De motu animalium. Über die Bewegung der Lebewesen: Zweisprachige Ausgabe 3787322744, 9783787322749

Thema der kleinen und bemerkenswerten Spätschrift des Aristoteles ist die Beantwortung der Frage ›Wie bewegt die Seele d

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German Pages 447 [448] Year 2018

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Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Philologische Einleitung. Von Oliver Primavesi
1. Eine historisch-kritische Edition von Mot. An. als Desiderat
2. Recensio: Bestand und Verzweigung der direkten Überlieferung
3. Die Textgeschichte im Licht der indirekten Überlieferung
4. Examinatio: Zum textkritischen Ertrag der Neuedition
5. Der neue Text und seine drei Apparate
Philosophische Einleitung. Von Klaus Corcilius
1. Aufgabe und Grundidee der Theorie: Die Erklärung der Selbstbewegung der Lebewesen
2. Die theoretischen Voraussetzungen von De motu animalium in Aristoteles’ Werk
3. Anwendungen der Theorie animalischer Selbstbewegung in anderen Sachbereichen der aristotelischen Philosophie
4. Aristoteles’ allgemeine Theorie der animalischen Selbstbewegung
5. Das seelische Prinzip der Selbstbewegung (De anima III 9–11)
Inhalt De motu animalium
Bibliographie
Siglen
ARISTOTELES: De motu animalium / Über die Bewegung der Lebewesen
Griechisch-deutscher text
Apparatus plenior
Anmerkungen
Stemma codicum
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De motu animalium. Über die Bewegung der Lebewesen: Zweisprachige Ausgabe
 3787322744, 9783787322749

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ARISTOTELES

De motu animalium Über die Bewegung der Lebewesen Historisch-kritische Edition des griechischen Textes und philologische Einleitung von            Deutsche Übersetzung, philosophische Einleitung und erklärende Anmerkungen von         

Griechisch – Deutsch

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

P H I L O S O P H I S C H E BI BL IO T H E K BA N D 6 3 6

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bi­­­blio­g ra­phi­ sche Daten sind im Internet a­ brufbar über ‹http://portal.dnb.de›. ISBN 978-3-7873-2274-9  ·  ISBN eBook: 978-3-7873-2275-6

www.meiner.de © Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 2018. Alle Rechte vor­ behalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§  53 und 54 UrhG ausdrücklich gestatten. Satz: Jens-Sören Mann und post scriptum, Hüfingen/Vogtsburg-Burkheim. Druck: Strauss, Mörlenbach. Bin­ dung: Litges + Dopf, Heppenheim. Werkdruck­papier: alterungsbeständig nach ANSI-Norm resp. DIN-ISO 9706, hergestellt aus 100 % chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany.

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Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VII

Philologische Einleitung. Von Oliver Primavesi . . . . . . . . . . . .

XI

. Eine historisch-kritische Edition von Mot. An. als Desiderat  XI. — . Recensio : Bestand und Verzweigung der direkten Überlieferung  XVIII. — . Die Textgeschichte im Licht der in­ direkten Überlieferung  LXI. — . Examinatio: Zum textkritischen Ertrag der Neuedition  LXXXVIII. — . Der neue Text und seine drei Apparate  CXL.

Philosophische Einleitung. Von Klaus Corcilius . . . . . . . . .  CXLV . Aufgabe und Grundidee der Theorie: Die Erklärung der Selbstbewegung der Lebewesen  CXLVII. — . Die theoretischen Voraussetzungen von De motu animalium in Aristo­ teles’ Werk  CLXVII. — . Anwendungen der Theorie animalischer Selbst­bewegung in anderen Sachbereichen der aristotelischen Philosophie  CLXXXII. — . Aristoteles’ allgemeine Theorie der animalischen ­Selbstbewegung  CXCVIII. — . Das seelische Prinzip der Selbstbewegung (De anima III 9–11) ­CCXXVII. — ­I nhalt De motu animalium  CCXLI.

Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

CCXLV

Siglen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . CCLXVIII

A R ISTOT EL E S

De motu animalium / Über die Bewegung der Lebewesen Griechisch-deutscher Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Apparatus plenior . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 Stemma codicum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180

VORWORT

 D

ie dem Aristotelischen Spätwerk angehörende Schrift De motu animalium (im Folgenden: Mot. An.) geht der schwierigen Frage nach, wie die Seele der Lebewesen den Körper in Bewegung setzt. Die Textüberlieferung dieser Schrift erscheint seit einiger Zeit in einem völlig neuen Licht: Zum einen hat Pieter De Leemans 2011a auf die unabhängige Stellung einer bisher unbeachtet gebliebenen Gruppe jüngerer griechischer Handschriften aufmerksam gemacht. Zum anderen wurde dem Editor durch das Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft die Durchführung einer Vollkollation aller 47 heute bekannten griechischen Mot.-An.-Handschriften ermöglicht, die im Wesentlichen von Christina Prapa geleistet wurde. Beides zusammen hat die Formung eines neuen Bildes der Überlieferung und eine darauf aufbauende, durchgreifende Revision des griechischen Originaltextes unausweichlich gemacht: Gegenüber der letzten, vor nunmehr 40 Jahren von Martha Nussbaum besorgten Edition musste der Text an 120 Stellen in inhaltlich relevanter Weise geändert werden. Deshalb war es auch geboten, eine von Grund auf neue Übersetzung zu erarbeiten, um die Möglichkeiten, die der neue Text für das philosophische Verständnis der Schrift bietet, zu explizieren. Um das Für und Wider jeder philosophisch relevanten Textvariante und um die möglichst prägnante deutsche Wiedergabe der textlichen Neuerungen haben Editor und Übersetzer in mehrjähriger Zusammenarbeit gerungen; das Ergebnis dieser doppelten Revision wird hier vorgelegt. Unser Dank gilt zunächst der Staatsbibliothek zu Berlin (Preußischer Kulturbesitz) und der Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg, die es dem Editor ermöglicht haben, die beiden für die Erneuerung des Textes entscheidenden griechischen Handschriften an Ort und Stelle gründlich durchzuarbeiten, sowie den Teilnehmern an unse-

VIII Vorwort

ren Seminaren und sonstigen Veranstaltungen zu Mot. An. in Berkeley, Berlin, Chicago, Florenz, Genf, Hamburg, Kassel, Leipzig, München, Oxford, Salzburg und Tübingen. Ferner danken wir Cordula Bachmann, Pantelis Golitsis, Pieter ­Sjoerd Hasper, Peter Isépy, Lutz Koch und Katharina Luchner für vielfältige Hilfe bei der Auswertung der Überlieferung und Joulia Strauss für die ansprechende graphische Realisation der überlieferten Diagramme und des neuen Stemma codicum, das am Ende des vorliegenden Buches zu finden ist. Last not least geht unser Dank an Rolf Geiger, Michael Neidhart und Ute Primavesi, die die Mühen der Korrektur mit uns geteilt haben. München und Tübingen, im Sommer 2018

O. P. und K. C.

a bkü r z u ngen

Werktitel des Corpus Aristotelicum werden gemäß dem Aristoteles Graecus (Moraux et al. 1976) abgekürzt: An. De anima Anal. Post. Analytica Posteriora Anal. Pr. Analytica Priora Cael. De caelo Div. Somn. De divinatione per somnum EE Ethica ad Eudemum EN Ethica Nicomachea Gener. An. De generatione animalium Gener. Corr. De generatione et corruptione Hist. An. Historia animalium Inc. An. De incessu animalium Insomn. De insomniis Int. De interpretatione Juv. De iuventute Long. De longitudine vitae Mem. De memoria Metaph. Metaphysica Mete. Meteorologica MM Magna moralia Mot. An. De motu animalium Part. An. De partibus animalium Phys. Physica Poet. Poetica Pol. Politica Respir. De respiratione Rhet. Rhetorica Sens. De sensu Somn. Vig. De somno et vigilia Spir. De spiritu Top. Topica VM De vita et morte

PHILOLOGISCHE EINLEITUNG 1 von Oliver Primavesi

. Eine historisch-kritische Edition von Mot. An. als Desiderat Mit der hier vorgelegten Neuausgabe des griechischen Originaltextes der Aristotelischen Schrift De Motu Animalium (im Folgenden: Mot. An.) wurde erstmals eine historisch-kritische Edition dieses Textes unternommen. Damit ist gesagt, dass wir im Gegensatz zu allen früheren Mot. An.-Editoren 2 die Text-Kritik nicht in Angriff genommen haben, ohne zuvor die Geschichte der handschriftlichen Überlieferung bis hinauf zur Rekonstruktion der beiden Variantenträger zu klären.3 So haben wir zunächst aus dem Bestand aller nach heutigem Kenntnisstand erhaltenen griechischen Mot. An.-Handschriften die von erhaltenen Vorlagen abhängigen Handschriften (›codices descripti‹) eliminiert, die verbleibenden unabhängigen Handschriften auf gemeinsame Fehler hin durchmustert, sie aufgrund dieser gemeinsamen Fehler auf einen gemeinsamen, vom ›Autortext‹ verschiedenen Vorfahren (›Archetypus‹) zurückgeführt und schließlich die beiden ›Hyparchetypi‹ rekonstruiert, d. h. die beiden verlorenen Vorlagen, die aus der ersten Spaltung der Überlieferung nach dem Archetypus (d. h. 1  Der Editor weiß sich seinem paläographischen Lehrer Nigel G. Wilson (Oxford) für höchst förderliche bibliographische Hinweise und seiner mediävistischen Kollegin Anna Kathrin Bleuler (Salzburg) für einen intensiven Meinungsaustausch über die methodologischen Aspekte der folgenden Einleitung zu besonderem Dank verpflichtet. 2  Bekker 1831, Jaeger 1913a, Forster 1937, Torraca 1958, Louis 1973, Nussbaum 1978. 3  Das Vorbild für eine nach diesem Grundsatz zu erarbeitende Ari­ stotelesausgabe sehen wir in der Rhetorik-Edition von Rudolf Kassel (1976) in Verbindung mit den von Kassel 1971 vorgelegten Prolegomena.

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Oliver Primavesi

aus der ›Hauptspaltung‹) hervorgegangen sind. Erst in Kenntnis der Textform beider Hyparchetypi haben wir dann an allen einschlägigen Textstellen eine begründete Entscheidung darüber getroffen, welche von zwei divergierenden Lesungen der Hyparchetypi (d. h. welche von zwei Varianten) jeweils dem Archetypus zuzuweisen sei. Demgegenüber war allen früheren Mot. An.-Herausgebern einer der beiden Hyparchetypi unserer Überlieferung – bzw. die für seine Rekonstruktion relevanten Handschriften – so gut wie vollständig unbekannt geblieben, 4 so dass sowohl die von ihnen vorgenommene kritische Auswahl unter überlieferten Lesungen als auch ihre Vorschläge zur Emendation des vermeintlichen ›Archetypus‹ zwangsläufig einem falschen Objekt galten: Textkritische Auswahlentscheidungen trafen sie ledig­ lich unter denjenigen Lesungen, in denen die Nachkommen nur eines der beiden Hyparchetypi voneinander divergieren, und die Emendationsversuche unternahmen sie – bestenfalls – am rekonstruierten Text nur eines der beiden Hyp­arche­typi. So erklärt es sich, dass der von uns als Ergebnis des historisch-kritischen Verfahrens konstituierte Mot. An.-Text von dem der Vorgängeredition, die von Martha Nussbaum 1978 veröffentlicht wurde, an 120 Stellen in relevanter Weise abweicht, d. h. pro Bekker-Seite5 an ca. 20 Stellen. 6 Gerade an der Ausgabe von Nussbaum 1978 hätte aufmerksamen Lesern das Desiderat einer nach historisch-kritischer 4  Mit Ausnahme einiger weniger Lesungen unseres neuen zweiten Hyparchetypus, die durch punktuelle Benutzung einer zweiten Vorlage (»Kontamination«) in Nachkommen des ersten Hyparchetypus gelangt waren und deshalb schon seit Bekker 1831 bekannt waren. 5  Die erhaltenen Schriften des Aristoteles zitiert man nach Seite, Kolumne und Zeile der von Immanuel Bekker erarbeiteten Aristotelesausgabe der Kgl. Preußischen Akademie der Wissenschaften (1831). So beginnt z. B. der Text von Mot. An. in 698a1, d. h. in Zeile 1 der linken Spalte (a) von Seite 698 des ersten Bandes der Akademie-Ausgabe. 6  Eine Übersicht über diese 120 Textänderungen geben wir im Abschnitt 4.6 der vorliegenden Einleitung.



Philologische Einleitung

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Methode zu erarbeitenden Edition von Mot. An. bereits deutlich werden können. Die Herausgeberin war nämlich bereits nach Sichtung von 25 % des von ihr aufgelisteten Handschriftenbestandes 7 von der texthistorischen zur textkritischen Phase der Editionsarbeit übergegangen – und dies, obwohl sie einen Sachverhalt entdeckt und dokumentiert hatte, der eine mindestens stichprobenhafte Durchsicht aller verbleibenden Handschriften als dringend geboten hätte erscheinen lassen können: An einer Stelle des 6. Kapitels 8 bewahren unter allen von Nussbaum herangezogenen Textzeugen nur zwei9 den wichtigen Gedanken, dass als Beweger der Lebewesen zuerst das jeweilige Objekt ihrer Strebung fungiert (κινεῖ πρῶτον τὸ ὀρεκτόν), wohingegen dieser Satz aufgrund eines bereits in Nussbaums Archetypus eingetretenen Textausfalls in allen übrigen von ihr herangezogenen Handschriften fehlt;10 gleichwohl werden jene beiden Textzeugen ansonsten durch eindeutige Bindefehler als Abkömmlinge von Nussbaums vermeintlichem Archetypus (des Näheren: von Nussbaums Überlieferungszweig b) erwiesen. Deshalb führte Nussbaum die Präsenz der richtigen Lesung in den beiden Zeugen korrekt auf die punktu7  Die Handschriftenliste, die Nussbaum 1975, 71–72 vorgelegt hat (und die sie 1978 in der Buchfassung ihrer Edition ersatzlos gestrichen hat), enthält zwar statt der einleitend angekündigten 44 Handschriften de facto nur 43; doch ist in dieser Liste der Par. Suppl. gr. 333 (Ph) offenbar nur versehentlich ausgefallen, da Nussbaum 1975, 118 ihn durchaus behandelt; demnach hat Nussbaum in der Tat 44 Handschriften erfasst. Allerdings hat sie nur 11 davon in Augenschein genommen. 8  Mot. An. 6, 700 b23–24. 9  Der Vat. gr. 1339 (P) und die lateinische Übersetzung Wilhelms von Moerbeke (AD 1260) in ihrer Endfassung. 10  Mot. An. 6, 700 b23–24: κινεῖ πρῶτον τὸ ὀρεκτὸν P : movet primum quod appetibile Wilhelm (Endfassung) : deest in ceteris mss. a Nussbaum adhibitis. Nussbaum führte noch ein vergleichbares, aber weniger spektakuläres Beispiel für die gleiche Lesartenverteilung an, nämlich 700b35: πρὸς ἕτερον P : ad alterum Wilhelm (Endfassung) : πρότερον ceteri mss. a Nussbaum adhibiti.

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Oliver Primavesi

elle Benutzung einer externen, d. h. von Nussbaums vermeintlichem Archetypus unabhängigen Zusatzquelle (»Kontamination«) zurück,11 und durch diese treffende Diagnose hat sie die Analyse der Mot. An.-Überlieferung entscheidend gefördert. In einem nächsten Schritt hätte sie dann prüfen können, ob es sich bei der unabhängigen Zusatzquelle um eine gegenüber der gesamten Überlieferung externe Quelle handelt12 oder ob sich unter den zahlreichen noch nicht konsultierten Handschriften ihrer Liste nicht auch direkte Nachfahren jener Quelle erhalten haben: Solche Nachfahren hätten sich ja gegebenenfalls leicht identifizieren lassen,13 und im Erfolgsfall wäre die handschriftliche Grundlage des Textes signifikant verbreitert worden. Doch diesen Schritt hat Nussbaum nicht getan – schließlich ist ihre Mot. An.-Ausgabe aus einer in knapp bemessener Frist fertig­z ustellenden Dissertation hervorgegangen –, so dass von den insgesamt 44 griechischen Handschriften ihrer Liste 33 ungeprüft blieben. Die Möglichkeit, dass unter diesen 33 Handschriften noch der ein oder andere unabhängige Überlieferungsträger schlummern könnte, ist offenbar auch keinem der zahlreichen Rezensenten der Buchfassung von Nussbaums Edition in den Sinn gekommen, da sie alle ihre Aufmerksam11  Nussbaum 1975, 104–105 (= 1976, 130; vgl. 1978, 16): »There can, however, be no doubt that P has access to an independent source, probably also used by Γ. … There are two passages where PΓ have, alone, the correct reading«. 12  In diesem Fall würde es sich um ›extra-archetypale Kontamination‹ handeln; vgl. Trovato 22017, 134. 13  Die Kontrolle der Mikrofilme aller bisher ungeprüften Handschriften hätte man in einem ersten Schritt auf den zitierten, in Nussbaums Archetypus ausgefallenen Satz des 6. Kapitels beschränken können, so dass eine Vorauswahl vielversprechender Kandidaten mit geringem Aufwand durchzuführen gewesen wäre. Auf die Ermöglichung solcher Recherchen durch das Berliner Aristoteles-Archiv hatte bereits Kassel 1971, V–VI hingewiesen: »Ein unschätzbarer Vorteil für die Arbeit war, daß die Mikrofilme des von meinem Kollegen Paul Moraux geleiteten Aristotelesarchivs an Ort und Stelle zur Verfügung standen«.



Philologische Einleitung

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keit auf die philosophische Interpretation und bestenfalls noch auf die Textgestaltung richteten, nicht aber auf die Tragfähigkeit des handschriftlichen Fundaments. Erst über 30 Jahre später, im Frühjahr 2011, hat Pieter De Leemans im Rahmen einer Edition der lateinischen Mot. An.-Übersetzung Wilhelms von Moerbeke (ca. AD 1260) auch auf dem Gebiet der griechischen Überlieferung einen entscheidenden Fortschritt erzielt. Auf der sicheren Grundlage einer Auswertung der gesamten Wilhelm-Überlieferung konnte De Leemans drei Bearbeitungsstufen von dessen Übersetzung rekonstruieren und Nussbaums Zusatzquellen-Hypothese konkretisieren: Er fand die These bestätigt, dass von den zwei griechischen Vorlagen, die Wilhelm hier wie auch in anderen Fällen herangezogen hat, im Fall von Mot. An. nur seine Hauptvorlage (Γ) einer Textform entspricht, die den modernen Herausgebern des griechischen Mot. An.-Textes bereits bekannt war, während seine Zweitvorlage (Γ) – die er in einem von Bearbeitungsstufe zu Bearbeitungsstufe zunehmenden Umfang berücksichtigte – einen bisher unbekannten Überlieferungszweig vertritt.14 Doch blieb De Leemans bei diesem Befund nicht stehen. Vielmehr prüfte er sämtliche bisher noch nicht herangezogenen griechischen Mot. An.-Handschriften auf ihre mögliche Verwandtschaft mit dem aus Wilhelms Übersetzung zu erschließenden weiteren Überlieferungszweig. Dabei stieß er nun auf eine kleine Gruppe von vier Codices des 14. und 15. Jahrhunderts, die Wilhelms Zweitvorlage Γ noch ungleich näher stehen, als der Vaticanus gr. 1339 (P) es tut:15 14  Die Kurzbezeichnungen für die verlorenen Vorlagen der lateinischen Übersetzungen des 13. Jahrhunderts (Γ, Γ und A) übernehmen wir von De Leemans 2011a und 2011b – abweichend der von uns sonst befolgten Regel, verlorene Vorlagen mit griechischen Kleinbuchstaben zu bezeichnen. 15  De Leemans 2011a, CCXIV: »The survey of passages that were revised by Moerbeke has now shown that P appears to be less interesting for explaining Moer­beke’s revision than four other manuscripts, three of which are rather late«.

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Oliver Primavesi

Alexandria : Bibl. Patriarch. 87 (Tp: AD 1484–1485). – Berlin: Phillippicus 1507/I (Be: ca. 1440–1453). – Erlangen: Universitätsbibliothek A 4 (Er: ca. 1440–1453). – Paris: Parisinus gr. 1859 (b: Anfang 14. Jh.).

Während De Leemans 2011a erklärtermaßen davon absah, die Stellung dieser Handschriftengruppe im Stammbaum (stemma codicum) der griechischen Mot. An.-Überlieferung zu bestim­ men,16 haben wir im Sommer des gleichen Jahres im Anschluss an seine Forschungen die inzwischen durch eine Vollkollation aller 47 erhaltenen griechischen Mot. An.-Handschrif­ ten17 bestätigte These aufgestellt, 18 dass De Leemans’ neue Handschriftengruppe unmittelbar auf die von Nussbaum 1978 postulierte unabhängige ›Zusatzquelle‹ zurückgeht und dass dieser Überlieferungszweig der Gesamtheit der von Nussbaum heran­gezogenen Textzeugen gleichrangig gegenübertritt. Demgemäß haben wir damals Nussbaums ver­meint­ lichen Archetypus, d. h. den jüngsten gemeinsamen Vorfahren der beiden von ihr unterschiedenen Handschriftenfamilien, zu einem von insgesamt zwei Hyparchetypi herabgestuft (α) und im Gegenzug den jüngsten gemeinsamen Vorfahren von De Leemans’ unabhängigem Überlieferungszweig zu einem neuen Hyparche­typus erhoben (β). Überdies konnten wir feststellen, dass die Nachkommenschaft des neuen Hyparche­typus 16  De Leemans 2011a, CCXIV Anm. 214: »In the present context, it is not my intention to determine the place of these manuscripts in the stemma codicum«. 17 Die Durchführung dieser Vollkollation wurde uns durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft ermöglicht und im Wesentlichen von Dr. Christina Prapa geleistet. Die beiden für die Textgestaltung wichtigen (da unabhängigen und unkontaminierten) Mitglieder von De Leemans’ neuer Gruppe, Berolinensis Phillippicus 1507/I (Be) und Erlangensis Univ.-Bibl. A 4 (Er), hat der Verfasser in situ durchgearbeitet. 18  Im Rahmen eines Vortrages zum Thema ›The Text of the De Motu Animalium‹, den der Verfasser am 21. Juli 2011 auf dem in München abgehaltenen 19. Symposium Aristotelicum hielt.



Philologische Einleitung

XVII

mit den vier von De Leemans namhaft gemachten Handschriften im Wesentlichen auch schon erfasst war: Nachzutragen war lediglich die Beobachtung, dass sich in einer bereits von Nussbaum behandelten Handschriftengruppe19 unter der α-Oberfläche ihres Textes ein ursprünglicher β-Text verbirgt, der aber im Stammvater der Gruppe an nahezu allen inhaltlich wichtigen Stellen mit α-Lesungen annotiert worden war, die in seinen erhaltenen Nachfahren dann in den Text gelangt sind.20 Alle übrigen Mot. An.-Handschriften gehören in die direkte Deszen­denz von α. Dass insbesondere die beiden unkontaminierten Nachfahren des Hyparchetypus β erst so spät als solche identifiziert wurden, erscheint als ungewöhnlich; 21 es erklärt sich wohl daraus, dass die uns vorliegende Überlieferung des α-Zweiges bereits im 10. Jahrhundert einsetzt, während die beiden erhaltenen unkontaminierten Vertreter des β-Zweiges erst im 15. Jahrhundert geschrieben wurden und daher aufgrund des ebenso verbreiteten wie fatalen Vorurteils gegen den möglichen Zeugniswert jüngerer Handschriften unbeachtet blieben. So ist unsere Edition die erste Bearbeitung des Mot. An.-Textes seit der Übersetzung Wilhelms von Moer­ beke, d. h. seit den sechziger Jahren des 13. Jahrhunderts, die wieder auf einer kritischen Vergleichung der beiden Textformen α und β beruht. Erst aufgrund einer solchen Vergleichung aber kann die Textform ihrer gemeinsamen Vorlage, d. h. unseres Archetypus (ω), wiedergewonnen werden.

19  Aus dieser Gruppe (bei Nussbaum: b ) hatte schon Bekker 1831  den Laurentianus Plut. 81.1 (S: ca. 1280–1320) benutzt; Nussbaum 1978 fügte den Marcianus gr. 209 (Od: frühes 14. Jh.) hinzu. 20  Auf diesen Punkt kommen wir in den Abschnitten 2.6 und 3.9 der vorliegenden Einleitung zurück. 21 Trovato 22017, 85: »new witnesses found after completion of a critical edition belong, as a rule, to the most common vulgate texts, while the discovery of ›new‹ upper-level manuscripts, such as to modify significantly the shape of the stemma, is unfortunately a rather uncommon event«.

XVIII

Oliver Primavesi

. Recensio : Bestand und Verzweigung der direkten ­Ü berlieferung Aufgabe der Recensio ist es, »festzustellen, was als überliefert gelten muß oder darf«.22 Die ersten Schritte der Recensio, d. h. die Zusammenstellung aller Handschriften, die das betreffende Werk enthalten, und die Ermittlung der Lesungen dieser Handschriften durch Kollation, stellen in der Regel, d. h. abgesehen von paläographischen Zweifelsfällen, eine Aufgabe dar, die ohne Rückgriff auf Interpretation – und in diesem Sinne objektiv – zu lösen ist. Doch zur Recensio zählt auch die Scheidung der unabhängigen von den abhängigen Handschriften und die Feststellung der Verwandtschaftsverhältnisse, die zwischen den unabhängigen Handschriften bestehen; und diese Arbeitsschritte sind nur im Wege der Ermittlung von Fehlern möglich, die bestimmten Handschriften gemeinsam sind bzw. nicht gemeinsam sind. Insofern nun die Feststellung eines Fehlers grundsätzlich auf einer bestimmten, wie auch immer elementaren Interpretation des Überlieferten beruht, ist Lachmanns berühmtes Wort, dass die Recensio »ohne Interpretation« durchgeführt werden könne und müsse, nicht aufrecht zu erhalten.23 22 Maas 41960,

5. Lachmann 1842, V: »ex auctoribus quaerere, quod primo loco posui, id quod recensere dicitur, sine interpretatione et possumus et debemus«. Vgl. Timpanaro 21971, 41: »Dennoch war die Forderung recensere sine interpretatione bei Lachmann selbst eine reine Prahlerei – nicht allein, weil er ja die Lesarten verstehen mußte, um die Handschriften klassifizieren zu können, sondern auch weil er nach der eliminatio lectionum singularium noch eine große Zahl gleichwertig bezeugter Lesarten übrig behielt, unter denen auch er nach inneren Kriterien seine Wahl zu treffen hatte«; und dazu Anm. 124: »Man bedenke, daß bei Lachmanns auch jetzt noch allgemein befolgter Einteilung die Recensio auch die Auswahl der nach äußeren Kriterien gleich gut bezeugten Varianten einschließt, also das, was Paul Maas Selectio nennt.« Indessen rechnet Maas 4 1960, 13 (§ 19) die Selectio nicht zur Recensio, sondern zur Examinatio. 23 



Philologische Einleitung

XIX

Im Folgenden werden wir zunächst alle erhaltenen griechischen Mot. An.-Handschriften auflisten und datieren, sodann die unabhängigen unter ihnen angeben und nachweisen, dass alle unabhängigen Handschriften auf einen in Majuskel geschriebenen Archetypus zurückgehen und dass die Hauptspaltung der von diesem Archetypus ausgehenden Überlieferung eine zweifache ist. Mithin besteht im vorliegenden Fall das Ziel der Recensio des Näheren darin, die beiden primären Nachfahren des Archetypus, d. h. die beiden Hyparchetypi zu rekonstruieren: Nur sie sind Variantenträger, d. h. im Gegensatz zu den unzähligen abweichenden Lesungen aller übrigen erhaltenen und rekonstruierten Manuskripte gehen einzig und allein die Lesungen der beiden Hyparchetypi unmittelbar auf die erste Spaltung der Überlieferung nach dem Archetyus zurück. Deshalb sind nur die Lesungen der beiden Hyparchetypi, wenn sie voneinander abweichen, als Varianten zu betrachten, die für den Text des Archetypus in Frage kommen und von denen jeweils eine – aufgrund kritisch begründeter Wahlentscheidung – dem Text des Archetypus zuzuweisen ist. Schließlich werden wir das Gewicht dokumentieren, das den einzelnen unabhängigen Handschriften bei der Rekonstruktion jedes der beiden Variantenträger (Hyparchetypi) jeweils beizumessen ist: Hierzu werden wir die wichtigsten Verzweigungen der Überlieferung, so wie sie an unserem Stammbaum (stemma codicum) abzulesen sind, mit aussagekräftigen Lesungen belegen. Hingegen würde eine bis ins Einzelne gehende Darstellung unserer Befunde zu sämtlichen 47 Handschriften den Rahmen des vorliegenden Bandes sprengen: Sie muss der geplanten editio maior vorbehalten bleiben.

.  Ermittlung und Datierung aller erhaltenen Mot. An.-Handschriften Für Editoren eines Aristotelischen Werkes besteht seit dem Jahre 1963 die Möglichkeit, mit vertretbarem Aufwand sämtliche erhaltenen griechischen Handschriften des betreffenden

XX

Oliver Primavesi

Werkes zusammenzustellen. In diesem Jahre erschien nämlich das grundlegende Inventaire des manuscrits grecs d’Aristote von André Wartelle, in dessen Anhang (Index Aristotelis operum) 24 für jedes Aristotelische Werk auf diejenigen unter den im Hauptteil des Inventaire aufgeführten Handschriften verwiesen wird, die das betreffende Werk enthalten. Da Wartelle aber, wie er selbst betont, sein Inventaire nicht aufgrund von Autopsie der Handschriften, sondern aufgrund von Bibliothekskatalogen erarbeitet hat, 25 darf man seine Angaben natürlich nicht ungeprüft übernehmen. 26 Dies zeigt sich auch im Fall von Mot. An.: Dieser Schrift ordnet Wartelle in seinem Index 47 Nummern zu, 27 doch hat er dabei einerseits vier Aristotelica als Mot. An.-Handschriften präsentiert, die in Wahrheit keine sind, 28 andererseits drei Handschriften ausgelassen, die in Wahrheit auch Mot. An. enthalten. 29 Auch 24 

Wartelle 1963, 173–182. Wartelle 1963, II – III. 26  Wichtige Ergänzungen und Berichtigungen schon bei Harlfinger/ Wiesner 1964, sodann in der grundlegenden Dissertation von Harlfinger 1971, ferner, für die Bibliotheken von Alexandria–London, im einzigen bisher erschienenen Band des Aristoteles Graecus (Moraux et al. 1976) und schließlich im Supplément zu Wartelle von Argyropoulos/ Caras 1980. 27  Wartelle 1963, 178. 28  (i) Bei Laur. Plut. 87.2 (Wartelle Nr. 581) handelt es sich nicht um eine Mot. An.-Handschrift, sondern um den im Jahre 1497 gedruckten, Mot. An. enthaltenden Band der Aristoteles-Aldina, wie Wartelle 1963, 40 selbst vermerkt; vgl. Harlfinger 1971, 102. – (ii) Yale 234 (Wartelle Nr. 1208) enthält in Wahrheit Inc. An., nicht Mot. An.; vgl. Shailor 1984, 338–341. – (iii) Vaticanus Reginensis gr. 118 (Wartelle Nr. 1970) enthält in Wahrheit nicht den Text von Mot. An., sondern nur die zugehörigen ὑπομνήματα des Metochites; vgl. Stevenson 1888, 85. – (iv) Vaticanus Urbinas gr. 39 (Wartelle Nr. 1989) enthält in Wahrheit Inc. An., nicht Mot. An.; vgl. Harlfinger 1971, 240–242. 29  Wartelle 1963 hat zwei Mot. An.-Handschriften nicht als solche ausgewiesen und eine weitere überhaupt nicht in sein Inventaire aufgenommen: (v) Erlangen Universitätsbibliothek A 4 (Wartelle Nr. 426) 25 



Philologische Einleitung

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die von Wartelle angegebenen Datierungen der von ihm aufgeführten Handschriften sind durch die rege paläographische Forschung der letzten hundert Jahre vielfach überholt; dieser Punkt verdient deshalb unsere volle Aufmerksamkeit, weil für die Rekonstruktion der Überlieferungsverhältnisse wie für die darauf aufbauende Textgeschichte viel auf eine möglichst gut abgesicherte Datierung aller Handschriften ankommt. Vor diesem Hintergrund kann das Urteil über die Handschriftenlisten der beiden nach Wartelle 1963 publizierten Mot. An.-Editionen – der Budé-Ausgabe von Pierre Louis (1973) und der kommentierten Ausgabe von Martha Nussbaum (1978) 30 – nur zwiespältig ausfallen. Beide haben Wartelle zwar benutzt, aber sie haben es unkritisch getan, d. h. sie haben sich nicht die Mühe gemacht, Wartelles Fehler aufzuspüren – und sei es auch nur anhand der damals schon publizierten Korrekturen – und auf diesem Wege zu einer verbesserten Liste der griechischen Mot. An.-Handschriften zu gelangen. Vielmehr hängen sie in ihren Handschriftenlisten ganz von Wartelle ab und haben sich deshalb sowohl dessen Fehleinträge (abgesehen von einem trivialen Sonderfall) als auch dessen Auslassungen zu eigen gemacht;31 überdies wurde die Zahl der unberechtigten enthält in Wahrheit Mot. An. und nicht, wie von Wartelle behauptet, Inc. An.; vgl. Harlfinger/Wiesner 1964, 252. – (vi) Unter den Aristoteles-Exzerpten des Scorialensis Φ. III. 11 (Wartelle Nr. 457) befinden sich auf den Folien 177r–179v auch solche aus Mot. An., was Wartelle nicht spezifiziert hat; vgl. Moraux et al. 1976, 169. – (vii) Vat. gr. 1950 enthält Mot. An., ist aber bei Wartelle gar nicht aufgeführt; vgl. Argyropoulos/ Caras 1980, 44, Nr. *344. 30  Wie oben bereits festgestellt, hat Martha Nussbaum die ihrer Edition zugrundeliegende Handschriftenliste nur in der Dissertations­ fassung ihrer Edition mitgeteilt (Nussbaum 1975, 71–72). 31  Louis 1973, 46–48 und Nussbaum 1975, 71–72 haben von Wartelles Fehleinträgen nur (i), d. h. den schon von Wartelle selbst korrekt als Druck klassifizierten Aldina-Band, getilgt, während sie seine Fehleinträge (ii), (iii) und (iv) unbesehen übernommen und seine Auslassungen (v), (vi) und (vii) unkorrigiert gelassen haben.

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Oliver Primavesi

­ uslassungen sowohl durch Louis32 als auch durch Nussbaum33 A um jeweils einen weiteren Fall vermehrt. Einen deutlichen Fortschritt erbrachte auch in dieser Hinsicht die im Jahre 2011 von Pieter De Leemans vorgelegte Ausgabe der mittellateinischen Mot. An.-Übersetzung Wilhelms von Moerbeke: In De Leemans’ Übersicht über die griechische Mot. An.-Überlieferung fehlen nämlich von den unseres Wissens 47 griechischen Handschriften nurmehr die beiden, die den Text von Mot. An. nur unvollständig überliefern,34 während die 45 vollständigen Mot. An.-Abschriften bei ihm erstmals korrekt erfasst sind.35 In dem folgenden Katalog der 47 erhaltenen griechischen Mot. An.-Handschriften teilen wir zu jeder dieser Handschriften die Bibliothekssignatur mit, sodann die Folien, auf denen 32  (viii) Louis 1973, 46 n. 1 strich den Parisinus Coislinianus 166 (Wartelle Nr. 1558) mit der unzutreffenden Begründung, dass diese Handschrift nur »les dernières lignes du traité« enthalte, worin ihm Nussbaum gefolgt ist. Doch in Wahrheit enthält die Handschrift, wie wir in unserem Handschriftenverzeichnis unter Nr. 25–26 vermerken werden, den ursprünglichen Schlussteil der Mot. An.-Abschrift des Par. gr. 1921 (m) – von Kapitel 9, 702b27 (θατέρου ἠρεμοῦντος) bis zum Ende. 33  (ix) Nussbaum 1975, 122 n. 1 eliminierte den Bodleianus Canonicianus 107 (Wartelle Nr. 1264) mit der unzutreffenden Begründung, dass es sich dabei nicht um eine Handschrift, sondern um einen Druck handele: Dies trifft in Wahrheit nur auf den ersten der in diesem Codex enthaltenen Texte (Sens) zu, wie die präzise Beschreibung bei Coxe 1854, Sp. 98 außer Zweifel stellt; vgl. Escobar 1990, 55. 34  Unsere Nummern 6 (Scorialensis Φ. III . 11: Mot. An.-Exzerpte) und 25 (Par. Coislinianus 166: Erstfassung des Schlussteils der Mot. An.-­ Abschrift des Par. gr. 1921 [m]). Auf diese beiden Handschriften hat uns Lutz Koch aufmerksam gemacht. 35  De Leemans 2011a, CLXXIX– CLXXX und CLXXXIII – CLXXXIV. Zwar beziffert De Leemans 2011a, CLXXIX die Gesamtzahl der von ihm erfassten Mot. An.-Handschriften auf 44, doch zählt er dabei offenbar die beiden im Berol. Phill. 1507 sekundär zusammengefassten Handschriften Be und Bp (unsere Nummern 2 und 3) nur einmal, während er sie in seiner Liste als zwei getrennte Handschriften aufführt; Letzteres ist aus stemmatischen wie aus kodikologischen Gründen vorzuziehen.



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der Text von Mot. An. zu finden ist, und schließlich unser (in aller Regel von Bekker 1831 bzw. von De Leemans 2011a übernommenes) Siglum, d. h. den lateinischen, häufig noch mit einem Exponenten versehenen Buchstaben, mit dem wir im Apparat gegebenenfalls auf die betreffende Handschrift verweisen. Überdies vermerken wir bei jeder Handschrift unsere Datierung sowie die Quelle, auf die wir uns dabei stützen. Alexandria, Patriarchatsbibliothek (Βιβλιοθήκη τοῦ Πατριαρχείου) 1)  87 (Folien 283r–292r): Tp

1484–1485: Förstel 1999, 252.

Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz 2)  Phill. 1507/ I (105r–113r): Be

ca. 1440–1453: Isépy/Prapa 2018, 23.36

3)  Phill. 1507/ II (214r–219r): Bp

ca. 1455: Moraux et al. 1976, 40–42 (Harlfinger).

Erlangen, Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg 4)  Erl. Univ. Bibl. A 4 (94r–99v): Er

ca. 1440–1453: Luigi Orlandi (brieflich).37

Escorial, Real Biblioteca del Monasterio de San Lorenzo de El Escorial 5)  Scor. T. ΙΙ. 13 (91v–98r): E s

15. Jh. 4. Viertel: Moraux et al. 1976, 161–162 (Harlfinger).

6)  Scor. Φ. III. 11 (177r–179v): S c

14. Jh. M. bis 2. H.: Moraux et al. 1976, 169 (Harlfinger).

36  Zur kodikologischen Beschreibung der Handschrift und zu ihrer Datierung vor 1453 vgl. jetzt den grundlegenden Aufsatz von Isépy/ Prapa 2018: Es handelt sich bei Be um den ersten Teil des Berol. Phill. 1507, der vom zweiten Teil (= Bp) dieser Handschrift ursprünglich unabhängig war und im Gegensatz zu diesem zweiten Teil vor 1453 von Ioannes Arnes geschrieben wurde. 37  Orlandis Datierung des Erlangensis in die Zeit vor dem Fall Kon­ stan­ti­no­pels (1453) beruht auf seiner am 13. November 2017 verteidigten Hamburger Diss. »ANDRONIKOS KALLISTOS: Manuscripts, Activities, Texts«.

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Oliver Primavesi

Florenz, Biblioteca Medicea Laurenziana 7)  Laur. Plut. 81.1 (127v–130r): S

ca. 1280–1320: Rudolf Stefec (brieflich): »archaisierende Minuskel der frühen Palaio­ logenzeit«.

8)  Laur. Plut. 87.4 (210r–215r):38 Ca

ca. 1135–1140: Vuillemin-Diem/ Rashed 1997, 178: »le travail de Ioannikios remonte probablement aux alentours des années 1135–1140«.

9)  Laur. Plut. 87.11 (311r–317v): Fd

ca. 1450–1478: nach Moraux et al. 1976, 301 (Wiesner: »15. Jh. 2. H.«) und R. Stefec (brieflich) »vor 1478: Tod des Michael Apostoles, von dem eine Notiz im Codex stammt«.

10)  Laur. Plut. 87.21 (42v–52r): Z a

späte zweite Hälfte des 13. Jhs.: Isépy 2016, 163; vgl. Harlfinger 1971, 149.

Florenz, Biblioteca Riccardiana 11)  Ricc. 14 (170r–176v): Fs

ca. 1475–1478: Speranzi 2012/2017

12)  Ricc. 81/ II (12r–30r): F r

16. bis 17. Jh.: Moraux et al. 1976, 362–363 (Harlfinger).

Madrid, Biblioteca Nacional de España 13)  N 26 (4563) (107r–111v): M n

AD 1470: Subskription f. 339v;

vgl. de Andrés 1987, 39. Mailand, Veneranda Biblioteca Ambrosiana 14)  Ambr. A 174 sup. (204r–208v): M i um 1470: Harlfinger 1971, 271–273. 15)  Ambr. H 50 sup. (99v–110r): X

12. Jahrhundert: Cavallo 2000, 232: »al XII vanno riferiti … i testi aristotelici Vat. gr. 244, Ambr. H 50 sup.«.

Modena, Biblioteca Estense 16)  Mut. gr. 76 (41v–50r): Md

letztes Viertel 15. Jh.: R ­ ashed 2001, 306–309. Terminus ante

38  Nach Wilson 1983, 165 im Konstantinopolitaner Skriptorium des Ioannikios hergestellt.



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quem ist das Jahr 1497, in dem der Mutinensis (oder eine Abschrift davon) dem betreffenden Band der Aldina als Druckvorlage diente. Moskau, Staatl. Hist. Museum (Государственный Исторический музей) 17) Sinod. 240/Vlad. 453 (51v–56v): Mo Mitte des 15. Jhs. oder kurz ­danach: Harlfinger 1971, ­2 47–251. Neapel, Biblioteca Nazionale di Napoli ›Vittorio Emanuele III‹ 18)  III D 2 (250v–273v): Ne datiert AD 1493: Formentin 2008, 79. Oxford, Bibliotheca Bodleiana 19)  Bodl. Canon. 107 (53r–66r): Bo

2. H. 16. Jh.: Escobar 1990, 55.

Oxford, New College 20)  226 (38v–47r): Nc

2. H. 15. Jh.: Escobar 1990, 56.

Paris, Bibliothèque Nationale de France 21)  Par. gr. 1853 (221r–225v): E (Schreiber E III)

Mitte 10. Jh.: Hecquet-Devienne 2000, 132: »milieu du Xe siècle«.

22)  Par. gr. 1859 (245r–252v): b

Anfang 14. Jh.: Rashed 2001, 110.

23)  Par. gr. 1861 (81r–83v): c

letztes Viertel 15. Jh.: Rashed 2001, 309.

Nr. 24) mit Nr. 25) um 1360: 24)  Par. gr. 1921 (182v–185v):39 m I + (186r–187r): m II. Wiesner 1981, 234 »nach den 25)  Par. Coisl. 166 (485r–485v): m II. zahlreichen Wasser­zeichen«. 40 39  Wie Wiesner 1981, 235 gesehen hat, bewahrt unsere Nr. 25 (Coisl. 166) den ursprünglichen Schlussteil (m II.) der Mot. An.-Abschrift von Nr. 24 (Par. gr. 1921), d. h. den Abschnitt von Kapitel 9, 702b27 (θατέρου ἠρεμοῦντος) bis zum Ende, der in Nr. 24 durch eine von demselben Schreiber hergestellte revidierte Abschrift (m II.) ersetzt worden war. Der Schreiber, früher »Anonymus Aristotelicus« genannt, wurde von Mondrain 2005, 25 aufgrund zweier Angaben von Schreibernamen im Laur. Plut. 74.10 (foll. 207r und 215r) mit »Malachias Papas« identifiziert. 40  Vgl. Harlfinger 1971, 55: »im dritten Viertel des 14. Jhs. angelegt«.

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Oliver Primavesi

26)  Par. gr. 2027 (180v–190r): P f

Das auf fol. 50r überlieferte Jahr 〈 /α 〉 υμθ· (»AD 1449«) hat Isépy wegen der damit un­vereinbaren Angabe ἰνδ. β/ (2. Indiktion)41 zu 〈 /α 〉 υλθ· (»AD 1439«) emendiert. 42

27)  Par. gr. 2035 (50r–62r): Pg

3. Viertel 15. Jh.: Rudolf Stefec (brieflich): »terminus ante quem ist 1478 (Tod des Kopisten)«, d. h. Michael Apostoles.

28)  Par. Suppl. gr. 333 (216v–222v): Ph vor 1511: Tod des Kopisten ­Demetrios Chalkondyles. 43 Rom (Vatikanstadt), Biblioteca Apostolica Vaticana 29)  Vat. gr. 253 (203v–211v): L 30)  Vat. gr. 258 (57v–68r): N44

beide um 1300: Rashed 2001, 59 (AD 1300 Ermordung des an N beteiligten Johannes ­Bardales). 45

41  Unter einer Indiktion versteht man ein Jahr – ursprünglich: ein Besteuerungs-Jahr – innerhalb des jeweils aktuellen 15-Jahres-Zyklus; als erste Indiktion des ersten dieser Zyklen galt AD 312/313; vgl. Bagnall/Worp 22004, 7–11. 42  Omont 1892, 15 hatte umgekehrt die Indiktionsangabe zu ἰνδ. 〈 ι 〉 β/ (»12. Indiktion«) emendiert, um die überlieferte Jahreszahl 1449 halten zu können (worin ihm die Forschung allgemein gefolgt ist, so noch Mondrain 2011, 93); doch irren sich die byzantinischen Schreiber eher in der Jahreszahl nach Christi Geburt als in der ihnen ungleich vertrauteren Indiktion, wie Canart 1980, 97 festgestellt hat: »… più di una volta succede che i vari elementi di datazione si contraddicano. Si tenta di risolvere il problema tenendo conto degli elementi più sicuri: generalmente sono la cifra dell’indizione ed il giorno della settimana …«. 43  Aufgrund dieses terminus ante quem haben wir die Angabe von Escobar 1990, 63 (»Vor 1515«) präzisiert. 44  Der nach Harlfinger 1971, 165–166 mit dem Schreiber von Nr. 29 (Vat. gr. 253) identische Schreiber A von Nr. 30 (Vat. gr. 258) wurde inzwischen von Canart 2008, 54 mit Leon Bardales identifiziert; bei dem Schreiber C von Nr. 30 (Vat. gr. 258) handelt es sich nach der Subskription f. 325v um Johannes Bardales (Harlfinger 1971, 132). 45  Harlfinger 1971, 131 wollte N aufgrund der Wasserzeichen »im ersten Viertel des 14. Jhs.« ansetzen.



Philologische Einleitung

XXVII

31)  Vat. gr. 259 (156v–162v): G r

15. Jh. 2. Hälfte: Gamillscheg et al. 1997 (zum Kopisten Michael Lygizos). Nach Vendruscolo 2008, 293 nicht vor 1464/1465, da wohl erst in Florenz für ­Johannes Argyropulos ­geschrieben.

32)  Vat. gr. 261 (131r–138v): Y

etwa um 1300: Harlfinger 1971, 252 »anhand der Wasser­ zeichen«. Nach Gamillscheg et al. 1997, 60 (Nr. 115) von G. P ­ achymeres (1242 – ca. 1310) mit Mitarbeitern geschrieben.

33)  Vat. gr. 266 (60v–66r): V

erstes Viertel des 14. Jhs.: ­Harlfinger 1971, 131 »aufgrund der Wasserzeichen«.

34)  Vat. gr. 1339 (245r–252v): P

zweite Hälfte des 14. Jhs.: Harlfinger 1971, 254 (dort 252–254 auch die Identifizierung des Schreibers mit Ioasaph).

35)  Vat. gr. 1950 (542r–545v): Vg

Anfang 14. Jh.: An der ­Handschrift hat Leon Bardales mitgewirkt, der Kopist von Nr. 29 (Vat. gr. 253), der auch in Nr. 30 (Vat. gr. 253) präsent ist (dort als Schreiber A). 46

36)  Palat. gr. 97 (38r–43v): Vp

14. Jh.: Escobar 1990, 70.

37)  Palat. gr. 163 (37v–43r): Vq

um 1442: Der Codex gehört wie der auf 1442 datierte Palat. gr. 159 zu der von J. ­Skutariotes für G. Manetti kopierten ­A ristotelica-Sammlung; vgl. Rashed 2001, 118.

38)  Urb. gr. 41 (17r–27v): Vu datiert AD 1613: nach der ­Subskription des Kopisten (scil. Ιωσὴφ ὁ Κρής) auf fol. 17r; vgl. Stefec 2012, 99 Anm. 27. 46 

Vgl. Canart 2008, 54.

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Oliver Primavesi

Udine, Biblioteca arcivescovile 39)  Utinensis 254 (393v–401v): Ut

15. Jh. 2. Hälfte: Die Datierung ergibt sich aus ­derjenigen der Vorlage Vat. gr. 259 (Gr); vgl. Vendruscolo 2008, ­2 92–294.

Venedig, Biblioteca Nazionale Marciana 40)  Marc. gr. 200 (234v–237v): Q

datiert AD 1457: nach der ­Subskription auf f. 594r, vgl. Mioni 1981, 312.

41)  Marc. gr. 206 (329v–333v): f

datiert AD 1467: nach den ­Subskriptionen auf foll. 67r und 165v, vgl. Mioni 1981, 320.

42)  Marc. gr. 209 (65r–73v): O d

14. Jh. Anfang: Harlfinger (bei Escobar 1990, 164) aufgrund der Identifizierung des ­Kopisten mit dem Schreiber einer Urkunde.

43)  Marc. gr. 212 (439r–442r): G a

etwa um 1430: Harlfinger 1971, 175 über den Grundbestand der Handschrift, zu dem auch Mot. An. gehört.

44)  Marc. gr. 214 (184r–187v): H a

1290–1300: Rashed 2001, 250.

Wien, Österreichische Nationalbibliothek 45)  Vind. phil. gr. 64 (186v–192v): Wg 1457: nach der Subskription auf f. 447v; vgl. Hunger 1961, 182. 46)  Vind. phil. gr. 134 (205r–225r): Ww 15. Jh.: Hunger 1961, 241. 47)  Vind. phil. gr. 157 (81v–89v): Wx 15. Jh.: Hunger 1961, 260.



Philologische Einleitung

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.  Eliminatio: Abgrenzung der unabhängigen ­ Handschriften Einmal im Besitz einer solchen, mit Datierungen versehenen Handschriftenliste steht der Herausgeber vor der Aufgabe, diejenigen Handschriften zu bestimmen, die er seiner Edition als ständige Zeugen zugrunde legen will. Dabei muss man sich nun vor allem vor dem immer noch weit verbreiteten Kardinalfehler hüten, nur eine mehr oder weniger große Anzahl möglichst alter Handschriften zur weiteren Benutzung auszuwählen und die übrigen ungeprüft zu lassen. Schon in der neutestamentlichen Textkritik des 18. Jahrhunderts ist ja klar die Möglichkeit gesehen und ausgesprochen worden, dass eine ganz junge Handschrift die Abschrift einer inzwischen verlorenen sehr alten Vorlage darstellen kann, so dass jene Abschrift gewissermaßen nur »äußerlich jung«, doch »innerlich alt« ist. 47 Mit anderen Worten: Recentiores, non deteriores, d. h. jüngere Handschriften sind keineswegs eo ipso schlechtere Handschriften. 48 Vielmehr hat man zur Text­kon­sti­tu­tion ungeachtet des Alters prinzipiell alle Handschriften heranzuziehen, deren Vorlage nicht erhalten ist und die in diesem Sinne »unabhängig« sind. Eine Vollkollation sämtlicher 47 Mot. An.-Handschriften ermöglichte nun die Feststellung, dass es sich bei 30 von ihnen um codices descripti handelt, die dadurch als Abschriften erhaltener Vorlagen erwiesen werden, dass sie alle Fehler der jeweiligen Vorlage und zudem noch eigene auf-

47  Semler 1765, 88: »Ich setze es hier nemlich voraus, daß das innere Alter viel mehr muß beobachtet werden als das äusserliche, so nur auf dem Alter des Pergament und der gebrauchten Schriftzüge beruhet; wonach freylich ein Codex äusserlich älter seyn (das heißt eher der Zeit nach geschrieben worden seyn) kan, als ein und mehr andere, die erst drey – vier Jahrhunderte nachher abgeschrieben worden; aber das innere Alter ist oft bey diesem letzten viel grösser als bey jenen«. 48  Pasquali 1934, 41–108.

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Oliver Primavesi

weisen:49 Solche Handschriften sind für die Textkonstitution wertlos.50 Nach Eliminierung dieser 30 Handschriften verbleiben als Überlieferungsträger 17 unabhängige Mot. An.-Handschriften, darunter immerhin vier aus dem 15. Jahrhundert. In der folgenden Liste dieser 17 Handschriften geben wir zugleich auch die Kurzbezeichnungen an, die wir von nun an für sie verwenden werden: I)  Berol. Phill. 1507/I (ca. 1440–1453):

Berolinensis Be

II)  Berol. Phill. 1507/II (ca. 1455):

Berolinensis Bp

III)  Erl. Univ. Bibl. A 4 (ca. 1440–1453):

Erlangensis Er

IV)  Laur. Plut. 81.1 (ca. 1280–1320):

Laurentianus S

V)  Laur. Plut. 87.4 (ca. 1135–1140):

Laurentianus Ca

VI)  Laur. Plut. 87.21 (13. Jh. E.):

Laurentianus Z a

VII)  Ambr. H 50 sup. (12. Jh.):

Ambrosianus X

VIII)  Mosqu. Sinod. 240 / Vlad. 453 (15. Jh. M.):

Mosquensis Mo

IX)  Par. gr. 1853 (10. Jh. M.):

Parisinus E

X)  Par. gr. 1859 (14. Jh. A.):

Parisinus b

XI)  Vat. gr. 253 (ca. 1300):

Vaticanus L

XII)  Vat. gr. 258 (ca. 1300):

Vaticanus N

XIII)  Vat. gr. 1339 (2. H. 14. Jh.):

Vaticanus P

49 Maas 41960, 6: »Zeigt ein Zeuge, J, alle Fehler eines anderen er­ haltenen, F, und darüber hinaus noch eigene, so muß J von F abstammen«. 50 Maas 41960, 5: »Es wird nun einleuchten, daß ein Zeuge wertlos ist (d. h. als Z e u g e wertlos), wenn er ausschließlich von einer er­haltenen oder eine ohne seine Hilfe rekonstruierbaren Vorlage abhängt. Gelingt es hinsichtlich eines Zeugen dies nachzuweisen …, so muß der Zeuge a u s g e s c h a l t e t werden ( e l i m i n a t i o codicum descriptorum).« Vgl. Trovato 22017, 60: »We can, and indeed should, discard all descripti«.



Philologische Einleitung

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XIV)  Vat. gr. 1950 (14. Jh. A.):

Vaticanus Vg

XV)  Vat. Palat. gr. 97 (14. Jh.):

Palatinus Vp

XVI)  Marc. gr. 209 (14. Jh. A.):

Marcianus O d

XVII)  Marc. gr. 214 (1290–1300):

Marcianus H a

Von den 17 unabhängigen Handschriften sind acht, also nahezu die Hälfte – Berolinensis Be, Berolinensis Bp, Erlan­gen­ sis Er, Laurentianus C a, Mosquensis Mo, Parisinus b, Vaticanus Vg und Palatinus Vp –, von keinem früheren Her­aus­geber des griechischen Mot. An.-Textes jemals auch nur gesichtet ­worden.51

.  Methodenfragen I: Der Archetypus und die ­Hauptspaltung der Überlieferung Den einzelnen unabhängigen Handschriften kommt für die Konstitution des Textes ein jeweils höchst unterschiedliches Gewicht zu: Sie sind nicht zu zählen, sondern zu wägen. Zwischen den einzelnen Handschriften bestehen nämlich erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Rangstufe, die sie im Verwandtschaftsgefüge der Handschriften einnehmen. Dieses Verwandtschaftsgefüge ist nach Möglichkeit zu rekonstruieren und durch ein stemma codicum zu verdeutlichen; dabei stützt sich die Rekonstruktion auf die den einzelnen Handschriftengruppen gemeinsamen bzw. nicht gemeinsamen Fehler.

51  Bekker 1831 und Jaeger 1913a begnügten sich mit Parisinus E nebst seiner Abschrift Vat. gr. 261 (Y), Laurentianus S und Vaticanus P; Torraca 1958 fügte in seiner Ausgabe den Ambrosianus X hinzu und veröffentlichte 1959 nachträglich eine Kollation des Marcianus Ha, Nussbaum 1978 fügte Marcianus Od, Vaticanus L und Vaticanus N hinzu sowie eine weitere Abschrift des Parisinus E, Vat. gr. 266 (V), nachdem sie in ihrer Dissertation (1975) auch den Laurentianus Za inspiziert, aber als vermeintlich unbrauchbar verworfen hatte.

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Oliver Primavesi

Zwei oder mehr unabhängige Handschriften werden gegenüber allen übrigen dadurch auf einen nur ihnen eigentüm­ lichen gemeinsamen Stammvater zurückgeführt, dass den be­treffenden Handschriften und nur ihnen mindestens ein Binde­fehler (›monogenetischer Fehler‹) gemeinsam ist, d. h. ein eindeutiger Fehler, bei dem eine potentielle ›Polygenese‹, d. h. die Möglichkeit, dass sein Auftreten in mehreren Handschriften auf mehrere unabhängig voneinander begangene Verschreibungen zurückgehen könnte, praktisch auszuschließen ist.52 Dass aber zwei auf diese Weise konstituierte Gruppen bzw. ihre jeweiligen Stammväter voneinander unabhängig sind, wird dadurch erwiesen, dass jede der beiden Gruppen mindestens einen Trennfehler gegen die jeweils andere Gruppe aufweist, d. h. einen Fehler, der im Stammvater der von ihm freien Gruppe nicht durch Korrektur beseitigt worden sein kann.53 Sobald man die Handschriften anhand von Binde- und Trennfehlern auf verschiedene Hauptgruppen aufgeteilt hat, wird man versuchen, diese bzw. ihre jeweiligen Stammväter auf die erste Spaltung der uns vorliegenden Überlieferung, die ›Hauptspaltung‹, zurückzuführen und darüber hinaus, 52  Maas 1937, 290 (= 41960, 26): »Die Zusammengehörigkeit zweier Zeugen (B und C) gegenüber einem dritten (A) wird erwiesen durch ei­ nen den Zeugen B und C gemeinsamen Fehler, der so beschaffen ist, daß aller Wahrscheinlichkeit nach B und C nicht unabhängig voneinander in diesen Fehler verfallen sein können. Solche Fehler mögen ›Bindefehler‹ heißen (errores coniunctivi).« Den Terminus ›Polygenese‹ prägte Pasquali 1934, 19: »le corruttele … talmente ovvie che possono essersi prodotte indipendentemente anche in mss. indipendenti, per « ­poli­­genesi »«; vgl. Trovato 22017, 346 zur Differenzierung zwischen ›polygenetic errors‹ und ›potentially polygenetic errors‹ nach G. Croenen. 53  Maas 1937, 289 (= 41960, 26): »Die Unabhängigkeit eines Zeugen (B) von einem anderen (A) wird erwiesen durch einen Fehler von A gegen B, der so beschaffen ist, daß er, nach unserem Wissen über den Stand der Konjekturalkritik in der Zeit zwischen A und B, in dieser Zeit nicht durch Konjektur entfernt worden sein kann. Solche Fehler mögen ›Trennfehler‹ heißen (errores separativi)«.



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wenn möglich, auf eine fehlerhafte, nicht mit dem Autortext identische Vorlage der gesamten Überlieferung, d. h. auf einen Archetypus.54 Dieses Verfahren kommt allerdings an seine Grenzen, wenn die verschiedenen, stemmatisch ermittelten Hauptgruppen verschiedene Bearbeitungs-Stufen des Textes repräsentieren. Hier sind zwei Fälle denkbar. Im ersten Fall weisen die Hauptgruppen untereinander überhaupt keinen gemeinsamen Bindefehler auf, so dass die Überlieferung nicht von einem Archetypus ausgegangen, sondern bereits vom Autortext an auf getrennten Wegen erfolgt ist.55 Wenn sich zudem derartige Hauptgruppen voneinander auch noch durch solche Textdivergenzen unterscheiden, bei denen nicht »Falsch« und »Richtig« gegeneinanderstehen, sondern zwei gleichwertige Varianten, dann hat man es möglicherweise nicht mit mehreren Zweigen der Überlieferung eines Autortextes zu tun, sondern mit verschiedenen Bearbeitungs-Stufen, die alle auf den Autor selbst zurückgehen:56 Dieses Phänomen ist für die antike und die spätantik-frühchristliche Literatur von Hilarius Emonds OSB unter dem leicht anachronistischen Titel »Zweite Auflage im Altertum« an einer Fülle instruktiver Beispiele grundlegend untersucht worden.57 Es versteht sich von selbst, dass 54 Trovato 2 2017, 67 definiert den Archetypus als eine »lost copy marred at least by one error of the conjunctive type, from which the whole surviving tradition derives«. Dazu schlagen wir die folgende Präzisierung vor: »Der Archetypus ist die späteste verlorene Abschrift, auf die die gesamte erhaltene direkte Überlieferung zurückgeht und die mindestens einen Fehler bindenden Charakters aufweist«. 55  Vgl. hierzu das II . Kapitel (»Ci fu sempre un archetipo?«) bei Pasquali 1934, 13–21. 56  Vgl. hierzu das VII . Kapitel (»Edizioni originali e varianti di autore«) bei Pasquali 1934, 395–465. 57  Emonds 1941, 6–9 klärt, unter welchen die Bedingungen aus der »Mannigfaltigkeit der urkundlichen Überlieferung« auf das »Erscheinen eines antiken Werkes in mehrfacher Auflage« geschlossen werden kann; er geht aber ebenda 234–305 auch auf den Fall ein, dass eine auk-

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der Editor solche potentiellen Autor-Rezensionen nicht miteinander mischen darf, indem er von Textdivergenz zu Textdivergenz fortschreitend jeweils die attraktivste Lesung wählt, sondern dass er ihre Autonomie zu respektieren und einige oder alle von ihnen jeweils gesondert zu edieren hat. So hat bereits Jacob Grimm bezüglich der »eigenthümlichen«, d. h. jeweils eine eigene Rezension repräsentierenden Handschriften des Nibelungenliedes die Forderung erhoben, 58 daß davon alle und jede vorhandene eigenthümliche Handschrift vollständig für sich und mit andern unvermischt gedruckt erscheine. Erst alsdann könnte jemand, dem etwas dran läge, ins Mittel treten, und einen vermeintlich besseren Text aus allen zusammen zimmern; eine Aufgabe, die kaum zur Befriedigung wird gelöst werden können, und wobei neben einleuchtenderen Fällen eine Menge ungewisser und ihren gleichen Anspruch machender Lesarten angenommen oder ausgeworfen bleiben muß.

Im zweiten Fall lässt sich zwar aufgrund gemeinsamer Bindefehler der gesamten erhaltenen Überlieferung ein Archetypus nachweisen, aber dessen Rekonstruktion kann gleichwohl dadurch erschwert oder gar unmöglich gemacht werden, dass seine Nachkommenschaft sich sekundär in verschiedene Rezensionen aufgespalten hat, bei denen sich nicht ohne weiteres entscheiden lässt, welche die ursprüngliche und welche die sekundäre Textform überliefert. Auch in diesem Fall kann es sich – je nach der Schwere der Bearbeitereingriffe – emp-

toriale Mehrfachrezension durch den Zustand der direkten Überlieferung verdeckt wird und zunächst nur daraus erschlossen werden kann, dass sie literarisch bezeugt ist. Zu der von Emonds 1941, 137–187 besonders ausführlich analysierten doppelten Rezension von Tertullians Apologeticum vgl. schon Pasquali 1934, 19: »Dunque: per l’Apologetico la natura peculiare della tradizione, due redazione che risalgono all’autore, esclude l’archetipo«. 58  Grimm 1815, 160–161.



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fehlen, die verschiedenen sekundären Rezensionen gemäß der Forderung von Grimm 1815 zunächst separat zu edieren, bevor man sich, wenn überhaupt, unterfängt, einen Archetypus zu rekonstruieren.59 Ein grundsätzliches Bedenken gegen die stemmatische Methode hat der französische Mediävist Joseph Bédier (1864–1938) 60 vorgetragen; dieses Bedenken bezieht sich auf die Hauptspaltung der Überlieferung und gilt der Anzahl der Zweige, die man unmittelbar von einem angenommenen Archetypus ausgehen lässt. Bédier hatte im Jahre 1890 Jean Renarts Gedicht Lai de l’ombre (verfasst um oder bald nach AD 1300) aufgrund eines zweispaltigen Stemmas ediert, das jedoch von seinem Lehrer Gaston Paris noch im selben Jahr in einer Besprechung zurückgewiesen und durch ein dreispaltiges Stemma ersetzt worden war. 61 Diesen Dissens suchte Bédier 1913 kurzerhand dadurch zu neutralisieren, dass er die stemmatische Methode gleich insgesamt in Frage stellte: Er äußerte den Verdacht, dass die in den Editionen französischer Literatur des Mittelalters ganz überproportional häufige Annahme zweispaltiger Stemmata 62 nicht auf objektivierbaren

59  Vgl. jedoch die Einschränkung dieses Grundsatzes bei West 1973, 70: »In the case of a work that survives in more than one recension, the editor must either give each recension separately or choose one as a representative. He must not conflate them into a hybrid version which never existed (though he may use one to correct copyists’ errors in another).« 60  Überlegungen zu den zeitgeschichtlichen und individualpsycho­ logischen Hintergründen von Bédiers Publikationen bieten Nykrog 1996 und Warren 2011. 61 Trovato 22017, 78–79. 62  Bédier 1913, XXVI : »Toute entreprise de classement, passée ou ­f uture, des manuscrits d’un texte a conduit ou conduira presque fatalement l’opération à les répartir en deux familles seulement«. Die Übertragbarkeit dieser Beobachtung auf moderne Editionen antiker Texte wurde von Pasquali 1932, 130–131 ausdrücklich bestritten: »Ich möchte Bédier bitten, seine enquête auf die klassischen Texte auszudehnen; dort

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Befunden beruhen könne. 63 Daraus zog er zunächst (1913) die Konsequenz, auf eine Klassifikation der Handschriften überhaupt zu verzichten 64 und seiner Edition vielmehr eine einzige, aufgrund sprachästhetischer Erwägungen ausgewählte Handschrift (A) zugrunde zu legen, 65 ein Verfahren, das der große Texthistoriker Giorgio Pasquali als »wissenschaftlichen Dadaismus« gewertet hat. 66 Allerdings wurde und wird in der würde er in Hülle und Fülle drei-, vier-, fünfgespaltene Stemmata finden; er würde freilich auch viele Fälle finden, wo die Überlieferung nicht mechanisch ist, wo die Kontamination verfeinerte Methoden ­fordert«. 63  Bédier 1913, XXVII : »… on est en présence, non point de faits réels de l’histoire de la transmission des textes, mais à l’ordinaire de phénomènes qui se passent dans l’esprit des éditeurs de textes : auquel cas un nombre indéterminé, mais peut-être considérable, d’éditions de nos anciens textes sont fondées sur des classements erronés en partie et illusoires«. Bédier 1928, 172 kleidete seinen Verdacht in ein wirkungsvolles botanisches Bild: »Un arbre bifide n’a rien d’étrange, mais un bosquet d’arbres bifides, un bois, une forêt ? Silva portentosa«. Indessen verwischte er damit den wichtigen Unterschied zwischen der gesamten jemals vorhandenen Überlieferung und dem uns erhaltenen Ausschnitt dieser Überlieferung; vgl. Trovato 22017, 80. 64  Bédier 1913, XLI: »Bref, nous renonçons à proposer un classement de nos manuscrits : non pas qu’il soit difficile d’en proposer un, aussi recevable que la plupart de ceux qu’ont employés en tant d’éditions tant de critiques, mais au contraire parce qu’il est trop facile d’en proposer plusieurs«. 65  Bédier 1913, XLII : »Si nous avons choisi le manuscrit A …, c’est de façon tout empirique, et simplement parce que, offrant d’ailleurs un texte à l’ordinaire très sensé et très cohérent, et des formes grammaticales très françaises (à part quelques « picardismes »), et une orthographe très simple et très régulière, il est, entre nos sept manuscrits, celui qui présente le moins souvent des leçons individuelles, celui par conséquent qu’on est le moins souvent tenté de corriger«. 66  Pasquali 1929, 420 Anm. 1: »Auf die primitive Skepsis eines J. Bédier … brauche ich wohl nicht einzugehen; es ist peinlich, einen solchen Gelehrten und einen solchen Künstler in eine Art wissenschaftlichen Dadaismus geraten zu sehen«. Was hätte Pasquali erst über Bernard Cerquiglinis Essay ›Éloge de la variante‹ (1989) gesagt? Zu Letzterem vgl. Trovato 22017, 43–44.



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an Bédier anknüpfenden Diskussion konstant übersehen, dass er seine Position von 1913 in einem abschließenden Aufsatz (1928) über die Überlieferung von Renarts Gedicht sehr weitgehend revidiert hat: Der späte Bédier erkennt ausdrücklich an, dass die von den Editoren im unteren Bereich ihrer Stemmata abgegrenzten Handschriftengruppen in aller Regel über jeden Zweifel erhaben sind, so dass von einem Verzicht auf jede Klassifikation von Manuskripten jetzt keine Rede mehr sein kann. 67 Zwar insistiert Bédier theoretisch immer noch auf der Ambiguität der Beziehungen, die im oberen Bereich der Stemmata zwischen den rekonstruierten Vorfahren der Handschriftengruppen bestehen, 68 aber für den Lai de l’ombre präferiert er zum guten Schluss, nach Verwerfung vieler anderer Möglichkeiten, doch eine ganz bestimmte stemmatische Hypothese:69

O ┌─────────┼─────────┐ x y O ┌─┴─┐ ┌─┴─┐ ┌─┴─┐ A B C G D O │ │ F E

67  Bédier 1928, 356: »si l’on se cantonne sur le terrain des textes littéraires, on peut dire, à considérer la masse des constructions que l’on dénomme Stemmata codicum, que presque toujours les principaux groupements de manuscrits y apparaissent déterminés de facon très juste, ceux que l’on aligne au bas du tableau : la base de la construction, le rez-de-chaussée, est solide«. 68  Bédier 1928, 356: »Mais il en va autrement des parties hautes : seules, mais presque toujours, sont suspectes les lignes par lesquelles on relie des w, des x, des y et des z à O, « l’original », ou à O, « l’archétype », car on peut, presque toujours, en modifier la disposition. Et pourtant, c’est d’elles seules, de la façon dont elles sont disposées, que dépend le sort du texte«. 69  Bédier 1928, 352, Schéma No 11.

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Bédier führt hier die sieben erhaltenen Handschriften A–G auf drei gleichwertige, aufeinander aufbauende Bearbeitungs-Stufen O, O und O zurück, die er alle bereits dem Dichter Jean Renart zuzuschreiben geneigt ist. Daraus zieht er den Schluss, dass jede dieser drei Bearbeitungs-Stufen durch die gesonderte Edition je einer geeigneten Handschrift zu repräsentieren sei.70 An die Stelle der 1913 als Alternative zur stemmatischen Methode präsentierten Entscheidung für die eine, »beste« Handschrift ist demnach 1928 ein Verfahren getreten, das im Ergebnis dem im Jahre 1815 von Jacob Grimm geforderten Umgang mit den verschiedenen Rezensionen des Nibelungenliedes nahesteht, dabei aber durchaus auf stemmatischer Grundlage aufruht.71 So erscheint die Differenz zwischen dem späten Bédier und der klassisch-philologischen Editionsmethode, die inzwischen ja neben den grundlegenden Arbeiten von Paul Maas (1927 und 1937) auch die Einsichten von Pasquali 1934 und Emonds 1941 aufgenommen hat, viel 70 

Bédier 1928, 353–354: »Or, puisqu’on peut lire le texte F dans une édition Jubinal, et le texte A dans notre édition de 1913, il convient qu’on puisse lire aussi le texte E dans une édition où il soit fidèlement reproduit, comme l’ont été les deux autres«, wobei die Handschrift A die Stufe O repräsentiert, die Handschrift F die Stufe O  , und die Handschrift E die Stufe O. Bédier 1929, 72–97 legte dann, im Anschluss an einen Wiederabdruck seines Aufsatzes von 1928, in der Tat eine Edition der Handschrift E vor. 71  An diesem Endergebnis von Bédier 1928 geht die Bédier-Rezeption vorbei, wenn sie diesen Aufsatz auf die Position von Bédier 1913 reduziert. Vgl. z. B. das bereits zitierte, ausdrücklich auf den Aufsatz von 1928 gemünzte Diktum von Pasquali 1929, 420 Anm. 1; Stackmann 1964, 246, der die Position Bédiers mit den nur auf Bédier 1913 zutreffenden Worten resumiert: »Danach müßte, wer als Herausgeber eines alten Textes nicht vollkommen den Boden unter den Füßen verlieren will, beim vorsichtig berichtigten Abdruck einer guten Handschrift stehen bleiben«; ebenso Timpanaro 21971, 117, und noch das von Trovato 2 2017, 79 zitierte Résumé von Stussi 4 2011, 275: »It is thus best to choose a good manuscript, the best, if possible, and limit ourselves to reproducing it, introducing only obvious and indispensable corrections«.



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geringer, als man gemeinhin wähnt. Strittig bleibt im Grunde nur die Frage, warum man die erste der drei von Bédier angenommenen Autor-Rezensionen (O), auf die er im Gegensatz zu den beiden späteren Rezensionen mehrere unabhängige Handschriften (ABCG) zurückgeführt hat, nicht durch kritisch-vergleichende Benutzung dieser vier Handschriften rekonstruieren sollte.72 Jedenfalls versteht sich nach dem Gesagten die Zweispaltigkeit einer Überlieferung ebenso wenig von selbst wie die Existenz eines Archetypus;73 vielmehr bedürfen die für die Konstruktion eines Stemmas fundamentalen Entscheidungen – die Annahme bzw. Verwerfung eines einheitlichen fehlerhaften Ausgangspunkts und die Zurückführung der einzelnen Handschriftengruppen auf eine zweifache oder aber auf eine drei- oder mehrfache Hauptspaltung – einer besonders sorgfältigen Begründung, und die zur Stützung der Annahme eines gemeinsamen fehlerhaften Vorfahren jeweils angeführten Bindefehler müssen auch kritischster Betrachtung standhalten: Ihre Fehlerhaftigkeit muss außer Zweifel stehen und ihre Beschaffenheit muss klar gegen eine potentielle 72  Auf einem andern Blatt steht natürlich die Frage, ob das von Bédier 1928 präferierte Stemma aus heutiger Sicht als plausibel gelten kann: Trovato 22017, 289–297 legt ein neues, zweispaltiges Stemma zum Lai de l’ombre vor und erklärt die von Bédier als stemmatisch relevant betrachtete Tatsache, dass nur die Gruppe EDF ein Textstück überliefert, das in den Gruppen AB und CG fehlt, mit extra-archetypaler Kontamination. 73  Emonds 1941, 6: »Es ist daher einseitig, alle in der mittelalterlichen Textüberlieferung eines antiken Literaturwerkes auftauchenden Varianten schlechthin als Lesetexte oder Interpolationen von fremder Hand deuten zu wollen. Es ist aber ebenso einseitig, will man überall und ausschließlich in ihnen Spuren nachträglicher Verfasseremendation erkennen. Auch hier ist es Aufgabe der philologischen Kritik, die fraglichen Varianten unter dem Blickpunkt der beiden Entstehungsmöglichkeiten, entweder der doppelten Autorenrezension oder der Interpolation, ins Auge zu fassen und abzuwägen«.

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›Poly­genese‹ sprechen, d. h. dagegen, dass sie jeweils in mehreren voneinander unabhängigen Handschriften aufgetreten sein können.

.  Nachweis des Archetypus ω unserer Mot. An.-­ Überlieferung Dass im Fall von Mot. An. alle 17 unabhängigen Handschriften auf einen Archetypus zurückgehen, ergibt sich zweifelsfrei aus den Fehlern, die ihnen allen gemeinsam sind. Diese Fehler können wir prinzipiell auch unabhängig von der Klärung der Überlieferungsverhältnisse anhand des einhelligen Consensus aller unabhängigen Handschriften (ω) feststellen. Nach un­serer Auffassung sind nun die folgenden 19 Lesungen, in denen alle unabhängigen Handschriften übereinstimmen, fehlerhaft: 1) Titulus operi praefixus (ω) delendus est. – 2) 699a17 ἔσται cum Thomæo scribendum : ἔσεσθαι ω. – 3) 699b22 εἶναι (ω), quod iam Bonitz omisit, post b23 ἐξ ἀνάγκης t­ ransponendum. – 4) 700 a8–9 δεῖ γὰρ—κινεῖσθαι (ω) cum Renehan post a10 κινήσεται transponendum. – 5) 700 a15 ἄλλ’, 〈 ἀ λλ’ 〉 scribendum : ἀλλ᾿ ω. – 6) 700b24 νοητόν … νοητόν scribendum : δια­ νοητόν … διανοητόν ω. – 7) 700b33 καλὸν καὶ scribendum : καλὸν καὶ τὸ ω. – 8) 701b3 τὰς στρέβλας (ω) cum Forster se­ cludendum. – 9) 701b4 〈 ὁ 〉 inserendum : om. ω. – 10) 701b4–5 〈 πάλιν 〉 καὶ πάλιν scribendum : καὶ πάλιν ω. – 11) 701b14–15 αὐξανομένων 〈 κ αὶ συστελλομένων 〉 scribendum : αὐξανο­ μένων ω. – 12) 701b30 κατὰ μέγεθος (ω) cum Alexandro omittendum. – 13) 701b34 διωκτόν τε cum Alexandro scribendum : διωκτὸν ω. – 14) 702a29 δ 〈 ὴ 〉 εἶναι scribendum : δ’ εἶναι ω. – 15) 702a30 εἶναι (ω) delendum. – 16) 703a2 〈 ἓ ν 〉 cum Γ A inserendum : om. ω. – 17) 703a22 συστελλομένη 〈 τε καὶ ἐκ­τεινομένη 〉 cum Farquharson scribendum : συστελλομένη ω. – 18) Ibidem βίαι 〈 ἑλκ 〉 τικὴ scribendum : βιαστικὴ ω : tractiva iam G, unde



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ἑλκτικὴ Farquharson. – 19) 703b34 ἀπὸ δὲ τοῦ Ε … ἀπὸ μὲν τοῦ Ε scribendum secundum diagramma : ἀπὸ δὲ τοῦ Β … ἀπὸ μὲν τοῦ Β ω.

Zwar handelt es sich bei einigen dieser Fehler um solche, auf die unter Umständen auch mehrere Kopisten unabhängig voneinander verfallen sein können74 – d. h. um ›potentiell polygenetische‹ Fehler –, wie z. B. einfache Textverluste aufgrund von ›Haplographie‹ (ein Wort oder eine Silbe oder ein Buchstabe, die im Original zweimal hintereinander stehen, werden versehentlich nur einmal geschrieben) 75 oder von ›saut du même au même‹ (der Kopist springt mit seinem Blick von einem Wort zum nächsten Vorkommen dieses Wortes, so dass er den dazwischen stehenden Text auslässt).76 Doch bei mindestens 74  Emonds 1941, 6: »Ein Archetypus muß durch Lückenhaftigkeit oder Unvollständigkeit des Textes, zum mindesten aber durch eine Reihe allen Handschriften gemeinsamer Fehler gesichert sein. Auf die Natur dieser Fehler ist besonders zu achten, wenn irgendeine Art von Einheitlichkeit der Überlieferung aus ihnen gefolgert werden soll. Orthographische Versehen, die jedem Schreiber unterlaufen können, schalten als Zeugen eines allen mittelalterlichen Manuskripten vorausgehenden Urkodex aus« (statt »schalten« ist hier vielleicht »scheiden« zu lesen). 75  In 700 a15 fehlt in allen Handschriften eines der beiden unentbehrlichen, unmittelbar aufeinander folgenden ἀλλ’ (= ἄλλο bzw. ἀλλά) infolge von Haplographie: ἢ ἀδύνατον οἷον πῦρ ἢ γῆν ἢ … τι ἄλλ’, 〈 ἀ λλ’ 〉 ὑφ’ ὧν ταῦτα κινεῖται πρώτων (»oder ob dies [d. h. das Erfordernis interner wie externer Abstützung der Bewegung] z. B. bei Feuer oder Erde oder einem anderen der unbeseelten Dinge unmöglich ist, 〈 und vielmehr 〉 nur für ihre ersten Beweger gilt«). – In 701b4–5 〈 πάλιν 〉 καὶ πάλιν (»wieder und wieder« versucht der Knabe, sein Wägel­chen geradeaus zu lenken) fehlt das erste πάλιν in allen Handschriften. 76  In 701b15 fehlt in allen Handschriften das unentbehrliche Partizip καὶ συστελλομένων, was auf einen Augensprung (-ομένων … -ομένων) zurückgehen dürfte: αὐξανομένων 〈 κ αὶ συστελλομένων 〉 τῶν μορίων (»wobei die Teile vergrößert 〈 u nd kontrahiert 〉 werden«). – In 703a22 fehlt in Folge eines Augensprungs (-ομένη … -ομένη) in allen Hand-

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sechs gemeinsamen Fehlern handelt es sich offenkundig um ›monogenetische‹ Fehler, deren Beschaffenheit den Schluss zulässt, dass sie jeweils nur einmal begangen und sodann allein durch Abschriften der betreffenden Handschrift vervielfältigt wurden. So gehen zwei der gesamten Überlieferung gemeinsame Fehler offensichtlich auf eine komplexe Verkettung von Textausfall, Nachtrag des Ausgefallenen am Rand und (im Zuge der nächsten Abschrift) Wiedereinsetzung an falscher Stelle zurück, wie sie in genau dieser Konstellation schwerlich zweimal unabhängig voneinander aufgetreten sein wird: 1) In 699b22 lesen alle unabhängigen Handschriften falsch ἐξ ἀνάγκης εἶναι statt ἐξ ἀνάγκης77 (dies wurde schon von Bonitz 1863 stillschweigend korrigiert) und gleich anschließend in b 23 umgekehrt falsch ἐξ ἀνάγκης statt ἐξ ἀνάγκης εἶναι: Ausgefallenes und am Rand nachgetragenes εἶναι wurde also bei der nächsten Abschrift irrtümlich nach dem ersten ἐξ ἀνάγκης eingefügt statt nach dem zweiten. Mehrfaches Auftreten genau dieser Ereignis-Verkettung ist unwahrscheinlich. – 2) Der Satz 700a8–9 δεῖ γὰρ αὐτοῦ τὸ μὲν ἠρεμεῖν τὸ δὲ κινεῖσθαι ist in allen unabhängigen Handschriften an syntaktisch unmöglicher Stelle überliefert, er ist mit Renehan 1996 hinter a10 κι­ν ήσε­ ται zu versetzen. Auch hier dürfte eine einmalige Verkettung von Textausfall und falscher nachträglicher Wiedereinfügung vorliegen.

Drei weitere Fehler aller Handschriften sind das Resultat idiosynkratischer Korrekturversuche, die ebenfalls nicht zweimal

schriften das Partizip τε καὶ ἐκτεινομένη, was schon Farquharson 1912 korrigiert hat: ἡ τοῦ πνεύματος φύσις … ἀβίαστος συστελλομένη 〈 τε καὶ ἐκτεινομένη 〉 (»die Natur des Pneuma … wird ohne mechanische Gewalteinwirkung zusammengezogen 〈 u nd ausgedehnt 〉«). 77  Mit Ausnahme des Erlangensis E r, bei dem das falsche εἶναι aufgrund eines größeren Textausfalls (οἰόμεθα μὲν ἐξ ἀνάγκης εἶναι) im Text fehlt und bei der Marginalkorrektur (οἰόμεθα μὲν ἐξ ἀνάγκης) nicht nachgetragen wurde.



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unabhängig voneinander mit genau dem gleichen Ergebnis unternommen worden sein können:78 3) In 700b24 ist das für die Schlüssigkeit des Gesamtarguments (700b17–26) zwingend geforderte νοητόν … νοητόν in allen unabhängigen Handschriften zu dem nur bei oberflächlicher Lektüre eingängigeren διανοητόν … διανοητόν entstellt. – 4) In 701b3 steht in allen unabhängigen Handschriften das sinnlose, offenbar zum Ersatz für ein zuvor ausgefallenes Akkusativobjekt eingeschobene τὰς στρέβλας, das seit Forster 1937 allgemein getilgt wird. – 5) In der Beschreibung des dritten Diagramms (Kap. 11) sind im Text von 703b34 die Variablen ἀπὸ δὲ τοῦ Ε … ἀπὸ μὲν τοῦ Ε, die jetzt dank der überlegenen, in der bisherigen Forschung vollkommen übersehenen graphischen Überlieferung des Diagramms wieder ans Licht gekommen sind, zu ἀπὸ δὲ τοῦ Β … ἀπὸ μὲν τοῦ Β geändert, was auf einen missglückten Vereinfachungsversuch zurückgeht, wie er schwerlich zweimal unabhängig voneinander unternommen wurde.

An sechster Stelle ist schließlich eine paläographisch scheinbar unmotivierte Auslassung weniger Buchstaben zu nennen, die nach allem Anschein auf die Beschädigung oder Unleserlichkeit der betreffenden Textstelle in einer ganz bestimmten Vorlage zurückgeht: 6)  In 703a22 ist das nach unserer Meinung ursprüngliche βίαι 〈 ἑλκ 〉 τικὴ in allen unabhängigen Handschriften zu βιαστικὴ verkürzt, was schon in der griechischen Hauptvorlage Wilhelms von Moerbeke (Γ) zu dem vom Kontext – als Gegenstück zu dem in a23 folgenden ὠστική – geforderten ἑλκτικὴ emendiert wurde;79 doch ist diese byzantinische Emendation im Gegensatz zu der unseren mit dem doppelten Nachteil behaftet, dass 78  Auf die beiden im Folgenden zunächst aufgeführten Fehler 3) und 4) des Archetypus werden wir in dem der Textkritik gewidmeten Kapitel 4 der vorliegenden Einleitung ausführlich zurückkommen; vgl. dort die Abschnitte 4.5 und 4.4. 79  Vgl. Isépy 2016, 225–226 mit Anm. 891.

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sie einen paläographisch rätselhaften Fehler voraussetzt und dass sie das vom Kontext – als Gegenstück zu a22 ἀβίαστος – ebenfalls geforderte βίαι unter den Tisch fallen lässt.

Dieses Ensemble monogenetischer Fehler ist allen unabhän­ gigen Mot. An.-Handschriften gemeinsam und bindet sie alle aneinander bzw. an eine gemeinsame Vorlage. 80 Mithin sind alle 17 uns bekannten unabhängigen griechischen Mot. An.-Handschriften (und natürlich auch die 30 von ihnen abhängigen Handschriften), 81 auf ein einziges verlorenes Exemplar zurückzuführen, eben den Archetypus ω, in dem alle gemeinsamen monogenetischen Fehler akkumuliert waren; und es ist nicht nur statthaft, sondern geradezu geboten, alle unabhängigen Handschriften für die Rekonstruktion dieses einen Archetypus zu verwerten – wenngleich immer noch die Möglichkeit zu berücksichtigen bleibt, dass es in der Nachkommenschaft des Archetypus auch Rezensionen geben kann, deren anscheinend überlegene Lesungen auf Eingriffe eines kompetenten Bearbeiters zurückgehen können. Demnach steht der Mot. An.-Herausgeber vor der doppelten Aufgabe, zunächst aus allen unabhängigen Handschriften den Archetypus ω zu rekonstruieren und dann womöglich dessen Fehler zu korrigieren – wobei wir über die historische Stellung des Textes, der mit solchen Korrekturen unseres Archetypus bestenfalls wiederhergestellt werden kann, erst im Rahmen der in Kapitel 3 vorgelegten umfassenden Textgeschichte n ­ äheren Aufschluss gewinnen werden. 82

80  Vgl. die bereits zitierte Definition von Maas 1937, 290 (= 41960, 26), derzufolge ein den Zeugen B und C gemeinsamer Fehler dann als ›Bindefehler‹ (error coniunctivus) gilt, wenn er »so beschaffen ist, daß aller Wahrscheinlichkeit nach B und C nicht unabhängig voneinander in diesen Fehler verfallen sein können«. 81 Im Gegensatz zur indirekten Überlieferung durch Zitate und Paraphrasen bei anderen Autoren. 82  Vgl. unten Abschnitt 3.1.



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.  Ist die Hauptspaltung unserer Mot. An.-Überlieferung zweifach oder dreifach? Die Rekonstruktion eines Archetypus muss von den zuvor zu rekonstruierenden Textstufen ausgehen, die die erste Spaltung (›Hauptspaltung‹) der Überlieferung nach unserem Archetypus hervorgebracht hat, d. h. von den Hyparchetypi: Nur die Lesungen der Hyparchetypi gehen ohne uns erschließbare Zwischenstufe auf direkte Abschriften des Archetypus zurück, nur diese Lesungen kommen für die Rekonstruktion des Archetypus in Betracht. 83 Diese Rekonstruktion gestaltet sich nun aber auf sehr verschiedene Art und Weise, je nachdem ob die Hauptspaltung nur zweifach oder aber mindestens dreifach ist, mit anderen Worten, ob zwei oder aber drei oder mehr Hyparchetypi zu erschließen sind. Wenn es mindestens drei sind, dann können Sonderfehler eines Hyparchetypus in der Regel einfach daran erkannt und dadurch korrigiert werden, dass die übrigen Hyparchetypi gegen ihn in einer Lesung übereinstimmen, die eben durch diese Übereinstimmung als die Lesung des Archetypus erwiesen wird. Beim Vorliegen nur zweier Hyparche­typi hingegen stehen immer dann, wenn in einem von ihnen ein Sonderfehler auftritt, zwei Lesungen gegeneinander, die dem Archetypus überlieferungsgeschichtlich gleich nahe stehen, so dass die dem Archetypus zuzuweisenden Lesungen nach sprachlichen und sachlichen Kriterien auszuwählen sind (›Selectio‹). Bei einer solchen zweifachen Hauptspaltung dürfen die divergierenden Lesungen der Hyp­ arche­typi als Varianten gelten, 84 und auf deren Angabe sollte dann in einem wahrhaft kritischen Apparat die Dokumenta83 

Zum Begriff des ›Hyparchetypus‹ vgl. Maas 41960, 7–8. 6: »Unter diesen Voraussetzungen läßt sich im allgemeinen … b) falls die Hauptspaltung mindestens d r e i f a c h ist, der Text des Archetypus an allen Textstellen (mit einigen besonders zu begründenden Ausnahmen) sicher rekonstruieren, c) falls die Haupt­ spaltung z w e i f a c h ist, der Text des Archetypus soweit herstellen, daß 84 Maas 41960,

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tion der direkten Überlieferung beschränkt werden, um von Anfang an den Anschein zu vermeiden, dass auch andere, im Stemma weiter unten angesiedelte divergente Lesungen für die Textkonstitution in Betracht kommen könnten. Zur Klärung der Frage, ob in einem konkreten Fall wie dem der Mot. An.-Überlieferung für die Nachkommenschaft eines bereits nachgewiesenen Archetypus eine zweifache oder aber eine drei- bzw. mehrfache Hauptspaltung anzunehmen ist, bedarf es keiner allgemeinen Probabilitätskalküle, 85 sie muss vielmehr im vorliegenden Einzelfall aufgrund der hier vorliegenden Evidenz beantwortet werden. Hierfür gibt es ein einfaches Kriterium: Wie viele der Handschriftengruppen, die jeweils durch gruppeninterne Bindefehler konstituiert und durch Trennfehler als voneinander unabhängig erwiesen werden, erfüllen zudem die Bedingung, mit keiner anderen dieser Gruppen einen Bindefehler zu teilen, der nicht schon im Archetypus stand ? Jede Gruppe, für die dies zutrifft, geht auf einen je eigenen Hyparchetypus zurück. Einen einwandfreien Bindefehler der größeren Handschriftengruppe liefert die bereits in Abschnitt (1) erwähnte Lücke in Kapitel 6 (700b23–24): Dort ist der für die Aristotelische Theorie schlechthin fundamentale Gedanke, dass als Beweger der Lebewesen zuerst das jeweilige Objekt ihrer Strebung fungiert (κινεῖ πρῶτον τὸ ὀρεκτόν: ›als erstes bewegt das Strebungsobjekt‹), nur in den drei unabhängigen Handschriften von De Leemans’ neuer Gruppe und im Vaticanus P erhalten geblieben, während er in den verbleibenden 13 unabhängigen Handschriften der größeren Gruppe ausgefallen ist, 86 ohne (wieder mit besonders zu begründenden Ausnahmen) an keiner Stelle mehr als zwei Lesungen ( V a r i a n t e n ) zur Wahl stehen.« 85  Für prinzipielle Erörterungen des von Bédier 1913, XXVII aufgeworfenen, sogenannten ›Stemmaproblems‹ sei auf Pasquali 1932, 130–131, Kleinlogel 1968 und Trovato 22017, 85–94 verwiesen. 86 700 b 23–24 κινεῖ πρῶτον τὸ ὀρεκτὸν B eE rb P : om. E NXH a LVg a p Z B Mo C a OdSVp. Dass die vier Worte nicht nur in den unabhängigen



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dass für diesen Textausfall ein paläographischer Grund absehbar wäre, der die Möglichkeit seines wiederholten Auftretens in voneinander unabhängigen Handschriften und damit seine Einstufung als potentiell polygenetischer Fehler ermöglichen würde. Aus diesem Befund folgt, dass die Lücke in sämtlichen Handschriften der größeren Gruppe auf einen gemeinsamen, mit diesem Bindefehler behafteten Stammvater zurückgeht. Hingegen geht die Lesung von De Leemans’ neuer Handschriftengruppe auf eine von jenem fehlerhaften Stammvater unabhängige Überlieferung zurück, da der Bindefehler in diesem Fall zugleich als Trennfehler gelten darf: Auch die besten byzantinischen Mot. An.-Kommentatoren, denen nur der Mehrheitstext vorlag, vermochten die Lücke nachweislich nicht zu füllen. 87 Nun werden aber die drei unabhängigen Handschriften von De Leemans’ neuer Gruppe natürlich nicht schon dadurch zu einem einheitlichen primären Überlieferungszweig zusammengeschlossen, dass sie von dem spektakulären Bindefehler der übrigen Handschriften frei sind: Die neue Gruppe könnte ja auch ihrerseits noch auf zwei oder gar drei primäre Überlieferungszweige aufzuteilen sein, deren jeder von diesem Fehler frei geblieben wäre. Demnach bleibt zu zeigen, dass auch die Handschriften von De Leemans’ neuer Gruppe sich aufgrund gemeinsamer Sonderfehler auf einen einzigen, ihnen eigentümlichen Stammvater zurückführen lassen. Zum Beleg dafür wählen wir zwei besonders klare interne Bindefehler dieser Gruppe.

Handschriften von De Leemans’ neuer Gruppe (BeErb) überliefert werden, sondern auch in dem bereits von Bekker benutzten Vaticanus P, muss angesichts der sonst zu beobachtenden Zusammengehörigkeit von P mit der Gruppe Za BpMo darauf zurückgehen, dass P punktuell eine Zweitquelle herangezogen hat, wie schon von Nussbaum 1978 vermutet. 87  Vgl. Michael In Mot. An. 113,22–26 Hayduck; Georgios Pachy­ meres, Philosophia 8, Cod. Hamilton 512, f. 165v, l. 23–27.

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(i)  In Mot. An. 4, 700a5–6, wird die Bedingung formuliert, dass das Himmelsgefüge (ἡ τοῦ οὐρανοῦ σύστασις) von einem unbewegten Ausgangspunkt abhängt (ἤρτηται: so die Handschriften der größeren Gruppe) bzw. ausgeht (ἦρκται: so alle drei unabhängigen Handschriften von De Leemans’ neuer Gruppe). 88 Die Verbindung einer Perfektform von ἀρτάομαι (»hangen«) mit der Präposition ἐκ 89 ist bei Aristoteles eine stehende Wendung, 90 während die Verbindung einer Perfektform von ἄρχομαι mit ἐκ in seinen erhaltenen Schriften nicht vorkommt. 91 Zudem ist mit dem hier genannten Ausgangspunkt, d. h. mit dem externen, unbewegten Prinzip der Bewegung des Alls (699b35 ἡ ἀρχὴ τῆς κινήσεως), fraglos der in Metaph. Λ postulierte erste unbewegte Beweger gemeint. Dessen Charakterisierung aber resümiert Aristoteles in Metaph. Λ 7 mit den Worten (1072b14): »Von einem solchen Prinzip also hängt der Himmel ab« (ἐκ τοιαύτης ἄρα ἀρχῆς ἤ ρ τ η τ α ι ὁ οὐρανός). Mithin wird dort derselbe Sachverhalt wie an unserer Mot. An.-Stelle mit genau derjenigen Wendung zum Ausdruck gebracht, die an unserer Mot. An.-Stelle von der größeren Handschriftengruppe bezeugt wird: Der Aristo­ telische Sprachgebrauch in Verbindung mit der intertextuellen Bezugnahme unserer Stelle auf Metaph. Λ 7 lässt keinen ernsthaften Zweifel daran zu, dass das ἤρτηται der größeren Handschriftengruppe die Lesung des Arche­typus darstellt, 88 700 a5–6: εἰ ἐξ ἀκινήτου ἤ ρ τ η τ α ι ἀρχῆς E NXH a LVg Z a BpMoP C a OdSVp : εἰ ἐξ ἀκινήτου ἦ ρ κ τ α ι ἀρχῆς BeErb. Man beachte, dass der Vaticanus P diesen Bindefehler von De Leemans’ neuer Gruppe nicht teilt. 89  Kühner/Gerth 1898, 544 (§ 447/C.). 90  Respir. 8, 474b 8; 20, 480 a12. – Hist. An. Γ 3, 513b1–2; Δ 2, 527a19; Ζ 10, 565b8. – Part. An. Γ 4, 667a35–667b1; Δ 5, 680 a10. – Gener. An. Δ 9, 777a30. – Metaph. Γ 2, 1003b16–17; Λ 7, 1072b13–14. – EN Θ 14, 1161b17. 91  Das Aristoteles-Referat bei Athenaios Deipnosophistae IX, 388 c (= Aristoteles fr. 348 R3) ist hinsichtlich der Authentizität seines Wortlauts zu unsicher, um als Beleg gelten zu dürfen.



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während ἦρκται ein gemeinsamer Sonderfehler der drei unabhängigen Handschriften von De Leemans’ neuer Gruppe ist. Das fehlerhafte ἦρκται geht auf eine paläographisch nicht naheliegende Verschreibung von -τη- zu -κ- zurück, ist also sicher kein potentiell polygenetischer Fehler, mit dessen wiederholtem Vorkommen zu rechnen wäre; demnach liegt hier ein Bindefehler vor, durch den die Handschriften der neuen Gruppe auf eine nur ihnen gemeinsame fehlerhafte Vorlage zurückgeführt werden. Überdies darf der Fehler auch als Trennfehler gelten, da der Kondizionalsatz »wenn es von einem unbewegten A ­ usgangspunkt ausgeht (εἰ ἐξ ἀκινήτου ἦρκται ἀρχῆς)« eine zwar leicht schiefe, aber doch erträg­l iche Formulierung darstellt, die, einmal in den Text gelangt, sicher keinen Korrektur­versuch herausgefordert hätte; daraus folgt, dass die Mitglieder der von diesem Fehler freien größeren Handschriftengruppe von De Leemans’ neuer Gruppe unabhängig sind. (ii)  Nach 700b32–35 ist das ewige Schöne und Wahre und das auf primäre Weise Gute »zu göttlich und würdig, als dass es an eine Relation zu etwas anderem gebunden sein könnte (θειότερον καὶ τιμιώτερον ἢ ὥ σ τ ’ εἶναι πρὸς ἕτερον)«. Anstelle des von der größeren Gruppe bewahrten ἢ ὥστ’, von dem der folgende Infinitiv εἶναι πρὸς ἕτερον abhängt, lesen hier die beiden wichtigsten, weil unkontaminierten Handschriften von De Leemans’ neuer Gruppe, Berolinensis Be und Er­langensis Er, πως (»irgendwie«):92 Diese Lesung ist deshalb sicher falsch, weil bei ihr der Infinitiv εἶναι πρὸς ἕτερον syntaktisch vollkommen in der Luft hängt. Der Fehler geht offensichtlich primär auf einen sogenannten Majuskel92 700 b 34 ἢ ὥστ’ E NXH a LVg Z a BpMo C a O d SVp b : πως B eE r P. Dass das falsche πως nicht nur in den beiden unkontaminierten und unabhängigen Handschriften von De Leemans’ neuer Gruppe (BeEr) überliefert wird, sondern auch im Vaticanus P, ist wieder darauf zurückzuführen, dass P punktuell eine mit De Leemans’ neuer Gruppe verwandte Zweitquelle herangezogen hat.

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fehler zurück, d. h. auf eine derjenigen Buchstabenverwechslungen (hier: Η → Π), 93 die nur in der alten Majuskelschrift vorkommen, nicht in der in mittelalterlichen Handschriften vorherrschenden Minuskelschrift. 94 Nachdem die drei ersten Buch­staben von ἢ ὥστ’ einmal zu πως verschrieben waren, wurde in einem zweiten Schritt im resultierenden πως τ’ das abschließende τ’ (›und‹) gestrichen, um die verderbte syntaktische Struktur oberflächlich zu glätten. Die Präsenz dieses Fehlers – Majuskelverwechslung + Anschlusskorrektur – in Berolinensis Be und Erlangensis Er geht sicher nicht darauf zurück, dass derselbe komplexe Fehler in genau derselben Weise zweimal voneinander unabhängig begangen worden wäre. 95 Damit sind für De Leemans’ neue Gruppe zwei Bindefehler (i) und (ii) nachgewiesen, durch die die Handschriften dieser Gruppe auf einen nur ihnen gemeinsamen, mit den genannten Fehlern behafteten Stammvater zurückgeführt werden. 93  Diese Verwechslung führt Ronconi 2003, 89 in einer Zusammenstellung typischer Majuskelfehler auf. 94  Bei der Majuskelschrift bilden idealtypischerweise sowohl die Oberkanten als auch die Unterkanten nahezu aller Buchstaben (mit Ausnahme des Φ) jeweils eine einheitliche Linie, was im Ganzen auf ein ›Zwei-Linien-System‹ hinausläuft. In der Minuskel hingegen unterscheiden sich die einzelnen Buchstaben auch durch das Vorhandensein oder Fehlen von Ober- bzw. Unterlängen voneinander, was insgesamt auf ein ›Vier-Linien-System‹ hinausläuft. Vgl. Perria 2011, 13–14: »Innanzi tutto, per maiuscola s’intende una scrittura i cui segni siano compresi in un sistema bilineare, ovvero siano idealmente racchiusi fra una coppia di linee parallele orizzontali, mentre minuscola è ogni scrittura i cui segni siano compresi in un sistema quadrilineare«. 95  Hinzu kommt, dass der Fehler primär auf eine Majuskelverwechslung zurückgeht, so dass er vor oder spätestens bei der Transliteration von Majuskelschrift in Minuskelschrift begangen worden sein muss. Um der Hypothese einer zweimaligen Genese des Fehlers willen hätte man also anzunehmen, dass die auf das Engste miteinander verwandten jungen Handschriften Berolinensis Be und Erlangensis Er auf zwei verschiedene Transliterationen zurückgehen: Diese Annahme ist offenkundig abwegig.



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Überdies impliziert der auf De Leemans’ neue Gruppe beschränkte Majuskelfehler (ii), dass diese Gruppe als ganze auf eine andere Transliteration zurückgeht als die größere Handschriftengruppe. Dieser Befund wird durch die Tatsache erhärtet, dass jede der beiden Handschriftengruppen auch noch weitere Majuskelfehler aufweist. So lesen die Handschriften der größeren Gruppe in 698a16–17 anstelle des von der neuen Gruppe bewahrten ἀεὶ … ἠρεμεῖ fälschlich δεῖ … ἠρεμεῖν96 (Α → Δ), 97 in 698b26 anstelle von πλέων fälschlich πνέων98 (Λ → Ν) 99 und in 699a 4 anstelle von αὐτὸν fälschlich αὐτὸ ἢ100 (Ν → Η).101 Umgekehrt lesen die Handschriften von De Leemans’ neuer Gruppe in 698b8 anstelle des von der größeren Gruppe bewahrten ἡ ἐν fälschlich μὲν102 (Η → Μ).103 Die vorgelegten Fehler zeigen an, dass alle 17 unabhängigen Mot. An.-Handschriften primär in genau zwei voneinander unabhängige Gruppen zerfallen, deren jede auf einen ihr eigenen fehlerhaften Stammvater zurückgeht. An dem vorgelegten Befund ist auch abzulesen, dass keine unabhängige Mot. An.-Handschrift erhalten ist, die von den behandelten Sonderfehlern beider Stammväter frei wäre. Daraus folgt, dass die auf den Archetypus folgende Hauptspaltung inner96 698 a16–17 ἀεὶ … ἠρεμεῖ B eE rb : δεῖ … ἠρεμεῖν E NXH a LVg ­ZaBpMoP C a OdSVp. 97  Vgl. Ronconi 2003, 84. 98 698b26 πλέων BeErb SVp1 : πνέων E NXHa LVg Z a BpMoP C a OdVp2 . Man beachte, dass hier ein Teil der Gruppe OdSVp, nämlich Laurentianus S und Palatinus Vp vor Korrektur, mit De Leemans’ neuer Gruppe zusammengeht. 99  Vgl. Ronconi 2003, 92. In diesem Fall wurde die Verlesung durch das Vorkommen von πνέων in der vorangehenden Zeile 698b25 zusätzlich begünstigt. 100 699 a 4 αὐτὸν B e (> αὐτοῦ b > αὐτὸ E r) : αὐτὸ ἢ E NXH a LVg ­Za BpMoP C a OdSVp. 101  Vgl. Ronconi 2003, 89. 102 698b 8 ἡ ἐν E NXH a LVg Z a BpMoP C a O dSVp b : μὲν BeE r. 103  Vgl. Ronconi 2003, 88.

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halb der uns noch vorliegenden Überlieferung ausschließlich diese beiden Stammväter hervorgebracht hat: Sie sind unsere Hyparchetypi.104 Die beiden Hyparchetypi nennen wir fortan α und β, wobei α den Hyparchetypus der größeren Handschriftengruppe bezeichnet, und β den Hyparchetypus von De Leeman’s neuer Gruppe. Aus der damit nachgewiesenen Zweispaltigkeit unserer direkten Überlieferung ergibt sich nun die Regel, der bei der Rekonstruktion des Archetypus von Mot. An. zu folgen ist: Als gesichert dürfen die Lesungen des Archetypus überall dort gelten, wo die Lesungen der beiden Variantenträger, d. h. der Hyparchetypi α und β, miteinander übereinstimmen; hingegen ist an allen Stellen, an denen α-Text und β-Text voneinander abweichen, mit Gründen zu entscheiden, welche von zwei Varianten jeweils dem Archetypus zuzuweisen ist.105 Die Anwendung dieser Regel setzt indessen voraus, dass die beiden Hyparchetypi α und β aufgrund ihrer jeweils erhaltenen Nachfahren zunächst ihrerseits rekonstruiert werden.

.  Methodenfragen II: Das Kontaminationsproblem Bei der Rekonstruktion der beiden Hyparchetypi von Mot. An. ist zunächst zu beachten, dass die Grenze zwischen den beiden Handschriftengruppen, die jeweils die α- bzw. die β-Lesung bezeugen, nicht an allen Textstellen genau gleich verläuft. Vielmehr sind in jedem der beiden Überlieferungszweige jeweils vier unabhängige Handschriften – als Resultat einer 104 

Zum Begriff des ›Hyparchetypus‹ vgl. Maas 41960, 7–8. Maas 41960, 8: »Anders liegt es mit der Herstellung von α [d. h. des Archetypus]. Wenn sich dessen Überlieferung nur in β und γ gespalten hat und β und γ übereinstimmen, so ist dies der Text von α. Stimmen sie aber nicht überein, so kann jeder der beiden Lesungen die von α sein; es ergeben sich V a r i a n t e n , zwischen denen auf Grund des bisherigen Verfahrens nicht zu entscheiden ist«. 105  Vgl.



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von byzantinischen Schreibern, Korrektoren oder Lesern vorgenommenen textkritischen Vergleichung – in verschiedenem Umfang mit Lesungen von Nachkommen des jeweils anderen Hyparchetypus kontaminiert. Unter den α-Handschriften zeigt allein die Gruppe der Handschriften Laurentianus Za, Berolinensis Bp, Mosquensis Mo und Vaticanus P eine leichte, im Falle des Vaticanus P allerdings noch einmal verstärkte Kontamination mit β-Lesungen. Umgekehrt ist es unter den unabhängigen Handschriften von De Leemans’ neuer Gruppe zum einen der Parisinus b, dessen klarer β-Text immer wieder einmal mit α-Lesungen kontaminiert ist; zum andern und vor allem geht die Gruppe der drei Handschriften Marcianus Od, Laurentianus S und Palatinus Vp auf einen Stammvater (η) zurück, der zwar von Hause aus einen β-Text enthielt, welcher aber in allen inhaltlich irgend bedeutsamen Fällen mit α-Lesungen annotiert war, die dann in seinen uns erhaltenen unabhängigen Nachfahren Od, S und Vp nahezu durchweg in den Text aufgenommen wurden.106 Infolgedessen ist in diesen drei Handschriften der ursprüngliche Text ihres Stammvaters nur noch an Spuren kenntlich, die für sich betrachtet jeweils ganz unscheinbar sind und die erst zusammengenommen die β-Ab­kunft dieses Stammvaters außer Zweifel stellen. Nun hat Paul Maas im Schlusswort seines Aufsatzes von 1937 zwar festgestellt: »Gegen die Kontamination ist noch kein Kraut gewachsen«,107 aber im Fall von Mot. An. stehen den 106 Diese α-Lesungen bei den Nachkommen von η stammen des Näheren aus dem Stammvater ε einer Untergruppe unseres γ-Zweiges, die ansonsten durch den Laur. Plut. 87.4 (C a) repräsentiert wird. Vgl. Isépy 2016, 75–82, insbesondere das Résumé auf S. 82: »Die große Masse von achtzig charakteristischen Lesungen zeigt aber ohne Zweifel, dass an den jeweiligen Stellen Korrektureingriffe an einem ε-Kodex anhand einer β-Handschrift getätigt worden sind«. 107  Maas 1937, 294. Im Wiederabdruck bei Maas 41960, 30 ist das vorsichtig optimistische »noch« gestrichen: »Gegen die Kontamination ist kein Kraut gewachsen«.

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acht in der beschriebenen Weise kontaminierten unabhängigen Handschriften neun unabhängige Handschriften gegenüber, die von jedem Einfluss von Seiten des jeweils anderen Hyparchetypus frei sind. Einen von β-Lesungen freien α-Text überliefern die beiden ältesten Handschriften Parisinus E und Laurentianus C a sowie die Gruppe der fünf Handschriften V ­ aticanus N, Ambrosianus X, Marcianus Ha, Vaticanus L und Vaticanus Vg; umgekehrt bieten Berolinensis Be und Er­ langensis Er einen von α-Lesungen gänzlich freien β-Text. Wie wir in Abschnitt 2.7 noch genauer sehen werden, erlauben es die neun in diesem Sinne unkontaminierten Handschriften, den α-Text wie den β-Text zweifelsfrei festzustellen und damit auch die Kontaminationsanteile am Text der acht kontaminierten Handschriften zu identifizieren und zu neutralisieren. In einem so transparenten Fall kann keine Rede davon sein, dass die Kontamination, wie Maas’ pauschales Verdikt suggerieren könnte, die Durchführung einer recensio nach Maas’ Grundsätzen unmöglich machen würde.108 Vielmehr zählt Mot. An. zu den Fällen, in denen alle Kontaminationen deshalb kon­trollierbar sind, weil die jeweils herangezogene Sekundärquelle in keinem Fall außerhalb der Nachkommenschaft des Archetypus liegt (»extra-archetypale Kontamination«),109 sondern stets auf den jeweils anderen von zwei zweifelsfrei rekonstruierbaren Hyparchetypi zurückgeht.

108  Kritik an Maas’ pauschalem Verdikt übte schon Erbse 1959, 98: »Vielleicht aber hätte der Verf. den Bereich, innerhalb dessen seine Regeln gelten, deutlicher abgrenzen sollen. Er sagt abschließend …: «Gegen die Kontamination ist kein Kraut gewachsen.» Immerhin lassen sich sogenannte Codices mixti in ein Stemma einordnen, Fälle also, in denen die Kontamination einem nachweisbaren Prinzip folgte.« 109  Vgl. Trovato 22017, 134: »If … a ms. that descends to some extent from a known exemplar contains high-quality variants not found in any known ms. or subfamily, we shall need to assume that “extra-stemmatic” (Timpanaro) or rather “extra-archetypal” contamination has occurred«.



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.  Die Verzweigung der handschriftlichen Überlieferung110 Innerhalb des α-Zweiges hat der von jeglicher β-Kontamination freie Parisinus E das gleiche Gewicht wie alle übrigen α-Hand­ schriften zusammen. Dies wird an der Stelle 699 a13 deutlich, an der die von β(Be) bewahrte originale Wortfolge τέ τι δεῖ schon im α-Text zu τε δεῖ verkürzt wurde, wie der Parisinus E zeigt. Dieses τε δεῖ ist dann aber in allen γ-Handschriften weiter zu θέλει verderbt,111 was sich schwerlich anders erklären lässt denn durch die Annahme, dass die α-Lesung τε δεῖ zunächst durch Majuskelverwechselung zu τέλει verlesen wurde (Δ → Λ),112 und dass dieses dann um des Sinnes willen zu θέλει verschlimmbessert wurde. Dieser idiosynkratische Fehler ist ein Bindefehler, der alle γ-Handschriften gegenüber dem Parisinus E zusammenschließt; denn dass die dargestellte Fehlergenese mehrmals unabhängig hätte stattfinden können, wird durch ihre Komplexität offensichtlich ausgeschlossen. Der Fehler ist zugleich ein Trennfehler, der die Unabhängigkeit des Parisinus E vom γ-Zweig erweist: Von θέλει ausgehend war die α-Lesung τε δεῖ auf keine Weise wiederzugewinnen. Und insofern der Fehler von der Majuskelverwechselung τε δεῖ → τέλει seinen Ausgang nahm, spricht er dafür, dass der γ-Zweig, unbeschadet seiner Abkunft vom Hyparchetypus α, durch eine gesonderte Transliteration von der Majuskel- in die Minuskelschrift gegangen ist: Demnach dürfte der Hyparchetypus α zweimal transliteriert worden sein, und unsere direkte Mot. An.-Überlieferung als ganze dürfte sogar auf drei verschiedene Transliterationen zurückgehen, was dem Befund 110 Zum allgemeinen überlieferungsgeschichtlichen Rahmen der folgenden Beobachtungen vgl. den grundlegenden Überblick von Harlfinger 1971, 36–85 (»Einige Grundzüge der Aristoteles-Überlieferung«, wiederabgedruckt in Harlfinger 1980, 445–483). 111 699 a13 εἶναί τε τι δεῖ Be vel εἶναί τι δεῖ Er vel εἶναι δεῖ τι b : εἶναί τε δεῖ E : εἶναι θέλει γ (XHaLVg Za BpMoP C a OdSVp). 112  Vgl. Ronconi 2003, 86.

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der ersten sechs Tetralogien Platons entspricht.113 Jedenfalls stammen alle α-Handschriften außer dem Parisinus E von einem verlorenen Stammvater (γ) ab,114 der stemmatisch betrachtet ein »Bruder« des Parisinus E ist. Der γ-Zweig ist seinerseits zweigespalten: Er gliedert sich in eine δ- und in eine ε-Gruppe. Der charakteristische Binde­feh­ ler der δ-Gruppe115 steht in 701a19, wo alle übrigen Handschriften die korrekte ›Conclusio‹ eines praktischen Syllogismus, d. h. den Protokollsatz ἱμάτιον ποιεῖ (»er stellt einen Mantel her«) überliefern, während dies in allen δ-Zeugen – unter Einschluss der verlorenen griechischen Haupt­vorlage (Γ) Wilhelms von 113  Vgl. Carlini 1972, 137: »I tre armi in cui si scinde la tradizione platonica delle prime sei tetralogie sono il frutto di tre diversi traslitterazioni«. In der sechsten Tetralogie kommt für Gorgias und Menon noch der erst von Dodds 1959, 41–47 zuverlässig erschlossene Cod. Vindobonensis suppl. phil. gr. 39 (F) hinzu, der allen übrigen Handschriften unabhängig gegenübertritt und allein schon deshalb auf eine gesonderte Transliteration zurückgehen muss, was Dodds 1959, 45 durch paläographische Indizien bestätigt findet: »These features suggest an exemplar in which words were not divided, accents few or non-existent, punctuation scanty, change of speakers perhaps marked only by a marginal paragraphos – in other words, an uncial exemplar«. 114 Die γ-Handschriften setzten sich einerseits aus der unkontaminierten Gruppe Vaticanus N, Ambrosianus X, Marcianus Ha, Vaticanus L und Vaticanus Vg und aus der kontaminierten Gruppe Laurentianus Za, Berolinensis Bp, Mosquensis Mo, und Vaticanus P zusammen, andererseits aus dem Laurentianus C a, zu dem an vielen Stellen die genealogisch dem β-Zweig zuzurechnenden Handschriften Marcianus O d, Laurentianus S und Palatinus Vp hinzukommen. 115 Die δ-Gruppe besteht einerseits aus der verlorenen griechischen Hauptvorlage (Γ) Wilhelms von Moerbeke, andererseits aus dem Stammvater ζ aller erhaltenen griechischen δ-Handschriften: Vaticanus N, Ambrosianus X, Marcianus Ha, Vaticanus L und Vaticanus Vg, Laurentianus Za, Berolinensis Bp, Mosquensis Mo, und Vaticanus P. Auf den Vaticanus N geht mittelbar, nämlich über den Mutinensis gr. 76 (Md), der im Jahre 1497 gedruckte Aldina-Text von Mot. An. zurück, der die neuzeitliche Rezeption des Textes bis zur Ausgabe von Immanuel Bekker (1831) geprägt hat.



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Moerbeke – durch den vom Handelnden gefolgerten Sollenssatz ἱμάτιον ποιητέον (»ein Mantel muss hergestellt werden«) ersetzt ist.116 Später, nach Abzweigung von Wilhelms Vorlage Γ, hat δ einen Nachfahren ζ hervorgebracht, auf den alle erhaltenen griechischen δ-Handschriften zurückgehen. Ein hervorstechendes gemeinsames Charakteristikum dieser ζ-Handschriften besteht darin, dass sie den im α-Text durch Textausfall verstümmelten Folgerungssatz von 700b23–25117 ὥστε […] καὶ τὸ διανοητόν (»so dass […] auch das Objekt des diskursiven Denkens«) unter Einführung des Begriffs ›Entschlussobjekt‹ (προαιρετόν) ergänzt haben, wobei die beiden unmittelbaren Abkömmlinge von ζ, nämlich der von β-Kontamination freie Stammvater θ und der mit einigen β-Lesungen kontaminierte Stammvater ι, das ›Entschlussobjekt‹ auf jeweils ver­schiedene Weise in den Text der Stelle eingebaut haben.118 Der Text des Stammvaters ε wird durch die zweitälteste Mot. An.-Handschrift, den von β-Kontamination freien Laurentianus C a, überliefert; daneben sind fast alle wichtigen ε-Lesungen, wie bereits in Abschnitt 2.6 festgestellt, durch Kontamination auch in den genealogisch dem β-Zweig zuzurechnenden Stammvater η der Handschriften Marcianus Od, Laurentianus S und Palatinus Vp gelangt.119 Ein charakteri­ 116 701a19

ποιεῖ BeEr OdSVp E C a : ποιητέον ΝXHaLVg Za PBpMo b. Mot. An. 6, 700b23–25, nach dem α-Text: ἡ δὲ προαίρεσις κοινὸν διανοίας καὶ ὀρέξεως· ὥστε [… b24 …] καὶ τὸ διανοητόν. οὐ πᾶν δὲ διανοητόν, ἀλλὰ τὸ τῶν πρακτῶν τέλος. 118  θ(Vaticanus N, Ambrosianus X, Marcianus H a , Vaticanus L und Vaticanus Vg): ἡ δὲ προαίρεσις κοινὸν διανοίας καὶ ὀρέξεως, ὥστε καὶ τὸ π ρ ο α ι ρ ε τ ό ν . οὐ πᾶν δὲ τὸ διανοητὸν π ρ ο α ι ρ ε τ ό ν . – ι(Lauren­tianus Z a, Berolinensis Bp, Mosquensis Mo): ἡ δὲ προαίρεσις κοι­νὸν διανοίας καὶ ὀρέξεως, ὥστε καὶ τὸ διανοητὸν οὐ πᾶν π ρ ο ­α ι ­ ρ ε ­τ ό ν . Der ebenfalls zur ι-Gruppe zählende Vaticanus P überliefert hingegen die ihm aus β bekannte authentische Füllung der Textlücke. 119  Schon Bekker 1831 benutzte den Laurentianus S; Nussbaum 1978 fügte den Marcianus Od hinzu; den dritten unabhängigen Vertreter, Palatinus Vp, haben wir erstmals hinzugezogen. 117 

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stischer Eingriff von ε liegt in 698b15–16 vor. Dem bereits verderbten γ-Text dieser Stelle zufolge wäre der Erdboden als Unterlage für die Fortbewegung von Mäusen genauso un­ geeignet wie lockerer Sand als Unterlage für die Fortbewegung von Wanderern: τοῖς μυσὶ τοῖς ἐν τῆι γῆι, ἢ τοῖς ἐν τῆι ἄμμωι πορευομένοις (»bei den Mäusen auf der Erde oder bei den Leuten, die im Sand zu wandern versuchen«). Diese Formulierung hat ε durch Umstellung der beiden Worte μυσίν und πο­ρευο­μ ένοις wie folgt geändert: τοῖς ἐν τῆ γῆ π ο ­ρ ε υ ο ­μ έ ν ο ι ς μ υ σ ὶ ν ἢ τοῖς ἐν τῆ ἄμμω (»bei den auf der Erde wandernden Mäusen oder bei denen, die es im Sand tun«).120 Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Re­kon­ struktion des Hyparchetypus α durch die in einem Teil seiner Nachkommenschaft vorkommenden β-Elemente in keiner Weise beeinträchtigt wird: Zum einen repräsentiert der von β-Kontamination freie Parisinus E allein schon eine volle Hälfte der α-Überlieferung, zum andern ist die Rekonstruktion des die verbleibende Hälfte repräsentierenden Stammvaters γ dadurch gesichert, dass jeder seiner beiden durch ­griechische Handschriften überlieferten Zweige ζ und ε jeweils zur Hälfte durch einen von β-Kontamination freien Nach­ fahren vertreten wird: ζ durch θ und ε durch C a. Die wichtigsten, weil unkontaminierten Zeugen für die Rekonstruktion des neuen Hyparchetypus β sind zwei Handschriften des 15. Jahrhunderts, die heute beide in deutschen Bibliotheken verwahrt werden: Berolinensis Be 121 und Erlan­ 120  Wie wir im Abschnitt 3.4 zeigen werden, geht die Umstellung auf den Einfluss von Michaels Kommentar zurück; eine textkritische Behandlung der Stelle legen wir in Abschnitt 4.1 vor. 121  Studemund/Cohn 1890, 44 (Nr. 103). Zu dem von Theodor Momm­ sen in den Jahren 1886/1887 angebahnten Ankauf der Codices Phillippici (zu denen auch Berolinensis Be zählt) durch die Kgl. Bibliothek zu Berlin aus englischem Privatbesitz vgl. Rebenich/Franke 2012, 252, Anm. 663 zu Brief 146 und 258 (Brief 152 mit Anm. 689). Zur Chronologie auch Rose 1893, Geleitwort: »… da erfolgte (im Sommer 1887) aus Sir Thomas Phillipps Schätzen (ursprünglich in Middlehill, jetzt in Chel-



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gensis Er.122 Von ihnen hat der Berolinensis Be für sich alleine dasselbe Gewicht wie der gemeinsame Vorfahr der übrigen β-Handschriften zusammen (einschließlich des Erlangensis Er). Dies zeigt sich in 701a24, wo innerhalb des β-Zweiges nur der Berolinensis Be das sinnlose δύ’ εἱ ποδῶν des Archetypus bewahrt hat, das offensichtlich durch Majuskelfehler (Ν → Π)123 aus ursprünglichem δυεῖν ὁδῶν entstanden ist. Zu δύ’ εἱ ποδῶν muss bereits im Archetypus der wohlfeile Verbesserungsvorschlag δύο εἰδῶν angemerkt gewesen sein, da in dieser Lesung alle übrigen Handschriften beider Überlieferungszweige übereinstimmen – der Parisinus E allerdings erst nach Rasur und Korrektur: Der paläographische Augenschein spricht dafür, dass auch der Schreiber von E zunächst δύ’ εἱ ποδῶν zu schreiben begonnen hat, dieses dann aber zu δύο εἰδῶν verbessert hat.124 Überdies hat speziell der Berolinensis Be eine Reihe von offensichtlich durch die Transliteration bedingten Worttrennungsfehlern bewahrt;125 diese erwecken den Eindruck, dass es sich beim Berolinensis Be um eine jeden tenham) die Erwerbung des einzigen gleichmässig wertvollen ihrer geschlossenen grösseren Teile, der Bibliotheca Meermanniana, für Berlin – 621 Hss. Zunächst vorläufig in der Kgl. Bibliothek aufbewahrt, wurde sie der Handschriften-Sammlung endgiltig einverleibt Ostern 1889«. 122  Diese Handschrift wurde von Andronikos Kallistos ­geschrieben, und zwar, nach dem bereits in unserem Handschriftenkatalog unter Nr. 4) zitierten Urteil von Luigi Orlandi, noch vor 1453 in Konstantinopel. In Italien wurde die Handschrift von dem berühmten Mathematiker und Astronomen Johannes Müller gen. Regiomontanus aus Königs­berg i. Bay. (1436–1476) erworben und war später im Besitz des Humanisten Joachim Camerarius d. Ä. (1500–1574); hierzu und zur kodikologischen Beschreibung der Handschrift vgl. Thurn 1980, 24–28. 123  Ronconi 2003, 93. 124 701a24 δυεῖν ὁδῶν scripsi : δύ’ εἱ ποδῶν Be : δ[.] … οδῶν Ea.c. ut vid. : δύο εἰδῶν Ep.c. (currente calamo post rasuram), cett. Mich.p 117,1, edd. 125 699 b 37 οὐρανόθεν] ὀυ ῥανόθεν B e. – 701a32 ποτέον μοι] ποτὲ ὅν μοι Be. – 701b10 αὐτομάτοις] αὐτὸ μάτοις Be. – 702b13 τἀναντία] τὰ ναντία Be. – 702b35 ἀπερείδοιντο] ἀπερείδον τό Be. – 704 a1 τοσαύτην] τὸ σαύτην Be.

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Eingriff strikt vermeidende, geradezu photographisch getreue Wiedergabe eines Transliterationsprodukts aus dem 9. Jahrhundert handelt.126 Da aber die Textform des Berolinensis Be abgesehen von seinem hilflosen Layout in allen wesentlichen Punkten mit der des Erlangensis Er übereinstimmt, scheint es sich bei der unkorrigierten alten Vorlage des Berolinensis Be um dasjenige Transliterationsprodukt zu handeln, auf das auch die übrige, in erster Linie durch den Erlangensis Er repräsentierte β-Überlieferung zurückgeht. Wenn diese Vermutung das Richtige trifft, dann steht der Berolinensis Be dem Archetypus auf Seiten von β stemmatisch genauso nahe wie unser codex vetustissimus Parisinus E auf Seiten von α, obwohl der Berolinensis 500 Jahre nach dem Parisinus geschrieben wurde. Umgekehrt lässt sich aber auch zeigen, dass der gemeinsame Stammvater der übrigen β-Handschriften unabhängig vom Berolinensis Be ist: So hat in 704b1 der Erlangensis Er mit den drei kontaminierten β-Vertretern der Gruppe η(OdSVp) die Übergangsformel ἔτι δὲ καὶ περὶ gemeinsam,127 deren Authentizität durch die genaue Parallele in Hist. An. III 15, 519b22–23 erwiesen wird. Demgegenüber ist das καί nicht nur im α-Zweig, sondern auch im Berolinensis Be ausgefallen. Hier liegt selbstverständlich kein Bindefehler vor (ein solches καὶ können mehrere Kopisten unabhängig voneinander auslassen), wohl aber ein Trennfehler: Kein Kopist, der ἔτι δὲ περὶ vor sich hat, würde es für nötig halten, zusätzlich noch ein καί einzufügen. Wenn man das Mot. An.-Stemma mit den Stemmata zweier anderer Aristotelischer Schriften vergleicht, der Historia Ani­ malium und der Schrift De Generatione et Corruptione, dann 126  Vgl. die von Dodds 1959, 45 im Platoncodex Vindobonensis suppl. phil. gr. 39 (F) beobachteten Indizien für die große Nähe dieser Handschrift zur Transliteration: »faulty word-division, false accents, wildly erratic punctuation, and false distribution between speakers«. 127  Mot. An. 11, 704 a3– b 2: περὶ μὲν οὖν τῶν μορίων ἑκάστου τῶν ζώιων, καὶ περὶ ψυχῆς, ἔ τ ι δ ὲ κ α ὶ π ε ρ ὶ αἰσθήσεως καὶ ὕπνου καὶ μνήμης καὶ τῆς κοινῆς κινήσεως, εἰρήκαμεν τὰς αἰτίας.



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entspricht allein schon unser γ-Zweig der gesamten handschriftlichen Überlieferung von Hist. An., wie sie von Berger 2005 analysiert wurde: Nach Isépy 2016 steht nämlich in Mot. An. unser γ-Zweig in der gleichen Beziehung zum heute größtenteils verlorenen zweiten Teil des Vind. phil. gr. 100 (J, d. h. zu Wilhelms griechischer Erstvorlage Γ) wie in Hist. An. die Gesamtheit der griechischen Handschriften. Demgegenüber entspricht unser erster Hyparchetypus α der gesamten handschriftlichen Überlieferung der Schrift De Generatione et Corruptione, wie sie von Rashed 2001 rekonstruiert wurde; denn deren beide Zweige werden einerseits von der Gruppe a (Hauptvertreter: Parisinus E) und andererseits von der Gruppe b (Hauptvertreter: Vindobonensis J) gebildet. Demgegenüber geht unser neuer β-Zweig über die Überlieferung jener anderen Schriften grundsätzlich hinaus.

. Die Textgeschichte im Licht der indirekten Überlieferung Zwischen der Abfassung von Mot. An. (ca. 330 v. Chr.) und der Herstellung der ältesten uns erhaltenen griechischen Mot. An.-Handschrift, des Parisinus E (ca. AD 950), liegt ein Zeitraum von gut 1280 Jahren. Der indirekten Mot. An.-Überlieferung – den frühen Erwähnungen des Werktitels ebenso wie den Paraphrasen und Übersetzungen – ist es zu danken, dass der uns erschließbare Abschnitt der Textgeschichte keineswegs erst mit dem Einsetzen der uns vorliegenden handschriftlichen Überlieferung beginnt, sondern vielmehr weit darüber hinaus ins Altertum zurückreicht. Darüber hinaus wird auch unser in Abschnitt 2.7 entworfenes Bild von der Verzweigung der direkten, handschriftlichen Überlieferung durch die in­ direkte Überlieferung vielfach bereichert und präzisiert.128 128  Die historischen und kulturhistorischen Hauptdaten, auf die wir uns im Folgenden beziehen, sind in tabellarischer Form auch in das dem

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.  Die grundlegende Ausgabe des Andronikos Mot. An. gehört nicht zu denjenigen Schriften unseres Corpus Aristotelicum, die noch zu Lebzeiten des Aristoteles oder seines Schülers Theophrast veröffentlicht wurden und die infolgedessen auch in hellenistischer Zeit zugänglich blieben.129 Vielmehr war ein Text von Mot. An. allein in der internen Manu­ skriptsammlung der aristotelischen Schule enthalten, die den philosophischen Nachlass von Aristoteles und Theophrast darstellt und die nach dem Tod des Theophrast (287 v. Chr.) von seinem Erben Neleus v. Skepsis bzw. dessen Nachfahren für nahezu 200 Jahre der Öffentlichkeit entzogen wurde. Nachdem dieser Nachlass im frühen 1. Jahrhundert v. Chr. wieder zugänglich geworden und nach Rom gebracht worden war, wurde er in der Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr. von Andronikos v. Rhodos seiner maßgeblichen Ausgabe unseres Corpus Aristotelicum zugrunde gelegt:130 Die vorhellenisvorliegenden Band am Ende beigefügte, ausklappbare stemma codicum integriert. Die wichtigsten handschriftlichen Befunde, die der folgenden Darstellung zugrunde liegen, haben wir den Abschnitten 2.4, 2.5 und 2.7 der vorliegenden Einleitung vorgelegt. 129  Der in hellenistischer Zeit zugängliche Bestand an Aristotelica lässt sich an dem hellenistischen Schriftenverzeichnis ablesen, das in zwei Brechungen erhalten blieb – einerseits bei Diogenes Laertios, andererseits in der Vita Hesychiana (= Vita Menagiana); vgl. hierzu Moraux 1951, 15–193, 195–209, und 211–247; Düring 1957, 13–79 und 80–93, sowie Goulet 1989. Zwar fehlen im hellenistischen Verzeichnis einige Schriften unseres Corpus, wie z. B. Mot. An., doch andererseits wird dort eine Fülle von heute verlorenen oder nur fragmentarisch erhaltenen Schriften aufgeführt. 130  Andronikos’ Ausgabe eines Corpus von zuvor teilweise unbekannten Aristotelischen Schriften, das L. Cornelius Sulla im Jahre 86 v. Chr. von Athen nach Rom gebracht hatte, wird von Plutarch, Sulla 26, 1–3 bezeugt. Das grundlegende Zeugnis über die editorische Methode des Andronikos gibt Porphyrios, Vita Plotini c. 24, Zeilen 9–11 Henry/ Schwyzer: »Andronikos aber unterteilte den schriftlichen Nachlass des Aristoteles und des Theophrast in Abhandlungen (prāgmateiai), indem



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tische Entstehung der von Andronikos benutzten Manuskripte ergibt sich aus der erstaunlichen Tatsache, dass er zur Buchzählung nicht die schon im frühen Hellenismus eingeführten 27 Buchstabenzahlen verwendete, die in der Überlieferung der übrigen griechischen Literatur seither allgemein verbindlich sind, sondern dass er die zu seiner Zeit längst obsoleten vorhellenistischen Ordnungsbuchstaben beibehielt, die dem gewöhnlichen 24-Buchstaben-Alphabet entnommen sind.131 Jedenfalls gehen unsere Mot. An.-Handschriften nach allem Anschein letztlich auf die Textausgabe des Andronikos von Rhodos zurück. Doch wird der Archetypus unserer Überlieferung – angesichts seiner in Abschnitt 2.4 aufgelisteten Fehler – schwerlich der von Andronikos edierte Text selbst gewesen sein; die von Andronikos benutzten Nachlassmaterialien aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. hatten naturgemäß noch keine Kette von Abschriften hinter sich, wie sie für die Akkumulation und die teilweise komplexe Genese der Fehler des Archetypus vorauszusetzen ist. Vielmehr dürfte es sich bei unserem Archetypus um einen fehlerhaften Nachkommen des Andronikos-Textes gehandelt haben. Die Mittlerstellung des Andronikos-Textes zwischen Aristoteles und unserem Archetypus wird auch an der von Andronikos vorgenommenen Einordnung von Mot. An. in eine bestimmte Aristotelische Schriftengruppe deutlich, die einerseits genau den erklärten Intentionen des Aristoteles entspricht und die andererseits in unserem Archetypus erhalten geblieben ist. Die Disposition der Andronikos-Ausgabe ist uns durch den er die thematisch verwandten Kapitel (tās oikeiās hypotheseis) miteinander verband (eis tauton synagagōn)«. Über die Frage, wie weit Andronikos über diese Disposition des Materials hinaus auch textkritisch tätig wurde, verlautet in diesem speziellen Fall nichts; doch konnte er prinzipiell auf die im Alexandria des 3. und 2. Jahrhunderts v. Chr. entwickelte methodische Textkritik zurückgreifen; vgl. hierzu Pfeiffer 21978. 131  Auf die überlieferungsgeschichtliche Bedeutung dieser Tatsache hat Primavesi 2007 aufmerksam gemacht; dort auch Quellenangaben und Hinweise zur älteren Forschung.

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einschlägigen Abschnitt der – nur in arabischer Übersetzung erhaltenen – Aristoteles-Werkliste eines spätantiken griechischen Gelehrten namens Ptolemaios bezeugt, dem die Araber den Beinamen ›al- Ġarīb‹ (»der Fremde«) gaben, und der sich ausdrücklich auf eine bio-bibliographische Abhandlung des Andronikos beruft.132 In dem Abschnitt dieser Werkliste, der unserem Corpus Aristotelicum korrespondiert, verzeichnet Ptolemaios nun unter anderem eine Gruppe von drei Schriften: Über Wahrnehmung und das Wahrgenommene – Über Erinnerung und Schlaf – Über die Bewegung der Lebewesen.133 Während die erste Schrift unserem De sensu entspricht und die dritte unserem Mot. An., handelt es sich bei der zweiten offenkundig um das Ergebnis einer von Andronikos vorgenommenen editorischen Kombination von De memoria / De somno et vigilia / De insomniis / De divinatione per somnum zu einer größeren Abhandlung.134 Demnach ließ Andronikos Mot. An. an sechster Stelle auf die fünf Abhandlungen Sens. / Mem. / Somn. Vig. / Insomn. / Div. Somn. folgen, die für unsere Begriffe die erste Gruppe (PN) der sogenannten Parva Naturalia bilden135 – jener Schriftengruppe, in der Aristoteles 132  Zum Ptolemaios-Verzeichnis Aristotelischer Schriften vgl. Moraux 1951, 287–309 und Goulet 1989; eine Übersetzung bietet Düring 1957, 221–231 (mit den Anmerkungen auf den Seiten 241–246), eine Ausgabe des arabischen Textes Hein 1985, 415–439; zur indirekten Überlieferung vgl. Gutas 1986. Zu der Sektion, die unserem Corpus Aristotelicum entspricht, vgl. Düring 1957, 224–226, Nr. 29–56 und Hein 1985, 424–429, Nr. 29–54. Vgl. auch Moraux 1973, 60–66 und 85–94. 133  Düring 1957, 225, Titel Nr. 45–47; Hein 1985, 426–427, Titel Nr. 44–46. 134  So Moraux 1951, 296: »La dénomination περὶ μνήμης καὶ ὕπνου … résulte de la fusion de plusieurs petits traités, les pièces 2 à 5, des Parva naturalia«. Diese Annahme stimmt gut zu dem bereits zitierten Bericht des Porphyrios über die editorische Methode des Andronikos. 135  Zur Zusammensetzung der sogenannten Parva Naturalia aus zwei Werkgruppen PN und PN vgl. Rashed 2004, 191: »… on commencera par distinguer dans les PN deux sous-ensembles PN et PN, le premier



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nach eigenem Bekunden die Funktionen behandelt, die Körper und Seele gemeinsam sind (τὰ κοινὰ τῆς ψυχῆς καὶ τοῦ σώματος).136 Diese Position von Mot. An. war im Archetypus unserer Überlieferung exakt bewahrt: In 13 der insgesamt 17 erhaltenen unabhängigen Handschriften folgt Mot. An. gleich auf PN – und zwar achtmal in Mittelstellung zwischen beiden Gruppen der Parva Naturalia, d. h. nach PN und vor PN,137 und fünfmal in Handschriften, die zwar PN enthalten, aber nicht PN.138 Demgegenüber sind nur vier unabhängige Hand-

regroupant les traités Sens., Mem., Somn. Vig., Insomn., Div. Somn., et le second les traités Long. + Iuv.«. Die Abkürzung ›Iuv.‹ steht hier für die Kombination De iuventute + De vita et morte + De respiratione, die eine einheitliche Abhandlung darstellt, wie Ross 1955, 2–3 gezeigt hat. PN insgesamt besteht also aus De longitudine vitae + De iuventute + De vita et morte + De respiratione. 136  So Aristoteles, Sens. 1, 436 a 6–8. 137  Fünf unabhängige Mot. An.-Handschriften – Ambrosianus X, Vaticanus L, Marcianus Ha, Mosquensis Mo und Vaticanus P – weisen die Folge PN + Mot. An. + PN auf. Diese Folge wurde in zwei weiteren Handschriften – Berolinensis Be und Laurentianus S – durch Einschaltung der Schrift De generatione animalium nach der Gruppe PN + Mot. An. intern erweitert: PN + Mot. An. / Gener. An. / PN, was durch Mot. An. 11, 704b2–3 (Überleitung zu Gener. An.) motiviert ist. Nur in einer einzigen unabhängigen Mot. An.-Handschrift, im Vaticanus N, sind zwischen PN + Mot. An. und Gener. An. + PN noch weitere naturphilosophische Traktate eingefügt, nämlich De generatione et corruptione, Meteorologica, De partibus animalium und De incessu animalium, wie folgt: PN + Mot. An. / Gener. Corr. / Mete. / Part. An. / Inc. An. / Gener. An. + PN. 138  In drei dieser Handschriften – Parisinus E, Laurentianus Z a und Palatinus Vp – folgt Mot. An. unmittelbar auf die vollständige Serie PN, in den verbleibenden zwei – Parisinus b und Berolinensis Bp – hingegen auf eine leicht unvollständige Fassung von PN: In Parisinus b findet sich die Folge Mem. / Somn. Vig. / Insomn. / Div. Somn. / Mot. An., während Berolinensis Bp die Folge Somn. Vig. / Insomn. / Div. Somn. / Mot. An. überliefert.

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schriften erhalten, in denen es sich anders verhält.139 Da in allen Zweigen unserer Mot. An.-Überlieferung die Anordnung Sens. / Mem. / Somn. Vig. / Insomn. / Div. Somn. / Mot. An. vorherrscht, muss diese Anordnung auf den Archetypus unserer Überlieferung zurückgehen.140 Die Zusammenstellung des kleinen Corpus PN + Mot. An. entspricht nachweislich den Intentionen des Aristoteles: Dieser verweist nämlich in seiner Schrift De anima für die Behandlung des Werkzeugs (organon), mittels dessen die Seele den Körper bewegt, – und damit für ein zentrales Thema von Mot. An. – auf seine Untersuchungen zu den gemeinsamen Funktionen von Körper und Seele, d. h. auf die Parva Naturalia,141 und er fasst in einem Rückblick am Ende von Mot. An. die Abhandlungen über Wahrnehmung, Schlaf und Erinnerung, d. h. die erste Gruppe der Parva Naturalia (PN), mit Mot. An. zu einer Einheit zusammen.142 Wie sich aber der von Andronikos hergestellte Text im Einzelnen zum Wortlaut des ihm zugrundeliegenden Aristo­ telischen Materials verhielt, lässt sich mit unseren Mitteln in aller Regel nicht mehr feststellen.143 Vielmehr ist die Ausgabe 139  Im Marcianus O d ist lediglich die Reihenfolge vertauscht, so dass Mot. An. unmittelbar vor PN zu stehen kommt, im Erlangensis Er folgt Mot. An. unmittelbar auf PN (Long. + Juv. + VM + Respir. / Mot. An.), während im Laurentianus Ca auf Sens. (d. h. auf das erste Stück von PN) zunächst Mot. An. und dann PN folgt (Sens. / Mot. An. / Long. + Juv. + VM + Respir.). Der Vaticanus Vg schließlich enthält außer Mot. An. überhaupt kein Aristotelisches Werk (Xenophon / Mark Aurel / Epiktet / Maximos von Tyros / Albinos / Mot. An.). 140  Vgl. Rashed 2004, 192–193. 141 An. III 10, 433b13–21. Vergleiche die einleitende Charakterisierung des Rahmenthemas dieser Schriftengruppe bei Aristoteles, Sens. 1, 436a6–8. 142  Mot. An. 11, 704b1–2. 143  Eine vereinzelte Ausnahme von dieser Regel stellt der überlieferte Werktitel (Περὶ ζῴων κινήσεως) von Mot. An. dar, der erst von Andronikos dem Text beigefügt worden sein dürfte, wie wir unten in Kapitel 5 zeigen werden.



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des Andronikos für uns zumeist die früheste erschließbare Stufe der Textgeschichte. Die damit gegebene Begrenzung des möglichen Ziels editorischer Rekonstruktion geht indessen mit dem nicht geringen methodischen Vorteil einher, dass die Mot. An.-Edition des Andronikos ein wohl­definiertes Ziel editorischer Rekonstruktion darstellt – nämlich einen Text, den es historisch nachweislich gegeben hat –, während der ›Autortext‹ des Aristoteles angesichts der möglichen Pluralität von Materialien, Doppelfassungen, Entwürfen in seinem Nachlass nicht als ein wohldefiniertes Ziel gelten kann. Ohne ein solches Ziel aber könnte eine editorische Re­konstruktion nicht ohne weiteres in Angriff genommen werden.

.  Mot. An. in Kaiserzeit und Spätantike Von der raschen Rezeption des von Andronikos edierten Mot. An.-Textes legt die Tatsache Zeugnis ab, dass schon Nikolaos von Damaskos im frühen 1. Jahrhundert n. Chr. eine Zusammenfassung dieser Schrift in sein nur fragmentarisch erhaltenes Kompendium über die Philosophie des Aristoteles aufnahm.144 Die uns erhaltene indirekte Überlieferung von Mot. An. beginnt um 200 n. Chr., also weit vor der Herstellung der ältesten erhaltenen Mot. An.-Handschrift:145 Alexander v. Aphrodisias, der größte Aristoteles-Kommentator des Altertums, hat in seine Abhandlung Über die Seele (De anima) 144 

Drossaart Lulofs 21969, Testimonium 11. diesem Phänomen vgl. Trovato 22017, 140–141 (am Beispiel der indirekten Überlieferung von Dantes Convivio): »while modern philologists tend to underestimate the usefulness of so-called indirect tradition (quotations in other works, translations, etc.), the quotations from the Convivio in one of the earliest commentaries to the Commedia (the early-fourteenth-century commentary known as the Ottimo), being pre-archetypal, are much more correct than the text handed down by the surviving mss.« 145  Zu

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eine ausführliche, mit vielen wörtlichen Zitaten versehene Paraphrase von Mot. An. 7–8 (701b13–702a2) aufgenommen146 – was in der neuzeitlichen Forschung allerdings erst im Jahre 1996 bemerkt wurde.147 Im späteren Altertum wurde das philosophische Studium zwar zunehmend vom Platonismus dominiert, doch kam bei diesem Studium auch den Schriften unseres Corpus Aristo­ telicum eine zentrale Rolle zu. Unter den in diesem Zeitraum hergestellten Abkömmlingen des von Andronikos edierten Mot. An.-Textes dürfte auch bereits unser Archetypus gewe­sen sein, d. h. die unmittelbare Vorlage der beiden Hyp­arche­typi α und β, auf die die beiden Zweige unserer handschriftlichen Überlieferung zurückgehen. Es lässt sich nämlich wahrscheinlich machen, dass die Hyparchetypi α und β selbst bereits in der Spätantike entstanden sind: Wie wir in den Abschnitten 2.5 und 2.7 dokumentiert haben, weist nicht nur jeder der beiden von α und β ausgehenden Hauptzweige der Überlieferung, sondern auch der auf eine eigene Abschrift von α zurückgehende γ-Zweig je eigene Buchstabenverwechslungen von der Art auf, wie sie nur in der Majuskelschrift vorkommen, nicht aber in der in mittelalterlichen Handschriften vorherrschenden Minuskelschrift, so dass die beiden primären Zweige der Mot. An.-Überlieferung ebenso wie der untergeordnete γ-Zweig auf je eigene Transliterationen zurückgehen müssen. Dies wiederum spricht eher dafür, dass es sich bei α und β um spätantike Vorlagen gehandelt hat; denn nach gegenwärtigem Kenntnisstand wurde im Byzanz des 9. Jahrhunderts bei der damals wieder einsetzenden Herstellung von Aristoteles-­ 146 Alexander De anima 76,18–78,2 Bruns; zitiert auch von Michael In mot. an. 114,27–115,22, 115,23–25, 119,16–20, 119,22–25, und 120,3–7 Hayduck. Der Herausgeber Hayduck hat weder die Herkunft der Paraphrase aus Alexander bemerkt (vgl. hierzu Donini 1968, 316–317), noch ihre Beziehung auf Mot. An. 7. Deshalb stellt er den größten Teil der Para­phrase als eine Art Appendix noch zur Kommentierung des Kapitels 6. 147  Accattino/Donini 1996, 262.



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Abschriften in der Regel die Minuskelschrift verwendet und nur in seltenen Fällen die Majuskelschrift einer spätantiken Vorlage beibehalten.148

.  Mot. An. im byzantinischen Humanismus des 9. Jahrhunderts Im Gegensatz zu vielen anderen Schriften des Aristoteles ist die griechisch-arabische Übersetzungsbewegung im Bagdad des 8. und 9. Jahrhunderts149 an Mot. An. vorübergegangen: Eine arabische Übersetzung bzw. Kommentierung von Mot. An. hat es nach dem Zeugnis des Ibn Rušd (Averroes) nicht gegeben.150 Deshalb kam es zur mittelalterlichen Wiederentdeckung von Mot. An. erst in der Mitte des 9. Jahrhunderts, als in der griechischen Kaiserstadt Konstantinopel (heute: Istanbul) durch Gründung einer philosophischen Fakultät

148  Ein nach Harlfinger 1971, 40 (= 1980, 449) in der Aristotelesüberlieferung singuläres Beispiel für eine im 9. Jahrhundert geschriebene Majuskelhandschrift liefert das versprengte, von Severyns 1925 edierte Pergament-Doppelblatt aus dem 9. Jahrhundert, das sich 1925 in der Bibliothek von Vienne (Département Isère) befand (alte Signatur: F. 9. 20) und im Jahre 1929 der Bibliothèque Nationale de France einverleibt wurde (neue Signatur: Parisinus Suppl. gr. 1362). Das Doppelblatt ist in der sogenannten maiuscola ogivale inclinata mit partieller, von erster Hand vorgenommener Akzentuierung gehalten und stammt aus einer Abschrift der Aristotelischen Sophistici elenchi: Es handelt sich um Blatt 2 (enthaltend S. E. 176b9–177a17) und Blatt 7 (enthaltend S. E. 179b29–180b4) eines Quaternionen. 149  Vgl. die Liste der ins Arabische übersetzten Aristotelica bei Gutas 2012, 81–82. 150  Vgl. Averroes, Comm. Magn. in de An., 524,59–62 Crawford (= Ni­c olaus Damascenus, Compendium, Testimonium 11 Drossaart ­Lulofs): »Et ipse locutus fuit de hoc in tractatu quem fecit de Motu Ani­ malium, sed iste tractatus non venit ad nos, sed quod transferebatur ad nos fuit modicum de abbreviatione Nicolai«.

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in der ›­Magnaura‹151 die philosophischen Studien wiederaufblühten.152 Damals ging man dort an die Umschrift (›Transliteration‹) älterer, in Majuskelschrift gehaltener Platon- und Aristoteles-Codices in die neue Minuskelschrift. In diesem Zusammenhang muss auch jeder der beiden Hyparchetypi von Mot. An. (α und β) einer eigenen Transliteration unterzogen worden sein, wie ihre oben bereits erwähnten Majus­ kelfehler zeigen. Zudem entstand damals nicht nur die Collection Philosophique, eine grundlegende Sammlung platonischer und neuplatonischer Texte, 153 sondern noch etwas früher auch der Vind. phil. gr. 100 (J) – im Folgenden: Vindobonensis J –, der in die Collection Philosophique nachträglich eingegliedert wurde.154 Eben dieser codex ­vetustissimus der Aristoteles-Überlieferung hat in seiner ursprünglich vollständigeren Form offenbar auch Mot. An. enthalten: Wie wir im Abschnitt 3.7 im Anschluss an Isépy 2016 näher ausführen werden, gibt es gute Gründe dafür, die Erstvorlage Γ der lateinischen Mot. An.-Übersetzung Wilhelms von Moer­ beke mit dem Mot. An.-Text gleichzusetzen, den der ver­ lorene zweite Teil des Vindobonensis J enthalten hat. Indessen scheint die Collection Philosophique einschließlich des Vindobonensis J schon bald nach ihrer Entstehung und für geraume

151 Schreiner 22015, 53: »… die Magnaura (magna aula) – der vielleicht noch von Konstantin errichtete Empfangssaal, den wir uns ähnlich der Trierer Basilika vorstellen dürfen«. Zur Lage des Gebäudes vgl. die Planskizze von Konstantinopel auf dem vorderen Vorsatz von Schreiners Buch, Nr. 11. 152  Vgl. Lemerle 1971, 158–165, Westerink 1990, 109–110, Schreiner 2 2015, 116 und, zum Zusammenhang zwischen dieser Gründung und der Herstellung philosophischer Texte, Rashed 2002, 713–717 (= 2007, 533–537). 153  Vgl. hierzu den Überblick bei Westerink 1986, LXXIII – LXXX . 154  Zur Datierung und Provenienz dieser Handschrift und zu ihrem Verhältnis zur Collection Philosophique vgl. Rashed 2001, 99 mit Hinweisen auf Irigoin 1957 und Brams 1999.



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Zeit in einer kaiserlichen Bibliothek in Vergessenheit geraten zu sein.155

.  Die drei ältesten Handschriften und Michaels ­Kommentar Die uns noch vorliegende direkte Mot. An.-Überlieferung setzt erst mit einem etwas späteren Dokument des im 9. Jahrhundert wiedererwachten philosophischen Interesses ein, nämlich mit dem Parisinus E, der nach Hecquet-Devienne 2000 um 950 n. Chr.156 und damit während der Alleinherrschaft des vielseitig gebildeten Kaisers Konstantinos VII. Porphyrogennetos (945–959) entstanden ist. Stemmatisch gesehen ist mit dem Parisinus E einer von zwei direkten Nachfahren des Hyparchetypus α erhalten, während es sich bei dem anderen Nachfahren um den verlorenen Stammvater γ aller übrigen unabhängigen α-Handschriften handelt. Wenn wir Wilhelms Erstvorlage Γ zu Recht dem heute verlorenen Teil des Vindobonensis J zuweisen, dann muss sich die δ-Gruppe, zu der Γ gehört, bereits im 9. Jahrhundert vom γ-Zweig abgespalten haben.

155  Westerink 1990, 123: »Die bisher bekannten Tatsachen lassen sich am besten so erklären, daß die Sammlung sehr bald, vielleicht schon von Anfang an, in eine kaiserliche Bibliothek eingegangen ist, wo sie lange Zeit (möglicherweise sogar bis zur Wiederentdeckung durch Michael Psellos im 11. Jh.) unbemerkt und unbenutzt geblieben ist«. Vgl. ­Westerink 1986, LXXXII speziell zum Damaskios-Codex der Collection, d. h. dem Marcianus gr. 246: »Du Xe siècle jusqu’au milieu du XVe, autant que nous le sachions, le manuscript n’a été ni lu ni copié«. 156  Hecquet-Devienne 2000, 132: »milieu du X e siècle«. Schon Moraux 1967, 23, n. (4) hatte – gegen die in der älteren Forschung vertretenen Datierungen auf den Beginn des 10. oder gar auf das Ende des 9. Jahrhunderts – für eine Datierung des älteren Teils der Handschrift auf die Mitte oder sogar die zweite Hälfte des 10. Jahrhunderts plädiert.

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Der älteste erhaltene Zeuge für den γ-Text ist jedoch der Mot. An.-Kommentar Michaels von Ephesos, dem dieser Text zugrunde liegt und der in Konstantinopel bald nach 1118 auf Anregung der kaiserlichen Prinzessin Anna Komnene entstanden ist.157 Der Kommentar hat ersichtlich großen Einfluss auf die direkte Mot. An.-Überlieferung ausgeübt: Die große Mehrheit aller nach Michael geschriebenen und uns erhaltenen Mot. An.-Handschriften, der ›byzantinische Mehrheitstext‹, folgt nicht nur der Textform von Michaels Vorlage γ, vielmehr enthalten diese Handschriften an schwierigen bzw. korrupt überlieferten Textstellen Verbesserungsversuche, die sich auf Michaels eigene Kommentierung dieser Stellen stützen. Hieraus ergibt sich für die beiden Stammväter aller erhaltenen griechischen γ-Nachkommen – d. h. für ε und für den δ-Nachfahren ζ – als terminus post quem das Jahr 1118. Auf je einen dieser beiden Stammväter gehen die beiden einzigen Mot. An.-Handschriften zurück – Laurentianus C a und Ambrosianus X –, die in der Zeit zwischen der Herstellung des Parisinus E (ca. AD 950) und dem Fall der Hauptstadt Konstantinopel an die Franken (AD 1204) geschrieben wurden. Ein Nachkomme des von Michael beeinflussten Stammvaters ε ist der Laurentianus C a, der nach Nigel Wilsons Nachweis im Konstantinopolitaner Skriptorium des Ioannikios hergestellt wurde, 158 wodurch der Entstehungszeitraum auf die Jahre zwischen 1135 und 1140 eingeschränkt wird.159 Die Abhängigkeit des Stammvaters ε von Michael ergibt sich aus 157 Ediert von Hayduck 1904, 101–131. Den zeitgeschichtlichen Hin­ter­g rund von Michaels Tätigkeit als Aristoteles-Kommentator hat Browning 1962 aus der Grabrede für Anna Komnene des Georgios Tornikes (hier: fol. 29v Zeile 4–12 = ed. Darrouzès 1970, S. 283) erschlossen. 158  Vgl. Wilson 1983, 165. 159  Die präzise Datierung nach Vuillemin-Diem/Rashed 1997, 175– 179 (»Aperçu historique«), hier: 178: »Par conséquent, le travail de Ioannikios remonte probablement aux alentours des années 1135–1140«; vgl. auch Rashed 2001, 132–134.



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dem charakteristischen Sonderfehler, den wir bereits in Abschnitt 2.7 erwähnt haben, nämlich aus der Umstellung des γ-Textes von 698b15–16 (τοῖς μυσὶ τοῖς ἐν τῆι γῆι, ἢ τοῖς ἐν τῆι ἄμμωι πορευομένοις »bei den Mäusen auf der Erde oder bei den Leuten, die im Sand zu wandern versuchen«) zu τοῖς ἐν τῆ γῆ πορευομένοις μυσὶν, ἢ τοῖς ἐν τῆ ἄμμω (»bei den auf der Erde wandernden Mäusen oder bei denen, die es im Sand tun«). Bei dieser sonst unerklärlichen Umstellung hat nun ersichtlich Michaels Kurz-Paraphrase Pate gestanden:160 τοῖς ἐν τῇ γῇ πορευομένοις μυσίν (»bei den auf der Erde wandernden Mäusen«). Vom Stammvater δ, genauer: von seinem bereits von Michael beinflussten Nachfahren ζ, stammt der erstmals von Luigi Torraca 1958 herangezogene Ambrosianus X ab, der im späten 12. Jahrhundert geschrieben wurde. Schon im Ambrosianus, wie dann auch in den späteren ζ-Handschriften, steht die Wiedergabe des schon in Abschnitt 2.5 behandelten ­lückenhaften α-Textes von 700b23–25161 unter dem Einfluss von Michaels Paraphrase.162 Michael hat nämlich den im α-Text dieser Stelle überlieferten, durch Textausfall verstümmelten Folgerungssatz ὥστε καὶ τὸ διανοητόν (»so dass auch das Objekt des diskursiven Denkens«) mehr schlecht als recht zu ἔσται καί τ ι διανοητὸν π ρ ο α ι ρ ε τ ό ν (»auch manches Objekt des diskursiven Denkens wird Entschlussobjekt sein«) geändert bzw. ergänzt. Aus Michaels freier Hinzufügung des Begriffs ›Entschlussobjekt‹ (prohaireton) erklären sich nun die bereits unter 2.7 behandelten entsprechenden Zusätze in 160 

Michael 105,25 Hayduck. Mot. An. 6, 700b23–25, nach dem α-Text: ἡ δὲ προαίρεσις κοινὸν διανοίας καὶ ὀρέξεως· ὥστε [… b24 …] καὶ τὸ διανοητόν. οὐ πᾶν δὲ διανοητόν, ἀλλὰ τὸ τῶν πρακτῶν τέλος. 162  Michael 113,22–26 Hayduck: καὶ ἐπεὶ ἡ προαίρεσις κίνησις δια­ νοίας καὶ ὀρέξεως, ἔ σ τ α ι κ α ί τ ι δ ι α ν ο η τ ὸ ν π ρ ο α ι ρ ε τ ό ν · οὐ γὰρ πᾶν διανοητόν (τὰ γὰρ μαθήματα διανοητὰ μέν, οὐ πρoαιρετὰ δέ), ἀλλ᾽ ὅσων διανοητῶν ἐστι τὸ τέλος πρακτόν (ὡς ἐπὶ τῶν τεχναστῶν καὶ ἄλλων τινῶν), τούτων καὶ τὸ τέλος π ρ ο α ι ρ ε τ ό ν . 161 

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den beiden unmittelbaren Abkömmlingen von ζ, nämlich in θ und ι.163 .  Die ›Frankokratia‹ und die Handschriftensammlung des Nikolaos von Otranto So lagen von den noch heute erhaltenen Mot. An.-Handschriften erst drei vor – E, C a und X –, als im Jahre 1204 durch den sogenannten vierten Kreuzzug das gesamte byzantinische Reich mit Ausnahme dreier griechischer Nachfolgestaaten (Epirus, Nikaia und Trapezunt) einer venezianisch-fränkischen Fremdherrschaft (»Lateinisches Kaiserreich«) unterworfen wurde, die in der Hauptstadt Konstantinopel über ein halbes Jahrhundert lang (1204–1261) andauern sollte. Auf die Mot. An.-Überlieferung hat sich die in der Hauptstadt und damit im bisherigen Zentrum aller höheren Bildung grassierende ›Frankokratia‹ in durchaus ambivalenter Weise ausgewirkt. Einerseits entstand in Konstantinopel wäh­ rend der Besatzungszeit anscheinend keine neue griechische Mot. An.-Handschrift, jedenfalls keine, die uns erhalten wäre. Andererseits aber war es der Mot. An.-Überlieferung förderlich, dass damals auch alte und vorher offenbar nicht allgemein zugängliche Handschriften der Werke des Aristoteles und seiner Kommentatoren – insbesondere auch solche aus der bereits erwähnten Collection Philosophique des 9. Jahrhunderts – aus den Bibliotheken der besetzten Kaiserstadt in die Hände westeuropäischer Gelehrter gelangten, die sie ins Lateinische übersetzten.164 Eine Schlüsselrolle bei diesem 163  θ(NXH a LVg): ἡ δὲ προαίρεσις κοινὸν διανοίας καὶ ὀρέξεως, ὥστε καὶ τὸ π ρ ο α ι ρ ε τ ό ν . οὐ πᾶν δὲ τὸ διανοητὸν π ρ ο ­α ι ρ ε τ ό ν . – ι(Za BpMo): ἡ δὲ προαίρεσις κοινὸν διανοίας καὶ ὀρέξεως, ὥστε καὶ τὸ διανοητὸν οὐ πᾶν π ρ ο α ι ρ ε τ ό ν . 164  Zu den griechisch-lateinischen Aristoteles-Übersetzungen des 12. und 13. Jahrhunderts im Allgemeinen vgl. Brams 2003, Brams 2006, De Leemans et al. 2017.



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Vorgang hat nach neueren Forschungen165 offenbar Nikolaos von Otranto (ca. 1160–1235) gespielt.166 Er gehörte, zunächst als einfacher Mönch (Mönchsname: Nektarios) und seit 1219 als Abt, dem griechischen Kloster Hagios Nikolaos zu Casole an,167 welches in der südostitalienischen Terra d’Otranto und damit auf dem ›Absatz‹ des ›italienischen Stiefels‹ liegt; und er hat in den Jahren 1205–1207 und 1214–1215 im besetzten Konstantinopel zwischen päpstlichen Legaten und Vertretern des dortigen orthodoxen Klerus vermittelt – als Dolmetscher wie als Verfasser theologischer Denkschriften (Tria syntag­mata).168 Es ist nun ausdrücklich bezeugt, dass Nikolaos-Nektarios bei dieser Gelegenheit »ganz Griechenland« nach Handschriften für seine Klosterbibliothek zu Casole durchsuchte, 169 und unter den von ihm mitgenommenen Codices befand sich nachweislich mindestens eine Handschrift aus der Collection Philosophique, nämlich der Simplicius-Codex Marcianus gr. 226.170 Auch die beiden lateinischen Mot. An.-Übersetzungen des 13. Jahrhunderts dürften, wie nun im Anschluss an Isépy 165 

Rashed 2002, Isépy 2016. Zu seinem Lebenslauf vgl. Hoeck/Loenertz 1965, 25–29. 167  Auf die herausragende Bedeutung der Bibliothek dieses Klosters für die Überlieferung der griechischen Literatur hat Wilson 1967, 73–77 (= Harlfinger 1980, 295–299) aufmerksam gemacht. 168  Zu den beiden Reisen des Nikolaos-Nektarios nach Konstantinopel vgl. Hoeck/Loenertz 1965, 30–62; zu den Tria syntagmata ebenda 88–105. 169  Der salentinische Humanist Antonio de Ferrariis (1448–1517), genannt Galateo, schreibt in seiner Landeskunde von Apulien über die Bucherwerbungen des Nikolaos-Nektarios für das Kloster Casole folgendes (De situ Iapygiae 8,9; Defilippis 2005, 36): »Hic sumptui minime parcens quos per universam Graeciam invenire potuit librorum omnis generis bibliothecam in hoc coenobio congessit«. 170  Der Marcianus gr. 226 enthält von Hause aus den Kommentar des Simplicius zu den Büchern V–VIII der Aristotelischen Physik. Doch im Anschluss an den Simplicius-Text hat eine jüngere Hand nachträglich die Abschrift einer Aristoteles-Vita eingefügt, und bei dieser Hand handelt es sich um die des Nikolaos-Nektarios selbst, wie Rashed 2002, 166 

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2016 zu zeigen ist, auf griechischen Handschriften basieren, die Nikolaos-Nektarios nach Casole verbracht hatte.

. Die Translatio Anonyma und die Paraphrase Alberts des Großen Eine der beiden Übersetzungen (Translatio Anonyma) ist zwar nicht im Worlaut erhalten, doch beruht auf ihr die erhaltene, vor 1260 entstandene Mot. An.-Paraphrase Alberts des ­Großen.171 Von der griechischen Vorlage (A) der Translatio Anonyma wurde später, nämlich gegen Ende des 13. Jahrhunderts, auch eine uns erhaltene Abschrift des griechischen Mot. An.-Textes hergestellt, der Laurentianus Za,172 so dass De Leemans 2011b die Translatio Anonyma durch vergleichende Benutzung der Paraphrase Alberts und des Laurentianus Za weitgehend rekonstruieren konnte. Da der Laurentianus Z a nun aber im Kloster Casole geschrieben wurde,173 muss sich im 696–706 (= 2007, 516–526) bewiesen hat. Hajdú/Schreiner 2013, 37 bieten eine aktualisierte Zusammenstellung der identifizierten Autographa des Nikolaos-Nektarios, der sie selbst noch den Monacensis gr. 262 hinzufügen. 171  Albertus Magnus, De principiis motus processivi; nach dem erhaltenen Autograph – Köln, Historisches Archiv, Bestand 7010 (Handschriften (Wallraf)), 258A, fol. 339v–350v – ediert von Stadler 1909 und von Geyer 1955. Eine deutsche Übersetzung mit Einleitung wurde von Wetzelsberger/Anzulewicz 2014 vorgelegt. Zur Entstehungszeit vgl. Isépy 2016, 133–135. 172  Die enge Verwandtschaft zwischen Laur. Plut. 87.21 (Z a) und der Translatio Anonyma wurde von De Leemans 2011b, LXI – LXVI erkannt; die Präzisierung (Laur. Plut. 87.21 als Abschrift der Vorlage A der Translatio Anonyma) macht Isépy 2016, 164–195 wahrscheinlich. 173  Der Laur. Plut. 87.21 (Z a) wurde zur Gänze von einem Schreiber hergestellt, dessen Hand einen für die Terra d’Otranto typischen Duktus zeigt; die Handschrift enthält zudem neben mehreren Aristotelica auch eine (durch Lagenverlust fragmentierte) Abschrift der bereits erwähnten Tria syntagmata des Nikolaos-Nektarios, und als Vorlage die-



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13. Jahrhundert auch seine Vorlage A dort befunden haben, so dass auch die ebenfalls auf A beruhende Translatio Anonyma im Kloster Casole hergestellt worden sein dürfte.174 Vor diesem Hintergrund wird auch Alberts eigenhändig überlieferte Angabe des Ortes verständlich, an dem er die Translatio Anonyma fand: »in campania iuxta greciam«.175 Das Kloster Casole liegt nämlich an der Ostküste der Terra d’Otranto, die von Albanien/Griechenland lediglich durch die Straße von Otranto getrennt wird. Diese Meerenge ist an der engsten Stelle nur ca. 71 km breit, so dass der Hafen von Otranto im Mittelalter zur Überfahrt nach und von Griechenland besonders gern genutzt wurde: Eben auf die unter allen Regionen Italiens vollkommen singuläre Nähe der Terra d’Otranto zum griechischen Mutterland ist offenbar der Zusatz ›iuxta greciam‹ (»ganz nah bei Griechenland«) gemünzt. Demnach ist der Ausdruck ›campania‹ im ersten Teil von Alberts Angabe keinesfalls schon für sich allein, aus eigener Kraft, ein spezifisches Toponym,176 das dann soviel bedeuten müsste wie ›Kampanien‹: Kampanien liegt bekanntlich an der Westküste Italiens und deshalb ge-

ser Abschrift konnte Isépy 2016, 155–163 dessen erhaltenes Autograph (Vat. Pal. gr. 232) erweisen. 174  Da wir A mit Isépy 2016 nicht nur für einen Verwandten, sondern geradezu für die Vorlage von Z a halten, urteilen wir auch hinsichtlich der Lokalisierung von A in Casole noch etwas zuversichtlicher als De Leemans et al. 2017, 128: »Der unbekannte Übersetzer bediente sich einer griechischen Vorlage, die mit Hs. Firenze, Bibl. Laurenziana, 87.21 (Z a) verwandt ist und die er im Kloster Hagios Nikolaos in Casole gefunden haben könnte«. 175  Alberti Magni liber de principiis motus processivi, p. 48,69–71 Geyer: »postea in campania iuxta greciam nobis agentibus pervenit ad manus nostras libellus Aristotelis de motibus animalium«. Die von Geyer eingeführten normierten Schreibungen ›Campaniam‹ (mit großem Anfangsbuchstaben) und ›Graeciam‹ (mit großem Anfangsbuchstaben und ›ae‹) haben wir nach f. 340r des Kölner Autographs korrigiert. 176  Die auf dieser Voraussetzung basierenden Deutungsmöglichkeiten diskutiert De Leemans 2000, 174–178.

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rade nicht ›iuxta greciam‹.177 Vielmehr verwendet Albert die Bezeichnung ›campania‹ nach mittellateinischem Sprachgebrauch als Gattungsbezeichnung (Appellativum) in der Bedeutung ›Territorium, das zu einer Stadt gehört‹,178 zu welchem erst noch eine nähere Bestimmung (differentia specifica) hinzugefügt werden muss, wenn es als Toponym fungieren soll: So geht der Name der französischen Grafschaft ›Champagne‹ auf die schon von Gregor von Tours verwendete Bezeichnung ›Remensium campania‹ (»das Territorium von Reims«) zurück.179 Als eine solche differentia specifica dient in unserem Fall ›iuxta greciam‹: Kraft dieses Zusatzes ist die von Albert geprägte Bezeichnung »campania iuxta greciam« (»das Territorium ganz nah bei Griechenland«) als eine Art Toponym für das Territorium der staufischen Provinz von Otranto aufzufassen.180 Dass Albert »in campania iuxta greciam« und nicht etwa »in 177  Nigel Wilson hat deshalb brieflich die Frage aufgeworfen, ob man ›campania‹ nicht womöglich als Flüchtigkeitsfehler Alberts betrachten und zu ›calabria‹ emendieren sollte, der antiken Bezeichnung für die Terra d’Otranto. Indessen haben die Byzantiner im 7. Jahrhundert n. Chr. die beiden Teile Süditaliens, die ihnen damals nach der 568 n. Chr. eingeleiteten langobardischen Landnahme in Italien noch verblieben waren, nämlich das antike Calabria (= Terra d’Otranto) und das antike Bruttium (die ›Spitze‹ des italienischen ›Stiefels‹), zu einem einzigen Verwaltungsbezirk namens Calabria (bzw. Καλαβρία) zu­ sammengefasst, und vom Ende des 8. Jahrhunderts an bis zum heutigen Tag wird nur mehr das antike Bruttium ›Calabria‹ genannt; vgl. Schipa 1940 und dazu Engel 21979, S. 6, Karten b) und c), S. 14, Karte a), S. 18, Karte a) und S. 32, Karte b). 178  Lehmann/Stroux 1999, Sp. 127–128 s. v. campania 2: »territorium (plerumque planum) civitatis – (meist ebene) Umgebung einer Ortschaft, Weichbild«. 179  Niermeyer/v. d. Kieft 22002, 161–162 s. v. campania 2. 180  Für diese Provinz ist um die Zeit von Alberts erstem Italienaufenthalt (AD 1256) die Bezeichnung ›terra Idrunti‹ bezeugt (Ital. Otranto < lat. Hydruntium < gr. Ὕδρους); vgl. Regesta Imperii V, 1, 2 (Böhmer/ Ficker 1882, 857): Manfred / AD 1255 / Zug nach Terra d’Otranto = »versus terram Idrunti«.



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campania Idruntinorum« schrieb, dürfte neben der leichteren Verständlichkeit auch der Erhöhung seiner Glaubwürdigkeit gedient haben: Die Nähe der Terra d’Otranto zum eigentlichen Griechenland macht die kühne Behauptung plausibel, dass Albert in jener Gegend auf die lateinische Übersetzung einer Schrift des Aristoteles stieß, die in der im 13. Jahrhundert maßgeblichen arabischen Zusammenstellung der biologischen Traktate des Aristoteles in 19 Büchern, die Michael Scotus unter dem Titel ›De animalibus‹ ins Lateinische übersetzt hatte, nicht enthalten war. Der nach Casole verbrachte Text von A, wie er aus der Translatio Anonyma und dem Laurentianus Za zu erschließen ist, repräsentiert eine Form des bereits von Michaels Kommentar beeinflussten byzantinischen Mehrheitstextes, so dass A selbst nicht vor der Mitte des 12. Jahrhunderts entstanden sein dürfte.

.  Wilhelm von Moerbeke und der Codex Vindobonensis phil. gr. 100 (J) Die zweite lateinische Mot. An.-Übersetzung181 – sie ist in 168 Handschriften überliefert182 – wurde von dem Dominikaner Wilhelm von Moerbeke (ca. 1215–1286)183 auf einer für 1260 bezeugten Reise in die byzantinische Exil-Hauptstadt Nikaia (in Kleinasien) und nach Theben erarbeitet,184 und zwar aufgrund seiner beiden von De Leemans 2011a nachgewiesenen Vorlagen Γ und Γ, die je einen unserer beiden Überliefe181  Erstmals ediert von Geyer 1955 (in einem apparatus specialis seiner Edition von Alberts Paraphrase), dann erneut von Torraca 1958 und schließlich von De Leemans 2011a. 182  Vgl. das Verzeichnis bei De Leemans 2011a, XXX–XL . 183  Zu den im Folgenden erwähnten Stationen von Wilhelms Lebensweg vgl. den Überblick bei De Leemans et al. 2017, 121–122. 184  Zur Chronologie von Wilhelms Übersetzertätigkeit vgl. die Über­ sicht bei Brams 2006, 106 und die Wilhelm betreffenden Einträge in der großen Übersicht bei Brungs et al. 2017, 95–109.

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rungszweige α und β repräsentieren. Dabei war Wilhelms griechische Hauptvorlage Γ offenbar im heute größtenteils verlorenen 2. Teil des Vindobonensis phil. gr. 100 (J) enthalten,185 von dem wir bereits festgestellt haben, dass er im 9. Jahrhundert geschrieben und bald darauf der Collection Philosophique eingegliedert worden war. Der Vind. phil. gr. 100 in seinem heutigen Bestand186 stellt nämlich nur den 1. Teil eines ursprünglich umfangreicheren Codex dar, dessen 2. Teil die biologischen Schriften enthielt, wie ein erhaltenes, von derselben Hand stammendes Fragment (»W«) mit einem Textstück aus Hist. An. VI zeigt.187 Wie nun der uns erhaltene 1. Teil des Vind. phil. gr. 100 seit 1260 nachweislich Wilhelms wichtigste Vorlage für die Bearbeitung der darin enthaltenen Aristotelica gewesen ist,188 so hat Wilhelm den 2. Teil dieses Vindobonensis für seine 1261–1262 entstandene Übersetzung der Historia Ani­malium benutzt.189 Die Position aber, die 185 

Zum Folgenden vgl. Isépy 2016, 242–254. 1r–55v: Phys. / 56r–86r: Cael. / 86v–102r: Gener. Corr. / 102v–134r: Mete. / 134v–137v: Theophrast, Metaphysik / 138r–201v: Meta­ph. α – N. 187  Das versprengte Doppelblatt, das heute die Folien 13–14 des Par. suppl. gr. 1156 bildet, enthält auf fol. 13r–v den Text von Hist. An. VI, 567a10 – 569 a1 (ὑποχωροῦ-); sowie auf fol. 14r–v die Zeilenanfänge (recto) bzw. -enden (verso) von 569 a1 (-σαν τίκ) – 570b28 (θέρους). Andererseits wurde durch eine Beobachtung von Vuillemin-Diem 1982, 120, Anm. 22 außer Zweifel gestellt, dass auf den erhaltenen 1. Teil des Vindobonensis unmittelbar die Hist. An. folgte: Auf der ursprünglich letzten Seite des 1. Teils (f. 201v) ist nach dem Ende des Metaph.-Textes eine schematische Darstellung der ersten Sätze von Hist. An. erhalten; vgl. dazu im Tafelteil von Isépy 2016 die Abb. 11. 188  Brams 2006, 108. Zur Metaphysik vgl. Vuillemin-Diem 1982 mit dem wichtigen Korrekturzusatz auf S. 208 und Vuillemin-Diem 1987, zur Physik Brams/Vuillemin-Diem 1986, 252–257. 189  Dies hat Berger 2005, 182–186 auf Grund des bereits erwähnten, aus dem 2. Teil des Vindobonensis J stammenden Fragments W (Hist. An. VI, 567a10–570b28) gezeigt; als Zweitvorlage Wilhelms hat sie den Laur. Plut. 87.4 (C a) erwiesen. Als weniger plausibel erscheint 186  Folien



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dem 2. Teil des Vindobonensis bzw. Wilhelms Übersetzung in Bergers Stemma von Hist. An. zukommt,190 korrespondiert genau der Position, die Wilhelms Mot. An.-Hauptvorlage Γ im γ-Zweig unseres neuen Stemmas von Mot. An. einnimmt;191 demnach wird Wilhelm seine Vorlage Γ gleichfalls im 2. Teil des Vind. phil. gr. 100 gefunden haben.

.  Wilhelm von Moerbeke und das Kloster Casole Wie die Vorlage A der Translatio Anonyma scheint sich nun auch Wilhelms Vorlage Γ (bzw. der sie damals noch enthaltende Vind. phil. gr. 100) vor ihrer Benutzung durch Wilhelm im Kloster Casole befunden zu haben.192 Wilhelms Mot. An.-Übersetzung setzt nämlich an einigen Stellen griechische Sonderlesungen seiner Hauptvorlage Γ voraus, die in der Translatio Anonyma bzw. im Laur. Plut. 87.21 (Za) wiederkehren und die mithin schon in deren gemeinsamer griechischer Vorlage A gestanden haben,193 zum Teil in erkennbar sekundärer Form.194 An irgendeinem Ort muss der zweite Teil des Vind. phil. gr. 100 (Γ) demnach zum Studium der Handschrift A hinzugezogen worden sein, bevor die dabei aus Γ die von Beullens/Bossier 2000, LXXX– LXXXIII getroffene Annahme, dass Wilhelm für Hist. An. nur eine einzige, bereits recht kontaminierte Vorlage benutzt habe (die dann nicht erhalten wäre). 190  Berger 2005, 201. 191  Die Gesamtüberlieferung von Hist. An. entspricht dem γ-Zweig der Mot. An.-Überlieferung, wie die Adaptation von Bergers Stemma bei Isépy 2016, 252 deutlich macht. 192  Zum Folgenden vgl. Isépy 2016, 258–276. 193  De Leemans 2011a, CCVII – CCXI ; Isépy 2016, 221–226. 194  Speziell zu Mot. An. 11, 703b 34 muss in Γ ein Vorschlag Michaels von Ephesos (130,23 Hayduck) zur Verbesserung der in der Tat korrupt überlieferten Diagrammbeschreibung am Rande gestanden haben, den Wilhelm in seiner Übersetzung korrekt (d. h. im Sinne Michaels) umgesetzt hat, während ein Korrektor von A den Unterschied

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nach A gelangten Lesungen in die Translatio Anonyma übernommen wurden, d. h. vor 1260. Nun haben wir aber bereits gesehen, dass Nikolaos-Nektarios zwischen 1207 und 1215 die damals noch recht junge Vorlage A nach Casole mitgenommen hat, so dass jedenfalls in der Zeit zwischen 1207/1215 und 1260 eine solche gemeinsame Benutzung von A und Γ nur in Casole stattgefunden haben kann. Es liegt nahe, dieses Zusammentreffen mit der Annahme zu erklären, dass Nikolaos, neben A, auch den aus dem Umkreis der Collection Philosophique stammenden Vind. phil. gr. 100 nach Casole gebracht hatte, da eben dies, wie wir sahen, für mindestens ein weiteres Manuskript aus der Collection Philosophique, nämlich den Simplicius-Codex Marcianus gr. 226, bereits gesichert ist.195 Demnach wäre Wilhelm nicht erst, wie Vuillemin-Diem meinte, an seinem Reiseziel Nikaia in den Besitz des Vindobonensis gelangt,196 sondern bereits in Casole, d. h. zwischen dem von Michael vorgeschlagenen Zusatz zum Aristotelestext (οὐκέτι) einerseits und Michaels Formulierung dieses Vorschlags (λείπει τὸ »οὐκέτι«) andererseits verkannt und verwischt haben muss, wie die gleichermaßen sinnlose Textform der beiden Nachfahren von A (Translatio Anonyma und Laur. Plut. 87.21 [Z a]) zeigt. Hierdurch wird Γ als Quelle einer Annotation von A erwiesen; vgl. Isépy 2016, 222. 195  Für die Annahme, der Vind. phil. gr. 100 sei in Konstantinopel bereits vor 1204 aus der kaiserlichen Bibliothek, in der die alte Collection Philosophique nach Westerinks Vermutung verborgen war, hervorgezogen worden, so dass er bereits dort, nach der Herstellung von A in der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts, gemeinsam mit A hätte studiert werden können, fehlt jeder Anhaltspunkt. 196  Vgl. Vuillemin-Diem 1987, 481–482, der es jedoch nicht gelungen ist, ihre Annahme plausibel zu machen: Selbst angenommen (nicht zugestanden!), dass die Laskariden 1204 bei ihrer überstürzten Flucht aus Konstantinopel einige Handschriften der Collection Philosophique ins Exil nach Nikaia mitgenommen haben – warum hätte man dann 1260, im freien Nikaia und kurz vor der Vertreibung der fränkischen Besatzer aus Konstantinopel, einen dieser codices vetustissimi ohne Not einem fränkischen Dominikanermönch übereignen sollen?



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bevor er sich, wohl im nebenan gelegenen Otranto, nach Griechenland einschiffte. Als Wilhelm von dieser Griechenlandreise spätestens 1267 wieder nach Italien zurückkehrte und sich an die päpstliche Kurie zu Viterbo begab, wo er bis 1277 blieb, muss er jedenfalls den 1. Teil der Handschrift mit sich geführt haben: In dieser Zeit ließ er, womöglich bei einem erneuten Besuch im Kloster Casole, den im Vind. phil. gr. 100 ausgefallenen Anfang von Metaph. α auf einem ursprünglich selbständigen Doppelblatt aus seinem Besitz197 durch einen in der Terra d’Otranto arbeitenden Schreiber ergänzen.198 Als Wilhelm dann 1278 zum lateinischen Bischof von Korinth ernannt wurde, hat er die Handschrift wohl endgültig wieder nach Griechenland gebracht;199 jedenfalls hat sich ihr 1. Teil seit dem letzten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts – d. h. bald nach Wilhelms 1286 eingetretenem Tode – in Konstantinopel befunden, wo er als Vorlage für eine Abschrift von Aristoteles’ De Caelo verwendet wurde. 200 Um 1300 wurde auf dem ersten Blatt von Wilhelms Doppelblatt auch noch der gleichfalls ausgefallene Schluss der Theophrastischen Metaphysik nach­ 197  Nach Isépy 2016 war vor der Einfügung des Doppelblatts im 1. Teil des Vindobonensis (seither: fol. 137r–138v) nur der Rand der Rückseite seines ersten Blattes beschriftet gewesen: Bei dieser Beschriftung handelt es sich nach Vuillemin-Diem 1989 um ein von Wilhelm eigenhändig geschriebenes Verzeichnis der Werktitel des Corpus Hippocraticum, das Wilhelm aus dem damals in Messina befindlichen Vaticanus gr. 276 kopiert hatte, also nach seiner Rückkehr in den Westen. 198  Auf fol. 138r–v, d. h. auf dem zweiten Blatt des Doppelblattes. Zur Lokalisierung der Hand in der Terra d’Otranto, d. h. im Umkreis von Casole, und zu ihrer Datierung in das letzte Drittel des 13. Jahrhunderts vgl. das Urteil von André Jacob bei Vuillemin-Diem 1989, 168–169. 199  Im Februar 1280 hat er sich nachweislich in Korinth aufgehalten; vgl. Brams 2006, 106. 200  Bei dieser Abschrift handelt es sich um den Marcianus H a , der nach Rashed 2001, 250 »in den allerletzten Jahren des 13. Jhs., etwa zwischen 1290 und 1303, möglicherweise um 1300, angefertigt worden« ist. Zur stemmatischen Stellung des Marcianus Ha vgl. jetzt Brockmann/ Lorusso 2014, 88–92 mit weiterer Literatur.

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getragen, und zwar von einer ostgriechischen Hand, d. h. nach aller Wahrscheinlichkeit ebenfalls in Konstantinopel. 201 So scheint der im 9. Jahrhundert geschriebene Vind. phil. gr. 100 nach langer Verborgenheit erst dadurch wieder wirkungsmächtig geworden zu sein, dass er von Nektarios nach 1204 nach Casole gebracht wurde und dort gegen Ende der fünfziger Jahre in Wilhelms Hand gelangte, und er scheint dadurch wirkungsmächtig geblieben zu sein, dass Wilhelm ihn nach erfolgter Auswertung 1278 zurück in den griechischen Osten brachte. Etwas Ähnliches trifft nun offenbar auch auf Wilhelms Mot. An.-Korrekturvorlage Γ zu, die einen β-Text bot und damit, wie wir sahen, auf eine gesonderte Transliteration des 9. Jahrhunderts zurückgeht. Zwar hat der β-Text, im Gegensatz zu Wilhelms Hauptvorlage Γ, bereits vor 1204 eine vereinzelte Spur hinterlassen. 202 Doch erst in Wilhelms 1260 201  Fol. 137r–v. Die ostgriechische Hand der Theophrast-Ergänzung wurde von Paul Moraux ins 14. Jahrhundert und von André Jacob »instinktiv auf kurz vor oder nach 1300« datiert; vgl. Vuillemin-Diem 1989, 167–168, n. 91. Vuillemin-Diem selbst glaubte sich zu einer Frühdatierung vor 1260 gezwungen, weil sie es für selbstverständlich hielt, dass erst nach der (ostgriechischen) Beschriftung des Hauptteils der Seiten 137r–v mit dem Theophrast-Schluss das (von Wilhelm nach seiner Rückkehr nach Italien kopierte) Hippokrates-Verzeichnis am Rand von fol. 137v eingefügt worden sein könne: So verfiel sie auch auf die Folgerung, dass Wilhelm im Jahre 1260 erst in Nikaia in den Besitz des Vindobonensis gelangt sein könne. Doch inzwischen hat Isépy 2016, 262–263 (mit Abb. 9 im Tafelteil) gezeigt, dass es sich genau umgekehrt verhält: Die Zeilenanfänge des Theophrast-Schlusses passen sich dem am Rand bereits vorhandenen Hippokrates-Verzeichnis an. Damit hat sich die forcierte Frühdatierung des Theophrast-Schlusses ebenso erübrigt wie die Annahme, dass man im freien Nikaia dem feindlichen Mönch Wilhelm einen codex vetustissimus des 9. Jahrhunderts geschenkt hätte. 202 Die von Nektarios nach Casole verbrachte und mithin wohl schon vor 1204 geschriebene Vorlage A gehört in eine Untergruppe des γ-Zweigs – in unserem Stemma: ι –, deren Stammvater eine schwache Kontamination mit β-Lesungen aufwies.



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ent­stan­dener Mot. An.-Übersetzung ist Γ in seiner Selbständigkeit erkannt und entsprechend ausgewertet worden, um danach auch in Konstantinopel, wie wir gleich noch näher zeigen werden, breiteres Interesse zu finden und eine seit ca. 1280 zu belegende, bis zum Zusammenbruch von 1453 anhaltende Wirkung zu entfalten. Eine einfache Erklärung für diesen Befund würde die Hypothese liefern, dass – neben dem noch vollständigen Vindobonensis J (Γ) und der Vorlage A – auch Γ nach 1204 von Nektarios aus Konstantinopel nach Casole verbracht worden war, dort 1260 in die Hände Wilhelms gelangte, von diesem auf seinen Reisen mit sich geführt, ausgewertet und 1278 endgültig zurück in den griechischen Osten gebracht wurde.

.  α-Text und β-Text in der Überlieferung der ­Palaiologenzeit Nach der im Jahre 1261 durch einen Handstreich geglückten Befreiung Konstantinopels von fränkischer Besatzung setzt die sogenannte ›Palaiologische Renaissance‹ der byzantinischen Kultur ein und mit ihr die Produktion der verbleibenden 14 unter den insgesamt 17 noch heute erhaltenen unabhängigen Mot. An.-Handschriften. 203 Nun wird der Hyparche­ typus α unserer Überlieferung bereits durch drei vor 1204 entstandene Handschriften vollständig repräsentiert – auf der einen Seite der α-Überlieferung durch den Parisinus E, auf ihrer anderen Seite durch Ambrosianus X und Laurentianus C a, die je eine der beiden Hälften (δ und ε) des γ-Zweiges vertreten. Demgegenüber liegt das wichtigste Novum der Mot. An.-Überlieferung in der Palaiologenzeit darin, dass uns vom Anfang des 14. Jahrhunderts erstmals ein direkter, 203  Das Verständnis des Folgenden wird durch das am Ende des v­ orliegenden Bandes mitgeteilte, ausklappbare stemma codicum erleichtert.

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wenn auch kontaminierter Nachkomme des Hyparchetypus β erhalten ist, nämlich der Parisinus b.204 Mehr noch: In den letzten Jahren vor dem Fall der Hauptstadt Konstantinopel an die Türken (nämlich zwischen ca. 1440 und 1453) sind dort sogar zwei gänzlich unkontaminierte Zeugen eines reinen β-Textes geschrieben worden: Berolinensis Be und Erlangensis Er. Von diesen insgesamt drei β-Handschriften gehen zwei, der Parisinus b und der Erlangensis Er, auf Wilhelms Korrektur-Vorlage Γ zurück, 205 deren Rückkehr nach Konstantinopel gegen Ende des 13. Jahrhunderts einen neuen Impuls zur Verbreitung des β-Textes gegeben zu haben scheint. Hingegen kann man sich beim Studium des Berolinensis Be aufgrund seiner oben unter 2.7 bereits erwähnten unbeholfenen Worttrennung und Akzentuierung des Eindrucks nicht erwehren, dass hier angesichts des absehbaren Falls der Hauptstadt in letzter Minute versucht worden ist, den Inhalt eines unkorrigierten Transliterationsprodukts aus dem 9. Jahrhundert mit peinlicher Sorgfalt zu konservieren – womöglich für einen gelehrten Auftraggeber aus Westeuropa. Die der Forschung durch diese drei Handschriften nunmehr eröffnete Kenntnis des β-Textes von Mot. An. lässt die übrigen nach 1261 geschriebenen unabhängigen Mot. An.-Handschriften, die alle im Wesentlichen die γ-Fassung des α-Textes überliefern, in einem neuen Licht erscheinen. Diese Handschriften lassen sich jetzt nämlich nach einem einfachen, bisher unverfügbaren Kriterium gliedern: nach Vorhandensein, Art und Ausmaß von β-Elementen in ihrem α-Text. Wir betrachten zunächst die Nachfahren des oben unter 2.7 schon erwähnten Stammvaters ζ, der dem γ-Zweig angehört und bereits unter dem Einfluss von Michaels Kommentar steht. Frei von jeder Beeinflussung durch den β-Text sind hier die Mitglieder der Untergruppe θ, der schon der noch vor 1204 entstandene und

204  205 

Die Datierung nach Rashed 2001, 110 mit Anm. 2. Isépy 2016, 83–97.



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oben bereits genannte Ambrosianus X ange­hört.206 Hingegen haben die Mitglieder der Untergruppe ι, zu der schon die Vorlage A der Translatio Anonyma gehörte, naturgemäß die Anzeichen des sporadischen β-Einflusses bewahrt, der vor 1204 ihren Stammvater ι getroffen hatte. 207 Vor allem aber findet sich in einer dieser Handschriften, dem in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts von Ioasaph geschriebenen Vaticanus gr. 1339 (P), 208 vom sechsten Kapitel an eine Anzahl weiterer wichtiger β-Lesungen, die wohl in einer Zwischenvorlage vermerkt waren und von Ioasaph in den Text von P übernommen wurden. Ganz anders als um die Nachkommen von ζ steht es um die von η. Die verlorene Handschrift η selbst enthielt nämlich von Hause aus einen β-Text, war aber, wie oben unter 2.6 dargetan, an nahezu allen inhaltlich wichtigen Stellen mit α-Lesungen annotiert worden, wobei als Quelle dieser α-Lesungen der zweite Stammvater innerhalb des γ-Zweiges, d. h. ε, erwiesen werden konnte, auf den auch der weit vor 1204 geschriebene Laurentianus C a zurückgeht. Die zahlreichen in η vermerkten ε-Lesungen sind in seinen Nachfahren dann in den Text gelangt, und zwar in weitgehend, aber nicht vollkommen übereinstimmender Auswahl. In der Palaiologenzeit nach 1261 sind auch einige Mot. An.Para­phra­sen entstanden; 209 die letzte von ihnen womöglich erst nach dem Zusammenbruch von 1453, d. h. bereits unter

206  θ-Handschriften: Marcianus H a (1290–1300), Vaticanus N (ca. 1300), Vaticanus L (ca. 1300), Vaticanus Vg (frühes 14. Jh.). 207  ι-Handschriften: Laurentianus Z a (um 1300 in Casole geschrieben), Vaticanus P (zweite Hälfte 14. Jh.), Berolinensis Bp (ca. 1455), Mosquensis Mo (Mitte 15. Jh.). 208  In der Datierung wie in der Identifikation des Kopisten folgen wir Harlfinger 1971, 251–255. 209  Nämlich von Theodoros Metochites (1269/1270–1332; Vaticanus gr. 303) und von Georgios Pachymeres (Philosophia, um 1300, Cod. Hamilton 512 [= Berolinensis gr. 408]).

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türkischer Besatzungsherrschaft; 210 dasselbe gilt auch für die beiden spätesten unabhängigen Mot. An.-Handschriften, Berolinensis Bp und Mosquensis Mo, die beide auf ca. 1455 datiert werden. Aufs Ganze gesehen scheint die Tradierung bzw. Nicht-­ Tradierung, die dem α-Text und dem β-Text in den einzelnen Phasen der mittelalterlichen Überlieferungsgeschichte (zwischen 850 und 1450) jeweils zuteil wurde, durch vier Faktoren reguliert worden zu sein: (i) um die Mitte des 9. Jahrhunderts durch die Wiederbelebung philosophischer Studien in Kon­ stan­tinopel, insbesondere durch die Gründung der Schule in der Magnaura; (ii) bald nach 1118 durch die von der Prinzessin Anna Komnene veranlasste und von Michael v. Ephesos vorgenommene Kommentierung der Schrift; (iii) im 13. Jahrhundert während der ›Frankokratia‹, d. h. der fränkischen Besetzung Konstantinopels, durch die vorübergehende Verbringung der ältesten damals vorhandenen Handschrifen beider Überlieferungszweige in die südostitalienische Terra d’Otranto bzw. durch ihre Rückführung nach Konstantinopel nach 1286, (iv) in den vierziger Jahren des 15. Jahrhunderts, angesichts des sich abzeichnenden Falls der Hauptstadt an die Türken, durch das Bestreben, den Inhalt der ältesten dort aufbewahrten Handschriften zu sichern.

. Examinatio : Zum textkritischen Ertrag der Neuedition Von den 120 Stellen, an denen der hier vorgelegte neue Mot. An.-Text von dem von Nussbaum 1978 edierten Text in relevanter Weise abweicht, 211 können im Rahmen der vorlie210  Sie stammt von Gennadios Scholarios, dem ersten von der türkischen Besatzungsmacht eingesetzten ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel (Vat. gr. 115). 211  Eine Zusammenstellung der 120 Neuerungen findet sich am Ende des vorliegenden Kapitels 4.



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genden Einleitung nur ausgewählte Beispiele eingehend textkritisch behandelt werden. Wir stellen zunächst die vier Textstellen vor, auf die wir seinerzeit auf dem Mot. An. gewidmeten XIX. Symposium Aristotelicum (München 2011) die These gestützt haben, dass der neuidentifzierte Hyparchetypus β nicht nur »einen selbständigen Beitrag zur Textgeschichte von Mot. An. leistet«, 212 sondern auch und vor allem einen herausragenden Beitrag zur Verbesserung des Textes selbst. An allen vier Textstellen trägt der neue Hyparchetypus wesentlich zur Lösung von notorischen Textproblemen bei, und zwar jeweils auf ganz verschiedene Weise: a) An der ersten Stelle hat β eine überlegene Lesung ans Licht gebracht, von der sich dann im Nachhinein herausstellte, dass sie ursprünglich auch in unserem codex vetustissimus gestanden hat, d. h. im Parisinus E, dort aber ausradiert und überschrieben wurde. b) An der zweiten Stelle hat β eine überzeugende Emendation bestätigt, die erst 1989 von Bernd Manuwald vorgeschlagen worden war. c) An der dritten Stelle hat β eine tadellose, nirgends sonst überlieferte und zuvor niemals erwogene Lesung geliefert. d) An der vierten Stelle schließlich hat β es ermöglicht, eine komplexe Textverderbnis auf zwei verschiedene Textausfälle zurückzuführen: Hier liegt einerseits ein auf den Hyparchetypus α beschränkter Ausfall eines Wortes vor, der dank β nunmehr leicht korrigiert werden konnte, andererseits ein bald darauf folgender, etwas größerer Textausfall, der schon auf den Archetypus zurückgeht und deshalb von β geteilt wird, zu dessen Behebung aber die Korrektur des ersten Fehlers den Weg bereitet hat. 212  So viel hatte bereits De Leemans 2011a, CLXXXII für die von ihm abgegrenzte Handschriftengruppe ­BebErTp in Anspruch genommen: »Four of these (BebErTp) appear to make an original contribution to the text history of De motu animalium and provide information about the Greek manuscript that Moerbeke used to revise his translation«.

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Abschließend (4.5) behandeln wir einen der oben im Abschnitt 2.4 aufgelisteten Fehler, die nach ihrem gesamten Umfang ­bereits im Archetypus vorlagen, so dass auch der neu gewonnene Hyparchetypus β keinen Beitrag zur Behebung des Fehlers leisten kann: Diese (sehr seltenen) Fälle sind die eigentlichen Bewährungsproben der Konjekturalkritik.

.  Mot. An. 2, 698 b12–17: Mäuse im Pech Die Stelle wurde von Bekker 1831 in der folgenden, nach heutiger Kenntnis erst auf den Stammvater γ zurückgehenden Form ediert: ὥσπερ γὰρ καὶ ἐν |13 | αὐτῶι δεῖ τι ἀκίνητον εἶναι, εἰ μέλλει κινεῖσθαι, οὕτως ἔτι |14 | μᾶλλον ἔξω δεῖ τι εἶναι τοῦ ζώιου ἀκίνητον, πρὸς ὃ ἀπε­ρ ει |15 | δό­ μενον κινεῖται τὸ κινού­μ ενον. εἰ γὰρ ὑποδώσει ἀεὶ, οἷον τοῖς |16 | μυσὶ τ ο ῖ ς ἐ ν τ ῆ ι γ ῆ ι , ἢ τοῖς ἐν τῆι ἄμμωι πορευομέ­νοις, οὐ |17 | πρόεισιν· |12 |







  





Denn genau wie auch innerhalb von ihm etwas unbewegt sein muss, wenn es sich bewegen soll, so muss in noch höherem Maße außerhalb des Lebewesens etwas unbewegt sein, auf welches gestützt das, was in Bewegung ist, sich bewegt. Denn wenn der Stützpunkt jedesmal nachgibt, wie bei den Mäusen auf der Erde oder bei den Leuten, die im Sand zu wandern versuchen, dann wird man nicht vorankommen.

698b16 μυσὶ γ : ποσὶ E

Aristoteles will zeigen, dass ein stabiler externer Stützpunkt eine notwendige Bedingung der animalischen Ortsbewegung ist. Er veranschaulicht dies durch zwei Beispiele, von denen das zweite unproblematisch ist: Menschen, die auf lockerem Sand zu wandern versuchen, kommen nicht voran. Das erste Beispiel hingegen ist in der Fassung unseres Stammvaters γ unverständlich: Warum sollten Mäuse nicht dazu imstande sein, sich auf dem Erdboden fortzubewegen, wo doch die Erde ge-



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radezu der Inbegriff eines stabilen Untergrundes ist?213 Diese offenkundige Schwierigkeit hat eine ungewöhnliche Zahl von Konjekturen auf den Plan gerufen: Farquharson 1912 n. 2: τοῖς μυσὶ (›Mäuse‹) ἐν τῇ ζειᾷ (›im Getreide‹). – Diels ap. Jaeger 1913a: τοῖς ἑμύσι (›Schildkröten‹) τοῖς ἐν τῇ γῇ (›auf der Erde‹). – Nussbaum 1975 und 1976: τοῖς μυσὶ (›Muscheln‹, Übersetzungsvorschlag von G. W. Owen) τοῖς ἐν πηλῷ (›im Schlamm‹). – Nussbaum 1978: τοῖς ἑμύσι (›Schildkröten‹) τοῖς ἐν πηλῷ (›im Schlamm‹). – In zwei weiteren Konjekturen wurden die beiden Beispiele (›Mäuse‹ und ›Wanderer auf Sand‹) miteinander fusioniert: Platt 1913, 295: τοῖς ποσὶ (›Füße‹, nach der Lesung des Parisinus E) τοῖς ἐν τῇ ἄμμῳ (›auf Sand‹). – Barnes 1980, 224: τοῖς μυσὶ (›Mäuse‹) τοῖς ἐν τῇ ἅλῳ (›auf der Dreschtenne‹).

Doch der neue Hyparchetypus β, hier vertreten durch den Berolinensis Be und den Erlangensis Er, überliefert anstelle des unverständlichen ›auf der Erde‹ (ἐν τῆ γῆι) vielmehr ›im Pech‹ (ἐν τῆι πίττηι). Nach der neuen Lesung bezieht sich das Beispiel auf eine Art von Mausefalle, die uns aus einem beliebten Sprichwort bekannt ist, dessen reiche Überlieferung 214 im 4. Jahrhundert v. Chr. bereits gut 30 Jahre vor der Abfassung von Mot. An. einsetzt:215 In einer um 360 v. Chr. gehaltenen Rede vergleicht der Redner Apollodoros, Sohn des Pasion, den Prozessgegner mit der sprichwörtlichen Maus, die sich von ihrer eigenen Gier in eine Pechfalle locken lässt, in der sie dann feststeckt: Indem sie von dem Pech kostet, versteht sie

213  Vgl. hierzu Barnes 1980, 224: »a resistant medium par excellence«. Der Versuch von Renehan 1994, das Beispiel in seiner von unserem Stammvater γ überlieferten Form als bloß kontrafaktisch zu verteidigen, überzeugt nicht. 214  Behandelt von Romero 2001, 241–245. 215  Ps.-Demosthenes (d. h. Apollodoros, Sohn des Pasion) 50. Rede (Gegen Polykles), 26: ἄρτι μῦς πίττης γεύεται· ἐβούλετο γὰρ Ἀθηναῖος εἶναι.

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den Grund ihres selbstverschuldeten Untergangs. Die lange Reihe der nacharistotelischen Belege beginnt bereits im frühen Hellenismus, mit einem auf die Zeit zwischen 278 und 270 v. Chr. zu datierenden Theokrit-Gedicht. 216 Das Sprichwort, auf das Aristoteles der β-Lesung zufolge anspielt, 217 ist also nachweislich bereits zeitgenössisch, später aber, durch Aufnahme in die Sammlung des Lukillos von Tarrhai, kanonisch geworden. Darüber hinaus stimmt diese Lesung auch vorzüglich zum Aristotelischen Argument. Die Funktion einer solchen Pechfalle besteht nämlich, aristotelisch gesprochen, eben darin, die Maus des externen Stützpunktes ihrer Ortsbewegung zu berauben, und zwar in doppelter Weise: Zunächst versinken die Pfötchen der Maus im Pech, dann aber gibt das Pech die Pfötchen nicht wieder frei, sondern bleibt zäh an ihnen haften und folgt den schwachen Versuchen der Maus, sie herauszuziehen, gewissermaßen auf dem Fuße. Es spricht also alles dafür, dass β hier die Lesung des Andronikos bewahrt hat. 216 

Theokrit 14, 50–51: κεἰ μὲν ἀποστέρξαιμι, τὰ πάντα κεν ἐς δέον ἕρποι. / νῦν δὲ πόθεν; μῦς, φαντί, Θυώνιχε, γεύμεθα πίσσας. – Herondas 2, 62–64: πέπονθα πρὸς Θάλητος ὄσσα κἠν πίσσηι / μῦς· πὺξ ἐπλήγην, ἠ θύρη κατήρακται / τῆς οἰκίης μευ. – Die Sprichwortsammlung des Zenobios in der Fassung des Cod. Parisinus Suppl. 676 (S), ediert von Cohn 1887, 69 (= Lukillos von Tarrhai, Fr. IV Linnen ­kugel): οἱ δέ φασι τὸ ζῶιον ἐμπεσὸν εἰς πίσσαν δεινὰ πάσχειν, καὶ τέλος ἀποθνήσκειν ἀνελθεῖν μὴ δυνάμενον. – Sueton Περὶ βλασφημιῶν VIII 222; Taillardat 1967, 61: Ἁρμόζει δὲ εἰς γέροντας φειδωλοὺς … καὶ ὁ ‘μυσάλμης’, γενόμενος ἐκ τοῦ μυστιλᾶσθαι ἅλμην, ἢγουν ἐκ τῶν εὐτελεστάτων ζῆν· ἦν γὰρ σκεύασμά τι εὐτελὲς, ὃ θαλασσίαν ἅλμην ἐκάλουν. Αὐτὸ δὲ δύναται δηλοῦν καὶ τὸ ἐπιπόνως βιοῦν· παροιμίαν γὰρ τὴν ‘μῦς ἐν πίσσηι’ ἔνιοι ‘μῦς ἐν ἅλμηι’ μεταγράφουσι. – Libanios, Brief 192, 6 (Bd. X , 177,9 Foerster): ἄλλ᾽ ἄρτι δὴ μῦς πίττης. – Niketas Eugenianos, Drosilla und Charikles IV, 408–410 (S. 119–120 Conca): Οὕτως ἐρῶν πᾶς – ὡς ἄφυκτόν τι πόθος – / ἁλίσκεται γὰρ τοῖς Ἔρω­τος δικτύοις, / ὡς μῦς πρὸς ὑγρᾶς ἐμπεσὼν πίσσης χύτραν. 217  Die Vorliebe des Aristoteles für Sprichwörter ergibt sich aus den Belegstellen, die bei Bonitz 1870, 569a60–570b57 zusammengestellt sind (»proverbia ab Ar usurpata vel explicata«).



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Gleichwohl haben wir uns die Frage gestellt, ob ein so bekanntes Sprichwort nicht womöglich auch von einem späteren Gelehrten zur Emendation einer so offensichtlich korrupten Stelle hätte herangezogen werden können. Doch dieses Bedenken wurde durch eine brillante Entdeckung ausgeräumt, die Lutz Koch in unserem codex vetustissimus, dem Parisinus E, machen konnte. Seit der Edition von Bekker 1831 hatte man angenommen, dass der Parisinus E mit dem byzantinischen Mehrheitstext, d. h. mit unserem γ-Zweig, die Lesung ἐν τῆ γῆι teile. Koch aber hat gesehen, dass diese Lesung im Parisinus E erst im 13. Jahrhundert von zweiter Hand (E2) eingeführt wurde, nachdem man versucht hatte, die ursprüngliche Beschriftung auszuradieren, dass jedoch diese ursprüngliche Beschriftung (scriptio inferior) noch größenteils zu entziffern ist: Den Buchstaben -ιττηι- gehen schwache Spuren eines -πvoraus. Demnach ist die Lesung ›im Pech‹ (ἐν τῆι πίττηι), die uns zunächst nur durch die beiden kurz vor AD 1453 geschriebenen Nachfahren des neu identifizierten Hyparchetypus β – Berolinensis Be und Erlangensis Er – bekannt geworden war, nachträglich durch den bei weitem ältesten Nachkommen des Hyparchetypus α bestätigt worden, in dem diese Lesung indessen im 13. Jahrhundert überschrieben wurde. Überdies sind Berolinensis Be und Erlangensis Er einerseits und Parisinus E andererseits an dieser Stelle nach allem Anschein voneinander unabhängig: Einerseits sind nur im Parisinus E die ›Mäuse‹ (μυσὶ) der originalen Formulierung fehlerhafterweise durch die ›Füße‹ (ποσὶ) ersetzt worden:218 Angesichts dieses Trennfehlers erscheint es als unwahrscheinlich, dass Berolinensis Be und Erlangensis Er an unserer Stelle von Parisinus E abhängen könnten (wofür auch im übrigen Text jeder Beleg fehlt). Andererseits ist nur im Berolinensis Be und im Erlangensis Er die Wiederholung des Artikels (τοῖς) unmittelbar nach den 218  τοῖς μυσὶν ἐν τῆι πίττηι BeE r : τοῖς ποσὶ τοῖς ἐν τῆι πίττηι Ε ante rasuram; schon der ursprüngliche Schreiber von E kannte also das Sprichwort nicht.

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›Mäusen‹ (μυσὶ) ausgefallen, obwohl der wiederholte Artikel unentbehrlich ist, um die Ortsbestimmung »im Pech« (ἐν τῆι πίττηι) als sprichwörtliches Attribut der Mäuse zu kennzeichnen: Angesichts dieses Trennfehlers erscheint es als unwahrscheinlich, dass Parisinus E an unserer Stelle von dem alten Transliterationsexemplar abhängen könnte, auf das Berolinensis Be und Erlangensis Er gemeinsam zurückgehen; für eine solche Abhängigkeit fehlt im übrigen Text gleichfalls jeder Beleg. Mithin ist davon auszugehen, dass die Bezeugung der korrekten Ortsbestimmung »im Pech« (ἐν τῆι πίττηι) einerseits durch Berolinensis Be und Erlangensis Er und andererseits durch den Parisinus E (vor Rasur) auf zwei voneinander unabhängigen Wegen auf den Archetypus zurückgeht – gegen die Lesung »auf der Erde« (ἐν τῆ γῆι), die, vermutlich aus Unkenntnis des Sprichworts, von γ eingeführt wurde und später auch dem Parisinus E aufgenötigt wurde. Die Annahme der β-Lesung ἐν τῆι πίττηι – unter Beibehaltung des in β ausgefallenen ersten τοῖς von Zeile b16 – führt auf den folgenden, einwandfreien Text: εἰ γὰρ ὑποδώσει ἀεὶ οἷον τοῖς τοῖς ἐν τῆι πίττηι, ἢ τοῖς ἐν τῆι ἄμμωι πο­ρευομένοις, οὐ |17 | πρόεισιν· |15 |

|16 | μυσὶ



Denn wenn der Stützpunkt jedesmal nachgibt, wie bei den sprichwörtlichen Mäusen in der Pechfalle oder bei den Leuten, die im Sand zu wandern versuchen, dann wird man nicht vorankommen.

698b15–16 τοῖς μυσὶ τοῖς γ : τοῖς ποσὶ τοῖς Ε : τοῖς μυσὶν β | 16 ἐν τῆι πίττηι β, Ε ante rasuram : ἐν τῆ γῆ γ, E2 post rasuram.

.  Mot. An. 3, 699 a12–14: Ein externer Stützpunkt für die Bewegung des Fixsternhimmels? Der Beginn des dritten Kapitels wurde von Bekker 1831 gemäß der folgenden, dem Parisinus E entnommenen Fassung des α-Textes ediert:



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Ἀπορήσειε δ’ ἄν τις, ἆρ’ εἴ τι κινεῖ τὸν ὅλον οὐρανόν, |13 | εἶναί τε δεῖ ἀκίνητον, καὶ τοῦτο μηθὲν εἶναι τοῦ οὐ­ρα­νοῦ μόριον |14 | μηδ’ ἐν τῶι οὐρανῶι; |12 |





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Doch könnte man folgendes Problem aufwerfen: Wenn etwas den ganzen Fixsternhimmel bewegt, muss es dann unbewegt sein und darf dieses kein Teil des Fixsternhimmels sein und sich auch nicht innerhalb des Fixsternhimmels be­f inden?

699 a13 εἶναί τε δεῖ E Bekker : εἶναι θέλει γ Jaeger

Dieser Text kann weder (a) sprachlich noch (b) argumentativ befriedigen. (a)  Das grammatische Subjekt des Kondizionalsatzes ›Wenn etwas den ganzen Fixsternhimmel bewegt‹ (εἴ τι κινεῖ τὸν ὅλον οὐρανόν) ist das Indefinitpronomen ›etwas‹ (τι). Dem Kondizionalsatz folgt, als Hauptsatz, eine zweiteilige Frage; die erste Teilfrage lautet ›muss es unbewegt sein?‹ (εἶναί τε δεῖ ἀκίνητον), die zweite lautet ›darf dieses kein Teil des Fixsternhimmels sein und sich auch nicht innerhalb des Fixsternhimmels befinden?‹ (καὶ τοῦτο μηθὲν εἶναι τοῦ οὐρανοῦ μόριον μηδ’ ἐν τῶι οὐρανῶι). Nun kann das grammatische Subjekt dieses zweiteiligen Hauptsatzes in Frageform mit dem grammatischen Subjekt des vorangehenden Kondizionalsatzes entweder identisch sein oder nicht identisch sein. Wenn es mit ihm identisch ist, kann diese Identität entweder mittels des zurückweisenden Demonstrativpronomens ›dieses‹ (τοῦτο) betont werden, welches ausdrücklich auf das Subjekt des Kondizional­ satzes zurückverweist, oder die Identität kann lediglich implizit zum Ausdruck gebracht werden, nämlich dadurch, dass im Hauptsatz kein neues Subjekt eingeführt wird. Wenn nun aber die Identität des Hauptsatz-Subjekts mit dem des vorangehenden Nebensatzes betont werden soll, ist es sprachwidrig, das hierfür benötigte Demonstrativprononem ›dieses‹ (τοῦτο) erst in der zweiten Teilfrage des Hauptsatzes zu plazieren, wie es in dem von Bekker edierten Wortlaut des Hyparchetypus α geschieht. Denn wenn im Hauptsatz ein solches Demonstrativum

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überhaupt benötigt wird, dann wird es auch bereits in der ersten Teilfrage des Hauptsatzes benötigt, und wenn es dort entbehrlich ist, dann sollte man es auch in der zweiten Teilfrage nicht einführen. 219 Diese Beobachtung gilt auch dann, wenn man als Wortlaut der ersten Teilfrage anstelle des vom Parisinus E ü ­ berlieferten ›muss es unbewegt sein?‹ (εἶναί τε δεῖ ἀκίνητον) die merkwürdige γ-Formulierung ›will es unbewegt sein?‹ (εἶναι θ έ λ ε ι ἀκίνητον) akzeptiert, wie es Jaeger getan hat.220 Zur Behebung dieses sprachlichen Mangels haben sowohl F ­ arquharson 1912 als auch Forster 1937 vorgeschlagen, die Grenze zwischen den beiden Teilfragen des Hauptsatzes in der Weise zu verschieben, dass das Demonstrativum ›dieses‹ (τοῦτο) noch zur ersten Teilfrage gehört. So fügte Farquharson, gefolgt von Nussbaum, nach τοῦτο ein zusätzliches καὶ ein (in der kopulativen Bedeutung ›und‹), wodurch er das überlieferte καὶ vor τοῦτο auf die hervorhebende Bedeutung ›auch‹ beschränkte, so dass die Grenze zwischen beiden Teilfragen erst hinter τοῦτο verlief: ἆρ’ εἴ τι κινεῖ τὸν ὅλον οὐ­ ρανόν, |13 | εἶναί τε δεῖ ἀκίνητον καὶ τοῦτο, 〈 κ α ὶ  〉 μηθὲν εἶναι τοῦ οὐρανοῦ μόριον |14 | μηδ’ ἐν τῶι οὐρανῶι; |12 |





Wenn etwas den ganzen Fixsternhimmel bewegt, muss auch dieses dann unbewegt sein 〈 u nd 〉 darf es kein Teil des Fixsternhimmels sein und sich auch nicht innerhalb des Fixsternhimmels befinden?

699 a13 καὶ τοῦτο, 〈 κ αὶ 〉 Farquharson Nussbaum

219  So richtig Manuwald 1989, 117: »Wenn das τι das gemeinsame Subjekt des Bedingungs- und des Fragesatzes darstellt, dann sollte es mit τοῦτο gleich im ersten Teil des Fragesatzes aufgenommen werden und nicht erst im zweiten …«. 220 Die γ-Formulierung erinnert an Platons heraklitisierende Parodie von Parmenides B 8, Zeile 38 Diels/Kranz in Theaitetos 180d–e, die wir (aufgrund des Berliner Theaitetos-Kommentars P. Berol. 9782, Kolumne 70, Zeilen 41–43) wiederherstellen konnten: ›οἶον ἀκίνητόν τε‹ θέλει τῶι παντ(ὶ) ὄνομ(α) εἶναι. (›Einzeln und unbewegt‹: dies will der Name für das All sein). Vgl. Primavesi 2008, 363–367.



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Forster erreichte dasselbe Ziel auf elegantere Weise, in dem er τοῦτο und καὶ die Plätze tauschen ließ: ἆρ’ εἴ τι κινεῖ τὸν ὅλον οὐ­ ρα­νόν, |13 | εἶναί τε δεῖ ἀκίνητον τ ο ῦ τ ο , κ α ὶ μηθὲν εἶναι τοῦ οὐ­ρ α­νοῦ μόριον |14 | μηδ’ ἐν τῶι οὐρανῶι. |12 |





Wenn etwas den ganzen Fixsternhimmel bewegt, muss dieses dann unbewegt sein und darf es kein Teil des Fixsternhimmels sein und sich auch nicht innerhalb des Fixsternhimmels befinden?

699 a13 τοῦτο, καὶ Forster : καὶ τοῦτο α

(b)  Doch war mit den von Farquharson bzw. Forster vorgeschlagenen Konjekturen noch bei weitem kein plausibler Text hergestellt, da neben dem sprachlichen Mangel, auf dessen Behebung sich diese Konjekturen beschränkten, auch das Argument in der von Bekker edierten Fassung des Parisinus E viel zu wünschen übrig lässt. Im unserer Stelle unmittelbar vorangehenden zweiten Kapitel hat Aristoteles gezeigt, dass (1.) animalische Selbst-Bewegung eines zum Beweger externen, in Ruhe befindlichen Stützpunktes bedarf und dass (2.) das (transitive) In-Bewegung-Setzen eines Objektes zusätzlich voraussetzt, dass der zum Beweger externe, in Ruhe befindliche Stützpunkt auch zum Bewegungsobjekt extern sein muss. Demnach könnte Aristoteles an unserer Stelle, d. h. zu Beginn von Mot. An. 3, folgerichtig zu der Frage fortschreiten, ob es auch für die Bewegung des Fixsternhimmels im Ganzen eines zum Fixsternhimmel externen, in Ruhe befindlichen Stützpunktes bedarf. 221 Diese in Frageform ausgesprochene Vermutung würde dann durch die in 699 a14–17 anschließende Fallunterscheidung überzeugend plausibilisiert: Der Beweger des Fixsternhimmels kann entweder ein b ­ ewegter Beweger 221 

So richtig Manuwald 1989, 118: »Das Problem, das man nach dem Zusammenhang erwartet, ist doch, ob ein ruhender Stützpunkt, wie für die (irdischen) Lebewesen, so auch für das All anzunehmen sei«. Vgl. schon Nussbaum 1978, 292.

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sein – in diesem Falle würde er eines in Ruhe befindlichen Stützpunktes bedürfen, der sowohl zu ihm selbst als auch zum Bewegungsobjekt (dem Fixsternhimmel) extern wäre –, oder der Beweger des Universums ist ein unbewegter Beweger – in diesem Falle könnte er womöglich selbst als externer, in Ruhe befindlicher Stützpunkt für die Bewegung des Universums gelten, vorausgesetzt natürlich, dass er zum Bewegungsobjekt (dem Fixsternhimmel) extern ist: εἴτε γὰρ αὐτὸ κινού­ μ ενον κινεῖ αὐτόν, ἀ |15 | νάγκη τινὸς ἀκι­ ν ή­ τ ου θιγγάνον κινεῖν καὶ τοῦτο μηθὲν εἶναι |16 | μό­ριον τοῦ κινοῦντος· εἴτ’ εὐθὺς ἀκίνητόν ἐστιν τὸ κινοῦν, ὁμοίως |17 | οὐθὲν ἔσται τοῦ κινουμένου μόριον. |14 |



  





Falls der Beweger nämlich den Fix­sternhimmel bewegt und dabei selber bewegt ist, ist notwendig, dass er bewegt, indem er Kontakt mit etwas Unbewegtem hat, und dass dieses Letztere nicht Teil des Bewegers ist. Falls der Beweger aber selbst schon unbewegt ist, wird er ebenfalls kein Teil des Bewegungs­objekts sein.

Wie man sieht, würde es in beiden Fällen einen zum Fixstern­ himmel externen Ruhepunkt geben. Doch sowohl angesichts dieser an unsere Stelle unmittelbar anschließenden Fallunterscheidung als auch angesichts des unmittelbar zuvor, d. h. am Ende von Mot. An. 2 erreichten Diskussionsstandes würde es unbegreiflich sein, wenn Aristoteles am Anfang von Mot. An. 3 – anstelle der allgemeinen Frage nach irgend­ einem externen unbewegten Stützpunkt für die Bewegung des Fixsternhimmels – sogleich und ausschließlich den Sonderfall thematisierte, dass der Beweger des Fixsternhimmels selbst unbewegt ist – ein Sonderfall, der durch Mot. An. 2 in keiner Weise vorbereitet ist.222 Und selbst wenn man Aristo222  Manuwald 1989, 118: »Es geht doch um das Problem des äußeren, ruhenden Stützpunktes, unabhängig von der Art der Bewegungsverursachung (etwa Selbstbewegung oder Bewegung durch eine äußere Ursache). Da überrascht die Frage schon, ob beim All der Beweger unbewegt sein müsse«.



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teles ­d iesen Gedankensprung zutrauen wollte – wie wäre es dann zu erklären, dass er sodann (699 a14–17) nicht nur im Anschluss an den Gedankensprung, sondern sogar zu seiner ­Begründung (γὰρ) gerade diejenige Fallunterscheidung trifft, die Mot. An. 2 erwarten ließ und die er gleichwohl zu Beginn von Mot. An. 3 erst einmal übersprungen hätte?223 Dieser schwere gedankliche Mangel des vom Hyparchetypus α gebotenen Textes besteht vollkommen unabhängig davon, ob man in der ersten Teilfrage des Hauptsatzes mit dem Parisinus E ›muss es unbewegt sein?‹ (εἶναί τε δεῖ ἀκίνητον) liest oder mit γ ›will es unbewegt sein?‹ (εἶναι θέλει ἀκίνητον), und ob man die Grenze zwischen beiden Teilfragen mit Farquharson und Forster verschiebt oder nicht. Deshalb schlug Manuwald 1989 vor, in der ersten Teilfrage des Hauptsatzes das dort im Parisinus E überlieferte τε durch das Indefinitpronomen τι (›etwas‹) zu ersetzen. Mit dieser durch ihre Einfachheit bestechenden Emendation 224 waren sowohl der sprachliche Mangel (a) als auch der sachliche Mangel (b) mit einem Streich behoben, da dieses τι einerseits einen Bezugspunkt für das in der zweiten Teilfrage stehende Demonstrativum τοῦτο (›dieses‹) liefert und andererseits in der hier zu fordernden Allgemeinheit irgendeinen externen Ruhepunkt für die Bewegung des Fixsternhimmels bezeichnet, ganz gleich, ob dieser Ruhepunkt nun mit dem Beweger identisch ist oder nicht:225

223  Manuwald 1989, 118: »Außerdem würde, wenn es im Einleitungssatz um einen unbewegten Beweger ginge, die Alternative des folgenden Satzes unverständlich«. 224  Seeck 1992, Kolumne 192: »… eine überzeugende Konjektur, die dem umstrittenen Satz in sich und im Kontext einen befriedigenden Sinn gibt«. 225  Manuwald 1989, 118.

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ἆρ’ εἴ τι κινεῖ τὸν ὅλον οὐ­ρα­ νόν, |13 | εἶναί τ ι δεῖ ἀκί­ν η­τον, καὶ τοῦτο μηθὲν εἶναι τοῦ οὐ­ρ α­νοῦ μόριον |14 | μηδ’ ἐν τῶι οὐ­ρανῶι;

|12 |





Wenn etwas den ganzen Fixsternhimmel bewegt, muss es dann etwas Unbewegtes geben und darf dies kein Teil des Himmels sein und sich auch nicht innerhalb des Fixsternhimmels befinden?

699 a13 εἶναί τι δεῖ Manuwald : εἶναί τε δεῖ E: εἶναι θέλει γ

Vor dem Hintergrund dieser Emendation ist es nun höchst bemerkenswert, dass der gemeinsame Nenner des in 699a13 von den drei Hauptvertretern des neuen β-Zweiges, Berolinensis Be, Erlangensis Er und Parisinus b, gebotenen Textes gerade in dem bereits von Manuwald konjizierten Indefinitum τι besteht, das in allen Nachkommen des Hyparchetypus α fehlt: εἶναί τε τι δεῖ Be : εἶναί τι δεῖ Er : εἶναι δεῖ τι b : εἶναί τε δεῖ E : εἶναι θέλει γ

Die Lesung des Berolinensis Be stellt hier den plausibelsten Ausgangspunkt für alle übrigen Lesungen dar: Schon der Hyparchetypus α hat das unentbehrliche τι verloren; das hier­aus resultierende und von E bewahrte τε δεῖ wurde dann in γ (wohl über τέλει) schließlich zu θέλει verderbt. Umgekehrt ist erst in Wilhelms Zweitvorlage Γ, auf die die beiden β-Handschriften Erlangensis Er und Parisinus b zurückgehen, das (weniger wichtige) τε ausgefallen, während allein der Berolinensis Be beides, τε und τι, bewahrt hat. So meinen wir zwar, dass an dieser Stelle der Berolinensis Be die Lesung des Hyparchetypus β (die hier zugleich die des Archetypus ist) genauer überliefert als der mit Manuwalds Konjektur vollständig übereinstimmende Erlangensis Er. In der Hauptsache aber ist Manuwalds Konjektur durch den neuen β-Zweig in seiner Gesamtheit eindrucksvoll bestätigt worden.226 226  Diese Stelle hat bereits De Leemans 2011a, CCXIV n. 216 als eines von vier Beispielen dafür angeführt, dass es BebErTp -Lesungen gibt, die unabhängig von Nussbaums Archetypus sind und weder vom



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.  Mot. An. 7, 701a36 – b1: Prohairesis Die Stelle wurde von Bekker 1831 in der folgenden, auf den Hyparchetypus α zurückgehenden Form ediert: τῶν | 701a37 | δ’ ὀ ρ ε γ ο μ έ ν ω ν πράττειν τὰ μὲν δι’ ἐπιθυμίαν ἢ θυμὸν τὰ δὲ | 701b1 | δι’ ὄ ρ ε ξ ι ν ἢ βούλησιν τὰ μὲν ποιοῦσιν, τὰ δὲ πράττουσιν.  







Und von den Wesen, die danach streben, etwas zu tun, produzieren die einen und handeln die anderen teils aufgrund von Begierde oder Mut, teils aufgrund von Strebung oder Wunsch.

Die so formulierte Einteilung der seelischen Ursachen des Handelns bzw. Herstellens ist mit einer auffälligen Ungereimtheit behaftet. Diese Handlungsursachen werden hier unterteilt in Begierde (epithymia), Mut (thymos), Strebung (orexis) und Wunsch (būlēsis). Im vorangehenden Kapitel 6 hingegen hat Aristoteles eine dieser Ursachen, nämlich die Strebung, als Gattung charakterisiert und die drei verbleibenden, nämlich Begierde, Mut und Wunsch, als die Arten dieser Gattung;227 die letztgenannte Auffassung vertritt er bekanntlich auch sonst. 228 Sogar an unserer Stelle selbst könnte man zunächst meinen, dass die Strebung als übergeordnete Gattung betrachtet wird, insofern der partitive Genetiv tōn oregomenōn prāttein (›unter den Wesen, die danach streben, etwas zu tun‹) die nach Handlung strebenden Lebewesen als die Gesamtmenge kennzeichnet, die im Folgenden je nach der Ursache ihrer Handlungen in einzelne Klassen unterteilt wird. Umso unverständlicher würde es sein, wenn bei der Durchführung dieser Einteilung, Vaticanus P geteilt noch von Wilhelm übersetzt werden. Doch gibt De Leemans keinen Hinweis auf die von Manuwald 1989 vorgeschlagene Konjektur bzw. darauf, dass die BebErTp -Lesung eine nachträgliche Bestätigung für diese Konjektur liefert. 227  Mot. An. 6, 700 b22: βούλησις δὲ καὶ θυμὸς καὶ ἐπιθυμία πάντα ὀρέξεις. 228 An. II 3, 414b 2: ὄρεξις μὲν γὰρ ἐπιθυμία καὶ θυμὸς καὶ βού­ λησις. – EE B 7, 1223a26–27: ἀλλὰ μὴν ἡ ὄρεξις εἰς τρία διαιρεῖται, εἰς βού­λησιν καὶ θυμὸν καὶ ἐπιθυμίαν.

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gemäß dem α-Text, die Handlungsverursachung durch Strebung auf derselben Stufe steht wie die Handlungsverursachung durch Begierde, Mut oder Wunsch. Deshalb schlug Nussbaum vor, in der Liste der Handlungsursachen die Strebung (orexis) zu streichen:229 τῶν | 701a37 | δ’ ὀρεγομένων πράτ­ τειν τὰ μὲν δι’ ἐπιθυμίαν ἢ θυμὸν τὰ δὲ | 701b1 | διὰ βούλησιν τὰ μὲν ποιοῦσιν, τὰ δὲ πράτ­του­σ ιν.  







Und von den Wesen, die danach streben, etwas zu tun, produzieren die einen und handeln die anderen teils aufgrund von Begierde oder Mut, teils aufgrund von Wunsch.

701b1 δι’ ὄρεξιν ἢ βούλησιν α : διὰ βούλησιν Nussbaum

Gegen diesen in der Tat radikalen Eingriff suchte Klaus Corcilius 2008a den nach damaliger Kenntnis einhellig überlieferten Text zu verteidigen. Dabei stützte er sich auf die 1903 von Richard Loening vorgetragene Hypothese, derzufolge das Wort orexis bei Aristoteles eine »Doppelbedeutung« habe, nämlich einerseits ›Strebung‹, andererseits ›nicht-rationale Strebung‹.230 So kam Corcilius zu der These, dass Aristoteles orexis immer dann in der eingeschränkten Bedeutung ›nichtrationale Strebung‹ verwende, wenn er einen ­Kontrast zwi-

229  Nussbaum 1976, 146 (vgl. 1978, 346–347 ad loc.): »The use of ὄρεξις as a species is unparalleled, and inexplicable here, especially in view of τῶν δ’ ὀρεγομένων πράττειν above. It is better to bracket it and see the τὰ μέν … τὰ δέ as contrasting the actions involving rational wanting with those involving the two irrational species. The corruption may have come about because of the interest of some literary scribe in having two alternatives in each group«. 230  Loening 1903, 36 Anm. 4): »Wenn in Psych. III 10 νοῦς und ὄρεξις bald alternativ, bald kumulativ als Ursachen der Bewegung ­genannt werden, so hängt das mit der Doppelbedeutung des Wortes ὄρεξις zusammen, welches bei Aristoteles bald das Begehren schlechthin, bald das sinnliche Begehren, gleichbedeutend mit ἐπιθυμία, bezeichnet; vgl. Psych. III 9 a. E.«



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schen Strebung und Intellekt (nūs) im Auge habe. 231 Dem­ gemäß schlug Corcilius folgende Interpretation unserer Stelle vor: Aristoteles würde die beiden nicht-rationalen Strebungsarten Begierde und Mut zunächst ausschließlich in Bezug auf nicht-rationale Lebewesen, d. h. auf Tiere, einführen. Erst danach würde er sich den Menschen zuwenden, bei denen bekanntlich nicht-rationale und rationale Strebungen koexistieren. Um diese Koexistenz zum Ausdruck zu bringen, würde er zunächst die beiden nicht-rationalen, Menschen und Tieren gemeinsamen Strebungsarten wieder aufgreifen und zusammenfassend als orexis – in Loenings nicht-rationaler Bedeutung! – bezeichnen, um ihnen dann die rationale, auf den Menschen beschränkte Strebungsart des Wunsches gegenüberzustellen. Doch hält Loenings Hypothese und mithin auch der auf sie gegründete Versuch, den α-Text unserer Stelle gegen Nussbaums Diagnose zu verteidigen, einer näheren Prüfung nicht stand. Zwar versteht es sich von selbst, dass konkrete Strebungs-Episoden, die dem Intellekt zuwiderlaufen, nach Aristotelischer Meinung einer der beiden nicht-rationalen Strebungsarten subsumierbar sein müssen. Aber die Tatsache, dass Aristoteles die Gattungsbezeichnung ›Strebung‹ (orexis) sowohl zur Bezeichnung der Gattung selbst verwenden kann als auch, fallweise, für einen Hinweis auf eine ihrer drei – teils nicht-rationalen, teils rationalen – Arten, impliziert keineswegs ein Schwanken des von dieser Bezeichnung denotierten Gattungsbegriffs, sondern nur einen Wechsel der Referenz, d. h. des konkreten, unter dem Gattungsbegriff befassten Gegenstandes, auf den mit der Gattungsbezeichnung jeweils hingewiesen wird. Auch die Gattungsbezeichnung ›Säugetier‹ 231  Corcilius 2008a, 324: »‚Strebung’ (orexis) ist hier wieder im Sinne von arationalen Strebungen zu verstehen, da sie mit der rationalen Strebung ‚Wunsch’ kontrastiert wird«, und ibid. Anm. 63: »Nussbaums Tilgung von [Strebung oder] in 701b1 (von Kollesch übernommen) scheint mir nicht erforderlich«.

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denotiert ja in dem Satz ›Menschen und Pferde sind Säugetiere‹ nichts anderes als in den beiden Sätzen ›Dieses Säugetier ist ein Mensch‹ und ›Jenes Säugetier ist ein Pferd‹. Ein solcher Wechsel der Referenz bei gleichbleibendem Denotat liegt in Wahrheit auch an der Stelle aus De Anima III 9 vor, die Loening als einzigen Beleg für seine Theorie zitiert hat:232 Aber nicht einmal die Strebung (ἡ ὄρεξις) ist die unumschränkte Herrin über diese | 7 | Bewegungsart (scil. die Ortsbewegung), da die Selbstbeherrschten, auch wenn sie eine Strebung im Sinne von Begehren empfinden (ὀρεγόμενοι καὶ ἐπι­θ υμοῦντες), doch nicht das | 8 | tun, wonach sie die betreffende Strebung (τὴν ὄρεξιν) empfinden, sondern vielmehr ihrer Vernunft (νοῦς) folgen. | 6 |

Mit dem Wort orexis ist bei seinem ersten Vorkommen in Zeile 433a6 offensichtlich die Gattung ›Strebung‹ als solche gemeint, während das gleiche Wort orexis sich bei seinem zweiten Vorkommen in Zeile a8 auf bestimmte nicht-rationale Strebungen bezieht, nämlich auf Begierden, die – bei selbstbeherrschten Menschen – von der Vernunft unterdrückt werden. Doch mit der von Loening behaupteten »Doppelbedeutung« von orexis hat all dies nichts zu schaffen. Denn in Zeile a7, also genau zwischen den beiden Verwendungen von orexis, signalisiert Aristoteles, dass er jetzt vom Gattungsbegriff orexis (›Strebung‹) zu den konkreten Episoden nicht-rationaler Strebung bei selbstbeherrschten Menschen übergeht, und er tut dies mittels der Verbindung der zwei Partizipien ὀρεγόμενοι und ἐπιθυμοῦντες, die einen einzigen Begriff zum Ausdruck bringt: Mit Menschen, die ›streben und begehren‹, meint er klarerweise solche, die ›begehrend streben‹. Das zweite Vorkommen von orexis, in Zeile a8, bezieht sich dann eindeutig auf diese konkreten, durch die Verbindung der beiden Partizipien näher charakterisierten Episoden von begehrender Strebung, 232 An.

III 9, 433a6–8, zitiert von Loening 1903, 36 Anm. 4): »vgl.

Psych. III 9 a. E.«



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CV

und diese Beziehung wird mittels des bestimmten Artikels expliziert, der jetzt zurückweisende Funktion hat (τὴν ὄρεξιν = ›die betreffende, d. h. die soeben erwähnte Strebung‹).233 Demnach ist in Zeile a8 τὴν ὄρεξιν durch ›diese Strebung‹ oder ›die betreffende Strebung‹ wiederzugeben, gewiss nicht durch ›das nicht-rationale Streben‹ – genau wie in dem vorangehenden Ausdruck ὀρεγόμενοι καὶ ἐπιθυμοῦντες das erste Partizip für sich so viel bedeutet wie ›strebend‹, sicherlich nicht so viel wie ›nicht-rational strebend‹. Zur Annahme einer »Doppelbedeutung« von orexis gibt es an dieser Stelle also nicht den geringsten Grund: Auch in Zeile a8 denotiert das Wort orexis einzig und allein die ›Strebung‹, aber es referiert mittels des bestimmten Artikels auf bestimmte, unmittelbar zuvor eingeführte Episoden nicht-rationaler Strebung. Allgemein gesprochen: Ein Gattungsbegriff kann selbstverständlich von jeder beliebigen Art der betreffenden Gattung prädiziert werden, ohne dass sich dabei jedesmal der Inhalt des Gattungsbegriffs selbst ändern müsste. An unserer Mot. An.-Stelle hingegen bezieht sich der in 701a36–37 eingeführte partitive Genetiv tōn oregomenōn prāttein (›von den Wesen, die nach Handlung streben‹) zweifellos auf den allgemeinen Gattungsbegriff der ›Strebung‹ als solcher, und in dem in 701b1 vom Hyparchetypus α überlieferten Ausdruck di’orexin (›aufgrund von Strebung‹) fehlt jedes sprachliche Signal dafür, dass jetzt nur mehr auf eine bestimmte Strebungsart hingewiesen werden soll (z. B. ein Demonstrativpronomen oder ein demonstrativ verwendeter Artikel). Um das in 701b1 von α überlieferte di’orexin gleichwohl nur auf einen Teil des in 701a36–37 mit tōn oregomenōn prāttein umschriebenen Strebungsbegriffs einschränken zu können (z. B. gemäß der oben referierten Interpretation von Corcilius 2008a), müsste man also in der Tat auf den Joker einer beliebig 233  Nach Kühner/Gerth 1904: 590 (§ 461/1 Anmerk. 1) wird »der Artikel unendlich oft gebraucht, um eine Hinweisung auf Bekanntes, schon Erwähntes zu bezeichnen«.

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einsetzbaren, aufs Nicht-Rationale verengten Zweitbedeutung von orexis zurückgreifen, obwohl doch die hierfür benötigte Hypothese einer »Doppelbedeutung« durch die von Loening als einziger Beleg dafür angeführte Stelle aus De anima III, 9, wie wir sahen, in gar keiner Weise gestützt wird. So stellt uns der an unserer Stelle vom Hyparchetypus α überlieferte Text vor ein Dilemma: Nussbaums Streichung der Strebung in der Liste der vier seelischen Ursachen ist ein drastischer Eingriff, aber die Zurückweisung dieses Eingriffs lässt sich jedenfalls durch eine Berufung auf Loening nicht rechtfertigen. Eine überraschende Auflösung dieses Dilemmas ist dem neuen Hyparchetypus β zu verdanken, da seine maßgeblichen Nachkommen BeErb in 701b1 anstelle des problematischen δι’ ὄρεξιν (›aufgrund von Strebung‹) übereinstimmend die bisher gänzlich unbekannte Lesung διὰ προαίρεσιν (›aufgrund von Entschluss‹) ans Licht gebracht haben: τῶν | 701a37 | δ’ ὀρεγομένων πράτ­ τειν τὰ μὲν δι’ ἐπιθυμίαν ἢ θυμὸν τὰ δὲ | 701b1 | διὰ π ρ ο α ί ρ ε σ ι ν ἢ βούλησιν τὰ μὲν ποιοῦσιν, τὰ δὲ πράττου­σ ιν.  







Und von den Wesen, die danach streben, etwas zu tun, produzieren die einen und handeln die anderen teils aufgrund von Begierde oder Mut, teils aufgrund von Entschluss oder Wunsch.

701b1 διὰ προαίρεσιν ἢ βούλησιν β : δι’ ὄρεξιν ἢ βούλησιν α : διὰ βούλησιν Nussbaum

Die neue Lesung διὰ προαίρεσιν bestätigt nun aber nicht nur Nussbaums Zweifel an dem δι’ ὄρεξιν des Hyparchetypus α, sondern sie liefert eine seelische Handlungsursache, die für die an unserer Stelle vorgelegte Aufzählung solcher Ursachen schlechterdings unentbehrlich ist, wie im Folgenden gezeigt werden soll. Bereits im 6. Kapitel von Mot. An. 6 hatte Aristoteles eine Liste von seelischen Ursachen animalischer Selbstbewegung vorgelegt, in der, wie in der β-Fassung unserer Stelle, Entschluss und Wunsch nebeneinander stehen:234 234 

Mot. An. 6, 700b15–18.



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Denn alle Lebewesen bewegen sowohl anderes als auch sich selbst um eines bestimmten Zweckes willen, so dass dies für sie die Grenze aller Bewegung ist: das Worumwillen. Wir sehen aber, dass die Beweger des Lebewesens die folgenden sind: Denken (dianoia), Vorstellung (phantasia), Entschluss (prohairesis), Wunsch (būlēsis) und Begierde (epithymia).

Der Grund für dieses Nebeneinander liegt in dem von Aristoteles gleich anschließend explizierten Unterschied, der zwischen den drei offiziellen Arten der Gattung ›Strebung‹ – nämlich Begierde, Mut und Wunsch – einerseits und dem Entschluss andererseits besteht:235 Wunsch (būlēsis), Mut (thymos) und Begierde (epithymia) hingegen sind durchweg Strebungen (orexeis), der Entschluss (prohairesis) aber ist etwas Gemeinsames aus diskursivem Denken (dianoia) und Strebung (orexis).

Die fundamentale Bedeutung wiederum, die dieser Differenz für die in Mot. An. vorgetragene Theorie animalischer Selbstbewegung zukommt, ist an der folgenden Darstellung eines komplexen praktischen Syllogismus abzulesen, die sich an einer späteren Stelle des 7. Kapitels von Mot. An. findet:236 »Ich brauche Bekleidung; eine [geeignete] Bekleidung aber ist ein Mantel; ich brauche einen Mantel.« – »Es soll das hergestellt werden, was ich brauche. Ich brauche aber einen Mantel«. Er stellt einen Mantel her. Und die Konklusion »Es soll ein Mantel hergestellt werden« ist eine Handlung. Doch handelt man von einem Ursprung aus: »Wenn es einen Mantel geben soll, so ist erst noch dieses notwendig, wenn aber dieses, dann dieses«; und das Letztgenannte tut man sofort.

Im Hinblick auf das bekannte Lehrstück der Aristotelischen Handlungstheorie, demzufolge für die Ziele rationaler Hand235  236 

Mot. An. 6, 700b22–23. Mot. An. 7, 701a17–22.

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lungen der Wunsch zuständig ist, für die Mittel hingegen der Entschluss, 237 wird man hier nur die Bekleidung – und allenfalls noch den Mantel – unter die Objekte des Wunsches rechnen dürfen, wohingegen die Schritte, die zur Herstellung des Mantels nötig sind, Objekte des Entschlusses sein müssen. Da nun an der soeben zitierten Stelle ausdrücklich festgestellt wird, dass die Bewegung mit dem ersten der zur Herstellung des Mantels nötigen Schritte beginnt, kann dieser erste Schritt nur vom Entschluss, d. h. von der Prohairesis, ausgelöst werden. Dann aber würde eine Aristotelische Liste seelischer Handlungsursachen, in der die Prohairesis nicht enthalten wäre, eine gravierende, durch nichts zu rechtfertigende Lücke aufweisen. Somit dürfte außer Zweifel stehen, dass die an unserer Stelle vorgelegte Liste seelischer Handlungsursachen von Hause aus die Prohairesis enthalten haben muss, auch wenn ihre Nennung nur in unserem neuen Hyparchetypus β bewahrt blieb. Es bleibt nur noch zu klären, wie im α-Text von 701b1 das nach unserer Meinung ursprüngliche διὰ προαίρεσιν durch δι’ ὄρεξιν verdrängt wurde. Mechanisch-paläographische Erklärungen können hier angesichts der drastischen Verschiedenheit der beiden Lesungen allenfalls eine subsidiäre Rolle spielen. Nach unserer Meinung war δι’ ὄρεξιν zunächst eine am Rand vermerkte Zusammenfassung der Vier-Ursachen-Liste, die durch den Umstand motiviert war, dass Aristoteles seine Liste nicht als eine Einteilung von Strebungsarten, sondern als eine Einteilung von seelischen Handlungsursachen deklariert. Auch der Grund für diese – in der Durchführung etwas umständliche – Aristotelische Vorgehensweise liegt auf der Hand, sobald man von der nach unserer Meinung ursprünglichen β-Fassung der Liste ausgeht. Denn im β-Text enthält 237  Vgl. z. B. EN III 3, 1111b26–27: ἔτι δ’ ἡ μὲν βούλησις τοῦ τέλους ἐστὶ μᾶλλον, ἡ δὲ προαίρεσις τῶν πρὸς τὸ τέλος, und EE II 10, 1226a7–8 οὐθεὶς γὰρ τέλος οὐδὲν προαιρεῖται, ἀλλὰ τὰ πρὸς τὸ τέλος, sowie ebenda 1226 a16–7: βούλεσθαι μὲν καὶ δόξα μάλιστα τοῦ τέλους, προαίρεσις δ’ οὐκ ἔστιν.



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die Liste der Handlungsursachen neben den drei Arten der Strebung – Begierde (epithymia), Mut (thymos) und Wunsch (būlēsis) – auch den Entschluss (prohairesis), und Letzterer ist, wie oben bereits bemerkt, nicht einfach eine weitere Art der Strebung (orexis), sondern ein Hybrid aus orexis und diskursivem Denken (dianoia).238 Deshalb ist es konsequent, dass Aristoteles seine Viererliste nicht etwa als Untergliederung des Gattungsbegriffs der Strebung in seine Arten präsentiert, sondern, neutral, als Aufzählung der nicht-rationalen wie der rationalen Arten von seelischen Handlungsgründen. Die gleichwohl unbestreitbare Tatsache, dass keine der vier Arten von Handlungsgründen frei von Strebung ist, bringt Aristoteles dadurch zum Ausdruck, dass er den Phänomenbereich, den er am Leitfaden der vier Arten seelischer Handlungsgründe untergliedert, einleitend durch den partitiven Genetiv τῶν δ’ ὀρεγομένων πράττειν (›unter den Lebewesen, die danach streben, etwas zu tun‹) umgrenzt. Und doch kann man die Stellung, die hierbei dem für die Aristotelische Theorie zentralen Begriff der Strebung zugebilligt wird, leicht als zu marginal empfinden: Unbeschadet der Tatsache, dass die Handlungsursache in einem der vier Fälle, nämlich im Fall der Prohairesis, nicht als Art der Gattung Strebung zu bestimmen ist, sondern als eine Verbindung von Strebung mit diskursivem Denken, bleibt es doch ein wichtiges gemeinsames Merkmal aller vier von Aristoteles unterschiedenen Fälle, dass die Handlung jeweils (mindestens auch) »durch Strebung« (δι’ ὄρεξιν) zustande kommt. Wir nehmen nun an, dass ein aufmerksamer Leser in seinem Exemplar des Textes eben dieses gemeinsame, aber durch die Aristotelische For­mulierung an unserer Stelle marginalisierte Merkmal (δι’ ὄρεξιν) am Rand vermerkt hat, und dass sein Vermerk aufgrund seiner Position als Korrektur von διὰ προαίρεσιν missverstanden wurde und dieses aus dem Text verdrängt hat. 238  Mot.

An. 6, 700 b22–23: βούλησις δὲ καὶ θυμὸς καὶ ἐπιθυμία πάντα ὀρέξεις, ἡ δὲ προαίρεσις κοινὸν διανοίας καὶ ὀρέξεως.

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.  Mot. An. 7, 701b1– b7: Die Automatentheater Wir geben diese Stelle in der von Bekker 1831 edierten, auf den Hyparchetypus α zurückgehenden Form wieder, demarkieren aber ein sprachlich in der α-Fassung nicht zu haltendes Textstück vorläufig durch die sogenannten ›Kreuze der Verzweiflung‹ (cruces desperationis: † … †): ὥσ | 2 | περ δὲ τὰ αὐτόματα κι­ν εῖ­ ται μικρᾶς κινήσεως γινο­μ έ­ν ης – | 3 | λυομένων τῶν στρεβ­ λ ῶν καὶ †κρουόντων ἀλλήλας τὰς στρέβ­ λας†      

   

– | 4 | καὶ τὸ ἁμάξιον … , καὶ τὰ ζῶια κινεῖται.    

| 7 |

οὕτω

Wie aber die ›automata‹ in Gang gesetzt werden, sobald nur eine kleine Bewegung stattfindet – wenn die aufgezogenen Schnüre ge­ löst werden, und †wenn … schlagen (Mask./Neutr.) – einander (Fem.) – die aufgezogenen Schnüre (Akk.)†, und der Spielzeugwagen … , auf solche Weise bewegen sich auch die Lebewesen.

γινομένης P : γενομένης ESY

Die animalische Selbstbewegung 239 wird hier mit der Art und Weise verglichen, in der zum einen die αὐτόματα (b1–3), zum andern ein Spielzeugwagen (b4–6) in Bewegung gesetzt werden. Im gegenwärtigen Zusammenhang beschränken wir uns auf die Behandlung des ersten Vergleichs, d. h. auf die textkritisch besonders problematischen αὐτόματα; dabei machen wir uns die von Paul Moraux bereits 1959 ausgesprochene Empfehlung zu eigen, 240 bei der textkritischen Behandlung dieses αὐτόματα-Vergleichs von der einzigen uns erhaltenen antiken Monographie über αὐτόματα auszugehen, nämlich von der Schrift De automatis (Περὶ αὐτοματοποιητικῆς) des kaiser239 701b 7

οὕτω καὶ τὰ ζῶια κινεῖται. Moraux 1959, 364–365: »Le passage sur les automates et le chariot (701 b 1 ss.) reste difficile et obscur, malgré les essais d’émendation proposés. Il y aurait lieu, sans doute, d’exploiter les αὐτο­μ ατο­π οιικά d’Héron pour tenter de l’éclairer«. 240 



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zeitlichen Mechanikers Heron von Alexandria (1. Jh. n. Chr.).241 Aus dieser Schrift geht hervor, dass αὐτόματον als terminus technicus ein automatisches Miniaturtheater bezeichnet, und dass zwei Arten von αὐτόματα zu unterscheiden sind: stehende (αὐτόματα στατά) und fahrende (αὐτόματα ὑπάγοντα). Ein stehendes αὐτόματον ist eine auf einer Standsäule fest installierte Miniatur-Schaubühne, die eine regelrechte Szenenfolge vorführt. Zwischen den einzelnen Szenen werden bei automatisch geschlossener Bühne die bemalten Kulissen, auf denen die an der jeweiligen Szene beteiligten Figuren (ζώιδια) aufgemalt sind, automatisch ausgewechselt, bevor die Bühne sich wieder öffnet:242 Insbesondere beim ersten Bild, d. h. bis zum ersten Kulissenwechsel, können die aufgemalten Figuren (ζώιδια), mittels eines ihrer Arme, der beweglich auf die Bildtafel montiert ist, auch wiederholte, gleichförmige Körperbewegungen ausführen.243 Ein fahrendes αὐτόματον hingegen hat man sich als einen Miniatur-Tempel oder -Altar auf einem Podest vorzustellen, das auf Rädern von selbst herbeifährt – etwa um die Epiphanie eines Gottes darzustellen –, sodann die im Tempel bzw. am Altar befindlichen, vollplastisch gearbeiteten Figuren (ζώιδια) sich im Kreise drehen lässt und schließlich wieder zum Ausgangspunkt zurückfährt. 244 Die Funktionsweise der Heronischen αὐτόματα hat am k ­ larsten 241  Ediert und ins Deutsche übersetzt von Schmidt 1899. Die Möglichkeit einer genauen Datierung hängt an der von Heron im allerdings stark verderbten XXXV. Kapitel der Commentatio catoptrica (Schöne 1903, 302,3/306,21) erwähnten Beobachtung ein und derselben Mondfinsternis in Alexandria und in Rom. Wenn Herons Angaben über die betreffende Mondfinsternis nicht zu Illustrationszwecken frei erfunden sind, kann es sich nach Otto Neugebauer 1938 nur um die Mondfinsternis vom 13. März des Jahres 62 n. Chr. handeln, die dann nicht nur einen terminus post quem liefern, sondern nach aller Wahrscheinlichkeit auch in die Lebenszeit Herons fallen würde. Vgl. Drachmann 1963, 12. 242 Heron, De automatis § I ; Schmidt 1899, 338/340. 243 Heron, De automatis § XXII ; Schmidt 1899, 412/414. 244 Heron, De automatis § I ; Schmidt 1899, 338.

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A. G. Drachmann (1963) beschrieben: Am Anfang der Kraftübertragungskette wird das allmähliche Absinken eines Gewichts ausgelöst; dieses Gewicht ist über eine aufgespulte Schnur mit einer Achse in der Weise verbunden, dass das Sinken des Gewichts die Achse zur Rotation bringt. Durch diese Achsendrehung wiederum werden jeweils im Wege linearer Kraftübertragung über eine Reihe von Zwischengliedern schließlich die den Zuschauern sichtbaren Bewegungen ausgelöst.245 Die wiederholten Erwähnungen der automata im Œuvre des Aristoteles, 246 das zwischen ca. 365 und 325 v. Chr. entstanden ist, können sich nun aus chronologischen Gründen nur auf die stehenden Automatentheater (αὐτόματα στατά) beziehen. Während der ins 1. Jh. n. Chr. zu datierende Heron nämlich für die fahrenden Automatentheater (αὐτόματα ὑπάγοντα) keine ältere Quelle nennt und sie eher als eine technisch noch nicht ganz ausgereifte Innovation präsentiert, 247 hat er die von uns bereits zitierte Darstellung eines stehenden Automaten245  Drachmann

1963, 197: »… the moving force is a heavy weight fitting into a container full of millet or mustard seeds [Hirse- oder Senf­ körner]; the seeds run out through a narrow hole, the weight comes down at a determined rate, and it turns an axle from which it is suspended by a cord. All the movements are taken from this axle by means of strings. A puppet or any other thing is turned by a string going round a drum [Walze]; if it has to turn back, the string is passed over a peg [Pflock] in the drum and wound round the other way. If it has to move, and stop, and move again, there is a length of slack string between two windings; this slack is stuck on the drum with wax, so that it will not hang down and get caught in the other machinery. If a thing has to happen only once, as a back cloth [Kulisse] being dropped, it may be worked by a separate weight which is released by a string pulling out a pin. … A movement of the arm of a puppet, e.g. hammering, is produced by pins on a wheel acting on the short end of a lever [Hebel].« 246  Metaph. A 2, 983a14; Gener. An. B 4, 734 b 9–13; ebenda B 5, 741b8–9. 247 Heron, De automatis § I ; Schmidt 1899: 340/342: ἔστι δὲ ἡ τῶν στατῶν αὐτομάτων ἐνέργεια ἀσφαλεστέρα τε καὶ ἀκινδυνοτέρα καὶ 〈 μ ᾶλλον 〉 πᾶσαν ἐπιδεχομένη διάθεσιν τῶν ὑπαγόντων.



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theaters nach eigenem Bekunden im Wesentlichen aus einer einschlägigen Abhandlung des Philon von Byzanz übernommen, 248 der als Schüler des Ktesibios (1. Hälfte des 3. Jahrhunderts v. Chr.) 249 auch selbst in das dritte vorchristliche Jahrhundert gehört. Deshalb erscheint es als historisch plausibel, die von Aristoteles an mehreren Stellen erwähnten automata mit einer Vorstufe von Philons stehendem Automatentheater gleichzusetzen – einer Vorstufe, die womöglich über bestimmte optische oder akustische Spezialeffekte von Philons automaton noch nicht verfügte, aber gegenüber der archaischen Frühform des stehenden Automatentheaters, die neben den Kulissenwechseln nur den Lidschlag der großen Augenmaske zeigte, 250 schon deutlich fortgeschritten war. Aristoteles zählt die Automatentheater zu den ›Wunderwerken‹ (θαύματα), 251 weil sie durch Auslösung einer mechanischen Kettenreaktion (τὸ ἐφεξῆς) in Gang gesetzt werden, 252 deren Zwischenschritte dem Zuschauer verborgen bleiben, so dass das auf der Bühne sichtbare Endergebnis für ihn überraschend und wunderbar ist; diese Reaktion kann gleichnishaft für das

248 Heron, De automatis § XX ; Schmidt 1899, 404: καὶ βέλτιον τῶν πρὸ ἡμῶν ἅμα καὶ πρὸς διδασκαλίαν μᾶλλον ἁρμόζον οὐδὲν εὕρομεν τῶν ὑπὸ Φίλωνος τοὺ Βυζαντίου ἀναγεγραμμένων. 249  Drachmann 1963, 10. 250  Nach Heron, De automatis § XXII ; Schmidt 1899, 412 vermochte die Frühform des automaton staton nur drei Arten von Bewegungen auszuführen: das Öffnen und Schließen der Bühnentore, das Öffnen und Schließen der großen Augen einer als erstes Bild gezeigten, die Bühne ausfüllenden Gesichtsmaske und den Kulissenwechsel zwischen den einzelnen Bildern. 251  Metaph. A 2, 983a14: τ ῶ ν θ α υ μ ά τ ω ν τὰ αὐτόματα, Gener. An. B 4, 734b10: αὐτόματα τ ῶ ν θ α υ μ ά τ ω ν , ebenda B 5, 741b8–9: ἐν τοῖς αὐτομάτοις θ α ύ μ α σ ι . 252  Gener. An. B 5, 741b 8–10: ὅταν ἀρχὴ γένηται κινήσεως ὥσπερ ἐν τοῖς αὐτομάτοις θαύμασι συνείρεται τὸ ἐφεξῆς. Vgl. auch ebenda B 1, 734b9–10: ἐνδέχεται δὲ τόδε μὲν τόδε κινῆσαι, τόδε δὲ τόδε, καὶ εἶναι οἷον τὰ αὐτόματα τῶν θαυμάτων.

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philosophische Staunen stehen.253 Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, Sachgehalt und Funktion des αὐτόματα-Vergleichs an unserer Stelle wie folgt neu zu bestimmen: Der Sachgehalt des Vergleichs besteht in der erstaunlichen Transformationsleistung der Automatentheater, bei denen eine kleine mechanische Einwirkung von außen, 254 nämlich das Lösen aufgezogener Schnüre, 255 dazu hinreicht, über eine Reihe von selbst ablaufender, von außen nicht sichtbarer Zwischenschritte im Nu eine überraschende Aktivität auf der Theaterbühne zu bewirken – im vorliegenden Fall das gleichzeitige Losschlagen mehrerer Figuren.256 Die Funktion des Vergleichs besteht darin, die noch erstaunlichere Transformation anschaulich zu machen, die bei den selbstbewegten Lebewesen von einer äußeren Bewegungsursache, die sogar ganz ohne mechanische Einwirkung auskommt – nämlich von einem Strebungsobjekt bzw. seiner Wahrnehmung –, über von außen nicht sichtbare, in einem Augenblick ablaufende Zwischenschritte zu einer gänzlich andersartigen Wirkung führt (z. B. zu einer kombinierten Orts- und Greifbewegung).257 Nach diesem hermeneutischen Vorgriff auf den Automatentheater-Vergleich im Ganzen wenden wir uns nun den Einzelheiten zu, die in Zeile 701b3 mittels zweier absoluter Parti­zi­ pial­konstruktionen angegeben werden: 253  Metaph. A 2, 983a12–15: ἄρχονται μὲν γάρ, ὥσπερ εἴπομεν, ἀπὸ τοῦ θαυμάζειν πάντες εἰ οὕτως ἔχει, καθάπερ 〈 π ερὶ 〉 τῶν θαυμάτων τὰ αὐτόματα τοῖς μήπω τεθεωρηκόσι τὴν αἰτίαν. 254 701b2: μικρᾶς κινήσεως γενομένης. 255 701b 3: λυομένων τῶν στρεβλῶν. 256 701b 3: κρουόντων. 257  Vgl. Berryman 2003, 358: »According to Aristotle, the definitive feature of a self-mover is to be so constituted as to react to nonlocal change stemming from the environment by moving locally. Animals – unlike stones or artifacts – can instigate local motion when there are changes in their environment, but nothing pushing or pulling them. The automata he describes do not precisely do this, but they share with self-movers the capacity to transform one kind of input into motion of a different kind« (Kursivierung von uns).



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1. Konstruktion: λυομένων τῶν στρεβλῶν (›wenn die aufgezogenen Schnüre gelöst werden‹) 2. Konstruktion: καὶ κρουόντων ἀλλήλας τὰς στρέβλας (›und wenn … schlagen [Mask./Neutr.] / einander [Fem.]) / die aufgezogenen Schnüre [Akk.]‹).

Wie man sieht, ist die 2. Partizipialkonstruktion, die nach dem Gesagten die vom Lösen der Schnüre ausgelöste Aktion auf der Bühne des Automatentheaters beschreiben müsste, in ihrer von α überlieferten Form schon rein sprachlich nicht zu halten.258 Drei Probleme lassen sich hier abgrenzen: (a) die syntaktische Unvollständigkeit des Partizips κρουόντων; ­ (b) die syntaktische Unbrauchbarkeit des Reziprok-Pronomens ἀλλή­λ ας; (c) die semantische Unbrauchbarkeit des Objekts τὰς στρέβλας. An diesen drei Problemen hat sich die Forschung von Farquharson 1912 bis Nussbaum 1978 mit immer neuen Emendationsvorschlägen abgearbeitet, ohne doch eine inhaltlich befriedigende Lösung zu finden: λυομένων τῶν στρεβλῶν καὶ κρουόντων ἀλλήλας τὰς στρέβ­ λας Hyparchetypus α, Bekker 1831, Jaeger 1913a. – λυομένων τῶν ξ ύ λ ω ν καὶ κρουόντων ἀ λ λ ή λ α ι ς τὰς στρέβλας Farquharson 1912. – λυομένων τῶν στρεβλῶν καὶ κ ρ ο υ ο υ σ ῶ ν ἀλλήλας {τὰς στρέβλας} Forster 1937 (und Kollesch 1960). – λυομένων τῶν στρεβλῶν καὶ κρουόντων ἄ λ λ η λ α {τὰς στρέβ­ λας} Torraca 1958. – λυομένων τῶν στρεβλῶν καὶ κρουόντων ἄ λ λ η λ α τῶν ξ ύ λ ω ν Nussbaum 1978.

Zu (a):  Die syntaktische Unvollständigkeit des Partizips κρουόντων Dem absoluten Partizip κρουόντων (›wenn … schlagen‹) der 2. Konstruktion fehlt ein Subjektsgenetiv, und ein solcher kann auch nicht gedanklich aus dem Kontext ergänzt werden, da die ›aufgezogenen Schnüre‹ (τῶν στρεβλῶν) der 1. Konstruktion wegen ihres femininen Genus nicht zugleich als Subjektsgene258 

Nussbaum 1975, 548: »hopelessly corrupt«.

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tiv zum maskulin/neutralen Partizip (κρουόντων) fungieren können. Farquharson 1912 ging in die Irre, als er den erhaltenen Subjektsgenetiv der 1. Konstruktion (τῶν στρεβλῶν) konjektural durch ein anderes Substantiv (τῶν ξύλων) ersetzte, dessen Genus dann auch zum maskulin/neutralen Partizip (κρουόντων) der 2. Konstruktion stimmte. 259 Denn an der Korrektheit der überlieferten Formulierung der 1. Konstruktion (λυομένων τῶν στρεβλῶν) ist nicht der geringste Zweifel möglich: Aristoteles wird wenige Zeilen später noch einmal ausdrücklich feststellen, dass die Mechanik der Automatentheater durch die Lösung vorher arretierter Schnüre in Gang gesetzt wird.260 Zudem kann der Vorgang, dass Hölzer Schnüre gegeneinander schlagen, weder als Glied einer automaton-internen Kraftübertragungskette noch gar als Bühnenaktion überzeugen. Unbeschadet dessen war es ein großes Verdienst Farquharsons, die korrupte Überlieferung unserer Stelle erstmals überhaupt thematisiert zu haben: Jaeger 1913a und noch Louis 1973 haben die Verderbtheit der Überlieferung glatt übersehen. Keinen Fortschritt über Farquharson hinaus bedeutete es, dass Forster 1937 umgekehrt das maskulin/neutrale Partizip κρουόντων der 2. Konstruktion konjektural an den femininen Subjektsgenetiv der 1. Konstruktion anpasste, indem er es zum femininen Partizip (κρουουσῶν) emen­dierte:261 259  Farquharson 1912, 701b3 mit Anm. 4 ersetzte in der 1. Konstruktion den Subjektsgenetiv τῶν στρεβλῶν durch ein – dann auch in der 2. Kon­ struktion als Subjekt von κρουόντων mitzudenkendes – τῶν ξύλων; zudem änderte er in der 2. Konstruktion den Objektsakkusativ ἀλλήλας zum instrumentalen Dativ ἀλλήλαις, so dass als direktes Objekt zu κρου­ όν­των nurmehr τὰς στρέβλας verblieb. Dies führte auf folgenden Text: λυομένων τῶν ξ ύ λ ω ν καὶ κρουόντων ἀ λ λ ή λ α ι ς τὰς στρέβλας. 260 701b 9–10: τὰ δὲ νεῦρα ὡς αἱ στρέβλαι, ὧν λυομένων καὶ ἀνιε­ μέ­νων κινούνται. 261  Forster 1937, 462–463, wobei als Objektsakkusativ jetzt das überlieferte, ebenfalls feminine Pronomen ἀλλήλας dienen konnte; zudem strich Forster das mit ἀλλήλας konkurrierende Objekt τὰς στρέβλας ersatzlos: λυομένων τῶν στρεβλῶν καὶ κ ρ ο υ ο υ σ ῶ ν ἀλλήλας.



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Wenn als Subjekt in beiden Konstruktionen immer wieder nur Schnüre auftreten und wenn speziell in der zweiten Konstruktion die Schnüre (kraft des Reziprok-Pronomens ἀλλήλας) zu allem Überfluss auch noch als Objekt herhalten müssen, dann zeitigt die anfängliche Lösung der Schnüre kein anderes Resultat, als dass diese selbst gegeneinander schlagen – ein Resultat, das abermals weder als Glied einer internen Kraftübertragungskette noch gar als Bühnenaktion plausibel wirkt. Dass Torraca 1958 stillschweigend die Lizenz in Anspruch nahm, das fehlende Subjekt des Partizips (κρουόντων) erst in der Übersetzung hinzu zu assoziieren, 262 ist vollends in­akzeptabel. So kommen wir nicht um die Folgerung herum, dass in der 2. Konstruktion ursprünglich ein eigenes Subjekt von κρουόντων gestanden haben muss, das später ersatzlos ausgefallen ist.263 Doch wie hätte ein solches, im Kontext doppelt als feminin verankertes κρουουσῶν jemals zu κρουόντων verderbt werden können? 262  Torraca 1958, 20 änderte zwar das überlieferte feminine Pronomen ἀλλήλας zum neutralen, als Objekt von κρουόντων brauchbaren ἄλληλα, und er strich das damit konkurrierende Objekt τὰς στρέβλας. Doch ein Subjekt für κρουόντων lieferte er nicht und gelangte deshalb zu folgendem Text: λυομένων τῶν στρεβλῶν καὶ κρουόντων ἄλληλα, was bei Torraca 1958, 33 wie folgt übersetzt ist: »quando le funicelle sono sciolte e un pezzo trasmette l’impulso all’altro.« Wie man sieht, führt Torraca in der Übersetzung ein Subjekt (»un pezzo«) zu κρουόντων ein, dem in seinem griechischen Text nichts entspricht und das dort auch aus dem Kontext nicht zu erschließen ist. 263  Ein eigenes Subjekt zu κρουόντων hat zuerst Nussbaum 1978 eingeführt, indem sie das überlieferte Objekt der 2. Konstruktion, τὰς στρέβλας, im Gegensatz zu Forster nicht ersatzlos strich, sondern durch das (einst von Farquharson in die 1. Konstruktion eingeführte) τῶν ξύλων ersetzte. Überdies änderte sie das überlieferte Femininum ἀλλήλας (mit Torraca) zum Neutrum ἄλληλα, um für κρουόντων auch ein syntaktisch passendes Objekt zu haben: λυομένων τῶν στρεβλῶν καὶ κρουόντων ἄ λ λ η λ α τ ῶ ν ξ ύ λ ω ν . Damit hat Nussbaum zwar gewissermaßen das Griechisch für Torracas Übersetzung nachgeliefert, doch auch Hölzer, die gegeneinanderschlagen, bleiben hinter unseren Erwartungen an die Bühnenaktion des automatischen Theaters zurück.

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Zu (b): Die syntaktische Unbrauchbarkeit des ­Reziprok-Pronomens ἀλλήλας Nach dem α-Text würde als ein erstes direktes Objekt zum maskulinen bzw. neutralen Partizip κρουόντων (›wenn … schlagen‹) das feminine Reziprok-Pronomen ἀλλήλας (›einander‹, Akk. Fem. Pl.) fungieren. Doch kommt ἀλλήλας für diese Funktion aus zwei Gründen nicht in Betracht. (i) Es liegt im Begriff des Reziprok-Pronomens ›einander‹, dass es dann, wenn man es als direktes Objekt verwendet, die Identität der als Objekt auftretenden Dinge mit denjenigen, die als Subjekt auftreten, feststellt: Der Satz »Die Männer schlagen einander« charakterisiert z. B. die Gruppe der Geschlagenen als identisch mit der Gruppe der Schlagenden. Demnach müsste das als direktes Objekt verwendete feminine Reziprok-Pronomen ἀλλήλας an unserer Stelle ineins mit den Objekten des Schlagens auch dessen Subjekte angeben. Dagegen stellt nun aber die maskulin/neutrale Endung des Partizips κρουόντων (›wenn … schlagen‹) außer Zweifel, dass die Subjekte des Schlagens nach ihrem grammatischen Geschlecht Maskulina oder Neutra sind, so dass sich das feminine ἀλλήλας auf diese Subjekte nie und nimmer beziehen kann – und wenn es das nicht kann, kann es, qua Reziprok-Pronomen, auch nicht die Objekte des Schlagens bezeichnen. (ii) Selbst wenn man mit Forster 1937 das maskulin/neutrale κρουόντων zu femininem κρουουσῶν emendierte, so dass sein grammatisches Geschlecht der Funktion von ἀλλήλας als direktes Objekt nicht länger entgegenstünde, wäre diese Funktion von ἀλλήλας immer noch unvereinbar mit dem anschließend überlieferten weiteren direkten Objekt in Gestalt des Akkusativ Plural τὰς στρέβλας (›die aufgezogenen Schnüre‹). Wenn nämlich als direktes Objekt zum Partizip ein Reziprok-Pronomen (›einander‹) Verwendung fände, könnte daneben nur noch das Subjekt gesondert bezeichnet werden (sofern es nicht aus dem Zusammenhang gedanklich zu ergänzen wäre); das Objekt hingegen dürfte über das Reziprok-Pronomen hinaus



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nicht weiter bezeichnet werden, da es durch dieses Pronomen als mit dem Subjekt identisch markiert wird. Demnach wird die Möglichkeit, dass ἀλλήλας direktes Objekt sein könnte, unabhängig von Einwand (i) auch durch die anschließende Einführung des direkten Objekts τὰς στρέβλας ausgeschlossen. Man müsste also mit Forster 1937 den Einwand (ii) durch einen zusätzlichen konjekturalen Eingriff entschärfen, nämlich durch die ersatzlose Streichung von τὰς στρέβλας.264 Doch die Tatsache, dass man, um ἀλλήλας als direktes Objekt halten zu können, sowohl davor als auch danach je einen konjekturalen Eingriff vornehmen muss, spricht entschieden dafür, dass die syntaktische Unbrauchbarkeit von ἀλλήλας eher auf einem Fehler der Überlieferung dieses Wortes selbst beruht. Wenn an unserer Stelle die Verwendung des Reziprok-Pronomens an sich authentisch ist, dann muss dieses Pronomen ursprünglich eine andere Funktion gehabt haben, indem es entweder in einem anderen Kasus 265 oder in Verbindung mit einer Präposition 266 stand. Als unplausibel erscheint dagegen 264  Forster 1937, 462–463 strich, wie wir sahen, das mit ἀλλήλας konkurrierende Objekt τὰς στρέβλας ersatzlos: λυομένων τῶν στρεβλῶν καὶ κ ρ ο υ ο υ σ ῶ ν ἀλλήλας. Doch wenn ἀλλήλας, wie in Forsters Re­kon­struk­tion, immer schon ein syntaktisch akzeptables Objekt zum Partizip war, warum sollte man dann jemals ein weiteres Objekt (τὰς στρέβλας) hinzugefügt haben? 265  Farquharson 1912, 701b 3 mit Anm. 4 änderte, wie wir sahen, in der 2. Konstruktion den Objektsakkusativ ἀλλήλας zum instrumentalen Dativ ἀλλήλαις. Indessen ist die von ihm dem Dativ ἀλλήλαις gegebene Bedeutung »against one another« sprachlich unplausibel. 266  Nur Kollesch 1960, 143 hat diese Möglichkeit immerhin erwogen, dann aber wieder verworfen: Es kam ihr nicht in den Sinn, dass die durch diesen Eingriff freiwerdende Funktion eines direkten Objekts, für deren Erfüllung sie τὰς στρέβλας zu Recht nicht in Betracht zog, durch Einsetzung eines angemessenen Objekts erfüllt werden könnte. Stattdessen akzeptierte sie die von Forster vorgeschlagene ersatzlose Streichung von τὰς στρέβλας gleichsam als Axiom und lehnte deshalb die Einbettung von ἀλλήλας in eine Präpositionalkonstruktion ab: »Die Einfügung einer Präposition vor ἀλλήλας würde dagegen

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Nussbaums und Torracas Annahme, dass ἀλλήλας aus einem (als Objekt zu κρουόντων dienenden) Akkusativ sächlichen Geschlechts (ἄλληλα) hervorgegangen sei, 267 denn wenn das Reziprok-Pronomen schon vor seiner Korruption zum vermeintlichen Akkusativ-Objekt ἀλλήλας ein (in diesem Fall sogar sprachgemäßes) Akkusativ-Objekt (wie ἄλληλα) gewesen wäre, hätte es nie ein Motiv für die Hinzufügung eines weiteren Akkusativobjekts (τὰς στρέβλας) gegeben. Zu (c) Die semantische Unbrauchbarkeit des Objekts τὰς στρέβλας Die Erwähnung der ›aufgezogenen Schnüre‹ im überlieferten Wortlaut der ersten Konstruktion (λυομένων τῶν στρεβλῶν) ergibt, wie wir sahen, einen einwandfreien Sinn: Durch Lösung der vorher arretierten Schnüre wird die Mechanik des automatischen Theaters in Gang gesetzt. Als umso abwegiger erscheint die Wiederkehr der ›aufgezogenen Schnüre‹ in Gestalt des am Ende der zweiten Konstruktion als direktes Objekt des Schlagens überlieferten τὰς στρέβλας: Dieser Formulierung zufolge würde die anfängliche Lösung der aufgezogenen Schnüre zu guter Letzt nichts anderes bewirken, als dass irgendjemand oder irgendetwas eben diese Schnüre schlägt. Eine solche Vorstellung wäre nicht nur bizarr in sich selbst, sondern auch gänzlich ungeeignet, die überraschende Verschiedenheit von Bewegungsursache und Bewegung zu illustrieren – ganz zu schweigen von der mangelnden Qualifikation der geschlagenen Schnüre als Protagonisten eines Bühnengeschehens. Doch mit der von Forster eingeführten und von Torraca, Kollesch und Nussbaum übernommenen ersatzlosen κρούειν unzulässigerweise zu einem intransitiven Verbum machen«. So folgte sie Forster auch bei der Änderung von κρουόντων zu κρου­ ουσῶν. 267 Torraca 1958, 20 λυομένων τῶν στρεβλῶν καὶ κρουόντων ἄ λ λ η λ α . Nussbaum 1978: λυομένων τῶν στρεβλῶν καὶ κρουόντων ἄ λ λ η λ α τῶν ξύλων.



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Streichung dieses Akkusativobjekts268 ist nichts gewonnen: Ein direktes Objekt zu κρουόντων wird weiterhin benötigt, da, wie unter (b) gezeigt, ἀλλήλας für diese Funktion nicht in Betracht kommt und auch seine Änderung zum Akkusativ Neutr. Pl. ἄλληλα überlieferungsgeschichtlich ganz unplausibel ist. Deshalb bleibt nur die Annahme, dass das ursprüngliche Objekt zu κρουόντων ausgefallen ist, und dass dieser Textausfall durch die sekundäre Einfügung von τὰς στρέβλας, d. h. durch eine akkusativische Wiederaufnahme der ›aufgezogenen Schnüre‹ aus der 1. Konstruktion (λυομένων τῶν στρεβλῶν), einfallslos kompensiert wurde. Allerdings müsste eine solche Einfügung vorgenommen worden sein, bevor die unter (b) diagnostizierte Verderbnis des Reziprok-Pronomens zum vermeintlichen direkten Objekt ἀλλήλας eintrat, denn nachdem mit ἀλλήλας einmal ein solches direktes Objekt vorhanden zu sein schien, hätte es für die Einsetzung bzw. Wiedereinsetzung eines weiteren Akkusativobjekts nicht den geringsten Grund gegeben. Nach dem Gesagten lassen sich die drei Textprobleme der 2. Partizipialkonstruktion, von denen wir ausgingen, wie folgt präzisieren: (a) Bei κρουόντων muss ursprünglich ein eigener Subjektsgenetiv gestanden haben, der später ersatzlos ausgefallen ist. (b) Der überlieferte präpositionslose Akkusativ ἀλλήλας ist korrupt, da dieses Reziprok-Pronomen hier entweder in einem anderen Kasus oder in Verbindung mit einer Präposition gestanden haben muss. (c) Als Objekt zu κρουόντων kommen die überlieferten ›aufgezogenen Schnüre‹ (τὰς στρέβλας) aus inhaltlichen Gründen nicht in Betracht; demnach ist neben dem Subjektsgenetiv von κρουόντων auch sein ursprünglicher Objektsakkusativ ausgefallen, was dann durch die sekundäre Einfügung von τὰς στρέβλας notdürftig 268 

Forster 1937 (und Kollesch 1960): λυομένων τῶν στρεβλῶν καὶ κρουουσῶν ἀλλήλας {τὰς στρέβλας}. – Torraca 1958: λυομένων τῶν στρεβλῶν καὶ κρουόντων ἄλληλα {τὰς στρέβλας}. – Nussbaum 1978: λυομένων τῶν στρεβλῶν καὶ κρουόντων ἄλληλα τῶν ξύλων.

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kompensiert wurde – und zwar noch bevor die ursprüngliche Form des Reziprok-Pronomens zum scheinbaren direkten Objekt ἀλλήλας verschlimmbessert wurde. Von den drei so präzisierten Problemen ist nun Problem (b), d. h. die Frage nach der ursprünglichen syntaktischen Funktion des Reziprok-Pronomens ἀλλήλας, durch den wieder aufgefundenen β-Text möglicherweise gelöst worden: Anstelle des vom α-Zweig überlieferten einfachen Akkusativs ἀλλήλας bezeugen die drei maßgeblichen Vertreter des β-Zweiges übereinstimmend den Präpositionalausdruck πρὸς ἀλλήλας: κρουόντων πρὸς ἀλλήλας τὰς στρέβλας. 269

Da ἀλλήλας bei dieser Lesung nicht mehr direktes Objekt zu κρουόντων ist, sondern Teil des Präpositionalausdrucks πρὸς ἀλλήλας, liegt auch in der Genus-Differenz zwischen maskulin/neutralem κρουόντων und femininem ἀλλήλας keinerlei Schwierigkeit mehr: Zwei oder mehr Agenten A’, A’’, … von maskulin/neutralem grammatischem Geschlecht können ohne weiteres zwei oder mehr Gegenstände B’, B’’, … von grammatisch femininem Geschlecht gegeneinander schlagen (κρουόντων πρὸς ἀλλήλας), ohne dass die Struktur der Beschreibung dieses Vorgangs durch die mangelnde Identität des grammatischen Geschlechts von A’, A’’, … mit dem von B’, B’’, … im mindesten beeinträchtigt würde. Bevor man aber auf der neuen, syntaktisch evident überlegenen β-Lesung weiter bauen kann, ist zunächst zu klären, ob die Lesungs-Differenz zwischen α und β im vorliegenden Fall auf einem Fehler des Schreibers von α (nämlich auf der Auslassung von πρὸς) beruht oder auf einem nachträglichen Korrekturversuch vonseiten des Schreibers von β (nämlich auf der Einfügung von πρὸς). Nun ist der Akkusativ τὰς 269  κρουόντων

πρὸς ἀλλήλας τὰς στρέβλας Erb : πρὸς ἀλλήλας κρουόντων τὰς στρέβλας Be. Die erstgenannte Lesung muss die ursprüngliche sein, da die Reihenfolge κρουόντων … ἀλλήλας durch die Lesung κρουόντων ἀλλήλας des Hyparchetypus α bestätigt wird.



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στρέβλας, den wir oben bei der Analyse von Problem (c) als inhaltlich untragbaren, nachträglich eingefügten Ersatz für das ausgefallene Akkusativobjekt von κρουόντων erwiesen haben, jetzt auch durch den β-Zweig bezeugt und damit bereits für den Archetypus gesichert. Die Einfügung des Ersatzobjekts τὰς στρέβλας ist aber nur in einer Situation denkbar, in der das durch Textausfall hervorgerufene Fehlen eines Akkusativobjekts überhaupt wahrgenommen werden kann, in der also die Objektsfunktion nicht schon durch das vorangehende Re­z i­prok-Pronomen ausgefüllt zu werden scheint. Diese Bedingung wird nur durch eine Textform erfüllt, in der das Re­zi­prok-Pronomen gemäß der β-Lesung noch in den Präpositionalausdruck πρὸς ἀλλήλας eingebunden ist; hingegen wird sie sicher nicht durch eine Textform erfüllt, in der ἀλλήλας gemäß der α-Lesung präpositionslos unmittelbar auf κρουόντων folgt, wodurch die Präsenz eines Akkusativobjekts vorgetäuscht und das Fehlen des wahren Akkusativobjekts verschleiert wird. Mit anderen Worten: Die Einführung des bereits im Arche­typus vorliegenden Ersatzobjekts τὰς στρέβλας ist auf der Basis der β-Lesung πρὸς ἀλλήλας gut vorstellbar, auf der Basis der α-Lesung ἀλλήλας hingegen durchaus nicht. Deshalb spricht alles dafür, dass die β-Lesung πρὸς ἀλλήλας die Lesung des Archetypus bewahrt und dass das πρὸς erst im Hyparchetypus α ausgefallen ist. Mit diesem Ergebnis aber war auch bereits der Weg zur Lösung der Probleme (a) und (c) gebahnt. Zwar haben die Nachfahren des Hyparchetypus β den verlorenen Subjektsgenetiv zum Partizip κρουόντων, d. h. das Subjekt des Schlagens (Problem a), ebenso wenig ans Licht gebracht wie den ebenfalls verlorenen ursprünglichen Objektsakkusativ zu diesem Partizip, d. h. das wahre Objekt des Schlagens (Problem c); vielmehr steht bei κρουόντων auch im β-Text, genau wie im α-Text, zum einen kein Subjektsgenetiv und zum andern nur der sekundär eingefügte, inhaltlich unbrauchbare Objekts­ akkusativ τὰς στρέβλας. Sobald aber die β-Lesung πρὸς ἀλλήλας einmal wiedergewonnen und als authentisch gesi-

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chert ist, liegt die Struktur der von κρουόντων bezeichneten Verbalhandlung geradezu auf der Hand, woraus sich dann unmittelbar ein Vorschlag für die Ergänzung des ausgefallenen Subjekts und Objekts ableiten lässt. In attischer Prosa bezeichnet die an unserer Stelle jetzt wieder vervollständigte Fügung κρούειν πρός + Akkusativ typischerweise das Schlagen von Waffen gegeneinander oder gegen Rüstungsstücke. 270 Dieser Sprachgebrauch ist nun mit der bereits angedeuteten Tatsache zu verbinden, dass in dem von Heron beschriebenen stehenden Automatentheater die aufgemalten Figuren (ζώιδια) bis zum ersten Kulissenwechsel mittels eines ihrer Arme, der beweglich auf die Bildtafel montiert ist und von der für den Zuschauer unsichtbaren Mechanik angetrieben wird, auch wiederholte, gleichförmige Körperbewegungen ausführen können. So war in dem von Heron als Beispiel beschriebenen αὐτόματον στατόν in der ersten Szene zu sehen, wie zwölf gemalte Figuren (ζώιδια γεγραμμένα), die die Griechen vor Troia darstellen, im letzten Kriegsjahr ihre Schiffe für die Heimfahrt instandsetzen, indem die einen sägen, die anderen mit Beilen zimmern, andere hämmern, wieder andere mit großen und kleinen Bohrern arbeiten. 271 Vor diesem sprachlich-sachlichen Hintergrund besteht die an unserer Stelle beschriebene Bühnenaktion des ›gegen­ein­ ander Schlagens‹ höchstwahrscheinlich einfach darin, dass die gemalten Figuren des Automatentheaters mit ihrem beweglichen Arm Hiebwaffen gegeneinander schlagen. Als Subjekt zu κρουόντων bietet sich deshalb der Genetiv Plural 270  Vgl. Thuc. III , 22, 2: ὅπως τὰ ὅπλα μὴ κρουόμενα πρὸς ἄλληλα αἴσθησιν παρέχοι, sowie Xenophon, Anabasis IV, 5, 18: τὰς ἀσπίδας πρὸς τὰ δόρατα ἔκρουσαν. 271 Hero, De automatis § XXII ; Schmidt 1899, 412/414: ἀνοιχθέντος ἐν ἀρχῇ τοῦ πίνακος ἐφαίνετο ζῴδια γεγραμμένα δώδεκα· ταῦτα δὲ ἦν εἰς τρεῖς στίχους διῃρημένα· ἦσαν δὲ οὗτοι πεποιημένοι τῶν Δαναῶν τινες ἐπισκευάζοντες τὰς ναῦς καὶ γινόμενοι περὶ καθολκήν. ἐκινεῖτο δὲ ταῦτα τὰ ζῴδια τὰ μὲν πρίζοντα, τὰ δὲ πελέκεσιν ἐργαζόμενα, τὰ δὲ σφύραις, τὰ δὲ ἀρίσι καὶ τρυπάνοις χρώμενα.



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des von Heron bezeugten terminus technicus ζώιδιον (›Figur des Automatentheaters‹) an, und als Objekt zu κρουόντων der Akkusativ Plural der Bezeichnung einer Hiebwaffe, wobei aber als Objekt (im Hinblick auf πρὸς ἀλλήλας) nur die wenigen Hiebwaffen mit femininer Bezeichnung in Betracht kommen; wir wählen beispielshalber das für Aristoteles auch sonst bezeugte μάχαιρα.272 So schlagen wir, natürlich nur exempli gratia, die folgende Rekonstruktion unserer Stelle vor, die auf der neuen β-Lesung πρὸς ἀλλήλας beruht und die mit der Wiedereinsetzung eines Subjektsgenetivs (τῶν ζωιδίων) und eines Objektsakkusativs (τὰς μαχαίρας) die Struktur der zweiten Partizipialkonstruktion wiederherzustellen beansprucht, auch wenn der genaue Wortlaut dahingestellt bleiben muss:273 ὥσ | 2 | περ δὲ τὰ αὐτόματα κι­ν εῖ­ ται μικρᾶς κινήσεως γενομένης – | 3 | λυομένων τῶν στρεβλῶν καὶ κρουόντων πρὸς ἀλλήλας 〈 ε ὐθὺς τῶν ζωιδίων τὰς μαχαίρας 〉 –, 274      

   

| 4 | καὶ τὸ ἁμάξιον … , | 7 | οὕτω καὶ τὰ ζῶια κινεῖται.    

   

Wie aber die Automatentheater in Gang gesetzt werden, sobald nur eine kleine Bewegung stattge­ funden hat – man löst die aufgezogenen Schnüre, und es schlagen 〈 s ofort die Figuren ihre Säbel 〉 gegeneinander –, und der Spielzeugwagen … , auf solche Weise bewegen sich auch die Lebewesen.

πρὸς ἀλλήλας BeErb : ἀλλήλας cett. | 〈 ε ὐθὺς τῶν ζωιδίων τὰς μαχαί­ ρας 〉 exempli gratia scripsi : τὰς στρέβλας ω : secl. Forster 274

272 

Pol. I, 2, 1252b2. Mot. An. 7, 701b1–3 in der von uns emendierten Fassung. 274  Den Einsatz der resultierenden Bewegung markieren wir nach einem Vorschlag von Christopher Shields (Notre Dame) mit dem Adverb εὐθύς; vgl. hierzu 701a14, 15, 17, 22, 30 und 33, wo mit εὐθύς bzw. εὐθέως jeweils die aus einem praktischen Syllogismus resultierende Handlung eingeführt wird. 273 

CXXVI

Oliver Primavesi

Das an dieser Textstelle im Hyparchetypus α überlieferte Syndrom dreier Teil-Fehler wurde durch Bekanntwerden des Hyparchetypus β in ein neues Licht gerückt. Es hat sich nämlich gezeigt, dass einer dieser Teil-Fehler (der Ausfall von πρὸς) erst auf α selbst zurückgeht und deshalb anhand von β ohne weiteres korrigiert werden kann, wohingegen die verbleibenden zwei Teil-Fehler (Ausfall von Subjekt und Objekt) schon im Archetypus ω vorlagen, so dass sie nur im Wege der Konjekturalkritik korrigiert werden können. Das methodisch Reizvolle des Falles besteht nun aber gerade darin, dass die durch β ermöglichte Korrektur eines der drei Teil-Fehler auch den Weg zur Emendation der beiden verbleibenden Teil-Fehler freimacht. Doch ist dies ein glücklicher Zufall: In der Regel ist die Konjekturalkritik bei den Fehlern des Archetypus ω auf sich selbst gestellt. Ein philosophisch wichtiges Beispiel dafür sei im Folgenden vorgestellt. An ihm mag zugleich deutlich werden, dass man bei der Textkritik Aristotelischer Schriften keineswegs die Frage nach der logischen Schlüssigkeit überlieferter Argumentationen aus den Augen verlieren darf.

4.  Mot. An. 6, 700 b17–25: Der erste Beweger der ­Lebewesen An dieser Stelle hatte schon Bekker 1831 den Konsekutivsatz 23–24 (ὥστε κινεῖ πρῶτον τὸ ὀρεκτὸν καὶ τὸ διανοητόν), der in α durch Ausfall von vier Worten (κινεῖ πρῶτον τὸ ὀρεκτὸν) verstümmelt ist, gemäß dem β-Text vervollständigt: Er konnte dies tun, weil die β-Fassung dieser Stelle ausnahmsweise – nämlich aufgrund von punktueller Kontamination – auch durch den von Bekker benutzten Vat. gr. 1339 (P) überliefert wird. Deshalb können wir auch an dieser Stelle von Bekkers Textgestaltung ausgehen – abgesehen von unserer Herstellung der Mehrheitslesung ὀρέξεις (βγ) anstelle des vom Parisinus E überlieferten und von Bekker bevorzugten ὄρεξις in b22: b



Philologische Einleitung

ὁρῶμεν δὲ τὰ κινοῦντα τὸ ζῶιον διάνοιαν καὶ φαντασίαν καὶ |18 | προαίρεσιν καὶ βούλησιν καὶ ἐπιθυμίαν· | 700b17 |



ταῦτα δὲ πάντα |19 | ἀνάγεται εἰς νοῦν καὶ ὄρεξιν –  

καὶ γὰρ ἡ φαντασία καὶ ἡ | 20 | αἴσθησις τὴν αὐτὴν τῶι νῶι χώ­ ραν ἔχουσιν (κριτικὰ γὰρ | 21 | πάντα, διαφέρουσιν δὲ κατὰ τὰς εἰρημένας ἐν ἄλλοις δια | 22 | φο­ ράς), βούλησις δὲ καὶ θυμὸς καὶ ἐπιθυμία πάντα ὀρέξεις, | 23 | ἡ δὲ προαίρεσις κοινὸν διανοίας καὶ ὀρέξεως –,·   











  



ὥστε κινεῖ πρῶ | 24 | τον τὸ ὀρεκ­τὸν καὶ τὸ διανοητόν·   

  

οὐ πᾶν δὲ διανοητόν, | 25 | ἀλλὰ τὸ τῶν πρακτῶν τέλος.  



CXXVII

1. P : Wir sehen aber, dass die Beweger des Lebewesens die folgenden sind: diskursives Denken, Vorstellung, Entschluss, Wunsch und Begierde. 2. P: Diese lassen sich alle auf Vernunft (nūs) und Strebung (orexis) zurückführen – B  2. ­P : (i) denn auch die Vorstellung und die Wahrnehmung nehmen denselben Platz ein wie die Vernunft (sie alle können nämlich Unterschiede erfassen, doch aufgrund ihrer an anderer Stelle behandelten Eigenschaften sind sie voneinander verschieden). (ii) Wunsch, Mut und Begierde hingegen sind durchweg Strebungen; (iii) der Entschluss aber ist etwas Gemeinsames aus diskursivem Denken und Strebung. C: Zuerst bewegen folg­ lich das Strebungsobjekt und das Objekt diskursiven Denkens (dia­ noē­ton). E:  Doch nicht jedes beliebige Objekt diskursiven Denkens, sondern nur der Zweck möglicher Handlungen.

22 ὀρέξεις βγ : ὄρεξις E, Bekker || b23–24 ὥστε κινεῖ πρῶτον τὸ ὀρεκτὸν καὶ βP, Bekker : ὥστε καὶ α

b

In der von Bekker edierten Form enthält die Stelle ein Argument für die abschließend (700b23–25) vorgetragene These, dass die erste Ursache für die Selbstbewegungen der Lebewesen jeweils mit einem durch Handeln erreichbaren Objekt ihres Strebens (orekton) bzw. ihres diskursiven Denkens (dianoēton) zu identifizieren sei. Doch ganz unabhängig von der Frage

CXXVIII

Oliver Primavesi

nach der Plausibilität dieser These275 ist jedenfalls leicht zu sehen, dass sie aus den hier zu ihrer Begründung beigebrachten Prämissen schlechterdings nicht folgt. In der ersten Prämisse (700b17–18) zählt Aristoteles eine Reihe seelischer Aktivitäten auf, die bei der Verursachung animalischer Selbstbewegung eine Rolle spielen können: diskursives Denken (dianoia), Vorstellung (phantasia), Entschluss (prohairesis), Wunsch (būlēsis) und Begierde (epithymia). 276 In der zweiten Prämisse (700b18–23) stellt Aristoteles zunächst die Behauptung auf, dass all diese seelischen Aktivitäten auf die beiden fundamentalen Seelenvermögen Strebung (orexis) und Vernunft (nūs) zurückzuführen seien, um diese Behauptung dann ihrerseits in drei Schritten (i–iii) zu begründen. Schritt (i), die Zurückführung von Vorstellung (phantasia) und Sinneswahrnehmung (aisthēsis) auf die Vernunft (nūs), bedarf der Rechtfertigung, weil Aristoteles in De anima den Tieren das Wahrnehmungsund Vorstellungsvermögen zubilligt, die Vernunft hingegen abspricht.277 Im Hinblick darauf macht Aristoteles an unserer Stelle geltend, dass Vorstellung und Sinneswahrnehmung im Rahmen des gegenwärtigen Arguments gleichwohl die Rolle der Vernunft übernehmen können, insofern es sich bei ihnen allen, unbeschadet ihrer sonstigen Verschiedenheit, jeweils um 275  Es trifft klarerweise nicht zu, dass alle sich selbst bewegenden Lebewesen über ›diskursives Denken‹ (dianoia) verfügen. 276  Bei der Ausarbeitung der zweiten Prämisse wird diese Liste in 700 b23–24 erst nachträglich noch um Sinneswahrnehmung (700 b20: aisthēsis) und Mut (700b22: thymos) ergänzt werden, was aber für das gegenwärtig zu behandelnde Textproblem keinen Unterschied macht. 277  Vgl. z. B. An. II 3, 414b18–19: ἑτέροις δὲ (scil. ὑπάρχει) καὶ τὸ διανοητικόν τε καὶ νοῦς, οἷον ἀνθρώποις καὶ εἴ τι τοιοῦτον ἕτερόν ἐστιν ἢ καὶ τιμιώτερον. Ebenda III 3, 429 a 4–9: καὶ διὰ τὸ ἐμμένειν (scil. τὰς φαντασίας) καὶ ὁμοίως εἶναι ταῖς αἰσθήσεσι, πολλὰ κατ᾽ αὐτὰς πράττει τὰ ζῶια, τὰ μὲν διὰ τὸ μὴ ἔχειν νοῦν, οἷον τὰ θηρία, τὰ δὲ διὰ τὸ ἐπικαλύπτεσθαι τὸν νοῦν πάθει ἢ νόσοις ἢ ὕπνωι, οἷον οἱ ἄνθρωποι. Ebenda III 10, 433a11–12: καὶ ἐν τοῖς ἄλλοις ζώιοις οὐ νόησις οὐδὲ λογισμός ἐστιν, ἀλλὰ φαντασία.



Philologische Einleitung

CXXIX

Unterscheidungsvermögen (kritika) handelt. 278 – Ganz unproblematisch ist demgegenüber Schritt (ii), die Zurückführung von Wunsch (būlēsis), Mut (thymos) und Begierde (epithymia) auf die Strebung (orexis) als auf ihre Gattung.279 – Schritt (iii) schließlich gilt dem Entschluss (prohairesis), der als Hybrid aus diskursivem Denken (dianoia) und Strebung (orexis) charakterisiert wird:280 Hieraus müsste dann zu guter Letzt noch die für die zweite Prämisse benötigte Zurückführung des Entschlusses auf Strebung und Vernunft (nūs) abgeleitet werden – doch dies hat Aristoteles dem mitdenkenden Leser überlassen, da sich die Unterordnung des diskursiven Denkens (dianoia) unter die Vernunft (nūs) für ihn von selbst versteht. – Damit sind in der Tat alle in der ersten Prämisse aufgeführten seelischen Ursachen von Selbstbewegung auf Vernunft (nūs) und Strebung (orexis) zurückgeführt. Doch die hieraus von Aristoteles anschließend (700b23–25) gezogene Schlussfolgerung ist allenfalls in ihrer allgemeinen Tendenz nachvollziehbar. Wenn die seelische Verursachung von Selbstbewegung letzten Endes stets auf Vernunft und Strebung zurückzuführen ist, und wenn wir dem Aristoteles (gestützt auf De anima und gemäß dem principle of charity) als eine gedanklich zu ergänzende weitere Prämisse den Satz konzedieren, dass die Vermögen (dynameis) der Seele erst durch die zugehörigen Objekte aktualisiert werden, 281 dann sind die ersten Beweger 278  Vgl. An. III 10, 433a9–10: φαίνεται δέ γε δύο ταῦτα κινοῦντα, ἢ ὄρεξις ἢ νοῦς, εἴ τις τὴν φαντασίαν τιθείη ὡς νόησίν τινα. 279  Vgl. hierzu die bereits oben in Abschnitt 4.3 angeführten Stellen Mot. An. 6, 700b22: βούλησις δὲ καὶ θυμὸς καὶ ἐπιθυμία πάντα ὀρέξεις, An. II 3, 414b2: ὄρεξις μὲν γὰρ ἐπιθυμία καὶ θυμὸς καὶ βούλησις, sowie EE B 7, 1223a26–27: ἀλλὰ μὴν ἡ ὄρεξις εἰς τρία διαιρεῖται, εἰς βούλησιν καὶ θυμὸν καὶ ἐπιθυμίαν. 280  Zum Hybridcharakter der prohairesis vgl. oben Abschnitt 4.3 über Mot. An. 7, 701a36– b1. 281  Diesen Grundsatz hat Aristoteles im zweiten Buch von De anima vor allem am Beispiel des Wahrnehmungsvermögens illustriert; vgl. An. II 5, 417a3–7: ἔχει δ’ ἀπορίαν διὰ τί καὶ τῶν αἰσθήσεων αὐτῶν

CXXX

Oliver Primavesi

der Lebewesen in der Tat mit den durch Handeln realisierbaren Objekten jener beiden grundlegenden, in der zweiten Prämisse herausgestellten Seelenvermögen zu identifizieren. Doch auch bei Einräumung der genannten Zusatzprämisse ist Aristoteles jetzt zwar zu der Schlussfolgerung berechtigt, dass der erste Beweger der Lebewesen stets ein Vernunft­objekt (noēton) bzw. ein Strebungsobjekt (orekton) sei, keineswegs aber zu der in 700b23–24 überlieferten Schlussfolgerung, dass der erste Beweger der Lebewesen stets ein Objekt diskursiven Denkens (dianoēton) bzw. ein Strebungsobjekt (orekton) sei. Vielmehr ist der überlieferte Schluss deshalb ungültig, weil in den beiden im Text formulierten Prämissen keineswegs nur das diskursive Denken, sondern auch die nicht-diskursiven Formen noetischer Aktivität, wie Wahrnehmung und Vorstellung, explizit als noetische Ursachen der Selbstbewegung etabliert wurden; eben diese nicht-diskursiven noetischen Bewegungsursachen aber fallen in der überlieferten Conclusio sang- und klanglos unter den Tisch, so dass die Conclusio gemessen an den Prämissen viel zu eng ist. Die Ausflucht aber, dass der Schlussfolgerung an unserer Stelle ein unpräziser Begriff des diskursiven Denkens (dianoia) zugrunde liegen könnte, der mit dem Begriff der Vernunft mehr oder weniger gleichbedeutend wäre, ist abzuweisen. Der Grund dafür liegt nicht so sehr in dem subtilen Unterschied, den Aristoteles auch sonst zwischen nūs und dianoia macht, 282 sondern vielοὐ γίνεται αἴσθησις, καὶ διὰ τί ἄνευ τῶν ἔξω οὐ ποιοῦσιν αἴσθησιν … δῆλον οὖν ὅτι τὸ αἰσθητικὸν οὐκ ἔστιν ἐνεργείᾳ, ἀλλὰ δυνάμει μόνον, 417b24–26: αἰσθάνεσθαι δ’ οὐκ ἐπ’ αὐτῷ· ἀναγκαῖον γὰρ ὑπάρχειν τὸ αἰσθητόν, und 418 a3–4: τὸ δ’αἰσθητικὸν δυνάμει ἐστὶν οἷον τὸ αἰσθητὸν ἤδη ἐντελεχείᾳ. 282  Vgl. Metaph. Γ 7, 1012 a 2–3 (ἔτι πᾶν τὸ διανοητὸν καὶ νοητὸν ἡ διάνοια κατάφησιν ἢ ἀπόφησιν), womit nach Oehler 1962, 247 auf­ einander folgende Phasen ein und derselben kognitiven Episode gemeint sind: »Aber abgesehen von der historischen Genesis dieses Pro­ blembestandes ist es ja sachlich so, daß das Denken nicht bei der einheitlichen noetischen Erfassung des Gegenstandes stehenbleibt, sondern



Philologische Einleitung

CXXXI

mehr in der Tatsache, dass nūs und dianoia gerade an unserer Stelle, nämlich in der zweiten Prämisse des gegenwärtigen Arguments, in jeweils spezifische, einander geradezu entgegengesetzte Kontexte eingebettet worden sind. Einerseits war in 700b19–22 der Begriff der Vernunft so flexibilisiert worden, dass er die auch von Tieren geteilten Vermögen der Wahrnehmung und Vorstellung mitumfassen kann, andererseits war in 700b23 das diskursive Denken als die noetische Komponente der spezifisch menschlichen, diskursiven ­L eistung des Entschlusses eingeführt worden. Angesichts dieser höchst verschiedenen Behandlung von nūs und dianoia in der zweiten Prämisse ist sicher auszuschließen, dass man die in der gleich anschließenden Schlussfolgerung überlieferte Bezeichnung des Objekts diskursiven Denkens (dianoēton) als eine nachlässig-ungenaue Bezeichnung des Vernunftobjekts im Allgemeinen (noēton) auffassen dürfte; vielmehr muss Aristo­ teles hier nicht nur noēton gemeint, sondern auch noēton geschrieben haben, und der Text von 700b23–25 ist wie folgt zu emendieren: κινεῖ πρῶτον τὸ ὀρεκτὸν καὶ τὸ ν ο η τ ό ν . οὐ πᾶν δὲ ν ο η τ ό ν , ἀλλὰ τὸ τῶν πρακτῶν τέλος. (»Zuerst bewegen folglich das Strebungsobjekt und das Vernunftobjekt [noēton]. Doch nicht jedes beliebige Vernunftobjekt [noēton], sondern nur der Zweck möglicher Handlungen«). Dieser von uns hergestellte Wortlaut wird dadurch bestätigt, dass sein erster Satz wortwörtlich dem allgemeinen bewegungstheoretischen Grundsatz entspricht, auf den Aristoteles auch die Kreisbewegung des Universums durch den ersten unbewegten Beweger zurückführt; Letzteres tut er im siebenten Kapitel von Meta­physik Λ, 283 auf das er zu allem Überfluss wenige das noetisch Gegebene im Urteil expliziert und damit in den Bereich möglicher Falschheit transponiert. Das bedeutet: das νοητόν wird zum Gegenstand der διάνοια, wird bejaht und verneint und wird dadurch ein διανοητόν«. 283  Vgl. Metaph. Λ 7, 1072 a 26–27: κινεῖ δὲ ὧδε τὸ ὀρεκτὸν καὶ τὸ νοητόν· κινεῖ οὐ κινούμενα.

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Oliver Primavesi

Zeilen vor unserer Stelle schon einmal ausdrücklich hingewiesen hat.284 Vor allem aber erhält das in 700b17–25 vorgetragene Argument als ganzes durch unsere Emendation erstmals eine schlusskräftige Form:285 ὁρῶμεν δὲ τὰ κινοῦντα τὸ ζῶιον διάνοιαν καὶ φαντασίαν καὶ |18 | προαίρεσιν καὶ βούλησιν καὶ ἐπιθυμίαν· | 700b17 |



ταῦτα δὲ πάντα |19 | ἀνάγεται εἰς νοῦν καὶ ὄρεξιν … .  

ὥστε κινεῖ πρῶ | 24 | τον τὸ ὀρεκ­ τὸν καὶ τὸ νοητόν·

| 23 |

  

  

οὐ πᾶν δὲ νοητόν, | 25 | ἀλλὰ τὸ τῶν πρακτῶν τέλος.  



1. P : Wir sehen aber, dass die Beweger des Lebewesens die folgenden sind: diskursives Denken, Vorstellung, Entschluss, Wunsch und Begierde. 2. P: Diese lassen sich alle auf Vernunft (nūs) und Strebung (orexis) zurückführen. (Es folgt in b19–23 die Begründung der 2. Prämisse) [I 3. P:  Die seelischen Vermögen werden (nach An. II) durch ihre Gegenstände aktualisiert] C: Zuerst bewegen folglich das Strebungsobjekt und das Vernunftobjekt (noēton). E       : Doch nicht jedes beliebige Vernunftobjekt, son­dern nur der Zweck möglicher Handlungen.

b 23–24 κινεῖ πρῶτον τὸ ὀρεκτὸν β : om. α || a24 τὸ νοητόν. οὐ πᾶν δὲ νοητόν scripsi (cl. Metaph. Λ 7, 1072 a26) : τὸ διανοητόν. οὐ πᾶν δὲ διανοητόν ω | πᾶν δὲ β : πᾶν δὲ τὸ α

284  Vgl. Mot. An. 6, 700 b 7–9: περὶ δὲ τοῦ πρώτου κινουμένου καὶ ἀεὶ κινουμένου, τίνα τρόπον κινεῖται καὶ πῶς κινεῖ τὸ πρῶτον κινοῦν, διώρισται πρότερον ἐ ν τ ο ῖ ς π ε ρ ὶ τ ῆ ς π ρ ώ τ η ς φ ι λ ο σ ο φ ί α ς . 285  Mot. An. 6, 700 b17–19 + 23–25. Die in 700 b19–23 eingeschaltete Begründung der zweiten Prämisse haben wir hier lediglich um der größeren Übersichtlichkeit willen nicht noch einmal mitabgedruckt; irgendwelche Zweifel an der Authentizität dieser Begründung sollen damit nicht angedeutet werden.



Philologische Einleitung

CXXXIII

Der Grund dafür aber, dass bereits in unserem Archetypus das originale noēton zweimal fehlerhaft zu dianoēton geändert war, liegt auf der Hand. Ein antiker Bearbeiter des Textes hat offenbar nicht verstanden, dass der hier vorliegende Folgerungssatz die Conclusio des gesamten Prämissen-Teils 700b17–23 darstellt, und hat deshalb die Voraussetzung des Folgerungssatzes einzig und allein in der in 700b23 unmittelbar vorangehenden Beschreibung der Prohairesis gesehen, der zufolge diese sowohl am diskursiven Denken (dianoia) als auch an der Strebung (orexis) Anteil hat. Aus dieser Beschreibung allein aber könnte man, wenn man sie isoliert betrachtet, in der Tat leichter auf einen Satz über das Objekt des diskursiven Denkens (dianoēton) schließen als auf einen über das Vernunftobjekt (noēton) im Allgemeinen. So hat der Bearbeiter das orginale noēton zweimal durch dianoēton ersetzt, um den Geltungsbereich des Folgerungssatzes auf den Horizont der Prohairesis-Beschreibung zu beschränken. 286 Dass als Folge seines Eingriffs die vorhergehende ausführliche Behandlung der nicht-diskursiven noetischen Bewegungsursachen funktionslos in der Luft hängt, ist ihm ebenso wenig aufgefallen wie den seitherigen Benutzern des Textes. 287 286  Hier noch einmal das vom Bearbeiter sachwidrig viel zu eng abgegrenzte und entsprechend durch zweimalige Einfügung von δια- verschlimmbesserte Textstück 700 b23–25: ἡ δὲ προαίρεσις κοι­ νὸν δια­νοίας καὶ ὀρέξεως· ὥστε κινεῖ πρῶτον τὸ ὀρεκτὸν καὶ τὸ 〈 δ ια 〉 νοητόν· οὐ πᾶν δὲ 〈 δια 〉 νοητόν, ἀλλὰ τὸ τῶν πρακτῶν τέλος. 287  Die überlieferte Beschränkung der Conclusio auf das Objekt der diskursiven Vernunft (dianoēton) würde nicht einmal zu der anschließenden Bestimmung des relevanten Objekts als ein Ziel realisierbarer Handlungen stimmen: Die dianoia als die diskursive Komponente der prohairesis ist nämlich nicht auf das Ziel, sondern auf die Mittel gerichtet. Vgl. hierzu die bereits oben in Abschnitt 4.3 angeführten Stellen EN III 3, 1111b26–27: ἔτι δ’ ἡ μὲν βούλησις τοῦ τέλους ἐστὶ μᾶλλον, ἡ δὲ προ­ αίρεσις τῶν πρὸς τὸ τέλος, sowie EE Β 10, 1226a7–8: οὐθεὶς γὰρ τέλος οὐ­δὲν προαιρεῖται, ἀλλὰ τὰ πρὸς τὸ τέλος, und ebenda 1226 a16–17: βού­λ εσ­θαι μὲν καὶ δόξα μάλιστα τοῦ τέλους, προαίρεσις δ’ οὐκ ἔστιν.

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Oliver Primavesi

* * * Die hier vorgelegten textkritischen Erläuterungen können nicht mehr sein als eine erste Einführung in die Textkritik von Mot. An.: Jede der 120 von uns vorgenommenen, vielfach der Textform des neuen Hyparchetypus β folgenden Neuerungen beruht auf einer ausgearbeiteten Argumentation, und die vollständige Mitteilung all dieser Argumentationen, die den Rahmen der vorliegenden Ausgabe sprengen würde, muss einem ausführlichen textkritischen Kommentar vorbehalten bleiben.288 Doch seien diese textlichen Neuerungen im Folgenden in Tabellenform zusammengestellt.

.  Vergleichstabelle Primavesi (2018) | Nussbaum (1978): 120 Neuerungen der vorliegenden Edition gegenüber ­Nussbaums Text Kapitel 1 (1)  Titulus

delevi | περὶ ζῴων κινήσεως (ω)

(2) 698a1

τῆς τῶν ζώιων κινήσεως β | κινήσεως τῆς τῶν ζῴων (α)

(3) 698a8

αὐτὸ αὑτὸ βE | αὐτὸ ἑαυτὸ (γ)

(4) 698a15–16

πρῶτον μὲν βγ | πρῶτον μὲν οὖν (E)

(5) 698a16–17

ἀεὶ γάρ … ἠρεμεῖ τι β | δεῖ γάρ … ἠρεμεῖν τι (α)

(6) 698 22–24 Diagramma ΑΒΓΔ α | non habet Nussbaum a

(7) 698a23

ἡ μὲν Α καὶ ἡ Δ βε | ἡ μὲν ΑΔ coniecit Nussbaum

(8) 698 26 κινεῖσθαι βEθC a | κινεῖται (ι) a

(9) 698b1 διαιρεῖται β | διαιρετά (α) (10) 698b1

ἡ ἀρχή γε β | ἡ ἀρχὴ (α)

288  Dieser textkritische Kommentar wird ebenso wie ein apparatus lectionum omnium in die geplante editio maior aufgenommen werden, die im De Gruyter-Verlag erscheinen soll.



Philologische Einleitung

CXXXV

(11) 698b3 ὀλέκρανον βENC a (item infra 702a28, b4, b11) | ὠλέ­κ ρανον (ληι) (12) 698b5

ἕκαστον δεῖ τι β | ἕκαστόν τι δεῖ (α)

(13) 698 6 ἐστίν βE | ἔσται (γ) b

Kapitel 2 (14) 698b8 αὐτοῖς βι | αὐτῷ (EΓθε) (15) 698b9 ἔξω βE | ἔξωθεν (γ) (16) 698b16

μυσὶ τοῖς α | ἑμύσι τοῖς (coniecit Diels)

(17) 698 16

τῆι πίττηι β, E ante rasuram | πηλῷ coniecit ­Nussbaum

(18) 698b23

ἐπ’ αὐτῶι β | ἐν αὐτῷ (α)

b

(19) 698b24–25 οὐδ’ … οὐδ’ β | οὐδ’ ἂν … οὐθ’ (coniecit Jaeger) (20) 698b26 πλέων β | πνέων (α) (21) 699 a 4 αὐτὸν β(Be) | αὐτὸ ἢ (α) (22) 699 a10

ἕλκων καὶ ὠθῶν β | ὠθῶν ἢ ἕλκων (α)

Kapitel 3 (23) 699 a13

τέ τι δεῖ β(Be) | τε δεῖ (E)

(24) 699 13

καὶ τοῦτο ω | καὶ τοῦτο, 〈 κ αὶ 〉 (coniecit ­Farquharson)

(25) 699 a13

οὐρανοῦ β | οὐρανοῦ μόριον (α)

(26) 699 a17

ἔσται correxit Thomaeus | ἔσεσθαι (ω)

(27) 699 26

τὰ κινούμενα δι’ αὑτῶν β PBpMo | καὶ τὰ κινούμενα δι’ αὐτῶν (α)

(28) 699b2

τοιοῦτoν ἕτερόν ἐστιν β P | τοιοῦτόν ἐστιν ἕτερον (α)

(29) 699b2

οὐ δεῖ … β | οὐδὲν … (α)

a

a

(30) 699 2–3 ἀντερείδειν βγ | ἀντερείδειν δεῖ (E) b

(31) 699b 7

καὶ τοῦ β | καὶ τῆς τοῦ γ(HaLVg ιε)

CXXXVI

Oliver Primavesi

Kapitel 4 (32) 699b14

ὑπερβάληι L C a Be et al. | ὑπερβάλλῃ (E N Er et al.)

(33) 699b19

ἀδύνατον εἶναί φαμεν β | ἀδύνατόν φαμεν εἶναι EN

(34) 699b23

ἐξ ἀνάγκης 〈 εἶναι 〉 e b22 transposui | ἐξ ἀνάγκης (ω)

(35) 699b25

εἰσιν αἱ βEθ | εἰσιν (Michael ι C a)

(36) 699 30 εἴπερ β | εἰ (α) b

(37) 700 a1 μήστωρ’ β | πάντων (EΓε) (38) 700 a1 πάνυ β | μάλα (α) (39) 700 a8–9

δεῖ γὰρ—κινεῖσθαι post a10 κινήσεται transposui cum Renehan | δεῖ γὰρ—κινεῖσθαι (ω)

(40) 700 a8

αὐτοῦ τὸ βEC a | αὐτῶν τὸ (θ)

(41) 700 a12 αὑτοῖς βιC a | ἑαυτοῖς (Eθ) (42) 700 a13

καὶ τὸ κινούμενον β | καὶ τὸ κινοῦν (α)

(43) 700 a13

πρὸς τῶν ἔξωθέν β | πρὸς τῶν ἔξω (α)

(44) 700 13 ἠρεμοῦν β | ἠρεμούντων (α) a

(45) 700 a14

πάντα ταῦτα β | ταῦτ(α) (α)

(46) 700 15

τι ἄλλ’, 〈 ἀ λλ’ 〉 scripsi | τι, ἀλλ᾿ (ω)

(47) 700 a17

πάντων ὁμοίως β | πάντων (α)

(48) 700 a20

πρῶτον κινοῦν βθC a | πρώτως κινοῦν (Eι)

(49) 700 25

καὶ οἱ ἐκπνέοντες βC a | καὶ ἐκπνέοντες (Eζ)

a

a

Kapitel 5 (50) 700 a26

αὐτὸ αὑτὸ βΕ NPMoC a | αὐτῷ αὑτὸ (λ)

(51) 700 a27

αὐτὸ ὑφ’ αὑτοῦ Eι | αὐτῷ ὑφ’ αὑτοῦ (βθ)

(52) 700a27–28 καὶ ἐν τῶι αὐξανομένωι β | καὶ αὐξανομένῳ (α) (53) 700 a29 ἥνπερ ω | ἥπερ Nussbaum (perperam?) (54) 700a29–30 γενέσεως μὲν καὶ φθορᾶς β | γενέσεως καὶ φθορᾶς (α) (55) 700 a30

αὕτη ἂν αἰτία εἴη β | αὕτη αἰτία ἂν εἴη (α)



Philologische Einleitung

CXXXVII

(56) 700 a30–31 καὶ τῶν ἄλλων δὲ κινήσεων βE | καὶ τῶν ἄλλων δὴ κινήσεων (coniecit Farquharson) (57) 700b1

αὐτὸ αὑτῶι αἴτιον εἶναι β | αὐτὸ αἴτιον εἶναι αὑτῷ (α)

Kapitel 6 (58) 700b9

λοιπὸν δ’ ἐστὶν EbΓ | λοιπόν ἐστι(ν) (BeEr γ)

(59) 700b14

καὶ γὰρ βEC a ι | καὶ γὰρ καὶ (θ)

(60) 700b16

πάσης αὐτοῖς β | αὐτοῖς πάσης (α)

(61) 700 22 ὀρέξεις βγ | ὄρεξις (E) b

(62) 700b24

καὶ τὸ βEC a ιλ | καὶ (N)

(63) 700 24

νοητόν … νοητόν scripsi | διανοητόν … διανοητόν (ω)

(64) 700 24

οὐ πᾶν δὲ β P | οὐ πᾶν δὲ τὸ (Eεθ)

(65) 700 33

καλὸν καὶ scripsi | καλὸν καὶ τὸ (ω) ἀληθὲς καὶ τὸ πρώτως βP | ἀληθῶς καὶ πρώτως (α)

b

b

b

(66) 701a3 κινουμένων β | κινήσεων coniecit Nussbaum Kapitel 7 (67) 701a8

ἔοικε δὲ β Ν G1(x2) Bp | ἔοικε(ν) (E λιε)

(68) 701a17

ἀγαθὸν δὲ οἰκία β | οἰκία δ’ ἀγαθόν (α)

(69) 701a19

ἱματίου δὲ δέομαι β | ἱματίου δέομαι (α)

(70) 701 19

ἱμάτιον ποιεῖ βEC a | ἱμάτιον ποιητέον (δ)

(71) 701a24

δυεῖν ὁδῶν scripsi (< δύ’ εἱ ποδῶν Be, Ea.c.?) | δύο εἰδῶν (Ep.c.γEr)

a

(72) 701a26 ἐπιστᾶσα β | ἐφιστᾶσα (α) (73) 701a27 οὐκέτι β | οὐκ (α) (74) 701a35

τοῦ κινεῖσθαι ω | τῆς κινήσεως Nussbaum ­( perperam?)

(75) 701b1

διὰ προαίρεσιν ἢ βούλησιν β | διὰ βούλησιν ­c oniecit Nussbaum

(76) 701b3

κρουόντων πρὸς β | κρουόντων (α)

CXXXVIII

Oliver Primavesi

(77) 701b3 ἀλλήλας ω | ἄλληλα (coni. Torraca) (78) 701b3

〈 ε ὐθὺς τῶν ζωιδίων τὰς μαχαίρας 〉 scripsi | 〈 τῶν ξύλων 〉 (coniecit Nussbaum)

(79) 701b4 ὅπερ α | ὁ γὰρ (Richards & Ross) (80) 701b4

〈 ὁ 〉 ὀχούμενος supplevi | ὀχούμενος (β)

(81) 701b4 αὐτὸς β | αὐτὸ (α) (82) 701b4–5

〈 πάλιν 〉 καὶ πάλιν supplevi | καὶ πάλιν (ω)

(83) 701 5

κύκλωι δὲ β | κύκλῳ (α)

(84) 701 13–14

ἔλαττον καὶ μεῖζον β | μεῖζον καὶ ἔλαττον (α)

b

b

(85) 701 14–15 αὐξανομένων 〈 κ αὶ συστελλομένων 〉 τῶν μορίων supplevi | αὐξανομένων τῶν μορίων (ω) b

(86) 701b15–16

πνεῦμα καὶ βE | πάλιν συστελλομένων διὰ (γ)

(87) 701 20

θερμοῦ ἢ ψυχροῦ ἢ ω | seclusit Nussbaum

b

(88) 701 30 καὶ βEιC a | εἰ καὶ (θ < Mich. < Alex.) b

(89) 701b30

ἐν ἀναισθήτωι μορίωι Alexander | κατὰ μέγεθος ἐν ἀναισθήτῳ μορίῳ (γ)

Kapitel 8 (90) 701b34

τε καὶ Alexander | καὶ (ω)

(91) 701b36–37 ἀλλὰ—συμβαῖνον ω | post 702a1 θερμότητος transposuit cum Moraux (92) 702a 4

καὶ ψύξεώς βΑ | ἢ ψύξεώς (α)

(93) 702 11

καὶ ἐπὶ τοῦ … καὶ ἐπὶ τοῦ β | καὶ ἔτι τοῦ … καὶ (α)

a

(94) 702a14 ἀπολείπηι βEHaLVg | ἀπολίπῃ (Xp.c.PBpMo ε) (95) 702a15

διὰ τοῦτο β | διὰ τοῦτο δ’ (α)

(96) 702 18

ἐπιτηδείως ἔχειν β | ἐπιτηδείως (α)

(97) 702 22

ἐστὶν τοῦ μὲν β | τοῦ μέν ἐστιν (Vat. gr. 261 et 266)

(98) 702 29

κινεῖ καὶ κινεῖται β | κινεῖται (α)

(99) 702a29

ἀλλ’ ἀνάγκη β | ἀνάγκη (α Er)

a

a

a



Philologische Einleitung

CXXXIX

(100) 702a29 δ 〈 ὴ 〉 εἶναί scripsi | δ’ εἶναί (ω) (101) 702a30

ἓν scripsi | ἓν εἶναι (ω)

(102) 702b4 μόριον β | μέρος (α) Kapitel 9 (103) 702b15

ἀνωτέρωι (Dativus) E | ἀνωτέρω (Adverbium) (βγ)

(104) 702 17 ἐσχάτων β | ἄκρων (α) b

(105) 702b19

καὶ τὰς N | καὶ πρὸς τὰς X

(106) 702 28–36 Diagramma ΑΒΓ γ | non habet Nussbaum b

(107) 702b30

κινήσεσθαι (passivē) βEC a λ | κινεῖσθαι (Nι)

(108) 702b32

ἐνδέχεται καὶ β | ἐνδέχεται (α)

(109) 702 32

κινεῖσθαι τῶι Β β | τῷ Β κινεῖσθαι (α)

b

Kapitel 10 (110) 703a22

καὶ βία〈 ι ἑλκ 〉 τικὴ supplevi (< βιαστικὴ ω) | καὶ ἑλκτικὴ (Farquharson ex G)

(111) 703a25–26 κρατεῖται … ὑπ’ ἀλλήλων β | κρατεῖ … ἀλλήλων (α) Kapitel 11 (112) 703b 7

φανέντος μέν τινος β | φανέντος τινός (α)

(113) 703 12 αὐξάνεσθαι βN | αὔξεσθαι (α) b

(114) 703b15–16 καὶ ἐντὸς ὑπάρχουσιν β | καὶ αἱ ἐντὸς ὑπάρχου­σαι (α) ­ ussbaum (115) 703b22–23 τούτου—ζωτικήν ω | cum Jaeger seclusit N (116) 703b28

πρὸς ἄλληλα δὲ βθC | πρὸς ἀλλήλας (E)

(117) 703b29–36 Diagramma ΑΒΓΔΕ βγ | non habet Nussbaum (118) 703b32 ἀρχὴ ω | cum Farquharson seclusit Nussbaum (119) 703b34

ἀπὸ δὲ τοῦ Ε … ἀπὸ μὲν τοῦ Ε scripsi secundum diagramma | ἀπὸ δὲ τοῦ Β … ἀπὸ μὲν τοῦ Β (ω)

(120) 704b1

καὶ περὶ β(ErOdSVp) Γ(et de G) | περὶ (αBe)

CXL

Oliver Primavesi

. Der neue Text und seine drei Apparate Das primäre Ziel der vorliegenden Edition besteht darin, den Archetypus (ω) aller erhaltenen und uns bekannten Mot. An.-Handschriften zu rekonstruieren. Die große Mehrheit der soeben aufgelisteten Neuerungen gegenüber dem Text von Nussbaum ist durch die Auswertung des neuen Hyparchetypus (β) veranlasst. In den Fällen, in denen eine β-Lesung auch von einer Hälfte der Nachkommenschaft des Hyparchetypus α geteilt wird, d. h. entweder durch den Parisinus E oder durch den γ-Zweig, haben wir die betreffende Lesung in den Text aufgenommen – mit der möglichen Ausnahme potentiell polygenetischer Fehler, die leicht auch zweimal unabhängig voneinander begangen werden können. Zu den sprachlichen Besonderheiten, auf die Kopisten auch unabhängig voneinander mit verfehlten Interventionen reagieren können, zählen die apodotische Verwendung der Partikel δέ 289 und der eigentümliche und für die Theorie der Selbstbewegung hoch signifikante Gebrauch, den Aristoteles vom zweiteiligen Reflexivpronomen (αὐτὸ αὑτό) macht: Hierbei steht das erste, die Subjekt-Seite der reflexiven Handlung bezeichnende αὐτό unabhängig vom syntaktischen Kontext stets im Nominativ. 290 Doch dies sind Ausnahmen: In der Regel sind wir dem Prinzip gefolgt, dass die Übereinstimmung von β mit einer der beiden Hälften von α den Text des Archetypus liefert. Die spektulärste Neuerung, die sich aus der Durchführung dieses Prinzips ergeben hat, betrifft einen wichtigen Satz des 7. Kapitels (701b13–16): Nach der übereinstimmenden Lesung von β und Parisinus E wird bereits dort das pneuma als einer der bewegungsauslösenden Faktoren genannt; demgegenüber hatte Nussbaum 1978 im dritten ihrer »interpretive essays« die vermeintlich erst im 10. Kapitel und 700b9 λοιπὸν δ’ ἐστὶν EbΓ : λοιπόν ἐστιν BeEr γ. 700 a27 ἐν τῶι ἀλλοιουμένωι αὐτὸ ὑφ’ αὑτοῦ Eι : ἐν τῶι ἀλλοιουμένωι αὐτῶι ὑφ’ αὑτοῦ βθ. 289  Vgl.

290 Vgl.



Philologische Einleitung

CXLI

damit zu spät erfolgende Einführung des pneuma als ein Problem für die Einheit von Mot. An. gewertet. In den zahlreichen Fällen hingegen, in denen β-Lesung gegen α-Lesung steht, beruht unsere Entscheidung auf einer von Fall zu Fall vorgenommenen Abwägung der sprachlichen und sachlichen Qualitäten der betreffenden Lesungen, nicht auf einem generellen Vorurteil zugunsten eines der beiden Hyparche­typi oder zugunsten der bisher unbekannten gegenüber der bisher bekannten Lesung. Jeder der beiden Hyparchetypi ist als solcher frei von den spezifischen Fehlern des jeweils anderen Hyparchetypus, womit aber auch gesagt ist, dass jeder von beiden gewissermaßen das Recht auf seine eigenen Fehler hat. In den Kapiteln 1, 9 und 11 haben wir in den griechischen Text erstmals die Diagramme aufgenommen, deren Bezeugung durch einige wichtige Manuskripte der direkten Überlieferung in früheren Ausgaben nicht mitgeteilt worden war. Wir sind dem codex vetustissimus, dem Parisinus E, darin gefolgt, in mit iota endenden Langdiphthongen grundsätzlich iota adscriptum zu setzen. Schließlich konnten wir in den Kapiteln 1 und 8, gestützt auf das gemeinsame Zeugnis des Parisinus E, der neuen β-Gruppe und der beiden stemmatisch führenden γ-Handschriften Laur. Plut. 87.4 (C a) and Vat. gr. 258 (N) die wahre attische Schreibung des griechischen Wortes für ›Ell­ bogen‹ (ὀλέκρανον) wiederherstellen 291 und die eingebürgerte, von allen früheren Editoren hingenommene Fehlschreibung (ὠλέκρανον) der verdienten Vergessenheit überantworten. 292 291  Vgl. 698b 3, 702 a 28, 702b4, 702b11; auf die in Mot. An. durchgängig überlegene Bezeugung der Form ὀλέκρανον hat uns Pieter Sjoerd ­Hasper aufmerksam gemacht; Isépy/Primavesi 2014 haben darüber hinaus festgestellt, dass das Gleiche auf alle Belegstellen im vorchristlichen Griechisch zutrifft. 292  Die von Liddell/Scott/Jones (s. v. ὠλέκρανον) aufgestellte Behauptung, dass die Schreibung ὠλέκρανον immerhin von Helladios erwähnt werde, ist vollkommen aus der Luft gegriffen, wie Isépy/Prima­ vesi 2014 gezeigt haben.

CXLII

Oliver Primavesi

Wir haben uns indessen nicht damit begnügt, den Text des Archetypus zu rekonstruieren, sondern waren vielmehr bestrebt, die Fehler zu ermitteln und nach Möglichkeit zu korrigieren, durch die sich der Archetypus nach allem Anschein vom Text der Ausgabe des Andronikos unterscheidet; dabei verdanken wir einige Korrekturen der indirekten Überlieferung, nämlich Alexanders Paraphrase von Mot. An. 7–8, oder dem Diagramm in Mot. An. 11, das offenkundig einen anderen Text voraussetzt als den unseres Archetypus – was zuletzt Albert dem Großen aufgefallen zu sein scheint. 293 Zur Korrektur der 18 bereits oben unter 2.4 aufgelisteten Fehler aller Handschriften kommen noch zwei besonders gelagerte Stellen hinzu: An einer Stelle (701a24) setzen wir unsere eigene Emendation einer vom Berolinensis Be bewahrten fehlerhaften Lesung in den Text, da wir diese fehlerhafte Lesung für ursprünglicher halten als den in alle übrigen Handschriften übernommenen und mithin schon im Archetypus alternativ vermerkten trivialen Besserungsversuch; an einer weiteren Stelle (702b19) übernehmen wir eine byzantinische, offenbar im Stammvater θ vermerkte Emendation. Aufs Ganze gesehen haben wir 21 kleinere oder größere Korrekturen des vom Archetypus gebotenen Textes aufgenommen. 294 Darunter ist 293  Während Albert die Variablen des überlieferten Diagramms den Erwähnungen der Variablen im überlieferten Text anpasste (vgl. S. 71 der Albert-Edition von Geyer 1955), haben wir umgekehrt die Erwähnungen der Variablen im Text dem Diagramm angepasst. 294  1) Titulum operis delevi. – 2) 699 a17 ἔσται scripsi cum Thomæo : ἔσεσθαι ω. – 3) 699 b22 εἶναι (ω), quod iam Bonitz delevit, post b23 ἐξ ἀνάγκης transposui. – 4) 700 a8–9 δεῖ γὰρ—κινεῖσθαι (ω) post a10 κινήσεται transposui cum Renehan. – 5) 700 a15 ἄλλ’, 〈 ἀ λλ’ 〉 scripsi : ἀλλ᾿  ω. – 6) 700 b24 νοητόν … νοητόν scripsi : δια­νοη­τ όν … δια­ νοητόν ω. – 7) 700b33 καλὸν καὶ scripsi : καλὸν καὶ τὸ ω. – 8) 701a24 δυεῖν ὁδῶν feci ex δύ’ εἱ ποδῶν Be (et Ea.c.?) : δύο εἰδῶν Ep.c. cett. – 9) 701b3 〈 ε ὐθὺς τῶν ζωιδίων τὰς μαχαίρας 〉 exempli gratia restitui : τὰς στρέβλας ω, quod iam Forster seclusit. – 10) 701b4 〈 ὁ 〉 inserui : om. ω. – 11) 701b4–5 〈 πάλιν 〉 καὶ πάλιν scripsi : καὶ πάλιν ω. – 12) 701b14–15



Philologische Einleitung

CXLIII

ein Fall, in dem wir sogar einen Schritt über Andronikos selbst hinausgegangen sind: Der überlieferte Werktitel (Περὶ ζῴων κινήσεως) ist einerseits viel zu allgemein, andererseits klarerweise vom ersten Satz des Textes abgeleitet, so dass es sich um einen erst von Andronikos aus dem incipit gewonnenen und dem Text beigefügten Titel handeln dürfte. Deshalb haben wir den Titel in geschweifte Klammern gesetzt: Wir nehmen an, dass Mot. An. in dem nachgelassenen Manuskript des Aristoteles keinen gesonderten Titel trug. In unserer Ausgabe sind dem griechischen Text drei Apparate beigegeben, von denen zwei in die Darbietung des griechischen Textes integriert sind, während der dritte dem Text-Teil der Ausgabe unmittelbar folgt. (i) In der dem Aristotelischen Spätwerk zuzurechnenden Schrift Mot. An. finden sich viele ausdrückliche oder implizite Verweise auf Stellen in früheren Schriften des Aristoteles: Diese Stellen sowie einige weitere, für die Textkonstitution wichtige Autorenstellen sind gegebenenfalls in dem unmittelbar unter dem griechischen Text stehenden Parallelenapparat nachgewiesen. (ii) Der kurze, unterhalb des Parallelenapparats stehende Apparatus criticus will dem Leser, als wahrhaft kritischer Apparat, in knappster Form die textkritische Substanz der Ausgabe darbieten: Er dokumentiert unter konsequenter Vermeidung aller sekundären Einzelheiten alle Fälle, in denen die beiden Hyparchetypi α und β, bzw. die beiden Hälften der Nachkommenschaft von α, nämlich Parisinus E and γ, voneinander abweichen, oder αὐξανο ­μ ένων 〈 κ αὶ συσ ­τ ελλο ­μ ένων 〉 scripsi : αὐξανομένων ω. – 13) 701b 30 κατὰ μέ­γ εθος (ω) cum Alexandro omisi. – 14) 701b 34 διωκτόν τε scripsi cum Alexandro : διωκτὸν ω. – 15) 702a29 δ 〈 ὴ 〉 εἶναι scripsi : δ’ εἶναι ω. – 16) 702a30 εἶναι (ω) delevi. – 17) 702b19 καὶ τὰς scripsi cum θ : πρὸς τὰς ω. – 18) 703a2 〈 ἓ ν 〉 inserui cum Γ A : om. ω. – 19) 703a22 συστελλομένη 〈 τε καὶ ἐκτεινομένη 〉 scripsi cum Far­qu­ harson : συστελλομένη ω. – 20) Ibidem βίαι 〈 ἑλκ 〉 τικὴ scripsi : βιαστικὴ ω : tractiva iam G, unde ἑλκτικὴ Farquharson. – 21) 703b34 ἀπὸ δὲ τοῦ Ε … ἀπὸ μὲν τοῦ Ε scripsi secundum diagramma : ἀπὸ δὲ τοῦ Β … ἀπὸ μὲν τοῦ Β ω.

CXLIV

Oliver Primavesi

in denen unser Text von dem des Archetypus ω abweicht. In diesem Apparat zeigen die Siglen α, β und γ nicht etwa an, dass die betreffende Lesung von jeder einzelnen unabhängigen Handschrift der betreffenden Gruppe geteilt wird, sondern dass sie im Stammvater der betreffenden Gruppe, wie wir ihn rekonstruiert haben, gestanden hat. (iii) Um dem interessierten Leser die Kontrolle des Apparatus criticus zu ermöglichen, haben wir in dem an den Text-Teil angeschlossenen Apparatus plenior die handschriftliche Bezeugung der im Apparatus criticus erwähnten Varianten vorgelegt und überdies einige Le­sungen dokumentiert, die zwar kein textkritisches Problem aufwerfen, aber die Beziehungen zwischen den verschiedenen Zweigen der Überlieferung illustrieren. In diesem Apparatus plenior stehen Siglen wie α, β und γ für alle unabhängigen Manuskripte der betreffenden Gruppe, sofern das Gegenteil nicht ausdrücklich vermerkt ist. Hierbei haben wir insbesondere die kontaminierten β-Manuskripte Parisinus b und Marcianus Od, Laurentianus S und Palatinus Vp von Fall zu Fall entweder der β-Gruppe oder der γ-Gruppe zugerechnet, je nachdem, welchem der beiden Stammväter sie jeweils folgen.

PHILOSOPHISCHE EINLEITUNG von Klaus Corcilius

In der kleinen Schrift De motu animalium (Mot. An.) beantwortet Aristoteles die Frage, wie »die Seele den Körper in Bewegung setzt« (6, 700 b 9 f.). Es geht ihm dabei um die Selbst­bewegung der Lebewesen im Sinne von willentlich ausgeführten Körperbewegungen. Zwar legt er besonderes Gewicht auf die Ortsbewegung des Lebewesens als Ganzem, doch wird schnell klar, dass er auch willentliche Bewegungen von Körperteilen, wie z. B. das absichtliche Heben des Arms, mit dazu zählt. Aristoteles beantwortet die Frage allerdings nicht speziell mit Blick auf die Selbstbewegungen der Menschen, sondern allgemein für die Selbstbewegungen aller dazu fähigen Lebewesen. Seine Antwort besteht in der allgemeinen Theorie der animalischen Selbstbewegung. Bei dieser Theorie handelt es sich um die nach Aristoteles’ Maßstäben wissenschaftliche Erklärung der selbständigen Bewegungen aller Lebewesen, die dazu in der Lage sind, sich aus eigener Kraft in Bewegung zu setzen. Ihre Aufgabe ist es, die »gemeinsame Ursache für jedwede Art des Sich-Bewegens« von Lebewesen anzugeben (1, 698a 4–7; 6, 700b 9–11). Weil dies so unterschiedliche Weisen der Ortsbewegung wie Fliegen, Schwimmen, Gehen oder Kriechen einschließt, hat die Theorie ein ungewöhnlich hohes Abstraktionsniveau: Aristoteles ist in Mot. An. nicht an den Besonderheiten fliegender, schwimmender, kriechender oder gehender Lebewesen interessiert – die unterschiedliche Art und Weise, in der die verschiedenen Lebewesen ihre Orts­bewegungen mithilfe ihrer Körperglieder jeweils zustande bringen, hat er bereits in seiner zoologischen Kinematik, in dem kleinen Werk De incessu animalium, behandelt –, vielmehr geht es ihm um die allen diesen besonderen Bewegungs­weisen der Tiere g­ emeinsame Ursache der

CXLVI

Klaus Corcilius

Selbstbewegung.1 Da die Theorie das gesamte Spektrum tierischen und menschlichen Bewegungsverhaltens abdeckt und auf eine gemeinsame Ursache zurückführt, verbirgt sich hinter der Fragestellung von Mot. An. die philosophische Frage nach dem Wesen tierischen und menschlichen Agierens. Die Schrift berührt damit zentrale Fragestellungen von so unterschiedlichen Disziplinen wie Zoologie, Handlungstheorie und der Philosophie des Geistes. Trotz der philosophischen Bedeutsamkeit ihrer Fragestellung gehört Mot. An. zu den weniger gut erforschten Schriften des Aristoteles. Dies liegt zum einen an dem allgemeinen zoologischen Ansatz der Schrift, der Vergleiche mit den thematisch verwandten, aber spezifisch am menschlichen Handeln ausgerichteten heutigen Disziplinen der Handlungstheorie und Philosophie des Geistes nicht immer leicht werden lässt. Zum anderen liegt es an Aristoteles’ streng systematischem Vorgehen. In seiner Naturphilosophie arbeitet er sich grundsätzlich vom Allgemeinen zum Spezielleren vor, wobei er dann in den ›späteren‹, spezielleren Teilen der Wissenschaft das, was er in den allgemeineren Teilen behandelt hat, als gegeben voraussetzt. Für die Theorie der animalischen Selbstbewegung in Mot. An. heißt dies, dass alle allgemeineren Teile seiner Naturphilosophie als gegeben vorauszusetzen sind. Um die Schrift angemessen verstehen zu können, erfordert es daher die Kenntnis ihrer naturphilosophischen Voraussetzungen.

1  Aufgrund des hohen Abstraktionsgrades der Fragestellung sieht Mot. An. von einigen grundlegenden zoologischen Unterscheidungen ab, wie z. B. der zwischen Tieren mit und ohne Rückgrat (vgl. 9, 702b18– 20). Die Frage nach dem angemessenen, über Art- und Gattungsgrenzen der Tiere hinausgehenden Abstraktionsgrad, der bei der Behandlung von Fragen der Ortsbewegung anzulegen ist, ist Thema einer kleinen methodologischen Diskussion in Part. An. I 1, 639 a15– b5 (vgl. Anal. Post. II 14, 98a20–23). Siehe unten, S. 67–70.



Philosophische Einleitung

CXLVII

Die nun folgende Einleitung beginnt mit einer knappen Darstellung der Aufgabe und Grundidee der aristotelischen Theorie der animalischen Selbstbewegung. Es folgt ein Überblick über die Voraussetzungen der Theorie in Aristoteles’ Naturphilosophie und eine kurze Diskussion der Anwendungen und Berührungspunkte der Theorie mit anderen Bereichen des aristotelischen Werks.

. Aufgabe und Grundidee der Theorie: Die Erklärung der Selbstbewegung der Lebewesen Lebewesen zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht nur anderes in Bewegung setzen können, sondern auch sich selbst. Unter »Selbstbewegung« haben wir nach antiker Auffassung dabei das selbständige und transitive In-Bewegung-Setzen von etwas zu verstehen, nur dass dieses »Etwas« eben nicht etwas außerhalb des Lebewesens befindliches ist, sondern es selbst. Dies scheint jedoch paradox: Wie soll es möglich sein, dass etwas sich selbst transitiv in Bewegung setzt? Das ist eine Frage, die sich bereits Aristoteles’ Vorgänger gestellt und auf ganz verschiedene, teils sogar entgegengesetzte Weisen beantwortet haben. Bei aller Verschiedenheit lassen sich aber einige grundsätzliche Gemeinsamkeiten feststellen. So stimmen die Vorgänger darin überein, dass es sich bei der Selbstbewegung um ein Phänomen handelt, das etwas so Besonders ist, dass man deren Akteuren – den Selbstbewegern – auch besondere Eigenschaften zuschreiben muss: Nur Lebewesen, also Wesen, die eine Seele haben, sind in der Lage, sich selbst in Bewegung zu setzen. Seine Vorgänger stimmen auch darin überein, dass die Selbstbewegung im Wesentlichen ein Vorgang ist, bei dem die Seele den Körper in Bewegung setzt. Aristoteles’ Vorgänger begegnen der Frage, wie etwas sich selbst transitiv in Bewegung setzen kann, also dadurch, dass sie in den Selbstbewegern die Komponenten »Körper« und »Seele« unterscheiden und dann einem davon,

CXLVIII

Klaus Corcilius

der Seele, die Rolle zuschreiben, den Körper in Bewegung zu setzen.2 Auf den ersten Blick scheint Aristoteles’ eigene Lösung nicht sehr verschieden von der seiner Vorgänger. Auch er meint, dass nur was lebt und über eine Seele verfügt, sich selbst in Bewegung setzen kann (Phys. VIII 4, 255a5–18) 3 und dass außerdem die Selbstbewegung der Lebewesen im We­sent­ lichen in einem Vorgang besteht, bei dem die Seele den Körper in Bewegung setzt, 4 wenn auch, wie wir gleich sehen werden, seine Auffassung davon, wie dies im Einzelnen vor sich geht, stark von seinen Vorgängern abweicht. In der Tat, wenn man es so ansieht, scheint der paradox anmutende Umstand, dass etwas sich selbst transitiv in Bewegung setzt, weniger paradox, da es ja nun nicht mehr ein- und dasselbe ist, das sich selbst in Bewegung setzt, sondern etwas im Lebewesen, das etwas anderes – den Körper – in Bewegung setzt. Aristoteles betont die Trennung von aktivem Beweger und passivem Bewegtem auch sprachlich durch eine etwas umständliche, dafür aber umso genauere Formulierung. In Mot. An. spricht er nämlich nicht von »Selbstbewegung«, sondern stets von »selbst sich selbst bewegen«. Aktives Subjekt und passives Objekt der Bewegung sind bei ihm also schon rein

2  Vgl.

Aristoteles’ Bericht der Meinungen seiner Vorgänger in An.

I 2, 403b24–404b8. 3 

Mot. An. 6, 700b11–13. Selbstbewegung ist etwas, das »zum Leben gehörig (zôtikon)« und beseelten Dingen eigentümlich ist (Phys. VIII 4, 244a5 f.). Selbstbewegung, wie Aristoteles dort auch sagt, beinhaltet zudem eine basale Form der Autorenschaft: Wenn etwas sich selbst in Bewegung setzen und z. B. gehen kann, dann, so Aristoteles, beinhaltet dies die Fähigkeit, diese Bewegung auch nicht auszuführen und z. B. stehen zu bleiben (Phys. VIII 4, 255a5–11; vgl. An. I 3, 406b22 f.). Selbstbewegungen sind aus diesem Grund in einem speziellen, auktorialen Sinn die Bewegungen der Selbstbeweger (vgl. die Diskussionen in EE II 6, 1222b15–1223a9 und EN III 7, 1113b 7–9, 17–21). 4  Mot. An. 4, 700 a9–11; vgl. Phys. VIII 4, 254b28–33.



Philosophische Einleitung

CXLIX

sprachlich voneinander geschieden.5 Dies kann aber nur eine vorläufige Lösung sein. Denn nun stellt sich sofort die nächste und nicht minder schwierige Frage: Wie soll die Seele dies tun? Wie bewegt die Seele den Körper? Genau dies ist die Frage, die Aristoteles sich in Mot. An. zur Beantwortung vorsetzt (6, 700b 9–11; vgl. 1, 698a 4–14). 6 Im Vergleich zu seinen Vorgängern stellt sich ihm die Frage allerdings unter verschärften Bedingungen. Seine Vorgänger gingen nämlich von der Annahme aus, dass nichts, was nicht auch selbst in Bewegung ist, in der Lage sei, etwas anderes in Bewegung zu setzen. Aus diesem Grund, so sagt Aristoteles, sprachen die vorherigen Philosophen der Seele die Eigenschaft des Bewegt-Seins zu (An. I 2, 403b30 ff.). Die Aufgabe, die Selbstbewegung der Lebewesen zu erklären, bestand für sie im Grunde daher nur darin zu zeigen, wie die Seele als

5 

Durch die Neuedition des Textes hat sich gezeigt, dass er sich konsistent an diesen Sprachgebrauch hält. Der sprachliche Ausdruck, den er dafür benutzt, ist ungewöhnlich und wurde in seiner Besonderheit von vorherigen Herausgebern und Interpreten nicht erkannt. Aristoteles belässt den Subjektausdruck unabhängig vom syntaktischen Kontext starr im Nominativ (siehe philologische Einleitung, S. CXL mit Anm. 290). 6  Eine weitere Frage, die sich direkt aus dieser Fragestellung ergibt, ist, wie die Seele als Beweger des Körpers vom Körper als von ihr Bewegtem zu unterscheiden ist. Auch diese Frage stellt Aristoteles explizit: »denn nicht dies ist unklar, ob sie von etwas bewegt werden, sondern auf welche Weise hierbei das Bewegende und das Bewegte abzusondern ist. Es scheint, so wie bei den Schiffen und dem, was nicht von Natur zusammengesetzt ist, so auch bei den Lebewesen das Bewegende und das Bewegte voneinander getrennt zu sein, und auf diese Weise scheint sich auch das ganze (Lebewesen) selbst zu bewegen.« (Phys. VIII 4, 254b28– 33; vgl. 255a10–19 und An. II 1, 413a8–9). Die endgültige Antwort auf die Frage, wie die aktiv bewegende Seele und der passiv bewegte Körper voneinander abzusondern sind, findet sich erst im neunten Kapitel von Mot. An. Siehe auch unten, S. 156 ff.

CL

Klaus Corcilius

ein bereits selbst in Bewegung Befindliches dem Körper ihre eigenen Bewegungen lediglich mitteilt.7 Aristoteles steht diese Möglichkeit, die Selbstbewegung der Lebewesen zu erklären, nicht offen. Zum einen vertritt er eine Konzeption der Seele, der zufolge die Seele das Prinzip des Lebendig-Seins der lebendigen Dinge ist. Als solches ist die Seele für ihn – im Unterschied zu den meisten seiner Vorgänger – aber kein Ding, das überhaupt etwas tun, erfahren oder erleiden könnte. Vielmehr fasst er sie als etwas von belebten Körpern, nämlich als ihnen innewohnendes Lebensprinzip, das erklärt, was sie als lebendige Körper ihrem Wesen nach sind. Die Seele ist demnach »Substanz im Sinne des be­griff­ lichen Wesens« des lebendigen Körpers. 8 In seiner Schrift Über die Seele (De anima) definiert Aristoteles sie als die Menge der Lebensfunktionen, die beseelten Körpern als deren wesentliche Form zukommen. Es sind dies die »seelischen Vermögen« (dynameis tês psychês) des vegetativen Selbst­erhalts, der Wahrnehmung und des menschlichen Denkvermögens. Lebensfunktionen sind im Unterschied zu Körpern nicht materiell ausgedehnt. Sie verfügen daher auch nicht über die für das Bewegt-Sein erforderlichen Eigenschaften. Aristoteles ist damit auf die These festgelegt, dass es so etwas wie eine bewegte oder auf sonstige Weise irgendwie veränderliche Seele unmöglich geben kann. In der Auseinandersetzung mit den Seelentheorien seiner Vorgänger im ersten Buch von De anima vertritt er diese These auch offensiv (An. I 2 f., 405b31–407b11; 4 f., 408a30–409b18). Zum anderen ist ihm die Möglichkeit, die Selbstbewegung der Lebewesen mithilfe einer selbst bewegten Seele zu er­klären, auch durch die allgemeine Bewegungslehre seiner Physik versperrt. Diese lehrt nämlich, dass es »Selbstbewegung« im strengen Sinne (A setzt A in Bewegung) nicht 7  Diese

Analyse macht Aristoteles gleichermaßen für die Seelenatome des Demokrit wie für die selbstbewegte Seele Platons geltend (vgl. An. I 2, 403b24 ff. und 3, 405b31 ff.). 8  ousia kata ton logon: An. II 1, 412b10 f.



Philosophische Einleitung

CLI

gibt und nicht geben kann; vielmehr muss es stets etwas sein, das etwas von sich Verschiedenes in Bewegung setzt. Es muss bei jedem Bewegungsvorgang einen Ursprung der Bewegung – einen Beweger – geben, der distinkt ist von dem, was von ihm bewegt wird. Aristoteles löst in seiner Physik den strengen Begriff der Selbstbewegung also in den eines Be­wegungs­systems auf, das aus mindestens zwei verschiedenen Elementen, einem passiv Bewegten und einem aktiv Bewegenden, besteht (Phys.  VIII 4, 255a12–19; 5, 257a33– b27, für Selbstbeweger: 4, 254b27–33). Die Möglichkeit einer »Selbstbewegung« im strengen Sinne schließt er dabei ausdrücklich aus. Alle Bewegungsverursachung ist prinzipiell transitiv. Diese beiden Festlegungen – auf die Unbewegtheit der Seele und die Analyse der Selbstbewegung als Bewegungssystem aus einer aktiven und einer passiven Komponente – stellt Aristoteles bei der Erklärung der animalischen Selbstbewegung vor eine besondere Herausforderung: Er muss zeigen, wie die Seele als etwas Immaterielles und daher Unbewegtes den Körper in Bewegung setzt. 9

Lösung: Die Aktivität der Wahrnehmungsseele als unbewegter Beweger des Körpers Aristoteles begegnet der Herausforderung mit einer für seine Zeit völlig neuartigen Konzeption von Bewegungskausalität, in der er teleologische mit kausalen Elementen verbindet und die Seele so zum unbewegten Beweger des Körpers macht. Darin fasst er die Verursachung der Selbstbewegung des Lebewesens als dreistufigen Prozess. Stufe 1 besteht in der Wahrnehmung eines externen Gegenstands. Da es sich bei der Wahrnehmung 9  Aristoteles

sagt in der Physik, dass die Erklärung der Ortsbewegung der Lebewesen im »höchsten Grad schwierig« sei (VIII 2, 253a7– 11). Dies dürfte mit der hier beschriebenen Herausforderung zusammenhängen. Siehe unten, S. 154 ff.

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Klaus Corcilius

um die für die Lebewesen spezifische Lebensfunktion handelt, bedeutet die Ausübung der Wahrnehmung die Ausübung der Seele.10 Stufe 2 des Prozesses ist die körperliche Reaktion des Lebewesens auf den in der Wahrnehmung gegebenen Gegenstand. Sie besteht in einem von Aristoteles auf natur­teleo­ logische Weise aufgefassten, aus Lust bzw. Leid sowie entsprechenden Strebungen bestehenden Komplex: Da das Lebewesen auf Selbsterhalt ausgerichtet ist,11 wird ihm die Wahrnehmung des Gegenstandes dann, wenn er seinem Selbsterhalt dient, angenehm (lustvoll) sein, und Entsprechendes gilt für den umgekehrten Fall. Das, was angenehm (lustvoll) ist, ist das dem Selbsterhalt Dienende – das naturteleologisch Gute – und das, was unangenehm (leidvoll) ist, ist das dem Selbsterhalt Abträgliche – das naturteleologisch Schlechte (An. III 7, 431a8–14; Hist. An. IX 1, 589a8–9). Diese lust- bzw. leidvolle Wahrnehmung von naturteleologisch Gutem oder Schlechtem führt im Lebewesen unmittelbar zu einer körperlichen Reaktion. Sie ist auf die Erlangung bzw. die Vermeidung des guten bzw. schlechten Gegenstandes gerichtet. Ist der Gegenstand angenehm, reagiert das Lebewesen mit körperintern erzeugter Wärme; ist er unangenehm, mit Kälte. Solche endogenen, entweder verfolgende oder meidende thermische Reaktionen des Lebewesens nennt Aristoteles »Strebung« (orexis). Stufe 3 des Prozesses besteht dann in einer durch diese thermische Reaktion in Gang gesetzte, unbewusst im Körper ablaufende Prozesskette. Sie kann zur Ortsbewegung des Lebewesens in Richtung auf den erstrebten Gegenstand führen. So weit die Grundidee von Aristoteles’ Theorie der Verursachung der animalischen Selbstbewegung. Diese Konzeption der Verursachung der animalischen Selbstbewegung fügt sich in die allgemeine physikalische Konzeption der Bewegungsverursachung aus dem achten Buch von Aristoteles’ Physik: 10  Vom Denken als weiterem kognitiven Vermögen wird unten die Rede sein, S. CLXXXVI ff. 11  Dies wird unten, S. CCII ff., noch zu präzisieren sein.



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Es gibt nämlich notwendig drei [Faktoren in der Bewegung]: das Bewegte, das Bewegende und das, womit es bewegt. Nun ist das Bewegte notwendig bewegt, setzt aber nicht notwendig in Bewegung, während das, womit es bewegt, sowohl in Bewegung setzt als auch bewegt ist. (…) Aber dasjenige, das so bewegt, dass es nicht nur das ist, womit es bewegt, ist unbewegt. (Phys. VIII 5, 256b14–20)

Die Verursachung jedweder Art von Bewegung erklärt sich demnach durch ein aus (i) unbewegtem Beweger, (ii) bewegtem Beweger und (iii) Bewegtem bestehendem Dreierschema. Wendet man es auf die Verursachung der animalischen Selbstbewegung an, sollte sich also folgende Stufenfolge ergeben: Die oben als Stufe 1 des Gesamtvorgangs bezeichnete Wahrnehmung eines erstrebten Gegenstandes sollte die Funktion des unbewegten Bewegers einnehmen (i). »Unbewegt« wäre sie deswegen, weil das Wahrnehmen in der einen oder anderen Weise die Aktivität der Wahrnehmungsseele involviert und die Seele, wie Aristoteles betont, notwendig unbewegt ist.12 Die als Stufe 2 bezeichnete Reaktion auf die Wahrnehmung des Gegenstands, die Strebung, sollte demgegenüber die Rolle des bewegten Bewegers einnehmen, also dessen, »womit« das Bewegende bewegt (ii). Der Körper des Lebewesens schließlich sollte die Rolle des passiv Bewegten einnehmen, dessen Bewegung oben als Stufe 3 des Bewegungszusammenhangs bestimmt wurde. Im zehnten Kapitel des dritten Buchs von De anima, wo er die Frage nach dem seelischen Ausgangspunkt der animalischen Selbstbewegung beantwortet, wendet er das 12  Für Aristoteles sind aktuale kognitive Gehalte (Wahrnehmungsund Denkgehalte) als solche nicht materiell ausgedehnt (und somit auch unbewegt), wenngleich sie durch materielle Prozesse zustande kommen; vgl. An. II 12, Sens. 3 ff. sowie An. III 4. Auf welche Weise Aristoteles genau die Wahrnehmungsseele im Verlauf des Wahrnehmungsprozesses als unbewegt ansieht, ist eine in der Forschung bis heute umstrittene Frage. Siehe unten, S. 99 ff.

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Klaus Corcilius

allgemeine Dreierschema der Bewegungsverursachung aus der Physik nun tatsächlich in genau der hier skizzierten Weise an. Zunächst geht er auf den bewegenden Ausgangspunkt ein: Das Erste von allen ist aber der Gegenstand der Strebung; denn dieser bewegt als Unbewegter, indem er gedacht oder vorgestellt wird (noêthênai ê phantasthênai). Doch der Zahl nach gibt es mehrere Beweger. (An. III 10, 433b11–13)

Die Wahrnehmung bzw. generell die Kognition eines Gegenstands der Strebung steht ganz am Anfang des Vorgangs. Sie ist »das Erste von allen«, wobei Aristoteles der Tatsache, dass unterschiedliche kognitive Vermögen die Stelle des unbewegten Bewegers einnehmen können, durch die Formulierung Rechnung trägt, dass es der Zahl nach mehrere Beweger geben kann (Wahrnehmung, Vorstellung, vernünftiges Denkvermögen). Dann wendet er das gesamte Dreierschema explizit auf die Verursachung der Selbstbewegung an: Da es aber dreierlei [Faktoren in der Bewegung] gibt – zum einen das Bewegende (i) zweitens das, womit es bewegt (ii), ferner drittens das Bewegte (iii) – und (da) das Bewegende doppelt vorkommt [nämlich in i und ii] – teils beim Unbewegten, teils beim Bewegenden und Bewegten –, [deswegen] ist das Unbewegte das Gute als Gegenstand der Handlung (i’) und das Bewegende und Bewegte das, was fähig ist zu streben (ii’) – denn das Strebende bewegt sich, insofern es strebt, und die wirkliche Strebung ist eine Art von Bewegung –, und das Bewegte ist das Lebewesen (iii’). (An. 433b13–18)

Dadurch, dass er sein allgemeines Dreierschema der Bewegungsverursachung aus der Physik auf die Verursachung der animalischen Selbstbewegung anwendet, können wir sicher sein, dass Aristoteles seine Erklärung als wissenschaftlich stichhaltig angesehen hat.13 Schauen wir uns die Anwendung 13  Aristoteles erachtet für jeden Vorgang der Bewegungsverursachung eine Form des Kontakts (Berührung, haphê) zwischen dem aktiv



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etwas genauer an! Offenbar kommt darin der Strebung als dem bewegten Beweger eine wichtige Funktion zu. Die seelische Aktivität der Wahrnehmung, bzw. der Kognition überhaupt, kann ja nur deswegen der unbewegte Beweger des Körpers sein, weil Lebewesen mit ihren Strebungen auf die Gegenstände ihrer Kognition mit physischen (thermischen) Bewegungen reagieren. Aristoteles’ naturteleologische Konzeption der Strebung leistet daher die entscheidende Vermittlung zwischen der unbewegten Seele und dem bewegten Körper. Lebewesen, so heißt es in der Diskussion in De anima, sind nur insofern in der Lage, sich selbst in Bewegung zu setzen, als sie in der Lage sind zu streben (An. III 10, 433b17 f., 27 f.). Soweit die erste rudimentäre und noch relativ abstrakte Behandlung der Frage, wie die Seele den Körper in Bewegung setzt. In De anima, wo es ihm vornehmlich um die Definition der Seele als solcher geht, behält Aristoteles sich eine detailliertere Diskussion der Verursachung der Selbstbewegung ausdrücklich für eine separate Schriftengruppe vor. Diese befasst sich, anders als De anima, nicht mehr mit der Seele als solcher, sondern mit den Leistungen beseelter Körper, den »für Körper und Seele gemeinsamen Leistungen«:

Bewegenden und dem passiv Bewegten als notwendig. Es muss daher auch bei der Selbstbewegung der Lebewesen einen solchen Kontakt zwischen Körper und Seele geben (vgl. Mot. An. 3, 699 a15; Phys. VIII 5, 258a18–21). Aristoteles’ Schrift De generatione et corruptione liefert ein Modell, das auf einen solchen Kontakt zwischen körperlichen und nicht-körperlichen Entitäten zugeschnitten scheint (I 6, 323a12–33). Dort heißt es, dass nicht jede Form des Kontakts auch reziprok, d. h. wechselseitig in dem Sinne ist, dass wenn X von Y berührt wird, deswegen auch schon Y von X berührt wird. Von einer solchen Form nicht-reziproken Kontakts scheint Aristoteles auch in unserem Fall der Bewegungsauslösung im Körper durch die Seele auszugehen (vgl. Phys. VIII 5, 258a20 f. und die Diskussionen in Nussbaum 21985, 294 f., und Buchheim 2008).

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Und das Werkzeug, mit dem die Strebung bewegt, dies ist vollends körperlich und deswegen im Rahmen der für Körper und Seele gemeinsamen Leistungen zu betrachten. (433b19–21)

Mit dem Verweis auf die für Körper und Seele gemeinsamen Leistungen ist die Behandlung der animalischen Selbstbewegung in Mot. An. gemeint. Aristoteles’ Antwort auf die Frage, wie Lebewesen sich selbst in Bewegung setzen, steht damit in seinen wesentlichen Grundzügen fest: Die Aktivität der Wahrnehmungsseele setzt den Körper in Bewegung. Sie tut dies dadurch, dass der Körper den von der Aktivität der Seele bereitgestellten kognitiven Gehalt – im einfachsten Fall die Wahrnehmung eines externen Gegenstandes – dann, wenn der Gegenstand in besagter naturteleologischer Weise gut oder schlecht für das Lebewesen ist, entweder verfolgt oder meidet. Bei dieser entweder verfolgenden oder meidenden Reaktion handelt es sich um einen körperintern verursachten thermischen Prozess (Hitze, Kälte). Er kann seinerseits zur Bewegung des gesamten Körpers führen. Mit dieser Erklärung kann Aristoteles beanspruchen, die obige Herausforderung, die Selbstbewegung transitiv als das In-Bewegung-Setzen des Körpers durch die unbewegte Seele zu erklären, gemeistert zu haben.14 Da der Strebung dabei eine entscheidende Mittelstellung zukommt (vgl. An. III 11, 433b27 f.), soll sie im Folgenden noch etwas näher betrachtet werden.

14  Mot. An. II , 703b 3 f., sowie An. III 10, 433b11–18 (vgl. auch unten S. CXCVIII ff.). In seiner Metaphysik rühmt Aristoteles sich, die Konzeption der Bewegungsauslösung durch die Kognition von etwas Gutem als Erster entdeckt zu haben (Metaph. XII 10, 1075b8–10; vgl. auch Phys. VIII 5, 256b14–27).



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Was ist Strebung? Teleologie der Strebung. Oben wurde gesagt, dass die Strebung für Aristoteles in einer mit unserer biologischen Ausstattung mitgegebenen, auf Selbsterhalt ausgelegten physischen Reaktion des Lebewesens besteht. Man kann die teleologische Ausrichtung der Strebung aber noch genauer fassen. Genau genommen besteht der biologische Zweck der Strebung für Aristoteles nämlich nicht in dem Selbsterhalt des Lebewesens im Sinne des aus Körper und Seele bestehenden konkreten Ganzen, sondern nur in den Lebensfunktionen selbst. In seiner Wissenschaft vom natürlich Lebendigen geht Aristoteles davon aus, dass tierisches und menschliches Verhalten, so wie alle anderen Lebensprozesse, teleologisch auf die Betätigung der je eigenen Lebensfunktionen ausgerichtet sind. Da die Lebensfunktionen eines Lebewesens aber in nichts anderem als seiner Seele (psychê) bestehen, kann man auch sagen, dass Aristoteles die Seele als die Norm versteht, auf welche die körperlichen Tätigkeiten, Widerfahrnisse und Reaktionen des Lebewesens als auf ihren Zweck ausgerichtet sind. Was der lebendige Körper tut, wie er die ihm jeweils eigenen Prozesse durchläuft und auf welche Weise er auf äußere Einflüsse reagiert, entscheidet sich daran, ob es der Bewahrung seiner seelischen Natur (Lebensfunktionen) dient oder nicht. Als Biologe versteht Aristoteles Lebewesen als in dem Sinne selbstzweckhafte Wesen, dass ihre körperliche Konstitution, ihre Prozesse, Tätigkeiten und Reaktionen dem Zweck dienen, die ihnen je eigenen Lebensfunktionen sowohl zu ermöglichen als auch auszuüben (oder, wie man auch sagen könnte, zu »realisieren«, An. II 4, 415b15–21). Die Bewegungen und Prozesse z. B., die ein Hasenleben konstituieren, dienen letztlich alle dem Zweck, die Lebensfunktionen des Hasen zu realisieren. Die Seele des Hasen ist der Zweck der dem Hasen eigenen Prozesse und Tätigkeiten. Man kann dies auch so formulieren, dass der Hasenkörper samt der ihm eigenen Prozesse und Tätigkeiten dazu da ist, als »Werkzeug« das durch seine Seele

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definierte Potential des Hasen – seine Lebensfunktionen – zu verwirklichen. Aristoteles bezeichnet den Körper des Lebewesens ausdrücklich als Werkzeug seiner Seele (organon, sôma organikon; An. II 1, 412b1–6; 4, 415b19–20). Die Ausübung der seelischen Funktionen im Lebewesen erfordert, dass sein Körper sich in einem Zustand befindet, der deren Ausübung auch tatsächlich gewährleistet. In diesem Sinn definiert die Seele den natürlichen Normzustand des Körpers: In einem guten (gesunden) Zustand ist ein lebendiger Körper dann, wenn er im Stande ist, seine Lebensfunktionen gut auszuüben. Entsprechendes gilt umgekehrt: Ein Mensch, dem Nahrung fehlt und der hungrig ist, wird schlechter denken können als einer, der satt ist. Da Denken eine spezifisch menschliche Lebensfunktion ist, wird der gute Normzustand des menschlichen Körpers also derjenige sein, der es ihm gestattet, sich im Denken zu betätigen. Wenn nun ein Gegenstand in der Umwelt der Herbeiführung bzw. dem Erhalt des natürlichen Normzustandes dient, ist er naturteleologisch gut für das Lebewesen, da er der Verwirklichung seines Zwecks dient. Seine Wahrnehmung wird für das Lebewesen lustvoll bzw. angenehm sein; ist ein Gegenstand der Verwirklichung seiner Lebensfunktionen abträglich, so ist er naturteleologisch schlecht für das Lebewesen und seine Wahrnehmung wird unangenehm bzw. leidvoll sein. Solche lust- oder leidvollen Wahrnehmungen, sagt Aristoteles, sind notwendig und hinreichend für entsprechende Strebungen zu den Gegenständen hin bzw. von ihnen weg (An. III 7, 431a8– 14). Strebungen dienen auf diese Weise der Realisierung des natürlichen Normzustands des Körpers und dadurch mittelbar der Realisierung seiner Lebensfunktionen.15 Die kausale Seite der Strebung. Die seelische Natur des Lebewesens ist aber nicht nur teleologisch die Norm seines Be15  Wie wir unten noch sehen werden, gibt es für Aristoteles auch noch andere, nicht an naturteleologischen Normen ausgerichtete Strebungen. Siehe unten, S. CLXXXV ff.



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wegungsverhaltens, sondern auch kausal der Ausgangspunkt seiner Bewegungen. Die Lebewesen reagieren auf die Informationen, die ihnen durch ihre Sinne bereitgestellt werden, in der hier beschriebenen selbsterhaltenden Weise mit Strebungen (An. III 12, 434b11 ff.; Sens. 1, 436b10 ff.). Strebungen sind Bewegungen (Veränderungen), nämlich, wie wir gesehen haben, endokrine thermische Prozesse (An. I 1, 403a29– b2; III 10, 433b17 f.; Mot. An. 10, 703a 4). Die Lebewesen reagieren in dieser Weise, weil sie von Natur dazu veranlagt sind. Naturen sind Bewegungsursachen für Aristoteles. Da die Natur eines Lebewesens seine Seele ist, sind die Seelen der Lebewesen auch als deren Bewegungsursachen anzusehen (An. II 4, 415b10, 21–23). Wie dies im Falle der Strebung funktionieren kann, haben wir gesehen, nämlich mittels des hier skizzierten, über Wahrnehmung, Lust- und Leidempfindung sowie Strebung ablaufenden naturteleologischen Vorgangs. Wichtig ist, dass Aristoteles’ Modell es ihm nicht nur gestattet, die Verursachung der Selbstbewegung der Lebewesen zu erklären, sondern auch, aus welchem Grund sie irgendwann auch wieder aufhören, sich in Richtung auf einen Gegenstand zu bewegen. Dies wird nämlich genau dann der Fall sein, wenn das Lebewesen seinen seelischen Normzustand mit Bezug auf diesen Gegenstand wiederhergestellt hat. Dann hat es seinen Zweck erreicht, und es liegt deswegen auch kein Grund mehr vor, sich noch für den Gegenstand zu »interessieren«; er ist dann nicht mehr gut für das Lebewesen. Man kann Aristoteles’ Erklärung des Vorgangs der Verursachung der Selbstbewegung als einen homöostatischen Selbsterhaltungsmechanismus auf dem Niveau tierischen Lebens beschreiben: Der körperliche Zustand, der dem seelischen Normzustand entspricht, ist der Gleichgewichtszustand. Dies ist derjenige körperliche Zustand, der die Ausübung der seelischen Lebensfunktionen in optimaler Weise gewährleistet. Wird dieser Zustand beeinträchtigt (durch Mangel, Verletzung des Körpers usw.), macht sich dies durch Leid bzw. durch Lust an der Wahrnehmung von Gegenständen bemerkbar, die der

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Wiederherstellung des Normzustands dienen und aus diesem Grund gut oder schlecht für das Lebewesen sind. Gleichzeitig mit dem Vorliegen von Lust und Leid liegen die entsprechenden Strebungen nach den Gegenständen vor. Das Lebewesen ist nun motiviert, die guten bzw. schlechten Gegenstände zu verfolgen bzw. zu meiden. Bringt das Lebewesen sich dann durch seine Selbstbewegung in den Besitz von für seinen Selbsterhalt guten Gegenständen, stellt es dadurch seinen natürlichen Normzustand wieder her bzw. erhält seinen natürlichen Normzustand durch die Vermeidung von in diesem Sinne schlechten Gegenständen. Ist der Gleichgewichtszustand wiederhergestellt, setzt die Bewegung aus. Die Ausrichtung der Körper der Lebewesen auf die Be­ tätigung ihrer Lebensfunktionen (Seele) liefert den natur­ teleo­logischen Hintergrund, vor dem Aristoteles die Seele zum unbewegten Beweger des Lebewesens machen kann: Die unbewegte Seele kann den Körper deswegen in Bewegung setzen, weil es sich bei der kognitiven Aktivität des Lebewesens um eine Ausübung (Wirklichkeit, energeia) der seelischen Funktion der Wahrnehmung handelt – die Wahrnehmung als bloßes Vermögen könnte nicht erklären, warum das Lebewesen hier und jetzt zur Bewegung schreitet16 – und weil das Produkt ihrer Wirklichkeit, der Wahrnehmungsgehalt, im lebendigen Körper auf einen dynamischen Apparat trifft, der seiner Natur nach darauf ausgerichtet ist, unter den geeigneten Umständen mit Strebebewegungen darauf zu reagieren.

Selbstbewegung, externe Energiequellen und Aristoteles’ Theorie animalischer Akteure Aristoteles sagt, dass beseelte Wesen Selbstbeweger sind. Er sagt aber auch, dass sie ihre Bewegungskraft nicht aus sich selbst schöpfen. Im achten Buch seiner Physik argumentiert 16 

Siehe Corcilius/Gregoric 2013, 76–78, sowie obige Fn. 12.



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er, dass die Ursachen der animalischen Selbstbewegung aus der Umwelt stammen (periechon: Phys. VIII 2, 253b11–21) und dass die Lebewesen nur eine einzige Bewegung – die Orts­ bewegung – selbst initiieren, und auch diese nicht in völlig unabhängiger Weise (ou kyriôs: VIII 6, 259b1–7); stattdessen, so sagt er, stamme die Ursache der Bewegungskraft der Lebewesen aus den natürlichen Bewegungen, die die Lebewesen im Austausch mit ihrer Umwelt durch Nahrung, Atmung usw. beziehen; der erste Ausgangspunkt auch ihrer eigenen Selbstbewegungen liege deswegen außerhalb der Lebewesen (259b7– 16). Wenn Lebewesen für Aristoteles daher Selbstbeweger sind, dann nicht in der Weise, dass sie die dafür erforderliche Energie aus sich selbst schöpfen. Um Aristoteles’ Auffassung von der Art und Weise, in der Lebewesen Selbstbeweger sind, verständlich zu machen, bietet es sich an, das Lebewesen als Aneigner externer Bewegungsenergie zu beschreiben: Es nimmt externe Bewegungsenergie aus seiner Umwelt auf, verwendet die Energie aber zu seinen eigenen, von ihm selbst subjektiv erfassten Zwecken. Das Lebewesen ist demnach in genau dem Sinne ein Selbstbeweger, dass es durch seinen strebenden Bezug zu den Gegenständen seiner Wahrnehmung die Bewegungsenergie, die es aus der Umwelt bezogen und akkumuliert hat, mit seinem eigenen subjektiven Zweck und damit mit einer Ausrichtung versieht, die die Bewegungsenergie ohne seine Kognition nicht hätte und auch nicht hätte haben können. So speist das Lebewesen zwar keine neuen Kausalkräfte in den Weltverlauf ein, dafür aber sozusagen die Gehalte seiner kognitiven Tätigkeit. Denn wenn man beschreiben will, was das Lebewesen tut, muss man darauf eingehen, wie ihm die Dinge subjektiv erscheinen. Dies gilt übrigens nicht nur für die Gehalte der Wahrnehmung, sondern auch für die Gehalte höherstufiger kognitiver Tätigkeiten wie Erinnerung, Antizipation und menschliches Denken.17 17  Vgl. Corcilius/Gregoric 2013 für eine ausführlichere Darstellung auch der in der Literatur vertretenen Meinungen zu Aristoteles’ Theo-

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Wie soll man es verstehen, dass die Gehalte der Kognition in den kausalen Weltverlauf »eingespeist« werden? Nehmen wir als Beispiel eine von einem Hasen wahrgenommene Karotte. Sie stellt den unbewegten Ausgangspunkt für die körperliche Reaktion des Hasen dar. Es ist deswegen, weil der Hase die Karotte sieht oder riecht, dass er sie erstrebt. Gleichzeitig kann die physische Reaktion des Hasen auf die Wahrnehmung der Karotte – die thermischen Veränderungen und alle weiteren Etappen der Bewegungsgenese, die sich daraus ergeben – nicht ohne Rekurs auf den Gehalt der Kognition des Hasen beschrieben werden (»Karotte«). Die Reaktion des Hasen ist daher in genau dem Sinne psychophysisch, dass er die Karotte erstrebt, so wie sie ihm subjektiv erscheint: Um zu erklären, was der Hase tut, muss auf den Gehalt seiner Wahrnehmung eingegangen werden. Zwar würde der Hase, wie wir gesehen haben, die Karotte nicht erstreben, wenn sie nicht seinem Selbsterhalt diente, doch subjektiv für den Hasen spielt dies keine Rolle. Für ihn besteht der Zweck der Strebung in nichts anderem als in der Karotte, weil deren Wahrnehmung für ihn mit Lust verbunden ist, und er erstrebt die Karotte so, wie sie ihm erscheint. Es ist nicht die Karotte als solche, die das Lebewesen als unbewegter Beweger in Bewegung setzt.18 Der rie animalischen Agierens. Mit »Kognition« müssen auch bei Aristoteles nicht unbedingt bewusste Zustände gemeint sein. Alle Arten gehaltvoller Zustände, ob die rudimentären Wahrnehmungen von Regenwürmern oder das praktische Denken von Menschen, kommen dafür in Frage. Von unbewusst ablaufenden Strebungen spricht Aristoteles in Mot. An. 8, 701b36 f. 18  Selbstverständlich ist nicht nur die Seele, sondern auch die Karotte in Bezug auf das Lebewesen unbewegt. Doch ohne wahrgenommen oder anders zu einem Gegenstand der Kognition des Lebewesens gemacht zu werden, wird die Karotte gar nichts in Bewegung setzen können. Dass Aristoteles neben der Seele (An. II 4, 415b8–12; Mot. An. 4, 700 a9–11) auch den Gegenstand der Strebung (orekton: An. III 10, 433b11 ff; Mot. An. 6, 700b23 ff; 8, 701b33 ff.) als Ausgangspunkt der Ortsbewegung bezeichnet, heißt nicht, dass der externe Gegenstand un-



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Gegenstand der Strebung kann vielmehr nur deswegen in Bewegung setzen, wie Aristoteles betont (An. III 10, 433b11–13, Mot. An. 8, 701b33–35), dass er wahrgenommen, vorgestellt oder gedacht wird. So gesehen scheint es nicht unangemessen, die Selbstbewegung des Hasen in der hier beschriebenen Weise als ein »Einspeisen« seiner kognitiven Gehalte in den Weltverlauf zu verstehen: Zweck und Richtung der Bewegung sind die Zutaten des Lebewesens, nicht aber die dafür aufgewendete Energie. Das elfte Kapitel von Mot. An. illustriert diese Grundidee von Aristoteles’ Theorie der animalischen Selbstbewegung mithilfe eines simplen Diagramms, das in seiner handschriftlich überlieferten Form erst jetzt bekannt geworden ist.19 Es stellt den Prozess der Ortsbewegung als eine Serie von Bewegungen zwischen geometrischen Punkten dar: Aus der Umwelt stammende sensorische Affekte (D bzw. E) bewegen sich von der Peripherie des Lebewesens in Richtung auf das im Herzen lokalisierte sensorische Zentrum (A), werden dort rezipiert, und verlaufen dann vom Zentrum ausgehend als motorische Prozesse wieder nach außen zu den Gliedmaßen B bzw. C:20

bewegter Beweger des Lebewesens wäre (wie Richardson 1992, 374 ff., meint). Aristoteles bezieht sich mit seiner Rede von »Gegenstand der Strebung« stets auf den wahrgenommenen (oder sonstwie kognitiv erfassten) Gegenstand der Strebung. Dass ein Gegenstand von einem Lebewesen erstrebt wird, heißt, dass er ihm entweder in der Wahrnehmung oder Vernunft präsent ist. Weder kennt Aristoteles Strebungen ohne Gegenstände, auf die sie sich richten, noch glaubt er, dass Gegenstände Lebewesen in Bewegung setzen können, ohne von ihnen kognitiv erfasst zu werden. 19  Das Diagramm wurde jetzt erstmals in den Text aufgenommen, und zwar in seiner von Z aC aOd überlieferten Form, die von der β-Hand­ schrift Er (bis auf einen verschiedenen Buchstaben) bestätigt wurde; vgl. unten Apparatus plenior S. 60–61 zu 703b29–36. 20  Vgl. auch An. I 4, 408 b13–18, wo Aristoteles ein ganz ähnliches Modell ein- und ausgehender Bewegungen verwendet (vgl. die Diskussion in Corcilius/Gregoric 2013).

CLXIV

Klaus Corcilius E

B A

DC

Im Zentrum der ein- und ausgehenden Bewegung, am Schnittpunkt der beiden Linien, befindet sich die (unbewegte) Wahrnehmungsseele des Lebewesens. Sie bezeichnet Aristoteles als Prinzip und Ausgangspunkt der Selbstbewegung. Dort erfahren die eingehenden Bewegungen nämlich eine entscheidende Transformation, welche die Rede vom sensorischen Zentrum A als Ausgangspunkt (archê) der Selbstbewegung des Lebewesens rechtfertigt. Entscheidend ist, dass an Punkt A keine neuen kausalen Kräfte in den Prozess eingespeist werden – als selbstverursacht gelten die Bewegungen von A nach B bzw. C vielmehr dadurch, dass ihre kausalen Vorläufer – die von D bzw. E ausgehenden Bewegungen – die Wahrnehmungsseele des Lebewesens in Punkt A erreichen und aktivieren. Sie werden dort nämlich wahrgenommen oder, modern gesprochen, »interpretiert«, um dann, als Gegenstände des Strebens oder Meidens den Verlauf der nach außen gehenden Bewegung von A nach B bzw. C in einer solchen Weise zu bestimmen, die an den Bedürfnissen des Lebewesens ausgerichtet ist. Die eingehenden Bewegungen werden, mit anderen Worten, in einer Weise rezipiert, neu ausgerichtet und den subjektiven Zwecken des Lebewesens unterworfen, die ohne Eingehen auf den Gehalt der Wahrnehmung nicht mehr adäquat beschrieben werden kann. Das Lebewesen reagiert deswegen nicht blind auf eingehende Bewegungsimpulse, sondern verhält sich auf je nach kognitiven Anlagen mehr oder weniger bewusste und informierte Weise zu dem von ihm wahrgenommenen Gehalt. Mot. An. betont, dass Wahrnehmungen durch die qualitativen Veränderungen, die sie im Lebewesen mit sich bringen, Strebebewegungen auslösen, die dann im weiteren Verlauf ihrerseits zur Selbstbewegung des ganzen Lebewesens führen



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können.21 Mit seiner These, dass die Wahrnehmung Ursache der Strebung und damit des gesamten weiteren Prozesses der Bewegungsgenese ist, führt Aristoteles also buchstäblich eine sensorische bzw. im weiten Sinn kognitive Dimension in den Bewegungsablauf ein:22 Von dem Augenblick an, in dem die Wahrnehmung im Körper des Lebewesens zur Strebung führt, handelt es sich um einen psychophysischen Motorprozess, einen Vorgang also, der wesentlich beides ist: kausal und intentional. 23 Der Vorgang der Bewegungsauslösung kann weder ohne Rücksicht auf seine kausalen Aspekte noch ohne Rücksicht auf seine kognitive Dimension adäquat verstanden werden. Nehmen wir wieder die Karotte im Sichtfeld des Hasen. Entscheidend ist, dass die Bewegungsgenese deswegen einsetzt und stattfindet, weil der Hase den Gegenstand wahrnimmt. Dies passiert dann, wenn die Wahrnehmung im Hasen zu einer hinreichend intensiven Strebung führt, was bei der Karotte und dem Hasen typischerweise dann der Fall sein wird, wenn er einen leeren Magen hat. Das Sehen der Karotte ist dann lustvoll für den Hasen und die Karotte attraktiv (zur weiteren Erklärung des Zustandekommens der Strebung siehe unten). Dieser strebende Bezug zum wahrgenommenen (oder vorgestellten oder gedachten) Gegenstand markiert für Aristoteles den eigentlichen Ausgangspunkt der animalischen Selbstbewegung:

21 6, 701a5 f. (alloiôthentos kata tên aisthêsin), 7, 701a36 (orexeôs … ginomenês ê di’ aisthêseôs …); b16 f. (alloiousi … hai aisthêseis); 8, 702a17–19 (orexis … ginetai … di’ aisthêseôs); 9, 702b22 f. (alloioumenou dia tên aisthêsin). 22 Aristoteles unterscheidet nicht explizit zwischen sensorischer Empfindung und Wahrnehmung. 23  Wie wir gesehen haben, bestehen Strebungen in thermischen Prozessen im Lebewesen (Mot. An. 8, 701b33–702a7, An. I 1, 403a29– b2), sind aber auch durch ihre Gehalte definiert (siehe unten, S. CCII).

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Der Ausgangspunkt der Bewegung ist also, wie gesagt, das im Bereich möglicher Handlungen Erstrebte und Gemiedene. (Mot. An. 8, 701b33 f.) Das Erste von allen ist aber der Gegenstand der Strebung; denn dieser bewegt als Unbewegter, indem er gedacht oder vorgestellt wird. (An. III 10, 433b11–12)

Denn ab jetzt verhält sich der Hase zu dem wahrgenommenen Gegenstand. Der Hase erstrebt die Karotte, so wie sie ihm erscheint und aufgrund der Tatsache, dass ihre Wahrnehmung lustvoll für ihn ist. In diesem (sehr einfachen) Fall bezieht sich die Strebung des Hasen auf den gleichen Gehalt wie seine Wahrnehmung: die Karotte. 24 Gleichwohl verfügt der Hase schon damit über einen praktischen Zweck, der ihm mental präsent ist. Darin besteht die eine, die subjektiv-teleologische Funktion der Strebung. Die Wahrnehmung der Karotte löst im Hasen aber auch einen physiologischen Prozess aus, der zur Bewegung des Hasen in Richtung der Karotte führen kann. Hierin besteht die andere, die kausale Funktion der Strebung. Der strebende Bezug des Hasen zur Karotte markiert damit den Ausgangspunkt der Ortsbewegung in einem doppelten Sinn: kausal als Ausgangspunkt der Bewegung und teleologisch als subjektiver Bewegungszweck. Dieser strebende Bezug zieht sich als entscheidende Konstante durch den gesamten Prozess der Bewegungsgenese hindurch und besteht fort, bis der Hase sich durch Ortswechsel in den Besitz der Karotte gebracht und sie sich einverleibt hat. An diesem Punkt – vorausgesetzt der Hase ist nun satt – setzt die Strebung nach 24  Für die Selbstbewegung des Lebewesens muss der Gegenstand nur irgendwie mental präsent sein (vgl. An. III 9, 432b15–17). Viele Interpreten vertreten dagegen die Ansicht, dass Lebewesen, um Gegenstände erstreben zu können, sie in besonderer (evaluativer) Weise mental präsent haben müssen (Nussbaum 21985, 221–269 und Furley 1978, 175, 179, Fn. 13, und seitdem viele mehr; vgl. dagegen Corcilius/Gregoric 2013, 90 f.).



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der Karotte aus, weil der Strebezweck des Hasen erfüllt ist. Gleichzeitig setzt auch die Bewegung aus. Für den Hasen besteht nun kein Anlass mehr, sich zu bewegen. So weit die Grundidee der aristotelischen Theorie der animalischen Selbstbewegung. Aber wie genau führt die Wahrnehmung zur Strebung? Und wie genau führt die Strebung zur Ortsbewegung des Lebewesens? Während die zweite Frage in Mot. An. ausführlich beantwortet wird, sehen wir uns mit der ersten Frage auf andere Bereiche des aristotelischen Werks verwiesen. Mot. An. enthält keine eigenständige Diskussion des für die Theorie der animalischen Selbstbewegung zentralen Begriffs der Strebung, sondern setzt voraus, was an anderer Stelle dazu gesagt worden ist. Entsprechendes gilt auch für eine Reihe weiterer wichtiger Theorieelemente. Werfen wir daher einen Blick auf die theoretischen Voraussetzungen von Mot. An. in Aristoteles’ Werk

. Die theoretischen Voraussetzungen von De motu ­animalium in Aristoteles’ Werk Die Theorie der animalischen Selbstbewegung ist ein nur kleiner Teil eines sehr viel größeren, seiner Art nach singulären Erklärungsprojektes. Dies ist die Naturphilosophie (physikê epistêmê) des Aristoteles, seine Lehre von der Welt und ihren Teilen, sofern sie bewegt ist. Innerhalb der Naturphilosophie nimmt Mot. An. eine besondere Rolle ein. Der Grund dafür ist, dass die Erklärung der Selbstbewegung der Lebewesen mit ungewöhnlich vielen, von Aristoteles separat behandelten Theoriestücken in- und außerhalb der Naturphilosophie in Verbindung steht. Dies beginnt mit dem unmittelbaren Kontext, auf den der Leser gleich im ersten Satz der Schrift hingewiesen wird. Das ist der zoologische Kontext, wobei unter »Zoologie« auch das Grundlagenwerk der Biologie, die Schrift Über die Seele (De anima), einzuordnen ist, von der oben bereits gesagt wurde, dass sie auch eine Diskussion der

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animalischen Selbstbewegung enthält. Daneben bestehen Verbindungen zur allgemeinen Bewegungslehre im achten Buch der aristotelischen Physik und – weniger direkt – auch eine Verbindung zur Kosmologie. 1.  Zoologisch-biologische Voraussetzungen. Die Theorie der animalischen Selbstbewegung ist Teil von Aristoteles’ Projekt der wissenschaftlichen Erklärung tierischen Lebens. »Tierisches Leben« meint dabei nicht nur das Leben der Tiere im Sinne subhumaner tierischer Lebensformen, sondern beinhaltet ausdrücklich auch die humanbiologischen Aspekte menschlichen Lebens. Als »Tier« (zôon) gilt alles, was mit einem Wahrnehmungsvermögen und mindestens mit dem Tastsinn ausgestattet ist, 25 weswegen zôon hier mit »Lebewesen« übersetzt wird. Dieses Projekt besteht im Wesentlichen aus zwei Teilen: einer Sammlung aller relevanten Fakten über Lebewesen einerseits – das »Dass« (hoti) einer Wissenschaft oder auch die »Phänomene« der Tiere, wie Aristoteles sagt – und der wissenschaftlichen Erklärung dieser Fakten durch die Angabe von Ursachen bzw. Gründen andererseits (das »Warum« einer Wissenschaft; vgl. Anal. Pr. I 30). Die Fakten über Tiere sind von Aristoteles gesammelt in dem großen Werk Historia Animalium (auch Tierkunde oder Tiergeschichte genannt). Es handelt sich dabei – vereinfachend gesagt – um eine nach Vollständigkeit strebende Auflistung aller Merkmale, wodurch sich die verschiedenen Tiere als solche voneinander unterscheiden. Aristoteles teilt sie in vier Hauptgruppen: die Körperteile (merê) der Tiere, ihre Tätigkeiten und Handlungen (praxeis), ihre Lebensweisen (bioi) und ihre Gewohnheiten (êthê). Die Historia animalium listen sie mehr oder weniger der Reihe nach auf. Die Ursachen der dort gesammelten Fakten finden sich dagegen in der Gruppe der sogenannten »aitiologischen« Schriften des zoologischen Schriftencorpus: Über die Teile der Tiere (De partibus animalium), Über die Entstehung 25  Vgl.

414 3 ff. b

Somn. Vig. 1, 454b24 f.; Part. An. II 8, 653b22 ff.; An. II 3,



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der Tiere (De generatione animalium, mit eigener Faktensammlung), Über die Fortbewegung der Lebewesen (De incessu animalium), die Gruppe Kleiner naturwissenschaftlicher Schriften (Parva naturalia) sowie die vorliegende Schrift Über die Bewegung der Lebewesen (De motu animalium). Grundlegende, über die Arbeitsteilung zwischen Faktensammlung und Angabe der Ursachen hinausgehende Bedeutung haben die Schriften Über die Seele (De anima) sowie das erste Buch des bereits erwähnten Über die Teile der Tiere. Bei Letzterem handelt es sich um eine generelle Einführung in sein Projekt, in der Aristoteles seine Methode zoologischen Erklärens vorstellt und verteidigt. De anima legt mit der Definition des generischen Wesens lebendiger Dinge das begriffliche Fundament für das gesamte Projekt. Das Definiendum soll als erstes Prinzip der Wissenschaft vom Lebendigen fungieren. Aristoteles nennt dieses Prinzip »die Seele« (hê psychê). 26 Die in De anima vorgenommene Definition der Seele wird in den aitiologischen Schriften vorausgesetzt. Die Erklärungen für die Teile, Tätigkeiten und Handlungen, Lebensweisen und Gewohnheiten von Lebewesen in den aitiologischen Schriften beruhen also auf der Definition der Seele. Wie man sieht, handelt es sich bei Aristoteles’ Zoologie 27 um ein systematisch und arbeitsteilig durchgeführtes

26  Die Schrift Über die Seele geht teilweise über den Bereich der Zoologie und sogar der Biologie und überhaupt der Naturwissenschaft hinaus, da es sich bei der Seele um das oberste Prinzip der Erklärung alles Lebendigen, also auch um das Prinzip pflanzlichen Lebens, handelt und da das materiell nicht »realisierte« Denkvermögen der Seele für Aristoteles nicht mehr durch biologisch-naturwissenschaftliche Prinzipien zu erklären ist. De anima stößt mit der Behandlung des Denkens daher an die Grenzen der Naturbetrachtung (vgl. unten S. CLXXXVII). 27  Dies gilt für die gesamte Biologie. De anima befasst sich ausdrücklich auch mit pflanzlichem Leben, und es ist nicht unwahrscheinlich, dass Aristoteles auch Autor einer Schrift Über Pflanzen war, die uns jetzt nur in verstümmelter Form erhalten ist; siehe Herzhoff, 2006, 69 ff.

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Projekt.28 Bei dem gegebenen systematischen Zusammenhang der zoologischen Teilprojekte leuchtet ein, dass eine genaue Identifikation der »Systemstelle« von Mot. An. im corpus der zoologischen Schriften von einiger Wichtigkeit ist. Dabei handelt es sich allerdings um eine schwierige und in der Literatur bisher nicht eindeutig geklärte Frage. Der Zusammenhang und die systematische Reihenfolge der aristotelischen Abhandlungen zur Biologie – die übrigens keineswegs mit der Chronologie ihrer Abfassung identisch sein muss – wird zwar in den zahlreichen Querverweisen, die sich über das ganze Werk verstreut finden, eindrucksvoll belegt, doch ergeben die Querverweise für sich genommen noch keinen eindeutigen Befund.29 Im Folgenden wird das wahrscheinlichste Bild kurz vorgestellt.30 Sicher ist, dass Mot. An. zu den aitiologischen Schriften gehört, also Ursachen für Fakten angibt, die in der Tiergeschichte gesammelt sind. Allerdings, und dies ist wichtig, ist Mot. An. darin von Schriften wie Über die Teile der Lebewesen (De partibus animalium) verschieden, dass es von teleologischen 28  Ähnliches gilt in einem noch wesentlich größeren Rahmen von der Arbeitsteilung in der aristotelischen Naturwissenschaft, von der die Biologie nur ein, wenn auch besonders wichtiger, Teil ist. Zum Projekt der aristotelischen Naturwissenschaft vgl. Kullmann 2007. Siehe auch Falcon 2005 und Burnyeat 2004, 7–24. 29  Sie legen teilweise sogar widersprüchliche Szenarien nahe. Allerdings gibt es keinen Grund, den Querverweisen grundsätzlich zu misstrauen (vgl. hier den Überblick samt Literaturangaben bei Kullmann 2007, 138 ff.). Für eine skeptische Sicht der Lage vgl. Burnyeat 2004, 177–180. 30  Zur Frage nach der »Systemstelle« von Mot. An. im aristotelischen Werk vgl. die teils interpretierenden, teils textkritisch motivierten Überlegungen von Jaeger 1913b, 31–42 (die hier vertretene Auffassung stimmt in vielen Teilen mit Jaegers Auffassung überein). Vgl. dagegen Nussbaum 1983, 135 ff., Kollesch 1985, 58 f., siehe außerdem Rashed 2004, Fazzo 2004, Wilson 2000, 46–52, King 2001, 152 f., und 2011, Morel 2007, 93 ff. Zum Verhältnis von Mot. An. zu An., s. Corcilius 2008a, 243–249.



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Erklärungen weitgehend absieht, das heißt von solchen Er­ klärungen, in denen die Existenz von Teilen, Tätigkeiten, Handlungen, Lebensweisen oder Gewohnheiten von Lebewesen mithilfe ihres Zwecks oder ihrer Zweckdienlichkeit erklärt werden. Ein Beispiel für eine aitiologische Schrift, die stark auf Zweckursachen abhebt, wäre etwa die Schrift Über die Fortbewegung der Lebewesen (De incessu animalium). Sie scheint zunächst thematisch Mot. An. sehr nahe zu sein, insofern es auch in ihr um die Ortsbewegung der Lebewesen geht. Bei genauerem Hinsehen zeigen sich jedoch gravierende Unterschiede: De incessu erklärt die Existenz und Funktionsweise der für die Ortsbewegung von Lebewesen dienlichen Körperteile mit deren Zweckdienlichkeit für die den jeweiligen Lebewesen eigenen Fortbewegungsweisen (gemeint sind Fortbewegungsweisen wie z. B. Gehen oder Kriechen, die in der Schrift je einzeln diskutiert werden). Demgegenüber geht es in Mot. An. gerade nicht um die jeweils verschiedenen Fortbewegungsweisen der Lebewesen, sondern um die eine, ihnen allen gemeinsam zugrundeliegende Ursache der Selbstbewegung. Und auch hier geht es nicht darum, zu welchem Zweck die Lebewesen ihre Selbstbewegungen vollführen, sondern um die notwendigen und hinreichenden Bedingungen für den Vollzug der Selbst- und insbesondere der Ortsbewegungen der Lebewesen. Darüber hinaus geht es darum, den bewegungskausalen Ablauf zu schildern, der im Lebewesen zur Selbstbewegung führt. Da Mot. An. einen Vorgang untersucht, der allen in De incessu diskutierten Fortbewegungsweisen gemeinsam zugrunde liegt, baut die Schrift insofern auch auf De incessu auf (Mot. An. 1, 698a1–4). Darin, nicht auf Zweckursachen, sondern auf die bewegungskausale Erklärung von Prozessen abgestellt zu sein, die in der einen oder anderen Weise Kognition involvieren, hat Mot. An. Verwandtschaft mit der Mehrzahl derjenigen Schriften, die in der Sammlung Kleine naturwissenschaftliche Schriften (Parva naturalia) zusammengefasst sind. Wie z. B. in Über Schlaf und Wachen (De somno et vigilia), Über Träume

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(De insomniis) oder Über Jugend und Alter (De juventute et senectute) wird auch in Mot. An. hauptsächlich die Frage untersucht, wie das zu erklärende Phänomen kausal zustande kommt.31 Die Verwandtschaft von Mot. An. mit den Parva naturalia wird durch eine nähere Betrachtung bestätigt: So wie die Parva naturalia schließt auch Mot. An. an die Ergebnisse der Untersuchung in De anima an und beruft sich ausdrücklich auf die in De anima geleistete Vorarbeit. Und Parva naturalia und Mot. An. tun dies auch auf dieselbe Weise: Hier wie dort geht es um die Erklärung von psychophysischen Leistungen, wie sie Lebewesen unmittelbar dadurch, dass sie eine Seele haben, entweder ausüben oder erleiden. Beide Schriften bzw. Schriftengruppen stehen damit in einem ganz ähnlichen Verhältnis der Arbeitsteilung mit De anima. Das erste Kapitel der Schrift Über die Wahrnehmung und die Gegenstände der Wahrnehmung (De sensu et sensibilibus), das übrigens zu Recht als Einleitung in die Parva naturalia insgesamt gilt,

31  In den Parva naturalia werden zwar gelegentlich auch die Zwecke der jeweiligen Phänomene diskutiert. Anders als bei der Seele selbst, so wie sie in De anima untersucht und definiert wird, liegen diese Zwecke, falls vorhanden, aber immer außerhalb der untersuchten Prozesse und führen sich letztendlich immer auf die Seele als ihrem obersten Zweck zurück. So ist z. B. der Schlaf ein Prozess mit einer bestimmten Bewegungsursache und einem bestimmten Zweck. Dieser Zweck besteht in der Ermöglichung des Wachbewusstseins durch die Erholung von den Anstrengungen, die das Wachsein für die Tiere mit sich bringt. Schlaf ist im Unterschied zum Wachen also kein Selbstzweck, sondern derivativ zweckhaft, nämlich insofern Schlaf einem genuinen Zweck als notwendige Ermöglichungsbedingung dient (ex hypotheseôs; in diesem Fall das Wachsein als Betätigung der für die Lebewesen essentiellen seelischen Funktion der Wahrnehmung, Somn. Vig. 2, 455b13–28). Analog verhalten sich die Dinge in Mot. An. Zoologisch betrachtet handelt es sich bei der Ortsbewegung der Lebewesen nicht um einen Zweck, sondern die Ortsbewegung dient dem Zweck des Selbsterhalts bzw. der ungehinderten Ausübung der essentiellen Lebensfunktionen (vgl. An. III 7, 9–11, 12; für eine Diskussion siehe unten S. CXCVIII ff.).



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umreißt die Grundlinien dieser Arbeitsteilung auf folgende Weise: Nachdem die Seele an sich und jedes ihrer Vermögen der Reihe nach abgehandelt worden ist, kann anschließend die Untersuchung über die Lebewesen und alles, was Leben besitzt, vorgenommen werden, nämlich welche Tätigkeiten ihnen speziell und welche ihnen gemeinsam zukommen. Was über die Seele gesagt worden ist, soll dabei vorausgesetzt sein, wir aber wollen über das Übrige sprechen, und zwar zuerst über die ersten Dinge. Am wichtigsten, ob sie den Lebewesen nun insgesamt zukommen oder ihnen jeweils eigentümlich sind, sind offenkundig die Tätigkeiten, die Seele und Körper gemeinsam sind: Wahrnehmung, Erinnerung, Mut, Begierde, d. h. insgesamt Strebung, und dazu Lust und Schmerz; denn auch diese kommen so ziemlich allen Lebewesen zu. (Sens. 1, 436a1–11)

Aristoteles kündigt hier an, die psychophysischen Leistungen (die »Tätigkeiten, die Seele und Körper gemeinsam sind«) der Lebewesen zu erklären und dies ausgehend von der Untersuchung der Seele in De anima zu tun. De anima besorgt die Definition der Seele selbst – der »Seele an sich« wie obiger Text sagt. Die Rede von der »Seele an sich« (psychê kath’ hautên) bezieht sich nicht auf eine psychologische Größe im Sinne eines Trägers oder Subjektes mentaler Episoden, welches fühlt, empfindet oder denkt, sondern, wie gesagt, auf ein wissenschaftliches Prinzip. Die Seele an sich ist das generische Prinzip lebendiger Dinge, welches der aristotelische Naturwissenschaftler bei der Erklärung biologischer Phänomene als erste Form- Zweck- und Bewegungsursache des Lebendigen in Anschlag zu bringen hat (vgl. z. B. An. I 1, 402a6–10; b16–403a2; II 4, 415b 7–29). Ihre Definition formuliert das definitorische Wesen des Lebendigen und stellt damit das erste Prinzip biologischer Erklärung dar (explanans). Als solches ist die Seele selbst methodisch verschieden von den psychophysischen Leistungen der Wesen, die beseelt sind, d. i. Menschen, Tiere oder Pflanzen, die eine Seele haben und damit der Gegenstand der

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Erklärungen der Wissenschaft vom Lebendigen sind (explanandum). Bei den psychophysischen Leistungen beseelter Wesen handelt es sich um die Tätigkeiten und Affektionen, die konkrete Lebewesen (und generell lebendige Dinge) tun oder erleiden, insofern sie eine Seele haben (vgl. Sens. 1, 436a11 ff.; Part. An. I 1, 641a21–31). Es sind dies diejenigen Prozesse, die Lebewesen und Pflanzen ausüben und erleiden, insofern sie lebendig sind, d. h. insofern sie Träger des Prinzips des Lebendigen sind, und die sich daher in der einen oder anderen Weise daraus ergeben, dass sie über dieses Prinzip verfügen.32 Es geht in den Parva naturalia damit um Prozesse bzw. Veränderungen (»Bewegungen«, kinêseis) wie sie bei konkreten Lebewesen als deren Lebensäußerungen vorkommen. In den verschiedenen Einzeluntersuchungen, die dieser Schriftengruppe zugehören, fragt Aristoteles für viele dieser Leistungen kausal nach den notwendigen und hinreichenden Bedingungen ihres Stattfindens. Diese Ausrichtung auf die Erklärung von Vorkommnissen psychophysischer Leistungen auf Grundlage der in De anima gelegten Fundamente verbindet das Erklärungsprojekt der Parva naturalia mit dem von Mot. An.33 32  Im Unterschied etwa dazu, was Lebewesen dadurch erleiden oder tun, dass sie z. B. physikalische Körper sind; solche Fragen sind nicht Teil der Zoologie und Biologie, sondern gehören in allgemeinere Bereiche der Naturforschung. 33  Es leuchtet ein, dass die Erklärung der psychophysischen Prozesse und Bewegungen in Mot. An. und in den Parva naturalia die Definition der Seele als Prinzip des Lebendig-Seins zur Voraussetzung hat. Entsprechend zahlreich sind in den Parva naturalia und Mot. An. die ausdrücklichen Verweise auf die Definitionen in De anima (vgl. die Sammlung der Verweise in den Parva naturalia in King 2001, 34 ff. und 152, Anm. 15). Es sei erneut darauf hingewiesen, dass die hier gegebene Schilderung tendenziell vereinfachend ist. Die Texte liefern ein komplexeres Bild: So finden sich in An. Passagen, die von einigen Interpreten als Erklärungen von Episoden psychischer Leistungen gedeutet werden, während umgekehrt die Parva naturalia nicht nur Bewegungsursachen, sondern auch Definitionen sowie Zweck- und Materialursachen der genannten Prozesse diskutieren. Bei einzelnen Leistungen fehlt sogar eine Diskussion



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Der innere Zusammenhang von Mot. An. mit den Parva naturalia wird umso deutlicher, wenn man sich klar macht, dass die oben angeführte Liste am Anfang von De sensu keineswegs darauf abzielt, die psychophysischen Leistungen beseelter Wesen erschöpfend aufzuzählen; Aristoteles beansprucht nur, einige der »wichtigsten« (megista) zu nennen. Ausdrücklich enthalten sind jedoch die beiden Strebungen »Mut (thymos)« und »Begierde (epithymia)« sowie außerdem Lust und Leid (hedonê, lypê), die allesamt von großer Bedeutung für Aristoteles’ Theorie der animalischen Selbstbewegung sind. Auch passt es gut zu dem Anfang von De Sensu, dass es in Mot. An. ebenfalls um die Erklärung einer psychophysischen Leistung geht, die die Lebewesen deswegen erbringen, weil sie eine Seele haben. Schließlich verweist auch Mot. An. 6 auf die in De anima gegebene Definition der Seele: Über die Seele, ob sie bewegt wird oder ob sie nicht bewegt wird und wenn sie bewegt wird, wie sie bewegt wird, ist bereits in der ihr gewidmeten Abhandlung gesprochen worden. (Mot. An. 6, 700b4–6)

Komplementär dazu wird als eigenes Erklärungsziel angekündigt, dass eine Betrachtung (…), wie die Seele den Körper bewegt und welchen Ausgangspunkt die Bewegung des Lebewesens hat [noch aussteht]. (700b9–11) der Bewegungsursache (etwa bei der Wahrnehmung in De Sensu, wo in diesem Zusammenhang aber auf De anima verweisen wird; vgl. Sens. 3, 439 a6–9). Insgesamt ist die Methodologie der Parva naturalia im Einzelnen häufig zu kompliziert, um sich immer leicht auf einen klaren gemeinsamen Nenner bringen zu lassen (vgl. King 2006 und die Übersicht in 2011). Dies ändert jedoch nichts an dem grundsätzlich arbeitsteiligen Verhältnis, dem zufolge es in den Parva Naturalia um solche Erklärungen psychophysischer Leistungen geht, die sich auf An. als Grundlage und Voraussetzung berufen und – im Gegensatz zu An. – auf Episoden solcher Leistungen beziehen, wie sie an Lebewesen vorkommen.

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All dies legt es nahe, dass die Parva naturalia und Mot. An. ganz ähnliche Projekte verfolgen, nämlich eine auf Vorkommnisse zugeschnittene Erklärung psychophysischer Prozesse. Die Erklärung der animalischen Selbstbewegung in Mot. An. entspricht diesem Bild jedenfalls recht genau: Es nennt die notwendigen und hinreichenden Bedingungen für das Stattfinden animalischer Ortsbewegung, und es liefert eine vollständige Erklärung des Prozessverlaufs der Bewegungsgenese im Lebewesen (Mot. An. 6 ff., 701a 4–702a21 siehe unten). Eine ausdrückliche Bestätigung dafür, dass Mot. An. Teil des Erklärungsprojekts der Parva naturalia ist, findet sich interessanterweise in De anima. Dort heißt es: Und das Werkzeug, mit dem die Strebung bewegt, dies ist vollends körperlich und deswegen im Rahmen der für Körper und Seele gemeinsamen Leistungen zu betrachten. (An. III 10, 433b19–21)

Hier wird über das Thema von Mot. An. als Teil derjenigen Betrachtung gesprochen, die sich mit den »für Körper und Seele gemeinsamen Leistungen« befasst. Dies scheinen genau die Untersuchungen zu sein, die am oben zitierten Anfang von De sensu angekündigt werden. Dass sich die De-anima-Passage auf Mot. An. bezieht, obwohl der Titel der Schrift im Text nicht ausdrücklich genannt wird, ist dadurch gesichert, dass im direkt daran anschließenden Passus eine erste Übersicht über den Inhalt der besagten Betrachtungen folgt. Sie trifft wesentliche Teile des Inhalts von Mot. An. (An. III 10, 433b19–27).34 Es ist daher davon auszugehen, dass Mot. An. in demselben oder doch zumindest in einem sehr ähnlichen Verhältnis der Arbeitsteilung zu De anima steht, wie er am Anfang von De sensu für die gesamten Parva naturalia umrissen wird: Es erklärt psychophysische Leistungen unter Anwendung der in De anima gegebenen Grundlagen. 34  Für einen Nachweis der Inhaltsangabe sowie der entsprechenden Stellen in Mot. An., siehe Jaeger 1913, 41 f.



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2.  De motu animalium und De anima III 9 –11. Wie gestaltet sich der Zusammenhang von Mot. An. und An. des Näheren? Der Hauptsache nach leistet De anima, wie gesagt, die begriffliche Grundlegung für die wissenschaftliche Erklärung des Lebendigen, indem es die »Seele an sich« d. h. das Prinzip des Lebendig-Seins, definiert. Nun ist die Seele als erstes Prinzip der Wissenschaft des Lebendigen bei Aristoteles in eine Reihe von Teilprinzipien unterteilt. Diese Teilprinzipien sind die sogenannten »Teile« der Seele.35 Dabei handelt sich um die Teile der Definition des Prinzips des Lebendigen in dem Sinne, dass sie (i) voneinander unabhängig sind und (ii) zusammengenommen hinreichen, um die Phänomene des Lebendigen als deren erstes Prinzip wissenschaftlich zu erklären. »Voneinander unabhängig« (i) heißt, dass die Definition keines Seelenteils auf die eines anderen Seelenteils referiert. Sie sind also definitorisch voneinander unabhängig. (ii) heißt, dass die Teile der Seele zusammengenommen alle basalen Annahmen enthalten, die in der Wissenschaft vom Lebendigen als Prinzipien angenommen werden müssen, um die Phänomene des Lebendigen zu erklären. In diesem Sinne sind die Teile der Seele, sowohl jeder für sich als auch zusammengenommen, explanatorisch basal. Aristoteles definiert die Teile der Seele als Vermögen (dynameis), d. h. als die Fähigkeiten belebter Körper, sich in den für sie charakteristischen Lebensäußerungen zu betätigen. Die Teile der Seele sind damit diejenigen Vermögen belebter Körper, deren Definitionen für sich genommen hinreichen, um mit Ausgang von ihnen die Phänomene des Lebendigen wissenschaftlich zu erklären. In der wissenschaftlichen Erklärung der Phänomene lebendiger Dinge sollen sie als deren oberste Final-, Form- und Bewegungsursachen fungieren (An. II 4, 415b8–27). In De anima II 2 unterscheidet Aristoteles vier solcher Teilprinzipien: Vegetatives Vermögen, Wahrnehmungsvermögen, Denkvermögen und Selbstbewe35  Corcilius/Gregoric 2010, sowie Johansen 2012. Für eine andere Sicht vgl. Whiting 2002.

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gung (An. II 2, 413b11–13). Allerdings lässt er die Frage, ob es sich bei allen diesen vieren tatsächlich um Teile der Seele in dem gerade erläuterten Sinne von explanatorisch basalen Seelenvermögen handelt, absichtlich offen (413b13–24).36 Der Rest von De anima besteht im Wesentlichen in einer Diskussion eines jeden dieser Kandidaten, wobei Aristoteles sich an die in An. II 2 vorgegebene Reihenfolge hält. In den ersten drei Fällen endet die Diskussion mit einer Definition des jeweiligen Seelenteils.37 Der für die Ortsbewegung der Lebewesen zuständige Seelenteil wird dann als vierter und letzter Kandidat dafür, Seelenteil zu sein, erst relativ am Schluss von De anima III, 9–11, besprochen. Bei der gegebenen Arbeitsteilung zwischen De anima und Mot. An. sollten wir hier also die Definition eines seelischen Vermögens erwarten, auf dessen Basis Mot. An. den auf konkrete Vorkommnisse anwendbaren Teil der Theorie liefern kann. Die Erwartung wird aber nur mit sehr starken Einschränkungen erfüllt: De anima III 9–11 enthält zwar in der Tat eine Diskussion der Frage, auf welche Weise die Seele bewegende Ursache für die Ortsbewegung der Lebewesen ist (»Ortsbewegung« ist hier nicht im Unterschied zu Selbstbewegung, sondern als paradigmatischer Fall von Selbstbewegung zu verstehen38). Allerdings gestaltet sich die Diskussion im Vergleich zu den vorherigen Diskussionen der Seelenteile ungewöhnlich. Grund dafür ist, dass Aristoteles in diesen Kapiteln gleichzeitig mit der ohnehin komplexen Diskussion der Bewegungsursache der animalischen Ortsbewe36  Mit Bezug auf die Ortsbewegung wird die Frage am Beginn von An. III 9 wieder aufgegriffen. Vgl. Corcilius 2008a, 21–55, und unten S. CCXXXIII f. 37  Vegetatives Vermögen: An. II 4, 416 b17–20; Wahrnehmungsvermögen: II 12, 424 a17–24; die Diskussion des Vernunftvermögens in III 4, 429 a10 ff., schließt nicht so klar mit der Definition eines Vermögens ab wie in den beiden vorherigen Fällen. Es ist aber klar, dass Aristoteles die Vernunft als einen Teil der Seele ansieht (vgl. 429 a10: morion to tês psychês; vgl. auch An. III 8, 431b20–432a3). 38  Vgl. Phys. VIII 6, 259 b1–6.



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gung auch noch die in De anima II 2 (413b13 ff.) aufgeworfene Frage behandelt, ob es sich bei dem Vermögen zur Ortsbewegung tatsächlich um einen Teil der Seele handelt. Darüber hinaus greift er auch noch die bereits im ersten Buch von De anima (Kapitel 1 und 5) angesprochene, dort aber unerledigt gebliebene methodische Frage auf, in welcher Weise überhaupt von Seelenteilen gesprochen werden sollte. Diese Vermengung verschiedener Fragestellungen im Rahmen einer einzigen Sachdiskussion führt dazu, dass diese drei Kapitel mit zum Schwierigsten gehören, was uns das Corpus Aristotelicum zu bieten hat. Weiter unten wird eine zusammenhängende Interpretation von De anima III 9–11 gegeben werden (S. CCXXVII ff.). Für jetzt sei bemerkt, dass Aristoteles die methodische Frage nach den Seelenteilen mit gutem Grund anlässlich der Diskussion der Ortsbewegung wieder aufgreift. Die Ortsbewegung erweist sich nämlich als in hohem Maße von den vorher diskutierten Seelenteilen verschieden. Teile der Seele sind, wie oben bemerkt, diejenigen seelischen Vermögen, die (i) definitorisch voneinander unabhängig und (ii) explanatorisch basal sind. Ein Vermögen zur Ortsbewegung, wenn es ein Teil der Seele ist, müsste also im Rahmen der Wissenschaft vom Lebendigen irreduzibel sein, was heißt, dass in seiner Definition andere Teile der Seele nicht erwähnt werden dürften. Beides ist, wie wir unten sehen werden, bei der Ortsbewegung nicht der Fall. Die Erklärung der Ortsbewegung in An. III 9–11 involviert nämlich nicht nur eine ganze Reihe von bereits vorher in der Schrift definierten Vermögen – Wahrnehmung, Denkvermögen, Strebung und Vorstellung –, sondern es findet sich darin auch keine Definition eines seelischen Vermögens. Das Vermögen zur Orts- oder Selbstbewegung scheint für Aristoteles daher weder definitorisch unabhängig noch explanatorisch basal zu sein. Vielmehr sind es die bereits vorher in der Schrift definierten Seelenvermögen – und nicht etwa ein speziell für die Orts- oder Selbstbewegung zuständiger Seelenteil –, deren Zusammenwirken im lebendigen Körper den Prozess der Selbstbewegung erklärt. Dieser Befund lässt

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keinen anderen Schluss zu, als dass Aristoteles die Selbstbewegung der Lebewesen nicht als eine basale seelische Funktion, sondern als einen psychophysischen Prozess betrachtet, für dessen Erklärung es die Annahme eines eigens dafür zuständigen Teilprinzips der Seele nicht erfordert.39 Auf der Grundlage der bisher in De anima definierten Seelenvermögen kann Aristoteles die Selbstbewegung sozusagen auf eine komplexe psychophysische Leistung »reduzieren«. 40 Der daraus resultierende derivative Status des Vermögens der Selbstbewegung im Rahmen der Wissenschaft vom Lebendigen würde auch erklären, aus welchem Grund Aristoteles erst anlässlich der Diskussion der Ortsbewegung wieder auf die im ersten Buch angesprochene Problematik der Seelenteile zurückkommt. 41 Was bedeutet dies für das Verhältnis von De anima und Mot. An.? Die Tatsache, dass Aristoteles in De anima kein »seelisches Vermögen der Ortsbewegung« definiert, bedeutet nicht, dass De anima und Mot. An. unterschiedliche Bearbeitungen ein- und derselben Fragestellung wären. 42 In De anima III 9–11 geht es um die Frage nach dem seelischen Ausgangspunkt der Selbstbewegung, also darum, auf welche Weise die Seele, so wie sie vorher in De anima diskutiert worden ist, als Bewegungsursache für Ortsbewegungen fungieren kann. Die 39 

Vgl. Corcilius 2008a, 44–55 sowie Corcilius/Gregoric 2010, 109–113. Wenn es sich beim Vermögen zur Ortsbewegung nicht um ein erstes und irreduzibles seelisches Prinzip handelt, so mag man sich fragen, weshalb Aristoteles die Ortsbewegung dann überhaupt in De anima, wo es um die Definition des ersten seelischen Prinzips des Lebendigen geht, diskutiert. Hierauf ist zu sagen, dass eine Behandlung der Selbstbewegung für Aristoteles wohl schon alleine deswegen als Thema einer Abhandlung über die Seele gerechtfertigt wäre, weil sie für ihn eine der am meisten herausragenden Eigenschaften beseelter Dinge darstellt (An. I 2, 403b24 f.). 41  Vgl. Corcilius/Gregoric 2010, 105–108. 42  Für die These, dass es sich um zwei verschiedene Versuche handelt, dieselbe Frage zu beantworten, argumentieren Nussbaum 1983, 135 ff., sowie anscheinend auch Kollesch 1985, 58 f. 40 



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Frage von Mot. An., wie die Seele den Körper in Bewegung setzt, wird in De anima nicht behandelt. Die Diskussionen der Selbstbewegung in beiden Schriften verhalten sich daher komplementär zueinander. 3.  De motu animalium und die Selbstbewegung in der aristotelischen Kosmologie. In Mot. An. geht es nicht allein um Zoologie. Aristoteles vollendet mit seiner Theorie der animalischen Selbstbewegung gleichzeitig auch ein größeres kosmo­ logisches Projekt. Dieses Projekt besteht in der Erklärung ­aller Bewegungen im Kosmos. Mot. An. unterscheidet allgemein drei Arten der Verursachung von Bewegungen innerhalb des Kosmos. Dies sind erstens die Ursache der ewigen Bewegungen des Himmels oberhalb des Mondes, zweitens die Ursachen der Bewegungen unbeseelter Gegenstände und drittens die Ursachen der Bewegungen beseelter Lebewesen unterhalb des Mondes. Da die Bewegungen unbeseelter Gegenstände, soweit sie nicht durch die Bewegungen der Himmelskörper verursacht sind, 43 für Aristoteles durch die Bewegungen der Lebewesen verursacht werden und Mot. An. die Erklärung der Bewegungen der Himmelskörper in der Metaphysik als bekannt voraussetzt (6, 700b9; siehe unten), führt Mot. An. die kosmologische Betrachtung der Ursachen aller Bewegungsarten zu ihrem Ende. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass es die Vervollständigung dieses umfassenden Projektes der Bewegungserklärung ist, die Aristoteles in Mot. An. zu Vergleichen der animalischen Selbstbewegung mit der kosmologischen Bewegungslehre (6, 700b29–35) und auch zu Erörterungen anderer bewegungstheoretischer Themen veranlasst, die über den Bereich animalischer Selbstbewegungen hinausweisen. Besondere Bedeutung scheint er dabei seinem oben 44 bereits 43  Dies verweist auf die durch die Ekliptik bedingte unterschiedliche Stellung der Sonne zur Erde sowie die dadurch in Gang gesetzten wechselseitigen Transformationsprozesse der Elementarkörper unterhalb des Mondes (Gener. Corr. II 10). 44 S.  CLII ff.

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diskutierten abstrakten Analysemodell der Bewegungsverursachung aus Physik VIII zuzumessen, dessen Dreierschema er am konkreten Fall der animalischen Ortsbewegung bestätigen will: Dass nun das sich selbst Bewegende Ursprung der übrigen Bewegungen ist, dessen [Ursprung] aber das Unbewegte und dass das erste Bewegende notwendig unbewegt ist, haben wir früher diskutiert. (…). Man soll dies aber nicht nur allgemein dem Begriff nach erfassen, sondern auch beim Einzelnen, d. h. den wahrnehmbaren Dingen; ihretwegen suchen wir ja nach den allgemeinen Begriffen, und auf sie müssen sich diese nach unserer Überzeugung anwenden lassen. (Mot. An. 1, 698a7–14)

Die Bewegung der Lebewesen gibt Aristoteles also Gelegenheit, die Gültigkeit seiner allgemeinen Bewegungslehre aus der Physik am Einzelfall der animalischen Selbstbewegung zu bestätigen. Mot. An. komplettiert den Kursus der aristotelischen Bewegungslehre damit in folgender Weise: Es vervollständigt die Erklärung der drei Bewegungsarten im Kosmos und es bestätigt die abstrakte Bewegungslehre der Physik anhand des konkreten Falls der animalischen Ortsbewegung. In diesem Sinn besteht ein enges und methodisch subsumptives Verhältnis zwischen Mot. An. auf der einen und der allgemeinen Bewegungslehre aus Physik VIII auf der anderen Seite.

. Anwendungen der Theorie animalischer Selbstbewegung in anderen Sachbereichen der aristotelischen Philosophie Mot. An. weist darüber hinaus auch auf außerhalb der Naturphilosophie gelegene Bereiche der aristotelischen Philosophie. Es bestehen Verbindungen zur Metaphysik und zur Behandlung spezifisch menschlicher Handlungen in den ethischen Schriften. Bei diesen Verbindungen handelt es sich aber nicht um Voraussetzungen der Theorie der animalischen Selbstbewegung, sondern um thematische Überschneidungen bzw.



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Anwendungen der Theorie (ethische Schriften) bzw. um thematische Verwandtschaften (Metaphysik). 1.  Metaphysik. Das berühmte zwölfte Buch der Metaphysik entwickelt im Zusammenhang mit der Frage, wie der erste unbewegte Beweger die Himmelsphären in Bewegung setzt, eine Motivationslehre, die wichtige Bezüge zu Mot. An. aufweist. Ähnlichkeiten und Unterschiede beider Lehren, soweit die Lehre von motivierenden Zwecken davon betroffen ist, werden von Aristoteles in Mot. An. 6 auch kurz diskutiert (siehe Kommentar ad loc.). Daneben findet sich im vierten Kapitel von Mot. An. ein Gedankenexperiment, mit dessen Hilfe Aristoteles seine eigene, in Metaphysik XII aufgestellte These eines vollständig unbewegten und außerhalb des Weltalls befindlichen ersten Bewegers des Alls bestätigen zu wollen scheint (2, 698b9–12, 3 f.; 699a12–700a6). Was ihm die Gelegenheit zu dieser Bestätigung verschafft, ist ein in Mot. An. 2 eingeführtes und für die Erklärung der animalischen Selbstbewegung zentral wichtiges mechanisches Theorem. Es besagt, dass es für die Selbstbewegung des Lebewesens eines externen, außerhalb seiner gelegenen Stützpunktes bedarf, von dem es sich bei seiner Bewegung abstützt (im Folgenden »Stützpunkttheorem«). Was dem Stützpunkttheorem seine Relevanz für die metaphysische Lehre vom ersten unbewegten Beweger verleiht, ist die in Mot. An. 3–4 vorgenommene Erweiterung seines Geltungsbereichs auf die Bewegung des Alls als Ganzem. Aristoteles fragt, ob das Stützpunkttheorem nicht nur für die Bewegung der Lebewesen, sondern auch für die Bewegung des Alls gilt. Er scheint dabei vor allem an seine Motivationslehre für die Bewegung der äußersten Fixsternsphäre um die als im Zentrum des Kosmos ruhend angenommene Erde in Metaphysik XII zu denken. Die kosmologische Anwendung des Stützpunkttheorems auf die Bewegung des Alls erlaubt es ihm, konkurrierende Theorien der Bewegung des Alls zu kritisieren und dadurch indirekt seine eigene, in Metaphysik XII vorgelegte Annahme eines externen und absolut unbewegten ersten Bewegers aus unabhängiger Perspektive

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zu bestätigen. Da Aristoteles seine Erklärung der Bewegung der äußersten Himmelssphäre ausdrücklich nicht für einen Teil seiner Physik, sondern seiner Metaphysik hält (»erste Philosophie«), handelt es sich bei der recht langen kosmologischen Anwendung des Stützpunkttheorems in Mot. An. 3–4 (699a12–700a6) methodisch gesehen um einen Exkurs. So legt es auch Aristoteles’ eigene Formulierung nahe: Er führt in die nähere Betrachtung des Stützpunkttheorems zwar bereits mit Blick auf die Möglichkeit einer kosmologischen Anwendung ein, jedoch so, dass diese Anwendung sich sozusagen als ein willkommenes Extra ergibt: Doch lohnt es sich, auf das Gesagte unsere Aufmerksamkeit zu richten und es zu untersuchen, weil es ein Theorem in sich birgt, dessen Geltungsbereich sich nicht nur auf die Lebewesen erstreckt, sondern sogar bis zur Bewegung und zum Umlauf des Alls. (Mot. An. 2, 698b9–12)

Er verspricht sich von der Diskussion des Theorems über die animalische Selbstbewegung hinaus »sogar« Aufschluss über die Bewegung des Alls. Die Tatsache, dass die Erörterung der Frage, ob es einen ersten Beweger des Alls gibt oder nicht, eigentlich in eine andere Disziplin gehört, erwähnt er dabei ausdrücklich: Ob es aber etwas gibt, was weiter oben ist und ein erstes Bewegendes, ist unklar, und es ist Sache einer anderen Disziplin, sich mit einem solchen Ausgangspunkt zu beschäftigen. (Mot. An. 4, 700a20 f.)

Trotz des Exkurses in den kosmologisch-metaphysischen Bereich ist Aristoteles offenbar also auch in Mot. An. an der Trennung wissenschaftlicher Bereiche gelegen. Daran hält sich die Schrift auch insofern, als sie positive Aussagen über den ­ersten unbewegten Beweger des Kosmos konsequent vermeidet und sich auf eine indirekte Bestätigung dieser metaphysischen These beschränkt. Was der Exkurs zeigen soll, ist erstens, dass Theorien, die mit der Annahme eines internen ersten Bewe-



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gers des Alls arbeiten, das durch das Stützpunkttheorem erstellte Kriterium nicht erfüllen (und deswegen scheitern), und zweitens, dass Theorien innerer Beweger des Alls – anders als seine eigene Theorie – prinzipiell nicht in der Lage sind, die metaphysische Notwendigkeit zu erklären, mit der Aristoteles’ Meinung nach das aus den Bewegungen der Himmelskörper gebildete System besteht; den kritisierten Theorien zufolge wäre es nämlich möglich, dass die Ordnung des Kosmos aufgelöst wird. Ersteres ergibt sich direkt, Letzteres, wenn überhaupt, nur sehr indirekt aus dem in Mot. An. 1 und 2 aufgestellten Stützpunkttheorem. Die Anspielungen auf die Lehre vom ersten unbewegten Beweger in Metaphysik XII ergeben sich aus der thematischen Parallele bzw. Verwandtschaft, die Aristoteles mithilfe der kosmologischen Anwendung seines Stützpunkttheorems auf das All insgesamt konstruiert. Die Verwandtschaft geht jedoch nicht so weit, dass Sätze der einen Wissenschaft aus Sätzen der anderen bewiesen würden. 45 2.  Ethische Schriften. Ein Bezug zur aristotelischen Ethik besteht in zweifacher Hinsicht. Zum einen bildet die Lehre von der Selbstbewegung der Lebewesen, bei aller Unterschiedlichkeit, doch einen wichtigen Hintergrund für die Diskussionen der Zurechenbarkeit und Freiwilligkeit menschlicher Handlungen in der Nikomachischen Ethik III 1–7 (vgl. Eudemische Ethik II 7–10 sowie EN V 11), zum anderen rekurriert Aristoteles’ Diskussion akratisch-willensschwacher menschlicher Handlungen in der Nikomachischen Ethik VII ausdrücklich auf die in De motu 7 gegebene Erklärung der Selbstbewegung mithilfe des sogenannten praktischen Syllogismus. 46 Beide 45 Nussbaum 21985, 107 ff., nahm aufgrund der disziplinären Verschiedenheit der in Mot. An. angeschnittenen Fragestellungen an, es handele sich bei der Schrift um eine Spätschrift des Aristoteles, die mit dem wissenschaftstheoretischen Prinzip der Spezifizität wissenschaftlicher Disziplinen bricht (vgl. Anal. Post. I 7, 28); siehe jedoch die Gegenargumente von Kung 1982. 46  EN VII 5, 1147a 24–31.

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Bezüge werfen die Frage nach dem Verhältnis der allgemeinen zoologischen Erklärung der Selbstbewegung in De motu animalium einerseits und der Theorie des menschlichen Handelns andererseits auf. In der Nikomachischen Ethik charakterisiert Aristoteles menschliches Handeln als hervorgehend aus einem Entschluss. »Entschluss« (prohairesis, auch als »Entscheidung«, »Vorsatz« oder »Vorzugswahl« übersetzbar) versteht er dabei als aus zweierlei Elementen zusammengesetzt: Nun ist Ausgangspunkt der Handlung der Entschluss – das, von woher die Bewegung ihren Ausgang nimmt, nicht aber worum willen [sie stattfindet] –, und [Ausgangspunkt] des Entschlusses ist Strebung und das Kalkül um eines bestimmten Zweckes willen. (…) Denken an sich bewegt nichts, sondern das um eines bestimmten Zweckes willen und zum Handeln fähige. (….). Deswegen ist der Entschluss entweder ein zur Strebung fähiges Denken (nous) oder eine zum Denken fähige (dianoêtikê) Strebung, und ein solcher Ausgangspunkt ist der Mensch. (EN VI 2, 1139a31– b547)

Laut dieser wichtigen Stelle ist das Besondere an der menschlichen Handlung, dass sie bewegungskausale und vernünftige Elemente in sich vereint. Denken an sich ist nicht zur Bewegung des Lebewesens fähig (s. oben »Denken an sich bewegt nichts« sowie An. III 9, 432b26 ff.), und Strebung ist nicht fähig zum vernünftigen Denken. Beide Elemente in sich zu vereinen und den Körper unter vernünftiger Anleitung in Bewegung setzen zu können, ist daher besonderes Merkmal des Menschen. Es ist klar, dass diese Aussage von der Verbindung bewegungskausaler und vernünftiger Elemente nur unter der Bedingung informativ ist, dass beide Elemente normalerweise nicht miteinander verbunden sind. Und so verhält es sich für Aristoteles in der Tat. Vernünftiges Denken und Selbstbewegung sind für ihn zwei verschiedene Dinge: Denken ist keine Bewegungsursache physikalischer Prozesse (siehe unten), und 47 

Vgl. An. I 3, 406b24 f. und Mot. An. 6, 700b23.



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physikalische Prozesse können das Denken nicht affizieren, weil das Denken unkörperlich ist und auch sonst keine Qualität oder irgendwie anders physikalisch Veränderliches an sich hat (An. III 4, 429a21 ff.). Eben diese Tatsache, dass das Denken keine unmittelbare Ursache für die Fortbewegung der Lebewesen ist, macht Aristoteles als Grund dafür geltend, die Betrachtung des Denkens aus der Naturphilosophie auszuschließen. Das Denken ist, wie er sagt, keine »Natur«, weil das Denkvermögen – anders als die Naturen der Lebewesen, die ja deren Bewegungsprinzipien sind 48 – keine Bewegungsursache ist. Er sagt dies auch ausdrücklich mit Bezug auf die Fortbewegung (phora) der Lebewesen. Auch die Fortbewegung ist ein physikalischer Prozess und als solcher nicht, bzw. nicht in direkter Weise, durch das Denken verursacht: Oder ist etwa nicht die ganze Seele Ausgangspunkt von Bewegung und auch nicht alle ihre Teile, sondern für das Wachstum ist es das, was auch bei den Gewächsen vorkommt, für qualitative Veränderung das Wahrnehmungsvermögen, für die Fortbewegung aber etwas anderes, und zwar nicht das Denkvermögen? Denn Fortbewegung kommt auch bei anderen Lebewesen vor, Denken aber in keinem anderen. Also ist klar, dass man [als Naturphilosoph] nicht Aussagen über die Seele als Ganze machen soll, weil nämlich auch nicht die ganze Seele eine Natur ist, sondern ein Teil von ihr bzw. auch mehrere. (Part. An. I 1, 641b4–10)

Aristoteles zieht eine klare methodische Grenze zwischen der naturwissenschaftlichen Betrachtung von Bewegungen einerseits und der Betrachtung des Denkens andererseits. Diese Grenze verläuft mitten durch den Menschen hindurch. Aufgabe der Naturphilosophie ist es, die Welt zu erklären, insofern sie bewegt ist. Zur bewegten Welt gehören auch die Betrachtung der vegetativen und der Wahrnehmungsseele, da es 48 Phys.

II 1, 192b8 ff.

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sich bei ihnen um Naturen, also um Prinzipien und Ausgangspunkte von Bewegungen handelt. Vernünftiges Denken gehört jedoch nicht dazu, da es sich dabei ausdrücklich nicht um eine Natur im Sinne eines Ausgangspunktes von Bewegungen handelt. 49 Insbesondere verneint die Passage, dass das Denken Ursache für die Fortbewegung der Lebewesen ist (wobei Aristoteles andeutet, dass die Fortbewegung etwas ist, das Menschen gemeinsam mit anderen Lebewesen haben, und dass die Ursache der Fortbewegung daher auch nicht im spezifisch menschlichen Denken, sondern in den Seelenteilen zu suchen ist, die die Menschen mit den unvernünftigen Tieren gemeinsam haben). Die Betrachtung des vernünftigen Denkens und auch die des durch Denken geleiteten menschlichen Handelns fällt außerhalb des Erklärungsbereichs der Naturphilosophie. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, wie bemerkenswert die obige Charakterisierung des menschlichen Entschlusses als »denkende Strebung« bzw. »strebendes Denken« für Aristoteles ist. Der Mensch kann die Gehalte des Denkens in physische Bewegungen umsetzen, obwohl es sich beim Denken und seinen Gehalten nicht um Bewegungsursachen, ja sogar um gar nichts Natürliches handelt.50 Und eben dies zu 49  Aristoteles deckt im obigen Text mit Wachstum, qualitativer Veränderung und Ortsbewegung alle drei möglichen Per-se-Bewegungsarten ab. Damit bleibt für die Vernunft keine Bewegungsart übrig, für die sie die Ursache sein könnte. Zum Kontext der Stelle samt weiterer Diskussion und Literatur vgl. Kullmann 2007 ad loc. 50  Warum ist das Denken keine »Natur«? Für Aristoteles ist das Denken nicht an einen spezifischen Körper gebunden (hat kein Organ, mit dem es »vermischt« ist, An. III 4, 429 a24– b5; vgl. II 1, 413a6 f.). Von daher besteht auch nicht dieselbe teleologische Beziehung zwischen den Gehalten des Denkens und den Bewegungen des Körpers wie im Fall der Gehalte der Wahrnehmung und Strebung und wie sie den Kern von Aristoteles’ Erklärung der Selbstbewegung durch die Seele als unbewegtem Beweger ausmacht. Die Beziehung, in der die Körperteile und die Prozesse der Lebewesen zum Denkvermögen stehen, ist daher, anders als bei der Wahrnehmung und dem vegetativen Vermögen, nicht



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können ist der obigen Ethik-Stelle zufolge gerade das Besondere am Menschen. Daraus ergibt sich, dass das menschliche Handeln, insofern es vernünftig ist, nicht der Gegenstand der allgemeinen Theorie der animalischen Selbstbewegung sein kann. Denn wäre es dies, so wäre das Denken unmittelbare Bewegungsursache und die Betrachtung des Denkens Sache der Naturphilosophie. Dieses beides wird in obiger Stelle jedoch ausdrücklich bestritten. Wie kann sich das menschliche Denken aber dann in den kausalen Weltverlauf einbringen? Auf welche Weise ist es möglich, dass Denken und Vernunft trotz ihrer Nicht-Physikalität im Bereich menschlicher Handlungen bewegungsrelevant werden? Dies ist das Thema einer Diskussion in Aristoteles’ Metaphysik. Dort unterscheidet er zwei verschiedene Typen von Vermögen. Es sind dies einerseits Vermögen ohne Vernunft, so wie z. B. das Vermögen des Feuers zu erhitzen oder das Vermögen der Luft, von dem Feuer erhitzt zu werden; andererseits sind es Vermögen mit Vernunft, womit die Vermögen vernunftbegabter denkender Lebewesen gemeint sind: Denn diese [d. h. die Vermögen ohne Vernunft] sind alle jeweils ein einziges Vermögen, das fähig ist, (nur) ein einziges hervorzubringen, jene aber [die Vermögen mit Vernunft] [haben die Fähigkeit zum Hervorbringen] von jeweils Entgegengesetztem, so dass sie gleichzeitig das Entgegengesetzte hervorbringen werden. Dies ist aber unmöglich. Es muss also etwas anderes dasjenige sein, das den Ausschlag (kyrion) gibt. Damit meine ich aber Strebung bzw. Entscheidung (prohairesis). Denn welches von beiden [Entgegengesetzen] man immer auf ausbiologisch festgelegt. Das wiederum heißt, dass Denken und Denkgehalte für Aristoteles nicht invariant mit ein- und demselben Prozesstyp korrespondieren, sondern ihre physikalischen Umsetzungen je nach Umständen und Kontext variieren. Zur besonderen Position des Menschen in Aristoteles’ Naturwissenschaft angesichts der methodischen Trennung zwischen Denken und Bewegungserklärung in Part. An. vgl. Lennox 1999.

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schlaggebende Weise erstrebt, dies wird man tun, wenn es auf die Weise, in der man das Vermögen hat [es hervorzubringen], vorhanden ist und sich dem Leidenden nähert. Folglich ist notwendig, dass alles das, was der Vernunft gemäß vermögend ist, immer dann, wenn es das, wozu es das Vermögen hat, und zwar auf die Weise, in der es es hat, erstrebt, dies auch tut. Es hat [das Vermögen] aber dann, wenn das Leidende gegenwärtig ist, und zwar auf diese bestimmte Weise. Falls aber nicht, wird es nicht das Vermögen haben hervorzubringen. (Metaph. IX 5, 1048a8–16)

Prozessvermögen ohne Vernunft (dynameis aneu logou) haben nur eine einzige Verwirklichungsmöglichkeit. Wenn das Feuer in Kontakt mit Luft kommt (sich »ihm nähert«, plêsiazei), wird seine Verwirklichung in Form der Erhitzung der Luft mit Notwendigkeit eintreten. Vermögen ohne Vernunft sind in diesem Sinne einseitige Vermögen, weil sie auf nur einen einzigen Prozesstyp bezogen sind. Dies gilt gleichermaßen für das passive Vermögen der Luft, erhitzt zu werden: Wenn die Luft in Kontakt mit dem Feuer kommt, wird es mit Notwendigkeit zur Verwirklichung dieses Vermögens kommen. Anders bei den Vermögen mit Vernunft (dynameis meta logou). Sie sind zweiseitige Vermögen, weil sie gleichzeitig die Möglichkeit zu entgegengesetzten Verwirklichungen in sich schließen. Wenn z. B. ein Arzt das Wissen von der Heilkunde hat, so ist ihm durch dieses Wissen gleichzeitig die Möglichkeit gegeben, seine Patienten entweder zu heilen oder zu verderben. Dies liegt im Wesen vernünftigen Wissens. Wissen ist von der Art, dass es Gegenteiliges (siehe oben im Text »Entgegengesetztes«) umfasst. Die Verwirklichungen von Vermögen mit Vernunft treten daher nicht mit Notwendigkeit ein. Wenn der Arzt in Kontakt mit dem Patienten kommt, könnte er aufgrund seines die Gegenteile umspannenden Wissens nämlich beides tun: den Patienten heilen oder ihn verderben. Die gleichzeitige Verwirklichung zweier entgegengesetzter Vermögen ist aus physikalischer Perspektive aber unmöglich. Es ist unmöglich,



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ein- und denselben Patienten gleichzeitig (und in der gleichen Hinsicht) sowohl zu heilen und als auch zu verderben. Was für Aristoteles den Ausschlag darüber gibt, welche der beiden durch das vernünftige Vermögen bereitgestellten Möglichkeiten die kausal relevante und damit reale Möglichkeit ist, ist nun nicht die Vernunft, sondern ein arationales Vermögen, nämlich die Strebung bzw. Entscheidung (eine durch das Denken beeinflusste Strebung, prohairesis, siehe oben, S. CLXXXVI): Je nachdem, welche der beiden durch seine Vernunft bereitgestellten Möglichkeiten der Arzt erstrebt, wird er den Patienten entweder heilen oder verderben. Das Resultat ist, dass auch die Bewegungen, die sich auf vernünftige Vermögen zurückführen, dann, wenn der Akteur mit dem vernünftigen Vermögen auf das geeignete Objekt (den Patienten) stößt, mit derselben einseitigen Notwendigkeit eintreten wie die Bewegungen, die sich auf nicht-vernünftige Vermögen zurückführen (Metaph. IX 5, 1048a10–15). Mit anderen Worten: Wenn zweiseitige vernünftige Vermögen sich in menschlichen Handlungen physikalisch manifestieren, so müssen sie durch das Nadelöhr der einseitigen Prozessvermögen ohne Vernunft. Die Vermögen mit Vernunft sind daher nicht unmittelbar prozess- oder bewegungsrelevante Vermögen; sie sind nur dadurch bewegungsrelevant, dass ihre Gehalte außerdem noch Gegenstände menschlicher Strebungen sind. Aristoteles ist also der Meinung, dass Denkgehalte nur dadurch in den kausalen Weltverlauf eingebracht werden können, dass es menschliche Akteure gibt, die zusätzlich zu ihrer Vernunft auch noch über Bewegungsvermögen ohne Vernunft verfügen. Vermögen ohne Vernunft sind hinreichend für Selbstbewegungen, Vermögen mit Vernunft sind es nicht. Um bewegungsrelevant zu sein, bedürfen sie zusätzlich noch der Bewegungsvermögen ohne Vernunft.51 51  Labarrière,

2004, 143–145, meint, Aristoteles habe mit den Vermögen mit Vernunft die Vermögen aller mit der Fähigkeit zur Ortsbewegung begabten Lebewesen bezeichnet, da diese Fähigkeit auch die Fähigkeit zum Stillstehen impliziere. Aristoteles wird aber nicht

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Die oben zitierte Aussage in Part. An. I 1, dass die menschliche Vernunft keine Ursache für die Fortbewegung der Lebewesen ist, und die Beschreibung des Menschen in den Ethiken als eines Wesens, dessen Besonderheit darin besteht, vernünftige mit bewegungskausalen Elemente miteinander zu vereinen (EN VI 2), sind also tief in Aristoteles’ Philosophie angelegt. Die Rolle des Denkens in der Theorie der animalischen Selbstbewegung. Was bedeutet dies für Mot. An.? In welchem Verhältnis steht die Erklärung der spezifisch menschlichen vernünftigen Handlung zur explizit naturphilosophischen (zoologischen) Fragestellung nach der gemeinsamen Ursache der Selbstbewegung? Dies ist trotz der oben angeführten Textstellen eine in der Literatur kontrovers diskutierte Frage. Intellektualisierende Interpretationen sehen in Mot. An. sehr wohl ein Eingehen auf die spezifischen Gehalte des menschlichen Denkens. Sie konzentrieren sich dabei auf die erste Hälfte des siebten Kapitels der Schrift, wo Aristoteles den in der Literatur sogenannten praktischen Syllogismus einführt – leider tun sie dies fast immer, ohne den allgemeinen Skopus der Theorie der animalischen Selbstbewegung dabei zur Kenntnis zu nehmen. Mit dem »praktischen Syllogismus« illustriert Aristoteles den Vorgang der Auslösung der animalischen Selbstbewegung durch Strebung und Kognition mithilfe einer Analogie: Wie das Denken der Konklusion eines theoretischen Syllogismus sich aus dem Denken der Prämissen ergibt, so ergibt sich die Selbstbewegung aus der Kognition eines der Strebung entsprechenden Gegenstandes. Die intellektualisierenden Interpretationen des »praktischen Syllogismus« lassen sich in zwei Gruppen teilen. Zum einen gibt es solche, die darin eine Figemeint haben, die Lebewesen hätten das Vermögen, sich gleichzeitig sowohl zu bewegen als auch stillzustehen. Eben dieses gleichzeitige Umspannen von Gegenteiligem sieht er aber als das Merkmal vernünftiger Vermögen an (vgl. auch Metaph. IX 3, 1046 a36 ff., wo der Besitz von Vermögen mit Vernunft auf solche Lebewesen beschränkt ist, die über Vernunft – logos – verfügen).



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gur zur Erklärung beratschlagenden (deliberativen) menschlichen Denkens sehen, 52 und zum anderen solche, die darin eine nicht-deliberative Form des praktischen Denkens sehen. Der interpretatorische Ansatz der ersten Gruppe kann ohne Weiteres als inadäquat zurückgewiesen werden: Der »praktische Syllogismus« in Mot. An. 7 deckt sich, wie wir im Kommentarteil noch genauer sehen werden, in keiner Weise mit dem, was Aristoteles z. B. in der Nikomachischen Ethik III zum deliberativen Denken zu sagen hat.53 Innerhalb der anderen Gruppe, der zufolge Mot. An. 7 nicht-deliberatives praktisches Denken zur Bewegungsursache menschlicher Handlungen macht, lassen sich wiederum zwei Gruppen unterscheiden. Zum einen solche, die in Mot. An. zwar praktisches Denken am Werke sehen, dabei jedoch in Ansehung der oben zitierten Texte an der Bewegungsineffizienz des Vernunftvermögens fest­halten, 54 und zum anderen solche, die eine direkte bewegungskausale

52 

Z. B. Nussbaum 1978, Kenny 1979 und Mele 1981. Dasselbe gilt für die entsprechenden Passagen in der Eudemischen Ethik: Anders als der sog. praktische Syllogismus führt deliberatives Denken bei Aristoteles nämlich nicht direkt zur Handlung (i). Deliberatives Denken erfordert zudem ein Gewahrsein von Kausalrelationen auf Seiten des Deliberierenden (ii); ferner kann deliberatives Denken in einem Entschluss (prohairesis) resultieren, muss dies aber nicht (iii); außerdem setzt deliberatives Denken anders als der »praktische Syllogismus« den Entschluss nicht voraus (iv) und noch vieles andere mehr. Für eine ausführliche Diskussion der Unterschiede und der Unvereinbarkeit zwischen Deliberation und »praktischem Syllogismus« siehe Corcilius 2008c. Auf die Unvereinbarkeit des »praktischen Syllogismus« mit deliberativem Denken hat bereits Cooper in aller Deutlichkeit aufmerksam gemacht (1975, vor allem S. 54–58). Für den Aufweis, dass es auch ein nicht-deliberatives praktisches Denken, welches unmittelbare Bewegungsursache für Selbstbewegungen ist, bei Aristoteles nicht gibt und auch nicht geben sollte, vgl. Corcilius 2008b. 54  Z. B. Anscombe 21963 und Charles 1984. Für eine Übersicht über die Interpretationen des praktischen Syllogismus seit den 1950er Jahren vgl. Corcilius 2008c. 53 

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Wirksamkeit des Denkvermögens annehmen.55 Eine hinreichende Auseinandersetzung mit diesen Positionen kann ohne detailliertes Eingehen auf den Inhalt des siebten Kapitels von Mot. An. nicht vorgenommen werden. Sie erfolgt daher erst im Kommentarteil.56 Was die Frage nach dem Verhältnis von Denken und animalischer Selbstbewegung bei Aristoteles betrifft, sei hier aber zunächst daran erinnert, dass Mot. An. eine allgemeine Theorie der animalischen Selbstbewegung vorträgt, bei der es um die für alle Lebewesen gemeinsame Bewegungsursache geht. Wenn es Aristoteles ernst damit ist, wird diese gemeinsame Ursache allen Selbstbewegungen, und zwar auch den spezifisch menschlichen, zugrunde liegen. Schon dieser Umstand allein lässt also eigentlich keinen anderen Schluss zu, als dass Aristoteles sich den basalen Vorgang der Verursachung der Selbstbewegung bei Tieren und Menschen als dem Wesen nach gleich vorgestellt hat.57 Eine kurze Reflexion darauf, worin das Explanandum der gemeinsamen Theorie besteht, bestätigt dies. Aristoteles beansprucht mit seiner Theorie ausdrücklich nur, die Selbstbzw. die Ortsbewegung der Lebewesen zu erklären (An. III 9, 432b8; Mot. An. 1, 698a 4–7–6; 6, 700b9–11). Nun lassen, wie wir gesehen haben, Part. An. I 1, EN VI 2 und Metaphysik IX 5 keinen Zweifel daran, dass die vernünftigen Aspekte menschlicher Handlungen nicht als Bewegungen aufzufassen sind. Insofern menschliche Handlungen vernünftig sind, bestehen sie also nicht nur aus Bewegungen, sondern auch aus nicht bewegungshaften Aspekten. Die allgemeine, für Tier 55  Dies ist eine zentrale Annahme von J. Coopers neuer Interpretation des »praktischen Syllogismus« (Cooper, im Erscheinen). 56  Siehe unten, S. 128 ff. 57  Wie könnte er sonst in sinnvoller Weise von einer für Tiere und Menschen gemeinsamen Ursache sprechen? Dies ist ein zwar einfacher, aber entscheidender Punkt, den intellektualisierende Interpretationen des »praktischem Syllogismus« übersehen.



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und Mensch gemeinsame Theorie in Mot. An. wird daher nur auf die be­wegungskausalen Aspekte der menschlichen Handlung eingehen. Das allgemein zoologische Explanandum der Theorie ist übrigens bestens damit vereinbar, dass Aristoteles in seiner Zoologie dem Menschen einen paradigmatischen Status zuerkennt. Da wir Menschen uns selbst das bekannteste Lebewesen sind, bietet es sich an, zur Erläuterung allgemein zoologischer Sachverhalte die Verhältnisse beim Menschen als Muster zu verwenden (Hist. An. I 6, 491a20–2358). Selbst dann also, wenn Aristoteles in seiner Zoologie Beispiele aus der Sphäre menschlicher Handlungen anführt – wie er dies im Fall des hier in Rede stehenden »praktischen Syllogismus« in Mot. An. 7 zu tun scheint –, bedeutet dies noch keineswegs, dass er damit etwas anderes als allgemein zoologische Sachverhalte illustrieren möchte. Allerdings: Wenn es in der allgemeinen Theorie auch um die allen Lebewesen gemeinsame Ursache der Selbstbewegung geht, so stellt sich doch die Frage, auf welche Weise vernünftige Selbstbeweger die für sie typischen Selbstbewegungen ausführen können. Und Aristoteles zeigt sich in Mot. An. in der Tat bemüht, auch diejenigen Fälle animalischer Selbstbewegung zu berücksichtigen, deren Verursachung Denken involviert. Eine systematisch durchgeführte, deskriptive Handlungstheorie, die mit dem Themenspektrum der analytischen Handlungstheorie korrespondiert, findet sich bei Aristoteles aber nicht. Der Grund dafür ist, wie wir nun zur Genüge gesehen haben, dass er die Erklärung der bewegungskausalen Aspekte menschlicher Handlungen gemeinsam mit der allgemeinen kausalen Erklärung der Selbstbewegung aller Lebewesen abhandelt. Was die spezifischen Merkmale menschlichen Handelns angeht, so diskutiert Aristoteles sie entweder in seinen ethischen Schriften oder in seiner Meta­physik. Er 58  Für eine Diskussion des paradigmatischen Status des Menschen in Aristoteles’ Zoologie vgl. Lennox 1999.

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hält sich in seinem Vorgehen also genau an die methodische Grenzziehung aus De Partibus animalium I, wo er zwischen Bewegungserklärung auf der einen und Vernunft auf der anderen Seite unterscheidet.59 Gehaltvolle Diskussionen der menschlichen Handlung, der Zurechenbarkeit menschlicher Handlungen, der moralischen Verantwortung, akratischer Handlungsweisen usw. finden sich daher nicht in Mot. An., sondern in den ethischen Schriften. 60 Mot. An. beschränkt sich allein auf die naturphilosophische Frage nach der Bewegungsursache der Selbstbewegung. Dies gilt sowohl für den »praktischen Syllogismus« im siebten Kapitel, bei dem es, wie wir unten noch genauer sehen werden, nicht um praktisches Denken als solches, sondern um die notwendigen und hinreichenden Bedingungen für das Stattfinden der Selbst­ bewegung geht, als auch für das elfte Kapitel von Mot. An., wo die nicht-willentlichen und die unwillkürlichen Bewegungen der Lebewesen diskutiert werden. Denn dort erwähnt Aristo­ teles die aus fehlender vernünftiger Kenntnis der Handlungsumstände erwachsenden Entschuldigungsgründe überhaupt nicht, die in seinen ethischen Schriften eine so große Rolle spielen. Aus der Perspektive der methodischen Trennung von 59  Einige Interpreten argumentieren unter Berufung auf Passagen wie EN VI 2, 1139 a36, dass die oben zitierte Stelle aus Part. An. I 1 sich nur auf die theoretische, nicht aber auf die praktische Vernunft bezieht (z. B. Caston 1996, 182, Anm. 7). Damit setzen sie sich allerdings in einen Widerspruch zu dem nicht weiter qualifizierten Ausschluss des vernünftigen Seelenteils aus dem Bereich naturwissenschaftlicher Erklärung in Part. An. I 1, 641b4–10. Außerdem hätte der vorgeschlagene nur teilweise Ausschluss der Vernunft die absurde Folge, dass eine Art des Denkens physikalisch und eine andere Art des Denkens nicht physikalisch wäre. 60  Ontologische Aspekte der menschlichen Handlung sind teils in der Physik (qua Ontologie der Bewegung), teils in der Metaphysik zu finden. Für eine Diskussion des Verhältnisses der Theorie der animalischen Ortsbewegung zur Theorie der Handlung vgl. Corcilius/Rapp 2008, 9–26.



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Bewegungskausalität und vernünftigem Denken ist es das, was wir erwarten sollten. Eine Diskussion der Unkenntnis von Handlungsumständen als einer Beeinträchtigung der Freiwilligkeit macht nur dort Sinn, wo die Ursache der Körperbewegung und die vernünftige Kenntnis der Handlungsumstände auseinanderfallen können. Dies ist bei dem basalen bewegungskausalen Vorgang der animalischen Selbstbewegung jedoch nicht der Fall. Es ist also nur folgerichtig, wenn Mot. An. 11 den allein bei Menschen vorkommenden, moralisch relevanten Fall, dass die selbstverursachte Körperbewegung nicht mit der Bewegungsabsicht übereinstimmt, nicht einmal erwähnt. In Mot. An. 11 sind nicht-willkürliche und unwillkürliche Bewegungen stets nur Bewegungen von Körperteilen, nie aber Bewegungen des ganzen Lebewesens (703b4 ff.). Wann immer ein Lebewesen sich als Lebewesen selbst bewegt, ist seine Seele die Ursache seiner Selbstbewegung. Ob das Lebewesen diese Bewegung auch so beabsichtigt hat oder nicht, ist nicht mehr das Thema der naturphilosophischen Erklärung des Vorgangs (vgl. EE II 8, 1224a23–30). Dies unterscheidet die unwillkürlichen Bewegungen in Mot. An. von den unwillkürlichen Handlungen in den ethischen Schriften. Für uns Menschen macht der Umstand, dass wir uns mit unseren höherstufigen kognitiven Fähigkeiten in den Prozess der Bewegungsverursachung einbringen können, dagegen den entscheidenden Unterschied. Die Möglichkeit des Einbringens von Rationalität in die Bewegungsgenese mitsamt der Dimension der moralischen Verantwortung, die sie mit sich bringt, hat Konsequenzen, die den Rahmen der aristotelischen naturphilosophischen Erklärung sprengen. Menschliche Handlungen sind eben deswegen, weil sie vernünftig angeleitete Selbstbewegungen sind, ihrem Wesen nach von bloß animalischen Selbstbewegungen verschieden (vgl. EN VI 2, 1139a18–20). Aristoteles ist aufgrund seines allgemein zoologischen Ansatzes auf die gemeinsame Behandlung der Verursachung aller animalischen Selbstbewegungen im Rahmen einer allgemeinen Theorie verpflichtet. Qua Selbstbeweger unterscheidet

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sich der Mensch für ihn nicht von den vernunftlosen Tieren, auch wenn die spezifisch menschliche Handlung sich ihrem Wesen nach von bloßen Selbstbewegungen unterscheidet. Der tiefere Grund für sein Vorgehen liegt dabei in Aristoteles’ grundsätzlichen wissenschaftstheoretischen Überzeugungen. Wissenschaftliche Erklärungen, so argumentiert er in seinen Analytica Posteriora, müssen stets so allgemein wie möglich und so spezifisch wie nötig sein, um jedes Phänomen möglichst nur ein einziges Mal, und zwar an der Stelle seiner größtmöglichen Extension zu erfassen. 61

. Aristoteles’ allgemeine Theorie der animalischen ­Selbstbewegung Die Theorie der animalischen Ortsbewegung dient der Erklärung des Phänomens der animalischen Selbstbewegung. Was daran einer Erklärung bedarf, wird deutlich, wenn wir uns folgende, von Aristoteles in seiner Physik beschriebene Situation vergegenwärtigen: Wir beobachten, dass Lebewesen sich dem Orte nach bewegen und dass sie dies außerdem scheinbar in völlig spontaner Weise tun. Lebewesen – und nur Lebewesen – können ihre eigenen Bewegungen in Gang setzen. 62 Ja es hat sogar den Anschein, als könnten sie sich ohne externe Ursache ganz aus sich selbst heraus bewegen. Diese Beobachtung, sagt Aristoteles, hat den Eindruck erweckt, dass Bewegung dort 61  Aristoteles nennt dies »koextensiv allgemeine« Erklärungen (prôton katholou). Wissenschaftliche Erklärungen müssen für Aristoteles koextensiv allgemeine Erklärungen sein. Für eine ausführlichere Diskussion der wissenschaftstheoretischen Grundlagen von Aristoteles’ Vorgehen in der Zoologie siehe unten im Kommentar S. 67 ff.). 62  Und auch von allein beenden. Dies scheint für Aristoteles Teil dessen zu sein, was es heißt, durch sich selbst bewegt zu sein (Phys. VIII 4, 255a6–11): »Es ist ungereimt, wenn sie (die Lebewesen) nur in einer Bewegung durch sich selbst bewegt werden, wenn sie sich doch selbst durch sich selbst bewegen.« (a10 f.)



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entstehen könne, wo vorher keine Bewegung war, und dass Lebewesen folglich kausal radikal spontane Akteure seien (Phys. VIII 6, 259b1–6). 63 Wie wir oben gesehen haben, argumentiert Physik VIII 5 ganz im Gegensatz dazu, dass sich bei jeder Bewegung stets ein aktiver Beweger und ein passiv Bewegtes unterscheiden lassen müssen; radikale Selbstbewegung kann es demnach gar nicht geben. Zudem vertritt Aristoteles in Physik VIII die These, dass sich alle Prozesse und Bewegungen in der Natur auf eine erste aktive Bewegungsursache zurückführen lassen. Wenn es aber für alle Bewegungen im Kosmos eine ihnen gemeinsame erste Ursache geben soll, ist für so etwas wie eine aus sich selbst erzeugte, radikal spontane Bewegung in Aristoteles’ Naturphilosophie kein Raum. Die Selbstbewegung der Lebewesen stellt ihn daher vor die Herausforderung, auch für die scheinbar völlig spontanen Bewegungen der Lebewesen antezedente Bewegungsursachen zu finden. In diesem Sinne heißt es in der Physik: Dies muss man daher begreifen, dass [die Lebewesen nur] eine einzige Bewegung selbst 64 bewegen [d. i. die Ortsbewegung] und dass sie diese nicht im ausschlaggebenden Sinne [bewegen]: Denn die Ursache stammt nicht aus ihm [dem Lebewesen], sondern in den Lebewesen befinden sich andere natürliche Bewegungen, in denen sie nicht durch sich selbst bewegt werden, z. B. Wachstum, Schwinden, Atmung, und in denen jedes einzelne der Lebewesen im Ruhezustand bewegt wird, ohne in der Bewegung durch sich selbst bewegt zu sein. Ursache dafür ist die Umgebung und vieles von dem, was [in sie] hineinkommt, wie bei einigen die Nahrung (…). (Phys. VIII 6, 259b5–12)

Aristoteles stellt klar, dass Lebewesen nur eine einzige Bewegung durch sich selbst initiieren, und das ist die Ortsbewegung. 63 

Dass die Seele etwas wesentlich Selbstbewegtes ist, war bekanntlich die Auffassung Platons (Phdr. 245c –246a, Lgg. X , 895e –896a). 64 259 a7: »sie bewegen selbst« (hauta) ist eine Konjektur von Ross; die Mss. haben »sie bewegen« (auta).

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Aber auch die Ortsbewegung soll nicht völlig spontan sein. Vielmehr, so argumentiert er, gibt es auch bei der Selbstbewegung der Lebewesen Bewegungsursachen. Bei den Lebewesen sind dies deren vegetative Prozesse wie Verdauung, Atmung usw. Diese Prozesse sind es, die die – modern gesprochen – für die Ortsbewegung erforderliche Energie liefern. Und die Energielieferanten für die vegetativen Prozesse befinden sich außerhalb der Lebewesen in deren Umgebung (periechon). Aus diesem Grund, sagt Aristoteles, sind die Lebewesen nicht im »ausschlaggebenden Sinn« (kyriôs) Ursache ihrer Selbstbewegungen. Damit ist offenbar gemeint, dass die Lebewesen die für ihre Ortsbewegungen aufgewendete Energie nicht aus dem Nichts heraus generieren, sondern sie dafür auf antezedente Ursachen aus ihrer Umwelt angewiesen sind. Allerdings hindert dies Aristoteles nicht daran, die Bewegungen der Lebewesen als Akte der Selbstbewegung zu bezeichnen. Obwohl er hier also die Ansicht zurückweist, dass Lebewesen ihre Bewegungsenergie aus dem Nichts generieren, verfällt er nicht in das andere Extrem, die Selbstbewegung der Lebewesen nach dem Muster mechanischer Reiz-Reaktions-Modelle vollständig auf externe Faktoren zurückzuführen. Auch im achten Buch seiner Physik zweifelt er nicht daran, dass Lebewesen Selbstbeweger und damit die Autoren ihrer eigenen Bewegungen sind. 65 Lebewesen sind Selbstbeweger, wenn auch nicht in einem »ausschlaggebenden Sinn«. In welchem Sinn kann es sich bei der Ortsbewegung der Lebewesen aber dann noch um Selbstbewegung handeln? Wie oben bereits skizziert, erklärt Aristoteles die Selbstbewegung der Lebewesen als Vorgang der Aneignung von aus der Umwelt bezogener Bewegungsenergie, wobei er der Seele als dem unbewegten Ausgangspunkt der Bewegung die entscheidende Rolle zumisst. Zu zeigen, auf welche Weise dies geschieht, ist der Gegenstand seiner Theorie der anima65  Wie verschiedene Kommentatoren angenommen zu haben scheinen (Graham 1999, 112, Solmsen 1971, 175).



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lischen Selbstbewegung. 66 Die Theorie gliedert sich in drei Hauptteile. Der erste Hauptteil (1) besteht in Aristoteles’ Theorie der Strebung. Die Forschung dazu ist noch in Bewegung, was nicht zuletzt an der schwierigen Textgrundlage liegt. So findet sich in Aristoteles’ Werken z. B. keine wirklich belastbare Diskussion der rationalen Strebung, und was die nicht-rationale Strebung angeht, findet sich, neben einigen verstreuten Anmerkungen im zweiten Buch von De anima, eine gehaltvolle Diskussion nur in einem mehr oder weniger isolierten und zudem sehr kondensiert formulierten Abschnitt in An. III 7. Die dortige Diskussion der nicht-rationalen Strebung sowie die daran anschließenden Passagen zur praktischen Überlegung sind jedoch grund66  Vgl. die Fortsetzung des obigen Textes aus der Physik, wo Aristoteles bereits die Kernpunkte seiner später in De anima und Mot. An. vorgelegten Theorie mit der Seele als dem unbewegten Beweger des Lebewesens andeutet: »Denn wenn sie (d. i. die Nahrung) verdaut wird, schlafen sie (die Lebewesen), und wenn (die Nahrung) aufgeteilt (verdaut) ist, wachen sie auf, und sie bewegen sich selbst, indem der erste Bewegungsursprung von außen kommt, weswegen sie nicht immer kontinuierlich von sich selbst bewegt werden; das Bewegende ist nämlich ein anderes, und es ist bewegt und verändert sich in Bezug auf jedes einzelne der sich selbst bewegenden (Dinge). Bei allen diesen (Lebewesen) wird das erste Bewegende, d. h. die Ursache des sich selbst durch sich selbst Bewegens, bewegt, allerdings auf akzidentelle Weise. Denn der Körper verändert seinen Ort und folglich (verändert) auch das (seinen Ort), was im Körper ist und sich durch Hebelwirkung selbst bewegt.« (Phys. VIII 6, 259 a11–20). Aristoteles deutet hier sein eigenes späteres Erklärungsmodell aus Mot. An. an, indem er die Selbstbewegung der Lebewesen zwar einerseits durch die Seele als unbewegten Beweger verursacht sein lässt – die Seele ist das, was »auf akzidentelle Weise bewegt wird und die Selbstbewegung des Lebewesens durch Hebelwirkung zustande bringt« –, er andererseits aber auch die Tätigkeit der Seele durch die äußeren Gegenstände des Verfolgens oder Meidens veranlasst sieht (»das Bewegende [d. h. der äußere Gegenstand] ist nämlich ein anderes, und es ist bewegt und verändert sich in Bezug auf jedes einzelne der sich selbst bewegenden (Dinge).«).

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legend nicht nur für die Theorie der Strebung, sondern auch für die Theorie der animalischen Selbstbewegung insgesamt. Der zweite Hauptteil (2) besteht in der Diskussion des seelischen Prinzips der Selbstbewegung in An. III 9–11. Wie oben bereits gesagt, bietet dieser Text nicht, wie man in Anlehnung an die vorherigen Diskussionen des vegetativen Seelenteils, der Wahrnehmung und der Vernunft vielleicht erwarten würde, eine Definition »des« einen für die Selbstbewegung zuständigen Seelenteils. Stattdessen findet sich dort ein komplexes Bild davon, wie verschiedene Seelenvermögen als Bewegungsursachen für die Selbstbewegung der Lebewesen fungieren. Dabei spielen neben der Strebung auch noch weitere vorher in der Schrift definierte Vermögen eine Rolle, und zwar insbesondere die Vorstellung (phantasia). Der dritte Hauptteil der Theorie ist der Gegenstand von De motu animalium. In diesem Teil der Theorie werden die Resultate aus An. III 9–11 auf die Erklärung animalischer Selbstbewegungen angewendet. Dies ist der psychophysische Teil der Theorie. Hier geht es nicht mehr, so wie in De anima, um die Frage, was das seelische Prinzip der Selbstbewegung ist, sondern darum, wie die Seele den Körper in Bewegung setzt. Im Folgenden werden die Hauptteile der Theorie, soweit sie nicht in Mot. An. enthalten sind, kurz vorgestellt. Da für die Erklärung der höheren Formen der Strebung im ersten Hauptteil der Theorie die Vorstellung (phantasia) eine unverzichtbare Rolle spielt, wird im Anschluss an die Behandlung des basalen Strebens kurz auf die aristotelische Konzeption der Vorstellung eingegangen, bevor dann die Diskussion der höheren Formen der Strebung folgt.

Theorie der Strebung erster Teil: basales Streben Schon recht früh in seiner Schrift über die Seele erwähnt Aristoteles die Strebung als etwas, das Seele und Körper gemeinsam ist. Dabei legt er besonderen Wert auf die Feststellung,



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dass die Strebung »Begierde« (epithymia) nicht losgelöst von dem Vermögen der Wahrnehmung vorkommt: Denn wo es Wahrnehmung gibt, dort gibt es auch Schmerz und Lust. Und wo es diese gibt, gibt es notwendig auch Begierde. (An. II 2, 413b23 f.)

Wenig später behauptet er das Gleiche für das Strebevermögen (orektikon) insgesamt: Wenn aber das Wahrnehmungsvermögen [einem Lebewesen zukommt], dann auch das Strebevermögen; denn Strebung ist Begierde, Mut und Wunsch, und alle Lebewesen haben zumindest eine der Wahrnehmungen, den Tastsinn. Wem aber die Wahrnehmung zukommt, dem kommt sowohl Lust als auch Leid und der Gegenstand der Lust und der Gegenstand des Leids zu, wem aber diese, dem kommt auch Begierde zu; denn diese ist die Strebung nach dem Lustvollen (An. II 3, 414b1–6)

Wie immer wir das Implikationsverhältnis zwischen Wahrnehmungsvermögen und Strebevermögen genauer zu verstehen haben, schon hier, relativ am Anfang seiner systematischen Behandlung der Seele, geht Aristoteles davon aus, dass ein notwendiger Zusammenhang zwischen dem Besitz des Wahrnehmungsvermögens und dem des Strebevermögens besteht. Erklären wird er diesen Zusammenhang viel später, in einer besonders schwierigen Passage in An. III 7. Der Übersichtlichkeit halber wird sie hier in drei Abschnitte geteilt:67 (i) Nun ist das Wahrnehmen dem bloßen Sagen und Denken gleich; wenn es aber lustvoll oder schmerzhaft ist, verfolgt oder meidet [die Seele], so als würde sie bejahen oder verneinen. 67  Für eine ausführliche Interpretation vgl. Corcilius 2008a, 56–128, sowie 2011. Andere Interpretationen finden sich in Ricken 1976, 35 ff.; Richardson 1992, 394 ff.; Sorabji 1993, 19, 58; Tuozzo 1994, 535–536; Achtenberg 2002, 165 ff.; Whiting 2002, 173–174; Charles 2006, 27–29; Morel 2007, 132; Moss 2012, 3–66. Für die Ansichten früherer Kommentatoren vgl. die Übersicht bei Hicks 1907, 527–528.

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(ii) Und das Lust- und Leidempfinden besteht in dem Tätigsein mit der wahrnehmungsfähigen Mitte in Bezug auf das Gute oder Schlechte, insofern sie derartige sind. (iii) Und das Meiden und die Strebung sind dasselbe, wenn sie der Wirklichkeit nach sind, und auch das Strebevermögen und das Meide­ vermögen sind nicht verschieden, weder voneinander noch vom Wahrnehmungsvermögen, sondern dem Sein nach anders. (An. III 7, 431a8–16)

Abschnitt (i) enthält eine mehrstufige Analogie, die das Auslösen des Strebevorgangs (Verfolgen oder Meiden) mit dem Vorgang des Formens einer Proposition und deren Bejahen bzw. Verneinen im Geiste vergleicht. Die Analogie hat drei Stufen, wenn Aristoteles sich auch nicht die Mühe macht, die mittlere der drei Stufen zur Gänze auszubuchstabieren: (a) bloßes Sagen bzw. Denken eines Namens :: Wahrnehmung eines Gegenstandes (b) Formung einer Proposition, in der etwas von etwas prädiziert wird :: lustvolle bzw. schmerzvolle Wahrnehmung des Gegenstandes 68 (c) Bejahen bzw. Verneinen :: Verfolgen bzw. Meiden des Gegenstandes 68  Der ausgelassene Teil der zweiten Stufe der Analogie ist das Bilden einer Proposition durch das Kombinieren des Namens mit einem Prädikat, ein Vorgang der dem Bejahen oder Verneinen vorgelagert sein muss, das sich ja immer nur auf Propositionen, nicht aber auf bloße Namen bezieht (Int. 4, 16b26–28; dass Aristoteles das Formen einer Proposition von ihrer Bejahung und Verneinung unterscheidet, geht daraus hervor, dass er in 17a 4 von logoi spricht, die »weder wahr noch falsch sind«. Beispiele für solche nicht »apophantischen« Propositionen sind Bitt- oder Wunschsätze). Das Zusammensetzen von Subjekt und Prädikat zu einer Proposition (Satz) wird er daher wohl kaum als äquivalent mit dem Bejahen oder Verneinen einer Proposition angesehen haben. Der hier ausgelassene Schritt des Bildens einer Proposition entspricht in der obigen Analogie dem Lust- oder Leidempfinden an einem Wahrnehmungsgegenstand (An. III 7, 431a90).



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Die Formulierung »wenn es aber lustvoll oder schmerzhaft ist, verfolgt oder meidet (die Seele), als würde sie bejahen oder verneinen« besagt, dass Wahrnehmungen, die lust- oder leidvoll sind, für Strebungen notwendig und hinreichend sind. Abschnitte (ii) und (iii) erklären dies mithilfe einer extrem knapp vorgetragenen Erklärung wahrnehmungsmäßiger, nicht-rationaler Lust- bzw. Leidempfindung. Sie besagt, dass Lust- bzw. Leidempfindung in der Tätigkeit der Wahrnehmung in Bezug auf solche wahrnehmbaren Dinge besteht, die entweder gut oder schlecht sind, und dass die Strebung – hier als Fähigkeit zum Verfolgen oder Meiden gefasst – in gewisser Weise mit dem Wahrnehmungsvermögen identisch ist. 69 Die Strebung wird also als eine Tätigkeit der Wahrnehmung in Bezug auf für das Lebewesen gute oder schlechte Gegenstände erklärt, mit dem Ergebnis, dass sie lediglich »dem Sein nach« von der Wahrnehmung verschieden ist. »Dem Sein nach anders« ist ein Ausdruck, der bei Aristoteles definitorische Verschiedenheit bezeichnet. Wenn X von Y dem Sein nach verschieden ist, dann ist die Definition (logos) von X verschieden von der Definition von Y. An vergleichbaren Stellen in Aristoteles’ Werk deutet diese Formulierung auf einen relationalen Unterschied zwischen den Dingen, die zwar »dem Sein nach« verschieden, dabei aber numerisch einheitlich sind. So wird damit z. B. in Phys. III 3, 202a21– b22 der Unterschied zwischen verschiedenen Richtungen ein- und desselben Wegs bezeichnet (hin und zurück). Das, was den beiden Richtungen zugrunde liegt – der Weg –, ist numerisch ein- und dasselbe, wenn die Richtungen auch verschieden, ja sogar entgegengesetzt sind. Auf solche Weise lässt sich auch unsere Passage verstehen. Wenn das numerisch einheitliche Wahrnehmungsvermögen das gemeinsame Zugrundeliegende für das Verfolgen und das Meiden ist, dann sind nicht-rationale Strebungen nichts anderes als durch lust- bzw. leidvolle Wahrnehmungen ausgelöste, die Gegen69  Zur Frage, was in diesem Zusammenhang »gut oder schlecht, insofern sie derartige sind« heißt, siehe unten, S. CCVII f.

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stände der Wahrnehmung verfolgende oder meidende Tätigkeiten des Wahrnehmungsvermögens selbst. Wie wir aus Mot. An. und An. wissen, identifiziert Aristoteles Strebungen mit thermischen Veränderungen im Körper. Es sind thermische Veränderungen des Bluts in der Herzgegend (Mot. An. 8, 701b33–35; An. I 1, 403a29– b2; vgl. Mot. An. 10, 703a 4; An. III 10, 433b17 f.). Das heißt, dass die strebende Tätigkeit des Wahrnehmungsvermögens als thermischer Prozess im Lebewesen zu verstehen ist, genauer: als Erhitzung oder Erkaltung in der Herzgegend, die sich als Konsequenz aus lustbzw. leidvollen Wahrnehmungen ergibt und auf die Erlangung bzw. Vermeidung der in der Wahrnehmung gegebenen Gegenstände ausgerichtet ist. Damit erklärt sich auch der vorher in De anima II mehrfach erwähnte notwendige Zusammenhang zwischen dem Besitz von Wahrnehmung und Strebung im Lebewesen. Er ergibt sich daraus, dass nicht-rationale Strebungen psychophysische Reaktionen von mit Wahrnehmungsseelen begabten Körpern sind. In dieser Weise ergeben sich Lust und Leid sowie Strebung aus der Wahrnehmungstätigkeit:70 Alle genannten Erscheinungen [sc. Wahrnehmung, Erinnerung, Mut, Strebung, Lust und Leid/Schmerz] haben ihren Ursprung in der Seele und im Körper gemeinsam, das ist klar: denn sie sind alle entweder von Wahrnehmung begleitet oder ihr Ergebnis, einige sind Affektionen der Wahrnehmung, manche sind Wahrnehmungszustände, die einen bewahren und erhalten die Wahrnehmung, die anderen beenden den Wahrnehmungsakt oder zerstören das Wahrnehmungsvermögen. (Sens. 1, 436b1–6, Übersetzung E. Dönt)

Wenn Lebewesen über das Wahrnehmungsvermögen verfügen (was sie ihrer Definition nach tun, Somn. Vig. 1, 454b25), so ist 70  Vgl.

auch den oben zitierten Abschnitt An. II 3, 414 a29– b15, wo sowohl Lust und Leid als auch Strebung als Eigenschaften von belebten Körpern (Lebewesen) bezeichnet werden, die über das Vermögen der Wahrnehmung verfügen. Siehe auch folgende Anm.



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dies hinreichend für das Vorhandensein des Strebevermögens in ihnen: Strebungen sind thermische Bewegungen, die sich in auf Selbsterhalt angelegten Wesen als körperliche Konsequenzen aus deren Wahrnehmungen ergeben und auf die Erlangung bzw. Vermeidung der wahrgenommenen Gegenstände ausgerichtet sind.71 Gut und Lust, Schlecht und Leid. Eine Voraussetzung für das gerade Gesagte ist es, dass Aristoteles einen direkten Zusammenhang zwischen »gut« und »lustvoll« sowie »schlecht« und »leidvoll« annimmt. Genau einen solchen Zusammenhang stellt er in Abschnitt (ii) her, wo er das Lust- und Leidempfinden als Tätigsein der Wahrnehmung in Bezug auf Dinge, die gut oder schlecht sind, bezeichnet. Er sagt, dass die Wahrnehmungsgegenstände, die einem Lebewesen angenehm bzw. lustvoll sind, in der Regel auch gut für es sind und leidvolle Wahrnehmungsgegenstände in der Regel auch schlecht.72 Mit dieser Aussage bezieht Aristoteles sich auf die basalen Strebungen, die den Lebewesen durch ihre biologische Natur vorgegeben sind. Gut und damit positives Strebeziel ist zunächst einmal das, was dem Selbsterhalt des Lebewesens dient, also Nahrung und alles, was der sexuellen Fortpflanzung dient. Bei 71  Bestätigt wird diese Interpretation durch die Funktion, die Aristo­ teles der Strebung im Rahmen der Theorie der animalischen Selbstbewegung zugedenkt. Sie hat dort, wie wir bereits gesehen haben, die Rolle des »bewegten Bewegers« (An. III 10, 433b16–18; Mot. An. 6, 700 b35–701a1; 10, 703a 4–5), ist also selber eine Bewegung (kinêsis: 433b17 f.). Dass die Strebung selbst eine Bewegung ist, bedeutet, dass Aristoteles sie nicht als einen von der Wahrnehmung getrennten »Teil« der Seele verstanden haben kann. Die Teile der Seele sind, wie wir oben gesehen haben, für ihn notwendigerweise unbewegt (vgl. An. I 3, 405b31–407b11; I 4 f., 408a30–409b18). 72  Dass dies »in der Regel« der Fall ist, ist eine Qualifikation, die bei Aristoteles generell für die Aussagen der Naturwissenschaft gilt. Das, was in der Regel (hôs epi to poly) der Fall ist, ist zwar generell der Fall, lässt aber im Einzelfall Ausnahmen zu (Phys. II 8, 199b24–6; Part. An. III 2, 663b27–9).

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Lebewesen mit höheren Wahrnehmungsfunktionen werden die Strebungen dagegen differenzierter ausfallen. Insbesondere die Möglichkeit der Missrepräsentation von Strebezielen (wenn das, was gut scheint, in Wahrheit nicht gut ist) dürfte mit zunehmender kognitiver Ausstattung sowie Fassungskraft der Lebewesen größere Bedeutung erlangen.73 Und speziell beim Menschen, der zusätzlich noch über Vernunft verfügt, können das rational Gute und das, was die Wahrnehmung als gut präsentiert, nicht nur divergieren, sondern sogar miteinander in Konflikt geraten. Entsprechende Bedeutung erlangt die Unterscheidung zwischen dem so scheinenden Guten (phainomenon agathon), also dem, was sich dem Lebewesen als gut darstellt, und dem, was tatsächlich gut ist und vom Lebewesen vielleicht auch als solches gewusst wird, in Aristoteles’ ethischen Schriften. Allerdings sind solche kognitiv höherstufigen Fälle durchaus nicht die zoologische Regel. Um genau diese zoologische Regel geht es aber in De anima III 7, 431a8–14. Erst nachdem er den zoologisch basalen Fall abgehandelt hat, geht Aristoteles zur Diskussion der höherstufigen Formen des Strebens über (III 7, 431a14–16, b2–10). Deliberative Strebungen erfordern rationales Denken (dianoêtikê psychê: a 14), das sich in Form rationaler Präferenzurteile (kata­phêsin ê apo­phêsin: a16) in die Genese von Strebungen einbringt (siehe unten, S. CCXXIV). Dabei ficht die Möglichkeit der Beteiligung höherstufiger Kognitionsformen und die gesteigerte Möglichkeit der Missrepräsentation von Strebezielen, die sie mit sich bringt, die Gültigkeit der vorher in An. III 7 gegebenen basalen Definition der Strebung nicht an. An. III 7 definiert die Strebung aus zoologischer Perspektive und das heißt auf basalem Niveau, weil nur so das Phänomen des Strebens in seiner größtmöglichen Extension erfasst werden kann.74 Auf diesem basalen Niveau betrachtet Aristoteles es aber als eine 73 

Siehe unten zu den Arten der Strebung. Siehe unten im Kommentar die Diskussion zum »koextensiv Allgemeinen« in Aristoteles’ Wissenschaftslehre, S. 67 ff. 74 



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naturteleologische Tatsache, dass das, was vom Lebewesen mit Lust wahrgenommen wird, in der Regel auch gut für es ist (vgl. Hist. An. VIII 1, 589a8 f.; Part. An. II 17, 661a6–8; Sens. 1, 436b15–17; Rhet. I 11, 1370a3–9).75 Die basale Definition der Strebung in De anima III 7 ist in zweierlei Hinsicht grundlegend. Erstens kann Aristoteles damit erklären, auf welche Weise Wahrnehmung zu motorischen Prozessen führt, welche dann ihrerseits zur Bewegung des Lebewesens führen können, und zweitens kann er damit die subjektive Präsenz von Bewegungszwecken auch bei solchen Lebewesen erklären, die einfach gebaut sind und über nur sehr geringe kognitive Fähigkeiten verfügen, z. B. weil sie nur mit einem rudimentären Tastsinn ausgestattet sind: Der ihnen subjektiv gegenwärtige Zweck – das für sie Gute oder Schlechte – ist in den einfachsten Fällen nämlich nichts anderes als der von ihnen mit entweder Lust oder Leid wahrgenommene Gegenstand. Tiere nehmen sich aus der Umwelt, was ihrem Selbsterhalt dient, weil dessen Wahrnehmung für sie mit Lust verbunden ist. Wie die Definition der Strebung in An. III 7, 431a8–14, wo ja nur von der Wahrnehmung, nicht aber von anderen Kognitionsformen die Rede ist, deutlich macht, erfordert die Strebung für Aristoteles im zoologisch basalen Fall kein über die Wahrnehmung hinausgehendes kognitives Vermögen. Insbesondere erfordert sie kein Bewusstsein von dem Wert oder von dem Lustgehalt des wahrgenommenen Gegenstandes.76 75  Vgl. auch Respir. 20, 479 b26–30. Die biologisch bestimmten Lustund Leidempfindungen mitsamt den korrespondierenden Strebungen entsprechen im Wesentlichen der aristotelischen Konzeption der von ihm in seiner Ethik als »akzidentell« bzw. auch »körperlich« bezeichneten Lüste (in EN VII und X . Für eine ausführlichere Diskussion vgl. Corcilius 2008a, 69 ff.). Die Analyse unterscheidet sich der Sache nach übrigens nicht von Platons Wiederauffüllungsmodell der Lust aus dem Philebus 31a ff.; Politeia 585d und Timaios 64 a ff., 81e1–2. 76  Ein evaluatives Bewusstsein – z. B. in Form eines »seeing as good« oder eines »seeing as pleasant« – ist daher keine notwendige Bedingung

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Die Quelle der motorischen Kraft der Strebung. Wie wir gerade gesehen haben, ist das, was das Lebewesen und den von ihm wahrgenommenen Gegenstand miteinander in die Relation des Gut- oder Schlechtseins bringt, die biologische Natur der Lebewesen (physis). In der Konzeption ihrer biologischen Natur liegt auch Aristoteles’ Antwort auf die Frage nach der für die Fortbewegung erforderlichen motorischen Kraft. Die biologische Natur von Lebewesen besteht – so wie die Natur jedes Naturkörpers – in den ihnen wesentlich innewohnenden Prinzipien der Bewegung und des Stillstands (Phys. II 1, 192b8 ff.). Dies sind die für die Lebewesen wesentlichen Bewegungsmuster, die erklären, warum sie sich in den für sie typischen Weisen bewegen bzw. stillstehen. Als solche sind sie in einem nicht ableitbaren (»primären«) Sinne die Bewegungsmuster der Lebewesen, die sie zu dem machen, was sie ihrem Wesen nach sind (vgl. 192b32–193a1, b3–8). Die Natur einer Katze etwa besteht in den für die Katze typischen Verhaltensmustern, die ihr Leben zu ihrem (Katzen-)Leben machen. Woher stammt aber die motorische Kraft, mit der die Lebewesen sich in ihren Bewegungen betätigen? Als lebendige natürliche Körper sind Lebewesen durch das Vermögen zum Selbsterhalt durch Ernährung und sexuelle Reproduktion definiert; als Tiere sind sie aber auch durch das Vermögen Wahrnehmung definiert (An. II 2, 413a20 ff., 414b19–415a1). Da Lebewesen in der besagten teleologischen Relation zu ihrer eigenen wesentlichen Form (= ihre Natur = ihre Seele) stehen und somit auf Selbsterhalt ausgerichtet sind, zieht das Vorhandensein des Wahrnehmungsvermögens bei ihnen auch das der Strebung, wenn auch viele Interpreten, vor allem Nussbaum und Furley, dies angenommen haben. Für Argumente gegen die evaluativen Interpretationen der Strebung siehe Corcilius 2011, 124–127 und Corcilius/Gregoric 2013. Mit der hier vertretenen »objektiv teleologischen« Sichtweise (vgl. auch Freeland, 1994) unterscheidet sich die vertretene Deutung von der Mehrzahl der oben in Fn. 67 genannten evaluativen Deutungen.



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Vorhandensein der Fähigkeit nach sich, solche wahrgenommenen Gegenstände, die für sie gut oder schlecht (und daher lust- oder leidvoll) sind, zu verfolgen bzw. zu meiden: Ferner haben sie [d. h. alle Lebewesen] eine Wahrnehmung der Nahrung; der Tastsinn ist nämlich die Wahrnehmung der Nahrung. Denn alles Lebendige ernährt sich durch Trockenes und Feuchtes und Warmes und Kaltes, und deren Wahrnehmung ist der Tastsinn (…). Hunger und Durst sind Begierden, und zwar der Hunger nach Trockenem und Warmem und der Durst nach Kaltem und Feuchtem. Und der Geschmack ist gewissermaßen eine Versüßung davon. Darüber soll später genauer gesprochen werden, für jetzt sei nur so viel gesagt, dass den Lebewesen, die den Tastsinn besitzen, auch Strebung zukommt. (An. II 3, 414b 6–16) Denn wo es Wahrnehmung gibt, dort gibt es auch Schmerz und Lust. Und wo es diese gibt, gibt es notwendig auch Begierde. (An. II 2, 413b23–25)

Aristoteles sieht es mit anderen Worten als eine basale Tatsache über natürliche Lebewesen an, dass sie sich durch Strebungen selbst erhalten. Lebewesen erstreben diejenigen wahrgenommenen Gegenstände, die für sie lustvoll sind, und vermeiden diejenigen, die für sie leidvoll sind, weil diese Gegenstände für sie (in der Regel) gut oder schlecht, d. h. dem Selbsterhalt förderlich oder abträglich sind (vgl. oben An. III 7, 431a8–14, sowie Hist. An. VIII 1, 589a8–9; Part. An. II 17, 661a6–8). Wenn nun aber die Seele als Natur des Lebewesens Ausgangspunkt seiner Bewegungen ist, dann lässt sich die Frage nach der Quelle seiner motorischen Bewegungskraft umformulieren als Frage danach, woher die Lebewesen über ihre Natur verfügen. Die Antwort auf diese Frage lautet »von ihren biologischen Erzeugern bzw. ihren Eltern«: Ein Mensch zeugt einen Menschen, ein Pferd ein Pferd usw. und vererbt damit auch die Fähigkeit des Körpers, unter den gegebenen Bedingungen die motorische Kraft aufzubringen, seine eigene

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Natur zu erhalten (vgl. Metaph. VII 7, 1032a22–27; 9, 30–33). Dass Lebewesen diese Kraft aufbringen, ist für Aristoteles ein ebenso fraglos gegebenes Faktum wie die Tatsache der Existenz der Lebewesen selbst. Die Frage, die ihn in Mot. An. interessiert, ist daher auch nicht, woher die Kraft der Lebewesen stammt, ihre Körper in Bewegung zu setzen, sondern lediglich, auf welche Weise die Vorgänge im Inneren des Lebewesens ablaufen, so dass es zur Selbstbewegung kommt. Aristoteles’ motivationaler Hedonismus. Angesichts der gerade skizzierten zoologischen Motivationstheorie stellt sich die Frage, ob Aristoteles auf einen psychologischen Hedonismus verpflichtet ist. Als These besagt der psychologische Hedonismus, dass Lebewesen sich deshalb in Bewegung setzen, weil die Gegenstände, die sie wahrnehmen, lust- oder leidvoll für sie sind.77 Dafür spräche, dass es in der oben zitierten Passage in An. III 7, 431a8–14 immerhin heißt, dass Lust und Leid notwendige und hinreichende Bedingungen für Strebungen sind. Auch Mot. An. 8, 701b36 sagt in ganz ähnlicher Weise, dass »das Schmerzvolle (…) Gegenstand des Meidens und das Lustvolle Gegenstand des Strebens« ist. Hierauf ist anzumerken, dass es sich bei beiden Passagen um Texte handelt, die nicht die subjektive Teleologie der Strebung betreffen. An. III 7, 431a8–14 besagt lediglich, dass die Wahrnehmung von Gegenständen, die zu einem gegebenen Zeitpunkt entweder gut oder schlecht für das Lebewesen sind, dann auch lust- oder leidvoll für es sind und dass immer dann (hotan), wenn dies der Fall ist, das Lebewesen den Gegenstand auch verfolgt bzw. meidet. Die Behauptung, dass alle Gegenstände des Verfolgens oder Meidens auch mit Lust oder mit Leid besetzt sind, ist jedoch von der davon ganz verschiedenen Behauptung zu unterscheiden, dass alle Gegenstände des Verfolgens oder Meidens subjektiv von den Lebewesen wegen der Lust bzw. der Leidvermeidung erstrebt werden. Ersteres ist eine Aussage über eine notwen77  Einen generellen psychologischen Hedonismus bei Aristoteles sieht Milo 1966, 14.



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dige antezedente Bedingung, Letzteres eine teleologische Behauptung über den subjektiven Zweck von Strebungen. Mot. An. 8, 701b36 kann und sollte nur in dem ersteren Sinne einer notwendigen Bedingung verstanden werden. Die Stelle besagt, dass alle Gegenstände, die die Lebewesen erstreben oder vermeiden, auch Gegenstände von Lust oder Leid sind (vgl. etwa EN II 2, 1104b34–36), nicht aber, dass die Lebewesen die Gegenstände auch immer deswegen erstreben, weil sie lustoder leidvoll sind (obwohl dies nicht ausgeschlossen ist und in der Tat in den einfachen zoologischen Fällen auch die Regel sein dürfte). Dass diese Lesart klar zu bevorzugen ist, zeigt sich daran, dass Aristoteles woanders, und zwar sowohl in An. als auch in Mot. An., davon ausgeht, dass nur eine der drei von ihm unterschiedenen Strebearten, nämlich die Begierde (epithymia), die Lust zu ihrem Zweck hat. Von daher wären wir nur mit Hinblick auf die Strebeart »Begierde« berechtigt, Aristoteles als psychologischen Hedonisten zu verstehen. Wir haben aber keine Berechtigung, ihm diese These auch mit Blick auf die beiden anderen Strebearten zuzusprechen: Mut und Wunsch definiert er nämlich nicht über die Lust, sondern über andere Zwecke (siehe unten). Wenn die Kognition von Gegenständen des Muts und des Wunsches also auch stets mit Lust bzw. Leid besetzt ist, so ist es seiner Auffassung nach doch nicht wegen der Lust bzw. dem Leid, dass es sich dabei um Strebeziele handelt.78 Die Tatsache, dass An. III 7 und Mot. An. 8 Lust oder Leid zu notwendigen und hinreichenden Bedingungen nicht rationaler Strebungen machen, impliziert die These des psychologischen Hedonismus mitnichten. Man könnte vielleicht sagen, dass alle aristotelischen Strebungen Gegenstände betreffen, denen gegenüber die Lebewesen sich nicht indifferent verhalten – sie sind für sie mit Lust oder Leid besetzt bzw. ihnen angenehm oder unangenehm. Das macht Lustgewinnung bzw. Leidvermeidung aber noch nicht zum Zweck ihrer Strebungen. Wenn wir Aristoteles’ Theorie der 78 

Siehe unten die kurze Diskussion der Arten der Strebung, S. CCXIV.

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Strebung also überhaupt als hedonistisch bezeichnen können, dann nur in der motivationalen Hinsicht, dass Lust bzw. Leidvermeidung notwendige Bedingung aller Strebungen sind.79 Die Arten der Strebung. Aristoteles unterscheidet drei Arten der Strebung. 80 Dies sind zum einen die beiden arationalen Strebungen »Begierde« (epithymia) und »Mut« (thymos) und zum anderen die rationale Strebung »Wunsch« (boulêsis). Die Arten der Strebung sind durch die ihnen jeweils korrelierten Zwecke als deren Gegenstände definiert (Top. VI 8, 146a36– b 9). Begierde ist die Strebung nach Lust. Für den Mut fehlt eine Angabe des spezifischen Gegenstandes; wir können aber davon ausgehen, dass dadurch Strebungen nach sozialen »äußeren« Gütern wie sozialer Rang, Ehre, Unehre sowie positive und negative soziale Anerkennung abgedeckt werden sollen. Zweck der rationalen Strebung ist das rational Gute. Für das Verständnis von Aristoteles’ Klassifikation der Strebearten ist es wichtig, sich zweierlei klarzumachen: Erstens handelt es sich bei den Gegenständen der Strebearten um deren höchste Zwecke und zweitens betrachtet Aristoteles seine Einteilung der Strebung in drei Arten als erschöpfend, d. h. es gibt seiner Ansicht nach keine Strebung, die nicht in eine der drei genannten Arten fällt (vgl. EE II 10, 1225b24–36). Aristoteles hat also eine Theorie der Strebung. Er beabsichtigt damit alle Formen der subjektiven Gütererfahrung abzudecken. Was ist mit »höchste Zwecke« gemeint? Bei den die Strebearten definierenden Zwecken handelt es sich nicht um konkrete Dinge und auch nicht um Arten oder Gattungen konkreter Dinge. Vielmehr handelt es sich um die Werte, die wir dadurch verfolgen, dass wir konkrete Dinge erstreben. »Wert« heißt dabei, ein Zweck zu sein, der um seiner selbst willen angestrebt wird. Bei der Strebeart »Begierde« z. B. besteht der korrelierte Zweck in dem Selbstwert »Lust« (hêdonê), 79  Für eine Diskussion von Aristoteles’ motivationalem Hedonismus siehe Corcilius 2008a, 94–98. 80  Für das Folgende vgl. Corcilius 2008a, 56–64, 2011, 119–121.



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nicht aber in lustvollen Dingen (nicht in »Lustvollem«, hêdy, wie Aristoteles in Top. VI 8, 146b9–12 betont). Dass Aristoteles die Arten der Strebung über Selbstzwecke und nicht über konkrete Gegenstände bzw. deren Arten oder Gattungen definiert, hat einen einfachen Grund: Nur Selbstzwecke beantworten die Frage »Warum erstrebt Du diesen Gegenstand?« in befriedigender Weise. Der Grund ist, dass Selbstzwecke nie Mittel zur Herbeiführung anderer Zwecke sind. Eben diese Eigenschaft macht sie zu endgültigen Motivationsquellen und damit zu geeigneten definitorischen Korrelaten der Strebearten. Selbstzwecke geben nämlich ultimative Auskunft über die Motive, aus denen wir etwas tun und verfolgen oder meiden. 81 Bei konkreten Dingen und deren Klassen ist dies nicht so: Bei jeder deskriptiven, nicht an Werten oder höchsten Zwecken orientierten Antwort auf die Frage »Warum erstrebst Du dies?« ist es möglich, dass z. B. ein lustvoller oder ehrenvoller Gegenstand auch nicht aufgrund der Lust oder nicht aufgrund der Ehre, die er einträgt, erstrebt wird, sondern aufgrund irgendeines anderen Zweckes. So kann etwa ein akademischer Grad, den der eine der Ehre wegen anstrebt, von jemand anders auch des Geldes wegen erstrebt werden und ein lustbringender Gegenstand auch der Gesundheit wegen. Die Angabe konkreter Gegenstände oder ihrer Arten und Gattungen ist prinzipiell ungeeignet, auf Handlungen bezogene Warum-Fragen in endgültiger Weise zu beantworten. 82 81 

Vgl. Top. VI 8, 146a36– b12 u. Anal. Post. I 24, 85b27–35. Vgl. Pro­ trep­t ikos B 66, 2–5, und Anal. Post. I 2, 72 a25–33. Siehe auch Top. 116a23–28 u. 116b8–12. 82 Vgl. EN I 5, 1097b2 f., wo genau diese drei höchsten Gegenstände (Lust, Ehre, das rational Gute) als um ihrer selbst willen erstrebt und als nur darin vom Glück (eudaimonia) verschieden bezeichnet werden, dass sie außerdem auch noch um des Glückes willen erstrebt werden. Aristoteles scheint aber kein subsumptiv-teleologisches Verhältnis zwischen dem Glück und den höchsten Zwecken der Strebung anzunehmen. Lust, Ehre und das rational Gute sind bei ihm nicht Mittel, sondern Konstituenten des Glücks.

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Aristoteles’ Einteilung der Strebearten ist nicht in psychologischer Weise zu verstehen. Dass er die Strebearten durch ihre korrelierten Zwecke definiert, bedeutet nicht, dass er diese Zwecke auch intentional als deren Gegenstände ansieht. Nur die wenigsten Menschen werden sich klarmachen, dass sie, wenn sie z. B. Durst haben, das Getränk, welches sie zu trinken begehren, letztendlich um der Lust willen erstreben, und dies gilt erst recht für Tiere, die über die Gründe ihres Tuns nicht reflektieren. Aristoteles beabsichtigt mit der Definition der Strebearten über ihre höchsten Zwecke lediglich, die ultimativen subjektiven Gründe anzugeben, aus denen Tiere und Menschen sich in Bewegung setzen, unabhängig davon, ob sie sich diese motivationalen Implikationen ihrer Strebungen auch klarmachen oder nicht. Er behauptet nicht, dass die Lebewesen ein wie auch immer geartetes Bewusstsein ihrer letzten Strebezwecke haben müssen, um von diesen motiviert zu sein, sondern nur, dass sie, indem sie konkrete wahrnehmbare Dingen wie Essen oder Trinken begehren, letztendlich nach der Lust als ultimativer Motivationsquelle streben.

Vorstellung (phantasia) Aristoteles versteht unter Vorstellung (phantasia) das Vermögen von Lebewesen, Vorstellungsgehalte (phantasmata) zu erzeugen (An. III 3, 428a1 f.). Vorstellungsgehalte sind Bewegungen bzw. Prozesse (kinêseis), die sich im Inneren des Körpers in direkter Folge von Wahrnehmungsvorgängen ereignen. Das Besondere an ihnen ist, dass sie im Körper verbleiben und dort für Neuverwendungen im Rahmen anderer kognitiver Vorgänge wie z. B. Assoziationen, Träume etc. zur Verfügung stehen. Aus diesem Grund ist die Vorstellung auch für Aristoteles’ Theorie der animalischen Selbstbewegung von erheblicher Wichtigkeit. Der Begriff »phantasia« ist ein nur schwer zu übersetzender terminus technicus der aristotelischen Zoologie, dessen Bedeutung sich sowohl von alltagssprachlichen



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Verwendungen im Griechischen als auch von den lexikalisch naheliegenden modernen Übersetzungen (»Phantasie«) unterscheidet: Aristoteles versteht unter phantasia einen Prozess, der zugleich körperlich ist und repräsentationale Funktionen haben kann, was in dieser Verbindung im Deutschen durch keinen einfachen Ausdruck zu erfassen ist. Wenn hier daher mit »Vorstellung« übersetzt wird, sollte der Leser wissen, dass Aristoteles mit seinem technischen Gebrauch von phantasia im Unterschied zu »Vorstellung« nicht primär einen mentalen Akt, sondern eine Art von körperinterner Bewegung bezeichnet, die in bestimmten Kontexten auch repräsentationale Funktionen hat. Aristoteles definiert Vorstellung in An. III 3, 428b10–429a9 als körperinterne Bewegung (Prozess, kinêsis), die sich durch folgende Eigenschaften auszeichnet: Sie ist (i) eine kausale Folge von Wahrnehmungsakten, (ii) sie verbleibt auch nach der Wahrnehmung im Körper, (iii) sie bewahrt den Gehalt der sie herbeigeführt habenden Wahrnehmungsakte, 83 sie kann (iv) vom Lebewesen unter gegebenen Umständen wieder hervorgeholt, dann (v) erneut wahrgenommen84 und schließlich (vi) zu ähnlichen Wirkungen führen wie die Wahrnehmung selbst. Vorstellungen sind deswegen nicht als kognitive Akte bzw. als Akte des Wahrnehmungsbewusstseins, sondern zunächst einmal nur als im Körper gespeicherte prozessuale Überbleibsel von Wahrnehmungsakten zu verstehen. Aristoteles vergleicht sie mit den Abdrücken, die sich in den Organismus auf ähnliche Weise einprägen wie Siegelringe in Wachs (Mem. 1, 450a31 ff.; vgl. An. II 12, 424a17–24). Das Besondere an ihnen ist, dass sie neben den Gehalten auch die kausalen Eigenschaften der Wahrnehmungen, die sie herbeigeführt haben, bewahren. Es sind, mit einem Wort, wiederverwertbare gehalts- und wirkungsidentische Bewegungsresiduen von Wahr83  Sie sind, wie Aristoteles sagt, ›von‹ den gleichen Gegenständen wie die Wahrnehmungen, die sie herbeiführen (An. III 3, 428b11–13). 84  Vorstellungen sind »wahrnehmbar« (Insomn. 2, 460 a32– b 3).

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nehmungsvorgängen. Als solche sind Vorstellungsgehalte passiv. Sie bedürfen stets äußerer bewegender Ursachen, um in neue Kontexte gestellt, erneut wahrgenommen und dadurch wiederverwertet zu werden. 85 Wichtig ist, dass das Vermögen, welches für das kognitive Erfassen von Vorstellungsgehalten zuständig ist, nicht etwa das Vorstellungsvermögen (phantasia) ist, sondern, wie Aristoteles in Insomn. 2, 460a32– b3 sagt, die Wahrnehmung. Das Vorstellungsvermögen als solches ist kein kognitives Vermögen, sondern, wie gesagt, das Vermögen, Vorstellungsgehalte zu erzeugen. Wichtig ist ferner, dass Vorstellungsgehalte in dem Sinne formbar sind, dass sie (vii) rekonfiguriert und (viii) manipuliert werden können. »Rekonfiguriert« meint, dass die Überbleibsel in neue Sequenzen gestellt werden können. Die Abfolge, in der sie sich ursprünglich ereignet haben, ist also nicht auch zwangsläufig die Abfolge ihrer Wiederverwertung im Lebewesen. Die durch (vii) und (viii) gegebene Möglichkeit der Loslösung von Vorstellungsgehalten von ihrer Kausalgeschichte macht sie »frei« dafür, in neue Kontexte gestellt zu werden. Auf diese Weise liefern Vorstellungsgehalte sozusagen das repräsentationale Material für all diejenigen mentalen Akte, deren Gehalte über die Gehalte der Wahrnehmungen hinausgehen. Dabei kann es sich z. B. um Erinnerungen, Antizipationen oder auch um mentale Suchprozesse handeln. Was diese mentalen Akte auszeichnet, ist, dass sie auf Kombinationen und Neusequenzierungen von Vorstellungsgehalten beruhen, die zwar in der einen oder anderen Weise auf Wahrnehmungsgegenstände bezogen sind, jedoch in dieser 85  Physikalisch betrachtet bestehen sie (so wie auch die sie verursachenden Wahrnehmungen) in qualitativen Veränderungen (alloiôseis, Mot. An. 7, 701b17–23; Insomn. 459b1 ff.), die (wir wissen nicht auf welche Weise) im Blut gespeichert sind (Insomn. 3, 460b28 ff.). Eine handfeste kausale Analyse von Vorstellungsbewegungen findet sich in Insomn. 2. Zur Trägheit von Vorstellungen im Körper vgl. auch Loening 1903, 95, und besonders Wedin 1988, 57.



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Weise nicht in der unmittelbaren Wahrnehmungserfahrung des Lebewesens vorkommen. So beruhen z. B. Erinnerungen auf Assoziationen von gegenwärtigen Wahrnehmungsgehalten mit vergangenen. Was bei der Erinnerung, im Gegensatz zu einfachen Assoziationen (die allerdings auch der Vorstellungsgehalte bedürfen), noch hinzukommt, ist das gleichzeitige Gewahrsein des zwischen beiden Gehalten liegenden Zeitraums (Mem. 1, 449b22–30, 451a2–7). Aristoteles ist der Meinung, dass nicht alle Lebewesen dazu in der Lage sind, derartige mentale Kombinationsleistungen vorzunehmen. Für diejenigen, die dazu in der Lage sind, gilt aber, dass sie sich mithilfe ihrer Fähigkeit, Vorstellungsgehalte zu rekonfigurieren, von dem kausalen Einfluss der Impulse, die sie aus ihrer unmittelbaren Umwelt beziehen, freimachen können. Bei den Tieren sind die Rekonfigurationen und Assoziationen dadurch prinzipiell beschränkt, dass sie sich stets auf Gehalte beziehen, die der Wahrnehmung entstammen. Selbst dann also, wenn ein Tier über ein Wahrnehmungssystem verfügt, welches entwickelt genug ist, um sich an Vergangenes zu erinnern und Zukünftiges zu antizipieren, wird es bei diesen Antizipationen und Erinnerungen doch immer um Gehalte gehen, die seiner wahrnehmbaren Umwelt entstammen. Tierische Vorstellungen stehen demnach immer in der einen oder anderen Weise in einem Abbildungsverhältnis zu den wahrnehmbaren Dingen in der Welt. Nur der Mensch verfügt darüber hinaus auch über die Fähigkeit, Vorstellungsgehalte zu manipulieren. Erst diese Fähigkeit ermöglicht es ihm, sich mit seinen Vorstellungen auf Gehalte zu beziehen (sie zu repräsentieren), die ihm in der wahrnehmbaren Natur nicht gegeben sind. Mit der Fähigkeit, Vorstellungsgehalte zu »manipulieren«, ist die Fähigkeit gemeint, Vorstellungsgehalte mit anderen Vorstellungsgehalten zu neuen Gehalten zu verschmelzen (»einen aus einer Mehrzahl von Vorstellungsgehalten zu machen«, wie es in An. III 11, 434a9 f. heißt). Das Resultat dieser Operation ist die Produktion von Vorstellungsgehalten, die nicht mehr in direkter Weise mit wahrnehmbaren Dingen

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korrespondieren. Dementsprechend besteht dann auch kein Abbildungsverhältnis mehr zwischen ihnen und den durch sie repräsentierten Gehalten. Das Verhältnis zwischen der Vorstellung und dem dadurch repräsentierten Gehalt ist dann symbolisch. Aristoteles erwähnt als Beispiel den Vorstellungsgehalt, der aus dem Vergleich zweier Handlungsoptionen hervorgeht (434 a7–10). Mit dieser Fähigkeit zum Verschmelzen mehrerer Vorstellungsgehalte ist dem Menschen nicht nur die Möglichkeit gegeben, sich von dem unmittelbaren kausalen Einfluss der Dinge der Umwelt zu emanzipieren, wie dies ja auch schon bei den höheren, zu Assoziationen fähigen Tieren bis zu einem gewissen Grad der Fall ist, sondern auch die Möglichkeit, sich dem Gehalt nach von den Gegenständen ihrer Umwelt freizumachen. Mental gesehen ermöglichen solche verschmolzenen Vorstellungen damit nicht nur das Benennen von Dingen mit konventionellen Zeichen (und damit Sprache), sondern auch die Repräsentation von nicht-natürlichen Gehalten wie z. B. Relationen (»größer als« usw., für die es gar keine korrespondierenden Gegenstände in der Natur gibt; vgl. An. III 11, 434a9–12). Dies wiederum ermöglicht ihnen das Kalkulieren (logos: a7–9). Kurz: Aristoteles scheint zu meinen, dass das Verschmelzen von Vorstellungsgehalten es den Lebewesen ermöglicht, sich repräsentational auf die spezifischen Gehalte des menschlichen Denkens zu beziehen. 86 Auf dieser Grundlage könnten so jedes Detail und jeder Aspekt von einmal gemachten Wahrnehmungen herausgegriffen, neu assoziiert und, im Falle der Menschen, auch beliebig ma-

86  Menschliche Denkepisoden sind für Aristoteles von Vorstellungsgehalten als deren notwendigen repräsentationalen (und auch kausalen) Bedingungen abhängig. Denken ist, wie er sagt, »nicht ohne« Vorstellung (siehe Mem. 1, 449b31–450 a1; An. I 1, 403a8–10; III 3, 427b14–16; 7, 431a16–17, b2; 8, 432a8–10). Die Aussage, dass das Denken nicht ohne Vorstellung (ouk aneu phantasias) ist, markiert einen Kontrast zu solchen Gegenständen, die direkt vorgestellt werden können (vermutlich Wahrnehmungsgegenstände; vgl. Mem. 1, 450a22–25).



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nipuliert werden. Die Ursachen für die Sequenzierungen der Vorstellungsgehalte sind von zweierlei Art: Entweder handelt es sich um kausal bzw. physiologisch bestimmte Prozesse – etwa wenn eine Temperaturveränderung in der Umgebung im Lebewesen die Vorstellung eines Feuers hervorruft, die dann z. B. in einen Traum einfließt –, oder es sind Sequenzierungen, die durch mentale Assoziationsprozesse geleitet sind – etwa wenn man versucht, sich an etwas zu erinnern oder ein intellektuelles Problem zu lösen. In beiden Fällen können (und werden wohl auch meistens) die Sequenzierungen automatisch ablaufen. Sie können aber auch bewusst gesteuert werden. 87 Soweit die Theorie der animalischen Selbstbewegung davon betroffen ist, ergeben sich zwei Hauptfunktionen der Vorstellung. Dies ist einmal die Funktion, bewegungsrelevante Gegenstände zu repräsentieren und so als deren kausaler Stellvertreter zu fungieren. Vorstellungen können bewegungsrelevante, d. h. vom Lebewesen erstrebte Gegenstände repräsentieren. Dadurch, dass Vorstellungen im Körper verbleiben und bei anderen Gelegenheiten wieder hervorgeholt werden können, haben die Lebewesen also mental Zugang zu Gegenständen, die sich zu diesem Zeitpunkt nicht in ihrer Umwelt befinden, weil sie entweder woanders sind oder vergangen bzw. noch nicht stattgefunden haben usw. Dadurch erweitert sich das Spektrum der für die Bewegungen des Lebewesens relevanten Gegenstände – sein Gesichtskreis sozusagen – bereits erheblich. Da Vorstellungen aber auch mehr oder weniger wirkungsidentisch mit den Wahrnehmungen sind, 88 die sie verursacht haben, können sie auch kausal an deren Stelle treten: Der gesehene Löwe wird das Schaf in Angst versetzen und damit zur Flucht motivieren, und der von ihm vorgestellte 87  Wie etwa im Fall der Wiedererinnerung; vgl. Mem. 2. Zu den kausalen oder mentalen Assoziationen und Sequenzierungen vgl. Corcilius 2008a, 215–220. 88 Rhet. I 11, 1370 a18 merkt an, sie seien von geringerer Intensität (»schwach«) als Wahrnehmungen.

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Löwe wird unter Umständen die gleiche Wirkung zeitigen. Mit seiner Konzeption der Vorstellung kann Aristoteles auf ökonomische Weise Assoziationen, Erinnerungen und Antizipationen und damit auch insgesamt komplexes animalisches Verhalten erklären, bis hin zu den scheinbar völlig spontanen Bewegungen der Lebewesen, die sich ohne ersichtlichen äußeren Grund von allein in Bewegung setzen (vgl. Phys. VIII 6, 259b1–6 und die Diskussion auf S. CXCVIII ff.). Diese scheinbar radikal spontanen Selbstbewegungen erweisen sich so schlicht als zeitverzögerte Reaktionen auf im Körper des Lebewesens gespeicherte Wahrnehmungseindrücke: Mit den Wahrnehmungen liegen nämlich sofort gewisse qualitative Veränderungen vor, und die Vorstellungen und das Denken verfügen über die Kraft der realen Dinge. Denn auf gewisse Weise hat die [wahrgenommene, vorgestellte oder gedachte] Form von etwas, das warm oder kalt oder lustvoll oder furchterregend ist, wenn sie gedacht wird, dieselbe Beschaffenheit wie die jeweiligen realen Dinge, weswegen man auch schaudert und Furcht empfindet, wenn man nur an etwas denkt. Dies alles sind Affektionen und qualitative Veränderungen. (Mot. An. 7, 701b17–23; 6, 701a5 f.)

Aristoteles kann mithilfe der kausalen Stellvertreterfunktion der Vorstellung aber noch etwas anderes erklären. Er kann zeigen, wie sich menschliche Denkgehalte trotz ihrer bewegungskausalen Ineffizienz in die Bewegungsgenese menschlicher Handlungen einbringen können. Wie wir gesehen haben, sind die Gehalte des Denkens, so wie das Denken selbst, biologisch nicht realisiert und verfügen auch sonst nicht über physikalische Eigenschaften (An. III 4, 429a21 ff.). Wenn die Gehalte des menschlichen Denkens daher eine bewegende Wirkung in der Natur haben sollen, müssen sie in der einen oder anderen Weise mit bewegungskausalen Faktoren in Verbindung gebracht werden. Was dies bewerkstelligen kann, sind die mentalen Repräsentationen von Denkgehalten in den Vorstellungsgehalten. Zwar repräsentieren sie keine Wahr-



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nehmungsgegenstände (bilden sie nicht ab), sie bestehen aber doch in physischen Bewegungsresiduen von Wahrnehmungsepisoden. Mit ihrer Hilfe kann Aristoteles erklären, wie die Gehalte menschlichen Denkens sich in die Bewegungsgenese und damit in den kausalen Weltverlauf einbringen. Durch seine These, dass Vorstellungen notwendige Bedingung für das menschliche Denken sind, hat er also die Mittel in der Hand, um die von ihm angenommene bewegungskausale Ineffizienz der menschlichen Vernunft (Part. An. I 1, 641b4–10) zu überbrücken. In der Literatur sind zwei Auffassungen über die Rolle der Vorstellung im Zusammenhang mit der animalischen Selbstbewegung verbreitet. Dies ist zum einen die Auffassung, dass die Vorstellung notwendige Bedingung für Strebungen sei, und zum anderen die Auffassung, dass die Vorstellung notwendige Bedingung für die Selbstbewegungen der Lebewesen sei. Beide Auffassungen sind textlich jedoch nicht gut belegt. Erstere Auffassung fasst die Vorstellung als dasjenige kognitive Vermögen, welches den Lebewesen den Gegenstand in der einen oder anderen Weise als einen zu verfolgenden oder zu meidenden präsentiert. 89 Allerdings spricht die Tatsache, dass Aristoteles in der Definition der zoologisch basalen Strebung in An. III 7, 431a8–14, die Vorstellung nicht einmal erwähnt, stark dagegen. Er führt die Vorstellung im unmittelbaren Anschluss bei der Diskussion von höheren Formen des Strebens sogar ausdrücklich als Ersatz für die Wahrnehmung ein (431a14 ff.). Die Vorstellung kann daher für ihn nicht notwendige Bedingung des basalen Strebens sein. 90 Der anderen Auffassung zufolge ist die Vorstellung notwendige Bedingung nur 89  Siwek 1930 und unabhängig von Siwek Nussbaum 1978, besonders 230–4; Furley 1978, 174 ff.; Labarrière 1984; Richardson 1992, 385, 395–6; Morel 2004, 173, 182. 90  Für Argumente gegen den Haupttextzeugen der sog. Interpretativen Auffassung der Vorstellung (An. III 10, 433b28 f.) vgl. Labarrière 2004, 136, Fn. 1 und Lorenz 2006, 138–147.

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für die Ortsbewegung der Lebewesen. Hier ist der Gedanke, dass die Lebewesen, um sich selbstständig von einem Ort zum anderen zu bewegen, irgendwie eine Aussicht auf einen erstrebenswerten und im Augenblick noch nicht bestehenden Weltzustand haben müssen. 91 Dafür, dass solche praktischen Aussichten für die Selbstbewegungen der Lebewesen notwendige Bedingung sind, findet sich in den Texten allerdings kein Anhaltspunkt. Im Gegenteil: In De motu animalium wird mehrfach gesagt, dass Wahrnehmung als kognitives Vermögen für die Selbstbewegung hinreicht (6, 700 b19; 701a 4; 7, 28 ff.; b 16 f.; 8, 702a19).

Theorie der Strebung zweiter Teil: höhere Formen des Strebens In seiner Theorie der animalischen Selbstbewegung arbeitet sich Aristoteles von den biologisch basalen und allgemeiner verbreiteten Formen des Strebens zu den höheren und weniger verbreiteten Formen vor. Den Anfang macht er mit der einfachsten Form von Denken involvierender Strebung. Über sie sagt er in direkter Anlehnung an die unmittelbar vorher gegebene Definition der basalen Strebung: Der zum Denken fähigen Seele kommen die Vorstellungsgehalte wie Wahrnehmungsgehalte zu; und wann immer es gut oder schlecht ist, bejaht oder verneint sie und meidet oder verfolgt. Deswegen denkt die Seele niemals ohne Vorstellungsgehalt. (An. III 7, 431a14–17)

Die Stelle erklärt, auf welche Weise die Gegenstände des basalen Strebens dem Denken vorliegen. Wenn das Denken sich einfachen Strebegegenständen zuwendet und sie als gut oder schlecht beurteilt, so sind ihm diese Gegenstände in Form von Vorstellungen gegenwärtig. Was dann aber die Genese solcher 91 

Lorenz 2006, 129–137.



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minimal rationalen Strebungen betrifft, soll alles andere genauso ablaufen wie bei den basalen Strebungen, die sich auf Wahrnehmungsgegenstände richten. Der Wortlaut der Passage greift genau dieselben Formulierungen auf wie die Definition der arationalen Strebung unmittelbar vorher in 431a8–12. Ein allerdings gewichtiger Unterschied ist, dass anstatt der Analogie mit der Affirmation und Negation einer Proposition im Geiste (vgl. a9 f.: hoion kataphasa ê apophasa) im Falle des Denkens buchstäblich ein affirmierendes oder negierendes Urteil gefällt wird (vgl. a15 f.: kataphêsin ê apophêsin), welches dann zur Strebung führt. Der basale Mechanismus ist daher genau der gleiche wie im einfachen Wahrnehmungsfall. Ein Wahrnehmungsgegenstand bzw. ein vorgestellter Wahrnehmungsgehalt führt zur Strebung, außer dass hier der Gehalt durch ein Urteil bestätigt wird. Es folgt die nächste Komplexitätsstufe: Nun denkt das Denkvermögen die [denkbaren] Formen in den Vorstellungsgehalten; und so wie ihm in jenen [Formen] das zu Suchende und zu Meidende bestimmt ist, so setzt es sich auch ohne Wahrnehmung, wenn es bei den Vorstellungsgehalten ist, in Bewegung. Wenn man z. B. die Fackel wahrgenommen hat, [nämlich] dass es Feuer ist, erkennt man mithilfe der gemeinsamen [Wahrnehmung], indem man es [das Feuer] in Bewegung sieht, dass es die Ankunft der Feinde meldet. (An. III 7, 431b2–6)

Hier sind es nicht mehr nur wahrgenommene Gegenstände des Verfolgens und Meidens bzw. deren Vorstellungen, die zur Strebung führen, sondern (konventionelle) Zeichen, die für solche Wahrnehmungsgegenstände stehen (im Text ist dies die Fackel, deren Schwingen ein taktisches Zeichen für das Herannahen des Feindes ist 92). Der Mechanismus der Auslösung der Strebung ist dann aber wieder der gleiche wie im einfachen Fall. Im Anschluss kommen Strebungen, die aus einem Deliberationsvorgang hervorgehen: 92 Thucyd.

II , 94, III , 22; vgl. Hicks ad loc.

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Und wenn man mit den Vorstellungsgehalten bzw. Gedanken in der Seele überlegt, so als würde man sehen, kalkuliert man und wägt das Künftige gegen das Gegenwärtige ab. Und wenn man feststellt, dass dort das Lustvolle oder Schmerzhafte ist, dann meidet oder verfolgt man hier, und so überhaupt beim Handeln. (An. III 7, 431b 6–10 93)

Die Güter, um die es in der Deliberation geht, sind der denkenden Seele in Form von Vorstellungsgehalten zugänglich. Das Medium, so könnte man vielleicht sagen, in dem der Deliberationsvorgang stattfindet, sind Vorstellungsgehalte. Der Deliberationsvorgang selbst besteht in einem Kalkül (logizetai kai bouleuetai), in dem die denkende Seele gegenwärtige (»hier«) und zukünftige Güter (»dort«) miteinander abgleicht – in dem hier in Rede stehenden sehr einfachen Fall handelt es sich um Lust und Schmerz –, um dann im Hier und Jetzt sein Handeln an dem größeren Gut auszurichten. Möglich wird die Repräsentation zukünftiger Güter durch deren mentale Repräsentation in Vorstellungsgehalten. 94 Das Denken ordnet hier die entsprechenden Vorstellungen in einer Lust bzw. Gut maximierenden Weise, so dass dann, auf Grundlage der geordneten Vorstellungen, derselbe Prozess der Auslösung der Strebung stattfinden kann, wie er in An. III 7, 431a8–14 beschrieben wurde. 95 Alle hier diskutierten Stellen zu den höheren Formen des Strebens bauen in dieser Weise auf dem basalen Fall auf. Es gibt bei Aristoteles keinen gesonderten Motivationsprozess für vernünftig angeleitetes Handeln. Wenn das Denken unser 93  Ich übergehe hier den direkt daran anschließenden wichtigen Abschnitt 431b10–12, in dem die psychologische Möglichkeit theoretischen Urteilens auf die gleiche Weise erklärt wird wie die gerade erörterten praktischen Urteile: »Auch das, was ohne Handeln ist, das Wahre und das Falsche, ist in derselben Gattung wie das Gute und das Schlechte. Es unterscheidet sich allerdings durch das schlechthin [wahr oder falsch] und für jemanden [gut oder schlecht sein].« 94  Vgl. die oben S. CCXVIII f. diskutierte Stelle An. III 11, 434 a5–10. 95  Vgl. Corcilius 2008a, 183 ff.



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Handeln bestimmt, so nur dadurch, dass sie sich mithilfe von Vorstellungsgehalten in den allgemein zoologischen Vorgang der Bewegungsverursachung einbringt. 96

. Das seelische Prinzip der Selbstbewegung (De anima III 9–11) Der Abschnitt De anima III 9–11 bietet eine zusammenhängende und systematisch aufgebaute Diskussion des für die Selbstbewegung der Lebewesen verantwortlichen seelischen Prinzips. Ich werde mich hier auf die Grundlinien der Diskussion beschränken. 97 Sie lässt sich in drei Teile gliedern, die in etwa der traditionellen Kapiteleinteilung entsprechen:98 Kapitel 9 führt problematisierend in die Fragestellung ein und entwickelt die Schwierigkeiten, die eine Theorie der animalischen Ortsbewegung erklären können muss. Kapitel 10 liefert mit der Antwort auf die Frage nach dem für die Ortsbewegung der Lebewesen zuständigen Vermögen die Grundlage für die Lösung der in Kapitel 9 aufgeführten Probleme, Kapitel 11 bietet Lösungen für die (meisten) der noch übrigen Schwierigkeiten aus Kapitel 9. Da Kapitel 9 hier nur summarisch behandelt werden kann, wird auch Kapitel 11 nicht ausführlich diskutiert werden können. Kapitel 9. Die Struktur der Diskussion in diesem Kapitel ist die eines Eliminationsverfahrens. Aristoteles fragt für so 96  Neben den genannten und hier besprochenen Stellen ist noch die Passage in An. III 11, 434 a11–21, von Wichtigkeit für die Erklärung der Möglichkeit der Beteiligung von Denken an der Bewegungsgenese. Hier ist leider kein Raum, um die Stelle zu besprechen. 97  Eine ausführlichere Diskussion findet sich in Corcilius 2008a, 250–287. 98  Ich sehe hier ab von der Diskussion der Frage nach den Teilen der Seele, die auch ein wichtiges Thema des Abschnitts An. III 9–11 sind, aber nur indirekt die Theorie der animalischen Selbstbewegung betreffen.

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gut wie alle vorher in De anima diskutierten Vermögen, ob es sich dabei um »das« für die Ortsbewegung der Lebewesen zuständige Vermögen handelt oder nicht: vegetatives Vermögen, Wahrnehmungs- und Denkvermögen und Strebung (einzig die phantasia, die vorher in An. III 3 diskutiert wurde, fehlt in der Liste.). 99 Das Resultat ist in jedem einzelnen Fall negativ. Keines der vorher genannten Vermögen kann als »der« Beweger der Lebewesen identifiziert werden. Es finden sich Gegenbeispiele für jeden Kandidaten. Kapitel 10. Die in Kapitel 10 gegebene Antwort auf die Frage nach dem bewegenden Vermögen fällt komplex aus: Anstatt ein für die Selbstbewegung zuständiges Vermögen der Seele zu definieren, wie er dies in den Diskussionen des vegetativen Vermögens, der Wahrnehmung und des Denkens getan hatte, tastet Aristoteles sich sukzessive vor, indem er seine am Anfang des zehnten Kapitels vorgelegte Antwort Mal um Mal revidiert und dadurch zusehends vertieft. Am Ende steht dann aber immer noch keine Definition eines Seelenvermögens, sondern ein kausales Modell, in dem die Selbstbewegung als ein aus mehreren Phasen bestehender Prozess beschrieben wird, an dessen Zustandekommen eine Mehrzahl der vorher in De anima definierten Seelenvermögen beteiligt sind. Aristoteles’ erste und vorläufige Antwort besteht in der Angabe zweier bewegender Vermögen, Denken und Strebung (An. III 10, 433a9–13): Es scheint aber doch, dass diese zwei die bewegenden sind, entweder Strebung oder Denken, falls man die Vorstellung als eine Art Denken ansetzt; – denn viele folgen trotz ihres Wissens den Vorstellungen, und bei den anderen Lebewesen gibt es weder Denken noch Überlegung, sondern nur Vorstellung. – Also sind diese beiden fähig, Ortsbewegung zu bewirken, Denken und Strebung. 99  Zur Rolle der phantasia in der Theorie der animalischen Selbstbewegung siehe oben S. CCXXI.



Philosophische Einleitung

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Sofort danach nimmt Aristoteles aber eine erste Selbstkorrektur vor: Er korrigiert »Strebung oder Denken« (in a9) zu »Strebung und Denken« (a13), wobei er »Denken« in einem inklusiven Sinne summarisch als kognitives Vermögen generell, also rationales Denken plus nicht rationale Vorstellung und Wahrnehmung,100 verstanden wissen will. Er prägt hier eine Terminologie speziell für die Belange der allgemeinen Theorie der animalischen Selbstbewegung. Mot. An. wird die Terminologie wieder aufgreifen (6, 700b18–24). Gleich der folgende Abschnitt kehrt dann aber wieder zum herkömmlichen Begriff des Denkens zurück: Denken, wenn es um eines bestimmten Zweckes willen überlegt, d. h. das praktische; es unterscheidet sich nämlich von dem betrachtenden [Denken] durch seinen Zweck. Und auch jede Strebung besteht um eines bestimmten Zweckes willen; denn das, worauf sich die Strebung bezieht, dies ist Ausgangspunkt des praktischen Denkens. Und das letzte [in der denkenden Überlegung] ist Ausgangspunkt der Handlung. Folglich scheinen diese zwei mit gutem Grund die Bewegenden zu sein: Strebung und praktisches Denken; denn der Gegenstand der Strebung bewegt und aufgrund seiner bewegt das Denken, weil sein Ausgangspunkt der erstrebte Gegenstand ist. Und auch die Vorstellung, wenn sie bewegt, bewegt nicht ohne Strebung. (An. III 10, 433a14–21)

Jetzt ist nur noch von einer bestimmen Art des Denkens die Rede, nämlich von dem sogenannten praktischen (»handelnden«) Denken. Was das praktische Denken im Gegensatz zum theoretischen Denken, dessen Zweck in der Betrachtung der Wahrheit als solcher besteht (vgl. EN VI 2, 1139a27–29), zum 100  Aus Mot. An. 6, 700 b20 geht hervor, dass Aristoteles hier unter »Vorstellung« aller Wahrscheinlichkeit nach nicht nur die oben diskutierte Fähigkeit, Wahrnehmungseindrücke zu speichern und erneut zu verwenden, versteht, sondern alle wahrnehmungsmäßige Kognition, d. h. Wahrnehmung und Vorstellung.

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Klaus Corcilius

praktischen Denken macht, ist, dass ihm der Zweck durch die Strebung vorgegeben wird (»das, worauf sich die Strebung bezieht, dies ist Ausgangspunkt des praktischen Denkens«; vgl. auch oben An. III 7, 431b10–12). Praktisches Denken und Strebung stehen jetzt also nicht mehr wie im vorigen Abschnitt als gleichberechtigte Beweger des Lebewesens nebeneinander, sondern werden in eine bestimmte Ordnung gebracht: Das praktische Denken ist deswegen Beweger des Lebewesens, weil es eine Strebung gibt, die das praktische Denken motiviert, nach geeigneten Mitteln zur Erlangung des Gegenstands der Strebung zu suchen. Das gleiche gilt für das Analogon des praktischen Denkens bei den Tieren, die Vorstellung (a20 f.). Wenn Tiere sich aufgrund ihrer Vorstellungen in Bewegung setzen, so tun sie dies nicht ohne Strebung. Praktisches Denken und Vorstellung sind also nicht die wahren Initiatoren des Prozesses. Die Strebung hat in beiden Fällen Priorität. Deswegen scheint der Initiator nun allein die Strebung zu sein (An. III 10, 433a20–26): Also ist eines das Bewegende, und zwar das Strebevermögen (orektikon). Wenn nämlich zwei bewegen würden, Denken und Strebung, so würden sie auf eine gemeinsame Art bewegen. Nun bewegt das Denken aber offenbar nicht ohne Strebung – das Wünschen ist nämlich eine Strebung, und wenn man sich aufgrund der Überlegung bewegt, so bewegt man sich auch aufgrund des Wünschens –, doch die Strebung bewegt auch gegen die Überlegung, die Begierde ist nämlich eine Strebung.

Da die Vernunft, wenn sie bewegt, von der Strebung motiviert ist – auch die rationale Strebung »Wunsch« ist eine Art von Strebung –, nicht aber umgekehrt die Strebung auch von dem Denken abhängt (weil die Strebung auch ohne Beteiligung des Denkens zur Bewegung führen kann), scheint nun die Strebung bzw. das Strebevermögen »der« Beweger im Lebewesen zu sein. Allerdings korrigiert Aristoteles auch dieses Bild sofort wieder:



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CCXXXI

Freilich ist alles vernünftige Denken richtig, aber Strebung und Vorstellung sind sowohl richtig als auch nicht richtig. Deswegen bewegt jedes Mal der Gegenstand der Strebung, aber dieser ist entweder das Gute oder das, was das Gute zu sein scheint; allerdings nicht jedes, sondern das Gute, das Gegenstand einer Handlung ist. Gegenstand einer Handlung aber ist das, was sich auch anders verhalten kann. (An. III 10, 433a26–30)

Nun ist es der Gegenstand der Strebung (orekton), der als Initiator des Prozesses erscheint. Die Strebung, die gerade noch als »der« Beweger bezeichnet wurde, bedarf offenbar selber eines movens. Dieses movens ist der Gegenstand der Strebung. Da die Strebung aber sowohl durch arationale Vorstellungsgehalte als auch durch vernünftige Denkgehalte in Gang gesetzt werden kann, stellt sich auch der Gegenstand der Strebung als etwas nicht Einfaches heraus. Gegenstand der Strebung ist nämlich entweder das, was rational gut für das Lebewesen ist, oder das, was ihm gut zu sein scheint (aber nicht notwendig auch tatsächlich gut für es ist), je nachdem, ob es sich um eine rationale oder eine nicht-rationale Strebung handelt. Allerdings kommt für Aristoteles nicht jeder gute Gegenstand als praktisch motivierendes Gut in Frage. Ewige werthafte Gegenstände, deren Betrachtung in die theoretischen Wissenschaften fällt – Aristoteles denkt hier wohl an die von ihm in der Metaphysik diskutierte Gottheit –, tun dies nicht. Sie sind zwar gut, aber keine möglichen Gegenstände unseres Handelns (prakton agathon); sie sind nichts, was wir »haben« oder durch unsere Handlungen herbeiführen könnten. Alles, was nicht mit kontingenten Einzeldingen korrespondiert und also sein als auch nicht sein kann (sich »anders verhalten« kann), ist daher auch nicht Zweck unserer Selbstbewegungen. Nun hat Aristoteles sich von Strebung und Denken im inklusiven Sinn als den unmittelbaren Auslösern der Ortsbewegung bis zum Gegenstand der Strebung als dem ersten bewegenden Faktor der Bewegungsgenese zurückgearbeitet. In scheinbarem Widerspruch zu seiner eigenen gerade vor-

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genommenen Korrektur bezeichnet er nun aber wieder das Vermögen der Strebung als »den« Beweger des Lebewesens: (An. III 10, 433a31– b1): Dass es also das so beschaffene Seelenvermögen ist, das bewegt, die sogenannte Strebung, ist klar.

Dies müssen wir allerdings nicht als grobe Inkonsistenz verstehen. Aristoteles hat an dieser Stelle nicht seine Meinung geändert, so als würde er nun glauben, eine Antwort im Sinne eines einzigen Seelenvermögens würde die Sachlage adäquat erfassen. Vielmehr scheint er zu meinen, dass es in gewissem Sinn zwar richtig ist, dass das Strebevermögen der Beweger des Lebewesens ist, doch nur in der von ihm beschriebenen Weise, d. h. als einer unter mehreren Faktoren im Rahmen des kausalen Prozesses der Bewegungsgenese, der von dem Gegenstand der Strebung initiiert wird und zudem zwei verschiedene kognitive Vermögen involvieren kann. Der »Beweger« stellt sich damit nicht als seelisches Vermögen im Sinne eines explanatorisch basalen »Teils« der Seele heraus, sondern als Strebereaktion auf zwei der Art nach verschiedene kognitive Gehalte. Dies passt zur Definition der basalen Strebung in An. III 7. Wie wir gesehen haben, wird die Strebung dort als Reaktion des beseelten Körpers auf die Wahrnehmung von Gegenständen definiert, die für das Lebewesen entweder gut oder schlecht sind. Diese basale Definition der Strebung ist hier (und wie wir gesehen haben, auch schon später in An. III 7) um Reaktionen auch auf vernünftig erkannte Gegenstände erweitert. Bei der Strebung handelt es sich also nicht um den eigens für die Ortsbewegung der Lebewesen zuständigen Seelenteil, sondern um eine psychophysische Leistung des beseelten Körpers (eine Bewegung, kinêsis), die von verschiedenen kognitiven Vermögen in Gang gesetzt werden kann. Darin, die Strebung nicht als separaten Seelenteil zu behandeln, setzt Aristoteles sich von der Methodologie der Platoniker ab, die er im Folgenden auf der Grundlage seiner eigenen Strebetheorie kritisiert (An. III 10, 433b1–4):



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Für diejenigen aber, welche die Teile der Seele einteilen, wenn sie sie nach den Vermögen einteilen und trennen, werden es sehr viele: Ernährungsvermögen, Wahrnehmungsvermögen, Denkvermögen, Beratungsvermögen, ferner Strebevermögen; denn diese unterscheiden sich mehr voneinander als Begehrvermögen und Mutvermögen.

Begehrvermögen (epithymêtikon) und Mutvermögen (thymikon) gehören zu von den Platonikern unterschiedenen Teilen der Seele. Aristoteles wirft ihnen hier vor, dass das Kriterium, welches sie für Seelenteile in Anschlag bringen, zu einer unerwünschten Vielzahl von Seelenteilen führt. Das platonische Kriterium besteht darin, die Teile der Seele »nach den Vermögen [der Seele] einzuteilen und abzutrennen«. Ein Vermögen der Seele zu sein, ist demnach für Platoniker hinreichend dafür, auch ein Teil der Seele zu sein. Aristoteles hatte das platonische Kriterium der Seelenteilung schon vorher in An. III 9, 432a22– b 7, mit demselben Argument ad absurdum zu führen versucht, dass seine Anwendung unweigerlich zu einer unerwünscht großen Zahl von Seelenteilen und sogar zu einer Vielzahl verschiedener Strebevermögen führen muss. Aristoteles’ eigene Position kennen wir: Er vertritt die Ansicht, dass Strebungen psychophysische Reaktionen auf Kognitionen und damit nicht Seelenteile, sondern Bewegungen sind. Strebungen sind eng mit Kognitionsvorgängen verknüpft, deren körperliche Konsequenzen sie sind (10, 433a20). Aus diesem Grund kann es sich bei der Strebung nicht so wie bei vegetativem Selbsterhalt, Wahrnehmung und Denkvermögen um ein definitorisch abtrennbares Seelenvermögen handeln. Die Definition jeder Strebung erfordert die Erwähnung der kognitiven Quelle, die sie mit ihrem Gehalt versieht.101 »Bloße« 101  So

z. B. sehr deutlich in An. III 10, 433b27–30: »Überhaupt ist also das Lebewesen, wie gesagt, eben insofern es zur Strebung fähig ist, auch fähig, sich selbst zu bewegen; ›zur Strebung fähig‹ aber nicht ohne Vorstellung. Und alle Vorstellung ist entweder rational oder wahr-

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Strebungen, die nicht entweder rationale oder wahrnehmungsmäßige Kognition enthalten, gibt es bei Aristoteles nicht. Dementsprechend kann die Strebung kein Teil der Seele sein, sondern lediglich, wie er hier in An. 433b10–13 sagt, eine gemeinsame Art (eidos) von durch verschiedene Kognitionsvermögen ausgelösten Prozessen. Die durch ihre jeweiligen kog­ nitiven Auslöser bedingte Verschiedenheit von Strebungen geht so weit, dass bei Menschen sogar mehrere Strebungen in ein- und demselben Individuum vorkommen und miteinander in Konflikt geraten können: Da es aber vorkommt, dass Strebungen einander entgegengesetzt sind – dies passiert dann, wenn das Denken und die Begierden einander entgegengesetzt sind und kommt bei den Lebewesen vor, die eine Wahrnehmung von Zeit haben: Auf der einen Seite befiehlt das Denken nämlich, aufgrund des Zukünftigen zu widerstehen, und auf der anderen Seite die Begierde aufgrund des Gegenwärtigen; das gegenwärtig Lustvolle scheint nämlich auch schlechthin lustvoll und gut schlechthin zu sein, weil man das Zukünftige nicht sieht – deswegen dürfte das Bewegende wohl der Art nach eines sein, nämlich das Strebevermögen, insofern es zur Strebung fähig ist. (An. III 10, 433b5–11)

Mentale Konflikte sind Konflikte zwischen zwei gleichzeitig stattfindenden Strebungen, die sich (auf unterschiedliche und sogar entgegengesetzte Weise) auf denselben externen Gegenstand beziehen. Die Frage nach dem Strebevermögen als dem einen seelischen Beweger des Lebewesens erweist sich damit als gegenstandslos. Das für die Selbstbewegung so wichtige Strebevermögen entpuppt sich als ein numerisch nicht einheitliches Vermögen, das lediglich der Art nach einheitlicher Beweger nehmungsmäßig. An Letzterer haben nun auch die übrigen Lebewesen teil.« Zur Individuierung von Seelenteilen vgl. Corcilius/Gregoric 2010, 109–113.



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des Lebewesens ist (eidei hen). Darin unterscheidet sich das Strebevermögen von den genuinen Teilen der Seele, bei denen aufgrund ihrer numerischen Einheit interne Konflikte ausgeschlossen sind. Die obige Formulierung, dass das Strebe­ vermögen das Bewegende sei, »insofern es zur Strebung fähig ist«, bezeichnet diese unterschiedliche Bestimmbarkeit der Strebung durch verschiedene kognitive Vermögen, indem es die Strebung nur noch als abstrakte Einheit der von unterschiedlichen kognitiven Vermögen auslösbaren Strebevorkommnisse fasst. Nachdem damit geklärt ist, dass es zwar Strebungen sind, die das Lebewesen in Bewegung setzen, es sich bei der Strebung aber nur um einen unter mehreren Faktoren handelt, die zur Selbstbewegung führen, formuliert Aristoteles seine kausale Theorie der animalischen Selbstbewegung in ihrer endgültigen Form. Er beginnt mit dem ersten Auslöser oder »Beweger« des gesamten Prozesses: Das erste von allen ist aber der Gegenstand der Strebung; denn dieser bewegt als Unbewegter, indem er gedacht oder vorgestellt wird – doch der Zahl nach gibt es mehrere Beweger. (An. III 10, 433b11–13)

Erster Beweger des Prozesses ist der Gegenstand der Strebung. Dieser löst den Prozess aber nur deswegen aus, weil das Lebewesen ihn vorstellt oder denkt und außerdem in der geeigneten Relation zu ihm steht, so dass Lust bzw. Leid folgen. Der Umstand, dass der Gegenstand der Strebung kognitiv erfasst werden muss, um das Lebewesen in Bewegung zu setzen, erklärt, warum es der Zahl nach mehrere Beweger im Lebewesen gibt, nämlich die beiden kognitiven Grundvermögen Wahrnehmung und Denken. Sie sind insofern die ersten Beweger, als sie in der Lage sind, Gegenstände zu präsentieren, die für die Lebewesen gut oder schlecht und daher zu verfolgen oder zu meiden sind. Für die Initiierung des Bewegungsvorgangs bedarf es daher stets beider, Strebung und Kognition eines geeigneten Gegenstands, wobei der durch die Kognition

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entweder wahrgenommene, gedachte oder vorgestellte Gegenstand der Ausgangspunkt der Strebung ist. Insgesamt ergeben sich in An. III 9–11 drei Etappen der akteursinternen Bewegungsgenese (der Pfeil → zeigt die Verursachungsbeziehung im Sinne der effizienten Prozessiniti­ ierung an): (i) durch Denken/Wahrnehmung erkannter Gegenstand → (ii) Strebung (rational oder nicht-rational) → (iii) Überlegung/ Vorstellung im Dienste der Realisierung des Strebezwecks

Dies sind die Etappen der Bewegungsgenese, wie sie De anima als im Lebewesen ablaufenden Vorgang schildert. Dabei versteht sich, dass (iii), die Überlegung, nur bei vernunftbegabten Lebewesen vorkommt und auch dort keine notwendige Bedingung der Selbstbewegung darstellt. Nun handelt es sich beim Ortswechsel des Lebewesens aber auch um eine Bewegung bzw. einen Prozess (kinêsis). Als solcher ist seine Verursachung für Aristoteles in derselben Weise zu analysieren wie alle anderen Prozesse. Dies geschieht im folgenden Absatz, in dem Aristoteles seine allgemeine Bewegungslehre aus Physik VIII auf die animalische Selbstbewegung anwendet:102 Da es aber dreierlei [Faktoren in der Bewegung] gibt – zum einen das Bewegende (1) zweitens das, womit es bewegt (2), ferner drittens das Bewegte (3) – und (da) das Bewegende doppelt vorkommt, – teils beim Unbewegten, teils beim Bewegenden und Bewegten – (deswegen) ist das Unbewegte das Gute als Gegenstand der Handlung (1’) und das Bewegende und Bewegte das, was fähig ist zu streben (2’) – denn das Bewegte bewegt sich, insofern es strebt, und die wirkliche Strebung ist eine Art von Bewegung – und das Bewegte (ist) das Lebewesen (3’). (An. III 10, 433b13–18)

102 Phys.

VIII 5, 256b14 ff.; 258a5 ff. Siehe oben, S. CLII ff.



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Aristoteles’ allgemeiner Bewegungslehre zufolge ist jede Bewegungsverursachung strukturell als dreigliedriges Bewegungssystem anzusehen, welches aus einem bewegenden (prozessinitiierenden) Faktor (unbewegter Beweger), einem die Bewegung vermittelnden »Werkzeug« der Bewegung (bewegter Beweger) sowie einem lediglich passiv bewegten Faktor besteht (Bewegtes). Angewendet auf die animalische Selbstbewegung nimmt die Kognition des Strebegegenstandes (»das Gute als Gegenstand der Handlung«) die Stelle des unbewegten Bewegers, die Strebung die Stelle des bewegten Bewegers und das Lebewesen die Stelle des Bewegten ein.103 Damit ist Aristoteles am Ziel seiner Untersuchung des für die Selbstbewegung der Lebewesen zuständigen seelischen Prinzips in De anima. Animalische Selbstbewegung ist ein Prozess, für dessen Erklärung kein eigenständiger Seelenteil angenommen werden muss – das dreigliedrige Schema erwähnt keinen »ortsbewegenden Teil« der Seele. Es handelt sich um einen Prozess, an dessen Beginn die vorher in De anima definierten kognitiven Vermögen stehen. Kognition kann unter geeigneten Bedingungen zu einer Strebebewegung führen, die dann wiederum zur Bewegung des Lebewesens führen kann. An der Verursachung dieses phasierten Prozesses ist daher die »die Seele als ganze« (III 9, 432a20) beteiligt, so wie sie vorher in De anima definiert worden ist. Soweit die Selbstbewegung in De anima diskutiert wird, erfahren wir Genaueres aber nur für die Phasen (1) und (2), also nur soweit die Initiierung des Prozesses betroffen ist. Was fehlt, ist eine über das abstrakte Bewegungsschema hinausgehende Analyse von (2) und (3). Genau darauf macht Aristoteles in dem direkt anschließenden Satz aufmerksam: 103  Dies ist, wohlgemerkt, nur die abstrakte Struktur der Verursachung der Selbstbewegung. Nichts hindert, dass es mehrere »bewegte Beweger«, also vermittelnde Schritte zwischen der Kognition des Strebegegenstandes (»das Gute als Gegenstand der Handlung«) als unbewegtem Beweger und dem bewegten Lebewesen gibt.

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Und das Werkzeug, mit dem die Strebung bewegt, dies ist vollends körperlich und deswegen im Rahmen der für Körper und Seele gemeinsamen Leistungen zu betrachten. Um es für jetzt aber der Hauptsache nach zu sagen: Das werkzeughaft Bewegende findet sich dort, wo Ausgangspunkt und Ende dasselbe sind, wie beim Knochengelenk. Denn dort sind das Konvexe und Konkave einmal Ende und einmal Ausgangspunkt – deswegen ruht das eine und das andere bewegt sich –, da sie dem Begriff nach verschieden, jedoch der Größe nach untrennbar sind. Es bewegt sich nämlich alles durch Stoß und Zug, weswegen – so wie beim Rad – etwas feststehen und von dort aus die Bewegung in Gang setzen muss. (An. III 10, 433b19–27)

Mit der Untersuchung der für Körper und Seele gemeinsamen Leistungen, in der die Art und Weise, in der die Strebung den Körper in Bewegung setzt (also 2 und 3), behandelt werden soll, bezieht sich Aristoteles auf De motu animalium. Mit dem Verweis auf das Werkzeug, mit dem die Strebung in Bewegung setzt, spielt er vermutlich auf das »von Natur angeborene Pneuma (symphyton pneuma)« an. Dabei handelt es sich um einen für die Bewegungsgenese besonders wichtigen Körperteil, weil er die Eigenschaft hat, die thermischen Veränderungen der Strebung in mechanische Bewegungen umwandeln zu können. Die weiteren Bemerkungen (die Funktionsweise der Gelenke, die Notwendigkeit eines internen Stützpunkts im selbstbewegten Lebewesen) sprechen beherrschende Themen von Mot. An. direkt an. Aristoteles schließt den Abschnitt mit einer erneuten Zusammenfassung des bisherigen Er­gebnisses: Überhaupt also ist das Lebewesen, wie gesagt, eben insofern es zur Strebung fähig ist, auch fähig, sich selbst zu bewegen; »zur Strebung fähig« aber nicht ohne Vorstellung. Und alle Vorstellung ist entweder rational oder wahrnehmungsmäßig. An Letzterer haben nun auch die übrigen Lebewesen teil. (An. III 10, 433b27–30)



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Das Lebewesen, wie hier nochmals betont wird, ist dadurch fähig, sich selbst zu bewegen, dass es zum Streben fähig ist, d. h. fähig ist, mit zweckgerichteten körperlichen Reaktionen (thermische Veränderungen) auf die Gehalte seiner Kognition zu reagieren. Auslöser der Strebung ist stets eine Kognition eines Strebegegenstandes. Aristoteles sagt zwar »Vorstellung«, aber die vorherige Diskussion in An. III 7 und 10 lässt keinen Zweifel, dass Wahrnehmung, Vorstellung und Denken an der Bewegungsgenese beteiligt sind und dass es für das Zustandekommen von Strebungen nicht notwendigerweise einer Vorstellung im technischen Sinne bedarf. Ferner macht Mot. An. sehr deutlich, dass es animalische Selbstbewegung auch ganz ohne Vorstellung im technischen Sinne von An. III 3 geben kann (vgl. 7, 701a 4 f.; 701a29; a32 f.; a36; 8, 702a19). Er bezieht sich hier mit dem Ausdruck phantasia daher aller Wahr­ scheinlichkeit nach nicht auf die Vorstellung im Gegensatz zu Wahrnehmung und Denken, sondern in einem vortermino­ logischen Sinn auf jedwede subjektive Präsenz von kognitiven Gehalten (vgl. 9, 432a16 f.). Halten wir fest: De anima III 9–11 beantwortet die Frage nach dem bewegenden Vermögen der Seele in einer Weise, welche mit der Rede eines für die Ortsbewegung der Lebewesen zuständigen »Teils« der Seele nicht zusammenpasst. Der Abschnitt entwickelt stattdessen ein kausales Modell der Bewegungsgenese als eines phasierten Prozesses (kinêsis). Er beginnt mit der Tätigkeit einer der beiden kognitiven Grundvermögen der Lebewesen, d. h. mit der Kognition eines wahrgenommenen oder gedachten Gegenstands, die dann zu einer Strebung führt. Dies kann dann bei vernunftbegabten Lebewesen zur Auslösung eines Überlegungs- bzw. Deliberationsprozesses im Dienste der Realisierung des durch den Strebegehalt gegebenen Bewegungsziels führen, muss dies aber nicht. Bei arationalen Tieren gibt es demgegenüber nur wahrnehmungsmäßige Vorstellung. Es ergeben sich folgende drei Etappen der Bewegungsgenese im Lebewesen:

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(i) durch Denken/Wahrnehmung erkannter, erstrebter Gegenstand → (ii) Strebung (rational oder nicht-rational) → (iii) Deliberation/Vorstellung im Dienste der Realisierung des Strebezwecks

Soweit die Analyse der Verursachung der akteursinternen Genese in An. III 9–10.104 Die Analyse erfasst die Etappen (1) und (2) des obigen Bewegungsschemas. Für die Behandlung von (2) und (3), d. h. der Weise, in der die Strebung als bewegter Beweger zur Bewegung des Lebewesens führt, verweist De anima auf die Spezialabhandlung De motu animalium. An. III 9–11 gibt uns weder die physiologischen noch die mechanischen Details der Verursachung der Ortsbewegung. Es sind aber gerade die physiologischen und mechanischen Details, die der Theorie ihren spezifischen Charakter verleihen. Erst wenn wir die Einzelheiten der Kausalgeschichte kennen, so wie sie Mot. An. auseinandersetzt, können wir die Frage, wie die Seele den Körper in Bewegung setzt, wirklich beantworten.

104  Für eine Diskussion der Schwierigkeiten in An. III 11 siehe Corcilius 2008a, 271–284.



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Inhalt De motu animalium

Kapitel   Einleitung und Fragestellung der Schrift: Die Untersuchung der gemeinsamen Bewegungsursache aller animalischen Selbstbewegungen. Stützpunkttheorem (i): Die Selbstbewegung der Lebewesen erfordert einen internen ruhenden Stützpunkt. Deswegen haben die Lebewesen ihre Gelenke. Erklärung der Funktionsweise der Gelenke. Kapitel   Stützpunkttheorem (ii): Neben dem internen ist auch ein externer ruhender Stützpunkt erforderlich, auf den sich die Lebewesen bei ihren Selbstbewegungen als Ganze abstützen. Dieser externe Stützpunkt darf nicht Teil des Lebewesens sein. Kapitel   Exkurs: Auch für die Bewegung des Alls ist ein externer ruhender Stützpunkt erforderlich. Die von gewissen Theoretikern vorgeschlagenen Pole der Himmelskugel eignen sich nicht als Beweger des Alls. Die Interpretation des Atlas-Mythos, die Atlas als eine Art Achse auffasst, die von der Erde bis zum Himmelsrand reicht und von dort aus das All in Bewegung setzt, führt zu unplausiblen Resultaten. Kapitel   Exkurs (Forts.): Theorien, bei denen das All von ei­ nem seiner Teile in Bewegung gesetzt wird, können die Notwendigkeit, mit der die Ordnung des Himmelsgefüges besteht, nicht erklären. Der Beweger des Alls muss daher außerhalb des Alls liegen und gänzlich unbewegt sein. Bei den Lebewesen muss jedoch beides vorliegen, ein externer und ein interner Stützpunkt. Die Bewegung unbeseelter Gegenstände erfordert demgegenüber nicht beide Stützpunkte, da die Bewegungen alles Unbeseelten letztlich von beseelten Gegenständen abhängen. Kapitel   Qualitative und quantitative Veränderung erfordert keinen internen ruhenden Stützpunkt im Lebewesen, da sie von der Ortsbewegung des Lebewesens abhängt. Veränderungen, die im Zuge ontogenetischer Entwicklung in noch nicht zur Ortsbe-

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wegung fähigen Lebewesen stattfinden, haben ihren Ursprung in anderen Individuen, die bereits zur Ortsbewegung fähig sind. Kapitel   Rückkehr zur anfänglichen Fragestellung: Wie bewegt die Seele den Körper? Die Bewegungen der Lebewesen sind durch ihre Zwecke prinzipiell begrenzt. Denken und Strebung sind Beweger des Lebewesens, so dass das erste Bewegende der Gegenstand des Denkens und der Strebung ist. Vergleich: Anders als die Zwecke der animalischen Selbstbewegung richtet sich die Bewegung der äußersten Himmelssphäre auf das ewig Schöne, das wahrhaft und in primärer Weise gut ist, als Zweck aus und ist daher nicht begrenzt. Anschluss an das Resultat der Behandlung der animalischen Selbstbewegung in De anima III 10: Anwendung des abstrakten Dreierschemas der Bewegungsverursachung aus Physik VIII: Unbewegter Beweger ist der Gegenstand des Denkens und der Strebung, bewegter Beweger ist die Strebung, das Bewegte ist das Lebewesen. Die Bewegung des Lebewesens erfolgt durch Strebung bzw. Entschluss, infolge einer durch Kognition bedingten qualitativen Veränderung. Kapitel   Zwei Vergleiche: 1. Der Vorgang der Auslösung der animalischen Selbstbewegung durch ihre unmittelbaren Ursachen ähnelt dem Ziehen einer Konklusion aus ihren Prämissen: Die Bewegung ähnelt der Konklusion, Strebung und Kognition eines erstrebten Gegenstands ähneln den Prämissen (»praktischer Syllogismus«). 2. Die sich daran anschließende Serie physiologischer Prozesse im Lebewesen ähnelt im Hinblick auf die Schnelligkeit und Reibungslosigkeit ihres Ablaufs der Funktionsweise von Figuren in Automatentheatern; im Hinblick auf die von ihr erbrachte Transformationsleistung ähnelt sie dagegen gewissen Spielzeugwagen, die aufgrund ihrer verschieden großen Räder in der Lage sind, gerade Bewegungen in Kreisbewegungen umzusetzen: Sehnen und Knochen entsprechen den Schnüren und hölzernen Teilen der Figuren in Automatentheatern, andere Körperteile entsprechen den verschieden großen Rädern der Spielzeugwagen. Disanalogie: Im Lebewesen können die Körperteile im Gegensatz zu den Rädern des Spielzeugwagens ihre Qualität, Größe und Gestalt ändern. Beschreibung des automatischen Ab-



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laufs der Bewegungsgenese im Lebewesen (i): Wie die Kognition eines erstrebten Gegenstands durch eine geringfügige qualitative Veränderung eine akteursinterne Prozesskette in Gang setzen kann, die in der Bewegung des gesamten Lebewesens resultiert. Kapitel   Akteursinterne Prozesskette der animalischen Selbstbewegung (ii): Ausgangspunkt der Bewegungsgenese ist die Kognition eines erstrebten Gegenstands. Die mit der Kognition vorliegende qualitative Veränderung im Lebewesen verursacht thermische Veränderungen (bei geringfügigen Gegenständen in unmerklicher Weise). Diese führen ihrerseits zu Veränderungen in den Zuständen der für die Selbstbewegung zuständigen inneren Körperteile. Da die Glieder der akteursinternen Prozesskette von Natur aufeinander ausgerichtet sind, geht der Prozess unmerklich (automatisch) und schnell vonstatten. Lokalisierung des mechanischen Ausgangspunkts der animalischen Selbstbewegung (i): Das, was das Lebewesen zuerst bewegt, befindet sich notwendig in einem Ausgangspunkt. Dies muss (aufgrund des Stützpunkttheorems) ein Punkt sein, der nicht seinerseits Endpunkt eines anderen Körperteils ist. Kapitel   Lokalisierung des mechanischen Ausgangspunkts der animalischen Selbstbewegung (Forts.): Der Ausgangspunkt der animalischen Selbstbewegung liegt in der Mitte des Körpers im Herzen, ist (wiederum aufgrund des Stützpunkttheorems) jedoch vom Herzen verschieden. Es ist die im Herzen lokalisierte, aber räumlich nicht ausgedehnte Seele. Kapitel   Mechanik der animalischen Selbstbewegung: Das von Natur anhaftende Pneuma ist der Körperteil, mit dem die (stationären) physiologischen Prozesse im Lebewesen in mechanische Kraft umgesetzt werden. Pneuma ist aufgrund seiner Eigenschaft, qualitative Veränderungen in Veränderungen des Volumens umzusetzen, von Natur geeignet, (mechanisch) als bewegter Beweger der animalischen Selbstbewegung zu fungieren. Vergleich des organischen Zusammenhangs des Lebewesens mit einer Stadt mit guten Gesetzen: Die Körperteile bedürfen nicht der Aufsicht durch eine ihnen je eigene Seele; sie vollführen die

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ihnen je eigenen Aufgaben vielmehr dadurch, dass sie von Natur an den zentralen Körperteil angewachsen sind, in dem der seelische Ausgangspunkt lokalisiert ist. Kapitel   Unwillkürliche und nicht-willentliche Bewegungen: Unwillkürliche und nicht-willentliche Bewegungen sind Bewegungen von Teilen des Lebewesens, nicht aber vom Lebewesen als Ganzem. Nicht-willentliche Bewegungen involvieren weder Kognition noch Strebung; unwillkürliche Bewegungen involvieren Kognition, nicht aber Strebung. Ursache unwillkürlicher Bewegungen sind Kognitionen, die im Lebewesen auf körperliche Bedingungen treffen, die von alleine und ohne Strebung zu bewegungsanalogen Reaktionen in den besagten Körperteilen führen. Schematische Darstellung des Lebewesens als kinematisches System: Wie Bewegungen vom seelischen Ausgangspunkt zu den Teilen, von den Teilen zum Ausgangspunkt und von den Teilen gegenseitig zueinander gelangen. Willentliche Bewegungen haben ihren Ursprung im seelischen Ausgangspunkt, unwillkürliche Bewegungen gehen dagegen zwar durch das Prinzip hindurch, haben ihren Ursprung jedoch in den Teilen des Lebewesens.

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SIGLEN Überlieferungst räger Datierung Sigla Rekonstruierte Vorstufen Die Überlieferungsträger und ihre rekonstruierten V ­ orstufen Alexander, De anim. 200 n. Chr. Al. Par. gr. 1853 (1. Hd.) M. 10. Jh. E . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  Wilhelm nach Γ ca. 1260 – . . W.s gr. Erstvorlage Γ  Vat. gr. 258 ca. 1300 N . . . . . . . . . . . . . . . . .   Ambr. H 50 sup. 12. Jh. X . . . . . . . . . . . . . .   θ   δ  Marc. gr. 214 1290–1300 H a . . . . . . . . . . . .   λ   α    Vat. gr. 253 ca. 1300 L . . . . . . . . . .   ν ο  g Vat. gr. 1950 A. 14. Jh. V . . . . . . . . .     ζ  Tr. Anon. (bei Albert) vor 1257 Anon.  Vorlage A   Laur. Plut. 87.21 um 1300 Z a . . .  der Anon.    γ  Berol. Phill. 1507(I) ca. 1455 Bp . . . . . . . . . . . .    ι  ξ  Mosqu. Sinod. 240 M. 15. Jh. Mo . . . . . . . . . . .   μ Vat. gr. 1339 2. H. 14. Jh. P . . . . . . . . . . . . . . .   Michael v. Ephesos nach 1118 Mich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  ω Laur. Plut. 87.4 1135–1140 C a . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  ε (»Kontamination«)    Marc. gr. 209 A. 14. Jh. O d . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   Laur. Plut. 81.1 1280–1320 S . . . . . . . . . . . . . . . . . .   η  κ  Vat. Pal. gr. 97 14. Jh. Vp . . . . . . . . . . . . . . . . .   Wilhelm nach Γ ca. 1260 – . . . . . W.s gr. Korrekturvorlage Γ  Par. gr. 1859 A. 14. Jh. b . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  β Erlang. UB A 4 1440–1453 E r . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   e Berol. Phill. 1507(II) 1440–1453 B . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 





        



      

   

 

            



Die drei Entwicklungsstufen der lateinischen Übersetzung ­­ Wilhelms von Moerbeke nach De Leemans 2011a Die wichtigsten Handschriftengruppen

Entwicklung v. Wilhelms Ms.

x   x G W.s urspr. Übers. x   ↓ y GR’ W.s 1. Revision P  (»De historiis animalium«)  P (Vorlage  ↓ P (»De motibus animalium,  der Pariser   et aliorum parvorum«)  Exemplaria)  GR’’ W.s 2. Revision z    z   z  z   (G Gemeinsame Lesungen aller 3 Stufen) 



ARISTOTELES

De motu animalium

2

1 · 698 a 1 – 698 a 16

{ Ἀριστοτέλους „Περὶ ζώιων κινήσεως …“ } 1 698a

Περὶ δὲ τῆς τῶν ζώιων κινήσεως, ὅσα μὲν αὐτῶν περὶ | 2  | ἕκαστον ὑπάρχει γένος – καὶ τίνες διαφοραὶ καὶ τίνες αἰτίαι | 3  | τῶν καθ’ ἕκαστον συμβεβηκότων αὐτοῖς –, ἐπέ­ σκεπται περὶ | 4  | ἁπάντων ἐν ἑτέροις. ὅλως δὲ περὶ τῆς κοινῆς αἰτίας τοῦ κι | 5  | νεῖσθαι κίνησιν ὁποιανοῦν – τὰ μὲν γὰρ πτήσει κινεῖται τὰ | 6  | δὲ νεύσει τὰ δὲ πορείαι τῶν ζώιων τὰ δὲ κατ’ ἄλλους τρό |  7  | πους τοιούτους – ἐπισκεπτέον νῦν. ὅτι μὲν οὖν ἀρχὴ τῶν ἄλλων | 8  | κινήσεων τὸ αὐτὸ αὑτὸ κινοῦν, τούτου δὲ τὸ ἀκίνητον, καὶ ὅτι | 9  | τὸ πρῶτον κινοῦν ἀναγκαῖον ἀκίνητον εἶναι, διώρισται πρότε |10  | ρον, ὅτεπερ καὶ περὶ κινήσεως ἀϊδίου, πότερόν ἐστιν ἢ οὐκ ἔστιν, |11 | καὶ εἰ ἔστιν, τίς ἐστιν. δεῖ δὲ τοῦτο μὴ μόνον τῶι λόγωι κα­|12 | θόλου λαβεῖν, ἀλλὰ καὶ ἐπὶ τῶν καθ’ ἕκαστα καὶ τῶν αἰ |13  | σθητῶν, δι’ ἅπερ καὶ τοὺς καθόλου ζητοῦμεν λόγους καὶ ἐφ’ |14  | ὧν ἐφαρμόττειν οἰόμεθα δεῖν αὐτούς. φανερὸν γὰρ καὶ ἐπὶ |15  | τούτων, ὅτι ἀδύνατον κινεῖσθαι μηδενὸς ἠρεμοῦντος, πρῶτον |16  | μὲν ἐν αὐτοῖς τοῖς ζώιοις·  













Tituli quem delevi formae duae traduntur.  I (ζώιων ante κινή­ σεως): ἀριστοτέλους περὶ ζώιων κινήσεως ω : περὶ ζώιων κινή­ σεως Appendix Hesychiana, Alexander, Simpl. – II (κινήσεως ·   ante ζώιων): qīnīsaʾūs .  t īn zūʾūn Ptolem. al-Garīb : περὶ (τῆς) κινήσεως ζώιων Simpl., Philop., Ps.-Simpl. In an. 698a 4 ἐν ἑτέροις: cf. imprimis Inc. An., necnon Hist. An. Β 1, 498a3– b10; Δ 1–7; Part. An. Δ 6–14  9–10 διώρισται πρότερον: Phys. Θ 5  10 ὅτεπερ: Phys. Θ 1–2; Θ 8 1 τῆς τῶν ζώιων κινήσεως β : κινήσεως τῆς τῶν ζώιων α  1–2 αὐ­τῶν περὶ ἕκαστον β E : περὶ ἕκαστον αὐτῶν γ  7 οὖν α : om. β 8 αὐτὸ αὑτὸ β E : αὐτὸ ἑαυτὸ γ  11 τίς βγ : τί E  16 μὲν βγ : μὲν οὖν E a



1 · 698 a 1 – 698 a 16

3

{ Aristoteles: »In Bezug auf die Bewegung von Lebe­wesen …« } 1

In Bezug auf die Bewegung der Lebe­wesen haben wir alles, was sich bei jeder einzelnen Gattung von ihnen vorfindet, nämlich sowohl welche Unterschiede als auch welche Ursachen es für ihre jeweiligen Eigenschaften gibt, an anderer Stelle vollständig behandelt. |  4  | Jetzt aber soll insgesamt untersucht werden, welches die gemeinsame Ursache für jedwede Art ihres Sich-Bewegens ist; |  5  | denn teils bewegen sich die Lebe­wesen durch Fliegen, teils durch Schwimmen, teils durch Gehen und teils auf andere derartige Weisen. |  7  | Dass nun das sich selbst Bewegende Ursprung der übrigen Bewegungen ist, dessen Ursprung aber das Unbewegte, und dass das erste Bewegende notwendig unbewegt ist, haben wir früher diskutiert, als wir auch über die ewige Bewegung diskutiert haben, ob es sie gibt oder nicht, und wenn es sie gibt, welche es ist. |11 | Man soll dies aber nicht nur allgemein dem Begriff nach erfassen, sondern auch beim Einzelnen, d. h. den wahrnehmbaren Dingen; ihretwegen suchen wir ja nach den allgemeinen Begriffen, und auf sie müssen sich diese nach unserer Überzeugung anwenden lassen. |14  | Denn auch bei diesen ist klar, dass sie sich unmöglich bewegen können, wenn es nichts gibt, was sich im Ruhezustand befindet, und zwar zunächst in den Lebe­wesen selbst.

698a

4

1 · 698 a 16 – 698 b 7

ἀεὶ γάρ, ἂν κινῆταί τι τῶν μο |17  | ρίων, ἠρεμεῖ τι· καὶ διὰ τοῦτο αἱ καμπαὶ τοῖς ζώιοις εἰσίν. |18  | ὥσπερ γὰρ κέντρωι χρῶνται ταῖς καμπαῖς καὶ γίγνεται τὸ |19  | ὅλον μέρος, ἐν ὧι ἡ καμπή, καὶ ἓν καὶ δύο καὶ εὐθὺ καὶ | 20  | κεκαμμένον, μεταβάλλον δυνάμει καὶ ἐνεργείαι διὰ τὴν | 21 | καμπήν. καμπτομένου δὲ καὶ κινουμένου τὸ μὲν κινεῖται ση | 22  | μεῖον τὸ δὲ μένει τῶν ἐν ταῖς καμπαῖς, ὥσπερ ἂν εἰ τῆς | 23  | διαμέτρου ἡ μὲν Α καὶ ἡ Δ μένοι, ἡ δὲ Β κινοῖτο, καὶ | 24  | γίνοιτο ἡ ΑΓ. ἀλλ’ ἐνταῦθα μὲν δοκεῖ πάντα τρόπον ἀδιαίρε | 25  | τον εἶναι τὸ κέν­ τρον, καὶ γὰρ τὸ κινεῖσθαι, ὥς φασι, πλάτ | 26  | τουσιν ἐπ’ αὐτῶν, οὐ γὰρ κινεῖσθαι τῶν μαθηματικῶν οὐθέν, | 27  | τὰ δ’ ἐν ταῖς καμπαῖς δυνάμει καὶ ἐνεργείαι γίγνεται ὁτὲ | 1  | μὲν ἕν, ὁτὲ δὲ δι­ αιρεῖται. ἀλλ’ οὖν ἀεὶ ἡ ἀρχή γε ἡ πρὸς ὅ, ἧι ἀρχή, ἠρε | 2  | μεῖ κινουμένου τοῦ μορίου τοῦ κάτω­θεν, οἷον τοῦ μὲν βρα­ χίονος | 3  | κινουμένου τὸ ὀλέ­κ ρανον, ὅλου δὲ τοῦ κώλου ὁ ὦμος, καὶ τῆς | 4  | μὲν κνήμης τὸ γόνυ, ὅλου δὲ τοῦ σκέλους τὸ ἰσχίον. ὅτι μὲν | 5  | οὖν καὶ ἐν αὑτῶι ἕκαστον δεῖ τι ἔχειν ἠρεμοῦν, ὅθεν ἡ ἀρχὴ | 6  | τοῦ κινουμένου ἐστίν, καὶ πρὸς ὃ ἀπερειδόμενον καὶ ὅλον ἀθρόον | 7  | κινη­θ ήσεται καὶ κατὰ μέρος, φανερόν.  















698b













698a16–17 ἀεὶ … ἠρεμεῖ β : δεῖ … ἠρεμεῖν α  22–24 diagramma servavit α, de β non constat  23 καὶ ἡ Δ β : καὶ Δ  α  24 ἡ ΑΓ E², cf. Mich.p 105,5 ἡ ΑΓ κίνησις : ἡ Α καὶ Γ ω  698b1 διαιρεῖται

β : διαιρετά α | γε β : om. α | πρὸς ὅ E : πρόσω β : πρώτη γ 3 ὀλέκρανον β E C a N : ὠλέκρανον cett.  5 δεῖ τι β : τι δεῖ α 6 ἐστίν β E : ἔσται γ



5

1 · 698 a 16 – 698 b 7

Denn stets, wenn einer ihrer Teile bewegt wird, ist ein anderer im Ruhezustand, und aus diesem Grund haben die Lebe­wesen ihre Gelenke. |18  | Sie gebrauchen ihre Gelenke nämlich wie einen Kreismittelpunkt, und der ganze Teil, in dem sich das Gelenk befindet, wird sowohl zu einem als auch zu zweien, d. h. gerade und gebeugt, indem er mittels des Gelenks der Möglichkeit und der Wirklichkeit nach ins jeweilige Gegenteil übergeht. |  21 | Beim Beugen und Sich-­ Bewegen aber wird der eine Punkt im Gelenk bewegt und der andere bleibt unbewegt, wie wenn von einem Kreisdurchmesser zwar die geometrischen Punkte A und D unbewegt blieben, B hingegen bewegt würde und die Strecke AC entstünde. |  24  | In diesem Fall scheint jedoch der Kreismittelpunkt in jeder Hinsicht unteilbar zu sein – denn auch die Bewegung führen sie hier als Fiktion ein, wie sie es nennen, da sich gar nichts Mathematisches bewege –, |  27  | wohingegen die Punkte in den Gelenken der Möglichkeit und der Wirklichkeit nach einmal zu einem werden und ein andermal sich teilen. |1  | Doch jedenfalls der relative Ur- 698b sprung bleibt, insofern er Ursprung ist, stets unbewegt, wenn der unter ihm befindliche Teil bewegt wird: | 2  | Wenn z. B. der Unterarm bewegt wird, bleibt der Ellbogen unbewegt, wenn hingegen der Arm als ganzer bewegt wird, die Schulter, und wenn der Unterschenkel bewegt wird, das Knie, wenn hingegen das Bein als Ganzes bewegt wird, die Hüfte. | 4  | Dass also jedes Lebe­wesen auch in sich selbst etwas Ruhendes haben muss, das der Ursprung des bewegten Teils ist und auf das gestützt es sich sowohl als Ganzes auf einmal als auch in seinen Teilen bewegen kann, ist klar. |16  |







6

2 · 698 b 8 – 698 b 26

2

Ἀλλὰ πᾶσα ἡ ἐν αὐτοῖς ἠρεμία ὅμως ἄκυρος, ἂν μή | 9  | τι ἔξω ἦι ἁπλῶς ἠρεμοῦν καὶ ἀκίνητον. ἄξιον δὲ ἐπιστή- |10  |  σαντας ἐπισκέψασθαι περὶ τοῦ λεχθέντος· ἔχει γὰρ τὴν |11 | θεωρίαν οὐ μόνον ὅσον ἐπὶ τὰ ζῶια συντείνουσαν, ἀλλὰ καὶ |12  | πρὸς τὴν τοῦ παντὸς κίνησιν καὶ φοράν. ὥσπερ γὰρ καὶ ἐν |13  | αὐτῶι δεῖ τι ἀκίνητον εἶναι, εἰ μέλλει κινεῖσθαι, οὕτως ἔτι |14  | μᾶλλον ἔξω δεῖ τι εἶναι τοῦ ζώιου ἀκίνητον, πρὸς ὃ ἀπερει |15  | δόμενον κινεῖται τὸ κινούμενον. εἰ γὰρ ὑποδώσει ἀεὶ οἷον τοῖς |16  | μυσὶ τοῖς ἐν τῆι πίττηι ἢ τοῖς ἐν τῆι ἄμμωι πορευομένοις, οὐ |17  | πρόεισιν· οὐδὲ ἔσται οὔτε πορεία, εἰ μὴ ἡ γῆ μένοι, οὔτε πτῆ |18  | σις ἢ νεῦσις, εἰ μὴ ὁ ἀὴρ ἢ ἡ θάλαττα ἀντερείδοι. ἀνάγκη |19  | δὲ τοῦτο ἕτερον εἶναι τοῦ κινουμένου, καὶ ὅλον ὅλου, καὶ μόριον | 20  | μηθὲν εἶναι τοῦ κινουμένου τὸ οὕτως ἀκίνητον· εἰ δὲ μή, οὐ κι | 21 | νηθήσεται. μαρτύριον δὲ τούτου τὸ ἀπορούμενον, διὰ τί ποτε | 22  | τὸ πλοῖον ἔξωθεν μὲν ἄν τις ὠθῆι τῶι κοντῶι τὸν ἱστὸν ἤ τι | 23  | ἄλλο προσβάλλων μόριον κινεῖ ῥαιδίως, ἐὰν δ’ ἐπ’ αὐτῶι τις | 24  | ὢν τῶι πλοίωι τοῦτο πειρᾶται πράττειν, οὐκ ἂν κινήσειεν οὐδ’ | 25  | ὁ Τιτυός, οὐδ’ ὁ Βορέας πνέων ἔσωθεν ἐκ τοῦ πλοίου, εἰ τύ | 26  | χοι πλέων τὸν τρόπον τοῦτον ὅνπερ οἱ γραφεῖς ποιοῦσιν· |  8  |

















698b15–16 τοῖς μυσὶ τοῖς ἐν τῆι πίττηι: cf. [Demosth.] (i. e. Apollod.

Pasionis f.) 50, 26; Theocr. 14, 51; Hero(n)das 2, 62–63; Zenobius restitutus e cod. Par. Suppl. 676 (S), Cohn 1887, 69 (= Lucillus Tarrhaeus fr. IV Linnenkugel); Sueton. Π. βλασφ. VIII 222 Taillardat; Liban. ep. 192, 6 (X 177.9 Foerster); Nicetas Eugenian. Drosilla et Charicles IV, 410 (p. 120 Conca) 8 ἡ ἐν α : μὲν β | αὐτοῖς β : αὐτῶι α  9 ἔξω β E : ἔξωθεν γ  14 τι β : om. α  16 μυσὶ τοῖς α : μυσὶν β | τῆι πίττηι β, Ε ante rasuram : τῆ γῆ γE²  17 ἔσται α : ἔστιν β  23 ἐπ’ αὐτῶι β : ἐν αὐτῶι α  ­ 4–25 οὐδ’ … οὐδ’ β : οὔτ’ ἂν … οὔθ’ α  26 πλέων β : πνέων α 2 b

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2 · 698 b 8 – 698 b 26



2 |  8  | Aber

gleichwohl bleibt der Ruhezustand in ihnen vollständig unwirksam, wenn es nicht außerhalb etwas gibt, das absolut in Ruhe und unbewegt ist. | 9  | Doch lohnt es sich, auf das Gesagte unsere Aufmerksamkeit zu richten und es zu untersuchen, weil es ein Theorem in sich birgt, dessen Geltungsbereich sich nicht nur auf die Lebe­wesen erstreckt, sondern sogar bis zur Bewegung und zum Umlauf des Alls. |12  | Denn genau wie auch innerhalb von ihm etwas unbewegt sein muss, wenn es sich bewegen soll, so muss in noch höherem Maße außerhalb des Lebe­wesens etwas unbewegt sein, auf welches gestützt das, was in Bewegung ist, sich bewegt. |15  |  Denn wenn der Stützpunkt jedesmal nachgibt, wie bei den sprichwörtlichen Mäusen in der Pechfalle oder bei den Leuten, die im Sand zu wandern versuchen, dann wird man nicht vorankommen; |17  | und weder Gehen wäre möglich, wenn die Erde nicht feststünde, noch auch Fliegen oder Schwimmen, wenn die Luft oder die See keinen Widerstand böten. |18  | Und es ist notwendig, dass dieser Stützpunkt von dem, was in Bewegung ist, verschieden ist, und zwar als Ganzes von dem Ganzen, und dass der auf diese Weise unbewegte Stützpunkt kein Teil dessen ist, was in Bewegung ist. | 20  | Andernfalls wird es nicht bewegt werden. | 21  | Folgende Schwierigkeit bestätigt dies: Warum nur setzt man das Schiff von außen stets mit Leichtigkeit in Bewegung, wenn man es anschiebt, indem man mit der Stange den Mast oder einen anderen Teil anstößt, | 23  | während dann, wenn man dies auf dem Schiff selbst zu tun versuchte, | 24  | nicht einmal der Riese Tityos es in Bewegung setzen dürfte, noch auch der Windgott Boreas, wenn er von innen vom Schiff aus pustete? | 25  | (Falls er denn tatsächlich einmal so zu segeln versuchte, wie die Maler es darstellen:  











8

2 | 3 · 698 b 26 – 699 a 20

ἐξ | 27  | αὐτοῦ γὰρ τὸ πνεῦμα ἀφιέντα γράφουσιν. ἐάν τε γὰρ ἠρέμα | 1 | ῥιπτῆι τὸ πνεῦμά τις ἐάν τ’ ἰσχυρῶς οὕτως ὥστε ἄνεμον ποιεῖν | 2  | τὸν μέγιστον, ἐάν τε ἄλλο τι ἦι τὸ ῥι­ πτούμενον ἢ ὠθούμενον, | 3  | ἀνάγκη πρῶτον μὲν πρὸς ἠρε­ μοῦν τι τῶν αὑτοῦ μορίων ἀπε | 4  | ρειδόμενον ὠθεῖν, εἶτα πάλιν τοῦτο τὸ μόριον, ἢ αὐτὸν οὗ | 5  | τυγχάνει μόριον ὄν, πρὸς τῶν ἔξωθέν τι ἀποστηριζόμενον μέ | 6  | νειν. ὁ δὲ τὸ πλοῖον ὠθῶν ἐν τῶι πλοίωι αὐτὸς ὢν καὶ ἀπο | 7  | στηριζόμενος πρὸς τὸ πλοῖον εὐλόγως οὐ κινεῖ τὸ πλοῖον διὰ | 8  | τὸ ἀναγ­ καῖον εἶναι πρὸς ὃ ἀποστηρίζεται μένειν. συμβαίνει | 9  | δ’ αὐτῶι τὸ αὐτὸ ὅ τε κινεῖ καὶ πρὸς ὃ ἀποστηρίζεται. ἔξω|10  | θεν δὲ ἕλκων καὶ ὠθῶν κινεῖ· οὐθὲν γὰρ μέρος ἡ γῆ τοῦ |11 | πλοίου.  

699a



















3

Ἀπορήσειε δ’ ἄν τις, ἆρ’ εἴ τι κινεῖ τὸν ὅλον οὐρανόν, |13  | εἶναί τέ τι δεῖ ἀκίνητον καὶ τοῦτο μηθὲν εἶναι τοῦ οὐρα­ νοῦ |14  | μηδ’ ἐν τῶι οὐρανῶι. εἴτε γὰρ αὐτὸ κινούμενον κινεῖ αὐτόν, ἀ |15  | νάγκη τινὸς ἀκινήτου θιγγάνον κινεῖν καὶ τοῦτο μηθὲν εἶναι |16  | μόριον τοῦ κινοῦντος· εἴτ’ εὐθὺς ἀκίνητόν ἐστιν τὸ κινοῦν, ὁμοίως |17  | οὐθὲν ἔσται τοῦ κινου­μ ένου μό­ριον. καὶ τοῦτό γ’ ὀρθῶς λέγουσιν |18  | οἱ λέγοντες ὅτι κύκλωι φερομένης τῆς σφαίρας οὐδ’ ὁτιοῦν |19  | μένει μό­ ριον· ἢ γὰρ ἂν ὅλην ἀναγκαῖον ἦν μένειν, ἢ δια | 20  | σπᾶσθαι τὸ συνεχὲς αὐτῆς. |12  |



699a17–24 καὶ τοῦτό γ’ ὀρθῶς … τοὺς δὲ πόλους δύο ποιοῦσιν:

cf. TrGF 1, 43 (Critias) F 3 Snell/Kannicht ubi δίδυμοι ἄρκτοι ≈ δύο πόλοι (cf. Mete. 362a23, b4, b30–32) et Ἀτλάντειος πόλος ≈ διάμετρος 4 αὐτὸν β : αὐτὸ ἢ α  10 ἕλκων καὶ ὠθῶν β : ὠθῶν ἢ ἕλκων α 1  3 τέ τι δεῖ β : τε δεῖ α (unde θέλει γ) | οὐρανοῦ β : οὐρανοῦ μόριον α  17 ἔσται coni. Thomæus (erit) : ἔσεσθαι ω a

2 | 3 · 698 b 26 – 699 a 20



9

Sie malen ihn nämlich so, dass er die Atemluft vom Schiff aus [in die Segel] bläst.) | 27  | Denn ganz gleich, ob jemand die Atemluft nur schwach ausstößt | 1  | oder so heftig, dass er den größten Wind erzeugt, oder ob das Aus- oder Weggestoßene etwas anderes ist: | 3  | Mit Notwendigkeit gilt zum einen, dass er sich beim Stoßen auf einen ruhenden von seinen Körperteilen stützen muss, und zum andern, dass der erwähnte Körperteil bzw. derjenige selbst, um dessen Körperteil es sich handelt, sich seinerseits stabil halten muss, indem er sich von etwas Externem abstemmt. | 6  | Wer dagegen versucht, das Schiff wegzustoßen, während er sich selbst auf dem Schiff befindet und sich von dem Schiff abstemmt, wird das Schiff begreiflicherweise nicht bewegen, weil das, wovon man sich abstemmt, stillstehen muss. | 8  | In diesem Fall jedoch ist für ihn das, was er bewegen will, dasselbe wie das, wovon er sich abstemmt. | 9  | Wenn er dagegen von außen zieht und stößt, bewegt er es, weil die Erde nicht Teil des Schiffes ist. |  26  |











3

Doch könnte man folgende Schwierigkeit aufwerfen: es dann, wenn etwas den ganzen Himmel bewegt, etwas Unbewegtes geben, und darf dies kein Teil des Himmels sein und sich auch nicht innerhalb des Himmels befinden? |14  | Falls das Bewegende nämlich den Himmel bewegt und dabei selber bewegt ist, ist notwendig, dass es bewegt, indem es Kontakt mit etwas Unbewegtem hat, und dass dieses Letztere nicht Teil des Bewegenden ist. |16  | Falls das Bewegende aber selbst schon unbewegt ist, wird es ebenfalls kein Teil des Bewegten sein. |17  | Und darin jedenfalls haben diejenigen recht, die behaupten, dass kein einziger Teil der im Kreis umlaufenden Himmelskugel stehen bleibt. |19  | Denn dann würde notwendig entweder die ganze Himmelskugel stehen bleiben oder ihr Zusammenhalt würde zerrissen. |12  |

|12  | Muss

699a

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3 · 699 a 20 – 699 b 5

ἀλλ’ ὅτι τοὺς πόλους οἴονταί τινα | 21 | δύναμιν ἔχειν, οὐθὲν ἔχοντας μέγεθος ἀλλ’ ὄντας ἔσχατα | 22  | καὶ στιγμάς, οὐ καλῶς. πρὸς γὰρ τῶι μηδε­μίαν οὐσίαν εἶναι | 23  | τῶν τοιού­ των μηθενὸς καὶ κινεῖσθαι τὴν μίαν κίνησιν ὑπὸ | 24  | δυοῖν ἀδύνατον· τοὺς δὲ πόλους δύο ποιοῦσιν. ὅτι μὲν οὖν ἔχει | 25  | τι καὶ πρὸς τὴν ὅλην φύσιν οὕτως ὥσπερ ἡ γῆ πρὸς τὰ ζῶια | 26  | τὰ κινούμενα δι’ αὑτῶν, ἐκ τῶν τοιούτων ἄν τις διαπορή | 27  | σειεν. οἱ δὲ μυθικῶς τὸν Ἄτλαντα ποιοῦντες ἐπὶ τῆς γῆς | 28  | ἔχοντα τοὺς πόδας δόξαιεν ἂν ἀπὸ διανοίας εἰρηκέναι τὸν | 29  | μῦθον, ὡς τοῦτον ὥσπερ διάμετρον ὄντα καὶ στρέφοντα τὸν | 30  | οὐρανὸν περὶ τοὺς πόλους· τοῦτο δ’ ἂν συμβαίνοι κατὰ λόγον | 31 | διὰ τὸ τὴν γῆν μένειν. ἀλλὰ τοῖς ταῦτα λέγουσιν ἀναγκαῖον | 32  | φάναι μηδὲν εἶναι μόριον αὐτὴν τοῦ παντός. πρὸς δὲ τούτοις | 33  | δεῖ τὴν ἰσχὺν ἰσάζειν τοῦ κινοῦντος καὶ τὴν τοῦ μένοντος. | 34  | ἔστιν γάρ τι πλῆθος ἰσχύος καὶ δυνάμεως καθ’ ἣν μένει τὸ | 35  | μένον, ὥσπερ καὶ καθ’ ἣν κι­νεῖ τὸ κινοῦν· καὶ ἔστιν τις ἀνα | 36  | λογία ἐξ ἀνάγκης, ὥσπερ τῶν ἐναντίων κινήσεων, οὕτω καὶ | 37  | τῶν ἠρεμιῶν. καὶ αἱ μὲν ἴσαι ἀπαθεῖς ὑπ’ ἀλλήλων, κρα|1      | τοῦνται δὲ κατὰ τὴν ὑπεροχήν. διόπερ εἴτε Ἄτλας εἴτε τι | 2  | τοιοῦτον ἕτερόν ἐστιν τὸ κινοῦν τῶν ἐντός, οὐ δεῖ μᾶλλον ἀντερεί | 3  | δειν τῆς μονῆς ἣν ἡ γῆ τυγχάνει μένουσα· ἢ κινη­ θήσεται | 4  | ἡ γῆ ἀπὸ τοῦ μέσου καὶ ἐκ τοῦ αὐτῆς τόπου. ὡς γὰρ τὸ ὠ | 5  | θοῦν ὠθεῖ, οὕτω τὸ ὠθούμενον ὠθεῖται, καὶ ὁμοίως κατ’ ἰσχύν.  

































699b









699a27–30 οἱ δὲ μυθικῶς τὸν Ἄτλαντα ποιοῦντες … στρέφοντα τὸν οὐρανὸν περὶ τοὺς πόλους: cf. Ennius Annales 27 (= lib. I fr. xxiii) Skutsch (unde Vergil. Aeneis IV 481–482 ≈ VI 796–797) 26 τὰ β : καὶ τὰ α  26–27 διαπορήσειεν α : ἀπορήσειεν β  28 ἂν α : om. β  30 ἂν συμβαίνοι β E : ἂν συμβαίνει γ  35 καὶ βγ : om. E  699b2 ἕτερόν ἐστιν β : ἐστιν ἕτερον α | οὐ δεῖ β : οὐδὲν α (δεῖ post ἀντερείδειν addidit E) a

11

3 · 699 a 20 – 699 b 5



Darin allerdings, dass sie glauben, die Pole hätten irgend­ eine Kraft, obwohl sie keine Ausdehnung haben, sondern Grenzen bzw. geometrische Punkte sind, darin haben sie nicht recht. | 22  | Denn abgesehen davon, dass es von solcherlei Dingen keine Substanz gibt, ist es auch unmöglich, dass die eine Bewegung der Himmelskugel von zwei Bewegern bewegt wird. | 24  | Sie nehmen aber zwei Pole an. | 24  | Demnach wird man aus den genannten Schwierigkeiten wohl folgern müssen, dass sich etwas auch zur Natur als ganzer so verhält wie die Erde zu den Lebe­wesen, die durch sich selbst in Bewegung sind. | 27  | Diejenigen hingegen, die in mythischer Weise den Atlas darstellen, wie er mit seinen Füßen auf der Erde steht, haben sich bei ihrem Mythos womöglich etwas gedacht – | 29  | nämlich dass Atlas sozusagen eine Achse sei und so den Himmel um die Pole drehe. | 30  | Und dies könnte folgerichtig aus der Tatsache abgeleitet werden, dass die Erde stets unbewegt bleibt. | 31 | Für diejenigen, die dies meinen, ist es jedoch notwendig zu behaupten, dass die Erde kein Teil des Alls ist. | 32  | Außerdem muss die Stärke des Bewegenden der Stärke des unbewegt Bleibenden gleich sein. | 34  | Es gibt nämlich ein gewisses Quantum an Stärke und Kraft, der entsprechend das Ruhende ruht, so wie es auch eine Kraft gibt, der entsprechend das Bewegende bewegt. | 35  | Und so wie es bei den entgegengesetzten Bewegungen aus Notwendigkeit eine gewisse Proportion gibt, so gibt es sie auch bei den Ruhezuständen. | 37  | Auch erleiden die gleichstarken Kräfte zwar nichts voneinander, werden aber entsprechend dem Übermaß überwältigt. | 1  | Deswegen darf, ganz gleich ob das Bewegende ein Atlas ist oder sonst irgendetwas Vergleich­ bares von den Dingen, die sich im All befinden, der dabei von ihm ausgeübte Druck nicht größer sein als die Kraft, mit der die Erde im Ruhezustand verharrt. | 3  | Sonst würde die Erde vom Mittelpunkt des Alls und damit von ihrem Ort wegbewegt werden. | 4  | Denn so wie das Stoßende stößt, so wird das Gestoßene gestoßen, und zwar mit gleicher Stärke. |  20  |



























699b

12

3 | 4 · 699 b 6 – 699 b 23

κινεῖ δὲ τὸ ἠρεμοῦν πρῶτον, ὥστε μᾶλλον καὶ πλείων ἡ ἰσχὺς | 7  | ἢ ὁμοία καὶ ἴση τῆς ἠρεμίας, ὡσαύτως δὲ καὶ τοῦ κινου | 8  | μένου μέν, μὴ κινοῦντος δέ. τοσαύτην οὖν δεήσει τὴν δύναμιν | 9  | εἶναι τῆς γῆς ἐν τῶι ἠρεμεῖν ὅσην ὅ τε πᾶς οὐρανὸς ἔχει καὶ |10  | τὸ κινοῦν αὐτόν. εἰ δὲ τοῦτο ἀδύνατον, ἀδύνατον καὶ τὸ κινεῖ |11 | σθαι τὸν οὐρανὸν ὑπό τινος τοιούτου τῶν ἐντός. |  6  |







4

Ἔστιν δέ τις ἀπορία περὶ τὰς κινήσεις τῶν τοῦ οὐρανοῦ μο |13  | ρίων, ἣν ὡς οὖσαν οἰκείαν τοῖς εἰρημένοις ἐπισκέψαιτ’ ἄν τις. |14  | ἐὰν γάρ τις ὑπερβάληι τῆι δυνάμει τῆς κινήσεως τὴν τῆς |15  | γῆς ἠρεμίαν, δῆλον ὅτι κινήσει αὐτὴν ἀπὸ τοῦ μέσου. καὶ ἡ |16  | ἰσχὺς δὲ ἀφ’ ἧς αὕτη ἡ δύναμις, ὅτι οὐκ ἄπειρος, φανερόν· |17  | οὐδὲ γὰρ ἡ γῆ ἄπειρος, ὥστ’ οὐδὲ τὸ βάρος αὐτῆς. ἐπεὶ δὲ τὸ |18  | ἀδύνατον λέγεται πλεοναχῶς (οὐ γὰρ ὡσαύτως τήν τε φω |19  | νὴν ἀδύνατον εἶναί φαμεν ὁραθῆναι καὶ τοὺς ἐπὶ τῆς σελήνης | 20  | ὑφ’ ἡμῶν· τὸ μὲν γὰρ ἐξ ἀνάγκης, τὸ δὲ πεφυκὸς ὁρᾶ | 21 | σθαι οὐκ ὀφθήσεται), τὸν δὲ οὐρανὸν ἄφθαρτον εἶναι καὶ ἀδιά | 22  | λυτον οἰόμεθα μὲν ἐξ ἀνάγκης, συμβαίνει δὲ κατὰ | 23  | τοῦτον τὸν λόγον οὐκ ἐξ ἀνάγκης 〈 εἶναι 〉 · |12  |









699b6 ἡ α : om. β  7 τοῦ β : αἱ τοῦ E : τῆς τοῦ γ  13 ὡς βγ : om. E 1  4 ὑπερβάληι BeC a L et al. : ὑπερβάλληι ENEr et al.  19 εἶναί φαμεν β : φαμὲν εἶναι α  21–23 εἶναι … ἐξ ἀνάγκης, … ἐξ

ἀνάγκης εἶναι feci : εἶναι … ἐξ ἀνάγκης εἶναι, … ἐξ ἀνάγκης ω

13

3 | 4 · 699 b 6 – 699 b 23



Die Bewegung aber übt aus, was zuvor im Ruhezustand war, so dass seine Stärke, im Vergleich mit seiner Ruhe, eher noch größer ist statt nur gleichartig und gleichgroß, | 7  | und ebenso auch im Vergleich mit dem, was zwar bewegt wird, aber nicht bewegt. | 8  | Die Beharrungskraft der Erde in ihrem Ruhezustand müsste also ebenso stark sein wie die Beharrungskraft, die der ganze Himmel und dasjenige, was ihn bewegt, zusammengenommen hätten. |10  | Wenn dies aber unmöglich ist, ist es auch unmöglich, dass der Himmel von ­etwas Derartigem bewegt wird, das sich in ihm befindet. |  6  |





4

Wohl aber gibt es hinsichtlich der Bewegungen der Teile des Himmels eine Schwierigkeit, die man angesichts ihrer Verwandtschaft mit unserem letzten Punkt untersuchen sollte. |14  | Denn wenn jemand mit der Kraft seiner Bewegung die Ruhe der Erde übertrifft, dann wird er sie klarerweise vom Mittelpunkt des Alls wegbewegen. |15  | Und die Stärke, von der diese Kraft herrührt, wird offensichtlich nicht unbegrenzt sein; |17  | denn auch die Erde ist nicht unbegrenzt und folglich auch nicht ihre Schwere. |17  | Da man aber von »unmöglich« in verschiedenen Bedeutungen spricht – |18  | denn wir sagen nicht auf dieselbe Weise, es sei unmöglich, dass die Stimme und dass die Mondbewohner von uns gesehen werden; | 20  | Ersteres wird nämlich aus Notwendigkeit nicht gesehen werden, Letzteres dagegen nur faktisch nicht, obwohl es seiner Natur nach gesehen werden kann –, | 21 | deshalb ergibt sich die Schwierigkeit, dass wir einerseits zwar glauben, der Himmel sei aus Notwendigkeit unvergänglich und unauflösbar, während sich andererseits, dem genannten Argument zufolge, ergibt, dass er dies nicht aus Notwendigkeit ist. |12  |





14

4 · 699 b 23 – 700 a 6

πέφυκε γὰρ καὶ ἐνδέχεται | 24  | εἶναι κίνησιν μείζω καὶ ἀφ’ ἧς ἠρεμεῖ ἡ γῆ καὶ ἀφ’ ἧς κι | 25  | νοῦνται τὸ πῦρ καὶ τὸ ἄνω σῶμα. εἰ μὲν οὖν εἰσιν αἱ ὑπερ | 26  | έχουσαι κινήσεις, δια­ λυθήσεται ταῦτα ὑπ’ ἀλλήλων. εἰ δὲ | 27  | μὴ εἰσὶν μέν, ἐνδέ­ χεται δὲ εἶναι (ἄπειρον γὰρ οὐκ ἐνδέχεται | 28  | διὰ τὸ μηδὲ σῶμα ἐνδέχεσθαι ἄπειρον εἶναι), ἐνδέχοιτ’ ἂν | 29  |  δια ­λυ­ θῆναι τὸν οὐρανόν. τί γὰρ κωλύει τοῦτο συμβῆναι, εἴπερ | 30  | μὴ ἀδύνατον; οὐκ ἀδύνατον δέ, εἴπερ μὴ τὸ ἀντικείμενον ἀναγ | 31 | καῖον. ἀλλὰ περὶ μὲν τῆς ἀπορίας ταύτης ἕτερος ἔστω λόγος. | 32  | ἆρα δὲ δεῖ τι ἀκίνητον εἶναι καὶ ἠρεμοῦν ἔξω τοῦ κινουμένου, | 33  | μηδὲν ὂν ἐκείνου μόριον, ἢ οὔ; | 33  | καὶ τοῦτο πότερον καὶ ἐπὶ τοῦ | 34  | παντὸς οὕτως ὑπ­ άρχειν ἀναγκαῖον; ἴσως γὰρ ἂν δόξειεν ἄτο | 35  | πον εἶναι, εἰ ἡ ἀρχὴ τῆς κινήσεως ἐντός. διὸ δόξειεν ἂν τοῖς | 36  | οὕτως ὑπολαμβάνουσιν εὖ εἰρῆσθαι Ὁμήρωι  



























|  37 |

ἀλλ’ οὐκ ἂν ἐρύσαιτ’ ἐξ οὐρανόθεν πεδίονδε Ζῆν’ ὕπατον μήστωρ’, οὐδ’ εἰ πάνυ πολλὰ κάμοιτε· |  2  | πάντες δ’ ἐξάπτεσθε θεοὶ πᾶσαί τε θέαιναι. | 1  |

700 a

τὸ γὰρ ὅλως ἀκίνητον ὑπ’ οὐδενὸς ἐνδέχεται κινηθῆναι· ὅθεν | 4  | λύεται καὶ ἡ πάλαι λεχθεῖσα ἀπορία, πότερον ἐνδέχεται | 5  | ἢ οὐκ ἐνδέχεται διαλυθῆναι τὴν τοῦ οὐρανοῦ σύστασιν, εἰ ἐξ ἀκι | 6  | νήτου ἤρτηται ἀρχῆς. |  3  |







699b37 – 700a2 Ilias 8 (Θ) 21–22 + 20  1 Cf. Eustath. In Iliadem

II, 518,9–12 v. d. Valk, unde elucet variam lectionem πάντων (α) ex antiqua verbi ὕπατον explicatione in textum irrepsisse 4 ἡ πάλαι λεχθεῖσα ἀπορία: cf. supra 699 b12–13  6 ἤρτηται: cf. Metaph. Λ 7, 1072b14 25–26 ὑπερέχουσαι βγ : περὶ έχουσαι E  28 ἐνδέχοιτ’ ἂν α : ἐν­ δέ­χεται β  30 εἴπερ β : εἰ α  32 τι ἀκίνητον βγ : ἀκινητόν τι E 700a1 μήστωρ’ β Hom. : πάντων α | πάνυ β : μάλα α Hom. 5 εἰ α : ἣ β  6 ἤρτηται α : ἦρκται β b

15

4 · 699 b 23 – 700 a 6

|  23  | Seiner

Natur nach ist es nämlich sowohl möglich, dass die­jenige Bewegung größer ist, mit der die Erde im Ruhe­ zustand verharrt, als auch möglich, dass diejenige Bewegung größer ist, von der das Feuer und der obere Körper bewegt werden. | 25  | Wenn es nun die übertreffenden Bewegungen gibt, so wird das Himmelsgefüge unweigerlich durch wechselseitige Einwirkung aufgelöst. | 26  | Wenn es sie aber nicht gibt, es jedoch möglich ist, dass es sie gibt – | 27  | denn dass die Stärke der übertreffenden Bewegung unbegrenzt ist, ist nicht möglich, weil auch ein Körper nicht unbegrenzt sein kann –, | 28  | so dürfte es möglich sein, dass der Himmel aufgelöst wird. | 29  | Denn was hindert, dass dies geschieht, wenn es doch nicht unmöglich ist? | 30  | Es ist aber nicht unmöglich, wenn doch das Gegenteil nicht notwendig ist. | 31 | Aber mit dieser Schwierigkeit soll sich eine gesonderte Unter­suchung befassen. | 32  | Doch muss nun außerhalb dessen, was in Bewegung ist, etwas unbewegt und in Ruhe sein, ohne ein Teil von ihm zu sein, oder nicht? | 33  | Und muss es dies nicht auch beim All notwendig auf diese Weise geben? | 34  | Denn es dürfte sicherlich abwegig scheinen, wenn der Ursprung der Bewegung sich innerhalb befindet. | 35  | Deshalb müssen diejenigen, die unsere Frage bejahen, wohl zu der Einsicht gelangen, dass Homer die Sache mit den folgenden Versen genau getroffen hat [ Ilias 8 ]:  





















[V.  21]

Aber ihr könntet nicht vom Himmel auf die Erde ziehen Zeus, den höchsten Lenker, auch nicht, wenn ihr euch   noch so sehr mühtet. [V.  2 0] Aber fasst nur an, all’ ihr Götter und all’ ihr Göttinnen! [V.  22]

Denn das, was völlig unbewegt ist, kann von nichts bewegt werden, | 3  | so dass sich auch für die oben erwähnte Schwierigkeit, ob die Zerstörung des Himmelsgefüges möglich ist oder nicht möglich ist, eine Lösung finden lässt, | 5  | wenn das Himmelsgefüge von einem unbewegten Ursprung abhängt. |  3  |





700 a

16

4 · 700 a 6 – 700 a 25

ἐπὶ δὲ τῶν ζώιων οὐ μόνον τὸ οὕτως | 7  | ἀκίνητον δεῖ ὑπάρχειν, ἀλλὰ καὶ ἐν αὐτοῖς τοῖς κινουμένοις | 8  | κατὰ τόπον ὅσα κινεῖ αὐτὰ αὑτά { δεῖ γὰρ αὐτοῦ τὸ μὲν | 9  | ἠρεμεῖν τὸ δὲ κινεῖσθαι }, πρὸς ὃ ἀπερειδόμενον τὸ κινούμενον |10  | κινήσεται· 〈 δεῖ γὰρ αὐτοῦ τὸ μὲν ἠρεμεῖν τὸ δὲ κινεῖσθαι 〉, οἷον ἄν τι κινῆι τῶν μορίων· ἀπερείδεται γὰρ θά |11| τερον ὡς πρὸς μένον θάτερον. περὶ δὲ τῶν ἀψύχων ὅσα κι |12  | νεῖται ἀπορήσειεν ἄν τις, πότερον ἅπαντα ἔχει ἐν αὑτοῖς |13  | καὶ τὸ ἠρεμοῦν καὶ τὸ κινούμενον, καὶ πρὸς τῶν ἔξωθέν τι ἠρε­ μοῦν |14  | ἀπερείδεσθαι ἀνάγκη καὶ πάντα ταῦτα, ἢ ἀδύνα­ τον οἷον πῦρ |15  | ἢ γῆν ἢ τῶν ἀψύχων τι ἄλλ’, 〈 ἀ λλ’ 〉 ὑφ’ ὧν ταῦτα κινεῖται πρώ |16  | των. πάντα γὰρ ὑπ’ ἄλλου κινεῖται τὰ ἄψυχα, ἀρχὴ δὲ |17  | πάντων ὁμοίως τῶν οὕτως κινουμένων τὰ αὐτὰ αὑτὰ κινοῦντα. τῶν δὲ |18  | τοιούτων περὶ μὲν τῶν ζώιων εἴρηται· τὰ γὰρ τοιαῦτα πάντα |19  | ἀνάγκη καὶ ἐν αὑτοῖς ἔχειν τὸ ἠρεμοῦν καὶ ἔξω πρὸς ὃ | 20  | ἀπερείσεται. εἰ δέ τί ἐστιν ἀνωτέρω καὶ πρῶτον κινοῦν, ἄδη | 21 | λον, καὶ ἄλλος λόγος περὶ τῆς τοιαύτης ἀρχῆς. τὰ δὲ ζῶια | 22  | ὅσα κινεῖται, πάντα πρὸς τὰ ἔξω ἀπερειδόμενα κινεῖται, | 23  | καὶ ἀναπνέοντα καὶ ἐκπνέοντα. οὐθὲν γὰρ διαφέρει μέγα | 24  | ῥῖψαι βάρος ἢ μικρόν, ὅπερ ποιοῦσιν οἱ πτύοντες καὶ βήτ | 25  | τοντες καὶ οἱ εἰσπνέοντες καὶ οἱ ἐκπνέοντες.  

















 700a18 εἴρηται: supra Mot. An. 1–2; cf. Inc. An. 3  21 ἄλλος

λόγος: Metaph. Λ 7 8 αὐτὰ αὑτά βγ : αὐτὰ E  8–9 δεῖ γὰρ – κινεῖσθαι] post a10 (κι­­ν ή­­σεται) transpos. Renehan  12 αὑτοῖς β : ἑαυτοῖς α  13 κινο­ύ­μ ενον β : κινοῦν α | ἔξωθέν β : ἔξω α | ἠρεμοῦν β : ἠρε­ μούντων α  14 πάντα ταῦτα β : ταῦτ’ α  15 ἄλλ’, 〈 ἀ λλ’ 〉 scripsi : ἀλλ’ ω  15–16 πρώτων α : πρῶτον β  17 ὁμοίως β : om. α 20 πρῶτον βγ : πρώτως E  24 καὶ β E : καὶ οἱ γ  25 οἱ ἐκπνέοντες β : οἱ om. α a

4 · 700 a 6 – 700 a 25

|  6  | Bei

17

den Lebe­wesen hingegen muss nicht nur das im letztgenannten Sinne Unbewegte vorhanden sein, sondern auch in ihnen, soweit sie ortsbewegte Selbstbeweger sind, muss das vorhanden sein, worauf sich das Bewegte bei der Bewegung stützen kann. 〈 Denn ein Teil von ihm muss in Ruhe sein und ein anderer bewegt 〉, wie wenn es einen seiner Körperteile bewegt. |10  | Denn ein Teil stützt sich auf den anderen als auf einen stillstehenden. |11 | In Bezug auf das Unbeseelte hingegen, soweit es in Bewegung ist, könnte man die Schwierigkeit aufwerfen, ob es durchgängig sowohl das Ruhende als auch das Bewegte in sich hat und ob notwendig auch all dies sich auf ein ruhendes Außending abstützt oder ob dies unmöglich ist – wie etwa bei Feuer oder Erde oder einem anderen der unbeseelten Dinge – 〈 und vielmehr 〉 nur für deren erste Beweger gilt. |16  | Denn alles Unbeseelte wird von einem anderen bewegt. |16  | Und Ursprung von allem, was auf diese Weise bewegt wird, sind durchweg die Selbstbeweger. |17  | Und soweit es sich bei den Letzteren um Lebe­wesen handelt, ist von ihnen schon gesprochen worden: |18  | Wir haben nämlich gesehen, dass alles Derartige das ruhende Element, auf das es sich stützt, notwendig sowohl in sich hat als auch außerhalb. | 20  | Ob es aber etwas gibt, das weiter oben ist und ein erstes Bewegendes, ist unklar, und es ist Sache einer anderen Disziplin, sich mit einem solchen Ursprung zu beschäftigen. | 21 | Alle Lebe­wesen aber, die sich bewegen, bewegen sich dadurch, dass sie sich auf etwas stützen, das sich außer ihnen befindet, auch dann, wenn sie nur ein- und ausatmen. | 23  | Es macht nämlich keinen Unterschied, ob man ein großes Gewicht schleudert oder ein kleines, was ja die Spuckenden und Hustenden tun, sowie die Einatmenden und die Aus­ atmenden.  





18

5 | 6 · 700 a 26 – 700 b 7

5

Πότερον δὲ ἐν τῶι αὐτὸ αὑτὸ κινοῦντι κατὰ τόπον μόνωι δεῖ | 27  | τι μένειν, ἢ 〈 καὶ 〉 ἐν τῶι ἀλλοιουμένωι αὐτὸ ὑφ’ αὑτοῦ καὶ ἐν τῶι | 28  | αὐξανομένωι; (περὶ δὲ γενέσεως τῆς ἐξ ἀρχῆς καὶ φθορᾶς | 29  | ἄλλος λόγος.) εἰ γάρ ἐστιν, ἥνπερ φαμέν, πρώτη κίνησις, γε | 30  | νέσεως μὲν καὶ φθορᾶς αὕτη ἂν αἰτία εἴη, καὶ τῶν ἄλλων δὲ | 31 | κινήσεων ἴσως πασῶν. ὥσπερ δὲ ἐν τῶι ὅλωι, καὶ ἐν τῶι ζώιωι | 32  | κίνησις πρώτη αὕτη, ὅταν τελεωθῆι, ὥστε καὶ αὐξήσεως, εἴ | 33  | ποτε γίγνεται αὐτὸ αὑτῶι αἴτιον, καὶ ἀλλοιώσεως. εἰ δὲ μή, | 34  | οὐκ ἀνάγκη. αἱ δὲ πρῶται αὐξήσεις καὶ ἀλλοιώσεις ὑπ’ | 35  | ἄλλου γίνονται καὶ δι’ ἑτέρων. γενέσεως δὲ καὶ φθορᾶς οὐ |1 | δαμῶς οἷόν τε αὐτὸ αὑτῶι αἴτιον εἶναι οὐθέν· προϋπάρχειν | 2  | γὰρ δεῖ τὸ κινοῦν τοῦ κινουμένου καὶ τὸ γεννῶν τοῦ γεννωμένου· | 3  | αὐτὸ δὲ αὑτοῦ πρότερον οὐδέν ἐστιν. |  26  |



















700 b





6

Περὶ μὲν οὖν ψυχῆς, εἴτε κινεῖται εἴτε μή, καὶ εἰ κινεῖ | 5  | ται, πῶς κινεῖται, πρότερον εἴρηται ἐν τοῖς διωρισμένοις | 6  | περὶ αὐτῆς. ἐπεὶ δὲ τὰ ἄψυχα πάντα κινεῖται ὑφ’ ἑτέρου, | 7  | περὶ δὲ τοῦ πρώτου κινουμένου καὶ ἀεὶ κινουμένου, | 4  |  







 700a29 ἄλλος λόγος: cf. et infra 700 a35– b 3 et Gener. An. B 1, 735a9–14 | ἥνπερ φαμέν Phys. Θ 7  31 ὥσπερ δὲ ἐν τῶι ὅλωι, καὶ ἐν τῶι ζώιωι κτλ.: cf. Phys. Θ 2, 252b26–28  700b5–6 ἐν τοῖς

διωρισμένοις περὶ αὐτῆς: An. Α 3–4 27 ἢ 〈 κ αὶ 〉 γ : ἢ β E | αὐτὸ E : αὐτῶ βγ | καὶ ἐν τῶ β : καὶ α 30 μὲν β : om. α | δὲ β E : om. γ | ἂν αἰτία β : αἰτία ἂν α  33 αὐτὸ βγ : αὐτῶ E  35 ἑτέρων α : ἕτερον β  700b1 οἷόν τε α : οἴονa

ται β | αὑτῶι αἴτιον εἶναι β : αἴτιον εἶναι αὐτῶι α

19

5 | 6 · 700 a 26 – 700 b 7



5

Muss nur in demjenigen etwas feststehen, das sich selbst dem Orte nach bewegt, oder 〈 auch 〉 in demjenigen, das durch sich selbst qualitativ verändert wird, und in demjenigen, das größer wird? | 28  | (Doch das ursprüngliche Werden und Vergehen ist ein anderes Thema). | 29  | Denn wenn just diejenige die primäre Bewegung ist, von der wir es behaupten [ d. h. die Ortsbewegung ], dann dürfte diese einerseits wohl Ur­ sache von Entstehen und Vergehen sein, andererseits vielleicht auch von allen anderen Bewegungen. | 31 | Und wie im All, so ist auch im Lebe­wesen die Ortsbewegung die primäre, sobald ein Lebe­wesen fertig ausgebildet ist, so dass sie sowohl Ursache für das Wachstum ist – wenn das Lebe­wesen dahin kommt, bei sich selbst etwas zu verursachen – als auch Ursache für die qualitative Veränderung. | 33  | Wenn es aber nicht dahin kommt, ist es nicht notwendig, [ dass in ihm etwas feststeht ]. | 34  | Die ersten Wachstumsprozesse und qualita­ tiven Veränderungen aber werden von einem anderen Lebe­ wesen zustande gebracht und durch andere Mittel. | 35  | Und erst recht kann nichts für sich selbst auf irgendeine Weise Ursache des Entstehens und Vergehens sein. | 1 | Das Bewegende muss nämlich vor dem Bewegten da sein und das Zeugende vor dem Gezeugten; und nichts ist früher da als es selbst. |  26  |















6

Über die Seele, ob sie bewegt wird oder ob sie nicht bewegt wird und wenn sie bewegt wird, wie sie bewegt wird, ist bereits in der ihr gewidmeten Abhandlung gesprochen worden. | 6  | Da aber alles Unbeseelte von einem anderen bewegt wird und da über das erste und ewig Bewegte, |  4  |



700 b

20

6 · 700 b 7 – 700 b 28

τίνα τρόπον | 8  | κινεῖται καὶ πῶς κινεῖ τὸ πρῶτον κινοῦν, διώ­ρισται πρό­τερον | 9  | ἐν τοῖς περὶ τῆς πρώτης φιλοσοφίας, λοιπὸν δ’ ἐστὶν θεωρῆ |10  | σαι πῶς ἡ ψυχὴ κινεῖ τὸ σῶμα καὶ τίς ἀρχὴ τῆς τοῦ |11 | ζώιου κινήσεως. τῶν γὰρ ἄλλων παρὰ τὴν τοῦ ὅλου κίνησιν τὰ |12  | ἔμψυχα αἴτια τῆς κινήσεως, ὅσα μὴ κινεῖται ὑπ’ ἀλλή |13  | λων διὰ τὸ προσκόπτειν ἀλλήλοις. διὸ καὶ πέρας ἔχουσιν |14  | αὐτῶν πᾶσαι αἱ κινήσεις· καὶ γὰρ αἱ τῶν ἐμψύχων. |15  | πάντα γὰρ τὰ ζῶια καὶ κινεῖ καὶ κινεῖται ἕνεκά τινος, ὥστε |16  | τοῦτ’ ἔστιν πάσης αὐτοῖς τῆς κινήσεως πέρας, τὸ οὗ ἕνεκα. |17  | ὁρῶμεν δὲ τὰ κινοῦντα τὸ ζῶιον διάνοιαν καὶ φαντασίαν καὶ |18  | προαίρεσιν καὶ βούλησιν καὶ ἐπιθυμίαν. ταῦτα δὲ πάντα |19  | ἀνάγεται εἰς νοῦν καὶ ὄρεξιν. καὶ γὰρ ἡ φαντασία καὶ ἡ | 20  | αἴσθησις τὴν αὐτὴν τῶι νῶι χώραν ἔχουσιν· κριτικὰ γὰρ | 21 | πάντα, διαφέρουσιν δὲ κατὰ τὰς εἰρημένας ἐν ἄλλοις δια | 22  | φοράς. βούλησις δὲ καὶ θυμὸς καὶ ἐπιθυμία πάντα ὀρέξεις, | 23  | ἡ δὲ προ­αί­ρεσις κοινὸν διανοίας καὶ ὀρέξεως· ὥστε κινεῖ πρῶ | 24  | τον τὸ ὀρεκτὸν καὶ τὸ νοητόν. οὐ πᾶν δὲ νοητόν, | 25  | ἀλλὰ τὸ τῶν πρακτῶν τέλος, διὸ τὸ τοιοῦτόν ἐστιν τῶν ἀγα | 26  | θῶν τὸ κινοῦν, ἀλλ’ οὐ πᾶν τὸ καλόν· ἧι γὰρ ἕνεκα τούτου | 27  | ἄλλο καὶ ἧι τέλος ἐστὶν τῶν ἄλλου τινὸς ἕνεκα ὄντων, ταύτηι |  28  | κινεῖ.  





















700b8–9 διώρισται πρότερον ἐν τοῖς περὶ τῆς πρώτης φιλο­ σοφίας: Metaph. Λ 7, imprimis 1072b3–4  21–22 κατὰ τὰς εἰ­ ρη­μ ένας ἐν ἄλλοις διαφοράς: An. Β 5 – Γ 8  23–24 ὥστε κινεῖ πρῶτον τὸ ὀρεκτὸν καὶ τὸ νοητόν: Metaph. Λ 7, 1072a26 κινεῖ δὲ ὧδε τὸ ὀρεκτὸν καὶ τὸ νοητόν 9 δ’ β E : om. γ  11 ὅλου βγ : λόγου E  16 πάσης αὐτοῖς β : αὐτοῖς πάσης α  22 ὀρέξεις βγ : ὄρεξις E  23–24 κινεῖ πρῶτον τὸ ὀρεκτὸν β : om. α  24 τὸ νοητόν. οὐ πᾶν δὲ νοητόν scripsi cl. Metaph. Λ 7, 1072a26 : τὸ διανοητόν. οὐ πᾶν δὲ διανοητόν ω | πᾶν δὲ β : πᾶν δὲ τὸ α  25 τὸ τοιοῦτόν α : τοιοῦτόν β  28 κινεῖ α : κινεῖν β b

21

6 · 700 b 7 – 700 b 28



nämlich auf welche Weise es bewegt wird und wie das ers­te Bewegende bewegt, bereits in unseren Ausführungen zur ersten Philosophie gehandelt worden ist –, | 9  | deshalb steht noch eine Betrachtung darüber aus, wie die Seele den Körper bewegt und welchen Ursprung die Bewegung des Lebe­ wesens hat. |11 | Denn die Bewegungsursache aller anderen Bewegungen außer der Bewegung des Alls sind die beseelten Wesen, soweit die Dinge nicht dadurch voneinander bewegt werden, dass sie aneinander stoßen. |13  | Deswegen haben alle Bewegungen dieser Dinge auch eine Grenze; denn das gilt auch für die Bewegungen der beseelten Wesen. |15  | Denn alle Lebe­wesen bewegen sowohl anderes als auch sich selbst um eines bestimmten Zweckes willen, so dass dies für sie die Grenze aller Bewegung ist: das Worumwillen. |17  | Wir sehen aber, dass die Beweger des Lebe­wesens die folgenden sind: Denken, Vorstellung, Entschluss, Wunsch und Begierde. |18  | Diese lassen sich alle auf Denken und Strebung zurückführen. |19  | Denn auch die Vorstellung und die Wahrnehmung nehmen denselben Platz ein wie das Denken. | 20  | Sie alle sind nämlich fähig, Unterschiede zu erfassen, doch in den an anderer Stelle genannten Hinsichten sind sie voneinander verschieden. | 22  |  Wunsch, Mut und Begierde hingegen sind durchweg Strebungen, der Entschluss aber ist etwas Gemeinsames aus diskursivem Denken und Strebung. |  23  | Folglich bewegen zuerst der Gegenstand des Strebens und der Gegenstand des Denkens. | 24  | Doch nicht jeder beliebige Gegenstand des Denkens, sondern nur der Zweck möglicher Handlungen; daher ist das so Geartete unter den Gütern das Bewegende, nicht aber alles Schöne. | 26  | Denn es bewegt insofern, als um seinetwillen ein anderes da ist und als es Zweck solcher Dinge ist, die um eines anderen willen da sind.  











22

6 | 7 · 700 b 28 – 701 a 13

δεῖ δὲ τιθέναι καὶ τὸ φαινόμενον ἀγαθὸν ἀγαθοῦ χώ | 29  | ραν ἔχειν, καὶ τὸ ἡδύ· φαινόμενον γάρ ἐστιν ἀγαθόν. ὥστε | 30  | δῆλον ὅτι ἔστιν μὲν ἧι ὁμοίως κινεῖται τὸ ἀεὶ κινούμενον ὑπὸ τοῦ | 31 | ἀεὶ κινοῦντος καὶ τῶν ζώιων ἕκαστον, ἔστιν δὲ ἧι ἄλλως, διὸ καὶ | 32  | τὸ μὲν ἀεὶ κινεῖται, ἡ δὲ τῶν ζώιων κίνησις ἔχει πέρας. τὸ | 33  | δὲ ἀΐδιον καλὸν καὶ ἀληθὲς καὶ τὸ πρώτως ἀγαθὸν καὶ | 34  | μὴ ποτὲ μὲν ποτὲ δὲ μὴ θειότερον καὶ τιμιώτερον ἢ ὥστ’ | 35  | εἶναι πρὸς ἕτερον. τὸ μὲν οὖν πρῶτον οὐ κινούμενον κινεῖ, ἡ δὲ | 1  | ὄρεξις καὶ τὸ ὀρεκτικὸν κινούμενον κινεῖ. τὸ δὲ τελευταῖον τῶν | 2  | κινου­μ ένων οὐκ ἀνάγκη κινεῖν οὐθέν. φανερὸν δὲ ἐκ τούτων καὶ | 3  | ὅτι εὐλόγως ἡ φορὰ τελευταία τῶν κινουμένων ἐν τοῖς γιγνο | 4  | μένοις· κινεῖται γὰρ καὶ πορεύεται τὸ ζῶιον ὀρέξει ἢ προ | 5  | αιρέσει, ἀλλοιωθέντος τινὸς κατὰ τὴν αἴσθησιν ἢ τὴν φαν | 6  | τασίαν.  













701a











7

Πῶς δὲ νοῶν ὁτὲ μὲν πράττει ὁτὲ δὲ οὐ πράττει, καὶ | 8  | κινεῖται ὁτὲ δ’ οὐ κινεῖται; ἔοικε δὲ παραπλησίως συμβαίνειν | 9  | καὶ περὶ τῶν ἀκινήτων διανοουμένοις καὶ συλλο­ γιζο­ μένοις. |10  | ἀλλὰ ἐκεῖ μὲν θεώρημα τὸ τέλος (ὅταν γὰρ τὰς δύο προ |11 | τάσεις νοήσηι, τὸ συμπέρασμα ἐνόησεν καὶ συνέθηκεν), ἐν |12  | ταῦθα δὲ ἐκ τῶν δύο προτάσεων τὸ συμ­ πέρασμα γίνεται ἡ |13  | πρᾶξις, | 7  |  





700b33 ἀΐδιον … ἀληθὲς: cf. Metaph. Θ 10, 1051b15–18 et 23–33 32 τὸ μὲν β : τὰ μὲν α  33 καλὸν καὶ scripsi : καλὸν καὶ τὸ ω | ἀληθὲς καὶ τὸ β : ἀληθῶς καὶ α  34 ἢ ὥστ’ α : πως β  35 πρὸς ἕτερον β : πρότερον α  701a3 κινουμένων β : γιγνομένων α 4 ὀρέξει α : om. β  8 ἔοικε δὲ β : ἔοικε(ν) α b

23

6 | 7 · 700 b 28 – 701 a 13



(Man muss aber davon ausgehen, dass auch das, was gut zu sein scheint, die Stelle von Gutem einnehmen kann und das Lustvolle, das ja als Gut erscheint.) | 29  | Folglich ist klar, dass dasjenige, was von dem immer Bewegenden immer bewegt wird, in gewisser Hinsicht ähnlich bewegt wird wie jedes einzelne Lebe­wesen, in gewisser Hinsicht aber anders; |  31  | daher wird Ersteres auch immer bewegt, während die Bewegung der Lebe­wesen eine Grenze hat. | 32  | Das ewige Schöne und Wahrhafte hingegen, d. h. das auf primäre Weise Gute, welches nicht einmal gut ist und ein andermal nicht, ist zu göttlich und würdig, als dass es an eine Relation zu etwas anderem gebunden sein könnte. | 35  | Das Erste bewegt also, ohne bewegt zu werden, die Strebung dagegen bzw. das ­Strebungsvermögen bewegt als Bewegtes. | 1 | Doch für das Letzte unter den Bewegungsobjekten ist es nicht notwendig, ir­gend­etwas zu bewegen. | 2  | Und hieraus ist auch klar, dass die Ortsbewegung der bewegten Lebewesen mit gutem Grund erst an letzter Stelle im Geschehenszusammenhang steht: | 4  | Die Bewegung bzw. Fortbewegung des Lebe­wesens erfolgt nämlich durch Strebung oder Entschluss, und zwar dann, wenn gemäß der Wahrnehmung bzw. der Vorstellung eine qualitative Veränderung stattgefunden hat. |  28  |















7

Doch wie kommt es, dass man, wenn man denkt, einmal handelt und ein andermal nicht und sich einmal bewegt und ein andermal nicht? | 8  | Dies aber scheint sich auf ganz ähn­ liche Weise zuzutragen wie bei denen, die sich über Unbewegliches Gedanken machen und deduzieren. |10  | Nur ist dort das Ergebnis eine theoretische Betrachtung – |10  | denn sobald man die beiden Prämissen gedacht hat, hat man auch schon die Konklusion gedacht und sie zusammengesetzt –, |11 | hier hingegen tritt an die Stelle der Konklusion aus den beiden Prämissen die Handlung. |  7  |



701a

24

7 · 701 a 13 – 701 a 34

οἷον ὅταν νοήσηι ὅτι παντὶ βαδιστέον ἀνθρώπωι, αὐτὸς |14  | δὲ ἄνθρωπος, βαδίζει εὐ­θέως, ἂν δ’ ὅτι οὐθενὶ βαδιστέον νῦν |15  | ἀνθρώπωι, αὐτὸς δὲ ἄνθρωπος, εὐθὺς ἠρεμεῖ· καὶ ταῦτ’ |16  | ἄμφω πράττει, ἂν μή τι κωλύηι ἢ ἀναγκάζηι. »ποιη­ τέον |17  | μοι ἀγαθόν· ἀγαθὸν δὲ οἰκία«. ποιεῖ οἰκίαν εὐθύς. »σκεπά |18  | σματος δέομαι· ἱμάτιον δὲ σκέπασμα· ἱματίου δέομαι. – οὗ |19  | δέομαι, ποιητέον· ἱματίου δὲ δέο­μ αι«. ἱμά­ τιον ποιεῖ. καὶ τὸ | 20  | συμπέρασμα, τὸ ἱμάτιον ποιητέον, πρᾶξίς ἐστιν. πράττει | 21 | δὲ ἀπ’ ἀρχῆς. »εἰ ἱμάτιον ἔσται, ἀνάγκη τόδε πρῶτον, εἰ | 22  | δὲ τόδε, τόδε«· καὶ τοῦτο πράτ­ τει εὐθύς. ὅτι μὲν οὖν ἡ πρᾶ | 23  | ξις τὸ συμπέρασμα, φανερόν· αἱ δὲ προτάσεις αἱ ποιητι | 24  | καὶ διὰ δυεῖν ὁδῶν γίνονται, διά τε τοῦ ἀγαθοῦ καὶ διὰ τοῦ | 25  | δυνατοῦ. ὥσπερ δὲ τῶν ἐρωτώντων ἔνιοι, οὕτω τὴν ἑτέραν πρό | 26  | τασιν τὴν δήλην οὐδ’ ἡ διάνοια ἐπιστᾶσα σκοπεῖ οὐθέν· οἷον εἰ | 27  | τὸ βαδί­ ζειν ἀγαθὸν ἀνθρώπωι, ὅτι αὐτὸς ἄνθρωπος, οὐκέτι ἐν| 28  | δια­τρίβει. διὸ καὶ ὅσα μὴ λογισάμενοι πράττομεν, ταχὺ | 29  | πράττομεν. ὅταν ἐνεργήσηι γὰρ ἢ τῆι αἰσθήσει πρὸς τὸ οὗ | 30  | ἕνεκα ἢ τῆι φαντασίαι ἢ τῶι νῶι, οὗ ὀρέγεται, εὐθὺς ποιεῖ. | 31 | ἀντ’ ἐρωτήσεως γὰρ ἢ νοήσεως ἡ τῆς ὀρέξεως γίνεται ἐνέρ | 32  | γεια. »ποτέον μοι« ἡ ἐπιθυμία λέγει· »τοδὶ δὲ ποτόν« ἡ αἴ | 33  | σθησις εἶπεν ἢ ἡ φαντασία ἢ ὁ νοῦς· εὐθὺς πίνει. οὕτω μὲν | 34  | οὖν ἐπὶ τὸ κινεῖσθαι καὶ πράττειν τὰ ζῶια ὁρμῶσιν,  















   











701a15–16 ταῦτα ἄμφω α : τοῦτ’ ἄμφω β  16 ἀναγκάζηι α : ἀνα­γ κάζει β  17 ἀγαθὸν δὲ οἰκία β : οἰκία δὲ ἀγαθόν α 1  9 δὲ β : om. α | ποιεῖ β EC a : ποιητέον δ  21 ἔσται α : ἐστὶν β 22 τόδε, τόδε· καὶ τοῦτο βγ : τόδε, καὶ τόδε E  24 δυεῖν ὁδῶν

scripsi : δύ’ εἱ ποδῶν Be : δ[.] … οδῶν Ea.c. ut vid. : δύο εἰδῶν Ep.c. cett.  26 ἐπι­σ τᾶσα β : ἐφιστᾶσα α  27 οὐκέτι β : οὐκ α 32 ποτέον β : ποτόν α  32–33 ἡ αἴσθησις α : αἴσθησις β 33 οὕτω β : οὕτως α

25

7 · 701 a 13 – 701 a 34



Immer wenn jemand z. B. den Gedanken gefasst hat, dass jeder Mensch gehen soll und dass er selbst ein Mensch ist, geht er sofort; |14  | immer wenn er hingegen den Gedanken gefasst hat, dass jetzt kein Mensch gehen soll und dass er selbst ein Mensch ist, steht er sofort still. |15  | Und beides führt er aus, wenn nicht irgendetwas an der Bewegung hindert bzw. zu ihr zwingt. |16  | »Von mir hergestellt werden soll etwas Gutes; gut ist ein Haus«. |17  | Er stellt sofort ein Haus her. |17  |  »Ich brauche Bekleidung; eine [ geeignete ] Bekleidung aber ist ein Mantel; ich brauche einen Mantel.« – |18  | »Es soll das hergestellt werden, was ich brauche. |19  | Ich brauche aber einen Mantel«. Er stellt einen Mantel her. |19  | Und die Konklusion »Es soll ein Mantel hergestellt werden« ist eine Handlung. | 20  | Doch handelt man von einem Ursprung aus: | 21 | »Wenn es einen Mantel geben soll, so ist erst noch dieses notwendig, wenn aber dieses, dann dieses«; und das Letztgenannte tut man sofort. | 22  | Dass also die Handlung die »Konklusion« ist, ist offenkundig. | 23  | Die Prämissen aber, die zum Herstellen führen, entstehen vermittels eines Paars von Wegen, nämlich durch das Gute und durch das Mögliche. | 25  | Und wie einige von denen, die dialektische Fragen stellen, so hält auch das Denken nicht inne, um die verbleibende und offenkundige der beiden Prämissen zu prüfen. | 26  | Wenn z. B. das Gehen für einen Menschen ein Gut ist, so hält man sich nicht mehr dabei auf, dass man selbst ein Mensch ist. | 28  | Deswegen tun wir auch alles, was wir ohne Über­legung tun, schnell. | 29  | Denn stets, wenn man in Bezug auf das WorumWillen mit seinem Wahrnehmungsvermögen, seinem Vorstellungsvermögen oder seinem Denken aktiv wird, tut man sofort das, wonach man strebt. | 31 | An die Stelle einer Frage oder eines Gedankens tritt nämlich die Aktivität der Strebung: | 32  | »Ich muss trinken«, sagt die Begierde. | 32  | »Dies hier ist trinkbar«, sagt die Wahrnehmung, die Vorstellung oder das Denken. | 33  | Sofort trinkt man. | 33  | Auf diese Weise also drängen die Lebe­wesen zum Sich-Bewegen und Handeln, |13  |



























26

7 · 701 a 34 – 701 b 16

τῆς μὲν | 35  | ἐσχάτης αἰτίας τοῦ κινεῖσθαι ὀρέξεως οὔσης, ταύτης δὲ γιγνο | 36  | μένης ἢ δι’ αἰσθήσεως ἢ διὰ φαν­τασίας καὶ νοήσεως. τῶν | 37  | δὲ ὀρεγομένων πράττειν τὰ μὲν δι’ ἐπιθυμίαν ἢ θυμὸν τὰ δὲ | 1  | διὰ προαίρεσιν ἢ βού­λησιν τὰ μὲν ποιοῦσιν, τὰ δὲ πράττουσιν. ὥσ | 2  | περ δὲ τὰ αὐτόματα κινεῖται μικρᾶς κινήσεως γενομένης – | 3  | λυο­μ ένων τῶν στρεβλῶν καὶ κρουόντων πρὸς ἀλλήλας 〈 ε ὐθὺς τῶν ζωι­ δίων τὰς μαχαίρας 〉, | 4  | καὶ τὸ ἁμά­ξιον, ὅπερ 〈 ὁ 〉 ὀχούμενος αὐτὸς κινεῖ εἰς εὐθὺ 〈 πάλιν 〉 καὶ | 5  | πάλιν, κύκλωι δὲ κινεῖται τῶι ἀνίσους ἔχειν τοὺς τροχούς – ὁ γὰρ | 6  | ἐλάττων ὥσπερ κέντρον γίγνεται, καθά­περ ἐν τοῖς κυλίνδροις –, | 7  | οὕτω καὶ τὰ ζῶια κινεῖται. ἔχει γὰρ ὄργανα τοιαῦτα τήν τε | 8  | τῶν νεύρων φύσιν καὶ τὴν τῶν ὀστῶν, τὰ μὲν ὡς ἐκεῖ τὰ | 9  | ξύλα καὶ ὁ σίδηρος, τὰ δὲ νεῦρα ὡς αἱ στρέβλαι, ὧν λυο |10  | μένων καὶ ἀνιεμένων κινοῦνται. ἐν μὲν οὖν τοῖς αὐτομάτοις |11 | καὶ τοῖς ἁμαξίοις οὐκ ἔστιν ἀλ­ λ οίωσις, ἐπεὶ εἰ ἐγίγνοντο ἐλάτ |12  | ­τους οἱ ἐντὸς τροχοὶ καὶ πάλιν μείζους, κἂν κύκλωι τὸ αὐτὸ |13  | ἐκινεῖτο· ἐν δὲ τῶι ζώιωι δύναται τὸ αὐτὸ καὶ ἔλαττον καὶ |14  | μεῖζον γίνε­σθαι καὶ τὰ σχήματα μεταβάλλειν αὐξανο |15  | μένων 〈 καὶ συστελ­λο­μένων  〉 τῶν μορίων διὰ θερ­ μό­τητα καὶ πνεῦμα καὶ |16  | ψῦξιν καὶ ἀλλοιουμένων.  





701b

















701b2 De automatis cf. imprimis Metaph. A 2, 983a12–15  3 〈 ε ὐθὺς 〉

cf. supra 701a14–15.17.22.30.33 | 〈 τῶν ζωιδίων 〉 : cf. Heron. De automatis I, 5 et ibid. XXII, 3–4  13–702a10 reddit Al. 76,18–78,2

 1 διὰ προαίρεσιν β : δι’ ὄρεξιν α  3 πρὸς β : om. α | 〈 ε ὐθὺς τῶν

b

ζωιδίων τὰς μαχαίρας 〉 exempli gratia restitui : τὰς στρέβλας ω, quod del. iam Forster  4 ὅπερ α : ὥσπερ β | 〈 ὁ 〉 inserui | ὀχούμενος αὐτὸς β : ὀχούμενον αὐτὸ α  4–5 〈 πάλιν 〉 καὶ πάλιν scripsi : καὶ πάλιν ω  5 δὲ β : om. α  13–14 ἔλαττον καὶ μεῖζον β : μεῖζον καὶ ἔλαττον α  14 γίνεσθαι α : γενέσθαι β  15 〈 καὶ συστελλομένων 〉 inserui | πνεῦμα καὶ β E : πάλιν συστελλομένων διὰ γ

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7 · 701 a 34 – 701 b 16



da die unmittelbare Ursache des Sich-Bewegens eine Strebung ist und diese entweder durch Wahrnehmung oder durch Vorstellung und Denken zustande kommt. | 36  | Und die Wesen, die danach streben, etwas zu tun, stellen her oder handeln teils aufgrund von Begierde oder Mut, teils aufgrund von Entschluss bzw. Wunsch. | 1 | Wie aber die Auto­ matentheater bewegt werden, sobald nur eine kleine Bewegung stattgefunden hat – | 3  | man löst die aufgezogenen Schnüre, und es schlagen 〈 sofort die Figuren ihre Säbel 〉 gegenein­a nder  –  , | 4  | und das Wägelchen, das 〈 der 〉 Fahrer selbst 〈 w ieder 〉 und wieder in gerader Richtung antreibt und welches sich dennoch im Kreis bewegt, weil es verschieden große Räder hat – | 5  | das kleinere wird nämlich wie zu einem Mittelpunkt, so wie bei den Kegelzylindern –, auf solche Weise bewegen sich auch die Lebe­wesen. | 7  | Denn sie haben entsprechende Werkzeuge, nämlich ihre natürliche Ausstattung mit Sehnen und Knochen; | 8  | den Letzteren entsprechen bei den Automatentheatern die hölzernen Bestandteile und das Eisen und den Sehnen entsprechen die aufgezogenen Schnüre. | 9  | Wenn diese aus ihrer Fixierung gelöst werden, bewegen sie sich. |10  |  Nun gibt es bei den Automatentheatern und den Wägelchen keine qualitative Veränderung, da auch dann, wenn die inneren Räder noch kleiner würden und dann wieder größer, dasselbe (Wägelchen) in kreisförmiger Bewegung bleiben würde. |13  | Im Lebe­wesen dagegen kann dasselbe sowohl kleiner und größer werden als auch seine jeweilige Gestalt verändern, wobei die Teile hier vergrößert 〈 und kontrahiert 〉 werden in Folge von Hitze, Pneuma und Abkühlung, d. h. weil sie qualitativ verändert werden.  















701b

28

7 | 8 · 701 b 16 – 702 a 1

ἀλλοιοῦσιν δὲ αἱ φαντασίαι καὶ |17  | αἱ αἰσθήσεις καὶ αἱ ἔννοιαι. αἱ μὲν γὰρ αἰσθήσεις εὐθὺς |18  | ὑπάρχουσιν ἀλλοι­ ώσεις τινὲς οὖσαι, ἡ δὲ φαν­τασία καὶ ἡ |19  | νόησις τὴν τῶν πραγμάτων ἔχουσιν δύναμιν· τρόπον γάρ τινα | 20  | τὸ εἶδος τὸ νοούμενον τὸ τοῦ θερμοῦ ἢ ψυχροῦ ἢ ἡδέος ἢ φοβε| 21 | ροῦ τοιοῦτον τυγχάνει ὂν οἷόν περ καὶ τῶν πραγμά­των ἕκα | 22  | στον, διὸ καὶ φρίττουσιν καὶ φοβοῦνται νοήσαν­τες μόνον. ταῦ | 23  | τα δὲ πάντα πάθη καὶ ἀλλοιώσεις εἰσίν. ἀλλοιουμένων δὲ | 24  | ἐν τῶι σώματι τὰ μὲν μείζω τὰ δὲ ἐλάττω γίνεται. ὅτι δὲ | 25  | μικρὰ μεταβολὴ γιγνομένη ἐν ἀρχῆι μεγάλας καὶ πολλὰς | 26  | ποιεῖ διαφορὰς ἄπωθεν, οὐκ ἄδηλον· οἷον τοῦ οἴακος ἀκαρι | 27  | αῖόν τι μεθισταμένου πολλὴ ἡ τῆς πρώρας γίνεται μετάστα | 28  | σις. ἔτι δὲ κατὰ θερμότητα ἢ ψῦξιν ἢ κατ’ ἄλλο τι τοι | 29  | οῦτο πάθος ὅταν γένηται ἀλλοίωσις περὶ τὴν καρδίαν | 30  | καὶ ἐν ταύτηι ἐν ἀναισθήτωι μορίωι, πολλὴν | 31 | ποιεῖ τοῦ σώματος διαφορὰν ἐρυθήμασιν καὶ ὠχρότησιν, καὶ | 32  | φρίκαις καὶ τρόμοις καὶ τοῖς τούτων ἐναντίοις.  

























8

Ἀρχὴ μὲν οὖν, ὥσπερ εἴρηται, τῆς κινήσεως τὸ ἐν τῶι πρακτῶι διωκτόν τε καὶ φευκτόν· ἐξ ἀνάγκης δὲ ἀκο­ λουθεῖ τῆι | 35  | νοήσει καὶ τῆι φαντασίαι αὐτῶν θερμότης καὶ ψῦξις· τὸ | 36  | μὲν γὰρ λυπηρὸν φευκτόν, τὸ δὲ ἡδὺ διω­ κτόν. ἀλλὰ λαν | 37  | θάνει περὶ τὰ μικρὰ τοῦτο συμβαῖνον, ἔστιν δὲ τὰ λυπηρὰ | 1  | καὶ ἡδέα πάντα σχεδὸν μετὰ ψύξεώς τινος καὶ θερμότητος. | 33  |  

|  34  |







702a

701b21 ὂν β E : om. γ  22 μόνον βγ : om. E  27 ἡ β E Al. : om. γ 28–29 τοιοῦτο EBe : τοιοῦτον cett.  30 καὶ ] εἰ καὶ Al. | ἐν Al. : κατὰ μέγεθος β E : κατὰ μέγεθος ἐν γ  34 τε Al. : om. ω 702a1 ἡδέα α Al. : τὰ ἡδέα β

29

7 | 8 · 701 b 16 – 702 a 1



|16  | Was aber diese qualitativen Veränderungen bewirkt, das sind die Vorstellungen, die Wahrnehmungen und die Gedanken. |17  | Mit den Wahrnehmungen liegen nämlich sofort gewisse qualitative Veränderungen vor, und die Vorstellungen und das Denken verfügen über die Kraft der realen Dinge. |19  | Denn auf gewisse Weise hat die Form von etwas, das warm oder kalt oder lustvoll oder furchterregend ist, wenn sie gedacht wird, dieselbe Beschaffenheit wie die jeweiligen realen Dinge, weswegen man auch schaudert und Furcht empfindet, wenn man nur an etwas denkt. | 22  | Dies alles sind Affektionen und qualitative Veränderungen. | 23  | Dadurch aber, dass sich qualitative Veränderungen zutragen, werden im Körper die einen Teile größer und die anderen kleiner. | 24  | Und dass eine kleine Veränderung, die am Ursprung stattfindet, entfernt davon viele große Unterschiede bewirkt, ist offensichtlich: | 26  | Wenn z. B. das Ruder um eine Haaresbreite umgelenkt wird, wird die Umstellung des Schiffsbugs sehr groß. | 28  | Wenn ferner hinsichtlich Wärme oder Erkaltung oder irgendeiner anderen derartigen Affektion eine qualitative Veränderung um das Herz herum eintritt bzw. in ihm in einem nicht wahrnehmbaren Teil, dann macht dies durch Erröten und Erbleichen, Schaudern und Zittern und deren Gegenteile einen großen Unterschied im Körper.  









8

Der Ursprung der Bewegung ist also, wie gesagt, das im Bereich möglicher Handlungen Erstrebte und Gemiedene: | 34  | Denn dem Denken und der Vorstellung von diesen folgt aus Notwendigkeit Erwärmung und Erkaltung; das Schmerzhafte ist nämlich Gegenstand des Meidens und das Lustvolle Gegenstand des Strebens. | 36  | Jedoch bleibt es verborgen, wenn sich dies mit geringer Intensität ereignet. | 37  | Dennoch ist so gut wie alles Schmerz- bzw. Lustvolle |1  | mit einer gewissen Erkaltung bzw. Erhitzung verbunden. |  33  |







702a

30

8 · 702 a 2 – 702 a 23

τοῦτο δὲ δῆλον ἐκ τῶν παθημάτων. θάρρη γὰρ καὶ φόβοι καὶ ἀφροδισιασμοὶ καὶ τὰ ἄλλα τὰ σωματικὰ λυπηρὰ καὶ | 4  | ἡδέα τὰ μὲν κατὰ μόριον μετὰ θερμότητος καὶ ψύξεώς ἐστιν, | 5  | τὰ δὲ καθ’ ὅλον τὸ σῶμα· μνῆμαι δὲ καὶ ἐλπίδες, οἷον | 6  | εἰδώλοις χρώμεναι τοῖς τοιούτοις, ὁτὲ μὲν ἧττον ὁτὲ δὲ | 7  | μᾶλλον αἰτίαι τῶν αὐτῶν εἰσιν. ὥστε εὐλόγως ἤδη δημιουρ | 8  | γεῖται τὰ ἐντὸς καὶ τὰ περὶ τὰς ἀρχὰς τῶν ὀργανικῶν μο | 9  | ρίων μεταβάλλοντα ἐκ πεπηγότων ὑγρὰ καὶ ἐξ ὑγρῶν |10  | πεπηγότα καὶ μαλακὰ καὶ σκληρὰ ἐξ ἀλλήλων. τούτων |11 | δὲ συμβαινόντων τὸν τρόπον τοῦτον καὶ ἐπὶ τοῦ παθητικοῦ καὶ ἐπὶ τοῦ |12  | ποιητικοῦ τοιαύτην ἐχόντων τὴν φύσιν οἵαν πολλαχῆι εἰρή |13  | καμεν, ὁπόταν συμβῆι ὥστ’ εἶναι τὸ μὲν ποιητικὸν τὸ δὲ |14  | παθητικόν, καὶ μηθὲν ἀπολείπηι αὐτῶν ἑκάτερον τῶν ἐν τῶι |15  | λόγωι, εὐθὺς τὸ μὲν ποιεῖ τὸ δὲ πάσχει. διὰ τοῦτο ἅμα |16  | ὡς εἰπεῖν νοεῖ ὅτι πορευτέον καὶ πορεύεται, ἐὰν μή τι ἐμ |17 | ποδίζηι ἕτερον. τὰ μὲν γὰρ ὀργανικὰ μέρη παρασκευάζει |18  | ἐπι­ τηδείως ἔχειν τὰ πάθη, ἡ δὲ ὄρεξις τὰ πάθη, τὴν δὲ ὄρεξιν ἡ |19  | φαντασία· αὕτη δὲ γίγνεται ἢ διὰ νοήσεως ἢ δι’ αἰσθή­ σεως. | 20  | ἅμα δὲ καὶ ταχὺ διὰ τὸ 〈 τὸ 〉 ποιητικὸν καὶ παθη­ τικὸν τῶν πρὸς | 21 | ἄλληλα εἶναι τὴν φύσιν. |  2  | |  3  |  















τὸ δὲ κινοῦν πρῶτον τὸ ζῶιον ἀν | 22  | άγκη εἶναι ἔν τινι ἀρχῆι. ἡ δὲ καμπὴ ὅτι ἐστὶν τοῦ μὲν | 23  | ἀρχὴ τοῦ δὲ τελευτή, εἴρηται.  



702a12–13 πολλαχῆι εἰρήκαμεν: cf. imprimis Metaph. Θ 5, Gen.

Corr. Α 7–9 3 τὰ ἄλλα τὰ β : τὰ ἄλλα α  4 καὶ β : ἢ α  11–12 καὶ ἐπὶ τοῦ … καὶ ἐπὶ τοῦ β : καὶ ἔτι τοῦ … καὶ α  12 πολλαχῆι β : πολλαχοῦ α 1  3 ὥστ’ εἶναι α : ὡς τείνει β  14 ἑκάτερον α : ἑκατέρω β 1  5 τοῦτο β : τοῦτο δὲ α  18 ἔχειν β : om. α  20 τὸ 〈 τὸ 〉 θ, Bonitz : τὸ cett.  22 ἐστὶν τοῦ μὲν β : μέν ἐστι τοῦ μὲν α (unde μέν ἐστιν E) a



31

8 · 702 a 2 – 702 a 23

Dies wird klar aus den Affektionen: | 2  | Denn Gefühle der Kühnheit, Angstzustände und sexuelle Erregungen sowie die übrigen körperlichen Leid- und Lustzustände sind teils mit Erwärmung und Erkaltung eines Körperteils verbunden, teils durchziehen sie den ganzen Körper. | 5  | Erinnerungen aber und Erwartungen sind dadurch, dass sie solche Affektionen wie Bilder gebrauchen, einmal mehr und ein andermal weniger Ursachen für dieselben Effekte. | 7  | Es leuchtet also ein, dass das Körperinnere dort, wo die werkzeughaften Körperteile ihren Ursprung haben, bereits entsprechend zurechtgemacht wird, indem es aus Festem zu Elastischem und aus Elastischem zu Festem wird bzw. aus Weichem zu Hartem und umgekehrt. |10  | Nun vollzieht sich dies in besagter Weise sowohl bei dem, was zum Leiden, als auch bei dem, was zum Wirken fähig ist, vorausgesetzt dass beide ihrer Natur nach so beschaffen sind, wie wir an vielen Stellen gesagt haben. |13  | Deshalb gilt: Wann immer es sich so fügt, dass das eine zum Wirken und das andere zum Leiden fähig ist – und jedes von den beiden es an dem, was ihm defini­ torisch zukommt, in nichts fehlen lässt –, dann wirkt das eine sofort und das andere leidet sofort. |15  | Deshalb denkt man sozusagen zur gleichen Zeit, dass man gehen soll – und geht, wenn nicht etwas anderes im Wege steht. |17  | Denn die werkzeughaften Körperteile werden von den Affektionen in eine geeignete Verfassung gebracht, die Affektionen von der Strebung und die Strebung von der Vorstellung, diese aber entsteht durch Denken oder durch Wahrnehmung. | 20  | Und dadurch, dass das, was zum Wirken und das, was zum Leiden fähig ist, ihrer Natur nach aufeinander ausgerichtet sind, geschieht dies zur gleichen Zeit bzw. schnell. |  2  |









|  21 | Nun befindet sich aber das, was das Lebe­ wesen zuerst bewegt, notwendig in einem Ausgangspunkt. | 22  | Doch über das Gelenk ist bereits gesagt worden, dass es Anfangspunkt von einem und Endpunkt von etwas anderem ist.  



32

8 · 702 a 23 – 702 b 6

διὸ καὶ ἔστιν μὲν ὡς ἑνί, ἔστιν | 24  | δὲ ὡς δυσὶ χρῆται ἡ φύσις αὐτῆι. ὅταν γὰρ κινῆται ἐντεῦ | 25  | θεν, ἀνάγκη τὸ μὲν ἠρεμεῖν τῶν σημείων τῶν ἐσχάτων, τὸ | 26  | δὲ κινεῖσθαι· ὅτι γὰρ πρὸς ἠρεμοῦν δεῖ ἀπερείδεσθαι τὸ κι | 27  | νοῦν, εἴρηται πρότερον. κινεῖται μὲν οὖν καὶ οὐ κινεῖ τὸ ἔσχα | 28  | τον τοῦ βραχίονος. τῆς δ᾿ ἐν τῶι ὀλεκράνωι κάμψεως τὸ μὲν | 29  | κινεῖ καὶ κινεῖται τὸ ἐν αὐτῶι τῶι ὅλωι κινουμένωι, ἀλλ’ ἀνάγκη δ〈 ὴ 〉 εἶναί τι | 30  | καὶ ἀκίνητον, ὃ δή φαμεν δυνάμει μὲν ἓν σημεῖον | 31 | ἐνεργείαι δὲ γίνεσθαι δύο· ὥστ’ εἰ τὸ ζῶιον ἦν ὁ βραχίων, ἐν | 32  | ταῦθα ἄν που ἦν ἡ ἀρχὴ τῆς ψυχῆς ἡ κινοῦσα. ἐπεὶ δὲ ἐνδέ | 33  | χεται καὶ πρὸς τὴν χεῖρα ἔχειν τι οὕτως τῶν ἀψύχων – οἷον | 34  | εἰ κινοίη τὴν βακτηρίαν ἐν τῆι χειρί –, φανερὸν ὅτι οὐκ ἂν εἴη | 35  | ἐν οὐδετέρωι ἡ ψυχὴ τῶν ἐσχάτων, οὔτ’ ἐν τῶι ἐσχάτωι τοῦ | 36  | κινουμένου οὔτ’ ἐν τῆι ἑτέραι ἀρχῆι. καὶ γὰρ τὸ ξύλον ἔχει καὶ | 1  | ἀρχὴν καὶ τέλος πρὸς τὴν χεῖρα. ὥστε διά γε τοῦτο, εἰ μὴ καὶ | 2  | ἐν τῆι βακτηρίαι ἡ κινοῦσα ἀπὸ τῆς ψυχῆς ἀρχὴ ἔνεστιν, οὐδ’ | 3  | ἐν τῆι χειρί· ὁμοίως γὰρ ἔχει καὶ τὸ ἄκρον τῆς χειρὸς πρὸς | 4  | τὸν καρπόν, καὶ τοῦτο τὸ μόριον πρὸς τὸ ὀλέκρανον. οὐθὲν γὰρ | 5  | διαφέρει τὰ προσπεφυκότα τῶν μή· γίγνεται γὰρ ὥσπερ | 6  | ἀφαιρετὸν μέρος ἡ βακτηρία.  

























702b











702a28 ὀλεκράνωι β E NLC a : ὠλεκράνωι cett.  29 κινεῖ καὶ

κινεῖται β : κινεῖται α | ἀλλ’ β : om. α | δ 〈ὴ 〉 εἶναι scripsi : δ’ εἶ­ ναι ω | εἶναί τι βγ : εἶναι τινὰ E  30 καὶ α : om. β | ἓν scripsi : ἓν εἶναι ω  31 ὁ β : om. α  702b1 εἰ μὴ καὶ β : εἰ μὴ α  4 μόριον β : μέρος α | ὀλέ­κ ρα­νον β E NC a : ὠλέκρανον cett.

33

8 · 702 a 23 – 702 b 6



So kommt es auch, dass die Natur es einmal wie ein einziges benutzt und ein andermal wie zwei. | 24  | Wenn nämlich vom Gelenk eine Bewegung ausgeht, bleibt der eine der Endpunkte im Gelenk notwendig unbewegt, während der andere bewegt wird. | 26  | Denn es ist vorher gesagt worden, dass das Bewegende sich auf ein Ruhendes stützen muss. | 27  | Nun wird der äußere Endpunkt des Unterarmes bewegt, ohne zu bewe­ gen. | 28  | Im Ellenbogengelenk hingegen gibt es zwar etwas, was bewegt und bewegt wird, nämlich das, was zum Unterarm als ganzem gehört, wenn er seinerseits bewegt wird. |  29  |  Aber es ist klarerweise notwendig, dass es im Gelenk auch etwas Unbewegtes gibt: | 30  | In diesem Sinne behaupten wir ja, dass das Gelenk zu etwas wird, das zwar der Möglichkeit nach ein Punkt ist, der Wirklichkeit nach jedoch zwei. | 31 | Mithin würde sich dann, wenn der Unterarm das ganze Lebe­wesen wäre, der bewegende Ausgangspunkt der Seele wohl im Ellbogengelenk befinden. | 32  | Da es aber möglich ist, dass sich etwas Unbeseeltes auf besagte Weise zur Hand verhält – wenn man z. B. den Stab in der Hand bewegt –, |  34  | ist klar, dass die Seele sich wohl in keinem der beiden Endpunkte befinden dürfte, weder in dem [ i nneren ] Endpunkt dessen, was bewegt wird, noch in dem äußeren Endpunkt der Hand. | 36  | Denn auch der Holzstab hat einen Ansatzpunkt [ in der Hand ] und einen [ eigenen, ] zur Hand hin gelegenen Endpunkt. | 1 | Aufgrund dessen ergibt sich, dass, wenn der von der Seele aus bewegende Ursprung nicht auch in dem Stab ist, er auch nicht in der Hand sein wird. | 3  | Denn die Extremität der Hand verhält sich genauso zum Handgelenk, wie dieser Körperteil sich zum Ellbogen verhält. | 4  | Die angewachsenen Körperteile unterscheiden sich nämlich in keiner Weise von denen, die es nicht sind. | 5  | Der Stab wird nämlich gewissermaßen zu einem abtrennbaren Körperteil. |  23  |





























702b

34

8 | 9 · 702 b 6 – 702 b 24

ἀνάγκη ἄρα ἐν μηδεμιᾶι εἶ | 7 | ναι ἀρχῆι ἥ ἐστιν ἄλλου τε­ λευτή, μηδὲ εἴ τί ἐστιν ἕτερον | 8  | ἐκείνου ἐξωτέρω, οἷον τοῦ μὲν τῆς βακτηρίας ἐσχάτου ἐν τῆι | 9  | χειρὶ ἡ ἀρχή, τούτου δὲ ἐν τῶι καρπῶι. εἰ δὲ μηδ’ ἐν τῆι |10  | χειρί, ὅτι ἀνωτέρω ἔτι, ἡ ἀρχὴ οὐδ’ ἐνταῦθα· ἔτι γὰρ τοῦ |11 | ὀλεκράνου μένον­ τος κινεῖται ἅπαν τὸ κάτω συνεχές.  





9

Ἐπεὶ δὲ ὁμοίως ἔχει ἀπὸ τῶν ἀριστερῶν καὶ ἀπὸ τῶν δεξιῶν, καὶ ἅμα τὰ ἐναντία κινεῖται, ὥστε μὴ εἶναι τῶι ἠρε |14  | μεῖν τὸ δεξιὸν κινεῖσθαι τὸ ἀριστερὸν μηδ’ αὖ τῶι τοῦτο ἐκεῖνο, |15  | ἀεὶ δ’ ἐν τῶι ἀνωτέρωι ἀμφοτέρων ἡ ἀρχή, ἀνάγκη ἐν τῶι |16  | μέσωι εἶναι τὴν ἀρχὴν τῆς ψυχῆς τῆς κινούσης· ἀμφοτέρων |17  | γὰρ τῶν ἐσχάτων τὸ μέσον ἔσχα­ τον. ὁμοίως δ’ ἔχει πρὸς τὰς |18  | κινήσεις τοῦτο καὶ τὰς ἀπὸ τοῦ ἄνω καὶ κάτω οἷον τὰς |19  | ἀπὸ τῆς κεφαλῆς, 〈 καὶ 〉 τὰς ἀπὸ τῆς ῥάχεως τοῖς ἔχουσιν | 20  | ῥάχιν. καὶ εὐλόγως δὲ τοῦτο συμβέβηκεν· καὶ γὰρ τὸ αἰ | 21 | σθητικὸν ἐνταῦθα εἶναί φαμεν ὥστε ἀλλοιουμένου διὰ τὴν αἴ | 22  | σθησιν τοῦ τόπου τοῦ περὶ τὴν ἀρχὴν καὶ μεταβάλλοντος τὰ | 23  | ἐχόμενα συμμε­ ταβάλλει ἐκτεινόμενά τε καὶ συναγόμενα | 24  | τὰ μόρια, |12  |

|13  |











702b12–20 respicit Alexander De anima 97,25–98,1 Bruns 8 ἐσχάτου α : τοῦ ἐσχάτου β  11 ὀλεκράνου β E Νa.c.C a : ὠλε­ κρά­νου cett.  14 μηδ’ αὖ α : μὴ δὲ β  15 τῶι ἀνωτέρωι E : iota

b

codd. rell. fere omnes more suo omittunt | ἡ ἀρχή βγ : ἀρχή E 1  7 ἐσχάτων β : ἄκρων α  19 καὶ coni. θ : πρὸς ω | τὰς βγ : τὰ E 23 συμμεταβάλλει βγ : συμμεταβάλλειν E

8 | 9 · 702 b 6 – 702 b 24



35

Also ist notwendig, dass [ der von der Seele aus bewegende Ursprung ] sich in keinem Ausgangspunkt befindet, der das Ende eines anderen Teils ist, und zwar auch dann nicht, wenn es zusätzlich noch einen fremden Teil gibt, der sich noch weiter außen befindet, | 8  | wie wenn z. B. der Ansatzpunkt für den Endpunkt des Stabes in der Hand liegt und deren Ausgangspunkt im Handgelenk. | 9  | Wenn sich der Ausgangspunkt aber nicht einmal in der Hand befindet, weil er noch weiter oben liegt, befindet er sich auch nicht dort [ scil. im Handgelenk ]. |10  | Denn wenn auch noch der Ellbogen unbewegt bleibt, bewegt sich alles, was unterhalb liegt, in einem Stück. |  6  |





9

Da der Körperbau links und rechts gleichmäßig ist und die entgegengesetzten Seiten des Körpers gleichzeitig bewegt werden können – |13  | so dass es nicht möglich ist, dass dadurch, dass die rechte Seite im Ruhezustand verharrt, die linke bewegt wird, und auch nicht umgekehrt jene dadurch, dass diese im Ruhezustand verharrt – |15  | und da der Ausgangspunkt in jedem Gelenk im oberen der beiden Endpunkte liegt, deswegen ist notwendig, dass sich der Ausgangspunkt der bewegenden Seele in der Mitte des Körpers befindet; |16  | denn für die jeweils letzten Endpunkte beider Seiten ist wiederum die Körpermitte der Endpunkt. |17  | Und in gleicher Weise verhält sich die Körpermitte sowohl zu den Bewegungen, die von oben bzw. unten ausgehen, z. B. denen, die vom Kopf ausgehen, 〈 als auch 〉 zu denen, die von der Wirbelsäule ausgehen, sofern es sich um Wirbeltiere handelt. | 20  | Und dies ist auch aus gutem Grund der Fall: | 20  | Wir behaupten nämlich, dass auch das Wahrnehmungsvermögen seinen Sitz in der Mitte hat, so dass, wenn sich die Gegend um den Ausgangspunkt aufgrund der Wahrnehmung qualitativ verändert und umschlägt, die sich daran anschließenden Körperteile durch Expansion und Kontraktion von diesem Vorgang erfasst werden |12  |





36

9 · 702 b 24 – 703 a 3

ὥστ’ ἐξ ἀνάγκης διὰ ταῦτα γίγνεσθαι τὴν κίνησιν | 25  | τοῖς ζώιοις. τὸ δὲ μέσον τοῦ σώματος μέρος δυνάμει μὲν ἓν | 26  | ἐνεργείαι δὲ ἀνάγκη γίνεσθαι πλείω· καὶ γὰρ ἅμα κινεῖται | 27  | τὰ κῶλα ἀπὸ τῆς ἀρχῆς, καὶ θατέρου ἠρεμοῦντος θάτερον | 28  | κινεῖ­ται. λέγω δὲ οἷον ἐπὶ τῆς ΑΒΓ τὸ Β κινεῖται, κινεῖ | 29  | δὲ τὸ Α. ἀλλὰ μὴν δεῖ γέ τι ἠρεμεῖν, εἰ μέλλει τὸ μὲν | 30  | κινήσεσθαι τὸ δὲ κινεῖν. ἓν ἄρα δυνάμει ὂν τὸ Α ἐνεργείαι δύο | 31 | ἔσται, ὥστε ἀνάγκη μὴ στιγμὴν ἀλλὰ μέγεθός τι εἶναι. | 32  | ἀλλὰ μὴν ἐνδέχεται καὶ τὸ Γ ἅμα κινεῖσθαι τῶι Β, ὥστε ἀν | 33  | άγκη ἀμφοτέρας τὰς ἀρχὰς τὰς ἐν τῶι Α κινουμένας κινεῖν. | 34  | δεῖ τι ἄρα εἶναι παρὰ ταύτας ἕτερον, τὸ κινοῦν καὶ μὴ κινού| 35  | μενον· ἀπερείδοιντο μὲν γὰρ ἂν τὰ ἄκρα καὶ αἱ ἀρχαὶ αἱ | 36  | ἐν τῶι Α πρὸς ἀλλήλας κινουμένων, ὥσπερ ἂν εἴ τινες τὰ | 1  | νῶτα ἀντερείδοντες κινοῖεν τὰ σκέλη. ἀλλὰ τὸ κινοῦν ἄμ | 2  | φω ἀναγκαῖον 〈 ἓν 〉 εἶναι, τοῦτο δέ ἐστιν ἡ ψυχή, ἕτερον μὲν οὖσα | 3  | τοῦ μεγέθους τοῦ τοιούτου, ἐν τούτωι δ’ οὖσα.  























703a





702b25 ἕν α : om. β  28–36 diagramma servavit γ (C aOd Z a) 29 ἠρε­μ εῖν α : ἠρεμοῦν β  30 ὂν τὸ Α β E : ὄντα τὰ ΑE γ 31 ἔσται α : ἐστίν β  32 καὶ β : om. α | κινεῖσθαι τῶι Β β : τῶι Β κινεῖσθαι α 703a1–2 ἀναγκαῖον 〈 ἓ ν 〉 εἶναι Γ1 A : ἀναγκαῖον

εἶναι ω

37

9 · 702 b 24 – 703 a 3



und folglich dadurch die Bewegung bei den Lebe­wesen mit Notwendigkeit eintritt. | 25  | Es ist aber notwendig, dass der mittlere Teil des Körpers dabei zu etwas wird, das zwar der Möglichkeit nach eines ist, der Wirklichkeit nach aber mehreres. | 26  | Denn einerseits gilt, dass die Gliedmaßen gleichzeitig vom Ausgangspunkt aus bewegt werden können, und andererseits gilt, dass etwas nur bewegt werden kann, wenn etwas anderes sich im Ruhe­zustand befindet. | 28  | Ich meine dies so: An der Figur ABC ist Punkt B das Bewegte und Punkt A das Bewegende. | 29  | Nun muss sich aber etwas im Ruhe­z ustand befinden, wenn ein Teil bewegt werden und der andere bewegen soll. | 30  | Also wird Punkt A, wenn er dem Vermögen nach ein einziger ist, der Wirklichkeit nach zwei sein, so dass es sich dabei notwendig nicht um einen geometrischen Punkt, sondern um etwas Ausgedehntes handelt. | 32  | Nun ist es aber möglich, dass, gleichzeitig mit B, auch C bewegt wird, so dass not­ wendig beide in A befindlichen Ausgangspunkte zugleich bewegen und bewegt sind. | 34  | Also muss es neben diesen etwas anderes geben, nämlich das Bewegende, das nicht bewegt ist. | 35  | Denn sonst würden die Extremitäten bzw. ihre Ausgangspunkte in A sich gegenseitig aufeinander abstützen, obwohl sie doch beide in Bewegung sind, | 36  | wie wenn zwei Menschen, die ihre Rücken gegeneinander stemmen, gleichzeitig jeweils beide Beine hochnehmen wollten. | 1 | Es ist aber zwingend notwendig, dass dasjenige, was beide bewegt, eines ist, und dies ist die Seele, | 2  | die zwar von der räumlich ausgedehnten Körpermitte verschieden ist, sich aber in ihr befindet. |  24  |























703a

38

10 · 703 a 4 – 703 a 23

10

Κατὰ μὲν οὖν τὸν λόγον τὸν λέγοντα τὴν αἰτίαν τῆς | 5  | κινή­σεως ἐστὶν ἡ ὄρεξις τὸ μέσον, ὃ κινεῖ κινούμενον· ἐν δὲ | 6  | τοῖς ἐμψύχοις σώμασιν δεῖ τι εἶναι σῶμα τοιοῦτον. τὸ μὲν | 7  | οὖν κινούμενον μὲν μὴ πεφυκὸς δὲ κινεῖν δύναται πάσχειν | 8  | κατ’ ἀλλοτρίαν δύναμιν· τὸ δὲ κινοῦν ἀναγκαῖον ἔχειν τινὰ | 9  | δύναμιν καὶ ἰσχύν. πάντα δὲ φαίνεται τὰ ζῶια καὶ ἔχοντα |10  | πνεῦμα σύμφυτον καὶ ἰσχύοντα τούτωι. τίς μὲν οὖν ἡ σωτη |11 | ρία τοῦ συμφύτου πνεύματος, εἴρηται ἐν ἄλλοις. τοῦτο δὲ |12  | πρὸς τὴν ἀρχὴν τὴν ψυχικὴν ἔοικεν ὁμοίως ἔχειν ὥσπερ τὸ |13  | ἐν ταῖς καμπαῖς σημεῖον, τὸ κινοῦν καὶ κινούμενον, πρὸς τὸ |14  | ἀκίνητον. ἐπεὶ δ’ ἡ ἀρχὴ τοῖς μὲν ἐν τῆι καρδίαι τοῖς δ’ ἐν |15  | τῶι ἀνάλογον, διὰ τοῦτο καὶ τὸ πνεῦμα τὸ σύμφυτον ἐν |16  | ταῦθα φαίνεται ὄν. πότερον μὲν οὖν ταὐτόν ἐστιν τὸ πνεῦμα |17  | ἀεὶ ἢ γίγνεται ἀεὶ ἕτερον, ἔστω ἄλλος λόγος· (ὁ αὐτὸς γάρ |18  | ἐστιν καὶ περὶ τῶν ἄλλων μορίων)· φαίνεται δ’ εὐφυῶς ἔχον |19  | πρὸς τὸ κινητικὸν εἶναι καὶ παρέχειν ἰσχύν. τὰ δὲ ἔργα τῆς | 20  |  κινή­σεως ὦσις καὶ ἕλξις, ὥστε δεῖ τὸ ὄργανον αὐξάνεσθαί | 21 | τε δύνασθαι καὶ συστέλλεσθαι. τοιαύτη δέ ἐστιν ἡ τοῦ πνεύ | 22  | ματος φύσις· καὶ γὰρ ἀβίαστος συστελλομένη 〈 τε καὶ ἐκτεινομένη 〉 καὶ βίαι 〈 ἑλκ〉 τικὴ | 23  | καὶ ὠστικὴ διὰ τὴν αὐτὴν αἰτίαν· |  4  |  

















703a10–11 τίς μὲν—ἄλλοις] haec verba ad librum περὶ τροφῆς

spectant secundum Mich. et Rose; ad librum De respiratione se­cun­dum cod. Vat. V ², ad incerti auctoris librum De spiritu se­ cun­dum Zeller et Bonitz  14 –16 et 19 –22 respicit Al. De anima 77,10–11, 13, 5–6 Bruns 10–11 τίς μὲν—ἄλλοις] num genuina sint dubitat Jaeger (cl.    6–17 πότερον—λόγος)  17 ἕτερον, ἔστω ἄλλος λόγος α : ἕτε­ 1 ρος λόγος, ἄλλος β  22 συστελλομένη 〈 τε καὶ ἐκτεινομένη 〉 Farquharson : συστελλομένη ω | βίαι 〈 ἑλκ 〉 τικὴ scripsi : βια­σ τικὴ ω : tractiva G, unde ἑλκτικὴ Farquharson a

39

10 · 703 a 4 – 703 a 23



10

Nun ist zwar nach der Erklärung, die die Ursache der Bewegung angibt, die Strebung das Mittlere, welches bewegt und bewegt wird, in den beseelten Körpern aber muss dieses Mittlere ein Körper sein. | 6  | Das nun, was zwar bewegt wird, seiner Natur nach aber nicht bewegt, hat nur das Vermögen, von einer fremden Kraft zu erleiden; | 8  | dagegen muss das, was bewegt, eine gewisse Kraft und Stärke haben. | 9  | Es ist aber offensichtlich, dass alle Lebe­wesen über angeborenes Pneuma verfügen und dass sie damit ihre Kraft ausüben. |10  | Worin nun die Erhaltung des angeborenen Pneuma besteht, ist an anderer Stelle abgehandelt. |11 | Dies aber scheint sich zum seelischen Ausgangspunkt auf ähnliche Weise zu verhalten wie in den Gelenken die Stelle, die bewegt und bewegt wird, sich zur unbewegten Stelle verhält. |14  | Weil aber der Ausgangspunkt sich bei manchen Lebe­wesen im Herzen befindet und bei den anderen in dem entsprechenden Organ, deswegen hat offensichtlich auch das angeborene Pneuma dort seinen Sitz. |16  | Die Frage nun, ob das Pneuma immer dasselbe ist oder ob ständig neues entsteht, gehört zu einer anderen Untersuchung; |17  | dieselbe Frage stellt sich nämlich auch bei den anderen Körperteilen. |18  | Offenbar eignet es sich aber von Natur dazu, Bewegung zu bewirken und Kraft zu verleihen. |19  | Die für die Bewegung erforderlichen Leis­ tungen sind Stoßen und Ziehen, so dass das entsprechende Werkzeug fähig sein muss, sowohl zu expandieren als auch zu kontrahieren. | 21 | Von solcher Art aber ist seiner Natur nach das Pneuma. | 22  | Denn während es selbst ohne mechanische Gewalteinwirkung zusammengezogen und 〈 und ausgedehnt 〉 wird, vermag es gewaltsam zu 〈 ziehen 〉 und zu stoßen, und zwar aus demselben Grund: |  4  |











40

10 | 11 · 703 a 23 – 703 b 6

καὶ ἔχει βάρος πρὸς | 24  | τὰ πυρώδη καὶ κουφότητα πρὸς τὰ ἐναντία. δεῖ δὲ τὸ μέλ | 25  | λον κινεῖν μὴ ἀλλοιώσει τοιοῦτον εἶναι· κρατεῖται γὰρ κατὰ | 26  | τὴν ὑπεροχὴν τὰ φυσικὰ σώματα ὑπ’ ἀλλήλων, τὸ μὲν κοῦ | 27  | φον κάτω ὑπὸ τοῦ βαρυτέρου ἀπονικώμενον, τὸ δὲ βαρὺ | 28  | ἄνω ὑπὸ τοῦ κουφοτέρου. ὧι μὲν οὖν κινεῖ κινουμένωι μορίωι ἡ | 29  | ψυχή, εἴρηται, καὶ δι’ ἣν αἰτίαν. ὑποληπτέον δὲ συνεστά | 30  | ναι τὸ ζῶιον ὥσπερ πόλιν εὐνομουμένην. | 30  | ἔν τε γὰρ τῆι πό| 31 | λει ὅταν ἅπαξ στῆι ἡ τάξις, οὐθὲν δεῖ κεχωρισμένου μο | 32  | νάρχου, ὃν δεῖ παρεῖναι παρ’ ἕκαστον τῶν γινομένων, ἀλλ’ | 33  | αὐτὸς ἕκαστος ποιεῖ τὰ αὑτοῦ ὡς τέτακται, καὶ γί­νε­ται | 34  | τόδε μετὰ τόδε διὰ τὸ ἔθος· ἔν τε τοῖς ζώιοις τὸ αὐτὸ τοῦτο | 35  | διὰ τὴν φύσιν γίνεται καὶ τῶι πεφυκέναι ἕκαστον, οὕτω συ | 36  | στάντων, ποιεῖν τὸ αὑτοῦ ἔργον, ὥστε μηδὲν δεῖν ἐν ἑκάστωι | 37  | εἶναι ψυχήν, ἀλλ’ ἔν τινι ἀρχῆι τοῦ σώματος οὔσης τὰ ἄλλα | 1  | ζῆν μὲν τῶι προσπεφυκέναι, ποιεῖν δὲ τὸ ἔργον τὸ ἑαυτῶν | 2  | διὰ τὴν φύσιν.  





























703b



11

Πῶς μὲν οὖν κινεῖται τὰς ἑκουσίους κινήσεις τὰ ζῶια, | 4  | καὶ διὰ τίνας αἰτίας, εἴρηται. κινεῖται δέ τινας καὶ ἀκου| 5  | σίους ἔνια τῶν μερῶν, τὰς δὲ πλείστας οὐχ ἑκου­ σ ίους. λέγω | 6  | δὲ ἀκουσίους μὲν οἷον τὴν τῆς καρδίας τε καὶ τὴν τοῦ αἰδοίου· |  3  |    



703a23 βάρος β : καὶ βάρος α 25–26 κρατεῖται … ὑπ’ ἀλλήλων β : κρατεῖ … ἀλλήλων α  28 τοῦ α : om. β  36 ποιεῖν α : ποιεῖ β  703b1 ἑαυτῶν β : αὐτῶν α

41

10 | 11 · 703 a 23 – 703 b 6



Es hat sowohl Schwere in Relation zu den feuerartigen als auch Leichtigkeit in Relation zu den entgegengesetzten natürlichen Körpern. | 24  | Das was bewegen soll, darf aber kein Beweger mittels qualitativer Veränderung sein. | 25  | Von einander überwältigt werden die natürlichen Körper nämlich je nachdem, welcher gerade den anderen überwiegt: das Leichte, wenn es vom siegreichen Schwereren nach unten, und das Schwere, wenn es vom siegreichen Leichteren nach oben abgedrängt wird. | 28  | Mit welchem bewegten Körperteil die Seele bewegt und aus welcher Ursache, ist hiermit gesagt. | 29  | Es ist aber anzunehmen, dass das Lebe­wesen so zusammengesetzt ist wie ein Staatswesen mit guten Gesetzen. | 30  | Denn auch im Staatswesen bedarf es, wenn die Ordnung einmal etabliert ist, nicht mehr eines davon verschiedenen Monarchen, der bei allen Vorgängen anwesend sein muss, | 32  | sondern jedermann tut das Seinige so, wie es angeordnet ist, und das eine wird nach dem anderen getan aufgrund von Gewohnheit; | 34  | und bei den Lebe­wesen geschieht eben dies aufgrund ihrer Natur, d. h. dadurch, dass jeder einzelne Teil – da sie in dieser Weise zusammengestellt sind – von Natur seine eigene Leis­tung erbringt, | 36  | so dass es nicht in jedem einzelnen Teil eine Seele geben muss, sondern, indem die Seele sich in einem bestimmten Ausgangspunkt des Körpers befindet, die anderen Teile dadurch lebendig sind, | 1  | dass sie daran angewachsen sind und ihre jeweils eigenen Leistungen aufgrund ihrer Natur erbringen. |  23  |

















11

Wie die Lebe­wesen sich also in ihren willentlichen Bewegungen bewegen und aus welchen Ursachen, ist gesagt worden. | 4  | Manche von den Körperteilen bewegen sich aber auch in bestimmten unwillkürlichen Bewegungen, größtenteils aber in nicht-willentlichen [ d. h. vegetativen ] Bewegungen. | 5  | Unter den unwillkürlichen verstehe ich z. B. die Bewegung des Herzens und auch die des Geschlechtsteils; |  3  |





703b

42

11 · 703 b7 – 703 b 29

πολλάκις γὰρ φανέντος μέν τινος οὐ μέντοι κελεύσαντος τοῦ | 8  | νοῦ κινοῦνται. οὐχ ἑκουσίους δὲ οἷον ὕπνον καὶ ἐγρήγορ | 9  | σιν καὶ ἀναπνοήν, καὶ ὅσαι ἄλλαι τοιαῦταί εἰσιν· οὐθε |10  | νὸς γὰρ τούτων κυρία ἁπλῶς ἐστιν οὔθ’ ἡ φαντασία οὔθ’ ἡ |11 | ὄρε­ξις. ἀλλ’ ἐπειδὴ ἀνάγκη ἀλλοιοῦσθαι τὰ ζῶια φυσικὴν |12  | ἀλλοίωσιν, ἀλλοιουμένων δὲ τῶν μορίων τὰ μὲν αὐξάνεσθαι |13  | τὰ δὲ φθίνειν, ὥστ’ ἤδη κινεῖσθαι καὶ μεταβάλλειν τὰς |14  | πεφυκυίας ἔχεσθαι μεταβολὰς ἀλλήλων, (αἰτίαι δὲ τῶν |15  | κινήσεων θερμότητες καὶ ψύξεις αἵ τε θύραθεν καὶ |16  | ἐντὸς ὑπάρχουσιν φυσικαί), καὶ αἱ παρὰ τὸν λόγον δὴ γι |17  | νόμεναι κινήσεις τῶν ῥηθέντων μορίων ἀλλοιώσεως συμπε |18  | σούσης γίγνονται. ἡ γὰρ νόησις καὶ ἡ φαντασία, ὥσπερ εἴ |19  | ρηται πρότερον, τὰ ποιητικὰ τῶν παθημάτων προσφέρουσιν· | 20  | τὰ γὰρ εἴδη τῶν ποιητικῶν προσφέρουσιν. μάλιστα δὲ τῶν | 21 | μορίων ταῦτα ποιεῖ ἐπιδήλως διὰ τὸ ὥσπερ ζῶιον κεχω | 22  | ρισμένον ἑκάτερον εἶναι τῶν μο­ρίων. τούτου δ’ αἴτιον ὅτι ἔχου | 23  | σιν ὑγρότητα ζωτικήν. ἡ μὲν οὖν καρδία φανερὸν δι’ ἣν αἰ | 24  | τίαν· τὰς γὰρ ἀρχὰς ἔχει τῶν αἰσθήσεων· τὸ δὲ μόριον τὸ γεν | 25  | νητικὸν ὅτι τοιοῦτόν ἐστιν, σημεῖον· καὶ γὰρ ἐξέρχεται ἐξ | 26  | αὐτοῦ ὥσπερ ζῶιόν τι ἡ τοῦ σπέρματος δύναμις. αἱ δὲ κι | 27  | νήσεις τῆι τε ἀρχῆι ἀπὸ τῶν μορίων καὶ τοῖς μορίοις ἀπὸ | 28  | τῆς ἀρχῆς εὐλόγως συμβαίνουσιν. καὶ πρὸς ἄλληλα δὲ οὕτως | 29  | ἀφικνοῦνται· |  7  |

























703b7 μέν … οὐ μέντοι β : μέν om. α  8 ἑκουσίους βγ : ἑκουσί­ ως Ε  8–9 καὶ ἐγρήγορσιν α : ἐγρήγορσιν β  12 αὐξάνεσθαι β : αὔ­ξε­σ θαι α  15 θερμότητες καὶ β : θερμότητές τε καὶ α | αἵ τε (relat.) … καὶ β : αἵ τε (artic.) … καὶ αἱ α  16 ὑπάρχουσιν β : ὑπά­ρ χουσαι α | φυσικαί α : αἱ φυσικαί β  22 τούτου βγ : τού­ το E  24 τὰς γὰρ βγ : τὰς E  28 ἄλληλα δὲ βγ : ἀλλήλας E

43

11 · 703 b7 – 703 b 29



denn es kommt häufig vor, dass man lediglich aufgrund eines Sinneseindrucks und ohne Befehl des Denkens bewegt wird. | 8  | Unter den nicht-willentlichen aber verstehe ich z. B. Schlaf und Wachen und Atmung und alle übrigen Bewegungen, die von dieser Art sind; | 9  | denn über nichts davon haben die Vorstellung und die Strebung ohne weiteres Macht. |11 | Da es nun aber notwendig ist, dass die Lebe­ wesen natürliche qualitative Veränderung erleiden und dass ihre Körperteile aufgrund ihrer Veränderung teils zunehmen und teils abnehmen, so dass sie bereits Bewegungen und Wechselprozesse durchmachen, die von Natur aufeinander folgen |14  | (Ursachen dieser Bewegungen sind aber Erhitzungen und Erkaltungen, die von Natur aus bestehen und sowohl von außen her als auch im Inneren auftreten), |16  | deshalb passieren uns auch die an dem Denken vorbei sich ereignenden Bewegungen besagter Körperteile, nachdem eine qualitative Veränderung eingetreten ist: |18  | Das Denken nämlich und die Vorstellung bringen, wie vorher gesagt wurde, das heran, was die Affektionen bewirken kann, weil sie die Formen dessen, was sie bewirken kann, heranbringen. | 20  | Die besagten Körperteile vollziehen diese Bewegungen aber deswegen auf besonders auffällige Weise, weil jeder dieser Teile so wie ein selbstständiges Lebe­wesen ist. | 22  | Ursache hierfür ist, dass sie vitale Feuchtigkeit haben. | 23  | Nun ist beim Herzen klar, aus welchem Grund: Es enthält nämlich die Ausgangspunkte der Wahrnehmungsarten. | 24  | Und dafür, dass das Zeugungsteil von dieser Beschaffenheit ist, gibt es folgendes Indiz: | 25  | Die vitale Kraft des Samens tritt nämlich so wie eine Art Lebe­wesen aus ihm heraus. | 26  | Es versteht sich, dass die Genese der Bewegungen zunächst von den Teilen zum Ursprung verläuft und dann vom Ursprung zu den Teilen. | 28  | Auf demselben Wege können die Teile aber auch einander direkt erreichen. |  7  |



















44

11 · 703 b 29 – 704 b 3

δεῖ γὰρ νοῆσαι τὸ Α ἀρχήν. αἱ οὖν κινήσεις | 30  | καθ’ ἕκαστον στοιχεῖον τῶν ἐπιγεγραμμένων ἐπὶ τὴν ἀρχὴν | 31 | ἀφικνοῦνται καὶ ἀπὸ τῆς ἀρχῆς κινου­ μένης καὶ μεταβαλ | 32  | λούσης, ἐπειδὴ πολλὰ δυνάμει ἐστίν· ἡ μὲν τοῦ Β ἀρχὴ | 33  | ἐπὶ τὸ Β, ἡ δὲ τοῦ Γ ἐπὶ τὸ Γ, ἡ δὲ ἀμφοῖν ἐπ’ ἄμφω. | 34  | ἀπὸ δὲ τοῦ Ε ἐπὶ τὸ Γ τῶι ἀπὸ μὲν τοῦ Ε ἐπὶ τὸ Α | 35  | ἐλθεῖν ὡς ἐπ’ ἀρχήν, ἀπὸ δὲ τοῦ Α ἐπὶ τὸ Γ ὡς ἀπ’ ἀρ | 36  | χῆς. ὅτι δὲ ὁτὲ μὲν τὰ αὐτὰ νοησάντων γίνεται ἡ κίνησις ἡ | 37  | παρὰ τὸν λόγον ἐν τοῖς μορίοις, ὁτὲ δ᾿ οὔ, αἴτιον τὸ ὁτὲ | 1  | μὲν ἐνυπάρχειν τὴν παθητικὴν ὕλην ὁτὲ δὲ μὴ τοσαύτην ἢ | 2  | τοιαύτην. | 3  | περὶ μὲν οὖν τῶν μορίων ἑκάστου τῶν ζώιων, καὶ περὶ | 1  | ψυχῆς, ἔτι δὲ καὶ περὶ αἰσθήσεως καὶ ὕπνου καὶ μνήμης καὶ | 2  | τῆς κοινῆς κινήσεως, εἰρήκαμεν τὰς αἰτίας· λοιπὸν δὲ περὶ | 3  | γενέσεως εἰπεῖν.  















704 a



704b







703b29–36 dia­g ramma serva­verunt et β(Er) et γ (A[Z a Anon.] C aOd)  34 ἀπὸ δὲ τοῦ Ε scripsi secundum diagramma : ἀπὸ

δὲ τοῦ Β ω | τῶι β E : τὸ δ’ γ | ἀπὸ μὲν τοῦ Ε scripsi secundum diagramma : ἀπὸ μὲν τοῦ Β ω  36 ὅτι βγ : ἔτι E | τὰ αὐτὰ β : ταῦτα α  704b1 καὶ περὶ β : καὶ om. α



11 · 703 b 29 – 704 b 3

45

A muss man nämlich als Ursprung betrachten. |  29  | Gemäß jedem der beigeschriebenen Buchstaben kommen nun die Bewegungen zum Ursprung hin und sodann – wenn er in Bewegung ist und sich verändert – vom Ursprung weg; denn er ist dem Vermögen nach viele: |  32  | Der Ursprung von B kommt zu B, der von C zu C , der von beiden aber kommt zu beiden. |  34  | Doch die unmittelbare Bewegung von E zu C kommt dadurch zustande, dass sie von E zu A kommt wie zu einem Ursprung und weiter von A zu C wie von einem Ursprung her. |  36  | Ursache dafür, dass dann, wenn man ein und dasselbe denkt, manchmal die Bewegung an dem Denken vorbei in den Teilen stattfindet und manchmal nicht, ist, | 1  | dass im Körper manchmal die affizierbare Materie in der genügenden Quantität oder Qualität vorhanden ist, manchmal jedoch nicht. |  3  | Über die Teile jedes Lebe­wesens und über die Seele, | 1  | ferner über Wahrnehmung und Schlaf und Erinnerung und die den Lebe­wesen gemeinsame Bewegung haben wir nun gesprochen bzw. die Ursachen angegeben. | 3  | Nun steht es noch aus, über Entstehung zu sprechen. |  29  |

704 a

704b

APPARATVS PLENIOR

T itvlvs Tituli spurii a me deleti quem Andronicus ab operis initio deri­ vasse videtur formae duae traduntur: I (ζώιων ante κινήσεως): ἀριστοτέλους περὶ ζώιων κινήσεως ω (ἀριστοτέλους περὶ τῆς τῶν ζώων κινήσεως ErOdS : περὶ ζώων κινήσεως πρῶτον Ν² : ἀριστοτέλους περὶ ζώων κινήσεων A [Za Anon.(Aristotelis de motibus animalium)] : nil habent N¹Vp¹) : Περὶ ζῴων κινήσεως γ’ Appendix Hesychiana, p. 87, Nr. 156 Düring : ἐν τοῖς Περὶ ζῴων κινήσεως Alex. De anima 97,26–27 Bruns : ἐν τῷ Περὶ ζῴων κινήσεως Simpl. In physicam 1191,6–7 Diels : Περὶ ζῴων κινήσεως edd. II (κινήσεως ante ζώιων): 〈 π ερὶ 〉 κινήσεως τῶν ζῴων 〈 α’ 〉 / Ἀνα­ ·   τομῶν ζ’ Ptolemaeus al-Garīb apud Ibn al-Qifṭī 45,1–2 Lippert

(‫ مقاالت‬٧ ‫كتابه فى حركة الحيوانات وتشريحها ويس ّمى قينيسأوس طين زوأون أناطومن‬

„Liber eius de motu animalium et sectione eorum, et apellatur qīnīsaʾūs .  t īn zūʾūn ʾanāt.  ūmn 7 tractatūs“) : Περὶ κινήσεως ζῴων Simpl. In cael. 398,20 Heiberg; In phys. 670,1 Diels; Simpl. (?) In an. 301,18; 303,15 et 22 Hayduck; Philop. In phys. 2,9 Vitelli : Περὶ τῆς κινήσεως ζῴων Philop. In an. 157,21–22 Hayduck.



Apparatus plenior  ·  Caput 

47

T extvs Caput 1 698 1 τῆς τῶν ζώων κινήσεως β(BeEr OdSVp) : κινήσεως τῆς τῶν a

ζώ(ι)ων E C a Mich.l(S) 104,6 cf. G(de motu autem eo qui animalium) : κινήσεως τῶν ζώων ζ(NXHa LVg Za PBpMo) : περὶ δὲ τῆς κινήσεως τῶν ζώων b | ζώιων E, qui iota adscriptum passim conservat : ζώων cett.; iota subscriptum hic illic praebent C a, Vp, N, L, b 1–2 αὐτῶν περὶ ἕκαστον β(BeErb) E : περὶ ἕκαστον αὐτῶν cett. (Mich.l 104,6–7)  4–5 κινεῖσθαι] κινεῖσθε E : κοινεῖσθαι Bp 6 τῶν ζώ(ι)ων] τῶν ζώντων κ(SVp) : τὰ δὲ ἕρψει Mich.p 104,14–15 (ad librum De incessu spectans) ι (A[Anon.(cf. reptilia); deficit Za] PBpMo)  7 οὖν] om. β(BeEr)  8 αὐτὸ αὑτὸ β(BeErb) : αὐτὸ αυτὸ E : αὐτὸ ἑαυτὸ cett., edd.  11 τίς] τί E  11–12 καθόλου] om. Mich.l 104,18 μ(PBpMo) Jaeger  13–14 καὶ ἐφ’ ὧν ἐφαρμόττειν οἰόμεθα δεῖν αὐτούς] cf. οὓς εἰ μὲν εὑρήσομεν ἐφαρμόζοντας τοῖς μερικοῖς, πιστεύομεν, εἰ δὲ μή, ἀποσειόμεθα Mich.p 104,25–26, unde eas que conveniunt particularibus acceptamus et eas que non conveniunt particularibus abicimus Alb. in marg. (cf. De Lee­mans 2011b, lxxii)  14 ἐφαρμόττειν] ἐναρμόττειν Ea.c.  16 μὲν] μὲν οὖν E Bp (cf. igitur Anon.) Jaeger Torraca Nuss­baum  16 –17 ἀεὶ … ἠρεμεῖ β(BeErb) : δεῖ … ἠρεμεῖν cett., edd.  22–24 diagramma servaverunt E Mich.(ORP) NL Za C aOd nec­non Bodl. Can. 107 (Bo) aut ex Γ2 aut ex κ | diagrammatis for­mae traduntur tres, quarum primam et NC aZaOd Mich.(P) praebent et Michael ante oculos habuit (cf. Mich.p 105,5: ἡ ΑΓ κίνησις), alte­ram E¹, tertiam Mich.(OR) L (tria tentamina) Bo:

vel

vel

23 ἡ μὲν Α (scil. στιγμὴ) καὶ ἡ Δ (scil. στιγμή) β(BeErb OdSVp) : ἡ

μὲν Α καὶ Δ α(E NXHa LVg Za PBpMo) : ἡ μὲν Α καὶ ἡ δέλτα C a, qui ἡ δέλτα post correcturam scripsit, ante correcturam autem ἡ Α

48

698b

Apparatus plenior  ·  Caput  | 

scripsisse vide­tur (ad a23–24 καὶ … ἡ Α saliens ubi γίνοιτο omiserat iam ε) : ἡ μὲν ΑΔ Nussbaum  24 ἡ ΑΓ (scil. εὐθεῖα) fecit E² in sup­plen­d is lineis a24–25 (ubi καὶ Γ – εἶναι omiserat E¹), edd., cf. ἡ ΑΓ κίνησις Mich.p 105,5 : ἡ Α καὶ Γ ω : ἡ ΔΑΓ Wilson 1913, 137 26 κινε­ ῖ σθαι] ἂν κινῆσθαι b : κινεῖται ι (A[Za Anon.]PBpMo) Bekker Nussbaum  27–698b1 δυνάμει καὶ ἐνεργείαι … διαιρεῖται β(BeErb Γ2[dividitur GR’’]), virtute et accidente … dividitur Anon., cf. 698a20 μεταβάλλον δυνάμει καὶ ἐνεργείαι : δυνάμει καὶ ἐνερ­ γείαι … διαιρετά α (> potentia et actu … divisibile G GR’) edd. | γε β(BeErb) : om. cett., edd. | ἡ πρὸς ὃ E² (ἠ προς ὂ E¹) Jaeger Forster Louis Nussbaum : ἡ πρόσω β(BeEr) μ(PBpMo), qui error a scriptione continua προcο ortus esse videtur, cf. 698b14, 699a8, 700a19 : ἡ πρώτη γ(Γ1[primum scil. principium G] OdSVp[ἡ om. et πρώτη ante ἀρχὴ¹ transp. C a]b) Torraca, unde ἡ ᾱ ζ(A[Za Anon.(cf. designatum per A Alb., scil. principium)]), quod in ἡ πρώτω corrupit θ(N) et om. λ(XHa LVg) Bekker  3 ὀλέκρανον E C a Er vel ὁλέκρανον N Beb : ὠλέκρανον cett., edd.  4 τὸ γόνυ] τοῦ γόνυ E  5 ἕκαστον δεῖ τι β(BeErb) : ἕκαστόν τι δεῖ (vel ἕκαστον τί δεῖ) cett., edd. 6 ἐστίν β(BeEr OdSVp) E : ἔσται cett., edd. Caput 2 698b8 ἡ ἐν] μὲν β(BeEr) | αὐτοῖς β(BeErb) ι (A[Za(cf. in membris

Alb.)] P[ἡ ἐν αὐτῆ Bp]Mo) : αὐτῶι α(E Γ1 ΝXHa LVg C aOdSVp) edd.  9 ἔξω β(BeErb Γ2) E : ἔξωθεν cett., edd.  13–14 εἶναι – ἀκί­ νη­τον] om. Vg  14 τι (vel τί) β(BeErb OdSVp) C a ι (A[aliquid Anon.] PBpMo) : om. α(E NXHa L[deficit Vg]) Za | πρὸς ὃ] προσὸ Ε; de hac scriptione cf. 698b1, 699 a8, 700ª19  15–16 τοῖς μυσὶ τοῖς ἐν τῆι πίττηι feci : τοῖς μυσὶν ἐν τῆι πίττηι β(BeEr) : τοῖς ποσὶ τοῖς ἐν τῆι πίττηι Ε ante rasuram : τοῖς μυσὶ τοῖς ἐν τῆ γῆ γ(Γ1 Ν Za PBpMo) E² Bekker Forster Torraca Louis, unde τοῖς μυσὶ ἐν τῇ ζειᾷ Farquharson n. 2, τοῖς ἑμύσι τοῖς ἐν τῆ γῇ Diels ap. Jaeger, τοῖς μυσὶ (“shellfish”) τοῖς ἐν πηλῷ Nussbaum 1975, τοῖς ἑμύσι τοῖς ἐν πηλῷ Nussbaum 1978 : τοῖς μυσὶ τοῖς ἐν γῆ λ(XHa LVg) : τοῖς ἐν τῆ ἐν τῆ γῆ b | textum a γ traditum (τοῖς μυσὶ τοῖς ἐν τῆ γῆ ἢ τοῖς ἐν τῆι ἄμμωι πορευομένοις) in τοῖς ἐν τῆ γῆ πορευομένοις μυσὶν contraxit Mich.p 105,25, unde verbis a γ traditis novum ordinem τοῖς ἐν τῆ γῆ πορευομένοις μυσὶν ἢ τοῖς ἐν τῆ ἄμμω



Apparatus plenior  ·  Caput  | 

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imposuit ε(C aOdSVp) : τοῖς ποσὶ τοῖς ἐν τῇ ἄμμῳ πορευομένοις Platt 1913, 295 : τοῖς μυσὶ τοῖς ἐν τῇ ἅλῳ πορευομένοις Barnes 1  7 πρόεισιν] πρόισιν E | ἔσται] ἔστιν β(BeEr) | εἰ] ἠ Ε  17–18 πτῆ­σ ις ἢ νεῦσις (πτῆσις ἢ νῆσις Er : νεῦσις ἢ πτῆσις b)] πτῆσις ἢ πλεύσις E : (πτῆσις ἢ) πλεῦσ ις in ras. scr. Za² (πτῆσις ἢ ...῀...Za¹) : volatus … nec natatio Anon.  23 ἐπ’ αὐτῶι β(BeErb OdSVp) : ἐν αὐτῶι 24 –25 οὐδ’ … οὐδ’ β(BeEr), cf. Kühner/Gerth 1904, 294 cett. ­ (§ 535/5.a) : οὔτ’ ἂν … οὔθ’ α(E Γ1[neque … neque G]NXHa LVg PBpMoA[ο … οὔθ’ Za : neque … aut Alb.] C aOd)b Bekker Forster Torraca Louis : οὔτ’ ἂν … οὐδ’ κ(SVp) : οὐδ’ ἂν … οὔθ’ Jaeger Nussbaum  25  Tιτυὸς … Βορέας] Boreas … Zephirus Alb. : Circius … Boreas GGR’’ (Circinus … Boreas GR’), unde Κίρκιος … Βο­ ρέας Torraca  26 πλέων β(BeErb SVp¹) : πνέων cett., edd.  27 αὐ­­τοῦ (scil. τοῦ πλοίου)] αὑτοῦ Ha LVg Mo C a edd.  699a4 αὐτὸν 699a β(Be[αὐτὸ Er : αὐτοῦ b]) : αὐτὸ ἢ cett., edd.  8 πρὸς ὃ] προσὸ E; de hac scriptione cf. 698b1 et 14, 700ª19  10 ἕλκων καὶ ὠθῶν κινεῖ β(BeEr) : ὠθῶν ἢ ἕλκων κινεῖ a(E Γ1 NXHa LVg PBpMo ­C a)b : ἕλκων ἢ ὠθῶν κινεῖ η(OdSVp) : ὠθῶν ἐκκινεῖν fecit ex ὠθῶν ἐκκινεῖ Za, cf. impellit Anon. Caput 3 699a13 τι a Barnes 1980, 244 temptatum et a Manuwald 1989, 118

postulatum servavit β(εἶναί τε τι δεῖ Be : εἶναί τι δεῖ Er : εἶναι δεῖ τι b) : om. α (εἶναί τε δεῖ E [cf. oportet Anon.] Bekker Farquharson Forster Louis Nussbaum, unde ειναιτελει → εἶναι θέλει γ [> vult esse G] Mich.l 107,8 Jaeger Torraca) | καὶ τοῦτο] καὶ τοῦτο 〈 καὶ 〉 Farquharson n. 2 Nussbaum : τοῦτο καὶ Forster | οὐρανοῦ β(BeEr) : οὐρανοῦ μόριον cett., edd.  14 αὐτόν] αὐτὸ E  15 θιγ­ γά­νον κινεῖν] θιγγάνειν E : θιγγάνον κινεῖ N : θιγγάνειν κινεῖν Za 17 ἔσται coni. Thomæus 1523 f. CXXXIIv (erit), Jaeger Forster : ἔσεσθαι ω Bekker Torraca Louis Nussbaum, sed a priore apodosi (a14–16) alteram (a16–17) propter varietatem et temporum (a14–15: ἀνάγκη … ε ἶνα ι / a16–17: ὁμοίως … ἔ σ ε σ θα ι codd.) et negationum (a15: μηθὲν / a17: οὐθὲν) praedicandi quoque modo differre oportet (a14–15: ἀνάγκη … μηθὲν εἶναι / a16–17: ὁμοίως οὐθὲν ἔ σ τα ι); cf. Renehan 1996, 226–227  25–26 πρὸς τὰ ζῶια τὰ (scil. κινούμενα δι’ αὑτῶν) β(Be [καὶ τὰ ζῶια τὰ Er]b OdSVp) ι (PBpMo[ad animalia

50

699b

Apparatus plenior  ·  Caput  | 

que moventur per se ipsa Anon.]) Platt 1913, 295 : πρὸς τὰ ζῶια καὶ τὰ (scil. κινούμενα δι’ αὐτῶν) α(E Γ1NHaVg Za C a) edd. : πρὸς τὰ ζῶια καὶ τὰ (scil. κινούμενα δι’ αὑτῶν) XL, Thomæus 1523 f. CXXXIIIr (ad animalia /& ad ea quæ per se mouentur), Barnes 1980, 224, cf. iam Forster 448, note a)  26 –27 διαπορήσειεν] ἀπο­ ρήσειεν β(BeErb) ι (Za[ἀπορήσειε]PBpMo)  28 ἂν] om. β(BeErb) 30 ἂν συμβαίνοι β(BeErb) E Mo Bekker Forster Torraca Louis Nussbaum : ἂν συμβαίνει γ(Γ1[utique accidit G]NC aZa), unde ἂν συμβαίνη (= ἐὰν συμβαίνηι) η(OdSVp) λ(XHa LVg) PBp Jaeger | κατὰ λόγον] καὶ κατὰ λόγον ι (Za PBpMo) Jaeger Torraca Louis 35 καὶ καθ’ ἣν] καθ’ ἣν E Za  37 ὑπ’ ἀλλήλων] ὑπ’ αλλήλον ex ὑπ’ αλλήλου E : ἀπ’ ἀλλήλων Bp  699b2 τοιοῦτον ἕτερόν ἐστιν β(BeEr)P vel τοιοῦτον ἕτερον ἐστὶ b η(OdSVp) : τοιοῦτόν ἐστιν ἕτερον E, edd. vel τοιοῦτον ἐστὶν ἕτερον γ(NXHa LVg C a) : τοιοῦτον ἕτερον ι (Za BpMo)  2– 3 οὐ δεῖ μᾶλλον ἀντερείδειν β(BeEr Γ2[non oportet magis contratendere GR’’]) : οὐδὲν μᾶλλον ἀντ­ε ρε­ί δειν γ(Γ1[nichil magis contratendere GGR’] NXHa LVg Za PBpMo C aOdSVp)b : οὐδὲν μᾶλλον ἀντερείδειν δεῖ E, edd. 6 ἡ] om. β(BeErb OdSVp)  7 ὡσαύτως] ὡ αύτως E  7– 8 τοῦ κινουμένου (gen. comp.!) β(BeErb Γ2[et moti G]) : αἰ (i.e. αἱ) τοῦ κινουμένου E : τῆς τοῦ κινουμένου γ(Ha LVg Za PBpMo C aOdS) Forster Torraca Nussbaum : ἡ τοῦ κινουμένου N Aldina Bekker Jaeger Louis : ἡ τῆς τοῦ κινουμένου XVp : ἡ τοῦ κινουμένου 〈 καὶ κινοῦντος τῆς τοῦ κινουμένου 〉 Farquharson n. 3. Caput 4 699b13 ὡς] om. E Za : καὶ C a  14 τις] της E | ὑπερβάληι Be C aOd

Za Mo LVg : ὑπερβάλληι E NXHa P(ὑπερβάλλει Bp) SVp Erb, edd.  19 ἀδύνατον εἶναι φαμὲν β(BeErb Γ2[dicimus esse im­pos­ sibile G]) : ἀδύνατον φαμὲν εἶναι EN edd. : εἶναι om. γ(Za PBpMo C aOdSVp [φαμὲν ἀδύνατον transp. λ])  22 εἶναι ω Bekker : om. Er p.c. in marg. (in supplendo lineam b22, ubi οἰόμεθα μὲν ἐξ ἀνάγ­ κης εἶναι omiserat Era.c.) Bonitz 1863, 50 (= 180) Jaeger Tor­raca Louis Nussbaum : post b23 ἐξ ἀνάγκης transposui  24 μείζω] μήζω E  25 αἱ] om. Mich.c 110,11–12 C a ι (Za PBpMo) Jaeger Nuss­­ baum  25–26 ὑπερέχουσαι] περὶ έχουσαι E : ὑπάρχουσαι Er : ὑπερ­­ βάλ­λ ουσαι ι (PBpMo), cf. Alb. qui et excellit et superhabet praebet



Apparatus plenior  ·  Caput 

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26 ὑπ’ ἀλ­λή­λ ων] ἀπ’ αλλήλων E  28 ἐνδέχοιτ’ ἂν α(E Γ1 NXHa LVg

PBpMo C aOdSVp) edd. : οὐδὲ ἐνδέχοιτ’ ἄν A(Za Anon.[… autem … non contingit]) : ἐνδέχεται β(BeErb)  29–30 εἴπερ … εἴπερ β(BeErb) : εἴπερ … εἰ cett., edd.  32 τι ἀκίνητον β(BeErb OdSVp) γ Mich.l 111,8 Jaeger Nussbaum : ἀκίνητόν τι E(ἀκινητόν τι) Bekker Forster Louis  37 ἐρύσαιτ’ (ἐρύσαιτε b)] ἐρύσετ’ E vel ἐρύσετε ε(C aOdS[ἐρύσεται Vp])  700a1 ὕπατον μήστωρ’ β(BeErb) Homeri 700a vulgata : ὕπατον πάντων α(E Γ1[suppremum omnium GR’GR’’] ε[C aOdSVp]) edd., quae lectio a vetere explicatione verbi ὕπατον (‘ἢ γὰρ ἁπλῶς πάντων ὕπατον, ἢ τῶν ἀρχόντων [scil. ὕπατον]’) ab Eustathio laudata (In Iliadem II,518,11 v. d. Valk) orta esse pot­est : ὕπατον μήστoρα πάντων ζ(NΑ[Za Anon.(magistrum omnium)]PBpMo) : ὕπατον μήστωρα λ(XHa LVg) | πάνυ β(BeEr Γ2[valde GR’GR’’; cf. De Leemans 2011a, CLXXXVII]) : μάλα ex Homeri vulgata cett. (μάλλα κ[SVp] : om. A[Za Anon.]), edd. 2 ἐξάπτεσθε (ἐξάπτοισθε X)] ἐξάπτεσθαι E Za P vel ἑξάπτεσθαι Be  5 διαλυθῆναι] διλυθῆναι E | εἰ] ἣ β(BeEr[ἧ])  5–6 ἀκινήτου] ἀκίνητου Bekker Jaeger Forster  6 ἤρτηται] ἦρκται β(BeErb Γ2[ortum est G])  8 ὅσα κινεῖ αὐτὰ αὑτά] ὅσα κινεῖ αὐτὰ E ι (A[Za Anon.(quot … moventia)]BpMo) Vpa.c. : ὅσα αὐτὰ κινεῖ αὑτά C a(ex ὅσα αὐτὰ κινεῖ αὐτά) | αὐτοῦ τὸ] αὐτῶν τὸ θ(ΝXHa LVg) Nussbaum : αὐτοῖς τοῦτο ι (A[Za Anon.(cf. in omnibus … talibus … hoc Alb.)]PBpMo) Platt 1913, 295  8–9 δεῖ γὰρ – κινεῖσθαι] post a10 (κινήσεται) transposuit Renehan 1996, 234  9 ἠρεμεῖν … κι­νεῖσ­ θαι ω : κινεῖσθαι … ἠρεμεῖν Thomæus 1523, f. CXXXVIr (moueri … quiescere) Moraux 1959, 364  12 αὑτοῖς ErbOd C a(ex αὐτοῖς) PMop.c. ut vid. vel αὐτοῖς Be C aSVp Bp A(Za Anon.[ipsis]) : ἑαυτοῖς E θ(ΝXHa LVg)  13 κινούμενον β(BeErb) : κινοῦν cett., edd. | πρὸς τῶν] πρὸς τὸν E : πρῶτον A(Za Anon.[primum]) : πρός τι Er | ἔξωθεν β(BeErb OdSVp), extrinsecorum G : ἔξω cett. (ἐξ’ ὧν A[Za Anon. (a quibus)]), edd. | ἠρεμοῦν β(BeErb) : ἠρεμούντων cett., edd. 14 πάν ­τα ταῦτα β(BeErb) : ταῦτα α  edd. : πάντα post ταῦτα inseruit P  15 ἄλλ’, 〈 ἀ λλ’ 〉 scripsi, de accentu in ἀλλ’ (< ἀλλά) omittendo cf. Kühner/Blass 1890, 332 (§ 85/4) : ἀλλ’ ω(E ΝXHa LΑ[Za Anon.]C a BebOdSVp) Farquharson Jaeger Forster Torraca Nussbaum : ἄλλo Er (ἄλλ’ iam Bekker Louis) : ἀλλὰ PBpMo : ἀλ’ Vg  15–16 πρώτων] πρῶτον β(BeErb Sa.c.) BpA(Za Anon.[primitus])  17 ὁμοίως

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Apparatus plenior  ·  Caput  | 

β(BeErb Γ2[similiter GR’’(BvFa z)]) : om. cett., edd. | αὐτὰ αὑτὰ] αὑτὰ ι (Α[se ipsa Anon.]PMo [αὐτὰ Za Bp])  19 αὑτοῖς C aa.c. L PMo Erb, cf. G(se ipsis Di) Anon., Bekker Jaeger Forster Torraca Louis : αὐτοῖς cett., Nussbaum  20 πρῶτον] πρώτως E ι ([πρώτω Za]PBpMo) edd. : πρώτων fecit E s.l. : et primitus et primum Anon. (De Leemans 2011b, 17,393)  24 καὶ β(Beb OdSVp) E edd. : om. Er : καὶ οἱ γ(NXHa LVg Za PBpMo C a)  25 οἱ ἐκπνέοντες β(BeErb OdSVp) C a : ἐκπνέοντες cett. (ἐμπνέοντες Za), edd. Caput 5 700a26 αὐτὸ αὑτὸ] αὐτῶ αὑτὸ λ(XHa LVg) ba.c., quod iam Jaeger

700 b

coniecerat, Torraca Louis Nussbaum : αὐτὸ κ(SVp) : αὑτὸ E² Bekker Platt 1913, 295 Forster : ex αὐτῶ fecit αὐτὸ Βp : ex αὐτὸ fecit αὐτῶ Za, cf. Anon. (eodem)  27 ἢ 〈 καὶ 〉 γ(Γ1[aut etiam GGR’’] NXHa LVg Α[Za Anon.(etiam)]PBpMo C aOdSVp)b Mich.l 112,22–24 (cf. 26 μόνωι) edd. : ἢ β(BeEr Γ2[aut GR’])E | αὐτὸ ὑφ’ αὑτοῦ E Α(Za Anon.) vel αὐτὸ ὑφ’ ἑαυτοῦ μ(PBp) : αὐτῶ ὑφ’ αὑτοῦ β(BeErb OdSVp) θ(ΝXΗa LVg) edd. : αὐτῶ ὑφ’ ἑαυτοῦ Mo : αὐτοῦ ὑφ’ αὐτοῦ (sic!) C a | καὶ ἐν β(BeErb OdSVp) : καὶ cett., edd. | τῶι² β(BeErb) : om. cett.  28–30 τῆς ἐξ ἀρχῆς – μὲν] om. Bp 29 ἥν­περ] ἣν λ(XHa LVg) : ἥπερ (sic!) Nussbaum | πρώτη κίνησις] πρώτως (vel πρῶτον) κίνησις Γ1(GGR’) : πρώτην κίνησιν Mich.c 113,4 ι (Α[Zap.c.(πρώτην τὴν κίνησιν Zaa.c.) Anon.(primum motum)]PMo) (deficit Bp) Jaeger  30 μὲν β(BeErb), de μὲν … καὶ … δὲ cf. Denniston Greek Particles 203 : om. cett., edd. | δὲ β(BeErb OdSVp) E Bekker Jaeger Forster Torraca Louis, unde δὴ Farquharson n. 6 Nussbaum : om. γ(NXHa LVg Za PBpMo C a) | αὕτη ἂν αἰτία εἴη β(BeErb) : αὕτη ἂν εἴη αἰτία ν(Ha LVg) : αὕτη αἰτία ἂν εἴη cett., edd.  32–33 ὥστε καὶ αὐξήσεως (scil. αἰτία ἡ κατὰ τόπον κίνησις), εἴ ποτε γίγνεται αὐτὸ αὑτῶι αἴτιον (scil. αὐτῆς), καὶ ἀλλοιώσεως: sic interpunxit Farquharson n. 8  33 αὐτὸ αὑτῶ] αὐτῶ αὐτῶι E vel αὐτῶ αὑτῶ Na.c. Zaa.c. : αὐτῶ αὑτὸ Zap.c. 33–35 εἰ – ἑτέρων] secl. Torraca, sed cf. Moraux 1959, 364  35 ἑτέ­ ρων] ἕτερον β(BeErb) : ἑτέρου C a  700b1 οἷόν τε] οἴονται β(BeEr) PBp | αὐτὸ αὑτῶι αἴτιον εἶναι β(BeErb) : αὐτὸ αἴτιον αὑτῶ εἶναι Od : αὐτὸ αἴτιον εἶναι αὑτῶι (vel αὐτὸ αἴτιον εἶναι αὐτῶι) cett., edd.



Apparatus plenior  ·  Caput 

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Caput 6 700b7 δὲ] μὲν Pachymeres (Y) unde Bekker : om. N b  9 λοιπὸν

δ’ β(b Γ2[Ap(reliquum autem) Dt(reliquum autem est)])E Bekker Forster, cf. Denniston Greek Particles, 177–181 et supra 699b21 : λοιπόν γ BeEr Jaeger Torraca Louis Nussbaum  10 ἀρχὴ] ἡ ἀρχὴ ι (Za PBpMo) C a, Er in margine, Jaeger (ex P), Louis  11 ὅλου] λόγου E  14 καὶ γὰρ] καὶ γὰρ καὶ θ(NXHa LVg Aldina) edd. (Bekker ex Aldina 278,18, ut vid.)  16 πάσης αὐτοῖς β(BeErb OdSa.c.), unde πάσης αὐτῆς κ(Sp.c.Vp) : αὐτοῖς πάσης a, edd., unde αὐτοῖς πᾶσι ι (A[Za Anon.(omnium ipsorum)]PMo) | τῆς κινή­ σεως] καὶ τῆς κινήσεως κ(SVp)  17 φαντασίαν] αἴσθησιν καὶ φαντασίαν λ(XHa LVg) Torraca  18 ἐπιθυμίαν] θυμὸν καὶ ἐπιθυμίαν λ(XHa LVg) Torraca  22 ὀρέξεις βγ : ὄρεξις E edd. 23–24 ὥστε κινεῖ πρῶτον τὸ ὀρεκτὸν καὶ τὸ νοητόν. οὐ πᾶν δὲ νοητόν scripsi cl. supra 700b18–19 ταῦτα δὲ πάντα ἀνάγεται εἰς νοῦν καὶ ὄρεξιν et Metaph. Λ 7, 1072a26 κινεῖ δὲ ὧδε τὸ ὀρεκτὸν καὶ τὸ νοητόν : ὥστε κινεῖ πρῶτον τὸ ὀρεκτὸν καὶ τὸ διανοητόν. οὐ πᾶν δὲ διανοητόν β(BeErb Γ2[Quare movet primum quod appetibile et quod intellectuale GR’GR’’])P : ὥστε καὶ τὸ διανοητόν. οὐ πᾶν δὲ τὸ διανοητόν α(E Γ1[Quare et intellectuale G] C aOdSVp), quem locum sane lacunosum Mich.P 113,22–24 hoc modo interpretatus est: καὶ ἐπεὶ ἡ προαίρεσις κίνησις διανοίας καὶ ὀρέξεως, ἔσται καί τι διανοητὸν προαιρετόν· οὐ γὰρ πᾶν διανοητόν (scil. προαιρετόν), unde ζ vocem προαιρετόν in margine adiecisse videtur, ut ex eius progenie (θι) elucet: ὥστε καὶ τὸ προαιρετόν. οὐ πᾶν δὲ τὸ διανοητὸν προαιρετόν θ(NXHa LVg) et ὥστε καὶ τὸ διανοητὸν (διανοητικὸν Za) οὐ πᾶν προαιρετόν ι (A[Za Anon.]BpMo)  24 καὶ τὸ] τὸ om. N Nussbaum | οὐ πᾶν δὲ] οὐ πᾶν δὲ τὸ α(E NXHa LVgC aOdSVp) : οὐ πᾶν ι (Za BpMo) | post οὐ πᾶν δὲ διανοητόν supra lineam προαιρετόν add. b (ex N, ut vid.)  25 τὸ τοιοῦτόν] τοιοῦτόν β(BeErb OdSVp)P : τῶν τοιού­των A(Za Anon.[huiusmodi … bonorum])  28 κινεῖ] κινεῖν β(BeEr) : κινεῖσθαι Vp  28–29 ἀγαθοῦ – ἀγαθόν] om. propter homo­eoteleuton E  30 ὁμοίως] ὁμοίος E  31 κινοῦντος] κινοῦν­ των E  32 τὸ μὲν β(BeErb Γ2[hoc quidem GR’’]) Za, quod iam Farquharson n. 6 coniecerat, Nussbaum : τὰ μὲν cett., Bekker Jaeger Forster Torraca Louis  33 καλὸν καὶ scripsi : καλὸν καὶ

54

Apparatus plenior  ·  Caput  | 

τὸ ω edd. | ἀληθὲς β(BeErb)P : ἀληθῶς α (Mich.c 114,9) edd. | τὸ πρώτως β(BeErb Γ2[quod primo G(x ) GR’])P Mich.c 114,9–10 Jaeger : πρώτως α Γ1(primo G[x]GR’’) Bekker Forster Torraca Louis Nussbaum  34 ἢ ὥστ’] πως β(BeEr Γ2[aliqualiter])P 35 πρὸς ἕτερον β(BeEr Γ2[ad alterum GR’GR’’])P Bekker Torraca Nussbaum : πρότερον cett. (Mich.c 114,14), quod alii aliis remediis sanare conati sunt: πρότερόν τι Mich.p 114,15 Jaeger Forster Louis; ita quod ante ipsum non est aliud bonum Alb.; 〈 ἕ τερον 〉 701a πρότερον Renehan 1996, 237  701a3 κινουμένων β(BeErb) Pp.c., unde κινήσεων Nuss­baum : γι(γ)νομένων α Bekker Jaeger Forster Torraca Louis  3– 4 ἡ φορὰ τελευταία τῶν κινουμένων ἐν τοῖς γιγνομένοις ≈ ἡ φορὰ τῶν κινουμένων τελευταία ἐν τοῖς γιγνομένοις, cf. Newman 1904, 580 | γι(γ)νομένοις] κινουμένοις Jaeger Forster  4–5 ὀρέξει ἢ προαιρέσει] ἢ προαιρέσει β(BeEr) : ὀρέγον ἢ προαιροῦν A(Za Anon.[desiderans … aut eligens]). Caput 7 701a7 νοῶν] νῦν Ε  8 ἔοικε δὲ β(Be Γ2[cf. videtur autem G(x 2)] Erb) N Bp : ἔοικεν E : ἔοικε cett., edd.  15–16 ταῦτ’ ἄμφω feci

: ταῦτα ἄμφω α edd. : τοῦτ’ ἄμφω β(BeEr), unde τοῦτ’ εὐθὺς b 16 ἀναγκάζηι] ἀναγκάζει β(Be SVp) Bpp.c.  17 ἀγαθὸν δὲ οἰκία β(BeErb) : οἰκία δὲ ἀγαθόν cett., edd. | ἀγαθὸν δὲ οἰκία· ποιεῖ] οἰκία δὲ ποιεῖ ἀγαθὸν κ(SVp)  18–19 οὗ δέομαι ποιητέον· ἱματίου δὲ δέομαι] om. propter homoioteleuton C a ι (A[Za Anon.] PBpMo), sed οὗ δέομαι ποιητέον ex altero fonte ante καὶ τὸ inseruit P  19 δὲ β(BeErb) : om. cett., edd. | ποιεῖ β(BeEr OdSVp) E C a Farquharson n. 4 : ποιητέον δ(Γ1[faciendum G] ΝXHa LVg Za PBpMo) b edd.  21 ἔσται] ἐστὶν β(BeEr) : om. Za  22 τόδε, τόδε· καὶ τοῦτο β(Beb OdSVp) γ(NXHa LVg Za PBpMo) : τόδε, καὶ τόδε· καὶ τοῦτο Er Γ2(hoc et hoc et hoc GR’GR’’) : τόδε, καὶ τόδε E vel τόδε, καὶ τοῦτο C a, cf. hoc, et hoc G et hoc … etiam illud Anon. 24 δυεῖν ὁδῶν scripsi : δύ’ εἱ ποδῶν Be : δ[.] … οδῶν Ea.c. ut vid. : δύο εἰδῶν Ep.c. (currente calamo post rasuram), cett. Mich.p 117,1, edd.  26 ἐπιστᾶσα β(BeEr) : ἐφιστᾶσα cett. (ὑφιστᾶσα Za), edd. : ἐφεστῶσα Pachymeres  27 οὐκέτι β(BeErb Γ2[non iam G]) : οὐκ cett., edd.  27–28 ἐνδιατρίβει] ἐνδιατρίβη E  29 ἐνεργήσηι γὰρ] γὰρ ἐνεργήση transp. ι ([γὰρ ἐγγίσαι Za] P[γὰρ ἐνεργ(ήση) Bp]



Apparatus plenior  ·  Caput 

55

Mo) N Bekker Forster  30 οὗ ὀρέγεται] οὗέγεται Ea.c. : ὀρέγειν Zaa.c. : ὀρέγεται A(Zap.c Anon.[desiderat])  32 ποτέον β(ποτὲ ὅν Be vel ποτὲ εἰ Er) ν(Ha LVg), Pachymeres, edd. : ποτῶ A(Za Anon. [in potu]) : ποτόν cett. (ποντόν Ea.c.)  32–33 ἡ αἴσθησις] αἴσθησις β(BeEr)  33 οὕτω β(BeErb OdSVp) Mo : οὕτως cett., edd. 35 τοῦ κινε­ῖ σθαι ω : τῆς κινήσεως Nussbaum sine ulla adnotatione 37 πράτ ­­τειν ω : delendum esse censet Corcilius  701b1 διὰ προ­ 701b αίρεσιν ἢ βούλησιν β(BeErb) (cf. supra 700b15– b18 et b22– b25) : δι’ ὄρε­ξιν ἢ βούλησιν cett., Bekker Jaeger Forster Torraca Louis : διὰ βούλησιν Nussbaum  2 γενομένης] γινομένης Mich.l 117,18–19 ζ(NXHa LVg Za PBpMo) b Aldina Bekker Jaeger Forster Torraca Louis  3 στρεβλῶν (στρέβλων Vp : στρεβῶν C a : στεβλῶν b)] ξύλων Farquharson n. 4 | κρουόντων] post ἀλλήλας transp. Be : κρο­ό ν­των Era.c. : κρουουσῶν Forster | πρὸς β(BeErb) : om. cett., edd. | ἀλλήλας] ἀλλήλαις Farquharson n. 4 : ἄλληλα Torraca Nussbaum | 〈 ε ὐθὺς τῶν ζωιδίων τὰς μαχαίρας 〉 exempli gratia restitui (εὐθὺς suadente Shields) : τὰς στρέβλας ω, quod del. iam Forster, Torraca : τῶν ξύλων Nussbaum  4 ὅπερ α (Mich.c 118,16) Bekker Jaeger Forster Torraca Louis : ὁ γὰρ Richards & Ross apud Farquharson n. 1, Nussbaum : ὥσπερ β(BeErb Vp) μ(PBpMo) | 〈 ὁ 〉 inserui : 〈 τὸ 〉 Forster | ὀχούμενος αὐτὸς β(BeEr) : ὀχούμενον αὐτὸ α Bekker Jaeger Forster Torraca Louis : ὀχούμενος αὐτὸ η(OdSVp) Richards & Ross apud Farquharson n. 1, Nussbaum : ὀχούμενον αὐτὸς b  4–5 〈 πάλιν 〉 καὶ πάλιν scripsi (cl. Phys. Θ 10, 267b10–11 τὸ ὠθοῦν πάλιν καὶ πάλιν) : καὶ πάλιν ω edd.  5 δὲ β(BeErb) : om. cett., edd.  7 οὕτω καὶ] οὔτως καὶ E vel οὕτως καὶ C a 9–10 λυο­μ ένων] συστελλομένων Farquharson n. 3  13 τὸ αὐτὸ] τὸ αὐτῶ E  13–14 ἔλαττον καὶ μεῖζον β(BeErb OdSVp) : μεῖζον καὶ ἔλαττον cett., edd.  14 γίνεσθαι] γενέσθαι β(BeErb)  15 〈 καὶ συστελλομένων 〉 inserui cl. 703a20–21 δεῖ τὸ ὄργανον αὐξάνεσθαί τε δύνασθαι καὶ συστέλλεσθαι | πνεῦμα καὶ β(BeΓ2[spiritum et G]Erb) E : πάλιν συστελλομένων διὰ cett. (cf. Mich.p 119,7 πάλιν συστέλλονται), edd.  16 ψῦξιν feci (cf. ad b28 et b35, LSJ 1996, 2026, Frisk 1970, 1141, Chantraine 1968–1980, 1295) : ψύξιν codd. (om. N), edd.  19 νόησις] νόσις E  20 θερμοῦ ἢ ψυχροῦ ἢ] secl. Nuss­baum, sed cf. Barnes 1980, 225 et Kollesch 1985, 51 21 ὂν β(BeErb) E edd. : om. cett.  22 μόνον] om. E  26 ἄπωθεν

56

Apparatus plenior  ·  Caput  | 

Be N : ἄπο­θεν cett., edd.  27 ἡ β(BeErb) E P Al. 77,10 edd. : om. γ 28 ψῦξιν Al. cod. Marc. 258 : ψύξιν codd., edd.  28–29 τοιοῦτο EBe : τοιοῦ­τον cett., edd.  30 καὶ] εἰ καὶ Al. 77,12 > Mich.p 115,20  > (ζ >) θ(ΝXHa LVg) > Nussbaum | ἐν ταύτηι] ἐκ ταύτης Platt 1913, 296 | ἐν ἀναισθήτωι Al. 77,12 : κατὰ μέγεθος ἀναισθήτωι β(BeErb Γ2[secundum magnitudinem insensibili G]) E Vp : κατὰ μέγεθος ἐν ἀναισθήτω γ(NXHa LVg Zap.c.PBpMo C aOdS) edd. : κατὰ μέγεθος ἐν αἰσθητικῷ Platt 1913, 296  31 ποιεῖ] ποιεῖται Mich.p 115,21 ι (Za PBpMo). Caput 8 701b34 διωκτόν τε καὶ φευκτόν Al. 77,16 : διωκτὸν καὶ φευκτόν ω (φευκτὸν καὶ διωκτὸν transp. Ha)  35 θερμότης] θερ­

702a

μώτης Ε | ψῦξις Al. cod. Marc. 258 : ψύξις codd. (ψυχρότης ι[Za PBpMo])  36 –37 ἀλλὰ λανθάνει περὶ τὰ μικρὰ τοῦτο συμβαῖνον] post 702a1 θερμότητος transp. Moraux 1959, 365, Nussbaum  702a1 ἡδέα α Al. 77,19, cf. a3–4 : τὰ ἡδέα β(BeErb) 3 τὰ ἄλλα τὰ β(BeErb) μ(PBpMo) Bekker Forster Nussbaum (cf. Kühner/Gerth 1898, 635 [§ 464/9]) : τὰ ἄλλα cett., Jaeger Torraca Louis  4 καὶ β(BeErb Γ2[et GGR’]) A(Za Anon.[et]) : ἢ cett., edd.  11 καὶ ἐπὶ τοῦ … καὶ ἐπὶ τοῦ β(BeEr) vel καὶ ἐπὶ τοῦ … καὶ τοῦ b vel καὶ ἐπὶ τοῦ … καὶ η(OdSVp) Mich.p(S) 120,10 : καὶ ἔτι τοῦ … καὶ cett. (καὶ ἔστι τοῦ … καὶ L) Mich.p(CPR), edd. 12 πολλαχῆι β(Erb[πολλαχοὶ Be]) : πολλαχοῦ cett., edd.  13 ὥστ’ εἶναι] ὡς τείνει β(Be [ὥστ’ εἰνει S]), quod in γίνεσθαι correxit Er  14 ἀπολείπηι (ἀπολείπει Mich.c 120,15, N : ἀπολείπειν Za)] ἀπολίπη Xp.c. μ(PBpM) ε(C aOdSVp) edd. | ἑκάτερον] ἑκατέρω (dat.) β(BeErb), sed cf. Classen/Steup ad Thuc. VIII 22, 1 (οὐδὲν ἀπολείποντες προθυμίας)  15 τοῦτο β(BeErb) : τοῦτο δὲ cett., edd.; sed cf. Kühner/Gerth 1904, 343–344 (§ 546/5.a.γ), Schwyzer/ Debrunner 1950, 702, Kassel ad Rhet. B 6, 1384a36  16 ἐὰν β(BeErb SVp) : ἂν cett., edd.  18 ἔχειν β(BeErb) : om. cett., edd.  20 διὰ τὸ 〈 τὸ 〉 θ(ΝXHa LVg), quod coniecerat iam Bonitz 1866, 360 [= 253], Jaeger Forster Torraca Louis Nussbaum, cf. Bywater ad Poet. 1459a8 : διὰ τὸ cett., Bekker  22 ἐστὶν τοῦ μὲν β(BeErb) : μέν ἐστι τοῦ μὲν γ (τοῦ μὲν post [23] ἀρχὴ transp. Za) Bekker Forster Torraca Louis : μέν ἐστιν E¹(μέν ἔστιν) Jaeger : 〈 τοῦ 〉 μέν ἐστιν E²



Apparatus plenior  ·  Caput  | 

57

Farquharson n. 4, Nussbaum  27 εἴρηται] εἴρετε E  28 ὀλεκράνωι C a L Er vel ὁλεκράνωι E N Be (cf. supra ad 698b3) : ὠλεκράνω cett., edd.  29 κινεῖ καὶ κινεῖται β(BeErb Γ2[movet et movetur GR’GR’’]) Farquharson n.  6 (cl. 703a12–14 : ὥσπερ τὸ ἐν ταῖς καμπαῖς σημεῖον, τὸ κινοῦν καὶ κινούμενον, πρὸς τὸ ἀκίνητον scil. ἔχει, cf. et 702a26–27 ὅτι γὰρ πρὸς ἠρεμοῦν δεῖ ἀπερείδεσθαι τὸ κινοῦν, εἴρηται πρότερον) Torraca : κινεῖται α (per haplographiam), Bekker Jaeger Forster Louis Nussbaum : κινεῖται καὶ κινεῖ P : κινεῖ A(movet Anon.), unde κινοῦν Za | ἀλλ’ β(Beb OdSVp) : om. α Er edd. | δ 〈 ὴ 〉 εἶναι [di ine] scripsi : δ’ εἶναι [d’ine] ω (δὲ εἶναι Be : εἶ­ ναι b) edd.; de particulis δὴ et δὲ in mss. confusis cf. Bonitz 1863, 95 (= 225) | εἶναί τι] εἶναι τινὰ E  30 καὶ ἀκίνητον α edd. : ἀκίνητον β(BeErb Γ2[immobile G]) | ὃ] ὃ „quapropter“ cf. Kühner/Gerth 1898, 310 (§ 410 Anm. 6), Schwyzer/Debrunner 1950, 77 | εἶ­ναι ω : delevi cl. 702b25–26 (τὸ δὲ μέσον τοῦ σώματος μέρος δυνάμει μὲν ἓν ἐνεργείαι δὲ ἀνάγκη γίνεσθαι πλείω)  31 ὁ β(BeErb SVp)P Jaeger Torraca Nussbaum : om. cett., Bekker Forster Louis 32 ἡ κινοῦσα] κινοῦσα E  34 τὴν] τις Farquharson n. 1  702b1 εἰ 702b μὴ καὶ (εἰ καὶ μὴ Vp)] εἰ μὴ a(E NC a) Er, cf. si non est in virga Anon. 4 μόριον β(BeErb) : μέρος cett., edd. | ὀλέκρανον β(BeEr) E NC a, cf. ad 698b3 : ὠλέκρανον cett., edd.  7 ἐστιν] ἐστην E | ἄλλου] ἀλλ’ οὑ Be  8 ἐξωτέρω] ἐξωτέρωι E, cf. b10 : ἐξοτέρου Zap.c. (ἐξα­τέρω a.c. ut vid.) : ἐξώτερον (abbr.) ξ(BpMo) | ἐσχάτου] τοῦ ἐσχά­του β(BeErb)P  10 ἀνωτέρω] ἀνωτέρωι E, cf. b8 : ἀνώτερον (abbr.) λ(XHaVg) Za Mo : ανωτέρα (sic!) L  11 ὀλεκράνου E C a(ex ὁλεκρά­νου) Er vel ὁλεκράνου Νa.c. Be (cf. ad 698b3) : ὠλεκράνου cett., edd. Caput 9 702 13–14 τῶι ἠρεμεῖν τὸ δεξιὸν] in quiescendo semper dextrum G, cf. Mich.p 124,1–2 τῶ ἀεὶ ἠρεμεῖν τὸ ἀριστερόν  14 μὴ δ’ αὖ τῶι (μὴ δ’ αὐτὸ Za)] μὴ δὲ τῶ β(BeErb Γ2[neque in eo quod hoc illud GR’GR’’])  15 ἐν τῶι ἀνωτέρωι E vel ἐν τῶ ἀνωτέρω codd. plerique vel ἐν τῷ ἀνωτέρῳ (Vp) : αὐτῶν ἀνωτέρω (adv.) Er : ἐν τῷ ἀνωτέρω (adv.) edd. | ἡ ἀρχή] ἀρχή E  17 ἐσχάτων β(BeErb) : ἄκρων cett. | τὰς] 〈 ταύτας 〉 τὰς Platt 1913, 296  18 καὶ κάτω] secl. Farquharson n. 5, Torraca  19 καὶ τὰς N (καὶ in margine apposuit b

58

Apparatus plenior  ·  Caput 

θ, ut vid.), coni. Forster : καὶ πρὸς τὰς X (καὶ ex θ) Torraca Nussbaum : πρὸς τὰς β(BeEr OdSVp)P γ(Ha LVg C a) Bekker Louis : πρὸς τὰ Eb Jaeger : καὶ πρὸς τὰ Farquharson n. 5 : τὰς ι (Za Mo) (cf. Mich.c 123,25) : om. Bp | τοῖς] τοῖ E  20 –21 αἰσθητικὸν] ἐσθητικὸν E  21–23 ὥστε … συμμεταβάλλει] ὥστε … συμμεταβάλλειν E ξ(BpMo)  24 γίγνεσθαι η(OdSVp) (γί- s.l. Be) vel γίνεσθαι cett. : γίνεσθε E : γίνεσθαι ante διὰ ταῦτα transp. N  25 ἕν] om. β(BeEr SVp) (ἐνεργείαι b26 duplicat Er : deficit Od : ὧ s.l. S)  28–36 dia­ gramma servavit γ(C aOdZa) | diagrammatis formae fuerunt tres, quarum primam servant C aOd, alterius et Mich. 125,25 et δ men­tio­ nem faciunt (vide infra ad b30) ut a γ adiecta esse videatur, tertiam praebet Za: ψυχὴ

καρ vel

703a

δία

vel

28 ἐπὶ] ἐπει E : ἀπὸ Bp  29 τι ἠρεμεῖν (τι ἠρεμήν Bp)] τι ἠρεμοῦν β(Be[τι εἶναι ἠρεμοῦν Er])  30 κινήσεσθαι (κινήσησθαι E)] νεῖν, κινεῖσθαι ζ(N PBpMo Aldina) edd., sed cf. Bonitz s.v. κι­ 391a22–32 („tempus futurum passivae significationis et κινη­θ ήσε­ ται et κινήσεται exhibetur”) | ἓν ἄρα δυνάμει] ἆρα δυνάμει ἓν Ε : ἔστι δὲ, δυνάμει Er : ἓν ἄρα δυνάμει ὂν δυνάμει b | ὂν τὸ Α β(BeErb Γ2[existens, ipsum A GR’’])E ι (PBpMo) : ὄντα τὰ ΑE γ(Mich.p 125,25 et Mich.c 125,30 δ[Γ1(existentia AE G) NXLHaa.c.Vg]) : ὄντα τὰ ΑΒ ε(C aOdSVp) Hap.c., cf. existentia AB GR’ : ὄντα τὸ ΑΒ τὸ ΑΓ Α(Za Anon.[cf. tam AB quam AC Alb.])  31 ἔσται (ἔστε E) (erunt G GR’ : erit GR’’)] ἔστιν β(BeEr)  32 καὶ β(BeErb Γ2[et G]) : om. cett., edd. | κινεῖσθαι τῶι Β β(BeEr OdSVp) : κινεῖσθαι τό Β b : τῶι Β κινεῖσθαι cett. (τὸ Β κινεῖσθαι Haa.c. : τῶ Α κινεῖ­ σθαι A[Za Anon.(A simul moveri)]), edd.  36 κινουμένων (gen. absol., κινούμεναι Zap.c. : κινουμένας Bp)] secl. Platt 1913, 296 703a1–2 ἀλλὰ τὸ κινοῦν ἄμφω ἀναγκαῖον 〈 ἓ ν 〉 εἶναι Farquharson n. 4 ex G (vide infra) : ἀλλὰ τὸ κινοῦν ἄμφω ἀναγκαῖον εἶναι ω : ἀλλὰ τὸ κινοῦν ἄμφω 〈 ἀκίνητον 〉 ἀναγκαῖον εἶναι Jaeger : ἀλλ’



Apparatus plenior  ·  Caput  | 

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ἀ〈 κίνητον 〉 τὸ κινοῦν ἄμφω ἀναγκαῖον εἶναι Barnes 1980, 226 2 ἀν­α­γ καῖον 〈 ἓ ν 〉 εἶναι Γ1(necesse unum esse G[x ]GR’ vel ne­cesse esse unum G[x]GR’’, unde ἓν Vindobonensis Ww man. alt. in marg.) A(ἀναγ­καῖον μὲν εἶναι Za : oportet … unum … sit Anon.) : ἀναγκαῖον εἶναι ω (εἶναι om. N). Caput 10 703 4 τὸν λόγον τὸν λέγοντα] Mich.p 126,28 τὸν λόγον τὸν λέ­ a

γοντα καὶ δεικνύντα, cf. rationem demonstrativam que dicit Alb. 7 κινούμενον μὲν] κινούμενον Mich.l 127,11 ε(C aOdSVp) N : κινούμενον σῶμα A(Zap.c.[κινοῦν σῶμα Zaa.c.] Anon.[cf. corpus quod quidem est mobile Alb.]) | δύναται] δύνατε Ε  10 –11 τίς μὲν– ἄλλοις] haec verba ad librum περὶ τροφῆς spectant secun­dum Mich. 127,16–17 (item Rose 1854, 166–167); ad librum De re­spi­­ra­tione secundum Vat. V², ad incerti auctoris librum De spiritu (481a1–2 τίς ἡ τοῦ ἐμφύτου πνεύματος διαμονή, καὶ τίς ἡ αὔξησις) secundum Zeller 41921, 96 (n. 1 ad p. 94) et Bonitz Index s.v. Ἀριστοτέλης 100a52–54, num genuina sint dubitat Jaeger 1913b, 48 (cl. 703a16– 17 πότερον μὲν οὖν ταὐτόν ἐστιν τὸ πνεῦμα ἀεὶ ἢ γίγνεται ἀεὶ ἕτερον, ἔστω ἄλλος λόγος); cf. Farquharson n. 4.  17 ἕτερον α ErbOd : ἕτερος β(Be SVp) | ἔστω (sit GGR’)] om. β(BeErb Γ2[sit om. GR’’]) | ἄλλος λόγος α edd. : λόγος, ἄλλος β(BeErb OdSVp) N Aldina  18 δ’ εὐφυῶς (vel δὲ εὐφυῶς)] δὲ ὑφ’ ὧ ὥς Be vel δὲ ὑφ’ ὧ ὡς Er  22 ἀβίαστος] ἀβιάστως Bp, coni. iam Farquharson n. 4, Torraca : ἄβυσσος N (> Aldina) | συ­ σ τελ­ λ ομένη 〈 τε καὶ ἐκτεινομένη 〉 Farquharson n. 4 cl. Mich. In Part. An. 88,35–36 (τοῦ ἐν τῇ καρδίᾳ πνεύματος ἐ κτε ινο μ έ νο υ καὶ συστελλομένου, ὡς ἐν τῇ Περὶ ζῴων κινήσεως δέδεικται), cf. Mich.p ad loc. 128,5–6, Torraca Nussbaum : συστελλομένη ω (στελλομένη Be) Bekker Jaeger Forster Louis | βίαι ἑλκτικὴ scripsi : βιαστικὴ ω Bekker Jaeger Louis : ἑλκτικὴ Γ1(tractiva G, cf. retractatum Anon.) Iun­tina (i.e. Thomæus qui iam in versione latina [1523, f. CLIr] attractiua dederat) Farquharson n. 4 ex G Torraca Nussbaum  23–24 καὶ ἔχει βάρος … καὶ κουφότητα β(BeErb), cf. et habet gravitatem … et levi­tatem G : καὶ ἔχει καὶ βάρος … καὶ κουφότητα cett., edd.  25–26 κρατεῖται … ὑπ’ ἀλλήλων β(BeErb), cf. tenentur in se in­vi­cem Anon. : κρατεῖ ἀλλήλων α edd. : κρατεῖται ἀλλήλων

60

703b

Apparatus plenior  ·  Caput  | 

η(OdSVp)  28 τοῦ] om. β(BeEr)  29 εἴρηται] εἴρηται τὸ πνεῦμα A(Za[cf. dictum igitur ... cuius est spiritus movens scil. anima Alb.]), cf. Mich.p 128,7–8 τοιοῦτον δὲ τὸ πνεῦμα | ὑποληπτέον] ὑπο­ληπ­ τέων E  35–36 οὕτω συστάντων (absol., scil. τῶν ζώιων) ω, cf. a 34 τοῖς ζώιοις et Kühner/Gerth 1904, 81–82 (§ 486 Anm. 2) : 〈 τῶν 〉 οὕτω συστάντων Farquharson n. 2 vel 〈 μ όριον τῶν 〉 οὕτω συσ­ τάντων Barnes 1980, 226  36 ποιεῖν] ποιεῖ β(BeErb)  703b1 ἑαυ­ τῶν β(BeErb) : αὐτῶν α (αὑτοῦ PMo : αὐτῶ Zaa.c.) : αὑτῶν edd. Caput 11 703b5 πλείστας] πλείστους E L Vp | οὐχ] om. E  7 πολλάκις] πολ­

λάκι E | μέν … οὐ μέντοι β(BeErb) (cf. Denniston Greek Particles 370) : μέν om. cett, edd.  8 οὐχ ἑκουσίους] οὐχ ἑκουσίως Ε(ἐκουσίως) Za Bp  8–9 ὕπνον καὶ ἐγρήγορσιν καὶ ἀναπνοήν] ὕπνον ἐγρήγορσιν καὶ ἀναπνοήν β(BeEr) μ(PBpMo) : ὕπνον καὶ ἐγρήγορσιν ἀναπνοήν θ(ΝXHa LVg) : ὕπνον καὶ ἐγρήγορσιν A(Za Anon.)  9 ἄλλαι] ἄλλα Ε  12 αὐξάνεσθαι β(BeErb)N : αὔξεσθαι cett., edd.  13 ὥστ’ ἤδη (ὥστε ἤδη b)] ὥστε μη ήδη E : ὥστ’ ἤδη καὶ μ(PBpMo)  15 θερ­μ ό­τ ητες καὶ ψύξεις] θερμότητές τε καὶ ψύξεις E λ(XHa LVg) : θερμότης καὶ ψύξις Γ1(caliditas et frigiditas G)N | θύραθεν καὶ] θύραθεν καὶ αἱ E δ(Γ1[Gz] NXLVg) b (αἱ ex archetypi margine, ut vid.), edd.  16 ὑπάρχουσιν φυσικαί feci : ὑπάρχουσιν αἱ φυσι­καί β(BeEr) (αἱ ex archetypi margine, ut vid.) : ὑπάρχουσαι αἱ φυσι­καί b : ὑπάρχουσαι φυσικαί cett. (α participium fecit duorum arti­culorum αἵ τε … καὶ αἱ causa, ut vid.) | τὸν λόγον] τῶν λόγον E  22–23 τούτου δ’—ζωτικήν] „ut interpolamentum” del. Jaeger Forster Nussbaum (cf. Nussbaum 1975, 602–603, quae paginae in Nussbaum 1978 interierunt), sed cf. Barnes 1980, 226  22 τού­του] τούτο (sic!) E vel τοῦτο Za, cf. Poet. 4, 1448b13  24 τὰς γὰρ] τὰς E N Er Bekker  28 ἄλληλα δὲ] ἀλλήλας E(ἁλλήλας) edd. : au­tem om. GR’ : ἄλληλα ι (Za PBpMo); de καὶ … δὲ cf. supra 700a30 et Denniston Greek Particles 200– va­ verunt et β(Er) et γ(A[Za Anon.] 201  29–36 diagramma ser­ a d C O ) | dia­g rammatis formae tra­duntur tres, quarum primam ser­ vant ZaC aOd, alteram praebet Er, tertiam manu propria fecit Alb. (autographon Coloniense fol. 348r = p. 71 Geyer) et quo erat ingenii acumine varietatem lit­te­rarum ad textum traditum adaptavit:



Apparatus plenior  ·  Caput 

vel

61

vel

703b32 ἀρχὴ] del. Farquharson n. 3 Nussbaum (sed cf. b26–28) 34 ἀπὸ δὲ τοῦ Ε scripsi secundum diagramma : ἀπὸ δὲ τοῦ Β ω | ἐπὶ

τὸ Γ (Mich.c 130,22)] Mich. 130,23 λείπει τὸ „οὐκέτι“, ἵν’ ᾖ „ἀπὸ δὲ τοῦ Β ἐπὶ τὸ Γ οὐκέτι“ : ad G non adhuc G GR’ : ἐπὶ τοῦ Γ λείπει τὸ „οὐκ ἀφικνοῦνται“ Za, cf. et etiam aliquando non deficit venire ex B in C Alb. | τῶι β(BeErb) P E, cf. propter G Farquharson n. 4, Jaeger Forster Torraca Louis Nussbaum : τὸ δ’ cett., Aldina : τῷ δ’ Bekker | ἀπὸ μὲν τοῦ Ε scripsi secundum diagramma : ἀπὸ μὲν τοῦ Β ω  36 ὅτι] ἔτι E Farquharson n. 5 | τὰ αὐτὰ β(BeErb Γ2[ea­ dem GR’’])P, unde ταὐτὰ Farquharson n. 6, Jaeger Forster Torraca Louis Nussbaum : ταῦτα cett. (hec G GR’) (τοῦτο ξ[BpMo] : om. Vg), Bekker  37 τὸ] om. E  704a1 ἐνυπάρχειν] ἐνυπάρχ (abbr.) 704a ι (Za[ἐνυπάρχην P Moa.c. ut vid. vel ἐν ὑπάρχειν Bp]) : ὑπάρχειν N Aldina Bekker Forster Louis  704a3 – b3 non habet b  704b1 ἔτι 704b δὲ καὶ περὶ β(Er Γ2[adhuc autem et de G] OdSVp), cf. Hist. An. III 519b22–23 : ἔτι δὲ περὶ cett., edd.

ANMERKUNGEN

Kap. 1

Einleitung und Fragestellung der Schrift: Die Untersuchung der gemeinsamen Bewegungsursache aller ani­ malischen Selbstbewegungen. Stützpunkttheorem (i): Die Selbst­bewegung der Lebewesen erfordert einen internen ruhenden Stützpunkt. Deswegen haben die Lebewesen ihre Gelenke. Erklärung der Funktionsweise der Gelenke.

{Aristoteles: »In Bezug auf die Bewegung von Lebewesen …«}  Bei dem Titel handelt es sich nicht um einen Werktitel, der den Inhalt des gesamten Werkes in einem Wort wiedergeben soll, sondern um ein incipit, d. h. um die Identifikation eines Textes (Kodex bzw. Papyrusrolle oder eines Abschnittes davon) mithilfe seiner ersten Worte, siehe philolog. Einleitung 5, S. CXLII – CXLIII. Aus diesem Grund wurde hier davon abgesehen, wie sonst üblich, mit »Über die Bewegung der Lebewesen« zu übersetzen, so als ob es sich dabei um einen Werktitel im genannten Sinne handeln würde. 698 a1–4  Aristoteles beginnt mit der Einordnung des Traktats in den unmittelbaren Kontext seiner zoologischen Theorie. Für die Ortsbewegung der Lebewesen relevante äußere Körperteile verschiedener blutführender Tierarten werden gemeinsam beschrieben in Historia animalium (Hist. An.) II 1 (498a3– b10), die der nicht-blutführenden, soweit sie sich dem Orte nach fortbewegen, werden verstreut und nach Gattungen getrennt in den Beschreibungen äußerer Körperteile in Hist. An. IV angeführt (1, 523a31– 532b18). Die Zweckdienlichkeit dieser Körperteile für die den Lebewesen jeweils eigenen Fortbewegungsarten aufzuweisen, ist Thema von De incessu animalium (Inc. An.). Der Anfangssatz von Mot. An. betont den Kontrast zwischen nach Gattungen getrennten funktionalen Erklärungen der für die Fortbewegung der Lebewesen erforderlichen Körperteile in Inc. An. (»welche Ursachen es für ihre jeweiligen hinzukommenden Eigenschaften – tôn kath’ hekaston symbebêkotôn sc. Flossen, Flügel, Beine usw. –



Anmerkungen

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gibt«, Mot. An. 1, 698a3) mit der nun folgenden Untersuchung der allen Lebewesen gemeinsamen Ursache der Selbstbewegung. Siehe folgenden Eintrag. 698 a 4–7 Ankündigung der Fragestellung: die gemeinsame Ursache aller Selbstbewegungen von Lebewesen. Mit »Ursache der Selbstbewegung« meint Aristoteles die Bewegungsursache (causa efficiens) aller Lebewesen, die dazu in der Lage sind, sich aus eigenen Stücken zu bewegen, und zwar insbesondere von einem Ort zum anderen (nicht, wie Nussbaum meint, die Finalursache der Selbstbewegung, Nussbaum 21985, 331). Dies umfasst alle Bewegungsweisen, sowohl die hier im Text genannten Fliegen, Schwimmen und Gehen als auch Kriechen (herpsis: Part. An. 1, 639 a30– b3). Ob Bewegung per »spiralförmiger Kontraktion« neben Kriechen eine eigene Art der Fortbewegung darstellt, ist nicht klar (iluspastika: Hist. An. I 1, 487b21; vgl. Inc. An. 9, 709a28 und Kollesch 1985, ad loc. 124). Für eine Übersicht über die unterschiedlichen Einteilungen der animalischen Fortbewegungsarten in den verschiedenen Schriften des Aristoteles siehe Nussbaum 2 1985, 278 f. Zum hohen Abstraktionsniveau der Fragestellung von Mot. An. siehe unten. Wonach fragt der Anfangssatz von Mot. An. genau? Wie in der Einleitung bemerkt, befasste sich bereits De anima III 9–11 mit der Frage des seelischen Ursprungs der animalischen Selbstbewegung. Das Ergebnis bestand darin, nicht ein gesondertes Vermögen der Seele (»Teil« der Seele) für die Selbstbewegung verantwortlich zu machen, sondern die Selbstbewegung als Prozess zu begreifen, an dessen Anfang eine »unbewegte«, entweder vernünftige oder wahrnehmungsmäßige Kognition eines erstrebten und bewegungsrelevanten Gegenstands steht: Diese Kognition eines erstrebten Gegenstandes nennt Aristoteles den »unbewegten Beweger« der Selbstbewegung.1 Als »bewegten Beweger« des Prozesses bezeichnet er die durch diese Kognition ausgelöste

1  Für eine Begründung, warum nicht der externe Gegenstand der unbewegte Beweger der animalischen Ortsbewegung sein kann, siehe philos. Einleitung, S. CLXII f.

64 Anmerkungen

Strebung im Lebewesen und als das »Bewegte« bezeichnet er das Lebewesen selbst (siehe philos. Einleitung, S. CCXXXV f.): und (da) das Bewegende doppelt vorkommt, nämlich einerseits das Unbewegte und andererseits das Bewegende und Bewegte, (deswegen) ist das Unbewegte der Gegenstand der Handlung und das Bewegende und Bewegte ist das, was fähig ist zu streben – denn das Strebende bewegt sich, insofern es strebt, und die wirkliche Strebung ist eine Art von Bewegung, – und das Bewegte (ist) das Lebewesen. (An. III 10, 433b14–19) Der Prozess involviert mehrere der vorher in De anima definierten Vermögen (Vorstellung im Sinne von Wahrnehmung und Repräsentation, Vernunft und die entsprechenden Strebungen), besteht aus mehreren Phasen und endet mit der Bewegung des ganzen Lebewesens. Durch die Diskussion in An. III 9–11 wird klar, dass Aristoteles die aktive Betätigung der kognitiven Seele in der Wahrnehmung bzw. dem Denken eines erstrebten bewegungsrelevanten Gegenstands als den unbewegten Ausgangspunkt der Selbstbewegung versteht. Die Kognition des Gegenstandes führt zur Strebung und die Strebung führt zur Bewegung des ganzen Körpers. In diesem Sinne behauptet er, dass die Seele der unbewegte Beweger, die Strebung der bewegte Beweger und der Körper das passive Bewegte des Prozesses der Selbstbewegung ist. Die Abhandlung in An. III 9–11 konzentriert sich dabei auf den seelischen Ursprung der Selbstbewegung, d. h. wie die Kognition zur Strebung führt und welche Typen von Kognition und Strebung dafür in Frage kommen, ohne näher auf die durch die Strebung ausgelösten darauffolgenden Phasen der akteurs­ internen Bewegungsgenese einzugehen. Insbesondere behandelt der Abschnitt nicht die Frage, wie aus der Strebung eines bewegungsrelevanten Gegenstandes die Bewegung des ganzen Körpers resultiert. Allerdings verweist An. III 10 in diesem Zusammenhang auf die Behandlung der für Körper und Seele gemeinsamen Leistungen, womit, wie in der Einleitung besprochen, Mot. An. gemeint ist (»Und das Werkzeug, mit dem die Strebung bewegt, dies ist vollends körperlich und deswegen im Rahmen der für Körper und Seele gemeinsamen Leistungen zu betrachten.« An. III 10, 433b19–21). Nach Auffassung vieler Interpreten be-



Anmerkungen

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zieht sich dieser Verweis auf das zehnte Kapitel von Mot. An., wo Aristoteles das »angeborene Pneuma« (symphyton pneuma) als einen für die Selbstbewegung speziell wichtigen Körperteil in die Bewegungsgenese einführt, den er in Mot. An. 10, 703a20, zudem ausdrücklich als »Werkzeug« bezeichnet (siehe unten). Doch auch der Anfang des sechsten Kapitels von Mot. An. scheint an die Vorankündigung in An. III 10 anzuknüpfen, wenn es dort nach einem kurzen Rückverweis auf die in An. vertretene These von der Unbewegtheit der Seele heißt, dass nun noch eine Betrachtung darüber aussteht: wie die Seele den Körper in Bewegung setzt (i) und was der Ursprung (archê) der Bewegung des Lebewesens ist (ii). (Mot. An. 6, 700b9–11) Frage (i) macht klar, dass Mot. An. einer Fragestellung gewidmet ist, die in den Bereich der für Körper und Seele gemeinsamen Untersuchungen fällt. Im Unterschied zu An. III 9–11, wo es um die Frage ging, welches das für die Selbstbewegung der Lebewesen zuständige Vermögen der Seele ist, geht es bei der nun angekündigten Untersuchung um die psychophysische Frage, auf welche Weise die Seele den Körper in Bewegung setzt. Es geht also um die Umsetzung des in An. III 10, 433b19–21 angekündigten Programms, im Anschluss an die Behandlung ihres seelischen Prinzips die Selbstbewegung im Rahmen der für Körper und Seele gemeinsamen Leistungen zu behandeln. Wonach fragt (ii)? Und in welchem Verhältnis stehen die Fragen (i) und (ii)? Hier kommen mehrere Optionen in Frage. Das »und« in »und was der Ursprung der Bewegung des Lebewesens ist« könnte epexegetisch als eine Art Erläuterung von (i) gelesen werden. In diesem Fall würde die Antwort auf die Frage nach dem Ursprung der Selbstbewegung zusammenfallen mit der Antwort auf die Frage, wie die Seele den Körper in Bewegung setzt. Für diese Variante spräche, dass Aristoteles am Beginn von Mot. An. 8 ausdrücklich von dem Gegenstand der Strebung, insofern er Gegenstand der Vorstellung oder des Denkens ist, als Ursprung der Bewegung (archê tês kinêseôs) spricht und damit die Wendung in (ii) fast wörtlich aufnimmt (archê tês tou zôiou kinêseôs). Bei dieser Lesart würden (i) und (ii) also nicht voneinander

66 Anmerkungen

getrennte Fragen aufwerfen, sondern zusammen und in globaler Weise die Fragestellung des gesamten Traktats abbilden. Eine andere Möglichkeit ist, dass (i) und (ii) zwar verschiedene Fragen formulieren, diese sich aber komplementär zueinander verhalten, so dass (i) nach der akteursinternen Bewegungsgenese der Selbstbewegung fragt und (ii) nach dem ersten Ursprung (archê) der Selbstbewegung im Sinne der notwendigen und hinreichenden Bedingungen ihrer Auslösung. Für diese zweite Variante spräche, dass (ii) dann die Frage nach der unmittelbaren causa efficiens der animalischen Selbstbewegung stellen würde, auf die, wie es scheint, die im siebten Kapitel eingeführte Erklärungsfigur des sogenannten »praktischen Syllogismus« eine Antwort gibt. Der »praktische Syllogismus« nennt nämlich genau solche notwendigen und hinreichenden Bedingungen für das Auslösen von Selbstbewegungen, 2 auf die dann im darauffolgenden Kapitel die Beschreibung der im unmittelbaren Anschluss daran stattfindenden unbewussten akteursinternen Bewegungsabläufe folgt (vgl. das »sofort« in Mot. An. 7, 701a14, 15, 17, 22, 30 und 37 und auch die Parallelstelle in EN VII 5, 1147a24–28); zweitens spräche dafür das Resümee der Passage zum »praktischen Syllogismus« in Mot. An. 7, 701a34 f., wo es heißt, dass eine durch die Kognition eines bewegungsrelevanten Gegenstandes ausgelöste Aktualisierung einer Strebung die letzte unmittelbare Ursache der Selbstbewegung sei (eschatês aitias tês kinêseôs). Unter dieser Hypothese würde sich also ein halbwegs geschlossenes Bild des Argumentationsgangs von Mot. An. ergeben, in dem Episoden animalischer Selbstbewegung von ihrem Beginn mit der Kognition eines erstrebten Gegenstands bis hin zur Bewegung des ganzen Lebewesens erklärt werden. Gegen diese zweite Lesart spricht allerdings, dass sie die in Kapitel 8, 702a21, und Kapitel 9 vorgenommene Lokalisierung des mechanischen Ursprungs der Selbstbewegung im Herzen des Lebewesens außer Acht lässt. Folgende Interpretation wäre daher im Sinne einer vollständigen Berücksichtigung des in Mot. An. 2  »Doch wie kommt es, dass man, wenn man denkt, einmal handelt und ein andermal nicht und sich einmal bewegt und ein andermal nicht?« (Mot. An. 7, 701a7–9)



Anmerkungen

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behandelten Inhalts die wahrscheinlichste: (ii), die Frage danach, wie die Seele den Körper in Bewegung setzt, kündigt die Behandlung der unmittelbaren Ursache der Ortsbewegung im Sinne notwendiger und hinreichender Bedingungen für das Vorliegen von Episoden animalischer Selbstbewegung an (beantwortet mit dem praktischen Syllogismus in Kapitel 7 und der Beschreibung des unmittelbar daran anschließenden unbewusst ablaufenden akteursinternen Teils der Bewegungsgenese), während (i) mit der Frage nach dem Ursprung der Ortsbewegung speziell auf die Lokalisierung des mechanischen Ausgangspunkts der Selbstbewegung in Kapitel 8–9 vorausweist. Damit wäre der wichtigen Rolle, die, wie wir sehen werden, Aristoteles der Funktionsweise der Gelenke für die mechanische Erklärung der animalischen Selbstbewegung zumisst, bereits in der Ankündigung der Fragestellung Genüge getan. Das hohe Abstraktionsniveau der Schrift. Das vergleichsweise hohe Abstraktionsniveau von Mot. An. ist bemerkenswert. Es ist sogar so bemerkenswert, dass Aristoteles die Behandlung der gemeinsamen Ursache für die Fortbewegung der Lebewesen zum Thema einer kleinen methodologischen Diskussion in Part. An. I 1, 639a13– b5 macht. Er kontrastiert dort die Erklärung der Fortbewegung der Lebewesen mit der Erklärung anderer den Tieren gemeinsamer Eigenschaften (639 a25– b5): Anders als viele andere Eigenschaften, die bei Tieren ganz verschiedener Arten vorkommen, als solche untereinander aber keine Unterschiede aufweisen, so wie z. B. Blut zu führen oder ein Herz zu haben, haben die Fortbewegungsweisen der Lebewesen zwar eine gemeinsame Bezeichnung (»Fortbewegung«), unterscheiden sich jedoch teilweise ganz erheblich voneinander: So kommen Fliegen, Schwimmen, Gehen und Kriechen als Fortbewegungsarten nicht nur getrennt voneinander in verschiedenen Tiergattungen vor, sondern sie unterscheiden sich auch in der Weise, in der es sich dabei jeweils um Fortbewegungsarten handelt. Sie bringen die Fortbewegung auf jeweils ganz verschiedene Art zustande.3 Die 3  Die methodologische Diskussion in Part. An. I wird üblicherweise nur mit Inc. An. in Zusammenhang gebracht. Dies scheint jedoch nicht das Einzige zu sein, von dem Aristoteles dort spricht, erwähnt Inc. An.

68 Anmerkungen

Frage, die Aristoteles in Part. An. I 1 angesichts dieses Befundes aufwirft (aber an dieser Stelle nicht ausdrücklich beantwortet), ist, ob man in solchen Fällen trotz aller Artverschiedenheit nicht zuerst die Gemeinsamkeiten für alle Fortbewegungsweisen zusammen behandeln soll oder man nicht besser die verschiedenen Fortbewegungsweisen jeweils für sich einer Erklärung zuführt. Die allgemeine Theorie der animalischen Selbstbewegung in An. und Mot. An. mit ihrem Anspruch, eine allen Selbstbewegungen gemeinsame Ursache anzugeben, kann durchaus als Teilantwort auf die in Part. An. I 1 aufgeworfene Frage angesehen werden. Offenbar hält der hohe Abstraktionsgrad – Gleichheit, insofern es sich bei ihnen allen um Fortbewegungsweisen von Lebewesen handelt, bei gleichzeitiger Artverschiedenheit in der Weise, in der sie die Fortbewegung zustande bringen – Aristoteles nicht davon ab, eine für alle Fortbewegungsweisen gemeinsame Ursache auszumachen und diese auch einer gemeinsamen Erklärung zuzuführen. Seine Gründe dafür sind teils methodenökonomischer Art, teils sind sie beweistheoretisch motiviert: Alles, was sich in der Zoologie sinnvollerweise gemeinsam behandeln lässt, sollte auch gemeinsam behandelt werden, um so unökonomische Redundanzen und Wiederholungen zu vermeiden (Part. An. I 1, 639a13– b5; 4, 644a25–b15; generell Phys. I 7, 189b31–32; vgl. auch An. I 1, 402b8– 10; Gener. An. V 8, 788b19 f.). Andererseits ist Aristoteles aufgrund seiner Konzeption einer deduktiven, aus ersten Prinzipien heraus beweisenden Wissenschaft darauf festgelegt, alle beweisbaren Eigenschaften eines bestimmten wissenschaftlichen Sachbereichs in ihrer größtmöglichen Extension zu erklären: Wissenschaft­liche Beweise müssen »koextensiv allgemein« sein, sie müssen so allgemein wie möglich und so spezifisch wie nötig sein, um zu gewährleisten, dass jede im Rahmen einer gegebenen Wissenschaft erklärte Eigenschaft möglichst nur ein einziges Mal, und zwar an der methodisch richtigen Stelle, bewiesen wird (prôton katholou: Anal. Post. I 4, 73b25–74a3; a32– b3; vgl. Barnes 21993 ad loc.). So (anders als Mot. An. 1, 698a 4, 11, 704b1, und Part. An. I 1, 639 a34) doch an keiner Stelle eine gemeinsame (koinêi) Betrachtung. Im Gegenteil, Inc. An. geht gerade auf die Verschiedenheit der für die Ortsbewegung nützlichen Körperteile und deren Verwendungsweisen ein.



Anmerkungen

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wie Aristoteles sie in Part. An. I 1 einführt, können koextensiv allgemeine Erklärungen gegebenenfalls auch über Spezies- und Gattungsgrenzen hinausgehen, wenn entsprechende über Speziesund Gattungsgrenzen hinausgehende Gemeinsamkeiten vorliegen (Part. An. I 1, 639a15 ff.: kata ti koinon hypothemenous). Eben dies scheint bei der animalischen Selbstbewegung der Fall zu sein. 4 Dass es Aristoteles in Mot. An. Ernst ist mit der allgemeinen Erklärung der Selbstbewegung, die die für alle dazu fähigen Lebewesen gemeinsame Ursache angibt, zeigt sich auch an dem Umstand, dass er eine besondere, gleichermaßen auf alle Lebewesen zugeschnittene Terminologie prägt: Neben dem Umstand, dass er in Part. An. I 1, 700 b 9, b 31, b 32 und 701a 4 ausdrücklich von »Lebewesen« (zôion) und nicht spezifisch von Menschen spricht, fasst er in 700b17–23 den Begriff der Strebung (orexis) so, dass er alle (drei) Arten der Strebung umfasst – offenbar um so die konativen Zustände aller Lebewesen gemeinsam abzudecken; und auch mit dem Term »Denken« (nous) bezeichnet er alle Formen der Kognition, nicht nur menschliches Denken, sondern sowohl menschliche Rationalität als auch alle nicht-rationalen, tierischen Kognitionsformen (Wahrnehmung und wahrnehmungsmäßige Vorstellung). Dieselbe, speziell für die Belange der gemeinsamen Theorie der animalischen Selbstbewegung geprägte Terminologie findet sich übrigens auch schon in An. III 9–11 (besonders An. III 10, 433a9 ff.). Wie sich zeigen wird, hält dies Aristoteles bei Gelegenheit allerdings nicht davon ab, dort wo erforderlich auch spezifisch tierische oder menschliche Aspekte der Selbstbewegung zu diskutieren. Auch hält er seinen terminologisch allgemeinen Ansatz nicht immer durch. So orientiert sich seine Beschreibung der Physiologie der Bewegungsgenese im Lebewesen in Mot. An. 7 und 8 nur an blutführenden Landtieren und an manchen Stel4  Zur Erläuterung des Begriffs des »koextensiv Allgemeinen« vgl. McKirahan 1992, 171–176, und Kullmann 2007, 165 ff. inkl. weiterer Literaturangaben. Allerdings scheint Kullmann sich dort – anders als hier gerade behauptet – gegen eine speziesübergreifende Allgemeinheit des koextensiv Allgemeinen auszusprechen. (Für eine ausführliche Diskussion des Begriffs des koextensiv Allgemeinen und seiner Interpretationsgeschichte siehe Detel 1993 II ad loc.).

70 Anmerkungen

len vielleicht sogar nur am Menschen. Diese Variationen tun dem allgemein zoologischen Erklärungsanspruch von Mot. An., den Aristoteles immer wieder unterstreicht (vgl. etwa 9, 702b19), keinen Abbruch: Wenn man die Verhältnisse beim Menschen einmal erfasst hat, kann man sich analoge Beschreibungen für andere Tiergattungen leicht zurechtlegen, und dass wir dies tun, scheint dabei auch genau seine Absicht gewesen zu sein: Aristoteles misst den Verhältnissen beim Menschen aus epistemischen Gründen (weil wir uns selber in vielerlei Hinsicht am bekanntesten sind) exemplarische Geltung für das Erfassen allgemeiner zoologischer Sachverhalte zu (vgl. Hist. An. I 6, 491a19 ff., Part. An. II 10, 656a9–14, Gener. An. II 4, 737b25–27 und Lennox 1999 sowie philos. Einleitung, S. CXCV). 698 a7–11  Die Passage bettet die Theorie der animalischen Selbstbewegung in den weiteren Kontext der allgemeinen Bewegungs­ lehre aus Physik VIII ein, wo Aristoteles in einem langen und komplizierten Argumentationsgang die These vertritt, dass es im All eine ewige und kontinuierliche Bewegung gibt und es dafür eines ersten, unbewegten Bewegers als einer Ursache bedarf. Physik VIII 1–2 argumentiert, dass es eine ewige und kontinuierliche Bewegung gibt, während VIII 8 zu zeigen versucht, dass es sich bei dieser ewigen Bewegung um eine Kreisbewegung handeln muss. VIII 5 ff. argumentiert, dass es für jede Bewegung eines bewegten Bewegers (Selbstbewegers) als Ursprung der Bewegung, und schließlich eines unbewegten Bewegers als Ursprung der Selbstbewegung bedarf. 698 a11–14  Hier wird neben dem allgemeinen theoretischen Inter­ esse eine weitere Motivation der Schrift genannt. Die abstrakten Thesen zur Struktur und Verursachung der Bewegung aus Physik VIII (siehe den vorherigen Eintrag) sollen sich an der Erklärung wahrnehmbarer Einzelfälle animalischer Selbstbewegungen ­bewähren (so auch Michael v. Ephesos 104.23–29). Der Gegensatz logos und phainomena findet sich auch in Juv. 2, 468a22–24 und 4, 469a23–28. Weniger wahrscheinlich ist, dass Aristoteles seine allgemeinen Thesen zur Bewegung aus Physik VIII am Einzelfall testen möchte. Seine Worte erwecken nicht den Eindruck, dass



Anmerkungen

71

er seiner generellen Bewegungslehre aus der Physik einen bloß hypothetischen Status zumisst oder vielleicht sogar an ihr zweifelt (siehe auch philos. Einleitung, S. CLXVII). Von vorherigen Übersetzern nicht gewürdigt wurde die Behauptung in a13, dass wir die allgemeinen Begriffe und Erklärungen wegen der Einzeldinge suchen. Sie haben die Präposition »dia« in Mot. An. 6, 700 b13, die mit dem Akkusativ normalerweise mit »wegen« oder »aufgrund« wiederzugeben ist, so übersetzt, als stünde sie mit dem Genitiv (»durch«). Gemeint ist, dass unsere allgemeinen Theorien und Begriffe nur so gut sind, wie sie zur Erklärung der Einzeldinge in der wahrnehmbaren Welt taugen. In diesem Sinne argumentiert auch An. I 1, 402b22–25:5 Denn wenn wir die Eigenschaften, so wie sie erscheinen, erklären können, entweder alle oder die meisten, dann werden wir auch am besten über die Substanz sprechen können; denn das Prinzip allen Beweises ist das Was-es-ist, so dass alle De­f i­n i­ tio­nen, aus denen sich kein Erkennen der Eigenschaften ergibt und die es nicht wenigstens erleichtern, Vermutungen über sie anzustellen, offenbar alle in dialektischer Weise dahingesagt und leer sind. Aristoteles ist in Mot. An. an der Bewährung seiner allgemeinen Aussagen zur Struktur und Verursachung der Bewegung aus der Physik gelegen. Eine weitere Frage, die sich im vierten Kapitel von Mot. An. stellen wird, ist, ob Aristoteles die Bestätigungsfunktion, die eine auf Einzelfälle anwendbare Erklärung für die allgemeine Theorie hat, auch über den Bereich der Naturphilosophie hinaus auf die bewegende Rolle des ersten unbewegten Bewegers in seiner Metaphysik ausdehnt (siehe unten). 698 a 14– b 7  Stützpunkttheorem (i). Die Funktionsweise der Gelenke wird hier als Anwendungsfall der allgemeinen These präsentiert, der zufolge jede Selbstbewegung einen internen unbewegten 5  In

diesem Sinne vgl. z. B. auch Cael. II 13, 293a23 ff. Nussbaum ( 1985) ad loc. nennt noch folgende Stellen: Hist. An. I 5, 491a7–14; Gener. Corr. I 2, 316a5–14; Gener. An. III 7, 757b35 ff.; III 10, 760b28 ff.; V 8, 788b19 ff.; Cael. III 7, 306a5 ff. 2

72 Anmerkungen

Ausgangspunkt (»Stützpunkt«) erfordert. Demnach ermöglichen Gelenkpunkte Bewegung dadurch, dass sie »sowohl zu einem als auch zu zweien« werden können. Was heißt das? In Physik VIII 5 vertritt Aristoteles die These, dass es Selbstbewegung in einem strikten Sinn des Wortes nicht geben kann. Vielmehr handele es sich bei Selbstbewegern in Wahrheit stets um Bewegungssysteme mit einer intern komplexen Struktur, die sich aus einem passiv bewegten und einem aktiv bewegenden Element zusammensetzt. Wenn sich Lebewesen daher selbst bewegen, so liegt dies ebenfalls nicht daran, dass sie im strikten Sinn »Selbstbeweger« sind, sondern daran, dass auch sie eine intern komplexe Struktur aufweisen, die aus mindestens einem bewegten und einem davon distinkten bewegenden Element besteht: Etwas im Lebewesen muss in einer Hinsicht mit dem ganzen Lebewesen identisch und in anderer Hinsicht vom Rest des Lebewesens verschieden sein. Um sich selbst in Bewegung setzen zu können, muss also das ganze Lebewesen, so wie ein Gelenk, sowohl »eins als auch nicht eins« werden können (Metaph. V 6, 1016a9–16; Part. An. II 9, 654a35– b 2). Dies geschieht, indem etwas im Lebewesen ruht, worauf es sich dann als auf einen unbewegten Stützpunkt abstützen kann, um sich so als Ganzes fortzubewegen. Auch die Selbstbewegung der Lebewesen erfordert also eine bewegungsfunktionale Getrenntheit von internem Stützpunkt und sich darauf abstützendem Körper bei gleichzeitiger Kohäsion mit dem Ganzen: denn nicht dies ist unklar, ob sie (die Lebewesen) von etwas in Bewegung gesetzt werden, sondern auf welche Weise man bei ihm (dem Lebewesen, KC) das Bewegende und das Bewegte auseinanderhalten (dialabein) soll. Es scheint nämlich so wie in den Schiffen und den Dingen, die nicht von Natur bestehen, so auch bei den Lebewesen das Bewegende und das Bewegte getrennt (dihêirêmenon) zu sein und auf diese Weise das Ganze sich selbst in Bewegung zu setzen. (Phys. VIII 6, 254b30–33) Um dieses Erfordernis einer internen bewegungsfunktionalen Komplexität zu veranschaulichen, nutzt Aristoteles an unserer Stelle in Mot. An. die (offenbar als bekannt vorausgesetzte) Funktionsweise der Gelenke als Beispiel. Bei den Gelenken handelt es sich zwar nur um werkzeughafte (instrumentelle) Teile des

73

Anmerkungen

Lebewesens, die eben aufgrund ihres Werkzeugstatus nicht die Bewegung des ganzen Lebewesens, sondern lediglich die seiner Körperteile erklären können. Gelenke operieren nicht für sich, sondern sind stets Gelenke von Lebewesen. Wann immer Gelenke sich bewegen, ist das Lebewesen schon in Bewegung. Gelenke eignen sich daher nicht für die Erklärung der Selbstbewegung des Lebewesens als Ganzem. Gleichwohl liefern sie mit ihrer Eigenschaft, sowohl »eins als auch nicht eins« werden zu können, ein geeignetes Modell, das Aristoteles sich für die Erklärung der Bewegung des Lebewesens als Ganzem zunutze macht (vgl. auch An. III 10, 433b13–18). Auf welche Weise der Bewegung des Lebewesens als Ganzem so etwas wie ein intern unbewegter »Gelenkpunkt« zugrunde liegt, ist Thema der Passage von Mot. An. 8, 702a21– 9, 703a3. Aristoteles wird dort argumentieren, dass die im Herzen lokalisierte wahrnehmende Seele des Lebewesens die Funktion eines intern unbewegten Abstützungspunkts der Bewegung ausübt. Die Funktionsweise der Gelenke. Die Funktionsweise der Gelenke, die »sowohl zu einem als auch zu zweien« werden können, erläutert Aristoteles in a19–24 mithilfe einer geometrischen Analogie: C D

A

B

Punkt A ist ein einfacher Punkt auf der Strecke D–B (ist »einer«). Wenn die Strecke A–B sich an Punkt A »knickt« und zu A–C beugt, wird A jedoch »zu zweien«. Grund dafür ist, dass A dann gleichzeitig sowohl Endpunkt der Strecke D–A als auch Ursprung der Strecke A–C bildet. Gelenke, so Aristoteles, verhalten sich analog zu Punkt A (Die Lebewesen »gebrauchen ihre Gelenke nämlich wie einen Kreismittelpunkt«, a18). So ist z. B. in einem gestreckten Arm das Ellbogengelenk »eins«, weil es einfacher Teil des aus Ober- und Unterarm gebildeten Arms ist. Beugt sich

74 Anmerkungen

das Ell­bogen­gelenk, wird das Ell­bogen­gelenk jedoch »zu zweien«, weil es nun sowohl den Endpunkt des Oberarms als auch den Anfangspunkt des gebeugten Unterarms bildet. Auf diese Weise werden Gelenke »sowohl zu einem als auch zu zweien« und »gerade und gebeugt«. Gelenke haben also das Besondere an sich, in diesem Sinne in ihre jeweiligen Gegenteile übergehen zu können (a20): Wenn sie gestreckt sind, sind sie der Wirklichkeit nach eins, aber der Möglichkeit nach zwei, weil sie sich ja beugen können, während sie umgekehrt dann, wenn sie gebeugt sind, der Wirklichkeit nach zwei und der Möglichkeit nach eins sind (a18–21). Aristoteles erklärt diese besondere Eigenschaft der Gelenke mithilfe eines gedachten Punktes (sêmeion) in den Gelenken: Was im gestreckten Gelenk ein einziger Punkt im Gelenk ist, wird im gebeugten Gelenk zu zwei Punkten (a21–24). Auf dieser besonderen Eigenschaft, sowohl zu einem als auch zu zweien werden zu können, wie sie den Gelenken bzw. den gedachten Punkten in den Gelenken auf exemplarische Weise zukommt, beruht für Aristoteles die Möglichkeit der Selbstbewegung. In An. III 10, 433b21–24 hatte Aristoteles bereits die Funk­ tions­weise des »werkzeughaft Bewegenden« mithilfe des Beispiels eines Knochengelenks (ginglymos, möglicherweise auch als »Tür­ angel« zu übersetzen) illustriert: Das werkzeughaft Bewegende findet sich dort, wo Ursprung und Ende dasselbe sind, wie beim Knochengelenk. Denn dort sind das Konvexe und das Konkave einmal Ende und einmal Ursprung – deswegen ruht das eine und das andere bewegt sich –, da sie dem Begriff nach verschieden, jedoch der Größe nach untrennbar sind. Zur allgemeinen Funktionsweise der Gelenke bzw. des Punktes in den Gelenken, der von »eins zu nicht eins« und »eins und zwei« und gleichzeitig »Anfang und Ende« werden kann, vgl. auch Metaph. V 6, 1016 a9–16, Phys. VIII 8, 263a23–25 und An. III 2, 427a10–14. Gelenke erfüllen die von Aristoteles in der oben zitierten Stelle der Physik formulierte interne Komplexitätsbedingung (interne Getrenntheit bei gleichzeitiger Kohäsion) in exemplarischer Weise. Die geometrische Beschreibung in Mot. An., der zufolge derselbe Punkt sowohl zu einem als auch zu zweien



Anmerkungen

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werden kann, kann daher auch als Analyse der Funktionsweise der Gelenke verstanden werden. Nussbaum ad loc. meint dagegen, Aristoteles könnte in Mot. An. die geometrische Beschreibungsweise deshalb gewählt haben, um im Rahmen seiner allgemeinen Theorie der animalischen Selbstbewegung von den anatomischen Gegebenheiten blutführender Tiere zu abstrahieren. Dies ist ein nicht unattraktiver Vorschlag. Doch angesichts der Tatsache, dass in Mot. An. 9, 702b30 ff. die Funktionsweise der Gelenke Aristoteles dazu dienen wird, die bewegende Funktion der Seele her­aus­ zu­a rbeiten, ist die analytische Ebene des geometrischen Beispiels nicht von der Hand zu weisen. 698 a 23  »die geometrischen Punkte A und D«  Nussbaum hat angenommen, dass der weibliche Artikel ἡ sich hier auf »Segment« beziehen muss (Nussbaum 282), da er sich nicht auf die unmittelbar vorher verwendete und im Neutrum stehende Bezeichnung für Punkt (sêmeion, a21–22) beziehen kann und es bei Aristoteles ansonsten keine weibliche Bezeichnung für Punkte gebe. Sie hat deswegen das »und« gestrichen, ἡ μὲν ΑΔ konjiziert und mit »on a diameter AD should remain fixed« übersetzt. Aristoteles scheint ab Zeile a22 allerdings von der physikalischen Ebene, in der er eine punkthafte Stelle in den Gelenken (sêmeion) diskutiert, auf die geometrische Vergleichsebene überzuwechseln (angezeigt durch das »wie wenn«, hôsper). Geometrische Punkte werden aber typischerweise im genus femininum mit stigmē bezeichnet, und zwar auch von Aristoteles (vgl. Bonitz, Index Aristotelicus s. v., Mot. An. 7, 701a22 ff.). Wie es scheint, geht Aristo­teles hier davon aus, dass der Schritt von der physikalischen zur geometrischen Ebene von seinen Hörern mitvollzogen wird. Wir haben die Übersetzung entsprechend angepasst (»geometrischer Punkt«). 698 a 24  »In diesem Fall«  Aristoteles macht auf die Grenzen der von ihm gerade vorgetragenen geometrischen Analogie (a22–24) aufmerksam. Mathematische Objekte sind im Gegensatz zu physikalischen Gegenständen vollständig unbewegt (Metaph. I 8, 989 b 32 f.; vgl. unten Mot. An. 3, 699a20–22). Außerdem ist das, was im geometrischen Fall ein numerisch einheitlicher Punkt ist, bei den

76 Anmerkungen

Gelenken auch räumlich getrennt: Gelenkpfanne und Gelenkkopf sind räumlich verschiedene Teile, auch wenn sie Teile eines einzigen Gelenks sind. Dies ändert jedoch nichts an Aristoteles’ Analyse. Welche Denker waren es, von denen Aristoteles hier spricht, die auf Grundlage der These, dass sich gar nichts Geometrisches bewege, behaupteten, dass die Bewegung geometrischer Entitäten fiktiv sei? Offenbar handelt es sich um Geometer, die die Gegenstände ihrer Wissenschaft sorgfältig von physikalischen Gegenständen unterscheiden. Aristoteles ist mit ihnen einer Meinung. 698 a 27 f.  »Der Möglichkeit und der Wirklichkeit nach einmal zu Einem werden und ein andermal sich teilen.«  Aristoteles fasst die Wirklichkeit und das Vermögen hier dynamisch als Wirklichkeit und Vermögen des Übergangs von eins zu zweien und umgekehrt. Es geht ihm hier nicht um das Vermögen bzw. die Wirklichkeit der Zustände des Eins- bzw. Zweiseins. 698 b1  »Doch der relative Ursprung bleibt, insofern er Ursprung ist, stets unbewegt.«  Der hier gewählte Ausdruck »relativer Ursprung« zeigt, dass Aristoteles sein Stützpunkttheorem (i) durch die Funktionsweise lediglich werkzeughafter Abstützungs- bzw. Aufhängungspunkte erklärt (siehe oben Komm. zu 698a14– b 7). Es geht ihm hier um einen induktiven Aufweis von Stützpunkttheorem (i): Überall, wo eine Bewegung der Glieder des Lebewesens stattfindet, muss sich das bewegte Glied auf einen internen Stützpunkt stützen bzw. an einem internen Aufhängungspunkt hängen, und deswegen soll es auch für die Bewegung des Lebewesens als Ganzem einen internen unbewegten Stützpunkt geben. Aristoteles sagt uns hier aber noch nichts darüber, wie der interne Stützpunkt des gesamten Lebewesens beschaffen sein muss. Was den internen Stütz- oder Aufhängepunkt der Körperglieder betrifft, so sagt er hier, dass er nur relativ zum bewegten Glied unbewegt sein muss. Das heißt, dieser relative interne Stützpunkt kann seine Stützpunktfunktion auch dann ausüben, wenn er seinerseits auf einem weiteren Stützpunkt ruht und auch selber in Bewegung ist (wie wenn die Bewegung des Ell­bogens, an dem seinerseits die Bewegung des Unterarms aufgehängt ist,



Anmerkungen

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am Schultergelenk hängt. In diesem Fall ist der Ellbogen zwar Ursprung der Bewegung des Unterarms, aber gleichzeitig Ende der Bewegung, die vom Schultergelenk ausgeht). Dieses beides (an einem weiteren Stützpunkt hängen und selber bewegt sein) darf für den internen Stützpunkt des Lebewesens nicht mehr gelten. Es muss ein interner Stützpunkt sein, der nicht relativ zur Bewegung eines Körperglieds, sondern absolut, d. h. im Verhältnis zum Lebewesen als Ganzem, unbewegt ist. Dies ist ein Stützpunkt, der Ursprung von Bewegung, nicht aber Endpunkt einer anderen Bewegung ist. Im Anschluss an das oben zitierte An. III 10, 433b21–24 hatte Aristoteles bereits darauf hingewiesen, dass für die Bewegung mithilfe von Gelenken ein unbewegter Stützpunkt erforderlich ist (b25–27). Mot. An. 8, 702a21–9 und 10, 703a3 argumentieren, dass die Wahrnehmungsseele des Lebewesens der gesuchte interne, nicht relative Ursprung der Bewegung des Lebe­ wesens ist.

Kap. 2

Stützpunkttheorem (ii): Neben dem internen ist auch ein externer ruhender Stützpunkt erforderlich, auf den sich die Lebewesen bei ihren Selbstbewegungen als Ganze abstützen. Dieser externe Stützpunkt darf nicht Teil des Lebewesens sein.

Die These eines internen Stützpunktes wird hier um die eines externen Stützpunktes ergänzt. Für die Selbstbewegung von Lebewesen ist beides erforderlich: ein interner und ein externer Stützpunkt. Aristoteles illustriert seine Feststellung durch eine Reihe von Beispielen. Sie sollen verschiedene Aspekte des Stützpunkttheorems herausstellen. Gleich zu Beginn des Kapitels in 698b9–12 kündigt er eine kosmologische Anwendung des externen Stützpunkttheorems an. Kosmologische Fragen in Verbindung mit dem externen Stützpunkttheorem werden ihn bis zum Ende des vierten Kapitels beschäftigen, bevor er im 5. Kapitel kurz erneut auf das interne Stützpunkttheorem zu sprechen kommt. Erst in Kapitel 6 wendet er sich mit der Diskussion der internen (»psychologischen«) Beweger im Lebewesen wieder der Hauptfrage nach der akteursinternen Bewegungsgenese zu.

78 Anmerkungen

698 b12–15  Warum erfordert die Bewegung »in höherem Maße« einen externen als einen internen Stützpunkt? Vielleicht spielt Aristoteles hier auf den Sachverhalt an, dass ein interner Stützpunkt lediglich für die Selbstbewegung eine notwendige Voraussetzung ist, ein externer Stützpunkt aber generell für jedwede Bewegung erforderlich ist. Ohne externen Stützpunkt wäre auch fremdverursachtes Bewegt-Werden nicht möglich. 698 b15–18  Hier haben wir einen gegenüber den vorherigen Ausgaben neuen Text. Siehe dazu die philologische Einleitung 4.1, S. XC –XCIV. Aristoteles bringt zwei Beispiele: Die sprichwörtlichen Mäuse im Pech 6 und die Wanderer im Sand. Mäuse, deren Füße im Pech kleben, und die Wanderer im Sand illustrieren das Erfordernis eines externen Stützpunktes auf je verschiedene Weise. Bei den Wanderern im Sand gibt der Stützpunkt stets nach, so dass ein Fortkommen nicht möglich ist, während bei den Mäusen der Stützpunkt mit der Absatzbewegung gleichsam mitgeht. In beiden Fällen ist (auf je verschiedene Weise) das externe Stützpunktkriterium nicht erfüllt und deswegen ein Fortkommen nicht möglich. Im Anschluss behauptet Aristoteles die allgemeine Gültig­keit des Stützpunkttheorems für Bewegungen sowohl zu Land, zu Wasser als auch in der Luft. 698 b18–699 a 9 Das nun folgende Beispiel der Bewegung des Schiffs dient der speziellen Betonung des Umstands, dass der geforderte Stützpunkt extern sein muss. Aristoteles fasst dies so auf, dass der externe Stützpunkt kein Teil des Bewegten und zur Gänze »verschieden« von ihm sein, d. h. von ihm getrennt sein muss. Auch darf, wie er noch extra anmerkt, der Stützpunkt sich nicht in dem Bewegten befinden (a6). Dass er dies gesondert anmerkt, deutet darauf, dass Aristoteles schon hier säuberlich die Eigenschaft, an einer bestimmten Stelle von x zu sein, von der Eigenschaft, ein Teil von x zu sein, unterscheidet. Dies ist deswegen von Interesse, weil seine Diskussion des internen Stützpunktes für die Bewegung des Lebewesens später, in Mot. An. 9, auf der Trennung von In-Sein und Teil-Sein beruht. Dort wird 6 

Zum Sprichwort siehe Romero 2001.



Anmerkungen

79

Aristoteles argumentieren, dass die Seele zwar der im Lebewesen befindliche Stützpunkt der Selbstbewegung ist, sie jedoch, anders als das Gelenk, nicht als materiell ausgedehnter Teil des Lebewesens zu betrachten ist (megethos, 9, 703a1–3, siehe unten). Hier an unserer Stelle, wo es um das externe Stützpunkttheorem geht, wird nun auch diese Eigenschaft – zwar nicht Teil des Bewegten, aber doch irgendwie in ihm zu sein – ausgeschlossen. Das externe Stützpunkttheorem besagt, dass der externe Stützpunkt sich vollständig außerhalb des Bewegungssystems befinden muss. Dabei ist die Quantität der für die Bewegung aufgewendeten Kraft für die Geltung des externen Stützpunkttheorems ganz unerheblich. Aristoteles illustriert dies mithilfe der Bilder vom Gott des Nordwindes Boreas (siehe Odyssee V 296) und vom mythischen Riesen Tityos (Od. XI 576–597). Auch sie wären trotz ihrer übermenschlichen Kräfte nicht dazu in der Lage, das Segelschiff, auf dem sie sich befinden, durch Pusten in Bewegung zu setzen. Denn das, worauf sie sich abstützen, und das, was sie in Bewegung setzen wollen, wäre in diesem Fall dasselbe. Von außen dagegen kann jeder, z. B. mit einer Stake, das Schiff in Bewegung setzen.

Kap. 3

Exkurs: Auch für die Bewegung des Alls ist ein externer ruhender Stützpunkt erforderlich. Die von gewissen Theo­re­ti­kern vorgeschlagenen Pole der Himmelskugel eignen sich nicht als Beweger des Alls. Die Interpretation des Atlas-Mythos, die Atlas als eine Art Achse auffasst, die von der Erde bis zum Himmelsrand reicht und von dort aus das All in Bewegung setzt, führt zu unplausiblen Resultaten.

699 a12–17  Das Kapitel enthält eine kosmologische Anwendung der im vorigen Kapitel eingeführten These eines notwendigen externen Stützpunktes der Selbstbewegung: Ruht auch die Be­ wegung des Alls auf einem externen Stützpunkt? Obwohl Aristoteles die Frage bereits hier in a14–17 indirekt zu bejahen scheint, folgt zunächst noch eine Reihe von weiteren kosmologischen Schwierigkeiten, bevor er im vierten Kapitel seine endgültige

80 Anmerkungen

Antwort gibt (4, 699b32–700a6). Zum verbesserten neuen Text in a 12–14 vgl. die philologische Einleitung 4.2, S. XCIV– C . Die erste Bestätigung für seine These holt sich Aristoteles in a 14–17, wo er das externe Stützpunkttheorem auf die Hypothese eines im Inneren des Alls befindlichen Bewegers des Alls anwendet. Er erwähnt zwei relativ abstrakte Möglichkeiten, die beide in der Bestätigung des Theorems resultieren: Entweder der interne Beweger des Alls ist selber bewegt oder er ist unbewegt. Ist er bewegt, so wird er sich (laut externem Stützpunkttheorem) auf etwas Unbewegtem abstützen müssen, wobei dieses Unbewegte dann aber nicht Teil des Alls sein darf. Ist er dagegen schon selbst unbewegt, kann er gleichfalls nicht Teil des Alls sein, da – wie im zweiten Kapitel mit dem Beispiel des Schiffes vor Augen geführt wurde – dann das, was bewegen soll, und das, was bewegt werden soll, dasselbe sind. Die Bewegung kann daher mangels eines vom Bewegten abgetrennten Stützpunktes nicht zustande kommen. Das externe Stützpunkttheorem gilt also auch für die Bewegung des Alls. Das Resultat der Diskussion ist, dass der Stützpunkt für die Bewegung des Alls nicht Teil des Alls sein darf. Auch wenn Aristoteles es an dieser Stelle nicht ausdrücklich sagt, so sollte doch klar sein, dass es sich dabei um ein paradox klingendes Resultat handelt: Wie kann sich etwas außerhalb des Weltalls befinden? Und wie kann sich etwas außerhalb des Weltalls befinden, das außerdem noch in der Lage ist, als Stützpunkt für die Bewegung des gesamten Alls zu dienen? 699 a17–24  Die Pole-Theorie. Aristoteles verschafft sich hier eine weitere Bestätigung für das externe Stützpunkttheorem. Diesmal, indem er sich mit einer bestimmten Theorie über die Bewegung des Kosmos auseinandersetzt. Dies ist die Pole-Theorie. Die PoleTheorie versucht, den Gedanken eines kosmischen Bewegers mit dem externen Stützpunkttheorem in Einklang zu bringen und dabei die paradoxe Konsequenz eines außerhalb des Alls befindlichen Stützpunktes zu vermeiden. So wie Aristoteles sie darstellt, gehen die Vertreter der Pole-Theorie davon aus, dass es, erstens, innerhalb der um sich selbst rotierenden Himmelskugel keinen ruhenden Teil geben kann, da andernfalls »notwendig entweder die ganze Himmelskugel stehen bleiben oder ihr Zusammenhalt



Anmerkungen

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(…) zerrissen (würde)«, und dass, zweitens, die Rotationsbewegung der Himmelskugel von einem Beweger in Bewegung gesetzt wird. Damit kommen die Pole-Theoretiker den Voraussetzungen für Aristoteles’ externes Stützpunkttheorem recht nahe. Anstatt nun aber so wie Aristoteles später einen vollständig außerhalb des Universums befindlichen Beweger anzunehmen, vermeidet der Vorschlag der Pole-Theoretiker diese paradox anmutende Konsequenz. Der Pole-Theorie zufolge sind es nämlich die Pole der Achse, um die die Himmelskugel rotiert, welche das All in Bewegung setzen. Man kann die Theorie daher als Rettungsversuch für die gerade vorher in 699 a12–17 abstrakt widerlegte These eines internen Bewegers des Alls betrachten. Die Vertreter der PoleTheorie akzeptieren die These, dass kein materiell ausgedehnter Teil des rotierenden Alls unbewegt bleiben kann. Doch dadurch, dass sie mit den auf der Oberfläche der Himmelskugel gelegenen, materiell nicht ausgedehnten Polen der Himmelsachse geometrische Entitäten zu den Bewegern des Alls machen, vermeiden sie die Konsequenz, einen außerhalb des Kosmos gelegenen Beweger annehmen zu müssen. Die Pole befinden sich im Himmel und sie dienen als Stützpunkte der Rotationsbewegung, werden aufgrund ihrer geometrischen Verfasstheit aber nicht von der Rotationsbewegung des Himmels erfasst. Es sind in diesem Sinne unbewegte Beweger des Weltalls. Die Theorie scheint so das externe Stützpunkttheorem anzuerkennen, ohne dessen paradox scheinende Konsequenz eines außerhalb des Kosmos gelegenen Bewegers in Kauf zu nehmen. Die Pole-Theorie scheint daher nicht nur eine Art Vorläufer von Aristoteles’ eigener Lehre unbewegter Beweger zu sein (vgl. Nussbaum 21985, 295), sie stellt zudem auch eine ernstzunehmende Herausforderung für die Gültigkeit des externen Stützpunkttheorems dar. Aristoteles hält zwei Argumente dagegen: (i) Pole sind geometrische Gegenstände und haben als solche keinerlei physische Kraft; (ii) zwei Pole können unmöglich eine Rotationsbewegung erklären. (i)  Dass geometrische Entitäten keine physische Natur und daher auch keine physische Kraft haben, ist Thema einer ausgedehnten Diskussion in Cael. III 7 ff. Bei mathematischen Entitäten handelt es sich für Aristoteles um kausal ineffiziente Abstraktio-

82 Anmerkungen

nen von physikalischen Gegenständen (vgl. Metaph. XIII 3, Phys. II 2, An. III 7, 431b12–16). (ii)  Das Argument, dass zwei Pole unmöglich eine Rotationsbewegung erklären können, scheint angesichts der Tatsache, dass die Pole die beiden Endpunkte einer einzigen Achse markieren, wenig überzeugend. Nussbaum ad loc. schlägt deswegen vor, Aristoteles hier so zu verstehen, dass er die Achsenbewegung des Kosmos nicht nur als einheitliche, sondern auch als unzusammengesetzte Bewegung ansieht. Da Aristoteles aber bereits vorher im Text die Rolle des externen Stützpunkts mit der Rolle des Bewegers verbunden hatte (a16), scheint es mir aber wahrscheinlicher, dass auch hier eine enge Verbindung von Stützpunkt- mit Bewegerfunktion vorliegt. Auch die Pole-Theorie behandelt die Pole nämlich als unbewegte Beweger des Kosmos; Stützpunkt- und Bewegerfunktion fallen daher in der Pole-Theorie zusammen. Und dass die eine Bewegung des Kosmos, ob zusammengesetzt oder nicht, von zwei Stützpunkten getragen werden soll, ist in der Tat nur schwer vorstellbar. Wer ist der Autor der Pole-Theorie? Neben Speusipp (Tarán 1981, 386–388), dem Astronomen Kallippos (Jaeger 21955, 380– 382) und Pythagoreischen Theoretikern (siehe die Diskussionen in Nussbaum 21985, 298 und Kollesch 1985, 41 f.) wurde jüngst noch Eudoxos als möglicher Kandidat vorgeschlagen (Menn 2012, 457, Anm. 28). Ein tragisches Fragment des Sophisten Kritias (TrGF 43 1, 43 Critias, F3) scheint einen dichterischer Beleg für die Existenz einer Poletheorie zu liefern: Die unermüdliche Zeit wandert in ewig fließendem Strom herum, sich selbst gebärend, und die gedoppelten Pole betreuen mit den von ihren Flügeln [d. h. Antriebskraft] bewirkten schnell wandernden Umschwüngen die Achse des Atlas [atlanteion polos].7

7  Auffallend ist hier des Dichters Wort für die Pole arktos. Hierbei handelt es sich um einen Ausdruck, den Aristoteles bei Gelegenheit auch selbst für Pole zu benutzen scheint (Mete. II 5, 362a32).



Anmerkungen

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699 a24–27  Zusammenfassung. Aristoteles meint, mit den Schwierigkeiten, die er aufgeworfen hat, die Hypothese eines internen Stützpunkts für die Bewegung des Alls widerlegt zu haben. Da das externe Stützpunkttheorem gilt, muss es also auch für die Bewegung des Weltalls insgesamt einen externen Stützpunkt geben. Dies bestätigt die ausnahmslos allgemeine Gültigkeit des externen Stützpunkttheorems, führt aber zu dem paradoxen Resultat, dass es einen Stützpunkt für die Bewegung des Alls geben muss, der sich außerhalb des Alls befindet: Wie kann sich etwas außerhalb des Alls befinden? Daher vielleicht Aristoteles’ vorsichtige Formulierung: »Demnach wird man aus den genannten Schwierigkeiten wohl folgern müssen, dass sich etwas auch zur Natur als Ganzer so verhält wie die Erde zu den Lebewesen, die durch sich selbst in Bewegung sind«. 699 a 27–700 a 6  Die Motivation der Atlas-Theorie. Obwohl er an dieser Stelle der Ansicht sein muss, dass sich die Annahme eines internen Bewegers des Alls bereits mehrfach als falsch erwiesen hat, diskutiert Aristoteles noch eine weitere Theorie, die auf derselben Annahme fußt. Dies ist die im Folgenden als »AtlasTheorie« bezeichnete Theorie. Bei der Atlas-Theorie handelt es sich um eine kosmologische Adaption der populären Atlaslegende (Hesiod, Theogonie 517–520; vgl. Metaph. IV 23, 1023a19–21; Cael. II 1, 284a18–23). Die Atlaslegende wurde auch von späteren Dichtern aufgegriffen. 8 Wie es scheint, ist der Autor der hier diskutierten theoretischen Adaption der Atlaslegende jedoch niemand anders als Aristoteles selbst. Atlas wird darin als eine Art Achse aufgefasst, die sich zwischen der in der Mitte befindlichen

8  Bei Ennius (Annales 27 (= lib. I fr. xxiii, Skutsch) und dann auch bei Vergil (der es wohl von Ennius hat, Aeneis IV 481–482 ≈ VI 796–797) trägt Atlas nicht nur das Himmelsgewölbe, sondern dreht es auch um sich herum, so wie in Aristoteles’ eigener Adaption des Mythos. Zu den literarischen Referenzen der Atlas-Legende in Mot. An. siehe auch Lefèbvre 2004.

84 Anmerkungen

Erde und dem Himmelsgewölbe erstreckt und von dort aus den Himmel in Rotationsbewegung versetzt:9

Warum diskutiert Aristoteles eine Theorie, die auf der vorher im Text bereits mehrfach widerlegten Annahme eines internen Bewegers des Alls basiert? Die Atlas-Theorie muss für ihn schon alleine deswegen falsch sein, weil das externe Stützpunkttheorem es verlangt, dass die Erde, von der Atlas sich abstützt, nicht Teil des Alls ist, wie Aristoteles in 699a31 ff. ja auch selber anmerkt. Außerdem hatte er die generelle Hypothese eines internen Stützpunktes für die Bewegung des Alls vorher (699 a17–20) schon mit dem Argument zurückgewiesen, dass dann entweder gar keine Bewegung stattfinden oder der physische Zusammenhang der Himmelsordnung zerrissen würde. Die Annahmen, auf denen die Atlas-Theorie fußt, sind zu diesem Zeitpunkt für Aristoteles also in gleich mehrfacher Hinsicht widerlegt. Die Erklärung dafür, dass er sie hier trotzdem vorbringt, wird daher wohl kaum darin liegen, dass er die Hypothese eines intrakosmischen Bewegers noch ein weiteres Mal widerlegen möchte. Aristoteles arbei9  Ich danke Hans Peter Lührs für die freundliche Erlaubnis, seine für den Seminargebrauch (Uni Hamburg WS 2010) angefertigte Illustra­ tion zu verwenden.



Anmerkungen

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tet hier vielmehr absichtlich mit einer von ihm bereits mehrfach als falsch erwiesenen Hypothese; und es ist wahrscheinlich, dass er dies deswegen tut, um seine eigene metaphysische Theorie eines außerhalb des Kosmos befindlichen Bewegers des Weltalls indirekt zu bestätigen. Seine Diskussion der Atlas-Theorie wird nämlich in der Behauptung münden, dass, so wie die Dinge im All stehen, es »unmöglich ist, dass der Himmel von etwas Derartigem bewegt wird, das sich in ihm befindet« (699b10 f.). Er meint also gezeigt zu haben, dass die Annahme eines internen Bewegers des Himmels nicht nur falsch, sondern sogar unmöglich ist (699b8–11). Dies verschafft ihm gleichzeitig eine erste indirekte Bestätigung für die Richtigkeit seiner eigenen Lehre eines externen Bewegers aus Metaphysik XII: Wenn der Beweger des Alls sich nicht innerhalb des Alls befindet, spricht dies natürlich für die Annahme eines externen Bewegers, auch wenn Aristoteles dies hier nicht ausdrücklich vermerkt. Ein unmögliches Gedankenexperiment. In der anschließenden Diskussion in Kapitel 4 verfolgt Aristoteles die Frage nach der Möglichkeit bzw. der Unmöglichkeit eines internen kosmischen Bewegers weiter. Er tut dies in einem Gedankenexperiment, das auf der für ihn gerade als unmöglich erwiesenen Annahme eines internen Bewegers des Alls basiert. Das Gedankenexperiment wird ihm dazu dienen, die besondere Qualität seiner metaphysischen Theorie eines außerhalb des Kosmos gelegenen absolut unbewegten Bewegers herauszustellen. Die besondere Qualität seiner Theorie aus Metaphysik XII besteht darin, dass sie die Notwendigkeit erklären kann, mit der seiner Meinung nach die Himmelsordnung besteht. Die Himmelsordnung – hier verstanden als das Himmelsgefüge, d. h. als das Gefüge der stellaren und planetarischen Bewegungen im Kosmos – besteht seiner Ansicht nach nämlich mit Notwendigkeit (hierzu unten mehr) und kann daher unmöglich aufgelöst werden. Die Hypothesen seiner Vorgänger, soweit sie mit der Annahme interner Beweger des Kosmos arbeiten, sind daher schon allein aus dem Grund, dass sie physikalische Hypothesen über die Beweger des Alls aufstellen, nicht in der Lage, die Notwendigkeit der Himmelsordnung zu erklären: Denn selbst wenn – per impossibile – ein Atlas oder irgendein an­ derer innerkosmischer Beweger den Himmel in Bewegung setzen

86 Anmerkungen

würde, so würde es sich dabei immer noch um ein kontingentes Ereignis handeln. Die Möglichkeit, dass ein anderer Beweger herbeikommt und die Himmelsordnung auflöst, wäre damit also nicht ausgeschlossen. Diese prinzipielle Limitation in der Erklärungskraft von Theorien innerkosmischer Beweger, nämlich dass sie die Möglichkeit der Auflösung der Himmelsordnung nicht ausschließen können (vgl. 4, 699b22: »dem genannten Argument zufolge«), ist es, was Aristoteles mit dem seiner Ansicht nach unmöglichen Gedankenexperiment herausarbeiten möchte (für eine Diskussion des Arguments siehe unten). Er schließt mit der Feststellung, dass die Annahme eines internen Bewegers des Kosmos »gewiss abwegig« sei. Und wenn er es an dieser Stelle auch nicht ausdrücklich sagt, so ist doch klar, dass seine eigene metaphysische Lehre eines außerhalb des Kosmos gelegenen Bewegers, der in jeder Hinsicht unbewegt und unveränderlich ist, im Gegensatz zu Theorien interner Beweger die Notwendigkeit der Himmelsordnung erklären kann. Zwar vermeidet Aristoteles es in Mot. An. sorgfältig, seine eigene Theorie eines externen unbewegten Bewegers aus Metaphysik XII explizit zu nennen, seine abschließende Formulierung lässt aber eigentlich kaum Zweifel, dass er sie durch seine Diskussion des Atlas-Mythos und das anschließende Gedankenexperiment bestätigt sieht: »Denn das, was völlig unbewegt ist, kann von nichts bewegt werden, so dass sich auch für die oben erwähnte Schwierigkeit, ob die Zerstörung des Himmelsgefüges möglich ist oder nicht möglich ist, eine Lösung finden lässt, wenn das Himmelsgefüge von einem unbewegten Ursprung abhängt.« (4, 700a3–6). 699 a 27– b11  Zwei Argumente gegen die Theorie des Atlas-Mythos. Das erste Argument deutet Aristoteles nur an. Er sagt, dass, wer behauptet, dass Atlas sich für seine Bewegung von der Erde abstützt, auch behaupten muss, dass die Erde nicht Teil des Alls ist (a31 f.). Er wendet hier also das externe Stützpunkttheorem an: Wenn die Erde Teil des Alls ist, ist das, worauf sich der Beweger bei seiner Bewegung abstützt, ein Teil dessen, was bewegt werden soll. Das würde die Bewegung jedoch unmöglich machen. Also darf die Erde, wenn sie Atlas als Stütze dienen soll, nicht Teil des bewegten Kosmos sein. Dies deutet bereits eine erste desaströse



Anmerkungen

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Konsequenz des Atlas-Mythos an: Zu sagen, die Erde sei Atlas’ Stützpunkt, von dem aus er den Kosmos in Bewegung setzt, wobei die Erde zwar im Kosmos gelegen, aber kein Teil des Kosmos sein soll, ist ungefähr so, wie wenn man sagte, dass sich in einem schwimmenden Schiff ein Stück des Ufers befindet, von dem aus es angestoßen wurde. Auch wurde anlässlich der Diskussion der Pole-Theorie bereits erwähnt, dass die Annahme, der Stützpunkt der Bewegung des Kosmos befinde sich innerhalb des Weltalls, zum Auseinanderreißen des Kosmos führen würde (699 a19).10 Das zweite Argument (a32–b11) basiert auf dem Gedanken einer Proportionalität der Kräfte (vgl. Phys. VII 5, 250a9–25). Aristo­ teles addiert die verschiedenen Kräfte, die bei der Bewegung des Weltalls involviert sind, um dann zu argumentieren, dass ein im Verhältnis zu den anderen Himmelskörpern so kleiner Körper wie die Erde eine diesen Kräften entsprechende Widerstands­ kraft unmöglich aufbringen könnte (»wenn dies aber unmöglich ist«, b10; siehe unten). Zu beachten ist, dass Aristoteles hier einen sehr weiten Begriff von »Kraft« (ischys) veranschlagt, der sowohl Bewegungs- als auch Beharrungs- und Widerstandskräfte umfasst, und er außerdem anzunehmen scheint, dass die Kraft physikalischer Körper sich proportional zu ihrer Größe verhält. Einen von der Größe unabhängigen Massebegriff scheint Aristoteles nicht zu kennen. Für eine Diskussion siehe Nussbaum 21985, 307–310. 699 b1–4  Die Kraft, mit der Atlas den Himmel in Bewegung setzt (K A), darf die Kraft, mit der die Erde als Stützpunkt ruht (K ER), nicht übertreffen (K ER ≥ K A); andernfalls wäre die Erde nicht unbewegte Stütze für die Bewegung des Himmels, sondern würde von ihrem Ort wegbewegt werden.

10  Es ist zu beachten, dass die von Aristoteles geteilte Annahme einer ruhenden Erde im Zentrum des Alls nicht gleichbedeutend ist mit der Annahme, dass die ruhende Erde im Zentrum des Alls auch als Abstützungspunkt für die Bewegungen im All dient. Letzteres würde dem externen Stützpunktheorem zufolge bedeuten, dass die Erde, obwohl im All gelegen, nicht Teil des Alls ist.

88 Anmerkungen

699 b4–11  Da das Bewegende (Atlas) vom Ruhezustand in den Bewegungszustand übergeht, argumentiert Aristoteles, ist anzunehmen, dass seine bewegende Kraft (K A) größer ist als die Kraft, mit der es ruht (K AR). Die Kraft des Bewegenden (K A) ist daher größer sowohl als die Kraft, mit der es selbst ruht (K A > K AR), als auch größer als die Kraft, mit der das zu Bewegende (der Himmel) ruht (K A > K HR), und also auch größer als beide (K A > K AR + K HR). Daraus lassen sich zwei verschiedene Resultate ableiten, je nachdem, ob man das Eigengewicht der Teile der Himmels in die Rechnung einbeziehen möchte oder nicht. Falls ja, ergibt sich, dass die stützende Kraft der Erde mindestens so groß sein muss wie alle genannten Kräfte zusammengenommen: K ER ≥ K A + K AR + K HR . Falls nein, ergibt sich, dass die stützende Kraft der Erde nur größer sein muss als die von Atlas zur Bewegung des Himmels aufgewandte Kraft: K ER ≥ K A . Aristoteles formuliert die Konklusion seines Arguments als Konditional: Wenn es unmöglich ist, dass die Kraft der Erde so groß ist, dann ist damit gleichzeitig auch die Atlas-Theorie widerlegt. Vermutlich verlässt er sich hier auf die Annahme, dass etwas so Kleines wie die Erde wohl kaum etwas so Großes wie die Bewegung des Himmelsgewölbes stützen kann (vgl. Cael. II 14, 297b30–298a21, wo die Erde als im Verhältnis zu anderen Himmelskörpern relativ klein bezeichnet wird). Ist dies richtig, so wäre seine vorsichtige Ausdrucksweise rein rhetorisch bedingt. Sie würde dann implizieren, dass ohnehin klar ist, dass die Erde unmöglich das gesamte All stützen kann. So fasst auch der byzantinische Kommentator von Mot. An. Michael von Ephesus das Argument auf: »(…) indessen ist es unmöglich, dass etwas, das im Verhältnis zum All die Größe eines Punktes hat, eine Kraft haben soll, die der des Alls wie auch der des Atlas gleichkommt.« (109, 14–16).



Anmerkungen

Kap. 4

89

Exkurs (Forts.): Theorien, bei denen das All von einem seiner Teile in Bewegung gesetzt wird, können die Notwendigkeit, mit der die Ordnung des Himmelsgefüges besteht, nicht erklären. Der Beweger des Alls muss daher außerhalb des Alls liegen und gänzlich unbewegt sein. Bei den Lebewesen muss jedoch beides vorliegen, ein externer und ein interner Stützpunkt. Die Bewegung unbeseelter Gegenstände erfordert demgegenüber nicht beide Stützpunkte, da die Bewegungen alles Unbeseelten letztlich von beseelten Gegenständen abhängen.

699 b12–700a5  Gedankenexperiment von der Zerstörung der kosmischen Ordnung. Das nun folgende Argument richtet sich gegen alle Theorien interner kosmischer Beweger: Der Typ von Theo­rie, dem diese Theorien angehören, ist Aristoteles’ Meinung nach nicht in der Lage, die Notwendigkeit zu erklären, mit der die Bewegungsordnung des Kosmos seiner Auffassung nach besteht.11 Gemeint sind die relativen Positionen der Elementar- und Himmelskörper sowie ihrer Bewegungen zueinander, d. h. das kosmische Bewegungssystem (»kosmische Ordnung« im Folgenden). Zu beachten ist, dass Aristoteles hier nicht von der Ewigkeit bzw. Unzerstörbarkeit der die kosmische Ordnung konstituierenden Körper spricht, sondern nur von der Ewigkeit/Unzerstörbarkeit der durch deren Bewegungen konstituierten Ordnung. Eine Auflösung dieser kosmischen Ordnung ist seiner Auffassung nach unmöglich (siehe unten). Hier in 699b21 f. führt er seine Meinung ohne Begründung ein. Ein ausführliches Argument, dass der Kosmos und seine Bewegungsordnung nicht zerstört werden kann, findet sich in Cael. I 10–12, 279b4–283b22. 699 b17–30  In Vorbereitung für das Gedankenexperiment kon­ trastiert Aristoteles zwei Weisen, in denen wir von »unmöglich« sprechen (b17–21): Eine Art von Unmöglichkeit liegt in dem We11 

Dass es ihm dabei generell um Theorien interner Beweger des Alls geht, zeigt sich an Formulierungen wie »in ihm« in Mot. An. 3, 699 b10, »Schwierigkeit« »hinsichtlich der Bewegungen der Teile des Himmels« in 4, 699b12 f., und »innerhalb« in b35.

90 Anmerkungen

sen der Entität begründet, für die etwas unmöglich ist; bei der anderen handelt es sich um eine schwächere Art der Unmöglichkeit, für die es andere, nicht in dem Wesen der beteiligten Entität angelegte Ursachen gibt. Dass eine Stimme gesehen wird, ist unmöglich im ersteren Sinne: Es ist im Wesen der Stimme begründet, dass sie nur gehört, nicht aber gesehen werden kann. Stimmen sind daher in dem Sinne notwendig (ex anankês) nicht sichtbar, dass sie nicht die Art von Sache sind, die gesehen werden könnte (vgl. auch Phys. III 4, 204a3–4; Metaph. V 12, 1019b15–19). Stimmen zu sehen, ist daher metaphysisch unmöglich. Dass wir die Mondbewohner nicht sehen, liegt dagegen nicht im Wesen der Mondbewohner begründet. Mondbewohner, wenn es sie denn gibt, sind von der Art, dass sie gesehen werden können. Dass wir sie sehen, ist deswegen nur in dem anderen Sinn unmöglich, dass wir sie, obwohl sie von der Art sind, dass sie gesehen werden können, nur aus dem Grund nicht sehen, dass uns die Mittel fehlen, auf den Mond zu fahren und sie in Augenschein zu nehmen. Es liegt nicht im Wesen der Mond­ bewohner, dass sie von uns nicht gesehen werden, sondern an dem für ihre Sichtbarkeit zufälligen Umstand, dass wir nicht nah genug an sie herankommen. Die Mondbewohner werden daher nur zufällig nicht gesehen. Ihrem Wesen nach sind sie sichtbar. Die Unmöglichkeit, sie zu sehen, ist daher keine metaphysische, sondern nur eine faktische (b20 f.: pephykos horasthai ouk ophthêsetai).12 Auf welche der beiden Weisen hält Aristoteles die Auflösung der kosmischen Ordnung für unmöglich? Wir haben guten Grund zu der Annahme, dass er der Meinung war, es liege im Wesen der 12  Fernzuhalten ist hier die Vorstellung, dass Aristoteles mit der Unmöglichkeit, eine Stimme zu sehen, auf eine logische Unmöglichkeit hinweist. Dies würde den offensichtlich intendierten Kontrast zwischen der Unmöglichkeit der Auflösung der kosmischen Ordnung einerseits und der Unmöglichkeit, die Mondbewohner zu sehen, zunichtemachen. Die Auflösung der kosmischen Ordnung kann ohne Widerspruch gedacht werden; gleichwohl soll es im Wesen der kosmischen Ordnung liegen, dass sie nicht aufgelöst werden kann. Der Gegensatz ist nicht der zwischen logischer und faktischer Unmöglichkeit, sondern der zwischen einer in der Natur einer Sache angelegten und einer nicht in der Natur einer Sache angelegten Unmöglichkeit (pephyke kai endechetai).



Anmerkungen

91

kosmischen Ordnung, dass sie nicht aufgelöst werden kann. So argumentiert er in seiner Metaphysik, dass es eine im Wesen (ousia) sowohl ewiger als auch vergänglicher Dinge angelegte Eigenschaft sei, dass sie ewig bzw. vergänglich sind (Metaph. X 10, 1059 a6–8). Bei der Unmöglichkeit der Auflösung der kosmischen Ordnung scheint es sich demnach um eine Unmöglichkeit in genau dem Sinn zu handeln, in dem es unmöglich ist, eine Stimme zu sehen: Die kosmische Ordnung ist schlicht nicht die Art von Sache, die zerstört werden könnte (metaphysische Unmöglichkeit).13 Ein weiteres Indiz ist, dass Aristoteles eine ähnliche Formulierung wie die, die er zur Charakterisierung der zufälligen Unmöglichkeit benutzt hat (»letzteres dagegen nur faktisch nicht, obwohl es seiner Natur nach gesehen werden kann«, pephykos horasthai ouk ophthêsetai, b20 f.), auch zur Beschreibung des im Gedankenexperiment vorgestellten Szenarios verwendet (»Es ist nämlich seiner Natur entsprechend und möglich«, pephyke kai endechetai, 699b23). In beiden Formulierungen benutzt er die Wendung »seiner Natur nach«. Dies schließt metaphysische Unmöglichkeit aus, da metaphysische Unmöglichkeit sich ja gerade durch die Natur als das Wesen dessen, was unmöglich ist, erklärt: Das, was metaphysisch unmöglich gesehen werden kann, hat eine Natur und ein Wesen, die unvereinbar damit sind, gesehen zu werden, ganz so wie bei der Stimme. Was dagegen seiner Natur nach gesehen werden kann und nur faktisch nicht gesehen wird, wie die Mondbewohner, ist nur zufällig nicht sichtbar. Da Aristoteles die Charakterisierung »seiner Natur entsprechend und möglich« auf die Auflösbarkeit der Himmelsordnung unter den Bedingungen des Szenarios eines internen Bewegers des Himmels verwendet und er damit einen Kontrast zu der von ihm geforderten Unmöglichkeit der Auflösung der Himmelsordnung bezeichnet, haben wir also guten Grund zu der Annahme, dass er die Auflösung der kosmischen Ordnung als metaphysisch unmöglich ansieht. 13  Dies ist der wichtigste Unterschied zwischen den Gegenständen von Aristoteles’ sub- und supralunarer Physik: Während die natürlichen Dinge unterhalb des Mondes kontingent sind, also sowohl sein als auch nicht sein können, sollen die Körper und Bewegungen oberhalb des Mondes notwendigerweise existieren (vgl. A. Falcon 2005).

92 Anmerkungen

Aus dem daraus erwachsenden Erklärungsanspruch an Theorien der Bewegungen des Alls – wie sich jetzt herausstellt, müssen sie nicht nur die Existenz der kosmischen Ordnung, sondern auch die metaphysische Unmöglichkeit ihrer Auflösung erklären –, konstruiert Aristoteles ein neues und diesmal prinzipielles Argument gegen die theoretische Annahme eines intrakosmischen Bewegers. Es wird ihm dazu dienen, seine eigene metaphysische Lehre eines externen und absolut unbewegten Bewegers zu bestätigen, wenn auch nur auf indirekte Weise. Selbst dann nämlich, wenn man – für Aristoteles per impossibile – die Existenz eines intrakosmischen Bewegers zugrunde legt, könnte dieser immer noch nicht erklären, warum die kosmische Ordnung notwendig nicht aufgelöst werden kann. Bei der Annahme eines intrakosmischen Bewegers handelt es sich nämlich um eine Hypothese, die die Bewegung des Kosmos durch einen inneren Beweger als ein vollständig in der Natur stattfindendes Ereignis behauptet: Beweger und Bewegtes sind physische Entitäten. Von solchen bloß physischen Ereignissen gilt aber, dass sie, wenn sie auch der Fall sein mögen, gleichwohl auch nicht der Fall sein könnten (699b22 ff.). Es sind kontingente Tatsachen. Kontingente Tatsachen sind »zweiseitig mögliche« Tatsachen, d. h. sie sind weder unmöglich noch notwendig (vgl. Anal. Pr. I 13). Dies wiederum heißt, dass sie sich auch »anders verhalten«, d. h. auch nicht der Fall sein können. Selbst dann also, wenn die Annahme eines intra­kosmischen Bewegers wahr wäre, so würde es sich dabei immer noch nicht um eine notwendige Tatsache handeln. Die Hypothese des intrakosmischen Bewegers wäre also schon aufgrund des bloß kontingenten Status ihrer zentralen Annahme mit der Möglichkeit der Auflösung der Himmelsordnung vereinbar. Derartige Theo­r ien sind für Aristoteles daher prinzipiell ungeeignet, die von ihm angenommene Notwendigkeit des Bestehens der kosmischen Ordnung zu begründen. Das Gedankenexperiment, mit dem er dies alles zeigen will, ist denkbar einfach. Es erfolgt in zwei aufeinander aufbauenden Schritten. Als erstes wird angenommen, dass es eine Bewegung gibt, deren Stärke die die kosmische Ordnung konstituierenden Körperbewegungen übertrifft (b23 f., die Bewegungen bzw. Ruhezustände von Erde, Feuer und Äther als der »obere Körper«, d. h.



Anmerkungen

93

oberhalb des Mondes gelegen). Mit dieser Annahme, so betont Aristoteles, würde nichts nach den Standards der in Rede stehenden Theorie Unmögliches angenommen, sondern etwas, das möglich und im Einklang mit der Natur der Dinge im Kosmos wäre (pephyke kai endechetai, 699b23; vgl. Metaph. IX 3, 1047a24–26; IX 4, 1047b9–11; sowie Anal. Pr. I 13, 32a18–20). Wenn es aber solche Bewegungen gäbe, so würde ihr Einwirken aufeinander unweigerlich zur Auflösung der bestehenden Ordnung des Kosmos führen (vgl. den Futur dialythêsetai: Mot. An. 4, 699b25 f.). Genau dies darf nach Aristoteles’ Auffassung aber nicht sein: Die Auflösung der kosmischen Ordnung soll ja ex hypothesei metaphysisch unmöglich sein. In einem zweiten Schritt wendet sich Aristoteles gegen einen (nicht explizit formulierten) Rettungsversuch der Hypothese eines internen Bewegers. Vertreter dieser Hypothese könnten sich auf die Position zurückziehen, dass sie die Möglichkeit einer Auflösung der kosmischen Ordnung zwar nicht ausschließen können, dies aber kein Problem darstellt, weil es sich bei dieser Möglichkeit bloß um eine »theoretische« Möglichkeit handelt. Sie würden dann sagen, dass die Auflösung der Himmelsordnung zwar möglich ist, aber niemals wirklich eintreten wird. Hier wendet Aristoteles ein, dass es solche »rein theoretischen Möglichkeiten« nicht gibt.14 Der Einwand besteht im Grunde in nichts anderem als einem Insistieren auf seiner Auffassung von »möglich«, wonach alles das möglich ist, bei dessen Wirklichkeit sich nichts Unmögliches ergibt (Metaph. IX 3, 1047a24–26): Denn was hindert, dass dies geschieht, wenn es doch nicht unmöglich ist? Es ist aber nicht unmöglich, wenn doch das Gegenteil nicht notwendig ist. Alles das, dessen Gegenteil nicht notwendig ist, besteht möglicherweise und was möglicherweise der Fall ist, kann, eben weil es möglich ist, nicht ausgeschlossen werden. Entsprechend dieser 14  Die Möglichkeit einer Erklärung der Unmöglichkeit einer Auflösung der Himmelsordnung durch die kontingente Annahme der physikalischen Existenz unbegrenzt starker Körper hat er kurz vorher verneint: Die Existenz unbegrenzter und damit für ihn auch unbegrenzt starker Körper sei unmöglich (b27 f.).

94 Anmerkungen

Auffassung von »möglich« ist es nicht statthaft, einerseits zu sagen, dass es Kräfte geben kann, die die Himmelsordnung auflösen, und gleichzeitig zu behaupten, dass diese Kräfte niemals wirklich existieren werden. Zu sagen, dass p möglich ist, heißt ja zu sagen, dass die Wirklichkeit von p nicht unmöglich ist und von daher auch eintreten kann. Es scheint nun, dass Aristoteles den Rettungsversuch der Hypothese eines internen Bewegers auf genau diese Weise versteht, dass sie zwar einerseits sagt, dass die Auflösung der Himmelsordnung möglich ist, andererseits aber auch behauptet, dass diese Auflösung niemals eintreten wird. Mit Letzterem tun die Vertreter dieser Hypothese Aristoteles’ Auffassung nach also nichts anderes, als die Möglichkeit der Auflösung der Himmelsordnung zu verneinen. Eine »rein theoretische Möglichkeit«, die niemals wirklich eintreten wird, kann es seiner Auffassung nach nicht geben. Die wirkliche Existenz von etwas, was als möglich behauptet wird, kann nicht ausgeschlossen werden: »Denn was hindert, dass dies geschieht, wenn es doch nicht unmöglich ist?« (b29 f.). Dadurch, dass die Hypothese interner Beweger nicht ausschließen kann, dass es wirklich einmal zur Auflösung der kosmischen Ordnung kommt, verfehlt sie das von Aristoteles formulierte Ziel, die metaphysische Unmöglichkeit der Auflösung der kosmischen Ordnung zu begründen. Damit sein Argument greift, muss Aristoteles übrigens nicht ein »Prinzip der Fülle« vertreten, demzufolge alles, was möglich ist, irgendwann einmal auch Wirklichkeit sein wird (vgl. Hintikka 1973). Für seine Belange hier reicht es völlig aus, dass die Vertreter der Hypothese des internen Bewegers die Wirklichkeit der Auflösung der kosmischen Ordnung nicht ausschließen können.15 Aristoteles schließt sein Argument mit einem kaum verhüllten Eigenlob (kaschiert mit einem Homer-Zitat). Es läuft darauf hin­ aus, dass nur Theorien, die mit der Annahme eines außerhalb der natürlichen Welt befindlichen und in jeder Hinsicht unbewegbaren Bewegers arbeiten, in der Lage sind, auch die Möglichkeit einer Auflösung der kosmischen Ordnung (»Himmelsgefüge«) auszuschließen: 15  Nussbaum sieht das Prinzip der Fülle auch in Mot. An. am Werk (315).



Anmerkungen

95

Denn das, was völlig unbewegt ist, kann von nichts bewegt werden, so dass sich auch für die oben erwähnte Schwierigkeit, ob die Zerstörung des Himmelsgefüges möglich ist oder nicht möglich ist, eine Lösung finden lässt, wenn das Himmelsgefüge von einem unbewegten Ursprung abhängt. (700a3–6). Aristoteles’ eigene metaphysische These eines völlig unbewegten Bewegers in Metaphysik XII scheint diese Beschreibung genau zu erfüllen. Demnach liegt der Grund für die Unzerstörbarkeit der kosmischen Ordnung in der spezifischen Art ihrer Ursache. Eine völlig unbewegte bzw. unveränderliche Ursache, so das Argument, kann sich unmöglich anders verhalten; ihr Effekt – die kosmische Ordnung – wird daher gleichfalls unveränderlich und somit unzerstörbar sein. 699 b31  »Mit dieser Schwierigkeit soll sich eine gesonderte Überlegung befassen«  Welches ist die Schwierigkeit, von der Aristoteles hier spricht? Vermutlich ist es die, die er eingangs in 699 b12 und dann wieder in 700 a 4 erwähnt hatte, nämlich die Schwierigkeit, die sich daraus ergibt, dass es möglich scheint, die Himmelsordnung aufzulösen. Die Schwierigkeit würde dann darin bestehen, die in 699 b21 f. erwähnte Unzerstörbarkeit der kosmischen Ordnung zu begründen. Aristoteles’ Erklärung für die Bewegungsordnung des Kosmos durch ein in jeder Hinsicht unbewegbares Prinzip in Metaphysik XII 7 würde eine Lösung für diese Schwierigkeit darstellen. Auf dieses Kapitel weist auch Aristoteles’ Formulierung, dass »das Himmelsgefüge von einem unbewegten Ursprung abhängt«, in 700a6. Er scheint damit seine eigene Formulierung aus Metaphysik XII 7, 1072b14, aufzugreifen: »Von einem solchen Ursprung hängt (êrtêtai) also der Himmel und die Natur ab.« Nussbaum (21985, 318–320) a­ rgumentiert, dass es sich bei der hier angesprochenen gesonderten Über­ legung um Physik VIII handelt. Das mag sein, wenn dort die Betonung auch weniger auf der Erklärung der Himmelsordnung als auf der fortgesetzten Kontinuität der Bewegung/Veränderung des Alls liegt. Der Gedankengang in Metaphysik XII scheint allerdings die in Physik VIII vorgebrachten Argumente vorauszusetzen.

96 Anmerkungen

700 a 6–10  Zurück zu den Stützpunkten. Aristoteles kommt hier wieder auf die Stützpunkte im Lebewesen zu sprechen. Anders als bei der Bewegung des Alls muss es bei den Lebewesen auch einen internen Stützpunkt geben. 700 a 11–16  Hier ist die Frage, ob auch bei unbeseelten Gegenständen das interne und das interne Stützpunkttheorem gelten. Die Antwort ist negativ. Die Stützpunkttheoreme gelten nur für Selbstbeweger, d. h. beseelte Körper. Unbeseelte Körper haben keine funktional differenzierten Körper (sind homogen) und weisen von daher keine interne Differenzierung, auch nicht in Bewegtes und Beweger, auf. Aristoteles wird später behaupten, dass alle unbeseelten Gegenstände, sofern sie nicht gegenseitig voneinander angestoßen werden (vgl. 5, 700b11 f.), von Selbstbewegern in Bewegung gesetzt werden. Selbstbeweger sind entweder die Lebewesen auf der Erde, in der Luft und der See, oder es sind die Himmelskörper. Von Letzteren nimmt Aristoteles an, dass sie sich wie beseelte Körper verhalten (Cael. II 12, 292a18 ff.). Vgl. philos. Einleitung, S. CXCVIII ff. 700 a17–25  Erneut das externe Stützpunkttheorem für Lebewesen. Bemerkenswert ist, dass das externe Stützpunkttheorem auch für die allerkleinsten Bewegungen gilt: Auch Hustende und Spuckende können ihre Bewegungen nur dann ausführen, wenn sie sich von einem außerhalb ihrer gelegenen Punkt abstützen, der kein Teil von ihnen ist. Grund dafür ist, dass es sich bei solchen Bewegungen um Stoß- und Ziehbewegungen handelt (Phys. VII 2, 243b12 ff.). Stoß und Zug (ôsis kai helxis) sind die Grundbewegungen, auf die sich alle mechanische Bewegungsübertragung zurückführt (An. III 10, 433b25 f.; Inc. An. 2, 704b22 f.). Bemerkenswert ist ferner, dass Aristoteles in a20 den Fall himmlischer unbewegter Beweger anspricht und dabei anführt, dass es Sache einer anderen Disziplin sei, sich mit derartigen Ursprüngen von Bewegung zu beschäftigen. Dies bestätigt, dass Aristoteles seinen kosmo­logischen Exkurs mitsamt den Anspielungen auf seine eigene metaphysische Theorie des ersten unbewegten Bewegers in Meta­physik  XII vorher im Kapitel nicht als Wechsel in einen anderen Wissenschaftsbereich (metabasis eis allo genus) versteht.



Kap. 5

Anmerkungen

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Qualitative und quantitative Veränderung erfordert keinen internen ruhenden Stützpunkt im Lebewesen, da sie von der Ortsbewegung des Lebewesens abhängt. Veränderungen, die im Zuge ontogenetischer Entwicklung in noch nicht zur Ortsbewegung fähigen Lebewesen stattfinden, haben ihren Ursprung in anderen Individuen, die bereits zur Ortsbewegung fähig sind.

Die Frage dieses kurzen Kapitels ist, ob das interne Stützpunkttheorem (i) auch außerhalb der Ortsbewegung bei den qualitativen und quantitativen Veränderungen der Lebewesen gilt. Die Frage schließt sich an die Bemerkungen im vierten Kapitel zur Abwesenheit interner und externer Stützpunkte bei der Ortsbewegung lebloser Dinge an (700a11–15). Hier ist wichtig, dass Aristoteles nicht von allen qualitativen und quantitativen Veränderungen an lebendigen Dingen spricht, sondern nur von solchen, die sie durch sich selbst (hyph’ hautou) erfahren. Es geht hier nur um das Wachstum (quantitative Veränderung) und Veränderung (qualitativ) in den Lebewesen, insofern sie von ihnen selbst als Lebe­wesen verursacht sind. 700 a28–29  Warum heißt es hier, dass das Entstehen und Vergehen im ursprünglichen Sinne »ein anderes Thema« ist? Spricht Aristoteles in diesem Kapitel nicht gerade von selbstinduzierten quantitativen und qualitativen Veränderungen? Die Antwort ist »nein«. Das Entstehen eines Lebewesens ist keine Bewegung, die von ihm selbst initiiert wird, sondern von seinen biologischen Erzeugern (dass nichts Ursache seines eigenen Entstehens ist, wird nicht nur in 700a35, sondern auch in Gener. An. II 1, 735a13–15 gesagt). Da diese bereits über die Fähigkeit zur Ortsbewegung verfügen, kommt selbstinduzierte qualitative und quantitative Veränderung nur dort vor, wo es auch einen internen Stützpunkt gibt. Aristoteles spricht hier also von selbstverursachten qualitativen und quantitativen Veränderungen in Lebewesen, die bereits hinreichend entwickelt sind. 700 a 29– b1  Die Antwort auf die Frage, ob es auch für die selbstinduzierten qualitativen und quantitativen Veränderungen eines internen Stützpunktes bedarf, lautet »ja«; allerdings ist wichtig, dass dies nur in vermittelter Weise gilt, nämlich insofern, als die

98 Anmerkungen

Ortsbewegung gegenüber anderen Bewegungsarten Priorität hat (vgl. hierzu Phys. VIII 7, 260b29–261a26, wo kosmologisch für die zeitliche Priorität der Ortsbewegung gegenüber den anderen Bewegungsarten argumentiert wird). Bei genuin selbstverursachten qualitativen und quantitativen Veränderungen im Lebewesen liegt deswegen stets ein interner Stützpunkt vor, weil nur zur Ortsbewegung fähige Lebewesen Ursache ihrer eigenen Bewegungen sind (vorher sind es die Eltern bzw. die biologischen Erzeuger; siehe unten) und weil Ortsbewegung einen internen Stützpunkt zur Vor­ aussetzung hat. Gener. An. II 4, 740a24–28 ff. (vgl. 5, 744a31–35) beschreibt, wie mit der Herausbildung des Herzens das entstehende Lebewesen sozusagen die Kontrolle über sein eigenes Wachstum übernimmt (zur Entwicklung des Embryos, nachdem das Herz sich herausgebildet hat, vgl. Code 1987).

Kap. 6

Rückkehr zur anfänglichen Fragestellung: Wie bewegt die Seele den Körper? Die Bewegungen der Lebewesen sind durch ihre Zwecke prinzipiell begrenzt. Denken und Strebung sind Beweger des Lebewesens, so dass das erste Bewegende der Gegenstand des Denkens und der Strebung ist. Vergleich: Anders als die Zwecke der animalischen Selbstbewegung richtet sich die Bewegung der äußersten Himmelssphäre auf das ewig Schöne, das wahrhaft und in primärer Weise gut ist, als Zweck aus und ist daher nicht begrenzt. Anschluss an das Resultat der Behandlung der animalischen Selbstbewegung in De anima III 10: Anwendung des abstrakten Dreierschemas der Bewegungsverursachung aus Physik VIII: Unbewegter Beweger ist der Gegenstand des Denkens und der Strebung, bewegter Beweger ist die Strebung, das Bewegte ist das Lebewesen. Die Bewegung des Lebewesens erfolgt durch Strebung bzw. Entschluss, infolge einer durch Kognition bedingten qualitativen Veränderung.

Nach dem Exkurs zur kosmologischen Anwendung der Stützpunkttheoreme in Kap. 3–5 nimmt Kapitel 6 die eigentliche Fragestellung von Mot. An. wieder auf, wie die Seele den Körper in



Anmerkungen

99

Bewegung versetzt. Die Antwort auf diese Frage wird Aristoteles bis zum Ende der Schrift beschäftigen. Im Wesentlichen besteht das Kapitel aus zwei Teilen: Einer Charakterisierung des spezifischen Zwecks der Selbstbewegung und der Identifikation der für die Auslösung der Selbstbewegung relevanten antezedenten Ursachen im Lebewesen (die »Beweger« im Lebewesen). Bei der Aufzählung der »Beweger« im Lebewesen handelt es sich im Wesentlichen um Einteilungen, die Aristoteles bereits im Abschnitt zur animalischen Selbstbewegung in De anima vorgenommen hat (An. III 10). Der Vergleich der höchsten Zwecke der animalischen Selbstbewegung mit dem Zweck der Bewegung der äußersten Himmelssphäre (Mot. An. 6, 700b29–35) ist im Corpus aristotelischer Schriften ohne Parallele. 700 b4–13  Der weitere Kontext der nun folgenden Untersuchung. In einem ersten Abschnitt situiert Aristoteles die Untersuchung der animalischen Selbstbewegung in verschiedene Sachzusammenhänge seiner Naturphilosophie und Metaphysik. Dies ist einerseits seine Abhandlung über die Seele (700b4–6) und andererseits seine Diskussion des ersten unbewegten Bewegers der äußersten Himmelssphäre in der Metaphysik (»erste Philosophie«, gemeint ist Metaphysik XII 7). Dabei stellt sich heraus, dass die jetzt anstehende Erklärung der animalischen Selbstbewegung eine Lücke in der Erklärung von Bewegungsarten im Kosmos schließen soll (700b 6–11). Aristoteles sagt, dass, da alles Unbeseelte von einem anderen bewegt wird und da in der Metaphysik bereits behandelt worden ist, auf welche Weise das primär und ewig Bewegte in Bewegung gesetzt wird, es jetzt noch aussteht, über den Ursprung der Bewegung der Lebewesen zu sprechen (b 6–13). Er unterscheidet also drei grundsätzliche Weisen, in denen Bewegungen im Kosmos verursacht werden: (1) die durch den ersten unbewegten Beweger verursachte Bewegung des Alls (= die Bewegung der äußersten Fixsternsphäre), (2) die Selbstbewegung der Lebewesen durch ihre Seelen und (3) die Bewegungen der Dinge, die dadurch verursacht werden, dass sie sich gegenseitig anstoßen (Bewegung durch bewegte Beweger). Durch seine Bemerkung ganz am Anfang, dass über die Art und Weise, in der die Seele bewegt wird, schon in der Abhand-

100 Anmerkungen

lung über die Seele gesprochen worden ist (b4 f.), wird klar, dass es Aristoteles in (2) um die Verursachung der Selbstbewegung der Lebewesen durch deren Seelen als unbewegte Beweger geht. In den Kapiteln An. I 3–4, deren Kenntnis Aristoteles hier beim Hörer vorauszusetzen scheint, hatte er argumentiert, dass eine bewegte Seele ein Ding der Unmöglichkeit ist, es sei denn, sie wird in metaphorischer Weise (»akzidentell«) bewegt, d. h. in der Weise, in der z. B. das Prädikat »weiß« dann »bewegt« wird, wenn ein Gegenstand, der weiß ist, bewegt wird und damit dann auch das Weiß-Sein, das wir von dem Gegenstand prädizieren. Das Prädikat »weiß« selber ist aber nicht die Art von Sache, die bewegt werden könnte. Per se bewegt werden können nur physikalische Körper. In ähnlicher Weise soll auch die Seele kein Per-se-Gegenstand der Bewegung sein (An. I 3, 405b31–407b11; 4, 408a30–5, 409b18). Wenn die Seele daher der Ursprung der Bewegung des Körpers ist, kann sie dies nur als unbewegter Beweger sein. An der Dreiteilung der Verursachung von Bewegungen im Kosmos wird übrigens sehr deutlich, dass Aristoteles meint, dass (3) die Bewegung durch wechselseitiges Anstoßen nur eine sekundäre Weise der Bewegungsverursachung darstellt. Die Dinge stoßen nur deswegen aneinander, weil sie bereits bewegt sind. Es sind bewegte Beweger, wobei die Ursache ihres Bewegt-Seins stets auf unbewegte Beweger, also auf Beweger des Typs (1) und (2), zurückgeht. Aristoteles ist der Auffassung, dass der Kosmos ein komplexes, konzentrisch und hierarchisch geordnetes Bewegungssystem ist, in dem die Bewegungskraft von der Peripherie ins ruhende Zentrum übertragen wird: Letztendlich führen sich auch alle Bewegungen im sublunaren Zentrum des Kosmos auf die Bewegungen der in der Peripherie befindlichen Himmelskörper zurück (vgl. Plato, Tim. 46 e1 f., 37b5; dazu vgl. Karfik 2004, 180 ff., v. Perger 1997, 160–164; zu Aristoteles vgl. Falcon 2005). Die Bewegungen der beseelten Wesen auf der Erde (2) scheinen die einzige Ausnahme zu sein (b11–13). Doch der Schein trügt. Aristoteles ist zwar durchaus der Meinung, dass beseelte Wesen Selbstbeweger sind, doch er glaubt nicht, dass sie ihre Bewegungskraft ganz aus sich selbst schöpfen. Im achten Buch seiner Physik argumentiert er, dass die Ursachen der animalischen Selbstbewegung aus der Umwelt stammen (periechon: Phys. VIII



Anmerkungen

101

2, 253b11–21) und dass die Lebewesen nur eine einzige Bewegung – die Ortsbewegung – selbst und auch diese nicht in völlig unabhängiger Weise initiieren (ou kyriôs: Phys. VIII 6, 259b1–7); vielmehr stamme, so das Argument, die Ursache (aition) ihrer Bewegungskraft aus den natürlichen Bewegungen, die die Lebewesen im Austausch mit ihrer Umwelt durch Nahrung, Atmung usw. beziehen. Der erste Ursprung auch ihrer eigenen Ortsbewegungen liegt daher außerhalb der Lebewesen (Phys. VIII 6, 259 b 7–16). Wenn Lebewesen für Aristoteles also Selbstbeweger sind, worüber kein Zweifel bestehen kann, dann nicht in der Weise, dass sie die Kraft für ihre Bewegungen ganz aus sich selbst schöpfen, sondern in irgendeinem anderen Sinn (siehe philos. Einleitung, S. CLXI ff.). Was die Kraft- bzw. – anachronistisch gesprochen – Energieübertragung betrifft, bleibt Aristoteles damit dem traditionellen Bild verhaftet: Kosmisch betrachtet überträgt sich Kraft von der Peripherie in Richtung auf das Zentrum. Was daher die Kraft betrifft, ist die Weise der Bewegungsverursachung in (1) Ursache für sowohl (2) als auch für (3): Letztendlich führt sich alle Bewegungsenergie im Kosmos auf die Bewegungen der Himmelskörper zurück. Gleichzeitig sind die durch ihre Seelen verursachten Selbstbewegungen der Lebewesen unterhalb des Mondes Ursachen aller anderen Bewegungen auf der Erde, soweit sie nicht durch (1) und durch gegenseitiges Anstoßen voneinander bewegt werden (b11–14). Physik VIII 5 hat auf einer Analyse der animalischen Selbstbewegung insistiert, bei der auch innerhalb des Lebewesens noch eine bewegende und eine bewegte Komponente zu unterscheiden sind. Was Physik VIII, trotz mancher Diskussionen der animalischen Selbstbewegung, vor allem in Kap. 2 und 6, allerdings nicht getan hat, war zu erklären, wie Bewegendes und Bewegtes im Lebewesen voneinander zu unterscheiden sind (Phys. VIII 4, 254b29 f.) und wie selbstbewegte Systeme ihre Bewegungen zustande bringen. Genau dies ist es, was Mot. An. sich nun anschickt zu tun. 700 b13–16  Der Zweck als Grenze der Selbstbewegung. Aristoteles sagt, dass die Bewegungen aller beseelten Wesen zweckgerichtet sind und dass der Zweck der Bewegungen ihre äußere Grenze

102 Anmerkungen

(peras) im Sinne ihres Endpunktes der Selbstbewegung markiert. Der Endpunkt von Bewegungen ist für die Identität von Bewegungsepisoden entscheidend. In der Physik heißt es: »die Bewegung wird in höherem Maß nach ihrem Endpunkt als durch ihren Ausgangspunkt benannt« (vgl. Phys. V 1, 224b1–8). Dies gilt auch für die Selbstbewegungen der Lebewesen unterhalb des Mondes. Sie sind ebenfalls durch ihr Ende begrenzt, wobei die Besonderheit darin besteht, dass das Ende der Selbstbewegung mit der Erreichung ihres Zwecks zusammenfällt. Mit dieser Behauptung bestreitet Aristoteles nicht die Existenz von nicht zweckgerichteten Selbstbewegungen oder von solchen Selbstbewegungen, die ihren Zweck nicht erreichen. Er macht lediglich geltend, dass zweckgerichtete Selbstbewegungen den theoretischen Normfall darstellen, von dem her alle animalischen Selbstbewegungen zu verstehen sind. Die Selbstbewegung der Lebewesen ist in doppelter Weise durch ihren Zweck begrenzt. Einmal dadurch, dass der individuelle Zweck einer Selbstbewegungsepisode diese definiert, und das andere Mal dadurch, dass die Bewegung an dem Punkt, an dem sie ihren Zweck erreicht, endet. Der Zweck animalischer Selbstbewegungen ist ihnen damit in der Weise extern, dass die Erreichung ihres Zweckes, der ja immerhin ihr Existenzgrund ist, mit ihrem zeitlichen Ende zusammenfällt. Bei der animalischen Selbstbewegung handelt es sich also um wesentlich endliche Bewegungen. Für eine nähere Charakterisierung der Zweckbestimmung animalischer Selbstbewegungen siehe unten die Anmerkungen zu 700b25 und b29. An dieser Stelle geht es Aristoteles aber erst einmal nur darum, zu zeigen, dass die Bewegungen der Lebewesen unterhalb des Mondes wesentlich endlich und begrenzt sind. Kosmologisch bedeutet dies nämlich, dass, da die Selbstbewegung der Lebewesen außer der durch (1) und (3) verursachten Bewegungen Ursache aller übrigen Bewegungen im Kosmos ist, auch alle übrigen Bewegungen im Kosmos endlich sind (b13 f.). Diese prinzipielle Endlichkeit unterscheidet die linearen Selbstbewegungen unterhalb des Mondes von den Kreisbewegungen oberhalb des Mondes, für die es keine solche Grenze geben soll (peras: Cael. II 1, 284a2–11, 6, 288a23 f. und besonders Mete. I 2, 339a24–26; zur anders gearteten Zweckstruktur der Bewegungen der Himmelskörper siehe unten S. 107 ff.).



Anmerkungen

103

700 b17–25  Die akteursinternen Beweger. In diesem Abschnitt werden die dem Lebewesen internen bewegenden Faktoren aufgezählt und klassifiziert. Dies sind die »Beweger« im Lebewesen im Sinne von akteursinternen psychophysischen Antezedenzien der Bewegung. Aristoteles listet eine Reihe von Vermögen auf (Denken, Vorstellung, Entschluss, Wunsch, Begierde; in b20 kommt noch Wahrnehmung hinzu) und reduziert diese dann auf die zwei Faktoren »Denken« und »Strebung«. Wichtig ist, dass sich diese Reduktion allein auf die Funktion der Beweger im Rahmen der Erklärung der Selbstbewegung bezieht. So ist »Denken« dadurch definiert, dass es »Unterschiede erfasst« bzw. Informationen bereitstellt, unabhängig davon, ob es sich dabei um rationale Einsicht, Vorgestelltes oder um Wahrnehmungsgehalte handelt. Bei dem in dieser inklusiven Weise aufgefassten »Denken« geht es also um Kognition überhaupt, soweit sie eine Rolle bei der Verursachung animalischer Selbstbewegungen spielt. Ebenso ist »Strebung« hier ein generischer Begriff für die drei sogenannten Arten der Strebung. Dies sind die beiden nicht-rationalen Strebungen »Begierde« (epithymia) und »Mut« (thymos) sowie die rationale Strebung »Wunsch« (boulêsis; zu den Arten der Strebung und der Strebung überhaupt siehe philos. Einleitung, S. CCXIV f.). Aristoteles wendet hier seine vorher in An. III 10, 433a9 ff., speziell für die Bedürfnisse der Theorie der animalischen Selbstbewegung zugeschnittene Terminologie erneut an. Dass er dies tut, zeigt, dass die spezifischen Unterschiede der kognitiven und konativen Fähigkeiten der verschiedenen Lebewesen für die Belange der allgemeinen Theorie der animalischen Selbstbewegung bis zu einem gewissen Grade vernachlässigt werden können bzw. sogar vernachlässigt werden sollen. Denn für die gemeinsame Erklärung der Selbstbewegung macht es keinen Unterschied, ob die bewegenden Faktoren z. B. rationale oder nicht-rationale Strebungen sind, solange es nur irgendeine Form der Strebung und irgendeine Form der Kognition sind, die dabei als Bewegungsursache fungieren. Aus diesem Grund können Vorstellung und Wahrnehmung »denselben Platz« einnehmen wie die Vernunft (b20), womit gesagt ist, dass sie in der Erklärung der Selbstbewegung dieselbe Rolle spielen können. Die Reduktion der internen Beweger auf zwei abstrakte bewegende Faktoren (siehe unten) erlaubt es Aristoteles im Folgenden,

104 Anmerkungen

den ersten Beweger der Selbstbewegung gemeinsam für alle Lebewesen als den Gegenstand von sowohl Kognition (»Denken« im inklusiven Sinne) als auch Strebung zu bestimmen (b23 f.). Der Übergang von den Vermögen der Lebewesen zu den ihnen korrelierten Gegenständen erklärt sich durch die Transitivität der Verursachungsbeziehung. Sowohl die verschiedenen Formen der Kognition (Wahrnehmung, Denken) als auch die verschiedenen Formen des Strebens (Begierde, Mut, Wunsch) definiert Aristoteles durch ihre Gegenstände, die gleichzeitig auch ihre Auslöser sind (An. II 7–12, III 7, 431a8–17, b2–10). Da Kognition und Strebung nun die Beweger im Lebewesen sind und sie durch die ihnen korrelierten Gegenstände ausgelöst werden, kann man sagen, dass es die Gegenstände der Kognition und der Strebung sind, die, insofern sie erkannt und erstrebt werden, die ersten Beweger des Lebewesens sind (vgl. auch An. III 10, 433a27 f.). Dieses Ergebnis unterscheidet sich im Wesentlichen nicht von der ausführlicheren und auch methodisch anders geratenen Untersuchung in An. III 10, wo gleichfalls der strebende Bezug zu einem geeigneten Gegenstand als Ursprung der animalischen Selbstbewegung bezeichnet wird (siehe oben, S. 63 f.). Mot. An. übernimmt dieses Ergebnis aber nicht einfach, sondern bemüht sich um eine eigenständige Begründung. Ein weiterer Unterschied zu An. III 10 ist, dass Mot. An. zusätzlich noch den Entschluss (prohairesis) als einen der internen Beweger des Lebewesens nennt, allerdings nur um ihn gleich auf seine Bestandteile (vernünftige) Kognition und Strebung zu reduzieren und ihn damit dem gleichen Schema zu unterwerfen wie die anderen Formen von Streben und Kognition. Der Entschluss wurde in den relevanten Kapiteln von An. nicht ausdrücklich erwähnt. Dafür enthält die Diskussion in An. III 10 aber eine vergleichsweise ausführliche Erklärung der praktischen Vernunft (im Sinne der deliberativen Vernunft, An. III 10, 433a14–20; zur Bewegungsfähigkeit der Vernunft generell vgl. auch An. III 11, 434 a1–20). Mot. An. geht also auch hierin nicht wirklich über das in An. bereits Gesagte hinaus. Im Verlauf der von ihm in Mot. An. 6, 700a22 als »Reduktion« (anagesthai) bezeichneten Zurückführung des Entschlusses (prohairesis) auf seine Bestandteile, »diskursives Denken« (dianoia) und »Strebung« (orexis), argumentiert Aristoteles also wie folgt:



Anmerkungen

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P 1 Vorstellung und Wahrnehmung nehmen denselben Platz ein wie die Vernunft (nous). P 2 Wunsch, Mut und Begierde sind Strebungen. P 3 Der Entschluss setzt sich zusammen aus diskursivem Denken (dianoia) und Strebung. [P 4 Diskursives Denken (dianoia) ist eine Form der Vernunft (nous).] [P 5 Akte der Vernunft und Strebung werden ausgelöst von ihren Gegenständen.] K Folglich bewegt zuerst der Gegenstand der Strebung (orekton) und der Gegenstand des Denkens (noêton). Um die Gültigkeit und vor allem die angemessene Allgemeinheit sowie die Übereinstimmung mit der Parallelstelle in An. zu gewährleisten, war es erforderlich, den überlieferten Text zu ändern und die Konklusion in b23–24 dementsprechend zu übersetzen: »Folglich bewegen zuerst der Gegenstand des Strebens und der Gegenstand des Denkens. Doch nicht jeder beliebige Gegenstand des Denkens (ὥστε κινεῖ πρῶτον τὸ ὀρεκτὸν καὶ τὸ νοητόν, οὐ πᾶν δὲ νοητόν)«. Denn nur Menschen verfügen über die Fähigkeit zum in b24 überlieferten »diskursiven Denken« (dianoia), Aristoteles scheint hier aber einen generellen Satz zur Selbstbewegung aller Lebewesen aufzustellen. Der textliche Eingriff wird betätigt durch die Parallele in Metaph. XII 7, 1072a26 (κινεῖ δὲ ὧδε τὸ ὀρεκτὸν καὶ τὸ νοητόν). Siehe philologische Einleitung 4.5, S. CXXVI ff. 700 b25–35  Bestimmung des praktischen Zwecks und Vergleich mit dem Zweck der ewigen Bewegung der äußersten Himmelssphäre. Der Abschnitt formuliert eine Einschränkung des Ergebnisses aus dem vorigen Abschnitt: Nicht jedes Gut bzw. nicht jeder Gegenstand, den wir erstreben, ist deswegen schon ein praktischer Zweck und damit ein möglicher Zweck animalischer Selbstbewegung. Um bewegungsrelevant zu sein, muss es sich um Zwecke handeln, deren Realisierung in der Welt nicht nur möglich ist, sondern von dem Lebewesen auch als in seiner Macht stehend angesehen wird. Aristoteles nimmt diese Einschränkung hier vor, weil er davon ausgeht, dass es auch nicht bewegungsrelevante

106 Anmerkungen

Zwecke gibt. Dies sind solche Zwecke, die wir als Güter ansehen und die wir vielleicht auch anstreben, bei denen wir aber nichts tun können, um sie herbeizuführen bzw. sie in unseren Besitz zu bringen. Ein Beispiel aus der Nikomachischen Ethik ist etwa unser Wunsch, dass ein bestimmter, von uns favorisierter Athlet den Wettkampf gewinnen möge (EN III 4, 1111b23–26). Hierbei handelt es sich um einen Gegenstand unseres Wünschens, jedoch nicht um einen solchen Gegenstand, dessen Herbeiführung in ­u nserer Macht steht. Dies gilt erst recht für unmögliche Gegenstände unseres Wünschens, wie etwa der, unsterblich zu sein (b22 f.). Ein weiteres Beispiel für einen nicht bewegungsrelevanten Zweck ist die Gottheit, die Aristoteles zwar als den höchsten und schlechthinnigen Zweck bezeichnet (Mot. An. 6, 700b29–35), bei dem wir aber gleichfalls nichts unternehmen können, um ihn zur Wirklichkeit zu bringen (die Gottheit ist bereits in voller Wirklich­keit). Was unterscheidet praktische Zwecke von anderen Zwecken? Aristoteles charakterisiert den praktischen Zweck in Absetzung von anderen, nicht bewegungsrelevanten Zwecken. Er sagt, der praktische Zweck sei ein solches »Schönes« (kalon), um dessentwillen »ein anderes da ist« und das »Zweck solcher Dinge ist, die um eines anderen willen sind«, und fügt hinzu, dass das, was gut zu sein scheint (aber nicht notwendigerweise auch tatsächlich gut ist, das phainomenon agathon), für die Belange der Theorie äquivalent mit konkreten Bewegungszwecken sei (vgl. auch An. III 10, 433a27–29, siehe unten, S. 115 f.). Aristoteles’ Charakterisierung des praktischen Zwecks der animalischen Selbstbewegung ist so kurz, dass man sie nur als kryptisch bezeichnen kann. Ähnliches gilt für den unmittelbar anschließenden Passus in 700 b29–35, in dem er den Zweck der animalischen Selbstbewegung mit dem Zweck der ewigen Bewegung der äußersten Himmelssphäre vergleicht. Der nun folgende Exkurs soll dazu dienen, die Charakterisierung des praktischen Zwecks und den daran anschließenden Vergleich verständlich zu machen.



Anmerkungen

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Exkurs. Aristoteles’ Teleologie des Praktischen und der Vergleich des praktisch Guten mit dem Bewegungszweck der äußersten Himmelssphäre (700b29–35) Was ist ein praktischer Zweck im Sinne der animalischen Selbstbewegung? Es scheint zunächst, als ob Aristoteles hier nur neu formulieren würde, was er schon am Anfang des Kapitels (700b13–16) über den Zweck als identitätsstiftendes, gleichzeitig aber auch begrenzendes Moment der animalischen Selbstbewegung gesagt hat: Wenn der Zweck Grenze der Selbstbewegung im Sinne ihres Endpunkts (terminus ad quem) ist, dann gilt nämlich auch umgekehrt, dass nur solche Güter als Zwecke für die animalische Selbstbewegung in Frage kommen, die von Bewegungen ausgeführt werden können, deren Zwecke und Resultate außerhalb ihrer selbst liegen. Solche Güter sind also Zwecke, die durch Selbstbewegung realisiert werden können. Da Aristoteles aber der Meinung ist, dass es auch solche zweckgeleiteten Bewegungen gibt, deren Zwecke und Resultate, anders als bei der animalischen Selbstbewegung, nicht außerhalb ihrer selbst liegen (dies sind z. B. die oben bereits erwähnten Bewegungen der Himmelskörper. Sie werden in dem unmittelbar anschließenden Passus in 700b29–35 mit den Bewegungszwecken der animalischen Selbstbewegung verglichen), ist die von ihm hier vorgenommene Charakterisierung der praktischen Zwecke der animalischen Selbstbewegung keineswegs trivial. Sie gestattet uns Einblicke in Aristoteles’ Denken über die Teleologie der Selbstbewegung und ist in den uns erhaltenen Schriften ohne Parallele. Drei Formulierungen bedürfen der Erläuterung. Aristoteles sagt, dass praktische Zwecke »in Bewegung setzen«, dass sie in Bewegung setzen, insofern »um ihretwillen ein anderes da ist« und dass dieses andere, das um ihretwillen da ist, seinerseits »um eines anderen willen« besteht. Was ist damit gemeint, dass ein praktischer Zweck bzw. ein praktisches Gut »in Bewegung setzt« (b25 f., b28?)? Aristoteles meint gewiss nicht, dass praktische Zwecke andere Dinge anstoßen oder anderwärtig als Bewegungsursache (causa efficiens) in Bewegung setzen. Es geht ihm hier vielmehr um einen teleologischen Sachverhalt, nämlich um die Frage, wie Zwecke beschaffen

108 Anmerkungen

sein müssen, um für Lebewesen motivierend zu sein und sie zur Selbstbewegung zu veranlassen. Die Strukturelemente von Zweckursachen bei Aristoteles. Aristoteles vertritt generell die Ansicht, dass Zwecke Lebewesen nicht dadurch zur Bewegung veranlassen, dass die Zwecke selber etwas tun, sondern dadurch, dass anderes um ihretwillen getan wird. Zwecke sind für ihn immer nur Ursachen für das Gut-Sein dessen, was um ihretwillen getan wird. Seine Analyse der Funktionsweise von Zweckursachen in Analytica Posteriora II 11 macht dies sehr klar. Dort argumentiert er, dass die Funktionsweise von Zwecken drei Strukturelemente aufweist. Beispiel ist das Spazierengehen nach dem Essen zum Zwecke der Gesundheit (Anal. Post. II 1, 94b8–21): Von all den Dingen aber, deren Ursache der Zweck ist, [ist der Beweis] in etwa folgendermaßen [zu führen]: Warum geht er spazieren? Damit er gesund ist. (…): Spazierengehen nach dem Essen C, dass die Speise nicht am Eingang des Magens verbleibt B, Gesund-Sein A; es treffe also auf das Spazierengehen nach dem Essen zu, dass es dazu führt, dass die Speisen nicht am Eingang des Magens verbleiben, und dieses sei gesund. Es scheint nämlich auf das Spazierengehen, das C, das B, dass die Speisen nicht am Eingang des Magens bleiben, zuzutreffen, und auf dieses das A, das Gesund-Sein. Was also ist Ursache dafür, dass das A, der Zweck, auf das C zutrifft? Das B, das Nicht-am-Eingang-des-Magens-Verbleiben. Dieses aber ist gleichsam eine Bestimmung für jenes; denn auf diese Weise wird das A erzeugt werden. Warum also trifft das B auf das C zu? Weil das Gesund-Sein dieses ist: sich in der genannten Verfassung befinden. Die Erklärung von zu einem bestimmten Zweck stattfindenden Prozessen involviert demnach drei Strukturelemente A, B, C. Sie lassen sich wie folgt charakterisieren: A: Ein intrinsischer Zweck (»A-Typ-Zweck« im Folgenden), hier die Gesundheit. A-Typ-Zwecke sind Güter, die nicht um eines anderen willen gewählt werden, sondern aus sich selber heraus und daher invariant gut sind. Es handelt sich dabei nicht



Anmerkungen

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um Dinge oder Weltzustände – Dinge oder Weltzustände können mal gut und mal schlecht sein –, sondern um allgemeine Zwecke wie »Gesundheit« oder »Ehre«, die Menschen und Tieren als deren höchste Zweckorientierungen dienen. Es handelt sich dabei um das, was man vielleicht als »Werte« bezeichnen sollte. Für Aristoteles sind nur A-Typ-Zwecke in der Lage, das Gut-Sein anderer Dinge in allgemeiner Weise und daher auch endgültig zu erklären, weil sie nämlich Serien von Warum-Fragen des Typs »Wofür ist das gut?« beenden können (vgl. Anal. Post. I 24, 85b27–35): Ohne solche letzten Wertorientierungen tierischen und menschlichen Handelns und Selbstbewegens würde es letztlich keinen Grund für die Selbstbeweger geben, sich in Bewegung zu setzen.16 B: Ein wertvoller Zustand oder Gegenstand, der einen ATyp-Zweck in einer bestimmten Situation realisiert (»B-TypZweck«), hier das Beseitigen des Essens am Mageneingang nach einem reichlichen Essen. B-Typ-Zwecke sind deswegen, und nur deswegen, gute Weltzustände, weil sie A-Typ-Zwecke realisieren. Ohne den Zweck »Gesundheit« wäre das Beseitigen des Essens am Mageneingang nicht gut oder vielleicht sogar schlecht. Da B-Typ-Zwecke, wenn sie herbeigeführt worden sind, die physikalischen Endpunkte der sie herbeiführenden Selbstbewegungen markieren (der Spaziergang im Dienste der Gesundheit ist dann zu Ende, wenn der Mageneingang wieder frei ist) und auch die Bedingungen für Erfolg und Scheitern dieser Bewegungen definieren, ist es angemessen, auch sie als Zwecke (B-Typ-Zwecke) zu bezeichnen. C: Die den B-Typ-Zweck herbeiführende Selbstbewegung. Eine Tätigkeit bzw. Bewegung im Dienste der Herstellung eines B-Typ-Zwecks, hier das Spazierengehen nach dem Essen, welches das Essen am Mageneingang beseitigt. Es handelt sich um die produktive Ursache des durch B bezeichneten guten Weltzustands.

16  Vgl.

auch EN I 1, 1094 a20 f. Für eine Diskussion siehe Corcilius 2011, 119–121.

110 Anmerkungen

Zweierlei ist wichtig in diesem Schema. Erstens ist wichtig, dass A, B und C für Aristoteles notwendige Bestandteile teleo­ logischer Erklärungen von Prozessen sind: Weder A alleine noch A in Kombination mit entweder B oder C, noch B und C könnten für sich genommen die Herbeiführung irgendeines zweckhaften Weltzustands erklären. Für jede Bewegung und jeden Prozess mit Zweckursache bedarf es stets der gesamten A-B-C-Struktur, wobei es sich dabei nur um die minimal erforderlichen Faktoren handelt. Erklärungen durch Zweckursachen können viel komplizierter sein, aber wie kompliziert sie auch immer ausfallen mögen, wichtig ist, dass die daran beteiligten Faktoren sich stets in die A-B-C-Struktur fügen müssen. Zweitens ist wichtig, dass die teleologische A-B-C-Struktur keine Behauptung über die Psychologie zweckorientiert handelnder Wesen darstellt. Aristoteles behauptet nicht, dass man wissen oder sich anderwärtig klarmachen muss, dass man bei seinen zweckorientierten Handlungsweisen einen intrinsischen Zweck verfolgt. In den Zweiten Analytiken II 11 geht es lediglich um die Feststellung der teleologischen Struktur, die jeder zweckorientierten Handlungsweise von Menschen und Tieren zugrunde liegt (und auch naturteleologischen Prozessen ohne mentale Komponente). Die Strukturelemente beziehen sich aufeinander wie folgt: B existiert um willen von A. Das Beseitigen des Essens ist für sich genommen weder gut noch schlecht. Was es gut macht, ist einzig und allein der Umstand, dass es in der gegebenen Situation die Gesundheit realisiert (im Text heißt es: »Dieses [B] aber ist gleichsam eine Bestimmung [logos] für jenes [A]; denn auf diese Weise wird das A erzeugt werden [apodothêsetai]«). Aristoteles hat aber keinen eigenen Ausdruck für die Realisierungsbeziehung, sondern formuliert sie in teleologischer Weise. Er sagt, das Beseitigen des Essens (B) existiere »um willen von« A. Da er aber auch sagt, dass das Beseitigen des Essens (B) in der vorliegenden Situation Gesundheit (A) »erzeugt« und so wie eine Bestimmung der Gesundheit ist, sind wir berechtigt, dies im Sinne der Realisierungsbeziehung zu verstehen. Genauso gilt für C: C produziert B bzw. ist dessen Wirkursache. Auch Spazierengehen ist für sich genommen weder gut noch schlecht. Allein der durch A und dadurch dann auch durch B vermittelte teleologische Kontext macht



Anmerkungen

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Spazierengehen zu etwas Gutem. A ist daher die Ursache des GutSeins von B und C. Es verleiht sein eigenes Gut-Sein B und C in dem Maße, in dem B und C die Existenz von A »bedeuten« bzw. es herbeiführen. Dabei ist klar, dass B und C zusammen nicht die Existenz von A (einem intrinsischen Zweck) selbst, sondern nur von etwas, das A als Eigenschaft hat, herbeiführen können: Wir stellen nicht Gesundheit her, sondern etwas, das gesund ist, und drücken dies typischerweise in paronymer Weise aus, wie z. B. bei »gesunder Spaziergang«.17 So weit die generelle Struktur der Erklärung mithilfe von Zweckursachen bei Aristoteles. Wie stellt sich dies in unserem Fall der Zwecke animalischer Selbstbewegungen dar? Die Stelle von A wird durch genuin explanatorische Bewegungszwecke eingenommen. Dies sind die Werte, die Tiere oder Menschen realisieren, indem sie ihre konkreten B-Typ-Zwecke verfolgen. B ist der Weltzustand, der ein gegebenes A in den vorliegenden Umständen realisiert – der unmittelbare Bewegungszweck des Lebewesens, etwa ein Haus für einen Hausbauer, eine Karotte für einen Hasen, ein Hase für einen Fuchs usw.; C als die produktive Ursache von B ist die Selbstbewegung des Lebewesens. Es müssen alle drei Faktoren vorliegen: Der Fuchs würde den Hasen nicht als unmittelbaren Zweck (B) seiner Selbstbewegung (C) verfolgen, wenn er dadurch nicht ein intrinsisches Gut (A) erlangen könnte; der Hase wird für den Fuchs ja erst dadurch zum Gegenstand seiner Strebung. Ohne A gäbe es weder einen Sachgrund noch eine Er17 

Folgender, die Zweckursache aufzeigender Syllogismus ergibt sich:

A trifft auf B zu (»Gesundheit trifft unter diesen Umständen auf das Nicht-Unverdaut-Bleiben zu«) B trifft auf C zu (»Das Nicht-Unverdaut-Bleiben trifft unter diesen Umständen auf Spazierengehen zu«) A trifft auf C zu (»Gesundheit trifft unter diesen Umständen auf Spazierengehen zu«) (In der Abwärtsrichtung sind B und C beide durch Zweckursächlichkeit verbunden; in der Aufwärtsrichtung ist C wirkursächlich für B, und B instanziiert bzw. realisiert A).

112 Anmerkungen

klärung dafür, warum der Fuchs sich für den Hasen interessiert. Er interessiert sich aber für den Hasen. Wenn er dies aus Hunger tut, wäre das motivierende intrinsische Gut des Fuchses (A) die Lust, da die Lust der der Strebeform »Begierde« (epithymia) korrelierte Gegenstand ist und Hunger eine Art von Begierde ist. B wäre der Hase, weil der Hase hier der Gegenstand ist, dessen Erlangung dem Fuchs hier und jetzt Lust verschafft. C schließlich ist die Selbstbewegung, das Erjagen des Hasen durch den Fuchs, d. h. die produktive Tätigkeit im Dienste der Herbeiführung von B. Anwendung: Die Funktionsweise praktischer Zwecke. Aristoteles’ Teleologie des Praktischen. Jetzt können wir verstehen, was Aristoteles in 700b25–29 über die Funktionsweise der motivierenden Zwecke der Lebewesen sagt. Er sagt, dass es sich dabei nicht um beliebige Gegenstände der Kognition (»des Denkens«) handelt, sondern nur um den: Zweck möglicher Handlungen (prakton); daher ist das so Ge­a rtete unter den Gütern das Bewegende, nicht aber alles Schöne (kalon). Denn es (d. h. das praktisch Schöne) bewegt insofern, als (a) um seinetwillen ein anderes da ist und als (b) es Zweck solcher Dinge ist, die um eines anderen willen da sind. (Mot. An. 6, 700b25–29) Der erste Satz schränkt die Zwecke der animalischen Selbstbewegung auf solche Zwecke ein, die mögliche Gegenstände von Handlungen sind. Demnach motivieren uns nur solche Zwecke zur Handlung und Bewegung, von denen wir entweder implizit oder explizit meinen, dass unsere Bewegungen oder Handlungen sie auch tatsächlich herbeiführen bzw. befördern können. Sie müssen von solcher Art sein, dass ihre Realisierung auch in unserer Macht steht bzw. wir dies annehmen. Andernfalls können uns Zwecke, selbst dann, wenn wir sie als Zwecke akzeptieren, nicht zur Tat motivieren. Der Ausdruck für »mögliche Handlungen« prakton, den man auch mit »praktisch« übersetzen kann, ist mehrdeutig. Er kann entweder »das Worumwillen« (A-Typ-Zwecke) oder »das, was wir um dessentwillen tun« bezeichnen (B-Typ-Zwecke, EN I 4, 1096b 7–14; EE I 7, 1217a35–39, 1218b16–24). Die Bedingung, dass Zwecke dann, wenn sie Lebewesen motivieren, Zwecke mög-



Anmerkungen

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licher Handlungen sein müssen, gilt sicherlich für beide, sowohl für A- als auch für B-Typ-Zwecke. Doch daran, dass Aristoteles für die nun folgende nähere Charakterisierung praktischer Zwecke den Ausdruck »Schönes« verwendet, zeigt sich eindeutig, dass er jetzt nur über die A-Typ-Zwecke animalischer Selbstbewegung spricht. »Schönes« (kalon) ist nämlich die von ihm gewählte Bezeichnung für intrinsische Güter (siehe Bonitz, Ind. Arist. s. v.18). Was im Text folgt, ist daher als eine Bestimmung von praktisch relevanten A-Typ-Zwecken zu verstehen. Es geht um die motivierenden, höchsten und intrinsischen Zwecke der animalischen Selbstbewegung. Für sie macht Aristoteles folgende Kriterien geltend: Um ein praktischer A-Typ-Zweck zu sein, muss es (a) B-Typ-Zwecke für sie geben (es muss »um seinetwillen ein anderes« da sein), und (b) die ihnen untergeordneten B-Typ-Zwecke müssen von der Art sein, dass sie um eines anderen willen sind. Mit (a) formuliert Aristoteles die Bedingung der Realisierbarkeit. Nur das, was in der Welt realisierbar ist (also einen teleologisch subordinierten B-Typ-Zweck hat), motiviert uns bzw. die Lebewesen als praktischer Zweck zur Bewegung. Das, was wir nicht für realisierbar halten, motiviert uns auch nicht (vgl. EN III 5, 1112a30–3419). Dies bedarf nicht der weiteren Erläuterung. Gleichwohl ist (a) nicht trivial für Aristoteles. Er ist nämlich, wie oben bereits gesagt, der Ansicht, dass es auch solche Zwecke gibt, die nicht realisierbar und deswegen auch nicht »praktisch« bzw. »Gegenstand einer Handlung« (prakton) sind. Solche nicht praktischen Zwecke sind Zwecke, für die man nichts tun kann, weil es keinen korrespondierenden Weltzustand gibt, der sie realisieren oder herbeiführen könnte (EE I 8, 1218b4–7, Metaph. XIII 3, 1078a31–32). Was hier mit den motivierenden, intrinsisch guten Bewegungszwecken gemeint ist, sind also realisierbare 18  Vgl. EE I 8, 1218b4–7; Metaph. XIII 3, 1078 a31 f. und, in der Formulierung hou heneka, in Metaph. XII 5, 1071b1–3. 19  So beratschlagt niemand darüber, ob er Troia einnehmen soll, weil es nicht in unserer Macht steht, etwas zu tun, das schon vergangen ist (EN VI 3, 1139b5 ff.).

114 Anmerkungen

Zwecke wie z. B. Gesundheit, Lust, Ehre usw. (wobei zu beachten ist, dass für Aristoteles auch Spezies-relative Zwecke für Angehörige der betreffenden Spezies intrinsisch gut sein können, EN VI 7, 1141a 22–23; vgl. Phys. II 7, 198b 3–9). Nicht realisierbare intrinsische Zwecke dagegen, wie z. B. die Gottheit, sind daher von der Sphäre des Praktischen ausgeschlossen. Soweit Bedingung (a). Was besagt Bedingung (b)? Zu sagen, dass praktische A-TypZwecke der animalischen Ortsbewegung Zwecke von B-Typ-Zwecken sind, die »um eines anderen willen da sind«, ist, wie ich jetzt argumentieren werde, als Kontrast zu naturteleologischen Prozessen ohne mentale Komponente zu verstehen. Bei naturteleologischen Prozessen ohne mentale Komponente (ohne Wahrnehmung oder Repräsentation eines Zwecks) bestehen die B-Typ-Zwecke nämlich nicht »um eines anderen willen«. Was damit gemeint ist, lässt sich anhand eines Beispiels zeigen. Wenn ein Baum in seine natürliche Form wächst, so wäre dieser Vorgang naturteleologisch folgendermaßen zu analysieren: Ein Baum (B) wächst (C) in seine natürliche Form zum Zwecke der Realisierung der Form (da Aristoteles die Seele als die Form des lebendigen Körpers definiert, ist die natürliche Form des Baums die Baumseele: A). Der in seine natürliche Form hineingewachsene Baum ist der B-Typ-Zweck des Wachstumsvorgangs. Es ist der Weltzustand, der den A-TypZweck (die Baumseele) realisiert. Nun handelt es sich für Aristoteles bei der Baumseele und dem seine Natur realisierenden Baum aber nicht um »etwas anderes«. Der gewachsene Baum ist nicht »etwas anderes« als seine substantielle Form (der A-Typ-Zweck). Im Gegenteil: Die substantielle Form des Baums (A) ist das Wesen des Baums (B). Das Wachstum des Baums besteht deswegen nicht »um eines anderen willen«, sondern (in gewisser Weise) um seiner selbst willen (vgl. Metaph. VIII 6, 1044 a18 ff.). (b) unterscheidet also praktische A-Typ-Zwecke von den Zwecken naturteleologischer Prozesse, die ohne Wahrnehmung oder Repräsentation von Bewegungszielen ablaufen: Während bei Letzteren nämlich das Wesen des Gegenstands, der den Zweck realisiert, identisch ist mit dem A-Typ-Zweck (die Baumseele ist das Wesen des Baums), ist die Nicht-Identität des Wesens von A-Typ-und BTyp-Zweck notwendige Bedingung dafür, als praktischer Zweck



Anmerkungen

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der animalischen Selbstbewegung zu gelten. Praktisch relevant sind demnach nur solche Zwecke, deren Realisierungen nicht in Beziehungen der wesensmäßigen Identität zu ihren Zwecken stehen: Das Wesen des Zwecks (A) und das Wesen des diesen Zweck realisierenden Weltzustands (B) müssen verschieden sein. Was immer Tiere und Menschen als solche praktisch tun; das was sie tun, steht nicht in einer invarianten, wesensmäßig identischen Beziehung zu dem dadurch erreichten Zweck. Mit anderen Worten: Lust, Ehre, Gesundheit und die anderen A-Typ-Zwecke der Selbstbewegung haben keine natürlichen Realisierungen (B-TypZwecke). Ihre deskriptiven Eigenschaften sind nicht bereits im Wesen ihres A-Typ-Zwecks angelegt. Mit Bestimmungen (a) und (b) isoliert Aristoteles daher solche für Lebewesen intrinsischen Zwecke, deren Herbeiführung gleichsam mechanisch bewerkstelligt werden muss. Mit Bezug auf menschliche Handlungen drückt Aristoteles dieses nicht-natürliche und daher auch variable (kontingente) Verhältnis zwischen dem praktischen Zweck und seiner Realisierung in der Weise aus, dass Handlungen »um einer anderen Sache willen« bestehen (EN III 5, 1112b33: allôn heneka; vgl. Metaph. XII 10, 1075b8–10; An. I 3, 407a23–25). 20 Er formuliert damit eine Teleologie des Praktischen. 700 b28–29  Das, was das Gute zu sein scheint (phainomenon agathon). Aristoteles sagt hier, dass das so scheinende Gute (aber nicht unbedingt auch tatsächlich Gute) dieselbe explanatorische Rolle einnehmen kann wie ein echtes Gut. Die Identifikation ist rein funktional für die besonderen Zwecke der gemeinsamen Theorie der animalischen Selbstbewegung. Die Sprache (»die Stelle des Guten einnehmen«: 700 b28 f.) erinnert an 700 b19 f., wo Aristoteles bei der Subsumption von Vorstellung und Wahrnehmung unter dem Titel »Vernunft« denselben Ausdruck »Stelle einnehmen« (chôran echein) benutzt hat: Für die Belange der 20  Dies ist natürlich damit vereinbar, dass die entsprechenden Bewegungen der Lebewesen in regulärer Weise ablaufen. Kühe werden in der Regel grasen, um sich zu sättigen. Doch bleibt es dabei, dass keine in dem relevanten Sinne natürliche Beziehung zwischen dem Gras und dem Zweck der Kuh vorliegt.

116 Anmerkungen

allgemeinen Theorie der animalischen Selbstbewegung macht es keinen Unterschied, dass ein Lebewesen ein Gut oder ein so scheinendes Gut erstrebt, weil es für die Erklärung von Episoden der Selbstbewegung nicht darauf ankommt, ob der Akteur richtig oder falsch darin liegt, dass ein von ihm erstrebter Gegenstand ein Gut ist oder nicht, sondern nur darauf, dass der Gegenstand subjektiv für gut gilt (erstrebt wird) oder nicht. Umgekehrt dagegen wird ein Gegenstand, der ihm nicht subjektiv für gut gilt (von ihm erstrebt wird), so gut er auch objektiv für es sein mag, das Lebewesen nicht zur Bewegung veranlassen. Gut scheinen, nicht aber Gut-Sein ist notwendige Bedingung da­ für, ein praktisches Gut zu sein: Die explanatorische Äquivalenz von so scheinendem Guten und dem Guten wird von Aristoteles mehrfach erwähnt (An. III 10, 433a27–29; Phys. II 3, 195a25–26; Metaph. V 2, 1013b27–28; Top. VI 8, 146b 36–147a11; Rhet. I 10, 1369 b18–31). Die explanatorische Äquivalenz des so scheinenden Guten mit dem Guten bezieht sich nur auf die unmittelbar von den Lebewesen wahrgenommenen bzw. mental repräsentierten Zwecke (auf ihre B-Typ-Zwecke). Über die »Werte« bzw. die intrinsischen Güter, die sie mit ihren Selbstbewegungen als letztliche Motivationsgründe zu realisieren trachten (ihre A-Typ-Zwecke), können sich Lebewesen nicht irren. Ein Tier kann nicht darin fehlgehen, dass es nach Lust strebt. Auf der Ebene höchster Zwecke gibt es keinen Irrtum. Dass es bei dem phainomenon agathon nicht um A-Typ-Zwecke geht, zeigt sich bereits an der von Aristoteles verwendeten Sprache. Er spricht hier vom Lustvollen (hêdy), d. h. er benutzt den Kollektivbegriff für lustvolle Dinge, nicht aber das abstrakte Nomen »Lust« (hêdonê). Für gewöhnlich bezeichnen aber nur solche abstrakten Nomina intrinsische Zwecke. So unterscheidet Aristoteles in der Topik ausdrücklich zwischen Lust einerseits und Lustvollem andererseits und sagt, dass wir auch noch das Lustvolle (hêdy) um der Lust willen (hêdonê) wählen (Top. VI 8, 146b10–12; vgl. auch Protrepticus B 66). Dies entspricht genau dem, was uns die A-B-C-Struktur erwarten lässt. In An. III 10, wo Aristoteles die auslösende Bewegungs­u rsache der Selbstbewegung diskutiert, findet sich eine ganz ähnliche ­Bestimmung des praktischen Zwecks animalischer Selbst­bewegung:



Anmerkungen

117

Deswegen bewegt jedes Mal der Gegenstand der Strebung, aber dieser ist entweder das Gute oder das, was das Gute zu sein scheint; allerdings nicht jedes, sondern das Gute, das Gegenstand einer Handlung ist. Gegenstand einer Handlung (prakton) aber ist das, was sich auch anders verhalten kann. (An. III 10, 433a27–30) »Das, was sich auch anders verhalten kann« besagt, dass es sich beim praktisch Guten um Kontingentes handelt, genauer: um variabel Gutes, also um solche Zwecke, Gegenstände oder Welt­ zustände, deren Gut- oder Schlecht-Sein je nach Umständen variiert (EN VI 3, 1139b20 ff.; VI 3, 1139a11–15; VI 5, 1140a28 ff.). Um den Zusammenhang mit unserer Stelle in Mot. An. zu verstehen, muss man sich klarmachen, dass Aristoteles in An. III 10 keine teleologische Analyse des Gegenstands der Strebung vorlegt, sondern den effizient-kausalen Effekt von Strebegegenständen auf die sie erstrebenden Lebewesen diskutiert. Er spricht hier also von B-Typ-Zwecken, von Dingen oder Weltzuständen, die ­A-Typ-Zwecke realisieren, und nicht von den A-Typ-Zwecken selbst (kala; vgl. Metaph. XIII 3, 1078a31 f.). Die Aussage, dass die B-Typ-Zwecke der animalischen Selbstbewegung »sich auch anders verhalten können«, passt sehr gut zu Bedingung (b) in Mot. An. 6, derzufolge praktische A-Typ-Zwecke in kontingenten Relationen zu ihren B-Typ-Zwecken stehen und deswegen auf je verschiedene Weise realisiert werden können. 700 b29–35  Vergleich der höchsten Zwecke animalischer Selbstbewegung mit dem Zweck der ewigen Bewegung. Aristoteles vergleicht jetzt seine Teleologie praktischer Zwecke mit der Teleologie nicht-endlicher (ewiger) Bewegungen der äußersten Himmelssphäre, von der er bereits vorher im sechsten Kapitel in 700b 6–9 andeutungsweise und mit Verweis auf die erste Philosophie gesprochen hatte: Die Weisen, in denen die beiden Zwecke motivieren, sind einander in bestimmten Hinsichten ähnlich und in bestimmten anderen Hinsichten unähnlich. Sie sind einander ähnlich insofern, als sie beide durch Kognition und Strebung in Bewegung setzen (vgl. Metaph. XII 7, 1072a19– b10). Sie sind ­verschieden insofern, als die ewige Bewegung, anders als die ani-

118 Anmerkungen

malische Selbstbewegung, nicht durch Strebungen initiiert wird, die sich auf variabel Gutes richten. Die Beweger der äußersten Himmelssphäre richten sich im Gegensatz zu den Lebewesen unterhalb des Mondes auf invariabel Gutes. 21 Mit diesem Unterschied in ihrem Zweck will Aristoteles offenbar erklären, aus welchem Grund die himmlischen Bewegungen ewig fortdauern, während die Bewegungen der Lebewesen alle eine äußere Grenze (peras) haben, d. h. prinzipiell endlich sind (dass alle animalischen Selbstbewegungen endlich sind, wurde bereits in 700b14 gesagt, wenn es auch nicht, wie hier, teleologisch durch die Beschaffenheit des Zwecks erklärt wurde). Den ewig schönen Zweck des ewig Bewegten bezeichnet Aristoteles nun im Gegensatz zu den ­Zwecken der animalischen Selbstbewegung als: (i) wahrhaft und primär gut (ii) invariabel gut (»nicht einmal gut und ein andermal nicht«) (iii) nicht an die Relation zu etwas anderem gebunden (700b33–35) Es soll also aufgrund dieser Merkmale (i)–(iii) sein, dass der Zweck des ewig Bewegten zu ewig fortdauernden Bewegungen motiviert. Die Frage ist daher, wie diese Merkmale die behauptete unerschöpflich motivierende Attraktivität des ewig Schönen für die himmlischen Beweger erklären können. Da wir nur sehr wenig über Aristoteles’ Vorstellungen von dem Zweck der ewigen himmlischen Bewegungen wissen, werde ich versuchen, die Beantwortung der Frage auf indirekte Weise anzugehen, indem ich die umgekehrten Fragen an die Zwecke der animalischen Selbstbewegung herantrage. Ich werde also fragen: Inwiefern sind die A-Typ-Zwecke der animalischen Selbstbewegung (i’) nicht wahrhaft und primär gut (ii’) variabel gut (iii’) an die Relation zu etwas anderem gebunden 21  Man beachte, dass Aristoteles hier nicht sagt, dass die himmlische Bewegung durch Strebungen ausgelöst wird. Täte er dies, würde er einen endlichen Prozess mit Anfang bzw. Ende beschreiben, was für die Bewegung der ersten Himmelssphäre in Mot. An. ja gerade bestritten wird. Zum Unterschied zwischen praktisch Gutem (agathon) und dem Schönen (intrinsisch Gutem: kalon) vgl. Metaph. XIII 3, 1078a31 f.



Anmerkungen

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(i’) scheint zunächst wenig ergiebig. Es scheint sich dabei nicht so sehr um eine eigenständige und gehaltvolle Bestimmung praktischer Zwecke als um eine generalisierende Charakterisierung zu handeln. Die Frage wird deswegen im Anschluss an die beiden anderen Punkte behandelt werden. (ii’) lässt sich durch die oben bereits diskutierte prinzipielle Endlichkeit animalischer Selbstbewegungen beantworten: Wenn die B-Typ-Zwecke animalischer Selbstbewegungen durch die Bewegungen der Lebewesen erreicht worden sind, besteht dadurch nämlich nicht nur ein dem A-Typ-Zweck entsprechender Weltzustand, sondern gleichzeitig mit der Zweckerreichung endet auch die Bewegung im Dienste der Realisierung dieses Zwecks. Zweckerreichung und zeitliches Ende der animalischen Selbstbewegung fallen, wie Aristoteles oben in 700b13–16 gesagt hatte, zusammen. Damit lässt sich nachvollziehbar machen, in welcher Weise Aristoteles die Zwecke der animalischen Selbstbewegung als variabel gut angesehen haben könnte. Sie können nämlich trotz ihrer Allgemeinheit und intrinsischem Gutsein als in dem Sinne variabel angesehen werden, dass sie nur dann für die Lebe­ wesen attraktiv sind und sie zur Bewegung motivieren, solange sie für sie nicht realisiert sind. Ein Hase z. B. wird dann, wenn er sich satt gefressen hat, aufhören, sich von Nahrung angezogen zu fühlen. Mit seiner Sättigung ist der Zweck seiner Bewegung erreicht, und solange er satt ist, gibt es für ihn keinen Grund mehr, etwas zu tun, um diesen Zweck zu erreichen. In diesem Sinn kann man daher auch die Zwecke animalischer Selbstbewegungen als variabel gut, d. h. einmal gut und ein andermal nicht gut, für die Lebewesen ansehen, nämlich im Hinblick auf ihre Attraktivität als motivierende Zwecke. Sie können die Lebewesen nicht pausenlos motivieren, und sie können es eben deswegen nicht, weil sie realisierbar sind. Ein praktisches Gut, das realisiert ist, ist ja da, und solange es da ist, kann nichts getan werden, um es herbeizuführen. Die begrenzte motivationale Attraktivität praktischer Zwecke scheint daher eine bereits in ihrem Wesen als realisierbare Güter angelegte Eigenschaft zu sein. (iii’), an die Relation zu etwas anderem gebunden zu sein (pros heteron), scheint auf den ersten Blick schwierig, da es sich bei den A-Typ-Zwecken der animalischen Selbstbewegung ja auch

120 Anmerkungen

um intrinsische Zwecke handeln soll. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich aber, dass intrinsisches Gutsein und Relativität für Aristoteles durchaus miteinander vereinbar sind. Die intrinsischen Z ­ wecke natürlicher Wesen, soweit sie für die Naturwissenschaft von Relevanz sind, sind für ihn nämlich alle spezies- bzw. gattungs­relativ. So schreibt er es in seiner Physik dem Natur­philo­ sophen vor, Final­u rsachen nicht schlechthin und ohne weitere Qualifikation zu erforschen und anzugeben, sondern relativ zu jeder einzelnen Art bzw. Gattung (pros hekaston): Daher muss man, weil die Natur um eines bestimmten Zweckes willen besteht, auch diese (finale) Ursache wissen, und das Warum ist auf jede Weise darzulegen, nämlich so (…), dass etwas deshalb (so ist oder abläuft), weil es so besser ist – nicht schlechthin, sondern relativ zu dem Wesen (ousia) einer jeden einzelnen (Art). (Phys. II 7, 198b3–9 22) Die für die naturphilosophische Forschung relevanten Zwecke sind relativ für die jeweiligen Gattungen und Arten in der Natur, deren Zwecke sie sind. Auch in seiner Ethik betont Aristoteles mehr als einmal die Relativität auch der höchsten Zwecke verschiedener Gattungen: Es gibt nämlich nicht eine einzige Weisheit für das Gute ­a ller Lebewesen, sondern für jedes einzelne eine andere, wenn es nicht auch eine einzige Heilkunst für alle seienden Dinge gibt. Dass der Mensch das beste unter den übrigen Lebewesen ist, macht keinen Unterschied: Es gibt ja auch andere Wesen, die ihrer Natur nach um vieles göttlicher sind als der Mensch, wie es z. B. am offenkundigsten diejenigen sind, aus denen der Himmel besteht. (EN VI (= EE V) 7, 1141a31– b1) Wenn nun für den Menschen etwas anderes gesund und gut ist als für Fische … (EN VI (= EE V) 7, 1141a22 f.) Der Ausdruck »an die Relation zu etwas anderem gebunden« zu sein, ist daher mit Bezug auf die A-Typ-Zwecke animalischer 22  Vgl.

Ross’ Kommentar zur Stelle und EN VI 7, 1141a31– b1; vgl. MM I 1, 1182b2–5.



Anmerkungen

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Selbstbewegungen am besten in der Weise zu verstehen, dass es sich bei ihnen um Zwecke eben für bestimmte Arten oder Gattungen von Lebewesen handelt, nicht aber um Zwecke für alle anderen Arten oder Gattungen. Lust, Ehre, Gesundheit z. B. sind intrinsische Zwecke (kala) nur für solche Wesen, die Körper haben, die krank werden können, sozialen Umgang pflegen usw., aber nicht für Wesen, die keine Körper haben oder keine Körper, die krank werden können. Bei den Zwecken der animalischen Selbstbewegung handelt sich auch um Naturzwecke und damit um solche Zwecke, deren Gutsein davon abhängt, für welche Art von Wesen (Naturen) es Zwecke sind. Wenn diese bestimmten Naturen, deren A-Typ-Zwecke es sind, nicht existierten, wäre nicht zu sehen, weshalb sie gut oder wählenswert sein sollen. Was lässt sich daraus für den Zweck der ewigen Bewegung ableiten? 1.  Nicht auf variable Weise gut zu sein (ii), scheint für einen Zweck so viel zu bedeuten, wie pausenlos und unerschöpflich als motivierender Zweck attraktiv zu sein. Da die Endlichkeit der animalischen Selbstbewegung, wie wir gesehen haben, etwas mit dem Umstand zu tun hat, dass ihre A-Typ-Zwecke durch Weltzustände (B-Typ-Zwecke) realisiert werden können, die, wenn sie hervorgebracht worden sind, den Zweck für eine gewisse Zeit an Attraktivität verlieren lassen, wird die unerschöpflich motivierende Attraktivität des Zwecks der ewigen Bewegung wahrscheinlich wohl auch etwas mit deren Realisierbarkeit zu tun haben. Zwei Möglichkeiten legen sich nahe: Entweder der Zweck der ewigen Bewegung ist ad infinitum realisierbar (so dass die Bewegung ewig dauert), oder er ist nicht realisierbar (und das A-B-CSchema trifft entweder nicht darauf zu oder in signifikant anderer Weise). Nun sagt Aristoteles in der Tat an zahlreichen Stellen, dass es Zwecke gibt, die in dem Sinne nicht praktisch sind, dass sie nicht durch Handlungen (oder Bewegungen) realisiert werden können (prakton: EE I 7, 1217a30–34; I 8, 1218b4–6). Auch Metaphysik XII 7, auf das Mot. An. 6 ausdrücklich verweist (700b 7–9), spricht im Zusammenhang mit dem ersten unbewegten Beweger von Zwecken, die nicht durch Bewegungen herbeigeführt werden können (Metaph. XII 7, 1072b1 ff.; XIII 3, 1078a30–32). Wir haben also guten Grund zu der Annahme, dass Aristoteles den Zweck

122 Anmerkungen

der ewigen Himmelsbewegung als nicht realisierbar vorgestellt hat. Dabei wird er den Zweck der ewigen Bewegung vermutlich nicht deswegen als nicht realisierbar angesehen haben, weil der Zweck nie realisiert werden wird – dies hätte die unerwünschte Konsequenz, dass die ewigen Bewegungen des Himmels weniger erfolgreich wären als die der sublunaren animalischen Selbstbeweger, die ja immerhin zeitweise ihre Zwecke realisieren können. Wahrscheinlich ist vielmehr, dass er den Zweck der ersten Himmelsbewegung deswegen für nicht realisierbar angesehen hat, weil es sich bei diesem Zweck um eine bereits existierende und unveränderliche Realität handelt. Eine Passage in Aristoteles’ Meteorologie scheint dies zu bestätigen. Dort heißt es, dass die supranularen Bewegungen kein Ende (telos) dem Ort nach haben, sondern immer vollendet sind (en telei: Mete. I 2, 339 a24–26; vgl. auch Metaph. XII 8, 1072a20, wo die Naturen, die diese Bewegung vollführen, als bereits »im Besitz des besten Zwecks« bezeichnet werden 23). Die Invariabilität des ewig Guten dürfte daher nicht ohne Weiteres in die A-B-C-Struktur zu übersetzen sein. Für Aristoteles handelt es sich beim ewig Guten offenbar um einen bereits vollständig realen Zweck. Man kann daher auch nichts tun, um ihn herbeizuführen. Gleichwohl soll er aber unausgesetzte motivierende Wirkung haben. Während wir im Falle der animalischen Selbstbewegung also folgendes teleologisches Schema vorfinden: A-Typ-Zweck: intrinsisches Gut B-Typ-Zweck: ein den A-Typ-Zweck realisierender Weltzustand C : Selbstbewegung im Dienste der Hervorbringung des B-TypZwecks,

23  tou aristou tetychêkyian telous. Die Stelle in der Meteorologie könnte auch in der Weise gelesen werden, dass sie, anstatt – wie hier behauptet – die Nicht-Realisierbarkeit des ewig Guten zu bestätigen, für jeden Moment der supralunaren Bewegung die Erreichung (Realisierung) des angestrebten Zwecks behauptet. Dies widerspricht allerdings direkt der Aussage in Mete. I 2, 339 a25, dass die supralunare Bewegung kein Ende dem Orte nach hat. Außerdem würde es implizieren, dass der Zweck der supralunaren Bewegung ein prakton agathon ist.



Anmerkungen

123

scheint das teleologische Schema beim Zweck der ewigen Bewegung einfacher zu sein: A-Typ-Zweck: intrinsisches ewiges Gut C : die ewige Selbstbewegung. Da der ewige Zweck von Aristoteles als ein bereits in völliger Wirklichkeit befindlicher Zweck konzipiert ist, kann auch nichts getan werden, um einen Zustand in der Welt herbeizuführen, der ihm entspricht (ihn realisiert). Für die ewige Bewegung ist daher unklar, worin die teleologische Verbindung zwischen dem A‑TypZweck und der Selbstbewegung (C) besteht. Damit, dass der Zweck der ewigen Bewegung nicht in einem realisierbaren Gut besteht – er also nicht herbeigeführt werden kann –, ist übrigens nicht gesagt, dass die supralunaren Bewegungen nicht um dieses Zweckes willen stattfinden. Eine teleologische Beziehung zwischen der ewigen Ortsbewegung der äußersten Himmelssphäre und dem ewig und invariabel Guten ist also möglich, wenn aus der Diskussion in Mot. An. auch nicht ersichtlich wird, wie Aristoteles sich die Motivation durch den Zweck der ewigen Bewegung genau vorgestellt hat. 24 2.  Das Kriterium des Nicht-Gebundenseins an die Relation zu etwas anderem (iii) negiert die Spezies-Abhängigkeit des Gutseins des ersten unbewegten Bewegers. Das ewig Gute soll nicht deswegen gut sein, weil es irgendeine Spezies oder Gattung gibt, für die es gut ist. Die von Aristoteles intendierte Nicht-Relativität des Gutseins ist nicht zu verwechseln mit dem Nicht-Gutsein für etwas: Aristoteles möchte hier keinesfalls verneinen, dass das 24  Für die Interpretation von Metaphysik XII ergibt sich aus Mot. An. damit nur die negative Beschränkung, dass die ewige Bewegung nicht der Herbeiführung eines Weltzustandes dient, der in einer in­stru­ mentellen oder realisierenden Relation zu seinem Zweck steht. Metaph. XII 8, 1074 a19–34 scheint zu argumentieren, dass die Zwecke der supralunaren Bewegungen nicht in dem ersten unbewegten Beweger, sondern in den supralunaren Bewegern, also den göttlichen und ewigen Körpern der Gestirne (astra), bestehen. Allerdings kann es sein, dass hier vom Zweck nicht im Sinne des Worum-Willen, sondern im Sinne des Begünstigten die Rede ist.

124 Anmerkungen

ewige Gute für alles und jeden gut ist; er möchte nur verneinen, dass sein Gutsein durch die Existenz von irgendetwas bedingt ist. Auf diese Weise scheint mir auch (i) zu verstehen zu sein, dass das ewig Gute wahrhaft und primär gut ist. Damit scheint gemeint zu sein, dass das wahrhaft und primär Gute in dem Sinne gut für alles und jeden ist, ohne in seinem Gutsein durch die Existenz von irgendetwas bedingt zu sein, dessen Gut es ist. 700 b 35–701 a 2  Einordnung der animalischen Selbstbewegung in das allgemeine Schema der Bewegungsverursachung. So wie bereits vorher in An. III 10, 433b13–18 ordnet Aristoteles die Faktoren der Bewegungsgenese in sein abstraktes Bewegungsschema aus Physik VIII 5, 256b14–17 ein: (i) die Kognition eines erstrebten Gegenstandes als unbewegter Beweger, (ii) die Strebung als bewegter Beweger, (iii) das Lebewesen als Bewegtes. Soweit er den kognitiv erfassten Gegenstand der Strebung als unbewegten Beweger und die Strebung als bewegten Beweger bezeichnet, wiederholt er hier nur seinen Gedanken aus De anima, ohne irgendetwas Neues hinzuzufügen. Indem er aber auch von der unmittelbar auslösenden Ursache der Selbstbewegung – einer durch Wahrnehmung ausgelösten qualitativen Veränderung – sprechen wird, geht er einen wichtigen Schritt über die Analyse in De anima hinaus. Ab jetzt wird sich Aristoteles in die einzelnen Glieder des Dreierschemas begeben und die Details des Prozesses der Verursachung der animalischen Selbstbewegung beschreiben. 701a 2–6  »von den Bewegungsobjekten … erst an letzter Stelle im Geschehenszusammenhang steht«  Hier betont Aristoteles, dass die Selbstbewegung sich im Vorgang der Verursachung als Letztes ereignet, also am Ende einer Bewegungskette steht. Grund ist, dass der Vorgang der akteursinternen Bewegungsgenese erst durch Wahrnehmung bzw. Vorstellung ausgelöst werden muss. Dies geschieht, wie Aristoteles hier zum ersten Mal sagt, durch eine durch Wahrnehmung bzw. Vorstellung erzeugte qualitative Veränderung (alloiôsis) im Lebewesen. Diese, entweder durch Wahrnehmung, Vorstellung oder – wie es später in Kapitel 7, 701a34–36 (vgl. 701a20 f.; b16–22) heißt – Vernunft erzeugte qualitative Veränderung ist dadurch Auslöser der Selbstbewegung,



Anmerkungen

125

dass sie eine Strebung aktiviert, die einen physiologischen Prozess im Lebewesen in Gang setzt, der dann das Lebewesen als Ganzes in Bewegung setzt. Eine andere Lesart der Stelle ist, dass die Ortsbewegung sich ontogenetisch als letzte Fähigkeit im Lebe­wesen herausbildet (vgl. Phys. VIII 7, 261a14 f.). Dies scheint jedoch nur schwierig mit dem Wortlaut vereinbar und ergibt im Zusammenhang auch keinen wirklich guten Sinn: Warum sollte sich Aristoteles hier zur ontogenetischen Entwicklung der Fähigkeit zur Ortsbewegung bei den Lebewesen äußern? Bei der hier vertretenen Interpretation fügt sich der Sinn des Satzes dagegen gut in den Argumentationsgang. Mit dem Verweis darauf, dass die Selbstbewegung des Lebewesens sich als letztes Glied des gerade erwähnten Dreierschemas (700b35–701a2) ereignet, situiert Aristoteles die im Text folgende Detailanalyse der akteursinternen Bewegungsgenese in den Geschehenszusammenhang (en tois gignomenois). Im Anschluss an die Diskussion von Zweck und Endpunkt der animalischen Selbstbewegung sowie nach der Aufzählung der internen Beweger in Kapitel 6 folgt die Beschreibung dessen, was in der ersten Phase (i) des Geschehenszusammenhangs passiert. Dies ist die Kognition eines Strebegegenstands. Von der mit dieser Kognition einhergehenden qualitativen Veränderung sagt Aristoteles, dass sie die Strebung aktiviert und damit den gesamten Prozess ins Rollen bringt. Der letzte Satz von Kapitel 6 macht dies sehr deutlich. In ihm zerlegt Aristoteles den Geschehenszusammenhang noch einmal in seine Glieder, wobei er die erste Phase besonders betont. Dies ist die Auslösung der Strebung durch eine mit der Kognition vorliegende, qualitative Veränderung: Die Bewegung bzw. Fortbewegung des Lebewesens erfolgt nämlich durch Strebung oder Entschluss, und zwar dann, wenn gemäß der Wahrnehmung bzw. der Vorstellung eine qualitative Veränderung stattgefunden hat. (701a 4–6) Dabei handelt es sich – diesmal in umgekehrter Reihenfolge (iii, ii, i) – um nichts anderes als das bekannte Dreierschema aus Physik VIII und De anima III 10. Neu ist hier nur die explizite Erwähnung der mit der Kognition einhergehenden qualitativen Veränderung als des Auslösers der Strebung (vgl. auch 701b17, 22). Am

126 Anmerkungen

Ende der sich hieran anschließenden längeren Passage zum sogenannten praktischen Syllogismus in Kapitel 7, 701a33–35, wird das Dreierschema noch einmal, und zwar ebenfalls in umgekehrter Reihenfolge, aufgenommen: Auf diese Weise also drängt es die Lebewesen zum Sich-Bewegen und Handeln, da die unmittelbare Ursache des Sich-Bewegens eine Strebung ist und diese entweder durch Wahrnehmung oder durch Vorstellung und Denken zustande kommt. Dies alles legt es nahe, den nun folgenden Abschnitt zum sogenannten praktischen Syllogismus so zu verstehen, dass in ihm geschildert wird, auf welche Weise diese durch Kognition erzeugte qualitative Veränderung im Lebewesen die Strebung aktiviert und damit den Vorgang der Selbstbewegung auslöst.

Kap. 7

Zwei Vergleiche: 1. Der Vorgang der Auslösung der animalischen Selbstbewegung durch ihre unmittelbaren Ursachen ähnelt dem Ziehen einer Konklusion aus ihren Prämissen: Die Bewegung ähnelt der Konklusion, Strebung und Kognition eines erstrebten Gegenstands ähneln den Prämissen (»praktischer Syllogismus«). 2. Die sich daran anschließende Serie physiologischer Prozesse im Lebewesen ähnelt im Hinblick auf die Schnelligkeit und Reibungslosigkeit ihres Ablaufs der Funktionsweise von Figuren in Automatentheatern; im Hinblick auf die von ihr erbrachte Transformationsleistung ähnelt sie dagegen gewissen Spielzeugwagen, die aufgrund ihrer verschieden großen Räder in der Lage sind, gerade Bewegungen in Kreisbewegungen umzusetzen: Sehnen und Knochen entsprechen den Schnüren und hölzernen Teilen der Figuren in Automatentheatern, andere Körperteile entsprechen den verschieden großen Rädern der Spielzeug­ wagen. Disanalogie: Im Lebewesen können die Körperteile im Gegensatz zu den Rädern des Spielzeugwagens ihre Qualität, Größe und Gestalt ändern. Beschreibung des automatischen Ablaufs der Bewegungsgenese im Lebe­wesen (i): Wie die Kognition eines erstrebten Gegen-



Anmerkungen

127

stands durch eine geringfügige qualitative Veränderung eine akteursinterne Prozesskette in Gang setzen kann, die in der Bewegung des gesamten Lebewesens resultiert. Das siebte Kapitel zerfällt in zwei Teile. Die erste Hälfte von Kapitel 7 (701a7–36) ist die bekannteste und wohl auch umstrittenste Passage in Mot. An. Aristoteles führt hier den von der späteren Tradition so genannten »praktischen Syllogismus« ein (im Folgenden: PS). Der PS besteht in einer Analogie, welche die Verursachung der Selbstbewegung von Lebewesen mit dem psychologischen Vorgang des Ziehens einer Konklusion aus theoretischen Prämissen vergleicht, wobei der PS der Illustration der Auslösung nur der ersten Phase der Bewegungsgenese im Lebewesen durch Kognition und Strebung dient. Dies ist die Phase, in der die kognitive Seele des Lebewesens als unbewegter Beweger der Bewegungsgenese auftritt. Der zweite Teil des Kapitels (701b1–32) beschreibt dann die im unmittelbaren Anschluss an den durch den PS illustrierten Vorgang unbewusst ablaufende Kette von physiologischen Vorgängen, die zur Bewegung des Lebewesens als Ganzem führen. Dies beginnt mit thermischen Veränderungen, die mit der Strebung verbunden sind, und fährt fort mit den Kontraktions- und Expansionsbewegungen des angeborenen Pneumas und den Veränderungen des Fleisches in den Gegenden des Körpers, wo sich die Gelenke befinden. Es handelt sich dabei um die Beschreibung der Wirkungsweise des bewegten Bewegers des Gesamtprozesses der Bewegungsgenese. Als solche gehört die zweite Hälfte von Kapitel 7 ganz klar zum ersten Teil von Kapitel 8, wo es um genau dasselbe Thema geht (701b33–702a21), bevor dann in der zweiten Hälfte des achten Kapitels ein wieder anderes Thema, nämlich die Frage nach dem Sitz des mechanischen Ursprungs der Selbstbewegung des Lebewesens, aufgeworfen wird. Die Frage nach dem mechanischen Ursprung hat ihrerseits thematisch wenig mit der ersten Hälfte von Kapitel 8 zu tun. Sie gehört der Sache nach zu Kapitel 9. Die traditionelle Kapiteleinteilung ist daher irreleitend. Ich werde im folgenden Kommentar der traditionellen Kapiteleinteilung folgen, jedoch durch entsprechende Absätze usw. die thematisch verschiedenen Abschnitte deutlich voneinander abgrenzen.

128 Anmerkungen

Erste Hälfte (701a7– b1): Die Illustration des Vorgangs der ­Auslösung der Bewegungsgenese im Lebewesen durch den ­»praktischen Syllogismus« Umstritten beim PS ist vor allem die Interpretation der Beispiele. Die erste Frage ist, ob es sich beim PS um eine Darstellung spezifisch menschlichen praktischen Denkens oder um eine direkt auf Tiere und Menschen gemeinsam anwendbare Erklärungs­f igur handelt. Angesichts der ungewöhnlich reichen und auch komplexen Interpretationslage25 werde ich mich hier auf ein für das Verständnis des Argumentationsgangs von Mot. An. notwendiges Minimum beschränken. 701a7–12  Im ersten Abschnitt führt Aristoteles den PS als Antwort auf die Frage ein, wie es kommt, »dass man, wenn man denkt, einmal handelt und ein andermal nicht und sich einmal bewegt und ein andermal nicht«. Er sagt, dass sich dies in ähnlicher Weise ereignet wie beim Deduzieren, beim Ziehen der Konklusion in Gedanken, und buchstabiert die Analogie dann in folgender Weise aus: Ziehen einer theoretischen Konklusion im Geist

Praktisches Ziehen einer ­»Konklusion«

Das Denken von Prämissen, die theoretische, d. h. unbewegte Gegenstände betreffen

Zur Handlung/Bewegung f­ ührende »Prämissen«. Sie betreffen das »Gute« und das »Mögliche« (vgl. 700 a23–25)





Ergebnis: Eine theoretische ­Betrachtung (= das Denken der Konklusion)

Ergebnis: Die Handlung/ ­Bewegung des Lebewesens

25  Für eine ausführliche Interpretation vgl. Corcilius 2008b, 2008c; für eine Übersicht über die Interpretationen in der Literatur siehe Corcilius 2008d. Für weitere Interpretationen; vgl. Brüllmann/Rapp 2008.



Anmerkungen

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Sprachlich handelt es sich bei der Erläuterung der Funktionsweise des PS um eine Analogie zwischen zwei Vorgängen. Aristoteles sagt, dass sich in zwei verschiedenen Phänomenbereichen, nämlich »dort« (ekei), d. h. beim Deduzieren aus theoretischen Prämissen und beim Handeln (»hier«, entautha), etwas auf »ähnliche Weise zu ereignen scheint (paraplêsiôs symbainein)«. 26 Klar ist ferner, dass beide Vorgänge von der Art sind, dass sich etwas anderes und Neues aus gegebenen Faktoren ergibt (dies ist in obiger Graphik durch die beiden Pfeile angezeigt. »Sich ereignen« (symbainein) ist auch der Ausdruck, den Aristoteles für das SichErgeben der Konklusion aus den Prämissen verwendet; vgl. Anal. Pr. I 1, 24b18–20). Auf der einen Vergleichsseite steht der aus dem psychologischen Vorgang des Denkens der theoretischen Prämissen resultierende Vorgang des Denkens der Konklusion (»theoretische Betrachtung« und nicht etwa, wie man auch denken könnte, die Inferenz als solche27). Was steht auf der anderen Vergleichsseite? Hier scheiden sich die Geister. Sicher ist, dass Aristoteles die Handlung/Bewegung als das unmittelbare Resultat der praktischen »Prämissen« bezeichnet, ohne Zwischenschalten des Denkens einer Konklusion. Er formuliert die verbale Konklusion, die sich aus den praktischen »Prämissen« ergeben würde, nämlich gar nicht, sondern setzt gleich die Handlung/Bewegung an ihre Stelle: »hier hingegen tritt an die Stelle der Konklusion aus den beiden Prämissen die Handlung.« (ἐνταῦθα δὲ ἐκ τῶν δύο προτάσεων τὸ συμπέρασμα γίνεται ἡ πρᾶξις: a11–13). Dasselbe gilt für die 26  Vgl. auch den für eine Analogie bezeichnenden Ausdruck »sich ähnlich ereignen wie (paraplêsiôs symbainein)«, auch in An. II 2, 414a2; Div. Somn. 2, 464b8; Resp. 9, 475a11; 11, 476 a27; Gener. An. III 10, 760b21; V 3, 783a9 f. An allen diesen Stellen geht es stets um den Vergleich von Vorgängen, die verschiedenen Sachbereichen angehören und sich in vergleichbarer Weise ereignen. Für weitere Beobachtungen zu Sprache und Stil der relevanten Passage vgl. Bénatouïl 2004, 112–114 und unten, Anm. 37. 27  Damit scheiden diejenigen Interpretationen aus, die im PS eine eigene und besondere logische Form praktischer Inferenzialität angedeutet sehen (vgl. von Wright 1963 und im Anschluss daran Nussbaum 1978, 174 ff.).

130 Anmerkungen

von ihm gegebenen Beispiele: Sie formulieren gar nicht erst eine verbale Konklusion, sondern setzen eine Handlungsbeschreibung in der dritten Person unmittelbar hinter die »Prämissen«, 28 wobei die »Prämissen« typischerweise in der ersten Person formuliert sind. Wie immer der PS bei Aristoteles daher zu verstehen ist, zweierlei ist klar: Es geht darin nicht um deduktiv gültiges logisches Schließen und die Konklusion des PS muss eine Handlung/ Bewegung sein. 29 28  Die einzige scheinbare Ausnahme in Mot. An. 4, 700 a19 f. formuliert zwar den Wortlaut der Konklusion, wie sie sich aus den »Prämissen« ergeben würde (in Form einer Handlungsaufforderung), aber nur um gleich im Anschluss hinzuzufügen, dass die Konklusion eine Handlung/Bewegung ist (καὶ τὸ συμπέρασμα, τὸ ἱμάτιον ποιητέον, πρᾶξίς ἐστιν.). Siehe unten, S. 136 f. 29  Und nicht nur in der einen oder anderen Weise auf eine Handlung/Bewegung hinauslaufen (vgl. Kenny 1979, 143, der den Begriff der Handlung auf den Entschluss zur Handlung ausdehnt, und in ganz anderer Weise dann Mele 1981, 285, Fn. 6, sowie Charles 1984, 93 und Clark 2001, die noch von einem zusätzlichen Vorgangs des »Akzeptierens der Prämissen« sprechen, von dem bei Aristoteles freilich nirgends die Rede ist). Damit scheiden auch diejenigen Interpretationen aus, die den PS mit einer Handlungsaufforderung enden lassen wollen oder den PS gar als Figur zur Erklärung deliberativen Denkens auffassen. In seinen verschiedenen Diskussionen des deliberativen Denkens betont Aristoteles ausdrücklich, dass Deliberation nicht mit einer Handlung/ Bewegung endet, sondern mit einer Proposition, die eine bestimmte Handlungsweise zum Inhalt hat (vgl. EN III 5, 1112b11–28 und EE II 10, 1226b10–13, 1227a6–18). Diese kann dann zwar zum Inhalt eines Entschlusses (prohairesis) gemacht werden, muss dies aber nicht. Und auch der Entschluss, den Aristoteles aber nicht mehr als Teil der Deliberation versteht, ist nicht hinreichend für entsprechendes Handeln/ Bewegen. Dafür bedarf es zusätzlich zum Entschluss noch der Wahrnehmung eines die Realisierung des Entschlusses ermöglichenden Einzeldings hier und jetzt (EN III 5, 1112b33–1113a2). Für eine ausführliche Argumentation, warum der PS kein deliberatives Denken illustriert, siehe Corcilius (2008d und 2008b). Schwieriger zu fassen ist Anscombes bekannte Interpretation des PS (21963, §§ 33–34), die unbeschadet der Frage, ob sie auf Aristoteles zutrifft, ihre eigenen Verdienste hat. Insofern Anscombe aber ausdrücklich verneint, dass die erste Prämisse



Anmerkungen

131

Daraus ergibt sich folgende Auffassung der »Prämissen« des PS: Der PS beantwortet die Frage danach, wie es kommt, »dass

man, wenn man denkt, einmal handelt und ein andermal nicht, und sich einmal bewegt und ein andermal nicht«, indem er mit dem Zusammenkommen der beiden »Prämissen« des PS die notwendigen und hinreichenden Ursachen für das Auslösen von Episoden animalischer Selbstbewegung nennt (Handlungen bzw. Ortsbewegungen).30 Laut dem letzten Satz von Kapitel 6 sowie dem Ende der Passage zum PS in Mot. An. 7, 701a33–35 wird die animalische Selbstbewegung von durch Wahrnehmungen oder andere Kognitionen ausgelöste Strebungen in Gang gesetzt. Dieser Vorgang korrespondiert, wie oben bereits gesagt, mit der ersten Phase (i) des Dreierschemas der Bewegungsverursachung aus Physik VIII 5 und De anima III 10. In diesem Sinne illustriert der PS den auslösenden Ursprung (archê) des Prozesses der Bewegungsgenese im Lebewesen. Bei den »Prämissen« des PS handelt es sich demnach auf der einen Seite um Strebungen (»das Gute«) sowie um die Kognition von hier und jetzt vorhandenen Mitteln zur Befriedigung der Strebung (»das Mögliche«) auf der anderen Seite. Interpretiert man den PS auf diese Weise, ist es nebensächlich, ob die Akteure sich die »Prämissen« bewusst machen oder nicht oder ob die Prämissen propositional verfasst sind oder nicht. In beiden Fällen würde nämlich derselbe Mechanismus greifen. Im Fall bewusster menschlicher Handlungen werden die »Prämissen« gewiss häufig propositionale Form haben, doch den Inhalt einer Strebung formuliert (21963, 65 f. 69), und außerdem den PS mit praktischer Überlegung überhaupt, also auch mit Deliberation, nicht aber mit dem Auslösen der Bewegung/Handlung identifiziert (57– 58, 66), kann ihre Interpretation trotz ihrer anderslautenden Behauptung (60) nicht auf Aristoteles zutreffen (vgl. auch Anscombe 1965, 151, 154 f.). Hier ist kein Raum, um darauf einzugehen (vgl. Corcilius 2008c, 106–109). 30  Die Form der Frage, aus welchem Grund man mal handelt und mal nicht handelt, scheint bei Aristoteles als Frage nach den notwendigen und hinreichenden Bedingungen für das Eintreten von Bewegungsprozessen gemeint zu sein. Vgl. die analoge Formulierung im Fall unwillkürlicher Bewegungen später in Mot. An. 11, 703b36 f. (siehe unten, S. 176).

132 Anmerkungen

müssen sie dies nicht, um zur Bewegung zu führen. Die »Prämissen« können auch, wie Aristoteles ausdrücklich betont (701a25 ff.), anstatt propositionale Form anzunehmen, nur in Form von Wahrnehmungen, Vorstellungen und unausgesprochenen Strebungen vorliegen. Entscheidend ist lediglich, ob mit dem Vorliegen der »Prämissen« die notwendigen und hinreichenden Bedingungen für das Auslösen der Selbstbewegung vorliegen oder nicht. Liegen sie vor, ergibt sich die Selbstbewegung mit einer Notwendigkeit, die der Notwendigkeit vergleichbar ist, mit der das Zusammendenken von theoretischen Prämissen in dem Denken der sich aus ihnen ergebenden Konklusion resultiert. So gesehen handelt es sich beim PS um eine Analogie mit dem Ziehen einer theoretischen Konklusion im Denken, die der Illustration eines gesetzartigen kausalen Sachzusammenhangs dient. Der PS formuliert so eine Art Bewegungsgesetz für animalische Selbstbeweger: Wann immer mit den »Prämissen« des PS die Träger des aktiven und des passiven Relats der Kausalbeziehung zusammenkommen, zieht dies unweigerlich die Selbstbewegung als Effekt nach sich. Wann immer also eine Wahrnehmung, Vorstellung und/oder ein Gedanke von einem hier und jetzt vorhandenen Mittel zur Befriedigung einer akuten Strebung vorliegt, wird die im Lebewesen vorhandene Strebung in Aktivität versetzt (Stufe i) und dadurch der gesamte Prozess der Bewegungsgenese (Stufe ii und iii) in Gang gesetzt. Der PS illustriert einen allgemein auf alle Selbstbeweger zutreffenden Mechanismus der Bewegungsauslösung anhand des Beispiels der Auslösung menschlicher Handlungen. Die Gründe, aus denen Aristoteles menschliche Handlungen als Illustrationsbeispiel wählt, liegen auf der Hand. Uns ist die uns eigene Weise, Bewegungen auszulösen, am nächsten, und von daher bietet sich die Form, die der PS beim Menschen annimmt, zur Illustration auch eines allgemein zoologischen Mechanismus an. Außerdem ereignet sich der Prozess der Bewegungsgenese beim Menschen in besonders artikulierter Weise (die einzelnen Momente und Phasen lassen sich hier besonders gut unterscheiden). Auch deswegen eignet er sich besonders gut, um den weniger artikulierten, aber im Prinzip gleichartigen Vorgang bei den Tieren zu illustrieren. Aristoteles hat also handfeste epistemische Gründe, die spezi-



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fisch menschliche Weise der Auslösung der Bewegungsgenese als Beispiel zu wählen.31 Die folgende Diskussion der relevanten Passagen zum PS wird die allgemein zoologische Interpretation des PS bestätigen. Die übrige Passage zum PS lässt sich in vier Abschnitte teilen. (1) 701a13–21: Zwei Beispiele für PS: Gehen und Stehen, Hausbau, Mantel (2) 701a22–24: »Konklusion« und »Prämissen« des PS (3) 701a25–33: Nicht explizite »Prämissen« im PS (4) 701a33–36: Kognition und Strebung sind die Ursache der Selbstbewegung (1) 701a13–21. Drei Beispiele. Erstes Beispiel: Gehen und Stehen. Hier subsumiert ein Akteur im Gedanken seine eigene Person unter eine allgemeine Handlungsregel, wobei die beiden ersten »Prämissen« konträr entgegengesetzt sind und auch in einander konträr entgegengesetzten Handlungen/Bewegungen resultieren: »Er geht sofort« (a14) bzw. »Er steht sofort still« (a15).32 P 1 »Jeder Mensch soll gehen«. P 2 »Ich bin ein Mensch.« K Er geht sofort.

»Kein Mensch soll gehen.« »Ich bin ein Mensch.« Er steht sofort still.

Zweierlei fällt hier auf. Erstens folgt die Konklusion nicht deduktiv aus den »Prämissen«. Dass er geht, folgt nicht aus »Alle Menschen sollen gehen« und »Ich bin ein Mensch«. Deduktiv würde vielmehr folgen »Ich soll gehen«. Dies wäre dann eine Proposi31  Dies ist überhaupt die Methode des Aristoteles in der Zoologie; vgl. Hist. An. I 6, 491a19–23. Siehe philos. Einleitung S. CXCV. 32  Vgl. Phys. VIII 4, 255a 6–11, wo Aristoteles betont, dass die Fähigkeit zur Selbstbewegung bei den Lebewesen die Fähigkeit zu einander entgegengesetzten Bewegungen impliziert und dies anhand desselben Beispiels des Gehens bzw. Nicht-Gehens verdeutlicht (badizein / mê badizein). Ganz ähnlich heißt es auch in Platons Gorg. 468 B: »Es ist also, weil wir das Gute verfolgen, dass wir gehen, wann immer wir gehen, im Glauben, dies sei besser, als es auch umgekehrt um desselben (Guten) willen ist, dass wir stehen bleiben, wann immer wir stehen bleiben?«

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tion, die eine Handlungsaufforderung zum Inhalt hätte. Doch damit wäre die Handlung/Bewegung noch in keiner Weise gegeben. Nun sagt Aristoteles in unserem Textabschnitt aber ganze vier Mal, dass die Handlung/Bewegung die Konklusion ist (701a12, 19–20; a22–23 und auch EN VII 3, 1147a26–28). Daran zeigt sich, dass der Charakter der »Prämissen« des PS sich von den Prämissen theoretischer Deduktionen in relevanter Hinsicht unterscheidet. Aristoteles spricht hier nicht vom deduktiven Schließen propositional verfasster Konklusionen aus gegebenen Prämissen, sondern von Faktoren, die, wenn sie zusammenkommen, in Handlungen/Bewegungen resultieren (deswegen »Prämissen« und nicht Prämissen). Zweitens fällt auf, dass Aristoteles die Konklusion des PS, anders als die »Prämissen«, nicht als Inhalt des Denkens formuliert, sondern als Beschreibung der resultierenden Handlung/Bewegung in der dritten Person (»Immer wenn jemand den Gedanken gefasst hat, dass jeder Mensch gehen soll und dass er selbst ein Mensch ist, geht er sofort« und nicht »dass er geht« oder »dass er gehen soll«). Dies bestätigt, dass die Konklusion des PS die Handlung/Bewegung ist. Dies gilt für alle Beispiele, auch für das folgende, den Hausbau-PS: P 1 »Von mir hergestellt werden soll etwas Gutes.« P 2 »Gut ist ein Haus.« K Er stellt sofort ein Haus her. »Er stellt sofort ein Haus her« folgt nicht deduktiv aus den »Prämissen«. Die »Konklusion« beschreibt die resultierende Handlung/Bewegung aus der dritten Person und nicht als Inhalt eines mentalen Aktes. Dies wird hier und in den anschließenden Beispielen noch deutlicher als im ersten Beispiel (dem Gehen-PS), da sie die »Prämissen« in der ersten Person formulieren. Die logische Form des Beispiels ist hier noch prekärer als im vorherigen Beispiel: Der Satz »Von mir hergestellt werden soll etwas Gutes« müsste jedenfalls stark umformuliert werden, um als Regel gelten zu können, unter die eine bestimmte Person oder Handlungsweise subsumiert werden kann. Logisch betrachtet folgt daraus, dass ich etwas Gutes herstellen soll und ein Haus ein Gut ist, ja nicht einmal, dass ich ein Haus herstellen soll. Es sind ja vielleicht auch andere Dinge gut, die ich ebenfalls herstellen könnte. Es



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geht Aristoteles beim PS also offenbar nicht um logische Sachverhalte, sondern darum, die Struktur der Auslösung von Handlungen/Bewegungen aufzuzeigen. Den »Prämissen« kommt dabei die Funktion zu, die für das Eintreten der Handlung/Bewegung (der »Konklusion«) notwendigen und hinreichenden Bedingungen aufzuzeigen: So ausgefallen sich das Hausbau-Beispiel auch als Beispiel für eine theoretische Deduktion ausnehmen mag, es scheint doch wenigstens nicht falsch, dass, wenn ein Akteur wirklich den dringenden Wunsch hat, etwas Gutes herzustellen, und sich ihm hier und jetzt die Möglichkeit bietet, dies zu tun, indem er ein Haus baut, er dann auch tatsächlich ein Haus bauen wird. Hierbei setzt Aristoteles voraus, dass der Handelnde nicht noch überlegen muss, wie er ein Haus zu bauen hat, d. h. er setzt voraus, dass Hausbau für ihn teleologisch basal ist. Denn andernfalls würde der Hausbau ja nicht unmittelbar aus den »Prämissen« folgen. Das Gleiche lässt sich für die vorherigen Gehen-und-StehenPS sagen. Ein Mensch muss nicht überlegen, wie er gehen soll. Versteht man die »Prämissen« des PS auf diese Weise, verliert der PS seine Rätselhaftigkeit. Die Beispiele erscheinen sinnvoll und es wird verständlich, warum die »Konklusion« des PS in einer Handlung/Bewegung besteht: Die obere »Prämisse« formuliert, was der Akteur will bzw. was er erstrebt (»das Gute«), während die untere »Prämisse« für die Kognition einer konkreten, sich ihm hier und jetzt bietenden Möglichkeit steht, seine Strebung zu realisieren (das »Mögliche«). Wenn beide zusammenkommen, liegen die notwendigen und hinreichenden Bedingungen für das Auslösen der Selbstbewegung vor, die Strebung wird aktiviert und der Akteur setzt sich in Bewegung.33 33  Genau dies besagt auch die andere Schilderung der Funktionsweise des PS in der Nikomachischen Ethik: »Die eine (Art von) Meinung ist nämlich allgemein, die andere dagegen betrifft die Einzeldinge, für die bereits Wahrnehmung zuständig ist; wenn nun eine aus ihnen wird, ist notwendig, dass dort die Seele die Konklusion sagt, während sie hier bei den praktischen (Meinungen) sofort handelt: Z. B. wenn man alles Süße kosten soll und dies hier als eines von den Einzeldingen süß ist, ist notwendig, dass wer dazu fähig ist und nicht daran gehindert wird, dies gleichzeitig auch tut.« (EN VII 5, 1147a25–31)

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Der anschließende Mantel-PS gestaltet sich komplexer als die vorherigen Beispiele. Grund dafür ist, dass Aristoteles damit illustriert, wie praktisches und deliberatives Denken sich in die Handlungsgenese einbringt: P 1 »Ich brauche Bekleidung.« P 2 »Eine [geeignete] Bekleidung aber ist ein Mantel.« P 3 »Ich brauche einen Mantel.« P 3 formuliert die sich aus P 1 und P 2 ergebende Konklusion. In diesem Fall haben wir es nicht mit einer praktischen »Konklusion« im Sinne des PS zu tun, da »Ich brauche einen Mantel« eher eine Handlungsaufforderung und jedenfalls keine Handlung/Bewegung zu sein scheint. Es handelt sich daher nicht um einen PS wie in den vorherigen Beispielen, sondern lediglich um eine Serie praktischer »Prämissen« ohne »Konklusion«. Interessant dabei ist, dass, obwohl P 1, so wie die anderen oberen »Prämissen« auch, den Inhalt einer Strebung formuliert, P 2 den noch vagen Gehalt der Strebung spezifiziert, so dass P 3 dann den dergestalt spezifizierten Strebegehalt zum Inhalt hat. Dies macht die Serie P 1–P 3 zu einem Stück praktischen Denkens, in dem ein Akteur im Gedanken seinen Handlungszweck spezifiziert. Das zeigt sich auch an der anschließenden Erweiterung des Gedankengangs in P 4 und P 5, die auch für sich genommen, ohne P 1 und P 2, als »Prämissen« eines PS fungieren könnten: P 4 »Es soll das hergestellt werden, was ich brauche.« P 5 »Ich brauche aber einen Mantel.« K »Er stellt einen Mantel her.« P 5 nimmt das Resultat der obigen Spezifizierung des Handlungszwecks in P 3 wieder auf, resultiert aber, im Gegensatz zu P 1, P 2 und P 3 und zusammen mit P 4, so wie die vorherigen Beispiele in einer Handlung/Bewegung. Aristoteles sagt dies direkt im Anschluss auch ausdrücklich: »Und die Konklusion ›Es soll ein Mantel hergestellt werden‹ ist eine Handlung.« (a19) Dies ist das einzige Mal, dass Aristoteles die Konklusion, so wie sie sich aus dem propositionalen Gehalt der »Prämissen« P 4 und P 5 ergeben würde, ausformuliert (anstatt, wie sonst immer, eine Handlungs-/Bewegungsbeschreibung in der dritten Person



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an deren Stelle zu setzen). Er tut dies aber nur, um erneut zu unterstreichen, dass es sich bei dieser »Konklusion« des PS nicht um eine Konklusion, sondern um eine Handlung/Bewegung handelt. Dies ist ein besonders eindeutiger Hinweis, dass Aristoteles die »Konklusion« des PS im wörtlichen Sinn als Handlung/Bewegung versteht.34 Als nächstes schildert Aristoteles ausgehend von P 5 (nicht von der «Konklusion«), wie deliberatives Denken sich in den Prozess der Bewegungsgenese einbringt: »Doch man handelt vom Ursprung aus: ›Wenn es einen Mantel geben soll, so ist erst noch dieses notwendig, wenn aber dieses, dann dieses. Und das Letztgenannte tut man sofort« (701a20–22). Logisch betrachtet, hat dieser kurze Gedankengang die Struktur der hypothetischen Notwendigkeit, wie sie für deliberatives Denken typisch ist: Ich will X; um X zu erlangen, ist Y notwendig; also will ich Y.35 Deliberatives Denken hat den in P 1 gegebenen Strebegehalt zur Voraussetzung und spezifiziert ihn durch Zweck/Mittel-Kalküle per hypothetischer Notwendigkeit (vgl. An. III 10, 433a16 f.: «denn das, worauf 34  Einigen

Interpreten gilt dies allerdings umgekehrt als Beleg für die These, dass Aristoteles den PS als propositional verfasstes praktisches Denken auffasst. Um dann die Stellen erklären zu können, an denen Aristoteles die Bewegung/Handlung an die Stelle der Konklusion setzt, nehmen diese Interpreten zusätzlich noch an, dass die in der Konklusion enthaltene Handlungsbeschreibung in gewisser Weise identisch mit der physisch ausgeführten Handlung ist (Kenny 1979, Charles 1984, Clark 2001). Diese, den PS stark intellektualisierende Interpretation hat den Nachteil, dass der PS dann nicht mehr ohne außertextliche Zusatz­ annahmen erklären kann, wieso die Handlung/Bewegung resultieren soll. Wenn der PS propositional verfasst ist, fällt das, worum es in Mot. An. ja doch eigentlich gehen sollte – die Erklärung des Zustandekommens der Bewegung/Handlung – unter den Tisch. Aus Propositionen allein ergibt sich in Aristoteles’ Physik keine Bewegung (siehe philos. Einleitung S. CLXXXVII ff.). Als Erklärungsfigur für die Selbstbewegung der Lebewesen wäre der PS dann nicht mehr zu gebrauchen. 35  Hier zwei Beispiele für deliberatives Denken aus Aristoteles’ ethischen Schriften: »Da das Gesund-Sein dies ist, ist notwendig dies hier das, was dafür zuträglich ist« (EE I 7, 1218b19 f.). »Da dies hier gesund werden soll, ist es notwendig, dass das hier vorliegt« (EE II 11, 1227b30 f.).

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sich die Strebung bezieht, dies ist Ursprung der handelnden Vernunft«, praktikos nous). Der Deliberationsvorgang ist also in die beiden »Prämissen« des PS eingebettet, d. h. er beginnt mit Ausgang von dem Strebegehalt (P 1) und nach dem Ende der Deliberation folgt die Handlung/Bewegung auf die Kognition einer unmittelbar vorhandenen Möglichkeit zur Realisierung der Strebung (also einem Gegenstand hier und jetzt, der der Beschreibung in P 5 entspricht). Das Mantel-Beispiel ist daher nichts weiter als ein durch die Spezifizierung von Handlungszweck sowie durch ein Zweck-Mittel-Kalkül erweiterter PS, der ansonsten von genau der gleichen Sorte ist wie die vorherigen Beispiele. Wichtig ist, dass auch beim erweiterten PS die Verursachung der Selbstbewegung nach dem gleichen Schema vonstatten geht wie vorher: Strebung und Kognition eines hier und jetzt vorhandenen Gegenstandes, der der Strebung entspricht (vgl. 701a 4–6, 33–35). (2) 701 a 22–24  Die »Konklusion« und die »Prämissen« des PS. Aristoteles betont hier noch einmal, dass im PS die Handlung/Bewegung an die Stelle der Konklusion tritt. Die Formulierung, dass die Prämissen, die zum Herstellen oder Handeln führen »vermittels eines Paars von Wegen« entstehen, unterstreicht, dass im Lebewesen immer beide, Strebegehalt (»das Gute«) und Kognition einer hier und jetzt vorhandenen Möglichkeit zur Realisierung eben dieser Strebung (»das Mögliche«), vorliegen müssen, damit es zur Selbstbewegung kommt. Der neu hergestellte Text mit seiner bei Aristoteles seltenen Verwendung des Dualis (διὰ δυεῖν ὁδῶν) bringt diesen Gedanken gegenüber der bisher bekannten Lesart (»durch zwei Arten«: δύο εἰδῶν) deutlich zum Ausdruck (siehe Apparatus plenior, S. 54 zu 701a24). (3) 701a25–33  Nicht explizite »Prämissen« im PS. Hier wird gesagt, dass das Vorliegen einer Strebung und einer Wahrnehmung allein hinreichend für die Bewegung ist. Die »Prämissen« des PS müssen also nicht explizit im Geiste formuliert werden, um zur Handlung/ Bewegung zu führen. Das kann sowohl die »Prämisse« des Guten (des Strebegehalts) als auch die »Prämisse« des Möglichen, aber auch beide »Prämissen« betreffen. Aristoteles illustriert dies am Beispiel des Gehens. Wenn klar ist, dass man selbst ein Mensch ist,



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muss man sich dies nicht noch extra vergegenwärtigen. Um sich in Bewegung zu setzen, reicht es, dass das Gehen als Gut empfunden wird. Die Vergegenwärtigung der »Prämissen« im Geiste ist also kein notwendiger Bestandteil des PS. Sie sind auch dort am Werke, wo keine Überlegung stattfindet. Die Tatsache, dass Aristoteles hier noch einmal sein erstes Beispiel (das Gehen) wählt, um den Sachverhalt zu illustrieren, dass der PS auch ganz ohne Überlegung stattfinden kann, zeigt sehr deutlich, dass auch das Gehen-Beispiel des PS ohne Überlegung stattfinden könnte. Die »Prämissen« des PS sind also auch dort wirksam, wo gar keine Überlegung stattfindet. Genauso verhält es sich auch bei dem Weglassen von Prämissen in dialektischen Disputen. In solchen Fällen wird ja nur nicht eigens ausgesprochen, was kontextuell ohnehin klar ist, ohne dass dies bedeuten würde, dass man die Konklusion aus nur einer Prämisse erschließen könnte. Im Gegenteil: Auch bei dialektischen Disputen werden die Konklusionen immer aus mindestens zwei Prämissen gewonnen, und zwar auch dann, wenn eine davon nicht formuliert wird. Die Diskutanten dialektischer Dispute verzichten nicht auf Prämissen ihrer Syllogismen; sie verzichten nur darauf, alle Prämissen explizit zu nennen, und das auch nur, sofern allen Beteiligten klar ist, um was es geht. Denn dann ist es nicht mehr nötig, sie noch ausdrücklich zu nennen (vgl. Anal. Post. I 10, 76b16–22). Schließlich gibt Aristoteles noch ein Beispiel eines PS ganz ohne Überlegung, wobei er einige der in Kapitel 6 aufgezählten internen »Beweger« als Autoren/Sprecher der »Prämissen« auftreten lässt: P 1 »Ich muss trinken.« (sagt die Begierde) P 2 »Dies hier ist trinkbar.« (sagt die Wahrnehmung, die Vorstellung oder Vernunft) K Sofort trinkt man. Der PS ist also auch dort am Werke, wo gar keine Überlegung stattfindet, sondern lediglich eine elementare Begierde (eine Strebung) und irgendeine der Formen der Kognition vorliegen. Der PS kann also kognitiv sehr reich sein und alle möglichen Denk­ operationen sowohl auf dem Niveau der »Prämissen« als auch auf dem Niveau der Spezifizierung von Strebezwecken und ZweckMittel-Kalkülen involvieren. Doch er muss dies nicht. Gleichwohl handelt es sich in beiden Fällen um dieselbe Erklärungsfigur.

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(4) 701a33–36  Kognition und Strebung sind die Ursache der Selbstbewegung. Dieser Abschnitt fasst den gesamten Abschnitt zum PS noch einmal zusammen. Die Lebewesen, unabhängig davon, ob sie sich mit oder ohne Überlegung bewegen, setzen sich alle durch Kognition und Strebung in Bewegung, wobei die Kognition die Strebung in Aktivität versetzt und so den Vorgang der Bewegungsgenese auslöst (vgl. 701a 4–6). Aristoteles zeigt sich hier noch einmal bemüht, die allgemeine zoologische Geltung seiner gerade gegebenen Erklärung herauszustellen, indem er die auf unterschiedliche Lebewesen verteilten Arten der Kognition (Wahrnehmung oder Vorstellung und Denken) und der Strebung (Begierde, Mut und Wunsch bzw. Entschluss) noch einmal vollständig aufzählt. Auf welche Weise die verschiedenen Arten der Strebung durch die Arten der Kognition aktiviert werden, wurde durch den PS erklärt: Wann immer im Lebewesen eine hinreichend starke Strebung nach einem bewegungsrelevanten Gegenstand vorhanden ist (ein praktisches Gut im Sinne eines möglichen Zweckes von Handlungen/Bewegungen; vgl. Mot. An. 6, 700 b24 f.), wird das kognitive Erfassen einer Gelegenheit, den Strebegehalt hier und jetzt zu erlangen, die Strebung aktivieren und so den Prozess der Bewegungsgenese in Gang setzen. 701a36 f.  »Und von den Wesen, die danach streben, etwas zu tun … (ὀρεγομένων πράττειν)«  Es fragt sich, ob der überlieferte Text hier einen guten Sinn ergibt. Vorher war an keiner Stelle davon die Rede, dass die Lebewesen bzw. menschlichen Akteure nach Handlungen streben. Zwar sind einige Formulierungen der »Prämissen des Guten« im PS, nämlich diejenigen, die den Strebegehalt zum Inhalt haben, als Handlungsbeschreibungen formuliert (»Ich muss trinken«, »Von mir hergestellt werden soll etwas Gutes.« usw.), doch dürfte dies kaum dafür hinreichen, Aristoteles die Ansicht zuzuschreiben, dass Strebungen sich auf Handlungsweisen anstatt auf Objekte richten. Handlungen/Bewegungen dürften sich für ihn schon aus dem Grund nicht als Strebeobjekte eignen, weil Strebungen sich für Aristoteles ja stets auf Zwecke bzw. Bezwecktes richten sollen, Handlungen oder Bewegungen aber nie Zwecke, sondern lediglich produktive Akte für die Herbeiführung von Zwecken sind. Außerdem findet sich im aristotelischen Sprach­



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gebrauch kein Beispiel für die Konstruktion von Verben des Strebens mit einfachen Infinitiven als deren Objekte. Wenn sich Infinitive in der Spezifikation von Strebegehalten finden, so stehen diese stets mit dem Artikel (etwa »Alle Menschen streben von Natur nach dem Wissen«, tou eidenai, Metaph. I 1, 980a21, wenn wir auch »streben von Natur nach Wissen« übersetzen). Auch bei Platon findet sich kein einfacher Infinitiv nach einem Verbum des Strebens, bis auf zwei Ausnahmen, in denen der Ausdruck dann aber zu einer abhängigen infinitiven Satzkonstruktion erweitert ist (Phd. 75 A: oregetai panta tauta einai; Prot. 326 A: oregêtai toioiutos genesthai). Ein im einfachen Infinitiv ausgedrückter Strebegehalt findet sich somit weder bei Platon noch bei Aristoteles. Da der Ausdruck »streben danach zu handeln (oregomenôn prattein)« daher inhaltlich anstößig und sprachlich ohne Parallele ist, scheint mir das prattein verdächtig, ein fremder Zusatz zu sein (vielleicht eine Glosse, welche das »prattein« in a34 aufnehmen soll). 701b1  »aufgrund von Entschluss …«  Hier liest der neue Text (mit der β-Überlieferung) »aufgrund von Entschluss« (dia prohairesin). Die vorherigen, auf der α-Überlieferung basierenden Ausgaben bringen »aufgrund von Strebung« (di’ orexin). Das Problem mit der α-Lesart ist, dass Aristoteles in ihr den Begriff »Strebung« dann sowohl im Sinne des Gattungsbegriffs (in a36: oregomenôn) als auch im Sinne einer Spezies der Strebung verwenden würde. Der neue Text bringt dagegen eine erschöpfende Einteilung aller Arten des Strebens, die für die animalische Selbstbewegung in Frage kommen, nämlich die drei Arten der Strebung (»Begierde«, »Mut« und »Wunsch«) und den Entschluss (prohairesis), der eine Kombination aus Strebung und praktischer Überlegung darstellt (dianoia; vgl. oben 6, 700b23). Mit der offensichtlich überlegenen β-Lesart erledigen sich gleichzeitig die Verbesserungsversuche früherer Herausgeber und Kommentatoren (vgl. die Diskussion in der philologischen Einleitung 4.3, S. CI ff.). Schlussbetrachtung PS. Die obige Analyse zeigt, dass der PS eine Erklärungsfigur ist, die die notwendigen und hinreichenden Bedingungen für die Auslösung der akteursinternen Genese von Handlungen und damit gleichzeitig von animalischen Selbstbewe-

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gungen nennt. Er illustriert damit die erste Phase (i) des Dreier­ schemas der Verursachung der animalischen Selbstbewegung (Mot. An. 6, 700b35–701a1; An. III 10, 433b13–18; vgl. Phys. VIII 5, 256b14–17): Wann immer im Lebewesen eine hinreichend starke Strebung nach einem bewegungsrelevanten Gegenstand vorhanden ist, wird seine Wahrnehmung von einem Gegenstand, der eine Gelegenheit darstellt, den Strebegehalt hier und jetzt zu erlangen, seine Strebung in Aktivität versetzen. Die Strebung setzt dann als bewegter Beweger die Bewegung des Körpers in Gang. Was sagt uns das über den PS als Erklärungsfigur? Aristoteles hat die Analogie zum Ziehen einer Konklusion aus theoretischen Prämissen im Denken wohl deswegen gewählt, um mithilfe der Notwendigkeit, mit der sich das Denken der Konklusion aus dem Denken der Prämissen ergibt, die kausale Notwendigkeit zu illustrieren, mit der sich die Handlung/Selbstbewegung aus ihren unmittelbaren Ursachen ergibt (eschatê aitia, Mot. An. 7, 701a35).36 Mit dem PS liefert Aristoteles daher so etwas wie ein Bewegungs- oder Handlungsgesetz der Lebewesen, indem er zeigt, wie dann, wenn das aktive und das passive Relat für die Auslösung der animalischen Selbstbewegung in Kontakt miteinander kommen, die Selbstbewegung/Handlung notwendig eintritt (ceteris paribus, d. h. wenn kein externer Hinderungsgrund auftritt). Damit ist, wie die Beispiele zeigen, keineswegs ausgeschlossen, sondern sogar ausdrücklich mit vorgesehen, dass vernünftige Überlegung in den PS einfließen kann. Aristoteles betont mehrfach, dass alle kognitiven Vermögen sich an der Formung der »Prämissen« des PS beteiligen können (Wahrnehmung, Vorstellung und Vernunft). Aus methodologischer Perspektive liest sich der PS wie eine direkte Anwendung des allgemeinen Schemas zur Erklärung des notwendigen Eintretens von Prozessen, das Aristoteles in Metaphysik IX 5, 1048a8–16 einführt (vgl. auch die Diskussion in der 36  In der Stelle zum PS in der Nikomachischen Ethik heißt es ausdrücklich, dass die Handlung sich notwendig aus den »praktischen Meinungen« ergibt (EN VII 3, 1147a25–31; vgl. auch Mot. An. 7, 701b33– 702a21). Erwähnt wird diese Art der Notwendigkeit in Phys. II 7, 198b5 f. In welchem Sinne es sich für Aristoteles dabei um eine Notwendigkeit handelt, wird diskutiert von Striker 1985 (vgl. Cooper 1987, 259 f.).



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philos. Einleitung, S. CLXXXIX ff.). Dort heißt es, dass dann, wenn eine Strebung vorliegt und ein der Strebung entsprechender Gegenstand sich nähert (plêsiazei), die Handlung (poiein) notwendig eintritt. Grund ist, dass dann der aktive und der passive Teil der Veränderungsbeziehung vorliegen, deren Zusammenwirken die Bewegung/den Prozess konstituiert (Metaph. IX 5, 1048a5 f. und a11–16; vgl. Phys. III 1–3). Dies entspricht den beiden »Prämissen« des PS, der »Prämisse« des Guten (Strebung) und der des Möglichen (eines der Strebung entsprechenden Gegenstandes hier und jetzt). Auch der Ausdruck (»Und beides führt man aus, wenn nicht irgendetwas an der Bewegung hindert oder zwingt«, in 701a15 f.) deutet auf das notwendige Eintreten eines Prozesses als unmittelbare Folge aus dem Vorliegen der notwendigen und hinreichenden Bedingungen seiner Auslösung. Der Ausdruck »wenn nichts hindert« begegnet uns nämlich auch in Metaphysik IX 5, 1048a16–21, wo Aristoteles, wie gesagt, die notwendigen und hinreichenden Bedingungen für das Auslösen von Bewegungsvorkommnissen diskutiert und mit diesem Ausdruck so etwas wie eine Ceteris-paribus-Klausel formuliert. Was der Ausdruck besagt, ist, dass die Bewegung notwendig eintritt, sofern nicht ein dem Vorgang externer Hinderungsgrund auftritt. Auch der in Mot. An. auffällig häufig verwendete Ausdruck »sofort«, der zur Bezeichnung des unmittelbaren Eintretens der Bewegung dient (Mot. An. 4, 700 a14, a15, a22; 5, a30, a33), wird von Aristoteles an anderen Stellen seiner Naturphilosophie zu eben dem Zweck verwendet, das unmittelbare Eintreten eines Effekts aus seinen hinreichenden Bedingungen zu bezeichnen. Es handelt sich bei dieser Verwendung um einen terminus technicus, den Aristoteles regelmäßig im Kontext von Erklärungen von Bewegungsprozessen verwendet (vgl. auch später in Mot. An. 8, 702a10–21).37 Dies alles spricht stark dafür, dass der PS primär der Illustration eines bewegungskausalen Sachverhalts dient. 37  Vgl. Bonitz, Index Aristotelicus s. v. εὐθύς, der auf die mit εὐθύς bezeichnete Unmittelbarkeit hinweist: »inde εὐθύς etiam non addito v φύσει translatum a temporali ratione ad causalem usurpatur […] ad significandum id quod ὑπάρχει suapte natura, non intercedente alia causa.«

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Zweite Hälfte (701b1–32). Bewegte Beweger: Der automatische Ablauf der zur Bewegung führenden Ereigniskette im Lebewesen (i) Dieser Abschnitt beschreibt die akteursinterne und automatisch ablaufende Prozesskette, die mit dem Vorliegen des durch den PS illustrierten Vorgangs in Gang gesetzt wird. Der Sache nach endet der Abschnitt in der Hälfte des achten Kapitels in 702a21. 700 b1–10  Zwei Analogien: Automatentheater und Spiel­zeugwagen. Aristoteles führt mithilfe zweier Analogien modellhaft die für die folgende Beschreibung der im Lebewesen ablaufenden Prozesse tragenden Gedanken ein. Dabei scheint es ihm vor allem auf drei Punkte anzukommen. Er möchte zeigen, dass der Prozess der Bewegungsgenese (1) in einer Art Kettenreaktion abläuft, (2) ein verhältnismäßig kleiner Input (eine Wahrnehmung) aufgrund der Komplexität des animalischen Bewegungsapparats zu einer großen, und vor allem qualitativ andersartigen Wirkung (die Bewegung des Lebewesens) führen kann und (3) der ganze Prozess gleichwohl sehr schnell abläuft. Diese drei Punkte hängen miteinander zusammen. Die Analogie mit den Automatentheatern führt den Gedanken der Kettenreaktion ein und illustriert, wie Bewegungsvorgänge schnell und, gemessen am Input, zu erstaunlich großen Effekten führen können: Obwohl am Anfang nur eine kleine Schnur gelöst wird, steht am Ende doch eine lebendige Szene von bewegten und miteinander interagierenden Figuren. Eben diese sowohl quantitative als auch qualitative Andersartigkeit von Input und Output scheint das Erstaunliche an den automatischen Figurentheatern zu sein, von denen Aristoteles hier spricht. Zu Art und Funktionsweise der automatischen Miniaturtheater sowie zu dem an dieser Stelle auf Basis der β-Überlieferung emendierten Text siehe die ausführliche Diskussion in der philologischen Einleitung 4.4, S. CX ff. Außerdem fügt die Analogie mit den automatischen Figuren­ theatern noch den weiteren, für das Gesamtbild wichtigen Gedanken der Freisetzung von vorher akkumulierter Bewegungskraft ein (die aufgezogenen Schnüre werden aus ihrer Arretierung gelöst und spulen die bei ihrem Aufziehen akkumulierte



Anmerkungen

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Kraft ab).38 Die Bewegungsapparate von Lebewesen, so Aristoteles, sind im Grunde ganz ähnlich aufgebaut wie die Automatentheater. Auch bei den Lebewesen haben wir es mit komplexen Systemen zu tun, die Bewegungsenergie so wie die aufgezogenen Schnüre akkumulieren und durch einen geringfügigen Anlass – die Wahrnehmung/Kognition eines bewegungsrelevanten Gegenstandes – zur Selbstbewegung und damit zu einem gemessen am Input erstaunlich großen und auch andersartigen Effekt führen. Die zweite Analogie mit den Spielwägelchen betont noch einmal ausdrücklich den Gedanken der Transformation von Bewe­g ungsenergie von einem Bewegungstyp in einen anderen: Aufgrund der besonderen Beschaffenheit der Räder resultiert die Geradeausbewegung des Fahrers in einer ganz anderen, nämlich der Kreisbewegung. 701b10–16  Disanalogien. Nach der Einführung der beiden Analogien zeigt Aristoteles sich bemüht, herauszustellen, in welcher Weise sich der Vorgang der Bewegungsgenese bei den Lebewesen von den Automaten und dem Spielwägelchen unterscheidet. Bei dem Vorgang der Bewegungsübertragung in den Lebewesen handelt es sich um einen wesentlich komplexeren und auch dynamischeren Vorgang. Während die Automaten und das Wägelchen nämlich immer nur dieselben (mechanischen) Bewegungen ausführen können (so wird selbst dann, wenn man die Räder der Wägel­chen durch kleinere Räder ersetzt, immer eine Kreisbewegung stattfinden39), finden im Lebewesen auch qualitative Veränderungen und sogar ein Wechsel in der Gestalt der am Zustandekommen der Bewegung beteiligten Körperteile statt (b13–16). Mit dem Wechsel der Gestalt spricht Aristoteles die Eigenschaft des angeborenen Pneumas an, infolge von thermischen Veränderungen durch Kontraktion und Expansion sein Volumen zu ändern. Dies stellt eine andere Qualität in der Bewegungsübertragung dar: Die im Lebewesen ablaufenden Prozesse beinhalten auch die qualitative Transformation verschiedener Typen von Verän38 Zur Analogie auf Grundlage des alten Textes vgl. Bénatouïl (2004), 104 f. sowie De Groot (2014), Kapitel 5. 39  Den Fall gleich großer Räder diskutiert Aristoteles nicht.

146 Anmerkungen

derung. Qualitative Veränderungen können in thermischen Veränderungen und thermische Veränderungen können in mechanischen Veränderungen und Bewegungen resultieren (Kontraktionen und ­Expansionen des, wie wir in 701b15 lesen, angeborenen Pneumas). Zum Pneuma siehe unten, S. 163 ff. 701b16–24  Beschreibung des automatischen Ablaufs der Bewegungsgenese im Lebewesen. Auslöser der akteursinternen, automatisch ablaufenden Bewegungskette sind die qualitativen Veränderungen, die mit den Wahrnehmungen, Vorstellungen und Gedanken von erstrebten Gegenständen im Lebewesen gegeben sind. Aristoteles wählt hier die prägnante Ausdrucksweise »mit den Wahrnehmungen liegen nämlich sofort gewisse qualitative Veränderungen vor« (b17). Das »sofort« (euthys) zeigt an, dass es nicht noch ein vermittelndes Glied zwischen den qualitativen Veränderungen in den Lebewesen und den externen Dingen (pragma: b19, 21) gibt (vgl. oben Anm. 37). Dies lässt sich in folgender Weise verstehen: Wahrnehmung ist definiert als die Aufnahme der wahrnehmbaren Formen externer Gegenstände im Lebewesen ohne deren Materie (An. II 12, 424a18 ff.; vgl. III 8). Wahrnehmbare Formen bestehen ihrerseits in Qualitäten wie etwa Farben, Töne usw. sowie deren Gestalt, Anzahl, Bewegung etc. (An. II 6; III 1, 425a14 ff.). Dadurch, dass laut Definition der Wahrnehmung die wahrgenommenen Formen externer Dinge ohne deren Materie im Organismus aufgenommen werden und es sich bei wahrnehmbaren Formen um Qualitäten handelt, werden die Lebewesen von den externen Gegenständen ihrer Wahrnehmung in qualitativer Weise affiziert. Solche Affizierungen sind konstituierender Teil der Aufnahme wahrnehmbarer Formen im Lebewesen (vgl. unten am Beginn von Kap. 8, 701b33–37). Es liegen daher gleichzeitig mit der Wahrnehmung externer Dinge qualitative Veränderungen im Lebewesen vor. Diese qualitativen Veränderungen verfügen je nach Zustand des wahrnehmenden Lebewesens kausal über unterschiedliche Potentiale, Effekte im Körper des Lebewesens hervorzubringen. Die von Aristoteles im Text gegebenen Beispiele für solche Effekte sind »Schauder« und »Furcht«. Beim Schaudern bzw. Zittern (phrittousin: »sie erschrecken« bzw. »zittern«) handelt es sich um eine Äußerungsform der



Anmerkungen

147

Furcht. Solche und ähnliche affektiv-körperlichen Reaktionen werden durch die qualitativen Veränderungen ausgelöst, die mit der Wahrnehmung entsprechender Gegenstände des Strebens gegeben sind (z. B. durch furchtbare Gegenstände). Es sind affektive Zustände (Emotionen), die in der einen oder anderen Weise Lust und/oder Leid und damit gleichzeitig die damit einhergehenden Strebungen und thermischen Veränderungen involvieren (vgl. zur Furcht Rhet. II 5, 1382a21 ff.; für weitere Stellen, Bonitz Ind. Ar. s. v.). Furcht und Schauder sind hier Beispiele für solche Affektionen (pathê) und qualitativen Veränderungen (alloiôseis). Nun werden die qualitativen Veränderungen, die diese Reaktionen im Lebewesen auslösen, im Falle der Wahrnehmung durch die unmittelbare Präsenz externer Gegenstände bewirkt (Wahrnehmung ist die Präsenz der wahrnehmbaren Form eines externen Gegenstands im Lebewesen). Bei den Vorstellungen und den Gedanken ist die Wirkung der externen Gegenstände dagegen indirekt. Sie basieren auf der Fähigkeit der Lebewesen, einmal erworbene Vorstellungsgehalte (phantasmata) wieder hervorzuholen. In solchen Fällen können die Vorstellungsgehalte als kausale Stellvertreter der externen Dinge fungieren und gleichsam für sie einspringen. Sie bewahren die kausalen Eigenschaften der sie ursprünglich hervorgebracht habenden Wahrnehmungsepisoden und haben so »die Kraft der realen Dinge« (b18; zur kausalen Stellvertreterrolle der Vorstellung, siehe oben philos. Einleitung, S. CCXXI f.). An die durch Wahrnehmung, Vorstellung oder Denken ausgelösten qualitativen Veränderungen im Lebewesen (Affektionen, Strebungen, thermische Veränderungen) schließt sich die quantitative Veränderung des Volumens bestimmter Körperteile an (b24). Damit sind die Kontraktionen und Expansionen des sogenannten angeborenen Pneumas (symphyton pneuma) gemeint. Zusammen mit der kurz vorher gemachten Aussage zur Volumenveränderung der Körperteile im Lebewesen in 701b13–16 beschreibt die Passage bis 700b24 die akteursinterne Bewegungs­ genese als eine Serie von Veränderungen, die teils unterschiedlichen Veränderungstypen angehören. Sie verläuft entlang folgender drei Etappen (der Pfeil → zeigt die effiziente Verursachungsbeziehung an):

148 Anmerkungen

(i) Durch Wahrnehmung/Vorstellung/Denken gegebene Affizierung durch eine wahrnehmbare Qualität → (ii) qualitative Veränderung in Form von thermischer Veränderung (Lust, Leid, Strebungen, Emotionen und Affekte, Hitze und Abkühlung = »Affizierung«, pathê) → (iii) quantitative Veränderungen im Volumen des angeborenen Pneumas. Der Schluss des Kapitels macht deutlich, dass Aristoteles noch immer damit beschäftigt ist, den Leser/Hörer mit dem Gedanken vertraut zu machen, dass aufgrund der Komplexität des Be­ wegungsapparats der Lebewesen aus einer kleinen Ursache ein erstaunlich großer und andersartiger Effekt entstehen kann (701b24–32). Eine weitere Schilderung des Ablaufs der ak­teursinternen Bewegungsgenese folgt im anschließenden Abschnitt.

Kap. 8

(erste Hälfte) Akteursinterne Prozesskette der animalischen Selbstbewegung (ii): Ausgangspunkt der Bewegungsgenese ist die Kognition eines erstrebten Gegenstands. Die mit der Kognition vorliegende qualitative Veränderung im Lebewesen verursacht thermische Veränderungen (bei geringfügigen Gegenständen in unmerklicher Weise). Diese führen ihrerseits zu Veränderungen in den Zuständen der für die Selbstbewegung zuständigen inneren Körperteile. Da die Glieder der akteursinternen Prozesskette von Natur aufeinander ausgerichtet sind, geht der Prozess unmerklich (automatisch) und schnell vonstatten.

Kapitel 8 besteht aus zwei Teilen, die entgegen der traditionellen Kapiteleinteilung strikt voneinander zu trennen sind. Die erste Hälfte (701b33–702a20) steht in direkter Kontinuität mit Kapitel 7 und schließt die dort begonnene Diskussion der akteursinternen Bewegungsgenese ab; die zweite Hälfte beginnt eine davon völlig unabhängige Diskussion des internen Stützpunktes im Lebe­ wesen, die erst mit dem Ende des neunten Kapitels abschließen wird.



Anmerkungen

149

Erste Hälfte (701b33– 702a 21). Der automatische Ablauf der zur Bewegung führenden Ereigniskette im Lebewesen (ii) 701b33–702a7  Die Schilderung der akteursinternen Bewegungsgenese beginnt mit dem Ursprung der Bewegung: Dem durch eine Kognition hergestellten strebenden Bezug zu einem geeigneten Gegenstand (vgl. den PS sowie Kapitel 6, 700b23 f., 701a 4–6 und Kapitel 7, 701a34–36). Aristoteles sagt, dass sich die Effekte der Kognition solcher Gegenstände im Körper des Lebewesens mit Notwendigkeit einstellen (ex anankês). Dies beginnt mit der Lust bzw. dem Schmerz, die die Lebewesen anlässlich ihrer Kognitionen empfinden, und den damit verbundenen Strebereaktionen (Verfolgen oder Meiden). Die Behauptung ist, dass, obwohl alle Wahrnehmungen aus Notwendigkeit mit Lust oder Schmerz und von daher auch mit Meiden oder Verfolgen verbunden sind, dies bei geringfügigen Gegenständen unserer Aufmerksamkeit entgeht. Bei Lust und Schmerzempfindungen soll es also gewisse Schwellenwerte geben: Damit wir Lust und Schmerz, die wir notwendigerweise über alle Gegenstände unserer Kognition empfinden, auch bemerken, müssen die Empfindungen mehr als nur geringfügig lust- oder schmerzvoll sein. Aristoteles’ motivationaler Hedonismus. Aufgrund seiner Definition der Strebung als direkt aus Lust- bzw. Leidempfindung hervorgehende thermische Reaktion des Lebewesens in An. III 7, 431a8–14 (siehe philos. Einleitung, S. CCII ff.) verpflichtet Aristo­ teles sich auf die These, dass alles, was lustvoll ist, automatisch von uns erstrebt, und alles das, was schmerzvoll ist, automatisch von uns gemieden wird und also alle Gegenstände der Strebung immer auch Quellen von Lust oder Schmerz (bzw. Leid) sind. Man sollte diese These hier aber nicht in dem Sinne missverstehen, dass Lust bzw. Schmerzvermeidung immer auch Zweck der Strebungen sind. Aristoteles ist kein psychologischer Hedonist. Er behauptet lediglich, dass alle Strebungen sich immer auf Gegenstände richten, die für das Lebewesen lust- oder schmerzvoll sind, weil Lust- und Schmerzempfindungen laut der Definition der Strebung notwendige und hinreichende Bedingungen für das Vorliegen von Strebungen sind. Insofern Strebungen in der Bewegungsgenese nun aber die zentrale Rolle des bewegten Bewegers

150 Anmerkungen

einnehmen, gilt jedoch auch, dass Lust- und Schmerzempfindungen anlässlich der Gegenstände der Strebung notwendige Bedingung aller Selbstbewegungen sind. In diesem Sinn ist Aristoteles ein motivationaler Hedonist (vgl. philos. Einleitung, S. CCXII ff. sowie ausführlicher Corcilius 2008a, 94–98). Der Satz in 701b37 f., dass »so gut wie alles Schmerz- bzw. Lustvolle mit einer gewissen Erkaltung bzw. Erhitzung verbunden [ist]«, ist eine etwas ausführlichere Version des ersten Satzes des Kapitels, demzufolge Lust und Schmerz immer mit Strebungen (Verfolgen und Meiden) verbunden sind. Strebungen sind, wie wir gesehen haben, eine bestimmte Sorte von thermischen Veränderungen, nämlich solche, die sich aufgrund von Lust und Schmerz infolge einer Wahrnehmung oder einer anderen Art von Kognition ergeben. 702 a 8 –10  Veränderungen der Konsistenz des Fleisches um die Gelenke. »Werkzeughafte Körperteile« (organikôn merôn) meint die für die Selbstbewegung des Lebewesens erforderlichen Körperteile; »Ursprünge« (archai) der werkzeughaften Körperteile meint die Stellen, an denen die werkzeughaften Körperteile sozusagen »aufgehängt« sind, nämlich die Gelenke (vgl. An. III 10, 433b21–27). Aristoteles ist der Ansicht, dass die bisherige Schilderung der Bewegungsgenese, und zwar insbesondere die thermischen Veränderungen, die im Zuge der Strebung eintreten, es einleuchtend erscheinen lassen, dass auch die Körperregionen um die Gelenke herum dann ihre Konsistenz ändern, wenn dies für das Zustandekommen der Bewegung erforderlich ist. Und es leuchtet in der Tat ein, dass die Gelenke ihre Arbeit nur dann verrichten können, wenn die Muskulatur um die Gelenke herum ihren Beitrag zur Arbeit der Gelenke leistet. Aristoteles behauptet hier (vgl. auch a17: organika merê), dass die thermischen Veränderungen, die im Zuge der Strebung auftreten, die Körperregion um die Gelenke herum zur Anpassung ihrer Konsistenz veranlassen (aus weich zu hart, aus fest zu elastisch und jeweils umgekehrt). Insgesamt ergibt sich hier folgendes Bild der akteursinternen Bewegungsgenese: (i) Vorstellung/Denken (auch in Form von Erinnerungen und Antizipationen) → (ii) Lust und Leid und Strebungen, ther-



Anmerkungen

151

mische Veränderungen (= »Affizierungen«, pathêmata) → (iii) Veränderungen der Konsistenz der Körpergegenden um die Gelenke. Im Vergleich zur Bewegungsgenese, so wie sie vorher in Kapitel 7 geschildet wurde, lässt sich sagen, dass (i) und (ii) mehr oder weniger übereinstimmen, wenn Kapitel 8 auch nicht ausdrücklich von qualitativen Veränderungen spricht. Auffällig ist, dass (iii) in Kapitel 7 die quantitativen Veränderungen des angeborenen Pneumas erwähnt, während in Kapitel 8 das Pneuma gar nicht genannt wird, sondern stattdessen die Konsistenzveränderungen des Fleisches in den Körpergegenden um die Gelenke: (i) Durch Wahrnehmung/Vorstellung/Denken gegebene Affizierung durch eine wahrnehmbare Qualität → (ii) qualitative Veränderung in Form von thermischer Veränderung (Lust, Leid, Strebungen, Emotionen und Affekte, Hitze und Abkühlung = »Affizierung«: pathê) → (iii) quantitative Veränderungen im Volumen des angeborenen Pneumas. Die unterschiedlichen Versionen von Etappe (iii) in beiden Serien sind keineswegs inkompatibel. Sie treffen vielmehr beide zu: Die mit den Strebungen gegebenen thermischen Veränderungen resultieren sowohl in der Kontraktion/Expansion des angeborenen Pneumas als auch in der Konsistenzveränderung des Fleisches in der Region um die Gelenke. Am Ende des Kapitels fasst Aristoteles die Bewegungsgenese (in der Beschreibung von Kapitel 8) noch einmal knapp zusammen, allerdings so, dass er nun noch die werkzeughaften Körperteile hinzufügt (702a17–19): (i) Wahrnehmung/Denken/Vorstellung → (ii) Strebung → (iii) Affektionen (weich/hart, fest, elastisch) → (iv) Werkzeughafte Körperteile (für die Selbstbewegung erforderliche Körperteile) Aus den Variationen in den verschiedenen Beschreibungen von Etappe (ii) (Strebung, thermische Veränderung, Hitze, Abkühlung, Lust, Furcht) geht klar hervor, dass Aristoteles Strebungen und thermische Veränderungen als zu ein- und derselben Etappe der Bewegungsgenese zugehörig betrachtet.

152

Anmerkungen

702a10–21 »Deshalb gilt: Wann immer …« Die Stelle zeigt, dass Aristoteles auch hier mit dem Anspruch auftritt, die physikalisch notwendigen und hinreichenden Bedingungen für das Stattfinden von Episoden animalischer Selbstbewegung in gesetzartiger Weise anzugeben: Er hält sich bis in die Einzelheiten des Wortlauts an seine allgemeinen Ausführungen über das notwendige Eintreten nicht rationaler Prozesse, sobald Kontakt zwischen dem Träger des aktiven und dem Träger des passiven Relats der Kausalrelation besteht (Metaph. IX 5, 1048a8–16; siehe oben, S. 142 f.). Gleichzeitig ist ihm immer noch daran gelegen, die Schnelligkeit des Ablaufs der Bewegungsgenese herauszustellen: Dadurch, dass die wirkenden und die leidenden Elemente in den verschiedenen Etappen der Bewegungsgenese von Natur aufeinander ausgerichtet sind, ereignet sich alles in unmerklich schneller Zeit. Deswegen »denkt man sozusagen zur gleichen Zeit, dass man gehen soll und geht« (Mot. An. 7, 701a15 und 20 f.). Das Lebewesen als System ein- und ausgehender Bewegungen. Folgende Graphik illustriert die bisher in Kapitel 7 und 8 gemachten Aussagen zur akteursinternen Bewegungsgenese. Die Gra  Veränderung infolge d. Wahrn.

thermische Veränderung

qualitative Veränderung mechanischer Impuls

    Veränderung der Konsistenz

  qualitative Veränderung

Selbstbewegung

 





Anmerkungen

153

phik situiert den Prozess der Bewegungsgenese im Rahmen von Aristoteles’ Auffassung des Lebewesens als eines Knotenpunkts von ein- und ausgehenden Bewegungen (Veränderungen) im Austausch mit seiner Umwelt. 40 Die nun anschließenden Ausführungen in der zweiten Hälfte des achten bis zum Ende des neunten Kapitels befassen sich mit einem neuen Thema: Der Lokalisierung des Zentrums der einund ausgehenden Bewegungen im Herzen des Lebewesens.

Kap. 8

(zweite Hälfte) Lokalisierung des mechanischen Ausgangspunkts der animalischen Selbstbewegung (i): Das, was das Lebewesen zuerst bewegt, befindet sich notwendig in einem Ausgangspunkt. Dies muss (aufgrund des Stützpunkttheorems) ein Punkt sein, der nicht seinerseits Endpunkt eines anderen Körperteils ist.

Kap. 9

Lokalisierung des mechanischen Prinzips der anima­ lischen Selbstbewegung (ii): Der Ursprung der animalischen Selbstbewegung befindet sich in der Mitte des Körpers im Herzen, ist (wiederum aufgrund des Stützpunkttheorems) jedoch vom Herzen verschieden. Es ist die im Herzen lokalisierte, räumlich nicht ausgedehnte Seele.

In der zweiten Hälfte des achten Kapitels beginnt Aristoteles ein längeres Argument, das ihn bis zum Schluss des neunten Kapitels beschäftigen wird. Die traditionelle Kapiteleinteilung, die übrigens nicht auf Aristoteles, sondern auf die ersten Druckausgaben in der Renaissance zurückgeht, zerreißt das Argument in willkürlicher Weise. Vorliegender Kommentar behandelt die beiden Abschnitte in Mot. An. 8, 701b33–702a21 und Mot. An. 9 als argumentative Einheit.

40  Das sogenannte CIOM -Modell (»centralized incoming and out­ going motions«). Siehe Corcilius/Gregoric 2013, 73, Corcilius 2008a, 28, 112 ff.

154 Anmerkungen

Das Argument dient der Etablierung zweier Thesen: Erstens, dass es einen unbewegten mechanischen Ursprung der Selbstbewegung des Lebewesens als Ganzes gibt, und zweitens, dass es sich bei diesem unbewegten Ursprung um die im Herzen des Lebewesens lokalisierte, aber vom Herzen noch zu unterscheidende, ausdehnungslose Wahrnehmungsseele des Lebewesens handelt. Mit »mechanischer Ursprung« ist hier der interne Abstützungspunkt im Sinne von Stützpunkttheorem (i) gemeint (siehe oben Kommentar zu Mot. An. 1, 698a14– b 7). Aristoteles scheint dem Argument große Wichtigkeit für seine Theorie der animalischen Selbstbewegung beizumessen. So hatte er bereits in An. III 10 angedeutet, dass das »werkzeughaft Bewegende« sich dort befindet, »wo Ausgangspunkt und Ende dasselbe sind, wie beim Knochengelenk« und daher etwas feststehen müsse (433b21–27). Des Weiteren im ersten Kapitel von Mot. An. sagt er ausdrücklich, dass es einen Stützpunkt nicht nur relativ (pros ho: 698b1) für die Bewegungen der Körperglieder, sondern auch absolut, d. h. für die Bewegungen des Lebewesens als Ganzes, geben muss (698a16 ff.) und dass es sich dabei um einen solchen Stützpunkt handeln muss, der zwar Ausgangspunkt der Bewegungen des Lebewesens, nicht aber gleichzeitig, so wie die Gelenke, Endpunkt anderer Bewegungen ist: Dass also jedes Lebewesen auch in sich selbst etwas Ruhendes haben muss, das der Ursprung des bewegten Teils ist und auf das gestützt es sich sowohl als Ganzes auf einmal als auch in seinen Teilen bewegen kann, ist klar. (698b4–7) Bereits in seiner Physik hatte Aristoteles zum Ausdruck gebracht, dass es, so wie bei allen Bewegungen, auch bei den Lebewesen ein bewegendes und ein bewegtes Element geben muss, die funktional voneinander getrennt sind. Dabei fügte er allerdings hinzu, dass es bei den Lebewesen schwierig sei, Beweger und Bewegtes auf die gehörige Weise voneinander zu sondern: denn nicht dies ist unklar, ob sie von etwas bewegt werden, sondern auf welche Weise hierbei das Bewegende und das Bewegte abzusondern ist. Es scheint, so wie bei den Schiffen und dem, was nicht von Natur zusammengesetzt ist, so auch bei den



Anmerkungen

155

Lebewesen das Bewegende und das Bewegte voneinander getrennt (dihêiroumenon) zu sein, und auf diese Weise scheint sich auch das ganze (Lebewesen) selbst zu bewegen. (Phys. VIII 4, 254b28–33; vgl. An. II 1, 413a8 f.) Die in Physik VIII gestellte Frage nach der Art und Weise, in der aktive Beweger und das passiv Bewegte im Fall der animalischen Selbstbewegung auseinanderzuhalten sind, wird in Mot. An. 8–9 wiederaufgenommen. Aristoteles beantwortet die Frage in zwei Schritten: Zunächst bemüht er sich zu zeigen, dass es einen absoluten, d. h. nicht wieder an einem anderen Körperglied »aufgehängten« Stützpunkt für die Selbstbewegung des Lebewesens gibt, und dann schließlich, dass es sich bei diesem Stützpunkt um die Wahrnehmungsseele des Lebewesens handelt. Auch dieses Ergebnis wurde in Physik VIII 6 bereits von Aristoteles anti­ zipiert: Bei allen diesen (Lebewesen) wird das erste Bewegende, d. h. die Ursache des sich selbst durch sich selbst Bewegens, bewegt, allerdings auf akzidentelle Weise. Denn der Körper verändert seinen Ort und folglich (verändert) auch das (seinen Ort), was im Körper ist und sich durch Hebelwirkung selbst bewegt. (Phys. VIII 6, 259a16–20)41 Aristoteles deutet hier das in Mot. An. gegebene Erklärungsmodell an, indem er, ohne die Seele explizit zu nennen, dasjenige als Beweger des Lebewesens bezeichnet, das nur auf »akzidentelle Weise« bewegt ist. Dies ist eine Beschreibung, die allein auf die Seele passt (Mot. An. 6, 700b4–6; vgl. die ausgedehnte Diskussion der Frage nach der Bewegtheit der Seele in An. I 3, 405b31–407b11; I 4, 408a30–409b18), wobei er hier interessanterweise hinzufügt, dass die Seele den Körper – und damit akzidentell auch sich selbst – durch Hebelwirkung in Bewegung setzt. Mit Letzterem scheint Aristoteles sich auf das hier in Mot. An. 8–9 gegebene Argument zu beziehen. 41  In welcher Weise wir uns die Wahrnehmungsseele als mechanischen unbewegten Ausgangspunkt der Selbstbewegung denken können, wurde in der philos. Einleitung diskutiert, S. CLI ff.

156 Anmerkungen

Das Argument basiert auf der im ersten Kapitel gegebenen Analyse der Funktionsweise der Gelenke. Es besteht aus mehreren Teilargumenten und verläuft in fünf Schritten: (i)

Vage formuliertes Beweisziel der Lokalisierung der das ­Lebewesen in Bewegung setzenden Seele. (702a21 f.)

Das, was das Lebewesen primär in Bewegung setzt – gemeint ist der seelische Beweger der Selbstbewegung –, befindet sich notwendig in einem bestimmten Ausgangspunkt. Das nun folgende Argument soll zeigen, wo dieser Ausgangspunkt liegt – in der Körpermitte – und was er ist – die Wahrnehmungsseele. (ii) Illustration der Funktion des In-Bewegung-Setzens mittels einer Erklärung der Funktionsweise der Gelenke. (a21–32) Da das Gelenk, je nachdem, ob es gestreckt oder gebeugt ist, »sowohl zu einem als auch zu zweien werden« kann, wird das gebeugte Gelenk zwei Endpunkte (eschata) haben:42 Ein Endpunkt ist der unbewegte Ausgangspunkt des bewegten Körperglieds, der andere Endpunkt ist das äußerste bewegte Ende des bewegten Körperglieds, das sich bei seiner Bewegung auf den unbewegten Ausgangspunkt stützt. Bei der Bewegung z. B. des Unterarms wird es im Ellbogengelenk zwei Endpunkte geben: Den unbewegten Ausgangspunkt der Bewegung des Unterarms und den bewegten Endpunkt des Unterarms. (Diese »Binnenanalyse« der Gelenke als strukturell aus zwei Punkten bestehend wird unten eine wichtige Rolle spielen.) Wenn daher – kontrafaktisch – der Unterarm das Lebewesen wäre, würde sich der seelische Ausgangspunkt seiner Bewegung »irgendwo dort« 43 in dem unbewegten Endpunkt des Ellbogengelenks befinden. Später, beim Aufweis wird Aristoteles das hier vorgebrachte Argument auf der Basis der Funk­ tions­weise der Gelenke wiederaufnehmen. 42 In a 29 wurde einai durch den Herausgeber gestrichen, da der Gegensatz nicht darin besteht, eines zu werden und zwei zu sein, sondern – wie die Parallele in Kap. 9, 700b25 f. zeigt – darin, eines zu werden und dann wieder zwei zu werden (gignesthai). 43  Ich habe der Deutlichkeit halber entautha an pou statt wörtlich »dort wohl irgendwo« mit »wohl im Ellbogengelenk« übersetzt.



Anmerkungen

157

(iii) Warum der seelische Ausgangspunkt der Bewegung des Lebe­wesens aber nicht wie das Ellbogengelenk Endpunkt einer anderen Bewegung bzw. eines anderen Körperglieds sein darf: das Argument von dem Stab in der Hand. ­ (a32– b10) Die Ausgangspunkte von Bewegungen, die von der Hand, vom Handgelenk, vom Arm usw. ausgehen, unterscheiden sich nicht von den Ausgangspunkten der Bewegungen unbeseelter Glieder, wie z. B. der Bewegung eines Stabs, den jemand in der Hand führt. Es ist offensichtlich, dass in allen diesen Fällen der seelische Ursprung der Bewegung weder in dem Endpunkt des Bewegten noch in dem unbewegten Ausgangspunkt des Bewegers liegt. Aristoteles’ Argument scheint hier Folgendes zu sein: Sagt man, dass sich der seelische Ausgangspunkt der Bewegung eines Körperglieds an einer Stelle befindet, die gleichzeitig das Ende eines anderen Körperglieds ist, so sagt man im Hinblick auf die Erklärung nicht mehr, als wie wenn man sagen würde, dass der Ausgangspunkt der Bewegung am Endpunkt des Stabs liegt. Sowohl bei angewachsenen als auch bei nicht angewachsenen Bewegungsgliedern sind die Ausgangspunkte der Bewegung nämlich Endpunkte anderer Körperglieder, die ihrerseits außerhalb ihrer selbst gelegene Ausgangspunkte haben. Sie kommen als Ausgangspunkte der Selbstbewegung daher nicht in Frage. (iv) Lokalisierung: Warum der absolute Ausgangspunkt der Selbstbewegung in der Mitte des Körpers liegt. (Kap. 9, 702b12–25) Der Abschnitt hat zwei Teile. Im ersten Teil (b12–20) legt Aristoteles einen auf seinem Stützpunkttheorem (i) basierenden Beweis für die These vor, dass der Ausgangspunkt der animalischen Selbstbewegung in der Mitte des Körpers liegt. Im zweiten Teil (b20–25) sucht er seine These zu bestätigen, indem er anmerkt, dass sie mit seiner vorher in Kapitel 7 und 8 gegebenen physio­ logischen Beschreibung des automatischen Ablaufs der Bewegungsgenese im Anschluss an den »praktischen Syllogismus« übereinstimmt.

158 Anmerkungen

Erster Teil. Im ersten Teil argumentiert Aristoteles wie folgt: P 1 Der Bau der rechten und der linken Körperhälften der Lebe­ wesen ist symmetrisch. P 2 Beide Körperhälften können gleichzeitig bewegt werden. [P 3 Jede Bewegung bedarf eines unbewegten Stützpunkts.] K 1 Also: Bei der gleichzeitigen Bewegung beider Körperhälften kann weder die linke Körperhälfte der rechten als Ausgangspunkt dienen noch die rechte der linken. P 4 Bei allen Gelenken sind die Ausgangspunkte die jeweils »oberen« der beiden Endpunkte in den Gelenken. P 5 Die jeweils letzten (»obersten«) Endpunkte der beiden Körperhälften liegen in der Körpermitte. K 2 Also liegt der Ausgangspunkt der beiden Endpunkte der Körperhälften der Lebewesen (und damit der Ausgangspunkt ihrer Selbstbewegung) in der Körpermitte. Hier bedarf vor allem P 4 einer Erläuterung. Aristoteles versteht die Gelenke nämlich als strukturell aus zwei Punkten bestehend, einem Punkt, der das bewegte Endstück des bewegten Glieds ist, und einem, der der unbewegte Ausgangspunkt ist, an dem das bewegte Glied »aufgehängt« ist. Dabei ist »oben« nicht im absoluten Sinne (im Sinne der kosmischen Dimensionen), sondern funk­tional im Sinne der größeren Nähe zum absoluten Ausgangspunkt der Bewegung des Lebewesens zu verstehen (vgl. die Diskussion in Inc. An. 4, 705a26– b8: ergôi). Anschließend in 702b17–20 präzisiert Aristoteles seine Auffassung von »Körpermitte«. Die Körpermitte liegt in der Mitte sowohl der Bewegungen, die von oben oder unten ausgehen, als auch zu denen, die von der Mitte zur Seite bzw. umgekehrt verlaufen. Er sagt uns leider nicht, was er unter den Bewegungen von der Mitte (»Wirbelsäule«) zur Seite versteht. Vermutlich geht es um die Bewegungen, die von der Körpermitte nach links oder rechts verlaufen (vgl. Inc. An. 4–6). 702b16 f.   »ist wiederum die Körpermitte Endpunkt«  Interessant ist diese nur durch die β-Familie überlieferte Formulierung in K 2 deswegen, weil Aristoteles hier von einem Endpunkt (»Äußerstes«: eschaton) der Endpunkte (»Äußersten«: eschatôn) spricht,



Anmerkungen

159

nämlich der beiden zur Körpermitte hin gelegenen Endpunkte der bewegten Körperhälften. Der α-Text hat hier statt »Äußerstes« »Spitze« (akron), was den Tatbestand zwar auch gut zum Ausdruck bringt, aber deswegen, weil es eine zugespitzte Formulierung glättet, als lectio facilior gelten muss. Zweiter Teil. Als Bestätigung dafür, dass er mit seiner auf dem mechanischen Stützpunkttheorem basierenden Konklusion richtig liegt, führt Aristoteles nun (702b20–25) an, dass die in Kapitel 7 ab 701b1 und bis Kap. 8, 702a21 geschilderte kausale Genese der Selbstbewegung ebenfalls vom Mittelpunkt des Lebewesens ihren Ausgang nimmt, nämlich von dort, wo das Wahrnehmungsvermögen lokalisiert ist (im Herzen). Denn von dort aus nehme, nachdem die Wahrnehmung zu einer qualitativen Veränderung führt, die automatisch ablaufende Prozesskette, die zur Bewegung des Lebewesens führt, ihren Anfang. Wie es scheint, möchte Aristoteles hier seine mechanische (auf dem Stützpunkttheorem basierende) Argumentation durch die kausale (physiologische) Ordnung der Dinge bestätigen. (v) Warum der in der Mitte des Körpers gelegene absolute Ausgangspunkt der Selbstbewegung die ausdehnungslose Wahrnehmungsseele ist. (702b25–703a3) Aristoteles schließt hier an den ersten Teil von (iv) an. Er verlässt sich dabei auf seine oben bereits beschriebene, strukturelle »Binnenanalyse« des Gelenks als eine aus zwei Punkten bestehende Einheit. Dieser Teil des Arguments ist aufgrund von Aristoteles’ knapper Sprache besonders schwer verständlich. Er sei hier daher in folgender Weise wiedergegeben: P 6 Der Ausgangspunkt der Selbstbewegung der Lebewesen ist dem Vermögen nach eines und der Wirklichkeit nach mehreres [d. h. zwei, nämlich ein bewegender Ausgangspunkt und ein bewegter Endpunkt des Bewegten]. P 7 Die Gliedmaßen (auf beiden Seiten) des Körpers können gleichzeitig von einem gemeinsamen Ausgangspunkt aus in Bewegung gesetzt werden. P 8 Jedes aktive Bewegen von etwas bedarf eines unbewegten Ausgangspunktes.

160 Anmerkungen

P 9 Exempel 1: Von der geometrischen Figur ABC sei A der bewegende Ausgangspunkt und die Strecke AB das Bewegte. K 3 Also wird A dem Vermögen nach eines und der Wirklichkeit nach zwei sein [nämlich einmal der unbewegte Ausgangspunkt der bewegten Strecke AB und einmal der bewegte Endpunkt der bewegten Strecke AB] K 4 Also [da es der Wirklichkeit nach zwei – nämlich sowohl ein bewegender Ausgangspunkt als auch ein bewegter Endpunkt ist] wird A kein geometrischer Punkt sein, sondern etwas Ausgedehntes [und daher funktionieren wie ein Gelenk, das an einem anderen Glied hängt]. P 10 Exempel 2: Von der geometrischen Figur ABC seien sowohl B als auch C bewegt. K 5 Also werden die beiden in A gelegenen Endpunkte der bewegten Strecken AB und AC bewegte Beweger sein. K 6 Also muss es neben den in A gelegenen Endpunkten der ­beiden Strecken AB und AC noch einen unbewegten aktiv bewegenden Ausgangspunkt für beide Bewegungen geben. P 11 Wenn es neben den beiden in A gelegenen Endpunkten der Strecken AB und AC keinen zusätzlichen unbewegten Ausgangspunkt gäbe, würde keine Bewegung zustande kommen [die beiden bewegten Endpunkte der Strecken AB und AC würden sich dann bei ihrer Bewegung nämlich gegenseitig aufeinander abstützen, so wie bei zwei Menschen, die sich stehend Rücken an Rücken aufeinander abzustützen versuchen, um so jeweils ihre beiden Beine zu bewegen]. K 7 Also muss es einen unbewegten Ausgangspunkt für die Bewegungen beider Körperhälften (siehe oben K 2 des ersten Arguments) geben. K 8 Dieser unbewegte Ausgangspunkt ist die (Wahrnehmungs-) Seele, die in der Körpermitte lokalisiert, aber von ihr verschieden ist. Bis auf die letzte Konklusion (K 8), die zum Teil auf Annahmen beruht, die in Kapitel 8 und 9 nicht gerechtfertigt, aber in 702b20–25 wenigstens behauptet wurden, ist das Argument in sich schlüssig. Inwieweit Aristoteles berechtigt ist, auf der Basis



Anmerkungen

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des Stützpunkttheorems (i), einer geometrischen Analogie sowie der Annahme einer strikten Symmetrie des Körpers auf die Existenz eines ausdehnungslosen absoluten Stützpunkts der Selbstbewegung zu schließen, ist eine andere Frage. Es ist allerdings keineswegs ausgemacht, dass sich sein Argument nicht auch gut verteidigen lässt. Morel (2013, 118; vgl. 120) hält Aristoteles’ Lokalisierung der Seele im Herzen in Mot. An. 9 für inkompatibel mit Aristoteles’ reifer Seelenlehre. Hier in 703a1–3 sagt Aristoteles aber so ausdrücklich, wie man es sich nur wünschen kann, dass die Wahrnehmungsseele als mechanischer Stütz- und Ausgangspunkt der Selbstbewegung im Herzen lokalisiert ist. Er lokalisiert die Seele aber auch an vielen anderen Stellen (z. B. auch in An. I 4, 408b15– 18); für eine Erklärung, auf welche Weise Aristoteles’ psychologischer Hylomorphismus mit seinem Kardiozentrismus vereinbar ist, siehe Corcilius/Gregoric 2013).

Kap. 10 Die Mechanik der animalischen Selbstbewegung: Das an­geborene Pneuma ist der Körperteil, mit dem die (stationären) physiologischen Prozesse im Lebewesen in mechanische Kraft umgesetzt werden. Pneuma ist aufgrund seiner Eigenschaft, qualitative Veränderungen in Veränderungen des Volumens umsetzen zu können, von Natur geeignet, (mechanisch) als bewegter Beweger der animalischen Selbstbewegung zu fungieren. Vergleich des organischen Zusammenhangs des Lebewesens mit einer Stadt mit guten Gesetzen: Die Körperteile bedürfen nicht der Aufsicht durch eine ihnen je eigene Seele; sie vollführen die ihnen je eigenen Aufgaben vielmehr dadurch, dass sie von Natur an den zentralen Körperteil angewachsen sind, in dem der seelische Ursprung lokalisiert ist. 703 a 4–6  »nach der Erklärung … muss dieses Mittlere ein Körper sein.«  Vorher in Mot. An. wurde mehrfach betont, dass die Strebung in der Erklärung der Ursache der Selbstbewegung die Rolle des bewegten Bewegers einnimmt, der zwischen dem unbe-

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wegten Beweger und dem Bewegten vermittelt. Aristoteles sucht jetzt nach einem Körperteil im Lebewesen, der eine der Strebung analoge Rolle übernimmt. »Erklärung« (logos) bezieht sich hier auf die vorher in An. und Mot. An. eingeführte Trias von Bewegungsfaktoren (An. III 10, 433b11–18 und wiederaufgenommen in Mot. An. 6, 700 b23–29, b35–701a2; vgl. auch Phys. VIII 5, 256b14–17): (i) Unbewegter Beweger: durch Kognition (Denken und Wahrnehmen) erkanntes praktisches Gut, (ii) Bewegter Beweger: Strebung, (iii) Bewegtes: Lebewesen. Warum muss es eine Entsprechung zwischen Elementen der »Erklärung« mit entsprechenden Körperteilen geben (dei: a6)? Am wahrscheinlichsten ist, dass die Entsprechung im Sinne der funktionalen Äquivalenz zu verstehen ist. Das heißt, dass es ebenso wie in der psychophysischen Kausalreihe auch bei den Körperteilen entsprechend einen unbewegten Beweger, einen bewegten Beweger und etwas Bewegtes geben muss. Der Grund dafür wäre dann der allgemeine in Physik VIII geltend gemachte, dass die Verursachung aller Bewegungen diese drei Elemente aufweist und diese sich von daher auch bei den Trägern der entsprechenden Bewegungen finden lassen müssen. Der unbewegte Beweger wäre dann die Wahrnehmungsseele, der bewegte Beweger das angeborene Pneuma und das nur Bewegte wären die Teile des Körpers, die nicht wiederum anderes in ­Bewegung versetzen. Dies wird weiter unten in 703a11–14 bestätigt. Nussbaum interpretiert das »muss« in »in den beseelten Körpern aber muss dieses Mittlere ein Körper sein« in a5 f. dagegen auf andere Weise. Sie übersetzt: »But in living bodies there must be some body of this kind«, wobei der Grund für die Entsprechung zwischen der Strebung und dem angeborenen Pneuma nicht nur der ist, dass es sich bei beiden um bewegte Beweger handelt (wie hier behauptet), sondern dass das angeborene Pneuma auch die materielle Realisierung der Strebung sei (und die Strebung selbst »a functional state of matter«, 21985, 146). Ihre Interpretation basiert jedoch auf funktionalistischen Grundannahmen über das Körper-Seele-Verhältnis und zudem auf Annahmen über die Entsprechung von seelischen Vermögen mit Körperteilen, die man nicht ohne Not an Aristoteles herantragen sollte (siehe unten zu 703a11–16).



Anmerkungen

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703 a 6–11  Gefordert ist ein Stoff, der mechanische Kraft ausüben kann (»eine gewisse Kraft und Stärke hat«). Die bisher geschilderten akteursinternen psychophysischen Prozesse (durch Wahrnehmungen verursachte qualitative Veränderungen in Form von Strebungen bzw. thermische Veränderungen sowie Veränderungen in der Konsistenz der Körperregionen um die Gelenke herum) sind alle stationär und von daher »ihrer Natur nach« nicht auf aktives mechanisches Bewegen ausgerichtet. Das angeborene Pneuma (symphyton pneuma) soll dagegen ein auf mechanische Kraftausübung ausgerichteter Stoff sein: Aristoteles sagt, dass das Pneuma seiner Natur nach dazu geeignet ist, die (stationären) qualitativen Veränderungen im Lebewesen in (mechanische) quantitative Bewegungen umzusetzen. Das angeborene Pneuma reagiere auf thermische Veränderungen nämlich mit Kontraktion und Expansion und bewirke dadurch »Stoßen und Ziehen« (ôsis kai helxis), welches die beiden Grundformen mechanischer Bewegung sind (An. III 10, 433b25; Inc. An. 4, 704b22; Phys. VII 2, 243b15 ff.). Zu den physikalischen Eigenschaften des angeborenen Pneumas siehe unten zu 703a19–29. Was ist das angeborene Pneuma (im folgenden »Pneuma«)? Dies ist leider nicht klar. Wie es scheint, besteht es aus einer luftartigen Substanz (nicht zu verwechseln mit der Atemluft, von der Aristoteles auch als Pneuma, nicht aber als »angeboren« spricht, Mete. II 8, 367b1). Das Pneuma übernimmt wichtige Funktionen in verschiedenen Bereichen, von der Selbstbewegung der Lebewesen über Puls, Zeugung, Ernährung bis hin zur Übermittlung von Sinnesempfindungen im Körper. Im Folgenden beschränke ich mich auf die Rolle des angeborenen Pneumas in der Selbstbewegung der Lebewesen. Diesbezüglich sagt Aristoteles, dass es seinen Sitz in der Herzgegend hat (siehe unten 701a14–16). In Anbetracht der Tatsache, dass nicht klar ist, welche Art von Körper Aristoteles genau meint, und es physiologisch betrachtet auch keinen offensichtlich in Frage kommenden Kandidaten dafür zu geben scheint (manche Interpreten nehmen an, beim Pneuma handele es sich um einen nicht-empirischen Stoff, den Aristo­teles einfach postuliert; vgl. Nussbaum 21985, 161; Berryman 2002, 93), ist bemerkenswert, dass Aristoteles es als »offensichtlich« bezeichnet, dass alle Lebewesen über Pneuma verfügen (a9 f.) und

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es sich in der Herzgegend befindet (a15 f.). 44 Zum Pneuma generell bei Aristoteles vgl. Freudenthal 1995, speziell in der Selbstbewegung vgl. Corcilius 2008a, 332–343. In Kapitel 7 (701b15 f.) hatte Aristoteles übrigens (laut neuem Text, vgl. philologische Einleitung 5, S. CXL – CXLI) bereits das symphyton pneuma und seine Funktion im Bewegungszusammenhang erwähnt: »Im Lebewesen dagegen kann dasselbe sowohl kleiner und größer werden als auch seine jeweilige Gestalt verändern, wobei die Teile hier vergrößert 〈 u nd kontrahiert 〉 werden in Folge von Hitze, Pneuma und Abkühlung, d. h. weil sie qualitativ verändert werden.« 703 a10–11  »Worin nun die Erhaltung des angeborenen Pneumas … … ist an anderer Stelle abgehandelt.«  Der Verweis auf die Frage, auf welche Weise das angeborene Pneuma sich erhält bzw. erhalten wird, wurde als Verweis auf die Schrift De spiritu interpretiert, zumal da De spiritu mit ganz ähnlichen Worten beginnt (»Welches ist die Beständigkeit des angeborenen Pneumas ….:« Spir. 1, 481a1). Dies ist allerdings kein besonders guter Grund, da sich aus dem wörtlichen Anklang kein Echtheitsbeweis für das als unecht geltende De spiritu ergibt. Zur Unechtheit von De spiritu siehe Gregoric/Lewis 2015. Eine weitere Frage ist, wie sich der hiesige Satz in 703a10 f. zur Stelle wenig später in 703a16–18 verhält, wo Aristoteles die Untersuchung der Frage, ob das Pneuma ständig erneuert wird oder immer dasselbe bleibt, einer anderen Abhandlung zuweist. Handelt es sich dabei nicht um dieselbe Frage? Hier lässt sich für die Verschiedenheit der beiden Fragen argumentieren. Die Frage nach der Erhaltung des Pneumas ergibt sich sozusagen aus der Semantik von »Pneuma«, bei dem der Gedanke an Dispersion qua Konnotation mit der Atemluft immer schon mitschwingt. 45 Die Frage nach der Erhaltung fragt nach einer Erklärung für die Kohäsion des Pneumas im Körper. Eine andere Frage ist dagegen die nach der Persistenz bzw. der ständigen Erneuerung des Pneumas im Körper. Hier – übrigens eine Frage, die nicht mehr nur das Pneuma, sondern, wie im Text 44  Farquharson (ad loc.) meint, dies könne ein Verweis auf die Atemluft sein, mit der wir beim Gewichtheben offensichtlich Kraft schöpfen. 45  Ich danke O. Primavesi für den Hinweis.



Anmerkungen

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auch angemerkt, alle anderen Körperteile betrifft – geht es um die Frage des Selbsterhalts durch Selbsterneuerung, also um den Stoffwechsel. 703 a 11–16  Das Verhältnis von angeborenem Pneuma und Seele. Das angeborene Pneuma soll sich zum seelischen Ursprung in der Weise verhalten, in der sich im Gelenk der bewegt bewegende Punkt zum unbewegten Punkt verhält. Damit weist Aristoteles zurück auf die in Kap. 1 beschriebene Funktionsweise der Gelenke (698a21–27). Was das Verhältnis von unbewegt Bewegendem und bewegt Bewegendem im Gelenk angeht, so geht De anima etwas genauer darauf ein (An. III 10, 433b19–27; hierbei handelt es sich auch um die Stelle, an der Aristoteles auf die Untersuchung in Mot. An. vorausweist): Und das Werkzeug, mit dem die Strebung bewegt, dies ist vollends körperlich und deswegen im Rahmen der für Körper und Seele gemeinsamen Leistungen zu betrachten. Um es für jetzt aber der Hauptsache nach zu sagen: Das werkzeughaft Bewegende findet sich dort, wo Ausgangspunkt und Ende dasselbe sind, wie beim Knochengelenk. Denn dort sind das Konvexe und Konkave einmal Ende und einmal Ausgangspunkt – deswegen ruht das eine und das andere bewegt sich – da sie dem Begriff nach verschieden, jedoch der Größe nach untrennbar sind. Es bewegt sich nämlich alles durch Stoß und Zug, weswegen – so wie beim Rad – etwas feststehen muss und von dort aus die Bewegung in Gang setzen muss. (An. III 10, 433b21–27) Der unbewegte Punkt im Gelenk ist dem Begriff nach (logôi), nicht aber der Größe nach (megethei) vom bewegt bewegenden Gelenkteil abtrennbar. Dies trifft genau auf die vorher in Mot. An. 9 gegebene Beschreibung des Verhältnisses zwischen dem seelischen Ursprung der Bewegung und der Körpermitte des Lebewesens zu: Die Seele ist in der Körpermitte (im Herzen) lokalisiert, gleichzeitig aber auch von der »räumlich ausgedehnten« Körpermitte verschieden (703a1–3). Worauf läuft das Verhältnis zwischen Seele und Pneuma dann also hinaus? Wenn, wie oben gesagt wurde, die in der Körpermitte lokalisierte Seele für die Aktivität einer kognitiven seelischen Funktion steht, die im Kör-

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per zu einer Strebung führen und so zum unbewegten Beweger des Lebewesens werden kann, dann ist das angeborene Pneuma vermutlich der Körper, in dem sich die thermische Veränderung der Strebung vornehmlich ereignet. Als solcher ist das Pneuma räumlich weder von dem seelischen Bewegungsprinzip noch von der Strebung getrennt, dem Begriff nach jedoch von ihnen verschieden. Und so wie die Strebung sowohl bewegt als auch bewegend ist, so wird auch das angeborene Pneuma einerseits durch thermische Veränderungen in Bewegung gesetzt, während andererseits sein Kontrahieren und Expandieren die qualitativen (thermischen) Veränderungen in mechanische Bewegungsimpulse (Stoßen und Ziehen) übersetzt. Nussbaum und eine Reihe andere Kommentatoren nehmen an, es gehe hier um das Verhältnis der materiellen Realisation. Das angeborene Pneuma »realisiert« die materiell nicht ausgedehnte Seele. Dabei sahen sie sich durch obige An.-Stelle in ihrer Auffassung bestätigt, dass das Pneuma »das« Werkzeug bzw. »das« Organ der Seele im Sinne der materiellen Realisierung der Seele sei. Die immaterielle Seele »stimuliert« demnach die Aktivität des Pneumas, und das Pneuma setzt dann die weiteren Bewegungen im Lebewesen in Gang (Nussbaum 21985, 377). Dabei ging man davon aus, dass »Seele« hier auf die Strebung als eines Teils der Seele referiert und das angeborene Pneuma die materielle Realisierung des Strebevermögens sei (Nussbaum 21985, 148, 156, 160; Charles 1984, 216; Kollesch 1985, 58; Labarrière 2004, 158; Buddensiek 2009, 329 und andere mehr). Vorher im Text und in der Einleitung haben wir jedoch gesehen, dass es sich bei der Strebung für Aristoteles nicht um einen Teil der immateriellen Seele, sondern um eine endogene, durch eine Wahrnehmung verursachte und teils konstituierte thermische Veränderung handelt. Die Strebung ist damit etwas physisch Ausgedehntes und in einem ganz wörtlichen Sinne bewegter Beweger im Lebewesen. Sie kann daher nicht Teil der immateriellen Seele sein. Deswegen kann es bei dem Vergleich zwischen dem Verhältnis von Seele und Pneuma einerseits und des unbewegten Punkts zu dem bewegt bewegenden Punkt im Gelenk andererseits auch nicht um ein Verhältnis der materiellen Realisierung gehen. Es ist irreführend zu sagen, der Punkt im Gelenk, der »zu eins und zweien wird«, sei



Anmerkungen

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die materielle Realisierung des unbewegten Punktes im Gelenk. Wenn Aristoteles von unbewegtem Beweger und bewegtem Beweger spricht, geht es ihm dabei nicht um die Frage der materiellen Realisierung. Wir können ein unmittelbar hylomorphes Verhältnis zwischen Seele und Pneuma sogar mit Bestimmtheit ausschließen. Die Strebung wird von Aristoteles an keiner einzigen Stelle in einen unmittelbaren hylomorphen Bezug zum Pneuma gebracht. Stattdessen identifiziert er die Strebung mit thermischen Veränderungen (»Erwärmung und Erkaltung«, 701b35–702a7; siehe oben, S. 146 ff.), und erst von diesen thermischen Veränderungen sagt er, dass sie im angeborenen Pneuma Kontraktion und Expansion bewirken (701b13–16; vgl. auch 702a17–19. Daraus geht hervor, dass die Bewegungen des Pneumas nicht unmittelbar mit der Aktivität der Seele verbunden sind; siehe unten, S. 168). Dass es im Rahmen der Erklärung der Selbstbewegung die Funktion des angeborenen Pneumas ist, qualitative (thermische) Veränderungen in Expansion und Kontraktion und damit in mechanische Kraft umzusetzen, wurde schon vorher im Text angekündigt: Kap. 7, 701b13–16 sagt, dass das Pneuma aufgrund von thermischen Veränderungen sein Volumen und seine Gestalt ändern kann (ähnlich in 702b21– 25, doch ohne dass der Name »Pneuma« dabei erwähnt wird). Es ist auch nicht anzunehmen, dass Aristoteles ausgerechnet in Mot. An. 10, wo er etwas über die Beschaffenheit des Körpers sagen will, der die Funktion der mechanischen Kraftausübung inne­hat, ein Verhältnis zwischen Strebung und Pneuma behauptet, welches mit der Ausübung dieser Funktion nicht vereinbar ist: Das angeborene Pneuma kann nicht unmittelbare hylomorphe Realisierung der Strebung und gleichzeitig kausaler Effekt der thermischen Veränderung sein, die die Strebung ist. Es handelt sich dabei um ein Verhältnis zwischen zwei physikalisch distinkten Prozessen und nicht um eines zwischen der immateriellen Seele und ihrer materiellen Realisierung. Um die materielle Rea­ li­sierung der Strebung zu sein, müsste das angeborene Pneuma vielmehr selbst diese thermische Veränderung sein (und nicht nur der Körper, in dem diese Veränderung vornehmlich stattfindet). Die von z. B. Nussbaum gewählte Rede von »materieller Realisierung« sollte überhaupt nicht ohne Not an Aristoteles herangetra-

168 Anmerkungen

gen werden. Sie setzt metaphysische Thesen über das Verhältnis von Körper und Seele voraus (vgl. Nussbaum 21985, 146 ff.), die ihm nicht nur nicht nachzuweisen sind, sondern auch in einem Spannungsverhältnis zur kausalen Wirkung stehen, die er der Aktivität der Seele zuschreibt. In welcher Weise ist das angeborene Pneuma dann aber von »der gleichen Art« wie die Strebung (toiouton: 703a6)? Wenn wir Aristoteles beim Wort nehmen, geht es ihm hier, wie gesagt, um eine funktionale Entsprechung. Sie besteht darin, dass Strebung und angeborenes Pneuma in (jeweils unterschiedlichen) Bewegungsvorgängen die Rolle des bewegten Bewegers einnehmen. Die Strebung tut dies, indem sie mit thermischen qualitativen Veränderungen auf Wahrnehmungen praktischer Güter reagiert und so die erste akteursinterne physische Reaktion auf den Wahrnehmungsgehalt darstellt. Das angeborene Pneuma dagegen ist bewegter Beweger, indem es die stationäre qualitative Veränderung der Strebung in mechanisches Stoßen und Ziehen verwandelt. In beiden Fällen fungieren die bewegten Beweger als Mittler (meson: 703a5), die einen auf je verschiedene Weise stationären Input in Bewegung umsetzen bzw. transformieren. Sie unterscheiden sich insofern, als dass die thermische Strebeveränderung zunächst einmal nur eine qualitative und daher selbst noch lokal stationäre (nicht mechanische) Bewegung ist. Eine funktionale Entsprechung erfordert weder eine unmittelbare »Realisierungsbeziehung« zwischen Strebung und angeborenem Pneuma noch direkte kausale Interaktion. Die Aussage in De anima III 10: »Und das Werkzeug, mit dem die Strebung bewegt, dies ist bereits körperlich« (433b19) steht in keinem Spannungsverhältnis zu dieser These. Zunächst gibt es keinen Grund, die Beziehung zwischen Strebung und ihrem Werkzeug als eine unmittelbar hylo­morphe Beziehung zu deuten (Werkzeug von X zu sein, heißt hier nur, von Natur aus spezifisch für X nützlich zu sein), und zweitens erfordert die Werkzeug-Beziehung, um die es dort geht, auch keine direkte kausale Einwirkung. In dieser Weise scheint Aristoteles in Mot. An. überhaupt von den Termen »werkzeughaft« und »Werkzeug« Gebrauch zu machen (vgl. organika merê in 702a7, 17, womit wohl alle zur Ortsbewegung erforderlichen Körperteile gemeint sind und in 701b8 insbesondere Sehnen und Knochen).



Anmerkungen

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703 a16–18  »Die Frage nun, ob das Pneuma …«  Siehe oben zu 703a10–11. 703 a18–28  Die materialen Eigenschaften des angeborenen Pneumas. Die Eigenschaft, leichter als Erde und Wasser und schwerer als Feuer zu sein, macht es in einzigartiger Weise für die mechanische Kraftausübung geeignet, die für Aristoteles identisch ist mit gewaltsamer Bewegung (vgl. Cael. 301b17–30, wo es sogar heißt, dass wenn es keinen Körper gäbe, der so beschaffen ist wie Luft, es auch keine gewaltsame Bewegung gäbe). Das Pneuma kann »gewaltlos« (abiastos) – d. h. ohne vorherige mechanische Einwirkung, nur aufgrund einer qualitativen (thermischen) Veränderung – Gewalt, d. h. mechanische Kraft, ausüben (biastikê). Die thermischen Veränderungen führen aufgrund der natürlichen Beschaffenheit des Pneumas zu Kontraktion (bei Kälte) oder Expansion (bei Hitze), die ihrerseits dann wieder zu Stoß und Zug führen. Stoßen und Ziehen sind die Grundprinzipien, auf die sich alle kausalen Selbstbewegungen im sublunaren Bereich zurückführen (An. III 10, 433b25; Inc. An. 4, 704b22; Phys. VII 2, 243b15 ff.). Deswegen heißt es im Text, dass dasjenige, was gewaltsam bewegen soll, diese Bewegung nicht durch qualitative Veränderung ausüben soll: Mechanische Kraft wird durch Überwiegen, Stoßen und Ziehen, d. h. auf gewaltsame Weise, ausgeübt, nicht durch qualitative Veränderung. Hier scheint übrigens eine Eigenschaft des angeborenen Pneumas vorausgesetzt, die Aristoteles zwar nicht explizit erwähnt, die jedoch für mechanische Wirkung gefordert zu sein scheint. Dies ist die Kohäsion des Pneumas. Ohne interne Kohäsion kann das Pneuma weder kontrahieren noch expandieren oder einen mechanischen Effekt auf anliegende Körper ausüben. 703 a 29– b2  Vergleich des organischen Zusammenhangs des Lebewesens mit einer Stadt mit guten Gesetzen. Nach der tour de force der Beschreibung der Details der akteursinternen Bewegungsgenese sowie der Lokalisierung des mechanischen Ursprungs der Selbstbewegung im Herzen von Kapitel 7 bis einschließlich 9 beschreibt Aristoteles den ganzen Vorgang noch einmal aus der Vogelperspektive. Um das Automatische und auch die Verläss-

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lichkeit des Vorgangs anschaulich zu machen, vergleicht er die Bewegungsgenese im Lebewesen mit dem reibungslosen Ineinandergreifen der politischen Institutionen in einem mit guten Gesetzen ausgestatteten Gemeinwesen: 46 In der Weise, in der in einem Gemeinwesen mit guten Institutionen jeder politische Funktionsträger als Teil des Ganzen seine ihm jeweils eigene Aufgabe aus Gewohnheit ganz von allein erfüllt, ohne immer eines Herrschers (Monarchen) zu bedürfen, 47 der ihm sagt, was er jeweils zu tun hat, so sollen auch die Teile des Organismus nicht eines jeweils gesonderten Befehls der Seele bedürfen, um sie dazu anzuhalten, ihre natürlichen Funktionen ausüben. Gemeinwesen mit guten Gesetzen

Animalischer Organismus

[König]

[Seele]

Bürger/politischer ­Funktionsträger

Körperteile

Tun das Ihrige aus Gewohnheit

Tun das Ihrige von Natur aus

Die Rolle, die die Gewohnheit im guten Gemeinwesen spielt, wird im Organismus von der Natur (physis) übernommen. Die Funktionsträger im Gemeinwesen (Bürger, Magistrate) entsprechen den Körperteilen. Im gut verfassten Gemeinwesen sind es die guten Sitten und Gewohnheiten (ethos) der politischen Funktionsträger, welche dafür sorgen, dass sie das tun, was sie zu tun haben, während es im Organismus die Natur (physis) des Lebewesens sicherstellt, dass jeder Körperteil seine ihm zukommende Tätigkeit von allein und ohne gesonderten Befehl ausführt. Aristoteles erklärt dies über die natürliche Einheit des animalischen Organismus. Um diese Einheit zu gewährleisten reicht es, wenn sich der 46  »Gute Gesetze« meint nicht in lediglich legalistischer Weise kodifizierte Auffassungen des Gerechten, sondern beinhaltet insbesondere die entsprechenden Sitten und Gewohnheiten (ethos) der politischen Funktionsträger (vgl. Pol. III 16, 1287b5–8). 47  Das Herz wird mit einer Akropolis verglichen in Part. An. III 7, 670 a26.



Anmerkungen

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seelische Ursprung an einer einzigen zentralen Stelle im Organismus befindet und die übrigen Teile des Lebewesens daran »angewachsen« sind (prospephykenai: 703b1). Man kann daher sagen, dass Aristoteles zwar den ganzen lebendigen Körper als beseelt betrachtet, allerdings nur deswegen, weil die anderen Teile des Lebewesens an den eigentlichen Sitz der Seele im Herzen angewachsen sind. Der Vergleich bestätigt, dass es Aristoteles mit seiner Lokalisierung der Wahrnehmungsseele im Herzen ernst ist. 48

Kap. 11

Unwillkürliche und nicht-willentliche Bewegungen: Unwillkürliche und nicht-willentliche Bewegungen sind Bewegungen von gewissen Teilen des Lebewesens, nicht aber vom Lebewesen als Ganzem. Nicht-willentliche Bewegungen involvieren weder Kognition noch Strebung; unwillkürliche Bewegungen involvieren Kognition, nicht aber Strebung. Ursache unwillkürlicher Bewegungen sind Kognitionen, die im Lebewesen auf körperliche Bedingungen treffen, die von alleine und ohne Strebung zu bewegungsanalogen Reaktionen in den besagten Körperteilen führen. Schematische Darstellung des Lebewesens als kinematisches System: Wie Bewegungen vom seelischen Ursprung zu den Teilen, von den Teilen zum Ursprung und von den Teilen gegenseitig zueinander gelangen. Willentliche Bewegungen haben ihren Ursprung im seelischen Ausgangspunkt, dagegen verlaufen unwillkürliche Bewegungen zwar durch den Sitz des Ausgangspunkts hindurch, haben dort jedoch nicht ihren Ursprung, sondern in den Teilen des Lebewesens.

In diesem letzten Kapitel der Schrift grenzt Aristoteles das Explanandum seiner Theorie der animalischen Selbstbewegung – die willentlichen Bewegungen der Lebewesen – von anderen Bewegungen des Lebewesens ab. Bei diesen anderen Bewegungen handelt es sich um zwar im Lebewesen stattfindende, aber nicht im re48  Pace Morels Behauptung (2013, 120), Mot. An. 10 lokalisiere die Seele nur in metaphorischer Weise.

172 Anmerkungen

levanten Sinn durch es selbst verursachte (deviante) Bewegungen. Das Kapitel lässt sich in zwei Hauptabschnitte teilen. Im ersten Abschnitt beschreibt und erklärt Aristoteles die devianten Formen der Bewegung, nämlich nicht-willentliche und unwillkürliche Bewegungen (bis 703b26). Daran schließt sich eine schematische Darstellung des Lebewesens als kinematisches System an, anhand der Aristoteles die Möglichkeit des Stattfindens insbesondere von unwillkürlichen Bewegungen als der Selbstbewegung analoge Bewegungen erklärt (bis 704a2). 703 b3  Willentliche Bewegungen. Als selbstverursacht betrachtet Aristoteles nur solche Bewegungen, die vom Lebewesen als Lebewesen verursacht werden. Dies sind, wie wir gesehen haben, diejenigen Bewegungen des Lebewesens, die durch die Kognition eines Strebegegenstandes und eine dadurch ausgelöste, auf den Gegenstand der Kognition gerichtete Strebung verursacht sind. Diese Kognition eines Strebegegenstandes bildet den Ursprung (archê) der animalischen Selbstbewegung: Das erste von allen ist aber der Gegenstand der Strebung; denn dieser bewegt als Unbewegter, indem er gedacht oder vorgestellt wird. (An. III 10, 433b11–12) Der Ausgangspunkt der Bewegung ist also, wie gesagt, das im Bereich möglicher Gegenstände des Handelns Erstrebte und Gemiedene. (Mot. An. 8, 701b33 f.) Mit diesem Ausgangspunkt liegt die erste Phase des a­ llgemeinen Dreierschemas der Bewegungsverursachung aus Physik VIII 5 vor (256b14–17; vgl. An. III 10, 433b11–19). Die Aktivität der Wahrnehmungsseele bei der Kognition eines Strebegegenstands fungiert als der unbewegte Beweger, die Strebung als der bewegte Beweger und das Lebewesen bzw. sein Körper als das Bewegte. Bewegungen, die auf diese Weise verursacht sind, sind durch das Lebe­ wesen selbst verursachte Bewegungen, weil (i) ihr erster Ursprung in der Ausübung der essentiellen Funktion des Lebe­we­sens, d. h. der Wahrnehmung, liegt und (ii) der Körper des Lebewesens auf den Gegenstand der Wahrnehmung in selbsterhal­tender Weise rea­giert und sich so als ein ganzes Lebewesen zu dem Gegenstand



Anmerkungen

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verhält (siehe Einleitung. S. CLI ff.). So weit die Selbstbewegungen. Was die hier in Kapitel 11 von der Selbstbewegung abzugren­ zenden Bewegungen des Lebewesens betrifft, fällt zunächst auf, dass Aristoteles sie nicht als Bewegungen des Lebewesens als Ganzes betrachtet, sondern lediglich als Bewegungen seiner Körperteile (merê: 703b4). Es sind unterhalb der Schwelle intentionaler Prozesse ablaufende Bewegungen von Subsystemen des Lebe­ wesens. Sie bestehen teils in systemischen organischen Prozessen (Verdauung, Atmung usw.) und teils in der Selbstbewegung analogen Prozessen bestimmter einzelner Körperteile (Herzklopfen, Erektion des Geschlechtsteils; vgl. Platon, Tim. 91 B–C). Insgesamt unterscheidet Mot. An. 11 drei Typen von Bewegungen der Lebewesen: willentliche (hekousious kinêseis), nicht-willentliche (ouch hekousious kinêseis) und unwillkürliche (akousious kinêseis). Die Behandlung der Freiwilligkeit und Zurechenbarkeit menschlicher Handlungen in EN III 1–2, obwohl sie ebenfalls mit den Begriffen hekousion sowie akousion arbeitet, kann nicht als Parallele zu der Diskussion in Mot. An. 11 gelten. Dies ist daraus ersichtlich, dass die Ausdrücke hekousion und akousion in den ethischen Schriften nicht so wie in Mot. An. Bewegungstypen (kinêsis) qualifizieren, sondern spezifisch menschliche Handlungen (prat­ tein, praxis: EN III 1, 1109b30, 1110a5 ff.). Bei spezifisch menschlichen Handlungen ist die Beteiligung der Vernunft und die Kenntnis der Handlungsumstände notwendiger Bestandteil der Freiwilligkeit. Hier in Mot. An., wo es um die gemeinsame Ursache aller animalischen Selbstbewegungen geht, kann von einer Beteiligung der Vernunft als einer notwendigen Bedingung der Selbstbewegung dagegen nicht die Rede sein (siehe Einleitung S. CLXXXVII ff.). Die Vernunft ist nur eine unter einer Mehrzahl möglicher an der Verursachung der Selbstbewegung beteiligten Kognitionsformen. 703 b4–26  Diskussion nicht-willentlicher und unwillkürlicher Bewegungen. Aristoteles grenzt die nicht-selbstverursachten Bewegungen durch ihre unterschiedliche Bewegungsgenese von der Selbstbewegung ab. Dabei unterscheidet er zwei Typen von nicht-selbstverursachten Bewegungen. Dies sind einesteils vegetative Bewegungen von Subsystemen des Körpers wie etwa die im Zusammenhang mit der Verdauung oder der Atmung. Sie in-

174 Anmerkungen

volvieren weder Kognition (»Vorstellung«) noch Strebung, ja sie können nicht einmal ohne Weiteres von Kognition und Strebung beeinflusst werden (so verstehe ich die Formulierung in 703b9–11 »denn über nichts davon haben die Vorstellung und die Strebung ohne Weiteres Macht«). Aristoteles nennt sie nicht-willentliche Bewegungen (ouch hekousious kinêseis). Der andere Typ nichtselbstverursachter Bewegungen sind die unwillkürlichen Bewegungen (akousious kinêseis). Bei unwillkürlichen Bewegungen handelt es sich stets nur um Bewegungen von einzelnen Körperteilen, wie etwa das Herzklopfen oder die Erektion des Geschlechtsteils, die zwar durch Vorstellung bzw. Kognition verursacht werden (b 7: phanentos tinos; vgl. ta auta noêsantôn in b36), aber zu körperlichen Reaktionen führen, die vom Lebewesen in keiner Weise gewollt bzw. beabsichtigt sind. Sie sind daher als bloß mechanische und reflexartige Reaktionen von Körperteilen anzusehen, die ganz ohne konatives Element auftreten und den Lebewesen in der kausalen Folge von Sinneseindrücken unterlaufen bzw. zustoßen (b5–8). Aristoteles erwähnt besonders das Herz (unwillkürliches Herzklopfen) und das männliche Geschlechtsteil (Erektion), doch b20 ff. macht klar, dass sich die unwillkürlichen Bewegungen in diesen Körperteilen nur in »besonders auffälliger Weise« vollziehen, 49 was darauf schließen lässt, dass wohl auch andere Körperteile in dieser unwillkürlichen Weise bewegt werden können. Grund für die vergleichsweise Selbstständigkeit besagter Teile soll die vitale Feuchtigkeit sein, die sich in ihnen befindet. Allerdings ist nicht ganz klar, was Aristoteles unter »vitaler Feuchtigkeit« versteht (vgl. Long. 5, 466a18, Gener. An. II 6, 742a14–16). Morel vermutet einen Zusammenhang zwischen vitaler Feuchtigkeit mit Blut und Samenflüssigkeit (2013, 123). Da bei den unwillkürlichen Bewegungen die Strebung nicht an der Verursachung beteiligt ist, lassen sich drei verschiedene Weisen denken, in denen Lebewesen sich zu derartigen, ihnen unterlaufenden Bewegungen ihrer Körperteile verhalten können. Entweder verhalten sie sich indifferent oder sie reagieren mit einer entsprechenden Strebung positiv darauf bzw. auch, wenn es 49  Vom Herzen als einem quasi selbstständigen Lebewesen spricht Part. An. III 4, 666a20 f., b16; vgl. Platon, Tim. 91 B.



Anmerkungen

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einen Unwillen dagegen entwickelt, negativ. Die Formulierung in b 7 f., dass unwillkürliche Bewegungen »ohne Befehl der Vernunft (ou keleusantos tou nou)« ablaufen, ist in dieser Hinsicht ebenso wenig eindeutig wie die spätere die Vernunft erwähnende Formulierung in b16 f.: »die an der Vernunft vorbei sich ereignenden Bewegungen (hai para ton logon ginomenai kinêseis).« Sie können entweder besagen, dass die Vernunft sich indifferent verhält (dies ist die hier in der Übersetzung favorisierte Variante) oder sie können eine willentliche Opposition der Vernunft bedeuten (»obwohl die Vernunft es verboten hat«). Wichtig ist, dass in beiden Fällen die unwillkürliche Bewegung, zu der sich die Vernunft so oder so verhält, ohne Strebung zustande kommt. Interpreten wie Nussbaum 21985 ad loc., Charles 1984, 102; Morel 2004, 172, 182; 2013 ad loc. sehen demgegenüber auch bei den unwillkürlichen Bewegungen in der einen oder anderen Weise die Strebung am Werk. Dafür gibt es im Text jedoch keinerlei klare Anhaltspunkte. Zudem würde Aristoteles sich für den Fall, dass die Strebung am Zustandekommen unwillkürlicher Bewegungen beteiligt wäre, folgendes Problem einhandeln: Das Zustandekommen unwillkürlicher Bewegungen würde sich dann von dem Zustandekommen willentlicher Bewegungen in nichts mehr unterscheiden. In beiden Fällen würden Kognition und Strebung die Bewegung zustande bringen. Dies aber würde bedeuten, dass auch die unwillkürlichen Bewegungen als Selbstbewegungen des Lebewesens zu gelten hätten, und zwar auch in dem Fall, dass die Vernunft dagegen opponieren sollte (dies wäre dann wohl der Fall einer akratischen Handlung, bei der Vernunft und Begierde gegen­ ein­a nder opponieren würden). Es spricht daher alles dafür, dass Aristoteles die unwillkürlichen Bewegungen ganz ohne Beteiligung der Strebung allein mithilfe von durch die Wahrnehmung gegebenen qualitativen Veränderungen im Körper erklären will, die statt in Strebungen zu resultieren, im Lebewesen lediglich auf eine entsprechend (warme) körperliche Verfassung treffen, die dann ihrerseits zu selbstbewegungsanalogen Reaktionen in den besagten Körperteilen führt. Diese körperliche Verfassung, die thermisch der Bewegung der besagten Körperteile günstig ist, nennt Aristoteles »natürlich«. Damit meint er offenbar, dass in diesem Fall die Wärme, anders als im Fall der Bewegungsverur-

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sachung durch Strebung, nicht durch Lust und Leid im Lebewesen generiert wird, sondern auf rein physiologische Weise verursacht worden ist und dann sozusagen einfach »da« ist. Wenn dann ein Sinnesreiz auf die der Bewegung der Körperteile günstige körperliche (warme) Verfassung trifft, tritt der unwillkürliche Effekt ganz ohne Beteiligung der Strebung ein (vgl. 703b16: »nachdem eine qualitative Veränderung eingetreten ist«). Insgesamt ergeben sich also drei Typen animalischer Bewegungen, wovon nur einer, nämlich die willentlichen, Selbstbewegungen des Lebewesens als Ganzes sind:50 nicht-­ willentliche

willentliche

unwillkürliche

Vorstellung/­ Kognition



X

X

Strebung



X



»natürliche« innere und äußere thermische ­Veränderungen

X



X

Es zeigt sich, dass die Verursachung von willentlichen und unwillkürlichen Bewegungen eine in weiten Teilen ähnliche Abfolge von Prozessen involviert: Eine Vorstellung/Kognition führt zusammen mit entsprechender Wärme zur Bewegung. Der Unterschied liegt in der Art und Weise, in der die Wärme im Lebewesen generiert wird. Während bei den unwillkürlichen Bewegungen die Kognition nämlich lediglich auf eine den Bewegungen der Körperteile günstige thermische Verfassung des Körpers trifft und so eine selbstbewegungsanaloge physiologische Reaktion auslöst, führt sie im willentlichen Fall zu Lust und Leid und Strebung, die dann ihrerseits die entsprechende Wärme generieren und so zur Selbstbewegung des Lebewesens führen. Genau hierin liegt der Unterschied: Nur die Bewegungen, die von einer durch die Kognition aktivierten Strebung verursacht werden, sind die dem gan50  Vgl. (allerdings mit leicht abgewandelter Terminologie) Corcilius 2008a, 358.

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Anmerkungen

zen Lebewesen eigenen Bewegungen. Die Wahrnehmungsseele ist also nur dann der Ursprung der Bewegung des Lebewesens, wenn der Gehalt, auf den sich die Wahrnehmung richtet, auch Gegenstand der Strebung ist. Dies ist bei unwillkürlichen Bewegungen nicht der Fall. 703 b26–704 a 2 Schematische Darstellung des Lebewesens als kinematisches System. Um klarzumachen, wie unwillkürliche Bewegungen möglich sind und Kognition ganz ohne Beteiligung der Strebung zum lediglich kausalen Auslöser selbstbewegungsanaloger physiologischer Reaktionen im Lebewesen werden kann, stellt Aristoteles das Lebewesen in schematischer Weise als ein aus fünf Punkten gebildetes kreuzförmiges Bewegungssystem dar. Schnittpunkt der beiden Linien BD und EC ist Punkt A . Dabei stehen die Punkte B und C für Körperteile (Extremitäten), die für die Selbstbewegung relevant sind – also motorische Leistungen vollführen–, während E und D für periphere Sinnesorgane und damit für Einfallspunkte eingehender sensorischer Affektionen stehen. Punkt A im Zentrum der ein- und ausgehenden Bewegungen steht für die Wahrnehmungsseele. Bewegungen von E zu A bzw. von D zu A sind eingehende sensorische Affektionen, die von der Peripherie zur Wahrnehmungsseele verlaufen, während die Bewegungen von A zu B oder von A zu C umgekehrt Motorreaktionen des Lebewesens sind, die von der Wahrnehmungsseele zu den für die Selbstbewegung relevanten Extremitäten verlaufen. E

B A

D

C

Anhand dieses Modells entwickelt Aristoteles zwei Szenarien. Zunächst schildert er, wie die Wahrnehmungsseele in A als Ursprung für die motorische Bewegung in Richtung auf B, dann in Richtung auf C und schließlich in Richtung auf sowohl B und C

178 Anmerkungen

fungiert. In diesen drei Fällen des ersten Szenarios nimmt die Bewegung von A als ihrem Ursprung ihren Ausgang. Dies schildert den Normalfall der willentlichen Selbstbewegung, da hier die Bewegung der für die Selbstbewegung relevanten Körperteile (B und C), so wie in den vorherigen Kapiteln dargestellt, vom seelischen Ursprung ihren Ausgang nimmt. Im zweiten Szenario nimmt die Bewegung ihren Ausgang dagegen nicht in der Wahrnehmungsseele in A, sondern in einem der peripheren Sinnesorgane, E, und geht durch A nur hindurch, um dann mit der Bewegung eines Körperteils, C, zu enden. Die Bewegung verläuft also von E als ihrem Ursprung nach C und geht dabei durch A als bloße Durchgangsstation hindurch. A ist somit nicht der Ursprung (archê) der Bewegung von A nach C; vielmehr geht die Bewegung von E in Richtung auf A nur wie zu einem Ursprung (hôs ep’ archên) und die Bewegung von A nach C verläuft nur wie von einem Ursprung her. Die Wahrnehmungsseele A ist hier also weder ein echter Ursprung eingehender Wahrnehmungsbewegungen (von E nach A) noch echter Ursprung ausgehender motorischer Reaktionen (von A nach C). Damit ist gezeigt, wie unwillkürliche Bewegungen sich von willentlichen Bewegungen unterscheiden: Sie haben ihren Ursprung nicht im seelischen Zentrum in A, sondern in der Peripherie des Lebewesens. Möglich ist dies dadurch, dass das Herz als der Sitz des seelischen Ursprungs des Lebewesens in A, wie Aristoteles sagt, »dem Vermögen nach viele« ist (b31), d. h. es kann sowohl Ursprung der willentlichen Selbstbewegung als auch lediglich Durchgangsstation für selbstbewegungsanaloge (»wie von einem Ursprung her«) Bewegungen von Körperteilen sein. Gleichzeitig erfahren wir, wie Aristoteles über die willentlichen Bewegungen denkt. Damit eine Bewegung willentlich ist, muss ihr Ursprung im seelischen Zentrum des Lebewesens liegen, und dies ist genau dann der Fall, wenn die dort ansässige kognitive Seele (Wahrnehmung, Denken) eine Strebung auslöst, die sich in der einen oder anderen Weise auf den Gehalt der Wahrnehmung richtet. Denn erst dann reagiert das Lebewesen als Lebewesen auf die Gegenstände in seiner Umwelt, und zwar so, wie sie ihm erscheinen, und in einer Weise, die so oder so seinem Selbsterhalt dient. Die resultierenden Motorreaktionen (von A nach B und/ oder C) sind dann psychophysisch in genau dem Sinn, dass sie



Anmerkungen

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(i) durch die Kognition ausgelöst sind, (ii) nicht mehr ohne den Gehalt der Kognition adäquat beschrieben werden können und (iii) dem Selbsterhalt bzw. den eigenen Interessen des Lebewesens dienen (siehe philos. Einleitung, S. CLXI ff.). Zum Diagramm vgl. die vollständige Dokumentation oben im Apparatus plenior, S. 60–61. 704 a3– b1 Der Schlusssatz. Dass hier nicht eine chronologische, sondern eine systematische Ordnung von Schriften in Rede steht, wird zu Recht geltend gemacht von Morel 2013, 123 f. Folgende Abfolge aristotelischer Schriften ergibt sich: Teile der Lebewesen (De partibus animalium), Über die Seele (De anima), Über die Wahrnehmung (De sensu), Über Erinnerung und Wiedererinnerung (De memoria), Über den Schlaf (De somno), Über Träume (De insomniis), Über Wahrsagung in Träumen (De divinatione per somnum), In Bezug auf die Bewegung der Lebewesen (De motu animalium). Diese Reihung von Schriften macht guten Sinn, wenn Aristoteles auch nicht allzu genau auf die Reihenfolge festgelegt werden sollte, wie sich an der Tatsache zeigt, dass er die Abhandlung Über den Schlaf vor die Abhandlung Über die Erinnerung setzt, was der in Sens. 7, 449b1–4 angegebenen Reihenfolge widerspricht. Eine Diskussion der »Systemstelle« von Mot. An. im Kursus der naturwissenschaftlichen Schriften des Aristoteles findet sich in der philos. Einleitung, S. CLXX , Anm. 30.