journalen lebhaft kommentiert. Die Göttingischen Anzeigen widmeten der Kontroverse mehrere Rezensionen, enthielten sich jedoch eines theologischen Urteils und stellten dieses ihren Lesern frei (vgl. Göttingische Anzeigen 1759 [29. St.], S. 258–264).
5. Semlers Zweiter Anhang (1758)
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Friedrich Büschings (1724–1793)89 Bevorzugung einer biblischen Theologie logisch anschloss. Der erste Teil seines Zweiten Anhangs setzt sich dabei vornehmlich mit dem Vorwurf Döderleins90 auseinander, Semlers Illuminationslehre sei aufgrund der Betonung des menschlichen Erkenntnisvermögens in Bezug auf die Erkenntnis der Wahrheit der Schrift pelagianisch. Dagegen wehrt sich dieser und sucht nun die Übereinstimmung seiner Illuminationslehre mit der der lutherischen Dogmatik zu belegen. Um dem auch gegen Johann Ernst Schubert (1717–1774) erhobenen Vorwurf zu entgehen, der Mensch könne die Wahrheit Gottes aus der Schrift ohne Zutun des Heiligen Geistes erkennen, differenziert Semler noch einmal zwischen der apprehensio simplex, der „historischen Erkenntnis“ der biblischen Zeugnisse, und dem iudicium, der „lebendigen Erkenntnis“. Während die erste rein durch menschliches Studium zu erfassen und kontinuierlich zu erweitern sei, erfolge zweitere passiv durch das Wirken Gottes. Wie bereits im Ersten Anhang liegt jedoch auch hier der Schwerpunkt auf der Bedeutung der „historischen Erkenntnis“, da sie die Voraussetzung für die „lebendige Erkenntnis“ bildet.91 Daraus folgt für Semler konsequenterweise, dass die Erweiterung der richtigen historischen Erkenntnis der biblischen Texte zuallererst die Möglich89 Büsching, Gedanken von der Beschaffenheit und dem Vorzug der biblisch-dogmatischen Theologie vor der alten und neuen scholastischen, und von theologischen Aufgaben (1758). 90 Döderlein hatte seine Kritik unter dem Pseudonym ‚Christianus Sincerus‘ in einem anonymen Schreiben (siehe Anm. 87) veröffentlicht, das von Döderlein selbst gegen Semler verfasst worden war. Darin griff er Semlers Verständnis der Inspiration noch einmal scharf an und bezichtigte ihn – zusammen mit Johann Ernst Schubert – aufgrund der Betonung des natürlichen Erkenntnisvermögens in Bezug auf die göttlichen Wahrheiten der Heiligen Schrift des Pelagianismus. In seiner Reaktion stellte sich Semler explizit auf die Seite Schuberts und verteidigte seine eigene Position gegen diesen Vorwurf (Semler, Zweiter Anhang, S. 28–59). 91 „Ich unterscheide also notwendig die Vorstellung, welche bisher historisch ist, und apprehensionem simplicem eines theologischen Satzes ausmacht; und die Vorstellung oder Erkentis, welche lebendig ist; diese Erkentnis kann aber nur in dem Grad lebendig werden, in welchem Grad es vorher eine Erkentnis ist“ (a. a. O., S. 105) „Ich leugne also gar nicht, daß eine lebendige Erkentnis anderer Art seye, als eine historische, todte, und die apprehensio simplex; wie könte ich so unwissend seyn? Sondern ich leugne eine solche unerhörte neue betrügliche Beschreibung des modi, durch den die bisherige Erkentnis lebendig werde“ (a. a. O., S. 106). Aber „eine Vergrösserung und Vermehrung ipsarum virium ingenii leugne ich, und werde sie solange leugnen, als ich den lutherischen wahren alten Lehrbegrif von der Erleuchtung kenne und lehre“ (a. a. O., S. 107). Allerdings marginalisiert Semler selbst die Differenz, indem er die Erkenntnis der Wahrheit als einen langsamen Prozess schildert, in dem die Grenzen der menschlich historischen Wahrheitserkenntnis und des göttlichen Wirkens nicht mehr deutlich voneinander zu trennen sind. „Wenn nun diese durch den natürlich fleißig angewendeten Verstand erkante Wahrheit von GOtt, jetzt so klar erkant werden, daß man die Sachen selbst denket, als wahre, als folglich ein Verhältnis gegen unsern Zustand mit sich fürend, und als ganz unausbleiblich für uns schädlich oder nützlich; so entstehet nach und nach durch solche götliche Wirkung, die GOtt mit diesen erkanten Warheiten verbindet, die Erleuchtung, oder das Leben der Erkentnis, oder sie gehet nun aus dem Verstande, wegen der Klarheit der Vorstellungen von der Sache, die klärer sind als vorher, mit Unterdrückung anderer, die bisher den Willen berherscheten, in den Willen über“ (a. a. O., S. 110).
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VI. Die Debatte um Johann Salomo Semler
keiten bietet, die göttliche Erkenntnis zu erhöhen.92 Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass ein historisch falsches Verständnis eines biblischen Textes niemals zu einer wahren göttlichen Einsicht führen kann.93 Döderlein wird vorgeworfen, er missachte die Bindung der lebendigen Erkenntnis an das historische Verständnis des Wortes und gehöre damit zu den häretischen Anhängern Schwenckfelds, die die Wahrheit des Wortes an die innere Bekehrung gebunden haben.94 Aufbauend auf seiner Theorie der Illumination nimmt sich Semler im zweiten Teil Döderleins abwertende Einstellung gegenüber der philosophischen Theologie vor, wie sie dieser sowohl in seiner Disputation als auch in seiner Rostocker Antrittsrede vertreten hatte. Als unverzichtbar für ein angemessenes Schriftverständnis werden die Bedeutung der „acroamatischen oder bey ihm [Döderlein] scholastische Theologie“ genannten Dogmatik und Philosophie für das theologische Studium verteidigt. Dabei geht es um die positive Wahrnehmung der Leistungen des menschlichen Verstandes, die Semler gegen Döderlein ins Feld führt.95 Die Kritik an dessen Theologieverständnis greift daher in erster Linie seine Geringschätzung der menschlichen Erkenntnismöglichkeiten in Bezug auf die Heilige Schrift an. Semler gesteht zwar zu, dass es im Letzten des unverfügbaren Zeugnisses des Heiligen Geistes bedürfe, welches jedoch im Einklang mit den philosophischen
„Je mehr also der Mensch seine vires ingenii cultivire um historische richtige Kentnis zu bekommen: desto mehr Gegenstand hätte die götliche Wirkung, ihn lebendig im Menschen zu machen“ (a. a. O., S. 111–112). 93 „In Ansehung der Richtigkeit, welches Wort sich auf das Verhältnis der Erkentnis gegen ihr principium cognoscendi beziehet, ist die Erkentnis, welche lebendig wird, eben dieselbige, wie vor der Erleuchtung, und wird z.E. eine Auslegung der Bibel nicht richtiger, wenn sie eine lebendige Erkentnis wird, als sie vorher hermeneutisch richtig war, ehe sie lebendig wurde“ (a. a. O., S. 107–108). 94 „Wer zu der eigentlichen nützlichen Beschaffenheit des Lehrers es so höchlich erfordert, daß er selbst sol für sich erleuchtet seyn, bekert seyn, und daß er sonst unnütz sey in der Kirche, daß er sonst ein blinder Leiter sey, daß er andre in die Grube stürze, daß er mit allen seinen Lehrern ausgerissen werden werde, und mehr solche falsche Sätze, deren Liebhaber Herr Sincerus wol weis: der ist kein rechtschaffener lutherischer Lehrer, der entfernt sich von ihren wahren Grundsätzen; wenn er es weis und doch so redet, ist er Schwenkfelds wahrer Nachkomme in gerade absteigender Linie“ (a. a. O., S. 120–121). Ausführlich referiert Semler Schwenckfelds Kritik an Luthers Erkenntnislehre in § 32 seines Zweiten Anhangs, wobei Semler Luther als „mein ächter Vorgänger wider die Enthusiasterey“ bezeichnet (a. a. O., S. 243). 95 Semler meint, „daß der menschliche Verstand, wenn die Urtheile vom wirklichen moralischen und rechtmäßigen Verhältnis der Dinge ausgenommen werden, sehr gut, richtig und so beschaffen sey, daß der Mensch, der sich darauf leget, eine so grosse Fähigkeit zur wahren Erkentnis bekommen könne, daß er alle Vorbereitungen zusammen haben kan, von den vorkommenden biblischen Lehr‑ und Lebenswahrheiten mit erweislicher unumstöslicher Richtigkeit eine Erkentnis aus heiliger Schrift selbst zu haben, und andern mitzutheilen; obgleich auch dabei vorlaufende Gnade nicht kann ganz abgesondert werden, in mancherley Absicht; indem die Bibel stets ihre Kraft in und bey sich hat, nach Verschiedenheit des Inhalts“ (a. a. O., S. 161–162). 92
5. Semlers Zweiter Anhang (1758)
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Argumenten stehen müsse.96 In seiner Argumentation sieht er sich unmittelbar in der Tradition der lutherischen Reformation und bezieht sich dabei sowohl auf Luther selbst wie vor allem auf Melanchthon und Chemnitz,97 wobei Semler betont, dass dies keine unumstößliche Kanonisierung jener Personen oder sogar der Bekenntnisse bedeute.98 Die Anführung von Mystikern wie Kaspar „Der letzte und zureichende Grund, warum der biblische Gottesgelehrte den Lehrsatz, mit völliger Festigkeit und Beruhigung des ganzen Herzens, annimt, ist nicht eine philosophische Demonstration, sondern das Zeugnis der heil. Schrift, und die klare Ueberzeugung des Herzens. Dis hat mehr Gewichte bey dem biblischen Theologo, als tausend Demonstrationen. Hieraus fließt aber, daß die biblische der systematischen nicht könne entgegen gesetzt werden (…). Diese Harmonie heißt Aehnlichkeit des Glaubens“ (a. a. O., S. 169). „Derjenige ist ein wahrer biblischer Theologus, der das übernatürliche Zeugnis des heiligen Geistes in sich hat, daß es GOtt selbst sey, der in der heil. Schrift rede. Er empfindet nun auch, wegen der Klarheit und Kraft dieses Zeugnisses, in einem hellen und götlichen Lichte auch die Stärke und den Nachdruck selbst jener Beweise, die vorhin, wegen der Dunkelheit, worin sein Herz herum irrete, nur einige menschliche Wahrscheinlichkeit bey sich zu füren schienen. Er ist aufs lebhafteste überzeugt, daß die Vernunft selbst, wenn sie eine gesunde und gereinigte Vernunft wäre, nicht einen Augenblick anstehen könte und würde, die biblischen Lehrsätze mit dem aufrichtigsten Beifal und willigsten Gehorsam anzunemen‘“ (a. a. O., S. 170). 97 „Man darf nur die alte Samlung von den öffentlichen academischen Schriften der Professorum und Magistrorum zu Wittenberg nachsehen, wie sie noch zu Luthers Zeiten die Lehrart gehabt haben: wie sehr sie den Gebrauch der Philosophie, und den Misbrauch bey aller Gelehrsamkeit und Schärfe des Vortrags unterschieden haben: sine philosophia und bonis litteris könne man weder Paulum noch irgend ein biblisch Buch, als ein Lehrer verstehen und erklären; solcher Ausdrücke und ganzen Stellen, von theologischen sowol als philosophischen Lehrern, von der Unentberlichkeit der Philosophie, für einen Lehrer der Theologie, ist diese Sammlung ganz vol. Ich habe einige in der historischen Einleitung zum ersten Theil der baumgartischen Dogmatik nebst der ganzen Aufschrift dieses seltenen Buchs angefürt. Es ist also von mir erwiesen, daß Lutherus es nicht nur gar nicht für scholastisch gehalten oder verschrien oder damalen gar verboten hat, daß die Lehrer der Theologie und Ausleger der biblischen Bücher, solche Lobsprüche der Philosophie wegen ihrer Unentberlichkeit zum Vortrage auf Academien, öffentlich ans Bret anschlagen und die Studiosos dadurch nötigen durften und konten, philosophische Collegia aufs fleißigste neben und vor den theologischen zu hören: sondern auch, daß Lutherus selbst dis alles gebilliget, für wahr und richtig und unentbehrlich gehalten habe. Chemnitius fürt selbst Lutheri Lobspruch an auf Melanchthons locos theologicos, worin gewis ein gesunder Gebrauch der damaligen Philosophie herschet“ (a. a. O., S. 185–186). Wie Johannes Wallmann bereits betont hat, handelt es sich hier um zwei unterschiedliche Interpretationstraditionen der Reformation (vgl. Wallmann, Der Theologiebegriff bei Johann Gerhard und Georg Calixt, S. 75–84). Zu dieser Tradition gehört nach Semler auch Calixt: „Calixtus hat in dem sehr nützlichen apparatu theo‑ logico überhaupt viel gute Beobachtungen“ (Semler, Zweiter Anhang, S. 199). 98 „Man mus verdiente Theologos ehren, aber nicht gar consecriren und alle andere, nach ihnen nur so ansehen, als seyen jene die canonisirten Doctores ecclesiae, diese aber nur unächte und unlutherische Abkömlinge. Die Freiheit der Christen, und noch mehr der Lehrer kan unmöglich durch irgend jemandes Erachten und Gutmeinen, das zu seiner Zeit, seinen äussern wirklichen Grund haben konte, um ein Haar mehr auf immerdar gebunden werden, als es die symbolischen Bücher erweislich thun; (…) so weis ich nicht, wie ich den Namen eines Papsttums ablenen wolle, wenn wir von irgend einem noch so verdienten Lehrer dergleichen Präsumtion fortpflanzen, daß wir stricte alle seine Gedanken, Ausdrücke, Anschläge, und ehedem für gut gefundene Mittel, als symbolisches Ansehen habend, stets ansehen und unabänderlich, ohne alle Rücksicht auf die verschiedenen Zeitumstände, furchtsam nachmachen und behalten solten“ (a. a. O., S. 241–242). 96
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VI. Die Debatte um Johann Salomo Semler
Schwenckfeld, Antoinette Bourignon (1616–1680) oder Jakob Böhme (1575–1624) soll als anschauliches Beispiel dienen, um die Leser von der Notwendigkeit des Studiums der dogmatischen und philosophischen Theologie zu überzeugen. Ebendies sind nach Semler die Beispiele, warum ich auf eine genaue und richtige Erkentnis des Lehrbegrifs dringe bey angehenden Lehrern; weil sie sonst durchaus sich müssen irre machen lassen, wenn sie in ihren Gemeinden Personen finden, welche eben so geistlich haben schwatzen lernen, und deswegen doch menschlich Zeug reden.99
6. Die Reaktionen auf Semlers Ersten und Zweiten Anhang 6.1 Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen (Göttingen) Am 25. Mai 1758 brachten die Göttingischen Gelehrten Anzeigen eine Rezension des Ersten Anhangs,100 welche eine starke Divergenz in der Rezeption des Werkes zwischen der hallischen Kritik und dem positiven Urteil der eigenen Göt‑ tingischen Anzeigen konstatierte. Zu einer differenzierten Beurteilung der entstandenen Kontroverse sah sich der Rezensent allerdings außerstande, da die von Semler erwähnten Gegenschriften im Göttinger Buchhandel unverfügbar seien, was auf die anfängliche lokale Begrenzung der Debatte hinweist.101 Dennoch ahnte man in Göttingen bereits, dass sich hier eine grundlegendere theologische Debatte anbahnte, und beschränkte sich daher auf den Anspruch der unparteiischen Inhaltsangabe. Explizit erwähnt wird in den Göttingischen Anzeigen Semlers Verteidigung gegen den Vorwurf, seine Schrift sei gegen Franckes Idea studiosi theologiae gerichtet oder kritisiere gar Betstunden und geistliche Erbauung. Ausführlich dargestellt wird zugleich seine scharfe Kritik am Mönchtum, das – wie bereits oben erwähnt – in seiner Konzentration auf Mystik und Meditation exemplarisch eine kirchliche Tradition der Feindschaft gegenüber jeder Form der Gelehrsamkeit repräsentiere. Nicht ohne einen gewissen Stolz verweist die Rezension darauf, dass Semlers Grundannahme, Luthers Formulierung „oratio, meditatio et tentatio faciunt theologum“ stelle keine formale Definition für ein geistlich fundiertes 99 A. a. O.,
S. 248. Anzeigen 1758 (62. St.), S. 586–588. 101 „Er gedencket dabey hin und wieder einiger Schriften, welche man gegen ihn zu richten gesonnen sey: scheint auch etliche, deren Verfaßer er nicht nennet, und die laut der daraus gegebenen Auszüge bey nahe nichts als Gottesfurcht zu einem Theologen erfodern, auf sich und sein Buch zu ziehen, mit welchem Recht? das können wir nicht sagen, da diese Schriften, so wir aus andern Nachrichten errathen können, sich in keinem hiesigen Laden befinden“ (a. a. O., S. 587). 100 Göttingische
6. Die Reaktionen auf Semlers Ersten und Zweiten Anhang
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Theologieverständnis dar, ursprünglich vom „seeligen“ Göttinger Universitätskanzler und Kirchenhistoriker Johann Lorenz von Mosheim übernommen worden sei. Ebenjene Einsicht wird nach Ansicht des Rezensenten durch Semlers eigene Studien zur historischen Verwendung dieses Begriffs in der frühen monastischen Theologie bestätigt, weshalb der Satz bei Luther „nach seiner Absicht keine Methodologie für Studiosos“102 geliefert habe. Den weitergehenden systematischen Konsequenzen zum historischen Schriftverständnis wie der These von der Offenheit des Kanons, welche Semler am Ende des Ersten Anhangs aufstellt, wird freilich kaum Beachtung geschenkt. Bereits zwei Tage später ließen die Göttingischen Anzeigen zwei Berichte über direkte Reaktionen auf die Debatte um Semlers Anleitung folgen.103 Genannt werden Döderleins Feyerliche Rede, von den hohen Vorzügen der biblischen Theo‑ logie vor der Scholastischen, deren Abwehr philosophischer Einflüsse vor allem als Auseinandersetzung mit dem Wolffianismus betrachtet wird. Unmittelbar zugehörig findet sich die unter dem Vorsitz Semlers von dessen Schüler Johann Thomas Andreas Jockenack in Halle verteidigte Disputation De praestantia theo‑ logiae acroamaticae prae sic dicta biblica (1758). Gerichtet war sie gegen Anton Friedrich Büschings Epitome theologiae e solis literis sacris concinnatae una cum specimine theologiae problematicae (1757), worin dieser ebenfalls eine biblisch anstatt einer systematisch ausgerichteten Theologie postulierte. Aufgrund der Tatsache, dass Büsching als Göttinger Exeget selbst für die Göttingischen An‑ zeigen rezensierte, sah man sich zu strikter Zurückhaltung in der Bewertung jener Debatte verpflichtet. Dennoch lieferten die Göttingischen Anzeigen im Juli eine anonyme (eventuell von Büsching selbst verfasste) ausführliche Darstellung und Erklärung seiner Schrift.104 Im Oktober folgte schließlich eine Rezension von Döderleins Innerem Zeugniß des heiligen Geistes von der Göttlichkeit der heiligen Schrift.105 Auch diese war gegen Semler gerichtet, und auch hier enthielt sich der Rezensent explizit jeglichen Urteils. Ihre Zurückhaltung behielten die Göttingischen Anzeigen auch in ihrer Darstellung106 des Zweiten Anhangs zu Semlers Anleitung bei. Der Anhang wurde dabei ausdrücklich als weiterer Beitrag zur Auseinandersetzung mit Döderlein A. a. O., S. 588. Göttingische Anzeigen 1758 (63. St.), S. 593–595. 104 Göttingische Anzeigen 1758 (80. St.), S. 761–766. Darin findet sich Büschings scharfe Differenzierung zwischen den biblischen und den daraus abgeleiteten dogmatischen Glaubenslehren in ihrer Verbindlichkeit, ebenso wie die Warnung davor, irgendwelche anderen Texte den biblischen in ihrem verbindlichen Rang gleichzusetzen. „Ohne allen Zweifel sind die Worte, in welchen die heilige Schrift die Glaubenslehren vorträgt, die ausgesuchten und besten, ja sie haben eben sowohl als die darinn enthaltene Lehrsätze, gewis und allein ein göttliches Ansehn. Es ist also überhaupt bedenklich, und in manchen Fällen verwegen und gefährlich, gewiße denen Worten der heiligen Schrift gleichgültig erachtete Ausdrücke und Redensarten denselben an die Seite, oder gar in ihre Stelle zu setzen, und ihnen vorzuziehen“ (a. a. O., S. 763). 105 Göttingische Anzeigen 1758 (127. St.), S. 1195–1198. 106 Göttingische Anzeigen 1759 (36. St.), S. 327–328. 102 103
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VI. Die Debatte um Johann Salomo Semler
um die Inspirations‑ bzw. Illuminationslehre der Schrift betrachtet, hing von dessen Klärung doch das gesamte Theologie‑ und Amtsverständnis ab.107 Dem Leser bleibt es dabei selbst überlassen zu erraten, was Semler und Döderlein jeweils wohl von der Bedeutung vom „Lehrvortrag der Theologie auf Universitäten“, vom „Nuzen der Philosophie und anderer Theile der Wissenschaften vor einen Gottesgelehrten“ oder vom „Zwek des theologischen Unterrichts auf dem akademischen Katheder“ halten. Insgesamt hoffen die Göttingischen Anzeigen jedoch vor allem, „daß dieser Streit mit dieser Schrift ein Ende habe, weil er sonst sich leicht verbreiten und zu einer unangenehmen Erneuerung alter Streitigkeiten Anlaß geben dürfte, welches vor unsere Kirche kein Vortheil seyn würde“.108 Das Fazit bringt deutlich den konsensorientierten Charakter der Göttingischen An‑ zeigen zum Ausdruck, vor dessen Hintergrund die zunehmende Unversöhnlichkeit der theologischen Positionen wahrgenommen wurde. In den Göttingischen Anzeigen spiegeln sich in besonderer Weise jene Konflikte wider, welche bei der Beurteilung einer zunehmend historisch-philologischen Ausrichtung des Schriftverständnisses in ihrer konsequenten Durchführung auftraten. Als Organ der Göttinger Akademie der Wissenschaften mit einem genuin historischen Forschungsinteresse zollte die Zeitschrift den außerordentlichen historischen Forschungsleistungen Baumgartens und Semlers höchsten Respekt. Nicht unwesentlich dürfte die gemeinsame hallische Prägung einflussreicher Göttinger Rezensenten wie Johann David Michaelis oder Gottfried Less gewesen sein. Wie Semler hatten sie die historische Schule Baumgartens durchlaufen und waren somit von der Überzeugung geprägt, die Wahrheit des biblischen Textes gegen die Kritik der Aufklärer historisch-philologisch verteidigen zu können. Ein anschauliches Beispiel hierfür liefert die Rezension zu Thomas Newtons Abhandlungen über die Weissagungen, die als deutsche Übersetzung 1757 in Leipzig erschienen waren und am 7. Januar 1758 in den Göttingischen Anzeigen besprochen wurden: „Wider den Beweiß der Göttlichkeit unserer Offenbahrung aus den erfülleten Weißagungen wendet man ein, es könnten die Weißagungen vielleicht erst nach der Zeit erdichtet seyn: und der Gegenbeweiß hat wenigstens so fern eine Schwürigkeit, daß man einen Ungelehrten, ja auch wol einen Gelehrten der in der morgenländischen Geschichte und Sprachen nicht zu Hause ist, das ist 9999 unter 10000 so weit bringet, völlig mit eigenen Augen zu sehen, daß die Weißagungen wircklich älter sind, als die Geschichte.“109
In ihrer Bewertung erbaulicher Schriften schlossen sie sich dem Urteil Semlers an und stuften diese als wissenschaftlich nicht satisfaktionsfähig ein. Ihr Umgang mit wissenschaftlich ernst zu nehmenden Erwiderungen aber führte sie in 107 Zum Gegenstand der Debatte heißt es, er betreffe vornehmlich „die Lehren von der Bekehrung und sonderlich von der Erleuchtung, dazu denn bey der leztern es als eine Nebenfrage (ob sie gleich bey dem Anfang und ersten Veranlaßung des Streites die Hauptfrage gewesen zu seyn scheinet) anzusehen, in wie weit von derselben erst die Erlernung der Theologie und hernach die Verwaltung eines gottesdienstlichen Lehramtes abhange“ (a. a. O., S. 327–328). 108 A. a. O., S. 328. 109 Göttingische Anzeigen 1758 (3. St.), S. 26–29, Zitat S. 26.
6. Die Reaktionen auf Semlers Ersten und Zweiten Anhang
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ein dogmatisches wie persönliches Dilemma. So stellte sich beispielsweise Büsching, ebenfalls in Halle ausgebildet, bewusst gegen Semlers Orientierung an den außertheologischen Wissenschaften. Stattdessen hob er die Unabhängigkeit biblischer Theologie hervor. Auch aufgrund des bestehenden Loyalitätskonflikts gegenüber einem in die Debatte involvierten Universitätskollegen sah sich der Rezensent zur Zurückhaltung genötigt. Hierin wird die Problematik der sowohl institutionellen als auch persönlichen Abhängigkeit innerhalb des gelehrten Journalwesens deutlich, welche oft genug das wissenschaftliche Urteil mit beeinflusste. Die in der Bewertung der Schrift Semlers auftretenden Spannungen verdeutlichen, dass sich die Göttinger Gelehrten in Hinsicht auf die Legitimität der konsequenten Anwendung philologischer Methoden auf die biblischen Texte und deren Vereinbarkeit mit den kirchlichen Lehren selbst nicht immer einig waren. Die Göttingischen Anzeigen beanspruchten dabei ausdrücklich, Kritik an bestehenden dogmatischen Formulierungen zwar als legitimen Ausdruck eines offenen Gelehrtendiskurses zu thematisieren, letztlich jedoch ebenjene divergierenden Strömungen mit dem Ziel eines konfessionellen Konsenses miteinander zu vermitteln.
6.2 Neue Zeitungen von gelehrten Sachen (Leipzig) Ähnlich der positiven Göttinger Bewertung von Semlers Anleitung lobten auch die Leipziger Neuen Zeitungen dessen Ersten Anhang als Ausdruck besonderen Mutes, sich bestimmten theologischen Fehlentwicklungen entgegenzustellen und hierdurch seine „untadelhaften Absichten in ein vollkommenes Licht zu setzen“.110 Besondere Wertschätzung erfährt darin die Differenzierung zwischen Luthers Interpretation der Theologie als oratio, meditatio et tentatio und deren Interpretation als „fantastische[…] Mönchs-Erklärung“. Luther habe gefordert, den „[b]uchstäblichen wahren Verstand“111 der Heiligen Schrift zu erforschen, ohne dass dafür die Voraussetzung einer geistigen oder physischen Disposition erforderlich sei. Semlers Forderungen seien angesichts der unmittelbaren zeitgenössischen Herausforderungen dringend geboten. Deshalb wird allen, welche der Kirche dienen wollen, die Schrift mit Nachdruck zur Lektüre empfohlen.
Leipziger neue Zeitungen 1758 (40. St.), S. 357–359, Zitat S. 357. siehet leicht, und hier wird solches sehr geschickt gezeigt, daß Luther überaus weit von der fantastischen Mönchs-Erklärung entfernt gewesen; daß er nicht geglaubt, der richtige Verstand der Bibel, wohl aber die Erleuchtung und heilsame Erkenntnis desselben, müsse durchs Gebet erlangt werden. Daß er das Nachdenken der heiligen Schrift, um auf diese Weise den Buchstäblichen wahren Verstand zu entdecken, einschärfe; ohne zu glauben, daß Gott vorher die Kräfte des Verstandes erhöhe, und physikalisch verbessere; und daß er endlich wolle, man solle durch die überwundenen Anfechtungen ein recht geübter und lebhafter Theologus in den praktischen Wahrheiten werden“ (a. a. O., S. 359). 110
111 „Man
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VI. Die Debatte um Johann Salomo Semler
Genauso umfassende Zustimmung fand Semlers Zweiter Anhang.112 Auch hier wird er sowohl als akademischer wie charakterlicher Heros verehrt, der die Schwächen des Theologiestudiums so unerschrocken wie offen anspricht und kritisiert. Die an Semlers Ansatz geäußerte Kritik wird als vollkommen unbegründet zurückgewiesen und dieser vielmehr im kirchenhistorischen Vergleich gleichsam als verkannter Prophet stilisiert. Der Beweis der Übereinstimmung seines Theologieverständnisses mit der lutherischen Lehrtradition erscheint sogar noch vollkommener als bereits in seiner eigenen Vorrede zu Baumgartens Glaubenslehre (1759/60). Treffende Anschauungsbeispiele der Folgen geistlichen Enthusiasmus’ und der Ablehnung angemessener, wissenschaftlicher Methoden seien Semlers kritische Auseinandersetzungen mit Mystikern wie Kaspar Schwenckfeld, Antoinette Bourignon oder Johann Georg Gichtel (1638–1710). Wie bereits Semlers Studienanleitung feiern die Neuen Zeitungen auch den Zweiten Anhang als Programm wissenschaftlicher Professionalisierung. Für dessen Kritiker herrscht dagegen keinerlei Verständnis. Im Gewande eines auffällig antimonastischen und antimystischen Gestus verbindet die Rezensionen in den Neuen Zeitungen ein gewisser Vorbehalt gegenüber einer zu engen Verknüpfung von praktischer Frömmigkeit und theologischer Wissenschaft. Dies lässt sich auch durch die Leipziger Konkurrenz zum pietistisch geprägten Halle erklären, weshalb Semlers Rationalisierungsimpuls umso vehementer begrüßt wurde. In ihrem Anspruch der Förderung wissenschaftlicher Gelehrsamkeit unterstützten die Leipziger Neuen Zeitungen somit die positive Rezeption der von Semler angestoßenen Entwicklung der Theologie. Auf diese Weise trugen sie unter den Gelehrten zur Akzeptanz einer historisch- kritischen Ausrichtung der Theologie bei.
7. Der Streit um die historische Kanonkritik nach Semlers Institutio brevior (1765) Semlers Anleitung zum Theologiestudium von 1757 bildete lediglich den Auftakt zu einer ganzen Reihe theologischer Studienanleitungen, die er im Laufe seiner akademischen Karriere verfassen sollte.113 Deren Konsequenzen hinsichtlich des Schriftverständnisses erreichten in seinem sechs Jahre später veröffentlichten Programm Institutio brevior ad liberalem eruditionem theologicam (1765/66) eine neue Stufe und polarisierten das Urteil in der Gelehrtenwelt über 112 Leipziger neue Zeitungen von gelehrten Sachen 1759 (9. St.), S. 77–79. Die Freymüthigen Nachrichten von Neuen Büchern druckten denselben Artikel in ihrer Ausgabe vom 17. Oktober 1759 (16. Bd., 42. St., S. 333–334) ab. 113 Semler, Institutio brevior ad liberalem eruditionem theologicam (1765/66); Ders., Institutio ad doctrinam christianam liberaliter discendam (1774); Ders., Versuch einer freiern theologischen Lehrart, zur Bestätigung und Erläuterung seines lateinischen Buches (1777).
7. Der Streit um die historische Kanonkritik nach Semlers Institutio brevior (1765)
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ihn endgültig.114 Er selbst brachte freilich kaum Verständnis für die Kritik115 auf und sah das negative Urteil vornehmlich in der weit verbreiteten Unkenntnis der lateinisch verfassten Thesen seines Werkes begründet. Aufgrund dessen ließ er 1777 eine deutschsprachige Version folgen, die dem Leser ein von den Darstellungen der Journale unabhängiges Urteil ermöglichen sollte.116
7.1 Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen (Göttingen) Obwohl dem historischen Bildungsanspruch Semlers traditionell wohlgesonnen, distanzierten sich die Göttingischen Anzeigen deutlich von zentralen Aussagen seiner Institutio brevior bezüglich der Heiligen Schrift.117 Respektvoll, aber in der Sache äußerst kritisch meldete der Göttinger Dogmatiker Gottfried Less In seiner Vorrede zum Versuch einer freiern theologischen Lehrart schreibt Semler zur Reaktion auf seine Institutio ad doctrinam: „Wenn gleich einige Recensionen meines Buches sehr viel Böses, hämischen Argwon, und gar unwürdige Absichten auszubreiten gesucht, und in der That, welches äusserst parteiisch und unredlich ist, alles wirklich Gute, Freie, Neue, ganz und gar verschwiegen haben, um ja Leser wider mich so einzunemen, als seie ich ein Unchrist, ein Socinianer, Naturalist, Indifferentist geworden: so hat es doch nicht an andern Gelehrten gefelet, welche den ganzen von mir neu eingerichteten Versuch besser beurtheilet, und das Nutzbare darin möglichst gemeinnützig gewünschet haben“ (Semler, Versuch einer freiern theologischen Lehrart, Vorrede, S. A2). 115 Semler selbst listet in seiner Vorrede mehrere kritische Rezensionen gelehrter und theologischer Journale auf. Die Heftigkeit der Anschuldigungen ihm gegenüber und seine Reaktion darauf deuten auf die fundamentale theologische Bedeutung der Debatten hin, welche sich infolge der Auseinandersetzungen um Semlers Freye Untersuchung des Canon (1771) noch maßgeblich verschärfen sollte. Zu den Rezensionen in den Journalen schreibt Semler: „Ich habe schon auf die ungelehrte feuer‑ und zornvolle Beschreibung geantwortet, welche in der freiburgischen theologischen Bibliothek von meinem so unschuldigen als gemeinnützigem Buche ist aufgestellet worden; welche auch ein jenaischer Recensent, dem gröbsten auffallendesten Theile nach, vol Bitterkeit und Häslichkeit, wiederholet hat. Auch wider eine sehr untreue, büzoische Recension habe ich schon öffentlich meine Unschuld gerettet; in der ausfürlichen Erklärung über einige neue theologische Aufgaben, Censuren und Klagen; und diese meine Rettung meinen Schülern zugeeignet, welche hie und da ebenfals mit öffentlichem Haß und kirchlichem Banne gleichsam sind verfolget worden, wo ungelehrte und heuchlerische Leute so viel zu sagen haben, als sie nur wollen. Etwas glimpflicher ist indes in der Hirtischen, oder wittenbergischen neuen orientalischen und exegetischen Bibliothek, Stück 1. von dem einen Theile wenigstens meines Buches, geurtheilet worden. Der Urheber der Recension sagt freilich, nach der theologischen bisherigen Sprachart, daß man kaum eine Seite werde lesen können, ohne anstößige Stellen zu finden“ (a. a. O., S. A3–A4) 116 Zur Begründung seiner Neuedition schreibt Semler: „Ich konte endlich die offenbare Bosheit und unehrliche Auffürung einiger Recensenten, nicht gewisser entblössen, uns sie ihres angemaßten Amtes entsetzen: als wenn ich selbst den Inhalt meines lateinischen Buches teutsch heraus zu geben mich entschliessen wolte. Ja auch den ganzen Zweck bey angehenden treuen gewissenhaften Lehrern konte ich recht sehr befördern, wenn ich es ihnen leicht machte, ohne Ausleger, ohne Ausspäher, ohne alle Unsicherheit, selbst zu wissen, was ich Gutes oder Böses mit meinem Buche möge gestiftet haben, oder zu stiften etwa mir vorgesetzt haben möchte“ (a. a. O., S. A2–A3). 117 Göttingische Anzeigen 1765 (149. St.), S. 1193–1197. 114
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VI. Die Debatte um Johann Salomo Semler
grundlegende Vorbehalte gegenüber Semlers historischer Kritik des biblischen Kanons an. Trotz spürbarer dogmatischer Vorbehalte reagierte Less nicht mit Verurteilungen, sondern im Sinne der von den Göttingischen Anzeigen proklamierten diskursiven Offenheit vornehmlich auf der historisch-philologischen Ebene, um Semlers Argumente für die Unzuverlässigkeit des biblischen Textes und die Strittigkeit seines ursprünglichen Umfangs zu entkräften. Verhältnismäßig vorsichtig wird die Kritik Semlers am Offenbarungsanspruch von Teilen des Alten Testaments als „sehr unbestimmt ausgedruckt“.118 Stattdessen weist Less auf den Inspirationsanspruch des gesamten biblischen Textes hin. Die Aussichten auf Rekonstruktion des griechischen Originaltextes des Neuen Testaments beurteilt er vor dem Hintergrund der intensiven zeitgenössischen europäischen Forschungen sehr viel positiver als Semler und äußert daher wenig Verständnis für dessen geringes Vertrauen in die Zuverlässigkeit der biblischen Überlieferung.119 Detailliert sucht er in der Rezension die wesentlichen philologischen Argumente Semlers und dessen eigenständige Definition des Offenbarungsbegriffs in ihrer Unschärfe zu demonstrieren und beurteilt dessen Werk daher an vielen Stellen als „zu dunkel, zu unbestimmt, oder zu sehr gewagt“.120 Der moderate Ton der Rezension spiegelt das Bemühen der Göttingischen An‑ zeigen wider, trotz der Zustimmung zur Offenheit der philologischen Lage die Schärfe der theologischen Konsequenzen Semlers argumentativ abzumildern und zu einem Problem der Begriffsdefinition zu erklären, um schließlich sachlich begründet an der Inspiration des gesamtbiblischen Textes festhalten zu können. Sehr viel umfangreicher und kritischer fiel schließlich das Urteil des Göttinger Kirchenhistorikers Christian Wilhelm Franz Walch (1726–1784) über Semlers Abhandlung von freier Untersuchung des Canon (1771–1776) aus.121 In ihr überließ Semler dem individuellen Urteil des Glaubenden einerseits die Freiheit des Urteils über die Zugehörigkeit der einzelnen Bücher, sprach andererseits zugleich der Offenbarung des Johannes ebenjene Zugehörigkeit ab. Walch 118 „Seite 28. ist dieses sehr unbestimmt ausgedruckt, daß die historische Bücher nicht ex dei propria revelatione sind. Zum wenigsten hätte doch müssen dabei ausdrücklich erinnert werden, daß sie inspirirt so gut als die übrigen sind. (Zu geschweigen, daß viele Dinge in den histor. Büchern des A. T. unstreitig revelirt worden)“ (a. a. O., S. 1195). 119 „Aus dem § XII. S. 35. solte man beinahe schliessen, als wenn unser jezige griechische Text in solchen elenden Umständen wäre, daß er einen Bentley nötig hätte um etliche tausend Stellen zu verändern. Es ist wahr: bei allem Fleiß des Millius, Bengels, Wetsteins hat unser gedruckte Text noch erhebliche Mängel, zu deren Verbesserung der Hr. Hofrath Michaelis in der neuen Auflage seiner Einleitung die nötige Vorschläge und Anweisung gegeben. Allein der Ausdruck dünkt uns doch zu hart: nec vtimur iusta ea libertate, quae olim inter christianos interpretes ob‑ tinuit, quum parum liberalibus opinionibus de vulgati inter nos textus ϑεοπνευσια obsequamur, quibus etiam minus vera interpretatio et parum vtilis theologica sedulitas et πραγματεια parum constans adhuc promoueri fere solet“ (a. a. O., S. 1196). 120 A. a. O., S. 1193. 121 Göttingische Anzeigen 1771 (97. St.), S. 825–840.
7. Der Streit um die historische Kanonkritik nach Semlers Institutio brevior (1765)
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hält Semlers Klage, der Kanon der Bibel dürfe in der evangelischen Kirche nicht offen diskutiert werden, für vollkommen unbegründet. Er kritisiert zugleich dessen verzerrende Darstellung der gegen ihn gerichteten Positionen. Nach Walch bleibt die Definition dessen, was mit „göttlicher Eingebung“ gemeint ist, uneindeutig und die allgemein anerkannte Differenzierung zwischen den Begriffen „Offenbarung“ und „Eingebung“ unberücksichtigt.122 Dass das Kriterium für die Inspiration die aus einem Text herzuleitende „moralische Besserung“ sei, wird ebenso scharf kritisiert wie die Annahme, jeder solle „nach der Verschiedenheit der Stufen seiner eigenen Kenntnisse“ über die Göttlichkeit der einzelnen Schriften entscheiden.123 Sehr deutlich bezieht nun Walch für die Göttingischen Anzeigen im Streit um die vernünftige Überzeugungskraft der Bibel Stellung und bemerkt, dass der Inhalt der Offenbarung keinesfalls vorab durch Vernunftargumente dargelegt werden könne.124 Aus Walchs Gegenargumentation, die weiterhin auf den biblischen Erfüllungsbeweis rekurriert, wird noch einmal der hohe Stellenwert der Weissagungen ersichtlich, welcher für die Echtheit und Inspiration der biblischen Texte grundlegend war.125 Mit der Debatte über den biblischen Kanon zu Beginn der 1770er-Jahre wurde schließlich klar, dass die anfängliche Begeisterung für Semlers philologisch-historisches Programm trotz aller diskursiven Offenheit bei einem breiteren gelehrten Publikum auch auf deutliche Vorbehalte stieß.126 122 „Eigentlich
ist doch wohl hier diese Frage: ob alles, was wir jetzt als Theile der Bibel ansehen, von GOtt eingegeben sey, und zwar denen, welche die Verf. eines jeden einzelnen Buchs sind? Hier würde nun wohl die erste Frage seyn: was denn göttliche Eingebung sey? (…) Ohne zu erklären, was denn die Gegner durch Eingebung verstanden, wird nur hin und wieder ihre Vorstellung verworfen, und was der Hr. Verf. göttliche Eingebung nenne, das wissen wir gar nicht. (…) Der wichtige Unterschied zwischen Offenbarung und Eingebung, den alle unsere Theologen machen, ist bey ihrer Meynung ganz vernachläßiget“ (a. a. O., S. 826–827). 123 „Jedoch das Seltsamste ist, daß die Beurtheilung, ob ein Buch zur moralischen Besserung brauchbar sey, einem jeden und zwar nach der Verschiedenheit der Stufen seiner eigenen Kenntnisse, überlassen seyn und einem jeden frey stehen soll, ein Buch nicht mehr vor göttlich zu erkennen, wenn er nichts mehr daraus lernen kann. (…) als wenn die Eingebung, ein Factum, davon abhange, ob der, oder jener nach tausend Jahren sich einbilde, daraus mehr, oder weniger zu lernen“ (a. a. O., S. 829). 124 „Es wird (…) auch gegen den grossen Grundsatz angestossen, den die scharffsinnigsten Vertheidiger der christlichen Religion, z. B. B. Buttler, gegen die Freygeister so nachdrücklich bewiesen, daß es nicht angehe, den Innhalt einer Offenbarung aus Vernunftgründen vorhero anzugeben. Die Offenbarung und die Eingebung bleiben freye Anstalten und Werke GOttes“ (a. a. O., S. 830). 125 „Der specielle Beweis, von der Anführung der Bücher des alten Testaments in den Reden Christi und den Reden und Schriften der Apostel, wird ganz unrichtig vorgestellet. Nicht die Anführung; sondern das ausdrückliche Zeugniß, daß dieses der heilige Geist durch David, durch Jesaias, geredet, das Zeugniß, daß dieses göttliche Weissagung sey u.d.g., macht den Beweis aus“ (a. a. O., S. 831). 126 Zur Debatte um Semlers Freye Untersuchung und die überwiegend kritischen Reaktionen vgl. Hornig, Johann Salomo Semler, S. 50–52. Vgl. auch das ausführliche Verzeichnis zeitgenössischer Stellungnahmen zu Semlers Schrift in Christian Wilhelm Franz Walch,
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VI. Die Debatte um Johann Salomo Semler
7.2 Jenaische gelehrte Zeitungen (Jena) Ebenfalls kritisch in der Argumentation, jedoch deutlich undifferenzierter äußerten sich die Jenaischen gelehrten Zeitungen in ihrem Bericht im März 1766 zu Semlers Institutio brevior.127 Weniger die historische Argumentation als die Bedrohung des Offenbarungsanspruches bestimmte dabei die Wahrnehmung. Semlers Aufweis der Unbestimmtheit des Kanons unter hebräischen und griechischen Juden wird als unmittelbare Kritik am christlichen Kanon aufgefasst. Die Gefährdung des Wahrheitsanspruchs der gesamten Heiligen Schrift beruhe auch hierbei auf dem Vertrauen in die Tragfähigkeit des orthodoxen Schriftbeweises. Denn ohne die Sicherheit des alttestamentlichen Kanons „würden wir nicht von der Gewisheit vieler Weissagungen von Christo überzeugt, noch gewiß seyn, ob dieses oder ienes Buch, woraus wir verschiedene Sätze der GlaubensLehre hernehmen, auch einen göttlichen Ursprung habe“.128 Aus ebendiesem Grund erregt auch Semlers Annahme, dass die Geschichtsbücher der Israeliten keinen Anspruch auf unmittelbare göttliche Offenbarung besitzen sollen, heftigen Anstoß.129 Nicht nur inhaltlich, sondern auch aufgrund der formalen Tatsache, dass es sich hierbei um ein Lehrbuch mit langfristiger Wirkung auf die Theologiestudenten handele, hielten die Jenaischen gelehrten Zeitungen Semlers Bibelkritik für überzogen.
7.3 Allgemeine deutsche Bibliothek (Berlin) Wie bereits Semler in seiner Vorrede bemerkte, reagierten die gelehrten Journale sehr unterschiedlich auf seine Schrift. So lobten beispielsweise die Leipziger Neuen Zeitungen von gelehrten Sachen130 seine Institutio brevior durchweg. Auch Neueste Streitigkeiten über den Kanon, in: Ders., Neueste Religions-Geschichte, Teil 7, Lemgo 1779, S. 291–344. 127 Jenaische gelehrte Zeitungen 1766 (23. St.), S. 202–205. 128 A. a. O., S. 202–203. 129 „Er betrachtet hierauf die Beschaffenheit der Bücher A. T. näher und behauptet dabey, daß diesselben hauptsächlich für die Israeliten bestimmt gewesen, wobey er annimmt, daß die histor. Bücher nicht von der eigenen Offenbarung Gottes herkommen sondern aus den vorhandenen GeschichtBüchern von Propheten und gottesdienstlichen Lehrern gesammlet worden. Uns scheinet dieses in der That sehr anstößig. Denn außerdem, daß verschiedene Weissagungen darinnen vorkommen, die doch wohl nothwendig aus göttl. Offenbahrung herkommen, so sind auch verschiedene Lehrsätze darinnen enthalten, die man zum Beweis der göttl. Wahrheiten brauchet; wie solte aber dieser sicher können geführet werden, wenn man den göttlichen Ursprung dieser Bücher leugnet, und woher soll die Meinung des Hn D. erwiesen werden?“ (A. a. O., S. 203–204) 130 Die Leipziger Neuen Zeitungen berichteten am 12. Dezember 1765 (99. St., S. 788–790) ebenfalls lobend über die Studienanleitung Semlers, der „selbst denckt und untersucht, überhaupt aber seine Leser auf fruchtbare Spuren der Wahrheit führet“ (S. 789). Zugleich wird jedoch vorweg bemerkt, dass nicht alle Passagen des Werkes bei jedem Leser Beifall finden
7. Der Streit um die historische Kanonkritik nach Semlers Institutio brevior (1765)
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die Allgemeine deutsche Bibliothek131 nahm diese äußerst positiv auf.132 Beide Journale erwähnen dabei einen offiziellen Auftrag der Königlich preußischen Akademie zur Einrichtung öffentlicher theologischer Vorlesungen, worüber die Allgemeine Deutsche Bibliothek sogar „ordentlich in eine Art der Begeisterung gerathen“133 zu sein gesteht. Als deren Rezensent bewertete der Berliner Oberkonsistorialrat Wilhelm Abraham Teller (1734–1804) diese preußischen Reformanstrengungen als dringend notwendigen Versuch, die Theologie auf neue, den Herausforderungen der Zeit angemessene Weise zu reformulieren, da die klassisch dogmatischen Antworten nicht mehr ausreichten.134 Ausdrücklich begrüßt wird der darin zum Ausdruck kommende Anspruch auf eine öffentliche religiöse Bildung für alle Studenten. Zentrale theologische Themen sollten nicht mehr nur in privaten, kostenpflichtigen Vorlesungen verhandelt, sondern weiten Teilen der gebildeten Bevölkerung zugänglich gemacht werden, um ihnen in Gestalt aufgeklärter Religion ein wirksames Mittel gegen die um sich greifende Kritik derselben an die Hand zu geben.135 Bezeichnend für Tellers Wahrnehmung der damals aktuellen religiösen Lage ist die Metapher der Theologie als eines Hauses mitten im Flammenmeer, vor dessen Hintergrund Semlers Abweichen vom kirchlichen Bekenntnis als legitimes apologetisches Mittel betrachtet wird. So ist es nach Ansicht Tellers besser, die Deutungshoheit der Religion nicht deren Kritikern zu überlassen, sondern hier selbst die Unterscheidung von Wesentlichem werden. Insgesamt jedoch bleibt die Rezension vornehmlich referierend und geht dabei nicht explizit auf Semlers Kanonkritik ein. 131 Allgemeine deutsche Bibliothek 1767 (4. Bd., 2. St.), S. 215–218. 132 Vgl. Gottfried Less’ Rezension in den Göttingischen Anzeigen 1765 (149. St., S. 1193–1197) sowie Tellers Rezension in der Allgemeinen deutschen Bibliothek 1767 (4. Bd., 2. St., S. 215–218). 133 A. a. O., S. 215. 134 „Die Nachkommen werden sie [d. h. die Reformen] segnen, wann sie die volle Frucht davon geniessen, den Haufen der Zweifler, wie der Zänker dadurch vermindert und die Menge gesezter und vernünftiger Religionsbekenner vermehrt sehen. Es gehört sicher unter die Hauptmängel der sogenannten hohen Schulen in unsern Tagen, daß alles nach seiner alten Leyer fortgeht; An neue Modelle von Vorlesungen denkt keiner, und wo nun auch Einer und der Andre etwa noch so aufrichtig und gewissenhaft handeln wollte, da kommt der Herr College, zukt bey seinen Gönnern die Achsel und verweiset Jenen mit seinen Zuhörern unter die Athenienser, die gern etwas neues sagten oder hörten. (…) Noch immer rüstet man die künftigen Lehrer der Religion zu innern Streitigkeiten, die entweder schon lange mit ihren Urhebern vergraben sind, oder doch wirklich nicht so fürchterlich, als man bey ihrem Entstehen in der ersten Hitze sie dachte: Und dafür schikt man sie ganz unbewafnet wider einen Rousseau, Voltaire, Hume, Bolingbroke u.s.w. zu Felde. Daraus werden denn auch Leute, die über jede Kleinigkeit im Hause Gottes sich bey den Haaren herumziehen, zu eben der Zeit, da ausser demselben alles in vollen Flammen ist“ (a. a. O., S. 215–216). 135 „Noch gefällt es uns auch ganz besonders an demselben, daß die projectirten so gemeinnützigen Anweisungen in den öffentlichen Vorlesungen sollen ertheilet werden. Eine zweyte recht königliche Gnade für arme Studirende! Recht viel Beschämung für diesen oder jenen, der so etwas nur in besondern Vorlesungen verhandeln würde. Und ein recht edler theologischer Charakter der Hrn. Professoren, die sich sogleich willig dazu finden lassen und sogleich Anstalt gemacht, das Publicum daran Antheil nehmen zu lassen“ (a. a. O., S. 217).
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VI. Die Debatte um Johann Salomo Semler
und Unwesentlichem vorzunehmen und dabei Semlers großer Gelehrsamkeit zu vertrauen.136 Geradezu heroische Verehrung erfährt Semler daher in der All‑ gemeinen deutschen Bibliothek als Bahnbrecher einer aufgeklärten Theologie. Die positive Bewertung der Veröffentlichungen Semlers in der Allgemeinen deutschen Bibliothek sollte weiterhin anhalten. Dies lag nicht zuletzt an dessen enger Beziehung zu den Berliner Neologen, die wesentlichen Einfluss auf die Allgemeine deutsche Bibliothek ausübten. Aufgrund ihres offensiven Einsatzes für eine liberalere theologische Lehrart sahen sich Semler und Teller in weitaus größerem Maße als Walch, Less oder Michaelis in Göttingen mit massiven Widerständen von orthodoxer wie pietistischer Seite konfrontiert.137 In ihrem kämpferisch-aufklärerischen Bestreben waren sie auch von dieser gemeinsamen Frontstellung bestimmt. Im Interesse Nicolais beförderte die All‑ gemeine deutsche Bibliothek ebenjenen missionarischen Geist der Aufklärung. Sie lobte Semlers Bemühungen um eine von dogmatischen Vorgaben befreite Exegese und Theologie. Umso befremdeter reagierten sie allerdings, als Semler sich unerwarteterweise scharf gegen Karl Friedrich Bahrdts (1741–1792) radikal unorthodoxes Glaubensbekenntnis und schließlich sogar zustimmend zu Woellners restriktivem Religionsedikt äußerte.138 Semlers Unterscheidung zwischen 136 „Wir sind nun auch nicht so unwissend in dem Lehrbegrif der Kirche, daß wir nicht eine und die andre Abweichung des Hrn. D. von demselben leicht hätten bemerken sollen. Wir wollen das auch gar nicht verheimlichen. Die Frage ist nur, ob ein Mann von so allgemein zugestandenen großen Einsichten, nicht doch immer etwas zur Verbesserung deßselben sollte beytragen können, und ob es nicht besser sey, wann es ein Lehrer der Kirche selbst sagt, als wann es übelgesinnte Glieder denken und durch das Stillschweigen der Gottesgelehrten verleitet werden, das Wahre in der Religion, das, was zu allen Zeiten wesentlich seyn und bleiben wird, ohne weitere Prüfung in Verdacht zu ziehen und aus gutgesinnten Zweiflern völlig Ungläubige zu werden? Sobald uns jemand das Gegentheil hierin beweisen wird, sobald wollen wir auf diesen gewis ehrwürdigen Mann böse zu seyn anfangen, aber ihn mit schimpfen und seine wahre Größe vertuschen helfen, das wollen wir nie thun“ (a. a. O., S. 218). 137 In der Rezension zur Verteidigung Semlers gegenüber Johann Melchior Goeze im Streit um die Zuverlässigkeit der Complutensischen Ausgabe des Neuen Testaments spottete Abraham Teller über die Anmaßung und Unzeitgemäßheit des dogmatischen Urteils des Hamburger Theologen Goeze: „Aber deswegen wollen wir nun eben fragen, ob der Hr. G[oeze] Senior der evangelisch-lutherschen Kirche im ganzen H[eiligen] R[ömischen] R[eich] oder in Hamburg ist? ob er zweytens wohlbedächtig überlegt hat, in was für einem Zeitraum er also schrieb, und die Zeichen der gegenwärtigen Zeit vorher genugsam geprüft? ob er drittens die Majestäts- Rechte cicra sacra übertragen bekommen?“ (Allgemeine deutsche Bibliothek 1767 [5. Bd., 2. St.], S. 3–12, hier S. 11–12) 138 „Befremdend und auffallend muß zuförderst die hier von Hrn. D. S[emler] vorgetragene Aeußerung über Toleranz und Gewissensfreyheit, einem jeden seyn, der dieses gelehrten Mannes Schriften zur Beförderung einer freyern (liberalioris) theologischen Lehrart gelesen, dieses kühnen Theologen, der sich durch seine freye Untersuchung des Canons sogar an die in allen christlichen Partheyen heilig gehaltenen Urkunden der Religionslehre gewaget, und einige dazu gerechnete Bücher, hauptsächlich, weil sie seinem Urtheile nach, nichts zur christlichen Vollkommenheit beytragen, bestritten, wenigstens zweifelhaft gemacht hat. Ein aufmerksamer Leser der Semlerischen Schriften mag etwa die biblische Vorstellung von der Menschwerdung und dem Tode Christi, die Hr. D. S[emler] in seinen Ascetischen Vorlesungen über Gal. 4,3.5. und
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einer öffentlichen Religion, in welcher die Bekenntnisse weiterhin ihre Verbindlichkeit besaßen und gelehrt werden sollten, und einer privaten, in der jeder für sich frei über die religiöse Lehre urteilen durfte, erlebte mit dem Skandal um Bahrdt ihren ersten prominenten Anwendungsfall. Semlers Versuch, die öffentliche Verpflichtung auf das kirchliche Bekenntnis durch jene Unterscheidung zu legitimieren, erschien vielen als mit der von ihm selbst stetig eingeforderten Denk‑ und Lehrfreiheit kaum noch vermittelbar139 und wurde teils nur noch mit dessen fortgeschrittener Senilität erklärt.140
über 1. Cor. 1,31 vorträgt, für richtig erkannt, und sich daran erbauet haben, wie wird ihm aber, falls er ein Lehrer der Kirche ist, zu Muthe werden, wenn ihm Hr. D. Semler nun bedeutet: ja, hierüber kannst du nach deiner Gewissensfreyheit denken, wie du es nach deiner Ueberzeugung in der Bibel findest; aber bist du einmal ein bestellter Lehrer, so kannst du dies zwar für dich denken, aber öffentlich mußt du lehren, wie die feyerlichen Lehrbücher deiner Kirche es haben wollen, sonst handelst du wider deinen Eyd und Gewissen. – Ich zweifle sehr daran, daß die in Semlerischen Schriften angemerkte und empfohlenen Lehrart hiebey eines jeden Gewissen befriedigen wird (…) wer kann sich denn enthalten zu fragen: wozu soll in aller Welt die unverbrüchliche Beybehaltung, und der ewige Vortrag eines Religionssystems dienen, das weder der Lehrer noch irgend einer der Zuhörer verbunden oder interessirt ist, für wahr zu halten?“ (Rezension zu D. Joh. Sal. Semlers Antwort auf das Bahrdtische Glaubensbekenntniß. Halle … 1779, in: Allgemeine deutsche Bibliothek 1780 [43. Bd., 1. St.], S. 45–51, hier S. 46–47). Sehr viel positiver reagierte beispielsweise dagegen Der Teutsche Merkur auf Semlers Kritik an Bahrdt, der Semlers Unterscheidung zwischen privater und öffentlicher Religion ausdrücklich in Schutz nimmt (vgl. Der Teutsche Merkur 1779, 4. Bd., S. 85–91). 139 „(…) aber wenn ein Semler, der sich selbst reichlich die Freyheit nimmt, und sie jedem andern gern gestattet von allen Kirchenlehren anzunehmen und wegzuwerfen, und überhaupt damit zu machen, was ihm das Beste dünkt, ohne daß er dabey hier oder künftig das geringste zu wagen befürchten darf, für den ewigen Werth der symbolischen Bücher und eines nach ihnen abgezirkelten Lehrvortrages eifert: so kann ich ihm nicht das Interesse der Wahrheit, nicht die Sorge für die Glückseligkeit seiner Nebenmenschen, sondern blos gewisse politische Betrachtungen können diesen Eifer eingegeben haben. Dies ist noch glimpflich geurtheilt“ (Allgemeine deutsche Bibliothek 1780 [43. Bd., 1. St.], S. 47). 140 Wie umfassend das Unverständnis für Semlers Verteidigung der Bekenntnisverpflichtung gewesen sein muss, spiegelt die Rezension zu dessen Verteidigung des Woellner’schen Religionsedikt wider, welche allerdings erst nach seinem Tode 1793 erschien: „In seinen letzten Lebensjahren hatte er sich, vornehmlich auf Anlaß seiner verdrießlichen Händel mit dem unwürdigen Bahrdt, über Werth und Gültigkeit conventioneller Religionslehren oft und stark erklärt, und auch sonst bey verschiedenen Gelegenheiten der kirchlichen Orthodoxie und der auf ihre Bewahrung gerichteten Sorgfalt der Regenten das Wort geredet. Man hat ihm das häufig verargt, man hat ihm es hart genug vorgeworfen, daß er, der ehemals selbst so frey geredet und geschrieben, und der, neben andern berühmten Gelehrten, einer aufgeklärtern Theologie, vornehmlich durch Hülfe seiner fruchtbaren Kenntnisse von Religionsgeschichte, die Bahn gebrochen hätte, nun wieder in den alten Lehrzwang zurücktreten und andre mit sich zurückführen wollte; man hat wohl noch billig zu urtheilen gemeint, wenn man hierinn eine Spur seines zunehmenden, durch Anstrengung früher herbeygerufenen Alters und seiner Geisteserschöpfung zu entdecken glaubte“ (Rezension zu D. Joh. Salom. Semlers Vertheidigung des Königl. Edikts vom 9.ten Jul. 1788 […] Halle […] 1788, in: Allgemeine deutsche Bibliothek 1793 [114. Bd., 2. St.], S. 131–145, hier S. 131–132).
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VI. Die Debatte um Johann Salomo Semler
8. Folgen: Anfänge der Adaption der historischen Bibelkritik und die Polarisierung des innerprotestantisch-theologischen Diskurses Die Debatte um Semlers Anleitung liefert ein anschauliches Beispiel schleichender dogmatischer Transformationsprozesse, welche um die Jahrhundertmitte die protestantische Theologie zunächst vornehmlich in den nördlichen deutschen Territorien erfassten. Wie die zeitliche Parallelität der Entwürfe Semlers und von Mosheims belegt, sahen zwei der prominentesten Theologen ihrer Zeit die Notwendigkeit, die zukünftige Theologenschaft vor dem Hintergrund der zeitgenössischen historischen und exegetischen Forschungsentwicklungen durch verbesserte Studienprogramme auf die veränderten wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen vorzubereiten. Zum anfänglichen Erfolg ihrer Programme trug wesentlich deren positive Rezeption in den gelehrten Rezensionsorganen bei, in denen die verstärkte Forderung nach philologisch- historischen Studien auf breite Zustimmung im universitären akademischen Milieu stieß. Dies bestimmte ihren Rezeptionsprozess maßgeblich. Schließlich war es Semler, dessen Studienanleitung zum Ausgangspunkt der Entwicklung einer neuen theologischen Hermeneutik wurde. Dies ist zum einen in dessen persönlicher intellektueller Souveränität und Unabhängigkeit begründet, war aber zudem maßgeblich durch das spezifische Umfeld der hallischen Fakultät bedingt. Hier herrschte eine klare Polarität zwischen Pietisten und Rationalisten, die zuweilen aggressive Dimensionen annahm. Während man ähnliche Dynamiken in Göttingen zu vermeiden versucht hatte, trugen die Spannungen in Halle zu einer außergewöhnlichen Intensivierung der Debatte bei, nahmen zugleich die Funktion eines Katalysators ein und zwangen die Kontrahenten so zur Zuspitzung ihrer jeweiligen theologischen Positionen. Dabei verband ursprünglich Pietisten wie Rationalisten der grundlegende Vorbehalt gegenüber jeglichen Vorgaben der orthodoxen Dogmatik, an deren obrigkeitlicher Durchsetzung in Preußen seit der Thronbesteigung Friedrichs II. kaum ein politisches Interesse bestand. Diese Ablehnung dogmatischer Vorgaben äußerte sich in Halle insbesondere in den hier betriebenen freien philologischen Studien zu biblischen Texten. Sie stellten ein wesentliches Anliegen des hallischen „Collegium orientale theologicum“ dar und hatten bereits unter August Hermann Francke zum offenen Konflikt mit der lutherischen Orthodoxie geführt.141 Mit seinen 141 Das vertiefte Sprachenstudium, welches in Halle durch die Gründung des „Collegium orientale theologicum“ eine einzigartige, institutionalisierte Form erhielt, sah August Hermann Francke vor allem als Voraussetzung des Studiums der biblischen Texte, deren geistliche Erkenntnis jedoch allein dem durch ein Bekehrungserlebnis Wiedergeborenen möglich war. Bei der Frage nach dem Gesamtsinn der Schrift lehnte Francke die Vorgaben der Bekenntnisschriften als Form des protestantischen Papalismus ab, wodurch er maßgeblich die bekenntniskritische Tradition des Hallenser Pietismus mitbegründete (vgl. Reventlow, Epochen
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umfangreichen historisch-exegetischen Studien stand Baumgarten in ebendieser Tradition, die seine prominente Schülerschaft mit unterschiedlichen Schlussfolgerungen unter anderem hier und in Göttingen fortführte. Hinzu kommt, dass Semler aufgrund seiner Rezensionstätigkeit bei Baumgartens Zeitschriften früh mit den Werken der westeuropäischen Bibelforschung und Religionskritik in Berührung gekommen war. Aufgrund deren historischer wie moralischer Anfragen sah er die Theologie zu fundamentalen Veränderungen gezwungen. Ins Auge fällt zugleich die zeitliche Korrelation des Beginns von Semlers eigenständigen systematischen Entwürfen mit Baumgartens Tod 1757. Dies lässt sich in den umfangreichen, theologisch eigenständigen Interpretationen zu Baumgartens posthum veröffentlichten Werken nachweisen. Die Themen der „freien Untersuchung“ und der „Lehrart“ sollten geradezu zum Leitmotiv für Semlers Wirken werden. Als wesentliche Urteilsinstanz für den freien Umgang mit dem Bibeltext wie mit dem kirchlichen Bekenntnis galten Semler die Reaktionen in der Gelehrtenwelt und ihren Journalen. Wie die Anhänge zu Semlers An‑ leitung zeigen, nahm er diese sehr bewusst wahr und reagierte darauf. Sie dienten ihm als Bestätigung und Ermutigung zur Fortsetzung seiner Arbeit selbst gegen den Widerstand seines unmittelbaren pietistischen Umfelds in Halle. Mit seiner Klage über den Bildungsverfall und der Forderung intensivierter Sprach‑ und Geschichtsstudien bediente Semler das Interesse und die Kategorien des intellektuellen Leitmediums der gelehrten Journale. Aufgrund seiner stupenden philologischen wie theologischen Bildung wurde ihm seinerseits von vielen Gelehrten ein außergewöhnlich großes Vertrauen entgegengebracht. In beinahe vorbehaltloser Bewunderung wurden seine Veröffentlichungen von diesen rezipiert. Zunächst kaum bemerkt blieben dabei die fundamentalen Veränderungen im Schrift‑ und Theologieverständnis, die Semler gegenüber der orthodoxen Tradition vollzog. Indem er den historisch-philologischen Zugang konsequent auf die biblischen Texte anwendete, musste auch die Geschlossenheit des Kanons historisch relativierbar werden. In diesem Anliegen berief er sich dabei auch auf Luther und dessen freien Umgang mit dem Kanon. Gegenüber der lutherischen Orthodoxie, welche das in der Reformation nur ansatzweise bestimmte Schriftverständnis wissenschaftlich zu systematisieren versucht hatte, drohte damit deren principium fundamentale strittig zu werden. Es stellt sich allerdings die Frage, warum die Spannungen, welche bei Baumgarten, Ernesti oder Michaelis durch moderate Interpretationen des Schriftverständnisses noch mit der orthodoxen Dogmatik vermittelt werden konnten, bei Semler schließlich zur Systemkritik und zu damit einhergehenden Provokationen in der Gelehrtenwelt führten. der Bibelauslegung, Bd. IV, S. 146). Zu der unter Francke in Halle stattfindenden Parallelentwicklung von historisch-philologischer und pietistisch-erbaulicher Exegese und den damit einhergehenden Veränderungen im protestantischen Schriftverständnis vgl. a. a. O., S. 135–145.
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VI. Die Debatte um Johann Salomo Semler
Im Unterschied zur traditionellen Inspirationslehre, wie sie noch bei seinem Lehrer Baumgarten zu finden war, nahm Semler in Kauf, dass die kirchliche Lehre durch die Ergebnisse der philologischen Forschung wesentlich modifiziert werden konnte, wie er dies selbst für die Bestimmung des Kanons zugestand. Die seit den 1740er-Jahren zunehmende literarische Verbreitung westeuropäischer Bibelkritik konfrontierte ihn mit Problemstellungen, die sich aus seiner Sicht nicht mehr mit der traditionellen Inspirationslehre in Einklang bringen ließen und den biblischen Beweisen für die Göttlichkeit der Heiligen Schrift den Boden zu entziehen drohten. Dabei ermöglichte das Medium der gelehrten Zeitschriften ortsunabhängige Formen der intellektuellen Partizipation an den Debatten der europäischen Gelehrtenwelt und erweiterte zugleich das gelehrte Publikum über das binnenkonfessionelle Umfeld hinaus. Das traditionelle Format der akademischen Disputationen zur exegetischen Widerlegung grenzüberschreitender Aufklärungskritik erwies sich in argumentativer wie medialer Hinsicht als stumpfe Waffe gegenüber der rasanten Verbreitung bibelkritischen Schrifttums. Die Erfahrung der unüberbrückbaren Spannung zwischen philologischer Analyse und dem Anspruch dogmatisch notwendiger Ergebnisse machte Semler selbst, als er die in seiner Disputation noch zu verteidigende Echtheit des Comma Johanneum kurz darauf aufgrund eigener philologischer Studien selbst bezweifelte. Die intensiven philologisch-biblischen Studien des 17. und der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, die ursprünglich der Suche nach dem biblischen „Originaltext“ dienten, ließen die gemeinsame Basis des biblischen Textes immer zweifelhafter werden. Unter Berufung auf das reformatorische Priestertum aller Gläubigen wurde dabei die individuelle Schriftforschung und ‑interpretation gefordert, womit die Auslegung im Sinne einer analogia fidei, wie sie in der orthodoxen Schriftlehre in den Bekenntnissen der Kirche als gemeinschaftsgebunden betrachtet wurde, verstärkt im individuellen Sinne interpretiert wurde.142 Während die hallischen Pietisten aufgrund der Betonung des Erfahrungscharakters und des Praxisbezugs der Auslegung den existentiellen Anspruch des Bibelstudiums formulierten, sah Semler darin die Gefahr des Fanatismus begründet. Diese spirituelle Dimension der Auslegung betrachtet er als monastisches Erbe, gegen welches sich Luther durch Verweis auf den einfachen, historischen Sinn der Schrift zur Wehr gesetzt habe. Im Interesse einer kommunikativen Vermittelbarkeit der Schriftauslegung innerhalb der Theologie wie gegenüber ihren 142 Albrecht Beutel weist auf eine Besonderheit der Lutherrezeption in der Aufklärung hin, in der nicht mehr die materialdogmatischen Positionen sondern vielmehr die Person Luthers bzw. die Interpretation in seinem Geiste als „in eigener Verantwortung“ „biblisch orientiert“ und „rational kontrolliert“ im Zentrum stehen. Beutel spricht daher von einer Verschiebung hin von einer positionellen zu einer „strukturellen Schülerschaft“ der Aufklärungstheologen (Beutel, Martin Luther im Urteil der deutschen Aufklärung). Als Kronzeugen der historischen Bibelkritik hebt Semler in seinen Werken in besonderer Weise die Verdienste Louis Cappels, Hugo Grotius’, Richard Simons, Albrecht Bengels, Johann Jakob Wettsteins, Johann August Ernestis und Benjamin Kennicotts hervor.
8. Folgen
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Religionskritikern reduzierte Semler daher die geistliche Unverfügbarkeit des Schriftverständnisses auf ein Minimum und stellte das angemessene Verständnis des Textes und dessen philologisch-historische Erforschung als Voraussetzung in den Vordergrund. Entsprechend dem Ideal des offenen gelehrten Diskurses postulierte er die Freiheit des dogmatischen Urteils für jeden Einzelnen nach dessen individuellem Kenntnisstand. Nicht unwesentlich für seine Offenheit im Umgang dürfte auch die preußische Religionspolitik gewesen sein, welche die Generation der Theologen seit 1740 zunehmend prägte und die konfessionelle Toleranz in der Lehre weiter reichen ließ als beispielsweise an der Göttinger Fakultät, wo Christoph August Heumann (1681–1764) im Jahre 1758 aufgrund seiner Nähe zur reformierten Abendmahlslehre vorzeitig emeritiert wurde. Nicht zu vernachlässigen in ihrer Wirkung ist die pädagogische Zielrichtung von Semlers Studienanleitungsschriften, mit denen er bewusst versuchte, eine ganze Generation junger Studenten neu zu prägen und in den Richtungsstreit um die adäquate Ausbildung zukünftiger Theologen einzugreifen. Besondere Brisanz erhielt die Debatte aufgrund der Wirkung der spezifischen Synthese, welche das pietistische Anliegen der breiten theologischen Bildung mit den preußisch absolutistischen Interessen einer verstärkten öffentlichen Bildungsoffensive jener Jahre verband,143 wie der Entwurf der Institutio im Zusammenhang mit dem Auftrag der Kuratoren der Königlich Preußischen Akademie belegt.144 Die Macht des unmittelbaren Einflusses auf die Studentenschaft, der von einem solchen Standardwerk zu erwarten war, intensivierte die Auseinandersetzung zusätzlich. Während Semlers Anleitung zum Theologiestudium bis in den Zweiten Anhang noch allgemein wohlwollend wahrgenommen wurde, spaltete sein offizielles Programm der Institutio brevior mit ihrer nun offen formulierten Aufforderung zur historischen Kritik am biblischen Kanon das gelehrte Publikum. Unter den gelehrten Journalen wissenschaftlich adäquat beurteilen konnten sein Werk wohl nur wenige wie die Göttingischen Anzeigen, in denen der Dogmatiker Less und 143 Paradigmatisch für diese enge Verbindung von pietistischen und absolutistischen Bildungsprogrammen in Preußen ist der Einfluss des durch den Halle’schen Pietismus geprägten Theologen Johann Julius Hecker, zunächst Inspektor des Potsdamer Militärwaisenhauses und seit 1750 Oberkonsistorialrat. Wesentlich auf seine Ideen geht die Ausarbeitung des Generallandschulreglements zur Reform des preußischen Volksschulwesens zurück. Vgl. unter anderem Bloth, Johann Julius Hecker. Zum Einfluss des Halle’schen Pietismus auf das preußische Konsistorium vgl. auch Neugebauer, Absolutistischer Staat und Schulwirklichkeit in Brandenburg-Preußen, S. 98–100. 144 Semler selbst verweist in der Vorrede zu seiner Institutio brevior auf ein jüngst veröffentlichtes königliches Dokument im Auftrag der „illustrissimorum Academia Curatorum“, welches den Theologen die Abhaltung dreier öffentlicher Vorlesungen an der Universität Halle vorschreibt (Semler, Institutio brevior I, Vorrede, S. 2v). Die Allgemeine deutsche Bibliothek lobt dieses Dokument mit dem Hinweis darauf, dass diese öffentlichen Vorlesungen im Gegensatz zu den kostenpflichtigen Privatvorlesungen einer breiteren Studentenschaft Zugang zur wissenschaftlichen Bildung ermöglichen sollten. Semler selbst erwähnt, er habe seine Institutio für die Öffentlichkeit als Reaktion auf das Fehlen einer geeigneten Gesamtdarstellung der theologischen Bildung verfasst (vgl. ebd.).
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VI. Die Debatte um Johann Salomo Semler
der Kirchenhistoriker Walch der Kritik Semlers zwar in sachlichem Ton, doch inhaltlich deutlich widersprachen. In ihren Reaktionen auf seine Schriften spiegelt sich zugleich exemplarisch die Überzeugung wider, die historische Kritik im offenen Diskurs argumentativ überzeugend mit der lutherischen Bekenntnistradition vermitteln zu können. Während andere Journale wie die Jenaischen Anzeigen sich über Semlers dogmatische Kritik echauffierten und die Allgemeine deutsche Bibliothek aus antiorthodoxer Sympathie Semlers Vorschläge per se verteidigte, lieferten die Göttingischen Anzeigen eine umfangreiche, detaillierte Prüfung der vorgetragenen historischen Argumente und ihrer systematischen Konsequenzen. Aufgrund des wissenschaftlichen Anspruchs und publizistischen Einflusses, den das Urteil der Göttingischen Anzeigen unter den Gelehrten in Deutschland besaß, reagierte Semler äußerst gereizt auf die Beurteilung seiner Abhandlungen über die freie Untersuchung des Canon vom „anmaßliche[n] Richterstuhl der Theologie, den man in Göttingen für die deutsche Nation anbietet“.145 Teller und die Neologen dagegen feierten Semler in der Allgemeinen deutschen Bibliothek als Wegbereiter der theologischen Aufklärung und Befreier von überkommenen dogmatischen Zwängen. Weitaus schärfer als in den Göttingischen Anzeigen wurde hier die allgegenwärtige Bedrohung der Religion vorausgesagt, mit deren religiösen und gesellschaftlichen Konsequenzen sich die Berliner Aufklärer unmittelbar konfrontiert sahen und die daher einen grundlegend neuen theologischen Ansatz wie beispielsweise Spalding mit seiner Bestimmung des Menschen (1748) verlangten. Dass mit Teller und anderen Oberkonsistorialräten die kirchliche Leitung die antidogmatischen Reformbemühungen nach Kräften unterstützte und mithilfe der Allgemeinen deutschen Bibliothek publizistisch verbreitete, gehört zu den Besonderheiten der Berliner Aufklärung. Dabei waren deren Rezensenten Semler treu ergeben und bedachten seine Werke meist mit Lobeshymnen.146 Diese sowohl kirchenpolitische als auch publizistische 145 Vgl. Semlers Reaktion in den Hallischen neuen gelehrten Zeitungen 1771 auf Walchs Rezension seiner Freyen Untersuchung des Canon (Göttingische Anzeigen 1771 [97. St.], S. 825– 840): „(…) der Verfasser giebt sich eine sonderbare Stellung, verfährt auch so unbilllig und in angemaßter oberrichterlicher Gewalt gegen mich, daß er Leser, die meine kleine Schrift nicht selbst lesen, durch orthodoxes Schrecken vorbereiten will, diese Freyheit, (welche ich eben anzuwenden anfange, und der wahren christlichen Religion dadurch vielmehr Platz mache, als die compendia, so der Verfasser citirt, mitbringen,) fernerhin ja nicht weiter zuzulassen, als dieser anmaßliche Richterstuhl der Theologie, den man in Göttingen für die deutsche Nation anbietet, es entscheidet. (…) Die ängstliche Partheylichkeit, wornach ich verunglimpft werde, und die ungewisse Gelehrsamkeit in Ansehung der historischen angebrachten Theile, welche dieser Aufsatz unter seltsame Figuren versteckt hat, werde ich hinlänglich an den Tag legen“ (Hallische neue gelehrte Zeitungen 1771, 6. Bd., 69. St., S. 552). 146 Vgl. auch die weiteren Rezensionen zu Semlers Institutio ad doctrinam Christianam libera‑ liter discendam. Auditorum usui destinata (1774) von Hermann Andreas Pistorius (Allgemeine deutsche Bibliothek 1775 [26. Bd., 2. St.], S. 310–316) und die Rezensionen der deutschen Ausgabe Versuch einer freiern theologischen Lehrart (1777) von Friedrich Germanus Lüdke (Allgemeine deutsche Bibliothek 1780 [Ahg. Bde. 25–36, 5. Abt.], S. 2742–2744).
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Unterstützung einflussreicher preußischer Kirchenbeamter wie diejenige Tellers beförderte dabei maßgeblich sein Bild des heroischen Aufklärers in der deutschen Gelehrtenwelt. Wie die Debatte um Semler veranschaulicht, vollzog sich die Historisierung der protestantisch-akademischen Theologie in einem komplexen Transformationsprozess. Dieser wurde wesentlich durch die Rationalisierung eines erweiterten Diskurses bestimmt, der sich in schwindendem Maße kirchlicher‑ oder staatlicherseits steuern ließ. Eine Besonderheit dieses von Semler maßgeblich beförderten Prozesses dürfte es sein, dass die Impulse offenbarungskritischer Aufklärer nicht mehr lediglich als religionsgefährdend abgewehrt wurden. In Anknüpfung an bestehende innertheologische Interpretationen des protestantischen Schriftverständnisses wurden sie methodisch fortschreitend übernommen und formten so schließlich das eigene Theologieverständnis um. Sowohl Pietismus wie protestantische Orthodoxie brachten dazu wesentliche inhaltliche wie formale Paradigmen bei, die die Etablierung eines diskursiven Prozesses ermöglichten. Die Berufung auf die Hochschätzung des historischen Schriftsinns bei Luther und innerhalb der lutherisch-orthodoxen Debattenkultur lieferte die theologische Begründung, welche die Integration der historischen Kritik zu ermöglichen schien. Dabei konnten die verschiedenen Seiten an das reformatorische Changieren Luthers zwischen antischolastischer und antispiritualistischer Abgrenzung im jeweils eigenen Interesse anknüpfen. Während die Pietisten gegenüber der scholastisch überfremdeten Tradition der aristotelisch geprägten Theologien Melanchthons und Johann Gerhards die „biblische Theologie“ wieder zu stärken bestrebt waren, suchte Semler das protestantische Schriftverständnis in ebenjener philosophisch anschlussfähigen Richtung konsequent fortzuführen. Einen wesentlichen Impuls lieferte hierbei das Bemühen um einen innertheologisch rationalen Vermittlungsprozess gegenüber wachsenden enthusiastischen Auslegungstraditionen. Wie eine Vielzahl universitärer Disputationsthemen dokumentiert, bildete der historische Beweis einen wesentlichen Gegenstand der akademischen Diskussionskultur der lutherischen Orthodoxie, welche auf dem Anspruch der rational-philologischen Erweisbarkeit der Wahrheit der orthodoxen Dogmatik basierte. Anhand der Publikation und Diskussion dieser Problemstellungen in den gelehrten Journalen erweiterte sich das potentielle Publikum und fungierte zugleich als wesentliche Urteilsinstanz in theologischen Debatten. Die Partizipation von Gelehrten divergierender konfessioneller oder gar religiöser Prägungen in Gesamteuropa trug wesentlich zur Forderung der Selbstrationalisierung der Theologie bei, um den methodischen Ansprüchen der europäischen Gelehrtenkommunikation zu genügen. Die konsequente Adaption der historischen Methode als Grundlage theologischer Wissenschaft, wie Semler sie in seiner Anleitung zu vollziehen begann, öffnete die Theologie für den Diskurs mit der historischen Bibelkritik und etablierte die historische Bibel‑ und Kanonkritik als ein
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VI. Die Debatte um Johann Salomo Semler
innertheologisches Programm. Während die deutschsprachigen gelehrten Journale in ihrem Umgang mit aufklärerischer Bibelkritik anfangs vornehmlich apologetisch reagierten, zeigt die Rezeption der Debatte, wie die innertheologische Adaption der historischen Bibelkritik nicht nur bei einzelnen Theologen wie Semler einzusetzen begann, sondern unter dem gelehrten Publikum nach und nach an Zustimmung gewann. Welches theologische Sprengpotential in dieser historischen Ausrichtung des Schriftverständnisses lag, veranschaulicht erst die kontroverse Vielfalt der Reaktionen auf Semlers nachfolgende Schriften, in denen die dogmatischen Konsequenzen seiner methodischen Entscheidung gezogen wurden. Semlers theologische Begründung der Notwendigkeit des individuellen Urteils sogar über Umfang und Wahrheit der Heiligen Schrift lieferte schließlich die Legitimation des freien theologischen Diskurses und trug damit wesentlich zum vermittelnden Charakter der theologischen Debattenkultur in der deutschen Aufklärung bei.
Kapitel VII
Die Debatte um Gottfried Less und die Hinwendung vom historischen zum moralischen Wahrheitsbeweis der Bibel (1768–1785) 1. Gottfried Less als Vermittlungstheologe zwischen Orthodoxie und Aufklärung Beschränkte sich die Offenbarungskritik bis 1740 noch vornehmlich auf Äußerungen einzelner Gelehrter, so bekamen die Berliner Theologen die sich seit dem Amtsantritt Friedrichs II. unter den Gebildeten zunehmend ausbreitende Religionskritik immer unmittelbarer zu spüren. Auf diese Herausforderung antworteten zuerst kirchliche Vertreter der Neologie wie Spalding mit seiner Bestimmung des Menschen 1748. Angesichts der gesellschaftlichen und weltanschaulichen Umbrüche legten sie die Grundlagen einer anthropologischen Neuausrichtung der Theologie. Ihren kirchlichen Funktionen und ihrem theologischen Selbstverständnis entsprechend publizierten sie bewusst in Form allgemein verständlicher theologischer Traktate. Die sich darin vollziehenden dogmatischen Umdeutungen wurden allerdings in ihren Konsequenzen für das Schriftverständnis vielfach erst in ihrer systematischen Ausformulierung deutlich. Ebendiesen konsequenten Transformationsprozess des Schriftverständnisses, dem die protestantische Theologie sich spätestens seit Ende der 1760er-Jahre zu stellen begann, charakterisiert exemplarisch die Debatte um den Beweiß der Wahrheit der christlichen Religion des Göttinger Dogmatikers Gottfried Less. Unter den zahlreich erschienenen apologetischen Schriften repräsentiert Less einen der anspruchsvollsten zeitgenössischen Versuche, die jüngsten wissenschaftlichen Einsichten seiner Zeit mit der klassisch lutherisch-orthodoxen Form der Dogmatik zu vermitteln und darin die Autorität der Heiligen Schrift in ihrer systematischen Einheits‑ und Begründungsfunktion zu reformulieren. Die hohe Auflagenzahl und deren jeweilige Rezeption in den gelehrten Journalen bietet die besondere Möglichkeit, die Wahrnehmung dieses Umbruchs in der Gelehrtenwelt minutiös nachzuvollziehen. Less’ Veröffentlichung seines Beweißes der Wahrheit der christlichen Reli‑ gion gehörte zu einer Reihe von rationalistischen Begründungsversuchen des
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VII. Die Debatte um Gottfried Less
Offenbarungsglaubens, die Ende der 1760er-Jahre in Deutschland erschienen.1 Seit 1752 hatte er in Jena und Halle Theologie studiert und war hier an der Edition von Baumgartens Nachrichten von merkwürdigen Büchern beteiligt. Dadurch hatte er sich bereits früh mit der Arbeit des Rezensionswesens vertraut gemacht und sich zugleich dem umfassenden Studium westeuropäischer Aufklärungsliteratur gewidmet. Zusätzliches Interesse daran weckte eine Bildungsreise nach England 1763, während derer er in persönlichen Kontakt mit dem englischen Deismus kam. In seiner theologischen Wirkung heute wenig bekannt, besaß Less unter seinen Zeitgenossen einen kaum zu überschätzenden Einfluss, der der Göttinger Aufklärungstheologie im Ganzen zukam. Aus seiner umfangreichen Kenntnis der westeuropäischen Aufklärungsliteratur suchte er diese mit der lutherischen Dogmatik zu vermitteln, ohne deren Bekenntnisbindung preiszugeben. Entscheidend für seinen weitreichenden Einfluss auf die theologische Gelehrtenwelt und darüber hinaus auf ein breiteres gebildetes Publikum war seine gezielte Verwendung breitenwirksamer Kommunikationsformen. Als Göttinger Universitätsprediger veröffentlichte er zahlreiche Predigtbände, erwirkte in Hannover die Edition eines überarbeiteten, dogmatisch zeitgemäßen Gesangbuchs2 und nahm Stellung zu aktuellen ethischen wie dogmatischen De1 Zu den namhaftesten apologetischen Schriften gehören unter anderem: August Friedrich Wilhelm Sack, Vertheidigter Glaube der Christen, 8 Bde. (1748–1751); Abraham Wilhelm Teller, Lehrbuch des christlichen Glaubens (1764); Johann August Noesselt, Vertheidigung der Wahrheit und Göttlichkeit der christlichen Religion (1766); Johann Georg Rosenmüller, Versuch, den Beweis der Göttlichkeit der Schrift von dem Zeugnis des H. Geistes hergenommen, deutlich und vernunftmäßig vorzutragen (1766); Friedrich Wilhelm Jerusalem, Betrachtungen über die vornehmsten Wahrheiten der Religion, 2 Theile (1768–1772); Theodor Christoph Lilienthal, Die gute Sache der in der heiligen Schrift alten und neuen Testaments enthaltenen Göttlichen Offenbarung, wider die Feinde derselben erwiesen und gerettet, 16 Theile (1750–1782); Albrecht von Haller, Briefe über die wichtigsten Wahrheiten der Offenbarung (1772); Johann Gottlieb Toellner, Versuch des Beweises der christlichen Religion für Jedermann (1772). Wesentlichen Einfluss auf den Anstoß der Debatte um Less dürfte auch die Publikation der umfangreichen frühchristlichen Quellensammlung Nathaniel Lardner, A large collection of ancient Jewish and heathen testimonies to the truth of the Christian religion (1764–1767) gehabt haben, deren vier Bände Less selbst in den Göttingi‑ schen Anzeigen lobend rezensiert hatte (Göttingische Anzeigen 1765 [122. St.], S. 977–984; 1766 [88. St.], S. 697–704; 1767 [84. St.], S. 665–669). Der Nachweis der Historizität der biblischen Ereignisse bestimmte Lardners mehrbändiges theologisches Lebenswerk Credibility of the Gos‑ pel history (1727–1734) und erschien seit 1750 in einer deutschen Übersetzung, herausgegeben jeweils mit erklärenden Einleitungen von S. J. Baumgarten (Lardner, D. Nathanael Lardners Glaubwürdigkeit der evangelischen Geschichte [1750–1751]). 2 Vgl. Hammann, Universitätsgottesdienst und Aufklärungspredigt, S. 72–88. Ausführlich zu Less’ weitreichender Wirkung an der Göttinger Universität vgl. a. a. O., S. 262–291. Hammann weist dabei vor allem auch auf die Rezeption von Less im Bildungsbürgertum hin, während Albert Peleman die moraltheologischen Einflüsse von Less auf katholische Aufklärungstheologen nachweist. Vgl. hierzu Peleman, Der Benediktiner Simpert Schwarzhueber (1727–1795), Professor in Salzburg als Moraltheologe. Zu weiteren biographischen und werkgeschichtlichen Informationen zu Less vgl. auch Johann Konrad Achatz Holscher, Gottfried Less (1797).
1. Gottfried Less als Vermittlungstheologe zwischen Orthodoxie und Aufklärung
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batten, vom Fragmentenstreit3 bis hin zur Diskussion um die infolge des Erscheinens von Goethes Werther (1774) aufkommende Frage der moralischen Legitimation des Suizids.4 Die Stellung der Göttingischen Anzeigen als zeitweise führendem Rezensionsorgan der deutschen Aufklärung verlieh Less als theologischem Rezensenten in seinem Urteil eine außergewöhnliche Wirkung. In der Entwicklung der von ihm initiierten und begleiteten Kontroversen lassen sich daher wesentliche strukturelle wie inhaltliche Dynamiken theologischer Debatten der deutschen Aufklärung verfolgen. Less’ Wirken als einflussreicher Göttinger Theologe steht in enger Verbindung mit einer Hochphase historisch-apologetischer Forschung einerseits und dem Zenit des Genres des deutschsprachigen gelehrten Journals in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts andererseits. Geschult bei Baumgarten in der akribischen historischen Analyse, der fließenden fremdsprachigen Lektüre und ihrer Vermittlung für das deutschsprachige Publikum, setzte Less seine in Halle erlernte Rezensionstätigkeit als Mitglied der Göttinger Akademie in den Göttingischen Anzeigen fort. Die Vielzahl seiner Rezensionen zwischen 1765 und 1791 lässt dabei die Weiterentwicklungen seiner Vermittlungsposition in Reaktion auf die zunehmende Religionskritik detailliert erkennen. Systematisch zur Darstellung gebracht hat Less seinen Versuch der wissenschaftlichen Legitimation des christlichen Wahrheitsanspruches sowohl in seinem seit 1768 in mehreren Auflagen erschienenen Beweiß der Wahrheit der christlichen Religion als auch in seinem Handbuch der christlichen Religions‑ theorie für Aufgeklärte oder Praktische Dogmatik von 1777. Eine Analyse der teils gravierenden Modifikationen, die Less im Laufe der Veröffentlichungen an seinem Schriftverständnis vorzunehmen sich genötigt sah, mag exemplarisch den Umgang mit den spezifischen Anforderungen darstellen, die sich aus der historischen Kritik an der Heiligen Schrift im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts entwickelten. Mit seinen Modifikationen reagierte Less dabei auf die veränderten Erwartungen eines Lesepublikums, das sich in zunehmendem Maße sowohl wissenschaftlich wie sozial auszudifferenzieren begann. Eine Analyse der Debattenstrukturen und ihres Rezeptionsprozesses in Publikationen und Rezensionen macht deutlich, vor welchen Herausforderungen die theologische Vermittlung am Ende des 18. Jahrhunderts nicht nur argumentativ, sondern auch strukturell stand.
Less, Auferstehungsgeschichte nach allen vier Evangelisten (1779). Vgl. Less, Vom Selbstmorde (1776).
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VII. Die Debatte um Gottfried Less
2. Jean Lévesque de Burignys Examen critique des apologistes (1766) Zu Less’ bleibenden theologischen Leistungen ist sein dauerhaftes Bemühen um eine rationale Vermittlung der deutschen protestantischen Theologie mit der westeuropäischen Aufklärungskritik zu zählen. Sein besonderes Interesse galt dabei der Frage nach dem historischen Wahrheitsanspruch der Heiligen Schrift, zu deren ausführlicher schriftlicher Abhandlung die Lektüre eines einschlägigen Werkes aus Frankreich den Ausschlag gab. Pseudonym und ohne Angabe eines Ortes war 1766 ein Examen critique des apologistes de la religion chrétienne – par Nicolas Fréret erschienen, welches in Wirklichkeit wohl von dem französischen Historiker Jean Lévesque de Burigny (1692–1785) stammte.5 Seit 1713 mit der Edition eines mehrbändigen Universallexikons befasst, hatte Burigny bereits mehrere umfangreiche historische Werke verfasst, zu denen unter anderem Biographien von Hugo Grotius, Erasmus von Rotterdam und Jacques Bénigne Bossuet gehörten. Als Mitglied des Pariser Salons um Madame Geoffrin, zu dessen Teilnehmern zeitweise die einflussreichsten französischen Aufklärer und Enzyklopädisten wie Montesquieu, Diderot, d’Alembert, Voltaire und andere gehörten, lässt sich Burigny zwar nicht zum radikalen Flügel der französischen Aufklärung zählen. Jedoch beschäftigte er sich intensiv mit kirchenhistorischer Forschung und Religionskritik. Deren profunde Kenntnisse ließen ihn unter anderem sowohl die traditionellen Schriftbeweise als auch den kanonischen Primat des Papstes infrage stellen.6 Vertraut mit einer wachsenden Zahl apologetischer Publikationen, die in jenen Aufklärungskreisen vielfach nur noch schärfsten Spott hervorriefen, beabsichtigte Burigny in seiner Kritischen Untersuchung, die bisherigen apologetischen Argumentationen auf ihre tatsächliche Beweiskraft hin zu prüfen. Das Anwachsen der Religionskritik führte er dabei unter anderem auf die Fülle mangelhafter und unsicherer Belege zurück. Ihnen stellte er unter Verweis auf Jacques Abbadie (1654–1727) und Claude François Alexandre Houtteville (1688– 1742) die Forderung nach stichhaltigen Tatsachenbeweisen für die Wahrheit der christlichen Religion entgegen.7 5 Zur Entstehungsgeschichte des Werkes vgl. das Vorwort zur kritischen Ausgabe: Burigny, Examen critique des apologistes de la religion chrétienne, hg. v. Alain Niderst, Paris 2001, S. 7–30. 6 Vgl. Burigny, Traité de l’autorité du Pape (1720). 7 Claude François Alexandre Houtteville, Pariser Priester und Mitglied der Académie française, gehörte dort genau wie Richard Simon zum Orden der französischen Oratorianer, die sich in besonderer Weise um die kirchengeschichtliche Forschung verdient machten. Houtteville veröffentlichte bereits 1722 einen historischen Tatsachenbeweis für das Christentum (La reli‑ gion chrétienne prouvée par les faits), der sich auch außerhalb Frankreichs als ein Standardwerk christlicher Apologetik etablierte. „C’est avec raison que M. l’Abbé Houtteville a remarqué que quiconque écrit sur les matieres de religion, doit n’employer jamais que les preuves qui tranchent
2. Jean Lévesque de Burignys Examen critique des apologistes (1766)
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In Wirklichkeit liefert Burigny mit seinem Werk in erster Linie eine umfangreiche Kompilation religionshistorischer Argumente, die den Wahrheitsanspruch des Christentums bestreiten sollen. Als Quellen dienen ihm hierbei sowohl eigene Studien antiker Autoren als auch die quellenreichen Darstellungen der Alten Kirche und der römischen Kaiserzeit des Jansenisten Louis-Sébastien LeNain de Tillemont (1637–1698).8 Durch drastische Schilderungen kirchlich initiierter Gräuel, insbesondere während der spanischen Eroberung Südamerikas, sucht Burigny dem Leser den Glauben an die moralischen Segenswirkungen des Christentums als Beweis für dessen göttlichen Ursprung zu nehmen. Aus seiner Sicht kann weder die moralische Überlegenheit der Christen noch deren flächendeckende, noch dazu gewaltsame Ausbreitung als Argument für die Wahrheit ihrer Religion gelten. Umfangreiche Belege dienen zudem zur Demonstration der quellenkritischen Unsicherheit der christlichen Überlieferung. Diese sei das Produkt eines historischen Prozesses voller Betrug und Fälscherei.9 Einzeln werden die von Apologeten angeführten Belege der Wunder Christi bei nichtchristlichen Autoren untersucht und allesamt als nicht stichhaltig erwiesen. Kritisch listet Burigny weiter zahlreiche, dem Zeitgenossen unverständlich gewordene Stellen des Alten Testaments auf: die Erschaffung der Erde, die physikalische Unmöglichkeit der Sintflut, die jesuitische Entdeckung einer abweichenden chinesischen Zeitrechnung, die Unerklärlichkeit der Abstammung der Schwarzen von Adam, die vorsätzlichen, göttlich gebotenen Gewalttaten ebenso wie die sittliche Verdorbenheit des Hohen Liedes oder die romanhaften Züge der Bücher Tobit und Esther. Trotz einer von ihm zugestandenen geringeren Anstößigkeit nimmt Burigny auch das Neue Testament nicht von seiner generellen Offenbarungskritik aus und verweist dabei unter anderem auf die lebensfernen Anwendungsmöglichkeiten der Bergpredigt oder die apokalyptische Naherwartung der Urchristenheit. Die potentielle moralische Gefährdung, die aus den dunklen Seiten der christlichen Offenbarung erwachse, wird für Burigny durch das scharfe Übersetzungsverbot der Bibel bestätigt, welches die katholische Kirche selbst & qui décident par le fond même; & que celles qui sont foibles & contestables, à plus forte raison celles qui sont défectueuses, doivent étre soigneusement évitées, parce qu’ici tout ce qui ne sert pas devient nuisible. Ce n’est que parce qu’on n’a pas toujours observé cette regle, que le nombre des incrédules est prodigieusement augmenté; & c’est pour le diminuer, qu’on se propose, dans cet ouvrage de faire voir le foible de plusieurs preuves dont se servent communément les Apologistes du Christinanisme“ (Burigny, Examen critique [2001], S. 4). 8 Aufgrund ihrer quellenkritischen Leistung gehören zu den bleibend einflussreichen Werken Tillemonts dessen sechsbändige römische Kaisergeschichte Histoire des empereurs et autres princes qui ont régné durant les six premiers siècles de l’Église (1690–1738) sowie dessen 16bändige frühe Kirchengeschichte Memoires Pour servir à l’histoire ecclesiastique des six premiers siècles, justifiez par les citations des auteurs originaux (1701–1712). 9 „C’est au sujet de la vie de J. C. que les faussaires ont le plus exercé leurs talens: à peine fut-il crucifié, que les Chrétiens inondérent le public d’histoires dans lesquelles ils n’avoient d’autre but que d’inspirer de l’admiration pour le législateur & d’autoriser leurs sentimens particuliers, sans se mettre en peine de consulter la vraisemblance“ (Burigny, Examen critique [2001], S. 31).
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VII. Die Debatte um Gottfried Less
mit Hinweis auf die Gefährlichkeit und den drohenden Schaden eigenständiger Bibellektüre erlassen habe. Dass das Eingeständnis der Unvollkommenheit der Bibel kein rein katholisches Phänomen sei, belegen für Burigny Zitate aus Werken reformierter Theologen wie Jean Leclerc (1657–1736) oder Isaac Papin (1657– 1709). Auch sie stellen die Gründe der Reformatoren für die Göttlichkeit der Heiligen Schrift als unzureichend dar und heben stattdessen deren dunkle Seiten hervor. Als Kronzeuge für die Fehlerhaftigkeit der Überlieferung der Heiligen Schrift tritt nicht zuletzt Richard Simon mit seiner kritischen Untersuchung His‑ toire critique du Vieux Testament (1678) auf.10 Vorbereitet durch die ausführlichen Zitate verschiedener prominenter Theologen zur Zweifelhaftigkeit des biblischen Textes, schließt Burigny das 12. Kapitel mit der Feststellung, dass ein so mangelhaftes Werk wie die Bibel eines allerhöchsten Wesens nicht würdig sein könne.11 Als allen Offenbarungen gemeinsamer Widerspruch wird die Diskrepanz betrachtet, die zwischen dem universellen Wahrheitsanspruch jeder Offenbarung und ihrer nur partiellen Akzeptanz unter der Menschheit bestehe.12 Nach Burigny erwächst diese Diskrepanz letztendlich aus der wissenschaftlichen Unmöglichkeit des historischen Beweises der Wahrheit des Offenbarungsanspruches. Wollte Vgl. a. a. O., S. 230–231. Burigny liefert an dieser Stelle ausführliche Zitate aus Pierre Jurieu, Traité de nature et de la grace (1687) und Jean Leclerc, Sentiments de quelques théologiens de Hollande sur l’Histoire critique du Vieux Testament, composée par le P. Richard Simon de l’Oratoire (1685), sowie aus Richard Simon, Histoire critique du Vieux Testament (1678). Der Rückgriff auf die Debatte um Simons Schriften und die verschärften konfessionellen Auseinandersetzungen um das Schriftprinzip in Frankreich Ende des 17. Jahrhunderts macht deutlich, welch exemplarischen Charakter diese Streitigkeiten noch fast 100 Jahre später besaß. Semler, der bereits in seiner Anleitung zum Theologiestudium 1757 die Lektüre Simons empfohlen hatte, lieferte fast zeitgleich zum Fragmentenstreit eine deutsche Übersetzung der Forschungsergebnisse Simons zum Neuen Testament (Richard Simon, Kritische Schriften über das neue Testament, übersetzt von Heinrich Matthias August Cramer, mit einer Vorrede von Johann Salomo Semler, 3 Teile [1776–1780]), um die deutschen Theologen – trotz der von ihm erwarteten Proteste – mit den historischen Untersuchungen aus Frankreich vertraut zu machen. Welchen Wandel die Wahrnehmung Simons in Deutschland bis dahin durchlaufen hatte, bringt das Vorwort des Übersetzers und Schüler Semlers, Heinrich August Cramer (1745–1801), zum Ausdruck: „Fast ein Jahrhundert, dacht ich, ist verflossen, daß Simon so viel Aufsehens unter den Gelehrten machte, so viel Widerspruch fand, so elend widerlegt, und so ungleich von Protestanten und Catholiken beurtheilt wurde; daß er so manche heftige Anfälle, und so viele persönliche Widerwärtigkeiten wegen seiner damals unerhörten Meynungen erfahren muste. Seine Schriften sind unter häufigem Tadel und sparsamen Lobe alt und höchst selten geworden. Das Fach der Gelehrsamkeit, dazu sie gehören, hat sich so sehr zu seinem Vortheil geändert, wenigstens unter Protestanten, daß sichs fast nicht mehr ähnlich siehet. Wie manche verschrieene Beobachtung, wie manche nur gleichsam nachläßig hingeworfne Muthmassung Simons, ist indessen zur unleugbaren Wahrheit geworden! (…) Alle Lehrer der Kritik verweisen dennoch mündlich und schriftlich auf Simons Untersuchungen (…)“ („Vorrede des Uebersetzers“ zu Simon, Kritische Historie des Textes des neuen Testaments, S. 19–20). 11 Vgl. Burigny, Examen critique (2001), S. 232. 12 „Allein, unter allen den Religionen, die sich für geoffenbarte ausgeben, ist keine einzige, deren Beweise dem Verhältnisse und der Fähigkeit der Menschen angemessen wären“ (Burigny, Kritische Prüfung der Beweise der christlichen Religion [1788], S. 280. Vgl. die französische Ausgabe: Burigny, Examen critique [2001], S. 236). 10
2. Jean Lévesque de Burignys Examen critique des apologistes (1766)
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man ein angemessenes Urteil über die Berechtigung des Wahrheitsanspruches einer Religion fällen, so wären die präzise Erfüllung aller Prophezeiungen und die Faktizität aller Wunder zu prüfen, auf die sich der Wahrheitsanspruch der Religionen wesentlich gründet. Dies erfordere allerdings die exakte Rekonstruktion der historischen Umstände der Prophezeiungen, um ausschließen zu können, dass diese reine Vermutungen, zufällige Erfüllungen oder nachträgliche Zuschreibungen gewesen seien. Ähnliches gelte für die Prüfung der Wunder, die als auf natürliche Weise nicht erklärbare Phänomene, Betrügereien oder Dichtungen erwiesen werden müssten. Die Aufgabe, die historisch wahren Stellen der Bibel herauszuarbeiten, hält Burigny für wissenschaftlich kaum zu erfüllen.13 Kenntnisreich greift er in seiner Kritik der biblischen Offenbarung auf die in Frankreich bereits bekannten Argumente der Debatte zwischen dem Protestanten Pierre Jurieu (1637–1713) und dem Jansenisten Pierre Nicole (1625–1695) zurück. In den Auseinandersetzungen zwischen Jansenisten und Protestanten, die in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts vor dem Hintergrund der wachsenden, existenzbedrohenden Spannungen und daraus resultierenden Häresievorwürfen stattfanden, spielte die Frage der Offenbarungsbegründung als Konfessionsmerkmal eine zentrale Rolle. In Abgrenzung zu den Protestanten verwies Nicole als patristisch umfassend gebildeter Jansenist auf die quellenkritische Unsicherheit des biblischen Schriftkorpus, die ihm zur Legitimation der kirchlichen Tradition und der Autorität des Lehramtes dient. Die Protestanten Pierre Jurieu und Pierre Bayle hielten dagegen, dass auch der Glaube an die Autorität der Kirche in ihrer theologischen Begründung auf der Schrift basiere. Burigny betrachtet damit das grundsätzliche Dilemma des Offenbarungsanspruches als klar bestimmt und zugleich ungelöst.14 Unbestritten bleibt aus seiner Sicht daher lediglich die Tatsache, dass der Wahrheitsanspruch der biblischen Texte historisch nicht sicher zu bestimmen sei. Durch die Lektüre seines Werkes sollen die Leser dies als eigene Einsicht erkennen.15 Jurieus protestantische Schlussfolgerung, dass der Grund der Wahrheit der Offenbarung infolge des dargelegten Dilemmas eines fehlenden historischen Beweises allein im Gefühl verortet werden müsse, 13 „Wer kann sich wohl alle die Mühe geben, und wer besitzt die Fähigkeit, die erfordert wird, den Werth und Unwerth, das Falsche, und das Wahre aller der Bücher, die wir die h. Schrift nennen, zu untersuchen, zu prüfen, zu entscheiden? Ist es nicht wider alle Vernunft, glauben zu wollen, daß alle Menschen im Stande sind, die gehörigen Untersuchungen anzustellen, die, zu einer richtigen Entscheidung zu gelangen, erfordert werden? Hängt also das Heil nicht von einer Frage ab, die beinahe kein Mensch, keine Wissenschaft, keine Kritik mehr ins Reine zu bringen im Stande ist?“ (Burigny, Kritische Prüfung, S. 283; vgl. Ders., Examen critique [2001], S. 238). 14 Burigny, Kritische Prüfung, S. 295; vgl. Ders., Examen critique (2001), S. 248. 15 „Wir lassen es nun unbefangenen Köpfen über, zu entscheiden, was vernünftiger sey, entweder von aller Welt etwas Unmögliches zu fordern, wie die Prüfung einer Thatsache, die unendlichen Untersuchungen unterworfen ist: oder jedermann aufzutragen, in einer höchst wichtigen Sache sich für einen Theil zu erklären, ohne genugsamen Grund zu haben, eine vernünftige Entschliessung zu fassen“ (Burigny, Kritische Prüfung, S. 296–297; vgl. Ders., Examen critique [2001], S. 249).
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VII. Die Debatte um Gottfried Less
wird von Burigny bewusst zurückgewiesen. Für den Aufklärer und Historiker Burigny scheidet das Gefühl als Wahrheitskriterium aus, da es auch ganz widervernünftige Tatsachen wie die Erbsünden‑ oder die Trinitätslehre für wahr halten könne und damit ein Einfallstor für religiösen Fanatismus bilde.16 Offen bleibt daher für Burigny lediglich die Möglichkeit, dass es theoretisch denkbar sein könne, durch intensive historische Studien die historische Wahrheit der biblischen Offenbarung aus ihren Quellen unzweifelhaft zu erweisen. Diese Option steht für ihn jedoch im Selbstwiderspruch zum allgemeinen Wahrheitsanspruch der Offenbarung, da die historische Argumentation lediglich von im Lesen und Schreiben Gebildeten nachvollzogen werden könne und damit drei viertel der Menschheit wohl niemals zur eigenständigen Prüfung fähig sein dürften. Aufgrund der empirischen Unmöglichkeit eines rational für alle Menschen nachvollziehbaren Religionsbeweises wird die Frage der Religionszugehörigkeit in erster Linie als eine sozial bedingte Folge der elterlichen Entscheidung und des Zufalls betrachtet. Die Entscheidung für die Wahrheit eines Offenbarungsanspruches gestaltet sich daher vor allem als Ergebnis religionssoziologischer Bedingungen. Deshalb fordert Burigny den Leser auf, seine Vernunft zu gebrauchen und die eigenen religiösen Vorprägungen kritisch zu hinterfragen.
3. Gottfried Less’ Beweiß der Wahrheit der christlichen Religion (1768) Keine zwei Jahre nach Erscheinen des Examen critique veröffentlichte der Göttinger Dogmatiker Gottfried Less als Reaktion auf Burigny eine christliche Apologie unter dem Titel Beweiß der Wahrheit der christlichen Religion. Bereits die von ihm ein Jahr zuvor in den Göttingischen Anzeigen verfasste Rezension brachte dabei seinen Anspruch zum Ausdruck, die durch Burigny infrage gestellte Plausibilität des Christentums rational rekonstruieren zu können.17 Schon im 16 Burigny verweist in diesem Zusammenhang exemplarisch auf Pierre Jurieus und Blaise Pascals Betonung der rationalen Unverfügbarkeit bestimmter Glaubenssätze, weshalb er beide des religiösen Fanatismus verdächtigt. „Herr Paskal war so sehr Fanatiker, wie Jurieu, da er sagt, daß diejenigen, welche ohne die Beweise der Religion zu untersuchen glauben, eine innere ganz heilige Richtung des Herzens besitzen, mit welcher alles übereinstimmt, was ihnen die Religion sagt, und sie von der Religion hören“ (Burigny, Kritische Prüfung, S. 299; vgl. Ders., Examen critique [2001], S. 251–252). 17 In den Göttingischen Anzeigen wurde Burignys Werk am 31. August 1767 angezeigt und von Gottfried Less auf fünf Seiten besprochen. Inhaltlich kritisch, aber respektvoll attestiert Less, dass das Werk sich „von den zu unsern Zeiten gewönlichen, durch den Ernst und Wohlanständigkeit“ (Göttingische Anzeigen 1767 [105. St.], S. 839) unterscheide, obwohl er anfangs „einmahl wiederum einen Bolingbrocke wieder das Christenthum reden zu hören“ (a. a. O., S. 840) glaubte. Den zentralen Vorwurf an die christliche Religion sieht Less darin, dass die Christen die Echtheit der biblischen Texte mehr vermuten als beweisen würden. Weder seien die christlichen „Grund-Facta“ der Jungfrauengeburt und der Auferstehung anfangs von den
3. Gottfried Less’ Beweiß der Wahrheit der christlichen Religion (1768)
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„Vorbericht“ kündigt er an, die Wahrheit des Christentums historisch demonstrieren zu wollen, da er den historischen Beweis letztendlich als den einzig überzeugenden Beweis für die Wahrheit des Christentums betrachtet. Meinen hauptsächlichen Fleiß habe ich auf den historischen Beweis der Authenticitäte des N. Testaments und der Wunderwerke und Weissagungen Jesu gewendet. Auf diesen Punct kommt am Ende alles an: und er wird, wie mir dünkt, gemeiniglich nur gar zu kurz abgehandelt.18
Als langjähriger Rezensent der Nachrichten von merkwürdigen Büchern in Halle und später der Göttingischen Anzeigen war Less bereits seit seinem Studium mit der Rezeption der aufklärerischen Religionskritik vertraut. Seinem Lehrer Baumgarten folgend, beanspruchte er sowohl in seinen Rezensionen wie auch in seinen Vorlesungen, sich in wissenschaftlichen Kontroversen mit den Argumenten seiner Kritiker detaillierter auseinanderzusetzen und diese Debatten als Ansporn zu intensivierten historischen Studien zu begreifen. Aufgrund der dogmatischen Zentralstellung des Schriftprinzips betrachtete Less die Veröffentlichung des Ex‑ amen critique mit seiner prinzipiellen Infragestellung der historischen Beweiskraft der biblischen Wunder und Weissagungen als zentralen Angriff auf die christliche Religion. Besonders herausgefordert sah sich Less durch den Vorwurf des rational unbegründeten, quasi willkürlichen Glaubens an die Heilige Schrift. Ziel seines Werkes sollte es daher sein, den von Burigny erhobenen Vorwurf gegenüber den christlichen Apologeten, dass diese „die Authenticität des Neuen Testaments mehr supponiren als erweisen“,19 durch historische Quellen zu widerlegen. Den einzig legitimen Ansatzpunkt zum Beweis der Wahrheit der Offenbarung sieht Less dabei in der historischen Verifizierbarkeit des Wunderwirkens Jesu sowie der Erfüllung seiner Prophezeiungen als unwiderlegbare Zeugnisse der meisten geglaubt worden, noch seien die vier Evangelien in der Kirche ursprünglich bekannt gewesen. In seiner Rolle als apologetischer Rezensent nimmt sich Less die einzelnen Kritikpunkte zur Widerlegung vor. Sein Schwerpunkt liegt dabei auf der Auseinandersetzung um korrekte historische Darstellungen wie der gewaltsamen Ausbreitung des Christentums oder der Ähnlichkeit christlicher und heidnischer Tugend, die Burigny als Argumente gegen den Offenbarungscharakter der biblischen Texte dienten. Dabei bescheinigt Less dem Autor, er habe „nicht die geringste Kenntniß des Alterthums gehabt“ (a. a. O., S. 838). Die Einwendungen gegen die Widersprüche in der Schöpfungsgeschichte werden als bereits bekannt und widerlegt bezeichnet und als keiner weiteren Widerlegung notwendig erachtet. Explizit zitiert Less das Argument, das Christentum könne nicht allgemein wahr sein, da die Ungelehrten dessen Wahrheitsanspruch nicht kritisch prüfen könnten. Für überzeugend hält er den Einwand gegen die These Blaise Pascals und Michel Mauduits, der Mensch solle sich aus Opportunitätsabwägungen für den Glauben entscheiden. Stattdessen stimmt er Burignys Aufforderung zur historisch-kritischen Prüfung des Offenbarungszeugnisses als „das beste und richtigste im ganzen Werk“ zu (a. a. O., S. 839). Less’ ausführlich referierende Darstellung deutet bereits sein nachhaltiges Interesse an einer historisch-apologetischen Auseinandersetzung mit Burignys Kritik an. 18 Less, Beweiß der Wahrheit der christlichen Religion (1768), Vorbericht, S. 2v. 19 Ebd.
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VII. Die Debatte um Gottfried Less
Göttlichkeit der Offenbarung. Daher orientiert sich der Aufbau des gesamten Werkes in einem ersten Teil zunächst daran, sowohl die „Authentie“ und die „unverfälschte Richtigkeit“ wie die „höchste Glaubwürdigkeit“ des Neuen Testaments zu erweisen. In einem zweiten Teil will er die drei „Haupt-Facta“ demonstrieren, dass Jesus von Nazareth die Merkmale des im Alten Testament angekündigten Königs erfülle, dass er „wahre und göttliche Wunderwerke gethan“ habe und schließlich zudem selbst „wahre Weissagungen ausgesprochen“ habe. Ausgehend von den bis dahin präsentierten Ergebnissen, folgen in einem dritten Teil schließlich der Beweis des göttlichen Ursprungs und der Erweis seiner vollkommenen Rationalität. Die Auseinandersetzung mit den offenbarungskritischen Einwänden nimmt Less in erster Linie nicht als Bedrohung für die Religion wahr, sondern als wichtiges Moment der Weiterentwicklung der theologischen Reflexion. Insbesondere in Hinblick auf die bisher versäumte Entwicklung eines allgemein-rationalen Begründungszusammenhangs des Schriftverständnisses übt er Selbstkritik. Man kann es in der That mit unter die Vorzüge unsers Jahrhunderts rechnen; daß es so fruchtbahr an feindseligen Schriften gegen die Religion gewesen. Die Artikel von der heiligen Schrift haben nun in unsern Lehrbüchern eine ganz andere Gestalt gewonnen. Ehedem führete man entweder gar keinen Beweis von der Göttlichkeit der Bibel; oder man bewies aufs höchste, daß sie eine Gott nicht unanständige Offenbahrung enthalte. Dabei musten freilich nachdenkende Leser stets in Ungewißheit bleiben; und es war also kein Wunder; wenn so viele selbst unter den Gottesgelehrten, wie die geheime Geschichte uns sagt, im Herzen Naturalisten, wo nicht gar aller Religion abgeneigt gewesen. Seitdem aber die kühnen Angriffe der Deisten, die Freunde des Christenthums in die Nothwendigkeit setzten, den göttlichen Ursprung der heiligen Schrift in Schutz zu nehmen: da richtete man alle seine Aufmerksamkeit auf diesen Punkt: und die Abhandlungen von der h. Schrift, als dem Erkenntnißgrund aller Religion, bekamen dadurch einen der allerbeträchtlichsten Zusätze; nemlich einen geprüften Beweis für die göttliche Eingebung derselben.20
Wie aus dieser Einleitung hervorgeht, wird einerseits bereits der kritische Diskurs über die Religion positiv gewürdigt, andererseits schon dessen bisheriges Ausbleiben selbstkritisch als Begünstigung der Religionskritik eingestanden. Die wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritte seines Jahrhunderts werden hierbei nicht als Bedrohung, sondern als Herausforderung zur Erschließung des wahren Sinnes der biblischen Texte betrachtet. Die naturalistischen Streitigkeiten haben noch viel mehrere Vortheile der Wahrheit geschaffet. Dadurch ist man zuerst veranlasset worden; die Natur der Wunderwerke zu untersuchen, und ihre Kennzeichen festzusetzen: welches der Kosmologie erhebliche Zusätze verschaffet. Dadurch ward man genöthiget, die Grundsätze der natürlichen Religion genauer zu durchforschen, um die Grenzen derselben, und die Nothwendigkeit einer geoffenbahrten Religion fest zu setzen, welches der natürlichen Theologie eine ganz andere Gestalt gegeben. Diese Streitigkeiten nöthigten die Freunde des Christenthums, den ganzen A. a. O., Einleitung, § I. Vortheile der Streitigkeiten mit den Naturalisten, S. 1–2.
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3. Gottfried Less’ Beweiß der Wahrheit der christlichen Religion (1768)
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Inhalt der Bibel näherr zu durchdenken: und dadurch ward ihr Sinn in sehr vielen Stellen aufgeklärt und ihr Inhalt mit neuen Beweisgründen unterstützet. Die genauere Auslegung vieler Weissagungen; die richtigere Beschreibung der neutestamentlichen Anführungen der Schriften des A[lten] B[undes] die gründlichere Vorstellung der biblischen Geschichte; die Verbindung der Offenbahrung in der Schrift mit der Offenbahrung in der Natur.21
Bereits die umfangreiche Einleitung führt den Leser in die Werke und Thesen der einflussreichsten englischen und französischen „Naturalisten“ und Religionskritiker seiner Zeit ein.22 Less ist davon überzeugt, dass all ihre Kritik auf mangelnden philologischen und kulturellen Kenntnissen der Texte und der historischen Umwelt basiert.23 Ausgehend von Bolingbrokes Kritik „in seinen 21 A. a. O., S. 3–4. Less differenziert in § 6 der Einleitung über die Art der Beweisführung zwischen zwei Wegen, auf denen Gott die Göttlichkeit einer Religion bestätigen kann: durch „ein lebhaftes inneres Gefül der Göttlichkeit jener Lehre“ („inneres Zeugnis“) und „äusserlich durch Wunderwerke und Weissagungen“ („äusseres Zeugnis“). Da das „innere Zeugnis“ jedoch leicht mit „Einbildung“ oder „Empfindung“ verwechselt werden könne, habe, so Less, die lutherische Lehre – im Gegensatz zu den Reformierten – lediglich das äußere Zeugnis als Beweismöglichkeit gegen andere gelten lassen (vgl. a. a. O., Einleitung, § 6: Wie dieser Beweis von ihrer Göttlichkeit und Wahrheit am besten zu führen, S. 58–60). 22 Zu den einflussreichsten Religionskritikern zählt Less Herbert von Cherbury, Thomas Hobbes, John Toland, Anthony Collins, Thomas Woolston, David Hume, Matthew Tindal, Thomas Morgan, Bernard Mandeville, Thomas Chubb, Henry St. John Bolingbroke, Charles Louis de Secondat de Montesquieu, Jean-Jacques Rousseau und Voltaire. Voltaire wird dabei von Less aufgrund seiner „gleichsam zur Mode gewordene Einwürfe“ bereits im Vorwort gesondert hervorgehoben. „Da seine [gemeint ist Voltaires] Schriften am häufigsten und begierigsten gelesen und geglaubet werden“ (Less, Beweiß der Wahrheit der christlichen Religion [1768], S. 37), sah Less sich veranlasst, eine separate Veröffentlichung unter dem Titel Nöthige Erinnerungen an die Leser der Voltairischen Schriften (1771) herauszugeben. Darin beklagt Less hinsichtlich der Rezeption der religionskritischen Schriften Voltaires, dass „ein grosser Theil seiner Leser durch die einnehmende Schreib-Art bezaubert, und durch das Positive in seinen Aussprüchen eingeschläfert oder betäubet, gleich jenem Streiter das Christenthum und Bibel geradezu für ungereimt hält und erkläret, ohne jemals das Christenthum geprüfet und die Bibel gelesen zu haben“ (Less, Nöthige Erinnerungen, S. 3). Das Verhältnis zwischen Voltaire und den englischen Deisten beschreibt Less folgendermaßen: „Collins, Morgan, Chubb, Tindal und Bolingbroke Schriften sind die grossen Rüstkammern, woraus Herr von Voltaire das schwere Geschütz entlehnet; wärender Zeit sein Witz ihm, zum Necken, das kleinere Gewehr liefert. Die Einwürfe jener schwerfälligen Engländer in einem leichten französischen Kleide nach Voltairischer Art werden bald als melanges philosophiques historiques et critiques, bald als Philosophie de l’histoire, bald als dictionnaire philosophique portatif, bald als Evangile du Jour der Welt vorgeleget, und so aus einem Werke ins andere unaufhörlich, ofte mit eben denselben Worten abgeschrieben“ (Less, Beweiß der Wahrheit der christlichen Religion [21773], S. 39). Wie wirkungsreich unter den Zeitgenossen dabei die Religionskritik Bolingbrokes gewesen sein muss, zeigt der Umstand, dass Less den Beweis der Authentizität in Auseinandersetzung mit Bolingbrokes Letters on the study and use of history beginnt (vgl. Less, a. a. O., S. 83). 23 „Wer mit den Schriften des Alterthums sich viel beschäftiget, und der Denkungsart und Sitten desselben recht kundig ist: dem wird schon sein Gefühl beim Lesen dieser Schriften Bürge davor seyn; daß sie kein Werk eines Betrügers sind, sondern ohngefähr im Ersten Jahrhunderte verfertiget worden: so wie ein Kenner der schönen Künste einem Gemählde, einer Statue, einer Gemme, es gleich ansehen wird, ob es ein Werk des Alterthums? ein Original? oder eine blosse Kopei, und jüngeren Ursprungs ist“ (a. a. O. [1768], S. 85–86).
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VII. Die Debatte um Gottfried Less
vortrefflichen Briefen über die Geschichte“, die Theologen hätten ihre historischen Zeugnisse alle voneinander abgeschrieben und als Bestätigungen herangezogen, widmet Less unter Prüfung zahlloser frühchristlicher Quellen die ersten 170 Seiten seines Werkes dem Aufweis der „Authenticität des Neuen Testaments“ sowie „der Glaubwürdigkeit der Verfasser des N. T.“. Soll eine Religion bei erwiesener historischer Glaubwürdigkeit ihrer Schriften Wahrheitsgeltung beanspruchen können, so dürfen nach Less ihre Lehren der Vernünftigkeit nicht widersprechen. Aus diesem Grunde wird dem eigentlichen Geschichtsbeweis zunächst eine umfangreiche Untersuchung über die Vernunftgemäßheit der biblischen Lehren vorangestellt, bevor der eigentliche Beweis der Wunder und Weissagungen folgt. Bei der Prüfung der Wunder sucht Less gezielt die Auseinandersetzung mit David Hume, den er als einen „der gelehrtesten und bescheidensten, aber auch gefährlichsten Feinde der Wunderwerke“24 betrachtet. Aufgrund der zentralen Bedeutung, die Less dem Wunderbeweis einräumt, bezeichnet er Humes „Abhandlung von Wunderwerken“25 als „unter denen Schriften gegen die Religion die allergefährlichste“, weil dieser von der hehren Absicht ausgehe, beweisen zu wollen, dass die Religion „nicht auf Vernunft, sondern allein auf Glauben gegründet“26 sei. Die Unvereinbarkeit der Erfahrung der Naturgesetze einerseits und des Berichts der Wunder andererseits, wie Hume sie behaupte, muss nach Less allerdings dazu führen, dass die „christl. Religion bei allen vernünftigen und denkenden Wesen nothwendig verächtlich“27 gemacht werde. Humes Argumentation bestätigt dabei für Less lediglich Burignys Vorwurf der Irrationalität der christlichen Religion. Less’ Konzentration auf Humes naturwissenschaftliche Wunderkritik mag darauf hindeuten, dass Less in der Spannung zwischen der biblischen Überlieferung und der erstarkenden Eigengesetzlichkeit der empirisch argumentierenden Naturwissenschaften die eigentliche Herausforderung für das Schriftverständnis erkannte. In seiner Kritik an den Wundererzählungen verwies Hume genau wie bereits Bolingbroke in seinen Letters on the study and use of history auf die jüngsten Berichte der Entstehung unzähliger Wunderberichte um den Jansenisten François de Pâris.28 Die legendenhaften Schilderungen von wunderwirkenden Reliquien, A. a. O., S. 15. David Humes Traktat Of miracles findet sich als 10. Essay seiner 1748 erschienenen Phi‑ losophical essays concerning human understanding (1748) und war bereits 1755 in einer ersten deutschen Übersetzung erschienen. 26 Less, Beweiß der Wahrheit der christlichen Religion (1768), S. 362. 27 Ebd. 28 Vgl. Hume, Philosophical essays concerning human understanding, S. 195. Ebenso Bolingbroke, Letters on the study and use of history, S. 101–102. Less versucht sich in dem ideologisch geführten Streit zwischen Jansenisten, die die Wunder des François de Pâris als Bestätigung ihrer Theologie betrachteten, und den Jesuiten, die dieselben bestritten, aufgrund von eigenständigem Quellenstudium eine differenzierte Meinung zu bilden. Als Grundlage der 24 25
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spontanen Heilungen und massenhaften Pilgerfahrten galten Hume als Beweis dafür, dass, wenn solch ein Aberglaube unter den Augen der zeitgenössischen aufgeklärten Öffentlichkeit in Paris möglich sein sollte, die Glaubwürdigkeit der Wunder Jesu „unter den kindisch-abergläubigen Juden zu Jerusalem“ weitaus geringer sein müsse. Less hält diesen Einwand gegen die Glaubwürdigkeit der Wunder Jesu für überaus gewichtig und prüft daraufhin jeden der Pariser Wunderberichte in einer 60-seitigen Analyse, um am Ende festzustellen, dass diese Wunder „demnach auf keine Weise mit irgend einiger Vernunft und Billigkeit den christlichen Wundern gleich geschätzet, und noch viel weniger für eben so stark, als diese, bewiesen gehalten werden“.29 Während Less in der ersten Ausgabe von 1768 noch die Unsicherheit der historischen Bezeugung der Pariser Wunder in den Vordergrund stellte, liefert er in der zweiten Ausgabe weitere Erklärungen für die Analogielosigkeit der biblischen Wunder. Gegen die Glaubwürdigkeit der Pariser Wunder sprechen nach Less unter anderem die spezifischen Umstände der Stadt Paris, die zwar in Hinsicht auf die Künste und Wissenschaften recht weit entwickelt sei, aber „in Absicht der Religion liegen Vornehme und Niedrige unter der Sklaverei des Aberglaubens und der Wunder-Sucht: und die wenigen aufgeklärten Köpfe dürfen es noch immer nicht wagen diesen Götzen anzugreifen“.30 Einen wesentlichen Unterschied zwischen den Wundern des François de Pâris und den Wundern Jesu sieht Less dabei in der fehlenden rationalen Zweckbestimmung der französischen Wunder, wohingegegen die Wunder Jesu die Bestätigung seiner Lehre verfolgten. Nach Less hatten die Wunder des François de Pâris „gar keinen vernünftigen Zweck. Der vorgegebene Wundertäter verrichtete erst nach seinem Tode die Wunder, ohne sie bei seinem Leben vorhergesaget und die Lehre angezeiget zu haben, zu deren Bestätigung sie geschehen solten“.31 Indem die Wunderwerke Jesu als göttlich identifiziert werden können, ist zugleich auch Jesu Lehre als göttlich legitimiert. „Die Wunderwerke Jesu beweisen folglich nicht allein, daß alles, was er in Sachen der Religion geredet, Offenbahrung Gottes und Untrügliche Wahrheit ist; sondern auch zugleich 1) die Wahrheit der im N. T. erzälten Wunderwerke der Apostel, und 2) die Inspiration aller Bücher des N. T. – Hiedurch wird die Gewißheit und Auctorität der christlichen Religion gar sehr verstärkt“.32
Auf Burignys Einwand, die Komplexität des historischen Beweises widerspreche der Universalität des Wahrheitsanspruches des Christentums, geht Less in der zweiten Auflage seines Werkes ausführlicher ein und verweist darauf, dass die historischen Untersuchung dienten Less dabei zum einen die dreibändige projansenistische Darstellung in Louis Basile Carré de Montgéron, La Vérité des miracles, operés à l’intercession de M. de Paris et autres appellans (1737–1747), als auch die seines Kritikers Antoine Des Voeux, Critique generale du livre de Mr. de Montgeron sur les Miracles de Mr. l’Abbé de Paris (1740). Explizit kritisiert Less von Mosheims Untersuchung der Wunder des François de Pâris, die sie alle als bloße Erfindungen verurteilte: „Ich habe schon oben bei dem Leben dieses jansenistischen Heiligen angemerkt: daß diese [d. h. von Mosheims] Urtheile viel zu hart, ja offenbahr ungerecht seyn“ (Less, Beweiß der Wahrheit der christlichen Religion [1768], S. 561). 29 Less, Beweiß der Wahrheit der christlichen Religion (1768), S. 576. 30 Less, Beweiß der Wahrheit der christlichen Religion (21773), S. 547. 31 A. a. O., S. 548. 32 A. a. O., S. 618.
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Vernünftigkeit der Lehre und ihre Bestätigung durch die Wunder für jeden leicht einzusehen seien, wenn auch in unterschiedlichem Grade.33 Aus eben dem Grunde, warum Er nicht die Kinder zu Männern, die Menschen zu Engeln machet; die Wissenschaften und Künste nicht anders als sehr langsahm, allmälig und späte erfinden lassen; den Huronen und Hottentotten an Fähigkeiten und Gelegenheiten zur Seelen-Cultur, weit unter den Deutschen und Engländer gesetzet; nicht alle Menschen zu Montesquieu’s, Newtons, Hallers machet.34
Less beantwortet also die Frage nach der ausbleibenden universalen Wahrheitserkenntnis unter Verweis auf verschiedene Stufen der kulturellen Entwicklung. In dieser seiner Antwort zeigt sich darüber hinaus aber noch viel mehr: Das kulturgeschichtliche wie erkenntnistheoretische Fortschrittsdenken hatte sich bereits zu einem – auch von Less theologisch akzeptierten – neuen wissenschaftlichen Paradigma entwickelt.
4. Die Rezeption von Less’ Beweiß der Wahrheit in theologischen und gelehrten Zeitschriften 4.1 Theologische Berichte von neuen Büchern und Schriften (Danzig) Den mit knapp 20 Seiten ausführlichsten Bericht über Less’ Beweiß lieferten die in Danzig von Ernst August Bertling herausgegebenen Theologischen Berichte von neuen Büchern und Schriften in ihrer Ausgabe von 1770. Hervorgehoben werden darin Less’ „seltene Wahrheitsliebe und Unparteylichkeit“ und dessen strenge Prüfung auch derjenigen, „die sonst ihrer Heiligkeit, Alters oder Märtyrertodes wegen über alle Beurtheilung hinausgesetzt zu seyn schienen“.35 Trotz seiner oftmals scharfen Kritik an den Deisten sei ihm seine argumentative Ausgewogenheit hoch anzurechnen. Denn er gestehe diesen, wo sie seines Erachtens Recht hätten, den Wahrheitsgehalt ihrer Argumente zu. Besonderes Lob erhält Less’ Freispruch der neutestamentlichen Schriftsteller vom Verdacht der Schwärmerei, der als explizite Abgrenzung vom Enthusiasmus religiöser Gruppen wie Montanisten, Quäkern oder Wiedertäufern gedeutet wird. Hierbei tritt die binnentheologische Auseinandersetzung um den Umgang mit religiösen Randgruppen deutlich zutage. Sowohl Orthodoxe als auch aufklärerische Theologen hatten gegen sie vielfach den Vorwurf des Enthusiasmus erhoben. Insbesondere im Hinblick auf die Herrnhuter und die anderen pietistischen Bewegungen waren sich sowohl die Orthodoxen als auch zahlreiche Aufklärungstheologen in ihrer A. a. O., S. 621. A. a. O., S. 623. 35 Theologische Berichte von neuen Büchern und Schriften 1770 (73. St.), S. 161 und 162. 33 34
4. Die Rezeption von Less’ Beweiß der Wahrheit
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ablehnenden Haltung einig, sei es, um schismatischen Tendenzen vorzubeugen, sei es, um irrationale religiöse Elemente zu verhindern. Less’ scharfe Abgrenzung der biblischen Autoren gegenüber der Schwärmerei hebt die Rezension in den Theologischen Berichten ausdrücklich hervor.36 Nach zustimmender Darstellung der verschiedenen Beweisgänge des Werkes hält der Rezensent bereits aufgrund der schieren Vielfalt des Materials die Wahrheit der christlichen Religion für hinreichend bewiesen: „Denn so viele zusammengefaßte Gründe, davon bey der Verschiedenheit der menschlichen Denkungsart bald dieser bald jener mehr Eindruck macht, geben endlich die vollkommenste Ueberzeugung von der Wahrheit; welche wir vom Hrn. Verf. unumstößlich und vortrefflich erwiesen zu seyn erachten.“37
4.2 Neue Critische Nachrichten (Greifswald) Ebenfalls positiv berichteten die Neuen Critischen Nachrichten aus Greifswald 1769 von Less’ Werk. Vor dem Hintergrund der wachsenden Religionskritik wird – trotz der bereits vielfach erfolgten Versuche, die Wahrheit des Christentums zu beweisen – die Notwendigkeit der Weiterentwicklung der christlichen Apologetik sichtlich begrüßt. Es sei „doch nicht zu leugnen, daß bey gegenwärtigem Wachsthum der zu solchem Beweis nöthigen Hülfswissenschaften mehr geleistet werden kann, und auch bey dem Anwachs theils neuer, theils geschärfterer Einwürfe gegen die Wahrheit des Christenthums geleistet werden muß“.38 36 In
seiner Definition der Schwärmer, von denen Less die neutestamentlichen Schriftsteller deutlich unterschieden wissen möchte, werden diverse kirchenhistorische und zeitgenössische Bewegungen mit dieser Terminologie negativ konnotiert: „Wem die Geschichte der Montanisten, Muhameds, der älteren Wiedertäufer, Kromwells und seines fanatischen Anhanges, der Quäcker, Jansenisten und Herrnhuter auch nur obenhin bekannt ist, der wird jeden einzelnen Zug [d. h. der Schwärmerei] darin durch viele Beispiele der Historie bestätigen können“ (Less, Beweiß der Wahrheit der christlichen Religion [21773], S. 136). Vom Verdacht der Schwärmerei spricht Less die biblischen Autoren ausdrücklich frei, wie die Theologischen Berichte betonen: „sie [d. h. die biblischen Autoren] waren nicht leichtgläubig, sondern vielmehr mißtrauisch: sie waren gewiß keine Schwärmer, als deren Charakter zu seyn pflegt, wie es die Beyspiele der Montanisten, Quäker, und Wiedertäufer ausweisen, sich für Lieblinge Gottes zu halten, in ihrem Systeme unordentlich und widersprechend zu denken, und im Vortrage dunkel und unsinnig zu reden, die geschriebene Offenbarung zu verachten, gegen alle Glaubenslehren gleichgültig, in ihrem Verfahren grausam und barbarisch, im Leiden und Martern standhaft, allen Lustbarkeiten feind, vor der Obrigkeit unklug und eigensinnig, gegen jedermann mürrisch und ungesellig zu seyn (…). Diese Stelle ist ebenfalls vortrefflich ausgeführt, und mit vieler Kürze doch so überzeugend, daß wir uns nicht erinnern, den Vorwurf des Enthusiasmus irgend besser widerlegt gelesen zu haben“ (Theologische Berichte von neuen Büchern und Schriften 1770 [73. St.], S. 170–171). 37 A. a. O., S. 180. 38 Neue Critische Nachrichten 1769 (5. Bd., 8. St.), S. 57.
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VII. Die Debatte um Gottfried Less
Übersichtlich strukturiert gibt die Rezension den Beweisgang von der „Untrüglichkeit“ der neutestamentlichen Schriftsteller über die historische Sicherheit der biblischen Berichte bis hin zur Vernunftgemäßheit der christlichen Lehren wieder und empfiehlt dem Leser das Werk eines Mannes, der „ohne wilde Hitze sich der Sache der Wahrheit annimmt“.39 Lediglich in einer Randnotiz zum Ende findet sich eine kritische Bemerkung, die zugleich ein grundlegendes Spannungsfeld der apologetischen Bemühungen von Theologen wie Less und Michaelis benennt: Ich muß noch anzeigen, daß der Hr. D. [gemeinst ist Less] uns in der Vorrede Hofnung macht, von der Feder des Herrn Hofr. Michaelis eine nicht gar zu buchstäbliche Übersetzung des A. T. zu erhalten, und wenn sein Wunsch eintrift, so wird sie nicht allein dem Grundtexte gemässer, als die unsrigen gemeiniglich, sondern auch unsern neuern Sitten, Denkungsarten und Ausdrücken angemessener seyn. Mich dünkt, ich sehe hier bey dem letzten Punkt schon manchen aus Besorgnissen den Kopf schütteln. Vielleicht sind diese Besorgnisse nicht ganz ungerecht. Denn wie orientalische Sitten, Denkungsarten und Ausdrücke unsern neuern Sitten, Denkungsarten und Ausdrücken angemessenen seyn und doch orientalisch bleiben sollen, das weiß ich nicht. Der Kunstverständige mögte sagen: das hiesse das Costüme beleidigen, oder das A. T. travestiren.40
Konzentrierte sich Less’ Werk zwar ausschließlich auf den Wahrheitsbeweis des Neuen Testaments, so vertraute er – so in seinem Vorwort – darauf, dass sich die am Alten Testament entzündende Religionskritik durch die philologische Arbeit und die kurz darauf erscheinende alttestamentliche Neuübersetzung seines berühmten und bewunderten Göttinger Kollegen Michaelis sukzessive lösen lasse. Dass sich die Differenzen zwischen den biblischen und den neuzeitlichen Denkmustern nicht mehr allgemein ohne Widerspruch durch Neuinterpretationen plausibilisieren ließen, deutet bereits der Schlusskommentar des Greifswalder Rezensenten an.
4.3 Jenaische gelehrte Zeitungen (Jena) Zustimmend äußersten sich auch die Jenaischen gelehrten Zeitungen am 3. April 1769 zu Less’ Beweiß, die ihn in „der Menge von Schriften für die Wahrheit des Christenthums“41 als herausragend betrachteten. Ohne kritische Distanz, geradezu in martialischer Diktion feiert die Rezension Less’ apologetischen Kampf.42 Dabei sieht sich der Rezensent gemeinsam mit dem Verfasser im Feld A. a. O., S. 59. A. a. O., S. 59–60. 41 Jenaische gelehrte Zeitungen 1769 (27. St.), S. 221. 42 „Nach dieser tapfern Vertheidigung der christlichen Religion stellt sich Hr. L. gegen einen neuen Anfall ihrer Feinde in Sicherheit. Er giebt ihnen die völlige Abfertigung, indem sie läugnen, daß man aus Wunderwerken und Weissagungen den göttlichen Ursprung einer Lehre mit Gewißheit beweisen könne. Zuletzt noch bringt Hr. L. die christliche Religion ihrem göttlichen 39 40
4. Die Rezeption von Less’ Beweiß der Wahrheit
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zug gegen die Ausbreitung der aufklärerischen Religionskritik. Der Anspruch auf unparteiische Darstellung wird dementsprechend gar nicht erst erhoben, wie der Rezensent zum Ende unumwunden zugibt: „Fehler in dergleichen Schriften lieber zuzudecken, als aufzusuchen und bekannt zu machen, erfordert die Billigkeit.“43 Weitaus weniger zurückhaltend als die meisten anderen gelehrten Journale lassen die Jenaischen gelehrten Zeitungen ihre apologetische Positionierung erkennen, die zugleich von der wachsenden Polarisierung in den Religionskontroversen unter den Gelehrten zeugt.
4.4 Neue Zeitungen von gelehrten Sachen (Leipzig) Auch die Neuen Zeitungen von gelehrten Sachen aus Leipzig schließen sich 1769 den wohlwollenden Stimmen an. Sie loben Less’ Beweiß vor allem als umfassende Verteidigung der christlichen Religion. Insbesondere findet Less’ Konzentration auf den historischen Beweis als zentrale apologetische Frage rege Anerkennung.44 Auf eine kritische Prüfung der Argumente verzichtet die Rezension und empfiehlt stattdessen „allen, welchen an der Wahrheit der christlichen Religion gelegen“,45 Less’ Werk aufmerksam zu lesen.
4.5 Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen (Göttingen) Am 20. April 1769 brachten die Göttingischen Anzeigen einen achtseitigen Bericht über Less’ Werk, den dessen Kollege Michaelis verfasst hatte. Dieser, von Less selbst im Vorwort in den höchsten Tönen gelobt, revanchierte sich seinerseits mit respektvoller Anerkennung. Hervorgehoben wird die Auseinandersetzung mit den Deisten, unter ihnen namentlich Bolingbrokes Zweifel an der Zuverlässigkeit der biblischen Überlieferung. Im Einzelnen gibt die Rezension Less’ Analyse und Urteil bezüglich der neutestamentlichen Apokryphen wieder, inwiefern diese zu Recht oder Unrecht nicht dem biblischen Kanon zugerechnet worden Ursprung so nahe, daß man nun mit ihm überzeugt den Schluß machen muß: sie muß unbetrüglich wahr seyn. (…) Wenn die Feinde der christlichen Religion ihre Ausfälle mit critischen Waffen versuchen; so muß man ihnen auch von dieser Seite her Stand halten und zeigen, daß man gegen sie voll zuversichtlichen Muths ähnliche Waffen gebrauchen und über sie die Uebermacht mit Vortheil behaupten könne. In dieser Rücksicht hat sich Hr L. um das Christenthum hauptsächlich verdient gemacht“ (a. a. O., S. 223). 43 A. a. O., S. 224. 44 „Es sind vornhemlich drey Stücke, die der Hr. Verf. zum Beweise der Wahrheit der christlichen Religion abgehandelt hat. Das erste ist die Authenticität des neuen Testamentes; das zweyte die Wunderwerke Jesu; das dritte die Weißagungen Jesu. Es gefällt uns, daß der Hr. Verf. seinen Fleiß vornehmlich auf diese drey Punkte gewendet hat, denn wir glauben mit ihm, daß am Ende darauf alles ankömmt“ (Neue Zeitungen von gelehrten Sachen 1769 [80. St.], S. 635). 45 A. a. O., S. 636.
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seien. Seines Zeichens akkurater Exeget und kenntnisreicher Orientalist, feiert er ausdrücklich die unparteiische, wissenschaftliche Strenge der Prüfung, der die jeweiligen Schriftstellen unterzogen werden. Less’ differenzierte Darstellung der Wunder des François de Pâris, deren Göttlichkeit er zwar bestreitet, ihnen aber dennoch einen möglichen „übernatürlichen“ Charakter zugesteht, beurteilt Michaelis zwar als nirgendwo sonst so „vorsichtig und scharfsinnig“ dargestellt, hält sie allerdings persönlich für ein Ergebnis französischer Leichtgläubigkeit.46 Mit Nachdruck empfiehlt er das Buch zur Lektüre – mit der abschließenden Aufforderung, im Anschluss die persönlichen Studien von Less fortzusetzen.47 Mit seiner äußerst wohlwollenden Rezension folgte Michaelis der Gepflogenheit der gegenseitigen positiven Rezensionen unter den beiden Universitätskollegen. Darüber hinaus kommt in der Rezension die Michaelis und Less verbindende wissenschaftliche Überzeugung zum Ausdruck, Religionskritik am wirkungsvollsten durch vertiefte historische Analyse der biblischen Texte begegnen zu können.
4.6 Allgemeine deutsche Bibliothek (Berlin) In der Allgemeinen deutschen Bibliothek besprach der Pfarrer Samuel Christian Lappenberg (1720–1788) 1770 Less‘ Beweiß wohlwollend. Less habe, anders als viele andere Apologeten, die zu widerlegenden Schriften selber gelesen und argumentativ nicht nur andere Apologeten kopiert. Dies allein schon macht den Beweiß für Lappenberg zu einem „wahre[n] Originalwerk“. Durchgehend wird die stringente Argumentationsweise gewürdigt, die nichts ableitet, „als was nach allen Regeln der historischen Schließkunst daraus folgen kann“.48 Neben der Wiedergabe der zentralen Beweisgänge aus den Wundern, den Weissagungen und der Vernunftgemäßheit der christlichen Lehre hält Lappenberg die These, dass nur das Christentum überhaupt Religionswunder im eigentlichen Sinne kenne, für bemerkenswert. Ähnlich wie bereits Michaelis in den Göttingischen Anzeigen bleibt lediglich ein Vorbehalt gegen die positive Einschätzung der 46 „Die einzige Anmerkung ist uns noch gegen die Glaubwürdigkeit dieser Wunder beygefallen, daß Frankreich mehr wie andere Länder der Sitz des künstlichen Betruges, falscher Zeugnisse ihm zur Gunst, und der Leichtgläubigkeit gegen das geliebte Wunderbahre, ist. In keinen Zeitungen lesen wir so oft, von Leuten die übernatürlich lange nicht gegessen, oder sonst eine ganz wunderbahre Krankheit gehabt haben, als aus Frankreich. Wir glauben es aber auch nicht, weil der gleichen im nördlichen Deutschland, in Holland, und England nicht geschiehet. Und so konnten auch Anfangs diese Wunder in Frankreich eher ihr Glück machen“ (Göttingische Anzeigen 1769 [47. St.], S. 439). 47 „Die Wahrheitsliebe und Aufrichtigkeit, die Herr L. durch und durch herrschen lässet, sollte billig dieses Buch auch denen, die unserer Religion nicht günstig sind, anemphelen (…). Freunde der Religion aber werden ihr einen Dienst erzeigen, wenn sie die von Hrn. L. angezeigten Materien noch genauer untersuchen“ (a. a. O., S. 440). 48 Allgemeine deutsche Bibliothek 1770 (12. Bd., 1. St.), S. 238–241, hier S. 238 und 240.
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jansenistischen Wunder in Paris.49 Less wollte deren Möglichkeit gegenüber Hume in erster Linie aus apologetischen Motiven heraus verteidigen, wogegen in fast allen Rezensionen die Skepsis ihnen gegenüber überwog, da sie als Ausdruck religiöser Schwärmerei betrachtet wurden. Den Abschluss der Rezension bildet die ausdrückliche Würdigung des philosophisch-moralischen, von Less nur untergeordnet behandelten Beweises, der somit besondere Wertschätzung erfährt.50 Das gesteigerte Interesse der Allgemeinen deutschen Bibliothek am Erweis des gesellschaftlichen Nutzens des Christentums deutet mit dieser Bemerkung bereits eine veränderte Interessenlage im aufgeklärten Lesepublikum an, die auch für Less’ weiteres theologisches Wirken maßgeblich werden sollte.
5. Less’ Veränderungen in den weiteren Auflagen und die Neuedition 1784 Wie sehr Less’ Beweiß das Interesse der Zeitgenossen erfasst hatte, macht allein der Umstand deutlich, dass im Jahre 1776 bereits die vierte Auflage erschien.51 Aufgrund des Vorwurfs des Mangels an Treue zum kirchlichen Bekenntnis hielt Less bereits in der zweiten Auflage einige diesbezügliche Ergänzungen für erforderlich. Acht Jahre später, 1784, erschien der Beweiß in einer fünften, vollkommen umgearbeiteten Auflage, dazu unter einem neuen Titel: Ueber die Religion: Ihre Geschichte, Wahl und Bestätigung oder Beweiß der Wahrheit der Christlichen Religion. Sowohl der zeitliche Abstand zwischen der vierten und fünften Auflage wie die Änderung des Titels deuten bereits die systematische
49 „Es scheinet dem Rec. fast, als wenn Hr. L. S. 517. u. f. in der Lobeserhebung des Abts Paris zu weit gehet, und gegen seine feurige Liebe zu Gott, gar zu viele Ehrfurcht äussert: denn sein Heroismus war doch immer fanatisch, und alle seine Gottesfurcht voller Aberglauben. Die Ausschweifungen eines Schwärmers können nimmer wahre Liebe zu Gott seyn“ (a. a. O., S. 241). 50 „Aber das bündigste in dem philosophischen Theile dieses Buchs ist die Abhandlung §.37– 39, daß die Lehren und Vorschriften und Verheißungen der christlichen Religion, zur größten Verherrlichung Gottes, und zum größten Vortheile des menschlichen Geschlechts gereichen. Ueberhaupt sagen wir nicht zu viel, wenn wir urtheilen, daß dies Buch nicht allein den besten Schriften für die Wahrheit der Religion an die Seite zu setzen, sondern auch, was das historische betrift, alle uns bisher bekannte gleichmäßige Schriften übertreffe“ (a. a. O., S. 241). 51 Bereits im Vorwort zur zweiten Auflage, das auch in den weiteren Auflagen unverändert abgedruckt wurde, sah sich Less zu einer umfassenden Rechtfertigung gegenüber dem Vorwurf genötigt, er verzichte entgegen der Lehre der Bekenntnisschriften zum Zweck der Verteidigung der Universalität der Religion auf die Verdammung der Nichtchristen. Less wendet dagegen ein, die Bekenntnisschriften äußersten sich nirgends explizit zu dem Urteil über Heiden und Nichtchristen, er habe das Recht, „seine frohe entzückende Hoffnungen von dem ewig-seeligen Zustande seiner heidnischen, jüdischen, muhammedanischen Mit-Erlöseten, zur Ehre unsrer allgemein-wohltätigen Religion, bekannt zu machen“ (Less, Beweiß der Wahrheit der christlichen Religion [21773], Vorrede zur Zweiten Aufl., unpaginiert [gegen Ende]).
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Neuausrichtung des Werkes an. Wie grundlegend sich die theologische Großwetterlage inzwischen verändert hatte, beschreibt Less selbst in seinem Vorwort von 1784. In den Funfzehn Jahren, welche seit der ersten Bekandtmachung meiner Wahrheit der Christlichen Religion verflossen sind, hat sich der Zustand von Europa, und Deutschland insbesondere, auch in Absicht der Religion gar sehr geändert. Mit dem stets wachsenden Gebrauche der Vernunft, hat, wie unter Menschen immer geschehen ist und nicht anders geschehen kann, auch ihr Misbrauch sich vervielfältiget: und eben die edlen Untersuchungen, welche viele auf den Weg zur Wahrheit füreten, haben andere auf Irrwege geleitet. Mann ist seitdem, von Bestreitung des Christenthums und aller höhern Offenbahrung Gottes bis zur Verwerfung aller Religion; und endlich gar, bis zur Bestreitung des Daseyns Gottes fortgegangen. Nicht wenige Menschen, Frauen und Männer, sind durch das Systeme de la Nature,52 Atheisten, wenigstens ihrem Vorgeben nach geworden. Viele, selbst Lehrer des Christenthums, haben den Grossen Männern des Römischen und Griechischen Alterthums, eine ganz Vollständige und Reine Naturreligion zu-, und dem Christenthum das Verdienst abgesprochen, der Erste Lehrer derselben zu seyn. Seitdem endlich, die Schriften des Alten Testamentes mit grösserer Kentniß der Geschichte, Natur-Kunde und Philosophie untersucht worden, hat mann neue Schwierigkeiten entdeckt, und neue Zweifel erhoben: welche nicht allein den Voltaeren reichen Stoff zur Herabsezung und Verspottung dieses Aeltesten aller Bücher in der Welt darbiethen; sondern auch selbst Verehrer des Christenthums, an diesem Buche irre machen. Auf die beschriebene Art haben sich denn, zu der Verwerfung des Christenthums; auch noch, ubertriebene Erhebung der Religion Griechischer und Römischer Weltweisen; Bezweifelung und Verspottung des Alten Testaments, nebst Bestreitung der Natur-Religion, und dem Atheismus gesellet.53
Während der zweite Teil des zweibändigen Werkes im Wesentlichen eine Neuauflage seines Beweißes darstellte, fügte Less mit dem ersten Teil einen über 800 Seiten starken einleitenden Band ergänzend hinzu.54 Dass allein aufgrund des 52 Mit seiner 1770 erstmals erschienenen Schrift wollte Thiery d’Holbach den Menschen unter anderem von irrigen Vorstellungen wie denen der Religion befreien. Das breit rezipierte Werk galt als Prototyp des französischen Materialismus und wurde aufgrund seiner Religionsgefährdung in Frankreich 1770 öffentlich verbrannt (zur Rezeption Holbachs und seines Werkes in Deutschland vgl. unter anderem Knabe, Die Rezeption der französischen Aufklärung in den „Göttingischen Gelehrten Anzeigen“ [1739–1779], S. 155–165). Für wie einflussreich Less die Gedanken der Schrift hält, zeigt sich zudem in seiner Gegenwartsanalyse im Vorwort zu seinem Handbuch der christlichen Religionstheorie für Aufgeklärte (1779): „In diesen Zeiten nun; wo angesehene und rechtschaffene Lehrer des Christenthums, die Lehren von der Dreieinigkeit, der verdienstlichen Genugthuung, ja der Inspiration des N. T.; in den Staub der Schule verweisen, und in den Unrath menschlicher Zusäze hinwerfen: wo Fragmenten-Schreiber das ganze Christenthum für Fabel, und Jesum sogar für einen Betrüger ausschreien: wo die, la Metrie und Verf. des systeme de la nature; Vorsehung und Gott, Träume nennen; eine Kugel vor den Kopf zum einzigen Tröster der Leidenden, und Moder und Verwesung zur ganzen Bestimmung des Menschen machen“ (Less, Christliche Religions-Theorie fürs gemeine Leben, Vorbericht, S. VIII). 53 Less, Ueber die Religion, Bd. I, Vorrede, S. 3–4. 54 Wie Less in seiner Vorrede betont, waren ursprünglich drei Bände geplant, wobei der dritte nicht mehr zur Ausführung gelangte. Anders als der erste Band, welcher in Form einer historischen Religionsanalyse einen wesentlichen weiteren Zusatz bedeutete, sollte jener dritte Band lediglich eine ausführlichere Prüfung bereits erfolgter Beweise mit sich bringen.
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schieren Umfangs sowie der immer detaillierteren Ausarbeitung der Beweise die Lektüre einem allgemeinen Publikum nicht mehr möglich sein würde, erkannte Less bereits selbst.55 Geschrieben ist das Werk stattdessen zu dem Zweck, den Theologen, Gelehrten und dem übrigen ganzen fähigern, kultivirteren Theile der Menschen beides Geschlechts, allen denen mit einem Wort, welche ihren Verstand durch Lektur angebaut und zum Nachdenken gewönt haben (…) eine vollständige Anweisung [zu] geben, sich in der Ueberzeugung vom Christenthum, und in der Ausübung desselben so feste zu sezen, daß kein Zweifel der Schriften und Gesellschaften unsrer Zeit, sie darin irre machen könne.56
Bereits der grundlegend veränderte Aufbau des Werkes deutet darauf hin, für wie tief Less die Umbrüche in der Wahrnehmung der Religion in der gebildeten Öffentlichkeit hielt. Setzte die vierte Auflage 1776 noch unmittelbar mit der Verteidigung der Offenbarung gegenüber einer Vernunftreligion ein, so hielt es Less im ersten Band der fünften Auflage unter dem Titel Ueber die Religion für geboten, bereits mit einer Erörterung über den Sinn und Zweck von Religion an sich zu beginnen. Die Notwendigkeit der Verteidigung der Offenbarung konnte nicht mehr als selbstverständlich vorausgesetzt werden, sondern erforderte zunächst eine individuell-anthropologisch ansetzende Argumentation. In Fortführung des bereits in seiner Dogmatik 1779 entwickelten moraltheologischen Ansatzes57 führt Less den Leser in Form von Fragen der Selbstreflexion zur Einsicht in die Notwendigkeit einer Offenbarung: Von wem hängt mein Glück ab? Woher bin ich? Und wer beherrscht meine Schicksahle? Welches ist für mich der sichere Weg, glücklich zu seyn? Wie lange dauert mein Daseyn? Und was wird nach dem Tode aus mir? Ist ein Gott? Und wenn er ist, in welcher Verbindung steht er mit mir? Oder – giebt es eine der blossen Vernunft bekandte Vorschrift, Gott zu verehren, und dadurch glücklich zu werden? Giebt es gar, eine höhere Offenbahrung der Gottheit selbst hierüber?58
Ausgehend von jener Fragestellung beschäftigen sich die ersten fünf Paragraphen des Werkes mit dem Menschen und seinem Weg zum Glück, bevor erst im Anschluss nach dem Begriff der Religion gefragt wird.59 Auf den folgenden 700 55 „Eine so Ausfürliche Abhandlung über die vernünftige Wahl der Religion, ist nicht für gemeine, oder solche Christen bestimmt, welche weder die Einwürfe gegen das Christenthum noch deren Beantwortung fassen können“ (Less, Ueber die Religion, Bd. I, Vorrede, S. 7). 56 A. a. O., S. 8. 57 Zu Less’ Praktischer Dogmatik vgl. Buettgen, Mensch und Dogma. 58 Less, Ueber die Religion, Bd. I, S. 1–2. Bezeichnend ist zudem die Tatsache, dass Less sein gesamtes Werk im ersten Paragraphen mit der Erzählung einer griechischen Fabel eröffnet, um den Leser zur Reflexion über den eigenen Tugendweg zu führen. Bewusst möchte Less somit an die Vertrautheit seiner gebildeten Leserschaft mit der Antike anknüpfen, was für den Wandel des bürgerlichen Bildungskanons ein aufschlussreiches Indiz liefert. 59 Less differenziert hier zwischen ‚objektivischer‘ Religion, womit er die Anweisungen und die Lehre von der wahren Gottesverehrung bezeichnet, und den Akt der Gottesverehrung selbst, den er „Religion im subjektiven Sinn“ nennt (a. a. O., S. 18, Anm. 7).
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Seiten liefert Less einen Abriss der Geschichte der Vernunftreligion, deren erwiesene Mangelhaftigkeit zur Geschichte der geoffenbarten Religion führt, wobei nicht nur die christliche, sondern auch die Religionen der Griechen, Römer, Perser, Inder und Chinesen in einzelnen Paragraphen behandelt werden. Hatte Less in seinem Beweiß der Wahrheit der christlichen Religion das Alte Testament noch beinahe gänzlich ausgespart, so widmet er dessen religionshistorischer Interpretation nun einen ausführlichen Exkurs. Insbesondere hierin lässt sich die Wirkung der theologisch-exegetischen Erkenntnisse, die in Göttingen durch berühmte Theologen, Orientalisten und Historiker wie Michaelis, Eichhorn, Gabler oder Heyne seit Mitte des 18. Jahrhunderts erreicht worden waren, unstrittig nachweisen. Die Lobeshymnen auf Michaelis’ historische Forschungsergebnisse und die häufige Zitation seiner Orientalischen und exegetischen Bibliothek ebenso wie die Verwendung des „Poesie“-Begriffs in der Deutung der ersten elf Kapitel der Genesis zeugen vom lebhaften wissenschaftlichen Austausch zwischen den Göttinger Fakultäten.60 Infolgedessen werden die restlichen Kapitel der Genesis von Less lediglich noch als „Particular-Geschichte der Israeliten“61 bezeichnet mit dem chronologischen Zusatz: „vom Abraham ihrem ersten und berümtesten Stammvater, bis zum Tode Josephs: ein Zeitraum von 286 Jahren“.62 In diesem Nebeneinander drückt sich das spannungsvolle Verhältnis von poetischer und historischer Interpretation aus, die in Less’ Exegese des Alten Testaments keineswegs einheitlich gelöst wird.63 Unter Verwendung des Fortschrittsmodells sucht er Vorbehalte der aufgeklärten Leser gegenüber der archaischen Bilderwelt des Alten Testaments zu entkräften und dessen Formulierungen als „Kindersprache“ der Menschheit zu erklären.64 Für Less sprechen gerade die Sperrigkeit und 60 Vgl. Smend,
Johann David Michaelis und Johann Gottfried Eichhorn – Zwei Orientalisten am Rande der Theologie; Hartlich/Sachs, Der Ursprung des Mythosbegriffes in der modernen Bibelwissenschaft, S. 11–47; Marino, Praeceptores Germaniae, S. 267–299. 61 Less, Ueber die Religion, Bd. I, S. 250–251. 62 A. a. O., S. 321. 63 „Zunächst ist es auffallend, daß die Elf ersten Kapitel dieses Buchs (ich meine den Pentateuchum) welche Fragmente der Universal-Geschichte enthalten, mit Poesie, und zwar der allerältesten, ganz angefüllet sind. Poesie, das heißt Sinnen-Vortrag; war, wie wir im Folgenden sehen werden, und auch schon die Natur des Menschen lehret, die Allerälteste und Erste Sprache des Menschen. Der Mensch, der in seinem Kinderstande, noch fast ganz Sinnlich war, drückte sich auch, ganz Sinnlich, oder wie mann es hernach nannte, in Tropen und Figuren aus: war in seiner Sprache bald zu kurz aus Mangel bestimmter und vollständiger Begriffe, und bald zu weitschweifig aus Mangel der Ordnung im Denken: und wiederhohlte einerlei, besonders die auffallenden Sprüche mehrmahls. So sahe die Aelteste, Früheste Sprache aus; sie war, was wir nun, Poesie nennen. So ist es noch bei den so genannten Wilden“ (a. a. O., S. 249–250). 64 „Diese Religions-Lehren sind, ferner, in der Kinder-Sprache ausgedruckt; mit allen den sinnlichen Vorstellungen, und Ausdrücken, die den Kinder-Verstand von dem Männlichen unterscheiden. (…) Mangelhaft und sinnlich ist, endlich, auch ihre Moral. (…) Eine solche Unvollständigkeit des Unterrichts, nebst der, – (nicht Billigung, oder Einflössung, sondern) Gestattung und Duldung mancher Irrthümer und Sünden machte, der damahlige Kinder-Stand des Menschen-Geschlechts nothwendig“ (a. a. O., S. 349–350).
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Fremdheit vieler alttestamentlicher Stellen für deren Authentizität als religiösem „Elementar-Buch“,65 das in seinen theologischen und moralischen Lehren sowie seinem poetischen Ausdruck selbst den berühmtesten antiken Autoren überlegen sei.66 Andere religiöse Offenbarungsansprüche werden dagegen als „Staats-B etrügereien“67 (griechische Orakel), „Sammlung von Albernheiten“68 (persische Religion) oder „elendes Geschmiere“69 (Schujing, chinesisches Religionsbuch) diffamiert bzw. als Kopie biblischer Einsichten bezeichnet (Koran).70 Neben der gegenüber den vorherigen Auflagen signifikant gewachsenen Bedeutung des Religionsvergleichs gewinnt nun auch das Argument der quantitativen Verbreitung des Christentums wesentlich an Gewicht.71 Darüber hinaus sucht Less in einem Exkurs anhand religionshistorischer Quellen aus den ersten vier Jahrhunderten die öffentlichkeitswirksamen Vorwürfe Voltaires und Bolingbrokes72 zu widerlegen, die Ausbreitung des Christentums habe nur Nach65 A. a. O.,
S. 361, Marginalie. Der Begriff „Elementarbuch“ findet sich erst in der Ausgabe von 1784 und deutet darauf hin, dass Less ihn aufgrund von dessen prominenter Funktion in Lessings 1780 erschienener Erziehung des Menschengeschlechts übernommen hat. 66 „Jeder Leser von Geschmack, jeder der den Homer, Pindar, und Virgil, mit Wohlgefallen, Bewunderung, und Begeisterung ließt, muß es fülen: und selbst Damm und Voltaer gestehen es, daß das A. T. wahre Meisterstücke von Poesie enthält. Der Gesang Mosis z. B. 5Mose 32, übertrift selbst nach Damms Urtheil, (vom Historischen Glauben I, 195) alles, was wir bei Auswärtigen Schönes, Erhabenes, Hinreissendes kennen. Die meisten der Hymnen, die uns unter dem Nahmen der Psalmen bekandt sind; kommen den Geistvollen Gesängen des Pindarus und Kallimachus, im Ausdruck völlig bei: in Sachen aber, lassen sie sie weit hinter sich zurück“ (a. a. O., S. 362). 67 A. a. O., S. 393. 68 A. a. O., S. 405. 69 A. a. O., S. 436. Die Analyse der chinesischen Religion und ihrer chronologischen Überlieferung erfährt bei Less eine besondere Aufmerksamkeit, da die chinesische Kultur wie deren der Bibel widersprechende Chronologie von Voltaire und den jesuitischen Missionaren als vorbildlich dargestellt wurden. Less beruft sich in seinen Bewertungen der chinesischen Kultur dagegen unter anderem auf die kritischen Urteile in den Universalgeschichtswerken seiner Göttinger Kollegen Christoph Meiners, Historia doctrinae de vero deo omnium rerum auctore atque rectore (1780); Johann Christoph Gatterer, Abriß der Universalhistorie (1765); August Ludwig Schlözer, Universalhistorie (2 Teile, 1772–1773). „Diese glaubwürdigen Berichte zeigen uns die Nation der Sinesen; als Gözen-Diener, die noch jezt auf einer sehr niedrigen Stuffe der Cultur stehen: und ihr Göttliches Buch, den Schuking, als ein elendes Geschmiere. In dem Alten Testament höret mann Philosophen reden; und in dem Schuking, Schul-Knaben. – Wie verschieden ist dieses Bild von dem romanhaften Ideal, das uns Jesuiten, die im sechzehnten Jahrhunderte dahin kamen, und Voltaere; jene, um ihre Missionen zu verherrlichen, und dieser, um das Christenthum zu schmähen, aufgestellet haben!“ (Less, Ueber die Religion, Bd. I, S. 437) 70 Vgl. a. a. O., S. 467. 71 „Die wundervolle Gründung und Ausbreitung des Christentthums, ist der einleuchtendste Beweiß – der höchsten Glaubwürdigkeit der Geschichte und darauf gebauten Religion des Neuen Testamentes“ (a. a. O., S. 695). 72 Less verweist in seinem Werk explizit auf die Schriften Voltaires und Bolingbrokes, wohl in erster Linie aufgrund des hohen Bekanntheitsgrades ihrer Thesen. Insbesondere gegen die Behauptung aus Voltaires Traité sur la tolerance, dass die Intoleranz eine „Tochter des Christenthums“ sei (a. a. O., S. 702), wendet sich Less und führt eine Liste historischer Gegenbeispiele
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teile und Intoleranz in eine zuvor tolerante Umwelt gebracht.73 Den Verfall der Religion und das Aufkommen der Intoleranz im Christentum führt Less sowohl auf eine verderbliche Synthese der christlichen Religion mit philosophischen Religionssystemen in der Alten Kirche zurück als auch auf die konstantinische Wende. So lange mann nun, die christliche Lehre unverfälscht beibehielt, konnte mann nicht anders, als ein Reines und Vollständiges System der Natur-Religion lehren §.14 f. Und so finden wir es auch in den Schriftstellern der drei ersten Jahrhunderte. Aber sehr frühe fieng mann schon an, das Christenthum mit platonischen und andern heidnischen Lehren und Gebräuchen zu vermengen. Mann verließ das N. T., und jeder erklärte sein Religions- System hinein, anstatt es aus demselben zu schöpfen. Seit Konstantin, dem ersten christlichen Kaiser, fürte mann gar, die schreckliche Intoleranz ein, und machte sie allmälich zu einem Grundsaz der Religion. Die Geistlichkeit maaßte sich schon im dritten Jahrhundert ungebürliche Rechte an; ward im vierten vom Konstantin, auf eine unanständige Art in ihrem Stolz und Herrschsucht gestärkt; und machte sich seit dem sechsten Jahrhundert, nach und nach zu unumschränkten Herren, die über Güter, Leben und Gewissen der Menschen, willkürlich gebothen. Und nun verschwand das ächte Christenthum aus den Schriften der Lehrer ganz; ward in eine mechanische, mönchische, und blutdürstige Religion umgebildet“
Im Zentrum der Verteidigung seines Werkes steht für Less nicht mehr allein die unmittelbare Demonstration der historischen Authentizität der biblischen Schriften, sondern auch der Erweis der moralischen Nützlichkeit der Religion des „Welt-Beglücker[s]“74 Christus für die Geschichte der Menschheit. Nachdem bestimmten biblischen Texten wie den ersten elf Kapiteln der Genesis als „Poesie“ keine historiographische Funktion mehr zukommt, tritt bei Less stattdessen nun die moralische bzw. poetische Qualität als Wahrheitskriterium an die Stelle der Historizität. Dabei verdeutlicht eine Formulierung am Schluss des Werkes, inwieweit die Profangeschichte bereits zum Bewertungsmaßstab der biblischen Geschichte geworden war. Mit dieser Geschichte der Menschheit hält die Geschichte der Biblischen Offenbahrung, augenscheinlich gleichen Schritt. Das Menschen-Geschlecht wird hier, jedesmahl seinem Alter gemäß Erzogen. Die Bibel, das Alte und Neue Testament, ist also auch in dieser Betrachtung, werth das zu seyn, wofür sie von Juden und Christen gehalten wird, – eine Unmittelbahre Offenbarung Gottes.75 an. Ähnlich lehnt er Bolingbrokes Kritik am Urchristentum und an dessen Lob der jüdischen und römischen Toleranz gegenüber dem Christentum ab (a. a. O., S. 717). 73 A. a. O., S. 220–221. 74 A. a. O., S. 469. 75 A. a. O., S. 736. Welchen Einfluss die Antikenforschung Christoph Meiners (1747–1810) und die Entwicklung der profanen Geschichtsschreibung auch auf Less’ theologisches Denken hatte, verdeutlicht ein Kommentar zu Beginn des zweiten Bandes (1785): „Langsam und ofte unmerklich; aber sicher und immer vorwärts gehen die Schritte der Natur. Alles, im Kleinen wie im Grossen, ist Entwickelung. Menschen und Zeiten können hier und dort in Einzelnen Gegenden sich verschlimmern; aber im Ganzen genommen, werden sie – immer besser. Und ein
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Diese anthropologisch-moralische Akzentverschiebung zeigt sich ebenso im Aufbau des zweiten Bandes, für den Less die vierte Auflage seines Beweißes der Wahrheit der christlichen Religion überarbeitet hatte. Fanden sich die Wirkungen des christlichen Glaubens in den ersten vier Auflagen noch im Anhang bzw. unter den „Collateralbeweisen“, so rückte er den Beweis aus den inneren und äußeren Wirkungen der Religion nun an die erste Stelle, sogar vor die Wunder und Weissagungen. Zeichnete sich für Less das Argument der „inneren Erfahrung“ in den vorhergehenden Ausgaben noch in hohem Maße durch die Gefahr der Schwärmerei und des Fanatismus aus, so sucht er den Erfahrungsbeweis nun gegen derartige Vorwürfe in Schutz zu nehmen und betrachtet ihn als dessen wesentlichen Bestandteil. Gottes Wirken an den Menschen sind die moralische Besserung und das Gefühl des Glücks, nicht die Einsicht theoretischer Wahrheiten und umfangreicher Gelehrsamkeit. Bei Prüfung und sicherer vernünftiger Beurtheilung der Göttlichkeit einer Religion muß mann von der Untersuchung ausgehen: was sie den Menschen bei ihrem rechten Gebrauch leisten kann, und wirklich leistet? Denn eine wahre von Gott stammende Religion soll der Fürer und Beglücker des täglichen Lebens des Menschen seyn. Ist nun das Christenthum dies? Eine Frage, deren Entscheidung nicht grosse Gelehrsamkeit; nicht scharfsinnige, tiefe Argumentation bedarf; sondern welche die eigene Erfahrung eines jeden Menschen entscheidet, oder wenigstens entscheiden kann!76
Die Religion stellt dabei lediglich die „Arzenei“ auf dem Weg zur Glückseligkeit dar, deren Lehren und Wirkweise der Mensch zunächst als heilsam erfährt und erst im Nachhinein in seiner theologischen Reflexion vernünftig rekonstruieren kann.77 Dem „Beweis der inneren Wirkung“ tritt dabei der „Beweis der äußeren Wirkung“ als bessernde Kraft für das gesamte Menschengeschlecht zur Seite. Der zunehmend negativen Wahrnehmung der geschichtlichen Wirkungen des Christentums unter den Gebildeten versucht Less argumentativ anhand der einleuchtender Beweiß dieser aufheiternden Wahrheit, welche die uralten Klagen über immer schlimmer werdende Zeiten beschämt, ist diese Geschichte der Menschlichen Vernunft, oder ihrer wissenschaftlichen Kenntnisse; der Kenntnisse nämlich, von Gott, dem Menschen, und der Welt.* [vgl. folgende Fußnote hierzu:] *) Die Bibel kann hier nicht als Quelle gebraucht werden; da die Religions-Kenntnisse, welche sie enthält, nach ihrer Angabe aus einer Unmittelbahren Offenbahrung der Gottheit geflossen sind. Von der andern Geschichte aber wissen wir, die Griechische ausgenommen, fast nur so viel als nichts. Auch waren die Griechen unstreitig in der Alten Welt die Allerweiseste Nation. Wir können also ihre Geschichte zum Maaß-Stabe hier nehmen; und sie für die Geschichte der Menschlichen Vernunft überhaupt halten. – Ich werde hiebei, das in meiner Geschichte der Religion schon empfohlne vortrefliche Werk des Hrn. Prof. Meiners, über die Geschichte der Wissenschaften in Griechenland und Rom, öfter brauchen, ohne es gerade immer zu nennen; und das hinzufügen, was ich aus eigener Lektur der Alten gesammelt habe“ (Less, Ueber die Religion, Bd. II, S. 2–3). 76 A. a. O., Bd. II, S. 118. Vgl. weiter: „Seine Einwirkung besteht nicht darin; daß etwa der Gedanke ‚dies ist Gottes Macht! Die Religion, die Bibel ist Gottes Wort!‘ in uns entstehe, und mit grosser Stärke uns gleichsam zum Beifall hinreisse. Nur Besserung, Heiligung und daraus fliessende Beglückung: dies und nichts anders wirket Er“ (a. a. O., S. 132). 77 Vgl. a. a. O., S. 129.
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Unterscheidung zwischen Anspruch und Wirklichkeit zu begegnen.78 So sei die „evangelische Lauterkeit“ des Christentums bereits seit dem zweiten Jahrhundert unter anderem durch philosophische Synthesen, dogmatische Streitigkeiten, die Folgen der konstantinischen Wende sowie das Aufkommen des Mönchtums verdeckt worden. In deutlich konfessionell geprägter Perspektive betrachtet Less das Christentum erst im 15. und 16. Jahrhundert in einem historisch begrenzten Moment durch Reformatoren wie Wycliff, Huß, Luther, Melanchthon, Zwingli, Oekolampad oder Calvin als partiell gereinigt.79 Die Angriffe auf die Religion gehen dabei in erster Linie auf die religiösen Irrtümer der „Papisten“ und „Partikularisten“ zurück, werden aber auch mit dem nachreformatorischen Rückfall in die Orthodoxie begründet, so dass die negativen Wirkungen nicht dem Christentum selbst, sondern lediglich Formen seines falschen Selbstverständnisses zuzuschreiben sind.80 Mit dem Erweis der beglückenden inneren und äußeren Wirkungen des Christentums leitet Less zum Beweis der Wunder und Weissagungen über. Denn es dürfe „der aufgeklärtere Forscher“ nicht bei jener „Innern Vortreflichkeit stehen bleiben; welche das Christenthum einer höhern Offenbahrung Gottes würdig macht. Er muß noch einen Schritt weiter gehen; und die Untersuchung hinzusezen, ob sie – so Etwas auch Wirklich sey?“81 Bezüglich der „inneren und äußeren Wirkungen“ der Schrift spricht Less lediglich davon, dass diese „in einem hohem Grade wahrscheinlich“ seien, während sie erst durch die „unleugbahr-göttlichen 78 Wohl aufgrund seiner weitreichenden Wirkung unter den Gebildeten seiner Zeit sieht Less sich an dieser Stelle veranlasst, auf Lessings Darstellung des Christentums zur Zeit der Kreuzzüge in dessen Nathan der Weise einzugehen: „Aber mann müste sich mit Lessing vorgenommen haben; das Christenthum selbst unter das Judenthum und den Muhammedismus herabzusezen: (…) Kein vernünftiger Mann, beurtheilt die Sitten einer Nation nach den Verbrechern in ihren Gefängnissen; oder ihre Kenntnisse nach den Rasenden in ihren Irrhäusern. Kein Billiger legt der Arzeneikunde zur Last, was herumstreichende Quacksalber thun“ (a. a. O., S. 148). Ausdrücklich genannt werden an dieser Stelle auch die in Burignys Examen critique beschriebenen Grausamkeiten der spanischen Eroberung in Südamerika (a. a. O., S. 162). Dem gegenübergestellt wird eine ausführliche Passage aus Montesquieus L’esprit des loix, in welchem dieser die zivilisatorischen und weniger despotischen Errungenschaften der Herrscher des christlichen Äthiopiens gegenüber seinen muslimischen Nachbarländern hervorhebt (a. a. O., S. 147). 79 Vgl. a. a. O., S. 157. Die konfessionelle Bindung seiner kirchengeschichtlichen Perspektive wird bereits durch die Hinweise auf die von ihm zugrunde gelegten Quellen deutlich, die er mit Matthias Flacius’ Catalogus testium veritatis (1556) und Johann Gerhards Confessio catholica (1679) angibt (vgl. a. a. O., S. 156). 80 „Solche [positiven] Wirkungen hat das Christenthum schon seit seinem Daseyn bei vielen Millionen von Menschen gehabt; hat sie noch täglich an Tausenden; muß sie seiner Natur nach, und wird sie auch unausbleiblich bei einem jeden haben, der es mit Sorgfalt lernt, und mit Treue ausübt. Aber nicht lange blieb es in seiner Reinigkeit. After-Philosophen, Mönche, Schwärmer, und heuchlerische Orthodoxisten, entstellten es schon seit dem zweiten Jahrhundert; vermengten es mit den abscheulichsten Irrthümern; verkehrten es ganz in ein trockenes Formular, leeres Caerimoniel; ja gar in einen Frei-Brief aller Laster“ (a. a. O., S. 145). 81 A. a. O., S. 167.
6. Die Wahrnehmung der Neufassung in theologischen und gelehrten Zeitschriften
255
Wunderwerke[…] und Weissagungen“82 in ihrer Göttlichkeit „Gewiß“ würden. Die Notwendigkeit des Weissagungs‑ und Wunderbeweises hebt Less noch einmal anhand eines ausführlichen Zitats Bolingbrokes in dessen Letters on the study and use of history hervor.83 Bolingbrokes zentrales Argument seiner deistischen Offenbarungskritik bestand in der Feststellung, dass aufgrund der historischen und moralischen Widersprüche insbesondere des Alten Testaments die Basis des Christentums, ebenjene historisch überprüfbaren „Begebenheiten“, nicht gegeben sei. Für das Neue Testament suchte Less durch die Wunder und Weissagungen Jesu gerade jene Begebenheiten liefern zu können, während der historische Anspruch für die ersten elf Kapitel der Genesis bereits aufgegeben und durch das Argument relativer moralischer oder poetischer Höchstgeltung abgelöst worden war. Die deutliche Verlagerung des Erfahrungsbeweises in seiner argumentativen Vorrangstellung vor den Beweis durch Wunder und Weissagungen zeigt klar an: Vor dem Hintergrund der immer weitreichenderen Religionskritik verschiebt sich – trotz des Festhaltens am historischen Weissagungs‑ und Wunderbeweis – die Begründung für den Glauben an die Göttlichkeit der Schrift zunehmend an den Ort der Erfahrung des individuellen Subjekts.
6. Die Wahrnehmung der Neufassung in theologischen und gelehrten Zeitschriften 6.1 Journal für Prediger (Halle) Das Journal für Prediger aus Halle berichtete 1785 auf acht Seiten von Less’ fünfter Auflage seines Beweißes, dessen Bekanntheit durch die Berichte anderer Periodika bereits vorausgesetzt wurde. Die Tatsache einer fünften Auflage wird dabei als ermutigendes Zeichen dafür gewertet, dass doch noch zahlreiche wahre Christen existieren müssten. So weiß der Rezensent persönlich von einigen Zweiflern, die in ihrem Glauben durch das Werk gefestigt worden seien. Hoffnungsvoll äußert er die Erwartung, dass das Werk kraft seiner Widerlegung noch viele stärken werde, die „sich nach Ruhe und Gewisheit, wie der Schiffer nach dem Hafen sehnen“.84 Die Rezension liefert keine kritische Besprechung des Inhaltes, sondern beschränkt sich auf einen ausführlichen Auszug aus dem Vorwort der fünften A. a. O., S. 168. Religion, sagt Mylord Bolingbroke, – welche sich auf das Ansehen einer göttlichen Sendung gründet; und durch Weissagungen und Wunderwerke bestätiget worden: beruft sich auf Begebenheiten. Und diese Begebenheiten müssen, so wie alle andere Begebenheiten die mann für wahr hält, bewiesen werden. – Sind sie So bewiesen: so wird die Religion ohne alle tiefe Schlüsse bestehen“ (a. a. O., S. 169–170). 84 Journal für Prediger 1785 (17. Bd.), S. 332–339, hier S. 333. 82
83 „Eine
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VII. Die Debatte um Gottfried Less
Auflage. Darin legt Less ein umfangreiches persönliches Bekenntnis im Rückblick auf seine jahrzehntelange Beschäftigung mit Religionsstreitigkeiten ab. In konfessorischem Ton bietet Less eine autobiographische Darstellung seiner persönlichen Frömmigkeit. Im Durchgang durch die Streitigkeiten und religiösen Zweifel sei er im Laufe seines Lebens nur tiefer zur Einsicht in die Wahrheit der christlichen und insbesondere protestantischen Religion gelangt. Er betont schließlich die Vorläufigkeit aller religionskritischen Streitigkeiten und hebt folgende tiefe religiöse Einsicht hervor, die sich ihm erst bei der „Lectür des N. T. in den Stunden einsamer Morgen-Andacht“85 eröffnete: Ich weiß, daß die meisten Behauptungen dieses Werks, jetzt nicht mehr Mode sind; und vielleicht von Manchen, als veralterte, verlegene Waare werden verachtet, und weggeworfen werden. Aber die Einfachen Heil-Mittel sind darum nicht weniger heilsam, weil sie aus der Mode gekommen; und die Natürlich-Rothen Gesunden Wangen der unverdorbenen Unschuld, sind doch wirklich Schön, obgleich die Mode gebeuth, ihnen Farbe aufzusetzen. Die Zeit die alles bewärt, leitet den Menschen am Ende doch, immer wieder zu der Einfachen und Schönen Natur zurück. Und gerade so wird man; wenn gleich nicht so bald, am Ende doch gewiß, zu den Ungekünstelten, und Heilsamen Lehren der Wahrheit zurücke kehren.86
Nach weiteren Auszügen aus Less’ Bekenntnissen und Lobeshymnen auf die christliche Religion findet sich schließlich eine knappe Übersicht über die wichtigsten Zusätze und Änderungen der neuen Auflage, wobei unter anderem seine ausführliche Kritik an einer allegorischen Deutung der Wunder Jesu genannt wird. Mit seinem Schwerpunkt auf dem erbaulichen Vorwort vermeidet das Journal für Prediger eine kritische Auseinandersetzung mit der inhaltlichen Argumentation des Werkes. Es enthebt den Leser dieser Notwendigkeit mit Verweis auf die Lebensweisheit und Autorität des Autors sowie die Betonung der nicht rationalen, innerlichen Zugangsweise zur Einsicht in die Wahrheit der christlichen Religion.
85 „Denn je weiter ich in Wissenschaften fortrückte, desto mehr ward ich überzeugt: daß nur ein Unwissender und Unvernünftiger, Etwas blos darum verwerfen kann, weil es ihm Unbegreiflich ist. Die Zweifel blieben mehrere Jahre; und vermehrten sich zum Theil. Indessen aberward ich allmählig, mit dem wahren Sinn jener Lehrsätze bekannter; und fand daß sich eine sehr Vernünftige und Gemeinnützige Vorstellung davon machen lasse. Mehr als alles andere, schloß mir die Lectür des N. T. in den Stunden einsamer Morgen-Andacht auf. Hier wo ich keine entschlossene Absicht hatte, gelehrte Untersuchungen anzustellen; wo ich die Reden des Erlösers und seiner Gesandten, nach der Reihe und in ihrem Zusammenhange durchlaaß; und wo ich bloß, Herz und Verstand öfnete, um das Licht und Leben der himmlischen Wahrheit aufzufangen: hier habe ich eigentlich den ganzen Vorrath meiner Erhabensten und Seeligsten Wahrheiten eingesammlet. Und hier verschwanden auch in Absicht jener Lehrsätze, meine Bedenklichkeiten allmählich“ (a. a. O., S. 334–335). 86 A. a. O., S. 336.
6. Die Wahrnehmung der Neufassung in theologischen und gelehrten Zeitschriften
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6.2 Tübingische gelehrte Anzeigen (Tübingen) Die Bedeutung, die Less’ Werk beigemessen wurde, veranschaulicht die Anzeige des ersten Bandes in den Tübingischen gelehrten Anzeigen am 26. Februar 1784. Hier wird es als wichtigstes theologisches Werk der aktuellen Büchermesse vorgestellt. Die Rezension liefert einen ausführlichen Auszug aus Less’ Beschreibung des Verfalls der Religion in jüngster Zeit, deren Darstellung zugleich als übertrieben beurteilt wird. Gleichzeitig bringt die Beschwerde, dass sich in dem Werk zu wenige griechische und lateinische Originalzitate der antiken Religionsschriften fänden, zum Ausdruck, dass der Rezensent das Werk aus einer spezifisch gelehrten Perspektive beurteilt. Den breitesten Raum nimmt die Darstellung der Abhandlung nichtchristlicher Offenbarungsschriften ein. Hierin werden aus Less’ ausführlichen Analysen lediglich dessen teils polemische Bemerkungen wiedergegeben, um dem Leser ein kulturell rückständiges Bild nichtchristlicher Religionen zu vermitteln.87 Die Prüfung der Authentizität des Alten und Neuen Testaments erfährt dagegen keine weitere Darstellung, sondern wird dem Leser aufgrund der hervorragenden Kenntnisse des Autors zum eigenen Studium empfohlen. Die allgemeine skeptische Zukunftserwartung der Tübin‑ gischen gelehrten Anzeigen bringt deren abschließende Klage über die allseits zu bemerkende orthographische Degeneration der vergangenen dreißig Jahre zum Ausdruck, die in die Frage mündet, „obs nicht in wichtigern Sachen noch am Ende eben so geht?“.88 Am 18. Juli 1785 lieferten die Tübingischen gelehrten Anzeigen einen Bericht des zweiten Bandes, den sie als Weiterentwicklung des Werkes hin zu „seiner möglichen Vollkommenheit“89 betrachteten. Besondere Erwähnung findet darin Less’ kritischer Positionswechsel bezüglich der Wunder des François de Pâris. Um Humes umfassender Skepsis gegenüber den biblischen Wundern entgegenzutreten, hatte Less zunächst die Möglichkeit der Historizität der Wunder auch des François de Pâris zugestanden, diese aber auf den vielfach geäußerten Vorwurf der Leichtgläubigkeit hin in seiner Neuedition relativiert. Zugleich wird 87 Dies erfolgt auf besonders ausführliche Weise in der Wiedergabe von Less’ Darstellung des Islams: „Vom Ursprung des Korans S. 466. Ein Christ von der Parthey der Arianer oder Sabellianer, der in vielen Stücken der Religion aufgeklärt war, und in andern Irrthümer hegte, machte den Muhammed mit den damals unter den Christen herrschenden Irrthümern und Aberglauben; aber auch mit vielen großen Wahrheiten dieser Religion bekannt. Muhammed nahm vieles davon an. Aber als einem Manne ohne Cultur, und als einem Wollüstlinge, gefielen ihm in andern Stücken, die kraßen, kindischen und fleischlichen Fabeln der Rabbinen beßer. Und so entstand nun eine Composition von vielen reinen Lehren der Bibel, und des Christenthums insbesondere; gemischt mit manchen unschuldigen Gebräuchen seiner väterlichen Religion, aber auch mit vielen wollüstigen Vorstellungen und kraßen Irrthümern der Rabbinen und falschen Christen. Und dies ist der Muhammedismus“ (Tübingische gelehrte Anzeigen 1784 [17. St.], S. 134). 88 A. a. O., S. 135. 89 Tübingische gelehrte Anzeigen 1785 (57. St.), S. 450–456, hier S. 452.
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VII. Die Debatte um Gottfried Less
Less in seinem apologetischen Vorgehen die partielle Aufweichung dogmatischer Positionen wie beispielsweise die Relativierung der leiblichen Auferstehung der Toten vorgehalten. Nachdem Less auf den logischen Widerspruch, die Erde böte bei der gleichzeitigen leiblichen Auferstehung aller jemals Verstorbenen nicht ausreichend Platz für deren Füße, mit dem Hinweis auf deren verwandelte, geistliche Leiblichkeit reagiert hatte, so moniert der Rezensent nun, dass dies nicht in Übereinstimmung mit dem nachösterlichen Christus stehe, der sichtbare Füße besessen habe. Während Less durch Entwicklung eines bestimmten hermeneutischen Zugangs den Text für den aufgeklärten Leser rational zu vermitteln sucht, zieht es der Rezensent vor, solche logischen Widersprüche als „unauflöslich“ stehen zu lassen, anstatt sie durch philologische Konstruktionen oder hermeutische Interpretationen erklären zu wollen.90 Ausführliche Erwähnung findet Less’ Klage über die heftigen Angriffe auf das Christentum sowie die Hoffnung auf sein baldiges Wiedererblühen, bevor die Rezension mit einem Auszug aus dem persönlichen Frömmigkeitsbekenntnis in Less’ Vorwort schließt. Eine kritische Auseinandersetzung mit Less’ Beweisgang liefert die Rezension nicht. Stattdessen befürchtet sie die Aufgabe dogmatischer Positionen und beklagt die allgemeine Bedrohung des Christentums. Der immer diffiziler werdenden Auseinandersetzung um die historische Beweisbarkeit werden das persönliche Durchleben der Zweifel und die innere religiöse Überwindung des Autors entgegengehalten.91 Less’ ursprüngliche Intention, mit seinem Werk ein gebildetes christliches Publikum durch die Kenntnis historischer Fakten auf die Auseinandersetzung mit der Offenbarungskritik vorzubereiten, wird dabei durch die Fokussierung der Rezension auf dessen persönliches Frömmigkeitszeugnis überdeckt. Diese spiegelt somit vor allem die Interessenlage seitens des Rezensenten sowie seiner Leserschaft wider. Less’ persönliche Affirmation der christlichen Wahrheit erscheint zentraler als sein umfassender historischer Beweisgang.
6.3 Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen (Göttingen) Die Göttingischen Anzeigen lieferten am 23. Mai 1785 einen Bericht über die Neuedition des Werkes. Insofern boten sie hiermit eine besonders interessante Variante, als Less selbst hier auf sieben Seiten sein eigenes, überarbeitetes Werk anonym zusammenfasste.92 Der „neuere Zustand der Litteratur und Vgl. a. a. O., S. 454. die Straßburgischen gelehrten Nachrichten berichteten 1784 von dem Erscheinen des Werkes, brachten allerdings lediglich eine inhaltliche Zusammenfassung und verzichteten dabei explizit auf seine kritische Beurteilung (Strasburgische gelehrte Nachrichten 1784 [3. Bd., 10. St.], S. 107–112). 92 Göttingische Anzeigen 1785 (81. St.), S. 809–815. Zur Zuordnung Less’ zur Rezension vgl. Anm. 82. 90
91 Auch
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Menschheit“ habe es notwendig gemacht, dessen Aufbau grundlegend neu zu strukturieren und stilistisch umzuarbeiten, so „daß daraus ein ganz neues Werk entstanden, welches der Verf. durch Lektür und Nachdenken von mehr als 16 Jahren vorbereitet und gesammlet hatte“.93 Detailliert erläutert Less die Intention der Struktur. Die zu Beginn erfolgende, umfangreiche Darstellung des Inhalts der christlichen Lehre sowie ihrer historischen Entstehungsbedingungen und ihrer Beziehung zum Alten Testament hält Less insbesondere deswegen für sinnvoll, weil der überwiegende Teil der Religionskritik auf deren Unkenntnis über das Christentum zurückzuführen sei. Es folgt der eigentliche Beweisgang in drei Schritten von den Wirkungen des Christentums über die Wunderwerke bis hin zu den Weissagungen – und zwar in dieser Reihenfolge! Ausdrückliche Erwähnung findet der Erfahrungsbeweis. Dessen Wirkungen würden sowohl an der „göttliche[n] Besserung“ als auch „darauf gebaueter göttlicher Beglückung“ wie schließlich an „wohltäthige[n] Revolutionen“94 als Ausdruck der kollektiven, positiven Wirkungen des Christentums in der Geschichte sichtbar. Dass seine historisch positive Beurteilung des Christentums sowie eine optimistische Zukunftserwartung für die Entwicklung desselben der Wahrnehmung vieler Zeitgenossen kaum entsprechen, gesteht Less als Rezensent seines eigenen Werkes unumwunden zu, hält seine Hoffnung aber aufgrund „der Natur des Christenth. und Analogie der Geschichte“95 zugleich für durchaus begründet. Im Zuge seiner eigenen Revision der Bewertung der Wunder des François de Pâris sieht sich Less zur Selbstrechtfertigung genötigt, da man die Wunder aufgrund genauerer Studien inzwischen als widerlegt betrachten müsse. Um den wachsenden Vorbehalten gegenüber der historischen Wundertätigkeit Jesu zu begegnen, kündigt er an, dass das Werk auf die Frage eingehen werde, ob die Wunder allegorisch zu deuten seien oder ob sie bloß als „gutgemeynte Dichtungen“ verstanden werden könnten. Versprochen werden dem Leser von Less zudem eine kritische Untersuchung wahrer und falscher Weissagungen sowie die Präsentation außerbiblischer Quellen als unbestechlicher Beleg für die präzise Erfüllung der neutestamentlichen Verheißungen. Die Erfüllung der alttestamentlichen Weissagungen dagegen fällt lediglich unter die Kategorie der „Kollateralbeweise“. Aufgrund des breiten aktuellen Interesses an diesen Themen hebt Less die im Anhang geführte Auseinandersetzung mit den Phänomenen des Skeptizismus, Religionsindifferentismus und der Möglichkeit atheistisch begründeter Tugend hervor, wobei diese auf „psychologische und historische Observationen“96 gegründet werde. Zur Illustration, dass das Christentum nicht vornehmlich „Unruhen, Verfolgungen und Blutbäder“97 hervorgebracht habe, weist Less auf die 93 A. a. O., 94 A. a. O.,
S. 810. S. 811.
96 A. a. O.,
S. 815.
Ebd.
95
Ebd.
97
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VII. Die Debatte um Gottfried Less
verschiedenen Beispiele positiver Wirkungen des Christentums hin. Predigten im Anhang sollen dafür Anschauungsmaterial liefern. Bietet die Rezension erwartungsgemäß zwar keine eigenständige kritische Beurteilung des Werkes, veranschaulicht die zusammenfassende Darstellung des Autors jedoch Less’ deutliche Akzentverschiebung des Schriftbeweises von einer historisch-philologischen Analyse des Bibeltextes zum Erweis der individuellen wie kollektiven moralischen Wirksamkeit des Christentums. Mit dem Rekurs auf „Psychologie und Geschichte“ als empirischer Grundlage verweist die Rezension auf den Anspruch der empirisch-wissenschaftlichen Überprüfbarkeit der eigenen Thesen. In seiner Rezension der ersten Auflage von 1768 konzentrierte sich Michaelis 1769 noch wesentlich auf Less’ Widerlegung der deistischen Offenbarungskritik, indem er kumulativ die einzelnen vorgetragenen philologischen Befunde für die Echtheit der biblischen Texte auflistete. 16 Jahre später sah sich Less dazu gezwungen, hermeneutisch grundlegender zu argumentieren. Während die Rezension von 1769 Wunder und Weissagungen noch unbefangen „untrügliche Kennzeichen der Göttlichkeit einer Religion“98 nannte, so erforderten die Fortschritte in der philologischen Forschung eine Debatte um alternative Interpretationsformen und eröffneten nach Less ein „sehr weites Feld zu neuen Untersuchungen“.99 Indem der Kollektivbegriff des „Christentums“ die Rede von der „christlichen Religion“ aus der Rezension von 1769 terminologisch weitgehend ersetzte, wandelte sich zugleich das Interesse von der Prüfung religiöser Lehren hin zur Beurteilung des Christentums als eines kulturgeschichtlich relevanten Kollektivs.
6.4 Allgemeine deutsche Bibliothek (Berlin) Friedrich Gabriel Resewitz100 widmete in der Allgemeinen deutschen Bibliothek 1784 der vollständigen Neuauflage des Schriftbeweises von Less eine achtzehnseitige Rezension. Selbst aus Berlin stammend, gehörte der Theologe und einflussreiche Pädagoge zum Kreis der Aufklärer um Moses Mendelssohn und Friedrich Nicolai, mit denen er in enger Verbindung stand. Zuständig für den Bereich der Theologie in der Allgemeinen deutschen Bibliothek, trug Resewitz wesentlich zur Vermittlung einer rationalen Aufklärungstheologie bei, die das Christentum in erster Linie als Beitrag zur humanitären Erziehung verstand.101 Göttingische Anzeigen 1769 (47. St.), S. 434. Göttingische Anzeigen 1785 (81. St.), S. 811. 100 Zu Resewitz und seiner Rezensionstätigkeit für die Allgemeine deutsche Bibliothek vgl. Anm. 154. 101 Wie Waldemar Kawerau in seinem Aufsatz über Friedrich Gabriel Resewitz von 1885 andeutet, war Resewitz in der Nachwelt nur ein geringer Ruhm beschieden. Seinerzeit galt er jedoch als einflussreicher Aufklärungspädagoge. Der skandalträchtige Theologe Karl Friedrich Bahrdt beschrieb ihn 1781 in seinem Kirchen‑ und Ketzer Almanach als einen „unserer hellsten 98 99
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Aus diesem pädagogischen Interesse heraus hebt die Rezension den allgemeinbildenden Anspruch des Werkes hervor, das nicht nur für Theologen und Gelehrte geschrieben sei, sondern auch, um „dem fähigern, kultivirteren Theile der Menschen beydes Geschlechts nützlich zu seyn“.102 Resewitz rekonstruiert zunächst den Aufbau des Werkes, bestehend aus dem Beweis der natürlichen Vernunftreligion und dem darauffolgenden Beweis der christlichen Offenbarungsreligion. Kritisch äußert sich Resewitz gegenüber Less’ fundamentaler Annahme, dass menschliche Tugend den Gottesbegriff voraussetze oder gar mit Religion in eins zu setzen sei. Sollte wirklich Tugend und Frömmigkeit, Tugend und Religion einerley, gleichbedeutend seyn? Sollte es keine Tugend geben, wenn kein Gott, keine Vorsehung wäre; oder auch, wenn man so unglücklich wäre, Gott nicht zu kennen, seine Vorsehung nicht zu glauben? Scheinen hier nicht Ideen, die ihrer Natur nach verschieden sind, mit einander vermischt zu werden?103
und scharfsinnigsten Männer“ (Kawerau, Friedrich Gabriel Resewitz, S. 142). Sehr aufschlussreich sind Kaweraus Ausführungen zu Resewitz’ Einfluss auf die Allgemeine deutsche Bibliothek. Weit über dessen pädagogische Leistungen hinaus bestimmte dieser das Religionsverständnis unter den Gebildeten mit. In der Allgemeinen deutsche Bibliothek „war Resewitz ein unermüdlicher Vorkämpfer der Aufklärungsphilosophie und des theologischen Rationalismus, hier ging er mit maßvoller Besonnenheit den übereifrigen Orthodoxen zu Leibe (…). Gerade die theologischen Recensionen waren es, welche den ersten Bänden der Bibliothek ihren eigenthümlichen Charackter aufprägten und das Journal weit über das Niveau der üblichen Recensiranstalten hinaushoben. Schmunzelnd über den Erfolg seiner Bibliothek schrieb Nicolai an Thomas Abbt, er habe seine Lust, ‚wie die Freunde sich über die theologischen Recensionen ärgerten und wie das Publicum, eben dieser theologischen Recensionen wegen, die Bibliothek in den Himmel erhebe‘“ (a. a. O., S. 149–194, hier S. 185). Zur Rolle der Religion in der Allgemeinen deutschen Bibliothek schreibt Resewitz in seiner Rezension zu Joachim Johann Daniel Zimmermanns Vertheidigung seiner Schrift von der ersten Drohung Gottes, zugleich auch einiger Gelehrten, wider die allgemeine deutsche Bibliothek (Hamburg 1766): „Nun von der Religion der Bibliothek. – Die Bibliothek hat zur Absicht, dem Publiko den Inhalt und Werth neuer Schriften vor Augen zu legen, und mit der Religion eigentlich gar nichts zu thun. Aber was kann man aus den darin enthaltenen Urtheilen von der Religion ihrer Verf. und besonders der theologischen Recensenten schliessen? Wir getrauen uns zu antworten, es erhellet daraus, daß sie viel wahre Religion, und eine unverstellte Ehrfurcht vor Gottes Wort haben. Allein man muss nicht, wie Hr. Zim[mermann]. S. 90.f. Religion und lutherische Kirche für einerley halten, nicht so seltsam wie er, schliessen; als ob ausser der lutherischen Kirche über theologische Wahrheiten kein Urtheil von Gewicht gefället werden könne. Der Kritikus muß keine Rücksicht auf diese oder jene Kirche und ihre Unterscheidungslehren haben, wenn er unpartheyisch seyn will. So bald er seine Kirche und ihre Glaubensbücher mit ins Spiel zieht, so kann er nicht mehr Richter seyn, er ist Parthey. Er soll die Erklärungen und Beweise seines Schriftstellers prüfen: wonach? Nach den Glaubensbüchern der Kirche, zu welcher der Schriftsteller gehört? So ist er ein unberufener Inquisitor; und ein unberufener Inquisitor ist ein Bösewicht. Wonach denn? Nach Schrift und Vernunft: dieß sind die einzigen Probiersteine für den Forscher der Wahrheit“ (Allgemeine deutsche Bibliothek 1767 [5. Bd., 1. St.], S. 86–120, hier S. 110–111). 102 Allgemeine deutsche Bibliothek 1784 (58. Bd., 2. St.), S. 323–340, hier S. 324. 103 A. a. O., S. 325.
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Detailliert erläutert Resewitz die aus seiner Sicht bestehende Differenz zwischen Religion als der Einsicht in den Willen Gottes einerseits und Tugend als eines inneren Gefühls andererseits, welches auch ohne Gotteserkenntnis vorhanden sein könne. Zwar lässt er die Religion als verstärkende Motivation zur Tugendhaftigkeit gelten. Indem er die beiden jedoch nicht mehr kausal miteinander verbindet, stellt er implizit die Grundlage des moralischen Gottesbeweises infrage. Die Frage „Wie kann ich glücklich sein?“, mit der Less sein Werk Ueber die Religion beginnt, führt über das Glücksempfinden der Tugend nicht mehr unmittelbar zur Annahme einer göttlichen Offenbarung. Tugend kann für Resewitz religionsunabhängig existieren, während „Religion ohne Tugend aufhört Religion zu seyn, Aberglauben, Gebärdung, Mechanismus oder Unsinn wird“.104 Das Kriterium der historischen Authentizität wird zwar für die alttestamentlichen Schriften weiterhin zugestanden, erfüllt jedoch keine wahrheitsbestimmende Funktion mehr. Denn nicht mehr die Quellen selbst, sondern lediglich ihre kulturellen Wirkungen können als wahrheitsentscheidendes Kriterium gelten. Die damit einhergehende grundlegende Veränderung im Religionsbegriff manifestiert sich unter anderem in Resewitz’ Kritik der unzulässigen Reduktion einer Religion auf bestimmte Autoren und Dogmen, die eine Religion als kulturgeschichtliches Phänomen nicht adäquat repräsentiere.105 Aber wenn von Religion, und zwar von Religion des ganzen Menschengeschlechts, vor Christo die Rede ist, so kommt es, wie mich dünkt, nicht blos darauf an, was einzelne Schriftsteller darüber gesagt und gedacht haben; nicht blos darauf, wie weit sie es in der theoretischen Erkenntniß von Gott und seinem Verhältniß zu den Menschen gebracht oder nicht gebracht, auf welche Spekulationen oder Abwege sie gerathen sind, – ein Gang, den alle spekulirende Theorien, die ohne Beobachtung, Empfindung und Anschauen gebildet werden, noch bis auf den heutigen Tag zu rechnen pflegen: – sondern darauf, daß die herrschende Denkungs‑ und Sinnesart des ganzen Geschlechts, der Einfluß den die Verehrung der Gottheit – sie mag nun theoretisch richtig oder unrichtig gewesen seyn, – auf das menschliche Herz und die moralische Handlungen der Menschen gehabt, die Art und der mehrere oder mindere Grad der Tugend, welche daraus entsprossen, so weit A. a. O., S. 327. Selbst nach dem Zerwürfnis mit Nicolai gesteht Johann Gottfried Herder – trotz seiner Kritik an der Allgemeinen deutschen Bibliothek – die positive Wirkung der Religionstheorie Resewitz’ zu, die Religion nicht als Metaphysik, sondern als Teil der Kultur eines Volkes zu betrachten: „Die Allgemeine deutsche Bibliothek (die meine Freundin nicht ist und der zu Liebe ich also nicht urtheile), sollte sie wohl ganz ohne Nutzen, ganz schädlich gewesen seyn? Ich habe sie nur in den ersten Bänden gelesen: der Ton, in dem sie damals anstimmte, war allgemein verschrieen; ich möchte indeß sagen, selbst bis auf sein Fehlerhaftes hat er Gutes bewirket. Daß der Hauptrecensent B. [Resewitz] damals so wenige Ideen hatte, sich so sehr wiederholte, aber sehr deutlich, plan‑ und gemeinnützig es immer auf’s neue vortrug: ‚unnütze Spekulation sei nicht Religion, sie solle und könne nicht Religion des Volkes seyn‘, daß er bei Gelegenheit diese und jene Lehre zu simplificieren suchte etc. – sollte dies nicht bei Vielen, insonderheit Laien und Weltlichen, sein Gutes erreicht haben?‘“ (Johann Gottfried Herder, Briefe an Theophron, in: Ders., Werke, hg. v. B. Suphan, Bd. XI, S. 206). Vgl. Kawerau, Friedrich Gabriel Resewitz, S. 186. 104 105
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wir es aus den nationalen Zügen, die uns die Geschichtschreiber derselben hinterlassen haben, sammlen können, gehörig dargestellt, und Volk gegen Volk, Sinnesart mit Sinnesart, Nationaltugend mit Nationaltugend verglichen werde.106
Nicht die „Religionstheorie“ ist für Resewitz das entscheidende Kriterium, sondern „jede häußliche und bürgerliche Tugend“107 als moralische Wirkung einer Religion oder Kultur. Hatten Michaelis und Less aufgrund dieses Kriteriums das Alte Testament als in seinem Umfeld herausragend betrachtet, so hält Resewitz das jüdische Volk in vorchristlicher Zeit in seiner moralischen Entwicklung für weit hinter Ägyptern, Griechen und Römern zurückgeblieben. Deren Kultur habe weitaus mehr zur bürgerlichen und häuslichen Tugend als „nothwendige Stufe (…) zur vollkommenern Bildung des Menschengeschlechts“108 beigetragen als das biblische Volk. Resewitz wirft Less aus diesem Grunde vor, er hätte sich stärker um die Frage nach dem religiösen Einfluss auf die antiken Kulturen beschäftigen müssen und die Frage klären, warum die Griechen und Römer hierin so weit überlegen gewesen seien. In ähnlicher Weise attackiert er die Darstellung der nachchristlichen Religionsgeschichte, die lediglich auf einzelne große Denker und Systeme ziele, „aber nicht die subjektive Erkenntniß und den Grad des Einflusses, den sie [d. h. die Religion] wirklich bey dem menschlichen Geschlecht gehabt hat“,109 in Erwägung ziehe. Resewitz gesteht durchaus zu, dass man die Überlegenheit der moralischen Wirkungen des Christentums auf das Menschengeschlecht nachweisen könne, dies aber nicht durch die Analyse komplizierter Theorien und Lehren, die die meisten Menschen ohnehin nicht verstünden oder die zumindest ihrem Denken fernlägen. Gleichzeitig erhält jene Interpretation der alttestamentlichen Lehren großes Lob, die die überlieferten Geschichten und Sitten vor dem Hintergrund der orientalischen Umwelt zu deuten suche, ohne Allgemeine deutsche Bibliothek 1784 (58. Bd., 2. St.), S. 328. „Und da ist es doch sehr auffallend, daß Egypter und Griechen Zeiten, und die Römer Jahrhunderte gehabt haben, wo bey aller irrigen und fehlerhaften Theorie der Religion, Keuschheit, Gerechtigkeit und Billigkeit, Treue und Redlichkeit, Simplicität und Mäßigkeit, Aufopferung für das gemeine Beste, Verehrung der Gottheit, Heilighaltung des Endes, kurz jede häußliche und bürgerliche Tugend herrschender und geehrter gewesen sind, als bey der viel vortreflichern und erhabenern Religionstheorie und bey den großen Lehrern in derselben, unter dem Jüdischen Volke; wenn wir es anders nach dem Karakter, den wir uns davon aus ihren eigenen Geschichtschreibern und Propheten bilden müssen, beurtheilen wollen“ (a. a. O., S. 328–329). 108 Vgl. a. a. O., S. 330. 109 A. a. O., S. 332. „Es sollte aber, dünkt mich, zur vollständigen Vergleichung und Beurtheilung historisch erweißlich gemacht werden, nicht nur wie nach und nach die großen Wahrheiten von Gott und seiner Vorsehung, von der Unsterblichkeit, von der Gesinnung Gottes gegen die Menschen und ihr Verhalten u.s.w. vermittelst der Lehre Jesu unter den Menschen heller, gewisser und zuverläßiger geworden; sondern auch was diese Lehre auf den Geist und die Denkungsart, auf Sinn und Sitten, auf herrschende Grundsätze, bürgerliche Tugend, moralische und politische Aeusserung, kurz, auf die gesammte Geistes‑ und Herzensbildung der Menschen unmittelbar oder mittelbar, nahe oder entfernt für Einfluß und Einwirkung gehabt, und zur moralischen und religiösen Stimmung der Menschen in unendlich verschiedenen Graden beygetragen habe“ (ebd.). 106 107
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deren Lebenswandel – „wie manche undenkende Theologen“110 – unmittelbar zum dogmatischen Maßstab zu erheben. Der enorme Abstand zwischen der eigenen Gegenwart und der alttestamentlichen Religions‑ und Kulturwelt lässt sich nach Resewitz nur durch ein vertieftes Verständnis der Geschichte überbrücken. Die von Less hierzu präsentierten Auslegungsregeln erfahren daher umfassende Ablehnung, insbesondere der Hinweis, dass die „sinnlichen“ Ausdrücke von Gott tropisch zu verstehen seien.111 Less’ Versuch, spezifisch alttestamentliche Aussagen wie beispielsweise die Rede von der Reue Gottes in einem übertragenen Sinne für die Dogmatik fruchtbar zu machen, hält Resewitz für unzulässig. Sinnliche Gotteseigenschaften könnten keinerlei theologisch verbindlichen Anspruch mehr erheben, sondern seien rein religionshistorisch zu betrachten. [D]ie sinnlichen Ausdrücke von Gott haben sie freylich damals sinnlich verstanden; denn sie dachten sich Gott noch nach der sinnlichen Analogie der Vorstellungen, die sie von Menschen hatten. Aber das ist keine Vorschrift für uns, eben so von ihm zu denken, da wir geläutertere Begriffe von ihm haben und haben können. So wie ihre Begriffe von Gott nur Geschichte von ihnen, nicht Regel für uns sind; so müssen wir auch ihre Begriffe nicht nach unsern reinern und richtigern Begriffen wider die Geschichte bilden wollen. Ueberhaupt sollte man es einmal grade heraus sagen, daß das alte Testament nicht unmittelbare Belehrung für uns sey noch seyn solle; sondern nur Geschichte, die wir prüfen und nach unserer Fassung benutzen sollen.112
Less’ moralische Interpretation des Alten Testaments muss nach Resewitz für den christlichen Leser vollkommen verwirrend und widersprüchlich wirken, da für den Leser nie klar ersichtlich sei, ob die alttestamentlichen Regeln nur für die Menschheit im Kindesalter oder auch für die Gegenwart bestimmt seien.113 Lob erhält dagegen der außereuropäische Religionsvergleich und hierunter insbesondere die Religionsdarstellung des Islams, die dessen Leistungen für die Ausbreitung des Monotheismus würdige und damit zur Aufklärung des traditionell 110 A. a. O.,
S. 334.
111 Was Less mit „tropisch“ an dieser Stelle meint, erläutert er folgendermaßen: „Dritte Regel.
Die Sinnlichen Ausdrücke von Gott, müssen auch Tropisch verstanden werden. Denn bei den Ausdrücken z. B., Es gereute Gott, daß Er Menschen geschaffen hatte: Gott sieht vom Himmel herab: Er verstockt den Pharao; dachte die Aelteste Welt sich ohngefär eben das, was wir bei den bestimmtern Ausdrücken unsrer neuern Sprache ‚ ‚Gott beschloß das Menschen-Geschlecht auszurotten; Er hinderte das Unternehmen; Er veranlaßte durch Seine Wohlthaten und Wunder, Pharao’s Verhärtung‘, denken“ (Less, Ueber die Religion, Bd. I, S. 297–298). 112 Allgemeine deutsche Bibliothek 1784 (58. Bd., 2. St.), S. 335. 113 „Der Religionsunterricht und die Moral des A. Test. werden S. 349 f. zwar kurz aber nach der Wahrheit geschildert; und auch daraus läßt sich der unmittelbare Schluß ziehen, daß derselbe nur für das sinnliche Kindesalter des Menschen, nicht für die gegenwärtige Zeit bestimmt sey. Diese unüberlegte Vermischung jenes und des christlichen Lehrvortrags bringt so viel Verwirrung, Widerspruch und unverständige Erklärungsweise in den gewöhnlichen Unterricht der Christen, daß die armen Leute nie recht wissen, woran sie sich halten, und wie sie denken und wandeln sollen“ (a. a. O., S. 335–336).
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negativen Islambildes beitrage. Hervorgehoben wird zudem noch einmal, dass nicht nur die historische Verifikation der neutestamentlichen Schriften, sondern vor allem ihre Zweckmäßigkeit für den Gegenwartsgebrauch in die Beurteilung mit einfließen müsse.114 Trotz seiner kritischen Anmerkungen hält Resewitz das Buch aufgrund seines nüchternen und kritischen Untersuchungsstils und der Sorgfalt, den Beweisen „nicht mehr Werth und Gewicht beyzumessen, als sie ihrer Natur nach haben“, für ein empfehlenswertes Werk eines Verfassers, dem es „um nichts als Wahrheit zu thun sey“.115
7. Die Reaktion radikaler Aufklärer am Beispiel Christian Ludwig Paalzows 7.1 Paalzows Satire Hierokles oder Prüfung und Vertheidigung der christlichen Religion angestellt von den Herren Michaelis, Semler, Leß und Freret (1785) War Less’ überarbeitete Version des Schriftbeweises in ihrer Neuedition von 1784 in den Zeitschriften durchweg auf positive Resonanz gestoßen, deutete sich – bei allem Wohlwollen – in der Wahrnehmung der führenden Berliner Aufklärungszeitschrift bereits grundlegende Kritik an einem dogmatisch normierten Religionsverständnis an, wie es Less gegenüber der Aufklärungskritik zu retten versuchte. Während die theologischen Rezensenten der Allgemeinen deut‑ schen Bibliothek zumeist der Neologie als einer innerkirchlich antidogmatischen Reformbewegung zuzurechnen waren und als Inhaber kirchlicher Ämter das Christentum mit den geistigen und sozialen Umwälzungen der Aufklärung zu versöhnen suchten, traten in einigen Aufklärerkreisen mit Beginn der 1780er- Jahre verstärkt Formen radikaler Christentumskritik hervor. Dabei orientierte sich diese Bewegung sowohl inhaltlich in ihrer antireligiösen wie antiklerikalen Ausrichtung als auch in der Wahl ihrer literarischen Gattungen eng an den Vorbildern der radikalen französischen Aufklärung. Die Auseinandersetzung selbst mit populären Deisten wie Bolingbroke oder Reimarus hatten die Theologen noch als argumentative Herausforderung annehmen und in den Gelehrtendiskurs positiv integrieren können. Die satirisch-ironische Darstellungsform dieser religionskritischen Schriften dagegen sprengte die Kategorien des bisherigen 114 „Die Charakterisirung der Schriftsteller des Neuen Test., ihres Vortrags, ihrer Sprache, Denkungsart und des Gepräges ihrer Ideen S. 489 f. verdient nicht allein wegen ihrer angemessenen Richtigkeit, sondern auch um der Bestimmungen willen, welche der heutige Gebrauch und die Anwendung ihrer Schriften daraus erhält und erhalten soll, von jedem Theologen beherziget und ernstlich überdacht zu werden“ (a. a. O., S. 338). 115 A. a. O., S. 340.
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Gelehrtendiskurses. Bereits im Fall de Prades hatte sich eine derartige Entwicklung angedeutet. Damals hatte die satirische Darstellung des Justizskandals eine thematische Auseinandersetzung mit dem Inhalt des Falls in der öffentlichen Wahrnehmung vollständig überlagert und die allgemeine Empörung zu de Prades’ Gunsten ausschlagen lassen. Zu dieser Entwicklung hatte nicht zuletzt die Unterdrückung einer universitätstheologischen Debattenkultur in Frankreich beigetragen, wodurch sich radikale Agitationsformen der Kirchenkritiker etabliert hatten. Das zunehmend öffentliche Auftreten ähnlicher Formen der Religionskritik in Deutschland stellte den theologischen Vermittlungsprozess, wie ihn beispielsweise die Allgemeine deutsche Bibliothek zu führen bemüht war, vor kaum mehr zu integrierende Herausforderungen. Der Umgang und die Auswirkungen der radikalen Religionskritik auf den Diskurs unter Gelehrten und Gebildeten in Deutschland zum Ende des 18. Jahrhunderts lassen sich am Beispiel des Berliner Juristen Christian Ludwig Paalzow (1753–1824) beobachten, der 1785 anonym bei Gebauer in Halle eine Schrift unter dem Titel Hierokles oder Prüfung und Vertheidigung der christlichen Religion an‑ gestellt von den Herren Michaelis, Semler, Leß und Freret publiziert hatte.116 Paalzow präsentiert hier ein fiktives Gespräch zwischen den genannten Protagonisten, in welchem jene deutschen Theologen, die sich in prominenter Weise um die historische Apologie der Religion verdient gemacht hatten, mit der Religionskritik des französischen Historikers Nicolas Fréret (1688–1749) konfrontiert werden. Paalzow führt damit in imaginärer Weise das Gespräch fort, das durch Jean Lévesque de Burignys Veröffentlichung des Examen critique angestoßen worden war und in Less’ Beweiß der Wahrheit der christlichen Religion seine Fortsetzung gefunden hatte. Bezeichnend für die neue Debattenkultur war die Tatsache, dass sich mit Paalzow weder ein akademisch ausgewiesener Historiker noch ein Theologe, sondern ein literarisch und historisch belesener Jurist als theologischer Laie dem historischen Religionsbeweis zuwandte. In seiner Rekonstruktion der Positionen der beteiligten Gesprächspartner orientiert sich Paalzow unter anderem an Michaelis’ Zeitschrift Orientalische und exegetische Bibliothek117 sowie an Semlers theologischer Position im Fragmentenstreit.118 Für die Rolle des Religionskritikers Fréret dient dagegen vornehmlich die Schrift Examen critique als argumentative Grundlage, welche Burigny unter dessen Namen 1766 veröffentlicht hatte. Hinzu kommt ein umfassender Rückgriff auf Werke antiker Historiker und Philosophen, die mit dem wachsenden Interesse an der Antike eine neue Welle der Rezeption erfuhren. 116 Informationen zu Paalzows Bedeutung für die Vermittlung französischer Aufklärungsliteratur nach Deutschland vgl. Mulsow, Christian Ludwig Paalzow und der klandestine Kulturtransfer von Frankreich nach Deutschland. 117 Johann David Michaelis (Hg.), Orientalische und exegetische Bibliothek, Frankfurt am Main 1771–1789. 118 Semler, Beantwortung der Fragmente eines Ungenanten (1779).
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Fréret erscheint in jenem Gespräch als kritischer, unparteiischer Betrachter, der stellvertretend die religionskritischen Anfragen seiner Zeitgenossen an die Theologen formuliert: „Erlauben Sie also auch mir, daß ich Ihnen Zweifel vorlegen darf, die ich zwar nicht für alle Christen, wohl aber für mich bis izt für sehr stark halte“.119 Mit Michaelis, Less und Semler werden ihrerseits drei Theologen mit der Überzeugung präsentiert, in der Auseinandersetzung mit Frérets Thesen die Wahrheit der christlichen Religion in ihrer aufgeklärten Form zur Geltung bringen zu können. Dessen wohlwollend klingende Fragen suggerieren dem Leser zunächst eine ergebnisoffene Diskussion, in deren Verlauf jedoch seine kritischen Einwände keinerlei ernsthafte Widerlegung erfahren. Das abschließende Wort behält zumeist Fréret, für dessen Ausführungen die theologischen Gesprächspartner in weiten Teilen lediglich als Rahmenfiguren fungieren. Verstärkt wird der Eindruck der argumentativen Unterlegenheit der Theologen durch deren gegenseitige Widerlegung. Hier spielt Paalzow die theologischen Differenzen zwischen Michaelis, Less und Semler geschickt gegeneinander aus. Während Michaelis und Less den historischen Wunderbeweis als rational überzeugendes Kriterium für die Wahrheit des Christentums anführen, argumentiert Semler mit dem Verweis auf die innere Wirkung der Heiligen Schrift.120 Semlers Argumentation wird von Fréret umgehend als logischer Fehlschluss entlarvt, da dieser die Göttlichkeit der Heiligen Schrift bereits vor der eigenen Erfahrung proklamiere.121 Less, der aufgrund jener subjektiven Unsicherheit auf dem objektiven Wunderbeweis beharrt, sieht sich von Fréret mit einer Vielzahl antiker Wunderberichte wie denen des Pausanias, Hierokles oder Herodot konfrontiert und muss sich den Argumenten der antiken Christentumskritik des Tryphon und Celsus stellen. Als Verfechter des Weissagungsbeweises tritt Michaelis auf, der jedoch von Semler durch die Feststellung eines Zirkelschlusses selbst korrigiert wird, da beim Weissagungsbeweis letztendlich das Alte Testament die Göttlichkeit des Neuen Testaments und das Neue Testament die des Alten Testaments beweise und ohnehin nicht zu klären sei, ob die Weissagungen wörtlich oder nur allegorisch zu verstehen seien. Eine kaum zwei Seiten füllende Darstellung der Positionen Michaelis’ und Semlers liefert lediglich die Einleitung Paalzow, Hierokles, S. 3–4. Vgl. a. a. O., S. 6. 121 „So bald man überzeugt seyn will, daß das Gefühl und die Empfindungen beym Lesen der Heiligen Schrift, weder etwas bloß natürliches, (wie man beym Lesen andrer Bücher gewahr wird) noch die Wirkung einer verdorbenen Einbildungskraft sey, dergleichen man bey Enthusiasten, Heiden und Türken auch wahrnimmt, so muß man gewiß seyn, daß das, was wir fühlen, eine göttliche Wirkung sey. Dies setzt aber nothwendig voraus, daß man von der Göttlichkeit der Schrift, durch die eine solche Wirkung erregt wird, schon vorher überzeugt seyn müsse: Herr Semler begeht offenbar petitionem principii. Er schließt: so oft ich die heilige Schrift lese, empfinde ich, das, was ich lese, sey Gottes Wort; folglich ist das, was ich lese, auch Gottes Wort. Ist dieser Schluß richtig, so sind alle Eingebungen, denen sich Schwärmer und Inspirirte rühmen, auch Gottes Wort“ (a. a. O., S. 13). 119 120
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zu dem nun folgenden 35seitigen Monolog Frérets, in dem dieser die biblischen Weissagungen als ein religionsgeschichtlich von den Ägyptern herzuleitendes Traditionsgut beschreibt,122 das ein „heiliges Dunkel“ schaffe, um die Gläubigen von dessen priesterlicher Interpretation abhängig zu halten.123 Zugleich sind nach Fréret die prophetischen Bücher in erster Linie als Geschichtsbücher zu verstehen, da den Propheten als den Obersten unter den Priestern bereits bei den Ägyptern die Aufgabe der Geschichtsschreibung zufiel und diese Tradition bei den Israeliten fortgeführt wurde. Die prophetischen Bücher seien aus diesem Grund allein als religionshistorische Dokumente zu verstehen und enthielten keinerlei darüber hinausgehenden dogmatischen Anspruch.124 Michaelis’ ursprüngliche Absicht, den Offenbarungsanspruch des Alten Testaments durch die Erforschung seines vorderorientalischen Umfeldes historisch zu plausibilisieren, verkehrt Paalzow in den Ausführungen Frérets in ihr Gegenteil. Paalzow dient die historische Forschung nun zur religionshistorischen Relativierung des biblischen Offenbarungsanspruches. Ähnlich ausführlich lässt Paalzow Fréret die Beweise durch die Ausbreitung des Christentums widerlegen, indem er auch hier unter Bezugnahme auf antike Christentumskritiker wie den römischen Kaiser Julian Apostata (reg. 361–363) die These vertritt, dass sich die Missionserfolge des Christentums lediglich auf die Verführbarkeit des „Pöbels“ und die Brutalität der christlichen Kaiser seit Konstantin (reg. 306–337) zurückführen ließen. Seine Sicht untermauert er mithilfe außereuropäischer Missionsberichte aus Japan und China über die bevorzugte Verbreitung des Christentums unter den Ungebildeten. Diese Berichte sind es auch, die Fréret gegen die These von der überlegenen Frömmigkeit des Christentums anführt, indem er auf noch asketischere religiöse Lebensformen verweist, 122 Paalzow nimmt bei dieser These (vgl. a. a. O., S. 49) explizit Bezug auf die Forschungsergebnisse des ägyptischen Einflusses von John Spencer, De legibus Hebraeorum, ritualibus et earum rationibus (1685), William Warburton, The divine legation of Moses (1742–1765), und Johann David Michaelis, Mosaisches Recht (1770–1775). 123 Paalzow sieht den prophetischen „Wahrsagungsgeist“, der das „heilige Dunkel“ interpretieren muss, strukturparallel zur Autorität des Papsttums als auch zur Form der verbindlichen Bekenntnisauslegung bei den Protestanten. „Nach dem Begriffe der meisten Katholicken kann der Pabst zu Rom in Sachen des Glaubens nicht irren, sondern ist untrüglich. Er ist also ein vom heiligen Geist unmittelbar inspirirter Prophet. Andre hingegen versichern, daß der prophetische Geist in der ganzen Kirche seinen Wohnsitz habe, und daß er in Ansehung der Glaubenslehren niemals, wohl aber in Ansehung der Thatsachen, worauf sich freilich die Glaubenslehren gründen, irren könne. Die protestantischen Kirchen halten sich nicht für untrüglich, vermessen sich auch nicht, den Geist der Weissagung zu besitzen. Demohnerachtet aber verlangen sie, daß ihre Mitglieder sich ihren Entscheidungen unterwerfen sollen, nicht anders, als, wenn sie den Geist der Weissagung hätten. Wer an ihre symbolische Bücher nicht glaubt, den stossen sie aus ihrer, und wo möglich, auch aus der bürgerlichen Gesellschaft“ (Paalzow, Hierokles, S. 55). 124 „Die prophetischen Bücher der Bibel sind also blos die mit Ermahnungen, Allegorien und orientalischen Figuren ausgeschmückte Jahrbücher der Nation. Wer diese Schriften als historische Bücher studiert, wird sie ziemlich verstehen, wer aber mehr darin sucht, wird entweder alles was er will in ihnen finden, oder auch gar nichts“ (a. a. O., S. 62).
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die man in zahlreichen antiken und zeitgenössischen außereuropäischen Kulturen finde. Detailliert zerpflückt er Less’ These von der besonderen moralischen Wirkung des Christentums auf die Menschheit. Einen anfänglich positiven moralischen Impuls des Urchristentums lässt Fréret durchaus gelten, relativiert ihn aber sogleich als allgemein sozialtypisches Phänomen religiöser Bewegungen in ihrer Ursprungsphase. Weit in den Hintergrund tritt dieses Zugeständnis schließlich vor der ausführlichen Schilderung der schlimmsten Grausamkeiten der Kirchengeschichte, die Fréret detailliert auszumalen weiß und die schließlich in den empörten Ausruf mündet: „Das ist die Liebe und Barmherzigkeit der Christen, das sind die Früchte des Christenthums!!!“125 Unter Verweis auf moralisch ebenfalls vorbildlich lebende muslimische Völker und zugleich sittlich verdorbene christliche Nationen kommt Fréret letztlich zu dem Schluss, dass die Religion auf das moralische Verhalten eines Volkes in Wahrheit wohl gar keinen messbaren Einfluss habe.126 125 A. a. O., S. 198. Paalzow stützt sich dabei in erster Linie auf Paul Henry Thiry d’Holbach, La cruauté religieuse (1769), und Philipp van Limborch, Historia inquisitionis (1692), wobei die detaillierten Darstellungen Paalzows umfangreiche rechtshistorische Kenntnisse widerspiegeln. Aufgrund seiner langjährigen rechts‑ und kirchenhistorischen Studien publizierte Paalzow 1800 selbst ein Werk unter dem Titel: Geschichte der religiösen Grausamkeit. Ein nothwendiger Beytrag zur philosophischen Geschichte des Aberglaubens. Die von Paalzow ausführlich zitierten Berichte der Grausamkeiten, die er im Hierokles Fréret vortragen lässt, sind vornehmlich Schriften entnommen, die ihrerseits konfessionellen Kontroversen entstammen und zumeist in diffamierender Absicht verfasst worden waren. So liefert Paalzow beispielsweise einen längeren Auszug aus Jean Legers Beschreibung des „piemontesischen Ostern“, eines Massakers piemontesischer Truppen an 400 Waldensern im April 1655. Leger interpretiert und inszeniert dieses Massaker heilsgeschichtlich als Beweis für die göttliche Erwählung der Waldenser. „Das Blutbad in den Thälern von Piemont übertrift alle Beschreibung, und man kann folgende Schilderung des Legers gewiß nicht ohne Thränen lesen ‚die kleinen Kinder, heißt es, riß man von den Brüsten ihrer zärtlichen Mütter, nahm sie bey den Füssen, und schleuderte sie gegen Mauern und Felsen. Ihr Gehirn klebte an den Klippen, und ihren Körper warf man auf den Schindacker. Oft riß man ihnen die Beine aus, und warf sie auf den Weg. Kranke und Alte, Männer und Weiber ohne Unterschied wurden in ihren eignen Häusern verbrannt, oder in Stücken gehauen, oder ganz nackend mit dem Kopf zwischen den Füssen, in Form eines Zwirnknauls zusammengebunden, und auf diese Art von den Felsenspitzen herabgeworfen, oder die steilsten Berge herunter gerollt. Armen geschändeten Mädchens und Frauens stopfte man den Leib voll Kieselsteine, oder Pulver, das man anzündete. Andern that man Pulver in den Mund und in die Ohren, und zündete es mit Feuer an, man zerspaltete ihre Kinnbacken, und sprengte auf diese Art ihr Gehirn aus dem Kopfe. Andere unglückliche Mädchen oder Frauen wurden lebendig gespieset, und nackend auf die Heerstrassen ausgestellt. Noch andere wurden verstümmelt, ihre unbarmherzigen Henker rissen ihnen die Brüste ab, und frassen sie auf. (…)‘“ (Paalzow, Hierokles, S. 200–201). Zur propagandistischen Inszenierung des Ereignisses vgl. Vogel, Piemontesische Ostern. 126 „Diese Untersuchung, ob unter den Heyden mehr Tugend als unter den Christen gewesen ist, läßt sich gar nicht ausmachen, weil uns die Data dazu fehlen, indem unsere Geschichte viel zu mangelhaft ist. Was noch mehr ist, so können wir nicht einmal diese Vergleichung zwischen jetzt lebenden Ungläubigen und Christen anstellen. Aus dem, was man aber ohngefehr herausbringen kann, geht immer deutlicher hervor, daß die Religion in die Moralität keinen Einfluß haben könne“ (Paalzow, Hierokles, S. 214).
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Mit der Bestreitung der Göttlichkeit der Heiligen Schrift liefert Fréret nicht nur einen Angriff auf Less’ Kernthese, sondern knüpft dabei explizit an die Thesen des sog. Fragmentisten an. Nach Fréret ist der Verfasser der Fragmente eines Ungenannten allerdings mit seiner Kritik am Alten Testament in seiner Beschränkung auf einzelne Stellen des Neuen Testaments nicht weit genug gegangen, weshalb Fréret der gesamten Bibel überhaupt den Status als göttlicher Offenbarung absprechen möchte. Michaelis’ Legitimationsversuch der poetischen Schönheit und der kompositorischen Vielfalt der biblischen Texte kann Fréret angesichts der von ihm vorgetragenen zahlreichen historischen Widersprüche nicht überzeugen. Für ihn repräsentiert das mosaische Gottesbild lediglich einen „National‑ und Lokalgott“. Dieses bleibt damit in seiner Entwicklung weit hinter den benachbarten vorderorientalisch-polytheistischen Gottesvorstellungen zurück, insofern es durch die Exklusivität des Monotheismus vornehmlich Hass und Intoleranz hervorbrachte.127 Den eigentlichen Grund für die Entwicklung des Monotheismus sieht Fréret in der strategischen Machterhaltung der Priester und der christlichen Geistlichkeit, die mithilfe der monotheistischen Religion und des Privilegs ihrer Auslegung ihre eigene Stellung sichern wollten.128 Dieser Absicht verdanken sich nach Fréret auch die Lehren des Neuen Testaments, die entweder nicht genuin neutestamentlich seien oder bewusst so kryptisch und interpretationsoffen formuliert wurden, um das einfache Volk von der Interpretation einer Priesterkaste abhängig zu halten. Diese Uneindeutigkeit der Offenbarung ermöglichte es der Geistlichkeit im Folgenden auch, das Christentum den jeweiligen Umständen so anzupassen, dass es seine optimale Machtoption ausschöpfen konnte. War es noch schwach und in der Minderheit, so gab es sich defensiv, hatte es aber erst einmal die Mehrheit und die damit verbundenen Machtpositionen erreicht, so zeigte sich sein wahres Gesicht.129 Fréret 127 „Die Juden hielten niemals ihren Gott für etwas anders als einen National‑ und Lokal- Gott, der über die andern Götter eifersüchtig war, und unter der Aufsicht ihres Hohenpriesters stand, der sein Ausleger war. Moses gab also seinem Volke lange nicht die aufgeklärten Begriffe von der Gottheit, welche andere Völker davon hatten. (…) Intoleranz, Haß und Verfolgung sind viel nothwendigere Folgen eines Religionssystems das einen Gott, als das viele Götter annimmt“ (a. a. O., S. 226–228). 128 „Man sieht leicht, was für einen grossen Einfluß der durch das mosaische Gesetz hervorgebrachte Fanatismus, auf die christliche Religion, gehabt haben müsse. Beyde Secten haben augenscheinlich keinen andern Entzweck, als die Verherrlichung der Geistlichkeit, welche über die Dummheit der Völker und die Schwachheit der Fürsten triumphirt“ (a. a. O., S. 230). 129 „Die religiöse Politik änderte sich nach den Umständen der Diener Gottes. Anfänglich befahl sie ihnen sich in die Zeit zu schicken. Niedrig und gering bey ihrem Entstehen unterstand sie sich nicht eher das Haupt empor zu heben, – ihre Anhänger zu Aufrührern zu machen, – den Saamen der Zwietracht auszusäen, – der weltlichen Macht zu trotzen, und die Welt zu verehren, – als bis sie sich stark genug fühlte alles dieses ungestraft thun zu können. Das Interesse der Geistlichen war der Maßstab, wornach dem Volke nach Belieben eine Leidenschaft eingeflößt wurde. Nach ihrem Gefallen waren ihre Anhänger sanft oder wild, geduldig oder ungeduldig, gehorsam oder rebellisch, menschlich oder barbarisch. In den Offenbahrungen des Himmels fanden sie Gründe genug, die sich am meisten entgegengesetzten Meinungen zu
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hält dies allerdings nicht für ein christliches Spezifikum, sondern attestiert der gesamten Religionsgeschichte einen Hang zu Hass und Intoleranz.130 Indem die Religion dem Menschen Vergebung und ewiges Heil verspreche, entbinde sie ihn von seiner moralischen Verantwortung und befördere somit erst sein Verhalten im Widerspruch zu natürlicher Vernunft und gesamtgesellschaftlicher Moral. Paalzow widmet der Frage der religiösen Toleranz und ihrer Grenzen innerhalb des gesellschaftlichen Rahmens einen besonders umfangreichen Monolog Frérets, indem er seine Überlegungen zur bürgerlichen Akzeptanz des jüdischen Rechts als exemplarisch für die Grenzen der Toleranz religiösen Partikularrechts einfließen lässt. Religiöse Ansprüche betrachtet er dabei in erster Linie als Bedrohung für die allgemeinen Regeln des menschlichen Zusammenlebens und fordert daher die strikte Unterordnung aller religiösen Gebote unter die Erfordernisse der Nation.131 Die Kombination französischer Religionskritik mit den Interessen eines preußischen Staatsjuristen spitzte die Frage nach dem Wahrheitsanspruch der Religion somit in verschärfter Weise auf die Frage nach deren gesamtgesellschaftlichem Nutzen zu.
7.2 Die Reaktionen auf Paalzows Hierokles in gelehrten Zeitschiften 7.2.1 Jenaische gelehrte Zeitungen (Jena) Die Jenaischen gelehrten Zeitungen brachten in ihrem 11. Stück vom 6. Februar 1786 eine vierseitige Rezension von Paalzows Hierokles. Diese befand bereits den Titel des Werkes für unangemessen, da sie „Käufer anlocken und hintergehen wollte“.132 Wie der Rezensent betont, erfolgt die Anzeige dieser Schrift nicht aufgrund eines inhaltlichen Interesses, sondern um nicht Gefahr zu laufen, als parteiisches, aufklärungsfeindliches Journal zu erscheinen, nachdem das Werk „in einer gewissen Zeitung“ als „wichtig“ angekündigt worden war.133 rechtfertigen. Das Schwankende und Widersprechende dieser Offenbahrungen setzte sie in den Stand, die Sache zu entscheiden, wie es ihnen am vortheilhaftesten war“ (a. a. O., S. 344). 130 Vgl. a. a. O., S. 353. 131 Scharf kritisiert Paalzow die Ausnahme der Juden vom Militärdienst, die ihm als staatsbürgerliche Pflichtverletzung der Verteidigung des Vaterlandes gilt, und betrachtet die Juden aufgrund ihrer religiösen Pflichten als potentiell staatsbedrohend (vgl. a. a. O., S. 383). Aus staatspolitischen Motiven greift er ebenso die hohen Abgaben von Geldern an die Kirchen an, die er als Schwächung der wirtschaftlichen Prosperität der europäischen Nationalstaaten betrachtet. Paalzow fordert stattdessen, das Geld in wissenschaftlichen und technischen Fortschritt zu investieren (vgl. a. a. O., S. 358). 132 Jenaische gelehrte Zeitung 1786 (11. St.), S. 81. 133 „Nicht weil es diese Schrift verdiene, (…) sondern aus andern Ursachen wollen wir uns überwinden, die Abschnitte, unter Einstreuung einiger Bemerkungen, anzuzeigen, damit es nämlich nicht scheine, als wolle man eine, in einer gewissen Zeitung, als wichtig angekündigte Schrift, aus Partheylichkeit nicht näher anzeigen, und so viel an uns läge, die Aufklärung
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Dieser einleitende Kommentar ist für die Publikationsdynamik aufklärerischer Journale durchaus erhellend, da sie auf den Druck bestimmter Leitmedien und ‑meinungen hindeutet, dem sich andere Journale nicht entziehen konnten. Wie in den Tübingischen gelehrten Anzeigen moniert auch der Rezensent hier die fiktive Unparteilichkeit, die auf „Erschleichung des Beyfalls unvorsichtiger, oder der Sache nicht kundigen Leser“134 abziele bzw. diese erleichtere. Die Warnung vor der Wirkung der Argumentationsstrategie und Paalzows teils pietätloser Sprachwahl macht bereits deutlich, dass die Gefahr der neuen Publikation nicht nur in ihrer argumentativen Plausibilität, sondern vor allem auch in ihrer gelungenen publizistischen Präsentation und deren befürchteter medialer Wirkung gesehen wurde. Dabei wird die Überzeugungskraft der Argumente Frérets auch deshalb bestritten, weil sich der Verfasser unter den Theologen einen Gesprächspartner gewählt habe, „wider dessen von andern Gelehrten nie gebilligte Privatmeinungen sich etwas gründliches sagen lässt“.135 Ob damit nun auf Michaelis, Less oder Semler angespielt wird, lässt die Rezension bewusst offen, verdeutlicht damit aber die herrschende Missbilligung einzelner theologischer Vermittlungsansätze. Indem einige Thesen Frérets in entstellter Form widergegeben werden, lässt die Rezension ihrerseits dessen Argumente als wenig überzeugend erscheinen. Ziel ist es somit, den Eindruck des Hierokles als eines Werkes zu vermitteln, das mit „sichtbarer Partheylichkeit, Untreue und vorsetzlicher Verdrehung der Reden und Handlungen Jesu und seiner Apostel“136 dem Christentum zu schaden versuche. 7.2.2 Tübingische gelehrte Anzeigen (Tübingen) In ihrer letzten Ausgabe des Jahres 1785 berichteten die Tübingischen gelehrten Anzeigen am 26. Dezember ebenfalls in einer vierseitigen Rezension von dem Erscheinen des Hierokles als einer Schrift, „die vermuthlich mehr Aufsehn machen wird, als sie machen sollte.“137 Den Einstieg bildet eine Einführung in die historische Person des Hierokles, der während der diokletianischen Verfolgung argumentativ und politisch „den Christen äusserst wehe zu thun gesucht“138 habe. Der Rezensent betrachtet die Thesen des Werkes inhaltlich als bereits vielfach bekannt, hält sie aber in ihrer Dialogform für geschickt aufbereitet und beklagt dabei das unfaire Ausspielen der drei Theologen gegeneinander. So kämen diese im Verlauf des Gesprächs kaum zu Wort und ausführlicher nur dann, wenn sie behindern; ein Lobspruch, womit in unsern Tagen nicht selten die ärgsten, auf den Umsturtz der christlichen Religion abzielenden Schriften beehrt zu werden pflegen“ (a. a. O., S. 82–83). 134 A. a. O., S. 82. 135 Ebd. 136 Ebd. 137 Tübingische gelehrte Anzeigen 1785 (103. St.), S. 819. 138 Ebd.
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ihre Thesen nicht sicher belegen können, um anschließend vor Frérets monologartiger Replik demütig zu verstummen. Eine knappe Paraphrase der Thesen Frérets sowie deren Widerlegungen vermitteln dem Leser den Eindruck, eine weitere Auseinandersetzung sei verzichtbar. Das Fazit richtet sich allerdings in erster Linie selbstkritisch an die Theologen: Dieß aber können und sollen vornemlich unsere Theologen aus dieser Schrift lernen, daß sie keinen gewagten Saz zur Vertheidigung der Religion sich erlauben; man weiß nie, wie solcher gegen uns von einem feinen Gegner noch werde mißbraucht werden, und nicht jeder Leser weißt alsdann den gehörigen Unterschied zu machen.139
Besorgt konstatiert der Rezensent eine zunehmende Flut religionskritischer Schriften. Die eigentliche Gefahr sieht er weniger in diesen selbst als vielmehr in dem sich jeweils anschließenden publizistischen Skandal, den es unter allen Umständen zu vermeiden gelte. Eine inhaltliche Widerlegung nimmt er nicht vor und äußert den Wunsch, der Autor solle doch unbekannt bleiben. Trotz des Vorwurfs der einseitigen Inszenierung des Dialogs weist er offen auf die Schwächen und die Uneinheitlichkeit der theologischen Apologetik hin, deren solidarische Stärkung er erhofft. 7.2.3 Allgemeine deutsche Bibliothek (Berlin) Differenzierter beurteilte die Allgemeine deutsche Bibliothek 1786 den Hierokles in einer gemeinsamen Rezension der Philosophischen und kritischen Untersuchungen über das Alte Testament und dessen Gründlichkeit, besonders über die Mosaische Religion des Berliner Theologen und Aufklärers Andreas Riem (1749–1814).140 Die Veröffentlichung des Hierokles reiht sich ein in eine Abfolge kritischer Untersuchungen zur biblischen Offenbarung, die um das Jahr 1785 in und um Berlin erschienen waren und deren Publikation in der Rezension von der Allgemeinen deutschen Bibliothek ausdrücklich begrüßt wurde.141 Auch wenn einige Christen Angst hätten, dass „das Volk durch übel angebrachte Neuerungssucht“142 vom Glauben abgebracht werden könne, so muss aus Sicht des Rezensenten jede Prüfung in erster Linie als Chance betrachtet werden, die A. a. O., S. 822. Andreas Riem, reformierter Theologe und Schriftsteller, beteiligte sich ab Ende der 1770er- Jahre durch zahlreiche Veröffentlichungen an Debatten zur religiösen Aufklärung. Unter dem Pseudonym C. A. E. Schmidt publizierte Riem 1787 die noch unveröffentlichten Fragmente des Reimarus unter dem Titel Uebrige noch ungedruckte Schriften des Wolfenbüttlischen Frag‑ mentisten: Ein Nachlaß von G. E. Lessing (1787). Zu Riems Biographie und Theologieverständnis vgl. Welker, Andreas Riem – ein Europäer aus der Pfalz. 141 Ausdrücklich positiv hervorgehoben wird an dieser Stelle in der Allgemeinen deutschen Bibliothek (1786 [68. Bd., 1. St.], S. 39) Heinrich Corrodi, Ueber Offenbarung, Judenthum und Christenthum für Weisheitsforscher (1785). 142 A. a. O., S. 32. 139 140
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Menschen nicht im Irrtum verharren zu lassen, so wie man es für den Umgang mit anderen Religionen gleichermaßen fordere. Explizit Bezug nimmt er dabei Bezug auf Luther und die Reformatoren, die genau jene Forderung der kritischen Prüfung auf die Religion angewandt hätten. Das systematische Infragestellen festgelegter Dogmen und Bekenntnisse wird als reformatorisches Erbe betrachtet, das die Menschen vom „rasendste[n] Despotismus“ befreite, etwas glauben zu müssen, „was man nicht für wahr hält“.143 In den evangelischen „Orthodoxen“ erkennt der Rezensent diesbezüglich das zeitgenössische Äquivalent zu den reformationsgeschichtlichen „Altgläubigen“. Dieses spezifisch reformatorische Bewusstsein müsse nicht nur gegenüber den kirchlichen Bekenntnissen und der theologischen Metaphysik zur Anwendung kommen, sondern zugleich auch die Bibel und ihren Offenbarungsanspruch in seine Kritik mit einbeziehen, um selbst zu begründen, weshalb die Bibel mehr als ein historisches Dokument oder eine Moralanleitung sei.144 Gleichzeitig wird vor einer allzu weit gehenden Religionskritik gewarnt, die „dem Menschen seine Beruhigung, sein Vertrauen, die Vorschrift seines Verhaltens, durch Luftstreiche rauben will, ohne ihm dafür etwas Besseres geben zu können“.145 Aus volkspädagogisch-seelsorgerlichen Gründen wird den Gelehrten emfohlen, in religionskritischen Debatten lediglich ihre Argumente vorzutragen, ohne die sich daraus ergebenden verunsichernden Konsequenzen öffentlich zu ziehen. Denn ohne das Angebot einer besseren Alternative, sei es „ein Verbrechen“, dem „gemeinen Christen“ seine Religion zu nehmen und seine „Zügellosigkeit“ zu befördern.146 Tugend sei A. a. O., S. 33. einzelne Religionslehren geprüft werden, so gilt dies noch weit mehr von der Quelle, aus welcher sie ihren Ursprung haben, und mit deren Ansehen sie stehen oder fallen. Pflicht ist es für den denkenden Mann, nicht blos die in theologischen Schriften vorkommenden Beweise, sondern überhaupt zu untersuchen, ob die ganze Bibel, oder ein Theil derselben, wirklich eine nähere göttliche Offenbarung enthalte; sonst kann sie für ihn keinen höhern Werth, als etwa ein anderes historisches oder moralisches Buch, haben“ (Allgemeine deutsche Bibliothek 1786 [68. Bd., 1. St.], S. 33). 145 Ebd. 146 „Denn es ist ein Verbrechen, wenn man dem Menschen seine Beruhigung, sein Vertrauen, die Vorschrift seines Verhaltens, durch Luftstreiche rauben will, ohne ihm dafür etwas Besseres geben zu können. Eine blos philosophische Religion kann ohnehin der Handwerksmann, der Bauer, und fast das ganze weibliche Geschlecht, in der jetzigen Verfassung, nicht brauchen. Zwar wird ein Volk, wie wir an mehrern Wilden sehen, auch ohne geoffenbarte Religion, sich nach seiner Art ganz ordentlich betragen; aber man überzeuge den gemeinen Christen, daß seine Bibel, oder den Türken, daß sein Koran, Betrug und Hirngespinst ist: was für Zügellosigkeit wird entstehen, wenn nichts dem Sturm seiner Leidenschaften Schranken setzt! (…) Es kostet viel Zeit, bis sich ein gemeiner Mensch angewöhnen wird, anstatt eines geschriebenen göttlichen Unterrichts, die (oft sehr schwache) Stimme des Naturgesetzes gehörig zu befolgen. Die Erfahrung hat genugsam gezeigt, daß auch bey irrigen Religionslehren viel Tugend kann gewirkt werden: aber man nehme dem großen Haufen seine Religion; man sage ihm, daß seine Bibel, und die darin angekündigten künftigen Belohnungen und Strafen zwar in guter Absicht erfunden, aber dennoch blosse Lügen sind: was wird entstehen? – Eben daher ist am sichersten, daß ein Mann, welcher das Resultat solcher Religionsprüfungen öffentlich bekannt machen will, 143
144 „Dürfen
7. Die Reaktion radikaler Aufklärer am Beispiel Christian Ludwig Paalzows
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zwar nicht mehr notwendigerweise durch die richtige Religion bedingt, aber ‚der große Haufen‘ sei nicht fähig, sich ohne den Glauben an eine sanktionierende Offenbarung moralisch zu verhalten. Die Bestreitung des göttlichen Offenbarungscharakters des Alten Testaments, wie sie Andreas Riem in seinen Philosophischen und kritischen Untersuchungen über das Alte Testament und dessen Göttlichkeit, besonders über die Mosaische Religion 1785 vorgetragen hatte, hält der Rezensent für durchaus berechtigt, da bereits viele Bibelforscher erkannt hätten, dass die dort vorgetragenen Gottes‑ und Moralvorstellungen mit den eigenen zeitgenössischen Maßstäben nicht mehr zu vermitteln seien. Dabei wird der Verzicht auf den Anspruch der Göttlichkeit des Alten Testaments keineswegs als Verlust interpretiert, da die Religion auch ohne dieses existieren könne. Als problematisch hingegen empfindet der Rezensent die Absicht des Hierokles, den Offenbarungsanspruch der gesamten Bibel infrage zu stellen. Neben der Kritik einer stilistisch wie inhaltlich unangemessenen Darstellung der Positionen von Michaelis, Semler und Less erhebt er den Vorwurf, der Verfasser des Hierokles führe einen Feldzug gegen theologische Standpunkte, die von vielen Theologen längst nicht mehr vertreten würden. So könne man ohne theologische Einbußen auf die Inspiration der Evangelisten und Apostel verzichten, und Christus und Mose als „außerordentliche Personen, Wohlthäter des Menschengeschlechts, und Erleuchter der Welt, so weit es damals möglich war“,147 bezeichnen, ohne den wesentlichen Kern des Christentums aufzugeben. Mit diesen Annahmen hätte sich eine kritische Prüfung der Offenbarung auseinandersetzen müssen, wobei man stets Rücksicht auf die „Offenbarungsbedürftigen“148 nehmen müsse. Unter dem Aspekt der Rücksicht stellt die Rezension die von Fréret für sich beanspruchte Toleranz infrage, da dessen heftige Polemik die Existenzgrundlage der Geistlichkeit und deren Ruf beschädige. Explizit verurteilt werden die scharfen religionskritischen Urteile Frérets, in denen dieser die Offenbarungsreligion als „nicht anders als durch Lügen und Gewalt erhalten“149 bezeichnet und das Christentum als eine Religion beschreibt, „die einen fürchterlichen, treulosen, grausamen und blutdürstigen Gott, ob er gleich auch bisweilen seine guten Stunden hat, zum Gegenstand ihrer Verehrung hat“.150 Gleichzeitig spart der Rezensent nicht an offenen Worten gegenüber weiten Teilen der Kirche und gesteht selbstkritisch ein, „daß man noch aller Orten viel dumme Gottesverehrung, Aberglauben und Unsinn findet: daß z. B. Menschen, welche nicht an das Fegefeuer glauben können, den schreckenden Händen nur die Gründe, welche für oder wider die Sache streiten, ohne Wortgepränge vorlegt, dem Leser aber gänzlich überläßt, Schlüsse daraus zu ziehen. Letzteres können nur fähige Köpfe thun; und bey solchen wagt man am wenigsten“ (a. a. O., S. 33–34). 147 A. a. O., S. 40. 148 A. a. O., S. 39. 149 A. a. O., S. 40. 150 A. a. O., S. 41.
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VII. Die Debatte um Gottfried Less
einer Inquisition überliefert werden; daß man mit Lukaszetteln, Messen u. dergl. einen schändlichen Handel treibt; daß man Männer wider ihre bessere Ueberzeugung auf symbolische Bücher verpflichtet u.s.w.“.151 Die scharfe Ablehnung spiegelt zugleich den sich zuspitzenden Konflikt wider, der sich zwischen den Berliner Aufklärern und den verschärften Zensurbestimmungen seit dem Amtsantritt Friedrich Wilhelms II. 1786 entwickelte und kurz darauf im Streit um das Woellner’sche Religionsedikt öffentlich eskalieren sollte.152 Widerspruch erhebt die Rezension insbesondere gegen die These, die Grundaussagen der christlichen Religion seien gegen die Vernunft und eine allgemein menschliche Moral gerichtet. Die Behauptung einer sich an der Natur oder am gesellschaftlichen Nutzen selbst ausrichtenden Moral hält der Rezensent für gänzlich unterbestimmt und betrachtet die Aussage der moralischen Gleichwertigkeit der Religionen als empirisch widerlegbar.153 Die Idee der individuellen Prüfung und Entwicklung einer eignen Moral sei zudem utopisch und bedrohe alle Vorteile der Religion, wie beispielsweise „ihre schönen Vorschriften, Beruhigungen, Hoffnungen, (welche mancher redliche Christ nicht gegen alle Schätze vertauschen würde,) sonderlich den Trost im Sterben“.154 Die Vorstellung der Gottesgegenwart erfülle dabei die sozialdisziplinierende Funktion, dass ein „blos sinnlicher Mensch“ hierdurch von der Ausübung heimlicher Straftaten abgehalten werde. In ihrer Art der Darstellung und Interpretation des Hierokles zeigt sich deutlich die veränderte Interessenlage zwischen den „klassischen“ gelehrten Journalen und der Allgemeinen deutschen Bibliothek. In ihrer Beurteilung des Hierokles und seiner aufklärerischen Intention vertritt die Allgemeine deutsche Bibliothek zwar ebenfalls ein christlich-apologetisches Interesse, geht in ihrer Darstellung A. a. O., S. 42. Mit seiner liberalen Haltung geriet Paalzow nicht als einziger Jurist mit dem Woellner’schen Religionsedikt in Konflikt, als er in einem Amtsenthebungsprozess vor dem Berliner Kammergericht gegen den Pfarrer Johann Heinrich Schulz für dessen Verbleib im Amt votierte und sich damit gegen den 1791 ergangenen Anklagebefehl König Friedrich Wilhelms II. wandte. Vgl. zu diesem Prozess Menk, Johann Heinrich Schulz – „Meteor an dem Kirchenhimmel der Mark von Deutschland“. Das Woellner’sche Religionsedikt führte in seiner Folge sowohl zur Verlagerung der Berlinischen Monatsschrift nach Jena und Dessau als auch zum zeitweiligen Verbot der Allgemeinen deutschen Bibliothek. Vgl. zu den Zensurmaßnahmen Wiggermann, Woellner und das Religionsedikt, S. 461–467. 153 „Denn anstatt alles dessen, was er [Paalzow] mit etlichen Federzügen wegwirft, verlangt er nichts als wahre Moral, von welcher er S. 367 vorgiebt, daß sie bey allen Völkern eine und dieselbe sey. Und da hat er wohl die Erfahrung wider sich, man vergleiche nur die vorher erwähnte Moral eines arabischen Nomaden mit der christlichen. Ueberhaupt ist der Ausdruck wahre Moral, viel zu unbestimmt von ihm angegeben; denn daß er sagt, sie gründe sich auf die Natur und auf das allgemeine Beste der Gesellschaft, das sind für den großen Haufen leere Ausdrücke; zumal da er durchaus fodert, daß sie mit keiner geoffenbarten Religion müsse verbunden seyn. Wußte er dann nicht, daß der Pöbel für die Eindrücke der philosophischen Moral ein sehr stumpfes Gefühl hat, und daß er immer eines fremden Führers bedarf, der ihn gängeln muß?“ (Allgemeine deutsche Bibliothek 1786 [68. Bd., 1. St.], S. 43) 154 A. a. O., S. 44. 151
152
8. Paalzows Parodie auf Less’ Schriftbeweis
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als selbsternannte Vertreterin eines „aufgeklärten“ Christentums aber weit über die Vermittlungsansätze der Universitätsgelehrten Michaelis, Semler und Less hinaus. Sowohl der Begriff der „Inspiration“ als auch der Offenbarungsanspruch des Alten Testaments werden dabei gänzlich aufgegeben und die Debatte um die Geltung der Schrift auf ihre individuelle wie kollektive Funktionalität verlagert.
8. Paalzows Parodie auf Less’ Schriftbeweisin Gewissheit der Beweise des Apollinismus (1787) Nachdem bereits 1786 eine zweite Auflage von Less’ Ueber die Religion erschienen war, legte Paalzow in der Debatte noch einmal nach.155 Unter dem satirischen Pseudonym „Aemilius Lucinus Cotta – Oberpriester bei dem Tempel des Jupiter Capitolinus zu Rom und Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu Athen“ veröffentlichte Paalzow 1787 die Gewißheit der Beweise des Apollinismus oder Widerlegung der Prüfung und Vertheidigung der apollonischen Religion, angestellt von den Herren etc. etc. etc. etc. Bereits der Zusatz, es handele sich um eine Übersetzung aus dem Lateinischen, verfasst durch den Autor des Hierokles, lässt auf Paalzows Autorschaft schließen. Hatte er sich im Hierokles noch argumentativ mit den einzelnen theologischen Beweisen für das Christentum auseinandergesetzt, so verzichtete er nun auf diesen Anspruch und lieferte mit der Gewißheit der Beweise des Apollinismus eine umfassende Parodie auf den von Less 1767 veröffentlichten Beweiß der Wahrheit der christlichen Religion. In einer 160 Seiten knappen Kollage, bestehend aus wörtlichen Zitaten aus Less’ Werk, ersetzte Paalzow den Begriff der „Bibel“ durch die „Offenbarung des Philostratus“ und das „Christentum“ durch den „Apollinismus“ und versuchte so auf satirische Weise zu zeigen, dass sich die von Less vorgetragenen
155 Paalzows Schrift bildete hierbei nur den vorläufigen Abschluss der Debatte und wurde mehrfach kritisch rezensiert. Die Göttingischen Anzeigen reagierten wie bereits auf den Hiero‑ kles überhaupt nicht, dafür lieferten die Allgemeine deutsche Bibliothek (1791, Anh., 53.–86. Bd., 1. Abt., S. 76–78) und die Allgemeine Literatur-Zeitung (1788 [No. 44], S. 473–474) knappe Berichte, die das Werk als unangemessen in seiner antireligiösen Polemik beurteilten. Es folgten weitere Gegenschriften wie jene von Johann Friedrich Kleuker, Neue Prüfung und Erklärung der vorzüglichsten Beweise für die Wahrheit und den göttlichen Ursprung des Christenthums, wie der Offenbarung überhaupt (1787–1794). Hierauf reagiert wiederum anonym Johann Heinrich Tieftrunk, Unumstößlicher Beweiß daß Kleucker so wenig als Michaelis Leß und Semler die Wahrheit des Christenthums gerettet haben (1789). Johann Balthasar Lüderwald lieferte 1793 eine Replik Anti-Hierocles oder Jesus Christus und Apollonius von Thyana, in ihrer großen Ungleichheit vorgestellt (1793). Seinen letzten Beitrag zur Debatte veröffentlichte Paalzow im selben Jahr unter dem Titel Porphyrius oder Letzte Prüfung und Ver‑ theidigung der christlichen Religion angestellt von den Herren Michaelis, Semler, Leß, Richard Simon, Orobio und Fréret. Zur Debatte um Paalzows Hierokles vgl. W. Schröder, Athen und Jerusalem, S. 38–42.
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VII. Die Debatte um Gottfried Less
christlichen Religionsbeweise auf jegliche andere Religion ebenso treffend anwenden ließen.156 da die ganze christliche Religion auf Begebenheiten gründet. Wer in der Welt wird doch auf den Einfall kommen, mathematisch zu beweisen (…) daß Augustus der erste römische Kaiser gewesen? – Will man aber die christliche Religion deswegen verwerfen, weil wir sie nicht mathematisch beweisen können; so wird man den größten Theil der menschlichen Erkenntnis aufheben und für falsch halten müssen. (…) Die christliche Religion muß also durch Zeugnisse bewiesen werden. Allein dieses Zeugnis muß, wenn es uns überzeugen soll, von Gott selbst ertheilet seyn. (Less, Beweiß der Wahrheit der christlichen Religion, Einleitung § 6)
Da die ganze Religion des Apollonius sich auf Begebenheiten gründet, so würde es ein alberner Einfall seyn, wenn man mathematische Beweise von der Wahrheit derselben verlangen wolte. Wer wird auf dem [sic!] Einfall kommen, mathematisch zu beweisen, daß Augustus der erste römische Kaiser gewesen? Will man die Religion des Apollonius deshalb verwerfen, weil wir sie nicht mathematisch beweisen können; so wird man den größten Theil der menschlichen Erkenntniß aufheben und für falsch halten müssen. Die Religion des Apollonius muß also durch Zeugnisse bewiesen werden. Allein dieses Zeugniß, wenn es uns überzeugen soll, muss von Gott selbst ertheilt seyn (…). (Paalzow, Gewißheit der Beweise des Apollinismus, S. 2)
In einer für den Leser unterhaltsam vorgetragenen Form wendet Paalzow die von Less entwickelte Argumentation auf die fiktive Religion des Apollonismus an, wobei die eigentliche Intention in einem Frontalangriff auf die Glaubwürdigkeit des Christentums besteht. Indem er die Figur des Apollonius von Tyana wählt, greift er ein seit der Antike vielfach verwendetes Motiv der religionsphilosophischen Kritik auf, das erst jüngst aufgrund einer neuen Übersetzung in Berlin wieder aktuell geworden war.157 Unter ironischer Anspielung auf zahl156 Bereits die Einleitung übernimmt wortwörtlich die ersten Sätze Less’: „Man kann es in der That mit unter die Vorzüge unsers Jahrhunderts rechnen, daß es so fruchtbar an feindseeligen Schriften gegen die Religion gewesen. Die Artikel von den Werken des Philostratus, den Quellen unserer Religion [ersetzt: ‚von der heiligen Schrift‘ bei: Less, Beweiß der Wahrheit der christlichen Religion (21773), Einleitung, § 1], haben nun in unsern Lehrbüchern eine ganz andere Gestalt gewonnen“ (Paalzow, Gewißheit der Beweise des Apollinismus, S. 1). 157 1774 hatte der seit 1764 in Berlin lebende italienische Mathematiker und königliche Astronom Johann Castillon (1708–1791) die Lebensbeschreibung des Apollonius von Tyana nach den Berichten des Philostratus unter dem französischen Titel La vie d’Apollonius de Tyane par Philostrate in Berlin herausgegeben. Das Vorwort hierzu hat vermutlich der preußische König Friedrich II. persönlich als satirische Widmung an Papst Clemens XIV. verfasst, worin er den Papst auffordert, Beweise für die Wahrheit der biblischen gegenüber anderen Schelmereien zu liefern (vgl. Petzke, Die Traditionen über Apollonius von Tyana und das Neue Testament, S. 11; bezüglich der Zuschreibung des Vorworts an König Friedrich II. vgl. Büsching, Charakter Friederichs des zweyten, Königs von Preussen, S. 39). „C’est à Votre Sainteté d’éclairer le monde, dans un siecle où l’incrédulité se déborde, où les esprits apprennent à raisonner, où le Philosophe n’admet que des preuves exactes, où enfin tout se discute & se juge à la rigueur:
8. Paalzows Parodie auf Less’ Schriftbeweis
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reiche antike Autoren, welche die bei Less verwendeten biblischen und kirchenhistorischen Belegstellen ersetzen sollen, konstruiert Paalzow seinen eigenen Wahrheitsbeweis für die Schriften des Apollonismus. Eine „Charakterprüfung“ der Offenbarungsverfasser Damis und Philostratus, die „nichts weniger als leichtgläubig gewesen“ seien, ergibt, dass die Authentizität der Schriften über Apollonius von Tyana mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden könne. Spöttisch demonstriert er, dass Apollonius die Erfüllung der nebulösen Weissagungen nahezu aller bedeutenden antiken Autoren repräsentieren könne.158 Um die Wahrheit des Apollonismus auch inhaltlich zu demonstrieren, lässt Paalzow Less parodierend die „drey Hauptbegebenheiten des Apollinismus“ beweisen.159 Während Less die von den Religionskritikern angeführten Gräueltaten des Christentums als falsches Verständnis desselben deklariert hatte,160 nutzt Paalzow deren wiederholte Darstellung, um seine These von der wesenhaften Intoleranz des Christentums zu veranschaulichen.161 Spöttisch kommentiert Paalc’est à Votre Sainteté de nous enseigner les preuves caractéristiques auxquelles on distingue les prestiges de la friponnerie, des miracles du Démon, & ceux du Démon de ceux que Dieu a daigné opérer par le ministere de ses serviteurs“ (anonym erschienenes Vorwort zu: Castillon [Hg.], Vie d’Apollonius de Tyane, S. 5r–v). 158 „Die Stelle im Virgil, wo er von dem Heilande der Heyden redet, ist so deutlich, daß sie mit allen Kunstgriffen der Gegner nicht wegbuchstabirt werden kann. Die Weissagung im Homer ‚und sie werden seyn wie ein Schild‘ ist so deutlich, daß sich niemand unterstanden hat, sie von etwas anderm als den triumphirenden Einzug des Apollonii zu Rom zu verstehen. Plato bezeichnet den Apollonius so genau, daß man in seinen Werken, wenn man die einzelnen Stücken zusammenstellt, eine vollkommene Erzählung der wirklichen Begebenheiten des Apollonius, zu lesen glaubt. Pindar spielt sehr oft auf die glücklichen Tage an, wenn der Weltheiland erscheinen wird und Hesiodus glaubte, daß mit ihm das goldene Zeitalter eintreten würde. Nun ist zwar freilich wahr, daß die Heyden sich wohl vorzüglich nur einen irdischen Erlöser bey diesen Weissagungen vorstellen und nicht einen Mann der ihnen blos den Weg der Tugend zeigen würde.“ (Paalzow, Gewißheit der Beweise des Apollinismus, S. 56–57). 159 „1) Zur Zeit der angeführten Kayser ist eine Person in der Welt gewesen Apollonius von Tyana, in welcher die Kenzeichen eines lange vorher angekündigten und gehoften Erlösers und Königes der Menschen bis zur höchsten Bewunderung genau und pünktlich eingetroffen. 2) Dieser Apollonius hat wirklich einen Todten auferwecket; zu Ephesus die Pest vertrieben, und ist endlich von den Todten wieder auferstanden und hat sich nicht allein seinen Freunden sondern auch seinen Feinden und sogar einer ganzen Armee lange nach seinem Tode, da er gewiß ganz und gar verweset und aufgelöset seyn mußte, gezeiget. 3) Er hat auch künftige, wirklich zufällige Begebenheiten, deutlich, genau, gewiß und richtig vorhergesagt: oder er hat wahre Weissagungen ausgesprochen“ (a. a. O., S. 47–48). 160 Paalzow nimmt in seiner Gewißheit der Beweise des Apollinismus ebenfalls die Argumentation aus Less’ Werk auf, dass die meisten Vorwürfe gegen die Religion auf einem falschen Verständnis derselben beruhen, und kommentiert diese auf den Apollonismus gemünzte These selbst spöttisch: „Das ist die klügste Wendung die der Verf. hat nehmen können. Was ungereimt ist, steht nicht im Philostratus, sondern wer es sieht, ist mit sehenden Augen blind und bedarf einer Brille, wozu die Theologen nur allein die Gläser zu schleiffen wissen“ (a. a. O., S. 49, Anm.). 161 In einer Fußnote folgt ein ausführlicher Kommentar zu der These des Werkes, dass der Apollinismus die weitaus friedfertigere Religion als die seiner Feinde gewesen sei. Dieser liefert einen umfangreichen Bericht über einen Mönch, der unter Berufung auf das Evangelium und die Kirche ein außerordentliches Massaker unter den Indianern in Peru habe anordnen lassen,
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VII. Die Debatte um Gottfried Less
zow sein eigenes Werk und stellt dabei fest, die Lehren des Apollonismus seien „zu weiter nichts nützlich als unvernünftige Disputen zu erregen, und einfältige Apollonisten in Harnisch zu setzen um sich unter einander auf das grausamste zu verfolgen“.162 Für jeden Leser ersichtlich sind hier die Wirkungen des Christentums gemeint. Aufschlussreich für Paalzows eigene philosophische Position ist allerdings ein in einer Fußnote angefügter Kommentar zu den Grenzen eines rational-apologetischen Religionsbeweises. War Less von Anfang an darum bemüht, die christliche Religion vor dem Hintergrund der zunehmenden rationalen Aufklärungskritik gegen rationale und historische Widersprüche in Schutz zu nehmen, hält Paalzow den Versuch der Rationalisierung der Religion, wie ihn Less intendierte, für grundlegend verfehlt. Deren Reduktion auf eine natürliche Gottesverehrung ohne Geheimnisse, Zeremonien und Erlösungslehre widerspreche den religiösen Bedürfnissen des Menschen, dessen religiöse Einbildungskraft der Anschauung in Form von Bildern und Zeremonien bedürfe. Nicht dem aufgeklärten Protestantismus, sondern dem sinnenfrohen Katholizismus werde daher die Zukunft gehören, prophezeit Paalzow.163 da der Indianerhäuptling sich nicht bekehren lassen und sein Territorium nicht abtreten wollte. Im Gegensatz zu Less sieht Paalzow dies im Wesen des Christentum begründet: „Die Verfolgungen und Niedermetzelungen in welcher fast alle Bewohner von Perou umkamen, können nur mit der grausamen Verherung, welche die Christen in Mexiko, Brasilien, Terra Firma und den anliegenden Inseln, angerichtet haben, in Vergleichung gesetzt worden. Dieses ist zwar alles wahr, aber auch den Grundsätzen der christlichen Religion vollkommen gemäß. Eine Religion, die einen Gott verkündigt, der nur durch das Blut seines einzigen Sohnes versöhnt werden kann, der demohnerachtet nur wenige zur Seligkeit und die meisten Menschen zur ewigen Verdamniß bestimmt, dem Teufel die Macht giebt, daß er herumgehen kann, wie ein brüllender Löwe und suchen, welchen er verschlingt und auf dessen Befehl ehemals die Kananiter umgebracht wurden, weil sie ihn nicht verehrten, kann keine andere Anhänger als Tiger und Leoparden haben“ (a. a. O., S. 43–44, Anm.). 162 „Ich frage noch einmal, was hat denn Apollonius neues gelehrt, das auf das Thun und Lassen der Menschen den geringsten Einfluß hat, das nicht die Philosophen vor ihm gelehrt haben? Was er sonst gelehrt hat, ist zu weiter nichts nützlich als unvernünftige Disputen zu erregen, und einfältige Apollinisten in Harnisch zu setzen um sich unter einander auf das grausamste zu verfolgen. Diese Lehren kan man doch warlich nicht heilsam nennen; und daß sie durch ein Wunder haben ausgebreitet werden müssen, kann man also nicht behaupten“ (a. a. O., S. 62–63, Anm.). 163 Die These, dass die Religion durch den rationalen Beweis Anhänger gewinnen werde, kommentiert Paalzow in einer Mischung aus Ironie und ernsthafter religionspsychologischer Analyse: „Aus zweyen Gründen glaube ich das nicht. Der Apollinismus, wie ihn dieser Verf. vorträgt, ist nichts mehr und nichts weniger als die natürliche Religion. Diese weis auch von keinen Cäremonien, von keinen Opfern, von keiner Vergebung der Sünden durch anderer Vermittelung, dem weichen Küssen worauf sich der Sünder so gerne, so lang er ist, hinstreckt. Sie hat keine Geheimnisse welche die Einbildungskraft erhitzen und schmeichelt ihre Anhänger nicht, daß sie besser als andere Menschen sind, als nur in so ferne sie bessere Werke thun. Diese Religion ist also ungleich lästiger als eine iede andere positive Religion, die dem Menschen Vergebung seiner bösen Thaten verspricht, ohne daß er sie wieder gut machen darf. (…) Zweytens lehrt es auch die Erfahrung, daß die Menschen gar zu geneigt sind sich mehr mit dem was in die Sinne fällt zu beschäftigen, als was nur den Verstand angeht. Sind nicht sogar selbst die
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9. Folgen: Transformationen des theologisch gelehrten Schriftbeweises und seine Rezeption im Diskurs unter Gebildeten der Spätaufklärung Wie die Debatte infolge der Veröffentlichung von Less’ Beweiß der Wahrheit der christlichen Religion deutlich macht, vollzog sich Ende der 1770er-Jahre ein wesentlicher Umbruch sowohl in den äußeren Formen der aufgeklärten Debattenkultur als auch in der dortigen Beurteilung des Schriftverständnisses. Michaelis, Less und Semler, die Mitte des 18. Jahrhunderts zu den progressiven Vertretern der Theologie gehörten, gerieten nun selbst ins Visier radikalerer Aufklärer. Spätestens mit dem Fragmentenstreit hatte die offene Religionskritik auch über einzelne Gelehrte hinaus einen bedeutsamen Kreis an Theologen wie gebildeten Laien in Deutschland erreicht.164 Waren Michaelis, Less und Semler seit den 1740er-Jahren insbesondere in ihrer Tätigkeit als Übersetzer und Rezensenten noch Pioniere der Auseinandersetzung mit der radikalen Aufklärung gewesen, besaßen sie dabei zugleich aufgrund ihrer akademischen Schlüsselpositionen die oftmals entscheidende Interpretationshoheit. Michaelis, Semler und Less agierten stets in einer Doppelfunktion als kritische Rezensenten und zugleich systematisch geschulte theologische Lehrer. Ihr gemeinsames Anliegen war es, die deutsche Theologie in Auseinandersetzung mit den religionskritischen Schriften aufzuklären und wissenschaftlich weiterzuentwickeln, ohne das Christentums konfessioneller Prägung an sich infrage zu stellen. Die Protestanten, die doch noch Geheimnisse und unverständliche Glaubensartikel genug haben, besorgt, daß sie zur päbstlichen Religion möchten verführt werden, weil diese noch mehrere Geheimnisse und Glaubensartikel hat? Ich halte auch ihre Besorgniß, nicht aber wegen der bisher bekannt gemachten Thatsachen, sondern aus Gründen a priori für rechtmäßig. Die katholische Religion gewähret ihren Anhängern so viel Amusements, die, wenn sie auch freilich in Possenspielen bestehen, doch gerade recht dazu ausgesonnen sind, ihre Einbildungskraft zu erhitzen. Die protestantische Religion ist viel langweiliger. Sie hat das Aeussere der Ceremonien abgeschaft, da den klugen Köpfen die Ungereimtheit zu sehr auffiel und glaubte also, daß die Geheimnisse, worüber ein ieder Christ selbst nachdenken würde, hinreichen würden, sie bey der Religion fest zu halten. Aber sie hat nicht bedacht, daß die wenigsten Menschen im Stande sind, ohne Blider [sic!] vor Augen zu haben, ihre Einbildungskraft in Feuer zu setzen, und daß man ihm, mit Wegnehmung der Bilder auch die Geheimnisse selbst raube. Die Italiäner, welche den Protestanten in ihren Gukkasten das Leiden, die Auferstehung und Himmelfarth Christi zeigen, suppeditiren ihnen bessere Beweise als ihre Prediger, die in Kirchen zu predigen haben, wo weder ein Jesus am Creutze, noch eine Jungfer Maria, noch ein Paar Apostel und Heilige vorhanden sind. Ich glaube also sehr wohl, daß die Katholiken mit der Zeit in ihrem Vorhaben glücklich seyn werden“ (a. a. O., S. 99–100, Anm.). Vor diesem Hintergrund legte Paalzow später einen eigenen (ironischen) Entwurf für ein Aesthetisches Christenthum (1819) vor. 164 Johann Sebastian von Drey bezeichnet in seiner umfangreichen historischen Untersuchung zur Apologetik von 1838 die Flut der offenbarungskritischen Veröffentlichung wie derjenigen Paalzows infolge des Fragmentenstreits wie „nach dem Durchbruche eines Deichs“ (Drey, Apologetik als wissenschaftliche Nachweisung der Göttlichkeit des Christenthums in seiner Erscheinung, Bd. 1, S. 67).
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VII. Die Debatte um Gottfried Less
zunehmende Publikationsdichte apologetischer Werke seit den 1760er-Jahren macht deutlich, dass sich das Christentum in einer verschärften Legitimationskrise befand. Wie die Debatten um Michaelis, Less oder Semler zeigen, stellte der Rekurs auf die historische Plausibilität der Offenbarung einen vielversprechenden Lösungsansatz dar, der sowohl dem Anspruch der allgemeinen Verifizierbarkeit Rechnung tragen als auch zugleich durch den Verzicht auf den Gefühlsbegriff den Vorwurf des unaufgeklärten religiösen Fanatismus vermeiden sollte. Der mit jeder Auflage wachsende Umfang von Less’ Beweiß und die immer detailliertere philologische Analyse der biblischen und außerbiblischen antiken Texte zeugen von dem Bewusstsein, die Religion durch vertieftes historisches Studium sichern und in ihrer Selbstreflexion fördern zu können. Wie die Rezensionen nicht nur der theologischen, sondern auch der allgemeinen gelehrten Journale aus Göttingen, Tübingen oder Jena deutlich machen, vertraten die meisten unter ihnen eine mehr oder minder dezidiert konfessionell-apologetische Position. Freilich war deren Lesern eine kritische Auseinandersetzung mit den immer voluminöseren und diffizileren Versuchen der historischen Apologie der Schrift kaum mehr zu vermitteln.
9.1 Veränderungen der Rezeptionsbedingungen theologischer Debatten Öffentlichkeitswirksame theologische Debatten lösten dagegen vielfach die allgemein verständlicheren, christentumskritischen Schriften theologischer Laien wie Hermann Samuel Reimarus, Ernst Christian Wünsch (1744–1828)165 oder Christian Ludwig Paalzow aus. Bewegte sich Reimarus noch auf dem Boden der Offenbarungskritik des englischen Deismus, so war Paalzow vornehmlich durch die teils radikalere französische Religionskritik beeinflusst und wendete deren Potential gegen die voluminösen apologetischen Versuche deutscher Universitätsgelehrter. Ein wesentliches Moment der Neuerung und publizistischen Wirkung stellte dabei die Wahl der Publikationsform dar, die sich nur partiell auf eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Argumenten der Theologen einließ und ihnen breitenwirksame fiktionale oder satirische Schriften entgegensetzte. Spätestens Paalzows Apollonismus lieferte keinen Debattenbeitrag im herkömmlichen Sinne mehr, sondern setzte sich parodistisch mit dem Thema auseinander. Wie wirksam die Wahl neuer Kommunikationsformen sein konnte, hatte wenige Jahre zuvor mit großem Erfolg Lessing in seinem Nathan 165 Der in Frankfurt (Oder) lehrende Mathematiker Ernst Christian Wünsch löste mit seinem anonym veröffentlichten Werk Horus oder astrognostisches Endurtheil über die Offenbarung Jo‑ hannis und über die Weissagungen auf den Messias wie über Jesum und seine Jünger (1783) einen Skandal aus.
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der Weise bewiesen, der den Fragmentenstreit – auch aufgrund des theologischen Publikationsverbots – in Form des Dramas publikumswirksam fortgeführt hatte. Mit seiner Satire orientierte sich Paalzow nicht nur inhaltlich, sondern auch formal in der Wahl der literarischen Darstellung wesentlich an den Formen der französischen Religionskritik, die nicht zuletzt durch die hohe Präsenz französischer Aufklärer in Berlin eine besondere Faszination ausübte. Wie die Rezensionen deutlich machen, beanspruchte seit dem Ende der 1760er-Jahre die Allgemeine deutsche Bibliothek die Rolle des publizistischen Sprachrohrs der deutschen Aufklärung und löste die Bedeutung der traditionellen gelehrten Journale wie derjenigen der Göttingischen Anzeigen ab. Auffallend ist, dass auch die Allgemeine deutsche Bibliothek unter der Leitung Nicolais die Religion gegen Paalzow und andere Religionskritiker dezidiert in Schutz nahm, sich zugleich jedoch offen von weiten Teilen der orthodoxen Dogmatik distanzierte. Die strukturellen Unterschiede und die fehlende institutionelle Abhängigkeit eröffneten dem Rezensionsorgan neue Möglichkeiten der Interpretation. Wie bereits der Titel anzeigt, betrachtete sich die Allgemeine deutsche Bibliothek nicht mehr als reines Journal für Gelehrte, sondern richtete sich bewusst an ein breiteres, gebildetes Publikum. Less hatte im Vorwort seines Beweißes der Wahr‑ heit der christlichen Religion zwar ebenfalls den Anspruch erhoben, ein breites, gebildetes Publikum zu erreichen, blieb jedoch in seiner Darstellungsweise den klassischen Formen einer gelehrten theologischen Abhandlung von über 1000 Seiten verhaftet.166 Bezeichnenderweise erschien die Allgemeine deutsche Biblio‑ thek in Berlin in einer Stadt, die bis dato über keine Universität verfügte. Anders als in Göttingen, wo sich die Rezensenten der Göttingischen Anzeigen meist aus Universitätsprofessoren rekrutierten, stand die Allgemeine deutsche Bibliothek in keiner unmittelbaren universitären oder anderweitigen institutionellen Abhängigkeit. Die Ausrichtung bestimmte mit Friedrich Nicolai weder ein Professor noch ein Theologe oder Beamter, sondern ein Verleger, der neben seinem aufklärerischen Interesse den Druck in erster Linie an den Erfordernissen des Marktes und des Publikums ausrichtete.167 166 Bereits in der Rezension zu Semlers Beantwortung der Fragmente eines Ungenannten beklagte die Allgemeine deutsche Bibliothek den Versuch Semlers, den Fragmentisten durch umfangreiche theologische Abhandlungen widerlegen zu wollen, die jedoch von den entscheidenden Personen nicht gelesen werde: „Der Ungläubige ließt sie nicht, und wird auch selten durch Widerlegungen gebessert; der Gläubige bedarf ihrer nicht; (…) Oder, wenn ja widerlegt seyn sollte, warum in dicken Bänden, die grade von denen nicht gelesen oder verstanden werden, für die sie geschrieben seyn sollten? Warum nun kein Jota und keinen Tüttel übergangen? Warum so viel hineingewebt, das nicht zur Sache gehört? Warum denn nun alles erklären, vergleichen, heben wollen, was man doch nach so langer Zeit nicht mehr zuverläßig erklären, vergleichen und heben kann, und es auch nicht nöthig hat? Warum alle Aussprüche und Beweißarten unserer Schriftgelehrten und Aeltesten dabey vertheidiget?“ (Allgemeine deutsche Bibliothek 1780 [40. Bd., 2. St.], S. 420) 167 Zur detaillierten zeitgenössischen Darstellung des Bücher‑ und Zeitschriftenmarktes vgl. unter anderem Friedich Nicolais ausführliche Darstellung der Realität eines Verlegers gegenüber
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VII. Die Debatte um Gottfried Less
Ein Vergleich der Rezensionen zeigt, dass die klassischen gelehrten Journale der Einschätzung des freigeistigen Berliner Religionskritikers keineswegs folgten. Diejenigen gelehrten Journale traditioneller Universitätsstädte wie Tübingen oder Jena betrachteten z. B. die Satiren Paalzows als fundamentalen Angriff auf die Religion, den es mit Nachdruck abzuwehren galt. Bezeichnenderweise berichteten die Göttingischen Anzeigen von keinem der Werke Paalzows mehr, obwohl diese sich mit Michaelis und Less gegen zwei ihrer renommiertesten Rezensenten wandten. Sei es aus bewusster Nichtbeachtung oder dem Gefühl akademischer Überlegenheit, die Göttingischen Anzeigen hielten die Debatte in ihrer neuen Form nicht mehr für berichtenswert. Vergleicht man die Rezensionen der gelehrten Journale, so kann man davon ausgehen, dass die Wahrnehmung der Thesen Paalzows in der Allgemeinen Deutschen Bibliothek und deren eigenständige Religionsinterpretation eine Ausnahme darstellten. Das Urteil der All‑ gemeinen Deutschen Bibliothek kann wohl dennoch mit Recht als Spiegel der Wahrnehmung bestimmter Kreise eines aufgeklärten Bürgertums gelten, das zwar längst nicht mit dem Christentum gebrochen, sich jedoch bereits von dessen klassischen dogmatischen Formen weit entfernt hatte.
9.2 Die Pluralisierung des protestantischen Schriftverständnisses An der Entwicklung der apologetischen Strategie des Göttinger Theologen Gottfried Less zeigt sich der Prozess eines Wandels des biblischen Schriftverständnisses, das die universitäre protestantische Theologie in Deutschland in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts grundlegend veränderte. Less, einer der renommiertesten und einflussreichsten Göttinger Theologen, erkannte in seiner Auseinandersetzung mit dem Deismus und den französischen Aufklärern äußerst präzise, dass die Glaubwürdigkeit der protestantischen Theologie wesentlich von der Plausibilisierung des Schriftverständnisses abhing. Setzte er 1768 dem naiven Anspruch des wahrheitssuchenden Gelehrten und Predigers Sebaldus Nothanker im gleichnamigen Roman (Nicolai, Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker, Bd. 1, S. 81–134). Nicolais antiklerikaler Roman, der unter anderem das selbstherrliche Gebaren der Pfarrerschaft sowie den Bekenntniszwang massiv anprangerte, erreichte rasch eine enorme Popularität und wurde bald ins Englische, Französische und Niederländische übersetzt. Folgendes Zitat mag die Wahrnehmung des Wandels der Gelehrtenwelt aus zeitgenössischer Sicht anschaulich widerspiegeln: „Seb[aldus]. Aber der Buchhändler sollte der Gelehrsamkeit aufhelfen, und keine andere als gute Bücher, drucken und verkaufen. Hier[onymus]. Das heißt von dem Buchhändler zu viel gefordert, der sich nie nach dem Geschmack der besten Gelehrten, ja selbst nicht nach seinem eigenen, sondern nach dem Geschmacke des großen Haufens richten kan, und dieser macht es ihm nur allzuleicht, die guten Schriftsteller beynahe ganz zu entbehren. (…) Wände mit Büchern tapezieren, oder um gelehrter zu reden, große Bibliotheken errichten, war zu der Zeit Mode als die vorhergenannten großen Bücher noch verkauft wurden. Itzt hat die leidige Sucht, Gedichte und kleine Modebücher zu lesen, die großen Bibliotheken und die schwerfällige Art zu studiren wozu große Bibliotheken nöthig waren, ganz aus der Mode gebracht“ (a. a. O., Bd. 1, S. 114 und 118).
9. Folgen
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in Reaktion auf Burignys kritische Untersuchung der Schriftbeweise mit dem Versuch der rationalen Überzeugung des historischen Beweises der Wunder und Weissagungen in der Schrift an, so verlagerte er – auch unter dem Eindruck der sich emanzipierenden Göttinger Geschichts‑ und Mythenforschung – seine Argumentation danach sukzessive hin auf deren Begründung in der subjektiven als auch kollektiven moralischen Erfahrung des Menschen. Die von Auflage zu Auflage veränderte Argumentationsstruktur zeugt dabei von der Unabgeschlossenheit einer systematischen Antwort auf die Frage nach der Begründung des Schriftprinzips. Stattdessen etablierte sich als weithin anerkanntes Interpretationsschema das religionshistorische Fortschrittsmodell, das spätestens seit der Mitte des 18. Jahrhunderts theologisch salonfähig geworden war. Diente die Anwendung des Fortschrittsmodells ursprünglich als Interpretationsmuster zur Legitimation alttestamentlicher Offenbarungsansprüche, so bringt die Auseinandersetzung mit Paalzow zum Ausdruck, wie sehr sich das theologische Geschichtsverständnis in den beiden vorhergehenden Jahrzehnten verändert hatte. Die Argumentation Paalzows veranschaulicht, dass das ursprünglich zu apologetischen Zwecken herangezogene Religionsentwicklungsschema, das die Fremdheit bestimmter biblischer Stellen, insbesondere im Alten Testament aufgrund historischer Umstände erklären sollte, sich mit der Entwicklung einer eigenständigen Kulturgeschichte schließlich gegen das Christentum selbst wandte und dieses lediglich als eine, noch dazu seiner griechischen und römischen Umwelt weit unterlegene, Stufe der moralischen und kulturellen Entwicklung präsentierte. In der Debatte mit Paalzow wird zudem deutlich, welche Hochschätzung die antike Philologie in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts genoss – nicht zuletzt aufgrund des Erfolgs der Göttinger Altphilologie. Während sich bei einem breiteren Bildungsbürgertum ein humanistischer Bildungskanon zu etablieren begann, drohte die Bibel demgegenüber ihren singulär normativen Wert zu verlieren. Glaubwürdigkeitskriterium für die Religion war nun deren moralische Funktionalität und historische Leistungsfähigkeit, die jedoch einen Kritiker wie Paalzow nicht mehr zu überzeugen vermochten. Als Jurist, der sich mit den absoluten Wahrheitsansprüchen religiöser Gruppierungen im konfessionell und religiös gemischten Preußen auseinanderzusetzen hatte, sah Paalzow in den Konfessionen und Religionen weit eher die Gefahr ihres politischen, juristischen und nationalökonomischen Schadens als ihren Nutzen. Versuchte Less in den ersten Auflagen seines Beweißes gegenüber der wachsenden Offenbarungskritik die Wahrheit der Heiligen Schrift mit eigenen historischen Untersuchungen zu „beweisen“, wandte er sich in der Überarbeitung seines Werkes verstärkt dem Beweis der „inneren“ und „äußeren“ Wirkungen zu. Paalzow dagegen erkannte die Unstimmigkeiten, die sich zwischen Less’ verschiedenen Beweisarten ergaben, und spielte sie in seinem Hierokles gegen die apologetischen Ansätze von Michaelis und Semler aus. Dass in diesem zentralen
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VII. Die Debatte um Gottfried Less
Aspekt des Schriftverständnisses unter führenden protestantischen Theologen keine systematische Einheit bestand und die Ansätze ihrerseits keine umfassend ausgearbeitete Theorie als Antwort auf die historische Kritik lieferten, wurde gerade von den konfessionell orientierten gelehrten Journalen als Verlust dogmatischer Einheitlichkeit beklagt. Paalzows Vergleich der Bekenntnisbindung mit der römischen Inquisition zeigt, dass unter Teilen des aufgeklärten Publikums die Orientierungsfunktion der Bekenntnisse massiv in Misskredit geraten war, nicht zuletzt unter Berufung auf die reformatorische Freiheit des individuellen Urteils. Die Debatte um Less’ Beweiß der Wahrheit der christlichen Religion zeigt also zugleich die Dynamik der wachsenden Interpretationsbedürftigkeit der biblischen Texte und Bekenntnisse, wobei der offene Diskurs wesentlich zur Pluralisierung unterschiedlicher religiöser Selbstverständnisse beitrug. Eine zentrale Rolle spielte hierbei die bereits in Resewitz’ Rezension aufgeworfene Frage nach dem adäquaten protestantischen Religionsverständnis. Der Vorwurf, die christliche Religion lasse sich nicht dogmatisch definieren und dadurch religionshistorisch engführen, stellte dabei den wohl schärfsten Kritikpunkt der All‑ gemeinen deutschen Bibliothek an Less’ Religionsbeweis dar und offenbarte zugleich die sich um 1800 verschärfende Krise des protestantischen Religions‑ und Theologieverständnisses. Während Less sowohl aus dogmatischem Selbstverständnis als auch aus apologetischem Interesse zwischen dem normativen Anspruch der Offenbarung und der Bekenntnisse einerseits und ihrer kirchenhistorischen Anwendung andererseits zu differenzieren versuchte, forderte Resewitz eine konsequent kulturgeschichtliche Beschreibung des Christentums, die auf eine Unterscheidung zwischen religiöser Bewegung und dogmatischer Beschreibung verzichtet. Unabhängig davon, inwieweit Paalzows umfassende Christentumskritik ein zunehmend kritisches gebildetes Bürgertum tatsächlich in seiner Meinung beeinflusste, lässt sich festhalten, dass mit der Allgemeinen deutschen Bibliothek das renommierteste deutsche Kommunikationsmedium unter den Gebildeten Mitte der 1780er-Jahre ein Religionsverständnis propagierte, das sich im Bewusstsein des Anschlusses an ein reformatorisches Erbe von normativer Schrift‑ und Bekenntnisbindung distanziert hatte. Die Kontroverse um das protestantische Selbstverständnis in einer sich pluralisierenden Debattenkultur konnte auch ein obrigkeitlich verordnetes Woellner’sches Religionsedikt letztlich nicht mehr aufhalten.
Kapitel VIII
Fazit: Transformationen des Schriftverständnisses unter Gelehrten und Gebildeten (1750–1785) 1. Popularisierung und Radikalisierung theologischer Debatten seit 1750 1.1 Auswirkungen der Radikalisierung französischer Religionsdebatten Wie die Untersuchungen der vier Kontroversen verdeutlichen, war das Aufkommen der historischen Bibelkritik im deutschen Protestantismus unmittelbar mit der Entstehung einer neuartigen Debattenkultur verbunden. In dieser verloren wesentliche theologischen Kategorien und Normen biblischer Auslegung, welche über Jahrhunderte kirchlich und universitär gewachsen waren, innerhalb weniger Jahre breite intellektuelle Akzeptanz. Das traditionelle, klassische Selbstverständnis der Kirchen und ihrer Theologie als gesamtgesellschaftlich und speziell akademisch unbestritten führende Institutionen erlebte einen rasanten Prozess der Transformation und Ausdifferenzierung. Dieser erforderte eine fundamentale theologische Neubegründung sowohl des biblisch hermeneutischen Selbstverständnisses als auch seiner ekklesiologischen Konsequenzen. Hierauf versuchten unter anderem Schleiermacher, die Vertreter des deutschen Idealismus, aber auch die neuen, teils dezidiert konfessionellen Erweckungsbewegungen eine Antwort zu geben. Dieser sowohl für Kirche und Theologie als auch für die Gesellschaft völlig neuartige Prozess lässt sich, dies ist ein wesentliches Ergebnis vorliegender Untersuchung, nur verstehen vor dem Hintergrund der gesamtgesellschaftlichen Ausdifferenzierung und Dynamisierung der Formen medialer Kommunikation, und insbesondere des Pressewesens, welches bis in die 1780er-Jahre exponentiell wuchs. Alle vier untersuchten Debatten stellen somit den Versuch dar, den universalen Anspruch der christlichen Wahrheit vor dem Hintergrund der zunehmenden Popularisierung religiöser Kontroversen argumentativ neu zu plausibilisieren und den veränderten Formen der Kommunikation anzupassen. In allen vier Fällen wird zudem deutlich, inwiefern der inhaltliche wie formale Anpassungsdruck an die sich wandelnden Kommunikationsstrukturen die Theologie unter Gelehrten und Gebildeten in den führenden Aufklärungszentren Halle, Göttingen und Berlin nachhaltig veränderte.
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VIII. Fazit: Transformationen des Schriftverständnisses
Die Auseinandersetzung um de Prades liefert ein anschauliches Beispiel für die Herausforderungen, die dem protestantischen Schriftprinzip im Umgang mit einem naturwissenschaftlichen Weltbild erwuchsen, das sich von biblischen Prämissen emanzipierte und anstelle des Absolutheitsanspruchs der Theologie einen eigenständigen zu erheben begann. Während die englischen Deisten das biblische Schriftverständnis weitestgehend mit einem empirischen Erkenntnismodell zu vermitteln suchten, stellten die seit Ende der 1740er-Jahre erschienenen Werke des französischen Materialismus das christlich fundierte Weltbild mit einer bis dato unbekannten Radikalität infrage. Begünstigt wurde deren Rezeption durch die weite Verbreitung und Geläufigkeit des Französischen als Mediums der europaweiten Selbstverständigung höfischer Kultur und der damit verbundenen Bevorzugung französischer Literatur in den Kreisen deutscher Gebildeter. Ähnlich wie bei der Rezeption des englischen Deismus wurde in den gelehrten Zeitschriften der Inhalt vieler Werke zwar lediglich in abgeschwächter oder bereits widerlegter Form kommuniziert. Dennoch ermöglichte die Frankophilie einer wachsenden Zahl von Gebildeten den unmittelbaren literarischen Zugang zu den Originalen. Wie die Debatte um de Prades im Kontext der Veröffentlichung der Encyclo‑ pédie deutlich macht, beschäftigten insbesondere die Fragen nach der Vereinbarkeit naturhistorischer Forschungsergebnisse wie der Erdentstehungstheorie Buffons und der naturgesetzlichen Unmöglichkeit von Wundern die französischen Aufklärer. Die spezifische kirchenpolitische Situation im absolutistischen Frankreich, die mit dem Edikt von Fontainebleau 1685 bereits jede nennenswerte konfessionelle Pluralität beendet hatte, garantierte dem theologischen Urteil der Sorbonne als Hüterin der römisch-katholischen Lehre umfassende Deutungshoheit und deren politische Durchsetzungsmöglichkeiten. Die hierdurch gesteigerte Radikalität innerkirchlicher Opposition und ihrer meist im Geheimen oder im Ausland publizierten Schriften grenzten den Spielraum zur Entfaltung theologisch-philosophischer Vermittlungspositionen in Frankreich – anders als in England oder Deutschland – massiv ein. De Prades’ jesuitischer Versuch einer rationalen Vermittlung der biblischen und der naturwissenschaftlichen Geschichtstheorien zeigt jedoch, dass in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts durchaus Freiraum für innerkatholische Vermittlungsversuche existierte. Dieser wurde jedoch im Zuge der sich radikalisierenden Dynamiken zu Beginn der 1750er-Jahre in Paris radikal eingeschränkt. In Preußen fanden, begünstigt durch die tolerante Religionspolitik Friedrichs II. seit Ende der 1740er-Jahre, viele französische Aufklärer Aufnahme, die eine spezifische Mischung aus englischem Freidenkertum und französischem Antiklerikalismus mit nach Preußen brachten. Damit sollten sie hier eine nachhaltige Wirkung auf die religiöse Einstellung zahlreicher Gebildeter im friderizianischen Preußen entfalten. Wie die Debatte um de Prades veranschaulicht, übte unter ihnen Voltaire aufgrund seiner singulären publizistischen Fähigkeiten und
1. Popularisierung und Radikalisierung theologischer Debatten seit 1750
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Popularität maßgeblichen Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung aus, die er in Fällen wie de Prades und Jean Calas (1698–1762) erfolgreich zu instrumentalisieren wusste. Obwohl de Prades’ Thesen in der deutschen gelehrten Rezeption zunächst durchweg auf theologische Ablehnung stießen, da sie in ihrer theologischen Wunderkritik an einem Hauptpfeiler des orthodox- theologischen Schriftbeweises rüttelten, überwog schließlich die Erregung über den von Voltaire publizistisch genial inszenierten Justizskandal an der Sorbonne. Selbst de Prades’ scharfe antiprotestantische Kritik trat in der Wahrnehmung des protestantischen Deutschlands gegenüber der Erregung über das ungerechte Verfahren und die Machtbesessenheit der französischen Kirche zurück. Vielmehr bot dieser Vorfall deutschen Gelehrten einen willkommenen Anlass, sich selbst als tolerant und theologisch aufgeklärt auf der Seite der erfolgreichen Enzyklopädisten präsentieren zu können. Gleichzeitig manifestiert sich im Streit um de Prades insofern ein Wahrnehmungsumschwung, als die Verletzung des Prinzips der freien Debatte für gravierender als die öffentliche Verteidigung theologisch illegitimer Positionen gehalten wurde. Gegenüber der Abhängigkeit der publizistischen Inszenierung erkannten nur wenige theologische Universalgelehrte wie Baumgarten, den Voltaire selbst als „die Krone deutscher Gelehrten“1 bezeichnet hatte, aufgrund ihres Zugangs zu den lateinischen Originalen die Komplexität und den Konsequenzen der hermeneutischen Theorien de Prades’. Gegenüber der gezielten Steuerung der öffentlichen Meinung, wie Voltaire sie durch populäre Spottschriften betrieb, waren die in theologischen Journalen veröffentlichten diffizilen Abhandlungen eines Baumgarten in ihrer begrenzten Massenwirkung jedoch weitgehend machtlos. Der Fall de Prades deutet somit auch einen medialen Wechsel an. In ihm wurden – unter maßgeblichem Einfluss der geflohenen französischen Aufklärer am preußischen Hof – auch die Formen publizistischer Agitation aus Frankreich importiert, die sich dort aufgrund einer massiv limitierten universitären und öffentlichen theologischen Debattenkultur etabliert hatten. Der Fall de Prades repräsentiert letztendlich das Scheitern theologischer Vermittlungsversuche mit der Aufklärung in Frankreich und trug zu einer zunehmenden Diastase zwischen Kirche und Aufklärern bei. Deren antidogmatischer Einfluss wirkte sich insbesondere über Preußen und die Berliner Aufklärung spürbar auf die deutschen Aufklärungsdebatten aus, wo die Entscheidung theologischer Streitfragen dem Urteil theologischer Fakultäten weitgehend entzogen war. Zu der empirischen Kritik am Festhalten eines widernatürlichen Wunderglaubens traten weitere Vorbehalte gegenüber der historischen Zuverlässigkeit der biblischen Überlieferung. Diese speiste sich unter anderem aus einem wachsenden zeitgenössischen Misstrauen gegenüber jeglichen kirchlichen Autoritäten Vgl. Schloemann, Siegmund Jacob Baumgarten, S. 22.
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VIII. Fazit: Transformationen des Schriftverständnisses
und Traditionen. Das wunderwirkende Handeln eines jansenistischen Priesters in Paris entwickelte sich dabei zum paradigmatischen Fall, der aufgrund kirchenpolitischer Spannungen zunächst zu einem gesamtfranzösischen Skandal avancierte und bald in ganz Europa Beachtung fand. Dabei trugen die katholischen Bischöfe in Frankreich ihrerseits zur rationalen Wunderkritik bei. Indem sie aufgrund der Unkontrollierbarkeit und kirchenpolitischen Brisanz der Bewegung selbst medizinische Gutachten zur Widerlegung der Wunder in Auftrag gaben, leiteten sie Wasser auf die Mühlen der Kritiker religiöser Wundererscheinungen im Allgemeinen. In dem Rationalisierungsstreben kommt eine gewisse Parallelität innertheologischer Frontstellungen zum Ausdruck, mit denen die kirchlichen Hierarchien zeitgleich auch in Deutschland zu kämpfen hatten. So galt es, sich einerseits gegen die Wunderkritik der Aufklärer zur Wehr setzen, zugleich aber scharf gegen die Ausbreitung innerkirchlicher enthusiastischer Bewegungen vorzugehen, die sich den obrigkeitlichen Strukturen und ihren Kontrollmöglichkeiten zu entziehen drohten. Die offensichtliche Instrumentalisierung jener vermeintlichen Wunderheilungen zu kirchenpolitischen Zwecken verstärkte nicht nur unter den französischen Aufklärern das Misstrauen gegenüber der Berechtigung jeglichen religiösen Wunderglaubens. Die Ereignisse in Paris entwickelten sich in Kürze zum Synonym für die zwielichtige Genese jeglicher Wunderberichte überhaupt, deren religionskritischen Potentials sich die Enzyklopädisten ebenso wie Bolingbroke, Burigny, Hume und andere ausgiebig bedienten. Wie nachhaltig dieses Ereignis unter den europäischen Gelehrten auf die Wunderkritik wirkte, beweist der apologetische Versuch des Göttinger Theologen Less noch 40 Jahre später. Um Weissagungen und Wunder als Grundlage des Schriftbeweises zu retten, suchte er zumindest die prinzipielle Möglichkeit der Echtheit der Pariser Wunder durch kritisches Quellenstudium nachzuweisen. Wie seine Rezeption in den gelehrten Zeitschriften veranschaulicht, war das Misstrauen gegenüber dem zeitgenössischen Wunderglauben jedoch bereits so groß, dass er sich in den folgenden Auflagen unter dem öffentlichen Druck gezwungen sah, seine theologische Position zu revidieren. Die in den gelehrten Journalen vorgetragene Wunderkritik bringt dabei eine weitreichende Synthese von empirischem Skeptizismus, Verachtung kirchenpolitischer Auseinandersetzungen und intellektuellem Überlegenheitsgefühl gegenüber jeglicher Art von Volksfrömmigkeit zum Ausdruck, die das religiöse Urteil vieler deutscher Aufklärer bestimmte.2
2 In gewisser Weise nahm die Debatte um die Glaubwürdigkeit dieser Wunderberichte diejenige vorweg, die wenig später durch die Reimarus-Fragmente um die biblischen Berichte geführt werden sollte und in der ebenjene Verdachtsmomente des Priesterbetrugs und der Leichtgläubigkeit der Zeugen eine wesentliche Rolle spielen sollten.
1. Popularisierung und Radikalisierung theologischer Debatten seit 1750
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1.2 Der englische Deismus als Vorbild liberaler laientheologischer Debattenkultur Seit Ende der 1740er-Jahre geriet der Glaube an die Autorität der Schrift zusätzlich durch den Einfluss der Schriften des englischen Deismus in die Kritik. Obwohl der Deismus in England zu diesem Zeitpunkt seinen Zenit bereits überschritten hatte, begannen jene Ideen in Deutschland erst mit einiger Verzögerung wirksam zu werden. Zwar waren die Werke der englischen Deisten bereits zuvor von verschiedenen Theologen wie Philosophen rezipiert worden, zumeist jedoch mit einer klar apologetischen Intention. Im Zuge einer beginnenden Rezeptionswelle englischer Literatur setzte nach 1740 auch in Deutschland eine verstärkt positive Rezeption des Deismus ein.3 Jener Prozess stand in engem Zusammenhang mit der Aufnahme populärer englischsprachiger Literatur, zu der ein breites Publikum Zugang anhand von Übersetzungen erhielt.4 Insbesondere das erfolgreiche Format unterhaltsamer Zeitschriften stieß auf breites Interesse, wodurch sich nicht zuletzt Nicolai in der Konzeption seiner Allgemeinen deutschen Bibliothek anregen ließ. Der Anspruch der Popularität und Allgemeinverständlichkeit zeichnete in England vielfach auch die Publikationen theologischer Debatten aus, welche meist durch offen provozierende Schriften wie Bolingbrokes Letters on the study and use of history ausgelöst wurden. In der Theologiegeschichte wenig zur Kenntnis genommen, gehörten Bolingbrokes Letters zu den populärsten geschichtsphilosophischen Schriften des 18. Jahrhunderts. Sowohl ihr Inhalt wie auch die um ihre Veröffentlichung entstandene Debatte verraten viel über die Dynamik der sich wandelnden Wahrnehmung des englischen Deismus seit 1750 in Deutschland. Die von einem englischen Politiker im französischen Exil verfasste Schrift zeugt von der Dimension des zeitgenössischen europäischen Ideentransfers. Inhaltlich waren Bolingbrokes Thesen insofern bemerkenswert, als sie aufgrund einer paradigmatisch orientierten und empirisch begründeten Geschichtsschreibung den Offenbarungsanspruch der historischen Schriften des Alten Testaments auf den Anspruch einer vorderorientalischen Partikulargeschichtsschreibung reduzierten. Dabei flossen im Wesentlichen die Impulse der in England in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts bereits geführten deistischen Debatten um die Historizität Moses, die Legitimität alttestamentlicher 3 Vgl.
Lechler, Geschichte des englischen Deismus, S. 448. einer breiten Rezeption [englischer Literatur] kann allerdings erst seit den vierziger Jahren des 18. Jahrhunderts gesprochen werden. Seit der Ostermesse 1740 nämlich stieg die Anzahl der Übersetzungen aus dem Englischen rapide an. Ein erster Höhepunkt wurde Ostern 1750 erreicht, gegenüber 1740 hatte sich 1750 die absolute Zahl der Übersetzungen mehr als verdoppelt. In den vierziger Jahren begann also englisches Schrifttum zum ersten Mal in größerem Umfange in Übersetzungen auf den deutschen Buchmarkt zu fließen“ (Willenberg, Distribution und Übersetzung englischen Schrifttums im Deutschland des 18. Jahrhunderts, S. 176). 4 „Von
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VIII. Fazit: Transformationen des Schriftverständnisses
Weissagungen oder die Glaubwürdigkeit der Wunder im Neuen Testament mit ein. Indem Bolingbroke sowohl den alttestamentlichen Prophezeiungen ihre neutestamentliche Erfüllung absprach als auch die Historizität der neutestamentlichen Wunder leugnete, entzog er wesentlichen Kriterien des historischen Autoritätsbeweises der Schrift ihre Legitimation. Obwohl Bolingbrokes Werk in seiner Rezeption ähnlich wie die Werke anderer Deisten zunächst von den Theologen zumeist heftig bekämpft wurde, veranschaulicht der Rezeptionsprozess, wie sich das historische Interesse an der Theologie zwischen 1750 und 1780 unter deutschen Gelehrten wandelte. Da Bolingbroke aufgrund seiner schriftstellerischen Popularität unter akademischen Theologen als einer der bedrohlichsten Religionskritiker wahrgenommen wurde, zog beispielsweise Semler aus Bolingbrokes Zweifeln an der historischen Echtheit der biblischen Überlieferung die Konsequenz, umfassendere historische Studien für den gesamten theologischen Nachwuchs zu fordern. Als ein Zentrum des englischen Literaturtransfers übernahm die Universität Göttingen mit ihren Göt‑ tingischen Anzeigen eine führende Rolle in der Rezeption und Interpretation des englischen Deismus. Indem die Rezensenten der gelehrten Journale zugleich als Moderatoren der englischsprachigen Debatte fungierten, kam der theologischen Ausrichtung der Göttinger Professoren eine entscheidende Rolle in der Wahrnehmung der deistischen Bibelkritik unter den Gelehrten in Deutschland zu. Der Umstand, dass Bolingbrokes Werk erst im Zuge der sich daran entzündenden Kontroverse in England überhaupt Aufmerksamkeit in Deutschland erfuhr, verweist auf die Abhängigkeit des Erfolgs einzelner Werke von bestimmten Dynamiken ihres Rezeptionsprozesses. Zugleich präsentiert die Debatte in den Göttin‑ gischen Anzeigen inhaltlich wie formal den Anspruch Göttingens als aufgeklärt lutherischer Universität in ihrer Vermittlerfunktion zwischen deistischer Offenbarungskritik und kirchlich-apologetischen Streitschriften. Das Prinzip der offenen Auseinandersetzung hatte sich gegenüber der unmittelbar dogmatischen Verurteilung durchgesetzt. Zugrunde lag ihr immer die traditionell orthodoxe Überzeugung, dass sich die bekenntnisgebundene Schriftauslegung im freien Diskurs durch die Überlegenheit rationaler historischer Argumente erweisen lassen werde. Damit setzte Less als maßgeblicher dogmatischer Rezensent den in seiner Mitarbeit an Baumgartens Nachrichten von merkwürdigen Büchern in Halle erlernten informativen und diskursiven Ansatz fort und etablierte ihn nun für die Behandlung theologischer Fragen in den renommierten Göttingischen Anzeigen. Obwohl die Theologie sich in den Göttingischen Anzeigen anders als in Halle im Kontext einer Vielzahl verschiedener Disziplinen behaupten musste, garantierten die Statuten der Göttinger Universität weiterhin die institutionell verbürgte Interpretationshoheit der konfessionell verpflichteten Theologieprofessoren. Wie die Rezensionen aller Debatten signalisieren, behielt bei aller selbst beanspruchten Unparteilichkeit und Offenheit das apologetische Interesse
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in fast allen gelehrten Zeitschriften die Oberhand und beeinflusste hierdurch weitgehend die Rezeption der aufklärerischen Offenbarungskritik unter den Gelehrten. Zugleich basierte dieses System des gelehrten Diskurses auf der Annahme einer traditionellen universitären Streitkultur im Austausch rational- wissenschaftlicher Argumente, der die publizistischen Eigendynamiken populär inszenierter Diskussionen, wie sie beispielsweise von Bolingbroke oder Voltaire initiiert wurden, vollkommen fremd waren. Die entscheidende Voraussetzung für die Verselbständigung der Kontroversen und ihre Emanzipation vom universitär gelehrten Kontext bildete die Etablierung einer eigenen, deutschsprachigen Debattenkultur, die an die bereits bestehende Tradition der deutschen Literaturkritik im gebildeten Bürgertum anknüpfen konnte. Neben der Verwendung der deutschen Sprache trug dabei die populäre Darstellungsform deistischer Anliegen – ähnlich wie Reimarus sie in seinen Fragmenten vollzog – wesentlich zur Verbreitung dieses Gedankenguts bei. Die wohlwollende Rezension des theologischen Laien Lessing in den jüngst gegründeten Berliner Briefen, die neuste Litteratur betreffend (1759) bedeutete den endgültigen Übergang jener religionshistorischen Debatte in einen offenen Kommunikationsraum des gebildeten Bürgertums, als deren Zentrum sich die Berliner Aufklärung unter dem theologischen Einfluss der Neologen etablieren sollte.5 Die Reaktion der Allgemeinen deutschen Bibliothek auf die Neuedition der Briefe Bolingbrokes durch Johann Georg Hamann zwanzig Jahre später verdeutlicht, dass Bolingbrokes Thesen von Teilen der Gelehrten und Gebildeten für nicht mehr diskussionswürdig gehalten wurden. Bolingbrokes These von der historischen Unzuverlässigkeit der biblischen Quellen sorgte bei einem akademischen Philosophen wie Eberhard für keine nennenswerte Aufregung mehr und auch unter den Neologen galt, dass die Schlacht um den historischen Schriftbeweis bereits geschlagen war.
2. Die Ausdifferenzierung des Schriftverständnisses im öffentlichen Diskurs 2.1 Halle und die Polarisierung des innertheologischen Diskurses Die erste auf diese Kritik reagierende systematische Umformung erfuhr das protestantische Schriftprinzip durch Johann Salomo Semler infolge der theologischen Kontroversen in Halle. Die dort seit 1740 herrschende relative 5 Zur Neologie allgemein vgl. Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung, S. 112–150. Vgl. dort auch die umfassenden Literaturhinweise zur Neologie und zu ihren Vertretern. Speziell zur Bedeutung der Laienbewegung im Deismus und in der Neologie vgl. Barth, Mündige Religion – selbstdenkendes Christentum.
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VIII. Fazit: Transformationen des Schriftverständnisses
theologische Lehrfreiheit trug ebenso zur Debattenentwicklung bei wie die spezifischen Spannungen zwischen dem rationalen Wolffianismus einerseits und der auf die praxis pietatis zielenden pietistischen Tradition andererseits. Die im Sinne des Rationalismus wie Pietismus geforderte Offenheit der biblischen Auslegung gegenüber einer von der lutherischen Orthodoxie geforderten strengen Bekenntnisbindung hatte in Halle von Beginn an die Entwicklung verschiedener Schriftauslegungsrichtungen zur Folge gehabt, die ihre volle Entfaltung mit der liberalen Politik Friedrichs II. nach 1740 erreichte. Die Schwächung des kirchlichen Zugriffs repräsentierte dabei zunächst sowohl ein politisches wie ein innertheologisches Anliegen, welches mit seinem individualisierenden Impuls zugleich auf eine hohe Alphabetisierungsrate und eine weit entwickelte Publikationskultur im mitteldeutschen Raum um die Zentren Leipzig und Halle traf.6 Wie bereits für die Entwicklung des Pressewesens gezeigt wurde, hing die Entstehung einer publizistischen Öffentlichkeit in Deutschland eng mit der Wechselwirkung neuer Vergesellschaftungsformen und literarischer Interessen zusammen, die in der Bildung laienorientierter Frömmigkeitsformen und dem pietistischen Anspruch der Volksbildung ihr theologisches Programm fanden. Wie die Debatte um Semlers Anleitung zur Gottesgelersamkeit deutlicht macht, konnte die akademische Theologie solche massiv an Einfluss gewinnenden populären Frömmigkeitsentwicklungen nicht mehr übergehen, sondern sah sich zur bewussten, theologisch breitenwirksamen Gegensteuerung genötigt, wie bereits Semlers unermüdlicher Kampf in Medien mit hohem Multiplikationsfaktor wie Zeitschriftenartikeln oder Studienanleitungen verdeutlicht. Theologisch manifestiert sich in dieser Debatte zugleich die Ambivalenz des pietistischen Erbes in Halle, welches mit Baumgarten, Semler, Less oder Michaelis zu einer „Brutstätte“ der historisch-philologischen Schule wurde und zugleich deren dauerhafte theologische Front bildete. Im Halle’schen Pietismus offenbarte sich in exemplarischer Weise die später kaum mehr aufzulösende Spannung zwischen Popularisierung und Individualisierung des Schriftverständnisses einerseits und philologischer Suche nach der Objektivität des biblischen Urtextes andererseits. Dabei blieb diese Bewegung der orthodoxen Schriftlehre und Verbalinspiration zwar formal verbunden, hob jedoch in besonderem Maße die Bedeutung der individuellen Erleuchtung durch den Heiligen Geist zum Verständnis des biblischen Textes hervor.7 Bereits durch August Hermann Francke war zwar das Prinzip der Verbalinspiration nicht ermäßigt, jedoch die Möglichkeit der verschiedenen Interpretationen des Schriftsinns eröffnet worden, wogegen Semler in seinem Anspruch auf historische Eindeutigkeit des biblischen Textes später massiv opponierte. Obwohl der in Halle lehrende Siegmund Jakob Baumgarten der 6 Vgl. die Hinweise zur literarischen Entwicklung im Raum um Leipzig und Halle in Kapitel II.1. 7 Vgl. Barth, Die hermeneutische Krise des altprotestantischen Schriftprinzips.
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lutherisch-orthodoxen Dogmatik verpflichtet blieb, finden sich bereits bei ihm erste Anzeichen einer gewissen Relativierung der strengen Verbalinspiration, die sich in seiner Glaubenslehre niederschlug. Trotz seiner umfassenden Quellenkenntnisse, historischen Studien und Rezensionen religionskritischer Schriften vollzog Baumgarten jedoch noch keinen fundamentalen Bruch mit der orthodoxen Schrifthermeneutik. Erst nach seinem Tod wagte Semler als erster seiner prominenten Schülerschar Ansätze, die bereits bei seinem Lehrer zu finden waren, konsequent weiterzuentwickeln und eine systematische Umformung des orthodoxen Schriftprinzips vorzunehmen. Eine wichtige strukturelle Voraussetzung, welche den Bruch mit dem orthodoxen Schriftverständnis maßgeblich beförderte, stellte die umfangreiche Literaturbeschaffung und Erweiterung der hallischen Bibliothek unter Baumgarten dar. Dessen Rezensionsorgan, die Nachrichten einer hallischen Bibliothek, ermöglichte einen Wissenszugang, der die Studentenschaft gezielt mit den Erfolgen der historischen Bibelforschung und westeuropäischen Aufklärungskritik vertraut machte. Hierdurch trat die Spannung zwischen dem an unmittelbarer religiöser Erfahrung orientierten Studium in Halle einerseits und der vielerorts bereits fortgeschrittenen, tiefgreifenden Erschütterung des Offenbarungsglaubens offen zutage. In den konkreten Auseinandersetzungen um die Auslegung biblischer Texte ließen sich die unterschiedlichen Interessen nicht mehr negieren. Während die erbauliche Interpretation des Hohen Liedes Semler schließlich zum Entwurf einer Reform des Schrift‑ und Theologiestudiums veranlasste, gab die Diskussion um die Apokalypse in den 1760er-Jahren schließlich den Anlass, grundsätzlich die Frage nach der Einheit des biblischen Kanons zu stellen. Semlers Anleitung zum Theologiestudium musste als bewusst formuliertes wissenschaftliches Gegenprogramm zu Franckes Studienprogramm aufgefasst werden, welches als pietistisches Leitbild gezielt die existentielle Aneignung des Textes ins Zentrum gerückt hatte. Die in den gelehrten Journalen veröffentlichten zustimmenden Reaktionen auf Semlers Werk stehen in klarem Kontrast zur in Halle geäußerten Kritik und lassen dabei erkennen, wie sehr die Interessen der hallischen Studenten und der gelehrten Rezensenten voneinander abwichen. An Semlers Verteidigung seines Reformprogramms wird zudem sichtbar, wie wesentliche dogmatische Prämissen des bisherigen Schriftprinzips in der systematischen Zuspitzung der Debatte sukzessive aufgegeben bzw. uminterpretiert wurden. Dessen nur ein Jahr später vorgelegter Entwurf einer eigenen Bibelhermeneutik war das Ergebnis eines langen Auseinandersetzungsprozesses im Spannungsfeld zwischen sich wandelnden religiösen Partizipationsformen und einer sich spezialisierenden historischen Bibelkritik. In diesem kam der Universität Halle mit ihrer Bibliothek und ihrer gelehrten Zeitschrift als Wissens‑ und Kommunikationszentrum eine entscheidende Vermittlerrolle zu, die Semler in der Tradition Baumgartens fortzuführen suchte. Die Debatte um den Entwurf einer Programmschrift für die Erziehung des theologischen Nachwuchses
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spiegelt dabei in konzentrierter Form den innertheologischen Richtungsstreit um den angemessenen zukünftigen Umgang mit den zeitgenössischen religiösen Herausforderungen wider. Semler war insbesondere bei Baumgarten durch seine Arbeit an der Weltgeschichte umfassend im historischen Arbeiten geschult und durch seine Rezensionstätigkeit für die Nachrichten einer hallischen Bibliothek mit den Veröffentlichungen der westeuropäischen Bibelkritik vertraut. Daher setzte er in Abgrenzung zu Franckes Programm des mehrfachen Schriftsinns unter Berufung auf Luther auf die Betonung des einfachen, wörtlichen Verständnisses. Allein hierin sah er die Möglichkeit, die sich zunehmend separierenden religiösen und akademischen Diskurse auf der Grundlage eines gemeinsam rational zu ermittelnden historischen Schriftsinns zusammenzuführen.8 Semlers Programm der historisch fixierten Schriftauslegung, in welches er in seinen ausführlichen Vorreden auch seinen Lehrer Baumgarten als Gewährsmann einbezog, erhielt zunächst in den gelehrten Journalen durchweg Zuspruch – unter dem Eindruck der positiven Intention, aufklärerische Bibelkritik zu widerlegen und spiritualistisch-separatistischen innerkirchlichen Tendenzen entgegenzutreten. Vor dem Hintergrund der respektablen Absicht, den Bildungsstand der zukünftigen Theologen vor allem im apologetischen Interesse zu heben, blieben die Konsequenzen von Semlers sukzessiver Umformung des Schriftprinzips kaum bemerkt. Dieses entwickelte sich unter der Hand zu einer rein historisch-philologischen Analyse, die die dogmatische Rede von der Unverfügbarkeit der Erkenntnis durch den Heiligen Geist marginalisierte. Mit seiner unter Berufung auf das reformatorische Schriftprinzip formulierten Kritik an den dogmatischen Vorgaben für die Exegese nahm Semler einerseits einen gemeinsamen Impuls des Pietismus auf und lieferte zugleich die theoretische Grundlage einer umfassenden Kritik jeglicher dogmatisch gebundenen Exegese, die vor dem Hintergrund wachsender konfessioneller Pluralität innerhalb einzelner Städte und Territorien bereits ohnehin an Plausibilität eingebüßt hatte. Während Semler in Halle selbst die Rezeption englisch-deistischer Literatur beeinflussen konnte, sprengte die Freiheit der deistischen Religionskritik spätestens mit der Veröffentlichung der Fragmente eines Ungenannten den Rahmen des selbst von liberalen Theologen tolerierbaren Konsenses der Schriftauslegung. Die Rezeption der apologetischen Schriften Semlers in der Allgemeinen deutschen Bibliothek deutet darauf hin, dass Semlers Schrift gegen die Fragmente, in denen dieser die historisch-wissenschaftliche Illegitimität der Thesen des Fragmentisten darzulegen suchte, zwar für ehrenwert, aber unter publizistischen Aspekten als recht wirkungslos betrachtet wurde.9 Aufgrund seines Kampfes gegen die Frag‑ mente eines Ungenannten und Karl Friedrich Bahrdts Glaubensbekenntnis, vor 8 Zu den bereits zuvor geführten Auseinandersetzungen um die Bedeutung der spirituellen Dimension der Schriftauslegung zwischen Pietisten und lutherischer Orthodoxie vgl. Rohls, Offenbarung, Vernunft und Religion, S. 406–422. 9 Vgl. Allgemeine deutsche Bibliothek 1780 (40. Bd., 2. St.), S. 416–428.
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allem aber infolge seiner Unterstützung des Woellner’schen Religionsediktes geriet Semler schließlich selbst ins Visier der Kritik vieler Aufklärer. Die herbe Enttäuschung über ihn, den man ursprünglich für einen Vorkämpfer der liberalen Lehrart gehalten hatte, bringt deutlich die Eigendynamik zum Ausdruck, welche die Grenzen legitimer Bibelkritik in den Debatten sukzessive verschob und auf deren Entwicklung selbst Koryphäen wie Semler nur noch begrenzten Einfluss nehmen konnte. Dabei offenbarten die Konsequenzen der von Semler infrage gestellten historischen Plausibilität der Einheit des biblischen Kanons ein dem protestantischen Schriftverständnisses inhärentes Problem der Normativität. Dieses spiegelt das ambivalente Erbe der antiinstitutionellen Frontstellung seiner reformatorischen Entstehungsbedingungen wider. In Anknüpfung an ebenjenen antiinstitutionellen Impuls schien es vielen unter den Berliner Aufklärern vollkommen unverständlich, dass Semler den staatlichen Versuch der Bekenntnisbindung im Woellner’schen Religionsedikt mit dem Hinweis auf die Unterscheidung zwischen öffentlicher und privater Religion zu legitimieren suchte.
2.2 Göttingen und der Diskurs unter universitären Gelehrten Ähnlich wie in Halle, nur in weitaus umfassenderem Maße, trugen in Göttingen die Faktoren der Symbiose von umfangreicher Bibliothek und gelehrter Zeitschrift dazu bei, die Universität seit der Mitte des 18. Jahrhunderts als Vorbild der deutschen Gelehrtenrepublik zu verankern. Noch über Halle hinausgehend, versuchte man die Universität dem Einfluss der streng lutherischen Orthodoxie oder pietistischer Studentenschaft zu entziehen. Daher gestalteten sich die theologischen Debatten in Göttingen weniger als Auseinandersetzung mit einer zu sehr an der praxis pietatis orientierten Studentenschaft oder mit der kirchlichen Zensur, sondern in erster Linie als Ringen mit den sich von theologischen Prämissen emanzipierenden akademischen Disziplinen und deren Forschungsergebnissen. Dabei waren die Göttinger Dogmatiker, die bewusst als theologische Vermittler nach Göttingen gerufen worden waren, weitaus weniger bemüht, sich gegen die orthodoxe Dogmatik abzugrenzen. Stattdessen zielten sie vielmehr darauf hin, diese im aufklärerischen Sinne im universitären Gelehrtendiskurs zu aktualisieren und historisch argumentativ zu legitimieren. Hatten die Nachrichten einer hallischen Bibliothek bereits ein lokales Medium der Kommunikation kritischer Schriften geboten, so waren sie in ihrer Ausrichtung sowohl inhaltlich wie institutionell unter Baumgarten und Semler vornehmlich theologisch bestimmt geblieben. Innerhalb der Göttingischen Anzeigen und der Göttinger Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften spielte die Theologie hingegen nur noch eine gleichberechtigte Rolle und musste sich selbst gegenüber der Emanzipation eigenständiger wissenschaftlicher Maßstäbe behaupten. Selbst die Rezension religionskritischer Werke blieb nicht
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selbstverständlich den Theologen überlassen, sondern konnte auch von Vertretern anderer Disziplinen übernommen werden. Dennoch blieb die konfessionell lutherische Ausrichtung der Göttinger Universität unbestritten, wobei an den nichttheologischen Fakultäten weitreichende Lehrfreiheit herrschte. An diesem Standort der seinerzeit renommiertesten kulturgeschichtlichen Forschungen entwickelten sich hier zeitgleich grundlegende Neuansätze der religionshistorischen Forschung. Insbesondere durch den erfolgreichen Aufstieg der orientalischen und antiken Studien stellte sich für die Göttinger Dogmatiker in wachsendem Maße die Herausforderung der Legitimation des Offenbarungscharakters der biblischen Texte. Less suchte ihr in seinem Beweiß der christlichen Religion mithilfe historischer Argumentation zu begegnen. Während die Göttinger Historiker sich wohl aufgrund ihrer persönlichen wie institutionellen kirchlichen Verankerung in ihrer antitheologischen Kritik auffallend zurückhielten, verfügte Less durch die in Göttingen vorhandenen literarischen Strukturen über die Möglichkeiten des Studiums der sich verschärfenden englischen und französischen Offenbarungskritik. Deren Lektüre bewegte ihn schließlich zum Entwurf seiner Apologie des protestantischen Schriftprinzips. Unter Einbeziehung der alttestamentlichen Forschungen seines Kollegen Michaelis suchte er zunächst in traditioneller Weise den orthodoxen Schriftbeweis über den historischen Nachweis der Erfüllung der Wunder und Weissagungen zu führen. Nicht zuletzt infolge des Fragmentenstreites sah sich Less jedoch Ende der 1770er-Jahre zu einer kompletten Revision seines Ansatzes gezwungen, der den Beweis der Wahrheit der Offenbarung auf die Demonstration des individuellen wie kollektiven moralischen Nutzens des Christentums verlagerte. Less beschrieb darin präzise die fundamentalen Veränderungen, die sich in den 1770er-Jahren durch die Bibelkritik und Antikenforschung vollzogen hatten und ein Abrücken vom klassischen dogmatischen Schriftbeweis unvermeidbar werden ließen.
2.3 Berlin und der Diskurs im bürgerlich gebildeten Milieu Die meisten akademischen gelehrten Journale priesen Less’ voluminöse historische Demonstration des Beweises der Wahrheit der biblischen Offenbarung aufgrund ihrer großartigen philologischen Leistungen. Das Urteil der Allgemeinen deutschen Bibliothek vermittelte dagegen jedoch die Einsicht, dass im aufgeklärten Bürgertum die kulturgeschichtliche Christentumskritik bei gleichzeitiger Begeisterung für die Humanität der Antike bereits sehr viel weiter fortgeschritten war. Nur als partiell hilfreich erachtet wurde daher Less’ materialreiche historische Studie zur argumentativen Widerlegung der wachsenden Kritik. Vor dem Hintergrund des Anspruchs der Normativität der eigenen, aufgeklärten Moral schied insbesondere das Alte Testament als Offenbarung aus und ließ sich nur noch als religionsgeschichtliches Zeugnis einer moralisch niedrigen
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Entwicklungsstufe retten. Less’ Versuche, die bildhafte Sprache des Alten Testaments als Rede von Gott im übertragenen Sinne für die gegenwärtige religiöse Rede fruchtbar zu machen, fand gegenüber der Einordnung in das Schema einer aufgeklärt kulturgeschichtlichen Entwicklungstheorie im Urteil des Berliner „Sprachrohr[s] der deutschen Aufklärung“ keine Zustimmung mehr. Dennoch propagierte auch die Allgemeine deutsche Bibliothek keine generelle Christentumskritik, sondern vertrat im Sinne vieler Neologen den Anspruch, die Religion über sich selbst aufklären und modernisieren zu wollen. Wie die Debatten zuvor bereits gezeigt haben, trug dabei eine spezifische Synthese aus politischem Interesse und individuellen Erfahrungen in Preußen als Sammelbecken für Gesinnungsflüchtlinge zu einer grundlegenden Ablehnung dogmatischer Normierung des Christentums bei. Die Teilnahme zahlreicher kirchlicher Staatsbeamter an den freien Formen der Berliner Aufklärungskultur, die unter keinem unmittelbaren Einfluss einer theologischen Fakultät standen, bewirkte gleichzeitig, dass sich die Aufklärung in Preußen zunächst nicht grundsätzlich gegen die kirchlichen Institutionen, wohl aber gegen deren dogmatische Vorgaben wandte. Die Forderung der individuellen Entscheidungsfreiheit nicht nur gegenüber den Bekenntnissen, sondern auch gegenüber dem Autoritätsanspruch der einzelnen biblischen Schriften, entwickelte sich zum Grundprinzip eines aufgeklärten protestantischen Religionsverständnisses. Diese Interpretation wurde als endgültige Überwindung des klerikalen und dogmatischen „Papalismus“ und als Vollendung des reformatorischen Erbes gefeiert.10 Ebendieses protestantische Selbstverständnis bestimmte Friedrich Nicolai und die Rezensenten seiner All‑ gemeinen deutschen Bibliothek, die die Durchsetzung jener aufgeklärten Religionsform im deutschsprachigen Raum zum Programm erhoben. Dabei legitimierte lediglich der pädagogische Zweck der moralischen Orientierungsfunktion – der für den Erhalt des staatlichen Gemeinwesens unabdingbar war – eine kirchlich- institutionelle Normierung des Glaubens für noch unaufgeklärte Christen. Die staatliche Sicherung der kirchlichen Existenz bei gleichzeitiger innerkirchlicher Institutionenkritik verstärkte dabei das protestantische Abhängigkeitsverhältnis vom absolutistischen Staat, welches die Legitimation der kirchlichen Institution in wachsendem Maße auf außertheologische Begründungsmuster verlagerte.11 10 Wie umstritten die Verpflichtung auf die Bekenntnisschriften geworden war, veranschaulicht der durch Friedrich Germanus Lüdkes Schrift Vom falschen Religionseifer (1767) ausgelöste Streit, an dem sich unter anderem Abraham Wilhelm Teller, Johann Gottlieb Toellner, Johann Melchior Goeze, Anton Friedrich Büsching und Johann Salomo Semler beteiligten. Lüdke, der mit seiner Schrift Ueber Toleranz und Gewissensfreiheit (1774) erneut den Bekenntniszwang infrage stellte, setzte seinen Kampf dagegen insbesondere in seinen zahlreichen Rezensionen in der Allgemeinen deutschen Bibliothek fort (vgl. Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung, S. 124). 11 Während der von Friedrich Wilhelm I. geförderte Einfluss des Halle’schen Pietismus auf den preußischen Militär‑ und Staatsapparat noch weit in die Regierungszeit Friedrichs II.
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Wie die Veröffentlichung von Paalzows offen religionskritischer Schrift Hie‑ rokles verdeutlicht, verschärfte sich Ende des 18. Jahrhunderts der Ton in bestimmten Aufklärerkreisen in erheblichem Maße. In Form von Satire und Spottschrift wandte dieser sich nicht nur gegen die christliche, sondern auch gegen die jüdische Religion. Neben der beliebten Lektüre französischer Religionskritik, die mit der Wiederentdeckung spätantiker Christentumskritik einherging, trat das Bewusstsein allgemein moralischer (Kant) und politisch absolutistischer Rechtsautonomie hinzu. Dadurch verlor selbst die moralische Begründung für das Festhalten an der biblischen Offenbarung sukzessive an Überzeugungskraft. Die erste Generation der Berliner Aufklärer setzte sich noch vornehmlich aus theologisch in Halle geschulten Figuren zusammen. Deren Aufklärungsverständnis war von der existentiellen Auseinandersetzung mit Pietismus und lutherischer Orthodoxie bestimmt.12 Zunehmend gewannen nun diejenigen im preußischen Staatswesen in den Aufklärungsdebatten an Einfluss, die wie der Berliner Jurist Christian Ludwig Paalzow vom funktionalen Religionsverständnis Friedrichs II. geprägt waren. Sie betrachteten das Christentum vornehmlich unter dem Aspekt seiner Staatsdienlichkeit. Die unter Berufung auf das individuelle Schriftverständnis rapide abnehmende Bindung an gemeinschaftliche Bekenntnisse oder Formen schwächte die ohnehin schwindenden kirchlichen Bindungskräfte und führte schließlich zu obrigkeitlichen Restitutionsversuchen wie dem Woellner’schen Religionsedikt.13 hinein wirkte, brach diese enge Verbindung unter anderem aufgrund der Abneigung Friedrichs II. gegen die Pietisten mit dem Ende des Siebenjährigen Krieges ab (vgl. hierzu Wallmann, Friedrich der Große und die christlichen Kirchen, S. 26–27). Wie sehr die staatliche Einbindung der Geistlichen – meist als Feldprediger oder kirchliche Beamte – auf die Behandlung der Frage kirchlicher Ordnung wirken konnte, spiegelt exemplarisch ein Dialog aus Lüdkes Gesprächen über die Abschaffung des geistlichen Standes, nebst Untersuchung: Ob derselbe dem Staat entbehr‑ lich, ja sogar schädlich sey (1784) wider. „Polykarp: (…) Eben darum weil die Religion in das moralische Leben aller Stände einen mächtigen Einfluß hat, ist sie für den Staat selbst von größter Wichtigkeit. Und weil wir Geistlichen hauptsächlich dahin zu arbeiten haben, daß durch rechtschaffene Gottesverehrung immer mehr thätige Liebe zu allem, was recht und gut ist, unter die Menschen gebracht werde, so kann der Staat unsers Amts nicht entbehren. – Kriton: Hierauf kömmt die ganze Sache, worüber wir sprechen, eigentlich an. Wenn Sie mich davon überzeugen, Polykarp, und es dahin bringen können, daß unsre Prediger samt und sonders die Verbesserung der Moralität auch für das gegenwärtige Leben mit als einen wichtigen Zweck Ihres Amts betreiben: so bin ich mit Ihrem Stande völlig ausgesöhnt, und es soll mich niemand in der Achtung gegen ihn übertreffen“ (a. a. O., S. 151–152). 12 Zur hallischen Prägung dieser Generation von Aufklärern vgl. Brecht, Geschichte des Pietismus, S. 334–337. Zur neologischen Prägung des Oberkonsistoriums seit den 1760er-Jahren vgl. Beutel, Die evangelischen Kirchen des Königreiches Preußen (abgesehen von Schlesien) und Friedrich II., S. 41. 13 Vgl. die Vorrede und den Text des Religionsedikts, abgedruckt bei Wiggermann, Woellner und das Religionsedikt, S. 127–133, hier S. 127–128. Zu den Debatten um das Verhältnis von Staat und Kirche am Ende des 18. Jahrhunderts vgl. Graf, Gelungene Säkularisierung?. Vgl. auch Manten, Das Notbischofsrecht der preußischen Könige und die preußische Landeskirche zwischen staatlicher Aufsicht und staatlicher Verwaltung.
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Auch das ‚Integrationsmedium‘ der Allgemeinen deutschen Bibliothek, welche Religion und Aufklärung kritisch miteinander in Beziehung zu halten wusste und wesentlich von der individuellen Integrationskraft einzelner herausragender Persönlichkeiten wie Lessing und Nicolai lebte, verlor schließlich seit Mitte der 1780er-Jahre seine gesellschaftliche und theologische Prägekraft. Mit dem Abstieg der Allgemeinen deutschen Bibliothek hatte zugleich das Genre des gelehrten Journals seinen Zenit überschritten. Kein zeitgenössisches Medium besaß die Fähigkeit, die reichsweite intellektuelle Integrationsleistung der Allgemeinen deutschen Bibliothek fortzuführen. Die zunehmend verkürzte Überlebensdauer neu erscheinender Journale offenbart einerseits die wachsende individuelle literarische Beteiligung an Debatten. Sie verdeutlicht aber auch die zunehmende Ausdifferenzierung des Diskurses und seiner Teilnehmer, die ihren Niederschlag ebenso in einer Vielzahl theologischer Zeitschriftenneugründungen fand. Das Scheitern des historisch-philologischen Beweises der Autorität der Heiligen Schrift begründete nicht zuletzt die bewusste Hinwendung zur Bedeutung der individuellen und kollektiven Wirkung des christlichen Glaubens, wie dies bereits in Less’ veränderter Terminologie von „der christlichen Religion“ hin zum „Christentum“ sichtbar wurde. Vor dem Hintergrund der bereits erreichten Möglichkeit eines individuellen historisch-kritischen Schriftverständnisses gewann das Interesse an der kollektiven Form der Religion erneut an Bedeutung.14
3. Die Zeitschrift als Forum und Transformator des historisch-kritischen Schriftdiskurses Die Ausdifferenzierung der Gelehrtenkultur und ihrer spezifischen Disziplinen einerseits und die Ausbreitung eines wachsenden, selbstbewussten Bildungsbürgertums andererseits stellten die evangelische Kirche und die Theologie in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vor die Herausforderung fundamentaler 14 Auf die ekklesiologischen Defizite der Neologie weist ebenfalls Beutel in seiner Kirchen‑ geschichte im Zeitalter der Aufklärung hin: „Historiographische Kenntlichkeit erhält die Neologie schließlich auch durch die Unterscheidung von Religion und Theologie, also von mündiger Frömmigkeitspraxis und professioneller Berufswahrnehmung, sowie, damit unmittelbar zusammenhängend, von öffentlicher und privater Religion, also von normativer Kirchenlehre und freier, individueller Religiosität. Diese Distinktionen, die Semler programmatisch zur Entfaltung brachte, waren der intentionale Gemeinbesitz aller Neologen und reichten in ihren Wurzeln weit zurück in orthodoxe Theologie. (…) Denn obschon dadurch modernitätsfähige Vermittlung von religiöser Traditionstreue und Authentizität ermöglicht worden ist, dürfte die Neologie, aufs Ganze gesehen, nicht zureichend zur Geltung gebracht haben, daß die Kultivierung privatreligiöser Autonomie fortwährend der äußeren Vermittlung bedarf. Dieses womöglich ausschlaggebende, ekklesiologische Defizit wurde bereits von Zeitgenossen, besonders nachhaltig von Herder, kritisiert und ist erst durch den epochalen Neuansatz Schleiermachers wirksam geworden“ (a. a. O., S. 114).
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theologischer Spannungen.15 Die Entwicklung der Kommunikationskultur weist dabei eine spezifische Doppelstruktur auf, die auf der einen Seite zur Vernetzung und zum umfassenden Ideentransfer führte, zugleich jedoch zahlreiche selbstreferentielle Subsysteme entwickelte, die spezifische Milieus bedienten.16 Nicht nur im Kontext der universitären Disziplinen, sondern auch nach innen musste die Theologie das Verhältnis der exegetischen und historischen Fächer zur Dogmatik neu verorten. Erreichten einerseits gelehrte Journale wie die Göttingischen Anzeigen oder die Allgemeine deutsche Bibliothek17 in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein interdisziplinär gelehrtes und gebildetes Publikum, etablierten sich andererseits parallel dazu unzählige fach‑ und milieuspezifische Zeitschriften. Diese spiegeln zugleich die zeitgenössischen gesellschaftspolitischen Veränderungen wider. Der Wechsel der Verlagsorte sowie die Höhe der Auflagenzahlen deuten auf die Verschiebung ökonomischer, bürgerlicher und politischer Zentren hin, die in ihrem gesellschaftlichen und intellektuellen Einfluss zur ernsthaften Konkurrenz für die klassischen deutschen Universitätsstädte zu werden begannen. Das Zeitschriftenwesen erhöhte nicht nur die Bedeutung der persönlichen Absichten des jeweiligen Verlegers, sondern ermöglichte zugleich Emanuel Hirsch bemerkt zum Verhältnis von kirchlicher Institution und der Freiheit individueller Religionskritik in der deutschen Aufklärung: „Beamtentum und Bürgertum halten den ihre individuelle Freiheit geltend machenden Einzelnen gegenüber mit dem Pfarramt zusammen. Die wenigen Einzelnen erscheinen zunächst als Störer der selbstverständlich gültigen Daseinsgrundlagen. Eben das aber ist im Begriff sich zu ändern. In Beamtentum und Bürgertum fangen die Mächte der neuen Bildung sich zu regen an. Die Zeit ist nicht mehr ferne, wo die Stimmung in diesen Kreisen vollständig umschlagen wird. Dann wird nicht mehr der orthodoxe Pfarrer der sein, mit dem man sich in allen wesentlichen Punkten in selbstverständlicher Einigkeit des Gewissens und der Überzeugungen befindet, sondern zunächst der halb aufgeklärte und langsam endlich der ganz aufgeklärte. Auch dann wird man noch für die Einheitlichkeit der Religions‑ und Sittenpflege einen gewissen Sinn haben und dem Amt des Pfarrers seine Ehre lassen. Aber man erwartet dann von ihm, daß er sich mit der gesunden Vernunft des seine religiöse Freiheit wahrenden Bürgers in Einklang halte, und ist nicht mehr gewillt, sich vom Pfarrer für Lehrartikel in Bewegung setzen zu lassen, an denen doch kein greifbares praktisches Interesse hangt“ (Hirsch, Geschichte der neuern evangelischen Theologie, Bd. 2, S. 302–303). Zum „Umbruch des allgemeinen Bewusstseins“ nach 1740 vgl. a. a. O., S. 391–399. 16 Vgl. zur Problemlage Kirchner, Geschichte des deutschen Zeitschriftenwesens, seine Geschichte und seine Probleme, Teil 1, S. 145: „Diese Auswahl von Zeitschriften der protestantischen Theologie aus dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts (…) gestattet folgende Feststellung: einmal die zunehmende Aufspaltung der theologischen Wissenschaft in eine immer größere Zahl von Sondergebieten wie Orientalistik, biblische Altertümer, orientalische Sprachen, die, unterstützt durch die philologisch-kritische Methode der biblischen Exegese, neue Forschungsmöglichkeiten eröffnen. (…) Immer stärker wirkt sich der Versuch aus, mit populären periodischen Erbauungsschriften auf die Gemüter der Menschen Einfluß zu gewinnen. Weiterhin macht sich der schroffe Gegensatz der von Freimaurerei und Aufklärung durchsetzten Richtung zu der orthodoxen Schule geltend, eine Tatsache, die auf die innere Schwäche des Protestantismus in dieser Zeit eines geistigen Umbruchs ein bezeichnendes Licht wirft.“ 17 „Ist dem Berliner und Göttinger Unternehmen eine überzeitliche Bedeutung zuzubilligen, so sind andere Gründungen verwandter Natur von wesentlich geringerem Werte und sowohl ihrer Anlage wie ihrer Verbreitung nach provinziellen Charakters“ (Kirchner, Geschichte des deutschen Zeitschriftenwesen, S. 125). 15
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die ortsunabhängige Beteiligung breiterer gebildeter Kreise an theologischen Debatten. Sowohl Pietisten wie Rationalisten beriefen sich dabei auf das reformatorische Schriftprinzip und forderten die Anerkennung ihrer individuellen Schriftauslegung gegenüber kirchlich normierten Bekenntnisvorgaben. Die verdichtete Kommunikation auch über Länder‑ und Sprachgrenzen hinweg ließ eine Abschottung gegenüber den verstärkt öffentlich verbreiteten Ideen der Aufklärung in immer geringerem Maße zu. Der bewusste Einsatz allgemein verständlicher Kommunikationsformen, wie er von Pietisten und Rationalisten unter Berufung auf das reformatorische Erbe des Priestertums aller Gläubigen betrieben wurde, veränderte auch die Kommunikationsbedingungen unter den Theologen. Als einflussreiche Rezensenten, deren Werke selbst auf das öffentliche Urteil anderer Rezensionen angewiesen waren, mussten sich die Theologen nach den Erfordernissen der neuen Publikationsstrukturen und ‑dynamiken richten. Ihre akademische Position und Bildung ermöglichte ihnen den Zugang zu umfangreicher wissenschaftlicher Literatur, der ursprünglich nur wenigen Zeitgenossen offenstand. Das Austragen der Debatten im Medium der Zeitschrift förderte in wachsendem Maße die unmittelbare Anteilnahme an intellektuellen Veränderungsprozessen innerhalb eines breiteren, außeruniversitären Publikums und schließlich sogar dessen aktive Beteiligung daran. Das Bewusstsein einer überregionalen Leserschaft und potentieller Diskursteilnehmer verschiedener philosophischer und konfessioneller Hintergründe forcierte zudem die rational verallgemeinerbare Begründungsbedürftigkeit der eigenen Position. Es war in bedeutendem Maße das Medium der Zeitschriften, welches es ermöglichte, dass der Diskurs um die Schriftauslegung die soziale Grenze zwischen der universitären Gelehrtenwelt und der gebildeten Bevölkerung überschritt. Dies hatte zur Folge, dass das konstitutive hermeneutische Kriterium und Interpretationselement in den orthodoxen Dogmatiken, die analogia fidei oder regu‑ la fidei in Form des jeweiligen Bekenntnisses, gegen Ende des 18. Jahrhunderts massiv an Plausibilität verlor. Die Debatten zeigen auch, inwieweit die in Zeitschriften artikulierte öffentliche Reaktion die Veränderung der theologischen Positionen beeinflusste. Repräsentativ dafür erscheinen sowohl Semlers Anleitung zur Gottesgelehrsamkeit als auch Less’ Beweiß der Wahrheit der christlichen Religion. Sie zeigen, wie theologische Standardwerke allmählich aufgrund ihrer Rezeption revidiert und dem Meinungswandel der Gelehrtenwelt angepasst wurden. Der in einigen Publikationen erscheinende Abdruck ihnen gewidmeter Rezensionen spiegelt zum einen die Bedeutung wider, die der jeweilige Autor der – positiven – Wahrnehmung seines Werkes beimaß. Zum anderen veranschaulichen die Reaktionen in den gelehrten Zeitschriften, wie fundamental und in welch kurzem Zeitraum sich die Wahrnehmung bestimmter Positionen zwischen 1750 und 1780 in Hinblick auf die bis dahin wenig bezweifelte Normativität der Heiligen Schrift gewandelt hatte. Zugleich etablierten sich mithilfe der gelehrten Zeitschriften in Göttingen
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und Berlin Normen des aufgeklärt kritischen Religionsverständnisses, welches zwar nicht von allen zeitgenössischen Gelehrten geteilt wurde, mit dessen Einsichten sich jedoch fortan auch deren Kritiker auseinandersetzen mussten. Es ist eine besondere Stärke der deutschen Reformuniversitäten in Halle und Göttingen gewesen, ebenjene erforderlichen Aufklärungsdebatten positiv in den akademischen Diskurs aufgenommen und zu deren Verbreitung beigetragen zu haben. Die durch außergewöhnliche Bibliotheken und Rezensionsorgane ermöglichte Partizipation an den modernen Wissens‑ und Kommunikationsformen in einem politisch bewusst tolerant geprägten Umfeld bildeten in Halle und Göttingen seit etwa 1740 den Nährboden, auf welchem das altprotestantische Schriftprinzip seine bis dahin tiefgreifendste Umformung erfuhr.18 Der Aufklärungskritik nicht durch ein Verbot von Büchern, sondern durch Aufruf zur kritischen Auseinandersetzung mit ebendiesen Schriften zu begegnen, markierte dabei eine Einsicht, die sich zunächst vornehmlich in protestantischen Territorien Bahn brach. Grundlegende Wurzeln sind – wie im Eingangskapitel gezeigt – bereits in der Entwicklung der innerprotestantischen Kontroverstheologie zu suchen, welche sich im Laufe des 18. Jahrhunderts in sehr unterschiedlichen Formen weiterentwickelte. Die mit dem Pietismus verstärkt einsetzende Ausdifferenzierung frömmigkeitsspezifischer Gruppierungen sowie die schwindende obrigkeitliche Durchsetzungswilligkeit konfessioneller Normen hatten seitens der lutherischen Orthodoxie bereits bei Valentin Ernst Löscher dazu geführt, den Kampf um die Reinheit der Lehre gezielt im Medium der Zeitschriften auszutragen. Der von allen Seiten proklamierte Anspruch der wissenschaftlichen „Unpartheilichkeit“ entwickelte sich dabei zum wesentlichen Merkmal und Maßstab der Kommunikation, der gegenüber dem Kriterium der Rechtgläubigkeit zunehmend an Gewicht gewann. Diese Zeitschriften ermöglichten nicht nur den Gelehrten, sondern auch in wachsendem Maße einem breiteren Kreis eines sich nun etablierenden gebildeten Bürgertums, sich über theologische Kontroversen und deren Publikationen in ganz Europa zu informieren. Dies geschah wie im Falle Baumgartens oder Less’ zunächst aus einem doppelten apologetischen Interesse heraus, um den Gelehrten sowohl die Widerlegung der Werke an die Hand zu geben als auch die Interpretationshoheit zu behalten. Wie die Debatten deutlich machen, streuten die Zeitschriften allerdings vielfach überhaupt erst jene Ideen in eine breite, gebildete Öffentlichkeit, die bis dahin ansonsten kaum Aufmerksamkeit erfahren hatten. Durch das Medium der Zeitschriften ergaben sich einerseits bisher ungeahnte Kommunikationsmöglichkeiten, aufgrund derer jedoch zugleich auch die 18 Ulrich Barth betont in seiner Untersuchung zur Umformung des Schriftprinzips, dass es ebenjene Bekanntschaft Baumgartens in Halle mit der westeuropäischen Forschungsliteratur zur Religionsgeschichte war, die das Prinzip an seine Grenzen brachte (Barth, Die hermeneutische Krise des altprotestantischen Schriftprinzips, S. 184).
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Spannungen der sich ausdifferenzierenden Milieus selbst unter den Gelehrten und Gebildeten noch deutlicher zum Vorschein traten. Die Zeitschriften ermöglichten somit die unmittelbare intellektuelle Konfrontation etwa eines religionskritischen Freigeistes und eines frommen hallischen Theologiestudenten bzw. eines Göttinger Orientalisten und eines Berliner Justiziars. Die große Leistung der gelehrten Zeitschriften und ihrer theologischen Rezensenten bestand daher wesentlich darin, den Diskurs unter allen Beteiligten aufrechtzuerhalten und somit wesentlich zum theologisch vermittelnden Charakter der deutschen Aufklärung beizutragen. Wie ein Blick auf den sich verändernden soziologischen Kontext der Bibeldebatten veranschaulicht, erweiterte sich aufgrund des gesteigerten Anspruchs außeruniversitärer Beteiligung an den Debatten zum Schriftverständnis die Zahl der Kommunikationsformen über das klassische Medium der gelehrten Journale hinaus. Ausdruck dessen war bereits der Aufstieg der Allgemeinen deut‑ schen Bibliothek, deren literarisches Format maßgeblich von der Gattung der allgemeinen Literaturkritik beeinflusst war. Mit dieser Verlagerung begannen sich auch die Beurteilungsmaßstäbe für die theologischen Kontroversen grundlegend zu ändern. Das Kriterium des individuellen Empfindens und die Pluralität des theologischen Urteils gehörten hier bereits weitgehend zum Programm. Die Suche nach einem dogmatisch kohärenten System, um welches sich unter anderem Less in den Göttingischen Anzeigen bemühte, wurde dagegen als unzeitgemäß und dem reformatorischen Prinzip des individuellen Urteils zuwider betrachtet. Dennoch deutete sich in der Entwicklung des Zeitschriftenmarktes als Indikator der geistesgeschichtlichen Dynamiken bereits zum Ende des 18. Jahrhunderts ein Fortschreiten des religiösen Interesses unter den Gebildeten an. Mit der Etablierung der moralischen und historischen Religionskritik galt vielen das an abstrakt-ungeschichtlichen Moralprinzipien orientierte Aufklärungsprogramm der Allgemeinen deutschen Bibliothek als zu rational einseitig und in seiner Frontstellung überholt.19 Der Zenit der individuellen Aufklärungsreligion war überschritten, die Suche nach neuen religiösen und politischen Vergesellschaftungsformen gewann an Attraktivität, wie die wachsende „romantische“ Begeisterung für das nationale Pathos, die Erweckungsbewegungen oder die Konversionswelle unter Intellektuellen zum Katholizismus zu Beginn des 19. Jahrhunderts veranschaulichen. Der Versuch, die Einheit des christlichen Religionsverständnisses im absolutistischen Staatsinteresse durch obrigkeitliche Maßnahmen wie das Woellner’sche Religionsedikt wiederherzustellen, musste langfristig scheitern. Denn er war nicht in der Lage, das herrschende Defizit eines innertheologischen Begründungszusammenhangs der sich innerprotestantisch 19 Vgl. Kirchner, Geschichte des deutschen Zeitschriftenwesens, seine Geschichte und seine Probleme, Teil 1, S. 201.
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separierenden Diskursstrukturen zu kompensieren.20 Die Umformung des deutschen Protestantismus in eine philosophische Bildungsreligion, wie sie sich grundlegend in den Debatten der Aufklärung unter Gelehrten und Gebildeten vollzogen hatte, hat Ernst Troeltsch in seiner Schrift Protestantisches Christentum und Kirche in der Neuzei“ klar benannt. Dass dies, anders als von manchen Aufklärern erwartet, jedoch nicht den Abschluss der religionsgeschichtlichen Entwicklung bedeutete, sollte sich spätestens mit der Ausbreitung neuer Frömmigkeitsformen und ‑bewegungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts erweisen. Mit Blick auf die deutliche zahlenmäßige Überlegenheit der „evangelikalen Kommunikanten“ gegenüber den „rationalistischen“21 zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den USA sah Troeltsch daher deutlich die Grenzen der Verallgemeinerbarkeit des in der Aufklärung erfolgten Rationalisierungsprogramms der Religion. Mochten manche rationalistischen Positionen theologischer Aufklärer schon bald wieder strittig werden, so hatten sich doch die Bedingungen der theologischen Wahrheitsfindung grundlegend und dauerhaft verändert. Die Diskursivität theologischer Meinungsbildung und ihre individuelle Akzeptanz waren zum festen Bestandteil einer breiten intellektuellen religiösen Debattenkultur geworden, die sich in der Aufklärungszeit maßgeblich im Medium der Zeitschriften etabliert hatte. Die Entwicklung solch einer offenen Debattenkultur zum konstruktiv reflexiven Umgang mit der Spannung zwischen theologischer Normativität und historischer Relativität religiöser Texte stellt dabei eine religionshistorische Errungenschaft dar, deren Einsichten sowohl für das Christentum wie für andere Offenbarungsreligionen bis heute nichts an ihrer Aktualität eingebüßt haben.
20 Eine Auswertung der theologischen Zeitschriften um 1800 dürfte wesentlichen Aufschluss über die Ausdifferenzierung protestantischer Debattenkulturen und Milieus infolge der Aufklärung und der Reaktion auf die französische Revolution bieten, worauf Friedrich Wilhelm Graf in seinem Überblick zu den Zeitschriften des 18. Jahrhunderts zu Recht hinweist (Graf, Theologische Zeitschriften der Aufklärungszeit, S. 369 und 372. 21 Vgl. Troeltsch, Protestantisches Christentum und Kirche in der Neuzeit, S. 438.
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2. Gelehrte und theologische Zeitschriften
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Anhang 1771–1791 (Anhang, 53.–86. Bd., 1. Abt.), S. 76–78: [Rez. C. L. Paalzow (ungenannt), Gewißheit der Beweise des Apollinismus, oder Widerlegung der Prüfung und Vertheidigung der apollonischen Religion, Frankfurt/Leipzig 1787]. 1793 (114. Bd., 2. St.), S. 131–145: [Rez. J. S. Semler, Vertheidigung des Königlichen Edikts vom 9ten Jul. 1788 wider die freymüthigen Betrachtungen eines Ungenannten, Halle 1788]. Allgemeine Literatur-Zeitung (Berlin) 1788 (No. 44), S. 473–474: [Rez. C. L. Paalzow (ungenannt), Gewissheit der Beweise des Apollinismus, oder Widerlegung der Prüfung und Vertheidigung der apollonischen Religion, Frankfurt/Leipzig 1787]. Berlinische Privilegirte Zeitung (Berlin) 1751 (138. St.): (G. E. Lessing) [Rez. C. A. Heumann, Erklärung des Neuen Testaments. Dritter Theil, Hannover 1751], abgedruckt in: Gotthold Ephraim Lessing, Werke und Briefe in zwölf Bänden, Bd. II: Werke 1751–1753, hg. v. Jürgen Stenzel, Frankfurt am Main 1998, S. 257–258. Briefe, die neueste Litteratur betreffend (Berlin) 1759 (1. Theil, 4. Brief), S. 17–24: (G. E. Lessing) [Rez. H. S. J. Bolingbroke, Briefe über die Erlernung und Gebrauch der Geschichte, aus dem Englischen übersetzt durch C. G. Bergmann, Leipzig 1758]. 1759 (1. Theil, 17. Brief), S. 97–107: (G. E. Lessing) [Von den Verdiensten des Herrn Gottscheds um das deutsche Theater. Auftritt aus dem Doctor Faust]. 1759 (1. Theil, Nachricht), S. 199–204: (G. E. Lessing) [Nachricht, Herrn Bergmann betreffend]. Erlangische gelerte Anmerkungen und Nachrichten (Erlangen) 1757 (12. Bd., 2. St.), S. 9–13: [Rez. J. S. Semler, Versuch einer nähern Anleitung zu nützlichem Fleisse in der ganzen Gottesgelehrsamkeit für angehende Studiosos Theologiae, Halle 1757]. Freye Urtheile und Nachrichten zum Aufnehmen Wissenschaften und der Historie überhaupt (Hamburg) (Kurztitel: Freye Urtheile) 1752 (9. Bd., 16. St.) S. 121–125: [Rez. Jean de Prades, Thése soutenue en Sorbonne le 18 novembre 1751, par Monsieur Jean Martin de Prades, Paris 1751]. 1752 (9. Bd., 38. St.), S. 303–304: [Rez. Facultatis theologiae Parisiensis censura theseos a Joanne Martino de Prades, Frankfurt/Leipzig 1752]. 1752 (9. Bd., 55. St.), S. 437: [Rez. Censure de la Faculté de Theologie de Paris contre une Thèse appellée majeure ordinaire soutenue dans la Sorbonne par Mr. Jean Martin de Prades (…), Nachdruck Leipzig 1752]. 1753 (10. Bd., 8. St.), S. 57–58: [Rez. Le tombeau de la Sorbonne, Paris 1752]. 1753 (10. Bd., 40. St.) S. 315–316: [Rez. Pastorale de Monseigneur, l’Evêque d’Auxerre sur la verité & la sainteté de la religion, méconnue et attaquêe en plusieurs chefs, par la thèse soutenue en Sorbonne le 18 Novembre 1751, Montauban 1753]. 1754 (11. Bd., 93. St.), S. 737–740: [Rez. The works of the late right honorable Henry St. John Lord Viscount Bolingbroke, hg. v. David Mallet, 5 Bde., London 1754].
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1759 (29. St.), S. 258–264: [Rez. J. E. Schubert, Gedancken von der Wahrheit der christlichen Religion, Jena/Leipzig 1756]. 1759 (36. St.), S. 327–328: [Rez. J. S. Semler, Zweiter Anhang zu dem Versuch einer Anleitung zur Gottesgelersamkeit, Halle 1758]. 1764 (80. St.), S. 641–648: [Rez. C. A. Heumann, Erweiß, daß die Lehre der reformierten Kirche von dem heiligen Abendmahle die rechte und wahre sey, Eisleben/Wittenberg 1764]. 1765 (122. St.), S. 977–984: [Rez. N. Lardner, A collection of ancient Jewish and heathen testimonies to the truth of the christian religion, Bd. 1 und 2, London 1764–1765]. 1765 (149. St.), S. 1193–1197: [Rez. J. S. Semler, Institutio brevior ad liberalem eruditionem theologicam. Librum Primum, Halle 1765]. 1766 (88. St.), S. 697–704: [Rez. N. Lardner, A collection of ancient Jewish and heathen testimonies to the truth of the Christian religion, Bd. 3, London 1766]. 1767 (84. St.), S. 665–669: [Rez. N. Lardner, A collection of ancient Jewish and heathen testimonies to the truth of the Christian religion, Bd. 4, London 1767]. 1767 (105. St.), S. 836–840: [Examen critique des apologistes de la religion chretienne, par Mr. Fréret, o. O. 1767]. 1769 (47. St.), S. 434–440: (J. D. Michaelis) [Rez. G. Leß, Beweiß der Wahrheit der christlichen Religion, Göttingen/Bremen 1768]. 1771 (97. St.), S. 825–840: (C. W. F. Walch) [Rez. J. S. Semler, Abhandlung von freyer Untersuchung des Canons, Halle 1771]. 1785 (81. St.), S. 809–815: (G. Leß) [Rez. G. Leß, Ueber die Religion, ihre Geschichte, Wahl und Bestätigung, zweyter Bd. (= Wahrheit der christlichen Religion, fünfte Auflage vermehrt und ganz umgearbeitet), Göttingen 1785]. Jenaische gelehrte Zeitungen (Jena) 1766 (23. St.), S. 202–205: [Rez. J. S. Semler, Institutio brevior ad eruditionem theologicam, liber primus, Halle 1765]. 1769 (27. St.), S. 221–224: [Rez. G. Leß, Beweiß der Wahrheit der christlichen Religion, Göttingen/Bremen 1768]. 1786 (11. St.), S. 81–84: [Rez. C. L. Paalzow (ungenannt), Hierokles oder Prüfung und Vertheidigung der christlichen Religion angestellt von den Herren Michaelis, Semler, Leß und Freret, Halle 1785]. Journal für Prediger (Halle) 1785 (17. Bd.), S. 332–339: [Rez. G. Leß, Ueber die Religion, ihre Geschichte, Wahl und Bestätigung, zweyter Bd.; (=Wahrheit der christlichen Religion, fünfte Auflage vermehrt und ganz umgearbeitet), Göttingen 1785]. The Monthly Review (London) 1752 (April, 34. Art.), S. 279–300: [Rez. H. St. J. Bolingbroke, Letters on the study and use of history. By the late right honorable Henry St. John, Viscount Bolingbroke, London 1752]. 1753 (8. Bd., 8. Art.), S. 105–116: [Rez. J. Leland, Reflections on The late Lord Bolingbroke’s Letters on the Study and Use of History, London 1753]. 1754 (10. Bd., 32. Art.), S. 250–275: [Rez. Henry St. John Viscount Bolingbroke, The works of the late right honorable Henry St. John, Lord Viscount Bolingbroke. In five volumes, complete. Published by David Mallet, London 1754.
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1753 (3. Bd., 14. St.), S. 170–174: [Rez. Pastorale de Monseigneur, l’Evêque d’Auxerre sur la verité & la sainteté de la religion, meconnue et attaquêe en plusieurs chefs, par la Thèse soutenue en Sorbonne le 18 Novembre 1751, Montauban 1753]. 1756 (9. Bd., 49. St.), S. 69–78: [Rez. H. St. J. Bolingbroke, Letters on the study and use of history. By the late right honorable Henry St. John, Viscount Bolingbroke. A new and corrected edition, London 1752]. 1756 (9. Bd., 53. St.), S. 439–445: [Rez. R. Clayton, A vindication of the histories of the Old and New Testament, in answer to the objections of the late Lord Bolingbroke, Dublin 1753]. 1756 (10. Bd., 58. St.), S. 374: [Rez. J. S. Semler, Versuch einer nähern Anleitung zu nützlichem Fleisse in der ganzen Gottesgelehrsamkeit für angehende Studiosos Theologiae, Halle 1757]. 1758 (12. Bd.), unpaginiert: [Vorrede]. Neue Beyträge, von alten und neuen theologischen Sachen (Leipzig) 1753 (6. St.), S. 804–806: [Bericht über die Verurteilung Jean de Prades’ an der Sorbonne]. Neue Critische Nachrichten (Greifswald) 1769 (5. Bd., 8. St.), S. 57–60: [Rez. G. Leß, Beweiß der Wahrheit der christlichen Religion, Göttingen/Bremen 1768]. Neue Lausizische Monatsschrift (Görlitz) 1806 (2. Theil, 7.–12. St.), S. 307–310: [Rez. H. St. J. Bolingbroke, Briefe über die Erlernung und Gebrauch der Geschichte, aus dem Englischen übersetzt durch C. G. Bergmann, Leipzig 1758]. Nouvelles ecclésiastiques (Paris) 1751, S. 208: [Rez. Jean de Prades, Thése soutenue en Sorbonne le 18 novembre 1751, par Monsieur Jean Martin de Prades, Paris 1751]. 1752, S. 33–36: [Bericht über die von Jean de Prades’ Disputation ausgelöste Debatte an der Sorbonne]. 1752, S. 41–44: [Bericht über die von Jean de Prades’ Disputation ausgelöste Debatte an der Sorbonne]. Rostockische gelehrte Nachrichten (Rostock) 1752 (2. Beilage), S. 90: [Bericht über die Verurteilung Jean de Prades’ an der Sorbonne]. 1752 (20. St.), S. 220: [Rez. Censure de la Faculté de Theologie de Paris contre These appellée majeure ordinaire soutenue dans la Sorbonne par Mr. Jean Martin de Prades, Neudruck Leipzig 1752]. Rostockische Anzeigen (Rostock) 1757 (15. St.), S. 162–165: [Rez. J. S. Semler, Erster Anhang zu dem Versuch einer Anleitung zur Gottesgelersamkeit, Halle 1758]. Strasburgische gelehrte Nachrichten (Straßburg) 1784 (3. Bd., 10. St.), S. 107–112: [Rez. G. Leß, Ueber die Religion, ihre Geschichte, Wahl und Bestätigung, erster Teil, Göttingen 1784].
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Personenregister Abbadie, Jacques 232 Abbt, Thomas 172, 261 Abraham 250 Achenwall, Gottfried 39 Adam 233 Alberti, Valentin 24 Anna Stuart, Königin 136 Apollonius von Tyana 277–280 Arnold, Gottfried 5, 25, 30, 38, 39, 78, 80 Äskulap 87, 95, 100 Äsop 79 Bacon, Francis 87, 88, 99 Bahrdt, Karl Friedrich 220, 221, 260, 296 Basedow, Johann Bernhard 60 Baumgarten, Siegmund Jakob 34, 62, 74, 120, 124, 139, 169, 183, 191, 203, 212, 223, 231, 289, 294–296 Bayle, Pierre 21, 87, 147, 235 Bellarmino, Roberto 69, 72 Benedikt XIV., Papst 89, 117, 125 Bengel, Albrecht 5, 189, 199 Bentley, Richard 187 Bergmann, Christian Gottlieb 170–174, 178 Berthier, Guillaume François 98 Bertling, August 35, 49, 206, 242 Best, Wilhelm Philipp 47 Beutler, Christoph 8, 17 Blair, Hugh 135 Bodin, Jean 143 Bodmer, Johann Jakob 194 Boerhaave, Hermann 45, 85 Böhme, Jakob 210 Bohn, Carl Ernst 63 Boies, Heinrich Christian 49 Bolingbroke, Henry St. John, 1. Viscount 1, 131–181, 239, 251, 291–293 Bossuet, Jacques Bénigne 72, 232
Bourignon, Antoinette 210 Breitinger, Johann Jakob 194 Büchner, Friedrich Christian 31 Buddeus, Johann Franz 76 Buffon, Georges-Louis Leclerc de 84, 92, 126, 288 Burigny, Jean Lévesque de 232–241, 254, 266, 285 Büsching, Anton Friedrich 49, 54, 207, 211, 213 Calas, Jean 289 Calov, Abraham 72, 73 Calvin, Jean 70, 254, 265 Campe, Joachim Heinrich 60 Cappel, Louis 70 Carpzov, Johann Benedikt 206 Casimir, Graf 78 Castillon, Johann 278 Caylus, Charles de, Bischof 112 Celsus 267 Chamber, Ephraim 87 Chemnitz, Martin 69, 201, 209 Cherbury, Herbert v. 133, 239 Chubb, Thomas 134, 239 Clayton, Robert, Bischof 149, 158–164, 169 Clemens XI., Papst 117 Clemens XIV., Papst 117, 278 Collins, Anthony 125, 132, 139, 239 Cotta, Johann Friedrich 40 Cramer, Heinrich August 234 Crusius, Christian August 40 Crusius, Magnus 40, 206 David 160, 164, 217 Denys de Sallo 20, 21 Descartes, René 90, 109, 113 Diderot, Denis 7, 21, 84–89, 95, 98, 100, 102, 112, 113, 117, 125, 129, 130, 232
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Personenregister
Dietrich, Johann Samuel 56 Dippel, Conrad 78 Döderlein, Christian Albrecht 198, 206–208, 211 Eberhard, Johann August 174, 293 Edelmann, Johann Christian 75–80 Eichhorn, Johann Gottfried 40, 51, 250 Ernesti, Johann August 35, 185, 223, 224 Esra/Esdras 146, 152, 163 Feuerlein, Jakob Wilhelm 40 Flacius, Matthias 68, 69, 254 Francke, August Hermann 25, 31, 32, 36, 191, 197, 198, 222, 294–296 François de Pâris 127, 147, 148, 156, 160, 240, 241, 246, 257 Fréret, Nicolas 232, 265–273, 275 Friedrich II. (der Große), König 53, 55, 57, 89, 108, 125, 128, 138, 278, 300 Friedrich Wilhelm I., König 37, 299 Friedrich Wilhelm II., König 63 Gabler, Johann Philipp 51, 178 Gallois, Abbé Jean 21 Gatterer, Johann Christoph 39, 144 Gay, John 172 Geoffrin, Marie Thérèse Rodet 232 George II., König 41 Gerhard, Johann 69, 199, 209, 227, 254 Gichtel, Johann Georg 214 Gleditsch, Johann Friedrich 166 Goethe, Johann Wolfgang v. 49, 52, 134, 231 Goeze, Johann Melchior 34, 49, 220 Götten, Gabriel Wilhelm 49 Gottsched, Johann Christoph 28, 32, 170, 171, 194, 206 Gray, John 184 Griffith, Ralph 58 Gros, Abbé le 108 Grotius, Hugo 24, 72–74, 232 Guthrie, William 184 Habermas, Jürgen 2, 135, 136 Haller, Albrecht v. 8, 27, 28, 38, 41, 44–49, 85, 173, 230 Hamann, Johann Georg 5, 173–175, 178, 293
Hamilton, Lord Archibald 58 Hardenberg, Karl August v. 40 Hecker, Johann Julius 225 Heilmann, Johann David 48 Herder, Johann Gottfried 8, 50, 52, 56, 134, 262, 301 Herodot 267 Hervey, James 149, 152–155, 162, 173–175 Heumann, Christoph August 40, 41, 47, 225 Heyne, Christian Gottlob 48–51, 134, 250 Hill, John 149, 163, 164, 167–169, 178 Hobbes, Thomas 88, 239 Holbach, Thiry d’ 87, 269 Homer 134, 251 Houtteville, Claude François Alexandre 232 Huet, Pierre-Daniel 88 Hume, David 75, 160, 240 Hunnius, Ägidius 201 Hunter, Thomas 154, 174 Huth, Kaspar Jacob 47 Irwin, Karl Franz v. 56 Jacobi, Johann Friedrich 48, 49 Jefferson, Thomas 136 Jerusalem, Friedrich Wilhelm 230 Jesaia 153, 217 Jockenack, Johann Thomas Andreas 211 Josua 154, 175 Julian Apostata, Kaiser 268 Jurieu, Pierre 235, 236 Kant, Immanuel 57 Kästner, Abraham Gotthelf 49, 50 Kennicott, Benjamin 224 Kirchner, Joachim 12 Kleuker, Johann Friedrich 277 Klopstock, Friedrich Gottlieb 49 Knapp Johann, Georg 198 Konfuzius 79 König, Samuel 109 Konstantin, Kaiser 252, 268 Kraft, Friedrich Wilhelm 35, 120, 124 Kraus, Carl Samuel 206 Krause, Johann Gottlieb 28 Krünitz, Johann Georg 54
Personenregister
Lange, Joachim 33, 37, 76, 109 Lappenberg, Samuel Christian 246 Lardner, Nathanael 48, 230 Lechler, Gotthard Victor 131, 132, 134, 179 Leclerc, Jean 74, 76, 234 Leger, Jean 269 Leibniz, Gottfried Wilhelm 22, 56, 92 Leland, John 149, 150, 155, 159, 171, 177 Leopold I., Kaiser 22 Lessing, Gotthold Ephraim 2–8, 32, 42, 49, 56, 57, 61, 76, 77, 80, 133, 138, 171– 174, 178, 251, 254, 282 Lichtenberg, Georg Christoph 50 Lilienthal, Theodor Christoph 230 Locke, John 90, 91, 94, 126, 139, 179 Löscher, Valentin Ernst 28, 31, 33, 120, 132, 304 Lowth, Robert 51, 180 Lüderwald, Johann Balthasar 277 Lüdke, Friedrich Germanus 299, 300 Ludwig XV., König 83 Luther, Martin 66–69, 75, 97, 185, 188, 198, 199, 203, 208–211, 213, 223, 224, 227, 274, 296 Mabillon, Jean 187 Malebranche, Nicolas 126 Mallet, David 135, 149 Mandeville, Bernard 80 Marcham, John 94 Marquis d’Argens, Jean-Baptiste de Boyer 53, 89 Maupertuis, Pierre-Louis de 53, 55, 109 Mayer, Johann Friedrich 31 Meiners, Christoph 43, 252 Melanchthon, Philipp 67, 68, 209 Mencke, Otto 23, 24 Mettrie, Julien Offray de la 21, 46, 84–86, 103 Michaelis, Johann David 32, 34, 40, 48–51, 73, 114, 118, 180, 244–246, 250, 265–268, 281, 298 Montesquieu, Charles de Secondat, Baron de 84, 135, 143, 149, 179, 232, 254 Morgan, Thomas 239 Morin, Jean 70–72 Moses 79, 91, 94, 113, 119, 123, 146, 154, 163, 164, 270, 291
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Mosheim, Johann Lorenz v. 38–43, 48, 186, 199, 200, 222, 241 Muhammed 257 Müller, Christian 118 Münchhausen, Gerlach Adolph v. 37–41, 46, 47, 49, 51 Musaeus, Johannes 201 Mylius, Christlob 57 Nauman, Christian Nicolaus 57 Nicolai, Christoph Friedrich 2, 7–11, 26, 50, 52, 57–63, 137, 172, 179, 220, 261, 283, 299 Nicole, Pierre 235 Nietzsche, Friedrich Wilhelm 80 Noah 94, 149, 154, 174 Noesselt, Johann August 230 Oekolampad, Johannes 254 Oporin, Joachim 40 Papin, Isaac 233 Pausanias 265–277, 300 Pestré, Jean 88 Peyrère, Isaac de la 93 Pfaff, Christoph Matthäus 132 Pindar 251 Pistorius, Hermann Andreas 226 Pope, Alexander 135, 136, 140, 148, 166 Prades, Jean‑Martin de 83–130, 266, 288, 289 Pufendorf, Samuel 24 Pütter, Johann Stephan 39 Ramler, Karl Wilhelm 57 Rance, Boutheiller de la 187 Reimarus, Hermann Samuel 5, 6, 32, 76–78, 132, 137–139, 161, 177, 179, 273, 282, 290 Resewitz, Friedrich Gabriel 42, 60, 62, 63, 260–265, 286 Riem, Andreas 273 Rochow, Friedrich Eberhard v. 54, 55, 60 Rosenmüller, Johann Georg 230 Sack, August Friedrich Wilhelm 41, 56, 230 Salzmann, Christian Gotthilf 60
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Personenregister
Schade, Georg 132 Schlözer, August Ludwig 32, 40, 49 Schmidt, Johann Lorenz 76, 77, 138, 139 Schubert, Johann Ernst 49, 206, 207 Schulz, Johann Heinrich 276 Schwenckfeld, Kaspar 201, 208, 214 Semler, Johann Salomo 5, 6, 16, 67, 181, 183–228, 234, 265, 267, 281–285, 294–297, 301 Shaftesbury, Anthony Ashley Cooper, Earl of 84, 85, 135 Simon, Richard 71, 72, 145, 147, 179, 224, 234 Smollet, Thomas 58 Spalding, Johann Joachim 14, 56, 77, 226, 229 Spencer, John 94, 268 Spinoza, Baruch 7, 73–79, 84, 88 Stein, Friedrich Karl v. 40 Steinwehr, Balthasar Adolf v. 44 Stromeyer, Friedrich Wilhelm 48 Sulzer, Johann Georg 57 Swift, Jonathan 135, 166 Tacitus 153, 154, Teller, Wilhelm Abraham 56, 219, 220, 226, 230, 299 Thomasius, Christian 23–28, 32–34, 37, 73, 173 Thorschmid, Urban Gottlob 124–126, 132 Tieftrunk, Johann Heinrich 277 Tillemont, Louis-Sébastien Le Nain de 233 Tindal, Matthew 77, 133, 139, 179, 239 Toland, John 38, 84, 132, 133, 239
Tournemines, René-Joseph 126 Trapp, Ernst Christian 60 Troeltsch, Ernst 4, 306 Tryphon 267 Tschirnhausen, Walter v. 25 Vetterlein, Christian Friedrich Rudolf 1, 175, 176, 179 Virgil 251 Voltaire, François-Marie Arouet 53, 98, 107, 108, 125, 135, 136, 151, 179, 239, 251, 289 Walch, Christian Wilhelm Franz 41, 48, 216, 217, 226 Warburton, William 123, 150, 268 Whalley, Peter 149, 162 Whiston, William 92, 139, 184 Whitby, Daniel 189 Winckelmann, Johann Joachim 50 Woellner, Johann Christoph 63, 220, 276, 300 Wolff, Christian 34, 37, 38, 53, 55, 76, 109, 133, 138 Woolston, Thomas 96, 133, 139, 239 Wünsch, Ernst Christian 282 Wycliff, John 140, 254 Yvon, Claude 88, 102 Zedler, Johann Heinrich 87 Zimmermann, Joachim Johann Daniel 42, 261 Zöllner, Johann Friedrich 56, 57
Sachregister Abendmahl 41, 42, 225 Academia Naturae Curiosorum 20, 22 Académie des sciences 20, 55 Académie française 20 Académie Royale des Sciences et Belles- Lettres 55 Accademia Nazionale dei Lincei 20 Ägypten 94, 118, 119, 152, 263, 268 Akademie der Wissenschaften, Königlich- Preußische 55, 109, 219, 225 Akademie Saumur 70 Akademien 19, 20, 29 Akademische Theologie 132, 186, 227 Alphabetisierungsrate 8, 13, 24, 294 Alte Kirche 65, 156, 233, 252 Altona 5, 76, 77, 80 Amsterdam 73, 112, 117 Amsterdamer Remonstrantenkolleg 76 analogia fidei 68, 74, 224, 303 Anglikanische Kirche 140 Antiklerikalismus 53, 79, 265 antimonastisch 214 Apologetik 96, 124, 133, 156, 176, 232, 281 Arminianer 74 Arminianischer Streit 73 Arminianismus 75 Assyrisches Reich 152, 159, 160 Auferstehung 79, 113, 139, 231, 258 Aufklärerzirkel, geheim 77 Aufklärung, englische 16, 135, 137 Aufklärung, französische 16, 46, 55, 71, 83, 85, 86, 151, 176, 232, 265 Aufklärungsbegriff 1–11 Aufklärungsgesellschaften 52, 63 Aufklärungskritik 63, 224, 232, 265, 280, 295, 304 Babylonisches Exil 157 Bangorian Controversy 140
Beamtentum/Beamtenschaft 36, 302 Bekenntnisbindung 10, 35, 40, 42, 70, 230, 286, 297 Bekenntnisschriften 42, 67, 69, 222, 247 Berleburger Bibelübersetzung 78 Berlin 11, 52–64, 172, 226, 276, 283 Berliner Akademie der Wissenschaften 56 Berliner Aufklärer 11, 53, 172, 178, 226, 276, 300 Berliner Aufklärung 16, 289, 293 Berliner Aufklärungsgesellschaften 52, 63 Bibelkritik, historische 16, 132, 138, 146, 164, 175, 178, 197, 225,227, 286 Bildungsbürgertum 55, 66, 230, 285, 301 Böhmische Brüder 30 Buch Esther 233 Buch Judith 116 Buch Tobit 233 Buchmarkt 9, 19, 22, 84, 291 Bulle Unigenitus 85, 98, 127 Bürgertum 54, 66, 137, 177, 179, 284, 286, 293, 298, 302, 304 Chinesen 37, 115, 250 Chinesische Kultur 251 Chinesische Sitten 116, 117 Chinesische Zeitrechnung 95, 117, 119, 233 Chronologie, biblische 94, 100, 109, 113, 117–119, 129, 146, 251 Club de l’Entresol 136 Codex Alexandrinus 159 Collegium orientale theologicum 222 Comma Johanneum 184, 224 Debattenkultur 3, 16, 61, 138, 266, 281, 266, 281, 287, 306 Debattenkultur, englische 155, 171, 291 Debattenkultur, französische 266, 60, 88, 98, 126
348
Sachregister
Debattenkultur, klandestine 75, 98, 126, 133, 266 Debattenkultur, theologische 35, 65–75, 227 Declaration of Independence 136 Decorum-Streit 37 Edikt von Fontainebleau 71, 288 Empirismus 80, 108, 139, 143 England 20, 38, 59, 131, 137, 139–141, 149, 177, 291 Englische Literatur 44, 134, 132, 137–139, 171, 292 Englischer Deismus 4, 16, 76, 79, 131, 132, 138–140, 179, 288, 291 Enzyklopädie 54, 83 Enzyklopädisten 87, 89, 98, 108, 127, 232, 290 Erbsünde 70, 166, 236 Erlangen 14 Eroberung Südamerikas 233, 254 Erweckungsbewegung 287, 305 Europa 40, 46, 75, 83, 107, 191, 248 Fortschrittsmodell/-denken 3–5, 142, 165, 242, 250, 285 Fragmentenstreit 3, 80, 133, 234, 281, 283 Franckesche Anstalten 36, 133 Frankfurt a. M. 32, 78 Frankreich 20, 30, 53, 59, 83, 86, 90, 98, 101, 187, 234, 246, 266, 288 französische Aufklärung 9, 16, 46, 80, 83, 86, 103, 265 Französische Revolution 57, 63, 306 fünf Bücher Mose 76, 92, 105, 151, 163 Gebildete 1, 8, 13, 35, 56, 75, 84, 132, 137, 170, 177, 266, 281, 286, 287 Geheimgesellschaften 56 Gelehrtendiskurs 4, 6, 11, 14, 17, 213, 265 Gelehrtendiskurs, akademischer 126, 177, 297 Gelehrtendiskurs, europäischer 130 Gelehrtenrepublik 8, 14, 23, 297 Gelehrtenwelt, deutschsprachige 9, 22, 24, 26, 50, 52, 59, 85, 113, 125, 129, 161, 178, 196, 223, 229, 303 Gelehrtenwelt, europäisch 68, 75, 84, 102, 107, 114, 127, 224
Gelehrtenwelt, französisch 86, 101, 127 Generallandschulreglement 54, 225 Genesis 144, 146, 150, 168, 250, 252 George I. 30, 136, 140 Geschichtsschreibung 4, 134, 141, 144–148, 188, 252, 268 Geschichtsstudium 141, 142, 167, 168 Gesellschaft, teutschübende 170 Göttinger Akademie der Wissenschaften 18, 47, 85, 212, 231 Göttinger Hainbund 49, 50, 52, 134 Göttinger Königliche Gesellschaft der Wissenschaften 36, 39, 43, 44, 47, 48, 49, 297 Göttinger Universitätsbibliothek 46 Griechen 167, 248, 250, 253, 263 Griechische Kultur 51, 285 Halle 16, 32, 36–38, 55, 74, 120, 133, 183–192, 198, 214, 222, 287, 293–297, 304 Hallescher Pietismus 16, 32, 34, 184, 193, 214, 223, 224, 225, 294, 295–297, 299 Hamburg 14, 27, 54, 133, 139 Hannover 37, 46, 230 Heilige Schrift 4, 90, 104, 128, 146, 180, 183, 193, 208, 237 Heiliges Römisches Reich 22, 29, 30, 36, 60 Hermeneutik 68, 69, 72, 76, 161, 180, 191, 204, 206, 258, 294, 304 Herrnhut 205, 243 Historiographie (siehe Geschichtsschreibung) Hohes Lied 185, 192, 198, 233, 295 Holland (siehe Niederlande) Holy Club 153, 155 Hugenotten 30, 52, 67, 70, 71 Illuminationslehre 206, 207, 212 Indifferentismus 164, 259 Inquisition 21, 74, 261, 269, 286 Inspiration der Schrift 62, 68, 91, 96, 167, 206, 207, 216, 217, 241, 275, 277 Inspirationslehre 224 Isenburg-Büdingen 78, 80 Islam (Muhammedismus) 254, 257 Islam 104, 257
Sachregister
Jansenismus 84, 88, 126 Jansenisten 30, 88, 98, 116, 122, 125–127, 147, 148, 156, 235, 240, 241, 243 Jena 14, 36, 40, 218, 244, 271, 276, 284 Jerusalem 157 Jesuiten 30, 58, 87, 88, 90, 98, 103, 105, 108–111, 115–117, 120, 125–127,240, 251, 288 Journale, gelehrte 12, 14, 18, 20–24, 26, 29, 35, 84, 107, 120, 124, 178, 223, 228, 276, 282–284, 292, 302, 305 Juden 54, 73, 115, 118, 157, 161, 175, 218, 241, 270, 271 Judentum 73, 161, 300 jüdische Auslegungstradition 70, 74 jüdische Geschichte 118, 152 jüdische Geschichtsschreibung 145, 156, 167 jüdische Zeitrechnung 166 jüdisches Volk 174, 263 Kanaan 154 Kanon, biblischer 6, 189, 211, 214–218, 221, 295 Kanonkritik 214, 227 Kirche, römisch-katholisch 89, 97, 101, 116, 121, 123, 201 Kirchengeschichte 25, 34, 53, 136, 148, 188 Kirchengeschichtsschreibung 38, 39, 68, 188 Kirchenväter 97, 106, 157, 188, 189 Konstantinische Wende 252 Kontroverstheologie 10, 29, 31, 32, 37, 65, 68, 71, 73, 180, 304 Konzil von Trient 67 Koran 251, 257, 274 Kulturgeschichte 141, 164, 242, 262, 285, 286, 298 Kulturvergleich 164 Kurhannover 41, 136, 140 Latitudinarismus 140 Leipzig 14, 23, 24, 35, 43, 44, 58, 139, 166, 170, 194, 214, 294 Lesegesellschaften 9, 12, 13, 19, 26, 27, 56, 66, 84, 120, 150, 249, 303 Lesepublikum 2, 27, 43, 172, 231, 247 Leserschaft 4, 9, 303
349
Lincoln’s-I nn Society 150 Literaturkritik, deutsche 52, 58, 61, 80, 127, 171, 172, 293, 305 Lutherische Orthodoxie 31, 36, 37, 69, 72, 81, 183, 199, 201, 222, 223, 227, 294, 297, 300, 304 Materialismus 85, 103, 104, 116, 248, 288 Mauriner 66, 71 Metaphysik 6, 25, 86, 90, 113, 143, 156, 175, 195, 262, 274 Mission 116, 251, 268 Mittwochsgesellschaft 56, 57 monastische Orden 65 monastische Theologie 200, 211 monastische Tradition 188 Mönchtum 200, 210, 254 Montagsclub 56 Montanisten 242, 243 Moralischen Wochenschriften 43, 137 Mythenforschung 51, 285 Mythosbegriff 250 Nation 56, 58, 60, 84, 101, 226, 254, 263, 271, 285, 305 Naturrecht 24, 37 Neologie 62, 138, 184, 229, 265, 293, 301 Netzwerk, geheim 75, 78 Neuwied 80 Niederlande 21, 44, 47, 68, 72, 73, 75, 83, 89, 102, 110, 126, 138, 139 Offenbarungskritik 6, 75, 77, 138, 141, 163, 178, 229, 238, 255, 260, 281, 292 Öffentlichkeit 2, 9, 57, 109, 135–136, 178, 241 Öffentlichkeit, gebildete 1, 6, 173, 249, 304 Öffentlichkeit, gelehrte 2, 5, 76 Öffentlichkeit, literarische 61, 137 oratio, meditatio, tentatio 69, 199, 201, 210, 213 Oratorianer 66, 147, 232 Papst 128, 232, 278 Papsttum 33, 97, 159, 268 Paris 20, 83, 86–89, 101, 127, 136, 145, 241, 288, 290 Pentateuch 76, 78, 92
350
Sachregister
Philologie 51, 66, 133, 285 Piemontesisches Ostern 269 Pietismus/Pietisten 4, 5, 16, 24, 25, 30–38, 62, 77, 78, 155, 183, 193, 198, 203, 205, 220, 222, 227, 242, 294, 300, 303, 304 Pietismuskontroverse 31, 32 Poesie-Begriff 250, 252 Polen 72 Polytheismus 164, 270 Potsdam 53, 225 Potsdamer Militärwaisenhaus 225 praxis pietatis 37, 199, 294, 297 Pressefreiheit 21, 29, 75 Pressewesen 12, 43, 44, 58, 68, 287, 294 Preußen 10, 21, 30, 32, 35, 52, 57, 60, 61, 63, 125, 128, 129, 222, 225, 288, 299, 300 Priesterseminar St. Sulpice 88 Profanhistorie/-geschichte 25, 143–145, 148, 159, 179, 181, 189, 252 Prophezeihungen, alttestamentliche 96, 145, 235, 292 Protestantische Orthodoxie 2, 33, 41, 52, 61, 67, 68, 70, 71, 74, 118, 180, 184, 221, 227, 229, 254 Puritanismus 140 Pyrrhonismus 86, 113, 147, 175 Quäker 242 Radikalpietismus 77–80 Rathmann’scher Streit 201 Rationalismus 78, 261, 294 Rationalisten 16, 34, 222, 303, 306 Reckhahn 54 Reformation 19, 66–69, 209, 223 Religion, öffentliche 221 Religion, private 221, 297, 301 Religionsgeschichte 93, 106, 129, 145, 221, 263, 268, 271, 298, 306 Religionskritik 3, 21, 85, 89, 99, 107, 133, 136, 175, 229, 237, 239, 255, 259, 266, 281, 283, 296, 300, 302 Ritenstreit 116 Römer 248, 250, 263 Römische Kultur 51, 285 Rostock 14, 201 Royal Society 20, 55, 180
Salon 53, 56, 232 Sayn-Wittgenstein-Berleburg 78, 80 Schlesischer Krieg, Dritter (1756–1763) (siehe Siebenjähriger Krieg) Schmalkaldische Artikel 200, 201 Scholastik 66, 86, 205 Schöpfung 93, 104, 144, 146 Schriftbeweis 218, 232, 260, 265, 277, 281, 289–293, 298 Schriftprinzip 67–69, 71, 147, 177, 206, 234, 237, 285, 288, 293–296, 304 Schriftsinn 68, 78, 185, 227, 294, 296 Schriftverständnis 33, 68, 71, 97, 124, 140, 183, 190, 201, 205, 208, 211, 223, 227, 229, 231, 240, 288, 295, 300, 305 Schujing 251 Schwärmerei 242, 243, 247 Sensualismus 126 Siebenjähriger Krieg 10, 30, 48, 50, 52, 53, 60, 89, 300 Sintflut 3, 92–94, 116, 233 Skeptizismus 86, 113, 119, 123, 129, 139, 259, 290 Societas ad colligenda acta Eruditorum 22 Socinianer 184, 215 sola scriptura 66, 68 Sozinianismus 72, 73, 75 Sturm und Drang 63 Synode von Dordrecht 73, 75 Theologiestudium, Reform des 38, 186– 194, 199, 203, 214, 295 Theologieverständnis 76, 188, 198, 211, 223, 227 Theologisches Seminar Halle 185 Toleranz 1, 14, 30, 37, 40, 52, 57, 75, 121, 129, 225, 271 Trinitätslehre 70, 166, 184, 236 Tübingen 14, 284 Universalgeschichte (siehe Weltgeschichte) Universität Altdorf 185 Universität Göttingen 36–44, 193, 230, 292 Universität Halle 36, 46, 55, 295, 304 Universität Leipzig 32
Sachregister
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Universität Sorbonne 33, 83, 88, 89, 97– 111, 114, 124, 127, 288 Universitäten 16, 29, 36, 65, 71, 69, 170, 188 Universitätsbibliothek Göttingen 46, 134, 137, 139 Universitätsbibliothek Halle 46, 187, 295 Universitätsbibliothek Leipzig 18 Universitätsbibliothek 27, 46 Untergrundliteratur 5, 21, 73, 107, 133 Urgeschichte, biblische 92, 94, 146 Urstand 3, 24, 164
Wertheimer Bibel 76–77, 138, 139 Wiedertäufer 243 Wittenberg 36, 170, 201, 209 Wochenschriften, moralische 35, 42, 43, 58, 137 Woellner’sches Religionsedikt 35, 63, 220, 221, 276, 297, 300 Wolfenbüttel 77 Wolfenbütteler Fragmente 5, 138, 273 Wolffianismus 34, 77, 135, 211, 294 Wunderkritik 128, 240, 290 Wüstenväter 188
Verbalinspiration 71, 73, 294 Vernunft 1, 5, 75, 85, 151, 174, 200, 209, 217, 235, 236, 240–242, 249, 253, 271 Vernunftreligion 249, 261 Volksbildung 32, 294 Vulgata 67
Zeitschriften, englische 58, 150, 172 Zeitschriftengründungen 27, 57 Zeitschriftenmarkt 12, 25, 27, 33, 137, 139, 283, 305 Zeitschriftenwesen 2–3, 7, 10, 12, 19–36, 43, 137, 302, 304 Zensur/Pressezensur 17, 21, 33, 35, 44, 57, 63, 66, 77, 83, 88, 99, 107, 126, 128, 276 Zensurfreiheit 28, 47 Zürich 14
Waldenser 269 Weissagungsbeweis 91, 130, 225, 267 Weltgeschichte 3, 4, 92, 144, 153, 162